Das bittere Leiden
unseres
Herrn Jesus Christus
Nach den Betrachtungen
der gottseligen
ANNA KATHARINA EMMERICH
Augustinerin des Klosters Agnetenberg
zu Dülmen
(† 9 Februar 1824)
Nebst dem Lebensumriss dieser
Begnadigten.
(Untenstehende Texte dieser
Webseite mit wenigen Änderungen
in Satzaufbau und heutiger Rechtschreibung
entnommen aus)
Durch die Mitteilungen über
das letzte Abendmahl
Zweite Auflage
Sulzbach
Eommission der J. E. v. Seidel'schen
Buchhandlung
1834
Radierung von Steinle, entnommen
aus: Buch aus dem Jahre 1858
Passionsmitleiden der Hl. Katharina von Siena
Radierung
von Steinle, entnommen aus: Anna K. Emmerich
Das bittere
Leiden unseres Herrn Jesus Christus. Buch aus
dem Jahre 1858
Pone me ut signaculum
super cor tuum, ut signaculum super brachium
tuum.
Drücke mich wie ein Siegel auf dein Herz,
wie ein Siegel auf deinen Arm.
Cant. 8, 6
Einleitung
und
Lebensumriß
der
Erzählerin
Sollten
die
folgenden Betrachtungen
unter
vielen
ähnlichen
Früchten der
kontemplativen
Jesusliebe sich irgend auszeichnen,
so protestieren sie doch feierlich
auch gegen den mindesten Anspruch auf
den Charakter
historischer
Wahrheit.
Sie wollen nichts, als sich demütig
den unzählig verschiedenen Darstellungen
des bitteren Leidens durch bildende Künstler
und fromme
Schriftsteller anschließen und höchstens
für
vielleicht ebenso unvollkommen
aufgefasste
und erzählte, als ungeschickt niedergeschriebene
Fastenbetrachtungen
einer
frommen Klosterfrau gelten, welche solchen
Vorstellungen nie einen
höheren als einen
menschlich
gebrechlichen Wert beilegte und daher einer
fortwährenden
inneren Mahnung zur Mitteilung
nur aus Gehorsam gegen den wiederholten
Befehl ehrwürdiger Gewissensführer
mit
Selbstüberwindung Folge leistete.
— Graf Fr.
Leopold von Stolberg veranlaßte die erste
Bekanntschaft
des Schreibers
mit
ihr; Dechant Bernhard Overberg, ihr außerordentlicher
Gewissensführer, und Bischof J. M. Sailer,
mehrfach
ihr Berater und
Tröster,
forderten
sie zu fleißiger Mitteilung an den Schreiber
auf, und der letzte, der sie überlebte,
vernahm
einen Teil seiner Ausbeute
mit
großer Teilnahme.
Diese ehrwürdigen Verstorbenen gesegneten
Andenkens
waren in steter
Gebetsfreudigkeit
mit
dieser frommen
Person, in welcher sie ein
von
Gottes
Gnade ausgezeichnetes
Wesen
lieb und wert hielten, und ihre Würdigung
der Bemühung
des
Schreibers ward für denselben durch die
Aufforderung des jüngst verewigten Bischofs
von Regensburg G. M.
Wittmann
noch ermutigender.
In den Gnadenführungen solcher in Jesus
verborgenen Seelen durch eigene Erfahrung
und gründliche Forschung
erleuchteter als viele auf
der Heerstraße der
Welt
begriffene Zeitgenossen, hatte dieser
bis in die Todesstunde anstaunenswürdige
Seelenhirt von je alle Nachrichten von jener
Begnadeten
mit
großer Teilnahme
vernommen
und, von der Arbeit des Schreibers später
unterrichtet, diesen
mündlich
dringend
mit
den
Worten
ermahnt:
«Diese Dinge sind Ihnen nicht umsonst
gegeben, Gott hat
seine
Absichten damit,
machen
Sie einiges davon bekannt, es wird
manchen
Seelen
in unserer
Zeit ersprießlich sein» usw. Diesen
Worten
fügte er die Erwähnung ähnlicher
Schriften hinzu, die ihm
und andern während seiner Laufbahn
Nutzen gebracht hätten. Um
dieser Erfahrung willen liebte er,
nach dem
Worte des heiligen Chrysostomus:
medulla
enim
hujus
mundi sunt homines sancti,
solche begnadete Seelen das Mark in den
Gebeinen der Kirche zu nennen, und veranlaßte
die Herausgabe von deren Leben und Schriften.
An das Sterbelager
dieses gerechten Mannes von einem
wohlwollenden Freund geführt, konnte
der Schreiber nicht erwarten, von ihm,
der ihn vor
längerer Zeit nur wenige Minuten
gesprochen hatte, erkannt zu werden, aber
er begrüßte
ihn
freundlich und beschloß eine kurze liebreich
ernste
Ermahnung,
seine Arbeit zu
Ehren
des Herrn fortzusetzen,
mit
seinem Segen. Im Vertrauen auf
Würdigung,
Ermahnung
und Segen so ehrwürdiger Autoritäten entspricht
der Schreiber
den
Bitten
vieler
gottesfürchtiger
Freunde
durch die
Herausgabe
folgender Passionsbetrachtungen jener
frommen
Klosterfrau, deren kleinste Gnade es nicht
war, nach Gottes schützender
Fügung,
wie es Not tat, jetzt
einfältig,
kindlich,
wehrlos und unbedeutend, dann aber
wieder
ganz erleuchtet, scharfsinnig, heldenmütig
und überwiegend, beides aber bewußt- und
absichtslos, in Jesus Christus allein stark,
in aller Demut,
nicht zu scheinen, sondern immer
zu sein.
— Indem
wir uns eine umfassendere Biographie
der Verstorbenen
vorbehalten,
fügen wir uns dem
Raume dieser Blätter in folgendem
kurzen
Lebensumriss
der
Betrachtenden.
Anna Katharina
Emmerich, die Tochter des Bernard Emmerich
und der Anna Hillers, armer und frommer
Bauersleute, wurde im Bistum Münster in
der Bauerschaft Flamske, eine halbe Stunde
von dem Städtchen Coesfeld, am 8. September
1774 geboren und in der Jakobipfarrei zu
Coesfeld getauft. Ihr Jugendleben hatte
eine reiche Ähnlichkeit mit der Kindheit
der ehrwürdigen Anna Garzias a St. Bartholomäo
und Dominica del Paradiso und ähnlicher
kontemplativer Seelen aus dem Bauernstande,
welche die Herablassung Gottes zu den Menschenkindern
an sich als wahr erfunden haben. Sie genoß,
soweit sie zurückdenken konnte, stets eine
höhere, ihr jedoch sehr vertrauliche Führung
bis zu ihrem Ende. Ihr Schutzengel war ihr
sichtbar; der Bräutigam ihrer Seele spielte
mit ihr in Gestalt seiner Kindheit auf der
Wiese und im Garten, der Gute Hirt half
als ein himmlischer Hirtenknabe dem frommen
Hirtenmädchen hüten. Sie genoß des Unterrichts
der heiligen Geschichte von Kindheit an
in Anschauungen das ganze Jahr hindurch,
und zwar auf verschiedene Weise, in historischen
Ebenbildern und in symbolischen Festbildern.
Die Mutter Gottes, die Königin des Himmels,
war ihr eine heiligste, schönste, majestätische,
gütigste Frau, welche zu ihr auf Feld und
Wiese kam, ihr Liebe, Huld, Lehre und Weisung
erwies und ihr ihr göttliches Kind als Gespielen
zuführte. Die lieben Heiligen taten ebenso
und holten freundlich die Kränze ab, welche
sie ihnen an ihren Festtagen flocht. Das
Kind wunderte sich weniger darüber, als
wenn ihm dieses alles von einer herablassenden
Fürstin und deren Hofhaltung geschehen wäre.
Auch später verwunderte sie sich nicht hierüber,
denn die Unschuld hatte für sie ein viel
innigeres Verhältnis zu Jesus Christus,
seiner Mutter und den Heiligen als zu den
herablassendsten Personen des Weltadels;
Vater, Mutter, Bruder, Bräutigam erschienen
ihr so wesentliche Beziehungen zwischen
Gott und dem Menschen, daß sich das ewige
Wort, um unser Bruder zu werden, selbst
seine Mutter auf Erden erwählte, und jene
Würden waren ihr daher zwischen Gott und
Mensch keine leeren Titel. Weil sie als
Kind manchmal von solchen Erfahrungen ganz
unbefangen sprach und auch ihre Erzählungen
von der heiligen Geschichte ihre einfältige
Umgebung in große Verwunderung setzten und
sie sich durch Fragen und Zurechtweisungen
in ihrem Wege gestört fühlte, begann sie
zu schweigen und glaubte einfältig, es schicke
sich nicht, von etwas zu reden, die anderen
Leute schwiegen ja auch stille davon, man
müsse nichts aus dem Hause und von sich
und anderen reden, ja und nein, gelobt sei
Jesus Christus, das rede man; denn alles,
was ihr geschah, war so klar und wahr und
führte so zum Heil, daß sie nicht anders
glaubte, als das geschehe allen Christenkindern
so, die andern aber, welche nicht davon
erzählten, seien nur bescheidener und besser
gesittet als sie, und daher strebte sie
ihnen zu gleichen und schwieg.
Eine Gabe,
welche uns in den Geschichten der S. Sybillina
von Pavia, Ida von Löwen, Ursula Benincasa
und mehrerer andern frommen und heiligen
Seelen einzeln begegnet, war bei ihr von
früher Jugend an beinahe permanent, nämlich
die Gabe, das Gute und Böse, Heilige und
Unheilige, Geweihte und Ungesegnete im Geistigen
und Körperlichen zu unterscheiden. Sie trug
als Kind nur ihr bekannte Heilkräuter weit
aus dem Felde und pflanzte sie in die Nähe
ihrer Wohnung oder ihrer Aufenthalts-, Arbeits-
und Gebetsorte im Garten und Feld; im Gegenteil
vertilgte sie weit umher die Giftpflanzen
und vorzüglich jene, welche in dem Gebrauche
des Aberglaubens und der Magie officinell
sind. Sie floh oder fühlte sich zu sühnendem
Gebet an Orten hingezogen, wo sie vor langen
Zeiten schwere Schuld geschehen sah, die
sie erkannte und dafür büßte, ebenso dankte
sie Gott und fühlte sich beseligt an Orten
des Segens. Wenn in bedeutender Entfernung
ihrer einsamen Hütte oder der Gegend, wo
sie das Vieh hütete, ein Priester zur Kinderlehre
oder mit dem heiligen Sakrament zu einem
Kranken vorüber kam, fühlte sie sich fortgerissen,
eilte zur Stelle, wo er vorüberging, und
kniete am Wege, ehe er kam, und flehte um
den Segen oder betete das hochwürdigste
Gut an. Sie unterschied geweihte und ungeweihte
Gegenstände, fühlte sich an Orten, wo Heidengräber
waren, unheimlich und zurückgestoßen und
zu den Gebeinen der Seligen auf eine wunderbare
Weise, wie das Eisen zum Magnet, hingezogen.
Sie erkannte die Reliquien der Heiligen
in dem Maße, daß sie nicht nur viele einzelne
ganz unbekannte Züge aus dem Leben der Heiligen
erzählte, sondern auch öfters die ganze
Überlieferungsgeschichte dieses oder jenes
heiligen Gebeins und alle Verwechslungen
derselben bestimmte. Den innigsten, mitleidigsten
Verkehr hatte sie ihr ganzes Leben hindurch
mit den Armen Seelen, sie tat und opferte
alles für dieselben, fühlte sich von ihnen
zur Hilfe angefleht und, so sie es vergaß,
auf die rührendste Weise ermahnt. Oft fühlte
sie als junges Mädchen sich von Scharen
von Seelen aus dem Schlaf geweckt und ging
mit ihnen in strenger Winternacht barfuß
durch den Schnee den wohl ein paar Stunden
langen Kreuzweg bei Coesfeld. Sie tröstete,
versöhnte, pflegte, heilte und saugte Wunden
und Geschwüre aus, gab alles den Armen hin
von Kind auf bis zu ihrem Ende. Sie war
von großer Gewissenhaftigkeit, die kleinste
Verschuldung betrübte sie bis zur Krankheit.
Sie schien zu sterben durch Sünde und erstand
durch die Absolution gleichsam vom Tode.
Alle diese Gaben, Eigenschaften, Richtungen
und Tugenden hinderten sie nicht, an allen,
selbst den schwersten Feldarbeiten eines
Bauernmädchens
ihrer Gegend, teilzunehmen, ohne besonders
aufzufallen. Hierzu mochte wohl beitragen,
daß in ihrem Vaterlande ein gewisser Grad
prophetischer Sehergabe nicht selten ist.
Es gibt dort hin und wieder sogenannte Kiecker,
d. h. Seher (Gucker, plattdeutsch Gicker),
die Sterbefälle, Hochzeiten, Truppenzüge
u. dgl. in Bildern, sogenannten Vorgesichten,
voraussehen, für deren Richtigkeit manches
Eintreffen zeugt.
Ihre eigentliche
innere Schule war Abtötung und Abbruch.
Sie erlaubte sich von frühester Jugend nur
das Allernotwendigste an Schlaf und Nahrung,
sie wachte viele Stunden der Nacht im Gebet
und selbst im Winter auf freiem Feld im
Schnee kniend. Sie lag auf hartem, unbequemen
Lager, auf der Erde, auf kreuzweis gelegtem
Holz. Sie aß und trank, was die andern nicht
mochten, weil es ungenießbar schien, und
gab die besseren Bissen den Armen und Kranken,
und wenn sie niemand wußte, dem sie es geben
sollte, so schenkte sie es mit kindlichem
Glauben Gott, mit der Bitte, es jemand zu
schenken, der es nötiger habe als sie. War
irgendwo etwas zu sehen oder zu hören, was
nicht Gott und Religion betraf, so mied
sie den Ort, wo alle hinliefen, unter einem
bescheidenen Vorwand oder wendete, so es
in ihrer Nähe war, ihre Augen und Ohren
ab. Sie pflegte zu sagen, das Überflüssige
sei die Sünde, und was man von dergleichen
den äußeren Sinnen abbreche, erhalte man
tausendfältig im Innern wieder. Das Schneiden
der Reben und Fruchtbäume mache sie fruchtbarer,
und ohne dieses würden sie wild ins Holz
schießen. Besonders merkwürdig ist in der
Geschichte ihrer inneren Führung ein fortwährendes
zusammenhängendes Traumbild, welches sie
von Jugend auf begleitete. Es wurden ihr
alle Ziele ihres Lebens, alle Wege dazu,
alle Mühen und Gefahren und Kämpfe auf der
Bahn, sinnbildlich wie in einer höchst sinnreichen
allegorischen Parabel, vorwarnend und anleitend
vor den Ereignissen selbst vorgebildet.
Als sie in ihrem 16. Jahr mit ihren Eltern
und Geschwistern auf dem Feld arbeitete,
erwachte durch den Klang des Glöckchens
des Annunziaten-Klosters in Coesfeld ihre
geheime Sehnsucht, ins Kloster zu gehen,
so heftig, daß sie ohnmächtig ward und,
nach Hause gebracht, längere Zeit in ein
heimwehartiges verschmachtendes Siechtum
fiel. Im 18. Jahr kam sie nach Coesfeld
zu einer frommen Näherin, um Nähen zu lernen,
war ein paar Jahre dort und hierauf wieder
einige Jahre in Flamske bei den Eltern.
Sie bemühte sich bei den Augustinerinnen
in Borken, bei den Trappistinnen in Darfeld,
bei den Klarissen in Münster um Aufnahme,
aber teils ihre, teils der Klöster Armut
ließ es nicht zu. Um ihr zwanzigstes Lebensjahr
hatte sie sich durch ihren großen Fleiß
etwa 20 Taler mit ihrer Näharbeit erspart
und zog mit diesem für ein armes Bauernmädchen
großen Vermögen wieder nach Coesfeld zu
einem dortigen frommen Organisten, dessen
Tochter sie von ihrem früheren Aufenthalt
her kannte. Sie hoffte durch Erlernen des
Orgelspielens Aufnahme in irgendeinem Kloster
zu finden. Jedoch ihre unabweisliche Begierde,
den Armen zu dienen und alles hinzugeben,
ließ ihr keine Muße, die Musik zu erlernen,
und sie war bald so sehr von allem entblößt,
daß ihre sehr barmherzige Mutter sich ihrer
erbarmte und ihr und denen sie mitteilte,
Brot, Butter, Milch und Eier zutrug. Da
sprach die Mutter: «Du hast zwar dem Vater
und mir ein großes Herzeleid angetan, daß
du von uns mit aller Gewalt ins Kloster
willst, aber du bist doch noch mein liebes
Kind, und wenn ich den Platz zu Haus ansehe,
wo du gesessen hast, so bricht mir das Herz,
daß du all dein Erspartes ausgeteilt und
nun selbst große Not hast, ach du bist doch
mein liebes Kind, sieh, da bringe ich einige
Lebensmittel»; und Anna Katharina antwortete
dann:
«Gott vergelt's,
liebe Mutter, ja, ich habe selbst nichts
mehr, es ist der heilige Wille Gottes gewesen,
andere durch mich zu erhalten, er muß nun
sorgen, ich habe ihm alles gegeben, er wird
wohl wissen, wie er uns allen hilft.»
Sie blieb
einige Jahre in Coesfeld in Arbeit, guten
Werken und Gebet, ihre innere Führung währte
ununterbrochen fort. Sie war ein folgsames
verschwiegenes Kind an der Hand ihres Schutzengels.
Indem wir
in diesem Umriss ihres Lebens viele Gnaden,
Arbeiten und Erlebnisse übergehen und nur
die bedeutendsten Hauptzüge zusammenstellen,
müssen wir erwähnen, daß sie in dieser Periode
ihres Lebens, etwa in ihrem 24ten Jahre,
einer Gnade teilhaftig wurde, welche der
Herr mehreren mitleidigen Verehrern seines
bitteren Leidens auf ihrer irdischen Laufbahn
verliehen hat, nämlich das sinnliche, körperliche
und sichtbare Mitleiden der Schmerzen seines
heiligen Hauptes in der Dornenkrönung. Wir
führen hier ihre Worte an: «Etwa vier Jahre,
ehe ich ins Kloster ging, welches am 18.
Dezember 1802 geschah, also etwa 1798, in
meinem 24. Jahre, war ich einmal um die
Mittagszeit in der Jesuitenkirche in Coesfeld
und kniete auf der Orgelbühne vor einem
Kruzifix in lebhaftem Gebet. Ich war ganz
in Betrachtung versunken, da wurde mir so
sachte und so heiß, und ich sah von dem
Altar der Kirche her, aus dem Tabernakel,
wo das heilige Sakrament stand, meinen himmlischen
Bräutigam in Gestalt eines leuchtenden Jünglings
vor mich hintreten. Seine Linke hielt einen
Blumenkranz, seine Rechte eine Dornenkrone,
er bot sie mir zur Wahl dar. Ich griff nach
der Dornenkrone, er setzte sie mir auf,
und ich drückte sie mir mit beiden Händen
auf den Kopf, worauf er verschwand und ich
mit einem heftigen Schmerz rings um das
Haupt wieder zur Besinnung kam. Ich mußte
gleich darauf die Kirche verlassen, der
Meßdiener rasselte schon lange mit den Schlüsseln.
Eine Freundin von mir, welche mit mir auf
der Orgel gekniet, muß etwas von meinem
Zustand gemerkt haben. Ich fragte sie zu
Hause, ob sie keine Verwundung an meiner
Stirn bemerke, und sprach mit ihr im allgemeinen
von meinem Traum und dem heftigen Schmerz
seitdem. Sie bemerkte damals nichts, wurde
auch nicht weiter von meiner Mitteilung
verwundert, denn sie kannte schon dergleichen
Zustände an mir, ohne daß ihr jedoch ihre
innere Bedeutung ganz klar gewesen wäre.
Am folgenden Tag war mir der Kopf über den
Augen und an den Schläfen bis zu den Wangen
nieder stark geschwollen, und ich hatte
furchtbare Schmerzen. Diese Schmerzen und
die Geschwulst kehrten oft wieder und währten
oft ganze Nächte und Tage. Das Bluten um
meinen Kopf merkte ich nicht eher, als da
mich meine Gefährtinnen mahnten, eine andere
Kopfbinde anzulegen, die ich aufhabe, sei
voller Rostflecken. Ich ließ sie auf ihren
Gedanken und richtete meine Kopfbinde so
ein, daß ich das Kopfbluten glücklich bis
im Kloster verbarg, wo es auch nur eine
Person entdeckt und redlich verschwiegen
hat.»
Von mehreren
kontemplativen Verehrern des bitteren Leidens,
welchen die Gnade der Schmerzensteilnahme
der Dornenkrönung unter derselben Vision
zweier zur Wahl dargebotenen Kronen geworden
ist, nennen wir allein die heilige Katharina
von Siena und Pasithea de Crogis, Klarissin
desselben Ortes, † 1617. In allen solchen
Erfahrungen kehren mit angemessenen Abweichungen
dieselben Formen wieder. Der Schreiber dieses
hat übrigens diese Affektion ihres Hauptes
und das Niederströmen des Blutes über die
Stirn und das Antlitz bei hellem Tage und
in vollkommener Nähe vor seinen Augen mehrmals
in solchem Maße gesehen, daß das Blut ihr
Halstuch reichlich überrann. Ja, er ist
desselben nicht weniger gewiß, als daß ihm
selbst der Schweiß je über die Stirn niedergeronnen
ist u.s.w..
Endlich ward
ihre Sehnsucht nach dem Kloster erfüllt.
Die Eltern einer Jungfrau, welche die Augustinerinnen
zu Dülmen gern aufgenommen hätten, erklärten,
ihre Tochter nur hingeben zu wollen, wenn
Anna Katharina zugleich aufgenommen werde,
und das arme Kloster gestand dieses, wiewohl
ungern, zu, da Anna Katharina ohne Mittel
war.
Am 13. November
1802, acht Tage vor Maria Opferung, wurde
sie als Novizin eingekleidet. Was den Klöstern
in unseren Tagen an alter Strenge und Ordnung
fehlte, um den Beruf der Novizen durch mancherlei
Abtötungen zu prüfen, ersetzte ihr die Vorsehung
durch andere Prüfungen, für deren Strenge
sie nie genug danken konnte. Mühe, Entsagung
und Pein, die man einsam oder mit andern
im Einverständnis sich zur Ehre Gottes auflegt,
sind leicht zu ertragen, aber es ist das
dem Kreuz Christi ähnlichste Kreuz, ungerechte
Beschuldigung, Verschmähung und Strafe ohne
Murren und in steter Liebe hinzunehmen.
Auf diese Weise hat Gott gefügt, daß alle
jene Zucht im Jahre ihres Noviziats unwillkürlich
über sie erging, welche eine weise Novizenmeisterin
in früherer strengerer Ordenszeit über sie
verhängt haben würde, und sie lernte, ihren
Genossinnen, als Werkzeug Gottes zu ihrem
Heile, auch noch später vieles in dieser
Hinsicht zu verdanken. Weil aber ihrer lebhaften
Gemütsart keine Kreuzschule nötiger sein
konnte als diese, so hat sie Gott ihr ganzes
Leben lang fleißig in dieselbe geschickt,
ja sie endlich, damit sie nie neben diese
Schule laufen möge, mit dem Zeichen seiner
heiligen fünf Wunden in derselben festgenagelt
und mit ihrer Unfähigkeit, natürliche Nahrungsmittel
zu nehmen, wie ein fastendes Schulkind darin
sitzen lassen, damit sie, so bezeichnet,
vielen ein Ärgernis, von vielen beschuldigt,
verdächtigt und verhöhnt sei bis an ihr
Ende und vielleicht noch bis über ihr Grab.
Gott sei für alles gedankt!
Ihre Lage
im Kloster war mannigfach mühselig. Keine
ihrer Mitschwestern, kein Priester, kein
Arzt hatte einen Begriff von ihrem Zustand;
denn, hatte sie zwar ihre wunderbaren Gaben
und Seelenzustände früher unter einfältigen
Landleuten zu verhüllen gelernt, so wird
dieses doch in abgeschlossener Berührung
mit einer Schar zwar frommer und gutmütiger,
aber doch immer neugieriger und wohl auch
geistlich eifersüchtiger Mitschwestern unmöglich,
und bei dem damals höchst beschränkten Klostergeist
in ihrer Umgebung musste die große Unbekanntschaft
mit den Erscheinungsformen des inneren geistlichen
Lebens um so bedrängender für sie werden,
als alle jene Erscheinungen in ihren seltsamsten
Formen in größter Fülle an ihr hervortraten.
Alle Reden, allen Verdacht gegen sie sah
und empfand sie wie scharfe Pfeile in ihr
Herz fliegen, wenn auch diese Äußerungen
am anderen Ende des Klosters geschahen.
Ihr Herz fühlte sich tausendfältig durchbohrt.
Sie ertrug alles, ohne ihr Mitwissen merken
zu lassen, mit Geduld und Liebe. Aber manchmal
trieb sie in einem erhöhten Zustand die
Liebe, sich vor einer gegen sie Mißwilligen
niederzuwerfen und sie unter Tränen um Verzeihung
zu bitten. Daraus entstand Verdacht des
Behorchens, irgendein versteckter Groll
sah sich veroffenbart, man konnte sich das
nicht erklären und fühlte sich durch das
unwillkürliche Offenliegen seines versteckten
Innern vor ihr unheimlich. — Da die Ordensregel
ihr ein heiliges Gesetz, im Kloster aber
in manchen kleinen Beobachtungen vernachlässigt
war, so sah sie im Geist alle die Übertretungen
und erschien wohl manchmal, von innerem
Geist getrieben, da oder dort plötzlich,
wo durch Plauderei oder Fehler gegen die
Armut die Regel verletzt wurde, und sprach
unvorsätzlich die verletzten Stellen der
Regel aus. Solche Ereignisse aber mußten
ihr in den Augen der Sorgloseren einen geisterhaften,
unheimlichen Charakter geben. Gott schenkte
ihr die Gabe der Tränen in hohem Maße, sie
mußte vor ihm reichlich alle Sünden und
Undankbarkeiten der Menschen, alle Mängel
und Leiden der Kirche, alle Unvollkommenheiten
ihrer Umgebung und ihre eigene Armut an
Tugend, oft mehrere Stunden lang, in der
Kirche beweinen. Diese Tränen des höheren
Mitleids, wer hätte sie verstanden als der,
vor dem sie weinte? Den Menschen erschienen
sie Eigensinn, Unzufriedenheit usw. Sie
mußte auf Befehl ihres Beichtvaters öfter
als die andern das heilige Sakrament empfangen,
weil sie häufig aus Sehnsucht nach dieser
Seelenspeise zu sterben drohte. Diese Seelenstimmung
erregte Eifersucht und wohl auch den Vorwurf
der Heuchelei.
So mußte
sie vielen Kummer und auch wohl den Vorwurf
ertragen, daß man sie als ein ungeschicktes,
blutarmes Bauernmädchen aufgenommen habe.
Der Gedanke, daß auf diese Weise ihretwegen
Sünde geschehe, war ihr am schmerzhaftesten,
und sie hörte nicht auf, zu Gott zu beten,
er möge doch sie die Strafe für diese Verletzung
der Nächstenliebe tragen lassen. Bald hierauf
fiel sie in eine schwere Krankheit, welche
um Weihnachten 1802 mit heftigem Schmerz
um das Herz begann. Dieser Schmerz verließ
sie auch nach der Genesung nicht, und sie
erduldete ihn schweigend mehrere Jahre,
bis sie im Jahre 1812 in einer Ekstase an
dieser Stelle die äußere Signatur eines
Kreuzes empfing, wie weiter unten bemerkt
werden wird. Die Ansicht, daß sie als schwach
und krank dem Kloster mehrlästig als nützlich
sein werde, konnte den guten Willen zu ihr
nicht mehren, aber sie arbeitete und diente
unermüdlich und liebte alle und war nie
in ihrem Leben so selig wie hier in Armut
und Mühseligkeit aller Art.
Am 13. November
1803 legte sie in ihrem 28. Jahr ihre feierlichen
Gelübde ab und war nun eine verlobte Braut
Christi im Kloster Agnetenberg der Augustinerinnen
zu Dülmen. «Nach meiner Gelübdeablegung
sind mir auch meine lieben Eltern wieder
gut geworden. Mein Vater und mein ältester
Bruder brachten mir zwei Stück Linnen zum
Geschenk. Mein frommer, aber strenger Vater,
der mit meiner ganzen Familie mich ungern
ins Kloster ließ, hatte mir beim Abschied
gesagt, mein Begräbnis wolle er gern bezahlen,
aber zum Kloster gebe er mir nichts. Er
hielt Wort, das Linnentuch war das Leichentuch
zu meinem Begräbnis im Kloster.»
So sehr sie
auch den vollen Strom der Gnade, den Gott
über ihr Inneres ergoß, zu verhüllen strebte,
gab dennoch die Freudenseligkeit einer von
heiliger Liebe trunkenen geweihten Braut
Jesu Christi ihrem ganzen Wesen einen Adel,
welchen keine Demütigung ihr rauben konnte.
Sie selbst sagt: «Ich wußte nichts von mir,
ich dachte nur an Jesus und meine heiligen
Gelübde, meine Mitschwestern verstanden
mich nicht. Ich konnte ihnen meine Zustände
nicht erklären.
Ich war mitten
darin. Jedoch hat Gott noch viele Gnaden,
die er mir erwies, vor ihnen verborgen,
sonst würden sie ganz irr an mir geworden
sein. Bei allen Schmerzen und Leiden war
ich nie in meinem Innern so reich, ich war
überglücklich. Ich hatte einen Stuhl ohne
Sitz und einen Stuhl ohne Lehne in meiner
Zelle, und sie war doch so voll und prächtig,
daß mir oft der ganze Himmel darin zu sein
schien. Wenn ich aber manchmal nachts in
meiner Zelle, von der Liebe und Barmherzigkeit
des Herrn hingerissen, in trunkener vertraulicher
Rede gegen ihn ausbrach, wie ich es von
Kind auf getan habe, und ich wohl belauert
wurde, ward ich großer Keckheit und Vermessenheit
gegen Gott beschuldigt, und da ich einmal
unwillkürlich erwiderte, es scheine mir
eine größere Vermessenheit, den Leib des
Herrn zu empfangen, ohne so vertraut mit
ihm gesprochen zu haben, ach, da wurde ich
sehr ausgeschmäht. Bei all dem lebte ich
mit Gott und allen seinen Geschöpfen in
seligem Frieden. Wenn ich im Garten arbeitete,
kamen die Vögel zu mir, setzten sich mir
auf den Kopf und die Schultern, und wir
lobsangen Gott zusammen. Ich sah meinen
Schutzengel immer an meiner Seite, und soviel
auch der böse Feind gegen mich hetzte, ja
mich selbst mit Poltern, Schlagen und Werfen
mißhandelte, konnte er mir doch keinen großen
Schaden tun, ich hatte immer Schutz und
Hilfe und Verwahrung. Meine Sehnsucht nach
dem heiligen Sakrament war so unwiderstehlich,
daß ich oft nachts, im Schlaf zu ihm hingezogen,
meine Zelle verließ und in der Kirche, so
sie offen war, oder an der verschlossenen
Kirchentür oder an der Kirchenmauer selbst
im strengen Winter mit ausgebreiteten Armen
in Erstarrung kniete oder lag und so von
dem Priester des Klosters, der barmherzig
früher kam, mir die heilige Kommunion zu
reichen, gefunden wurde. Wie er aber nahte
und die Kirche öffnete, erwachte ich und
eilte an die Kommunionbank und fand meinen
Herrn und Gott. In meinen Verrichtungen
als Küsterin wurde meine Seele oft plötzlich
wie weggerissen, und ich kletterte, stieg
und stand in der Kirche, auf hohen Stellen,
an Fensterblenden, Vorsprüngen und Bildwerk,
wo es menschlicherweise hinzugelangen unmöglich
schien. Da reinigte und zierte ich dann
alles. Immer war mir, als seien gütige Geister
und Wesen um mich, die mich hoben, hielten
und mir halfen. Ich hatte kein Arg darüber,
ich war es von Kind auf gewohnt, ich war
nie lang allein, wir taten alles so schön
und lieblich mitsammen. Nur unter manchen
Menschen war ich so allein, daß ich weinen
mußte wie ein Kind, das heim will.»
Viele merkwürdige
Erscheinungen des ekstatischen Lebens an
dieser Jungfrau übergehend, verweisen wir
den Leser auf das Leben der hl. Magdalena
a Pazzis, mit deren Zuständen die ihrigen
in dieser Zeit viele Ähnlichkeit darboten,
und sprechen von ihren Krankheiten.
Von zartem,
behendem, keineswegs robustem Körperbau,
hatte sie sich von Kind auf, trotz steter
Kasteiungen, Fasten, Wachen, nächtlichem
Gebet im Freien, dennoch in jeder Jahreszeit
den schwersten, angestrengtesten Feldarbeiten
hingegeben und dabei alle Last ihrer ununterbrochenen
Seelenzustände ertragen. Kein Wunder daher,
daß sie unter fortgesetzter schwerer Garten-
und Hausarbeit und der Steigerung aller
ihrer seelischen Arbeiten und Leiden mehrmals
im Kloster erkrankte. Aber ihre Krankheiten
hatten eine andere Veranlassung. Wir wissen
nämlich durch vierjährige tägliche, angestrengte
Beobachtung neben ihr und selbst durch eigene
Erfahrung wie auch durch ihr schüchternes
Eingeständnis, daß ein großer Teil ihrer
Krankheiten und Schmerzen ihr ganzes Leben
hindurch, und vorzüglich im Kloster als
dem reichsten Mittelpunkt ihres Lebens,
aus übernommenem Leiden für andere entsprang.
Entweder, daß sie die Krankheit eines anderen,
der nicht mit Geduld zu leiden vermochte,
mitleidig auf sich herüberflehte und, ihn
zu erleichtern, ganz oder teilweise auslitt
oder daß sie sich, irgendeine Schuld oder
Not zu tilgen, Gott hingab und daß der Herr,
ihr Opfer annehmend, sie jene Schuld in
irgendeiner entsprechenden Krankheitsform,
als Sühnung derselben, in Vereinigung mit
den Verdiensten seines bitteren Leidens
tilgen ließ.
Es waren
also in ihr eigene Krankheiten, übernommene
Krankheiten anderer und in Krankheitsformen
auf sie übertragene Verschuldungen und Mängel
anderer, ja Gebrechen und Versäumnisse ganzer
Teile der christlichen Gemeinde und sehr
häufig die mannigfaltigsten Genugtuungsleiden
für die Armen Seelen. Alle diese Leiden
stellten sich, unter dem schnellsten Wechsel
sich entgegengesetzter Krankheitssymptome,
an ihr als ihre Krankheit dar und waren
als diese dem Arzt und dessen zeitlicher
Wissenschaft preisgegeben, der das zu heilen
strebte, was sie zu leiden lebte. Sie selbst
sagte darüber: «Ruhig leiden zu können ist
immer als der beneidenswerteste Zustand
des Menschen erschienen, ja, wäre der Neid
keine Unvollkommenheit, die Engel würden
uns um das Leidensvermögen beneiden. Das
ersprießliche Leiden muß aber auch den verkehrten
Trost und die verkehrten Heilmittel und
alle anderen Gewichte auf das zu tragende
Kreuz geduldig und dankbar hinnehmen. Ich
kannte meine Zustände selbst nicht in ihrer
ganzen Bedeutung und Verbindung. Von jenseits
erhielt ich die Aufgabe im Geist und mußte
sie diesseits leiblich ausfechten. Ich hatte
mich meinem himmlischen Bräutigam ganz als
ein Opfer hingegeben, er ließ an mir seinen
heiligsten Willen geschehen; übrigens war
ich in der Welt und mußte der Welt Ordnung
und Weisheit über mich ohne Murren ergehen
lassen. Hätte ich meine Zustände ganz überschaut
und Zeit und Gabe gehabt, sie zu erklären,
so wäre doch niemand da gewesen, der mich
verstanden haben würde. Vor allem aber würde
ein Arzt mich wohl gar für wahnsinnig gehalten
und darum seine teuren und peinlichen Arzneien
noch vermehrt haben. So habe ich denn durch
Arzneimittel zur Unzeit mein ganzes Leben
hindurch und besonders im Kloster unendlich
gelitten. Oft, wenn ich dadurch dem Tode
nahe war, erbarmte sich Gott meiner auf
übernatürliche Weise und sendete mir wunderbare
Heilmittel, die mich herstellten.»
Vier Jahre
vor Aufhebung des Klosters besuchte sie
ihre Eltern auf ein paar Tage in Flamske.
Zu dieser Zeit kniete sie einmal während
mehrerer Stunden vor dem wundertätigen Kreuz
hinter dem Altar der Lambertus-Kirche zu
Coesfeld in Gebet und Betrachtung. Sie bat
Gott um den Frieden und die Einigkeit ihres
Klosters, opferte ihm das bittere Leiden
Jesu Christi, ihres himmlischen Bräutigams,
zu diesem Zweck auf und flehte in zärtlichem
Mitleiden mit den Schmerzen Jesu am Kreuz,
einen Teil seiner Marter mitfühlen zu können.
Seit diesem Gebet fühlte sie ein stetes
Brennen und Schmerzen in den Händen und
Füßen und war wie in einem ununterbrochenen
Fieber, für dessen Folge sie jene Schmerzen
hielt; an die Erhörung ihres Gebetes wagte
sie nicht zu glauben. Oft vermochte sie
wegen der Schmerzen in den Füßen nicht zu
gehen, und der Schmerz in den Händen erlaubte
ihr manche Arbeit, z. B. das Graben im Garten,
nicht mehr. Sie sagte: «Als ich in diesen
Schmerzen kurz vor der Aufhebung des Klosters
mehrmals um Erkenntnis unserer Fehler und
Linderung meiner inneren Leiden flehte,
erhielt ich verschiedene Male die deutliche
Antwort vor dem heiligen Sakrament: ‹Meine
Gnade sei dir genug, ach, bin ich dir denn
nicht genug?›» — Am 3ten Dezember 1811 wurde
das Kloster aufgehoben und die Kirche geschlossen.
Die Klosterfrauen zogen nach und nach aus.
Anna Katharina blieb krank und arm zurück.
Eine mitleidige Magd des Klosters diente
ihr aus Barmherzigkeit. Auch ein alter,
frommer, emigrierter Priester, der im Kloster
die Messe las, blieb noch in seiner Wohnung.
Er, sie und die Magd, als die Ärmsten, verließen
das Kloster erst im Frühjahr 1812. Sie war
noch so krank, daß sie sich mühselig mußte
herausführen lassen. Der Priester bezog
eine kleine Wohnung bei einer armen Witwe
des Ortes; sie ein armes Kämmerchen zu ebener
Erde desselben Hauses, ihre Fenster sahen
auf die Straße. Hier lebte sie bis gegen
Herbst dieses Jahres 1812 in fortwährender
Kränklichkeit, ein Gott innig vertrautes,
der Welt unbekanntes Leben. Ihre Gebetsentzückungen
und der stete Verkehr ihrer Seele mit einer
andern Welt hatten sich verdoppelt. Sie
nahte einem schweren Beruf, den sie wohl
selbst nicht kannte und zu welchem sie nichts
beitrug als sich, wie eine Magd des Herrn,
dem Willen Gottes gehorsam, hinzugeben,
dem es um diese Zeit gefallen hat, ihren
kranken, jungfräulichen Leib mit dem Zeichen
seines Kreuzes und seiner Kreuzigung — den
Juden ein Ärgernis, den Heiden eine Torheit
und manchen sogenannten Christen beides
— zu bezeichnen, Sie hatte von Jugend auf
gebetet, der Herr möge ihr sein heiliges
Kreuz fest in die Brust eindrücken, damit
sie doch keinen Augenblick seiner unendlichen
Liebe vergesse. Sie hatte hierbei aber nie
an ein äußeres Zeichen gedacht. Sie betete
nun, wieder in die Welt zurückgestoßen,
eifriger als je in diesem Sinne, und als
sie den 28. August, dem Fest ihres heiligen
Ordenspatrons Augustinus, krank zu Bett
liegend, in solchem Gebet in Entzückung
mit ausgebreiteten Armen erstarrt war, sah
sie, als nahe ihr, aus der Höhe von der
rechten Seite kommend, ein leuchtender Jüngling,
wie sie immer die Erscheinung ihres himmlischen
Bräutigams zu sehen pflegte, und es machte
ihr derselbe mit seiner Rechten das Zeichen
eines gewöhnlichen Kreuzes über ihren Leib.
Wirklich empfing sie damals das einem Muttermal
ähnliche Malzeichen eines Kreuzes auf der
Magengegend. Es bestand aus zwei gekreuzten,
etwa zwei Zoll langen, einen halben Zoll
breiten Streifen. Dieses Malzeichen bedeckte
sich später öfters wie mit einer Brandblase,
welche, sich öffnend, besonders abends,
eine brennende, farblose Feuchtigkeit in
solchem Maße ergoß, daß mehrfach gefaltete
Tücher davon durchnäßt wurden. Sie wußte
längere Zeit nichts davon und glaubte heftig
zu schwitzen. Die eigentliche Bedeutung
dieses Zeichens ist nie erforscht worden.
Einige Wochen
später kniete sie mit ausgebreiteten Armen
in ekstatischer Erstarrung in ähnlichem
Gebet, da sah sie sich dieselbe Erscheinung
nahen, die ihr mit der rechten Hand ein
kleines, etwa drei Zoll hohes Kreuz von
der Gestalt eines Y, so wie sie das Kreuz
Christi zu beschreiben pflegt, darreichte,
welches sie mit heftiger Inbrunst gegen
die Mitte ihrer Brust an das Brustbein drückte
und zurückgab. Dies Kreuz beschrieb sie
weich und weiß gleich Wachs.
— Sie wußte
nicht, daß sie hierdurch ein äußeres Zeichen
empfangen habe, und als sie bald hierauf,
um sich zu erholen, mit dem Töchterchen
ihrer Hausfrau den Garten eines alten ehemaligen
Eremiten bei Dülmen besuchte, sank sie daselbst
in ekstatische Bewußtlosigkeit und wurde,
nachdem sie sich erholt, von einer Bäuerin
nach Hause geführt. Da nun in diesen Tagen
die heftige Glut auf ihrer Brust immer zunahm,
sah sie das Mal eines rot durch die Hautschimmernden,
drei Zoll hohen Gabelkreuzes auf ihrem Brustbein.
Durch ihre Mitteilung dieser Erscheinung
an eine ihr vertraute Mitschwester wurde
ihr seltsamer Zustand nach und
nach
ruchbar. Am Allerseelenfest, 2. November
1812, ging sie zum letztenmal aus. Sie schleppte
sich mühselig zur Kirche. Von nun an war
sie bis Ende des Jahres scheinbar in steter
Todesnähe und ward mit den heiligen Sakramenten
versehen. Um Weihnachten erschien an der
Höhe des Kreuzmales auf ihrem Brustbein
ein kleiner Fortsatz in gleicher Kreuzgestalt,
so daß dieses Brustkreuz nun ein doppeltes
Gabelkreuz bildete. Dieses Kreuz schwitzte
anfangs jeden Mittwoch mit wenigen Abweichungen
Blut in dichter Reihe von Schweißpunkten
über seiner ganzen Linie aus, so daß man
vollkommene Abdrücke desselben auf aufgelegten
Papierblättern empfangen konnte. Später
versetzte sich diese Blutung auf den Freitag.
1814 ward diese Blutung seltener, und es
zeigte sich das Kreuz an den normalen Tagen
nur mit einer Feuerröte. Jedoch schwitzte
dieses Kreuz auch noch später und namentlich
an den Karfreitagen. Man achtete jedoch
nicht mehr darauf. Am 30. März 1821 beobachtete
es der Schreiber in hoher Röte und auf seiner
ganzen Linie Blut ausschwitzend. In gewöhnlichem
Zustand war sein Umriß nur bei genauem Anschauen
etwa zwei Linien breit, durch kleine Hautsprünge,
wie sie bei starkem Frost das Bersten der
Haut zu bilden pflegt, farblos bemerkbar.
Der Blutung ging große Hitze in dieser Gegend
der Brust voraus, es erschien unter der
Haut ein roter, beinah zollbreiter Hof von
andringendem Blut um seine ganze Gestalt,
welcher mit dem Ausbluten erlosch. Ähnliche
Signaturen mit Kreuzen kommen bei mehreren
Personen gleicher Richtung vor, unter andern
bei
Katharina de Raconisio, Marina
de Escobar, Emilia Bichieri, Juliana Falconieri
usw.
In den letzten
Tagen des Jahres 1812 trat ihre Stigmatisation
ein. Drei Tage vor Neujahr (29ten Dezember
1812), ungefähr um 3 Uhr nachmittags, lag
sie sehr krank in ihrem Stübchen mit ausgebreiteten
Armen in ekstatischer Erstarrung auf ihrem
Bett. Sie betrachtete die Leiden des Herrn
und flehte, von heftigem Mitleid bewegt,
mit ihm zu leiden. Sie betete fünf Vaterunser
zu Ehren der heiligen fünf Wunden, kam in
eine große Innigkeit und fühlte einen heißen
Durst nach den Schmerzen des Herrn. Ihr
Angesicht war von glühender Röte übergossen.
Da sah sie ein Leuchten von oben zu sich
herabkommen und in diesem die Lichtgestalt
des gekreuzigten Herrn wie lebendig, seine
Wunden leuchteten wie fünf helle Lichtkreise
aus dem Bild hervor. Ihr Herz fühlte sich
von einem gewaltigen Sturm und von Freude
bewegt, ihre Begierde mitzuleiden ward bei
dem Anblick der heiligen Wundmale so heftig,
daß es schien, als flehe ihr Mitleid aus
ihren Händen, ihren Füßen und ihrer rechten
Seite nach den Wundmalen der Erscheinung
hin. Da schossen zuerst aus den Händen,
dann aus den Füßen und endlich aus der Seitenwunde
der Kreuzerscheinung, und zwar aus jeder
einzelnen Wunde, dreifache blutrote Lichtstrahlen,
die sich pfeilförmig endeten, nach ihren
Händen und Füßen und ihrer rechten Seite.
Die drei Strahlen, welche aus der Seite
der Erscheinung kamen, erschienen weiter
voneinander getrennt und breiter und endeten
lanzenförmig. Im Augenblick der Berührung
drangen Blutstropfen an den Malstellen hervor.
Sie lag noch lange in bewußtlosem Zustand
und wußte erwachend nicht, wer ihr die ausgespannten
Arme wieder niedergebeugt hatte. Sie sah
mit Staunen das Blut in der Mitte ihrer
Hände und empfand heftige Schmerzen an allen
Malstellen. Das Töchterchen ihrer Hausfrau
war, nach ihr zu sehen, in die Stube getreten,
hatte das Blut an ihren Händen bemerkt und
es der Mutter erzählt, diese fragte besorgt,
was ihr geschehen, sie bat um Stillschweigen.
Sie fühlte nach der Stigmatisation eine
Veränderung in ihrem Körper, es war, als
wendete sich ihr Blutumlauf und dringe mit
heftigem Ziehen nach den Malstellen hin.
Sie sagte selbst: «Es ist dieses
unaussprechlich!»
Die obige
Erzählung der Umstände, unter welchen sie
alle diese Zeichen empfangen, verdankt der
Schreiber einem eigentümlichen Ereignis.
Sie hatte nämlich am 15. Dezember 1819 eine
umständliche Vision von allem, was bis jetzt
an ihr ergangen, und zwar der Art, daß sie
glaubte, es sei dieses alles einer anderen
Klosterfrau, die nicht weit von ihr wohnen
müsse, gerade so wie ihr geschehen, und
sie erzählte alle die Umstände mit großem
Mitleiden und Teilnahme und einer tiefen
Demütigung, ohne es zu wissen, gegen sich
selbst. Es war höchst rührend, sie sprechen
zu hören. «Ich darf nicht mehr klagen, ich
habe die Leiden dieser armen Klosterfrau
gesehen, ihr Herz ist von einem Kranz stechender
Dornen umgeben, sie trägt so stille und
lächelt noch. Ich muß mich schämen zu klagen,
sie hat eine viel größere Last als ich»
usw.
Aus solchen
Selbstgesichten, die sich mehrmals übereinstimmend
wiederholten und die später von ihr als
ihre eigene Geschichte anerkannt wurden,
sind die Umstände ihrer Stigmatisationen
mitgeteilt, welche man nur auf diese Weise
so detailliert erhalten konnte; denn sie
selbst sprach aus Demut nie von diesen Ereignissen,
und von ihrer geistlichen Obrigkeit gefragt,
woher diese Wunden rührten, sagt sie höchstens:
«Ich hoffe, daß sie von Gott herrühren.»
Der Raum verbietet hier, von der Stigmatisation
überhaupt zu reden. Die Anzahl der bekannt
gewordenen frommen Personen, welche in der
katholischen Kirche, seit Franz von Assisi,
diesen den Theologen unter dem Namen Vulnus
divinum, Plaga amoris viva bekannten Grad
der betrachtenden Jesusliebe, als die höchste
Signatur des mit Jesus leidenden Mitleidens,
erlangt haben, ist keineswegs gering. Es
sind ihrer wenigstens an 50 bekannt geworden,
darüber an anderer Stelle. Die Kapuzinerin
Veronika Giuliani, † 1727 in Città di Castello,
ist die letzte Heiliggesprochene (26. Mai
1831) aus dieser Zahl. Ihre 1810 bei Schmitz
in Köln erschienene Biographie bietet ein
Bild des Zustandes solcher Personen und
auch in vieler Hinsicht unserer Anna Katharina
dar. Die bekannteren Zeitgenossen, welche
vor der letzteren so bezeichnet waren, sind
die Dominikanerinnen Columba Schanolt zu
Bamberg, † 1787, und Magdalena Lorger zu
Hadamar, † 1806, die Kapuzinerin Rosa Serra
zu Ozieri in Sardinien, stigmatisiert 8.
Mai 1801 (†?). Josepha Kümi aus Wollerau
im Kloster Weesen am Wallenstädtersee, welche
1815 noch lebte, seitdem aber gestorben
ist, gehörte auch zu diesem Kreis, wir entsinnen
uns jedoch nicht genau, ob sie stigmatisiert
war.
Seit Anna
Katharina nicht mehr zu gehen vermochte
und bettlägerig wurde, begann auch ihre
Nahrungslosigkeit, sie konnte bald nichts
mehr als Wasser mit wenig Wein vermischt,
dann allein Wasser und selten etwas aus
einer Kirsche oder Pflaume ausgesaugten
Saft zu sich nehmen, alle andere konsistente
Nahrung auch im kleinsten Maße brach sie
mit Würgen von sich. Diese Unfähigkeit,
Nahrung zu nehmen, oder auch diese Fähigkeit,
ohne andere Nahrung als Wasser während längerer
Zeit zu leben, ist gelehrten Ärzten als
merkwürdiger Krankheitsfall keineswegs unerhört,
und umsichtige Theologen werden im Leben
kontemplativer Asketen und namentlich der
Ekstatischen und Stigmatisierten der Ansicht,
daß mehrere, die außer dem heiligen Sakrament
lange keine Speise zu sich nehmen, häufig
begegnen. Wir erwähnen unter vielen anderen
Nikolaus von der Flüe, Lidwina von Schiedam,
Katharina von Siena, Angela von Foligno,
Ludovica de Ascensione u.s.w.
Alle diese
Erscheinungen an Anna Katharina blieben
bis zum 25ten Februar 1813 in ihrer nächsten
Umgebung verschwiegen, wurden dann durch
Zufall einer ehemaligen Klostergenossin
der Kranken bekannt und Ende März Stadtgespräch.
Am 23ten März unterwarf sie der Physikus
des Ortes einer Untersuchung, ward gegen
alle seine Erwartung von der Wahrheit überzeugt,
nahm ein Protokoll über sie auf, ward und
blieb ihr Arzt und Freund bis zu ihrem Tode
(1824). Am 28. März sandte die geistliche
Obrigkeit von Münster eine Untersuchungskommission
zu ihr. Die Kranke erwarb sich dabei das
Wohlwollen ihrer Obrigkeit und die Freundschaft
des gottseligen Dechants Overberg, der fortan
jährlich mehrere Tage zu ihr reiste und
ihr Gewissensrat und Tröster blieb. Die
Achtung des Arztes bei dieser Untersuchung,
Obermedizinalrats von Druffel, ward ihr,
soviel bekannt, nie wieder entzogen. Er
gab in der medizinischen Zeitung, Salzburg
1814, 1. Band S. 145 und 2. Band S. 17,
über alle Erscheinungen an der Kranken in
ärztlicher Hinsicht eine ausführliche Nachricht,
worauf wir hier hinweisen. Am 4. April 1813
kam der k. französische Generalpolizeikommissar
Garnier von Münster zu ihr, beobachtete
und ließ sich berichten, und belehrt, sie
prophezeie nicht, noch rede sie von politischen
Dingen, erklärte er sie außer dem Bereich
der Polizei. Er sprach 1826 noch mit großer
Achtung und Rührung in Paris von ihr. —
Am 22. Juli 1813 kam Overberg mit Graf von
Stolberg und dessen Familie von Münster
zu ihr. Sie blieben bis 24.Juli. Stolberg
bezeugte in einem mehrfach abgedruckten
Brief an die Gräfin S. die Wahrheit aller
Erscheinungen an der Kranken und seine herzliche
Verehrung für sie. Er blieb ihr Freund bis
zu seinem Tode, und seine Familie hörte
nicht auf, sich bis zu ihrem Ende in ihr
Gebet zu empfehlen. — Am 9. September 1813
kam Overberg mit der frommen und geistreichen
Fürstin Gallitzin zu ihr, sie blieben bis
zum 11. September und waren Augenzeugen
der zahlreichen Blutungen aller ihrer Wundmale.
Diese ausgezeichnete Frau wiederholte ihre
Besuche, und nach ihrem Tode blieb ihre
Tochter, die Fürstin Salm, und deren Familie
in stetem Gebetsverein mit Anna Katharina;
ebenso fanden andere edle Familien und Trostsuchende
jeden Standes Erbauung an ihrem Krankenlager.
— Am 23.Oktober 1813 brachte man sie in
eine andere Wohnung, die auf einen Garten
sah. Man stieg über eine Wendeltreppe zu
ihr, und die armselige Klosterfrau ging
von Tag zu Tag in ein mühseligeres Dasein
über. Die Zeichen, welche sie durch Gottes
Willen trug, wurden für sie bis zum Tode
eine Quelle unsäglicher Leiden; ohne daran
zu denken, wie sehr sie unaustilgbare Gnadenzeugnisse
der heiligsten Weihestunden ihres Lebens
seien, trug sie dieselben zu ihrer Demütigung
als ein ihr für ihre Sünden aufgelegtes
schweres Kreuz. Ihr armer Leib selbst mußte
Christus, den Gekreuzigten, predigen. Es
war ein schwerer Beruf, allen ein Rätsel,
den meisten eine Verdächtige, vielen ein
Gegenstand scheuer Verehrung zu sein, ohne
in Ungeduld, Haß oder Stolz zu fallen. So
gern sie sich von der Welt verschlossen
hätte, nötigte sie bald der Gehorsam, unzähligen
Neugierigen ein Gegenstand der verschiedenartigsten
Beurteilung zu werden. Die heftigsten Schmerzen
leidend, hatte sie gewissermaßen auch noch
ihr Eigentumsrecht an sich selbst verloren
und war ohne irgendeinen Vorteil zum Nachteil
ihres Leidens und ihrer Seele durch Mangel
an Ruhe und Sammlung gleichsam zu einer
Sache geworden, welche zu beschauen und
zu beurteilen jedermann das Recht zu haben
glaubte. Die Anmaßung ging weit, ein stark
beleibter Fremder, dem die enge Wendeltreppe
beschwerlich ward, klagte, daß diese Person,
welche eigentlich an der Heerstraße liegen
müßte, so unbequem hoch gelegt sei. Ähnlich
Bezeichnete in früherer Zeit bestanden in
Abgeschlossenheit die Prüfung der geistlichen
Obrigkeit und vollendeten ihre schwere Aufgabe
von heiligen Mauern geschützt; unsere arme
Freundin aber aus einer Klostergemeinde,
welcher sie selbst ein Rätsel war, in einer
übermütigen, seichten und ungläubigen Zeit
in die eitle Welt gestoßen und mit dem Ordenszeichen
der Passion Christi belehnt, mußte das blutige
Gewand des Keltertreters am lichten Tage
vor vielen Menschen tragen, welche kaum
an Jesu eigene Wunden, viel weniger an deren
Ebenbild glaubten. So war sie, die so viele
Stunden ihrer Jugend bei Tag und Nacht vor
den Stationsbildern des Leidensweges Christi
und vor den Kreuzen am Wege gebetet hatte,
nun selbst wie ein Kreuz am Wege geworden,
von dem einen mißhandelt, von dem anderen
mit Tränen der Buße begrüßt, von dem dritten
als Gegenstand der Kunst und Wissenschaft
betrachtet und von den Unschuldigen mit
Blumen geschmückt. — Im Jahre 1817 zog ihre
fromme alte Mutter vom Lande auf ihre Stube,
um bei ihr zu sterben. Sie erwies ihr Kindesliebe
durch Trost und Gebet und drückte ihr am
13. März mit ihren so ehrwürdig bezeichneten
Händen die Augen dankbar zu, welche ihre
Jugend so treu bewacht und so viele Tränen
der Mutterliebe ihrethalben geweint hattet.
Mit dem reichen Erbschatz, den ihr die Mutter
hinterließ, reichte Anna Katharina überflüssig
bis zum Tode aus und hinterließ ihn ungehindert
allen Freunden zu ewiger Nutznießung. Es
bestand dieses Erbe in den drei Sprichworten:
Herr! wie Du willst und nicht wie ich will.
— Herr! gib Geduld, und dann schlage tüchtig
zu! — Taugt es nicht in den Topf, so taugt
es doch darunter. — Dieses letzte Sprichwort
aber hatte den Sinn: kann dieses nicht zur
Speise dienen, so kann man doch es verbrennen
und die Speise dabei kochen; erquicket dieses
Leid mein Herz nicht, so kann ich doch,
es geduldig ertragend, das Feuer der Liebe
damit mehren, durch welches dieses Leben
allein genießbar wird. Sie gebrauchte diese
Sprichworte oft und gedachte immer der Mutter
mit Dank dabei. Der Vater war früher gestorben.
- Der Schreiber
dieser Blätter erhielt zuerst durch eine
Abschrift des oben erwähnten Briefes Stolbergs
und später durch einen Freund, der mehrere
Wochen bei der Kranken gelebt, eine umfassende
Kenntnis ihres Zustandes. Im September 1818
eingeladen, mit J. M. Sailer, nach langer
Trennung, auf dessen Reise zu dem Gr. Fr.
L. v. Stolberg in Westfalen zusammenzutreffen,
begab er sich nach Sondermühlen zu letzterem,
der ihn nach Münster an Overberg empfahl,
und dieser führte ihn durch seinen Brief
an den Arzt der A. K. Emmerich bei derselben
ein. Gütig aufgenommen, besuchte er sie
am 17ten September 1818 zum erstenmal. Sie
erlaubte ihm bis zu Sailers Ankunft, täglich
mehrere Stunden bei ihr zuzubringen und
bewies ihm mit rührender Arglosigkeit ein
so kindliches Vertrauen, als er es nie von
irgendeinem Menschen genossen. Sie mochte
wohl erkennen, daß sie in hohem Grade ein
geistliches Almosen an ihm übte, indem sie
alle ihre Führungen, Erfahrungen, Freuden
und Leiden von Kind auf bis heute ohne irgendeine
Scheu vor ihm aussprach, und sie tat dies
bis zur freudigen Gastfreiheit, ohne alle
Sorge, da sie sich von ihm nicht durch übertriebene
Bewunderung in ihrer Demut gestört fühlte.
Sie gab ihr Inneres mit der freudigen Barmherzigkeit
hin, mit welcher ein gottseliger Einsiedler
jeden Morgen die Blumen und Früchte seines
Gartens, die ihm über Nacht wieder wachsen,
einem mühseligen Wanderer zur Erquickung
reicht, der, in der Wüste der Welt verirrt,
sich bei seiner Klause zurechtgefunden hat.
Gott auf Leben und Tod hingegeben, tat sie
alles wie ein Kind Gottes, arglos und absichtslos
so hin. Gott vergelte es!
Der Schreiber
schrieb täglich alles nieder, was er an
ihr bemerkte oder was sie ihm aus ihrem
inneren und äußern Leben erzählte. Alles,
bald durch die kindliche Naivität, bald
durch die eigentümlichste Tiefsinnigkeit
überraschend, ließ den großartigen Zusammenhang
ahnen, der später hervortrat, da es sich
entdeckte, daß die heiligende Vorwelt, die
entheiligende Mitwelt und die richtende
Nachwelt sich fortwährend als ein historisches
und zugleich allegorisches Drama nach den
Motiven und der Szenenfolge des Kirchenjahres
vor, in und mit ihr abspielten, denn alles
dieses war der Leitfaden ihrer Gebets- und
Leidensopfer für die streitende Kirche in
zeitlicher Bedrängnis. — Am 22. Oktober
1818 kam Sailer zu ihr; als er, unten im
Hause durchwandelnd, bemerkte, daß sie im
Hinterhaus einer Schenke wohnte und unter
ihrem Fenster eine Kegelbahn rasselte, sagte
er in seiner scherzhaften und doch tiefen
Weise: «Schau, schau, so ist es gerade recht,
so muß es sein, die kranke Nonne, die Braut
unseres Herrn, wohnt in einer Schenke über
der Kegelbahn, gerade wie die Seele des
Menschen in seinem Leibe.» Sein Zusammenkommen
mit der Kranken war sehr rührend und innig,
zwei von Jesu Liebe brennende Herzen, auf
den verschiedensten Wegen von der Gnade
geführt, begegneten sich bei dem Kreuz,
mit welchem das eine sichtbar bezeichnet
war. Freitag, den 23. Oktober, war Sailer
den ganzen Tag meist allein bei ihr, er
überzeugte sich von den Blutungen ihres
Hauptes, ihrer Hände und Füße, und sie fand
den mannigfachsten Trost in bezug auf ihre
inneren Erfahrungen bei ihm. Auf ihre Anfrage
empfahl er ihr dringend die unbefangenste
Mitteilung an den Schreiber, worüber er
auch mit diesem und ihrem gewöhnlichen Seelsorger
sprach. Mit großer Rührung überzeugte er
sich von ihren ekstatischen Zuständen, ihrem
Gehorsam gegen geistlichen Befehl und ihrer
überraschenden Anregung durch Segen, Geweihtes
und Reliquien. Sie beichtete ihm, wozu er
die Erlaubnis von der geistlichen Behörde
als Fremder begehrt und empfangen hatte.
Samstag, den 24., reichte er ihr das heilige
Sakrament und reiste weiter zu Stolberg.
Auf der Heimreise blieb er im Anfang des
Novembers abermals einen Tag bei ihr. Er
war ihr bis zu ihrem Tode ein Freund, hat
für sie gebetet und in ernsten Angelegenheiten
ihr Gebet verlangt. Der Schreiber blieb
bis zum Januar und kehrte im Mai 1819 zu
ihr zurück, wo er mit weniger Unterbrechung
bis zu ihrem Tode seine Beobachtungen fortsetzte.
Ihr stetes Gebet, Gott möge ihr die äußerlichen
Wundmale nehmen, damit sie der Beunruhigung
nicht erliege, ward nach 7 Jahren erhört.
Gegen Ende 1819 wurden die wöchentlichen
Blutungen seltener und blieben endlich ganz
aus, am 25. Dezember fielen auch die Wundrinden
an den Händen und Füßen ab, und es erschienen
durch die Hauterneuerung weißschimmernde
Narben, welche jedoch an allen bezüglichen
Tagen sich röteten, wie denn überhaupt die
Schmerzen dieselben blieben. Auch die Kreuzmale
und die Wunde der rechten Seite äußerten
sich noch oft wie früher, doch an abweichenden
Tagen. Die Empfindung, unter furchtbarer
Peinigung eine breite Dornenkrone um das
Haupt zu tragen, trat an den normalen Tagen
fortwährend mehr oder weniger heftig ein.
Sie konnte dann das Haupt nirgends an- oder
auflehnen, ja, ihm nicht mit der Hand nahen
und saß viele Stunden, ja ganze Nächte wie
ein erschütterndes bleiches Jammerbild mit
schwankendem Haupt, um den Leib durch stützende
Kissen aufrecht gehalten, wimmernd im Bett.
Dieser Zustand löste sich immer mit minderen
oder stärkeren Blutergüssen rund um das
Haupt, die manchmal nur die Kopfbedeckung
durchdrangen, manchmal auch über das Antlitz
nieder auf ihr Halstuch rannen. Am 19. April,
Karfreitag 1819, brachen von neuem alle
ihre Wunden blutend auf und schlossen sich
wieder an den folgenden Tagen. — Eine strenge
Untersuchung ihres Zustandes durch Ärzte
und Naturforscher, welcher sie, abgesondert
in einem fremden Haus, vom 7. bis 29. August
1819 unterworfen wurde, scheint auf ihrem
Werte beruhen geblieben zu sein. Man brachte
sie am 29. August in ihre Wohnung unter
alle ihre früheren Verhältnisse zurück.
Außer einigen Privatquälereien und öffentlichen
Schmähungen ließ man sie bis zu ihrem Tode
fortan in Ruhe. Overberg schrieb ihr in
diesem Leiden folgende Worte: «Was ist Ihnen
denn auch, Ihnen persönlich, Übles geschehen,
worüber Sie zu klagen hätten? Ich tue diese
Fragen an eine Seele, die nichts so sehr
wünschet, als ihrem himmlischen Bräutigam
immer ähnlicher zu werden. Hat man Sie nicht
viel sanfter behandelt, als es Ihrem Bräutigam
geschehen? Muß es Ihnen, dem Geiste nach,
nicht Freude sein, daß man Ihnen behilflich
ist, Ihrem Bräutigam ähnlicher und also
auch wohlgefälliger zu werden? Schmerzen
hatten Sie vorher schon viele mit Christus
gelitten, aber der Schmach noch vergleichsweise
wenig. Bei der Dornenkrone fehlte noch immer
der Purpurmantel und das Spottkleid. Noch
immer fehlte das Geschrei: Weg mit dieser,
weg zum Kreuz. Ich zweifle nicht, daß diese
Gesinnungen die Ihrigen sind. Gelobt sei
J. C.»
Karfreitag,
den 30ten März 1820, ergossen ihr Haupt,
ihre Hände und Füße, ihre Brust und Seite
Blut zur gewöhnlichen Zeit. Jemand aus ihrer
Umgebung, welcher wußte, daß die Annäherung
von Reliquien ihr erquicklich war, hatte
ihr während ihrer Ohnmacht ein Tuch, worin
Reliquien, an die Fußsohlen gelegt, und
es war Blut von den Wundmalen an dies Tuch
gekommen. Als man ihr dieses Tuch samt den
Reliquien abends auf die Schulter, welche
sie besonders schmerzte, und auf die Brust
legte, sagte sie plötzlich in ekstatischem
Zustand: «Wie wunderbar, dort sehe ich meinen
himmlischen Bräutigam im irdischen Jerusalem
tot im Grabe ruhen, hier sehe ich ihn im
himmlischen Jerusalem unter vielen Heiligen
lebend angebetet, und unter den vielen Heiligen
sehe ich eine unheilige Person, eine Klosterfrau,
das Blut rinnt ihr vom Haupt, der Seite,
den Händen und Füßen, und die Heiligen stehen
über diesen Gliedern ihres Leibes.»
Am 9ten Februar
1821 ward sie beim Begräbnis eines frommen
Priesters ekstatisch, das Blut rann ihr
von der Stirne, und auch das Brustkreuz
blutete. So fand sie jemand und fragte:
«Was geschah Ihnen?» Da sprach sie halb
im Traum lächelnd: «Wir waren zur Leiche,
ich bin das Singen nicht mehr gewohnt, das
de profundis hat mich so angestrengt.»
