Herr, zu wem sollen wir gehen?
Kardinal Meisner zu Fronleichnam: Das möchten „manche Christen: die Kirche auf einen Weg zwingen, den Jesus nicht mitgeht“, doch „es geht nicht mehr um diese oder jene theologische Nuance“, sondern „um die Frage: dabeibleiben oder weggehen?“
Köln (kath.net/pek) „Das möchten heute ebenfalls manche Christen: die Kirche auf einen Weg zwingen, den Jesus nicht mitgeht.“ Darauf wies der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner in seiner Fronleichnamspredigt hin. Dabei gehe es „nicht mehr um diese oder jene theologische Nuance, sondern um den Sinn des ganzen Weges, eben um die Frage: dabeibleiben oder weggehen?“, betonte er, denn „wir haben keine Alternativen“. „Jesus wirbt nicht um seine Jünger, indem er sagt: ‚Nun bleibt mal alle da. Ich mache es ab jetzt etwas billiger!‘“.
Die Predigt zum Fronleichnamsfest 2012 von Erzbischof Joachim Kardinal Meisner
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Mit dem Fronleichnamsfest 2012 eröffnen wir das Vorbereitungsjahr zum Nationalen Eucharistischen Kongress 2013 in Köln. Er steht unter dem Wort des Apostels Petrus: „Herr, zu wem sollen wir gehen?“ (Joh 6,68). Die heilige Eucharistie als das Geheimnis des Glaubens konkretisiert unseren Glauben und radikalisiert das Jahr des Glaubens, das der Heilige Vater vom 11. Oktober, dem Konzilsbeginn vor 50 Jahren, bis zum Christkönigsfest 2013 proklamiert hat. „Herr, zu wem sollen wir gehen?“, dieses Wort aus dem Munde des Apostels Petrus führt uns mitten hinein in eine gefährliche Krisensituation des Jüngerkreises Christi, die uns an unsere heutige Situation in der Kirche erinnert. Eben hatte der Herr ihnen das Geheimnis der heiligen Eucharistie im Zusammenhang mit der wunderbaren Brotvermehrung eröffnet. Sie begreifen nicht, dass der Herr selbst ihnen sein eigenes Fleisch und Blut nun zur Speise reichen wird. Und auf einmal ist die Diskussion an einen Punkt gekommen, an dem viele nicht mehr weiterwissen und nicht mehr mittun wollen. Von da ab wandten sich viele seiner Jünger ab und gingen nicht mehr mit ihm (vgl. Joh 6,60-66), heißt es in der Heiligen Schrift, weil sie Jesus vergeblich auf einen Weg zwingen wollten, der vom Vater nicht vorgesehen war.
Das möchten heute ebenfalls manche Christen: die Kirche auf einen Weg zwingen, den Jesus nicht mitgeht. Damals fragte man sich unter den Jüngern Jesu: Hat es da noch einen Sinn, überhaupt weiterhin mitzumachen? Vor dieser tiefsten aller Zweifelsfragen steht nun auch der innere Jüngerkreis Jesu. Es geht nicht mehr um diese oder jene theologische Nuance, sondern um den Sinn des ganzen Weges, eben um die Frage: dabeibleiben oder weggehen? Jesus wirbt nicht um seine Jünger, indem er sagt: „Nun bleibt mal alle da. Ich mache es ab jetzt etwas billiger!“ Nein, er deckt schonungslos die Lage auf, indem er ihnen sagt: „Wollt auch ihr weggehen?“ (Joh 6,67). In der Antwort, die Petrus findet, steckt eben nun beides, was uns heute so nahe kommt: die eigene Ratlosigkeit und das Gott geschenkte Wagnis des Glaubens: „Herr, zu wem sollen wir gehen?“ – Wir haben keine Alternativen. – „Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes“ (Joh 6,68-69). Damit wird uns das erste, das klarste, das hilfreichste, das kürzeste und das tröstlichste Glaubensbekenntnis geschenkt, das die Heilige Schrift kennt. Die heilige Eucharistie, dieses Mysterium des Glaubens, ist nicht nur ein einzelner Aspekt unseres Glaubens, sondern sie bildet gleichsam den Schlussstein der ganzen Verkündigung Jesu, der alles zusammenhält. Ähnliches besagt auch der Ruf nach den Wandlungsworten in der heiligen Messe: „Mysterium fidei“ – „Geheimnis des Glaubens“.