— Drei Jahre
nachher starb sie am selben Tag. — Sie sagte
1821, mehrere Wochen vorher, es sei im Gebet
zu ihr gesprochen worden: «Achte darauf,
du wirst am historischen und nicht am kirchlichen
Tag blutend mitleiden.» Wirklich war sie
Freitag, den 30. März, morgens um 10 Uhr
bewußtlos, aber doch in freudiger Rede.
Antlitz und Brust waren von Blut überronnen
und ihr Körper voll Streifen gleich Geißelmalen.
Um Mittag ward sie in Kreuzform ausgestreckt,
ihre zitternden Arme dehnten sich auf eine
entsetzliche Weise. Einige Minuten nach
2 Uhr drangen Bluttropfen aus ihren Händen
und Füßen. Am Karfreitag, dem 20. April,
selbst war sie nur in stiller Betrachtung,
welche auffallende Abweichung sich als der
Schutz Gottes zeigte, indem sie zur gewöhnlichen
Stunde der Blutung von mißwilligen Laurern
bedrängt ward, welche durch Veröffentlichung
ihr neue Störung zuziehen wollten, jetzt
aber durch die Aussage, sie blute nicht
mehr, zu ihrer Ruhe gegen ihre Absicht beitrugen.
— Am 19. Februar 1822 hatte sie dieselbe
Mahnung des Mitleidens am letzten Freitag
im März und nicht am Karfreitag, wenn sie
leben bleibe, denn sie war in schwerer Gebetsarbeit
dem Tode nahe. Sie hatte häufig ein Stechen
und Ziehen nach den Wundmalen und ergoß
Freitag, den 15. und 22., Blut aus dem Brustkreuz
und der Seitenwunde, alle Male röteten sich
stark. Sie fühlte öfters vor dem 29., als
stürze ihr ein heißer Strom vom Herzen zur
Seite und durch Arme und Beine zu den Malstellen
hin, wo sich Stechen, Röte, Glut und mit
dem Gefühle des Ausströmens Schweißtropfen
einstellten. Am Donnerstag, dem 28., abends
sank sie in die Betrachtung der Passion
bis Freitag, den 29. am Abend. Sie ergoß
in den betreffenden Stunden Blut an der
Brust, dem Haupt und der Seite, alle Adern
zu den Händen hin waren geschwollen, die
Male gerötet, und in denselben ward der
Mittelpunkt wund und feuchtete, doch ohne
wirklichen Erguß. Sie erhielt die Weisung
der Blutung für den 3. Mai auf Kreuzauffindung.
Sie hatte auch an diesem Tage von der Entdeckung
des Kreuzes von St. Helena eine Betrachtung,
der ihre Blutung eingeflochten war. Sie
glaubte, neben dem Kreuz in der Grube zu
liegen, blutete morgens stark am Kopf und
der Seite und nach Mittag an Händen und
Füßen und hatte ein Gesicht, als werde die
Echtheit des Kreuzes Christi an ihr probiert
und ihr Bluten gebe ein Zeugnis. — Im Jahre
1823 begleitete ihre Betrachtung die Passion
vom Vorabend, den 27., bis Karfreitag, den
28. März, am Abend abermals, sie blutete
mäßig an allen Wunden unter großen Leiden.
Ein anwesender Freund bedauerte ihre ungehütete
Lage; ganz in Geistesabwesenheit, zum Sterben
gepeinigt, mußte sie in ihrer kleinen Haushaltung
über alles Rede und Antwort geben, als sei
sie frisch und gesund, und tat es schier
sterbend, halb bewußtlos ohne Murren. Es
war das letztemal, daß sie mitleidend Zeugnis
gab mit ihrem Blute für den, der das Seine
für uns alle gegeben.
— Die meisten
Formen des geistlich ekstatischen Lebens
in Gebet, Erkenntnis, Leiden und Wirken,
welche uns in den Geschichten und Schriften
der Brigitta, Gertrud, Mechtild, Hildegard,
Katharina von Siena, von Genua, von Bologna,
Columba von Rieti, Lidwina von Schiedam,
Katharina Vanini, Theresia a Jesu, Anna
a St. Bartholomäo, Maria Magdalena von Pazzis,
Maria Villana, Maria Bonhomi, Marina von
Escobar, Kreszentia von Kaufbeuren und vieler
andern kontemplativen Klosterfrauen begegnen,
erschienen auch in der Geschichte des innern
Lebens der A. K. Emmerich. Womit jedoch
allein gesagt sein soll: Es war ihr derselbe
Weg von Gott angewiesen; ob sie unter schwierigen
Umständen gleich jenen das Ziel erreicht,
steht in Gottes Barmherzigkeit; uns geziemt,
darum zu bitten, und ist erlaubt, es zu
hoffen. Jene Leser, welche das Wesen solcher
Personen nicht aus ihren Schriften kennen,
finden sich in bezug auf deren Stellung
in der Einleitung von Susos Leben und Schriften
(Regensburg 1829) durch Görres verständiget.
Da eifrige
Christen, um in ihrem Leben einen steten
Gottesdienst darzustellen, in jedem Tagewerk
das Sinnbild irgendeiner Gottesverehrung
suchen, welche sie in treuer Verrichtung
der Werke Gott im Verein mit den Verdiensten
Jesus Christus aufopfern, so scheint es
nicht befremdlich, daß jenen aus ihnen,
welche aus einem werktätigen in einen leidenden,
betrachtenden Zustand kommen, ihre Gebetsarbeiten
unter der Form ihres früheren Geschäftskreises
entgegentreten. Ihr früheres äußeres Werk,
nach dessen Sinnbildlichkeit sie ihr inneres
Gebet wirkten, wird jetzt die Form ihrer
Gebetsarbeit, in der sie nun ihr äußeres
Werk wirken. Sonst wirkten sie ihr Gebet,
jetzt beten sie ihr Wirken, die Form blieb
dieselbe. In solcher Weise erklärt es sich,
daß Anna Katharina in ihrem ekstatischen
Leben alle ihre Gebetsaufgaben für die Kirche
und mancherlei Not in Traumparabeln von
Hauswirtschaft, Viehzucht, Feld- und Gartenbau,
Linnenbereitung, Näharbeit und Wäsche verrichten
mußte. Alle diese Arbeiten schlossen sich
nach ihrer Bedeutung der natürlichen und
kirchlichen Zeit an und wurden durch Anrufen,
Eintreten und Hilfe der Heiligen jedes Tages
unter fleißiger Anwendung der speziellen
Gnade der einfallenden Kirchenfeste vollzogen.
Die Bedeutsamkeit dieses sinnbildlichen
Geschäftskreises reichte überflüssig für
alle Aufgaben der werktätigen Seite ihres
inneren Lebens zu. Ein Beispiel diene hier
statt vieler. Wenn Anna Katharina als Bauernmädchen
Unkraut aus dem Feld jätete, flehte sie,
das Unkraut möge aus dem Kirchenfeld ausgereutet
werden; brannten ihr die Hände vom Nesselraufen,
mußte sie nachlässigen Abeitern nacharbeiten,
so opferte sie Schmerz und Mühe Gott auf
und flehte um Jesu willen, daß doch kein
Seelenhirt ermüden möge, bei schweren Hindernissen
mutig fortzuarbeiten, usw. Auf diese
Weise ward ihre Handarbeit zu einem Gebete.
Nun folgt ein paralleler Fall aus ihrem
ekstatischen betrachtenden Leben. Als Anna
Katharina einst mehrere Tage krank und mühselig
seufzend in fast steter Ekstase gelegen,
wobei ihre Finger häufig wie pflückend zuckten,
klagte sie eines Morgens über Brennen und
Zucken an Händen und Armen, welche sich
auch bei näherem Anschauen mit Nesselbrandblasen
bedeckt fanden. Sie bat hierauf mehrere
Bekannte, ihre Gebete in einer gewissen
Angelegenheit mit dem ihrigen zu vereinigen.
Am folgenden Morgen schmerzten ihre Finger
und schienen wie von Arbeit entzündet; um
die Ursache gefragt, erwiderte sie: «Ach,
ich hatte so viele Nesseln im Weinberg auszurupfen,
und die bestellten Gehilfen rissen nur das
Kraut ab, da mußte ich die Wurzeln mühselig
mit den Fingern aus dem steinigen Grunde
herausbohren.» u.s.w.
Als der Fragende
solche nachlässigen Arbeiter tadelte, fühlte
er sich durch ihre Antwort beschämt:
«Sie waren
auch darunter, es sind die nachlässigen
Gebetsgenossen, welche nur das Kraut von
den Nesseln rissen und die Wurzeln stecken
ließen!»
Es fand sich
aber später, daß ihr, welche für mehrere
Bistümer betete, diese unter den Sinnbildern
von verwilderten Weinbergen zur Bearbeitung
angewiesen worden waren. Gab nun der wirkliche
Nesselbrand an ihren Händen ein Zeugnis
von ihrem sinnbildlichen Ausraufen der Nesseln,
so liegt es nicht ferne zu hoffen, daß auch
den Kirchengemeinden, welche durch diese
sinnbildlichen Weinberge bedeutet wurden,
eine Wirkung ihrer Gebetsarbeit zugekommen
sein wird; denn wenn den Anpochenden aufgetan
wird, so wird wohl auch jenen geöffnet werden,
welche so herzhaft anpochen, daß ihnen die
Fingerknöchel wehetun. Ähnliche Rückwirkungen
auf den Körper begegnen uns häufig in den
Geschichten von Personen gleicher Richtung
und sind dem Glauben nicht fremd. Die heilige
Paula besuchte, nach der Erzählung des heiligen
Hieronymus, die heiligen Orte in ihren Gesichten
gerade wie persönlich; eben dieses geschah
an Columba von Rieti und Lidwina von Schiedam,
welche von diesen Reisen im Geiste alle
Spuren am Leibe erlitt, als sei sie körperlich
gereist; sie ward wegemüd, verwundete sich
die Füße, hatte Spuren von Anstoßen, Dornenverletzung,
verrenkte, in Traumreisen ausgleitend, den
Fußknöchel und litt körperlich lange an
dieser Verletzung.
Auf diesen
Reisen, von ihrem Engel geführt, hörte sie
von diesem, die körperliche Verletzung sei
ein Zeichen, daß sie mit Leib und Seele
entzückt gewesen. Solches Hervortreten von
Verletzungen am Körper wenige Augenblicke,
nachdem sie im Traume geschehen, ward auch
bei Anna Katharina beobachtet. Wie Lidwinas
ekstatische Reise damit begann, daß sie
im Geiste ihrem Engel in die Marienkapelle
von Schiedam folgte, so eröffneten die ekstatischen
Reisen der Anna Katharina sich auch damit,
daß sie im Geiste ihrem Engel in die nahe
Kapelle vor ihrem Wohnort oder zum Kreuzwege
vor Coesfeld oder zu dem Gnadenkreuz daselbst
folgte.
Sie erzählte
ihre Reisen nach dem Heiligen Lande auf
den entgegengesetztesten Wegen, öfters selbst
rund um die Erde, nachdem die Aufgabe ihrer
Gebetsarbeit es erforderte, und öfters auch
den entgegengesetzten Rückweg bis zu ihrer
Kammer. Diese Wege waren von ihrer Heimat
an bis zu den entferntesten Völkern von
den abwechselndsten Hilfstätigkeiten erfüllt,
welche, alle aus dem Kreise der leiblichen
oder geistlichen Werke der Barmherzigkeit,
häufig in Form von Parabeln geübt wurden.
Nach einem
Jahre auf gleichem Wege, berührte sie dieselben
Persönlichkeiten wieder und erzählte ihr
Gedeihen oder ihren Rückfall.
Alle diese
Arbeit aber bezog sich auf die Kirche, das
Reich Gottes auf Erden. Das Ziel dieser
täglichen Pilgerträume war immer das Gelobte
Land, welches sie nach seinem jetzigen wie
nach seinem Zustand in allen Zeiten der
heiligen Geschichte in großen Detail betrachtete;
denn vor allen Personen ihrer Richtung zeichnete
sie die Gnade einer bis jetzt unerhörten
objektiven Anschauung der Geschichte des
Alten und Neuen Testaments, der Heiligen
Familie und aller Heiligen, auf welche sich
das Auge ihres Geistes richtete, aus.
Sie sah das
Wesen aller Festtage des Kirchenjahres in
festlicher und in historischer Hinsicht.
Sie betrachtete und erzählte die Jahre des
Lebenswandels Jesu bis zur Himmelfahrt und
die Apostelgeschichte bis mehrere Wochen
nach der Sendung des Heiligen Geistes Tag
für Tag mit detaillierter Beschreibung und
Benennung der Orte, Personen, Feste, Sitten,
Lehren und Wunder, oft mit einer Bestimmtheit,
welche jede Erwartung übertraf.
Einzelne
wenige Bezüge dieser Betrachtungen sind
in den Noten zu den folgenden Blättern mitgeteilt.
Alle diese Anschauungen hielt sie keineswegs
für geistliche Erquickungen ihrer Seele,
sondern sie nahm sie als Fruchtfelder von
Verdiensten Jesu an, welche noch nicht eingetragen
seien, und war oft seelisch beschäftigt,
diese und jene Mühe des Herrn für die Kirche
in ihrer Bedrängnis in Anspruch zu nehmen,
indem sie Gott bei den Verdiensten Jesu
Christi, welche sie als ein Erbgut seiner
Kirche auf eine kindliche Weise für diese
in Besitz nahm, um Hilfe beschwor. Alle
diese ihre Schauungen übertrug sie niemals
auf das äußere Christenleben und erkannte
ihnen nie einen wirklichen historischen
Wert zu. Äußerlich wußte und glaubte sie
nichts als den Katechismus, die gewöhnliche
biblische Geschichte, die sonn- und festtäglichen
Evangelien und den Kalender, der ihr als
einer Schauenden als das tiefsinnigste Buch
erschien, welches ihr auf wenigen Blättern
den Leitfaden darbot, Zeit und Natur von
einem Mysterium der Erlösung zum andern
mit allen Heiligen feiernd zu durchwandern,
um in dieser Wallfahrt mit dem Kirchenjahr
alle Gnadenfrüchte der Ewigkeit in der Zeit
zu ernten, zu bewahren und wieder auszuteilen,
auf daß:
«Dein Wille
geschehe auf Erden, so wie im Himmel!»
Das Alte
oder Neue Testament war nie von ihr gelesen
worden, daher, wenn sie ermüdet ungern erzählte,
sagte sie wohl: «Lesen Sie es doch in der
Bibel» und wunderte sich sehr zu hören,
daß dies nicht darin stehe, man höre ja
jetzt immer sagen, man solle nur die Bibel
lesen, darin stehe ja alles, usw.
— Die eigentliche
Aufgabe ihres Lebens war Leiden für die
Kirche oder einzelne Glieder derselben,
deren Not ihr im Geiste gezeigt wurde oder
die sie um Gebet anflehten, ohne eben zu
wissen, daß diese arme kranke Klosterfrau
mehr für diese zu tun hatte, als einige
Paternoster zu beten, ja daß sich ihr ganzes
Leiden an Leib und Seele auf sie übertrug
und daß sie es geduldig unter sehr schwierigen
Umständen auskämpfen mußte, denn ihr kam
nicht gleich ähnlichen Personen einer früheren
Zeit Verständnis und Gebet einer klösterlichen
Genossenschaft zu Hilfe, sondern in ihrer
Zeit und Welt war ihr Leiden allein an den
Arzt gewiesen. In der Arbeit, solche übernommene
Leiden auszukämpfen, machte sie, wie in
der Feldarbeit ihrer Jugend, eine stete
Gebetsanwendung auf entsprechende Beschwerden
der Kirche und opferte, für einen Kranken
leidend, ihre Mühseligkeit für die ganze
Kirche auf. Ein allgemeines Beispiel ihres
Mitleidens ist folgendes: Mehrere Wochen
lang stellten sich alle Leiden der äußersten
Schwindsucht bei ihr ein. Die höchste Reizbarkeit
der Lunge, alle Betten durchdringende Schweiße,
erstickender Husten, steter Auswurf, ununterbrochenes,
heftiges Fieber, man erwartete täglich ihr
Ende, ja man hoffte es, so entsetzlich war
ihr Leiden, befremdend erschien ihr Kampf
gegen große Reizbarkeit des Gemütes. Fiel
sie augenblicklich in Unwill, so zerfloß
sie in Tränen, ihr Leiden verdoppelte sich,
sie konnte nicht leben, bis sie sich durch
das Sakrament der Buße ausgesöhnt hatte.
Immer hatte sie mit dem Unwill gegen eine
Person zu kämpfen, welche seit Jahren ihr
fern stand. Sie jammerte, immer diese Person,
die sie doch gar nicht angehe, mit allerlei
Verkehrtheiten vor sich zu sehen und weinte
wohl in großer Gewissensangst bitterlich,
sie wolle sich nicht versündigen, an jenem
Tage solle man ihr Leiden sehen usw.
Ihre Krankheit
nahm zu, man erwartete ihr Ende. In dieser
Zeit erschrak ein Freund nicht wenig, als
sie, sich plötzlich aufrichtend, sprach:
«Beten Sie die Sterbegebete mit mir!»
Er tat dieses,
und sie antwortete ganz rüstig in der Litanei.
Nach einer Weile ertönte die Sterbeglocke,
und es kam jemand zu ihr, um Gebet für seine
eben gestorbene Schwester bittend. Anna
Katharina fragte unbefangen mit Teilnahme
nach ihrem Leiden und Tod, da hörte der
Anwesende die umständliche Beschreibung
jener Schwindsuchtkrankheit, in welcher
Anna Katharina bis heute gelegen und wie
die Verstorbene aus Elend und Beängstigung
sich gar nicht zum Tode habe bereiten können,
aber seit ein paar Wochen sei ihr viel leichter
gewesen, und sie habe, den Unwill gegen
eine gewisse Person besiegend, sich mit
dieser und dann auch mit Gott versöhnt und
sei unter dem Beistand derselben Personen,
mit allen Sakramenten versehen, in Frieden
gestorben. Anna Katharina reichte ein Almosen
zur Beerdigung und Totenfeier. Sie schwitzte,
hustete, fieberte nicht mehr, sie glich
einem abgehetzten Menschen, der mit frischer
Wäsche auf ein kühles Lager gebracht und
erquickt worden ist. Ihr Freund sagte zu
ihr: «Als Sie in diese Todeskrankheit fielen,
ward die Frau besser und nur durch den Unwill
gegen jene Person abgehalten, sich mit Gott
auszusöhnen; auf einmal erhalten Sie den
Unwill, und die Frau stirbt versöhnt, und
nun ist Ihnen wieder ziemlich wohl. Ärgert
Sie jene Person noch?»
— «Ei, behüte
Gott, das kommt mir jetzt recht unvernünftig
vor, aber wie ist es möglich, nicht zu leiden,
wenn ein Glied meines Fingers leidet, wir
sind alle ein Leib in Jesus Christus!»
— «Gott sei
Dank», sagte der Freund, «nun haben Sie
doch wieder Ruhe!» Sie aber lächelte und
sprach: «Es wird nicht lange währen, es
warten schon andere auf mich!» Hiermit wendete
sie sich auf dem Lager um und ruhte. Wenige
Tage nachher fiel sie in heftige Gliederschmerzen
und alle Leiden der Brustwassersucht. Wir
entdeckten die Kranke, mit welcher sie litt,
und stündlich sahen wir deren Leiden plötzlich
erleichtert oder zum höchsten Grade gesteigert,
nachdem Anna Katharina heftiger litt oder
eine Pause des Mitleidens hatte. Jeder wird
die Schwierigkeit solcher Zustände einsehen,
sie mußte aus Liebe fremde Krankheit tragen,
ja fremde Versuchung auf sich nehmen, auf
daß jene Muße zur Todesbereitung finde.
Sie mußte schweigend leiden um fremde Not
zu verbergen und selbst nicht für eine Törin
gehalten zu werden, ja sie mußte auch noch
die Arzneimittel für die Krankheit und die
Verweise für die fremde Versuchung geduldig
hinnehmen und mußte es tragen, andern verkehrt
zu erscheinen, damit jene, für die sie litt,
vor Gott bekehrt erscheine.
Einst saß
ein schwer betrübter Freund in ihrer Nähe,
sie lag in Entzückung und flehte plötzlich
laut: «0 mein süßer Jesus, laß mich den
schweren Stein ein wenig tragen.» Der Traurige
fragte verwundert, was ihr fehle; sie erwiderte:
«Ich bin auf der Reise nach Jerusalem, da
liegt ein armer Mensch an meinem Weg, der
schleppt einen Stein auf der Brust mit sich,
der ihn schier tot drückt»; dann flehte
sie wieder: «Gib mir den Stein, du kannst
nicht mehr, gib ihn mir!»Und plötzlich sank
sie, wie von großer Last erdrückt, ohnmächtig
in sich zusammen. Der Anwesende hatte nicht
die Zeit, über ihren Zustand zu erschrecken,
denn im selben Augenblick war all sein drückender
Kummer wie von seiner Brust hinweggeblasen,
und er fühlte sich so freudig wie nie in
seinem Leben. Als er sie aber so elend sah
und fragte, was ihr fehle, blickte sie ihn
lächelnd an mit den Worten: «Ich kann mich
nicht länger hier aufhalten, armer Mann,
du mußt deinen Stein wieder selbst aufpacken»,
und sogleich kam alle Betrübnis wieder auf
das Herz dieses Menschen, sie aber setzte
in ihrem früheren Zustand ihren geistigen
Weg nach Jerusalem fort.
— War in
ihrem furchtbaren Leiden durch das sie umgebende
Nichtverstehen oder störende Besuche ihre
Geduld sehr gefährdet, so erhielt sie den
Trost einer lieben Gespielin, deren wir
(im Kapitel «Unterbrechung der Passionsbilder,
März 1823») Erwähnung getan. Rührend war
es zu sehen, wie die unschuldigen Vögel
den Frieden der Nähe der mit den Zeichen
der Sühnung Bezeichneten anerkannten. Wir
sahen einen Vogel, den sie aufgefüttert
hatte, in ihrer Stube, er trauerte oder
lobsang nach der Art ihres Gebetes. Ward
sie ohnmächtig, so fiel er von der Stange,
erholte sie sich, so flog er auf und zwitscherte.
Man trennte ihn von ihr, um sie abzutöten.
Die Abtötung aber traf ihn. Eine noch innigere
Teilnahme bezeigte eine zahme Lerche; sie
saß, ohne die Kranke je zu stören, häufig
auf ihrem Kopfkissen und begrüßte neben
ihrem Haupte den erwachenden Tag. Gegen
manche Menschen, deren Besuch ihr störend
sein konnte, führte dieser wehrlose, schüchterne
Vogel eine Art Krieg, lief hinter ihnen
her, biß ihnen in die Füße oder flatterte
unwillig ihnen ins Gesicht. Solcher Eifer
brachte ihm den Tod im Küchenfeuer.
Da wir uns
hier gerade eines merkwürdigen Falles ihrer
Seelentätigkeit erinnern, führen wir ihn
an.
Eines Morgens
gab sie einem Freunde ein Säckchen, worin
Roggenmehl und einige Eier, und beschrieb
ihm ein Häuschen des Ortes, worin eine hungernde,
schwindsüchtige Frau nebst zwei kleinen
Kindern und ihrem Mann wohnte. Dieser Frau
möge er sagen, sich Brei davon zu kochen,
das wäre gut für die Brust. Der Freund fand
alles nach ihrer Beschreibung. Als er eintretend
das Säckchen unter dem Mantel hervorzog,
reckte die arme Mutter, welche zwischen
ihren halbnackten Kindern, von Fieber glühend,
mit glänzenden Augen von ihrem Strohlager
gegen ihn hinschaute, ihm die bleichen Hände
entgegen und sprach mit zitternder Stimme:
«0 Herr! Sie schickt der liebe Gott oder
die Jungfer Emmerich! Sie bringen mir Roggenmehl
und Eier!» Die erschütterte Frau weinte
und hustete und winkte ihrem Mann, auf die
Frage, woher sie dies wisse, zu antworten.
Dieser aber sagte, während sie nebst den
hungernden Kindern die Gabe ansah: «Gertraud
schlief heute Nacht unruhig und stieß mich
redend öfters an; als ich sie erweckte,
sagte sie: ‹Ich träumte, ich stand mit dir
an der Haustür, da kam das fromme Nönnchen
den Weg vom nahen Tor her, ich stieß dich
an und sagte: Schau her, Mann, wenn du das
fromme, arme Nönnchen sehen willst. Indem
stand sie vor mir und sprach: Ach, Gertraud!
Wie krank siehst du aus, ich will dir Roggenmehl
und Eier schicken, das ist gut für die Brust!
Da erwachte
ich.
So erzählte
der Mann einfältig, sie dankten tausendmal,
der Überbringer der Gabe verließ gerührt
das Haus. Er sagte der Anna Katharina nichts
hiervon; als sie ihn aber nach einigen Tagen
wieder mit gleicher Gabe zu der Armen sendete,
weil sie nichts mehr habe, fragte er, woher
sie diese Arme kenne, und sie sagte lächelnd:
«Sie wissen ja, wenn ich abends für alle
Notleidenden bete und so gerne zu ihnen
ginge, ihnen zu helfen, so träume ich, als
ging ich von einem Haus der Not zum andern
und helfe, wie ich kann. So kam ich auch
im Traum von der Pforte her zu der armen
Frau, sie stand mit ihrem Mann an der Tür,
und ich sagte zu ihr: «Ach, Gertraud, wie
krank siehst du aus! Ich will dir Roggenmehl
und Eier schicken, das ist gut für die Brust!»
Das tat ich dann auch durch Sie am folgenden
Morgen!»
— Beide hatten
aber in ihren Betten gelegen und dasselbe
geträumt, und die Aufgabe des Traumes war
wahr geworden.
—
(Augustinus,
De Civitate Dei Lib. 18. Cap. 18., erzählt
einen ähnlichen Fall zwischen zwei träumenden
Philosophen, welche sich besuchen und platonische
Sätze erklären, während beide zu Haus schlafen.)
Solches Leiden
und Wirken war nur ein einzelner Strahl,
der durch die Bildersphäre ihres Lebens
ununterbrochen fortlief. Unzählig waren
die verschiedenen Gebetsarbeiten und Mitleiden,
welche von der umgebenden Welt zu ihren
in Jesu Mitleid entzündeten Herzen drangen.
Auch sie hatte gleich Katharina von Siena
und andern oft das Gefühl bis zur Überzeugung,
Jesus nehme ihr das Herz aus der Brust und
setze ihr das seine auf eine Zeitlang hinein.
Als ein Beispiel der tiefen Sinnbildlichkeit
ihrer inneren Führung diene folgendes Bruchstück:
Eine Gebetsarbeit für Kirchengemeinden beschäftigte
sie einen Teil des Jahres 1820 unter den
Sinnbildern der mühseligsten Winzerarbeiten
nach Bedürfnis und Jahreszeit. Das oben
erwähnte Nesselraufen gehört auch dahin.
Am 6. September
sagte ihr geistiger Führer: «Du hast gehackt,
gedüngt, gejätet, aufgebunden, geschnitten
usw., du hast das Unkraut in der Mühle zu
Staub mahlen lassen, daß es nie mehr aufgehen
könne, dann aber bist du froh, wieder gesund
zu sein, fortgelaufen und hast dein Gebet
liegenlassen, rüste dich von Maria Geburt
bis Michaelis tüchtig zu arbeiten, der Wein
reift und muß gehütet werden»; dann führte
er mich in den Weinberg des heiligen Liborius
und zeigte mir alle Weingärten, wo ich gearbeitet.
Die Arbeit war gediehen, die Trauben röteten
sich, und hie und da floß der rote Saft
an die Erde. Mein Führer sagte: «Das ist,
wenn in den Frommgewordenen sich das Leben
regt, da kämpfen sie, werden gedrückt, leiden
Versuchung, werden verfolgt. Zäune ein,
damit die reifen Trauben nicht durch Tiere,
Diebe, Versuchung oder Verfolgung Schaden
leiden.» Dann lehrte er mich, rings von
Schutt und Gestein einen Wall aufzuwerfen
und einen dichten Zaun von Disteln und Dornen
umherzuflechten.
— Als mir
bei der schweren Arbeit die Hände bluteten,
ward mir durch die Barmherzigkeit Gottes
zur Erleichterung Wesen und Bedeutung des
Weinstocks und auch anderer Früchte gezeigt.
Ich sah gar vieles vom Weinstock, unter
anderm: der wahre Weinstock in uns ist Jesus
Christus, der muß wachsen und gedeihen,
alles andere überflüssige Holz muß geschnitten
werden, damit es den Saft nicht verzehrt,
der zu Wein und im heiligen Sakrament zum
Blut Jesu Christi werden muß, welches unser
sündiges Blut erlöst hat und fortan aus
der Finsternis in das Licht erheben will.
Das Schneiden des Weinstocks geschieht nach
gewissen Gesetzen, die mir alle gezeigt
worden sind. Es ist geistlicherweise Ablegung
des Überflusses, Kasteiung und Abtötung,
damit der wahre Weinstock in uns aufgehe
und Wein bringe und nicht die verderbte
Natur, die lauter Holz und Blätter bringt.
Nach Gesetzen wird geschnitten, denn nur
das viele Überflüssige, was im Menschen
hervorbringend ist, muß vertilgt werden,
ein Mehreres wäre Verstümmelung und sündhaft.
Der Stamm selbst wird nie weggeschnitten,
er ist in der heiligen Jungfrau der Menschheit
eingepflanzt und bleibt ewig, denn er ist
mit ihr im Himmel. Der wahre Weinstock verbindet
Himmel und Erde, Gottheit und Menschheit;
das Menschliche muß geschnitten werden,
damit das Göttliche in ihm allein aufgehe.
— Ich sah
noch so vieles von allen Formen und Wirkungen
des Weinstockes in natürlicher und geistlicher
Beziehung, daß ein Buch so dick wie eine
Bibel es nicht fassen könnte, denn ich sah
den Weinstock. Als ich in der Arbeit einmal
vor Schmerzen in Brust und Wunden jammernd
flehte, der Herr möge mich doch nicht mehr
leiden lassen, als ich ertragen könne, erschien
mein himmlischer Bräutigam in Gestalt eines
leuchtenden Jünglings und sprach zu mir:
«Ich habe
dich auf mein Brautbett der Schmerzen gebettet,
mit Gnaden der Leiden, mit Schätzen der
Versöhnung und Kleinodien der Wirkung geschmückt,
du mußt leiden, ich verlasse dich nicht,
du bist an den Weinstock gebunden, du sollst
nicht verloren gehen.»
Hierauf litt
ich getröstet weiter. Mir ward auch erklärt,
warum ich bei den Festbildern aus der Familie
Jesu, z. B. der heiligen Anna, Joachim,
Joseph, Maria Cleophä usw., immer die Kirche
des Festes auf einem Weinstock gewachsen
sehe, und warum ich dasselbe bei dem Fest
des heiligen Franz von Assisi, Katharina
von Siena, Ossanna Andreassi und aller heiligen
Stigmatisierten auch so sehe.
Die Bedeutung
meiner Schmerzen in allen Gliedern und die
Aufforderung zu mitleidender Fortarbeit
lehrte mich folgendes Bild: Ich sah einen
großen menschlichen Leib in schrecklicher
Verstümmelung gegen Himmel aufgerichtet.
Es waren an Händen und Füßen Glieder abgeschnitten,
große Wunden in seinem Leib, darunter noch
neue, frisch blutende, andere mit wildem,
faulendem Fleisch ausgefüllte, auch verwachsene
und verknorpelte. Eine ganze Seite war schwarz,
brandig, wie angefressen. Als ich entsetzt
alle diese Leiden an mir selbst fühlte,
sagte mein Führer: «Dieses ist der Leib
der Kirche, der Leib aller Menschen und
auch dein Leib», dann zeigte er bei jeder
Wunde nach einer Weltgegend, und ich sah
in einem Blick jedesmal von der Kirche getrennte
Menschen und Völker, selbst in fernster
Ferne nach ihrer Art und Unart, und fühlte
ihre Trennung so schmerzlich, als seien
sie von meinem Leibe geschnitten; da sagte
mein Führer:
«Verstehe
deine Schmerzen und opfere sie mit Jesu
Schmerzen Gott für die Getrennten auf. Soll
ein Glied nach dem andern schreien und Schmerzen
um es leiden, daß es heile und sich dem
Leib verbinde? Die Nächsten, schmerzlich
Getrennten, aber sind um das Herz aus der
Brust geschnitten.»
Da dachte
ich in meiner Einfalt, das sind wohl die
Geschwister, die nicht einig mit uns sind.
Der Führer aber sprach: «Wer sind meine
Brüder? Die, welche die Gebote meines Vaters
halten, sind meine Brüder! Nicht unsere
Blutsverwandten sind die Nächsten ums Herz,
sondern die Christi-Blutsverwandten, die
Kinder der Kirche, welche abgefallen», und
er zeigte mir, die schwarze, brandige Seite
werde bald heilen, das wilde, faulende,
die Wunden füllende Fleisch seien die Ketzer,
welche in den Spaltungen wachsen, der kalte
Brand seien die geistlich Toten, nicht mehr
Mitfühlenden. Die verknorpelten Stellen
seien die verhärteten eigensinnigen Irrgläubigen.
So aber sah und fühlte ich jede Wunde und
ihre Bedeutung. Der Leib reichte bis zum
Himmel. Es war der Brautleib Christi.
— Das war
ein großes Elend, ich weinte bitterlich,
aber zugleich zerrissen und geharnischt
von Schmerz und Mitleid, arbeitete ich mit
allen Kräften weiter.
— Wie sich
irdische Arbeiter in den Feierstunden durch
Erzählungen erheitern und sie selbst sonst
in der Feldarbeit ihre Gesellinnen mit heiligen
Geschichten erquickt hatte, ward sie in
späteren Ruhepunkten ihrer Winzerarbeit
noch in Bildern von der Bedeutung vieler
Früchte unterrichtet, wovon hier einige
Umrisse nach ihrer flüchtigen Mitteilung:
«Ich sah
in dem himmlischen Jerusalem einen geistigen
Baum von farbigem Licht, nicht unter, sondern
vorwärts dem Throne Gottes in einem schwebenden
Berg oder Felsen von farbigen Edelsteinen
und Kristallformen wurzeln. Der Stamm war
ein Strom von gelbem Licht, die Zweige und
Ästlein, bis in die Adern der Blätter, waren
dickere und feinere Lichtfäden von verschiedener
Farbe und Gestalt, die Blätter waren von
grünem und gelbem Licht auch in Form und
Farbe verschieden. Er hatte drei Chöre von
Zweigen, die untere Breite, die mittlere
Breite und den Gipfel. Sie waren von drei
Engelchören umringt und über dem Wipfel
stand ein Seraphim; rings mit Flügeln umgeben,
zeigte er mit einem Zepter umher, durch
ihn empfing der oberste Engelchor Strahlen,
Licht und Kraftergüsse aus Gott, wie Geist
des Himmelstaus, Geist des Gedeihens usw.
Der Chor um die mittlere Krone des Baumes,
welche Blüten aller Fruchtarten trug, stand
diesen vor. Diese beiden Chöre wirkten und
webten, ohne ihre Stelle zu verlassen, und
befahlen dem untersten Engelchor, der die
Fruchtkrone des Baumes umgab. Dieser Chor
war allein beweglich und brachte die geistigen
Früchte nach unzähligen Gärten ihrer Art,
denn jede Frucht hatte ihren Garten. Dieser
Baum war der allgemeine Baum aus Gott, und
die Gärten enthielten alle Gattungen der
Früchte aus diesem Baume, und unten auf
der Erde sah ich alle dieselben Früchte
in der gefallenen Natur, mehr oder weniger
verderbt, indem sie durch die Sünde den
Einflüssen der planetarischen Geister unterworfen
worden waren. In jedem einzelnen Garten
sah ich wieder in der Mitte einen Baum,
der die Früchte aller Gattungen seiner Art
hervorbrachte, welche sich wieder in ihren
einzelnen Stämmen umher verbreiteten. Um
diese Gärten sah ich Bilder der Bedeutung
und der Wesenheit dessen, was mit diesen
Pflanzen ausgesprochen war, ich sah den
Sinn ihres Namens in der allgemeinen Sprache.
Wunderbar sah ich den Einfluß der Heiligen
auf die Pflanzen, es war, als hätten manche
einen bestimmten Bezug auf einzelne Heilige,
unter deren Fürbitte sie zu segensreichen
Heilmitteln erhoben werden könnten.»
— In die
einzelnen, himmlischen Gärten geführt, erzählte
sie nun mancherlei wunderbare Dinge, z.B.
mitten in dem Nußgarten stehe wieder ein
Baum aller Nußarten, und alle einzelnen
Arten um ihn her. Sie erkannte, die Nuß
habe in der allgemeinen Sprache einen Bezug
auf Streit, darum sehe sie oft Nußhecken
im Garten der streitenden Kirche. Das im
himmlischen Garten gute Geheimnis des Streites
in dieser Frucht sei in der gefallenen Natur
unter bösen Einflüssen getrübt und umfasse
so den Kampf jedes Hasses selbst bis zum
Morde. Sie sah neben jeder Gattung der Nüsse
das Sinnbild andern Streites, z.B. bei den
Haselnüssen kämpfte ein Kleiner gegen einen
Großen und warf ihm Sand in die Augen, was
lächerlich erschien. Sie erfuhr, warum der
Schatten dieses Baumes für schädlich gehalten,
auch von dem erhöhten Sinn dafür erkannt
werde, warum der welsche Nußkern etwas von
der Form eines Gehirns habe, warum Brot,
in Nußöl gekocht, dieses weniger schädlich
mache. Sie sah alle Bedeutung der Nuß in
Gestalt und Wirkung, ja bis in die Sprichworte
von dieser Frucht: Kopfnüsse geben; eine
Nuß mit einem zu knacken haben usw., welche
sich, wie die Frucht selbst, auf Streit
beziehen, weswegen diese auf Erden auch
mit Prügeln vom Baum geschlagen werden,
und noch viele historische und allegorische
Bilder von dieser Frucht. Krank geworden
im Nußgarten, brachte der Führer sie in
ein Gezelt und zeigte ihr, wie das verfinsterte
Geheimnis mancher irdischen Frucht durch
geistliche Beziehungen und Segnungen und
durch Mischung mit anderm in gewissem Maße
hergestellt und zum Heilmittel erhoben werden
könne. Hier sah sie einen Bezug der Nüsse
auf Johannes den Täufer und deren Bereitung
in der Unreife an dessen Fest zu einem trefflichen
Magenmittel. Sie sah die Bedeutung jeder
Verrichtung dabei, auch von wem es zuerst
bereitet sei. Von allem, was nach menschlicher
Erkenntnis unbegreiflich schien, ward ihr
die geistliche Ursache klar.
— Ähnliches
sah sie in andern Gärten von dem Apfel,
dem Granatapfel, der Pfirsiche, der Feige,
und namentlich von der indianischen, einen
Bezug auf den Baum der Erkenntnis, auch
vieles vom Öl- und Lorbeerbaum. In letzterem
sah sie unter anderm eine Kraft gegen den
Blitzstrahl, warum auch Tiberius beim Gewitter
einen Lorbeerkranz getragen habe. Auch sah
sie einen Bezug des Lorbeers auf die heilige
Jungfrau usw.
In jedem
Fruchtgarten befand sich ein Häuschen oder
Zelt und hatte seine Bedeutung. Auch die
Bienen sah sie im hohen Rang, sehr große
und kleinere, alle ihre Glieder geistig,
wie von Licht, die Füße wie Strahlen, die
Flügel wie Silber. Sie bauten in den Frucht-
und Baumgärten in ihren Körben, und alles
war durchsichtig. Sie ward über die Bedeutung
der Biene und ihres Werks in geistigem und
leiblichem Sinn unterrichtet.
Sie sah das
Geheimnis der Pflanzen vor dem Fall des
Menschen und der Natur mit ihm und darauf
die Verfinsterung dieses Geheimnisses durch
den Einfluß der Planetengeister auf beide,
dem sie nach dem Fall unterworfen waren.
Sie sah den
Mißbrauch vieler Pflanzengeheimnisse unter
diesem bösen Einfluß im Heidentum, welches
bei unchristlichen Völkern noch wirklich
da sei und in zauberischen, abergläubischen
Handlungen und geheimnisvollen Heilarten
selbst in der Christenheit noch seine Spur
habe.
Sie sah auch,
wie durch die Menschwerdung Gottes der Kirche
die Macht gegeben sei, diese bösen Einflüsse
aufzuheben. Namentlich sah sie einzelne
Pflanzen durch ihren Bezug auf Segnungen
gewisser Heiligen dem Fluch und dem bösen
Einfluß entzogen und sozusagen erlöst. Es
war, als gehörten sie in den Garten, in
den Gnaden- und Wirkungsumfang dieser Heiligen
und seien durch sie geweihte Gefäße, bestimmtes
Heil aus der Barmherzigkeit Gottes zu schöpfen,
und würden, unter religiöser Beziehung,
auf die Segnungen dieser Heiligen gebraucht,
Heilmittel gegen bestimmte Krankheiten,
welche sie von höherem Standpunkt aus als
verkörperte Sünde sah, ebenso wie sie die
Sünde aus diesem Gesichtspunkt als seelische
Krankheit erkannte; auf beide aber hatten
jene Früchte einen Bezug usw. — Sie sagte:
«Ich sah den Umgang des Menschen mit der
Natur, im Heidentum wie im Christentum,
nur waren im Christentum alle Formen durch
die Segnungen des wahren Gottesdienstes
dem Einfluß des Bösen entzogen und zu Gefäßen
der Wiederherstellung geheiligt. Ich sah
unendliche erfreuliche Wunder Gottes und
wußte sie alle klar und deutlich, ehe ich
gestört ward.»
Wir teilten
aber allein diesen Auszug eines ihrer Betrachtungskreise
mit, um das schöne Sinnbild zu beleuchten,
in welchem ihr diese Bilder wieder entzogen
wurden. — Während dieser wunderbaren Erkenntnisse
bedrängten Kummer, Kränkung und Störung
vielfacher Art ihre schauende Seele. Als
rühre der neidische Versucher manche gefallene
Bedeutung des oben erwähnten Nußgarten um
sie her auf, wuchs ihr täglich Mißverstehen
und Verdruß zu Tür und Fenster in die stille
Kammer herein. Sie lag weinend und duldend
auf dem Kreuz und empfahl alles dem Herrn.
— Am 16.
September morgens fand sie der Schreiber
still und ernst. Sie sprach: «Erschrecken
Sie nicht, die schönen Gärten, in welche
ich Sie geführt, sind verwelkt. Es ist alles
eine wüste dunkle Heide geworden. Heute
Nacht geleitete mich mein Führer vor einen
leuchtenden Tisch, hinter welchem ein Gerüst
voll der herrlichsten Blumen und Früchte
aufgerichtet war. Auf dem Tisch lag eine
Reihe von Münzen, in deren Mitte eine Lücke
war, wo keine Münzen lagen. Vor dieser Lücke
stand ich, die Blumen waren mein, der Tisch
war mein, der Schatz, die Münzen waren mein,
aber weil sie fehlten, wo ich jetzt stand,
konnte ich nicht zu meinem Tisch, meinem
Schatz, meinen Blumen.
Mein Führer
aber trat vor mich, er hatte eine sterbende
Nachtigall in der Hand und sagte: ‹Gott
gibt alles Nützliche der Kirche zu angemessener
Zeit nach ihrem Verdienst, du sollst aber
diese Blumen, diese Bilder, diesen Schatz
jetzt nicht mehr haben, weil man dir die
Schonung, die Ruhe, die Mittel nicht läßt,
sie auszusprechen, wozu sie dir gegeben
sind. Damit sie dir nun genommen seien,
so gib der sterbenden Nachtigall das Leben
deines Mundes zurück.› Dann hielt er mir
den Vogel an die Lippen, und ich flößte
ihm etwas aus meinem Mund in den Schnabel;
da ward die Nachtigall gesund und lebendig
und sang von ganzem Herzen wunderschön,
und der Führer ging mit ihr von dannen.
Mir aber verschwand alles, ward alles tot
und stumm, ich sah nichts mehr.»
Der Schreiber
mußte sich damit trösten, daß die Nachtigall
das Verlorene nun sang, welche mehr Ruhe
und Frieden und einen schönern Vortrag als
sie hatte und von welcher sie in ihrer Jugend
wohl vieles gelernt. —Wie rührend erscheint
in diesem Sinnbild die Nachtigall als die
Verkündigung, als die Stimme des höheren
Naturliedes, welches entsiegelt auf den
Lippen der Begnadeten lag, während die Nachtigall,
seiner beraubt, starb. Sie aber mußte es
in die Kehle des Vogels zurückgeben, wo
es nun wieder in begrifflosen Tönen als
Geheimnis versiegelt ist, um in den Menschen
eine allgemeine Rührung und Sehnsucht nach
der Lösung aller Rätsel zu erwecken usw.
Der Last
ihrer Lebensaufgabe erliegend, flehte sie
oft dringend zu Gott, aufgelöst zu werden,
und ebensooft sah man sie hoffnungslos am
Rande des Grabes. Jedesmal aber sprach sie:
«Herr! nicht
wie ich will, sondern wie du willst; kann
ich etwas mit Leiden und Beten erringen,
so lasse mich tausend Jahre leben, aber
lasse mich sterben, ehe ich dich wieder
beleidigen sollte!»
Und so sie
die Weisung des Fortlebens erhielt, raffte
sie sich abermals mit ihrem Kreuz auf und
trug es dem Herrn mühselig weiter nach.
Von Zeit zu Zeit wurde ihr ihr Lebensweg
den Berg hinauf nach einer schönen, leuchtenden
Stadt, dem himmlischen Jerusalem, gezeigt,
oft jubelte sie dem Ort des Friedens, der
nahe vor ihr lag, schon entgegen, aber plötzlich
sah sie sich durch ein Tal noch von ihm
getrennt, und sie mußte niedersteigen und
viele Nebenwege wandern, und überall war
zu helfen, zu arbeiten und zu leiden, Irrenden
der Weg zu zeigen, Versunkenen herauszuhelfen,
ja sie mußte Lahme tragen und selbst Widerwillige
mit Gewalt schleppen, und immer hängten
sich neue Gewichte an das Kreuz, sank sie
öfter zu Boden, ging sie gebeugter und mühseliger.
— Im Jahre
1823 sagte sie öfter als sonst, sie könne
ihre Aufgabe in ihrer Lage nicht lösen,
ihre Kräfte reichten nicht zu, ach! wenn
sie doch in einem stillen Kloster hätte
leben und sterben können. Gott werde sie
bald hinwegnehmen, sie habe ihn gebeten,
er möge sie dort erflehen lassen, was sie
hier zu tun erliege! (Ähnliches hatte auch
Katharina von Siena, als ihr Ende nahte,
sich von Gott erbeten). Unsre Anna Katharina
hatte selbst einst ein Gesicht von ihren
Gebetsaufgaben nach dem Tode unter Beziehungen,
welche zu ihren Lebzeiten nicht bestanden.
Das Jahr 1823 als das letzte volle Kirchenjahr,
das sie erlebte, brachte ihr unendliche
Arbeit. Sie schien alle ihre unvollendeten
Aufgaben erfüllen zu wollen, und so löste
sie auch das Versprechen, die ganze Passion
zu erzählen, mit ihrer Fastenbetrachtung
in diesem Jahr, welche den Inhalt dieses
Buches ausmacht. Ebenso lebhaft als an dieser
Betrachtung nahm sie an dem kirchlichen
Lebensgeheimnis dieser Fastenzeit selbst
durch Entsagung und Kampf gegen Versuchung
wie am Geheimnis jeder andern kirchlichen
Festzeit teil; wenn anders Teilnahme ihre
Beziehung auf alles Kirchliche hinreichend
bezeichnen kann, indem das Mysterium jedes
Kirchenfestes in ihrem seelischen und körperlichen
Leben ein sichtbares Zeugnis empfing. Alle
kirchliche Handlung und Feier war ihr mehr
als eine Erinnerungsanstalt.
Die geschichtliche
Grundlage jeder kirchlichen Handlung sah
sie als einen Akt Gottes in der Zeit zur
Herstellung der gefallenen Menschheit, und
da sie die Akte Gottes als ewige sah, so
erkannte sie, daß dieselben, um dem Menschen
in der endlichen Zeit, die gezählt wird,
zugute zu kommen, in fortgesetzten Momenten
in Besitz genommen werden und darum nach
Anordnung Jesu Christi und des Heiligen
Geistes in seiner Kirche in Mysterien wiederholt
und erneuert werden müssen. Alle heiligen
Handlungen und Feste waren ihr daher Gnaden
der Ewigkeit, welche in jedem Kirchenjahr
zu bestimmten Zeiten ebenso wiederkehrten,
wie die Früchte des Feldes und der Bäume
in dem Naturjahr zu ihrer Zeit kommen, und
sie war unermüdet, diese Gnadenfrüchte des
Kirchenjahres mit treuem Fleiß und reinen
Händen dankbar zu sammeln, zu bewahren,
zu bereiten, zu opfern für alle, welche
arm an ihnen waren. Indem sie aber Jesus
ihr Kreuz in Liebe nachtrug, war all ihr
Tun auch ein Leiden und all ihr Leiden,
vereinigt mit den Verdiensten seines Leidens,
ein Gottgefälliges Opfer. Ebenso wie ihr
Mitleid mit dem gekreuzigten Erlöser vor
den Augen desselben solche Gnade gefunden,
daß er sie mit den Siegeln der höchsten
mitleidenden Liebe, mit den Malen seiner
heiligen fünf Wunden, bezeichnete und mit
der Dornenkrone krönte, ebenso prägten sich
alle Leiden seiner Kirche und aller Notleidenden
in ihren körperlichen und seelischen Zuständen
aus. Und all dies, von ihrer Umgebung kaum
geahnt und ihr selbst höchstens wie der
Biene ihr Werk bewußte Tun und Leiden vermochte
sie, während sie wie eine treue, fleißige
Gärtnerin den Fruchtgarten des Kirchenjahres
baute und verwaltete. Sie lebte und spendete
aus von seinen Früchten, sie erquickte sich
und andere mit seinen Blumen und Würzkräutern,
ja sie war selbst eine Sensitiva, eine Sonnenwende,
eine Wunderpflanze in demselben, an der
alle Jahres- und Tagzeiten und alle Wetter
sich ohne ihren Willen abbildeten.
Am Schluss
des Kirchenjahres 1823, vor dem Advent,
trat zum letzten Mal das jährliche Bild
einer Kirchenabrechnung vor ihre Seele.
Es wurden ihr dann alle Versäumnisse der
streitenden Kirche und ihrer Diener in diesem
Jahre sinnbildlich gezeigt, wieviele Gnaden
nicht gebaut, nicht geerntet, sondern verschleudert
oder verkommen seien. Es wurde ihr gezeigt,
daß der Erlöser im Festgarten der Kirche
für jedes Jahr einen vollkommenen Fruchtschatz
seiner Verdienste niedergelegt habe, um
allem Bedürfnis, aller Sühnung zu genügen;
es wurde ihr gezeigt, daß die versäumten,
vernachlässigten und verschleuderten Gnaden
der ewigen Barmherzigkeit in der Zeit, und
hätte auch nur der niedrigste Mensch, die
vergessenste Arme Seele durch sie erquickt
werden können, bis auf den letzten Heller
ersetzt werden müssen und daß die streitende
Kirche zur Strafe für solche Untreue und
Versäumnis ihrer Diener, der Bedrängnis
ihrer Feinde hingegeben, zeitlich sinke.
Bei solcher Erkenntnis wurde ihre Liebe
zur Kirche, ihrer Mutter, auf die herzergreifendste
Weise aufgeregt; Tage und Nächte lang rang
sie im Gebet für die Kirche, laut jammernd
stellte sie Gott die Verdienste Jesus vor
und flehte um Erbarmen. Endlich raffte sie
allen ihren Mut zusammen und bot sich dar,
alle Schuld und Strafe auf sich zu nehmen.
Wenn nun ihr liebendes Herz, gleich einem
treuen Kinde, das vor dem Thron des Königs
sich selbst zur Auslösung seiner straffälligen
verurteilten Mutter hinbietet, sich so vordrängte,
ein Unterpfand, ein Opfer für die Kirche
zu werden, dann wurde ihr gesagt:
«Sieh, wie
elend du selbst bist, und doch willst du
für andere genugtun?»
Und sie sah
mit Schrecken und Demütigung sich selbst
mit unzähligen Mängeln in einem ekelhaften
Jammerbild, das für eine unermeßliche Schuld
gutsagen wollte. Aber das Ungestüm ihrer
Liebe erhob sich noch dringender in den
Worten:
«Ja, ich
bin elend, verworfen und voll Sünde, aber
ich bin deine Braut, o mein Herr und Heiland!
Und mein Glaube an dich und deine Erlösung
bedeckt alle meine Schuld mit dem königlichen
Mantel deiner Genugtuung, Herr! Ich lasse
dich nicht, du mußt mein Opfer annehmen,
denn deine überflüssigen Schätze verschließest
du keinem, der glaubend bittet», usw. und
ward ihr Flehen endlich stürmend, ja, sie
schien menschlichen Ohren manchmal in erschütternder
Tollkühnheit der Liebe mit Gott zu zanken
und zu ringen. Ward nun ihr Opfer angenommen,
so entstand eine Pause ihrer Tätigkeit,
sie ward dem Widerwillen der menschlichen
Natur gegen das Leiden hingegeben, und hatte
sie, auf den Erlöser am Ölberg blickend,
diesen Kampf bestanden, so begann ihr Leiden,
und sie ertrug furchtbare, unbeschreibliche
Schmerzen aller Art mit erschütternder Geduld
und Heiterkeit. Wir sahen sie oft in solchen
Leiden mehrere Tage lang gleich einem sterbenden
Opferlamm halb bewußtlos liegen, und so
wir sie fragten, wie es mit ihr stehe, blickte
sie mit gebrochenen Augen lächelnd auf und
sagte:
«Dies sind
so gesunde Schmerzen!»
So war es
auch dieses letzte Mal. Solche Leiden mildernd,
traten mit dem Advent liebliche Bilder von
der Vorbereitung Marias zur Reise und später
tägliche Bilder ihres Weges nach Betlehem
mit Joseph ein. Sie begleitete sie täglich
mit lebhafter Teilnahme in ihre Herbergen
oder eilte voraus, diese zu bestellen, wobei
sie alle Jahre mit großer Mühe und Geschicklichkeit
nachts ohne Licht im Schlaf viele Windeln,
Wämser, Mützen und Binden für die Kinder
armer Wöchnerinnen, deren Stunde nahte,
aus vielen Läppchen zusammenflickte, welche
sie dann morgens hoch verwundert neben sich
im Schränkchen zierlich aufbewahrt fand.
Auch dieses Jahr geschah alles dieses, nur
mühseliger mit wenigeren Pausen der Erquickung.
Ja selbst in der ihr sonst freudetrunkenen
Geburtsstunde des Erlösers schleppte sie
sich heuer im Geist mühselig zu dem Jesuskind
an die Krippe, gebeugt von fremder Last,
und hatte keine Geschenke als Myrrhen, kein
Opfer als ihr Kreuz, unter welchem sie gleichsam
sterbend zu seinen Füßen sank. Es war, als
schließe sie ihre Rechnung zwischen Gott
und dem Leben, sie gab sich zum letzten
Male leidend für eine große Menge seelisch
und leiblich leidender Menschen hin. Der
kleinste uns bekannte Teil dieser verschiedenartigsten
Leidensübernahme grenzt schon an das Unbegreifliche.
Mit Recht
sagte sie:
«Das Christkind
brachte mir heuer nichts als Kreuz und Marterwerkzeuge.»
— Täglich
ernster und angestrengter im Leiden, verstummte
sie fast ganz und vermochte von Jesu Lehrwandel,
den sie fortwährend sah, höchstens noch
die Richtung seines Weges mit einzelnen
Worten anzugeben. Einst fragte sie plötzlich
mit kaum hörbarer Stimme: «Wo sind wir an
der Zeit?» und fuhr auf die Antwort: «Am
14. Januar» fort: «Ach, daß ich so gar nichts
mehr vermag, noch einige Tage, so hätte
ich das Leben Jesus ganz erzählt!» Diese
Worte waren um so überraschender, da sie
nie zu wissen schien, in welchem Lehrjahr
des Herrn ihr Schauen begriffen war. Sie
hatte aber 1820, mit dem 28. Juli des 3.
Lehrjahres Jesu beginnend, Tag für Tag die
Geschichte des Herrn bis zur Himmelfahrt
und dann die Apostelgeschichte bis einige
Wochen nach Pfingsten erzählt, worauf ihre
Betrachtungen sich zu dem 1. Lebensjahr
Jesu gewendet hatten und bis zum 10. des
Monats Ijar des 3. Lehrjahres, am 27. April
1823, fortgeschritten waren, als durch eine
Reise des Schreibers eine Unterbrechung
bis zum 21. Oktober eintrat, da sie den
Faden, wo sie ihn fallen gelassen, wieder
aufnahm und bis zu den letzten Wochen ihres
Lebens fortführte. Als sie die obigen Worte
«von wenigen fehlenden Tagen» sprach, wußte
der Schreiber selbst nicht, wie weit die
Mitteilung gelangt war. Er hatte nie die
Muße gehabt, das Niedergeschriebene durchzumustern.
Nach ihrem Tode aber überzeugte er sich,
daß, so sie die letzten 14 Tage ihres Lebens
hätte sprechen können, die Erzählung, trotz
der willkürlichen Unterbrechung von sechs
Monaten, gerade wieder bis zum 28. Juli
des dritten Lehrjahres, an dem sie 1820
begonnen, hingelangt sein würde.
— Ihr Zustand
war täglich furchtbarer, die sonst lautlos
Leidende wimmerte nun dumpf vor Schmerzen.
Am 15. Januar sagte sie:
«Weihnachten
brachte mir das Jesuskind große Schmerzen,
ich war heute wieder in Betlehem an der
Krippe bei ihm, es hatte Wundfieber, es
zeigte mir all sein und seiner Mutter Leid,
sie waren so arm, sie hatten heute nur ein
Ränftchen Brot. Es gab mir noch größere
Schmerzen und sagte: ‹Du bist mein, du bist
meine Braut, leide, wie ich gelitten, frage
mich nicht, warum, es geht auf Leben und
Tod!› Ich weiß auch nicht, wie lange, nicht
wie noch wo, ich bin in schrecklicher Marter
blind hingegeben, ob ich lebe, ob ich sterbe,
wie im Gebete steht: ‹Ich bin hingegeben,
Gottes verborgener Wille geschehe an mir!›;
aber ich bin ruhig und habe auch Trost in
der Pein. Heute früh noch war ich sehr glücklich.
Gelobt sei der Name des Herrn!»
— Ihr Leiden
wurde womöglich noch größer, sitzend mit
geschlossenen Augen stöhnte sie mit ganz
veränderter Stimme und schwankte schlaflos
hin und her. Legte man sie hin, so drohte
sie zu ersticken, ihr schneller Atem rasselte,
alle ihre Nerven und Muskeln zuckten und
hüpften vor Schmerz; durch die Anstrengung
des Erbrechens im Unterleib beschädigt,
litt sie verzweifelte Eingeweideschmerzen,
man fürchtete den Brand. Ihre Kehle glühte
vor Durst, ihr Mund war geschwollen und
ausgeschlagen, ihre Wangen brannten vor
Fieberglut, ihre Hände waren bleich wie
Elfenbein, die Narben der Wundmale schimmerten
wie Silber durch die gespannte Haut. Ihr
Puls schlug 160 bis 180mal in der Minute.
Von äußerster Marter sprachlos, war alle
Pflicht ihr doch gegenwärtig; am 26. abends
stöhnte sie mit dumpfer Stimme zu dem Schreiber:
«Es ist der neunte Tag, die Kerze und die
Andacht an der St.-Anna- Kapelle muß vergütet
werden.» Sie hatte, was er nicht wußte,
eine neuntägige Andacht dort für sich halten
lassen und fürchtete, ihre Umgebung möchte
aus Bestürzung darauf vergessen.
— Am 27.
nach Mittag, zwei Uhr, empfing sie die heilige
Letzte Ölung zu großer Erquickung ihres
Leibes und ihrer Seele. Am Abend betete
ihr Freund, der liebevolle Pfarrer von H.,
bei ihr. Sie saß schwankend und stöhnend
aufrecht im Bett und fand großen Trost.
Einmal sagte sie:
«Wie schön
und gut ist alles hier!» und am Schluß:
«Tausendmal Gott Lohn und Dank!» — Ihr wunderbares
Leben mit der Kirche konnte auch die Todeskrankheit
nicht ganz unterbrechen. Ein Freund reichte
ihr täglich gegen abend drei Tropfen St.-Walburgisöl,
auch im äußersten Elend war sie begierig,
diese geistliche Erquickung zu empfangen,
von welcher sie schon in früheren Krankheiten
gesagt:
«Es durchdringt
jedesmal wie ein stärkender Tau alle meine
Gebeine.»
Zu diesem
Zweck besuchte sie der Freund abends am
1. Februar, und als er hinter der Kopfseite
ihres Lagers unbemerkt mit großem Mitleid
ihr schmerzliches Wimmern, ihr dumpf röchelndes
Atmen anhörte, ward sie plötzlich ganz still,
und erschrocken glaubte er, daß sie gestorben
sei: als er aber nach ihr schauen wollte,
ertönte die Abendglocke, es begann die kirchliche
Feier des morgigen Festes Maria Lichtmeß,
zu welchem ihre Seele, in Entzückung entrückt,
sich hingewendet hatte. Obschon ihr Zustand
gleich furchtbar blieb, tönten in der Nacht
doch einige liebliche Reden über die heilige
Jungfrau von ihren Lippen und sprach sie
am 2., dem Festtage selbst, gegen Mittag
gerührt, aber mit fremdem sterbenden Tone:
«Oh! so gut
war es lange nicht, ich bin wohl acht Tage
krank, nicht wahr? Ich weiß nichts mehr
von der trüben, schmutzigen Welt, oh! welche
Liebe hat die Mutter Gottes mir erwiesen,
sie hat mich mitgenommen, ich wollte bei
ihr bleiben.»
— Hier besann
sie sich und sagte, mit dem Finger vor dem
Mund: «Aber ich darf um alles nicht davon
reden.»
Sie warnte
jetzt immer vor allem, was ihr rühmlich
sein konnte, es verdoppelte ihr Leiden.
— An den
folgenden Tagen stieg ihr Leiden.
— Am 7. abends,
ruhiger, sprach sie: «Ach, Herr Jesus! Tausend
Dank für mein ganzes Leben lang, Herr, nicht
wie ich will, sondern wie du willst», und
nach einigen Minuten, mit einem unaussprechlich
rührenden Flehen: «Ach dort das schöne Blumenkörbchen,
bewahrt es, und auch das junge Lorbeerbäumchen
dort, bewahrt es, ich hab sie lang bewahrt,
ich kann nicht mehr!» — Wahrscheinlich meinte
sie zwei Pfleglinge ihres Gebetes aus ihrer
Familie.
— Am 8. Februar
abends betete ein Priester bei ihrem Lager,
sie küßte ihm dankend die Hand, bat ihn,
bei ihrem Tode gegenwärtig zu sein, und
sprach: «Jesus, dir leb ich, dir sterb ich,
Herr, dir sei gedankt, ich höre nicht mehr,
ich sehe nicht mehr!» Später kniete ein
Freund betend an ihrem Lager, und da er
sie ganz dem Tode ähnlich sah, legte er
ihr ein Reliquien-Amulett, das sie einen
großen Teil ihres Lebens getragen und ihm
vor mehreren Jahren geschenkt hatte, in
ihre fieberheiße Hand, um zu sehen, ob die
Empfindlichkeit für solche Gegenstände sie
nicht verlassen habe. Ihre Hand schloß sich
mit sichtbarem Erkennen um dasselbe und
öffnete sich nach einer Weile wieder. Der
Freund nahm das Amulett zurück und verließ
sie.
Am andern
Morgen, dem 9., fand er die silberne Fassung
des Amuletts zersprungen und die beiden
deckenden Gläser in seinem Bett liegen.
Sie starb an diesem Tage. Als man sie, die
sich schmerzlich aufgelegen hatte, etwas
erleichtern wollte, sprach sie: «Ich liege
auf dem Kreuz, es ist ja bald aus, laßt
mich!»
Sie hatte
die Sakramente bereits empfangen, aber sie
wollte sich nochmals einer ungemeinen Kleinigkeit
wegen anklagen, die sie schon sehr oft gebeichtet
hatte, wahrscheinlich der Art wie jener
Jugendfehler, dessen sie sich oft anklagte,
daß sie nämlich als Kind durch den Zaun
eines fremden Gartens gekrochen sei und
mit Lüsternheit nach vom Baum gefallenen
Äpfeln geschaut habe; genommen habe sie,
Gott sei Dank, keinen. Dieser Fehler erschien
ihr gegen das 10. Gebot. Der Priester gab
ihr die Generalabsolution. Sie streckte
sich, man glaubte, sie vollende. Es trat
jemand an ihr Lager, der sie vielfach betrübt
zu haben glaubte, und bat um Vergebung.
Sie schaute ihn staunend an und sprach mit
großem Ernst und dem Ausdruck der Wahrheit:
«Es ist kein Mensch auf Erden, gegen den
ich etwas hätte.»
— Schon in
den letzten Tagen, da man ihren Tod stündlich
erwartete, waren mehrmals einzelne Freunde
in ihrer Vorstube, und da diese leise Worte
von ihrer Geduld, ihrem Glauben usw. zueinander
flüsterten, die sie unmöglich hören konnte,
klang plötzlich ihre flehende sterbende
Stimme aus ihrer Kammer heraus:
«Ach! Um
Gottes willen, sprecht kein Lob von mir,
das hält mich auf, ich muß dann alles doppelt
leiden, o beklagt mich nicht, o Herr! Da
fallen so viele neue schöne Blumen auf mich
nieder!»
Die Blumen
sah sie aber immer als das Vorbild der Schmerzen.
Die Abweisung des Lobes ging aus ihrer Überzeugung
hervor: «Gott allein ist gut, alles muß
bezahlt sein bis auf den letzten Heller,
ich bin arm und voll Schuld, ich kann Gott
dies Lob nicht zahlen als mit Leiden in
Vereinigung mit den Leiden Jesu Christi,
lobt mich nicht, laßt mich sterben, verschmäht
mit Jesus am Kreuz.»
(Ähnlichen
Widerstand einer bereits gehörlosen Sterbenden
gegen Lob in ihrer Nähe erwähnt Boudon in
dem Leben des Paters Surin, Teil 1, Kap.
2.)
Auch heute, wenige Stunden vor ihrem Ende,
nach welchem sie mit den Worten:
«Herr, hilf
doch! Komme doch, Jesus!» mehrmals flehte,
schien sie das Lob anderer zu hindern, und
sie ermannte sich daher nochmals, kräftig
mit folgendem Akt der Demut protestierend:
«Ich kann nicht sterben, da so viele gute
Leute aus Irrtum Gutes von mir denken, sagt
doch allen, daß ich eine elende Sünderin
bin. Ach! Könnte ich doch so laut rufen,
daß alle Menschen es hörten, wie ich eine
elende Sünderin bin, tief unter dem frommen
Mörder am Kreuz, denn dieser und alle damals
hatten nicht so viel zu verantworten als
wir, weil wir alle Gnaden der Kirche haben!»
Nach dieser
Erklärung war sie sehr beruhigt und sagte
dem sie tröstenden Priester:
«Ich bin
jetzt so ruhig und habe ein solches Vertrauen,
als hätte ich nie eine Sünde begangen.»
Ihr Blick
war sehnsüchtig auf das Kreuz zu Füßen ihres
Lagers gerichtet, ihr Atem flog heftig,
sie trank oft, und so ihr das kleine Kreuz
zum Kusse gereicht wurde, küßte sie immer
demütig nur die Füße des Gekreuzigten. Ein
Freund, der weinend zu Füßen ihres Lagers
kniete, hatte den Trost, ihr öfters Wasser
zur Labung zu reichen; da legte sie plötzlich
ihre rechte Hand auf die Bettdecke, die
vernarbte Stelle des Wundmals schimmerte
weißlich, er ergriff ihre Hand, sie war
kalt, und da er sich innig nach einem Zeichen
des Abschieds sehnte, drückte sie seine
Hand leicht. Ihr Anblick war rein, ruhig
und friedlich, aber von einem erhabenen
Ernst, und hatte den Ausdruck eines mit
höchster Anstrengung zum heiligen Ziel Rennenden,
der, den Kranz ergreifend, niedersinkt und
stirbt. Jetzt betete der Priester noch die
Sterbegebete bei ihr, und sie fühlte sich
noch ermahnt, einer frommen jungen Freundin
vor Gott in Liebe zu gedenken, deren Namensfest
heute war.
Es schlug
acht Uhr, sie atmete einige Minuten heftiger
und rief dann etwa dreimal mit lauterem
Stöhnen: «0 Herr, hilf, o Herr, komm!» Der
Priester klingelte und sprach: «Sie stirbt.»
Mehrere Verwandte
und vertraute Personen traten aus der Vorstube
in die Kammer und knieten betend nieder,
sie hatte die brennende Sterbekerze in der
Hand, die der Priester unterstützte; sie
seufzte einige Male leiser, und nun eilte
die reine, bräutlich geschmückte Seele von
den keuschen Kinderlippen ihres gekreuzigten
Leibes ihrem himmlischen Bräutigam entgegen,
voll der Hoffnung, statt des Liedes der
Weissagung, das einst aus ihrem Munde die
sterbende Nachtigall wieder belebte, das
neue Lied im Chor der Jungfrauen zu empfangen,
welche dem Lamme folgen, wohin immer es
gehe.
— Leise
sank ihr entseelter Leib nach der Seite
auf die Kissen nieder, um halb 9 Uhr abends,
den 9. Februar 1824.
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Jemand, der
Anteil an ihr genommen, schrieb: «Nach ihrem
Tode nahte ich ihrem Lager. Sie war etwas
zur linken Seite in die Kissen gesunken,
über ihrem Haupt ragten ein paar Krücken
hervor, die gekreuzt im Winkel standen;
Freunde hatten sie ihr verfertigt, als sie
auf eine Gebetserhörung im September einige
Male in der Kammer herumgehen konnte. Neben
ihrem Angesicht hing ein kleines Ölgemälde,
den Tod Mariä vorstellend, das ihr die Fürstin
Salm geschenkt. Der Ausdruck ihres gesenkten
Angesichtes war von erhabenem Ernst, es
lag gleichsam die letzte Fußstapfe des geduldigen,
entsagenden Opfers bis zum Tode darauf,
sie schien in liebender Arbeit für andere
um Jesus willen gestorben. Ihre rechte Hand
ruhte auf der Decke, diese wundervolle Hand,
an welche Gott die unerhörte Gnade geknüpft
hatte, alles Heilige, alles von der Kirche
Geweihte durch das Gefühl zu erkennen. Eine
Gnade, wie sie vielleicht noch nie in diesem
Maße gegeben war, eine bei weiser Beobachtung
in ihren Folgen unberechenbare Gnade, wahrhaftig
nicht allein zu geistlicher Unterhaltung
eines unwissenden Bauernmädchens gegeben,
eine Gnade, so folgenreich, daß von ihr,
wäre sie nicht erkannt, nicht gewürdigt,
nicht angewendet worden, Rechenschaft gefordert
werden würde.
— Ich ergriff
diese mit der ehrwürdigsten Signatur des
höchsten Mitleids bezeichnete Hand zum letzten
Male, sie war kalt und lebte nicht mehr,
dieses geistliche Sinnwerkzeug, welches
durch die ganze Natur hindurch alle geheiligte
Substanz auch in einem Stäubchen verfolgte,
erkannte und verehrte, sie war tot, diese
demütige, wohltätige, fleißige Hand, die
so viele Hungernde gespeist, so viele Nackte
bekleidet hatte.
— Es war
eine große Gnade von der Erde entflohen,
der Wille Gottes hatte diese für die Wahrheit
zeugende, betende, Schmerzen opfernde Hand
seiner Braut von uns abgezogen, und sie
schien diese Hand sterbend nicht ohne Bedeutung,
gleich dem Symbol einer ihr aus der Gnade
Gottes übergebenen Kraft, entsagend auf
die Decke niedergelegt zu haben.
— Da die
unruhige Geschäftigkeit mancher weltlichen
Vorsorge um sie her gleich nach ihrem Verscheiden
mir den feierlichen Eindruck ihres Anblicks
zu trüben drohte, verließ ich ihre Wohnung
mit dem Gedanken, hätte sie gleich den Einsiedlerinnen
in der Wüste einsam in der selbst gegrabenen
Grube sterben können, hätten ihre Freunde,
die Vögel, sie mit Blumen und Blättern zugedeckt,
oder hätte sie gleich andern Personen ihres
Standes und Wertes unter Gott geweihten
Jungfrauen sterben und eine so rührend würdige
Beachtung und Pflege bis zum Grabe empfangen
können, wie wir dies z.B. von Columba von
Rieti lesen, es wäre dem Gefühl erbaulich
und beruhigend gewesen, aber ich war zugleich
überzeugt, daß alle Pflege und Beachtung,
welche sie in und nach dem Tod empfangen,
ihrer Liebe zu Jesus betrübend ward, dem
sie auch sterbend ähnlicher zu werden sich
sehnte.» Später schrieb der nämliche Freund
folgendes: «Leider ward von dem Zustand
ihres Leibes nach dem Tod, den man im Leben
doch so sehr damit beunruhigt hatte, keine
offizielle Kenntnis genommen, selbst durch
ihre Umgebung nicht. Wahrscheinlich war
die Scheu vor irgendeiner auffallenden Erscheinung
und daraus möglichen Störungen allein schuld
an diesem Versäumnis. Mittwoch, den 11.,
ward ihre Leiche zu Grabe bereitet. Eine
fromme, sinnige Frau, welche sich diesen
letzten Liebesdienst nicht nehmen ließ,
sagte mir:
«Ihre
ausgestreckten Füße waren gekreuzt wie die
Füße eines Kruzifixbildes. Ihre Wundmale
waren geröteter als gewöhnlich; da wir ihr
Haupt erhoben, floß Blut aus Nase und Mund,
alle ihre Glieder waren weich und biegsam
bis in den Sarg.»
Freitag,
den 13. Februar, ward sie mit großer Teilnahme
des ganzen Ortes zu Grabe begleitet. Sie
ruht vom Eintritt in den Kirchhof zur linken
Seite des Kreuzes gegen den Zaun zu. Im
Grabe vor dem ihrigen ruht ein frommer alter
Bauer aus Welde, im folgenden eine brave
Bäuerin aus Dernekamp.
— Am Begräbnistag
trat noch folgendes ein: Am Abend kam ein
reicher Mann, nicht zu Pilatus, sondern
zu dem Pfarrer des Ortes, und bat um den
Leichnam der Verstorbenen, nicht um ihn
in ein neues Grab zu legen, sondern um ihn
gegen eine bedeutende Summe im Auftrag eines
holländischen Arztes zu kaufen. Er ward
natürlicherweise abgewiesen, aber in dem
kleinen Ort entstand nun allerlei Gerede
über den Text Mt 28.15., sie hielten die
Leiche für gestohlen, auch höre ich, sie
sollen auf dem Kirchof nachgeforscht haben,
ob das Grab nicht verletzt sei.» So weit
der obige Schreiber. Aus einem Bericht über
ihren Tod im Dezemberheft der katholischen
Litt. Zeitung von Kerz 1824, welcher, von
einer uns unbekannten Hand herrührend, dennoch
wohl unterrichtet erscheint, setzen wir
noch hierher: «Ungefähr sechs oder sieben
Wochen nach ihrem Tode wurden (wegen dem
Gerücht, der Leib sei entwendet) das Grab
und die Lade auf geheimen höheren Befehl
in Gegenwart von sieben Zeugen eröffnet.
Mit frohem
Erstaunen sahen diese, daß die Verwesung
über den Leichnam der Frommen noch keine
Macht erhalten hatte. Lieblich waren ihre
Gesichtszüge, wie einer Schlafenden unter
seligem Traume. Sie war wie eine vor wenigen
Augenblicken Begrabene. Nicht der mindeste
Leichengeruch ward bemerkt.
«Des
Königs Geheimnis zu wahren»,
sagt Jesus Sirach,
«ist
Pflicht; aber Pflicht ist es auch, die Herrlichkeit
der Erbarmungen Gottes der Welt zu offenbaren.»
— Wie wir
vernommen, soll ein Stein auf ihrem Grabe
ruhen. Wir legen diese Blätter dankbar auf
denselben, mögen sie beitragen, daß die
Wohltäterin vieler Armen an Leib und Seele
und der Ort, wo sie der Auferstehung harret,
nicht vergessen werde!»
DAS LETZTE ABENDMAHL
UNSERES
HERRN JESUS CHRISTUS
nach den Betrachtungen
der seligen
Anna Katharina Emmerich
Vorwort
Wer die nachfolgende
Betrachtung des heiligen Abendmahles mit der
kurzen Geschichte der Evangelien vergleicht,
wird vielleicht hie und da sich an einer kleinen
Abweichung stoßen. Deswegen hier nur etwas zum
Verständnis mit der wiederholten Erklärung,
daß durch diese Anschauungsweise der Heiligen
Schrift, wie sie von der Kirche verstanden wird,
nichts aufgedrungen werden soll. Der Verlauf
des letzten Mahles ward von der Betrachtenden
folgendermaßen gesehen: Schlachten und Vorbereiten
des Osterlammes im Coenaculum, Reden des Herrn
darüber, Anlegen der Reisekleider, eiliges Essen
des Lammes und der übrigen gesetzlichen Speisen
in stehender Stellung; dabei wird dem Herrn
zweimal ein Becher voll Wein gebracht, den er
zum zweiten Male nicht genießt, sondern mit
den Worten: ich werde von nun an keinen Wein
mehr trinken usw., an die Apostel verteilt;
dann legten sie sich eigentlich zu Tisch nieder;
Jesus spricht von dem Verräter; Petrus befürchtet,
er möge gemeint sein; Judas erhält vom Herrn
den Bissen; Vorbereitung zur Fußwaschung; Streit
der Apostel über den Vorrang; Jesu Verweis;
Fußwaschung; Petrus weigert sich derselben;
auch Judas werden die Füße gewaschen; Einsetzung
des heiligen Sakramentes; Judas kommuniziert
und verläßt den Saal; Weihung der Öle und Unterricht
darüber; die Weihe des Petrus und anderer Apostel;
letzte Reden des Herrn; Versicherungen des Petrus;
Schluß des Bildes. – In dieser Reihenfolge scheint
zuerst die Stellung der Worte: ich werde von
nun an keinen Wein mehr trinken, Matthäus 26,29
und Markus 14,25, zu widersprechen, wo sie nach
der Konsekration stehen; aber auch Lukas hat
sie nach derselben. Dagegen sind übereinstimmend
mit Matthäus und Markus die Reden über den Verräter
vor der Konsekration, bei Lukas nachher. Johannes,
der die Einsetzung ganz übergeht, bringt das
Reichen des Bissens in unmittelbare Verbindung
mit dem Wegeilen des Judas. Aus den übrigen
Evangelien ist es aber sehr wahrscheinlich,
daß Judas die hl. Kommunion (auch den Kelch)
genossen, und viele der kirchlichen Väter: Augustinus,
Leo der Große, Gregor der Große, sowie die kirchliche
Tradition sagen es ausdrücklich (Menard zum
Sakrament, Gregor Not. 266). Außerdem geriete
die Erzählung bei Johannes, wenn wir sie streng
in der Zeitfolge nehmen müßten, nicht bloß in
Streit mit Matthäus und Markus, sondern mit
sich selbst, denn aus Joh 13,10 geht hervor,
daß auch des Judas Füße gewaschen wurden. Die
Fußwaschung geschah aber ihm zufolge nach dem
Osterlammessen; es war nun notwendig während
desselben, daß Jesus dem Verräter den Bissen
reichte. Aus dem Gesagten ist deutlich, daß
die Evangelisten, wie anderswo, so auch hier
mehr auf die Hauptsache sehend, die Einzelheiten
nicht in strenger Reihenfolge erzählen, was
den scheinbaren Widerspruch unter ihnen vollkommen
erklärt. Die folgende Betrachtung wird sich
bei näherer Untersuchung vielmehr als eine einfache
und ganz natürliche Evangelienharmonie zeigen,
als daß sie im wesentlichen von der Heiligen
Schrift abweiche. Was das schließende Bild von
Melchisedek betrifft, so ist sein Erscheinen
als Engel ja nicht zu verwechseln mit einer
alten Irrlehre, nach welcher Melchisedek Christus
selbst oder der Heilige Geist oder ein Äon war.
Die Aussprüche des Hebräerbriefes scheinen auf
einen Engel zu deuten, und die gewöhnliche Ansicht
der theologischen Schule seit dem heiligen Hieronymus
hält ihn wohl bloß deswegen nicht dafür, um
jenem Irrtum auch keine entfernte Veranlassung
zu geben.
Vorbereitung
zum
Ostermahl
Gründonnerstag,
den 13. Nisan = 29. März, als Jesus 33 Jahre
18 Wochen
weniger 1 Tag
alt war.
⃰
⃰
Sie sieht den
historischen Tag seiner Geburt am 25sten November.
Gestern Abend
war die letzte große Mahlzeit des Herrn und
seiner Freunde im Hause Simons, des geheilten
Aussätzigen in Bethanien, da Maria Magdalena
Jesus zum letzten Male salbte; woran Judas sich
ärgerte, nach Jerusalem lief und nochmals mit
den Hohenpriestern unterhandelte, ihnen Jesus
zu überliefern. Nach der Mahlzeit kehrte Jesus
zum Hause des Lazarus zurück und die Apostel
teils nach der Herberge vor Bethanien. In der
Nacht kam Nikodemus noch in das Haus des Lazarus,
sprach lange mit dem Herrn und ging vor Tag
nach Jerusalem zurück, von Lazarus ein Stück
Weg begleitet.
Die Jünger hatten
Jesus schon gefragt, wo er das Osterlamm essen
wolle, und heute morgen vor Tagesanbruch rief
Jesus den Petrus und Johannes zu sich, sprach
vielerlei mit ihnen über alles, was sie in Jerusalem
anschaffen und ordnen sollten, und sagte ihnen,
wenn sie am Berg Sion hinaufgingen, würden sie
den Mann mit dem Wasserkrug finden (sie kannten
ihn bereits; denn er war schon am vorigen Osterfest
in Bethanien der Hausvater Jesu gewesen; darum
sagt auch Matthäus: einen gewissen Mann); diesem
sollten sie ins Haus folgen und zu ihm sprechen:
«Der Meister läßt dir sagen, seine Zeit rückt
heran, er wolle bei dir Ostern halten»; und
sie sollten sich den Speisesaal zeigen lassen,
der schon gerichtet sei, und alles Nötige dort
vorbereiten.
Ich sah die beiden
Apostel zu Jerusalem in einer Schlucht mittäglich
vom Tempel an die Mitternachtsseite von Sion
hinansteigen. An der Mittagseite des Tempelberges
standen noch Häuserreihen; diesen gegenüber
gingen sie an der Seite eines in der Tiefe fließenden
Baches, der sie von diesen Häusern trennte,
einen Weg hinauf. Als sie sich auf Sion höher
als der Tempelberg befanden und gegen die Mittagsseite
von Sion kamen, fanden sie auf einem freien,
etwas aufsteigenden Platz in der Nähe eines
alten, mit Höfen umgebenen Gebäudes jenen Mann,
folgten ihm nach und sagten ihm nahe bei dem
Hause, was Jesus ihnen befohlen hatte. Er freute
sich sehr, als er sie sah und ihre Botschaft
hörte, und sagte ihnen, es sei eine Mahlzeit
schon bei ihm bestellt worden (wahrscheinlich
durch Nikodemus), er habe jedoch nicht gewußt,
für wen; nun freue er sich sehr, daß es für
Jesus sei. Es war aber dieser Mann Heli, der
Schwager des Zacharias von Hebron, derselbe,
in dessen Haus Jesus voriges Jahr in Hebron
nach dem Sabbat der Familie den Tod des Johannes
bekanntgemacht hatte. Er hatte nun einen Sohn,
der Levit und ein Freund des Lukas war, ehe
dieser noch zum Herrn kam, und außerdem fünf
unverheiratete Töchter. Er ging jährlich mit
seinen Knechten zum Fest, mietete einen Ostersaal
und bereitete das Ostermahl für Leute, welche
keinen Hausvater hatten. Dieses Jahr aber hatte
er ein Coenaculum gemietet, welches dem Nikodemus
und Joseph von Arimathia gehörte; er zeigte
beiden Aposteln die Gelegenheit.
Das Coenaculum
An der Südseite
des Berges Sion, nicht weit von der nun
auch verödeten Burg Davids und dem von der
Morgenseite zu dieser Burg aufsteigenden
Markt, liegt ein starkes, altes Gebäude
zwischen Reihen oben zusammengezogener schattiger
Bäume in einem geräumigen Hof, der von dicken
Mauern umgeben ist. Zur rechten und linken
Seite des Eintrittes sind in diesem Hof
noch andere Gebäude und Wohnungen an der
Mauer angebaut, und zwar rechts die Wohnung
des Speisemeisters und nahe dabei diejenige,
wo sich die heilige Jungfrau und die heiligen
Frauen nach Jesu Tod öfters aufhielten.
Das sonst weitläufigere Coenaculum war einst
das Haus, wo die Helden, die tapferen Heerführer
Davids wohnten und sich in allerlei Waffenkünsten
übten; auch hat vor der Erbauung des Tempels
die Bundeslade eine Zeitlang hier gestanden,
und es sind noch die Spuren ihres Standortes
an einem unterirdischen Ort daselbst. Ich
habe auch einst Malachias, den Propheten,
in diesen Gewölben verborgen gesehen, wo
er Prophezeiungen vom hl. Sakrament und
dem Opfer des Neuen Bundes schrieb. Auch
Salomo hielt dieses Haus in Ehren und hatte
etwas Vorbildliches damit zu schaffen, was
ich vergessen habe. Als ein großer Teil
von Jerusalem durch die Babylonier zerstört
wurde, blieb dieses Haus verschont. Ich
habe vieles davon gesehen und bis auf dieses
wenige vergessen.
In einem
verwüsteten Zustand war das Gebäude in den
Besitz von Nikodemus und Joseph von Arimathia
gekommen; sie hatten den Hauptbau zu einem
Festhaus für Ostergäste sehr bequem eingerichtet
und pflegten es auf Ostern zu vermieten,
wie sie auch bei dem letzten Passah des
Herrn getan. Außerdem diente ihnen die ganze
Örtlichkeit das Jahr hindurch zur Niederlage
vieler Bau- und Grabsteine und zur Steinhauerwerkstätte;
denn Joseph von Arimathia hatte Steinbrüche
von guter Art in seiner Heimat und handelte
mit Grabsteinen und allerlei ausgehauenen
Gesimsen und Säulen, welche hier unter seiner
Aufsicht bearbeitet wurden. Nikodemus hatte
auch viel mit Bauwerk zu tun und trieb zu
seiner Erholung selbst Bildhauerei. Er arbeitete
hier außer den Festzeiten oft an Steinbildern
im Saal und auch unter demselben in einem
Gewölbe; er war durch diese Kunst mit Joseph
von Arimathia so in Freundschaft gekommen,
daß sie mancherlei zusammen unternahmen.
Ich sah heute
am Morgen, während Petrus und Johannes,
durch Jesus von Bethanien gesendet, mit
dem Hausvater sprachen, der das Coenaculum
für dieses Jahr gemietet hatte, den Nikodemus
in dem Nebengebäude links im Hof herumwandeln,
wo man viele Steine aus der Nähe des Speisesaals
hingeräumt hatte. Schon vor etwa acht Tagen
habe ich viele Leute beschäftigt gesehen,
die Steine beiseite zu bringen, den Hof
zu reinigen und den Speisesaal zum Osterfest
zuzubereiten hatten, und ich meine, es waren
sogar Jünger, vielleicht Aram und Themeni,
die Vettern Josephs von Arimathia, dabei.
Das Hauptgebäude,
das eigentliche Coenaculum, liegt fast in
der Mitte des Hofes, doch mehr am hinteren
Ende. Es ist ein längliches Viereck, rings
mit einem niedrigeren Säulengang umgeben,
welcher bei losgesetzten Eingängen sich
mit dem inneren hohen Saal zu einem Ganzen
vereinigen läßt; denn das ganze Gebäude
ist eigentlich durchsichtig, auf Säulen
oder Pfeilern ruhend, nur sind alle Öffnungen
gewöhnlich mit Stellwänden zugesetzt. Das
Licht fällt durch Öffnungen oben an den
Mauern herein. Es hat an der vorderen schmalen
Seite ein Vorgemach, zu dem drei Eingänge
führen; dann tritt man in den innern, hohen,
schöngeplatteten Saal, von dessen Decke
mehrere Lampen niederhängen; er wird zum
Feste an den Wänden in halber Höhe mit schönen
Matten oder Teppichen bekleidet, und in
der Decke wird eine Luke geöffnet und wie
mit einem durchsichtigen, blauschimmernden
Flor überzogen.
Das hintere
Ende dieses Saales ist durch einen ähnlichen
Vorhang zu einem eigenen Raum abgesondert,
und die Einrichtung hat durch die Abteilung
in drei Räume eine Ähnlichkeit mit dem Tempel;
es hat das Coenaculum eine Vorhalle, ein
Heiliges und ein Allerheiligstes. Dieser
letzte abgeschiedene Raum dient links und
rechts zur Niederlage für Kleider und allerlei
Geräte; in der Mitte befindet sich eine
Art Altar. Es springt aus der Wand über
drei Aufgangsstufen eine Steinbank von der
Gestalt eines rechtwinkligen Dreiecks hervor,
dessen spitze Ecke in der Mitte der beiden
Seitenflächen abgestumpft ist. Es muß dies
die obere Seite des Osterlammbratofens sein,
denn es waren heute beim Mahl die Stufen
umher ganz warm. Es ist an der Seite dieses
Raumes ein Ausgang hinaus in die Halle hinter
diesem Vorsprung; da geht man hinab, wo
eingeheizt wird, auch sind dort noch andere
Gewölbe und Keller unter dem Saal. An jenem
Vorsprung oder Altar sind mancherlei Vorrichtungen,
wie Kasten oder Schubladen, die man herausziehen
kann; es sind auch Offnungen wie ein Rost
oben und eine Stelle zum Feuer machen sowie
eine, es zulöschen. Ich kann das ganze nicht
mehr genau beschreiben; es scheint eine
Art Herd für Osterbrote und anderes Backwerk
oder auch Räucherwerk, auch um beim Fest
gewisse Überbleibsel zu verbrennen; es ist
wie eine Osterküche. Über diesem Herd oder
Altar ist an der Wand ein sich vorbeugender
nischenartiger Kasten von Sparrwerk und
oben eine Öffnung, woran eine Klappe, wahrscheinlich
um den Rauch hinauszulassen. Vor dieser
Nische, oder über ihr herabhängend, sah
ich das Bild eines Osterlammes; es steckte
ihm ein Messer in der Kehle, und es war,
als tröpfle sein Blut auf den Altar; ich
weiß nicht mehrganz genau, wie es gemacht
war. In der Nische an der Wand sind drei
bunte Schränke, die man wie unsere Tabernakel
dreht, sie zu öffnen oder zu schließen;
hier sah ich allerlei Ostergefäße und muldenförmige
Schalen stehen und später das heilige Sakrament.
In den Seitenhallen
des Coenaculums sind hie und da schräge Lager
aufgemauert, worauf zusammengerollte dicke Decken
liegen; es sind dies Schlafstellen. Unter dem
ganzen Bau gehen schöne Keller durch; der Standort
der Bundeslade ist einst hinten gewesen, wo
nun der Osterherd darüber errichtet worden ist.
Es befinden sich unter dem Hause fünf Abflüsse,
die alle Unreinigkeit und Ausgüsse den Berg
hinabführen; denn das Haus liegt hoch. Ich habe
Jesus hier auch schon früher heilen und lehren
sehen; auch herbergten manchmal Jünger in den
Seitenhallen.
Bestellungen
zum Ostermahl
Als die Apostel
mit Heli von Hebron gesprochen hatten, ging
dieser durch den Hof ins Haus zurück, sie
aber wendeten sich rechts, gingen mitternachtswärts
durch Sion hinab über eine Brücke und auf
grünen Heckenpfaden nach der andern Seite
der Schlucht vor dem Tempel, zu den Häuserreihen
südlich unter dem Tempel. Hier war das Haus
des nach Christi Opferung im Tempel verstorbenen
alten Simeon, und seine Söhne, die teils
schon unter Jesu heimlichen Jüngern waren,
wohnten nun da. Die Apostel sprachen in
dem Haus mit dem einen Sohn, der am Tempel
diente; es war ein langer, schwarzer Mann.
Er stieg mit ihnen hinab, und sie gingen
östlich vom Tempel durch jenen Teil von
Ophel, durch welchen Jesus am Palmtage in
Jerusalem eingezogen war; und so wanderten
sie an der Mitternachtsseite des Tempels
in der Stadt bis zum Viehmarkt. Hier sah
ich an der Mittagsseite des Marktes kleine
verzäunte Räume, wo schöne Lämmer auf Rasen
wie in kleinen Gärtchen herumsprangen. Beim
Einzug Jesu hatte ich gemeint, es sei dies
zur Festlichkeit so eingerichtet: es waren
aber Osterlämmer, welche man hier verkaufte.
Ich sah den Sohn Simeons in einen solchen
Raum hineintreten, die Lämmer sprangen auf
ihn zu und stießen ihn mit dem Kopf, als
kennten sie ihn, und er fing vier unter
denselben heraus, welche nach dem Coenaculum
gebracht wurden. Ich sah ihn nach Mittag
in dem Coenaculum an der Vorbereitung des
Osterlammes teilnehmen.
Ich sah Petrus
und Johannes noch allerlei Wege in der Stadt
machen und manches bestellen; ich sah sie
auch vor einem Tor nördlich vom Kalvarienberg,
an der Nordseite der Stadt, in einer Herberge,
wo sich viele Jünger aufhielten; es war
dies die rechte Jüngerherberge vor Jerusalem,
die unter der Pflege der Seraphia (so hieß
eigentlich die sogenannte Veronika) stand;
sie beschieden da wohl einige Jünger nach
dem Coenaculum und zu andern Geschäften,
die ich nicht mehr bestimmt weiß.
Sie gingen
auch ins Haus der Seraphia, bei der sie
manches zu bestellen hatten; ihr Mann, ein
Ratsherr, war meistens in seinen Geschäften
außer dem Haus, und wenn er auch zu Hause
war, nicht in ihrer Nähe. Sie ist eine Frau
wohl im Alter der heiligen Jungfrau und
ist der Heiligen Familie lange bekannt;
denn als Jesus als Knabe am Fest in Jerusalem
zurückgeblieben war, empfing er seine Speise
durch sie.
Die beiden Apostel
erhielten hier mancherlei Gerät, das in bedeckten
Körben teils von Jüngern nach dem Coenaculum
getragen wurde. Sie empfingen hier auch den
Kelch, dessen sich der Herr bei der Einsetzung
des Sakramentes bediente.
Vom Kelch
des heiligen Abendmahles
Der Kelch,
den die Apostel bei Veronika abholten, ist
ein sehr wunderbares, geheimnisvolles Gefäß;
seit langen Zeiten war es unter andern alten
Geräten im Tempel gewesen, deren Gebrauch
und Ursprung ebenso vergessen waren, wie
auch bei uns im Christentum manches altertümliche,
heilige Kleinod durch die Schicksale der
Zeit in Vergessenheit kommt. Man hat öfter
am Tempel veraltete, unbekannte Gefäße und
Kleinodien ausgemustert, verkauft oder neu
umarbeiten lassen, und so ist durch Gottes
Fügung dieses heiligste Gefäß, das man seiner
unbekannten Materie wegen nicht zum Einschmelzen
brauchen konnte, obschon man öfters damit
umging, von den jüngeren Priestern in den
Schatzkammern des Tempels nebst andern Sachen
in einem Kasten als vergessenes altes Geschirr
gefunden und an Liebhaber von Altertümern
veräußert worden. Der Kelch und alles Dazugehörige,
von Seraphia erkauft, hatte schon öfter
bei Festmahlzeiten Jesu gedient und ist
ab heute in den steten Besitz der heiligen
Gemeinde Jesu Christi gekommen. In dem jetzigen
Zustand ist dieses Gefäß nicht immer gewesen;
ich entsinne mich nicht mehr, wann und ob
nicht auf Veranlassung des Herrn selbst
die Zusammenstellung so gemacht worden ist;
es war nämlich jetzt eine ganze tragbare
Vorrichtung zur Einsetzung des heiligen
Sakramentes mit dem Kelch verbunden.
Auf einer
Fläche, aus der man noch ein Täfelchen herausziehen
konnte, von dem ich mich nicht entsinne,
ob es ein Heiligtum enthielt, stand das
große Trinkgefäß und um dasselbe sechs kleine
Becher. In dem großen Kelch befand sich
noch ein kleineres Gefäß; auf ihm stand
ein Tellerchen und über diesem ein gewölbter
Deckel; indem Fuß des Kelches war ein Löffel
bewahrt, den man herausnehmen konnte. Diese
Gefäße, mit feinen Tüchlein bedeckt, standen
unter einer Kappe, einem Schirm, ich meine
von Leder, woran oben ein Kopf war. Der
große Kelch selbst besteht aus dem Kelchbecher
und dem Fuß, welcher später hinzugefügt
worden sein muß; denn der Kelchbecher war
von anderem Stoff als der Fuß, nämlich von
bräunlicher spiegelglatter Masse in birnförmiger
Gestalt. Er ist aber mit Gold überlegt oder
gefaßt und hat zwei kleine Henkel, an welchen
man ihn anfassen kann, denn er ist ziemlich
schwer. Der Fuß ist künstlich von dunklem
Golderz gearbeitet, unten umher eine Schlange
und auch ein Träubchen; auch mit Edelsteinen
ist er verziert; im Fuß befindet sich der
kleine Löffel.
Der große
Kelch ist bei Jakobus dem Kleineren in der
Kirche zu Jerusalem geblieben, und ich sehe
ihn noch irgendwo fest bewahrt liegen; er
wird auch noch einmal wieder zutage kommen,
wie er jetzt hier zutage gekommen ist. In
die kleineren ihn umgebenden Becher haben
sich andere Kirchen geteilt; es ist einer
nach Antiochien, einer nach Ephesus gekommen;
die Gefäße sind an sieben Kirchen gelangt.
Diese kleineren Becher gehörten Patriarchen;
sie tranken das geheimnisvolle Getränk daraus,
wenn sie den Segen empfingen und erteilten,
wie ich sonst gesehen und erzählt habe.
Der große
Kelch war schon bei Abraham; Melchisedek
brachte ihn aus dem Lande der Semiramis,
wo er verkommen war, mit in das Land Kanaan,
als er allerhand Plätze in Jerusalem gründete;
er hat ihn bei dem Opfer gebraucht, da er
Brot und Wein vor Abraham opferte, und er
hat ihn Abraham gelassen. Der Becher ist
auch schon bei Noah gewesen; er stand ganz
oben in der Arche.
«Sieh! da
kommen Leute, feine Leute aus einer schönen
Stadt; sie ist auf alte Art gebaut; man
betet dort an, was einem vorkommt; auch
Fische betet man da an. Der alte Noah steht
mit einem Pfahl auf dem Rücken in der Seite
der Arche; das Bauholz liegt weit umher
ganz geordnet, jedes an seiner Stelle. Nein,
das sind keine Leute, sie müssen etwas Vornehmeres
sein, sie sind so fein und hell; sie bringen
dem Noah den Kelch, er muß irgendwo verkommen
gewesen sein; ich weiß nicht, wie der Ort
heißt. Es ist etwas darin wie ein Weizenkorn,
aber größer als bei uns; es ist wie ein
Sonnenblumenkern, und ein kleiner Rebenzweig
ist auch darin. Sie sagen Noah: er sei ein
ruhmvoller Mann, da sei etwas Geheimnisvolles,
er solle es doch mitnehmen. Sieh! er steckt
den Kern und das Rebenzweiglein in einen
gelben Apfel und legt es in den Kelch. Es
ist kein Deckel auf dem Kelch, denn es muß
immer herauswachsen. Der Kelch ist nach
einer Figur gemacht, welche auf eine wunderbare
Art, ich meine irgendwo aus der Erde gekommen
ist; es ist ein Geheimnis damit, aber er
ist danach gemacht. Das ist der Kelch, den
ich in der großen Parabel
⃰
da stehen
sah, wo der brennende Dornbusch war, das
Weizenkörnlein ist endlich so klar geworden
bis auf Jesus.»
⃰ Es
bezieht sich diese Äusserung auf eine grosse
symbolische Parabel von der Herstellung
des Menschengeschlechtes von Anbeginn, die
sie leider nicht ganz erzählte und dann
vergass. Selbst den hier erwähnten brennenden
Dornbusch erwähnte sie in dem Fragmente
noch nicht; doch hatte der brennenden Dornbusch
Moses in andern Gesichten
(Schauungen,
innere Gesichte)
auch die birnförmige Figur des Kelchbechers.
Sie hatte alles
Obige von dem Kelch in einem ruhig vor sich
hinschauenden Zustand und alles Gesagte vor
sich erblickend erzählt; oft kämpfte sie mit
der Gegenwart und erschrak auf eine rührende
Weise; dann war sie bei den Äußerungen über
Noah dem gegenwärtigen Anblick ganz hingegeben
und fuhr bei dem Schluß erschreckt zusammen,
sah um sich und sagte: «Ach, es ist mir bange,
daß ich in das Schiff muß; ich sehe Noah und
glaubte, das große Wasser komme nun.» Später,
sich ganz bewußt, sagte sie: «Die Leute, welche
Noah den Kelch und die darin befindlichen Schätze
brachten, waren solche Gestalten in langen weißen
Gewändern, wie die drei Männer, die zu Abraham
kamen und ihm Fruchtbarkeit verhießen. Es war,
als brächten sie Noah ein Heiligtum aus der
Stadt, das nicht zugrunde gehen sollte; die
Stadt selbst ging mit allem in der Sintflut
unter. Der Kelch war auch bei einem guten Stamm
der Kinder Noahs bei Babylon; sie wurden wie
Sklaven von Semiramis gedrückt, Melchisedek
führte sie heraus nach Kanaan und brachte den
Kelch mit. Ich sah, daß er ein Zelt bei Babylon
hatte und ihnen, ehe er sie fortführte, das
Brot dort segnete und brach, sonst hätten sie
die Stärke fortzuziehen nicht gehabt. Diese
Leute hießen ungefähr wie Samanen, und er bediente
sich ihrer und einiger Höhlenbewohner in Kanaan,
als er manche Gebäude auf den noch wilden Bergen
des damaligen Jerusalem gründete. Er baute tiefe
Grundlagen, wo das Coenaculum und wo der Tempel
nachher stand, auch gegen den Kalvarienberg
zu; auch Wein und Korn baute er. Nach dem Opfer
Melchisedeks blieb der Kelch bei Abraham; auch
in Ägypten ist er gewesen, auch Moses besaß
ihn. Die Masse des Kelchbechers war dick wie
eine Glocke; er war von etwas Natürlichem und
wie gewachsen, nicht gehämmert. Ich habe ihn
durchgesehen
⃰
;
nur Jesus wußte, wovon er war.
⃰
Es ist unbestimmt,
ob sie hier sagen wollte, er sei durchsichtig
gewesen, oder sie habe ihn mit ihrem Geiste
durchschaut.
Jesus geht
nach Jerusalem
Am Morgen,
während die beiden Apostel in Jerusalem
die Vorrichtungen zum Osterlamm trafen,
nahm Jesus noch von den heiligen Frauen
und Lazarus und seiner Mutter in Bethanien
einen rührenden Abschied, lehrte und ermahnte
sie im allgemeinen.
Ich sah den
Herrn mit seiner Mutter allein sprechen
und erinnere mich einzelner Reden, unter
anderm: er habe Petrus, den Glauben, und
Johannes, die Liebe, nach Jerusalem zur
Bereitung des Passahs gesendet. Von Magdalena,
welche ganz sinnlos durch Betrübnis war,
sagte er: sie liebe unaussprechlich, aber
ihre Liebe sei noch vom Fleisch umgeben,
und darum werde sie ganz wie von Sinnen
aus Schmerz. Er sprach auch vom verräterischen
Zustand des Judas, und die heilige Jungfrau
bat noch für denselben.
Judas war
wieder unter dem Vorwand, allerlei zu besorgen
und zu bezahlen, von Bethanien nach Jerusalem
gelaufen, und Jesus fragte am Morgen die
neun nach ihm, obschon er wohl wußte, was
er trieb. Judas lief den ganzen Tag bei
den Pharisäern umher und redete alles mit
ihnen ab; es wurden ihm sogar die Kriegsknechte
gezeigt, die den Herrn gefangennehmen sollten.
Er berechnete alles genau mit den Wegen
hin und her, so daß ihm immer eine Entschuldigung
seiner Abwesenheit blieb; erst kurz vor
dem Osterlammessen kam er wieder zu dem
Herrn. Ich habe alle seine Pläne und Gedanken
gesehen. Als Jesus mit Maria über ihn sprach,
sah ich vieles von seinem Wesen. Er war
tätig und dienstfertig, aber voll Geiz,
Ehrsucht und Neid, und er kämpfte nicht
gegen diese Leidenschaften. Er hat selbst
Wunder getan und in Jesu Abwesenheit Kranke
geheilt. Als der Herr der heiligen Jungfrau
verkündete, was ihm bevorstehe, bat sie
ihn so rührend, er möge sie mit ihm sterben
lassen. Er aber ermahnte sie, in ihrem Schmerz
ruhiger zu sein als die andern Frauen, und
sagte ihr auch, daß er auferstehen und wo
er ihr erscheinen werde. Sie weinte jetzt
nicht viel, aber sie war gar traurig und
von einem erschütternden Ernst. Der Herr
dankte ihr wie ein frommer Sohn für alle
Liebe, er umfaßte sie mit seiner Rechten
und drückte sie an seine Brust. Er sagte
ihr auch, er werde im Geiste sein Abendmahl
mit ihr halten und bestimmte die Stunde,
da sie es empfangen werde. Er nahm noch
von allen einen sehr rührenden Abschied
und lehrte über vieles.
Jesus ging gegen
Mittag mit den neun Aposteln von Bethanien nach
Jerusalem; es folgte ihm auch ein Haufen von
sieben Jüngern, welche, außer Nathanael und
Silas, meistens aus Jerusalem und der Gegend
waren; ich erinnere mich unter ihnen des Johannes
Markus und des vor wenigen Tagen aufgenommenen
Sohnes der armen Witwe, welche am vorigen Donnerstag,
heute vor acht Tagen, da Jesus am Opferstock
im Tempel lehrte, ihr Scherflein geopfert hatte;
die heiligen Frauen folgten später nach.
Er ging mit seinen
Begleitern verschiedene Wege um den Ölberg und
im Tale Josaphat, ja bis zum Kalvarienberg hin
und her; es war ein Wandeln unter stetem Lehren.
Er sagte unter anderem zu den Aposteln, bis
jetzt habe er ihnen sein Brot und seinen Wein
gegeben, heute wolle er ihnen sein Fleisch und
sein Blut geben. Alles wolle er ihnen schenken
und lassen, was er habe; dabei sah der Herr
so rührend aus, als gieße er sein Inneres aus,
als verschmachte er aus Liebe, sich hinzugeben.
Seine Jünger verstanden ihn nicht; sie meinten,
er spreche vom Osterlamm. Es ist unaussprechlich,
wie liebevoll und geduldig er in seinen letzten
Reden zu Bethanien und hier gewesen. Die heiligen
Frauen kamen später in das Haus der Maria Markus.
Die sieben Jünger,
welche dem Herrn nach Jerusalem gefolgt waren,
machten diese Wege nicht mit; sie trugen Päcke
von Osterzeremonienkleidern nach dem Coenaculum,
legten sie in die Vorhalle und begaben sich
in das Haus der Maria Markus.
Als Petrus und
Johannes mit dem Abendmahlskelch von dem Haus
der Seraphia nach dem Coenaculum kamen, lagen
schon alle diese Zeremonienmäntel in der Vorhalle,
welche jene und andere Jünger hingetragen hatten.
Es waren auch von ihnen die nackten Wände des
Saales mit Teppichen behängt und die Luken in
der Decke geöffnet worden; auch werden drei
hängende Lampen zugerüstet. Dann gingen Petrus
und Johannes zum Tal Josaphat und riefen den
Herrn und die neun Apostel. Die Jünger und Freunde,
welche auch das Osterlamm im Coenaculum mitaßen,
kamen später.
Letztes Ostermahl
Jesus und
die Seinigen aßen das Osterlamm in Coenaculum
in drei getrennten Genossenschaften von
Zwölfen, deren jeder einer als Hausvater
vorstand. Jesus aß es mit den zwölf Aposteln
im Saal des Coenaculums. Getrennt in den
Seitenhallen aß es Nathanael mit zwölf Jüngern
und ebenso mit zwölf andern Eliachim, ein
Sohn des Kleophas und der Maria Heli und
Bruder der Maria Kleophä; er war ein Jünger
Johannes des Täufers.
Drei Osterlämmer
wurden für sie im Tempel geschlachtet und
besprengt. Es war aber ein viertes Lamm
da, das im Coenaculum geschlachtet und gesprengt
wurde, und dieses aß Jesus mit den Zwölfen,
jedoch dem Judas unbewußt, da dieser sich
allerlei Geschäfte gemacht hatte, bei der
Schlachtung nicht zugegen gewesen und schon
Wege zum Verrat gegangen war; er kam erst
kurz vor dem Essen des Osterlammes.
Das Schlachten
des Lammes für Jesus und die Apostel war
ungemein rührend. Es geschah in der Vorhalle
des Coenaculums, und Simeons Sohn, der Levit,
half dabei. Die Apostel und Jünger waren
zugegen und sangen den 118. Psalm. Jesus
lehrte hierauf von einer neu eintretenden
Zeit, und wie nun das Opfer des Moses und
die Bedeutung des Osterlammes werde erfüllt
werden; darum aber müsse das Lamm so geschlachtet
werden, wie jenes in Ägypten, aus welchem
sie jetzt wirklich ausziehen sollten.
Gefäße und
alles Zugehörige waren bereit; es ward ein
schönes Lämmchen gebracht, das mit einem
Kranz geschmückt war, welcher ihm abgenommen
und der heiligen Jungfrau gesendet ward,
die sich abseits bei den anderen Frauen
befand. Das Lamm ward nun um die Mitte des
Leibes mit dem Rücken auf ein Brettchen
gebunden, und ich dachte noch dabei an Jesus
an der Geißelsäule. Den Kopf des Lammes
hielt Simeons Sohn in die Höhe, und Jesus
stach ihm mit einem Messer in den Hals und
gab dasselbe dann dem Sohne Simeons, der
fortfuhr, das Lamm zu bereiten. Jesus schien
mit Schüchternheit und Schmerz das Lamm
zu verwunden und tat es sehr schnell und
ernst. Das Blut wurde in ein Becken gefaßt
und ein Ysopzweig gebracht, welchen Jesus
in das Blut tauchte; dann ging er an die
Türe des Saales und bezeichnet die zwei
Pfosten und das Schloß mit dem Blut und
steckte den blutigen Zweig über die Oberschwelle
der Tür; dabei redete er feierlich und sagte
unter Anderm:
es solle der Würgengel
hier vorübergehen; sie sollten sicher und
ruhig hier anbeten, wenn er, das wahre Osterlamm,
geschlachtet sei; es solle hiermit eine
neue Zeit und ein neues Opfer beginnen und
bis ans Ende der Welt fortdauern.
Dann begaben
sie sich an den Osterherd am Ende des Saales,
wo einst die Bundeslade gestanden; es war
bereits Feuer dort. Jesus sprengte das Blut
an diesen Herd und weihte ihn zu einem Altar;
das übrige Blut und Fett ward unter den
Altar ins Feuer gegossen. Jesus wandelte
hierauf, Psalmen singend, mit den Aposteln
im Coenaculum umher und weihte es zu einem
neuen Tempel ein. Alle Türen waren dabei
verschlossen.
Indessen
hatte Simeons Sohn das Lamm ganz zubereitet;
es steckte an einem Spieß, die Vorderbeine
waren an ein Querholz, die Hinterbeine an
den Spieß geheftet. Ach! es sah ganz wie
Jesus am Kreuz aus und wurde nun nebst den
drei andern Lämmern, die vom Tempelschlachten
hergebracht worden waren, in den Ofen zum
Braten gestellt.
Sie sagte
nochmals: die andern Osterlämmer der Juden
wurden alle im Vorhof des Tempels geschlachtet;
und zwar an drei Orten: für die Vornehmen,
die Geringen und die fremden Leute
⃰
. Das Osterlamm
Jesu war nicht im Tempel geschlachtet, alles
andere tat er streng nach dem Gesetz. Er
hat auch nachher darüber gesprochen. Das
Lamm war nur ein Vorbild; er selbst sollte
am morgigen Tage das Ostlerlamm sein; ich
weiß nicht mehr, was er darüber sagte.
⃰
Sie erklärte
hier noch einiges, wie die Familien sich
in gewisser Zahl vereinigten, was aber dem
Schreiber entfallen ist.
Auf diese
Weise lehrte Jesus die Apostel vom Osterlamm
und dessen Erfüllung, und als die Zeit herannahte
und Judas auch gekommen war, wurden die
Tische bereitet. Sie legten Reisezeremonienkleider
an, die in der Vorhalle lagen, andere Schuhe,
einen weißen Rock wie ein Hemd und darüber
einen Mantel, vorn kurz und hinten länger;
sie schürzten sich in den Gürteln und hatten
auch die weiten Ärmel geschürzt. So ging
jede Schar zu ihrem Tisch; die zwei Scharen
der Jünger in die Seitenhallen, der Herr
aber und die Apostel in den Saal des Coenaculum.
Sie nahmen Stäbe in die Hand und wandelten
paarweise zum Tisch, wo sie an ihren Plätzen
standen, die Stäbe im Arm lehnend, mit emporgehobenen
Armen. Jesus aber, in der Mitte des Tisches
stehend, hatte zwei kleine, oben etwas gekrümmte
Stäbe, gleich kurzen Hirtenstäben, von dem
Speisemeister empfangen. Sie hatten an einer
Seite einen Haken wie einen abgehauenen
Zweig. Jesus steckte sie kreuzweise vor
der Brust in den Gürtel und stützte die
emporgehobenen Arme im Gebet auf die Haken.
Er konnte sich so rührend, auf diese Stäbe
gelehnt, bewegen; es war, als habe er das
Kreuz, dessen Last er bald auf die Schultern
nehmen sollte, noch stützend unter den Schultern.
So sangen sie:
«Gebenedeit sei der Herr Gott Israels»
sowie: «Gelobt sei der Herr» usw.
Nach
vollendetem Gebet gab Jesus den einen Stab
dem Petrus, den andern dem Johannes, welche
sie weglegten oder von Hand zu Hand an die
Apostel gehen ließen, was ich mich nicht
mehr recht bestimmt erinnere.
Der Tisch
war schmal, ungefähr so hoch, daß er einem
stehenden Mann einen halben Fuß hoch über
die Knie reichte, in der Form eines Zirkelabschnittes.
Jesus gegenüber, in der inneren Seite des
Halbkreises, war eine freie Stelle zum Auftragen.
Wenn ich mich recht entsinne, standen zur
Rechten Jesu Johannes, Jakobus der Ältere,
Jakobus der Jüngere; dann an der rechten
schmalen Breite des Tisches Bartholomäus;
neben diesem an der inneren Seite des Kreistisches
Thomas und neben diesem Judas Iskarioth
– zur Linken Jesu stand Petrus, dann Andreas,
Thaddäus, an der linken schmalen Breite
Simon und neben diesem an der innern Tischseite
Matthäus und Philippus.
In der Mitte
des Tisches stand eine Schüssel mit dem Osterlamm.
Sein Kopf ruhte auf den gekreuzten Vorderfüßen;
die Hinterfüße waren lang ausgestreckt; rundumher
auf dem Rande der Schüssel lag Knoblauch; daneben
befand sich eine Schüssel mit dem Osterbraten
und zu beiden Seiten eine Schale mit grünen
Kräutern, welche dichtgedrängt aufrecht wie
wachsend standen, und eine andere Schale mit
kleinen Bündelchen von bittern Kräutern, gleich
Balsamirkräutern; dann noch vor Jesus eine Schale
mit gelbgrünem Kraut und eine mit einer bräunlichen
Brühe. Die Teller der Essenden waren runde Brotkuchen;
sie bedienten sich beinerner Messer.
Der Speisemeister
legte nach dem Gebet das Messer zum Zerlegen
des Osterlammes vor Jesus auf den Tisch. Er
setzte einen Becher mit Wein vor den Herrn und
füllte aus einer Kanne sechs Becher, welche
immer zwischen zwei Aposteln standen. Jesus
segnete den Wein und trank; die Apostel tranken
zwei und zwei aus einem Becher. Der Herr zerlegte
das Osterlamm, und die Apostel reichten nach
der Reihe ihre Brotkuchen mit einer Art Klammer
hin und empfingen jeder sein Teil und aßen es
sehr geschwind, indem sie das Fleisch mit den
beinernen Messern abschabten. Die Knochen wurden
nachher verbrannt. Sie aßen auch noch schnell
von dem Lauch und grünen Kraut, das sie in die
Brühe tauchten. Das Osterlamm genossen sie stehend;
nur lehnten sie etwas auf den Lehnen der Sitze.
Jesus brach auch eines der Osterbrote und bedeckte
einen Teil davon; das andere verteilte er. Sie
aßen nun auch die Brotkuchen. Dann wurde wieder
ein Becher mit Wein gebracht; Jesus aber dankte
und trank nicht davon. Er sprach:
«Nehmet den Wein und
teilt ihn unter euch; denn ich werde von nun
an keinen Wein mehr trinken, bis das Reich Gottes
kommt.» Nachdem sie zwei und zwei
getrunken hatten, sangen sie, dann betete oder
lehrte Jesus, und es folgte hierauf noch ein
Händewaschen. – Nun aber legten sie sich wirklich
auf die Sitze nieder. Alles Frühere war stehend,
nur zuletzt etwas aufgelehnt und sehr geschwind
geschehen.
Der Herr hat
auch ein Lamm zerlegt, welches den heiligen
Frauen in ein Seitengebäude gebracht wurde,
wo sie ihr Mahl hatten. Sie aßen nun Kräuter,
Salat und die Brühe; Jesus war ungemein innig
und heiter; ich habe ihn nie so gesehen. Er
sagte auch den Aposteln, allen Kummer zu vergessen.
Auch die heilige Jungfrau am Tisch der Frauen
war heiter. Es war so rührend, wenn die andern
Frauen zu ihr traten und sie am Schleier zogen,
mit ihr zu sprechen, wie sie sich dann so einfach
wendete.
Jesus redete
anfangs noch gar lieblich mit ihnen, während
sie speisten; hierauf aber ward er ernster und
traurig. Er sprach:
«Einer unter euch wird mich verraten, einer,
dessen Hand mit mir auf einem Tische ist.»
Jesus aber teilte eines der Kräuter, nämlich
Lattich, von dem nur eine Schüssel da war, auf
seiner Seite aus, und dem Judas, der ihm schräg
gegenüber saß, hatte er befohlen, ihn auf der
andern Seite auszuteilen. Da Jesus nun von einem
Verräter sprach und alle darüber sehr erschrocken
waren und da er sagte: Einer, dessen Hand mit
mir auf dem Tische ist oder dessen Hand mit
mir in die Schüssel taucht, was so viel heißt,
als: Einer der Zwölf, die mit mir essen und
trinken, einer, mit dem ich mein Brot teile,
so verriet er Judas dadurch nicht an die andern,
denn mit der Hand in die Schüssel tauchte war
ein allgemeiner Ausdruck für die vertraulichste
Gemeinschaft; und doch wollte er auch Judas
dadurch warnen; denn er tauchte wirklich beim
Austeilen des Lattichs die Hand mit ihm in eine
Schüssel. Jesus aber sagte weiter:
«Nun geht zwar des Menschen
Sohn hin, wie von ihm geschrieben steht, wehe
aber dem Menschen, durch den der Menschensohn
verraten wird! Es wäre ihm besser, wenn er nicht
geboren wäre.»
Da waren die
Apostel alle sehr bestürzt und fragten abwechselnd:
« Herr, bin ich es?
» Denn alle wußten wohl, daß sie
ihn nicht ganz verstanden. Petrus aber beugte
sich hinter Jesus zu Johannes hin und winkte
ihm, den Herrn zu fragen, wer es sei; denn er,
der oft Verweise von Jesus erhalten, war ängstlich,
er möge ihn meinen. Johannes aber lag zur Rechten
des Herrn, und weil alle, auf dem linken Arm
lehnend, mit der rechten Hand aßen, so lag Johannes
mit dem Haupte der Brust Jesu zunächst. Er näherte
sein Haupt daher der Brust Jesu und fragte:
«Herr, wer ist es?»
Da ward er es inne, daß Jesus den Judas meinte.
Ich sah Jesus nicht mit den Lippen sprechen:
«Der, dem ich den Bissen
eintauche und gebe»; ich weiß auch
nicht, ob er es leise zu Johannes sagte; Johannes
aber vernahm es, indem Jesus den Bissen Brot
mit Lattich umwunden in die Brühe tauchte und
dem Judas mit großer Liebe reichte, welcher
eben auch fragte: «Herr,
bin ich es?» wobei Jesus ihn gar
lieblich ansah und ihm eine allgemeine Antwort
gab. Dieses war aber ein gebräuchliches Zeichen
der Liebe und Vertraulichkeit, und Jesus tat
es mit herzlicher Liebe, ihn zu mahnen und nicht
zu verraten vor den andern. Judas war aber innerlich
ganz ergrimmt. Ich sah während der ganzen Mahlzeit
ein kleines Ungeheuer zu seinen Füßen sitzen,
das ihm manchmal bis zum Herzen hinaufstieg.
Ich sah nicht, daß Johannes dem Petrus das wieder
sagte, was er von Jesu vernommen, aber er blickte
nach ihm und beruhigte ihn.
Die Fußwaschung
Sie standen
nun von der Mahlzeit auf, und während sie
ihre Kleider wieder so anlegten und ordneten,
wie sie es bei feierlichem Gebet pflegten,
trat der Speisemeister mit zwei Dienern
herein, den Osterlammtisch abzuräumen und
aus der Mitte der umgebenden Lagerstühle
beiseite zu schieben. Als dies geschehen,
trug Jesus ihm auf, Wasser in die Vorhalle
bringen zu lassen, und er verließ wieder
mit den Dienern den Saal.
Jesus stand
nun mitten unter den Aposteln und sprach
eine ziemliche Weile mit Feierlichkeit zu
ihnen. Ich habe aber so vieles gehört und
gesehen bis jetzt, daß es mir nicht möglich
ist, den Inhalt der Lehre des Herrn sicher
anzugeben. Ich erinnere mich, daß er von
seinem Reich, von seinem Hingang zum Vater
sprach und wie er ihnen vorher noch alles
zurücklassen wolle, was er habe, usw. Er
lehrte dann auch von der Buße, von Erkenntnis
und Bekenntnis der Schuld, von der Reue
und Reinigung. Ich fühlte aber, daß dieses
einen Bezug auf die Fußwaschung hatte, und
ich sah auch, daß alle ihre Sünden erkannten
und bereuten, außer Judas. Diese Rede war
lang und feierlich. Nach ihrer Vollendung
sendete Jesus den Johannes und Jakobus den
Jüngeren, des bestellten Wassers halber,
in die Vorhalle und befahl den Aposteln,
die Lagerstühle in einen halben Kreis zu
stellen, worauf er in die Vorhalle ging,
seinen Mantel ablegte, sich schürzte und
ein Tuch umband, von welchem das längere
Ende niederhing.
Unterdessen
gerieten die Apostel in eine Art von Wortwechsel,
wer die erste Stelle unter ihnen haben werde;
denn da der Herr so bestimmt ausgesprochen
hatte, er würde sie verlassen und sein Reich
sei nahe, bestärkte sich von neuem die Meinung
in ihnen, er habe irgendeinen geheimen Hinterhalt,
einen irdischen Triumph, der im letzten
Moment hervorbrechen werde.
Jesus befahl
in der Vorhalle dem Johannes, ein Becken
in die Hände zu nehmen, und ließ Jakobus
den Jüngeren einen Schlauch voll Wasser
vor der Brust tragen, dessen Röhre sich
über den Arm gelehnt ergoß, und nachdem
er Wasser aus dem Schlauch in das Becken
gegossen hatte, ließ er die beiden in den
Saal folgen, in dessen Mitte der Speisemeister
ein größeres leeres Becken gestellt hatte.
In so demütigem
Aufzug in die Türe des Saales tretend, verwies
Jesus den Aposteln ihren Streit mit wenigen
Worten, unter anderem sprechend:
daß er selbst ihr
Diener sei; sie sollten sich auf die Stühle
setzen, auf daß er ihnen die Füße waschen
könne. Da setzten sie sich nach
der Reihe, wie sie zu Tisch gelegen, auf
die Lehnpolster der Stühle, die im Halbkreis
standen, und hatten die entblößten Füße
auf den Sitzpolstern stehen. Jesus ging
von einem zum andern und schöpfte ihnen
mit der Hand Wasser aus dem von Johannes
untergehaltenen Becken über die nacheinander
vorgehaltenen Füße. Dann faßte er das lange
Ende des Tuches, womit er umgürtet war,
in beide Hände und fuhr damit abstreifend
und trocknend über die Füße und nahte dann
dem zunächst Sitzenden mit Jakobus. Johannes
aber leerte jedesmal das gebrauchte Wasser
in das in der Mitte des Saales stehende
Gefäß aus und nahte dem Herrn wieder mit
dem Becken. Da goß Jesus wieder aus dem
Schlauch des Jakobus in das Becken über
die Füße des Apostels und tat wie zuvor.
Der Herr aber
war, wie bei der ganzen Ostermahlzeit, ungemein
rührend und freundlich, auch bei diesem demütigen
Fußwaschen ganz voll Liebe, und er tat es nicht
wie eine Zeremonie, sondern wie eine heilige
Liebeshandlung ganz von Herzen, so daß er auch
seine Liebe dabei aussprach.
Da er nun zu
Petrus kam, weigerte sich dieser aus Demut und
sagte: «Herr, solltest
du mir die Füße waschen?» Und der
Herr sagte: «Was ich
tue, weißt du jetzt nicht, nachher sollst du
es erfahren.» Und mir war, als spreche
er noch allein zu ihm:
«Simon, du hast es verdient,
von meinem Vater zu erkennen, wer ich bin, woher
ich komme und wohin ich gehe, du hast es allein
erkannt und ausgesprochen; und ich will meine
Kirche auf dich bauen, und die Pforten der Hölle
sollen sie nicht überwältigen. Es soll auch
meine Kraft bei deinen Nachfolgern bleiben bis
ans Ende der Welt.» Jesus zeigte
auf ihn und sagte zu den andern: Petrus solle
ihnen in Anordnung und Aussendung seine Stelle
vertreten, wenn er selbst von ihnen gegangen
sein werde. Petrus aber sprach: «Nimmermehr
sollst du mir die Füße waschen.» Und der
Herr erwiderte: «Wenn
ich dich nicht wasche, so hast du keinen Teil
an mir.» Da sagte Petrus wieder:
«Herr, wasche mir dann nicht nur die Füße,
sondern auch die Hände und das Haupt.» Jesus
sagte hierauf: «Wer
gewaschen ist, der ist ganz rein, und braucht
nur die Füße zu waschen. Ihr seid auch rein,
aber nicht alle»; dabei dachte er
an Judas.
Er hatte aber
in der Lehre von der Fußwaschung gesprochen
als von einem Reinigen von täglichen Sünden,
weil die Füße an der Erde ungeschickt wandelnd
sich immer wieder verunreinigen.
Diese Fußwaschung
war geistlich und eine Art Absolution; Petrus
aber nahm es in seinem Eifer als eine zu große
Demütigung seines Meisters; er wußte nicht,
daß dieser, um ihm zu helfen, sich morgen bis
zum schmählichen Tod des Kreuzes aus Liebe demütigen
werde.
Als er aber Judas
die Füße wusch, war er ungemein rührend und
freundlich und drückte sein Angesicht an seine
Füße und sagte leise zu ihm, er möge sich
bedenken; schon ein Jahr gehe er mit Verrat
und Untreue um; Judas aber schien es nicht
bemerken zu wollen und sprach mit Johannes;
da ärgerte sich Petrus an ihm und sagte:
«Judas! Der Meister spricht mit dir.» Da
sagte Judas zum Herrn etwas Allgemeines, Ausweichendes,
wie: «Herr, das sei ferne!»
Die andern aber
hatten Jesu Rede zu Judas nicht vernommen, denn
er sprach leise, und dann hörten sie nicht zu;
auch waren sie mit Anlegung ihrer Sohlen beschäftigt.
Judas' Verrat aber schmerzte den Herrn bei seinem
ganzen Leiden am meisten. Er wusch aber auch
noch die Füße des Johannes und Jakobus. Zuerst
setzte sich Jakobus, und Petrus hielt den Schlauch,
dann setzte sich Johannes, und Jakobus hielt
das Becken.
Jesus lehrte
nun über die Demütigung, und wie der Dienende
der Größte sei, und wie sie einander auch die
Füße künftig in Demut waschen sollten, und mancherlei
in bezug auf den Streit, wer der Größte sei,
was in den Evangelien steht. Jesus legte nun
seine Kleider wieder an, und die Kleider, welche
zuerst beim Osterlamm geschürzt gewesen waren,
hatten die Apostel jetzt auch wieder weit und
lang angelegt.
Einsetzung
des heiligen Sakramentes
Auf Befehl
des Herrn hatte der Speisemeister den Tisch
wieder zugerüstet und ihn etwas erhöht;
er ward mit einem Teppich, worüber eine
rote und dann eine durchbrochene weiße Decke
lag, bedeckt wieder in die Mitte geschoben.
Dann stellte der Speisemeister einen Wasserkrug
und einen Weinkrug unter den Tisch.
Petrus und
Johannes holten nun aus dem abgetrennten
Raum des Saals, wo der Osterlammherd war,
den Kelch, den sie aus der Wohnung der Seraphia
dahin gebracht hatten. Sie trugen ihn in
seinem Behälter zwischen sich auf den Händen,
und es war anzusehen, als trügen sie einen
Tabernakel. Sie setzten diesen Behälter
vor Jesus auf den Tisch. Es stand dabei
ein länglich runder Teller mit drei dünnen,
weißlichen Osterbroten, die mit regelmäßigen
Furchen gerippt waren; in der Breite waren
etwa drei solche Bissen, und der Kuchen
war etwa noch einmal so lang wie breit;
die Brote waren bedeckt, und er hatte sie
schon bei der Ostermahlzeit zum Bruch vorgeritzt
und eine Hälfte des dort gebrochenen Brotes
dazu unter die Decke gelegt. Es standen
auch ein Wein- und Wassergefäß da und drei
Büchsen, eine mit flüssigem Öle, eine leer
und ein Spatel.
Das Brotbrechen
und Austeilen und das Trinken aus einem
gemeinsamem Kelch am Schluß des Mahles war
aber schon seit alten Zeiten als ein Zeichen
der Verbrüderung und Liebe bei Willkommen
und Abschied gebräuchlich. Ich meine, es
muß auch in der Schrift davon vorkommen.
Jesus aber erhob es heute zum allerheiligsten
Sakrament. Es war bis jetzt eine vorbildliche
Handlung gewesen. Durch des Judas Verrat
kam unter den Beschuldigungen bei Kaiphas
auch dieses vor: er habe zu den Passahgebräuchen
etwas zugesetzt, das neu sei. Nikodemus
bewies aber aus Schriftrollen, daß diese
Sitte des Abschiedes eine alte sei.
Jesu Stelle
war zwischen Petrus und Johannes; die Türen
waren geschlossen, alles sehr geheim und
feierlich. Als nun die Hülle von dem Kelch
abgenommen und in den abgeteilten Raum des
Saales zurückgetragen wurde, betete Jesus
und sprach sehr feierlich. Ich sah, daß
Jesus ihnen das Abendmahl und die ganze
Handlung auslegte; ich sah es, als ob ein
Priester den andern die heilige Messe lehre.
Er zog hierauf
aus der Platte, worauf die Gefäße standen,
einen Schieber heraus, nahm ein weißes Tuch,
das über dem Kelch hing, herab und breitete
es über die ausgezogene Fläche. Ich sah
ihn dann eine runde Platte von dem Kelch
herabnehmen und auf die bedeckte Fläche
stellen; dann nahm er die auf dem nebenstehenden
Teller liegenden Brote unter ihrer Verhüllung
hervor und legte sie auf die Platte vor
sich hin; die viereckiglänglichen Brote
ragten an beiden Seiten über die Platte,
deren Rand in der Breite jedoch hervorsah.
Hierauf stellte er den Kelch sich etwas
näher und setzte einen kleineren Becher,
der in ihm stand, heraus und die sechs kleinen
Becher, welche den Kelch umgaben, rechts
und links zur Seite. Dann segnete er das
Osterbrot und, ich meine, auch die nahestehenden
Öle und hob nun die Platte mit den Osterbroten
mit beiden Händen empor, schaute gen Himmel,
betete, opferte, setzte die Platte nieder
und deckte sie zu. Hierauf nahm er den Kelch,
ließ sich von Petrus Wein und von Johannes
Wasser, das er segnete, hineingießen und
schöpfte mit dem kleinen Löffel noch ein
wenig Wasser hinein. Nun segnete er den
Kelch und hob auch ihn betend und opfernd
empor und setzte ihn nieder.
Er ließ sich
von Petrus und Johannes Wasser über den
Teller, worauf die Osterbrote gelegen hatten,
auf die Hände gießen, und mit dem Löffel,
den er aus dem Fuß des Kelches genommen,
schöpfte er von dem Wasser, das über seine
Hände gelaufen, auf ihre Hände; dann wurde
diese Schale herumgereicht, und sie wuschen
alle die Hände darin. Ich weiß nicht, ob
alles dies genau so folgte, aber dieses
alles und anderes, was mich sehr an die
heilige Messe erinnerte, sah ich mit großer
Rührung.
Er wurde
unter diesen Handlungen immer inniger und
inniger und sagte: er wolle ihnen nun
alles geben, was er habe, sich selbst;
da war es, als gösse er sich ganz aus
in Liebe, und ich sah ihn ganz durchsichtig
werden; er war wie ein leuchtender Schatten.
Er brach
aber in dieser Innigkeit betend das Brot
in die vorgeritzten Bissen und legte sie
turmförmig auf die Platte; von dem ersten
Bissen brach er mit den Fingerspitzen ein
wenig und ließ es in den Kelch fallen.
In demselben
Augenblick, da er dieses tat, hatte ich
ein Bild, als empfange die heilige Jungfrau
das Sakrament geistlicher Weise, obschon
sie hier nicht anwesend war
⃰
. Ich weiß
jetzt nicht, wie ich dieses sah, aber es
war mir, als sehe ich sie vom Eingang zur
offenen Seite des Tisches heranschweben
und dem Herrn gegenüber das Sakrament empfangen;
dann sah ich sie nicht mehr. Er hatte ihr
am Morgen in Bethanien gesagt, er wolle
sein Passah geistlicher Weise mit ihr feiern
und hatte ihr die Stunde bestimmt, wo sie,
im Gebet abgesondert, es im Geiste empfing.