Wir haben schon vor unserem Fronleichnamsfest 2012 die Entscheidung getroffen: Wir sind nicht weggegangen, trotz so vieler Unheilspropheten innerhalb und außerhalb der Kirche. Nein, wir sind geblieben, und wir sind gekommen, um uns von seiner Nähe berühren und stärken zu lassen. Und indem wir uns um den Altar versammeln und dem Herrn in der Monstranz gemeinsam folgen, stärkt auch der eine den anderen, der neben ihm geht, den er als gleichbegnadet, gleichberufen, gleichbeschenkt erlebt: mit dem gleichen Glauben, mit der gleichen Liebe zu Christus in der Eucharistie und mit der gleichen Treue zur Kirche, die ja nach den Worten des Herrn der Leib Christi ist.
In einer chassidischen Spruchweisheit wird folgende Begebenheit überliefert: Ein Rabbinerschüler fragt seinen Meister: „Rabbi, ich habe gehört, dass es in früheren Zeiten Menschen gab, die Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen haben. Warum gibt es so etwas heute nicht mehr?“ Die Antwort lautete: „Weil es keine Menschen mehr gibt, die sich so tief herabbeugen können.“ Der Mensch ist in der Tat nirgendwo größer als dort, wo er vor Gottes Größe in der heiligen Eucharistie niederkniet. Darin ist die Größe unseres Christseins begründet, dass Gott uns berufen hat, vor ihm zu knien, um ihn anzubeten. Damit räumt der Mensch gleichsam sich selbst aus, um Christus in seinem Dasein und Sosein Raum zu geben. Im Christen dann Christus zu begegnen, ist unsere Berufung zugunsten unserer glaubenslosen Mitmenschen.
Vergessen wir nicht, dass wir hier nicht für uns selbst vor dem Allerheiligsten Altarsakrament knien, sondern immer auch für alle, mit denen wir in Familie, Verwandtschaft, Beruf, Nachbarschaft und Gemeinde verbunden sind. Christus ist gestorben für das Heil aller Menschen. Und darum ist der Christ immer zur Stellvertretung berufen, d.h. für die anderen vor Gott einzustehen. Je weniger Menschen sich noch vor dem eucharistischen Herrn einfinden, für umso mehr haben wir uns vor dem Altar und vor der Monstranz für sie einzusetzen. Sollten wir aber auch noch wegfallen, dann gäbe es auch für die anderen keine Chance mehr, mit dem Herrn in Berührung zu kommen. Darum sagt ja der Herr: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben“ (Lk 12,32), d.h. die kleine Herde mit der großen Verantwortung im Geheimnis der Stellvertretung vor dem eucharistischen Herrn. „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes“.
Am Fronleichnamstag erinnern wir uns an unsere Erstkommunion, an der wir zum ersten Mal mit dem eucharistischen Herrn direkt in Berührung kamen. Wir sollten vielleicht heute schon darum bitten, dass wir auf der letzten Lebensetappe das Viaticum, die eucharistische Wegzehrung, nicht entbehren müssen. Der Herr ist heute schon unser Viaticum, unsere Wegzehrung, wenn wir jetzt die heilige Eucharistie feiern und uns dann auf den Weg durch unsere Stadt Köln machen: für alle, die uns sehen, für alle, die hier wohnen und hier leben. Amen.
+ Joachim Kardinal Meisner
Erzbischof von Köln