⃰
Die geistige
Gegenwart der heiligen Jungfrau sah sie
ein andermal so lebhaft, dass sie davon
sprach wie von einer körperlich Statt findenden.
Er betete
und lehrte noch; alle seine Worte gingen
wie Feuer und Licht aus seinem Munde in
die Apostel ein, außer in Judas. Nun aber
nahm er die Platte mit den Bissen, von der
ich nicht mehr bestimmt weiß, ob er sie
auf den Kelch gestellt hatte, und sprach:
«Nehmet hin und
esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben
wird.» Dabei bewegte er seine
Rechte wie segnend darüber; und als er dieses
tat, ging ein Glanz von ihm aus, seine Worte
waren leuchtend und ebenso das Brot, das
wie ein Lichtkörper in den Mund der Apostel
stürzte; es war, als fließe er selbst in
sie hinein; ich sah alle wie von Licht durchdrungen,
nur Judas sah ich finster. Zuerst reichte
er es Petrus, dann dem Johannes;
⃰
nun
winkte er dem Judas, der ihm schräg gegenübersaß,
zu nahen; er war der dritte, welchem er
das heilige Sakrament reichte. Aber es war,
als wiche sein Wort von dem Munde des Verräters
zurück. Ich war so entsetzt, daß ich nicht
mehr genau sagen kann, was ich dabei empfand.
Jesus aber sagte zu ihm:
«Was du tun willst,
das tue bald.» Jesus fuhr fort,
den noch übrigen Aposteln das heilige Sakrament
zu reichen; sie nahten paarweise, und einer
hielt dem andern eine kleine steife gesäumte
Decke unter, die über dem Kelch gelegen
hatte.
⃰
In
der Reihenfolge war sie zu den verschieden
Malen, wo sie das Bild sah, nicht ganz sicher;
einmal kam es ihr vor, als habe Johannes
das heil. Sakrament zuletzt empfangen.
Jesus aber
hob den Kelch bei den beiden Ringen gegen
sein Angesicht empor und sprach die Worte
der Einsetzung hinein. Er war in dieser
Handlung ganz verklärt und wie durchsichtig;
er war in das übergehend, was er gab. Er
ließ Petrus und Johannes aus dem Kelch,
den er in Händen hielt, trinken und setzte
ihn nieder, und Johannes schöpfte mit dem
kleinen Löffel von dem heiligen Blut aus
dem Kelch in die kleinen Becher, die Petrus
den Aposteln hinreichte, welche paarweise
aus einem Becher tranken. Auch Judas hat,
aber ich entsinne mich dessen doch nicht
ganz gewiß, noch den Kelch genossen; er
ging aber nicht an seinen Ort zurück, sondern
verließ gleich das Coenaculum. Die andern,
weil Jesus ihm gewinkt hatte, meinten, er
habe ihm ein Geschäft aufgetragen; er ging
weg ohne Gebet und ohne die Danksagung;
da kannst du sehen, wie übel es bestellt
ist, wenn man ohne Dankgebet vom täglichen
und vom ewigen Brot hinweggeht. Ich hatte
während des ganzen Mahles bei Judas' Füßen
die Gestalt eines kleinen roten Ungeheuers
sitzen sehen, das ihm manchmal bis zum Herzen
hinaufkam; sein einer Fuß war wie ein kahler
Knochen. Als Judas vor der Tür war, sah
ich drei Teufel um ihn; einer fuhr ihm in
den Mund, einer trieb ihn, einer lief vor
ihm her. Es war Nacht; es war, als leuchteten
sie ihm; er lief wie ein Rasender.
Einen Rest
des heiligen Blutes, der in dem Kelch übrig
war, goß der Herr in den kleinen Becher,
der in dem Kelch gestanden; dann hielt er
die Finger über den Kelch und ließ sich
von Petrus und Johannes Wasser und Wein
darüber gießen. Diese Nachspülung ließ er
die beiden wieder aus dem Kelch trinken
und den Rest, abermals in die Becher geschöpft,
an die übrigen Apostel gelangen. Hierauf
trocknete der Herr den Kelch aus, setzte
den Becher mit dem Rest des heiligen Blutes
hinein, stellte die Platte mit dem übrigen
konsekrierten Osterbrot darauf und den Deckel
darüber und deckte das Tuch wieder über
den Kelch, den er auf seine Unterlage zwischen
die kleinen Becher zurückstellte. Ich habe
nach der Auferstehung die Apostel von dem
übrigen des heiligen Sakramentes genießen
sehen.
Ich erinnere
mich nicht, gesehen zu haben, daß der Herr
es selbst genossen, ich müßte es denn übersehen
haben. Als er es gab, gab er sich, so daß
er mir wie ausgeleert und in barmherziger
Liebe ergossen erschien. Es ist dieses unaussprechlich.
Ich habe auch nicht gesehen, daß Melchisedek,
als er Brot und Wein opferte, es selbst
genossen. Ich habe auch gewußt, warum die
Priester es nehmen, da Jesus es nicht nahm.
Während sie dieses sagte, sah sie sich plötzlich
um wie eine Zuhörende; sie erhielt eine Erklärung
darüber, vermochte aber nur folgendes davon
mitzuteilen: «Hätten es Engel gespendet, sie
hätten es nicht empfangen; empfingen es aber
die Priester nicht, so wäre es längst verlorengegangen;
dadurch wird es erhalten.»
Alle Verrichtungen
Jesu während der Einsetzung des heiligen Sakramentes
gingen sehr geregelt und feierlich und doch
lehrend und unterweisend vor sich; auch sah
ich nachher die Apostel sich einiges mit Zeichen
in die kleinen Rollen bemerken, die sie bei
sich trugen. Seine Wendungen rechts und links
waren feierlich wie immer in den Gebetshandlungen.
Alles zeigte den Keim der heiligen Messe. Ich
sah auch die Apostel beim Heranschreiten und
andern Gelegenheiten sich priesterlich gegeneinander
beugen.
Geheimlehren
und Weihungen
Jesus hielt
nun noch eine Geheimlehre; er sagte ihnen,
wie sie das heilige Sakrament fortsetzen
sollten zu seinem Gedächtnis bis ans Ende
der Welt, und lehrte sie das Hauptsächliche
in der Weise des Gebrauches und der Mitteilung,
und auf welche Art sie das Geheimnis desselben
nach und nach lehren und aussprechen sollten,
und wann sie von dem übrigen wieder nehmen,
wann der heiligen Jungfrau es reichen und,
so er ihnen den Tröster gesendet, es selbst
konsekrieren sollten.
Dann aber
lehrte er sie vom Priestertum und der Salbung
und der Bereitung des Chrismas und der heiligen
Öle
⃰
. Es standen
drei Büchsen, zwei mit verschiedenem Balsam
und Öl, und auch Baumwolle bei dem Kelchapparat;
man konnte sie aufeinander stellen. Er lehrte
sie viele Geheimnisse darüber, wie die Salbe
zu mischen, an welchen Stellen des Leibes
sie anzuwenden und bei welchen Gelegenheiten.
Ich erinnere mich unter anderm: als er einen
Fall erwähnt, wo das heilige Abendmahl nicht
mehr anwendbar sei, vielleicht bezog es
sich auf die heilige Ölung; es ist mir jedoch
nicht mehr ganz klar bewußt. Er sprach von
verschiedenen Salbungen, auch von jener
der Könige, und wie selbst ungerechte Könige,
welche gesalbt seien, eine innere geheimnisvolle
Gewalt vor andern besäßen. Er tat aber von
der zähen Salbe und dem Öl in die leere
Büchse und mischte beides; ich weiß nicht
mehr bestimmt, ob der Herr erst hier oder
schon bei der Opferung der Brote das Öl
benedizierte.
⃰
Merkwürdig war es dem Schreiber, einige
Jahre nach dieser Mitteilung in dem lateinischen
Abdruck des Catechismus Romanus (Mainz bei
Müller) S. 231 f. bei Gelegenheit des. heil.
Sakraments der Firmung zu lesen, daß nach
der Überlieferung des heil. Papstes Fabian
zu lehren sei, Jesus habe bei der Einsetzung
des heil. Abendmahles die Apostel in der
Bereitung des Chrismas unterrichtet. Es
sagt nämlich jener Papst am 54stcn Cap.
seiner 2ten Epistel an die Bischöfe des
Orients: „wie unsre Vorgänger von den heil.
Aposteln empfangen und uns zurückgelassen
haben, hat der Herr Jesus Christus an jenem
Tage, nachdem er mit seinen Jüngern das
Abendmahl gehalten und ihnen die Füße gewaschen,
das Chrisma zu bereiten gelehrt.
Ich sah hierauf,
daß Jesus den Petrus und Johannes salbte,
welchen er bei der Einsetzung des heiligen
Sakraments auch von dem Wasser, das über
seine Hände geflossen war, über die ihrigen
gegossen hatte, und die den Kelch, von seiner
Hand gehalten, getrunken hatten.
Er schritt
aus der Mitte des Tisches etwas zur Seite,
legte dem Petrus und Johannes die Hände
zuerst auf die Schultern und dann auf das
Haupt. Sie mußten hierauf die Hände zusammenlegen
und die Daumen kreuzen. Der Herr bestrich
ihnen, die vor ihm sich tief beugten, ich
weiß nicht, ob sie knieten, die Daumen und
ersten Finger mit der Salbe und machte ihnen
damit ein Kreuz auf das Haupt. Er sagte
ihnen auch, dieses solle bis ans Ende der
Welt bei ihnen bleiben. Auch Jakobus der
Jüngere, Andreas, Jakobus der Ältere und
Bartholomäus erhielten Weihen. Ich sah auch,
daß der Herr dem Petrus die schmale Zeugbahn,
welche sie um den Hals trugen, über der
Brust kreuzweise verschlang und den andern
von der rechten Schulter unter dem linken
Arm quer über die Brust legte. Doch weiß
ich nicht mehr bestimmt, ob dieses schon
bei der Einsetzung des heiligen Sakraments
oder erst jetzt bei der Salbung geschah.
Ich sah aber
— wie, das ist unaussprechlich —, daß Jesus
ihnen durch diese Salbung etwas Wesentliches
und zugleich Übernatürliches gab. Er sagte
ihnen auch, nach dem Empfange des Heiligen
Geistes würden sie zuerst Brot und Wein
selbst konsekrieren und auch die andern
Apostel salben. Ich hatte hierbei einen
Blick, wie Petrus und Johannes am Pfingstfest
vor der großen Taufe den andern Aposteln
die Hände auflegten, und daß acht Tage nachher
dasselbe mehreren Jüngern geschah. Ich sah
auch, daß Johannes nach der Auferstehung
Jesu der heiligen Jungfrau zum ersten Male
das heilige Sakrament reichte. Es ist dieses
Ereignis ein Fest der Apostel gewesen; die
Kirche hat es nicht mehr, aber in der triumphierenden
Kirche sehe ich den Tag noch feiern. Auch
in den ersten Tagen nach Pfingsten sah ich
nur Petrus und Johannes das heilige Sakrament
konsekrieren; später geschah es auch von
andern.
Der Herr
weihte ihnen auch Feuer in einem erzenen
Kessel; es glühte immer nachher, auch nach
längerer Abwesenheit, und wurde neben dem
Standort des heiligen Sakraments in einem
Raum des ehemaligen Osterherdes bewahrt,
wo sie es immer zu geistlichem Gebrauch
holten.
Alles, was
Jesus bei der Einsetzung des heiligen Abendmahles
und der Salbung der Apostel tat, geschah
sehr geheim und ward auch nur als Geheimnis
fortgelehrt und ist bei der Kirche bis heutzutage
wesentlich geblieben, jedoch durch Eingebung
des Heiligen Geistes nach ihren Bedürfnissen
erweitert worden.
Bei der Bereitung
und Weihe des heiligen Chrismas taten die
Apostel Handreichungen, und als Jesus sie
salbte und ihnen die Hände auflegte, geschah
es mit Feierlichkeit.
Ob Petrus
und Johannes beide zu Bischöfen
⃰
oder
nur Petrus zum Bischof und Johannes zum
Priester gesalbt wurden und welchen Grad
von Würde die vier andern erhielten, vergaß
die Erzählerin zu bemerken. Die verschiedene
Art, wie der Herr dem Petrus und den andern
die schmale Zeugbahn um den Hals schlang,
scheint auf verschiedene Grade der Weihe
zu deuten.
⃰
Sie sah nach Pfingsten auch von Johannes
die Hände auflegen; daher scheint das Erste
am Glaublichsten.
Nachdem diese
heiligen Handlungen vorüber waren, wurde
der Kelch, wobei auch die geweihten Salben
standen, mit seinem Übersturz bedeckt und
so das heilige Sakrament von Petrus und
Johannes in den hinteren, durch einen in
der Mitte sich öffnenden Vorhang, abgeschiedenen
Raum des Saales getragen, der nun das Allerheiligste
war. Das heilige Sakrament stand über dem
Rücken des Osterlammofens nicht sehr hoch.
Joseph von Arimathia und Nikodemus bewahrten
ihnen das Heiligtum und das Coenaculum immer
in ihrer Abwesenheit.
Jesus hielt
nun noch eine lange Lehre und mehrere Gebete
mit großer Innigkeit; es war oft, als ob
er mit seinem himmlischen Vater spräche;
er war ganz voll Geist und Liebe. Auch die
Apostel waren voll Freude und Eifer und
fragten um Verschiedenes, worauf er ihnen
antwortete. Von diesem allen steht, glaube
ich, manches in der Heiligen Schrift. Er
sprach während dieser Reden einiges zu Petrus
und Johannes, die ihm zunächst saßen, allein,
was sie später in Beziehung auf früher Gesagtes,
was er ihnen anführte, den andern Aposteln
und diese den Jüngern und heiligen Frauen
nach Maßgabe ihrer Reife zu solcher Erkenntnis
mitteilen sollten. Zu Johannes allein aber
sprach er mehreres, wovon ich mich jetzt
nur entsinne, daß er länger als die andern
leben werde und etwas von sieben Kirchen,
von Kronen, Engeln und solchen tiefsinnigen
Bildern, mit welchen er, wie ich glaube,
eine gewisse Zeit bezeichnete. Die andern
Apostel fühlten eine leise Eifersucht bei
diesem einzelnen Vertrauen.
Er sprach
auch einigemal von seinem Verräter und sagte:
jetzt tut er dieses, jetzt tut er jenes
— was Judas eben tat; und da Petrus sehr
eifrig war, er wolle gewiß treu bei ihm
ausharren, sagte Jesus:
«Simon! Simon! Den
Satan gelüstet es nach euch; er möchte euch
wie Weizen sieben; ich habe aber für dich
gebetet, daß dein Glaube nicht nachläßt,
und wenn du nun einmal ganz bekehrt bist,
dann stärke deine Brüder.» Da
aber Jesus sprach,
wo er hingehe, könnten sie ihm nicht
folgen, sagte Petrus,
er wolle ihm bis
in den Tod folgen, und da erwiderte
Jesus: «Wahrlich,
ehe der Hahn dreimal kräht, wirst du mich
dreimal verleugnen.» Als er sie
aber auf die harte Zeit aufmerksam machte,
die bevorstehe, und sie fragte:
wenn ich euch ohne
Beutel, Tasche und Schuhe ausschickte, habt
ihr je Mangel gehabt? Da sagten
sie: «Nein».
Er aber sprach,
jetzt solle jeder, der einen Beutel und
eine Tasche habe, sie nehmen, und wer nichts
habe, der solle sein Kleid verkaufen und
sich ein Schwert anschaffen, denn nun müsse
das auch erfüllt werden: er ist unter die
Übeltäter gerechnet worden. Alles, was von
ihm geschrieben steht, das gehe jetzt zur
Vollendung.
Sie verstanden
das aber leiblicher Weise, und Petrus zeigte
ihm zwei Schwerter; sie waren kurz und breit
wie Hackmesser.
Jesus sagte:
«Es ist genug; laßt uns von dannen gehen.»
Da sprachen sie den Lobgesang; der Tisch
ward zur Seite gestellt, und sie zogen nach
der Vorhalle.
Hier traten seine
Mutter und Maria Kleopha und Magdalena zu ihm
und baten ihn gar flehentlich, nicht nach dem
Ölberg zu gehen; denn es sei ein Gerücht, man
wolle ihn gefangennehmen. Jesus aber tröstete
sie mit wenigen Worten und schritt rasch durch
sie hin; es mochte gegen neun Uhr sein. Sie
zogen schnell nach dem Ölberg, den Weg hinab,
den Petrus und Johannes am Morgen zum Coenaculum
heraufgekommen waren.
--------------------------------
Ich habe zwar
das Ostermahl und die Einsetzung des heiligen
Sakramentes immer so gesehen; ich gab mich aber
sonst der Rührung so hin, daß ich nur einzelne
Teile klar wußte; ich habe es jetzt deutlicher
gehabt; es ist eine unbeschreibliche Mühe; denn
man sieht in jedes Herz hinein und sieht die
Liebe, die Treue des Herrn und weiß alles, was
noch kommt; es ist dann ganz unmöglich, alle
äußeren Handlungen noch dazu genau zu beobachten;
man ist von Bewunderung, Dank und Liebe ganz
aufgelöst, kann das Mißverstehen der andern
nicht begreifen, fühlt den Undank der ganzen
Welt und seine eigene Sünde. — Jesu Osterlammessen
war schnell und ganz richtig nach dem Gesetz;
die Pharisäer hatten hie und da einige Weitläufigkeiten
mehr.
Blick auf
Melchisedek
Als unser
Herr Jesus den Kelch ergriff bei der Einsetzung
des heiligen Sakraments, hatte ich auf einmal
ein Nebenbild aus dem Alten Testament.
Ich sah Abraham
vor einem Altar knien, sah in der Ferne
allerlei Volk mit Tieren und Kamelen kriegerisch
ziehen; sah einen feierlichen Mann neben
Abraham hintreten, der denselben Kelch,
den Jesus in der Hand hatte, vor Abraham
auf den Altar stellte, und ich sah, daß
dieser Mann Scheine wie Flügel an den Schultern
hatte; er hatte sie nicht wirklich, es waren
nur Scheine, um mir anzudeuten, daß er ein
Engel sei. Es ist dieses das erste Mal,
daß ich Flügel an einem Engel sah. Es war
aber Melchisedek. Hinter Abrahams Altar
stiegen drei Rauchwolken auf; die mittelste
gerade und hoch, die beiden andern niedriger.
Ich sah dann
zwei Linien von Gestalten bis auf Jesus.
David und Salomon waren auch darunter; es
war dieses der Stamm bis auf Jesus (ob der
Kelchbesitzer, der Opfernden oder der Geschlechtsstamm,
vergaß sie zu sagen). Ich sah über Melchisedek,
Abraham und einigen Königen Namen, und so
kam ich auf Jesus und den Kelch zurück.
Am
3. April 1821 sagte sie ekstatisch:
Das
Opfer Melchisedeks geschah in dem Tal Josaphat
auf einem Hügel
⃰
; ich kann
die Stelle jetzt nicht finden. Melchisedek
hatte den Kelch schon. Ja, ich sehe, Abraham
mußte von seinem Opfer schon etwas wissen
und auch, daß er kam; denn er baute einen
schöneren und festeren Altar, als ich je
gesehen, und es war eine Laube darüber,
ein Zelt; es war auch wie ein Sakramentshäuschen
darin, wo Melchisedek den Kelch hineinstellte.
Die Becher, woraus er zu trinken gab, waren
wie von Edelstein. Es war auch ein Loch
auf dem Altar, wie ich meine, zum Opfer.
Abraham hatte auch so eine schöne Herde
herbeigeführt.
⃰
Am
5ten Juli 1821 sagte sie: ,,Es geschah in
einem Tale nicht weit von dem Traubental,
das sich gen Gaza zu zieht.''
Merkwürdig ist bei dieser verschiedenen
Angabe, daß Bachiene, Hammelsveld und Andere
ein Tal in dieser Gegend für das Tal Josaphat
halten, weil Josaphat's Feinde durch ein
Gericht Gottes sich hier selbst aufrieben
(2 Chron. 20.), und Josaphat so viel heißt,
als: Gott wird richten. Das Tal aber, wo
Josaphat für den Sieg dankte, war Lobetal
oder vallis benedictionis genannt.— Als
sie am 13ten October des 3ten Lehrjahres
Jesu mehrere Reisewege des Herrn bestimmte,
sagte sie: «er wird auch vorüberkommen,
wo Melchisedek Brot und Wein geopfert; es
steht an der Stelle noch heut zu Tage eine
von rohen Steinen erbaute, ganz verschimmelte
Kapelle; ich meine, es ist auch wohl manchmal
noch Gottesdienst da." Der damalige Weg
des Herrn berührte aber jene Gegend von
Gaza.
Als Abraham
früher das Geheimnis der Verheißung empfing,
wurde ihm auch eröffnet, daß der Priester
des Allerhöchsten das Opfer vor ihm feiern
werde, das durch den Messias eingesetzt
und zu ewigen Zeiten dauern würde.
Er war darum
voll Ehrfurcht und Erwartung, als Melchisedek
durch ein paar laufende Boten, deren er
sich oft bediente, seinen Besuch anmelden
ließ. Darum baute er auch den Altar schön
und machte eine so schöne Laubhütte darüber.
Ich sah auch,
daß Abraham einige Gebeine von Adam, wie
immer beim Opfer, auf dem Altar aufstellte;
Noah hatte sie schon in der Arche gehabt;
sie flehten dabei Gott an, die Verheißung
zu erfüllen, welche er diesen Gebeinen getan;
diese aber war der Messias. Abraham sehnte
sich nach dem Segen Melchisedeks.
Es waren auf dem Feld umher viele Leute und
Tiere, Päcke und Lasten, und der König von Sodom
war bei Abraham im Zelt. Alles war still und
feierlich umher. Melchisedek kam von dem nachmaligen
Jerusalem her; er hatte dort Wald geebnet und
mehrere Gebäude gegründet; ein halbzirkelförmiges
war halb vollendet und ein Palast angefangen.
Er kam mit einem grauen Lasttier; es war kein
Kamel, auch nicht wie unsere Esel; es hatte
einen kurzen, breiten Hals und war sehr schnell.
Es war breit beladen; auf der einen Seite trug
es ein großes Gefäß mit Wein, das an der Seite
platt war, wo es gegen den Leib des Tieres lag.
Auf der andern Seite trug es einen Kasten, worin
flache, nebeneinanderstehende Brote mit allerlei
Gefäßen waren. Die Becher, wie kleine Fäßchen
gestaltet, waren durchsichtig wie Edelsteine,
nicht wie Gold und Silber. Abraham ging ihm
entgegen. Ich sah Melchisedek in die Laube hinter
den Altar treten, Brot und Wein emporhebend
opfern, segnen und brechen; die Feier hatte
etwas von der heiligen Messe. Abraham empfing
weißeres Brot als die anderen und trank aus
dem nachmaligen Einsetzungskelch (es war aber
noch kein Fuß daran). Es ward nachher in kleinen
Bechern Wein von den vornehmsten Anwesenden
dem Volke umher verteilt und auch Brotbissen.
Es war nicht
konsekriert, Engel können nicht konsekrieren,
aber es war gesegnet, und ich sah es leuchten,
alle, die es empfingen, waren erquickt und zu
Gott erhoben.
Abraham ward
auch von Melchisedek gesegnet; ich sah, daß
dieses ein Vorbild sei, als weihe er ihn zum
Priester; denn Abraham hatte das Geheimnis der
Verheißung schon, daß aus ihm das Fleisch und
Blut des Messias hervorgehen sollte; und ich
hatte mehrmals die Weisung, daß Melchisedek
dem Abraham prophetisch auf den Messias und
dessen Opfer die Worte bei diesem Segen zu erkennen
gab: Der Herr sprach
zu meinem Herrn: setze dich zu meiner Rechten
⃰
, bis ich meine Feinde
zum Schemel deiner Füße lege. Der Herr hat es
geschworen, und es wird ihn nicht gereuen: Du
bist ein Priester ewiglich nach der Ordnung
Melchisedeks. Ich sah auch, daß David,
als er diese Worte im Psalm schrieb, ein Gesicht
vom Segen Melchisedeks über Abraham hatte.
⃰
Über
das Wort: es sprach der Herr zu meinem Herrn,
setze Dich zu meiner Rechten, äusserte sie:
Die rechte Seite hat eine grosse, geheimnisvolle
Bedeutung. Wenn mir die ewige Geburt des Sohnes
aus dem Vater in Bildern von der allerheiligsten
Dreifaltigkeit in förmlicher unaussprechlicher
Weise in Figuren gezeigt wird, sehe ich den
Sohn in der Rechten des Vaters; ich sehe dann
die Figur, die Moses im brennenden Dornbusch
sah; ich sehe diese in einem Lichtfang, der
dreieckig ist, wie man das Auge Gottes abbildet;
und den heiligen Geist sehe ich im oberen Winkel
dieses Dreiecks. Man kann dieses nicht ausdrücken;
aber sobald es sich figürlich zur Anschauung
des armen Menschen herablässt, erscheint es
in der Rechten. Eva sah ich aus der Rechten
Adams genommen; die Menschen ohne Sündenfall
würden aus der Rechten genommen sein. In der
Rechten sehe ich die Altväter den Segen der
Verheissung tragen. Sie stellten die Kinder,
die sie segneten, zur Rechten. Die rechte Seite
Christi wurde mit einer Lanze geöffnet. In Gesichten
sieht man die Kirche aus dieser Wunde der rechten
Seite hervorwachsen, und in diese Kirche eingehend,
geht man durch des Erlösers Rechte ein, um durch
ihn und in ihm zum Vater zu gelangen.
Ich sah aber,
daß Abraham bei dem Empfang des Brotes und Weines
prophezeite und ungefähr so viel sagte als:
hierbei scheidet, was Moses den Leviten gibt;
ich verstand nämlich, daß er Moses und die Leviten
prophetisch meinte.
Ob Abraham dieses
Opfer auch je selbst geopfert hat, weiß ich
jetzt nicht. Ich sah, daß Abraham nachher den
Zehnten gab von Vieh und von seinen Schätzen;
ich weiß nicht, was Melchisedek damit machte;
ich glaube, er teilte es wieder aus.
Melchisedek erschien
nicht alt; er war schlank, groß, ungemein ernst
und sanft; er hatte ein langes, weißes Gewand
an, so weiß, wie ich kein irdisches Kleid gesehen;
Abrahams weißes Gewand schien trüb dagegen.
Es schien ganz wie leuchtend; er legte einen
Gürtel mit Buchstaben um und setzte eine weiße,
gefältete Mütze auf den Kopf bei seinem Opfer
wie die Priester nachher, die noch nicht waren.
Seine Haare waren lang und hellblond, wie lichte,
lange Seide; er hatte einen kleinen gespaltenen,
spitzen, weißen Bart, sein Antlitz glänzte.
Alles war voll Ehrfurcht gegen ihn, seine Gegenwart
machte alles still und ernst. Es wurde mir gesagt:
er sei ein priesterlicher Engel und Bote Gottes.
Er war gesendet, allerlei heilige Einrichtungen
zu machen; er führte Völker, versetzte Stämme,
gründete Orte. Ich habe ihn viel früher als
Abraham hie und da vorbereitend gesehen, nachher
nicht mehr.
---------------------------------
DAS BITTERE LEIDEN
UNSERES
HERRN JESUS CHRISTUS
nach Schauungen
in der heiligen Fastenzeit des Jahres 1823
Beginn der
folgenden Mitteilungen
Am Abend
des 18. Februar 1823 nahte ein Freund dem
Lager der schlafenden Kranken; von dem edlen,
ernsten Leidensausdruck ihres Angesichtes
gemahnt, opferte er in einer kurzen Gemütserhebung
das Leiden des Herrn in Vereinigung der
Leiden aller, die ihm je ihr Kreuz nachgetragen,
dem Vater im Himmel auf. Als er in dieser
inneren Gebetsreflexion einen Moment auf
ihre mit den Wundmalen bezeichneten Hände
blickte, versteckte sie dieselben so plötzlich
zuckend unter der Decke, als würde sie darauf
geschlagen. Überrascht fragte er: «Was fehlt
Ihnen?», und die Kranke erwiderte mit bedeutsamer
Betonung: «Sehr vieles!» Während der Fragende
über den Sinn dieser Antwort nachdachte,
schien sie eine Viertelstunde lang in tiefem
Schlaf; aber plötzlich richtete sie sich
mit der Lebhaftigkeit einer heftig Streitenden
in die sitzende Stellung auf, streckte die
beiden Arme mit geballter Faust, wie einen
Feind zurückstoßend, drohend gegen die linke
Seite ihres Lagers und stieß eifrig zürnend
die Worte aus: «Was willst du mit dem Schuldbrief
von Magdalum?» Der Anwesende, der gar nicht
begriff, was dieses heißen könnte, fragte
verwundert: «Wer will denn etwas mit einem
Schuldbrief von Magdalum?», und nun erwiderte
sie mit der Heftigkeit einer im Streit Begriffenen,
welche eine unterbrochene Frage über die
Ursache des Streites beantwortet: «Ei! Da
kommt der Verfluchte, der Lügner vom Anfang,
der Satan, und hält ihm den Schuldbrief
von Magdalum und noch andere Schuldbriefe
vor und spricht, er habe alles dieses vergeudet!»
Auf die Frage: «Wer habe dies vergeudet?
Zu wem wird dieses gesagt?» erwiderte sie:
«Ei, zu Jesus, meinem Bräutigam am Ölberg»,
und nun wendete sie sich wieder zu ihrem
Gegner, mit drohender Gebärde nach der linken
Seite sprechend: «Was willst du, Vater der
Lüge, mit dem Schuldbrief von Magdalum?
— Hat er nicht in Thirza 27 arme Gefangene
mit dem Kaufschilling von Magdalum ausgelöst?
— Ich selbst habe es ja gesehen, und nun
sagst du, er habe dieses Gut zerstört, das
Weib und die Bewohner vertrieben und den
Wert verschleudert! Aber harre, du Elender,
du Verfluchter, du sollst gebunden und gewürgt
werden, sein Fuß soll dir das Haupt zertreten.»
Hier unterbrach der Eintritt einer anderen
Person ihre Äußerungen, man glaubte etwa,
sie habe deliriert, und bedauerte ihre Krankheit,
sie nahm es dankbar an. Am folgenden Morgen
ergab sich, daß sie an diesem Abend die
Betrachtung gehabt, als folge sie dem Herrn
nach der Einsetzung des heiligen Sakramentes
an den Ölberg und sehe seine Beängstigung
in den ersten 1 ½ Stunden daselbst klarer
als jemals. Es sei ihr aber gewesen, als
blicke jemand die Male ihrer Hände mit einer
Ehrerbietung an, was ihr in Gegenwart des
Herrn so besonders verkehrt erschienen,
daß sie, die Hände versteckend, gesagt habe,
es fehle ihr noch sehr vieles dazu, daß
man ihrer in solchen Ehren gedenken dürfe.
Sie erzählte nun diese Betrachtung vom Ölberg,
und da sich diese Mitteilungen Tag für Tag
fortsetzten, sammelten sich die hier folgenden
Passionsbilder. Indem sie aber in der Fastenzeit
zugleich die Kämpfe des Herrn in der Wüste
feierte, kam auch über sie Leiden und Versuchung
und erlitt die Erzählung einzelne Lücken,
welche jedoch durch ihre früher niedergeschriebenen
fragmentarischen Mitteilungen und täglichen
Betrachtungen über das Leiden Jesu leicht
ergänzt wurden.
Sie sprach
gewöhnlich niederdeutsch, im ekstatischen
Zustand oft auch eine reinere Mundart; ihre
Mitteilung wechselte zwischen Kindlichkeit
und Begeisterung. Alles Gehörte, das unter
behinderten Verhältnissen in ihrer Gegenwart
sehr selten kaum in wenigen Zügen notiert
werden konnte, ward unmittelbar zu Hause
aufgeschrieben. Der Geber alles Guten gab
Gedächtnis, Fleiß und jene Gemütserhebung
über viele Leiden, welche die Arbeit möglich
machten, wie sie ist. Der Schreiber tat,
was er konnte, und in diesem Bewußtsein,
den genügsamen Leser um ein Gebetsalmosen
ansprechend an.
Jesus am
Ölberg
Als Jesus
nach der Einsetzung des allerheiligsten
Sakraments des Altares das Coenaculum auf
dem Berge Sion mit den elf Aposteln verließ,
war seine Seele schon betrübt, und diese
Trauer stieg immer mehr. Er führte die Elf
auf einem Umweg in das Tal Josaphat, dem
Ölberg zu. Als sie vor das Tor kamen, sah
ich den Mond, noch nicht ganz voll, über
dem Gebirge aufsteigen. Im Tale Josaphat
mit ihnen wandelnd, sagte der Herr: Hierher
werde er, aber nicht so arm und ohnmächtig
wie jetzt, wieder kommen an jenem Tag, die
Welt zu richten; alsdann würden sich andere
fürchten und rufen: ihr Berge bedeckt uns.
Die Jünger aber verstanden ihn nicht und
meinten, wie oft an diesem Abend, er rede
irr aus Schwäche und Ermattung. Sie gingen
manchmal, und dann standen sie wieder, mit
ihm sprechend. Er sagte auch: «Ihr werdet
euch alle an mir ärgern in dieser Nacht,
denn es steht geschrieben: ‹Ich will den
Hirten schlagen, und die Schafe der Herde
sollen zerstreut werden.› Wenn ich aber
werde auferstanden sein, will ich euch voraus
nach Galiläa gehen.»
Die Apostel
waren durch den Empfang des heiligsten Sakramentes
und die liebevolle, feierliche Rede Jesu
nachher noch voller Begeisterung und Innigkeit.
Sie drängten sich dicht um ihn und sprachen
auf verschiedene Weise ihre Liebe aus und
wie sie ihn nicht verlassen könnten und
würden. Da Jesus aber davon zu sprechen
fortfuhr, sagte Petrus: «Und wenn sich alle
an dir ärgern, so will ich mich doch nicht
an dir ärgern.» Hierauf erwiderte der Herr:
«Wahrlich, ich sage dir, gerade du wirst
mich dreimal verleugnen in dieser Nacht,
ehe der Hahn kräht.» Petrus aber wollte
dies auf keine Weise zugestehen und sagte:
«Und wenn ich auch mit dir sterben müßte,
will ich dich doch nicht verleugnen.» So
auch sprachen alle anderen. Sie wandelten
und standen abwechselnd, und Jesus nahte
immer mehr seiner Schwermut. Sie aber wollten
ihm die Betrübnis immer wieder menschlicherweise
ausreden und ihn des Gegenteils versichern.
In der Vergeblichkeit und in dem Eigensinn
dieses Tuns aber ermüdeten sie, begannen
zu zweifeln und gingen bereits in Versuchung
über.
Sie überschritten
den Bach Kidron nicht auf der Brücke, über
welche Jesus später gefangen geführt wurde,
sondern auf einer andern, denn sie hatten
einen Umweg gemacht. Gethsemane am Ölberg,
wohin sie gingen, ist gerade eine halbe
Stunde vom Coenaculum. Es ist nämlich vom
Coenaculum bis vor das Tor in das Tal Josaphat
eine Viertelstunde und von hier nach Gethsemane
ebensoweit. Dieser Ort, wo Jesus in den
letzten Tagen einigemal mit den Jüngern
übernachtete und sie lehrte, besteht aus
einigen leerstehenden, offenen Herbergshäusern
und einem großen umzäunten Lustgarten, der
ganz mit edlem Gesträuch und vielen Fruchtbäumen
angebaut ist. Mehrere Leute und auch die
Apostel hatten den Schlüssel zu diesem Garten,
welcher ein Erholungs- und Gebetsort ist.
Es wurden auch manchmal von Leuten, die
keine eigenen Gärten hatten, Feste und Mahlzeiten
hier veranstaltet. Es sind mehrere dichte
Laubhütten darin, in deren einer acht von
der Begleitung Jesu heute zurückblieben,
zu denen sich nachher noch andere Jünger
gesellten. Der Ölgarten liegt vom Garten
Gethsemane durch einen Weg getrennt und
zieht sich mehr den Ölberg hinan. Er ist
offen, nur mit einem Erdwall umzogen, kleiner
als der Lustgarten von Gethsemane, ein mit
Höhlen und Terrassen und vielen Ölbäumen
versehener Bergwinkel. An der einen Seite
ist er mehr gepflegt mit Sitzen und Ruhebänken
und größeren aufgeräumten Höhlen. Es kann
sich hier, wer will, einen Platz zu Gebet
und Betrachtung einrichten. Wo Jesus zu
beten hinging, ist der Garten wilder.
Es war ungefähr
9 Uhr, als Jesus mit den Jüngern nach Gethsemane
kam. Auf der Erde war es düster, der Himmel
war mondhell. Jesus war sehr traurig und
verkündete die Nähe der Gefahr. Die Jünger
waren bestürzt darüber, und er sagte zu
acht von seinen Begleitern im Garten von
Gethsemane, wo eine Art Lusthaus von Laubwerk
ist: «Bleibt hier, während ich an meinen
Ort zu beten gehe.» Den Petrus, Johannes
und Jakobus den Älteren nahm er mit sich
und ging über einen Weg einige Minuten weiter
in den Ölgarten am Fuße des Berges hinan.
Er war unbeschreiblich traurig; er fühlte
die ihm nahende Angst und Versuchung. Johannes
fragte ihn, wie er, der sie sonst immer
getröstet, nun so bange sein könne. Da sagte
er: «Meine Seele ist betrübt bis zum Tode,»
und er blickte umher und sah sich von allen
Seiten Angst und Versuchung, wie Wolken
voll schrecklicher Bilder, nahen, und da
war es, wo er den drei Aposteln sagte: «Bleibet
hier und wachet mit mir, betet, auf daß
ihr nicht in Versuchung fallet», und sie
blieben an dieser Stelle. Jesus ging noch
etwas vorwärts, aber die Schreckensbilder
drangen dermaßen zu ihm heran, daß er tief
geängstigt links von den Aposteln hinabging
und sich unter dem Felsenüberhang, über
welchem sie rechts in einer Vertiefung geblieben
waren, in eine etwa sechs Fuß tiefe Höhle
verbarg. Der Boden senkte sich sanft in
diese Höhle, und es ging vom überragenden
Felsen so vieles Gesträuch über den Eingang
nieder, daß man hier nicht bemerkt werden
konnte.
Als Jesus sich
von den Jüngern trennte, sah ich rings einen
weiten Kreis von Schreckensbildern heranziehen
und sich immer mehr um ihn verengen. Seine Trauer
und Angst wuchsen, und er zog sich zagend in
die Höhle zurück, gleich einem, der, von einem
furchtbaren Ungewitter verfolgt, ein Obdach
sucht, um zu beten; aber ich sah alle die drohenden
Bilder ihm in die Höhle nachfolgen und immer
deutlicher und deutlicher werden. Ach! es war,
als umfasse diese enge Höhle die Greuel- und
Angstbilder aller Sünden und ihrer Last und
ihrer Strafe, vom Fall der ersten Menschen bis
zum Ende der Welt; denn hier am Ölberge kamen
auch Adam und Eva, aus dem Paradies vertrieben,
zuerst auf die unwirtbare Erde herab, und hier
in dieser Höhle haben sie getrauert und gezagt.
Ich fühlte deutlich, daß Jesus, sich seinem
bevorstehenden Leiden hingebend und sich der
göttlichen Gerechtigkeit zur Genugtuung für
die Sünden der Welt aufopfernd, gewissermaßen
seine Gottheit mehr in die Heilige Dreifaltigkeit
zurückzog, um sich aus unendlicher Liebe in
seiner reinsten, fühlendsten, wahrhaftigsten,
unschuldigen Menschheit, bloß mit der Liebe
seines menschlichen Herzens gerüstet, der Wut
aller Angst und Leiden hinzugeben für die Sünden
der Welt. Für die Wurzel und Entfaltung aller
Sünde und bösen Lust genugzutun, nahm der barmherzigste
Jesus aus Liebe zu uns Sündern die Wurzel aller
reinigenden Sühnung und heilenden Peinen in
sein Herz auf und ließ dies unendliche Leiden
zur Genugtuung für unendliche Sünden wie einen
tausendarmigen Baum von Schmerzen alle Glieder
seines heiligen Leibes, alle Sinne seiner heiligen
Seele durchdringen und durchwachsen. Also ganz
seiner Menschheit hingegeben, fiel er, in unendlicher
Trauer und Angst zu Gott flehend, auf sein Angesicht
nieder, und er sah alle Sünden der Welt und
ihre innere Scheußlichkeit in unzähligen Bildern
und nahm sie alle auf sich und erbot sich in
seinem Gebet, der Gerechtigkeit seines himmlischen
Vaters, für alle diese Schuld leidend, genugzutun.
Der Satan aber, der sich in furchtbarer Gestalt
zwischen allem diesem Greuel mit grimmigem Hohn
bewegte, erbitterte immer heftiger gegen Jesus
und rief, immer schrecklichere Sündenbilder
der Welt vor seiner Seele vorüberführend, wiederholt
der Menschheit Jesu zu: «Wie! auch dies willst
du auf dich nehmen, auch hierfür willst du die
Strafe erleiden? Wie kannst du für dieses genug
tun?»
Jedoch von der
Weltgegend zwischen 10 und 11 Uhr morgens her
strahlte vom Himmel eine schmale Lichtbahn zu
Jesus, und ich sah eine Reihe von Engeln in
derselben von oben bis zu ihm nieder erscheinen,
von welchen ihm Kraft und Stärkung zuströmte.
Der übrige Raum der Höhle war ganz von den Schrecken
und Greuelbildern der Sünde und von dem Hohn
und der Anfechtung der bösen Geister erfüllt.
Jesus nahm alles dieses auf sich, er fühlte
als das einzige Gott und die Menschen vollkommen
liebende Herz mitten in dieser Wüste des Abscheulichen
den Greuel und die Last aller Sünden mit Entsetzen
und zerreißsender Trauer. Ach! ich sah da so
vieles, ein Jahr würde nicht zureichen, es auszusprechen.
Als nun die
ganze Masse der Schuld und Sünden in einem
Meere von Greuelbildern an der Seele Jesu
vorübergegangen war, und er sich für alles
als Sühnopfer dargeboten und alle Pein und
Strafe auf sich herabgefleht hatte, brachte
der Satan wie damals in der Wüste unendliche
Versuchungen über ihn; ja er erhob eine
Reihe von Beschuldigungen gegen den reinsten
Heiland selbst. «Wie?», sagte er zu ihm,
«du willst dieses alles auf dich nehmen
und bist doch selbst nicht rein? Sieh! hier
und hier und hier», und nun rollte er allerlei
erdachte Schuldbriefe vor ihm auf und hielt
sie ihm mit höllischer Frechheit unter die
Augen. Er beschuldigte ihn aller Fehler
seiner Jünger, aller Ärgernisse, die sie
gegeben, aller Verwirrung und Unordnung,
die er durch die Trennung von den alten
Gebräuchen in die Welt gebracht habe. Der
Satan tat wie der feinste, arglistigste
Pharisäer: er beschuldigte ihn der Veranlassung
des Kindermordes des Herodes, der Not und
Gefahr seiner Eltern in Ägypten, der Nichtrettung
Johannes des Täufers vom Tode, der Auflösung
vieler Familien, des Schutzes verworfener
Menschen, der nicht erfolgten Heilung mancher
Kranken, der Beschädigung der Gergesener,
weil er den Besessenen gestattet, ihre Getränkkufe
umzustürzen,
⃰
und
den Untergang ihrer Schweineherde im See
veranlaßt habe; er beschuldigte ihn der
Schuld Maria Magdalenas, weil er ihren Rückfall
in Sünde nicht verhinderte, der Vernachlässigung
seiner Familie und des Vergeudens von fremden
Gütern; kurz, alles, was der Versucher einem
gewöhnlichen Menschen, der ohne höhere Veranlassung
solche äußerliche Handlungen vollbracht
hätte, auf dem Todeswege vorwerfen könnte,
brachte der Satan hier vor die zagende Seele
Jesu, um ihn zu erschüttern; denn es war
ihm verborgen, daß Jesus der Sohn Gottes
war, und er versuchte ihn als einen unbegreiflich
gerechtesten Menschen. Ja, es gab sich unser
göttlicher Erlöser dermaßen seiner heiligen
Menschheit hin, daß er auch jene Versuchung
über sich zuließ, welche heilig sterbende
Menschen in bezug auf den inneren Wert ihrer
guten Werke anzufechten vermag. Er ließ
es zu, um den Kelch des Vorleidens ganz
zu erschöpfen, daß der Versucher, dem seine
Gottheit verborgen war, ihm alle Werke seiner
Wohltätigkeit als ebenso viele der Gnade
Gottes noch nicht getilgte Verschuldungen
vorrückte. Der Versucher warf ihm vor, wie
er für andre Schulden tilgen wolle, da er,
selbst verdienstlos, Gott für die Gnade
für mancherlei sogenannte gute Werke noch
genugzutun habe. Die Gottheit Jesu ließ
es zu, daß der böse Feind seine Menschheit
so versuchte, wie er einen Menschen versuchen
könnte, der seinen guten Werken einen eigenen
Wert außer dem alleinigen, den sie aus ihrer
Vereinigung mit den Verdiensten des Erlösungstodes
unseres Herrn und Heilands gewinnen können,
zuschreiben möchte. So rückte ihm denn der
Versucher alle Werke seiner Liebe als verdienstlos
an sich und als Schulden gegen Gott vor
und als deren Wert gewissermaßen auf die
Verdienste seines noch nicht vollendeten
Leidens, dessen Würde der Versucher noch
nicht kannte, vorausgenommen und daher noch
nicht für die Gnade zu diesen Werken genug getan.
Er zeigte ihm für alle seine guten Werke
Schuldbriefe vor und sagte, auf diese hindeutend:
«Auch für dieses und dieses Werk bist du
noch verschuldet.» — Endlich rollte er auch
noch einen Schuldbrief vor Jesus auf, daß
er die Verkaufssumme für Maria Magdalenas
Gut in Magdalum von Lazarus empfangen und
ausgegeben habe, und sagte zu ihm: «Wie
durftest du fremdes Eigentum vergeuden und
die Familie dadurch schädigen?» Ich habe
die Vorstellungen von allem gesehen, zu
dessen Sühnung der Herr sich erbot, und
die Last vieler Beschuldigungen, die der
Versucher ihm machte, mitgefühlt; denn unter
den Bildern der Sünden der Welt, die der
Heiland auf sich genommen, sah ich auch
meine eigenen vielen Sünden, und aus dem
Kreise der Versuchungen floß auch ein Strom
auf mich, in welchem mir alle Mängel meines
Tuns und Lassens beängstigend vorgerückt
wurden. Ich blickte jedoch in dieser Teilnahme
immer auf meinen himmlischen Bräutigam,
ich rang und betete mit ihm und wendete
mich mit ihm zu den tröstenden Engeln. Ach!
der Herr krümmte sich gleich einem Wurme
unter der Last seiner Trauer und Angst!
⃰
In
ihren Betrachtungen des täglichen Lehrwandels
Jesu sah sie Mittwoch 11ten Dezember 1822,
ihrer Angabe nach ungefähr am 22ften Easleu
des zweiten Lehrjahres Jesu, wie der Herr
den Teufeln aus den besessenen Gergesenern
in eine Herde Schweine zu fahren zulässt.
Sie sah aber dabei den besondern Umstand,
dass diese Besessenen vorher eine grosse
schwere Kelterkufe voll berauschenden Gebräues,
welches die Gergesener an jenem Orte stehen
hatten, umstürzten.
Während aller
dieser Beschuldigungen des reinsten Erlösers
mußte ich mich immer mit der größten Anstrengung
zurückhalten; ich war so ergrimmt gegen
den Satan. Als er aber den Schuldbrief wegen
der Verwendung der Verkaufssumme von Magdalenas
Gut vorbrachte, vermochte ich meinen Eifer
nicht mehr zu bändigen und fuhr ihn an:
wie er die Verkaufssumme von Magdalenas
Gut in Magdalum Jesus als eine Schuld vorrücken
könne? Ich selbst
⃰
hätte
ja gesehen, wie der Herr mit dieser ihm
von Lazarus zu Werken der Barmherzigkeit
übergebenen Summe sieben und zwanzig arme,
Schulden halber gefangene, ganz verlassene
Leute aus den Gefängnissen zu Thirza ausgelöst
habe.
⃰
Diese
Äusserung gründet sich darauf, dass sie
in ihren den Lehrwandel Jesu Tag für Tag
begleitenden Betrachtungen Dienstag den
28ten Jenner 1823, ihrer Angabe nach ungefähr
den 11ten Schebath des 2ten Lehrjahres,
den Herrn 27 gefangene Schuldner aus einem
Gefängnisse, welches römische Besatzung
hatte, zu Thirza loskaufen sah, wie dieses
die Tagebücher ihrer Betrachtungen ausführlich
enthalten.
Anfangs kniete
Jesus ruhig in betender
Stellung,
später
aber
erschrak
seine Seele vor der Menge und Abscheulichkeit
der Sünden und des
menschlichen
Undanks gegen Gott, und es überfiel ihn
eine so zermalmende
Trauer und Herzensangst, daß er zitternd
und zagend flehte:
«Abba, Vater! Ist
es möglich, so gehe dieser Kelch an mir
vorüber!
Mein Vater! dir ist
alles
möglich! Nimm diesen Kelch von mir!»
Dann faßte er sich
wieder und sagte:
«Doch nicht wie
ich will, sondern was du willst.»
Aber sein
Wille
und des Vaters
Wille
waren
eins, er jedoch,
den Schwächen der Menschheit
hingegeben,
erbebte vor dem Tode.
Die
Höhle um ihn her sah ich von Schreckgestalten
erfüllt,
alle Sünde, alle Bosheit, alle Laster, alle
Pein, aller Undank, die ihn beängstigten,
und die Schrecken des Todes, die
menschliche Furcht vor der Größe
der sühnenden Pein sah ich ihn in den schauderhaftesten Gespenstbildern umdrängen
und anfahren. Er fiel hin und her und
rang die Hände. Angstschweiß bedeckte
ihn, er zitterte und bebte. Er richtete sich auf, seine Knie schwankten
und trugen ihn kaum,
er war ganz entstellt und schier unkenntlich,
seine Lippen waren bleich,
seine Haare
stiegen
empor.
Es war etwa ½ 11 Uhr, als er sich erhob
und schwankend und öfters niederfallend,
von Schweiß gebadet, zu den drei Jüngern
mehr hinwankte als ging.
Er begab sich links von der Höhle hinauf
und über derselben hinweg zu einer Terrasse,
an
welcher
sie,
nebeneinander
auf den Arm gelehnt, den Rücken des einen
gegen die Brust des andern gekehrt, vor
Müdigkeit, Kummer und Angst in Versuchung
entschlafen waren. Jesus kam zu ihnen, teils
wie ein schwer Beängstigter, den der Schrecken
zu seinen Freunden treibt, teils wie ein
treuer Hirt, der,
selbst
aufs
äußerste erschüttert, nach seiner
Herde sieht,
die er in Gefahr weiß, denn er
wußte, daß auch sie in Angst und
Versuchung waren. Ich sah aber die
Schreckgestalten
ihn
auch
auf diesem kurzen Wege umgeben.
Als er sie schlafend fand, rang er
die Hände und sank vor Trauer und
Ermattung
auf sie nieder und sagte:
«Simon, schläfst du?» Da erwachten
sie und richteten
ihn auf, und er sagte in seiner
Verlassenheit:
«Also konntet ihr nicht einmal eine Stunde
mit mir wachen?» Und als
sie ihn so ganz entsetzt und entstellt,
bleich,
schwankend, von Schweiß durchnäßt, zitternd
und bebend und
mit
matter
Stimme
jammernd fanden, wußten
sie nicht ganz, was sie denken sollten,
und wäre er ihnen nicht
mit
einem
ihnen wohlbekannten Licht umgeben
erschienen,
sie
hätten Jesus nicht in ihm
erkannt. Johannes sagte da zu
ihm: «Meister! was geschieht dir! Soll ich die andern Jünger rufen,
sollen wir fliehen?»
Jesus aber erwiderte:
«Wenn ich auch nochmal
dreiunddreißig Jahre lebte, lehrte
und heilte, reichte es nicht hin,
was ich bis morgen erfüllen muß. Rufe die
acht nicht, ich habe sie dort entlassen,
weil sie nicht vermögen, mich in diesem
Elend zu sehen, ohne sich zu ärgern an mir,
sie
würden in Versuchung fallen, vieles vergessen
und zweifeln an mir. — Ihr aber habt den
Menschensohn
verklärt gesehen, so mögt ihr ihn auch sehen
in seiner Verfinsterung und ganzen Verlassenheit.
Aber wachet und betet, auf daß ihr nicht
in Versuchung
fallet;
der Geist ist willig, aber
das
Fleisch ist schwach.»
Er sagte
dieses von ihnen und von sich. Er wollte
sie zur Ausdauer ermahnen und ihnen den
Kampf seiner menschlichen Natur gegen den
Tod und die Ursache seiner Schwäche verkünden.
— Er sprach in großer Betrübnis noch mehreres
und war etwa ¼ Stunde bei ihnen, ehe er
sie verließ. Er kehrte mit wachsender Angst
in die Höhle zurück; sie aber streckten
ihm die Hände nach, weinten, sanken sich
in die Arme, fragten sich: «Was ist das,
was geht mit ihm vor? Er ist ganz verlassen!»
Und dann begannen sie zu beten mit verhülltem
Haupt, in großer Betrübnis. Alles Vorhergehende
füllte etwa anderthalb Stunden seit seinem
Eingang in den Ölgarten aus. In der Schrift
sagt Jesus zwar: «Konntet ihr nicht eine
Stunde mit mir wachen?» Dieses ist aber
nicht nach unserem Zeitmaß zu nehmen. Die
drei Apostel, welche bei Jesus waren, hatten
anfangs gebetet, waren dann eingeschlafen,
denn sie waren durch misstrauendes Gerede
in Versuchung gefallen. Die acht Apostel
aber, welche am Eingang zurückgeblieben
waren, schliefen indessen nicht, die Angst
Jesu in allen seinen letzten Äußerungen
an diesem Abend machte sie höchst unruhig,
und sie strichen am Ölberg umher, um sich
Schlupfwinkel aufzusuchen.
In Jerusalem
war wenig Lärm an diesem Abend, die
Juden waren in ihren Häusern mit Zubereitungen
zum Fest beschäftigt. Die Lager der
Ostergäste waren nicht in der Nähe des
Ölbergs. Ich sah, indem ich die Wege
hin und her machte, hie und da Jünger
und Freunde Jesu miteinander gehen und
reden. Sie schienen beruhigt und erwartungsvoll.
Vom Coenaculum war die Mutter des Herrn
mit Magdalena, Martha, Maria Chleophä,
Maria Salome und Salome nach dem Hause
der Maria Markus und dann, von Gerüchten
beunruhigt, mit den Freundinnen vor
die Stadt gegangen, um Nachricht von
Jesus zu erhalten. Hier nun kamen Lazarus,
Nikodemus, Joseph von Arimathia und
einige Verwandte von Hebron zu ihnen
und suchten sie in ihrer großen Angst
zu beruhigen, denn obschon diese Freunde
von den ernsten Reden Jesu im Coenaculum
teils durch die persönliche Gegenwart
einiger aus ihnen in den Seitengebäuden,
teils durch die Jünger unterrichtet
waren, so hatten sie sich doch bei bekannten
Pharisäern befragt und von näheren Schritten
gegen unseren Herrn nichts gehört. Sie
sagten daher, die Gefahr sei nicht so
groß, so nahe vor dem Fest werde man
sich wohl nicht an dem Herrn vergreifen;
sie wußten aber noch nichts von dem
Verrat des Judas. Maria aber sagte ihnen
von dessen Verwirrung in den letzten
Tagen und seinem Verlassen des Coenaculum,
er sei gewiß zum Verrat gegangen, sie
habe ihn oft ermahnt, er sei ein Sohn
des Verderbens. Die heiligen Frauen
kehrten hierauf nach Maria Markus Haus
zurück.
Als Jesus
in die Höhle zurückgekommen war und alle
seine Trauer mit ihm, warf er sich mit ausgebreiteten
Armen auf sein Angesicht nieder und betete
zu seinem himmlischen Vater. Es ging aber
nun ein neuer Kampf vor seiner Seele vorüber,
welcher drei Viertelstunden währte. Es traten
Engel zu ihm und zeigten ihm die Aufgabe
und den Umfang des genugtuenden Leidens
in einer großen Reihe von Anschauungen.
Sie zeigten die ganze Herrlichkeit des Menschen
als des Ebenbildes Gottes vor dem Sündenfall
und seine ganze Entstellung und Versunkenheit
nach dem Sündenfall. Sie zeigten die Abkunft
jeder Sünde aus der ersten Sünde und Bedeutung
und Wesen aller Sündenlust und deren schrecklichen
Bezug auf Seelenkräfte und Glieder der Menschen
und ebenso Wesen und Bedeutung aller der
Sündenlust entgegengesetzten strafenden
Peinen. Sie zeigten im genugtuenden Leiden
erstens ein Leiden an Leib und Seele, hinreichend
die Strafe der göttlichen Gerechtigkeit
für alle Sündenlust der ganzen Menschheit
durch Pein zu vollziehen, und zweitens ein
Leiden, welches, um genugtuend zu sein,
die Schuld der ganzen Menschheit an der
einzigen unschuldigen Menschheit, der Menschheit
des Sohnes Gottes, strafte, der, um aller
Menschen Schuld und Strafe aus Liebe auf
sich zu nehmen, auch den Sieg über den menschlichen
Widerwillen gegen Leiden und Sterben erkämpfen
mußte. Alles dieses zeigten die Engel, bald
in ganzen Chören mit Reihen von Bildern,
bald einzeln mit Hauptvorstellungen erscheinend,
und ich sah ihre Gestalten immer mit emporgehobenem
Finger nach den erscheinenden Bildern hindeuten
und vernahm, was sie sagten, ohne ihre Stimme
zu hören.
Keine Zunge
vermag auszusprechen, welche Schrecken und
Schmerzen die Seele Jesu durch diese Bilder
des genugtuenden Leidens inne ward; denn
er erkannte nicht nur die Bedeutung aller
der Sündenlust entgegengesetzten Sühnungspein,
sondern auch den Inhalt aller darauf bezüglichen
Marterwerkzeuge, so daß ihn nicht nur die
Pein des Werkzeuges allein entsetzte, sondern
auch der sündhafte Grimm derer, die es erdacht,
und die Wut und Bosheit aller, die es von
jeher gebraucht, und die Ungeduld aller,
die damit schuldig oder unschuldig gepeinigt
worden waren; denn er trug und fühlte die
Sünden der ganzen Welt. Alle diese Peinigungen
und Qualen erkannte er in einer inneren
Anschauung mit solchem Entsetzen, daß der
blutige Schweiß von ihm drang.
Als in
diesem Übermaß der Leiden die Menschheit
Christi trauerte und zagte, sah ich
in den Engeln ein Mitleid. Es erschien
ein kleiner Stillstand, und es war,
als sehnten sie sich, ihm Trost zu geben,
und ich sah, als flehten sie vor dem
Thron Gottes. Es war gleichsam wie ein
augenblickliches Ringen zwischen der
Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes
und der Liebe, die sich opferte. Ich
hatte auch eine Art Bild Gottes, doch
nicht wie sonst auf einem Thron, sondern
in einer Lichtform, und sah die göttliche
Natur des Sohnes in die Person des Vaters,
gleichsam wie in dessen Brust wie ein
Sohn in das Herz seines Vaters sich
eindringend und die Person des Heiligen
Geistes aus ihnen und zwischen ihnen,
und doch war alles dieses nur ein Gott.
Wer kann solches aussprechen; denn ich
habe mehr ein Innewerden durch Formen
als ein Schauen menschlicher Gestalten,
in welchem mir gezeigt ward, als ziehe
sich der göttliche Wille Christi mehr
in den Vater zurück, um seine Menschheit
alles das leiden zu lassen, um dessen
Milderung und Abwendung der menschliche
Wille Christi geängstigt rang und flehte,
so daß die Gottheit Christi, eins mit
dem Vater, eben das über seine Menschheit
verhängte, um dessen Abwendung seine
Menschheit zum Vater flehte. Ich sah
dieses in dem Augenblick der Rührung
der Engel, da diese Jesus zu trösten
verlangten, und er empfing auch in diesem
Momente einige Erleichterung. Nun aber
erloschen diese Vorstellungen, und die
Engel mit der Erquickung ihres Mitleidens
verließen den Herrn, dessen Seele ein
neuer heftiger Angstkreis nahte.
Als der Erlöser
am Ölberg sich als wahrer und wirklichen
Menschen der Versuchung des menschlichen
Widerwillens gegen Leiden und Tod hingab,
als er die Überwindung dieses Widerwillens,
zu leiden, welcher ein Teil eines jeden
Leidens ist, auch auf sich nahm, ward dem
Versucher zugelassen, an ihm zu tun, wie
er an jedem Menschen tut, der sich für Heiliges
zum Opfer bringen will. In der ersten Angst
stellte der Satan mit grimmigem Hohn unserem
Herrn die Größe der Sündenschuld vor, die
er auf sich nehmen wollte, und trieb die
Anfechtung bis dahin, den Wandel des Erlösers
selbst als nicht schuldenfrei vorzustellen.
Sodann ward dem Erlöser nach der ganzen
innern bitteren Wahrheit in seiner zweiten
Angst die Größe des genugtuenden Leidens
vorgestellt, und dieses geschah durch Engel;
denn es ist nicht des Satans, zu zeigen,
daß gesühnt werden kann. Der Vater der Lüge
und Verzweiflung zeigt nicht auf die Werke
der göttlichen Barmherzigkeit. Als aber
Jesus alle diese Kämpfe mit herzlicher Hingebung
in den Willen seines himmlischen Vaters
siegreich bestanden, ward ein neuer Kreis
von furchtbaren Angstbildern vor seiner
Seele vorübergeführt; die Sorge nämlich,
die in jedem menschlichen Herzen dem Opfer
vorangeht, die fragende Sorge, was wird
der Gewinn, der Ertrag dieses Opfers sein?
erwachte in der Seele des Herrn, und die
Vorstellungen der schrecklichen Zukunft
bedrängten sein liebendes Herz.
Über den
ersten Adam senkte Gott einen Schlaf nieder,
eröffnete seine Seite, nahm ihm eine seiner
Rippen, baute Eva, das Weib, die Mutter
aller Lebendigen daraus und führte sie zu
Adam; da sprach dieser: «Das ist Bein von
meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch,
der Mann wird Vater und Mutter verlassen
und seinem Weibe anhängen, und sie werden
zwei in einem Fleische sein.» — Dieses war
die Ehe, von der geschrieben steht: «Dieses
Sakrament ist groß, ich sage aber in Christus
und der Kirche»; denn Christus, der neue
Adam, wollte auch einen Schlaf, den Schlaf
des Todes, an dem Kreuz über sich kommen
lassen, wollte auch seine Seite eröffnen
lassen, auf daß die neue Eva, seine jungfräuliche
Braut, die Kirche, die Mutter aller Lebendigen,
aus ihr erbaut würde. Er wollte ihr das
Blut der Erlösung, das Wasser der Reinigung
und seinen Geist geben, die drei, welche
Zeugnis geben auf Erden; er wollte ihr die
heiligen Sakramente geben, auf daß sie eine
reine, unbefleckte, heilige Braut sei; er
wollte ihr Haupt, wir alle sollten ihre
Glieder und dem Haupt untertan sein, wir
sollten Bein von seinem Bein, Fleisch von
seinem Fleisch sein; er hatte, die Menschheit
annehmend und den Tod für uns sterben wollend,
auch Vater und Mutter verlassen und seiner
Braut, der Kirche, angehangen und ist mit
ihr ein Fleisch geworden, sie nährend mit
dem heiligsten Sakrament des Altars, in
welchem er sich uns fort und fort vermählt,
und er wollte mit seiner Braut, der Kirche,
auf Erden sein, bis wir alle in ihr bei
ihm im Himmel sein würden, und er hat gesagt:
«Die Pforten der Hölle sollen sie nicht
überwältigen.» Alle diese unermeßliche Liebe
an den Sündern zu üben, war der Herr Mensch
und ein Bruder der Sünder geworden, um die
Strafe aller ihrer Schuld auf sich zu nehmen.
Er hatte die Größe dieser Schuld und die
Größe des genugtuenden Leidens mit großer
Betrübnis gesehen und sich dennoch freudig
dem Willen seines himmlischen Vaters als
ein Sühneopfer hingegeben. Jetzt aber sah
er die Leiden, Anfechtungen und Verletzungen
der künftigen Kirche, seiner Braut, die
er so teuer mit seinem Blut erkaufen wollte,
er sah den Undank der Menschen.
Vor die Seele
des Herrn traten alle künftigen Leiden seiner
Apostel, Jünger und Freunde, die kleine
Zahl der ersten Kirche, dann die mit ihrem
Wachsen eintretenden Ketzereien und Abtrennungen
mit der ganzen Wiederholung des Sündenfalls
durch Hoffart und Ungehorsam in allen Formen
der Eitelkeit und täuschenden Selbstrechtfertigung.
Es erschien ihm die Lauheit, Verkehrtheit
und Bosheit unzähliger Christen, die mannigfaltige
Lüge und trügerische Spitzfindigkeit aller
hoffärtigen Lehrer, die gottesschänderischen
Verbrechen aller lasterhaften Priester und
die schrecklichen Folgen von allem diesem,
die Greuel der Verwüstung im Reiche Gottes
auf Erden, im Heiligtum der undankbaren
Menschheit, welches er mit seinem Blut und
Leben unter unaussprechlichen Leiden zu
erkaufen und zu gründen im Begriff stand.
Ich sah alle
diese Ärgernisse in unermeßlichen Bilderreihen
aus allen Jahrhunderten bis auf unsere Zeit
und weiter bis zum Ende der Welt in allen
Formen des kranken Irrwahns, des hoffärtigen
Trugs, der fanatischen Schwärmerei, des
falschen Prophetentums, der ketzerischen
Hartnäckigkeit und Bosheit an der Seele
des armen Jesus vorüberziehen. Alle Abtrünnigen,
Selbstrechtfertiger, Irrlehrer und scheinheiligen
Besserer, Verführer und Verführte höhnten
und peinigten ihn, als sei er ihnen nicht
recht gekreuzigt, nicht bequem ans Kreuz
geschlagen nach ihren Gelüsten und der Auslegung
ihres Dünkels, und sie zerrissen und zerteilten
den ungenähten Rock seiner Kirche; jeder
wollte den Erlöser anders haben, als er
sich aus Liebe gegeben. Unzählige mißhandelten
ihn, höhnten ihn, leugneten ihn. Unzählige
sah er, die mit stolzem Achselzucken und
Kopfschütteln an ihm, der die rettenden
Arme nach ihnen ausbreitete, vorüberzogen,
dem Abgrund entgegen, der sie verschlang.
Unzählige andere sah er, sie wagten nicht
offenbar ihn zu verleugnen, aber weichlich
geekelt zogen sie vor den Wunden seiner
Kirche, die sie doch selbst zu schlagen
geholfen, vorüber wie der Levit an dem Armen,
der unter die Mörder gefallen. Er sah, wie
sie sich von seiner verwundeten Braut trennten,
wie feige, treulose Kinder ihre Mutter verlassen
zur Nachtzeit, wenn Räuber und Mörder einbrechen,
denen unordentlicher Wandel den Eingang
geöffnet hat. Er sah sie der Beute nachziehen,
welche in die Wüste getragen war, den goldenen
Gefäßen und dem zerrissenen Halsschmuck.
Er sah sie vom wahren Weinstock getrennt
lagern unter den wilden Reben. Er sah sie
als irrende Schafe, den Wölfen preisgegeben,
auf schlechter Weide von Mietlingen umgetrieben,
und sie wollten in den Schafstall des Guten
Hirten nicht eingehen, der das Leben für
seine Schafe hingegeben. Er sah sie heimatlos
umherschweifen, und sie wollten seine Stadt,
hoch auf dem Berge liegend, die nicht verborgen
bleiben konnte, nicht sehen. Er sah sie
auf den Sandwogen der Wüste von wechselnden
Winden hin und wieder getrieben und ohne
Einheit, aber sie wollten das Haus seiner
Braut, seine Kirche, auf den Fels gebaut,
bei der er zu sein versprochen bis ans Ende
der Tage und welche die Pforten der Hölle
nicht überwältigen sollen, nicht sehen.
Sie wollten nicht eingehen durch die enge
Pforte, um den Nacken nicht zu beugen. Er
sah sie jenen folgen, die anderswo und nicht
zur Tür eingegangen waren, sie bauten wandelbare
verschiedenartige Hütten auf den Sand, ohne
Altar und Opfer, und hatten Windfahnen auf
den Dächern, nach diesen drehte sich ihre
Lehre. Aber sie widersprachen einander und
verstanden sich nicht und hatten keine bleibende
Stätte. Er sah, wie sie oft ihre Hütten
abbrachen und die Trümmer gegen den Eckstein
der Kirche schleuderten, der unverrückt
lag. Viele aus ihnen sah er, da Finsternis
herrschte in ihren Hütten, nicht zu dem
Lichte gehen, das auf den Leuchter gestellt
war im Hause der Braut, sondern sie schweiften
draußen mit geschlossenen Augen um den beschlossenen
Garten der Kirche, von dessen Wohlgerüchen
allein sie noch lebten, sie streckten die
Arme nach Nebelbildern und folgten Irrsternen,
die sie zu Brunnen ohne Wasser führten,
und hörten am Rande der Gruben nicht auf
die Stimme der rufenden Braut und lächelten
hungernd mit stolzem Mitleid der Diener
und Boten, welche sie zum hochzeitlichen
Mahle einluden. Sie wollten nicht eingehen
in den Garten, denn sie scheuten die Dornen
des Zaunes, und der Herr sah sie, von sich
selbst berauscht, verhungern ohne Weizen
und verdursten ohne Wein, und erblindet
vom Eigenlicht nannten sie die Kirche des
fleischgewordenen Wortes unsichtbar. Jesus
aber sah sie alle und trauerte und wollte
leiden für alle, die ihn nicht sehen, ihm
ihr Kreuz nicht nachtragen wollten in seiner
Braut, der er sich selbst im heiligsten
Sakrament gegeben, in seiner Stadt auf dem
Berge erbaut, die nicht verborgen bleiben
kann, in seiner Kirche auf den Fels gegründet,
welche die Pforten der Hölle nicht überwältigen
sollen.
Alle
diese unzähligen Bilder des Undanks
und Mißbrauchs an dem bitteren Versöhnungstode
meines himmlischen Bräutigams sah ich
bald in abwechselnder Art, bald in gleich
schmerzhafter Wiederholung vor der betrübten
Seele des Herrn vorüberziehen und sah,
wie der Satan in mancherlei Schreckgestalten
in diesen Gesichtsbildern die durch
sein Blut erlösten, ja selbst die durch
sein Sakrament gesalbten Menschen vor
seinen Augen hinwegriß und erwürgte.
Jesus sah und betrauerte allen Undank,
alles Verderben der ersten, der späteren,
der jetzigen und zukünftigen Christenheit.
Alle diese Erscheinungen, zwischen welchen
immer die Stimme des Versuchers seiner
Menschheit zuflüsterte: «Sieh! für solchen
Undank willst du leiden?», drangen mit
solchem Greuel und Hohn und in solchem
Ungestüm auf Jesus zu und in so steter
Wiederholung an ihm vorüber, daß eine
unaussprechliche Angst seine menschliche
Natur bedrängte. Christus, des Menschen
Sohn, rang und wand die Hände, er stürzte
wie gedrängt hin und wieder auf die
Knie, und sein menschlicher Wille kämpfte
einen so schweren Kampf gegen den Widerwillen,
für ein so undankbares Geschlecht so
Unaussprechliches zu leiden, daß der
Schweiß wie dicke Blutstropfen in Strömen
von ihm nieder zur Erde rann. Ja, er
war so bedrängt, daß er wie hilfesuchend
umherblickte und Himmel und Erde und
die Lichter des Firmamentes als Zeugen
seiner Leiden anzusprechen schien. Es
war mir, als hörte ich ihn ausrufen:
«Ach! ist es denn möglich, solchen Undank
zu erleiden? Gebet Zeugnis meiner Not!»
Da war es,
als träten der Mond und die Sterne mit einem
Ruck näher heran; ich fühlte im Augenblick,
daß es heller ward. Hierauf achtete ich
auf den Mond, was ich früher nicht getan,
und sah ihn ganz anders als sonst. Er war
noch nicht ganz voll, erschien mir jedoch
größer als bei uns. In seiner Mitte sah
ich einen dunklen Fleck wie eine flach vor
ihm liegende Scheibe, und in dieser schien
inmitten eine Öffnung, durch welche Licht
gegen die nicht volle Seite des Mondes strahlte.
Der dunkle Fleck war wie ein Berg, und rund
um den Mond war noch ein lichter Kreis wie
ein Regenbogen.
Jesus erhob
in dieser Bedrängnis einige Augenblicke
seine Stimme mit lautem Jammer, und ich
sah, daß die drei Apostel aufsprangen und
mit erschreckt gehobenen Händen zu ihm hinhorchten
und hineilen wollten, aber Petrus schob
Jakobus und Johannes zurück und sagte: «Bleibt,
ich will zu ihm gehen», und ich sah ihn
hineilen und in die Höhle treten. «Meister»,
sagte er, «was geschieht dir?» und er stand
zagend, als er ihn so ganz voll Blut und
Schrecken sah; Jesus aber antwortete nicht
und schien ihn nicht zu bemerken. Da kehrte
Petrus zu den beiden zurück und sagte, wie
er ihm nicht geantwortet und nur wimmere
und seufze. Da wuchs ihre Trauer, und sie
verhüllten das Haupt und saßen und beteten
unter Tränen.
Ich aber
wendete mich wieder zu meinem himmlischen
Bräutigam in seiner bittern Angst. Die Greuelbilder
des Undanks und des Mißbrauchs der künftigen
Menschen, deren Schuld er auf sich genommen,
deren Strafe er zu dulden sich hingab, strömten
immer gräßlicher und stürzender auf ihn
zu, sein Kampf mit dem menschlichen Widerwillen
gegen das Leiden währte fort; mehrmals hörte
ich ihn ausrufen: «Vater, ist es möglich,
für diese alle zu leiden? O Vater, kann
dieser Kelch nicht an mir vorübergehen,
so geschehe dein Wille.»
Bei und in
diesen gedrängten Erscheinungen der mißbrauchten
göttlichen Barmherzigkeit sah ich den Satan
nach der Art der Missetaten in verschiedenen
Gestalten des Abscheulichen. Bald erschien
er als ein großer dunkler Mensch, bald als
ein Tiger, bald als ein Fuchs, bald als
ein Wolf, ein Drache, eine Schlange; doch
waren es solche Tiergestalten nicht ganz
selbst, sondern nur das Hervorstechende
ihres Wesens, mit anderen abscheulichen
Formen vermischt. Nichts war da einem vollkommenen
Geschöpf ähnlich, es waren Formen des Zerfalls,
des Greuels, des Entsetzens, des Widerspruchs,
der Sünde, Formen des Teufels; und durch
diese Teufelsbilder sah nun Jesus unzählige
Scharen von Menschen antreiben, verführen,
erwürgen und zerreißen, für deren Erlösung
aus der Gewalt des Satans er den Weg zum
bitteren Kreuzestod angetreten hatte. Die
Schlange sah ich anfangs nicht so häufig,
zuletzt aber sah ich sie mit einer Krone
auf dem Haupt riesenhaft mit entsetzlicher
Gewalt hervorstürzen und mit ihr von allen
Seiten große Heerscharen jeden Standes und
Geschlechtes auf Jesus herandringen. Mit
allen möglichen Mißhandlungsmitteln, Instrumenten
und Waffen versehen, kämpften sie teils
in einzelnen Momenten selbst untereinander,
dann aber alle wieder mit furchtbarem Grimm
gegen den Herrn. Es war einentsetzliches
Schauspiel. Sie höhnten, spien, fluchten,
warfen, gossen Unrat, schleuderten, stachen
und hieben gegen Jesus. Ihre Waffen, Schwerter
und Spieße, hoben und senkten sich wie die
Dreschflegel einer unabsehbaren Tenne, und
sie wüteten alle gegen das himmlische Weizenkörnlein,
das zur Erde gekommen und in ihr gestorben,
um alle ewiglich mit dem Brote des Lebens
in unzähliger Frucht zu nähren.
Ich sah Jesus
inmitten dieser ergrimmten Scharen, unter
welchen mir auch viele blind schienen, so
erschüttert, als würde er wirklich von ihren
Waffen getroffen. Ich sah ihn von einer
Seite zur andern wanken, bald richtete er
sich auf, bald sank er nieder, und ich sah
die Schlange mitten unter diesen Heeren,
die sie stets von neuem herantrieb, mit
ihrem Schweif hin und her schlagen und alle,
die sie niederschlug oder umschlang, erwürgen,
zerreißen und verschlingen.
Ich erhielt
aber eine Erkenntnis, daß die Menge der
ihn zerfleischenden Heerscharen die unermeßliche
Zahl jener sei, welche Jesus Christus, den
mit Gottheit und Menschheit, Leib und Seele,
Fleisch und Blut unter den Gestalten des
Brotes und Weines im heiligsten Sakrament
wesentlich gegenwärtigen Erlöser, in diesem
Geheimnis auf die mannigfaltigste Weise
mißhandeln. Ich erkannte unter diesen Feinden
Jesu alle Arten von Beleidigern des heiligen
Sakramentes, dieses lebendigen Unterpfandes
seiner ununterbrochenen persönlichen Gegenwart
bei der katholischen Kirche. Ich sah mit
Entsetzen alle diese Mißhandlungen von der
Vernachlässigung, Nichtachtung, Verlassung
an bis zur Verachtung, zum Mißbrauch und
zur greulichsten Gottesschänderei, von der
Abwendung zu den Götzen der Welt und dem
Dünkel und der falschen Wisserei an bis
zu Irrlehre und Unglaube, Schwärmerei, Haß
und blutiger Verfolgung. Alle Arten von
Menschen sah ich unter diesen Feinden, ja
sogar Blinde und Lahme, Taube und Stumme
und selbst Kinder. Blinde, welche die Wahrheit
nicht sehen wollten, Lahme durch Faulheit,
die ihr nicht folgen wollten, Taube, welche
seine Warnungen und seinen Weheruf nicht
hören wollten, Stumme, welche nicht einmal
mit dem Schwert des Wortes für ihn kämpfen
wollten, Kinder im Gefolge weltgesinnter
und darum gottvergessener Eltern und Lehrer,
mit weltlicher Lust gefüttert, mit eitlem
Wissen berauscht, an göttlichen Dingen geekelt
oder ohne sie verkommen und zu ihnen auf
immer verdorben. Unter den Kindern, welche
mich überhaupt sehr dauerten, weil Jesus
die Kinder so liebte, sah ich auch besonders
viele schlechtbelehrte, übelerzogene, unehrerbietige
Meßdiener, die Christus in der heiligsten
Handlung nicht ehren. Ihre Schuld fiel teils
auf die Lehrer und die bedachtlosen Kirchenvorsteher.
Mit Schrecken aber sah ich, daß selbst viele
Priester, hohen und niederen Ranges, ja
selbst solche, die sich für gläubig und
fromm hielten, zur Mißhandlung Jesu im heiligsten
Sakrament beitrugen. Ich will von den vielen,
die ich so unglücklich sah, nur eine Art
erwähnen. Ich sah da sehr viele, welche
die Gegenwart des lebendigen Gottes im allerheiligsten
Sakrament glaubten, anbeteten und lehrten,
sich dieselbe aber doch nicht besonders
angelegen sein ließen; denn den Palast,
den Thron, das Gezelt, den Sitz und königlichen
Schmuck des Königs Himmels und der Erde,
nämlich die Kirche, den Altar, den Tabernakel,
den Kelch, die Monstranz des lebendigen
Gottes und alle Gefäße, Geräte, Zierden,
Festgewande und allen Schmuck und Dienst
seines Hauses ließen sie ohne Pflege und
Sorgfalt. Alles war schmählich in Staub,
Rost, Moder und vieljährigem Unrat verkommen
und verfallen, und der Dienst des lebendigen
Gottes ward nachlässig hingeschleudert und
wo nicht innerlich entweiht, doch äußerlich
entwürdigt. Alles dieses aber war nicht
die Schuld der wirklichen Armut, sondern
immer jene der Gefühllosigkeit, der Trägheit,
des Schlendrians, der Hinwendung zu eitlen
weltlichen Nebensachen, oft auch der Selbstsucht
und des inneren Todes; denn auch in wohlhabenden
oder genughabenden Kirchen sah ich solche
Vernachlässigung, ja ich sah viele, in welchen
abgeschmackte, fratzenhafte Weltpracht die
herrlichsten und ehrwürdigsten Zierden frömmerer
Zeit hinausgedrängt hatte, um mit gefärbtem
verlogenem Spektakel die Verschleuderung,
Verunreinigung, Vernachlässigung und Verwüstung
zu überschminken. Was dann die Reichen aus
prahlerischem Übermut taten, ahmten bald
die Armen aus Mangel an Einfalt unverständig
nach. Ich mußte dabei unserer armen Klosterkirche
gedenken, wo man auch den schönen alten,
künstlich aus Stein gehauenen Altar mit
einer hölzernen, angestrichenen, marmorierten
Großtuerei überbaut hatte, was mich immer
sehr betrübt hat. — Diese Unbilden gegen
Jesus im heiligsten Sakrament sah ich durch
unzählige Kirchenvorsteher vermehrt, welchen
das Gefühl für die Billigkeit fehlte, mit
dem auf dem Altar gegenwärtigen Erlöser
wenigstens das Ihrige zu teilen, der doch
sich selbst ganz für sie hingegeben, sich
ganz für sie im Sakrament zurückgelassen
hat. Ja, auch bei den Ärmsten sah es oft
besser aus als bei dem Herrn des Himmels
und der Erde in seiner Kirche. Ach, wie
bitter betrübte Jesus, der sich selbst ihnen
zur Speise gegeben, diese schlechte Gastfreiheit.
Es braucht ja keines Reichtums, den zu bewirten,
der auch den Becher kalten Wassers dem Dürstenden
gereicht, tausendfältig belohnt; und wie
dürstet er selbst nach uns? Soll er nicht
wehklagen, so der Becher verunreinigt und
das Wasser voll Würmer ist? Durch solche
Nachlässigkeit sah ich Schwache geärgert,
das Heiligtum entweiht, die Kirchen verlassen,
die Priester verachtet, und bald ging die
Unreinigkeit und Vernachlässigung auch auf
die Seelen der Gemeinden über: sie hielten
den Tabernakel ihres Herzens nicht reiner,
den lebendigen Gott darin aufzunehmen, als
sein Tabernakel auf dem Altar gehalten wurde.
Für den schmeichelnden Augendienst der Fürsten
und Herren der Welt und für die Befriedigung
der Launen und weltlichen Absichten derselben
sah ich alles bei solchen unverständigen
Kirchenvorständen in treibender sorgender
Tätigkeit; der König des Himmels und der
Erde aber lag wie ein Lazarus vor der Tür
und sehnte sich vergebens nach Brosamen
der Liebe, die er nicht empfing; er hatte
nichts als seine Wunden, die wir ihm geschlagen
und welche die Hunde ihm leckten, nämlich
die immer rückfälligen Sünder, die gleich
Hunden speien und zum Fraße zurückkehren.
Wenn
ich ein Jahr lang erzählte, würde ich
nicht fertig werden, alle die verschiedenen
Mißhandlungen Jesu Christi im heiligsten
Sakrament zu sagen, welche ich in solcher
Weise erkannte. Alle diese Beleidiger
sah ich nach Art ihrer Schuld mit verschiedenen
Waffen in großen Scharen auf den Herrn
eindringen und ihn niederschlagen.
Ich sah aus allen Jahrhunderten ehrfurchtslose
Kirchendiener, leichtsinnige, sündhafte,
unwürdige Priester bei dem heiligen
Meßopfer und der Spendung des heiligsten
Sakraments und Scharen von lauen und
unwürdigen Empfängern desselben. Ich
sah unzählige, welchen der Quell alles
Segens, das Geheimnis des lebendigen
Gottes, ein Schwur und Fluchwort des
Ingrimms geworden war; wütende Kriegsleute
und Teufelsdiener, welche die heiligen
Gefäße verunreinigten und das hochwürdige
Gut verschütteten, greulich mißhandelten
oder gar in schrecklichem, höllischem
Götzendienst schändeten. Neben diesen
gräßlichen rohen Mißhandlungen sah ich
unzählige feinere Gottlosigkeiten, die
ebenso abscheulich erschienen.
Ich sah viele durch schlechtes Beispiel
und treulose Lehre vom Glauben an die
Verheißung seiner Gegenwart im heiligen
Sakramente abfallen und ihren Heiland
nicht mehr in demselben demütig anbeten.
Ich sah in diesen Scharen eine große
Menge sündhafter Lehrer, die Irrlehrer
geworden; sie kämpften anfangs untereinander
selbst und wüteten dann vereint gegen
Jesus im heiligsten Sakrament seiner
Kirche. Ich sah eine große Schar dieser
abtrünnigen Sektenhäupter das Priestertum
der Kirche verschmähen und die Gegenwart
Jesu Christi im Geheimnis des heiligen
Sakramentes, so wie er dieses Geheimnis
der Kirche selbst übergeben und sie
es treu bewahrt hat, bestreiten und
verleugnen und durch ihre Verführung
unzählige Menschen von seinem Herzen
reißen, für die er sein Blut vergossen
hatte. Ach! es war schrecklich, dieses
anzusehen, denn ich sah die Kirche als
den Leib Jesu, dessen einzelne zerstreute
Glieder er alle mit seinem bittern Leiden
verbunden hatte, und ich sah, als würden
alle jene Gemeinden oder Familien und
alle deren Nachkommen, die von der Kirche
getrennt wurden, wie ganze Stücke von
seinem lebendigen Leib schmerzlich verwundend
und zerfleischend losgerissen; ach!
und er blickte und jammerte ihnen so
rührend nach! Er, der die unendliche
Zertrennung und Zerstreuung der Menschen
zu dem einen Leibe der Kirche, zum Leibe
seiner Braut zu sammeln, sich selbst
im heiligen Sakramente zur Speise hingegeben
hatte, sah sich in diesem seinem Brautleibe
durch die bösen Früchte des Baumes der
Spaltung zerreißen und zerspalten. Der
Tisch der Vereinigung im heiligen Sakrament,
sein höchstes Liebeswerk, in dem er
ewig bei den Menschen bleiben wollte,
ward durch die falschen Lehrer zum Markstein
der Trennung, und wo es allein würdig
und heilsam ist, daß viele eins werden,
am heiligen Tisch, wo der lebendige
Gott selbst die Speise ist, da mußten
seine Kinder sich scheiden von den Ungläubigen
und Irrgläubigen, um sich nicht fremder
Sünde schuldig zu machen. Ich sah auf
diese Weise ganze Völker von seinem
Herzen losreißen und teillos werden
an dem ganzen Schatz aller seiner Kirche
zurückgelassenen Gnaden. Es war schrecklich
zu sehen, wie anfangs wenige sich trennten
und wie sie dann als ganze Völker wiederkehrten
und sich feindlich, im Heiligsten geschieden,
einander gegenüberstanden. Zuletzt aber
sah ich alle von der Kirche Getrennten,
in Unglaube, Aberglauben, Irrglauben,
Dünkel und falscher Weltwissenschaft
verwildert und ergrimmt, in großen Kriegsheeren
verbunden gegen die Kirche stürmen und
wüten und die Schlange mitten unter
ihnen treibend und würgend. Ach! es
war, als sehe und fühle Jesus sich selbst
in unzählige feine Fasern zerreißen.
— Der Herr sah und fühlte in dieser
Bedrängnis den ganzen Giftbaum der Spaltung
mit allen Zweigen und Früchten, die
sich fort spalten bis ans Ende der Tage,
wo der Weizen in die Scheuer gesammelt
und die Spreu ins Feuer geworfen wird.
Das Entsetzliche,
das ich alles gesehen, war so ungeheuer
und schauderhaft, daß eine Erscheinung meines
himmlischen Bräutigams mir barmherzig die
Hand dabei gegen die Brust legte mit den
Worten: «Niemand hat dieses noch gesehen,
und dein Herz würde vor Schrecken zerspalten,
wenn ich es nicht hielte!»
Ich sah aber
nun das Blut in dicken dunklen Tropfen über
das bleiche Angesicht des Herrn herabträufeln,
seine sonst glatt gescheitelten Haare waren,
von Blut zusammenklebend, empor gesträubt
und verworren, sein Bart war blutig und
wie zerrauft. Es war nach dem letzten Bild,
da die Kriegsheere ihn zerfleischten, daß
er sich wie fliehend aus der Höhle wendete
und wieder zu seinen Jüngern hinging. Aber
es war kein sicheres Gehen, er wandelte
wie einer, der unter einer großen Last gebeugt
schwankt und, mit Wunden bedeckt, jeden
Augenblick niederzusinken droht. Als er
zu den drei Aposteln kam, lagen sie nicht
wie das erste Mal auf der Seite in schlafender
Stellung; sie hatten das verhüllte Haupt
auf die Knie gesenkt, wie ich dort im Lande
die Leute in Trauer und Gebet oft sitzen
sehe. Sie waren, von Betrübnis, Angst und
Müdigkeit angefochten, eingeschlummert;
als Jesus aber zitternd und ächzend ihnen
nahte, fuhren sie auf, und da sie ihn im
Mondlicht mit eingezogener Brust, das blutige,
bleiche Antlitz mit verwirrtem Haar niedergebeugt
und gegen sie hingestreckt, vor sich stehen
sahen, erkannten sie ihn nicht gleich mit
ihren müden Augen, denn er war unbeschreiblich
entstellt. Er aber rang die Hände, da sprangen
sie auf und faßten ihm unter die Arme und
stützten ihn wie Liebende; und er sprach
in großer Betrübnis: morgen werde er getötet
werden, in einer Stunde werde man ihn fangen,
vor Gericht schleppen, mißhandeln, verhöhnen,
geißeln und töten auf eine grausame Weise.
Er bat sie auch, seine Mutter zu trösten.
Er sagte ihnen in großer Betrübnis alles,
was er bis morgen abend leiden müsse, und
bat sie, seine Mutter und Magdalena zu trösten.
Er hatte einige Minuten so gestanden und
gesprochen, sie antworteten aber nicht,
denn sie wußten nicht, was sie sagen sollten
vor Trauer und Bestürzung über sein Aussehen
und seine Worte, ja sie glaubten schier,
er sei von Sinnen. Da er aber zu der Höhle
zurückkehren wollte, vermochte er nicht
zu gehen, und ich sah, daß Johannes und
Jakobus ihn führten und, als er in die Höhle
getreten, zurückkehrten. Es war um ¼ nach
11 Uhr.
Während
dieser Angst Jesu sah ich die heilige
Jungfrau auch große Angst und Trauer
erleiden im Hause der Maria Markus.
Sie war mit Magdalena und Maria Markus
in einem Garten am Hause und lag, zusammengekrümmt
auf einer Steinplatte, in die Knie gesunken.
Wiederholt verlor sie die äußere Besinnung,
denn sie sah innerlich vieles von den
Qualen Jesu. Sie hatte schon Boten um
Nachricht von ihm ausgesendet, aber
sie konnte sie nicht erwarten und ging
in ihrer Angst mit Magdalena und Salome
hinaus in das Tal Josaphat. Ich sah
sie verhüllt gehen und die Hände oft
gegen den Ölberg zu ausstrecken, denn
sie sah im Geiste Jesus vor Angst Blut
schwitzen, und es war, als wolle sie
mit ihren ausgestreckten Händen Jesu
Angesicht abtrocknen. Durch diese ihre
heftige Seelenbewegung nach ihrem Sohn
hin, sah ich auch Jesus vom Andenken
an sie gerührt und wie hilfesuchend
nach ihr hinschauen. Ich sah diese Teilnahme
aneinander in Gestalt von Strahlen erscheinen,
welche sie gegenseitig zueinander hinsendeten.
Auch an Magdalena gedachte der Herr
und fühlte ihren Schmerz und blickte
nach ihr und wurde von ihr gerührt;
darum befahl er auch den Jüngern, sie
zu trösten, denn er wußte, daß ihre
Liebe nach der Liebe seiner Mutter die
größte war, die er hatte gesehen, was
sie noch künftig leiden und wie sie
ihn bis zu ihrem Tode nicht mehr beleidigen
würde.
Um diese
Zeit, etwa ¼ nach 11 Uhr, waren die acht
Apostel wieder in der Laubhütte im Garten
Gethsemane und sprachen und schliefen dann.
Sie waren ungemein erschüttert und zaghaft
in schwerer Versuchung. Jeder hatte sich
nach einem Schlupfwinkel umgesehen, und
es plagte sie die Sorge: «Was sollen wir
nun anfangen, wenn er getötet wird? Alles
das Unsere haben wir verlassen und aufgegeben
und sind nun arm und ein Spott der Welt,
wir haben uns ganz auf ihn verlassen, und
wie ist er nun so ganz ohnmächtig und zerschlagen,
daß kein Trost an ihm zu finden ist?» Die
andern Jünger aber waren erst herumgeirrt
und hatten, nachdem sie mancherlei Erkundigungen
von den letzten drohenden Äußerungen Jesu
eingezogen, sich dann meistens nach Betphage
begeben.
Ich sah Jesus
wieder in der Höhle betend, er kämpfte noch
gegen den menschlichen Widerwillen, zu leiden.
Er ward müde und zagend und sagte: «Mein
Vater, ist es dein Wille, so nimm diesen
Kelch von mir, doch nicht mein, sondern
dein Wille geschehe.»
Nun aber
öffnete sich die Tiefe vor ihm, und wie
auf einer lichten Bahn sah er viele Stufen
in die Vorhölle hinab. Da sah er Adam und
Eva, alle Altväter, Propheten und Gerechten,
die Eltern seiner Mutter und Johannes den
Täufer so sehnsüchtig seiner Ankunft in
der Unterwelt harrend, daß sein liebendes
Herz gestärkt und ermutigt ward. Diesen
schmachtenden Gefangenen sollte sein Tod
den Himmel erschließen, er sollte sie selbst
aus dem Kerker ihrer Sehnsucht herausführen.
Nachdem Jesus
diese Himmelsbürger der Vorwelt mit inniger
Rührung angeschaut hatte, führten ihm die
zeigenden Engel alle Scharen der künftigen
Seligen vorüber, die, ihre Kämpfe mit den
Verdiensten seines Leidens vereinigend,
durch ihn sich mit dem himmlischen Vater
vereinigen sollten. Es war dieses ein unbeschreiblich
schönes erquickendes Bild. Alle zogen sie
in ihrer Zahl, Gattung und Würde, mit ihrem
Leiden und Wirken geschmückt, an dem Herrn
vorüber. Er sah das innerste unerschöpfliche
Heil und Heilige seines bevorstehenden Erlösungstodes.
Es zogen die Apostel, die Jünger, die Jungfrauen
und Frauen, alle Märtyrer, Einsiedler und
Bekenner, alle Kirchenhäupter und Bischöfe,
alle künftige Scharen der Klosterleute,
ja alle Heere der Seligen an ihm vorüber.
Alle waren geschmückt mit Siegeskronen ihrer
Leiden und Überwindungen, und die Verschiedenheit
der Blumen in ihren Kronen nach Gestalt,
Farbe, Geruch und Kraft wuchs gleichsam
aus der Verschiedenheit der Leiden, Kämpfe
und Siege hervor, in welchen sie die Glorie
errungen hatten. Alles, ihr Leben und Wirken,
die einzige Würde und Kraft ihres Kampfes
und Sieges und alles Licht und alle Farbe
ihres Triumphes hatten sie allein aus der
Vereinigung mit den Verdiensten Christi.
Das gegenseitige Wirken und Beziehen aller
dieser Heiligen auf- und untereinander und
ihr Schöpfen aus einem einzigen Brunnen,
aus dem heiligen Sakrament und dem Leiden
des Herrn war eine unaussprechlich wunderbar
rührende Erscheinung. Nichts erschien zufällig
an ihnen, Tun und Lassen, Marter und Sieg,
Erscheinung und Kleidung, alles so Verschiedene
spielte in unendlicher Harmonie und Einheit
ineinander, und diese ganze Einheit der
größten Mannigfaltigkeit kam aus den Strahlen
und Lichtfarben, aus einer einzigen Sonne,
aus dem Leiden des Herrn, des Fleisch gewordenen
Wortes, in dem das Leben war, welches das
Licht der Menschen war, das in die Finsternis
geschienen, welche es nicht gefaßt hat.
Es war die
Gemeinschaft der künftigen Heiligen, welche
vor der Seele des Herrn vorübergeführt wurde,
und so stand der Herr und Heiland zwischen
der Sehnsucht der Altväter und dem Siegeszuge
der künftigen Seligen, welche, sich gegenseitig
erfüllend und ersättigend, wie eine große
Siegeskrone das liebende Herz des Erlösers
umgaben. Dieser unaussprechlich rührende
Anblick gab der Seele des Herrn, der alles
menschliche Leid über sich ergehen ließ,
einige Stärkung und Erquickung. Ach! er
liebte ja seine Brüder und Geschöpfe so
sehr, daß er auch um den Preis einer einzigen
Seele alles gern erlitten hätte! — Diese
Bilder erschienen, als künftige, über der
Erde schwebend.
Jetzt aber
verschwand dieses tröstende Bild, und die
zeigenden Engel führten nun dicht an der
Erde, weil ganz nahe bevorstehend, sein
ganzes Leiden vor seinen Augen vorüber.
Es waren viele Engel dabei in Tätigkeit;
die Bilder sah ich dicht vor ihm und deutlich,
vom Kuß des Judas bis zu seinem letzten
Wort am Kreuze. Alles sah ich da wieder,
was ich bei den Betrachtungen der Passion
sehe. Judas’ Verrat, die Flucht der Jünger,
Hohn und Leiden vor Annas und Kaiphas, Petrus’
Verleugnung, Pilatus’ Gericht, Herodes’
Verspottung, die Geißelung und Dornenkrönung,
das Todesurteil, das Sinken unter der Kreuzeslast,
die Begegnung der heiligen Jungfrau; ihr
Hinsinken, der Hohn der Schergen gegen sie,
Veronikas Schweißtuch, die grausame Annagelung
und Aufrichtung am Kreuz, den Hohn der Pharisäer
und die Schmerzen Marias, Magdalenas und
Johannes und die Eröffnung seiner Seite.
Kurz, alles, alles wurde vor seiner Seele
deutlich und klar, mit allen Umständen vorübergeführt.
Alle Gebärden, alle Empfindungen und Worte
der Menschen sah und hörte ich den erschütterten,
geängsteten Herrn sehen und hören. Alles
nahm er gerne an, allem unterwarf er sich
gerne aus Liebe zu den Menschen. Am schmerzlichsten
betrübte ihn seine schamlose Entblößung
am Kreuz, um die Unkeuschheit der Menschen
zu sühnen, und er flehte, doch einen Gürtel
am Kreuz zu haben, dieses möge doch von
ihm abgewendet werden, und ich sah zwar
nicht von den Kreuzigern, aber von einem
guten Menschen Hilfe bevorstehen.
Jesus sah
und fühlte auch die gegenwärtige Trauer
seiner Mutter, welche aus innerem Mitgefühl
mit seinem Leiden im Tal Josaphat bewußtlos
in den Armen der beiden sie begleitenden
heiligen Frauen lag.
Am Schluß
der Leidensbilder sank Jesus wie ein Sterbender
auf sein Angesicht, die Engel und Bilder
verschwanden, der Blutschweiß rann heftiger
als vorher von ihm, ich sah ihn durch die
anliegenden Stellen seines gelblichen Gewandes
dringen. Es war nun dunkel in der Höhle.
Ich sah nun
einen Engel zu Jesus herabschweben, der
größer und bestimmter und mehr in der Nüchternheit
eines Menschen als die früheren erschien.
Er erschien in langem, fliegendem, mit Quasten
verziertem Gewand priesterlich gekleidet
und trug in seinen Händen vor der Brust
ein kleines Gefäß von der Form des Abendmahlkelches.
Es schwebte aber in der Öffnung dieses Kelches
ein kleiner dünner, rötlich leuchtender
Bissen von länglich runder Gestalt und etwa
von der Größe einer Bohne. In schwebend
liegender Stellung streckte der Engel die
rechte Hand aufrichtend gegen Jesus aus,
und als er sich aufgerichtet, gab er ihm
den leuchtenden Bissen in den Mund und ließ
ihn aus dem kleinen Lichtkelche trinken.
Dann verschwand er wieder.
Jesus hatte
nun den Kelch seiner Leiden freudig angenommen
und Stärkung empfangen. Er verweilte noch
einige Minuten still und dankend in der
Höhle, er war zwar noch traurig, aber dermaßen
übernatürlich gestärkt, daß er ohne Bangigkeit
und Unruhe mit sicheren Schritten zu den
Jüngern hingehen konnte. Er sah noch elend
und bleich aus, aber er ging aufrecht und
entschlossen. Sein Angesicht hatte er mit
dem Schweißtuch getrocknet und seine Haare
damit niedergestrichen, sie hingen feucht
von Blut und Angstschweiß in Strängen zusammen.
Als er hinaustrat
aus der Höhle, sah ich den Mond noch mit
dem wunderlichen Flecken und Kreis wie vorher,
aber ich sah den Schein des Mondes und der
Sterne anders als früher bei den großen
Ängsten des Herrn. Das Licht erschien jetzt
natürlicher.
Als Jesus
zu den Jüngern kam, lagen sie wie das
erste Mal an der Terrassenwand auf der
Seite mit verhülltem Haupte und schliefen.
Der Herr sagte zu ihnen, es sei keine
Zeit zu schlafen, sie sollten aufstehen
und beten, «denn sehet, die Stunde ist
da, daß der Menschensohn in die Hände
der Sünder wird überliefert werden.
Stehet auf, lasset uns vorangehen, sehet,
der Verräter ist nahe; oh, es wäre ihm
besser, wenn er nicht geboren wäre!»
Die Apostel sprangen mit großem Schrecken
auf und schauten bang umher. Kaum aber
besannen sie sich, als Petrus auch ungestüm
sagte: «Meister, ich will die andern
rufen, daß wir dich verteidigen!» Jesus
aber zeigte ihnen in einiger Entfernung
im Tale, noch jenseits des Baches Kidron,
eine mit Fackeln nahende Schar Bewaffneter
und sagte, daß einer aus ihnen ihn verraten
habe. Sie hielten dies aber für unmöglich.
Er sprach noch mehreres mit ruhiger
Fassung, empfahl ihnen nochmals, seine
Mutter zu trösten und sagte dann: «Laßt
uns ihnen entgegentreten, ich will ohne
Widerstand mich in die Hände der Feinde
geben.» Er ging aber mit den drei Aposteln
den Häschern entgegen, aus dem Ölgarten
hinaus auf den Weg, der ihn vom Garten
Gethsemane absonderte.
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Als die heilige
Jungfrau im Tale Josaphat in den Armen Magdalena's
und Salome's wieder zu sich gekommen war,
traten einige Jünger, welche den Zug der
Kriegsknechte nahen sahen, zu ihnen und
führten sie in das Haus der Maria Markus
zurück. Der Zug der Feinde nahte auf einem
kürzeren Weg als jener, den Jesus vom Coenaculum
herabgekommen war.
Die Höhle, in
welcher Jesus heute betete, war nicht sein
gewöhnlicher Gebetsort am Ölberg. Dieser
war eine etwas entferntere Höhle des Berges,
wo er auch an dem Tage, da er den Feigenbaum
verfluchte, in großer Trauer mit ausgebreiteten
Armen über einen Felsen sich hinlehnend,
gebetet hat. Die Spuren seiner Gestalt und
Hände sind in den Stein eingedrückt geblieben
und später verehrt worden; man wußte jedoch
nicht mehr recht, bei welcher Gelegenheit
dieses Zeichen entstanden war. Von Propheten
des Alten Testaments, von Jesus, Maria,
einzelnen Aposteln, dem Leibe der heiligen
Katharina von Alexandrien auf dem Berge
Sinai und einigen anderen Heiligen habe
ich mehrfach solche Eindrücke in Stein entstehen
sehen. Sie erscheinen nicht tief, sondern
stumpf, etwa so, wie wenn man auf einen
festen Teig drückt.
⃰
⃰
Nun beschrieb
die Erzählende nach Gestalt und Farbe den
Stein, auf den sich Jesus in jener Höhle
gelehnt, mit vielen Einzelheiten, sie erwähnte
Ritzen und Stellen an demselben, die wie
herabgeflossene gefrorne Flüssigkeit erschien
u.s.w.
Judas und
seine Schar
Judas hatte
eigentlich den Ausgang seines Verrats anders
erwartet, als er erfolgte. Er wollte den
Verräterlohn verdienen und sich den Pharisäern
gefällig machen, indem er ihnen Jesus in
die Hände spielte; an das Verurteilen und
Kreuzigen Jesu aber dachte er nicht, dahin
zielte seine Absicht nicht; das Geld allein
lag ihm im Sinn, und er hatte sich schon
seit längerer Zeit mit einigen schleichenden,
spionierenden Pharisäern und Sadduzäern
eingelassen, welche ihn mit Schmeichelei
zum Verrat anlockten. Er war das mühsame,
herumziehende, verfolgte Leben müde. Er
hatte bereits in den letzten Monaten mit
stetem Bestehlen der Almosen sein Verbrechen
gegründet, und sein Geiz, durch die Freigebigkeit
Magdalenas bei Jesu Salbung höchlich geärgert,
trieb ihn nun zum äußersten. Er hatte immer
auf ein zeitliches Reich Jesu und ein einträgliches,
glänzendes Amt in demselben gehofft; als
dieses aber nicht erscheinen wollte, suchte
er sich ein Vermögen zu sammeln. Er sah
die Beschwerden und Verfolgungen wachsen,
und so gedachte er, sich vor dem Ende mit
den mächtigen vornehmen Feinden Jesu gut
zu setzen, denn Jesus sah er nicht König
werden. Der Hohepriester und die vornehmen
Männer am Tempel aber waren Leute, die ihm
sehr in die Augen leuchteten, und so ließ
er sich immer näher mit jenen Unterhändlern
ein, welche ihm auf alle Weise schmeichelten
und ihm wohl auch mit großer Zuversicht
sagten: «Es wird in jedem Falle mit Jesus
nicht mehr lange dauern.» Auch in den letzten
Tagen waren sie wieder in Bethanien hinter
ihm her, und so ließ er sich immer tiefer
in sein Verderben ein. Er lief sich in den
letzten Tagen schier die Beine ab, die Hohenpriester
zu der Tat zu bewegen. Sie wollten aber
noch nicht eingehen und behandelten ihn
mit ausnehmender Verachtung. Sie sagten,
die Zeit vor dem Feste sei zu kurz, sie
würden dadurch nur Tumult und Störung am
Feste haben; das Synedrium allein nahm noch
einige Rücksicht auf den Vorschlag des Judas.
Nach dem gottlos empfangenen Sakrament nahm
der Satan ihn ganz in Besitz, und so ging
er dann hin, das Greuliche zu tun. Zuerst
suchte er jene Unterhändler auf, die ihm
bisher stets geschmeichelt hatten und ihn
auch jetzt mit gleisnerischer Freundlichkeit
empfingen. Es kamen noch andere hinzu, auch
Kaiphas und Annas, welch letztere ihn jedoch
sehr schnöd und spöttisch behandelten. Man
war unentschlossen und mißtraute dem Erfolg,
indem man Judas nicht zu trauen schien.
Ich sah das
Reich der Hölle gleichsam uneinig, der Satan
wollte das Verbrechen der Juden durch den
Tod des Unschuldigsten, er wollte den Tod
Jesu, des Bekehrers der Sünder, des heiligen
Lehrers, des Heilandes, des Gerechten, den
er haßte; dann aber fühlte er wieder vor
dem unschuldigen Tode Jesu, der sich nicht
entzog, sich nicht retten wollte, einen
inneren Schrecken; er beneidete ihn, unschuldig
zu leiden, und so sah ich den Widersacher
auf der einen Seite den Grimm und Haß der
hier um den Verräter versammelten Feinde
Jesu anblasen und auf der anderen Seite
einigen aus ihnen die Gedanken einflößen,
Judas sei ein Schuft, ein Schurke, man werde
vor dem Feste mit dem Gerichtshandel nicht
zustande kommen und die gehörige Anzahl
der Zeugen gegen Jesus nicht zusammenbringen
können.
Sie bestritten
ihre gegenseitigen Ansichten über den zu
ergreifenden Beschluß und fragten unter
anderem den Judas: «Werden wir ihn auch
fangen können. Hat er nicht bewaffnete Scharen
um sich?» Und der schändliche Verräter erwiderte:
«Nein, er ist mit den elf Jüngern allein,
selbst ganz mutlos, und die Elf sind ganz
feige.» Auch sagte er zu ihnen, jetzt müßten
sie Jesus greifen oder nie, denn ein anderes
Mal könne er ihn nicht mehr überliefern,
indem er fortan nicht zu ihm zurückkehren
werde; die letzten Tage schon und heute
bis aufs äußerste hätten die andern Jünger
und Jesus selbst auf ihn mit Worten gezielt,
sie schienen seine Wege zu ahnen, und wenn
er wieder zu ihnen zurückkehre, würden sie
ihn unfehlbar ermorden. Er sagte auch, wenn
sie Jesus jetzt nicht gefangennähmen, so
werde er entweichen und, mit einem großen
Heer seiner Anhänger zurückkehrend, sich
als König ausrufen lassen. Durch diese Drohungen
drang Judas endlich durch. Man ging auf
seinen Vorschlag ein, Jesus nach seiner
Anleitung gefangenzunehmen, und er empfing
den Verräterlohn, die dreißig Silberlinge.
Es waren dies dreißig Stücke Silberblech
von der Gestalt einer Zunge, an dem halbrunden
Ende durchlöchert und mit Ringen an einer
Art Kette zu einem Bündel zusammengekettet.
Es waren Zeichen in diese Bleche geschlagen.
Jetzt schon,
da Judas ihr fortgesetztes, verachtungsvolles
Mißtrauen fühlte, trieb ihn Hoffart und
Prahlerei, um vor ihnen der rechte uneigennützige
Mann zu scheinen, ihnen das Geld als Opfer
für den Tempel anzubieten; sie wiesen es
aber als Blutgeld, das nicht in den Tempel
gehöre, zurück. Judas, diese tiefe Verachtung
fühlend, ward von tiefem Ingrimm erfüllt.
Er hatte dies nicht erwartet, die Früchte
seines Verrates traten ihm schon entgegen,
ehe er ganz vollzogen war; aber er hatte
sich schon zu sehr mit ihnen verwickelt,
er war in ihren Händen und konnte sich nicht
mehr loswinden. Sie beobachteten ihn scharf
und ließen ihn nicht mehr aus den Augen,
bis er den ganzen Plan zur Gefangennehmung
Jesu entworfen hatte. Nun begleiteten drei
Pharisäer den Verräter hinab in eine Halle
zu den Tempelsoldaten, welche nicht aus
lauter Juden, sondern auch aus anderem gemischten
Volke bestanden. Als alles verabredet und
die gehörige Anzahl von Soldaten versammelt
war, lief Judas, von einem Diener der Pharisäer
begleitet, zuerst nach dem Coenaculum, um
ihnen zu melden, ob Jesus noch daselbst
sei, wo sie ihn leicht durch Besetzung der
Tore gefangen nehmen könnten. Er wollte
ihnen dieses durch den Boten sagen lassen.
Schon früher,
gleich nachdem Judas den Verräterlohn empfangen
hatte, war einer hinabgegangen und hatte
sieben Sklaven weggesendet, das Holz zum
Kreuze Christi zu holen und dieses einstweilen
zu bereiten für den Fall, daß er gerichtet
würde, weil morgen wegen des eintretenden
Paschas keine Zeit mehr dazu blieb. Sie
holten das Holz wohl eine Viertelstunde
weit her, wo es mit vielem andern, zum Tempelbau
gehörigen Holz an einer langen hohen Mauer
auf einem Baurüstplatz lag, und schleppten
es hinter dem Richthause des Kaiphas auf
einen Platz, es zu bearbeiten. Der Stamm
des Kreuzes hatte als lebendiger Baum einst
im Tale Josaphat am Bache Kidron gestanden
und später, hinübergefallen, eine Brücke
gebildet. Als Nehemias das heilige Feuer
und die heiligen Gefäße im Teich Bethesda
verbarg, war es mit anderem Holz darübergedeckt,
nachher aber wieder hervorgeräumt und zu
anderem Rüstholz an die Seite geworfen worden.
Teils, um Jesus als einen König zu verhöhnen,
teils aus scheinbarem Zufall, allein aber
nach den Absichten Gottes ward das Kreuz
auf eine besondere Art bereitet. Es bestand
nebst der Überschrift aus fünferlei Holz.
Ich habe noch vielerlei Begebenheiten und
Bedeutungen in Bezug auf das Kreuz gesehen,
aber bis auf das Erzählte wieder vergessen.
Judas, zurückkehrend,
sagte, daß Jesus nicht mehr im Coenaculum,
aber nun gewiß an seinem gewöhnlichen Betort
am Ölberg sei. Er drang nun darauf, nur
eine kleine Schar mit ihm gehen zu lassen,
damit die Jünger, die überall lauerten,
nicht aufmerksam würden und etwa Aufstand
erregen möchten. Dreihundert Mann aber sollten
die Tore und Straßen von Ophel, einem Stadtteil
südlich vom Tempel, und das Tal Millo bis
zu Annas’ Haus auf Sion besetzen, um dem
zurückkehrenden Zuge Verstärkung senden
zu können, so er es verlange; denn in Ophel
hänge ihm alles Gesindel an. Auch sprach
der schändliche Verräter davon, wie sehr
sie sich vorsehen müßten, damit er ihnen
nicht entwische, wobei er erwähnte, wie
er oft durch seine geheimen Künste im Gebirge
plötzlich seinen Begleitern entgangen und
unsichtbar geworden sei. Auch schlug er
ihnen vor, ihn mit einer Kette zu binden
und sich dabei gewisser magischer Mittel
zu bedienen, damit Jesus die Bande nicht
zerbreche. Die Juden aber lehnten dieses
verächtlich ab und sagten: «Wir lassen uns
nichts von dir aufbinden und wollen ihn
schon festhalten, wenn wir ihn haben.»
Judas verabredete
mit der Schar, er wolle vor ihnen in den
Garten hineingehen und Jesus küssen und
grüßen, als komme er von seinem Geschäfte
zu ihm als Freund und Jünger zurück, dann
sollten die Kriegsknechte herandringen und
Jesus gefangennehmen. Er aber wollte sich
dann betragen, als wären diese zufällig
dazugekommen und wollte, wie die andern
Jünger tun, fliehen und der Niemand gewesen
sein. Er dachte endlich auch wohl, es könne
vielleicht noch ein Getümmel entstehen,
die Apostel sich wehren und Jesus entwischen,
wie er sich schon öfters entzogen hatte.
Dieses dachte er in Zwischenräumen, wenn
ihn die Verachtung und das Mißtrauen der
Feinde Jesu ärgerte, aber nicht, weil seine
Tat ihn reute oder Jesus ihn rührte, denn
er hatte sich ganz dem Satan übergeben —
wollte auch nicht, daß die, welche hinter
ihm eintreten würden, Fesseln und Stricke
bei sich führen oder daß überhaupt ehrlose
Schergen mitgehen sollten. Man ließ ihm
scheinbar seinen Willen und tat doch, was
man bei einem ehrlosen Verräter für nötig
hielt, dem man nicht traut, den man wegwirft,
wenn man ihn gebraucht hat. Man unterrichtete
die Soldaten besonders, Judas wohl zu beobachten
und nicht aus den Augen und Händen zu lassen,
bis man Jesus gebunden habe, denn man habe
ihn dafür bezahlt, und es sei zu befürchten,
daß der Schurke mit dem Geld davonlaufe
und man in der Nacht Jesus gar nicht oder
einen andern statt seiner fange, so daß
nachher aus dem ganzen Unternehmen nichts
als nur Störung oder Aufwiegelung am Paschafest
hervorgehe. Die Schar, die man zur Gefangennahme
Jesu ausgewählt hatte, bestand aus zwanzig
Kriegsknechten, teils von der Tempelwache,
teils aus den Kriegsknechten des Annas und
Kaiphas. Sie waren beinahe ganz auf Art
der römischen Kriegsleute gekleidet, sie
trugen Pickelhauben und hatten von ihren
Wämsern Riemen gleich den Römern um die
Lenden herabhängen. Sie unterschieden sich
hauptsächlich von diesen durch ihre Bärte,
da die Römer in Jerusalem nur Backenbärte,
Kinn und Mund aber glatt trugen. Alle zwanzig
waren mit Schwertern, nur einige mit Spießen
bewaffnet. Sie hatten Stangen mit Feuerkörben
und Pechfackeln bei sich, aber, da sie ankamen,
nur eine der Leuchtpfannen angezündet. Man
hatte eine größere Schar mit Judas ziehen
lassen wollen, gab aber seiner Einwendung
nach, daß diese, da man vom ÖIberg aus das
Tal überschaue, zu leicht bemerkt werden
würden. Es blieb also der größte Teil in
Ophel zurück, auch hatte man Wachtposten
hie und da an Seitenwegen und in der Stadt
aufgestellt, um Aufläufen und Rettungsversuchen
zu begegnen. — Judas zog mit den zwanzig
Kriegsknechten voraus, man ließ diesen aber
in einiger Entfernung vier ehrlose Schergen,
niedrige Büttel, folgen, welche Stricke
und Fesseln trugen. Einige Schritte hinter
diesen aber zogen jene sechs Beamten her,
mit welchen sich Judas seit längerer Zeit
eingelassen hatte. Es waren dies ein vornehmer
Priester und Vertrauter des Annas und einer
des Kaiphas, außerdem zwei pharisäische
und zwei sadduzäische Beamte, die zugleich
Herodianer waren. Alle waren Lauerer, Schleicher
und speichelleckende Augendiener des Annas
und Kaiphas und die boshaftesten heimlichen
Feinde des Heilandes.
Die zwanzig Soldaten
gingen ganz vertraut mit Judas bis an die Stelle,
wo der Weg zwischen dem Garten Gethsemane und
dem Ölgarten hineinläuft. Hier wollten sie ihn
nicht allein vorauslassen, stimmten einen anderen
Ton gegen ihn an und stritten frech und keck
mit ihm.
Die Gefangennahme des Herrn
Als Jesus
mit den drei Aposteln auf den Weg zwischen
Gethsemane und dem Ölgarten herausgetreten
war, erschienen am Eingange dieses Weges,
etwa 20 Schritte von ihm, Judas mit den
Kriegsleuten, und diese hatten dort ein
Gezänk miteinander. Judas nämlich wollte
getrennt von den Kriegsknechten, allein
und wie ein angehöriger Freund zu Jesus
hineingehen, und sie sollten dann, als ihm
ganz unbewußt, dazu gekommen scheinen; sie
aber hielten ihn fest und sagten: «Nicht
so, Geselle, du sollst uns nicht entlaufen,
bis wir den Galiläer haben», und da sie
die acht Apostel, welche auf das Geräusch
aus dem Garten Gethsemane herannahten, bemerkten,
riefen sie die vier nachfolgenden Schergen
heran, um sich zu verstärken. Diese aber
wollte Judas gar nicht dabei haben und stritt
lebhaft mit ihnen. Als Jesus und die drei
Apostel diesen zankenden Haufen mit Waffen
bei dem Fackelschein erkannten, wollte Petrus
mit Gewalt auf sie los und sagte: «Herr,
die acht aus Gethsemane sind auch dort vorne,
wir wollen auf die Schergen dreinschlagen!»
Jesus aber sagte ihm zu ruhen und trat mit
ihnen wieder einige Schritte über den Weg
aufeinen Rasenplatz zurück. Judas, mit seinem
Plan ganz in Verwirrung, war voll Grimm
und Bosheit. Vier Jünger waren vom Garten
Gethsemane herausgetreten und fragten, was
es hier geben solle; Judas kam mit ihnen
ins Gerede und wollte sich gerne herauslügen,
die Wachen aber ließen ihn nicht hinweg.
Diese vier waren Jakobus der Jüngere, Philippus,
Thomas und Nathanael, denn dieser und einer
der Söhne des alten Simeon und mehrere andere
waren teils als Boten von den Freunden Jesu
zu den acht Aposteln in den Garten Gethsemane
gesendet worden, teils aus Angst und Neugierde
zu ihnen gekommen. Außer diesen vier schweiften
die übrigen fluchtbereit in der Ferne lauernd
umher.
Jesus aber
nahte dem Haufen einige Schritte und sagte
laut und vernehmlich: «Wen suchet ihr?»
Da sagten die Anführer der Soldaten: «Jesus
von Nazareth!» und Jesus antwortete: «Ich
bin’s!» Kaum aber hatte er dieses Wort gesagt,
als sie, wie von einem Krampfe befallen,
zurückdrängten und gegeneinander hinsanken.
Judas, der noch in ihrer Nähe stand, ward
hierdurch in seinem Vorhaben noch verwirrter,
er schien sich Jesus nahen zu wollen, der
Herr aber hob die Hand gegen ihn und sagte:
«Freund, wozu bist du gekommen?» worauf
Judas in Bestürzung etwas von vollzogenem
Geschäfte sprach. Jesus aber sprach solche
Worte wie: «Oh, wohl besser wäre dir, nicht
geboren zu sein.» Doch erinnere ich mich
dieser Worte nicht mehr ganz bestimmt.
Während diesem
hatten die Kriegsknechte sich wieder aufgerichtet
und waren, das Zeichen des Verräters, den
Kuß erwartend, dem Herrn und den Seinen
genaht. Petrus und die andern Jünger aber
umdrängten Judas und nannten ihn einen Dieb
und Verräter. Er aber wollte sich von ihnen
mit Lügen loswinden, was ihm jedoch nicht
gelang, indem die Kriegsknechte ihn gegen
sie zu schützen suchten und dadurch gegen
ihn zeugten.
Jesus aber
sagte nochmals: «Wen suchet ihr?» Und sie
wendeten sich und sagten wieder: «Jesus
von Nazareth!» Da sprach er: «Ich bin’s,
ich habe es euch schon gesagt, daß ich es
bin; suchet ihr mich, so lasset jene.» Auf
sein Wort, ich bin’s, fielen die Kriegsleute
abermals, und zwar ganz verdreht wie Leute,
die die fallende Sucht haben, nieder, und
Judas wurde von neuem von den andern Aposteln
umdrängt, denn sie waren in äußerster Erbitterung
gegen ihn. Jesus sprach nun zu den Kriegsknechten:
«Stehet auf?» Da standen sie auf und waren
voll Schrecken, und da Judas sich noch mit
den Aposteln herumstritt und diese die Wachen
drängten, wendeten die Wachen sich gegen
die Apostel, wodurch Judas frei wurde, den
sie nun drohend antrieben, ihnen das verabredete
Zeichen zu geben, denn sie hatten Befehl,
keinen zu greifen als den, welchen er küssen
würde. Jetzt aber ging Judas auf Jesus zu,
umfing ihn und küsste ihn mit den Worten:
«Meister, sei gegrüßt!» Und Jesus sagte:
«Judas, mit einem Kusse verrätst du den
Menschensohn?»
Und nun traten
die Kriegsknechte um Jesus in einen Kreis, und
die herangenahten Schergen legten Hand an unsern
Herrn. Judas wollte jetzt fliehen, die Apostel
aber hielten ihn auf und drängten auf die Soldaten
ein und schrien: «Herr, sollen wir mit dem Schwert
dreinschlagen?» Petrus aber, eifriger, griff
nach dem Schwert und hieb nach Malchus, dem
Knecht des Hohenpriesters, der sie zurückdrängen
wollte, und hieb ihm ein Stück vom Ohr ab, so
daß er zu Boden niederstürzte, wodurch die Verwirrung
noch größer ward.
Im Augenblick
dieser eifrigen Tat des Petrus befand sich
alles in folgendem Zustand: Jesus wurde
eben von den Bütteln angefaßt, die ihn binden
wollten; in einem weiteren Kreise umgaben
ihn die Kriegsknechte, aus denen Malchus
von Petrus niedergehauen ward. Andere Soldaten
hatten zu tun, die nahenden und wieder fliehenden
Jünger abzuhalten und zu verfolgen. Vier
der Jünger aber streiften umher und ließen
sich nur hie und da in der Ferne blicken.
Die Kriegsknechte waren teils durch das
Niederstürzen zaghaft, teils durften sie
kein ernsteres Nachsetzen wagen, um den
Kreis, der Jesus umgab, nicht zu sehr zu
schwächen. Judas, der gleich nach dem Verräterkuß
entfliehen wollte, wurde von einigen fern
stehenden Jüngern aufgehalten und mit Schmähworten
überhäuft. Die aber nun erst herantretenden
sechs Beamten machten ihn wieder los, und
die vier Büttel um Jesus waren eben mit
ihren Stricken und Banden beschäftigt; der
Herr war, von ihnen angefaßt, im Begriffe,
gebunden zu werden.
So war alles
umher, eben als Petrus den Malchus niedergehauen
hatte und Jesus zugleich sagte: «Petrus,
stecke dein Schwert ein, denn wer das Schwert
nimmt, soll durch das Schwert umkommen,
oder meinst du, daß ich nicht könnte meinen
Vater bitten, daß er mir mehr als zwölf
Legionen Engel schicke! Soll ich den Kelch
nicht trinken, den mir mein Vater gegeben
hat? Wie würde die Schrift erfüllt werden,
wenn es nicht so geschehen müßte?» Er sagte
aber auch: «Laßt mich, daß ich den Menschen
heile», und er nahte dem Malchus, rührte
ihm das Ohr an und betete, da war es heil.
Es waren aber die Wache um ihn und die Schergen
und die sechs Beamten, und diese höhnten
ihn, zu der Schar sprechend: «Er hat mit
dem Teufel zu tun, durch Zauberei schien
das Ohr verletzt, und durch Zauberei ist
es heil.»
Da sprach
Jesus zu ihnen: «Ihr seid gekommen mit Spießen
und Stangen, mich wie einen Mörder zu fangen;
ich habe täglich bei euch im Tempel gelehrt,
da habt ihr nicht gewagt, die Hand an mich
zu legen, aber jetzt ist eure Stunde, die
Zeit der Finsternis.» Sie befahlen aber,
ihn zu fesseln und höhnten ihn, sprechend:
«Uns hast du nicht niederwerfen können mit
deiner Zauberei», und so sagten auch die
Büttel: «Wir wollen dir deine Künste vertreiben.»
Jesus antwortete noch einiges, was ich nicht
mehr weiß, die Jünger aber flohen nach allen
Seiten. Die vier Schergen und die sechs
Pharisäer waren nicht gefallen und daher
auch nicht wieder aufgestanden, und dieses
zwar, wie mir eröffnet ward, weil sie ganz
in den Banden des Satans und in einem Range
mit Judas gewesen, der auch nicht fiel,
obschon er bei den Kriegsleuten stand, denn
es seien auch alle diejenigen, die gefallen
und wieder aufgestanden, nachher bekehrt
und Christen geworden, und das Fallen und
Wiederaufstehen sei das Vorbild ihrer Bekehrung.
Diese Kriegsknechte haben auch Jesus nicht
berührt, sondern nur umgeben, und Malchus
war nach seiner Heilung schon dermaßen bekehrt,
daß er nur der Ordnung wegen seine Dienste
forttat und schon in den folgenden Stunden
des Leidens Christi zu Maria und andern
Freunden als Bote ab- und zulief, Nachricht
zu bringen, was alles geschehe.
Die Schergen
banden Jesus unter steten frechen und höhnischen
Reden der Pharisäer mit großer Roheit und
einer henkermäßigen Brutalität. Diese Menschen
waren Heiden von der niederträchtigsten
Gattung. Sie waren an den Beinen, Armen
und dem Hals unbekleidet; um die Mitte des
Leibes trugen sie eine Binde und über den
Oberleib kurze Wämser ohne Ärmel, an den
Seiten mit Riemen geheftet. Sie waren klein,
stark, sehr behend und von einer bräunlichen,
fuchsigen Hautfarbe wie ägyptische Sklaven.
Sie banden
Jesus die Hände vor der Brust auf eine grausame
Weise, indem sie ihm das Gelenk der rechten
Hand an den linken Vorderarm unterhalb dem
Ellbogen und das Gelenk der linken Hand
ebenso unterhalb dem Ellbogen des rechten
Vorderarmes mit neuen, scharfschneidenden
Stricken unbarmherzig festknebelten. Sie
legten ihm einen breiten Fesselgürtel, in
welchem Stacheln waren, um die Mitte des
Leibes und schnürten ihm die Hände nochmals
an Bast- oder Weidenringen fest, die an
diesem Gürtel angebracht waren. Um den Hals
legten sie ihm ein Halsband, in welchem
Stacheln oder andere verwundende Körper
angebracht waren, und von diesem Halsbande
liefen zwei, gleich einer Stola über der
Brust gekreuzte Riemen nieder, welche ohne
Spielraum, scharf angezogen, wieder an dem
Gürtel befestigt waren. An vier Punkten
dieses Gürtels befestigten sie vier lange
Stricke, vermittels welcher sie unsern Herrn
nach ihrem bösen Willen hin und her reißen
konnten. Alle diese Fesselnwaren ganz neu
und schienen, seit man mit dem Plane umging,
Jesus gefangen zu nehmen, besonders zu diesem
Zweck bereitet zu sein.
Nun setzte
sich der grausame Zug in Bewegung, nachdem
sie noch mehrere Fackeln angezündet hatten.
Voraus gingen zehn Mann von der Wache, dann
folgten die Schergen, Jesus an den Stricken
zerrend, dann die höhnenden Pharisäer, und
zuletzt schlossen die zehn übrigen Kriegsknechte
den Zug; die Jünger schweiften noch wehklagend
und wie von Sinnen hie und da umher, Johannes
aber folgte etwas näher hinter den letzten
Wachen nach, und die Pharisäer befahlen
ihnen, diesen Menschen zu greifen. Es wendeten
sich daher einige zurück und eilten auf
ihn zu, er aber floh vor ihnen, und da sie
ihn im Nacken an seinem Schweißtuch faßten,
ließ er es los und entkam. Er hatte seinen
Mantel abgelegt und nichts als ein geschürztes
Unterkleid ohne Ärmel an, um leichter entfliehen
zu können. Oben aber um den Hals, das Haupt
und die Arme hatte er jene lange schmale
Zeugbahn gehüllt, welche von den Juden getragen
wird. — Die Schergen zerrten und mißhandelten
Jesus auf die grausamste Weise und übten
allen Mutwillen an ihm aus, und zwar hauptsächlich
aus einer niederträchtigen Gefälligkeit
und Augendienerei gegen die sechs Beamten,
welche voll Bosheit und Grimm gegen Jesus
waren. Sie führten ihn auf dem unbequemen
rauen Weg durch alle Gleise, über Steine
und Kot, sie hielten die langen Stricke
gespannt und suchten sich selbst gute Pfade;
dadurch mußte Jesus immer gehen, wo es die
Stricke zuließen; sie hatten in den Händen
knotige Stricke, womit sie ihn, wie ein
Fleischer das Vieh, das er zur Schlachtbank
führt, antrieben, und alles dieses unter
so niedrigem Hohn und Spott, daß es empörend
wäre, ihre Reden zu wiederholen.
Jesus war
barfuß, er hatte außer der gewöhnlichen
nächsten Leibesbedeckung ein wollenes gewirktes
Hemd ohne Naht und ein Übergewand an. Auf
bloßem Leibe trugen die Jünger, wie die
Juden überhaupt, über Brust und Rücken ein
Skapulier, aus zwei Zeugstücken bestehend,
welche über den Schultern durch Riemen zusammenhingen,
an den Seiten aber offen waren. Den Unterleib
bedeckten sie mit einem Gürtel, von welchem
vier Lappen niederhingen, die, um die Lenden
gewickelt, ein Beinkleid bildeten. Ich muß
noch sagen, daß ich dem Herrn bei seiner
Gefangennehmung keinen Befehl, keine Schrift
vorzeigen sah, sie gingen zu Werk, als sei
er vogelfrei und außer allem Rechte.
Der Zug ging
mit eilenden Schritten und wendete sich,
da er den Weg zwischen dem Ölgarten und
dem Lustgarten von Gethsemane verlassen
hatte, rechts eine Strecke an der Abendseite
dieses Lustgartens hin nach einer Brücke,
welche dort über den Bach Kidron führt.
Über diese Brücke war Jesus, mit den Aposteln
zum Ölberg gehend, nicht gekommen; er hatte,
auf Umwegen durch das Tal Josaphat wandelnd,
den Kidron auf einer südlicher gelegenen
Brücke überschritten. Die Brücke, über welche
er jetzt gefangen geführt wurde, war sehr
lang, indem sie nicht nur den Kidron, der
hier dichter am Ölberg hinfloß, sondern
auch eine Strecke der ungleichen Talhöhen
als ein fahrbarer Steinweg überschritt.
Schon ehe der Zug an die Brücke kam, sah
ich Jesus zweimal durch das unbarmherzige
Führen und das Zerren der Schergen an den
Stricken zur Erde niederfallen. Als sie
aber auf die Mitte der Brücke gekommen waren,
übten sie ihre Büberei mit größerer Bosheit
an ihm aus. Die Schergen stießen den armen
gefesselten Jesus, den sie an den Stricken
hielten, über mannshoch von der Brücke in
den Bach Kidron nieder, wobei sie mit Schimpfworten
sprachen, da könne er sich satt trinken.
Nur durch göttlichen Beistand verletzte
er sich nicht tödlich. Er fiel auf die Knie
und dann auf das Angesicht nieder, das er
auf dem mit wenigem Wasser bedeckten Felsenboden
schwer würde verletzt haben, wenn er seine
zusammengeschnürten Hände nicht unterstützend
vorgehalten hätte. Sie waren von dem Gürtelband
los, ich weiß nicht, ob durch göttliche
Hilfe oder ob die Schergen sie ihm erst
aufgelöst hatten. Die Spuren seiner Knie,
Füße, Ellbogen und Finger drückten sich
durch Gottes Willen auf der Stelle, die
er berührte, in dem Felsengrunde ein und
wurden später verehrt. Man glaubt solche
Wirkungen nicht mehr, mir sind aber solche
Eindrücke in Stein durch die Füße, Knie
und Hände von Patriarchen und Propheten,
von Jesus, der heiligen Jungfrau und einigen
Heiligen oft in historischen Gesichten gezeigt
worden. Die Felsen waren weicher und gläubiger
als die Herzen der Menschen und gaben Zeugnis
in gewaltigen Augenblicken, daß die Wahrheit
Eindrücke auf sie mache.
Ich hatte
Jesu nach seiner schweren Angst am Ölberg
in seinem heftigen Durst nicht trinken sehen,
nun aber, in den Kidron gestoßen, sah ich
ihn mühsam trinken und hörte ihn dabei die
Erfüllung einer prophetischen Psalmenstelle
vom Trinken aus dem Bache am Wege aussprechen.
(Psalm
109, 7)
Die Schergen
hielten unsern Herrn von der Brücke herab
fortwährend an den langen Stricken fest,
und da es ihnen zu mühsam war, ihn wieder
heraufzuziehen und ein Mauerwerk jenseits
am Ufer es verhinderte, Jesus durch den
Bach waten zu lassen, so zerrten sie ihn
mit den Stricken durch den Kidron zurück,
gingen dann hinab und schleiften ihn rückwärts
über das hohe Ufer wieder heraus. Nun trieben
diese Elenden den armen Jesus unter Höhnen,
Fluchen, Stoßen und Schlagen, an den Stricken
vorwärtsreißend, zum zweitenmal über die
lange Brücke. Sein langes wollenes Gewand,
schwer vom Wasser, lag fest an seinen Gliedern,
er vermochte kaum zu gehen und sank jenseits
der Brücke abermals zur Erde nieder. Sie
rissen ihn, mit den Stricken schlagend,
wieder empor und schürzten ihm nun unter
den schändlichsten Spottreden das nasse
Gewand indem Gürtelband auf. Sie sprachen
z.B. vom Schürzen zum Osterlamm und ähnliche
Spottreden.
Es war noch
nicht Mitternacht, als ich sah, wie die
vier Büttel Jesus auf der andern Seite des
Kidrons auf bösem zerrissenem Weg, der wenig
Raum bot, wo nur Fußpfade, bald tiefer,
bald höher, nebenherliefen, über scharfe
Steine und Felsentrümmer, durch Distel und
Dorn unmenschlich fortrissen und fluchend
und schlagend hintrieben. Die boshaften
sechs Beamten waren, wo es der Weg erlaubte,
immer in seiner Nähe; jeder hatte eine andere
Art von Marterstäbchen in der Hand, womit
er ihn stieß, stachelte oder schlug. An
den Stellen, wo Jesus auf seinen blutenden
nackten Füßen über die scharfen Steine durch
Nesseln und Dornen von den Schergen fortgerissen
ward, welche auf den besseren Pfaden nebenher
gingen, da trafen die Spott- und Stachelreden
der sechs Pharisäer das liebende Herz des
armen Jesus; da sprachen sie solche Hohnworte
wie z.B.: «Hier hat ihm sein Vorläufer,
der Täufer, keinen guten Weg bereitet» oder:
«Hier trifft ihm Malachias’ Wort nicht ein:
ich sende meinen Engel vor dir her, deinen
Weg zu bereiten» oder: «Warum erweckt er
sich nicht den Johannes von den Toten auf,
daß er ihm den Weg bereite?» Und solche
Hohnworte dieser schändlichen Menschen,
worüber sie gegenseitig in freches Lachen
ausbrachen, wurden Stichworte für die Schergen,
irgendeine neue Misshandlung an dem armen
Jesus auszuüben.
Nachdem sie
aber den Herrn noch eine Weile fortgetrieben
hatten, bemerkten sie, daß sich mehrere
Personen hie und da in einiger Ferne herumschweifend
zeigten, denn es hatten sich viele Jünger
auf das Gerücht, Jesus werde gefangengenommen,
aus Bethphage und von anderen Schlupfwinkeln
herangezogen, um zu spähen, wie es ihrem
Meister ergehe. Es wurden nun die Feinde
Jesu besorgt, sie möchten überfallen und
der Gefangene ihnen entrissen werden, daher
gaben sie mit Rufen nach der Vorstadt Ophel
hin Signale, daß die verabredete Verstärkung
zu ihnen stoßen solle.
Der Zug war
etwa noch einige Minuten Wegs von der Pforte
entfernt, die südlicher als der Tempel durch
einen kleinen Stadtteil, Ophel genannt,
auf den Berg Sion führte, auf welchem Kaiphas
und Annas wohnten, als ich aus dieser Pforte
eine Schar von fünfzig Kriegsleuten herauskommen
sah, um seine Begleitung zu verstärken.
Sie zogen in drei Haufen, der erste war
zehn, der letzte fünfzehn Mann stark, ich
habe sie gezählt, und der mittelste also
fünfundzwanzig. Sie hatten mehrere Fackeln
bei sich, waren sehr frech und mutwillig
und schrien und jauchzten, als wollten sie
den Nahenden ihre Ankunft melden und ihnen
zu ihrem Siege Glück wünschen. Sie nahten
mit großem Lärm, und in dem Augenblick,
da der vorderste Haufen sich mit der Bedeckung
Jesu vereinigte, sah ich während der hierdurch
entstehenden Bewegung den Malchus und mehrere
andere aus dem Nachtrab sich heimlich entfernen
und nach dem Ölberge hin entweichen.
Als diese
Schar mit Jauchzen unter Fackelschein aus
Ophel dem ankommenden Zuge entgegeneilte,
zerstreuten sich die umherstreifenden Jünger.
Ich sah aber, daß die heilige Jungfrau und
neun Frauen mit ihr wieder von ihrer Angst
ins Tal Josaphat getrieben worden waren.
Es waren Martha, Magdalena, Maria Cleopha,
Maria Salome, Maria Markus, Susanna, Johanna
Chusa, Veronika und Salome bei ihr. Sie
befanden sich südlicher als Gethsemane,
jener Gegend des Ölbergs gegenüber, wo eine
andere Höhle liegt, in der Jesus sonst zu
beten pflegte. Ich sah Lazarus, Johann Markus,
Veronikas Sohn und Simeons Sohn bei ihnen.
Der letztere war auch mit Nathanael bei
den acht Aposteln in Gethsemane gewesen
und quer durch den Tumult durchgelaufen.
Sie brachten den heiligen Frauen Nachricht;
indem hörte man das Geschrei und sah die
Fackeln der beiden sich vereinigenden Scharen.
Da verlor die heilige Jungfrau das äußere
Bewußtsein und sank ihren Begleiterinnen
in die Arme; diese aber zogen sich eine
Strecke mit ihr zurück, um sie, wenn der
lärmende Zug vorüber, wieder nach dem Hause
der Maria Markus zu bringen.
Die fünfzig
Kriegsknechte waren von einer Schar von
dreihundert Mann ausgesendet, welche plötzlich
die Tore und Straßen von Ophel und die Umgegend
dieses Stadtteils besetzt hatten; denn Judas,
der Verräter, hatte die Hohenpriester darauf
aufmerksam gemacht, daß die Bewohner von
Ophel, meistens arme Handwerker, Taglöhner,
Holz- und Wasserträger des Tempels, die
heftigsten Anhänger Jesu seien und daß bei
seiner Durchführung hier leicht Befreiungsversuche
zu befürchten seien. Der Verräter wußte
wohl, daß Jesus hier vielen aus den armen
Bauarbeitern Trost, Lehre, Almosen und Heilung
gegeben hatte. Es war auch hier in Ophel,
wo Jesus, da er nach der Ermordung Johannes
des Täufers in Machärunt von Bethanien gen
Hebron reiste, um Johannes’ Freunde zu trösten,
verweilte und so viele bei dem Einsturz
des großen Baues und des Turmes Siloah verwundete
arme Handlanger und Taglöhner heilte
⃰
. Diese Leute
kamen auch meistens nach der Sendung des
Heiligen Geistes zu der ersten Christengemeinde,
und als die Absonderung der Christen von
den Juden entstand und mehrere Ansiedlungen
der Gemeinde errichtet wurden, wurden von
hier aus Zelte und Hütten quer durch das
Tal bis zum Ölberg aufgeschlagen; damals
hat auch Stephanus hier recht sein Wesen
gehabt. Ophel ist ein mit Mauern umgebener
Hügel, südlich vom Tempel gelegen und meistens
von armen Taglöhnern bewohnt, es scheint
mir nicht viel kleiner als Dülmen
⃰ ⃰
zu sein.
⃰
Dieses geschah
am 25 Thebet des dritten Lehrjahres Jesus
Christus nach der Anschauung der Betrachtenden
vom Montag den 13. Januar 1823.
⃰
⃰
So heisst
der Aufenthaltsort der verstorbenen Erzählerin
im Bistum Münster.
Die guten
Einwohner von Ophel wurden durch das Geschrei
der einziehenden Besatzung erweckt. Sie
eilten aus ihren Häusern und drängten sich
nach den Straßen und der Pforte, wo die
Soldaten waren, und fragten, was es gebe,
wurden aber von diesen, die aus einem Gemisch
von niedrigem, übermütigem Sklavengesindel
bestanden, mit Hohn und Roheit nach ihren
Wohnungen zurückgetrieben. Als sie hie und
da die Erklärung erhielten: «Jesus, der
Übeltäter, euer falscher Prophet, wird gefangen
hingeführt, der Hohepriester will ihm das
Handwerk legen, er wird ans Kreuz müssen»,
da erfüllte alsbald ein lautes Wehklagen
und Jammern den ganzen, aus der Nachtruhe
geweckten Ort. Die armen Leute, Männer und
Weiber, liefen wehklagend umher oder warfen
sich mit ausgebreiteten Armen auf die Knie
und schrien zum Himmel und priesen Jesu
Wohltaten. Die Kriegsleute aber drängten
sie stoßend und schlagend nach allen Seiten
in ihre Wohnungen zurück und schimpften
auf Jesus, sprechend: «Hier ist ja der offenbare
Beweis, wie er ein Aufwiegler des Volkes
ist.» Sie vermochten jedoch nicht, die Einwohner
gänzlich zur Ruhe zu bringen, aus Besorgnis,
sie durch noch größere Gewalttätigkeit erst
ganz aufzuregen, und so suchten sie dieselben
nur von dem Weg, den der Zug durch Ophel
zu nehmen hatte, zurückzuhalten.
Indessen
nahte der grausame Zug mit dem mißhandelten
Jesus immer mehr der Pforte von Ophel. Unser
Herr war wiederholt zur Erde gefallen und
schien nicht mehr weiterzukönnen, da benützte
ein mitleidiger Soldat die Gelegenheit und
sagte: «Ihr seht selbst, der elende Mann
kann nicht weiter, sollen wir ihn lebendig
vor die Hohenpriester bringen, so macht
ihm doch die Stricke an den Händen etwas
loser, damit er sich beim Fallen stützen
kann.» Während der Zug nun etwas einhielt
und die Schergen ihm die Hände etwas loser
banden, brachte ihm ein anderer barmherziger
Kriegsknecht aus einem in der Nähe befindlichen
Brunnen
⃰
Wasser
zu trinken. Er schöpfte es mit einer aus
Bast gewundenen Tüte, wie sie die Soldaten
und Wanderer häufig als Trinkgefäß hierzulande
bei sich tragen. Als Jesus zu diesem Mann
einige Worte des Dankes und irgendeine Prophetenstelle
von «Tränken mit lebendigem Wasser» oder
«Strömen lebendigen Wassers» aussprach,
die ich nicht mehr bestimmt weiß, verhöhnten
und schimpften ihn die begleitenden Abgeordneten.
Sie beschuldigten ihn der Prahlerei und
Lästerung, er solle seine eitlen Reden unterlassen,
er werde kein Tier, viel weniger einen Menschen
mehr tränken. — Es wurde mir aber gezeigt,
daß beide Männer, jener, durch den Jesu
Bande erleichtert wurden, und jener, der
ihm zu Trinken brachte, mit innerer Erleuchtung
begnadet wurden. Sie bekehrten sich noch
vor dem Tode Jesu und sind nachher als Jünger
zu der Gemeinde gekommen. Ich habe ihre
jetzigen Namen und auch ihre späteren Jüngernamen
und den ganzen Zusammenhang gewußt; aber
man kann alles das unmöglich behalten, es
ist gar zu viel.
⃰
Wahrscheinlich Siloe oder Rogel.
Nun ging
der Zug wieder unter Mißhandlungen voran,
und zwar eine Höhe hinan durch die Pforte
von Ophel, wo ein herzzerreißendes Jammergeschrei
der Bewohner, welche Jesus mit großer Dankbarkeit
zugetan waren, den Zug empfing. Die Kriegsknechte
vermochten nur mit großer Anstrengung die
von allen Seiten andringende Menge der Männer
und Weiber zurückzuhalten. Sie drängten
sich von allen Seiten händeringend heran,
sie warfen sich auf die Knie nieder und
schrien mit ausgestreckten Händen: «Gebt
uns diesen Menschen los, gebt uns diesen
Menschen los! Wer soll uns helfen, wer soll
uns heilen und trösten? Gebt uns diesen
Menschen los!» Es war ein herzzerreißender
Anblick, Jesus bleich, entstellt und zerschlagen,
mit zerrauftem Haar und nassem, beschmutztem,
unordentlich geschürztem Gewand, mit Stricken
gezerrt, mit Stöcken gestoßen, wie ein armes
halb ohnmächtiges Opfertier, von frechen,
halb nackten Schergen vorwärts gehetzt und
von abwehrenden übermütigen Kriegsknechten
durch den Andrang der wehklagenden, dankbaren
Einwohner von Ophel durchschleppen zu sehen,
die ihm die Hände nachstreckten, welche
er von Lahmheit geheilt, ihm mit Zungen
nachflehten, welche er von Stummheit gelöst,
ihm mit Augen nachsahen, nachweinten, welchen
er das Licht wieder gegeben hatte.
Schon im
Tale Kidron hatte sich allerlei müßiges
Gesindel, von den Kriegsknechten aufgeregt
und von dem Anhang des Annas und Kaiphas
und anderen Feinden Jesu veranlaßt, an den
Zug mit Hohn und Spott angeschlossen, und
diese halfen nun, die guten Leute von Ophel
zu höhnen und zu schimpfen. Ophel ist ein
förmlicher Hügel; denn ich sah in der Mitte
auf einem freien Platz den höchsten Punkt
des Ortes, worauf allerlei Balkenwerk wie
auf einer Zimmerstelle aufgehäuft lag. Der
Zug ging von hier wieder durch das Tor einer
Mauer etwas abwärts.
Als der Zug
durch Ophel durch war, hielt man das Volk
vom Nachfolgen ab. Sie zogen nun etwas talab,
zur Rechten lag ein großes Gebäude, ich
meine Überreste von Salomons Werken, links
blieb der Teich Bethesda liegen, so ging
es immer abendwärts in einer Talstraße,
sie hieß Millo, und dann wendete sich der
Zug etwas mittagwärts, hohe Treppen zum
Berge Sion hinauf, nach dem Hause des Annas.
Auf diesem ganzen Wege wurden Hohn und Mißhandlung
an unserem Herrn fortgesetzt, und das immer
neu aus der Stadt zudringende Gesindel veranlaßte
die niederträchtigen Begleiter des Herrn
zu vielfacher Wiederholung ihrer Grausamkeit.
— Vom Ölberg bis hierher ist Jesus siebenmal
zur Erde gefallen.
Die Bewohner
von Ophel waren noch voll Schrecken und
Betrübnis, als ein neuer Auftritt ihr Mitleid
erneuerte. Die Mutter Jesu ward von den
heiligen Frauen und Freunden aus dem Tale
Kidron nach dem Hause Maria Markus’, welches
am Fuße des Berges Sion lag, durch Ophel
geführt. Als die guten Leute sie erkannten,
erhob sich von neuem das Mitleid und Wehklagen
unter ihnen, und es entstand ein solches
Gedränge um Maria und ihre Wegbegleitung,
daß die Mutter Jesu beinahe von der Menge
getragen ward.
Maria war
stumm vor Schmerz und sprach, bei Maria
Markus angekommen, auch nicht eher, als
bis nachher Johannes zu ihr kam; da begann
sie zu fragen und zu trauern, und er erzählte
ihr alles, was er mit Jesus vom Verlassen
des Coenaculum an bis jetzt vorgehen gesehen.
Später brachte man die heilige Jungfrau
an die Abendseite der Stadt in Marthas Haus
neben dem Schloß des Lazarus. Man führte
sie aber damals auf Umwegen, die Wege vermeidend,
die Jesus geführt worden war, um sie nicht
zu sehr zu betrüben.
Petrus und Johannes,
die in der Ferne dem Zuge nachgefolgt waren,
liefen, da er in die Stadt einzog, eilends zu
einigen guten Bekannten, die Johannes unter
der Dienerschaft der Hohenpriester hatte, um
irgendeine Gelegenheit zu finden, in die Gerichtssäle
zu kommen, wo ihr Meister hingebracht wurde.
Diese Bekannten Johannes’ waren eine Art Kanzleiboten,
welche jetzt in der ganzen Stadt herumlaufen
mußten, um die Attesten aus mehreren Klassen
und viele andere zu wecken und in die Gerichtsversammlung
zu berufen. Sie wollten den beiden Aposteln
gerne gefällig sein, wußten aber kein anderes
Mittel, als daß sie Petrus und Johannes auch
Kanzleibotenmäntel umlegten und sich von ihnen
in ihren vielen Einladungen helfen ließen, damit
sie nachher durch die Mäntel mit in den Gerichtssaal
des Kaiphas kommen könnten, denn dort waren
nur bestochenes Gesindel, Soldaten und falsche
Zeugen versammelt, und jeder andere ward hinausgetrieben.
Es gehörten aber Nikodemus und Joseph von Arimathia
und andere wohlgesinnte Leute in den Rat, so
daß sie mit deren Einladung nur Freunde ihres
Meisters versammelten, welche die Pharisäer
vielleicht absichtlich in der Einladung hätten
übergehen lassen können. Judas irrte indessen
wie ein wahnsinniger Verbrecher, der den Teufel
an der Seite hat, an der steilen mittäglichen
Seite von Jerusalem, wo aller Unrat ausgeleert
wird, umher.
Anstalten der
Feinde Jesu
Von der Gefangennehmung
Jesu waren Annas und Kaiphas gleich benachrichtigt,
und alles war in voller Tätigkeit bei ihnen.
Ihre Gerichtshöfe waren beleuchtet und alle
Zugänge mit Wachen versehen, ihre Amtsboten
liefen durch die ganze Stadt, um die Mitglieder
des Rats, Schriftgelehrte und alle, die
etwas beim Gericht zu sagen hatten, zusammenzurufen.
Viele aber waren schon vom Verrate Judas’
an bei Kaiphas versammelt geblieben, um
den Erfolg abzuwarten. Auch wurden die Ältesten
der Bürgerschaft aus drei Klassen zusammengerufen,
und da die Pharisäer, Sadduzäer, Herodianer
aus allen Gegenden des Landes sich schon
seit einigen Tagen auf dem Fest in Jerusalem
befanden und das Vorhaben, Jesus zu fangen,
schon lange unter ihnen und dem Hohen Rate
vorhanden und abgehandelt war, so wurden
auch aus diesen, von welchen allen der Hohepriester
Verzeichnisse hatte, die heftigsten Feinde
Jesu zusammengerufen mit dem Befehl, alle
Zeugen und Beweise gegen den Herrn, jeder
in seinem Kreise, zu sammeln und zum Gericht
mitzubringen. Es waren aber jetzt alle die
Pharisäer und Sadduzäer und viele andere
boshafte Leute aus Nazaret, Kafarnaum, Thirza,
Gabara, Jotapata, Siloh und anderen Orten
in Jerusalem versammelt, welchen Jesus so
oft vor allem Volk die Wahrheit zu ihrer
tiefsten Beschämung gesagt hatte, und alle
waren sie voll Rache und Wut, und jeder
suchte einige Schurken unter den Ostergästen
seiner Gegend, welche nach den Ortschaften
in Sammlungsorten lagen, auf und erkaufte
sie mit Geld zu Geschrei und Beschuldigungen
gegen Jesus. Alle aber wußten außer offenbaren
Lügen und Schmähungen nichts vorzubringen
als jene Beschuldigungen, über welche er
sie unzähligemal in ihren Synagogen verstummen
gemacht.
Alle diese
zogen nun nach und nach zu dem Richthause
des Kaiphas und ebenso die ganze Masse der
Feinde Jesu unter den hoffärtigen Pharisäern
und Schriftgelehrten und ihrem anhängenden
Lügengeschmeiß aus Jerusalem selbst, worunter
manche der erbitterten Krämer, die er aus
dem Tempel gejagt, viele aufgeblasene Lehrer,
die er im Tempel vor dem Volk zum Schweigen
gebracht, und vielleicht mancher, der es
Jesus noch nicht verzeihen konnte, von ihm
als einem zwölfjährigen Knaben in seiner
ersten Lehre am Tempel überwiesen und beschämt
worden zu sein. Unter den versammelten Feinden
des Herrn waren unbußfertige Sünder, welche
er nicht heilen gewollt, rückfällige Sünder,
welche wieder krank geworden, eitle Jünglinge,
die er nicht zu Jüngern aufgenommen, boshafte
Erblustige, die sich geärgert, daß er so
vieles Gut, auf das sie gelauert, den Armen
zugewendet, Schurken, deren Gesellen er
bekehrt, Ausschweifende und Ehebrecher,
deren Buhlerinnen er zur Tugend geführt,
Erblustige von Reichtümern, deren Besitzer
er geheilt, und viele zu aller Bosheit feile
Augendiener dieser aller, viele innerlich
gegen alles Heilige und daher gegen den
Allerheiligsten ergrimmte Werkzeuge des
Satans. Dieser Abschaum eines großen Teils
des jüdischen, am Fest versammelten Volkes
setzte sich, von den einzelnen Hauptfeinden
Jesu nach und nach aufgetrieben, in Bewegung
und strömte von allen Seiten zu dem Palast
des Kaiphas zusammen, um das wahre Osterlamm
Gottes, welches trägt die Sünden der Welt,
das makelloseste, aller Sünden fälschlich
zu beschuldigen und mit deren Wirkungen
zu besudeln, welche es wahrhaft auf sich
genommen, getragen und gesühnet hat.
Während dieser
Schlamm der Juden sich aufwühlte, den reinen
Heiland zu beflecken, wurden viele fromme
Leute und Freunde Jesu aufgestört und betrübet
und zogen, in das Geheimnis nicht eingeweiht,
hie und da heran, hörten und klagten und
wurden vertrieben oder schwiegen und wurden
schief angesehen. Andere Schwächere, Gutgesinnte
oder Halbgesinnte wurden geärgert und in
Versuchung geführt, in ihrer Gesinnung zu
wanken. Die Zahl der Beständigen war nicht
groß; es ging wie es heutzutage geht, wo
mancher ein guter Christ sein will, solang
es schicklich scheint, sich aber gleich
des Kreuzes schämt, wo man es nicht gerne
sieht. Jedoch ward vielen schon im Anfang
des beweislosen, ungerechten und durch den
Grimm der niederträchtigsten Mißhandlung
himmelschreienden Verfahrens, durch die
klaglose Geduld des Heilandes das Herz gerührt,
so daß sie sich mutlos und schweigend zurückzogen.
Blick auf Jerusalem in dieser Stunde
Die weite
menschenvolle Stadt und die ausgedehnten
Lager der Ostergäste in ihrer Nähe waren
eben nach vielen häuslichen und öffentlichen
Gebets- und Religionsgebräuchen und Vorbereitungen
zum Fest in Ruhe und Schlaf gesunken, als
die Nachricht von der Gefangennehmung Jesu
alle Feinde und Freunde des Herrn aufgeregt.
Da setzten sich nun alle durch die Boten
der Hohenpriester Berufenen von den verschiedensten
Punkten der Stadt in Bewegung. Sie eilten
teils beim Mondschein, teils mit Fackeln
durch die Straßen, welche zur Nachtzeit
in Jerusalem meistens öde und unheimlich
sind, denn die meisten Häuser haben ihre
Fenster und ihren Verkehr nach inneren Höfen.
Alle ziehen sie gen Sion hinauf, von welcher
Höhe herab Fackellicht schimmert und Lärm
erschallt. Man hört noch hie und da an den
Pforten der Vorhöfe pochen, um die Schlafenden
zu wecken. Es ist Störung, Geräusch und
Gerede in vielen Winkeln der Stadt, man
öffnet den Pochenden und fragt und folgt
den Rufen nach Sion. Neugierige und Diener
ziehen mit, um den Zurückbleibenden zu melden,
was sich ergebe. Schwere Riegel und Sperrbalken
hört man vor manche Pforte mit Poltern schieben,
die Leute sind ängstlich und fürchten Aufruhr.
Hie und da treten Leute an die Pforten und
rufen bekannte Vorüberziehende um Nachricht
an, oder diese sprechen in Eile bei Gleichgesinnten
ein; und man hört da viele schadenfrohe
Reden, wie sie auch wohl heutzutage bei
solchen Gelegenheiten geführt werden. Man
hört da wohl sagen: «Jetzt werden Lazarus
und seine Schwestern sehen, mit wem sie
sich eingelassen. Johanna Chusa und Susanna
und Maria, des Johann Markus Mutter, und
Salome werden nun ihr Treiben zu spät bereuen,
und wie wird sich Obeds Weib, Seraphia,
vor ihrem Mann demütigen müssen, der ihr
so oft ihren Zusammenhang mit dem Galiläer
verwiesen. Der ganze Anhang des Aufwieglers,
des Schwärmers sah andersgesinnte Leute
immer so mitleidig an, und jetzt wird mancher
nicht wissen, wohin sich verbergen. Jetzt
läßt sich wohl niemand sehen, ihm Palmzweige
und Mäntel und Schleier unter die Füße seines
Lasttieres zu streuen. Es geschieht diesen
Heuchlern, die immer besser sein wollen
als andere, ganz recht, daß sie nun auch
in Untersuchung kommen werden, denn alle
sind in die Händel des Galiläers verwickelt.
Die Sache hat tiefer gewurzelt, als man
meinte. Ich bin begierig, wie sich Nikodemus
und Joseph von Arimathia benehmen werden,
man hat ihnen schon lange nicht getraut,
sie hängen mit Lazarus zusammen, aber sie
sind fein. Jetzt muß sich alles aufklären.»
In dieser Weise hörte man viele Leute sprechen,
welche auf einzelne Familien und besonders
auf jene Frauen erbittert sind, die Jesus
anhängen und ihm seither öffentliches Zeugnis
gegeben haben. — An anderen Orten wird die
Nachricht auf würdigere Weise aufgenommen.
Einige erschrecken, andere wehklagen einsam
oder suchen scheu einen gleichgesinnten
Freund, um ihr Herz auszuschütten. Wenige
aber wagen es, ihre Anteilnahme laut und
entschieden auszusprechen.
Jedoch noch
nicht überall ist man aufgeregt in der Stadt,
sondern nur da, wo die Boten die Einladung
zum Gerichte hinbringen und wo die Pharisäer
ihre falschen Zeugen aufsuchen und besonders,
wo die Straßen in den Weg auf Sion zusammenstoßen.
Es ist, als sehe man auf den verschiedensten
Punkten Jerusalems sich Funken von Grimm
und Zorn entzünden und diese, durch die
Straßen hinlaufend, mit andern Begegnenden
sich vereinen und immer stärker und dichter
endlich sich wie ein trüber Feuerstrom nach
Sion hinauf ins Richterhaus des Kaiphas
ergießen. In einzelnen Teilen der Stadt
ist noch alles ruhig, aber auch da wird
es nach und nach lebendiger.
Die römischen
Soldaten nehmen nicht teil, aber ihre Posten
sind verstärkt, und ihre Scharen sind alle
dicht beisammen. Sie achten scharf auf alles,
was vorgeht. Sie sind immer in der Osterzeit
wegen der großen Volksversammlung so ruhig,
gefaßt und zugleich so sehr auf ihrer Hut.
Die Leute, die jetzt auf den Beinen sind,
vermeiden die Gegenden, wo ihre Wachtposten
stehen; denn es ist den pharisäischen Juden
immer ärgerlich, von ihnen angerufen zu
werden. Die Hohenpriester haben dem Pilatus
gewiß schon angezeigt, warum sie Ophel und
einen Teil von Sion mit Kriegsknechten besetzten;
aber er und sie sind mißtrauisch aufeinander;
auch er schläft nicht, er empfängt Berichte
und gibt Befehle. Sein Weib aber liegt ausgestreckt
auf ihrem Lager, sie schläft tief, jedoch
unruhig, sie seufzt und weint wie in schweren
Träumen. Sie schläft und erfährt doch viel,
viel mehr als Pilatus.
Auf keiner
Stelle der Stadt ist aber eine so rührende
Teilnahme an Jesus als in Ophel unter den
armen Tempelsklaven und Tagelöhnern, welche
diesen Hügel bewohnen. Es kam der Schrecken
so plötzlich in der stillen Nacht über sie,
die Gewalttätigkeit weckte sie aus dem Schlafe.
Da zog ihr heiliger Lehrer, ihr Wohltäter,
der sie geheilt und genährt hatte, ganz
zerschmettert und mißhandelt wie ein furchtbares
Nachtgesicht durch sie hindurch, und dann
sammelte sich ihr Mitleid und ihre Wehklage
von neuem, um die schmerzvolle Mutter Jesu,
welche mit den Ihrigen bei ihnen durchzog.
Ach! wohl ist es traurig zu sehen, wie die
ganz von Leid zerrissene Mutter und die
Freundinnen Jesu von Freundeshaus zu Freundeshaus,
in mitternächtlicher, so heiligen Frauen
ungewohnter Stunde mit banger Scheu durch
die Straßen eilen müssen. Oft müssen sie
sich vor einer frech vorüberziehenden Schar
verbergen und in Winkel drängen, oft werden
sie gleich schlechten Frauen angehöhnt,
vielfach hören sie bittere schadenfrohe
Reden der Vorübergehenden, selten ein mitleidiges
Wort für Jesus. Endlich in ihrem Zufluchtsort
angelangt, sinken sie ermattet unter Tränen
und Händeringen, alle gleich trostlos, ohnmächtig
nieder, unterstützen sich, umarmen sich
oder sitzen in einsamem Schmerz, das verhüllte
Haupt auf die Knie gesenkt. Da pocht es
an der Pforte, sie lauschen schweigend voll
Angst, das Klopfen ist leise und scheu,
so pocht kein Feind, sie öffnen mit Bangigkeit,
es ist ein Freund oder Freundesdiener ihres
Herrn und Meisters, sie umdrängen ihn mit
Fragen und hören neues Leid, und es läßt
sie nicht ruhen, sie eilen nochmals hinaus
auf die Wege, zu forschen, und kehren mit
erneuerten Schmerzen abermals zurück.
Die meisten
Apostel und Jünger des Herrn irren jetzt
scheu in den Tälern bei Jerusalem umher
und verbergen sich in den Höhlen am Ölberg.
Einer von dem andern Herankommenden erschreckt,
fragen sie sich leise um Nachricht, und
jeder nahende Fußtritt unterbricht ihre
bangen Mitteilungen. Öfters wechseln sie
den Ort und nähern sich einzeln der Stadt
wieder. Andere schleichen in die Osterlager
zu Bekannten ihrer Heimat, um Nachrichten
zu erforschen oder Kundschafter nach der
Stadt zu senden. Manche steigen am Ölberg
hinan und schauen bang nach der Bewegung
der Fackeln und dem Getöse auf Sion hin
und deuten sich alles auf mannigfache Weise
und eilen dann wieder nach dem Tale nieder,
irgend eine Gewißheit zu gewinnen.
Die Stille
der Nacht wird immer mehr durch das Geräusch
um Kaiphas’ Richthaus her unterbrochen.
Diese Gegend schimmert von Fackeln und brennenden
Pechpfannen; rings um die Stadt aber ertönt
das Gebrüll der vielen Last- und Opfertiere,
die von den unzähligen Fremden jetzt in
die Osterlager gebracht sind, und wie unschuldig
rührend schallt das hilflose, demütige Blöken
der unzähligen Lämmer durch die Nacht, welche
morgen am Tempel geschlachtet werden sollen.
Eines aber nur ist geopfert, weil es selbst
gewollt, und tut seinen Mund nicht auf,
wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt
wird, und wie ein Lamm, das vor dem Scherer
verstummt, tut es seinen Mund nicht auf,
das reine, makellose Opferlamm — Jesus Christus.
Über alles
dieses hin ist ein wunderbar ängstlicher
Himmel ausgespannt und wandelt der Mond,
drohend, seltsam durch Flecken getrübet
und gleichsam krank und entsetzt, als zage
er, voll zu werden, denn dann ist Jesus
gemordet. Draußen aber an der Mittagsseite
der Stadt im steilen Tale Hinnom, herumgepeitscht
vom bösen Gewissen, wo es unwegsam und unheimlich
ist, an verfluchtem Ort, bei Sumpf und Unrat
und Auswurf, einsam, ohne Gesellen, den
eigenen Schatten fliehend, irrt vom Teufel
gehetzt, Judas Ischariot, der Verräter —
und Tausende von bösen Geistern eilen umher
und treiben und verwirren die Menschen zur
Sünde. Die Hölle ist los und treibt zur
Sünde überall, und die Last des Lammes steigt,
und der wachsende Grimm des Satans verdoppelt,
verwirrt und verwickelt sich. Das Lamm nimmt
alle Last auf sich, der Satan aber will
die Sünde, und sündigt dieser Gerechte auch
nicht, fällt dieser vergeblich Versuchte
auch nicht, so sollen seine Feinde doch
in ihrer Sünde verderben.
Alle Engel aber
zagen zwischen Trauer und Freude, sie möchten
vor Gottes Thron flehen, helfen zu können, vermögen
aber nur, staunend das Wunder der göttlichen
Gerechtigkeit und Barmherzigkeit anzubeten,
das im Allerheiligsten des Himmels von Ewigkeit
da war und jetzt in der Zeit auf der Erde zu
geschehen beginnt, denn auch die Engel glauben
an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer Himmels
und der Erde, und an Jesus Christus, seinen
einzigen Sohn, unsern Herrn, der empfangen ist
vom Heiligen Geiste, geboren aus Maria der Jungfrau,
der heute Nacht zu leiden beginnt unter Pontius
Pilatus, der morgen gekreuzigt, sterben und
begraben werden wird; der zur Hölle absteigen
und am dritten Tage wieder von den Toten auferstehen
wird; der auffahren wird gegen den Himmel, wo
er sitzet zur rechten Hand Gottes, des allmächtigen
Vaters, von dannen er kommen wird, zu richten
die Lebendigen und die Toten; denn auch sie
glauben an den Heiligen Geist, eine heilige,
allgemeine Kirche, Gemeinschaft der Heiligen,
Ablass (Vergebung) der Sünden, Auferstehung
des Fleisches und ein ewiges Leben! Amen.
Alles dieses
ist nur ein kleiner Teil der Eindrücke, welche
ein armes, sündenvolles Herz mit Angst, Reue,
Trost und Mitleid bis zum Zerspringen erfüllen
mußten, wenn sich die Betrachtung, gleichsam
Hilfe suchend, auf wenige Minuten von der grausamen
Gefangenführung unseres Heilands weg und über
Jerusalem hinwendete in dieser ernstesten Mitternacht
der endlichen Zeit, in der Stunde, da die unendliche
Gerechtigkeit und die unendliche Barmherzigkeit
Gottes, sich begegnend, umarmend und durchdringend,
das heiligste Werk der Gottes- und Menschenliebe
begannen, die Sünden der Menschen zu strafen
an dem Gottmenschen und zu sühnen durch den
Gottmenschen. — So war es umher, als der liebe
Erlöser zu Annas geführt wurde.
Jesus vor Annas
Etwa um Mitternacht
ward Jesus in dem Palaste des Annas durch
den beleuchteten Vorhof in eine Halle eingeführt,
welche den Umfang einer kleinen Kirche hatte.
Dem Eingang gegenüber saß Annas, umgeben
von achtundzwanzig Räten, auf einer hohen
Terrasse, unter welcher man von der Seite
her durchgehen konnte. Von der Vorderseite
führte eine mit Ruheplätzen unterbrochene
Treppe zu diesem Richtsitz des Annas, welcher
seinen Eingang hierher von hinten aus dem
Innern des Gebäudes hatte.
Jesus, von
einem Teil der Kriegsknechte, die ihn gefangen
genommen, noch umgeben, wurde von den Bütteln,
die ihn führten, mehrere Stufen mit den
Stricken hinangezerrt. Den übrigen Raum
der Halle füllten Kriegsknechte und allerlei
Gesindel, schmähende Juden, Diener des Annas
und ein Teil der Zeugen, welche Annas zusammengetrieben,
und die sich später bei Kaiphas einstellten.
Annas konnte
die Ankunft des armen Heilands kaum erwarten.
Er sprühte vor Schadenfreude, Arglist und
Hohn. Er war jetzt das Oberhaupt eines gewissen
Gerichtes und saß hier mit seinem Ausschuß,
seiner Kommission, die über die reine Lehre
zu wachen und das Anklägeramt vor dem Hohenpriester
auszuüben hatte.
Jesus stand
bleich, abgehetzt, in nassem, mit Kot beflecktem
Gewande, mit gefesselten Händen, von den
Schergen an Stricken gehalten, mit gesenktem
Haupt schweigend vor Annas. Dieser alte,
hagere Bösewicht, mit dünnem Barte, voll
Hohn und kalter jüdischer Hoffart, stellte
sich halb lächelnd, als wisse er gar nicht
und als wundere er sich höchlich, daß Jesus
der ihm angekündigte Gefangene sei. Seine
Anrede an Jesus, die ich nicht mit denselben
Worten vorbringen kann, war ihrem Sinne
nach ungefähr folgend: «Ei, sieh da, Jesus
von Nazaret! du bist es! Wo sind denn deine
Jünger, dein großer Anhang? Wo ist dein
Königreich? Es scheint alles eine andere
Wendung mit dir genommen zu haben! Das Schmähen
hat sein Ende gefunden; man hat zugesehen,
bis es genug war des Gotteslästerns, Priesterlästerns
und Sabbatschändens. Wer sind deine Jünger?
Wo sind sie? Nun schweigst du, rede! Aufwiegler!
Verführer! Du hast ja das Osterlamm schon
gegessen auf ungewohnte Art, zu ungewohnter
Zeit, an ungewohntem Orte? Du willst eine
neue Lehre aufbringen. Wer hat dir das Recht
zu lehren gegeben? Wo hast du gelernt? Sprich!
Was ist deine Lehre, die alle empört? Sprich!
Rede! Was ist deine Lehre?»
Da richtete
Jesus sein müdes Haupt empor, sah Annas
an und sprach: «Ich habe öffentlich geredet
vor aller Welt. Ich habe allezeit gelehrt
in den Synagogen oder im Tempel, wo alle
Juden zusammenkommen. Heimlich habe ich
nichts geredet. Warum fragst du mich? Frage
die, welche gehört haben, was ich zu ihnen
geredet habe. Sieh! diese wissen, was ich
geredet habe!»
Als das Angesicht
des Annas bei diesen Worten Jesu Grimm und
Hohn verriet und ein schändlicher augendienernder
Gerichtsknecht, der neben Jesus stand, dieses
bemerkte, schlug dieser Schurke den Herrn
mit voller Hand, an der er mit Eisen bewaffnet
war, prasselnd auf Mund und Wange mit den
Worten: «Antwortest du so dem Hohenpriester?»
Jesus, von der Heftigkeit des Schlages erschüttert
und von den zugleich stoßenden und zerrenden
Bütteln gerissen, fiel seitwärts auf die
Stufen, das Blut floß ihm vom Angesicht;
Höhnen, Murren, Lachen und Schimpfen füllte
die Halle. Sie rissen aber Jesus unter Mißhandlungen
wieder auf, und der Herr sprach ruhig: «Habe
ich unrecht geredet, so beweise es, habe
ich aber recht geredet, was schlägst du
mich?»
Annas, durch
Jesu Ruhe höchst ergrimmt, forderte nun
die Anwesenden auf, weil er es selbst begehre,
jetzt zu sagen, was sie denn von ihm gehört,
was er geredet habe. Da erfolgte nun ein
verwirrtes Schmähen und Schreien von allerlei
Gesindel. Er habe gesagt, er sei ein König,
Gott sei sein Vater, die Pharisäer seien
Ehebrecher, er wiegle das Volk auf, er heile
am Sabbat durch den Teufel, die Leute in
Ophel seien wie rasend um ihn gewesen, sie
hätten ihn ihren Retter, ihren Propheten
genannt, er lasse sich Sohn Gottes nennen,
er spreche, er sei Gottes Gesandter, er
schreie wehe über Jerusalem, lehre vom Untergang
der Stadt, halte die Fasten nicht, ziehe
mit vielem Volk herum, esse mit Unreinen,
mit Heiden, Zöllnern und Sündern, schleppe
sich mit Ehebrecherinnen und schlechten
Frauen. Er habe noch jetzt erst vor dem
Tor in Ophel gesagt, er wolle einem, der
ihm zu trinken gab, Wasser des ewigen Lebens
geben, und es solle ihn nie wieder dürsten.
Er führte das Volk irr durch vieldeutige
Worte. Er verschwende fremdes Geld und Gut
und rede den Menschen allerlei Unwahrheiten
von seinem Reiche vor und vieles dergleichen.
Alle diese
Beschuldigungen wurden dem Herrn verwirrt
durcheinander vorgeworfen, sie traten vor
ihn und sagten ihm alles solches, mit Schimpfworten
vermischt, in das Angesicht, und die Schergen
stießen ihn hin und her und sagten: «Sprich!
Antworte! » — Annas und seine Räte aber
sprachen hohnlächelnd dergleichen Worte
dazwischen, als z.B.: «Nun, da hören wir
die feine Lehre. Was antwortest du? Das
wäre also die öffentliche Lehre. Das Land
ist voll davon. Kannst du hier nichts vorbringen?
Warum befiehlst du nicht, König? — Du Gottes
Gesandter — zeige nun deine Sendung!»
Auf jede solche
Äußerung der Oberen erfolgte ein Zerren, Stoßen,
Höhnen der Schergen und Nahestehenden, die alle
es gern dem frechen Faustschläger gleich getan
hätten.
Jesus wankte
hin und her, und Annas sprach mit kaltem Hohne
zu ihm: «Wer bist du, was für ein König, was
für ein Gesandter bist du? Ich meinte, du seist
eines unbekannten Zimmermanns Sohn, oder bist
du Elias, der auf dem feurigen Wagen zum Himmel
gefahren ist? Sie sagen, er lebe noch, du kannst
dich auch unsichtbar machen, du bist oft entwischt,
oder bist du gar Malachias? Du hast immer geprahlt
von diesem Propheten und legst ihn gerne auf
dich aus, es ist auch so ein Geschwätz von ihm,
er habe keinen Vater gehabt, er sei ein Engel
gewesen, er sei nicht gestorben, eine schöne
Gelegenheit für einen Betrüger, sich für ihn
auszugeben. Sage, was bist du für ein König?
Du seist mehr als Salomo; das ist auch ein Wort
von dir. Wohlan, ich will dir den Titel deines
Reiches nicht länger vorenthalten.»
Und nun ließ
sich Annas einen etwa ¼ Ellen langen und drei
Finger breiten Zettel geben, legte ihn auf eine
vorgehaltene Tafel und schrieb mit einer Rohrfeder
eine Reihe großer Buchstaben darauf, deren jeder
eine Beschuldigung gegen den Herrn enthielt.
Diesen Zettel steckte er zusammengerollt in
einen hohlen kleinen Flaschenkürbis und oben
einen Zapfen auf die Öffnung, befestigte dann
den Kürbis auf ein Rohr und sagte, indem er
ihm diesen Spottzepter darreichen ließ, mit
kaltem Hohne solche Worte wie: «Hier hast du
das Zepter deines Reiches, es sind alle deine
Titel, Würden und Rechte darin eingeschlossen.
Trage sie hin zu dem Hohenpriester, daß er deine
Sendung und dein Reich daraus erkenne und dich
nach Würden behandle. Bindet ihm die Hände und
führt diesen König vor den Hohenpriester.» Sie
hatten aber Jesus früher die Hände losgebunden
und banden sie ihm nun, nachdem sie ihm das
Schimpfzepter, das die Anklage des Annas enthielt,
hineinbefestigt hatten, kreuzweis vor der Brust,
und so führten sie den Herrn unter Gelächter,
Hohngeschrei und Mißhandlung zur Halle hinaus
zu Kaiphas.
Jesus wird von Annas zu Kaiphas geführt
Als Jesus zu
Annas geführt wurde, hatte er das Haus des Kaiphas
schon nach einer Seite hin liegen lassen, und
er wurde nun in einer Winkellinie wieder zurückgeführt.
Das Haus des Annas wird von jenem des Kaiphas
kaum dreihundert Schritte entfernt sein.⃰
Der Weg, welcher teils durch Mauern
und Reihen von kleineren Gebäuden, die zum Gerichtshaus
des Kaiphas gehören, führt, war mit Feuerkesseln
auf Stangen beleuchtet und voll schreiender
und tobender Juden. Die Soldaten konnten kaum
die Menge abhalten. Die, welche bei Annas geschimpft
hatten, wiederholten jetzt dessen Schimpfreden
auf ihre Weise nochmals vor dem Volk, und Jesus
ward während des ganzen Weges geschmäht und
mißhandelt. Ich sah, wie vielerlei bewaffnete
Gerichtsdiener einzelne kleine Haufen von wehklagenden
Leuten, die Jesus bemitleideten, hinwegtrieben
und wie sie andern, die sich durch Schmähen
oder Beschuldigungen auszeichneten, Geld gaben
und sie mit ihren Gesellen in den Hof des Kaiphas
einließen.
⃰
Die Erzählende bediente sich hier einer Distanzangabe
ihres Wohnortes, sie sagte: ''etwa so weit als
von meiner Wohnung bis zum Hause des H. R. Rath
M.....n,'' welche Entfernung hier aus der Erinnerung
höchstens auf 300 Schritte angeschlagen ist.
Gerichtshof des
Kaiphas
Um zu dem
Gerichtshaus des Kaiphas zu kommen, geht
man zuerst durch ein Tor in einen geräumigen
äußeren Hof, dann wieder durch ein Tor in
einen anderen Hof, der mit seinen Mauern
das ganze Haus umgibt. (Wir werden diesen
künftig den inneren Hof nenen.) Den vorderen
Teil des Hauses, das über zweimal so lang
als breit ist, bildet ein an drei Seiten
mit bedeckten Säulengängen umgebener, in
der Mitte aber dachloser geplatteter Raum,
der Vorhof oder das Atrium genannt, in welches
von diesen drei Seiten Eingänge führen.
Der Haupteingang in das Atrium ist an der
langen Seite des Hauses; hier eintretend,
kommt man links unter freiem Himmel zu einer
ausgemauerten Grube, worin Feuer unterhalten
wird, und wendet man sich rechts, so zeigt
sich, die vierte Seite des Atriums bildend
und ein paar Stufen höher liegend, hinter
einigen höheren Säulen ein bedeckter Raum,
ungefähr halb so groß wie das Atrium, in
welchem sich die Sitze der Ratsversammlung
auf einem mehrere Stufen aufsteigenden Halbkreis
befinden. Der Sitz des Hohenpriesters ist
oben in der Mitte. Der Standort des Angeklagten
ist im Mittelpunkt des Halbkreises, von
den Wachen umgeben, und zu beiden Seiten
und hinter ihm, bis in das Atrium hinab,
ist die Stelle der Zeugen und Ankläger.
Zu diesem halbrunden Sitz der Richter führen
von der Rückwand drei Eingänge, welche aus
einem hinter dem Gerichtssitz liegenden,
größeren runden Saal kommen, dessen Wand
auch von einem kreisförmigen Sitze umgeben
ist. Hier werden abgesonderte Sitzungen
gehalten. Wenn man vom Gerichtssitz aus
in diesen runden Saal tritt, führen links
und rechts Türen aus demselben mehrere Stufen
hinab außerhalb des Hauses in den inneren,
umgebenden Hof, der hier, der Form des Hauses
folgend, in die Runde läuft. Von der rechts
aus dem Saal führenden Tür hinaustretend
und sich links im Hof gegen das Gebäude
wendend, kommt man an die Tür eines dunklen
unterirdischen Kerkergewölbes, welches sich
unter diesem hinteren Saal befindet, der,
wie der öffentliche Gerichtssitz höher als
das Atrium liegend, den Raum zu unterirdischen
Gewölben darbietet. Es sind mehrere Kerker
in diesem runden Teil des Hofes, in deren
einen ich nach dem Pfingstfeste Johannes
und Petrus eine Nacht lang gefangen sitzen
sah, als Petrus den Lahmen an der schönen
Pforte des Tempels geheilt hatte.
In dem Gebäude
und umher war alles voll Fackeln und Lampen,
es war hell wie am Tage. In der Mitte des
Atriums leuchtete außerdem die große Feuergrube,
sie ist wie ein in den Boden versenkter
oben offener Ofen, man wirft von oben Brand
hinein, ich glaube Erdkohlen. Es steigen
an den Seiten etwas über Mannshöhe wie Hörner
daraus empor, es sind Röhren, die den Rauch
ablenken, in der Mitte sieht man jedoch
das Feuer. Es drängten sich Soldaten, Gerichtsknechte,
allerlei Gesindel, gemeine, bestochene Zeugen
um das Feuer; es waren auch Weibsleute zwischen
ihnen, darunter schlechte Dirnen. Die schenkten
da ein rotes Getränk aus und backten Kuchen
für die Soldaten um Geld. Es ging da wirr
her, als sei Fastnachtsabend.
Die meisten
Berufenen waren schon um den Hohenpriester
Kaiphas auf dem halbrunden Richtersitz versammelt,
hie und da kamen noch einige. Die Ankläger
und falschen Zeugen füllten schier das Atrium.
Viele Leute drängten sich zu, und man wies
sie mit Gewalt weg.
Kurz vor
der Ankunft des Zuges mit Jesus kamen auch
Petrus und Johannes, noch mit den Botenmänteln
bekleidet, bis in den äußersten Hof vor
das Haus. Johannes kam auch noch glücklich
durch Verwendung des ihm bekannten Dieners
durch das Tor des inneren Hofes, welches
man jedoch des großen Andrangs wegen hinter
ihm schloß. Petrus aber, der sich im Gedränge
verspätet hatte, kam vor das verschlossene
Tor des inneren Hofes, und die Pförtnerin
wollte ihn nicht einlassen. Johannes aber
sprach von innen mit dieser, daß sie ihm
öffnen möge, und er wäre dennoch nicht hereingekommen,
wenn Nikodemus und Joseph von Arimathia,
welche nun auch ankamen, ihm nicht hereingeholfen
hätten. Im Innern gaben sie die Mäntel wieder
an die Diener ab und stellten sich still
unter die Menge im Atrium zur Rechten, wo
man auf den Sitz der Richter sah. Kaiphas
saß schon auf seinem Richtstuhl oben in
der Mitte des gestuften Halbkreises, um
ihn her saßen wohl an die siebzig Glieder
des Hohen Rates. Viele Stadtverordnete,
Älteste, Schriftgelehrte standen und saßen
an beiden Seiten und um sie her viele Zeugen
und Schurken. Es waren Kriegsknechte zu
den Füßen des Ratssitzes unter den Eingangssäulen
und durch das Atrium bis zu jenem Tor aufgestellt,
durch welches der Zug erwartet wurde; es
war dies aber nicht das dem Richtersitz
gerade gegenüber liegende Tor, sondern es
lag von diesem Sitze aus an der linken Seite
des Atriums.
Kaiphas war
ein gesetzter Mann von glühendem, grimmigem
Angesichte. Er trug einen langen, dunkelroten,
mit goldenen Blumen und Quasten verzierten
Mantel, auf Brust und Schultern und überhaupt
vorn herab mit allerlei blinkenden Schildern
zusammengeheftet; er hatte eine Mütze auf,
die oben einer niederen Bischofsmütze glich;
zwischen dem zusammengebogenen Hinter- und
Vorderteil waren an der Seite Öffnungen,
wo etwas Stoff heraushing; an der Seite
des Kopfes fielen Lappen auf die Schultern
herab. Kaiphas war schon ziemlich lange
Zeit mit seinen Anhängern des Hohen Rats
versammelt, viele waren seit dem Auszug
des Judas mit der Schar beisammengeblieben.
Seine Ungeduld und sein Grimm wuchsen so
hoch, daß er selbst in seinem ganzen Ornat
von dem hohen Sitz in den Vorhof hinablief
und zankte und fragte, ob er noch nicht
bald komme; indem näherte sich der Zug,
und er kehrte zu seinem Sitze zurück.
Jesus vor Kaiphas
Unter tobendem
Hohngeschrei, Stoßen, Reißen und mit Unflat
beworfen, ward Jesus in das Atrium geführt,
wo ein dumpfes Murren und Flüstern des zurückgehaltenen
Grimms an die Stelle der ungebundenen Pöbelwut
trat. Vom Eingang wendete der Zug sich rechts
vor dem Richtersitz, und als Jesus bei Petrus
und Johannes vorüberging, blickte sie der
liebe Heiland an, doch ohne sein Haupt zu
wenden, um sie nicht zu verraten. Kaum war
Jesus durch die Säulen empor vor den Rat
getreten, als Kaiphas ihm auch schon entgegenschrie:
«Bist du da, du Gottesschänder, der uns
diese heilige Nacht verstöret!» Der Flaschen-Kürbis,
worin der Anklagezettel des Annas, wurde
nun von dem Spottzepter Jesu abgenommen,
und nachdem die Beschuldigungen abgelesen
worden, ergoß sich Kaiphas in einem Strom
von Schimpfnamen und Vorwürfen gegen Jesus,
und die Schergen und näherstehenden Soldaten
zerrten und stießen unsern Herrn; sie hatten
eiserne Stäbchen in den Händen, an denen
oben stachelige, birnenförmige Köpfe saßen,
mit welchen sie ihn hin und her stießen
und dazu schrien: «Antworte! Öffne den Mund!
Kannst du nicht reden?» Alles dieses geschah,
während Kaiphas noch grimmiger als Annas
eine Unzahl stürmender Fragen an Jesus tat,
der still und leidend vor sich nieder sah,
ohne Kaiphas anzublicken. Die Schergen aber
wollten ihn zum Reden zwingen, sie stießen
ihn in den Nacken und in die Seite, sie
schlugen ihn auf die Hände und stachen ihn
mit Pfriemen. Ja, ein greulicher Bube drückte
ihm mit dem Daumen die Unterlippe auf die
Zähne und sagte: «Hier, nun beiße!»
Nun aber
folgte das Zeugenverhör. Es war dieses teils
nur ein wirres Schreien und Toben von bestochenem
Pöbel, teils waren es die Aussagen von einzelnen
Parteien seiner grimmigsten pharisäischen
und sadduzäischen Feinde aus dem ganzen
Lande, die hier an dem Fest ausgesucht worden
waren. Man brachte alles wieder vor, worauf
er hundertmal geantwortet hatte: er heile
und treibe die Teufel durch den Teufel aus,
schände den Sabbat, breche die Fasten, seine
Jünger wüschen die Hände nicht, er wiegle
das Volk auf, er nenne die Pharisäer Schlangengezücht
und Ehebrecher, prophezeie den Untergang
Jerusalems, gehe mit Heiden, Zöllnern, Sündern
und schlechten Weibern um. Er ziehe mit
großen Scharen umher, lasse sich einen König,
Propheten, ja den Sohn Gottes nennen und
spreche immer von seinem Reich. Er bestreite
die Erlaubnis der Ehescheidung. Er habe
wehe über Jerusalem gerufen. Er nenne sich
das Brot des Lebens. Er führe unerhörte
Lehren: wer sein Fleisch nicht esse, sein
Blut nicht trinke, werde nicht selig werden.
Auf diese
Weise wurden alle seine Worte, Lehren und
Parabeln verdreht und verkehrt, von Schimpfworten
und Mißhandlungen unterbrochen, als Beschuldigung
gegen ihn vorgebracht. Alle aber widersprachen
und verwickelten sich. Der eine sagte: «Er
gibt sich für einen König aus»; der andere:
«Nein, er läßt sich nur so nennen, und als
man ihn ausrufen wollte, lief er hinweg»;
dann schrie einer aus: «Aber er sagt, er
sei Gottes Sohn!» Ein anderer aber erwiderte:
«Nein, dies nicht, er nennt sich nur Sohn,
weil er des Vaters Willen tue.» Einige sagten,
er habe sie geheilt, und sie seien nachher
wieder krank geworden, mit seinem Heilen
sei es nichts als Zauberei. Auf Zauberei
liefen überhaupt viele Beschuldigungen und
Zeugnisse hinaus. Vom Heilen des Mannes
am Teich Bethesda wurde auch falsch gezeugt
und gelogen und widersprochen. Auch die
Pharisäer von Sephoris, mit denen er einmal
über die Ehescheidung disputierte, beschuldigten
ihn der falschen Lehre, und jener Jüngling
von Nazaret, den er nicht unter seine Jünger
aufnehmen wollte, war auch niederträchtig
genug, hier aufzutreten und gegen ihn zu
zeugen. Auch über das Lossprechen der Ehebrecherin
am Tempel und das Zeihen der Pharisäer beschuldigten
sie ihn außer vielem anderem.
Sie vermochten
jedoch keine rechtlich begründete Anschuldigung
zu Stande zu bringen. Die Zeugenhaufen traten
ab und auf und schimpften ihm mehr ins Gesicht,
als daß sie zeugten. Sie stritten nur immer
heftig untereinander, und dazwischen setzte
sich das Schimpfen von Kaiphas und einzelnen
Räten ununterbrochen fort. Sie schrien immer
zwischendurch: «Welch ein König bist du?»
«Zeige deine Macht. Rufe die Legionen Engel,
von denen du im Ölgarten sprachst. Wo hast
du das Geld der Witwen und Toren hingebracht,
ganze Güter hast du verschleudert, was ward
aus allem diesem? Antworte, rede! Jetzt,
da du reden solltest vor dem Richter, verstummst
du, wo du aber besser geschwiegen hättest,
vor dem Pöbel und Weibergesindel, da hattest
du viele Worte», usw.
Alle diese
Reden waren von steten Mißhandlungen durch
die Gerichtsdiener begleitet, die ihn mit
Schlagen und Stoßen zum Antworten zwingen
wollten. Durch Gott allein konnte er bei
allem diesem noch länger leben, um die Sünden
der Welt zu tragen. Einige niederträchtige
Zeugen sagten aus, der Herr sei ein unehelicher
Sohn; da widersprachen aber andere und sagten:«Das
ist erlogen, denn seine Mutter war eine
fromme Jungfrau im Tempel, und wir waren
bei ihrer Trauung mit einem sehr gottesfürchtigen
Mann zugegen.» Diese Zeugen fingen darüber
zu zanken an.
Man warf
Jesus und den Jüngern auch vor, daß sie
am Tempel nicht opferten. Ich habe auch
nicht gesehen, daß Jesus oder die Apostel,
seit sie bei ihm waren, Schlachtopfer zum
Tempel gebracht, außer die Osterlämmer.
Joseph und Anna opferten jedoch bei ihren
Lebzeiten oft für Jesus. — Diese Beschuldigung
aber war wertlos, denn die Essener brachten
auch keine Schlachtopfer, ohne darum strafwürdig
zu sein. Den Vorwurf der Zauberei brachten
sie häufig vor, und Kaiphas behauptete selbst
mehrmals, die Verwirrung der Zeugen sei
eine Folge seiner Zauberkünste.
Einige sagten
nun, er habe das Pascha unregelmäßig gestern,
nämlich am heutigen Sabbat schon, gegessen
und auch voriges Jahr schon Unordnung darin
gehalten; darüber wurde auch viel getobt
und geschimpft. Die Zeugen aber hatten sich
so verwirrt und versprochen, daß Kaiphas
und der sämtliche Rat ganz beschämt und
ergrimmt waren, indem sie auch gar nichts
auftreiben konnten, was sich einigermaßen
hielt. Nikodemus und Joseph von Arimathia
wurden aber aufgerufen, sich zu erklären,
weil er das Pascha in des letzteren Ostersaal
auf Sion gegessen, und sie traten vor Kaiphas
und sagten und bewiesen es aus Schriftrollen,
daß die Galiläer nach einem alten Herkommen
das Pascha einen Abend früher essen dürfen.
Das Osterlamm sei übrigens in der Ordnung,
denn es seien Leute vom Tempel zugegen gewesen.
Dieses letzte machte die Zeugen sehr verlegen,
und besonders ärgerte es die Feinde Jesu,
als Nikodemus die Schriftrollen holen ließ
und das Recht des Galiläers daraus vorlegte.
Außer mehreren Gründen für dieses Recht
der Galiläer, die ich vergessen habe, war
als ein Grund angeführt, daß man sonst bei
sehr großer Volksmenge im Tempel nicht zur
gesetzlichen Zeit fertig werden könne und
das Gedränge auf der Heimkehr zu groß würde.
Obgleich nun von diesem Recht der Galiläer
nicht immer Gebrauch gemacht wurde, so war
es doch durch die vorgelegten Schriften
von Nikodemus vollkommen erwiesen, und der
Grimm der Pharisäer gegen Nikodemus stieg
noch mehr, als dieser seine Worte mit der
Erklärung schloß, wie sehr der ganze Rat
in einer mit so selbstsicherem Vorurteil,
in so stürmischer Eile in der Nacht vor
dem heiligsten Fest unternommenen Anklage
sich durch die schlagenden Widersprüche
aller Zeugen vor der hier versammelten Menge
beschimpft fühlen müsse. Sie blickten mit
Grimm auf Nikodemus und trieben ihr schnödes
Zeugenverhör um so eilender und unverschämter,
und nach vielen schändlichen, verkehrten,
lügenhaften Aussagen traten zuletzt noch
zwei Zeugen auf und sagten: Jesus habe gesagt,
er wolle den Tempel, der mit Händen gemacht
ist, abbrechen und einen andern in drei
Tagen wieder aufbauen, der nicht mit Menschenhänden
gemacht ist. Aber diese beiden zankten sich
auch. Der eine sagte: er wolle einen neuen
Tempel aufführen, darum habe er ein anderes
Pascha in einem anderen Gebäude gehalten,
denn er wolle den alten Tempel abbrechen.
Der andere aber sagte: jenes Gebäude sei
ja von Menschenhänden gebaut, dieses habe
er also nicht gemeint.
Kaiphas wurde
nun ganz erbittert, denn die Mißhandlung
Jesu, der Widerspruch der Zeugen und die
unbegreifliche stumme Geduld des Angeklagten
machten einen sehr üblen Eindruck auf viele
Anwesende. Einigemal wurden die Zeugen schier
verlacht. Vielen wurde bei dem Schweigen
Jesu ganz bange im Gewissen, und etwa zehn
Kriegsknechte wurden so dadurch gerührt,
daß sie unter dem Vorwand der Übelkeit sich
hinweg begaben; und als sie bei Petrus und
Johannes vorüberkamen, sprachen sie zu ihnen:
«Dieses Schweigen Jesu des Galiläers bei
so schändlichem Verfahren ist herzzerreißend,
es ist, als solle einen die Erde verschlingen.
Aber sagt, wo sollen wir uns hinwenden?»
Die beiden Apostel aber, vielleicht weil
sie ihnen nicht trauten und fürchteten,
von ihnen als Jünger Jesu verraten oder
doch als solche von den Umstehenden erkannt
zu werden, antworteten mit traurigem Blick
nur im allgemeinen: «So euch die Wahrheit
ruft, lasst euch von ihr führen, das übrige
wird sich finden.» Da verließen diese Männer
den Vorhof des Kaiphas und eilten zur Stadt
hinaus. Sie begegneten aber anderen, welche
sie jenseits der Höhe von Sion hinwiesen
in die Höhlen südlich von Jerusalem. Hier
fanden sie mehrere Apostel versteckt, welche
anfangs vor ihnen erschraken, dann aber
von ihnen Nachricht empfingen, wie es um
Jesus stehe und daß auch für sie Gefahr
sei, worauf sie sich wieder an andere Orte
zerstreuten.
Kaiphas,
durch das widersprechende Reden der beiden
letzten Zeugen und ihre Beschämung ganz
ergrimmt, stand nun von seinem Sitz auf
und ging ein paar Stufen nieder zu Jesus
und sagte: «Antwortest du nichts auf dieses
Zeugnis?» Er ärgerte sich aber, daß Jesus
ihn nicht anblickte. Da rissen die Schergen
unserem Herrn das Haupt bei den Haaren zurück
und stießen ihn mit Fäusten unter das Kinn.
Sein Blick jedoch blieb gesenkt. Kaiphas
aber hob die Hände heftig empor und sagte
mit ergrimmter Stimme: «Ich beschwöre dich
bei dem lebendigen Gott, daß du uns sagest,
ob du Christus, der Messias, der Sohn Gottes,
des Hochgelobten, bist?»
Da ward eine
große Stille in all dem Getümmel, und Jesus
sagte, von Gott gestärkt, mit einer unaussprechlich
würdigen, alles erschütternden Stimme, mit
der Stimme des ewigen Wortes: «Ich bin es,
du sagst es! Und ich sage euch, bald werdet
ihr den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten
der Majestät und kommen auf den Wolken des
Himmels!»
Ich sah während
dieser Worte Jesus wie leuchtend und über
ihm den Himmel offen und sah darin in einem
unaussprechlichen Inbegriff Gott den allmächtigen
Vater, ich sah die Engel und das Gebet der
Gerechten, als schrien und beteten sie für
Jesus. Ich sah aber, als sage die Gottheit
Jesu aus dem Vater und aus Jesus zugleich:
«Wenn ich leiden könnte, wollte ich leiden,
weil ich aber barmherzig bin, habe ich Fleisch
angenommen im Sohn, auf daß der Menschensohn
leide, denn ich bin gerecht, und sieh, die
Sünden aller dieser, die Sünden aller Welt,
trägt er.»
Unter Kaiphas
aber sah ich die ganze Hölle offen, einen
trüben feurigen Kreis voll Greuelgestalten,
und sah ihn darüber stehen, nur wie durch
einen dünnen Flor über ihm getragen. Ich
sah ihn durchdrungen vom Grimm der Hölle.
Das ganze Haus erschien mir nun wie eine
sich von unten aufwühlende Hölle. Es war,
da der Herr feierlich ausgesprochen hatte,
daß er Christus, der Sohn Gottes sei, als
erschrecke die Hölle vor ihm und lasse ihren
ganzen Grimm gegen ihn plötzlich in dieses
Haus aufsteigen. Wie mir aber alles in Formen
und Bildern gezeigt wird (welche Sprache
mir auch viel wahrer, kürzer und deutlicher
ist als andere Explikationen, weil die Menschen
doch auch Gestalten und handgreiflich und
keine Redensarten sind), so sah ich die
Angst und Wut der Hölle in unzähligen Greuelgestalten
an vielen Stellen wie aus der Erde heraufdringen;
ich erinnere mich, darunter ganze Scharen
von kleinen dunklen Gestalten gleich aufrecht
laufenden Hunden mit kurzen, langkralligen
Pfoten gesehen zu haben, weiß aber jetzt
nicht gleich zu bestimmen, welche Art von
Bosheit mir in ihrer Gestalt gezeigt werden
sollte; damals wußte ich es. Jetzt weiß
ich nur noch die Gestalt, doch ist beides
dasselbe. Solche schreckliche Schatten sah
ich in die meisten Anwesenden fahren oder
vielen von ihnen auf dem Haupt oder den
Schultern sitzen. Die Versammlung war voll
von ihnen, und die Wut stieg in allen Bösen.
Ich sah auch in diesem Augenblick aus Gräben
jenseits von Sion scheußliche Gestalten
hervordringen, ich glaube, es waren böse
Geister. Auch in der Nähe des Tempels sah
ich viele Erscheinungen aus der Erde hervorgehen,
und unter diesen erschienen mehrere gleich
Gefangenen, die sich mit Fesseln schleppten.
Ich weiß nicht mehr, ob all diese letzteren
auch Erscheinungen böser Geister oder an
irdische Orte gebannter Seelen waren, welche
vielleicht zur Vorhölle zogen, die der Herr
ihnen durch sein Todesurteil eröffnete.
— Man kann solche Dinge nie vollkommen aussprechen,
man möchte den Unwissenden kein Ärgernis
geben, man fühlt aber diese Dinge, wenn
man sie sieht und die Haare einem emporsteigen.
Es war etwas Greuliches in diesem Augenblick.
Ich glaube, Johannes muß auch davon gesehen
haben, ich hörte ihn nachher davon reden.
Wenigstens fühlten alle nicht ganz Verlorenen
mit einem tiefen Grauen das Entsetzliche
in diesem Augenblicken, die Bösen aber fühlten
es mit einem wilden Aufflammen ihres Grimmes.
Und Kaiphas,
wie von der Hölle begeistert, ergriff den Saum
seines Prachtmantels, durchschnitt ihn mit einem
Messer und zerriß ihn mit zischendem Geräusch,
laut aufschreiend: «Er hat gelästert, was bedarf
es noch der Zeugen, nun habet ihr die Gotteslästerung
selbst gehört, was dünkt euch nun?» — Da standen
alle noch Anwesenden auf und riefen mit schrecklicher
Stimme: «Er ist des Todes schuldig! Er ist des
Todes schuldig!»
Während dieses
Geschreies war jenes finstere Wüten der Hölle
am schrecklichsten im Hause. Die Feinde Jesu
waren wie vom Satan berauscht und ebenso ihre
Augendiener und hündischen Knechte
⃰
.
Es war, als rufe die Finsternis ihren Triumph
über das Licht aus. Es überfiel alle Anwesenden,
in denen noch ein Bezug auf irgend etwas Gutes
war, ein solches Grauen, daß viele sich verhüllten
und hinwegschlichen. Auch die Vornehmeren unter
den Zeugen verließen nun, da sie nicht mehr
nötig waren, mit bösem Gewissen das Richthaus.
Niedrigere trieben sich im Vorhof am Feuer herum,
wo ihnen Geld ausgezahlt wurde und wo sie nun
fraßen und soffen.
⃰
Diese
hündische Augendienerei ist vielleicht die vergessene
Bedeutung der S. 80, als die Anwesenden in Besitz
nehmend, angeführten Satansbilder.
Der Hohepriester
aber sagte nun den Schergen: «Ich gebe euch
diesen König preis, tut dem Gotteslästerer seine
Ehre an», und er begab sich dann mit seinen
Ratsherren in den hinter dem Richtersitz gelegenen
runden Saal, in welchen man von hier aus nicht
sehen konnte.
Johannes in seiner
tiefen Betrübnis gedachte nun der armen Mutter
Jesu. Er war besorgt, es möge ihr die schreckliche
Botschaft durch irgendeinen Feind noch verwundender
mitgeteilt werden, und so blickte er nochmals
nach dem Heiligsten der Heiligen, gedenkend:
«Meister, du weißt wohl, warum ich gehe», und
eilte dann, als sende ihn Jesus selbst aus dem
Richthaus zu der heiligen Jungfrau. Petrus aber,
ganz zerstört von Angst und Schmerz und durch
Ermüdung die empfindliche Kühle des nahenden
Morgens lebhafter fühlend, verbarg seine verzweifelte
Betrübnis, so gut er konnte, und nahte schüchtern
der Feuergrube im Atrium, bei welchem allerlei
Gesindel sich wärmend herumtrieb. Er wußte nicht,
was er tat, aber er konnte nicht von seinem
Meister hinweg.
Jesu Verspottung vor Kaiphas
Indem Kaiphas,
Jesus preisgebend, mit dem Rat den Gerichtssaal
verließ, stürzte die Rotte aller anwesenden
bösen Buben wie ein ergrimmter Wespenschwarm
über unsern Herrn, der bisher noch immer
von zwei der vier ersten Schergen an Stricken
festgehalten worden war. Zwei von diesen
vier hatten sich vor dem Gericht entfernt,
um sich mit andern abzulösen. Schon während
des Verhörs hatten die Schergen und andere
Schurken ganze Locken aus dem Haupthaar
und dem Bart Jesu schmerzlich ausgerissen.
Es nahmen gute Leute heimlich einige Flocken
dieser Haare vom Boden auf und schlichen
damit von dannen, aber sie sind ihnen später
verschwunden. Auch angespien hatte die böse
Rotte Jesus schon während des Verhöres und
unzähligemal mit Fäusten geschlagen, mit
stachelkolbichten Stöcken gestoßen und mit
Nadeln gestochen. Nun aber ergoß sich ihre
Büberei auf eine unsinnige Weise über den
armen Jesus. Sie setzten ihm abwechselnd
mehrere Kronen, von Stroh und Bast geflochten,
in verschiedenen Formen des Spottes auf
und schlugen sie ihm immer wieder mit anderen
boshaften Hohnworten von dem Haupt. Bald
sagten sie: «Seht den Sohn Davids mit der
Krone seines Vaters», bald: «Seht, das ist
mehr als Salomon», bald: «Da ist der König,
der seinem Sohne Hochzeit macht», und so
höhnten sie in ihm alle ewige Wahrheit,
die er zum Heile der Menschen in Wahrheit
und Gleichnis ausgesprochen hatte. Sie schlugen
ihn mit Fäusten und Stöcken, warfen ihn
hin und her und spien ihn auf eine scheußliche
Weise an. Sie flochten zuletzt noch eine
Krone von dickem Weizenstroh, wie es dortzulande
wächst, setzten ihm eine hohe Mütze, fast
wie eine hohe jetzige Bischofsmütze, auf
und den Strohkranz darüber, nachdem sie
ihm seinen gewirkten Rock ausgezogen hatten.
Da stand nun der arme Jesus, mit der Unterleibsbinde
und einem Brust- und Nacken-Skapulier bekleidet,
aber auch dieses letztere rissen sie ihm
ab, und er hat es nicht wieder erhalten.
Sie hängten ihm hierauf einen alten, ganz
zerlumpten Mantel um, dessen vorderer Teil
die Knie nicht bedeckte, und legten ihm
um den Hals eine lange Eisenkette, welche
ihm gleich einer Stola von den Schultern
über die Brust bis zu den Knien niederhing.
Diese Kette aber endete mit zwei schweren
und stacheligen großen Ringen, welche ihm
beim Gehen und Fallen die Knie schmerzlich
verwundeten. Sie banden ihm von neuem die
Hände vor die Brust, gaben ihm ein Rohr
hinein und bedeckten nun mit dem scheußlichen
Auswurf ihrer unreinen Mäuler sein mißhandeltes
Angesicht. Sein verwüstetes Haupt- und Barthaar,
seine Brust und der ganze obere Teil des
Spottmantels hingen voll Unflat in allen
Farben des Ekels. Sie banden ihm einen scheußlichen
Lumpen um seine Augen und schlugen ihn mit
Fäusten und Stöcken und schrien: «Großer
Prophet! prophezeie, wer hat dich geschlagen?»
Er aber sprach nicht, betete innerlich für
sie, seufzte und wurde geschlagen. So mißhandelt,
vermummt und verunreinigt, schleppten sie
ihn an der Kette in den hinteren Ratssaal,
sie stießen ihn mit Füßen und Knütteln unter
Hohngeschrei vor sich her: «Fort mit dem
Strohkönig, er muß sich in der Huldigung,
die wir ihm geleistet, auch dem Rate zeigen»;
und als sie hereinkamen, wo viele des Rates
und auch Kaiphas noch auf halbkreisförmiger
Erhöhung saßen, begann ein neuer Hohn und
alles mit einem tief niederträchtigen Witz
und steter sakrilegischer Schändung heiliger
Gebräuche und Handlungen. So wie sie beim
Anspeien und Beflecken mit Kot ihm zugeschrien:
«Da hast du deine Königssalbe, deine Prophetensalbe»,
so höhnten sie hier die Salbung Magdalenas
und die Taufe. «Wie», riefen sie höhnend
aus, «so unrein willst du vor dem Hohen
Rate erscheinen? Andere willst du immer
reinigen und bist selbst nicht rein. Nun
aber wollen wir dich reinigen.» Hierauf
brachten sie ein Becken voll einer trüben
schmutzigen Jauche, in der ein scheußlicher
grober Lumpen lag, und unter Stoßen, Höhnen
und Schimpfen, vermischt mit spottenden
Begrüßungen und Verbeugungen, indem sie
ihm die Zunge herausstreckten oder ihm den
Hinterteil des Leibes zuwendeten, fuhren
sie ihm mit dem nassen, schmierigen Lumpen
über das Gesicht und die Schultern, ihn
scheinbar abwischend, und befleckten ihn
schändlicher als vorher, dann aber gossen
sie ihm den ganzen scheußlichen Inhalt des
Beckens über das Angesicht mit den höhnenden
Worten: «Da hast du köstliche Salbung, da
hast du Nardenwasser für dreihundert Denare,
da hast du deine Taufe vom Teiche Bethesda.»
Dieses letzte
Hohnwort stellte gegen ihre Absicht Jesus
dem Osterlamm gleich; denn die heute zu
schlachtenden Opferlämmer wurden zuerst
am Teich bei dem Schaftor aus dem Gröberen
gewaschen und dann am Teich Bethesda, südöstlich
vom Tempel, zeremonienweise nochmals mit
Wasser besprengt, ehe sie zum Pascha im
Tempel geschlachtet wurden. Sie spielten
aber eigentlich mit jener Rede auf den von
ihm am Teich Bethesda geheilten achtunddreißigjährigen
Kranken an, denn diesen habe ich damals
dort auch waschen oder taufen sehen. Ich
sage «waschen oder taufen», weil mir jene
Handlung in diesem Augenblicke nicht genau
erinnerlich vor Augen schwebt.
Nun aber
schleppten und schleiften sie Jesus unter
Stoßen und Schlagen im Kreise vor dem noch
versammelten höhnenden und schimpfenden
Rat herum, und alles sah ich voll grimmiger
Teufelsgestalten, es war ein dunkles, wirres,
schauderhaftes Treiben. Aber um den mißhandelten
Jesus sah ich oft einen Glanz und ein Leuchten,
seit er gesagt, daß er Gottes Sohn sei.
Viele Anwesende schienen dasselbe innerlich
mehr oder weniger auch zu ahnen, wenigstens
in dem bangen Gefühl, daß alle Schmach,
aller Hohn ihm seine unaussprechliche Würde
nicht nehmen konnte. Seinen blinden Feinden
schien dieses Leuchten um Jesus her nur
durch ein tieferes Aufwallen ihres Grimmes
fühlbar zu werden, mir aber erschien seine
Glorie so auffallend, daß ich immer denken
mußte, als verhüllten sie ihm das Angesicht
allein, weil der Hohepriester seit dem Worte:
«Ich bin’s», Jesu Blick nicht mehr ertragen
konnte.
Petrus Verleugnung
Als Jesus feierlich
ausgesprochen hatte: «Ich bin’s» und Kaiphas
seine Kleider zerriß und das Rufen, «er ist
des Todes schuldig», sich mit dem Höhnen und
Toben des Gesindels vermischte, als über Jesus
der Himmel der Gerechtigkeit offen war und die
Hölle ihren Grimm und die Gräber die gefangenen
Geister losließen, als alles voll Angst und
Schauder war, vermochten Petrus und Johannes,
welche viel gelitten hatten in klagloser, untätiger,
gespannter Anschauung der schrecklichen Mißhandlung
Jesu, nicht mehr länger hier zu stehen. Johannes
ging mit vielen abgehenden Leuten und Zeugen
hinweg und eilte zur Mutter Jesu, welche sich
mit den heiligen Frauen in der Wohnung Marthas,
unweit des Ecktores, befand, wo Lazarus in Jerusalem
ein ansehnliches Gebäude besaß. Petrus aber
konnte nicht fortgehen, er liebte Jesus zu sehr.
Er konnte sich kaum mehr fassen, er weinte bitterlich
und verbarg es, so gut er konnte. Stehen wollte
er nicht bleiben, sein Eifer hätte ihn verraten,
und er konnte sich auch nirgends anders hinwenden,
ohne aufzufallen; so ging er dann im Atrium
in den Winkel an das Feuer, wo Soldaten und
allerlei Volk zu Haufen standen, die zu der
Verspottung Jesu ab und zu gingen und ihre schlechten
niederträchtigen Bemerkungen machten. Petrus
hielt sich still, aber schon seine Anteilnahme
und der tiefe Ausdruck von Betrübnis in seinem
Gesicht mußten ihn bei den Feinden Jesu verdächtigen.
Es trat nun die Pförtnerin auch zum Feuer, und
da alles von Jesus und seinen Jüngern schwätzte
und schimpfte, mischte sie sich auf Art frecher
Weiber keck darein und sagte zu Petrus, indem
sie ihn anschaute: «Du bist auch einer von den
Jüngern des Galiläers»; da ward Petrus sehr
verwirrt und bang und fürchtete sich, unter
dem rohen Volke mißhandelt zu werden, und sagte:
«Weib, ich kenne ihn nicht, ich weiß und verstehe
nicht, was du willst.» Nun aber stand Petrus
auf und suchte sich von ihnen loszumachen und
ging aus dem Atrium; und es war die Zeit, daß
der Hahn draußen vor der Stadt krähte. Ich erinnere
mich nicht, ihn gehört zu haben, aber ich fühlte,
jetzt krähe er vor der Stadt. Als er hinausging,
sah ihn eine andere Magd und sagte zu einigen,
die da umherstanden: «Dieser ist auch mit Jesus
von Nazaret gewesen», und die Umstehenden sagten:
«Bist du nicht auch einer von seinen Jüngern
gewesen?» Da war Petrus in großer Angst und
Verwirrung und sprach mit einer Beteuerung:
«Wahrhaftig, das bin ich nicht gewesen und kenne
diesen Menschen nicht.»
Petrus aber
eilte durch
den ersten Hof in den äußersten,
über dessen Mauer er Bekannte herüberschauen
sah, um
diese zu warnen. Er weinte
und war so voll Angst und Trauer um
Jesus, daß er an sein Verleugnen
kaum
dachte. In dem äußersten Hof waren viele Leute und auch Freunde Jesu, die
man
nicht weiter zuließ, hinaus ließ
man
aber Petrus. Diese Leute kletterten an der Mauer auf, um
etwas
zu hören, und Petrus fand da eine ganze
Anzahl von Jüngern Jesu, welche auch die
Angst aus den Höhlen vom
Berge
Hinnom
hergetrieben hatte.
Sie
kamen
gleich auf Petrus zu und fragten ihn unter
Tränen; er war aber so heftig betrübt
und so bang, sich zu verraten, daß er ihnen
nur mit
wenigen
Worten riet, sich zu entfernen,
denn es sei Gefahr für sie hier. Nun wendete
er sich wieder von ihnen und ging traurig
umher,
und sie eilten sogleich wieder aus der Stadt.
Es waren diese wohl an sechzehn der ersten
Jünger, worunter Bartholomäus,
Nathanael, Saturnin, Judas, Barsabas,
Simeon,
der später Bischof von Jerusalem wurde,
Zachäus und Manahem,
der prophetische,
blindgeborene, von Jesus geheilte Jüngling.
⃰
⃰
Die hier
erwähnte Heilung Manahem's, sah sie in ihren
Betrachtungen am 11. Oktober Freitags, als
ungefähr am 20. Tisrides zweiten Lehrjahres,
in einem 1 1/2 Stunden südöstlich unterhalb
Siloh liegenden Städtchen geschehen, wo
Jesus Sabbat hielt.
Petrus
aber hatte keine Ruhe, und
die Liebe zu Jesus trieb ihn wieder
zurück in den inneren Hof, der das Haus umgab,
und man
ließ ihn wieder herein, weil ihm
gleich anfangs Nikodemus
und Joseph von Arimathia den Eingang verschafft
hatten.
Er
kehrte jetzt aber noch nicht in den Vorhof des
Richtsaales zurück, sondern wendete sich längs
dem
Hause rechts nach dem Eingang des hinter
dem Richtsitz gelegenen
runden Saales, in welchem die Rotte bereits
Jesus verhöhnend herumschleppte.
Petrus nahte schüchtern,
und wenn er sich gleich als verdächtig beobachtet
fühlte, so trieb ihn doch
die Angst um Jesus, sich durch die Tür zu drängen,
die von allerlei
Gesindel besetzt war, das der Verspottung
zusah. Da schleppten sie aber soeben
Jesus, mit
dem Strohkranz gekrönt, im
Kreise umher, und er blickte Petrus gar ernst und warnend an, und Petrus war
ganz zerschmettert
von Leid. Da er aber noch immer
mit
der Furcht kämpfte und von einigen Umstehenden
die Worte hörte: «Was ist
das für ein Kerl?» so ging er wieder hinaus in den Hof und war so traurig und von
Mitleid und
Angst verwirrt, daß er nur
mit
zögernden Schritten wandelte.
Weil
er sich aber beobachtet sah, ging er nun wieder
in das Atrium
und trat zu dem
Feuer
und saß eine gute
Weile
daselbst, bis einzelne, die ihn draußen
gesehen und seine Verwirrung bemerkt
hatten, auch wieder hinzutraten
und wieder
mit
ihm anfingen, indem
sie von Jesus und seinem
Treiben hin und her schmähten.
Einer
sagte da: «Wahrlich,
du gehörst auch zu seinem
Anhang, du bist ein Galiläer,
die Sprache verrät dich.» Als Petrus aber sich
ausreden und weggehen wollte, trat ihm ein Bruder
des Malchus entgegen und sagte: «Wie?
Habe ich dich nicht
mit
ihm im Garten am Ölberg gesehen,
hast
du nicht das Ohr
meines
Bruders verwundet?»
Da ward Petrus
in seiner Bedrängnis wie unsinnig und fing,
indem
er sich von ihnen losmachte,
nach seiner
heftigen Art zu fluchen
und zu schwören an, daß er diesen Menschen gar
nicht kenne, und er lief aus dem Atrium in den das Haus umgebenden
Hof; da war es die
Zeit,
daß der Hahn wieder krähte und sie Jesus eben
aus dem
runden
Saal durch diesen Hof hinab in den Kerker unter
demselben
führten. Es
wendete
sich aber der Herr und schaute
Petrus gar traurig und erbärmlich
an, und Petrus fiel das
Wort
Jesu: «Ehe der
Hahn
zweimal
kräht, wirst du
mich
dreimal
verleugnen»
mit
furchtbarer Gewalt aufs
Herz. Er hatte, in Kummer und Angst ermüdet,
sein vermessenes
Versprechen am
Ölberg,
mit
seinem Meister eher zu sterben, als ihn zu verleugnen, und die drohende Mahnung Jesu ganz vergessen gehabt, aber bei dem
Anblick Jesu zerschmetterte ihn das Gefühl seiner Schuld. Er hatte gesündigt; an seinem
mißhandelten, unschuldig
verurteilten,
schweigend das Entsetzliche erleidenden
Heiland,
der ihn so treulich gewarnt, hatte er
gesündigt; und wie von Sinnen aus Reue, eilte er in den äußeren Hof des Hauses hinaus
mit
verhülltem Haupt, bitterlich weinend.
Er fürchtete
sich nicht
mehr,
angeredet zu werden, jedem
hätte er gesagt, wer
er sei und wie große
Schuld
auf ihm ruhe.
Wer vermißt
sich zu sagen, in solcher Gefahr, Bedrängnis,
Angst,
Verwirrung, in solchem Kampf
zwischen
Liebe und Furcht, ermattet,
verwacht und abgehetzt, halb von Sinnen
vor Schmerz
über die gedrängten Trübsale dieser
jammervollen
Nacht, werde
er bei einem so kindlichen und zugleich so eifrigen
Temperament
stärker gewesen sein als Petrus? Der
Herr überließ ihn seiner eigenen Kraft, da war
der so ohnmächtig,
wie alle es sind, welche die
Worte
vergessen: «Betet und
wachet,
auf daß ihr nicht in Versuchung fallet.»
Maria am Richthaus des Kaiphas
Die heilige
Jungfrau, in stetem, innerem Mitleiden mit
Jesus, wußte und fühlte alles, was ihm geschah.
Sie litt es in geistiger Anschauung selbst
und war gleich ihm in stetem Gebet für seine
Peiniger. Aber ihr mütterliches Herz schrie
auch immer zu Gott, er möge doch diese Sünden
nicht geschehen lassen, er möge doch diese
Peinen von ihrem heiligsten Sohn abwenden,
und sie sehnte sich unwiderstehlich in die
Nähe ihres armen mißhandelten Sohnes. Als
nun Johannes nach dem schrecklichen Ruf:
«Er ist des Todes schuldig» aus dem Vorhof
des Kaiphas zu ihr nach dem Hause des Lazarus
in Jerusalem, welches unfern dem Ecktor
lag, gekommen war, und als er ihr mit äußerlicher
Botschaft alle die schrecklichen Leiden
Jesu, von welchen sie fortwährend in innerem
Mitleiden zerrissen ward, unter gemeinsamen
Tränen bestätigt hatte, verlangte sie nebst
der von Schmerz fast sinnlosen Magdalena
und einigen andern heiligen Frauen, in die
Nähe ihres leidenden Jesus gebracht zu werden.
Johannes, der die Nähe seines göttlichen
Meisters nur ihr zum Troste, die ihm nach
Jesus die Nächste war, verlassen hatte,
geleitete die heilige Jungfrau, welche von
den heiligen Frauen geführt wurde, aus dem
Hause. Magdalena schwankte händeringend
neben den andern durch die mondhellen, von
allerlei Heimkehrenden belebten Straßen.
Sie wandelten verhüllt, aber ihr gedrängter
und von Ausbrüchen der Wehklage unterbrochener
Zug machte manche vorüberziehende Schar
von Feinden Jesu aufmerksam auf sie, und
viele bittere, ihnen zu Gehör lauter gesprochene
Schmähworte gegen den Herrn erneuerten ihre
Schmerzen. Die Mutter Jesu, in steten inneren
Anschauungen von Jesu Peinigung, die sie
still wie alles in ihrem Herzen bewahrte,
denn sie litt wie er schweigend mit ihm,
wurde mehrmals außer sich und sank in die
Arme ihrer Begleiterinnen, und da sie so
unter einem Tor oder Bogen der inneren Stadt,
durch welchen ihr Weg führte, in den Armen
der Frauen lag, zogen ihnen durch dasselbe
einige Wohlgesinnte entgegen, welche von
Kaiphas’ Richthaus heimkehrten und wehklagten.
Diese nahten den heiligen Frauen, und da
sie Jesu Mutter erkannten, verweilten sie
einige Zeit, mit herzlichem Mitleid sie
begrüßend: «Oh du unglückliche Mutter, du
traurigste Mutter, o du schmerzvolle Mutter
des Heiligsten aus Israel!» Maria aber erholte
sich und dankte ihnen im Herzen, und sie
setzten mit eilenden Schritten ihren traurigen
Weg fort.
Als sie dem
Hause Kaiphas’ nahten, führte sie der Weg
an der dem Eingang entgegengesetzten Seite
hin, wo nur eine Mauer es umgibt, während
an der Seite des Einganges der Weg durch
zwei Höfe führt. Hier kam ein neuer bitterer
Schmerz über die Mutter Jesu und ihre Begleiter.
Sie mußten hier an einem erhöhten ebenen
Platze vorüber, auf welchem man bei Fackelschein
unter einem leichten Zeltdach an dem Kreuze
Christi zimmerte. Die Feinde Jesu hatten
schon, als Judas zum Verrat auszog, befohlen,
so Jesus gefangen würde, das Kreuz sogleich
für ihn zu bereiten, damit dem Pilatus kein
Aufschub bleibe; denn sie gedachten, ihm
den Herrn ganz früh zur Verurteilung zu
überliefern und erwarteten nicht, daß es
so lange dauern würde. Die Kreuze aber für
die beiden Schächer hatten die Römer schon
bereitet. Hier durchbohrten Flüche und Hohnworte
der Arbeiter über Jesus, um deswillen sie
nachts arbeiten müßten, das von jedem Beilschlag
verwundete Herz der unglücklichen Mutter,
und dennoch betete sie für die entsetzlich
blinden Menschen, welche fluchend das Werkzeug
ihrer Erlösung und des Martertodes ihres
Sohnes bereiteten.
Als sie nun
um das Haus herum in den äußersten Hof gelangt
waren, trat Maria, von den heiligen Frauen
umgeben, mit Johannes in einen Winkel unter
dem Tor des nächsten Hofes, ihre Seele aber
war unter unsäglichen Schmerzen bei Jesus.
Die heilige Jungfrau sehnte sich wohl sehr
nach der Eröffnung des Tores und hoffte,
durch die Vermittlung des Johannes hineinzukommen;
denn sie fühlte, daß nur dieses Tor sie
von ihrem Sohn trennte, der bei dem zweiten
Hahnenschrei aus dem Hause in den Kerker
unter dasselbe geführt ward. Indem öffnete
sich das Tor, und vor mehreren Herausgehenden
stürzte Petrus mit vorgehaltenen Händen
und verhülltem Haupt, heftig weinend, ihnen
entgegen. Mond und Fackellicht ließ ihn
gleich Johannes und die heilige Jungfrau
erkennen, es war ihm, als trete ihm das
Gewissen nun auch in Gestalt der Mutter
entgegen, nachdem ihr Sohn, ihn anschauend,
es aufgeschreckt hatte. Ach! wie klang es
dem armen Petrus in die Seele, als Maria
ihn anredete: «0 Simon! Wie steht es um
Jesus, meinen Sohn?» Er vermochte ihren
Anblick nicht zu ertragen, wendete sich
händeringend zur Seite und konnte nicht
sprechen; aber Maria ließ ihn nicht, sie
nahte ihm und sprach sehr schmerzlich: «0
Simon, Kephas’ Sohn, du antwortest mir nicht?»
Da rief Petrus in tiefstem Jammer aus: «0
Mutter, sprich nicht mit mir, dein Sohn
leidet Unmenschliches; sprich nicht mit
mir, sie haben ihn zum Tode verdammt, und
ich habe ihn dreimal schändlich verleugnet»;
und als ihm nun Johannes nahte, um mit ihm
zu sprechen, eilte Petrus, wie von Sinnen
vor Betrübnis, aus dem Hof fliehend zur
Stadt hinaus in jene Höhle am Ölberg
⃰
, in welcher
die Hände des betenden Jesus sich in den
Stein abgedrückt hatten. Ich meine, in dieser
Höhle hat unser erster Vater Adam auch gebüßt,
als er hier zuerst zu der fluchbelasteten
Erde kam.
⃰
Siehe Seite 80
Höhle am Ölberg
Die heilige Jungfrau,
vom Mitleiden dieses neuen Schmerzes Jesu, den
derselbe Jünger, der ihn zuerst als den Sohn
des lebendigen Gottes erkannte, verleugnet hatte,
hingerissen, sank nach Petrus’ Worten neben
dem Pfeiler des Tores auf den Stein nieder,
auf welchem sie stand, und es drückten sich
Spuren ihrer Hand oder ihres Fußes auf dem Stein
ab, der noch, doch entsinne ich mich jetzt nicht
mehr wo, besteht. Ich habe ihn gesehen. Es blieben
aber nun, da die meisten Menschen nach Jesu
Einkerkerung hinweggingen, die Tore der Höfe
offen, und als die heilige Jungfrau sich erholt
hatte, verlangte sie, ihrem geliebten Sohn näher
zu sein; da führte Johannes sie und die heiligen
Frauen bis vor das Gefängnis des Herrn. Ach!
Sie wußten wohl um Jesus und Jesus um sie, aber
auch mit ihren äußeren Sinnen wollte die treue
Mutter die Seufzer ihres Sohnes hören, und sie
vernahm sein Seufzen und den Hohn seiner Umgebung.
Sie konnten hier nicht lange unbeobachtet verweilen;
Magdalena bewegte die Heftigkeit ihrer Schmerzen
so gewaltig, und wenngleich die heilige Jungfrau
auch im äußersten Leiden durch eine heilige
Gemessenheit wunderbar ehrwürdig erschien, so
wurden ihr doch auch hier auf diesem kurzen
Weg die bitteren Worte zu Gehör geredet: «Ist
diese nicht des Galiläers Mutter? Ihr Sohn muß
gewiß ans Kreuz, doch wohl vor dem Fest nicht,
er müßte denn der schändlichste Bösewicht sein.»
Da wendete sie sich, und vom inneren Geist getrieben,
schritt sie noch bis gegen das Feuer im Atrium,
wo nur noch weniges Gesindel stand, ihre Begleitung
folgte in stummem Schmerz. An diesem Ort des
Greuels, wo Jesus ausgesprochen, daß er Gottes
Sohn sei und wo die Satansbrut ausgerufen: «Er
ist des Todes schuldig», beraubte das Mitleid
sie abermals der äußeren Besinnung, und Johannes
nebst den heiligen Frauen brachte sie, die mehr
einer Sterbenden als Lebenden ähnlich war, von
dannen. Das Gesindel sagte hier nichts, sie
schwiegen und stutzten, es war, als wandle ein
reiner Geist durch die Hölle.
Der Weg führte
sie wieder längs der hinteren Seite des Hauses
an jener traurigen Stelle vorüber, wo man mit
der Bereitung des Kreuzes beschäftigt war. Sie
konnten, wie mit dem Gericht, so auch mit dem
Kreuz nicht fertig werden. Sie mußten öfters
anderes Holz herbeischleppen, weil ihnen dieses
oder jenes Stück mißlang oder zerbrach, bis
sie das verschiedene Holz auf diese Weise zusammengefügt
hatten, wie Gott es haben wollte. — Ich habe
mancherlei Bilder hierüber gehabt, auch sah
ich, als hinderten Engel sie in ihrer Arbeit,
bis sie nach Gottes Willen vollendet ward; da
ich mich aber dessen nicht mehr klar erinnere,
so lasse ich es dahingestellt sein.
Jesus im Kerker
Der Kerker
Jesu unter dem Gerichtshause des Kaiphas
war ein kleines rundes Gewölbe. Ich sah,
es bestehe noch jetzt ein Teil dieser Stelle.
Nur zwei der vier Schergen blieben hier
bei ihm, lösten sich aber nach kurzer Zeit
mehrmals mit andern ab. Man hatte dem Herrn
seine Kleider noch nicht wieder zurückgegeben,
er war noch allein mit dem verlumpten, verspienen
Spottmantel bekleidet, und seine Hände waren
ihm von neuem gebunden.
Als der Herr
in den Kerker trat, betete er zu seinem
himmlischen Vater, er möge alle Mißhandlung
und Verhöhnung, die er bis jetzt erlitten
und noch erleiden werde, als ein Sühneopfer
für seine Peiniger und alle jene Menschen
aufnehmen, die jemals in gleichem Leiden
sich durch Ungeduld und Zorn versündigen
könnten.
Auch hier
ließen die Peiniger dem Herrn keine Art
von Ruhe. Sie banden ihn in der Mitte des
Kerkers an eine niedere Säule und vergönnten
ihm nicht, sich anzulehnen, so daß er auf
seinen ermüdeten, vom Fallen und dem Anschlagen
der Kette, die bis zu den Knien niederging,
verwundeten und geschwollenen Füßen hin
und herwankte. Sie hörten nicht auf, ihn
zu verhöhnen und zu mißhandeln, und so die
beiden anwesenden Schergen ermüdeten, wurden
sie von zwei anderen abgelöst, welche, eintretend,
neue Bubenstücke vollzogen.
Es ist mir nicht möglich,
alle die Bosheit zu wiederholen, welche sie
gegen den Reinsten und Heiligsten vorbrachten,
ich bin zu krank, ich starb schier vor Mitleid.
Ach! wie beschämend ist für uns, daß wir die
unzähligen Mißhandlungen, welche der unschuldige
Erlöser geduldig für uns erlitt, aus Weichlichkeit
und Ekel vor dem Leiden nicht einmal zu erzählen
oder anzuhören vermögen. Es faßt uns dabei ein
Entsetzen, jenem des Mörders ähnlich, der seine
Hand auf die Wunden des Erschlagenen legen soll.
Jesus trug alles, ohne seinen Mund zu öffnen;
es waren die Menschen, die Sünder, die gegen
ihren Bruder, ihren Erlöser, ihren Gott wüteten.
Ich bin auch eine arme Sünderin, auch um meinetwillen
ist ihm all dies Leid geschehen. Am Tage des
Gerichtes wird alles offenbar werden, da werden
wir alle sehen, wie wir an der Mißhandlung des
Sohnes Gottes, da er als Sohn des Menschen in
der Zeit war, Teil hatten durch unsere Sünden,
die wir fort und fort noch begehen und die fortgesetzt
eine Art von Einwilligung und Anschließung zu
den Mißhandlungen Jesu durch jene teuflische
Rotte sind. Ach! wenn wir das recht bedächten,
wir würden mit weit größerem Ernst als bisher
jene Worte beten, die in vielen Bußgebeten vorkommen:
«Herr, lasse mich lieber sterben, als daß ich
dich nochmals durch Sünde beleidigen sollte.»
In diesem Kerker
stehend, betete Jesus fortwährend für seine
Quäler, und als sie zuletzt, ermüdet, etwas
ruhiger wurden, sah ich Jesus an dem Pfeiler
lehnen, ganz von Licht umgeben, es brach der
Tag an. Der Tag seiner unendlichen Leiden und
Genugtuung, der Tag unserer Erlösung blickte
durch eine Öffnung oben an der Kerkerwand zaghaft
auf unser heiliges, mißhandeltes Osterlamm,
welches alle Sünden der Welt auf sich genommen,
und Jesus hob seine gefesselten Hände empor,
dem jungen Tag entgegen, und betete laut und
vernehmlich zu seinem Vater im Himmel ein sehr
rührendes Gebet, worin er ihm für die Sendung
dieses Tages dankte, nach welchem sich die Altväter
schon gesehnt, nach welchem er seit seiner Ankunft
auf Erden so sehnlich geseufzt hatte, daß er
sprach: «Ich muß mich taufen lassen mit einer
Taufe, und wie sehr drängt es mich, bis sie
vollbracht werde.» Wie rührend dankte der Herr
für diesen Tag, der das Ziel seines Lebens,
unser Heil vollenden, den Himmel eröffnen, die
Hölle besiegen, den Menschen die Quelle des
Segens erschließen und den Willen seines Vaters
erfüllen sollte.
Ich habe sein
Gebet mitgebetet, aber ich kann es nicht mehr
aussprechen, ich war so krank vor Mitleid und
mußte so weinen in seinen Schmerzen, als er
noch dankte für all das entsetzliche Leiden,
das er auch für mich getragen, und ich flehte
immer: «Ach gib mir, gib mir deine Schmerzen,
sie gehören mir, sie sind für meine Schuld.»
Da blickte der Tag herein, und er grüßte den
Tag mit so rührendem Dankgebet, daß ich, ganz
vernichtet von Liebe und Mitleid, seine Worte
wie ein Kind nachsprach. Es war unbeschreiblich
traurig, liebevoll, ernst und heilig nach all
dem greulichen Getöse der Nacht, wie Jesus mitten
im engen Kerker an einer niederen Säule leuchtend
stand und den ersten Strahl des großen Opfertages
dankend grüßte; ach! es war, als komme dieser
Strahl zu ihm wie der Blutrichter zu einem Hinzurichtenden
in den Kerker, um sich zuvor mit ihm zu versöhnen,
und er dankte ihm so lieblich. Die Schergen,
welche ermüdet etwas eingeschlummert schienen,
sahen auf und stutzten, sie störten ihn nicht,
sie schienen verwundert und erschreckt. Jesus
mag etwas über eine Stunde in diesem Kerker
gewesen sein.
Judas bei dem Gerichtshaus
Während Jesus
in dem Kerker war, kam Judas, der bisher
wie ein Verzweifelter, von dem Satan getrieben,
an der steilen Mittagsseite von Jerusalem
im Tale Hinnom herumgelaufen war, wo Auswurf
und Knochen und Aas liegt, in den Umkreis
des Richthauses von Kaiphas. Er schlich
umher und hatte das Bündel zusammengekettelter
Silberlinge, den Preis seines Verrates,
noch an seiner Seite am Gürtel hängen. Es
war schon still geworden, und er fragte
unerkannt die Wache des Hauses, was es mit
dem Galiläer werden werde. Sie sagten ihm:
«Er ist zum Tode verdammt und wird gekreuzigt
werden»; andere hörte er untereinander reden,
wie gräßlich man mit ihm umgegangen und
wie geduldig er gewesen, mit Tagesanbruch
werde er nochmals vor den Hohen Rat gestellt,
um dort feierlich verurteilt zu werden.
Während der Verräter, um nicht erkannt zu
werden, diese Nachrichten hie und da eingesammelt
hatte, brach der Tag an und entstand schon
mannigfaltige Bewegung in und um das Haus.
Da zog sich Judas gegen die Rückseite des
Hauses, um nicht gesehen zu werden; denn
er floh die Menschen wie Kain, und es brütete
die Verzweiflung in seiner Seele. Aber was
trat ihm hier entgegen? Das war die Stelle,
wo sie am Kreuze gearbeitet hatten, die
einzelnen Stücke lagen geordnet nebeneinander,
und die Arbeiter schliefen, in ihre Decken
gehüllt, dazwischen. Der Himmel schimmerte
weiß über dem Ölberg, es war, als schaudere
er, das Werkzeug unserer Erlösung anzublicken.
Judas blickte entsetzt und floh hinweg,
er hatte den Galgen gesehen, an den er den
Herrn verkauft. Er versteckte sich aber
in der Gegend und harrte auf den Schluß
des Morgengerichtes.
Morgengericht über Jesus
Bei Anbruch
des Tages, als es hell geworden, versammelten
sich Kaiphas, Annas, die Ältesten und Schriftgelehrten
wieder im großen Richtsaale zu einer vollkommen
gültigen Ratssitzung, denn das Gericht zur
Nachtzeit war nicht rechtsgültig und sollte
nur, weil am Fest die Zeit drängte, ein
vorbereitendes Zeugenverhör sein. Die meisten
Ratsherren hatten im Haus des Kaiphas den
Rest der Nacht in Nebengemächern und über
dem Richtsaal auf Ruhebetten zugebracht.
Viele, wie auch Nikodemus und Joseph von
Arimathia, kamen mit Tagesanbruch. Es war
eine große Versammlung, und all ihr Tun
war sehr eilig. Da sie nun Rat gegen Jesus
hielten, um ihn zum Tode zu verurteilen,
stritten Nikodemus, Joseph von Arimathia
und wenige andere gegen die Feinde Jesu
und verlangten, daß die Sache bis nach dem
Fest aufgeschoben werde, damit kein Tumult
entstehe, auch könne kein gerechtes Urteil
auf die bis jetzt vorgebrachten Beschuldigungen
gegründet werden, indem sich alle Zeugen
widersprochen hätten. Die Hohenpriester
und ihre große Partei wurden erbittert über
diesen Widerspruch und ließen die Andersgesinnten
deutlich genug merken, es könne ihnen ja
freilich dieses Gericht nicht gefallen,
weil sie dadurch selbst beschuldigt würden,
indem sie wohl von der Teilnahme an des
Galiläers Lehre nicht ganz rein sein möchten;
und somit schieden sie alle diese, welche
gut für Jesus gesinnt waren, von ihrem Rat
aus, diese aber protestierten gegen allen
Anteil an dem, was hier beschlossen werden
möchte, verließen den Ratssaal und begaben
sich nach dem Tempel. Sie sind von diesem
Ereignis an nie wieder in den Rat gekommen.
Kaiphas aber befahl, den armen, mißhandelten,
verwachten Jesus aus dem Kerker vor den
Rat zu führen, und zwar so, daß man ihn
nach dem Urteil ohne Aufenthalt zu Pilatus
bringen könne. Die Gerichtsknechte eilten
mit Getöse in den Kerker, überfielen Jesus
mit Schimpfworten, banden ihm die Hände
los, warfen ihm den Lumpenmantel von den
Schultern, trieben ihn eilig unter Schlägen,
seinen gewirkten langen Rock anzuziehen,
der noch mit allem Unrat bedeckt war, banden
ihm die Stricke wieder um die Mitte des
Leibes und führten ihn aus dem Kerker hinauf.
Es geschah dies, wie alles, mit stürmender
Eile, mit schauderhafter Roheit. Er wurde
von den Schergen durch die Reihen der vor
dem Hause schon versammelten Kriegsknechte
gleich einem armen Opfertier in den Gerichtssaal
unter Hohn und Schlägen getrieben, und als
er, durch Mißhandlung, Verunreinigung und
Ermattung so furchtbar entstellt, ohne andere
Bekleidung als sein verwüstetes Unterkleid
vor ihnen erschien, ergrimmten sie durch
Ekel nur noch mehr. Mitleid regte sich in
keinem dieser harten jüdischen Herzen.
Kaiphas aber,
voll Grimm und Hohn gegen den so elend vor
ihm stehenden Jesus, sprach zu ihm: «Wenn
du der Gesalbte des Herrn, der Messias bist,
so sage es uns.» Da erhob Jesus sein Haupt
und sprach mit heiliger Geduld und feierlichem
Ernst: «Werde ich es euch sagen, so werdet
ihr mir nicht glauben, und werde ich euch
darüber eine Frage stellen, so werdet ihr
mir weder darauf antworten, noch mich loslassen;
von heute an aber wird der Sohn des Menschen
zur Rechten der Kraft Gottes sitzen.» Da
blickten sie sich untereinander an und sprachen
dann mit Verachtung und Hohnlächeln zu Jesus:
«Also du, du bist der Sohn Gottes?» Jesus
aber antwortete ihnen mit der Stimme der
ewigen Wahrheit: «Ja, wie ihr sagtet, ich
bin es.» Auf dieses Wort des Herrn sprachen
alle zueinander: «Was können wir noch für
Beweise verlangen? Wir haben es ja nun selbst
aus seinem Munde gehört.»
Indem erhoben
sie sich alle unter Schmähworten auf Jesus,
den armen hergelaufenen, hilflosen, elenden
Menschen von niederer Abkunft, welcher ihr Messias
sein und zur Rechten Gottes sitzen wolle. Sie
befahlen den Schergen, ihn von neuem zu binden,
ließen ihm, wie den zum Tode Verurteilten, die
Kette um den Hals legen, um mit ihm zu Pilatus
zu ziehen. Sie hatten schon früher einen Boten
zu diesem gesendet, er möge sich früh bereithalten,
einen Verbrecher zu richten, da sie des Festes
wegen eilen müßten. Sie murrten noch untereinander
über den römischen Landpfleger, daß sie noch
erst zu ihm hinziehen müßten; denn sie selbst
durften in Sachen, die mehr als ihre Religions-
und Tempelgesetze betrafen, kein Todesurteil
vollziehen, und da sie, um Jesus mit größerem
Schein des Rechtes zum Tode zu bringen, ihn
auch als einen Verbrecher gegen den Kaiser richten
lassen wollten, so kam die Verurteilung hauptsächlich
dem römischen Landpfleger zu. Die Kriegsknechte
waren schon im Vorhof und bis vor das Haus aufgestellt,
und viele der Feinde Jesu und anderes Gesindel
war vor dem Hause schon versammelt. Die Hohenpriester
und ein Teil des Rates zogen voraus, dann folgte
der arme Heiland zwischen den Schergen, von
der Kriegsschar umgeben, und zuletzt schloß
sich alles Gesindel an. So zogen sie von Sion
hinab in die untere Stadt zum Palast des Pilatus.
Eine Anzahl der anwesenden Priester aber zog
zum Tempel, wo heute vieles zu tun war.
Verzweiflung des Judas
Judas, der
Verräter, der sich nicht weit entfernt hatte,
hörte nun den Lärm des Zuges und manche
Worte einzelner Nacheilenden, wie z.B.:
«Sie führen ihn zum Pilatus, der Hohe Rat
hat den Galiläer zum Tode verdammt, er muß
ans Kreuz, leben kann er doch nicht bleiben,
sie haben ihn schon schrecklich zugerichtet,
er ist geduldig zum Entsetzen, er spricht
nichts, er sagt nur, er sei der Messias
und werde zur rechten Hand Gottes sitzen,
weiter sagte er nichts, darum muß er ans
Kreuz, hätte er das nicht gesagt, sie hätten
keine Todesschuld herausgebracht, aber nun
muß er ans Kreuz. Der Schuft, der ihn verkauft
hat, war sein Jünger und hat das Osterlamm
noch eine Weile vorher mit ihm gegessen,
ich möchte keinen Teil an dieser Tat haben,
der Galiläer sei, wie er wolle, er hat doch
keinen Freund ums Geld in den Tod gebracht,
wahrlich, der Schurke verdiente auch zu
hängen!» Da kämpften Angst, zu späte Reue
und Verzweiflung in der Seele des Judas.
Der Satan trieb ihn zu laufen. Das Bündel
der Silberlinge an seinem Gürtel unter dem
Mantel war ihm wie ein Sporn der Hölle,
er faßte es fest mit der Hand, daß es beim
Laufen nicht so rasselnd in die Seite schlage;
er lief mit großer Eile, nicht dem Zuge
nach, nicht, um sich Jesus in den Weg zu
werfen und den Erbarmer um Vergebung zu
flehen, nicht um mit ihm zu sterben, nein,
nicht um seine Schuld vor Gott bereuend
zu bekennen, sondern um sich von seiner
Schuld und dem Verräterlohn vor den Menschen
loszusagen, lief er wie ein Unsinniger in
den Tempel, wohin sich mehrere des Rates
als Vorsteher der diensttuenden Priester
und auch Älteste nach der Verurteilung Jesu
begeben hatten. Sie schauten sich einander
verwundert an und hefteten dann ihre Blicke
mit stolzem Hohnlächeln auf Judas, der,
von verzweifelter Reue getrieben, ganz entstellt
vor sie hintrat und, indem er das Bündel
der zusammengekettelten Silberlinge von
seinem Gürtel riß und sie ihnen mit der
Rechten entgegenhielt, in heftiger Angst
sprach: «Nehmt euer Geld wieder, durch das
ihr mich zur Überlieferung des Gerechten
verführt habt, nehmt euer Geld wieder, gebt
Jesus los, ich hebe meinen Vertrag auf,
ich habe schwer gesündigt, daß ich unschuldiges
Blut verriet.» Die Priester aber ließen
nun ihre ganze Verachtung an ihm aus, sie
hoben die Hände zurückziehend vor den hingehaltenen
Silberlingen, als wollten sie sich mit dem
Verräterlohn nicht verunreinigen, und sagten:
«Was geht das uns an, daß du gesündigt hast?
Glaubst du, unschuldiges Blut verkauft zu
haben, so schau du zu, das ist deine Sache;
wir wissen, was wir von dir gekauft haben,
und fanden ihn des Todes schuldig; du hast
dein Geld, wir wollen nichts davon», usw.
Unter solchen Reden, die sie schnell und
in der Art von Menschen sprachen, welche
Geschäfte haben und den Ansprechenden los
sein wollen, wendeten sie sich von Judas
ab. Diesen aber ergriff bei dieser Behandlung
ein Grimm und eine Verzweiflung, daß er
wie von Sinnen war. Seine Haare sträubten
sich empor, er zerriß mit beiden Händen
den Bund, an welchem die Silberlinge zusammengekettelt
waren, schleuderte sie zerstreut in den
Tempel und floh zur Stadt hinaus.
Ich sah ihn wieder
wie einen Rasenden im Tale Hinnom laufen, ich
sah den Satan in furchtbarer Gestalt an seiner
Seite, der ihm alle Flüche der Propheten über
dieses Tal, wo die Juden einst ihre eigenen
Kinder den Götzen geopfert, in die Ohren flüsterte,
um ihn zur Verzweiflung zu bringen. Ihm war,
als deuteten alle solche Worte auf ihn mit Fingern,
wie z.B.: «Sie werden hinausgehen und die Leichen
jener anschauen, die an mir gesündigt haben,
deren Wurm nicht sterben, deren Feuer nicht
auslöschen wird.» Dann tönte es wieder in seinen
Ohren: «Kain, wo ist Abel, dein Bruder? Was
hast du getan? Sein Blut schreit zu mir, verflucht
bist du nun auf Erden, irrend und flüchtig»,
und als er an den Bach Kidron kam und gegen
den Ölberg sah, da schauderte es ihn und er
wendete die Augen weg, da hörte er die Worte
wieder: «Freund, wozu bist du gekommen, Judas,
mit einem Kusse verrätst du den Menschensohn?»
0 da wurde es ihm so entsetzlich in der Seele,
seine Sinne wurden verwirrt, und der Feind flüsterte
ihm in die Ohren: «Hier über den Kidron floh
auch David vor Absalom, Absalom starb an einem
Baum hängend, David hat auch von dir gesungen,
da er sprach: Sie haben Gutes mit Bösem vergolten,
einen harten Richter soll er haben, der Satan
soll zu seiner Rechten stehen, jedes Gericht
soll ihn verdammen, wenige Tage soll er leben,
sein Amt soll ein anderer haben, der Herr soll
der Bosheit seiner Väter, der Sünden seiner
Mütter immer gedenken, weil er ohne Barmherzigkeit
den Armen verfolgt, den Betrübten getötet hat,
er hat den Fluch geliebt, er soll ihm werden,
er legte den Fluch wie ein Kleid an, und wie
Wasser drang er in seine Eingeweide, wie Öl
in seine Gebeine, wie ein Kleid ist der Fluch
um ihn, wie ein Gürtel, der ihn ewig gürtet.»
Unter so schrecklichen Gewissensqualen war Judas
an einen wüsten Ort voll Schutt, Auswurf und
Sumpf zwischen Mittag und Morgen von Jerusalem
am Fuße des Berges der Ärgernisse gekommen,
wo ihn niemand sehen konnte; von der Stadt tönte
manchmal lauteres Getöse, und der Satan blies
ihm dann ein: «Jetzt wird er zum Tode geführt,
du hast ihn verkauft, weißt du, was im Gesetz
steht: Wer aus seinen Brüdern aus den Kindern
Israels eine Seele verkauft und hat den Preis
dafür empfangen, der soll des Todes sterben.
Mach ein Ende, du Elender, mach ein Ende!» —
Da nahm Judas verzweifelnd seinen Gürtel und
hängte sich an einen Baum, der in mehreren Stämmen⃰
aus
dem Boden dort in einer Vertiefung wuchs, und
als er hing, platzte sein Leib, und sein Eingeweide
schüttete sich auf die Erde.
⃰
Die erzählende
beschrieb noch die Gestalt dieses Baumes sehr
detailliert , aber sie war so krank und schwach,
dass es nicht aufgefasst werden konnte.
Jesus wird zu Pilatus geführt
Die grausame
Führung des Herrn von Kaiphas zu Pilatus
durchzog den bewohntesten Teil der Stadt,
die jetzt von den Ostergästen aus dem ganzen
Land und unzähligen Fremden wimmelte. Der
Zug ging mitternachtwärts vom Berge Sion
herab quer durch eine eng bebaute Talstraße,
dann durch den Stadtteil Acra längs der
Abendseite des Tempels bis zum Palast und
Gerichtshaus des Pilatus, das an der Nordwestecke
des Tempels dem großen Forum oder Markt
gegenüber lag.
Kaiphas und
Annas und eine große Anzahl des großen Rates
schritten in festlicher Kleidung dem Zuge
voraus, und es wurden ihnen Schriftrollen
nachgetragen. Ihnen folgten viele andere
Schriftgelehrte und andere Juden, darunter
alle die falschen Zeugen und erbosten Pharisäer,
welche bei der Anklage des Herrn besonders
tätig gewesen waren. Nach einem kleinen
Zwischenraum ward, umgeben von einer Schar
von Kriegsknechten und jenen sechs Beamten,
die bei seiner Gefangennahme gewesen waren,
unser lieber Herr Jesus von den Schergen
an Stricken geführt. Vieles Gesindel strömte
von allen Seiten herzu und schloß sich mit
Geschrei und Hohn dem Zuge an, und am Wege
harrte überall das Volk in gedrängten Haufen.
Jesus war
allein mit seinem gewirkten, von Auswurf
und Schmutz bedeckten Unterkleid bekleidet,
von seinem Hals nieder hing ihm bis zu den
Knien die lange breitgliedrige Kette, die
ihm beim Gehen schmerzlich an die Knie schlug,
seine Hände waren wie gestern gebunden,
und die vier Büttel führten ihn wieder an
Stricken, die von seinem Gürtel ausliefen.
Er war von den schrecklichen Mißhandlungen
dieser Nacht ganz entstellt, ein schwankendes
Jammerbild, mit zerrauftem Haar und Bart,
bleichem, von Schlägen geschwollenem und
gebräuntem Antlitz. Er ward unter Mißhandlungen
und Hohn vorangetrieben. Man hatte viel
Gesindel aufgewiegelt, in diesem Zuge seinen
königlichen Einzug am Palmsonntag zu verhöhnen.
Man rief ihm allerlei spöttische Königsnamen
zu und warf ihm Steine, Prügel, Stücke Holz,
schmutzige Lumpen vor die Füße in den Weg
und rückte ihm seinen festlichen Einzug
in allerlei Spottliedern und Ausrufungen
vor. Die Büttel zerrten Jesus an den Stricken
über diese Hindernisse mit Stößen hinweg,
und der ganze Weg war eine fortgesetzte
Mißhandlung.
Nicht sehr
weit von dem Hause des Kaiphas harrte die
mitleidende heilige Mutter Jesu mit Magdalena
und Johannes, in den Winkel eines Gebäudes
gedrängt, auf den nahenden Zug. Ihre Seele
war immer bei Jesus, aber wo sie ihm auch
leiblich nahen konnte, ließ die Liebe sie
nicht ruhen und trieb sie auf seine Wege
und in seine Fußtapfen. So hatte sie nach
ihrem nächtlichen Gang zu des Kaiphas Richthaus
nur kurze Zeit in stummer Trauer am Coenaculum
verweilen können; denn kaum war Jesus wieder
aus dem Kerker vor das Morgengericht geführt,
als sie sich auch aufrichtete, in ihren
Mantel und Schleier hüllte und, voranschreitend,
zu Johannes und Magdalena sprach: «Wir wollen
meinem Sohn zu Pilatus folgen, ich will
ihn mit meinen Augen sehen.» Da waren sie
auf einem Umweg dem Zuge vorausgegangen,
und die heilige Jungfrau war an dieser Stelle
harrend stehen geblieben und die anderen
mit ihr. Die Mutter Jesu wußte wohl, wie
es mit ihrem Sohn stand, ihre Seele hatte
ihn immer vor Augen, aber ihr inneres Auge
konnte ihn nie so entstellt und mißhandelt
sehen, wie er es durch die Bosheit der Menschen
war. Sie sah wohl fortwährend seine schrecklichen
Leiden, aber ganz von der Heiligkeit, Liebe
und Geduld seines sich opfernden Willens
durchleuchtet. Nun aber trat die niedere,
furchtbare Wirklichkeit vor ihre Augen.
Die stolzen grimmigen Feinde Jesu, die Hohenpriester
des wahren Gottes in den heiligen Feierkleidern,
zogen an ihr vorüber in gottesmörderischem
Vorhaben, voll Tücke, Lug und Trug und Fluch.
Die Priester Gottes waren Priester des Satans
geworden, ein entsetzlicher Anblick! Und
dann das Getöse und Geschrei des Volkes
und alle die meineidigen Feinde und Ankläger,
und endlich nun Jesus, Gottes Sohn, des
Menschen Sohn, ihr Sohn, schrecklich entstellt
und mißhandelt, gebunden, geschlagen, getrieben,
mehr schwankend als gehend, von greulichen
Henkern an Stricken fortgerissen, in einer
Wolke von Hohn und Fluch, ach! wäre er nicht
der Ärmste, Elendste und allein Ruhige und
liebend Betende in diesem Sturm der losgelassenen
Hölle gewesen, sie hätte ihn in so schrecklicher
Entstellung nicht erkannt; denn er hatte
nur sein Unterkleid in greulicher Verwüstung
an, und als er ihr nahte, jammerte sie menschlicherweise:
«Weh! ist dies mein Sohn? ach! es ist mein
Sohn, o Jesus, mein Jesus!» Der Zug ging
treibend vorüber, der Herr blickte seitwärts
seine Mutter gar beweglich an, und sie verlor
das äußere Bewußtsein. Johannes und Magdalena
brachten sie hinweg, aber kaum hatte sie
sich etwas erholt, als sie sich auch wieder
von Johannes zu dem Palaste des Pilatus
geleiten ließ.
Daß die Freunde
uns in der Not verlassen, mußte auch Jesus
auf diesem Wege erleben, denn die Einwohner
aus Ophel waren alle an einer Stelle des
Weges versammelt, und als sie Jesus so verachtet
und entstellt, zwischen den Bütteln verspottet
und mißhandelt hinführen sahen, wurden auch
sie in ihrem Glauben erschüttert, sie konnten
sich nicht vorstellen, daß der König, der
Prophet, der Messias, der Sohn Gottes in
einem solchen Zustand sein könne. Sie wurden
aber von den vorübergehenden Pharisäern
wegen ihrer Anhänglichkeit an Jesus verhöhnt:
«Da seht euren sauberen König, begrüßt ihn,
jetzt hängt ihr das Maul, da er zu seiner
Krönung geht und bald seinen Thron besteigen
wird, es ist aus mit dem Wundertum, der
Hohepriester hat ihm die Zauberei gelegt»
usw. Diese guten Leute, welche so viele
Heilungen und Gnaden von Jesus genossen,
wurden durch das schreckliche Schauspiel,
welches die heiligsten Personen des Landes,
der Hohepriester und das Synedrium, vor
ihnen vorüberführten, in ihrem Glauben wankend.
Die Besseren zogen sich zweifelnd zurück,
die Schlechteren schlossen sich höhnend
dem Zuge an, wie sie konnten, denn die Zugänge
waren hie und da mit Wachen der Pharisäer
besetzt, um allen Tumult zu verhindern.
Palast des Pilatus und Umgebung
Am Fuße der
Nordwestecke des Tempelberges
⃰
liegt
der Palast des römischen Landpflegers Pilatus,
ziemlich erhöht, denn man steigt eine Marmortreppe
von vielen Stufen hinauf, und er überschaut
einen vor ihm liegenden geräumigen Marktplatz,
der mit Hallen für die Kaufleute unter Säulengängen
umschlossen ist. Ein Wachhaus und vier Eingänge
gegen Abend, Mitternacht, Morgen und Mittag,
wo der Palast des Pilatus liegt, unterbrechen
diese Umbauung des Marktes, der das Forum
genannt wird und sich abendwärts noch über
die Nordwestecke des Tempelberges hinausstreckt;
man kann auf diesem Ende des Forums zum
Berge Sion hinsehen. Das Forum liegt etwas
erhöht gegen die umliegenden Straßen, welche
zu seinen Eingängen etwas aufsteigen; an
die äußere Seite seines Hallenumfangs lehnen
sich an einzelnen Stellen die Häuser der
nahen Straßen an. Der Palast des Pilatus
stößt nicht unmittelbar an das Forum, sondern
ist durch einen geräumigen Hof von demselben
getrennt. Dieser Hof hat an der Morgenseite
einen hohen Bogen als Tor, welches gerade
in eine Straße gegen das Schaftor zuführt,
wo man zum Ölberg hinausgeht; an seiner
Abendseite hat dieser Hof wieder einen hohen
Bogen als Tor, welches zur Abendseite der
Stadt und durch den Stadtteil Acra auf Sion
hinführt. Von der Treppe des Palastes aus
schaut man über den Hof gegen Mitternacht
zu auf das Forum, bei dessen Eingang hier
Säulenstellungen und einige steinerne Sitze
gegen den Hof des Pilatus zu angebracht
sind. Bis zu diesen Sitzen und nicht weiter
nahten sich die jüdischen Priester dem Gerichtshof
des Pilatus, um sich nicht zu verunreinigen;
ihre Grenze war durch eine aufgezeichnete
Linie im Pflaster des Hofes bestimmt. Bei
dem westlichen Bogentor des Hofes war in
den Umfang des Marktes ein großes Wachhaus
eingebaut, welches nördlich mit dem Forum
und südlich durch das Bogentor, mit dem
Prätorium des Pilatus sich berührend, einen
Vorhof, ein Atrium von dem Forum aus zu
diesem Prätorium bildete. Prätorium aber
heißt der Teil von Pilatus Palast, wo er
Gericht hält. Dieses Wachhaus ist mit Säulenhallen
umgeben, hat einen dachlosen Hof in der
Mitte, und unter ihm befinden sich Gefängnisse,
wo auch die beiden Schächer eingesperrt
sind. Es wimmelte da von römischen Soldaten.
Unweit dieses Wachhauses steht nächst den
umgebenden Hallen auf dem Forum die Geißelsäule.
Es stehen noch mehrere Säulen im Umkreis
des Marktes; die näheren zu Leibesstrafen,
die entfernteren aber, um das zu verkaufende
Vieh daran zu binden. Dem Wachhaus gegenüber
auf dem Forum ist eine mit Stufen aufgemauerte,
schön geplattete Terrasse, wie ein Hochgericht,
worauf Steinbänke; von diesem Ort aus, der
Gabbatha heißt, spricht Pilatus seine feierlichen
Gerichtsurteile. Die zu dem Palast des Pilatus
aufsteigende Marmortreppe führt zu einer
offenen Terrasse, von welcher aus er mit
den Anklägern sprach, welche gegenüber zunächst
dem Eingang des Forums auf den Steinbänken
saßen. Laut sprechend, kann man sich hier
gegenseitig verstehen.
⃰
Wahrscheinlich
dicht an der Burg Antonia, von welcher sie
oft erwähnte, dass sie hier liege.
Hinter dem
Palast des Pilatus liegen noch höhere Terrassen
mit Gärten und einem Lusthaus. Durch diese
Gärten hängt der Palast des Pilatus mit
der Wohnung seiner Frau, die Claudia Procle
heißt, zusammen. Hinter diesen Bauwerken
ist noch ein Graben, der sie vom Tempelberge
⃰
scheidet
(trennt).
Auch liegen dort zurück noch Wohnungen von
Tempeldienern.
⃰
Vielleicht
ein Graben der Burg Antonia.
An die Morgenseite
von Pilatus’ Palast stößt jenes Rat- oder
Gerichtshaus des alten Herodes, in dessen
innerem Hof einst viele unschuldige Kinder
ermordet worden sind. Es ist jetzt etwas
verbaut gegen damals; der Eingang ist jetzt
von der Morgenseite her, jedoch auch einer
für Pilatus aus dessen Vorhaus.
Von Morgen her laufen an dieser Seite der Stadt
vier Sraßen abendwärts, drei führen gegen den
Palast des Pilatus und das Forum, die vierte
aber an der Nordseite des Forums vorüber gegen
das Tor hin, durch das man nach Bethsur geht.
Nahe diesem Tor liegt in dieser Straße das schöne
Gebäude, welches Lazarus in Jerusalem besitzt
und in welchem auch Martha eine eigene Wohnung
hat.
Die dem Tempel
nächste dieser vier Straßen läuft von dem Schaftor
aus, neben welchem, wenn man hereingeht, zur
Rechten der Schafteich so dicht an die Mauer
gebaut liegt, daß in der Mauer Bogen über ihn
angebracht sind. Er hat einen Ablauf vor die
Mauer hinaus ins Tal Josaphat, wodurch es an
dieser Stelle vor dem Tor sumpfig ist. Es umgeben
diesen Teich noch einige Bauwerke; die Opferlämmer
werden an diesem Teich, ehe man sie zum Tempel
hinaufbringt, zum erstenmal aus dem Groben gewaschen,
am Teich Bethesda, südlich vom Tempel, erhalten
sie später noch eine Zeremonialreinigung. In
der zweiten Straße liegt ein Hof und Haus, der
Mutter Marias, der heiligen Anna gehörig, wo
sie und ihre Familie sich aufhielten und ihr
Opfervieh einstellten, wenn sie an den Festtagen
nach Jerusalem kamen. In diesem Hause ist auch,
so ich mich jetzt recht erinnere, die Hochzeit
Josephs und Marias gefeiert worden.
Das Forum liegt,
wie ich sagte, höher als die umgebenden Straßen,
und es laufen Wasserrinnen in diesen nach dem
Schafteich hinab. Auf dem Berge Sion zieht sich
auch ein solches Forum vor der ehemaligen Burg
Davids hinan, südöstlich liegt in seiner Nähe
das Coenaculum und nördlich vom Richthaus des
Annas und des Kaiphas. Die Burg Davids ist jetzt
eine verlassene wüste Festung voll leerer Höfe,
Ställe und Kammern, die als Herbergsräume für
Karawanen und fremdes Volk und ihre Lasttiere
vermietet werden. Dieses Gebäude liegt schon
lange verödet, ich sah es schon bei Christi
Geburt in seiner letzten Bestimmung. Damals
wurde der Zug der Heiligen Drei Könige mit seinen
vielen Lasttieren gleich vom Tor aus hingeführt.
----------------------------------------
Wenn ich in den
alten Zeiten Schlösser großer Könige und Tempel
so herabgekommen sehe zu niedrigem Gebrauch,
denke ich immer, es ist doch gerade wie ein
paar tausend Jahre später, nämlich wie jetzt,
wo auch so viele große Werke frommer, treuer
Mühsamkeit, Kirchen und Klöster, zerstört und
verwüstet oder zu weltlichem, oft nicht allzu
sündenreinem Gebrauch verschleudert werden.
Die kleine Kirche
meines Klosters, die mir der Himmel auf Erden
war und in welcher der König Himmels und der
Erde im heiligen Sakrament so gern bei uns armen
Sünderinnen wohnte, steht schon dachlos und
leer mit hohlen Fenstern, und der Fußboden hat
alle seine Grabsteine hingeben müssen. Unser
armes Klösterchen, wo ich so selig in meiner
Zelle mit meinem zerbrochenen Stuhl war wie
kein König auf seinem Thron, denn ich konnte
nach der Gegend der Kirche hinsehen, wo das
heilige Sakrament stand, unser armes Klösterchen,
wo wird es in einer kleinen Reihe von Jahren
sein? In einiger Zeit wird man kaum mehr wissen,
wo eine lange Reihe von Jahren hindurch eine
Schar von gottgeweihten Seelen für die ganze
Welt und für alle armen und verlassenen Seelen
zu Gott gebetet haben. Gott aber wird es wissen,
bei ihm ist kein Vergessen, in ihm ist Vorzeit
und Zukunft gegenwärtig, er ist, der da ist,
und wie er mich bei ihm alle die alten Geschichten
gegenwärtig finden läßt, so ist bei ihm auch
alles Gute, das an vergessenen Orten, wie alles
Böse, das an mißbrauchten veruntreuten Orten
geschehen ist und wird, aufbewahrt zum Tage
der Abrechnung, wo bis zum letzten Heller bezahlt
werden muß. Vor Gott gilt kein Ansehen der Person
und des Ortes, er hält auch Rechnung über den
Weinberg Naboths. Ich habe oft gehört, unser
Klösterchen sei von ein paar Nönnchen mit einem
Krug Öl und einem Säckchen Bohnen angefangen
worden. Alle redlich erworbenen Zinsen dieses
Kapitals und jedes Kapitals werden an jenem
Tage eingefordert werden. Man hört oft, daß
eine arme Seele wegen ein paar nicht erstatteter
ungerechter Groschen nicht ruhen könne; Gott
schenke allen, welche von je über Güter der
Armen und der Kirche verfügt haben, diese Güter
und gebe ihnen die ewige Ruhe!
⃰
⃰
Mit Reflexionen
dieser Art waren oft die Mitteillungen der Erzählenden
durchwebt, und das Obige geht so einfach aus
ihrer Erwähnung der verfallenen Burg Davids
hervor, dass wir es als Bild ihrer Anschauungsweise
hier aufstellten.
Jesus vor Pilatus
Es war nach
unserer Zeit ungefähr sechs Uhr morgens,
als der Zug der Hohenpriester und Pharisäer
mit dem schrecklich misshandelten Heiland
vor den Palast des Pilatus kam. Zwischen
dem Markt und dem Eingang des Gerichtshofes
waren Sitze an beiden Seiten des Weges,
wo Annas und Kaiphas und die mitgekommenen
Ratsherren nicht weiter vorschritten und
sich aufstellten. Jesus ward von den Bütteln
an Stricken etwas weiter vorwärts bis unten
an die Treppe des Pilatus geführt. Pilatus
lag, als sie ankamen, auf der vorspringenden
Terrasse auf einer Art Ruhebett, und es
stand ein kleines Tischchen auf drei Füßen
neben ihm, worauf einige Standeszeichen
und Sachen lagen, deren ich mich nicht mehr
erinnere. Es standen Offiziere und Soldaten
bei ihm, und es waren auch römische Gewaltzeichen
aufgestellt. Die Hohenpriester und Juden
hielten sich vom Richthause fern, weil es
sie nach dem Gesetz verunreinigte, und es
war eine bestimmte Grenze, die sie nicht
überschritten.
Als Pilatus
sie so eilig und mit so großem Getöse und
Geschrei heranziehen und den mißhandelten
Jesus zu seiner Treppe führen sah, stand
er auf und sprach ganz höhnisch mit ihnen,
so wie etwa ein hoffärtiger französischer
Marschall mit den Deputierten einer armen
kleinen Stadt: «Was habt ihr schon wieder
so früh? Wie habt ihr den Menschen so elend
zugerichtet? Ihr fangt früh an zu schinden
und zu schlachten.» Sie aber riefen den
Bütteln zu: «Voran mit ihm ins Richthaus.»
Dann richteten sie ihre Rede an Pilatus:
«Höre unsere Klagen gegen diesen Verbrecher
an, wir können nicht in das Richthaus, daß
wir uns nicht verunreinigen.»
Nach diesen
ihren laut ausgerufenen Worten schrie ein
großer und starker ehrwürdiger Mann aus
dem Volke, das sich hinter ihnen auf dem
Forum drängte: «Ja, wohl dürft ihr nicht
in dieses Richthaus, denn es ist geheiligt
durch unschuldiges Blut, nur Er darf hinein,
nur Er ist unter den Juden rein wie die
Unschuldigen!» Als er so mit großer Gemütsbewegung
geschrien hatte, verschwand er unter der
Menge. Er hieß aber Zadoch und war ein wohlhabender
Mann und ein Vetter von Obed, dem Mann der
Seraphia, die Veronika genannt wird; zwei
Knäblein von ihm waren unter den unschuldigen
Kindern in dem Hof des Richthauses auf des
Herodes Befehl ermordet worden. Er hatte
sich seitdem ganz zurückgezogen und mit
seiner Frau wie ein Essener in Enthaltung
gelebt. Er hatte Jesus einmal bei Lazarus
gesehen und lehren gehört, und in diesem
Augenblick, als er den unschuldigen Jesus
so elend die Treppe hinanzerren sah, brach
die schmerzliche Erinnerung an seine dort
gemordeten Kinder in seinem Herzen auf,
und er schrie dem Herrn dieses Zeugnis seiner
Unschuld aus. Die Ankläger Jesu waren zu
dringend und geärgert über des Pilatus Wesen
und ihre demütige Stellung vor ihm, um auf
dieses Geschrei besonders zu achten.
Jesus wurde
von den Schergen die vielen Marmorstufen
hinaufgezerrt und kam in dem Hintergrund
der Terrasse zu stehen, von welcher herab
Pilatus mit seinen Anklägern sprach. Als
er Jesus, von welchem schon manche verschiedene
Gerüchte zu ihm gelangt waren, so schrecklich
mißhandelt und entstellt und dennoch mit
einem unzerstörbaren Ausdruck von Würde
an sich vorüberführen sah, wuchs seine ekelnde
Verachtung gegen die jüdischen Priester
und Räte, die ihm früher hatten entbieten
lassen, daß sie ihm Jesus von Nazaret, der
des Todes schuldig sei, zum Verurteilen
überliefern würden, und er ließ sie empfinden,
daß er nicht geneigt sei, Jesus ohne erwiesene
Schuld zu verurteilen. Er sprach daher zugleich
herrisch und höhnisch zu den Hohenpriestern:
«Was für eine Schuld dieses Menschen habt
ihr denn vorzubringen?», worauf sie geärgert
erwiderten: «Wenn wir ihn nicht als einen
Verbrecher erkannt hätten, so würden wir
ihn dir nicht überliefert haben.» Da sprach
Pilatus: «Nun, so nehmt ihr ihn euch hin
und richtet ihn nach euerm Gesetz!» Worauf
sie entgegneten: «Du weißt, daß uns das
Recht, ein Todesurteil vollziehen zu lassen,
nicht unbeschränkt zusteht.»
Die Feinde
Jesu waren voll Grimm und Ärger, und alle
ihre Verhandlungen gingen in stürmischer
Eile und Heftigkeit, damit sie vor ihrer
gesetzlichen Festzeit mit Jesus fertig würden,
um das Osterlamm schlachten zu können. Sie
wußten aber nicht, daß er das Osterlamm
war, welches sie selbst in das Gerichtshaus
des heidnischen Götzendieners führten, an
dessen Schwellen sie sich nicht verunreinigen
wollten, um heute das Osterlamm essen zu
können.
Da nun der
Landpfleger sie aufforderte, ihre Klagen
vorzubringen, begannen sie, dieses zu tun,
indem sie drei Hauptklagen gegen Jesus aussprachen,
für deren jede zehn Zeugen auftraten, und
sie stellten diese Klagen so, daß Jesus
dadurch als ein Verbrecher gegen den Kaiser
erscheinen und von Pilatus verurteilt werden
sollte; denn in bloßen Sachen ihres Religionsgesetzes
und des Tempels haben sie wohl die Gerechtigkeit
selbst handhaben können. Zuerst klagten
sie, Jesus sei ein Verführer des Volkes,
ein Ruhestörer und Aufreger, und dann führten
sie einzelne, mit Zeugen unterstützte Beweise
davon auf. Sie sagten, er ziehe umher, halte
große Versammlungen, breche den Sabbat,
heile am Sabbat. Da unterbrach sie Pilatus:
«Ihr seid wohl nicht krank, sonst würde
das Heilen euch nicht solches Ärgernis geben.»
Sie fuhren aber fort: er verführe das Volk
durch gräuliche Lehren, denn er sage, man
solle sein Fleisch und Blut essen, dann
werde man das ewige Leben haben. Pilatus
ärgerte sich an dem hastigen Grimm, womit
sie dieses vorbrachten, er blickte seine
Offiziere lächelnd an und warf den Juden
scharfe Worte hin, wie z.B.: «Es sollte
schier scheinen, als folgtet ihr seiner
Lehre und wolltet das ewige Leben haben,
seid ihr doch, als wolltet ihr sein Fleisch
und Blut essen.»
Ihre zweite
Hauptbeschuldigung war, Jesus wiegele das
Volk auf, dem Kaiser die Steuern nicht zu
zahlen. — Hier unterbrach sie Pilatus zürnend,
und als einer, dessen Amtes es war, auf
solche Dinge zu achten, sprach er, seiner
Sache gewiß: «Dies ist eine große Lüge,
das muß ich besser wissen.» — Die Juden
aber schrien, die dritte Hauptklage vorbringend,
fort, es sei dem doch so, indem dieser Mensch
von niederer, unklarer, verdächtiger Abkunft
sich großen Anhang gemacht und Wehe über
Jerusalem gerufen. Er streue auch zweideutige
Parabeln unter dem Volke aus, von einem
König, der seines Sohnes Hochzeit bereite;
einmal schon habe das auf einem Berg in
großer Menge versammelte Volk ihn zum König
machen wollen, aber es sei ihm zu früh gekommen,
und er habe sich damals verborgen. In den
letzten Tagen habe er sich schon mehr hervorgewagt,
er habe sich einen lärmenden Einzug in Jerusalem
gehalten und sich: «Hosanna, dem Sohne Davids!»
«Hochgelobt das Reich unsers Vaters David,
das da kommt!» zurufen und königliche Ehren
erweisen lassen, denn er lehre, daß er der
Christus, der Gesalbte des Herrn, der Messias,
der verheißene König der Juden sei, und
lasse sich so nennen. Auch diese Beschuldigung
wurde von zehn Zeugen bezeuget.
Auf diese
Rede, daß Jesus sich den Christus, den König
der Juden nennen lasse, ward Pilatus etwas
nachdenklich. Er ging von der offenen Terrasse
in die anliegende Gerichtsstube, warf vorübergehend
einen aufmerksamen Blick auf Jesus und befahl
den Wachen, ihm den Herrn in die Gerichtsstube
zu bringen.
Pilatus war
ein verwirrter, abergläubischer, wetterwendischer
Heide, er hatte allerlei dunkle Ahnungen
von Söhnen seiner Götter, die auf Erden
gelebt hätten. Auch war ihm nicht fremd,
daß die Propheten der Juden seit langer
Zeit einen Gesalbten Gottes, einen Erlöser
und Befreier, einen König vorhergesagt hatten
und daß viele Juden diesen erwarteten. Er
wußte auch, daß Könige aus dem Morgenland
bei dem alten Herodes gewesen und nach einem
neugeborenen König der Juden gefragt hätten,
um ihn zu verehren, und daß hierauf viele
Kinder auf des Herodes Befehl ermordet worden
seien. Von jenen Sagen über einen Messias,
einen König der Juden, wußte er wohl, aber
er glaubte als ein eifriger Götzendiener
nicht daran, konnte sich auch gar nicht
denken, was das für ein König sein sollte.
Er hätte höchstens auf Art der damaligen
aufgeklärten Juden und Herodianer daran
glauben können, welche sich einen siegreichen,
mächtigen Herrscher darunter dachten; um
so lächerlicher erschien ihm die Beschuldigung,
daß Jesus, der so elend, arm und entstellt
vor ihm stand, sich für diesen Gesalbten
Gottes, diesen König ausgeben sollte. Weil
aber die Feinde Jesu dieses als eine die
Rechte des Kaisers kränkende Beschuldigung
vorgebracht hatten, ließ er den Heiland
zum Verhör vor sich führen.
Pilatus sah
Jesus mit verwunderten Augen an und sprach
zu ihm: «Du also bist jener König der Juden?»
Und Jesus erwiderte ihm: «Sagst du dies
aus deinem Herzen, oder haben andere dir
dies von mir gesagt?» Da wurde Pilatus unwillig,
daß Jesus ihn für so töricht halten könne,
einen so armen, elenden Menschen aus eigenem
Einfall zu fragen, ob er ein König sei;
und er sprach wegwerfend so viel wie: «Bin
ich etwa ein Jude, daß ich von solchen Erbärmlichkeiten
wissen sollte? Dein Volk und seine Priester
haben dich mir mit dieser Beschuldigung
als des Todes schuldig zum Verurteilen übergeben;
sage, was hast du denn getan?» Hierauf sprach
Jesus feierlich zu ihm: «Mein Königreich
ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich
von dieser Welt, so würde ich wohl Diener
haben, die für mich gekämpft hätten, daß
ich den Juden nicht überliefert worden wäre.
So aber ist mein Königreich nicht von hienieden.»
— Pilatus hörte diese ernsten Worte Jesu
mit einer Art Erschütterung an und sagte
nachdenklich zu ihm: «So bist du also doch
ein König?» Und Jesus erwiderte: «Wie du
sagst, ja, ich bin der König. Ich bin geboren
und bin in diese Welt gekommen, der Wahrheit
Zeugnis zu geben, und jeder, der aus der
Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.» —
Da blickte ihn Pilatus an und sagte aufstehend:
«Wahrheit? Was ist Wahrheit?», und es wurde
noch etwas gesprochen, dessen ich mich nicht
mehr genau entsinne.
Pilatus ging
wieder hinaus auf die Terrasse, er konnte Jesus
nicht verstehen, aber so viel wußte er nun von
ihm, daß er kein König sei, der dem Kaiser schädlich
werden wolle, daß er kein Reich in dieser Welt
in Anspruch nehme. Ein Reich aber aus einer
andern Welt kümmerte den Kaiser nicht, und er
rief also den Hohenpriestern von der Terrasse
hinab: «Ich finde keine Art von Schuld an diesem
Menschen.» — Da wurden die Feinde Jesu von neuem
erbittert und brachten einen Strom von Beschuldigungen
gegen ihn vor. Der Herr aber stand schweigend
und betete für die armen Menschen, und als Pilatus,
sich zu ihm wendend, fragte: «Hast du nichts
auf alle diese Anklagen zu erwidern?» sagte
Jesus auch nicht ein Wort, so daß Pilatus, aufs
höchste über ihn verwundert, zu ihm sprach:
«Ich sehe wohl, sie gehen mit Lügen gegen dich
um» — (er brauchte für Lügen einen eigenen Ausdruck,
den ich vergessen habe). Die Ankläger aber fuhren
in ihrem Grimme fort und sagten: «Wie, keine
Schuld findest du an ihm? Ist das keine Schuld?
Er wiegelt das ganze Volk auf, denn er verbreitet
seine Lehre durch das ganze Land von Galiläa
aus bis hierher.»
Als Pilatus das
Wort Galiläa hörte, dachte er einen Augenblick
nach und fragte dann hinab: «Ist dieser Mensch
aus Galiläa, ein Untertan des Herodes?» Und
da die Ankläger erwiderten: ja, denn seine Eltern
hätten in Nazaret gewohnt und jetzt sei Kafarnaum
sein Aufenthaltsort, sprach Pilatus: «Nun also,
da er ein Galiläer von den Untertanen des Herodes
ist, so führt ihn zu diesem, er ist hier auf
dem Fest und mag ihn richten», und er ließ Jesus
wieder aus dem Gerichtshof zu seinen Feinden
hinabführen, schickte auch einen Offizier zu
Herodes, ihm seinen Untertan, einen Galiläer,
Jesus von Nazaret, zu Gericht anzumelden. Pilatus
war froh, auf diese Weise die Verurteilung Jesu
von sich abzuwälzen; denn die Sache war ihm
unheimlich, und zugleich hatte er die politische
Absicht dabei, dem Herodes, der immer auf Jesus
sehr begierig gewesen, eine Höflichkeit zu erweisen,
denn sie waren entzweit.
Die Feinde Jesu,
im höchsten Grade verärgert, vor allem Volk
von Pilatus mit ihm abgewiesen zu sein und weiter
zu Herodes ziehen zu müssen, ließen Jesus ihren
Grimm entgelten. Sie umschlossen ihn mit erneuter
Wut tobend mit ihren Gerichtsknechten und trieben
ihn aufs neue gebunden unter Stoßen und Schlagen
mit stürmischer Eile quer über das menschenvolle
Forum und dann durch eine Straße zu dem nicht
weit gelegenen Palast des Herodes. Es zogen
römische Soldaten mit.
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Claudia Procle,
die Ehefrau des Pilatus, hatte während der letzten
Verhandlung ihm durch einen Diener sagen lassen,
sie verlange dringend mit ihm zu sprechen, und
als Jesus zu Herodes geführt wurde, stand sie
heimlich auf einer hochliegenden Galerie und
sah den Zug mit großer Angst und Betrübnis über
das Forum ziehen.
Entstehung
des
Kreuzweges
Die Mutter Jesu,
Magdalena und Johannes hatten, während der ganzen
Anklage vor Pilatus unter dem Volk in dem Winkel
einer Halle des Forums stehend, mit herzzerreißendem
Schmerz das Lärmen und Rufen gehört. Johannes
aber führte, da Jesus zu Herodes gebracht wurde,
die heilige Jungfrau und Magdalena den Leidensweg
zurück, und sie gingen den ganzen Weg bis zu
Kaiphas, zu Annas, durch Ophel nach Getsemane
an den Ölberg, und überall, wo er gefallen,
wo ihm Weh geschehen, dankten sie stille und
trauerten und litten sein Leid. Oft sank die
heilige Jungfrau nieder und küßte die Erde,
wo Jesus gefallen, und Magdalena rang die Hände
und Johannes weinte, tröstete, richtete sie
auf und führte sie weiter. Dies war der erste
Anbeginn des heiligen Kreuzweges und der mitleidenden
Betrachtung und Verehrung des Leidens Jesu,
noch ehe es vollendet war. Damals schon begann
in der heiligsten Blüte der Menschheit, in der
jungfräulichen Mutter Gottes, des Menschensohnes,
die Andacht der Kirche zu den Schmerzen ihres
Erlösers; damals schon, als er noch auf der
Mitte seines bitteren Leidensweges wandelte,
beweinte und verehrte die auserwählte, gnadenvollste
Mutter die Fußtapfen ihres Sohnes und Gottes.
0 welches Mitleiden! Wie ging das Schwert mit
vordringender Gewalt schneidend und schmerzlich
verweilend durch ihr Herz! Sie, deren seliger
Leib ihn getragen, deren selige Brüste ihn genährt,
sie, die Selige, welche das Wort, das im Anfang
bei Gott und das Gott war, wirklich und wesentlich
gehört und in sich aufgenommen und neun Monate
bewahrt hatte unter ihrem Herzen voll Gnaden
und gepflegt, beobachtet und genährt hatte an
ihren Brüsten, sie, die sein Leben in sich getragen
und gefühlt, ehe die Menschen, seine Brüder,
Segen und Lehre und heilende Hilfe von ihm empfingen,
litt und teilte alles mit Jesus und auch seinen
Durst nach der Erlösung der Menschen durch sein
bitteres Leiden und Sterben, und so trat die
Reinste und Unbefleckte jetzt schon der Kirche
den Fußpfad des Kreuzweges, um die unerschöpflichen
Verdienste Jesu Christi an allen Stellen wie
Edelsteine aufzulesen, wie Blumen am Wege zu
pflücken und seinem himmlischen Vater für die
Glaubenden aufzuopfern. Alles, was da Heiliges
war in der Menschheit von je bis immer, alle,
die sich gesehnt nach der Erlösung, alle, welche
je und immer die Liebe und das Leiden des Herrn
mitleidend gefeiert, wandelten, trauerten, beteten,
opferten mit in dem Herzen der Mutter Jesu,
die auch eine treue Mutter seiner gläubigen
Brüder in der Kirche ist.
Magdalena aber
war in ihren Schmerzen wie von Sinnen. Sie hatte
eine unermeßliche heilige Liebe zu Jesus, aber
wenn sie so recht ihre Seele in Liebe vor seinen
Füßen hätte ausgießen mögen, wie das Nardenöl
über sein Haupt, da trat ein Entsetzen, ein
Abgrund zwischen sie und ihre Liebe. Unendlich
war ihre Reue über ihre Sünden, unendlich ihr
Dank für seine Vergebung, und wenn nun ihre
Liebe ihren Dank wie eine Weihrauchwolke zu
ihm erheben wollte, da sah sie Jesus mißhandelt
und zum Tode geführt auch wegen ihrer Schuld,
die er auf sich genommen; da entsetzte sich
ihre Liebe vor ihrer Schuld, für welche Jesus
so Entsetzliches leiden mußte, und stürzte nieder
in den Abgrund der Reue und konnte ihn nicht
erschöpfen noch erfüllen und erhob sich wieder
in Sehnsucht nach ihrem Herrn und Meister und
sah ihn in grausamer, bitterer Mißhandlung.
So war ihre Seele heftig zerrissen und gleichsam
taumelnd zwischen ihrer Liebe, ihrer Reue, ihrem
Dank und der Betrachtung des Undanks ihres Volkes
an seinem Erlöser, und dies alles drückte sich
in ihrem Aussehen, ihren Worten und Bewegungen
aus.
Johannes aber
liebte und litt und geleitete die Mutter seines
heiligen Meisters und Gottes, der auch ihn liebte
und auch für ihn litt, zum erstenmal auf den
Fußtapfen des Kreuzweges der Kirche und sah
Zukünftiges.
Pilatus und seine
Frau
Während Jesus
zu Herodes geführt wurde und dort die Verspottung
erlitt, sah ich Pilatus zu seiner Frau,
Claudia Procle, gehen. Sie kamen in einem
Lusthaus auf einer Gartenterrasse hinter
dem Palast des Pilatus zusammen. Claudia
war sehr erschüttert und bewegt. Sie war
eine große und vollkommene Frau, aber bleich,
sie hatte einen Schleier hinten niederhängen,
doch sah man ihre Haare um den Kopf gewunden
und einigen Schmuck darin, auch an den Ohren
und dem Hals hatte sie Schmuck und besonders
an der Brust eine Art Schloß, das ihr langes
faltiges Kleid festhielt. Sie sprach lange
mit Pilatus und beschwor ihn bei allem,
was ihm heilig sei, Jesus, den Propheten,
den Heiligsten der Heiligen, nicht zu verletzen
und erzählte ihm einzelne Teile wunderbarer
Gesichte, welche sie von Jesus heute Nacht
gehabt hatte.
Ich habe,
während sie sprach, vieles von den Gesichten
gesehen, die sie gehabt, aber sie sind mir
nicht mehr ganz in ihrer Folge gegenwärtig.
Soviel erinnere ich mich jedoch: sie sah
alle Hauptpunkte des Lebens Jesu, sie sah
die Verkündung Marias, Christi Geburt, die
Anbetung der Hirten und der Könige, die
Prophezeiung Simeons und Hannas, die Flucht
nach Ägypten, den Kindermord, die Versuchung
in der Wüste usw. Sie sah allgemeine Bilder
aus seinem heiligen und heilenden Wandel,
sie sah ihn immer dabei mit Licht umgeben
und sah die Tücke und Bosheit seiner Feinde
unter den furchtbarsten Bildern. Sie sah
die Heiligkeit und Schmerzen seiner Mutter
und seiner eigenen unendlichen Leiden unter
steter Liebe und Geduld. Sie sah alles das
in gedrängten Bildern, welche erklärend
mit Licht und Nacht und allerlei Sinnbildern
umgeben waren, und litt dabei eine unsägliche
Angst und Trauer, denn all diese Gegenstände
waren ihr neu und unendlich eindringend
und überzeugend, und teils sah sie dieselben,
wie den Kindermord und ebenso die Prophezeiung
Simeons im Tempel, in der Nähe ihres Hauses
vorgehen. Wie sehr aber ein mitleidiges
Herz von solchen Bildern geängstigt wird,
weiß ich wohl, denn die meisten Empfindungen
der andern erfährt man dadurch, daß man
sie selbst empfindet.
So hatte
sie in der Nacht gelitten und viele Wunder
und Wahrheiten teils heller, teils dunkler
erkannt, als das Gelärm der Jesus heranführenden
Schar sie weckte, und da sie später hinausschaute,
sah sie den Herrn, den Gegenstand aller
Wunder, die sie die Nacht hindurch erkannt,
greulich entstellt und mißhandelt von seinen
Feinden zu Herodes über das Forum hinführen.
Schrecklich beängstigte diese wachsende
Erkenntnis, verbunden mit den wunderbaren
Erfahrungen der Nacht, ihr Herz, und sie
schickte sogleich zu Pilatus, dem sie nun
vieles davon mit Angst und Scheu erzählte,
weil sie nicht alles verstand, wenigstens
nicht auszudrücken vermochte, aber sie bat
und flehte und schmiegte sich rührend an
ihn.
Pilatus war
sehr verwundert und teils bestürzt über
das, was sie sagte; er reimte es mit allem,
was er von Jesus hie und da gehört, mit
dem Grimm der Juden, mit dem Schweigen Jesu
und dessen festen, wunderbaren Antworten
auf seine Fragen zusammen und war schwankend
und unruhig in sich, neigte sich aber bald
zu den Vorstellungen seines Weibes hin und
sagte, daß er bereits erklärt habe, wie
er keine Schuld an Jesus finde, und daß
er ihn nicht verurteilen werde, da er die
ganze Bosheit der Juden erkannt habe. Er
sprach noch über die Äußerungen Jesu gegen
ihn selbst und beruhigte sein Weib sogar
mit Überreichung eines Pfandes zur Versicherung,
daß er ihn nicht verurteilen werde. Ich
weiß nicht mehr, welch ein Kleinod, Ring
oder Siegel es war, das er ihr zum Zeichen
gab. Auf diese Weise trennten sie sich von
einander.
Pilatus sah
ich als einen ganz verwirrten, habsüchtigen,
schwankenden, stolzen und dann wieder niederträchtigen
Mann, der ohne alle höhere Gottesfurcht,
wo es seinen Vorteil galt, schändliche Handlungen
begehen konnte und zugleich auf die niedrigste,
feigste Art abergläubisch allerlei Götzendienste
und Zeichendeuterei brauchte, wenn er in
einer Verlegenheit war. So sah ich ihn auch
jetzt in vielfacher Verwirrung, und er hatte
immer mit seinen Göttern zu tun, denen er
in einem verborgenen Raum seines Hauses
räucherte und von denen er allerlei Zeichen
verlangte. Er sah auch nach allerlei abergläubischen
Zeichen, z.B. wie die Hühner fräßen; aber
alles das war mir so greulich, finster und
höllisch, daß ich davor zurückschauderte
und es nicht genau wieder erzählen kann.
Er hatte ganz verwirrte Gedanken, und der
Satan blies ihm bald dieses, bald jenes
ein. Einmal meinte er, Jesus müsse als unschuldig
freigelassen werden, dann meinte er, seine
Götter würden sich an ihm, Pilatus, rächen,
wenn er diesen Jesus, der so seltsame Urteile
und Äußerungen für sich habe, als sei er
doch eine Art Halbgott, erhalte; denn Jesus
könne seinen Göttern vielen Schaden tun.
Vielleicht, dachte er, ist er eine Art Gott
der Juden, es gibt so viele Prophezeiungen
von einem König der Juden, der über alles
herrschen soll; Könige der Sterndiener aus
dem Morgenland haben schon einen solchen
König im Lande einmal gesucht; auch könnte
er sich vielleicht über meine Götter und
meinen Kaiser erheben, und ich hätte große
Verantwortung, wenn er nicht stürbe. Vielleicht
soll sein Tod ein Triumph meiner Götter
sein. Dazu kam aber wieder die wunderbare
nächtliche Erfahrung seiner Frau, die Jesus
nie vorher gesehen hatte, und warf ein großes
Gewicht für das Lossprechen Jesu in die
schwankende Waagschale des Pilatus, und
er entschied sich ganz für diesen Entschluß.
Er wollte gerecht sein, aber er konnte nicht,
denn er hatte gefragt: «Wahrheit, was ist
Wahrheit?», und hatte die Antwort nicht
abgewartet: «Jesus Nazarenus, der König
der Juden, ist die Wahrheit.» Es wogte so
vieles in ihm durcheinander, ich konnte
den Wirrwarr nicht verstehen, und er selbst
wußte auch nicht, was er wollte, sonst hätte
er sich gewiß nicht bei den Hühnern befragt.
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Es versammelte
sich aber das Volk in immer größerer Menge auf
dem Markt und in der Gegend der Straßen, wo
Jesus zu Herodes geführt wurde. Es liefen jedoch
diese Haufen nicht durcheinander, sondern sie
standen nach Ortschaften und Gegenden, wie sie
zum Fest gezogen waren, zusammen, und die erbittersten
Pharisäer, aus allen Gegenden, wo Jesus gelehrt
hatte, waren alle bei ihren Gemeinden, das wankelmütige,
bestürzte Volk gegen Jesus zu bearbeiten. Bei
dem römischen Wachhaus vor dem Palast des Pilatus
waren die römischen Soldaten in großer Anzahl
aufgestellt und an allen nötigen Posten der
Stadt.
Jesus vor Herodes
Herodes, des Tetrarchen Palast, lag nördlich
vom Forum in der Neustadt, es war nicht sehr
weit dahin, und es zog nun eine Schar römischer
Soldaten mit. Es waren Leute aus der Gegend
zwischen der Schweiz und Italien. Die Feinde
Jesu waren über dieses herumziehen müssen sehr
erbittert und hörten nicht auf, ihn zu beschimpfen
und von den Bütteln zerren und stoßen zu lassen.
Der Bote des Pilatus war früher als der Zug
bei Herodes, und dieser erwartete den Zug schon
in einer großen Halle, wo er auf einer Art Thron
auf Kissen saß; es waren viele seiner Hofleute
und Soldaten um ihn. Die Hohenpriester traten
durch den Säulengang herein und
stellten sich an die beiden Seiten, und Jesus
stand im Eingange, Herodes war sehr geschmeichelt,
daß Pilatus ihm vor den Hohenpriestern das Recht,
über einen Galiläer zu richten, öffentlich zusprach
und war sehr geschäftig und aufgeblasen; auch
freute es ihn, Jesus in so demütigender Stellung
vor sich zu sehen, der es immer verschmäht hatte,
sich ihm zu zeigen. Johannes hatte so feierlich
von ihm gesprochen, und es war ihm von den Herodianern
und andern Spionen und Zuträgern so viel von
ihm gesagt worden, daß er sehr gespannt auf
ihn war, und er war ganz aufgelegt, vor seinen
Hofleuten und den Hohenpriestern ein sehr prahlendes
Verhör mit ihm anzustellen, in welchem er beiden
Teilen beweisen wollte, wie gut er unterrichtet
sei. Es war ihm aber auch von Pilatus gemeldet,
daß dieser keine Schuld an ihm gefunden habe,
und das war seiner Kriecherei ein Wink, die
Anklagenden mit einiger Zurückhaltung zu behandeln,
welches den Grimm derselben vermehrte. Sie brachten
ihre Klagen sehr dringend vor, gleich da sie
hereintraten; Herodes aber sah neugierig auf
Jesus, und da er ihn so elend und mißhandelt,
mit zerrauftem Haar und zerschlagenem, mit Blut
und Kot bedecktem Angesicht, in einem verunreinigten
Gewand erblickte, ergriff den weichlichen, wollüstigen
König ein ekelndes Mitleid. Er rief einen Gottesnamen
aus, auf die Art wie «Jehova», wendete sein
Angesicht mit ekler Miene hinweg und sagte zu
den Priestern: «Bringt ihn hinweg, reinigt ihn,
wie mögt ihr mir einen so unreinen, mißhandelten
Menschen vor Augen stellen?» Die Knechte aber
zogen Jesus in
die Vorhalle, und man brachte Wasser in einem
Becken und einen Wisch und reinigte ihn unter
Mißhandlung, denn sein Angesicht war verwundet,
und sie fuhren verletzend darüber her.
Herodes aber verwies den Priestern ihre Grausamkeit,
und es schien, er wolle die Handlungsweise des
Pilatus nachahmen, denn er sagte auch: «Man
sieht ihm an, daß er den Schlächtern in die
Hände gekommen ist, ihr fangt heute vor der
Zeit an.» Die Hohenpriester aber drängten sehr
mit ihren Klagen und Beschuldigungen. Da man
nun Jesus wieder heranführte, wollte Herodes
den Gefälligen gegen ihn spielen und befahl,
ihm einen Becher mit Wein zu bringen, er sei
ganz entkräftet; Jesus aber schüttelte das Haupt
und nahm den Trunk nicht an.
Nun ward Herodes sehr gesprächig und maulredend
gegen Jesus und brachte alles vor, was er von
ihm wußte. Anfangs fragte er ihn mehreres, wünschte
auch ein Zeichen von ihm zu sehen, da Jesus
ihm aber auch keine Silbe antwortete und immer
still vor sich niedersah, ward Herodes sehr
verärgert und beschämt vor den Anwesenden, wollte
es sich aber doch nicht merken lassen
und brachte nun in einem Strom von Fragen alles
vor, was er von Jesus wußte. Anfangs suchte
er ihm zu schmeicheln: «Es tut mir leid, dich
so schwer beschuldigt zu sehen; ich habe vieles
von
dir gehört, weißt du wohl, daß du mir zu nahe
getreten bist in Thirza, da du ohne meine Erlaubnis
Gefangene auslöstest, die ich dahin hatte setzen
lassen, aber du hast es vielleicht gut gemeint.
Nun bist du mir vom römischen Landpfleger überliefert,
dich zu richten, was sagst du auf alle diese
Klagen? — Du schweigst? — Man hat mir viel von
deiner großen Weisheit im Reden und Lehren gesprochen,
ich wünsche, dich deine Ankläger widerlegen
zu hören. Was sagst du? — Ist es wahr, bist
du der König der Juden? — Bist du der Sohn Gottes?
— Wer bist du? — Ich hörte, du habest große
Wunder getan, bewähre dich vor mir, gib ein
Zeichen. — Es steht bei mir, dich loszusprechen.
— Ist es wahr, hast du Blindgeborene sehend
gemacht, hast du Lazarus von den Toten erweckt,
mehrere tausend Menschen mit wenigen Broten
gespeist? — Warum antwortest du nicht? — Ich
beschwöre dich, tu eines von deinen Wundern!
— Es soll dir nützlich sein.» — Als Jesus aber
immer schwieg, fing Herodes an, geschwinder
zu schwätzen, z.B.: «Wer bist du? Was ist das
mit dir? Wer hat dir Vollmacht gegeben? Warum
vermagst du nichts mehr? Bist du derjenige,
von dessen Geburt seltsame Reden gehen? Es sind
einmal
Könige aus dem Morgenland gekommen zu meinem
Vater, nach einem neugeborenen Judenkönig zufragen,
dem sie huldigen wollten, man sagt, dieses Kind
seist du gewesen, ist dies wahr? Bist du dem
Tode entkommen, der damals über viele Kinder
erging? Wie ging das zu? Warum war es solange
still von dir? Oder bezieht man nur jenes Ereignis
auf dich, um dich zu einem König zu machen?
Verantworte dich! Was bist du für ein König?
Wahrhaftig, ich sehe nichts Königliches an dir.
Sie haben dir, wie ich höre, neulich einen Triumphzug
zum Tempel gehalten! Was sollte das bedeuten?
Sprich! Wie kommt es, daß dies ein solches Ende
genommen?»
So und dergleichen schwätzte Herodes vieles,
erhielt aber keine Antwort von Jesus. Es ist
mir aber eröffnet worden, jetzt und auch schon
früher, daß Jesus nicht mit ihm sprach, weil
Herodes durch seine ehebrecherische Verbindung
mit Herodias und den Mord des Täufers im Bann
war. Seinen Unwillen über Jesu Schweigen benutzten
Annas und Kaiphas, um von neuem mit Klagen in
Herodes zu dringen; sie brachten u. a. vor,
er habe Herodes einen Fuchs genannt und seit
langem auf den Untergang der ganzen Familie
Herodes’ hingearbeitet, er habe eine neue
Religion aufbringen wollen und das Pascha schon
gestern gegessen. Diese Beschuldigung war schon
bei Kaiphas durch den Verrat des Judas vorgekommen,
aber durch einige von Jesu Freunden aus Schriftrollen
entkräftet worden.
Herodes ließ sich, obgleich sehr durch Jesu
Schweigen geärgert, nicht aus seinen politischen
Absichten bringen. Er wollte Jesus nicht verurteilen,
denn teils hatte er einen geheimen Schrecken
vor ihm, und es war ihm schon wegen Johannes’
Ermordung oft bange zumut, teils waren ihm die
Hohenpriester verhaßt, weil auch sie seinen
Ehebruch nie beschönigen gewollt und ihn deswegen
vom Opfer ausgeschlossen hatten, hauptsächlich
aber wollte er den nicht verdammen, den Pilatus
ohne Schuld erklärt hatte; er hatte politische
Absichten, dem Pilatus dadurch vor den Hohenpriestern
eine Schmeichelei zu erweisen. Er überhäufte
aber Jesus mit
verachtenden Schmähworten und sagte zu seinen
Dienern und zu seiner Leibwache, deren er wohl
ein paar Hundert in seinem Palast hatte: «Nehmt
den Toren hinaus und erzeigt dem lächerlichen
König die Ehre, die ihm gebührt, denn er ist
mehr ein Narr als ein Verbrecher zu nennen.»
Sie führten nun den Heiland hinaus in einen
großen Hof und taten ihm unsägliche Mißhandlung
und Spott an. Dieser Hof war von den Flügeln
des Palastes umgeben, und Herodes, auf einem
flachen Dach stehend, sah eine Zeitlang der
Mißhandlung Jesu zu. Annas und Kaiphas aber
waren immer hinter ihm her und versuchten alles,
um ihn zu bewegen, daß er Jesus verurteilen
solle. Herodes jedoch sprach den Römern zu Gehör:
«Es wäre die größte Sünde von mir, wenn ich
ihn verurteilte.» Er meinte wahrscheinlich:
die größte Sünde gegen das Urteil des Pilatus,
der so höflich war, ihn mir zuzusenden.
Als die Hohenpriester und Feinde Jesu sahen,
daß Herodes ihnen auf keine Weise zu Willen
sein würde, sendeten sie einige aus ihrer Mitte
mit Geld nach Acra, einem Teil der Stadt, wo
sich
jetzt viele Pharisäer aufhielten, welche sie
auffordern ließen, sich mit ihren Gemeinden
in die Gegend des Palastes des Pilatus zu begeben,
auch ließen sie ihnen viel Geld geben, um es
unter das Volk auszuteilen, auf daß es den Tod
Jesu mit Ungestüm begehre. Andere sendeten sie
mit der Drohung unter das Volk aus, so es den
Tod dieses Gotteslästerers nicht begehre, würde
es das Gericht Gottes auf sich laden; auch ließen
sie aussprechen, so er nicht sterbe, werde er
sich mit den Römern vereinigen; dies sei das
Reich, von dem er immer gesprochen, und dann
seien die Juden ganz verloren. Nach anderen
Seiten hin verbreiteten sie das Gerücht, Herodes
habe Jesus verurteilt, aber das Volk müsse seinen
Willen aussprechen, man fürchte seinen Anhang,
und wenn er freikäme, würde das ganze Fest zerstört
werden, dann nämlich würden die Römer und seine
Anhänger Rache nehmen. So liessen sie die verwirrtesten,
beunruhigendsten Gerüchte ausstreuen, um alles
Volk zu erbittern und aufzuwiegeln; während
ein anderer Teil von ihnen
den Soldaten des Herodes Geld gab, daß sie Jesus
gröblich, ja tödlich mißhandeln möchten, denn
sie wünschten, daß er sterben möge, ehe Pilatus
ihn freispräche.
Während die Pharisäer mit allem diesem Treiben
beschäftigt waren, erlitt unser Herr den schmählichsten
Hohn, die grausamste Mißhandlung einer frechen,
gottlosen Soldatenschar, welchen ihr König selbst
Jesus als einen Toren, der ihm nicht Rede stehen
wollte, zur Mißhandlung übergeben hatte. Sie
stießen ihn in den Hof, und einer brachte einen
großen weißen Sack, der in einer Kammer des
Pförtners lag; es war einmal Baumwolle darin
hierhergesendet worden. Sie schnitten mit ihren
Schwertern ein Loch in den Boden des Sackes
und warfen denselben mit einem allgemeinen Hohngelächter
über Jesus Haupt; ein anderer brachte einen
roten Lappen und warf ihn Jesus wie einen Kragen
um den Hals. Der Sack hing ihm weit über
die Füsse, und nun beugten sie sich vor ihm,
stießen ihn hin und her, schimpften und spien
ihn an, schlugen ihn ins Angesicht, weil er
ihrem König nicht habe antworten wollen, erwiesen
ihm tausend spöttische Huldigungen, warfen ihn
mit Kot, zerrten ihn, als sollte er tanzen,
und zwangen ihn, in dem weiten, schleppenden
Spottmantel auf die Erde zu fallen, und schleiften
ihn durch eine Rinne, welche rings um den Hof
längs den Gebäuden hinlief, so daß sein heiliges
Haupt wider die Säulen und Ecksteine schlug,
und bald rissen sie ihn wieder empor und begannen
ein anderes mißhandelndes Getümmel um ihn; denn
es waren ihrer wohl ein paar hundert Kriegsknechte
und Hofdiener des Herodes, Leute aus den verschiedensten
Gegenden, und jeder der bösesten Buben unter
ihnen wollte sich und seiner Landsmannschaft
durch eine eigentümliche Schandtat an Jesus
vor Herodes Ehre machen. Alles dies trieben
sie mit stürmender Eile, Gedräng und Hohngeschrei.
Die Feinde Jesu aber hatten mehrere unter ihnen
bestochen, die ihn mehrmals in dem Getümmel
mit Prügeln auf sein heiliges Haupt schlugen.
Jesus sah sie so mitleidig an und seufzte und
wimmerte so schmerzlich, sie spotteten sein
Wehklagen mit verzerrten Stimmen nach, brachen
bei jeder neuen Mißhandlung in Hohn und Gelächter
aus, und es war keiner, der sich seiner erbarmte.
Ich sah das Blut über sein Haupt erbärmlich
niederrinnen und sah ihn dreimal unter dem Schlag
ihrer Prügel niedersinken; aber ich sah auch,
als erschienen weinende Engel über ihm, welche
sein Haupt salbten, und es wurde mir gezeigt,
daß diese Schläge ohne diese göttliche Hilfe
tödlich gewesen wären. — Die Philister, welche
zu Gaza in der Rennbahn den blinden Simson bis
zur Todesmüdigkeit herumhetzten, waren nicht
so gewalttätig und grausam wie diese Buben.
Die Zeit aber drängte die Hohenpriester, weil
sie bald zum Tempel mußten, und als sie Nachricht
erhielten, daß alle ihre Sendungen ausgerichtet
seien, stürmten sie nochmals auf Herodes mit
Bitten um Jesu Verurteilung ein. Er richtete
jedoch sein Augenmerk allein auf Pilatus und
sendete Jesus in seiner Spottkleidung zu diesem
zurück.
Jesus von Herodes zu Pilatus
Mit erneuter Erbitterung traten die Hohenpriester
und Feinde Jesu den Rückzug mit ihm von Herodes
zu Pilatus an. Sie schämten sich, ohne seine
Verurteilung abermals dahin zurückzukehren,
wo er schon als unschuldig erklärt worden war.
Sie nahmen daher einen andern, wohl nochmals
so weiten Rückweg mit ihm, um ihn in seiner
Schmach einem andern Teil der Stadt zu zeigen,
ihn desto länger unterwegs zu mißhandeln und
ihren Aufwieglern die Zeit zu lassen, die zusammengetriebenen
Scharen nach ihren Absichten zu bearbeiten.
Der Weg, den sie mit Jesus nahmen, war viel
rauher und unebener, und sie begleiteten ihn
unter stetem Aufreizen der ihn führenden Schergen.
Das lange Spottgewand hinderte den Herrn zu
gehen, es schleifte im Kot, einigemal fiel er
darüber und ward unter Schlägen auf das Haupt
und unter Fußstößen wieder an den Stricken in
die Höhe gezerrt; es geschah ihm unsäglicher
Hohn und Mißhandlung von seinen Begleitern und
dem Volk auf diesem Wege, und er betete, nicht
zu sterben, um für uns sein Leiden zu vollbringen.
Es war eine Viertelstunde nach acht Uhr morgens,
als der Zug mit dem mißhandelten Jesus wieder
von einer andern (wahrscheinlich der östlichen)
Seite her über das Forum zum Palast des Pilatus
kam. Die Menge des Volkes war sehr groß, sie
standen nach ihren Gegenden und Ortschaften
in Haufen zusammen, und die Pharisäer liefen
unter ihnen herum und hetzten sie auf. Der Meuterei
der galiläischen Eiferer am letzten Pascha eingedenk,
hatte Pilatus in und an dem Prätorium oder Wachhaus
und an den Eingängen des Forums und seines Palastes
wohl an tausend Mann zusammen gezogen.
Die heilige Jungfrau, ihre ältere Schwester
Maria Heli, deren Tochter Maria Cleophä, Magdalena
und mehrere andere heilige Frauen
⃰
, wohl an zwanzig, waren während der folgenden
Ereignisse zugegen und standen in einer Halle,
wo sie alles hören konnten, und gingen betrübt
hin und her; auch Johannes war anfangs zugegen.
⃰
Sie
vergass zu erwähnen, wo alle diese Frauen zusammen
getroffen, und ob Maria, wie sie sagt, zum Schaftore
herein vom Oelberge zurückkehrend, dem Zuge
mit Jesu begegnete. Jedoch erinnert sich der
Schreiber aus früheren Mitteilungen, als sei
sie, zu Herodes Pallast gehend, Jesu begegnet
und hieher gefolgt.
Jesus wurde in seinem Verspottungskleid durch
das hohnlachende Volk geführt, denn das verwegenste
Volk war überall von den Pharisäern vorgeschoben,
welche mit Hohn und Schmach ihnen vorangingen.
Ein Hofdiener des Herodes war schon vorausgegangen
und hatte dem Pilatus angekündigt, wie sehr
Herodes ihm für seine Aufmerksamkeit verbunden
sei, daß er aber an dem berühmten weisen Galiläer
nichts als einen stummen Narren gefunden und
ihn auch so habe behandeln und ihm zurücksenden
lassen. Pilatus freute sich, daß Herodes ihm
nicht zuwider gewesen und Jesus nicht verurteilt
hatte und ließ ihn wieder grüßen, so daß sie
heute Freunde wurden, die seit der eingestürzten
Wasserleitung
⃰
Feinde
gewesen waren.
⃰
"Die Veranlassung der Feindschaft des Pilatus
und Herodes war nach den Betrachtungen der Erzählenden
folgende: Pilatus hatte an der Südostecke des
Tempelberges, über die Schlucht, in welche der
Teich Bethesda sich ausleert, eine große Wasserleitung
und Unratableitung am Tempel zu bauen unternommen;
Herodes hatte ihm durch Vermittlung eines schlauen
Herodianers, der im Synedrium war, Baumaterial
und achtzehn Baumeister, welche auch Herodianer
waren, dazu überlassen. Es war die Absicht des
Herodes, den römischen Landpfleger durch Verunglücken
des Baues mit den Juden noch mehr zu entzweien.
Die Baumeister bauten auf Umsturz, und als das
kühne Werk seiner Vollendung nahe, und noch
sehr viele Bauleute aus Ophel damit beschäftigt
waren, die Gerüste unter den Bogenstellungen
weg zu brechen, harrten die achtzehn Architekten
auf einem Turme der nahen Gegend Siloa des Erfolges.
Das Gebäude stürzte ein, aber auch ein Teil
ihres Standortes, dreiundneunzig Arbeiter kamen
um, aber auch achtzehn Baumeister. Der Einsturz
geschah einige Tage vor dem 8. Januar = 20.
Thebet, des zweiten Lehrjahres Jesu, an welchem
Tage Johannes der Täufer in dem Schlosse Mächerunt
enthauptet wurde, und die Feier von Herodes
Geburtsfest dort begann; es begab sich wegen
des Einsturzes kein römischer Offizier auf dieses
Fest, obschon selbst Pilatus heuchlerisch eingeladen
war. -- Die Kunde von dem Einsturz sah
die Erzählende an demselben 8. Januar = 20.
Thebet, nach Thimnath=Serah in Samarien durch
Jünger bringen, wo Jesus lehrte. Als Jesus von
dort nach Hebron zog, um die Verwandten des
Täufers zu trösten, sah sie ihn am 13. Januar
= 25. Thebet, vor Jerusalem in Ophel viele bei
diesem Einsturze verwundete Arbeiter heilen,
deren Dankbarkeit Seite 54 dieses Buches erwähnt
ist. "Die Verfeindung des Pilatus und
Herodes ward aber durch die Rache, die der erstere
teils mit wegen dieses verräterischen Baues
an den Anhängern des Herodes nahm, noch
vermehrt. -- Es mögen hier einige Notizen aus
den Betrachtungen der Erzählenden hierauf deuten.
Am 25. März = 7. Nisan des zweiten Lehrjahres
warnt Lazarus am Badesee bei Bethulien den Herrn
und die Seinigen vor diesem Osterfeste,
es drohe ein Aufruhr des Judas Gaulonita gegen
Pilatus. Am 28. März = 10. Nisan verkündet Pilatus
in Jerusalem die Tempelsteuer, teils mit
um die Kosten der eingestürzten Tempelmauer
zu decken, und es entsteht ein Tumult unter
den galiläischen Anhängern des Freiheitseiferers
Judas aus Gaulon, der mit seinem ganzen
Anhange, ohne es zu wissen, ein Werkzeug der
Herodianer war. Die Herodianer aber waren eine
Gemeinschaft, wie heutzutage die Freimaurer,
ich sehe sie oft ganz als dasselbe. Am 30. März
= 12. Nisan ist Jesus mit den Aposteln und 30
Jüngern zu Jerusalem im Tempel, er lehrt im
braunen galiläischen Gewand morgens um 10 Uhr.
An diesem Tage entsteht der Aufruhr des Judas
Gaulonita gegen Pilatus, die Meuterer befreien
50 ihrer vorgestern gefangenen Anhänger; es
werden mehrere Römer getötet. Am 6. April =
19. Nisan lässt Pilatus die opfernden Galiläer
durch verkleidete, im Tempel verteilte Römer
überfallen und ermorden. Judas Gaulonita kommt
dabei um. Pilatus rächt sich so an Herodes in
dessen Untertanen und Anhängern wegen der eingestürzten
Wasserleitung. Ihre Feindschaft aber nimmt heute
ein heuchlerisches Ende, Pilatus sendet dem
Herodes den Galiläer Jesus als dessen Untertan
zum Gericht, um wieder gut zu machen, dass er
eine grosse Anzahl seiner Untertanen im vorigen
Jahre im Tempel erschlagen liess.
Jesus wurde über die Straße vor dem Haus des
Pilatus wieder die Treppen hinauf auf den erhöhten
Vorplatz geführt; unter dem grausamen Zerren
der Büttel aber trat er auf das schleppende
Spottkleid und fiel dermaßen auf die weißen
Marmorstufen nieder, daß er sich mit dem Blut
seines heiligen Hauptes befleckte. Die Feinde
Jesu, welche ihre Sitze an der Seite des Forums
wieder eingenommen hatten, und das rohe Volk
brachen in ein Hohngelächter über den Fall Jesu
aus, und die Büttel trieben ihn mit Fußstößen
die Stufen wieder hinauf.
Pilatus lehnte auf seinem Stuhl, der wie ein
Ruhebettchen war. Der kleine Tisch stand neben
ihm; es waren auch jetzt, wie früher, einige
Offiziere und Männer mit Rollen bei ihm. Er
trat hervor auf die Terrasse, von welcher er
mit dem Volk redete, und sprach zu den Anklägern
Jesu:
«Ihr habt mir diesen Menschen als einen Aufwiegler
des Volkes überliefert, ich habe ihn vor
euch verhört und habe ihn dessen, worüber ihr
ihn anklagt, nicht schuldig gefunden. Auch Herodes
fand keine Schuld an ihm, denn ich wies euch
mit ihm an Herodes, und siehe, es ist keine
Todesschuld auf ihn gebracht worden. Ich werde
ihn also züchtigen und loslassen.» Es erhob
sich aber ein heftiges Murren und Lärmen unter
den Pharisäern, und das Hetzen und Geldausteilen
unter dem Volk ward noch lebhafter. Pilatus
behandelte sie mit großer Verachtung und liess
unter anderen scharfen Reden auch das Wort fallen,
ob sie denn heute nicht noch unschuldigen Blutes
genug beim Schlachten sehen würden.
Aber es war nun die Zeit, da das Volk vor Ostern
immer zu ihm zu kommen pflegte, um nach einem
alten Herkommen die Freilassung eines Gefangenen
zu begehren. Die Pharisäer hatten eben darum
vom Palast des Herodes aus Unterhändler in den
Stadtteil Acra, westlich vom Tempel, gesendet,
um die dort versammelten Scharen zu bestechen,
nicht die Freilassung Jesu zu begehren, sondern
seine Kreuzigung. Pilatus aber hoffte, das Volk
sollte die Freilassung Jesu begehren, und nahm
sich vor, ihnen neben Jesus einen furchtbaren
Bösewicht zur Freilassung zu nennen, der schon
zum Tode verurteilt war, damit sie gar nicht
wählen könnten. Dieser Verbrecher hieß Barabbas
und war vom ganzen Volk verflucht. Er hatte
im Aufruhr gemordet, und ich habe noch sonst
allerlei Greuel von ihm gesehen; er hatte Zauberei
getrieben und schwangeren Frauen die Frucht
aus dem Leibe geschnitten. Ich habe das Nähere
vergessen.
Es entstand aber nun eine Bewegung unter dem
Volk auf dem Forum, und es drängte sich eine
Schar vor, und ihre Sprecher voraus, und diese
richteten ihre Stimmen gegen die Terrasse des
Pilatus und riefen: «Pilatus, tu uns, wie du
immer auf das Fest getan.» Hierauf hatte Pilatus
nur gewartet, er sprach zu ihnen: «Ihr habt
die Gewohnheit, daß ich euch auf das Fest einen
Gefangenen losgebe. Welchen wollt ihr nun losgegeben
haben, den Barabbas oder Jesus, den König der
Juden, Jesus, welcher der Gesalbte des Herrn
sein soll?»
Pilatus war ganz unentschieden in sich, teils
nannte er ihn «König der Juden» als ein hoffärtiger
Römer, der sie verachtete, weil sie einen so
armen König hätten, zwischen dem und einem Mörder
die Wahl stehe, teils nannte er ihn so aus einer
Art Überzeugung, daß Jesus wirklich dieser wunderbar
verheißene König der Juden, dieser Gesalbte
des Herrn, dieser Messias sein könne, aber auch
diese seine Ahnung der Wahrheit war halb Verstellung,
und er erwähnte diesen Titel des Herrn, weil
er fühlte, der Neid sei eine Hauptriebfeder
der Hohenpriester gegen Jesus, den er für unschuldig
hielt.
Auf diese Frage des Pilatus erfolgte ein kurzes
Zaudern und Überlegen in der Masse des Volkes,
und nur einige Stimmen riefen vorlaut: «Barabbas!»
Pilatus aber wurde von einem Diener seiner Gemahlin
abgerufen; er trat zurück, und der Diener zeigte
ihm jenes Pfand, das er ihr am
Morgen gegeben, und sagte: «Claudia Procle läßt
dich hierdurch erinnern.» Die Pharisäer und
Hohenpriester aber waren in voller Bewegung,
sie nahten teils selbst dem Volk und drohten
und befahlen, aber es war eine leichte Arbeit.
Maria, Magdalena, Johannes und die andern heiligen
Frauen standen im Winkel einer Halle und bebten
und weinten, und wenngleich die Mutter Jesu
wußte, daß keine Hilfe sei für die Menschen
als durch Jesu Tod, so war sie doch voll Angst
und Sehnsucht nach seinem Leben als die Mutter
des heiligsten Sohnes, und so wie Jesus, wenngleich
zum Kreuzestod aus freiem Willen Mensch geworden,
doch alle Pein und Marter eines schrecklich
mißhandelten, unschuldig zum Tode Geführten,
ganz wie ein Mensch erlitt, so litt auch Maria
alle Qual und Angst einer Mutter, deren heiligem
Kind solches von dem undankbarsten Volk widerfuhr.
Sie zitterten und zagten und hofften, und Johannes
ging oft in eine kleine Entfernung, um irgendeine
gute Botschaft zu bringen. Maria betete, es
möge doch so große Sünde nicht geschehen; sie
betete wie Jesus am Ölberg: «Wenn es möglich
ist, so gehe dieser Kelch vorüber», und so hoffte
die liebende Mutter noch immer, denn indem die
Sorgen und Bemühungen der Pharisäer im Volke
von Mund zu Mund liefen, war das Gerücht, Pilatus
suche Jesus freizulassen, auch zu ihr gedrungen.
Es standen nicht weit von ihr Scharen von Leuten
aus Kafarnaum, worunter viele, welche Jesus
geheilt und gelehrt hatte. Sie taten etwas fremd
und blickten verstohlen nach den unglücklichen
verschleierten Frauen und Johannes, aber Maria
dachte und alle dachten, diese würden doch gewiß
Barabbas gegen ihren Wohltäter und Heiland verwerfen.
Aber so war es nicht.
Pilatus hatte seiner Frau das Pfand, wobei er
erkannte, was sie wollte, wieder zurückgesendet
als ein Zeichen, daß sein Versprechen noch bestehe.
Er trat sodann wieder hervor auf die Terrasse,
setzte sich auf den Stuhl bei dem Tischchen,
die Hohenpriester hatten auch ihre Sitze eingenommen,
und Pilatus rief abermals: «Welchen von beiden
soll ich euch freigeben?» Da erhob sich ein
allgemeines lautes Geschrei über das ganze Forum,
und von allen Seiten her:
«Hinweg mit diesem, den Barabbas gib uns frei!»
Pilatus rief noch einmal: «Was soll ich denn
mit Jesus tun, welcher der Christus, der König
der Juden sein soll?» Da riefen alle mit heftigem
Getöse: «Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!» Pilatus
fragte nun zum drittenmal: «Aber was hat er
denn Böses getan? Ich finde wenigstens keine
Schuld des Todes an ihm. Züchtigen aber will
ich ihn lassen und dann freigeben.» Aber das
Geschrei: «Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!» brauste
wie ein Sturm der Hölle ringsumher, und die
Hohenpriester und Pharisäer waren wie rasend
mit Toben und Schreien. Da gab ihnen der schwankende
Pilatus den Bösewicht Barabbas frei und
verurteilte Jesus zur Geißelung.
Die Geißelung Jesu
Pilatus,
der niederträchtige, schwankende Richter,
hatte mehrmals das verkehrte Wort ausgesprochen.
Ich finde keine Schuld an ihm, darum will
ich ihn züchtigen lassen und freigeben!»
Das Geschrei der Juden währte aber immer
fort: «Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!» Doch
wollte Pilatus erst seinen Willen noch versuchen
und gab den Befehl, Jesus auf römische Weise
zu geißeln. Da führten die Schergen Jesus,
den mißhandelten, zerschlagenen, verspienen
Heiland, mit kurzen Stäben heftig stoßend
und schlagend durch das tobende schreiende
Volk hinaus auf das Forum, nördlich vom
Haus des Pilatus und unweit dem Wachhaus
an eine Geißelsäule, welche hier vor einer
der den Markt umgebenden Hallen stand.
Die Henkersknechte
kamen mit ihren Geißeln, Ruten und Stricken,
die sie bei der Säule niederwarfen, Jesus
entgegen. Es waren sechs braune Menschen,
kleiner als Jesus, mit krausem, struppigem
Haupthaar. Sie hatten von Natur nur ein
dünnen, stoppeligen Bartwuchs, ihre Bekleidung
bestand allein aus einer Binde um den Unterleib,
schlechten Sohlen und einem Stück Leder
oder sonst schlechtem Zeug, das, an der
Seite offen, wie ein Skapulier ihren Oberleib
bedeckte, ihre Arme waren nackt. Es waren
niedrige Verbrecher aus der Gegend von Ägypten,
die als Sklaven hier an Bauten und Kanälen
arbeiteten, und es wurden die Boshaftesten
und Niederträchtigsten aus ihnen zu solchen
Henkerdiensten im Prätorium gebraucht.
Diese greulichen
Menschen hatten an derselben Säule schon
arme Sünder zu Tode gepeitscht. Sie hatten
etwas ganz Tierisches, Teuflisches in ihrem
Wesen und waren wie halb besoffen. Sie schlugen
den Herrn, der doch ganz willig ging, mit
Fäusten und Stricken und rissen ihn mit
rasender Wut zu der Geißelsäule. Diese ist
eine freistehende Säule und keine Stütze
irgendeines Gebäudes. Die Säule ist so hoch,
daß ein großer Mensch mit ausgestreckten
Armen zu ihrem oberen, runden, mit einem
eisernen Ring versehenen Ende reichen kann,
an ihrer Rückseite in der Mitte ihrer Höhe
sind auch Ringe oder Haken. Es ist unmöglich,
die Barbarei auszusprechen, mit welcher
diese wütenden Hunde Jesus auf dem kurzen
Wege mißhandelten; sie rissen ihm den Spottmantel
Herodes’ ab und warfen den armen Heiland
schier zur Erde.
Jesus zitterte
und bebte vor der Säule. Er zog seine Kleider
selbst mit seinen vom heftigen Schnüren
geschwollenen und blutigen Händen in bebender
Eile aus, während sie ihn stießen und rissen.
Er betete und flehte so rührend und wendete
sein Haupt einen Augenblick zu seiner von
Schmerz ganz zerrissenen Mutter, die bei
den heiligen Frauen in einem Winkel der
Halle des Marktes nicht weit von dem Geißelplatz
stand, sagte, sich zu der Säule kehrend,
um seine Blöße durch diese zu bedecken,
indem er nun auch die Binde seines Unterleibes
lösen mußte: «Wende deine Augen von mir.
«Ich weiß nicht, ob er dieses mit äußeren
oder inneren Worten sagte, aber ich vernahm,
wie Maria es vernahm; denn ich sah sie in
demselben Augenblick bewußtlos und abgewendet
in die Arme der sie umgebenden verschleierten
heiligen Frauen sinken.
Nun umarmte Jesus
die Säule, und die Schergen knebelten unter
greulichem Fluchen und Zerren seine heiligen
emporgezogenen Hände oben hinter den eisernen
Ring der Säule und spannten seinen ganzen Leib
so in die Höhe, daß seine unten an der Säule
festgeschlossenen Füße kaum stehen konnten.
Der Heiligste der Heiligen stand in ganzer menschlicher
Blöße mit unendlicher Angst und Schmach an die
Säule der Verbrecher aufgespannt, und zwei der
Wüteriche begannen mit rasender Blutgier, seinen
ganzen heiligen Rückleib von unten hinauf und
oben herab zu zerpeitschen. Ihre ersten Geißeln
oder Ruten sahen aus wie von weißem, zähem Holz,
vielleicht waren sie auch Bündel von starren
Ochsensehnen oder harten weißen Lederstreifen.
Unser Herr und
Heiland, der Sohn Gottes, wahrer Gott und wahrer
Mensch, zuckte und krümmte sich wie ein armer
Wurm unter den Rutenhieben der Verbrecher, er
wimmerte und stöhnte, und ein helles, süß klingendes
Wehklagen wie ein liebevolles Gebet unter zerreißender
Pein drang durch die zischenden Rutenhiebe seiner
Peiniger. Dann und wann verschlang diese jammervollen,
heiligen, segnenden Klagetöne das Geschrei des
Volkes und der Pharisäer wie eine schreckliche
schwarze Sturmwolke; sie schrien in ganzen Massen:
«Hinweg mit ihm, kreuzige ihn!» denn Pilatus
verhandelte noch mit dem Volk, und wenn er das
Getöse der Menge mit einigen Worten unterbrechen
wollte, tönte zuerst eine Art Trompetenstoß,
um eine Pause zu veranlassen, dann hörte man
wieder die Rutenstreiche, das Wehklagen Jesu,
die Flüche der Schergen und das Geblöke der
Opferlämmer, welche östlich von hier im Schafteich
neben dem Schaftor aus dem Groben gewaschen
wurden. Wenn sie gewaschen waren, trugen die
Leute sie mit verbundenem Maul bis zum reinen
Tempelweg, damit sie sich nicht wieder beschmutzten,
und trieben sie dann außen herum gegen die Abendseite
hin, wo sie noch einer Zeremonienwäsche unterworfen
waren. Dieses hilflose Blöken der Lämmerherden
hatte etwas unbeschreiblich Rührendes, es waren
die einzigen Stimmen, die sich mit dem Seufzen
des Heilandes vereinigten.
Das jüdische
Volk hielt sich von dem Geißelplatz in einiger
Entfernung, ungefähr in der Breite einer
Straße. Römische Soldaten standen hie und
da, besonders gegen das Wachhaus zu. In
der Nähe der Geißelung stand, ab und zu
gehend, allerlei Gesindel, schweigend oder
höhnend. Manchen sah ich doch eine Rührung
ankommen, und es war dann, als stösse ein
Strahl von Jesus auf ihn.
Ich sah auch
infame, schier ganz nackte Jungen, welche
an der Seite des Wachhauses frische Ruten
bereiteten, und andere, welche hinweggingen,
um Dornenzweige zu holen. Es hatten aber
einige der Schergen der Hohenpriester mit
den Geißlern Verkehr und steckten ihnen
Geld zu, und es ward ein großer Krug mit
einem dicken roten Saft gebracht, von welchem
sie soffen, daß sie ganz grimmig und rauschig
wurden. Es war kaum eine Viertelstunde,
da hörten die beiden Geißler auf zu schlagen
und traten mit zwei andern zusammen und
tranken. Jesu Leib ward ganz braun und blau
und rot mit Schwielen bedeckt, und sein
heiliges Blut rieselte nieder. Er zitterte
und zuckte. Hohn und Spott ertönte von allen
Seiten.
Heute Nacht
war es kalt gewesen, am Morgen und bis jetzt
war kein heller Himmel, und einige kurze
Hagelschauer fielen zur Verwunderung des
Volkes nieder. Gegen Mittag war der Himmel
hell und Sonnenschein.
Das zweite
Paar der Geißelknechte fiel nun mit neuer
Wut über Jesus her, sie hatten eine andere
Art Ruten, welche kraus, wie von Dornen
waren und in denen hie und da Knöpfe und
Sporen befestigt erschienen. Unter ihren
wütenden Schlägen zerrissen alle die Schwielen
seines heiligen Leibes, sein Blut spritzte
im Kreis umher, die Arme der Henker waren
davon besprengt. Jesus jammerte und betete
und zuckte in seiner Qual.
Es zogen
viele fremde Leute auf Kamelen jetzt am
Forum vorüber und schauten mit Schrecken
und Betrübnis, als das Volk ihnen sagte,
was geschah. Es waren Reisende, welche teils
die Taufe empfangen, teils Jesu Berglehren
früher gehört hatten. Das Schreien und Getöse
vor Pilatus’ Haus währte immer fort.
Die beiden
folgenden Schergen schlugen Jesus mit Geißeln.
Es waren dies an einem eisernen Griffe befestigte
kleine Ketten oder Riemen, an deren Spitzen
eiserne Haken hingen, und sie rissen ihm
damit ganze Stücke Fleisch und Haut von
den Rippen. 0 wer kann den elenden greulichen
Anblick beschreiben!
Aber sie
hatten des Greuels nicht genug und lösten
die Stricke auf und banden Jesus herum mit
dem Rücken gegen die Säule, und weil er
so erschöpft war, daß er nicht mehr stehen
konnte, banden sie ihn mit dünnen Stricken
über die Brust, unter den Armen und unter
den Knien an die Säule, und seine Hände
schnürten sie hinter die Säule in deren
Mitte fest. Er war schmerzlich zusammengezogen
mit Blut und Wunden bedeckt, seine gekreuzten
Lenden und die zerrissene Haut seines Unterleibes
verhüllten seine Blöße. Wie wütende Hunde
tobten die Geißler mit ihren Hieben, und
einer hatte eine feinere Rute in der linken
Hand und zerpeitschte ihm sein Antlitz damit.
Es war keine heile Stelle mehr am Leib des
Herrn, er sah die Geißler mit seinen bluterfüllten
Augen an und flehte um Erbarmen, aber sie
wüteten um so ärger, und Jesus jammerte
immer leiser: «Wehe!»
Die fürchterliche
Geißelung hatte wohl an dreiviertel Stunden
gewährt, als ein fremder und geringer Mann,
ein Verwandter des von Jesus geheilten Blinden
Ctesiphons, zu der Rückseite der Säule mit
einem sichelförmigen Messer zornig heranstürzte,
er schrie: «Haltet ein, schlaget den unschuldigen
Menschen nicht ganz tot!» und da hielten
die trunkenen Büttel stutzend ein, und jener
schnitt in Eile wie mit einem Schnitt die
Stricke Jesu los, die hinten an der Säule
alle in einem Knoten um einen großen eisernen
Nagel befestigt waren, und dann floh der
Mann wieder, unter der Menge des Volkes
sich verlierend. Jesus aber sank mit seinem
ganzen blutenden Leib am Fuße der Säule
wie ohnmächtig in den Kreis seines Blutes
nieder. Die Geißelknechte ließen ihn liegen,
sie tranken und riefen den Henkerbuben zu,
die im Wachhaus beschäftigt waren, die Dornenkrone
zu flechten.
Jesus zuckte
noch in seinen Schmerzen, mit blutenden
Wunden am Fuße der Säule liegend, da sah
ich einige frech geschürzte liederliche
Dirnen vorbeiziehen. Sie hatten sich bei
den Händen gefaßt und standen vor Jesus
still und sahen nach ihm mit weichlichem
Ekel, da schmerzten ihn alle seine Wunden
noch mehr, und er hob sein elendes Angesicht
so jammervoll gegen sie. Da zogen sie weiter,
und die Schergen und Soldaten riefen ihnen
lachend Schandreden nach.
Ich sah aber
mehrmals während der Geißelung, als erschienen
trauernde Engel um Jesus, und ich hörte
sein Gebet, wie er unter dem Hagel der bitteren
schimpflichen Pein sich fortwährend ganz
seinem Vater für die Sünden der Menschen
hingab. Jetzt aber, da er in seinem Blut
an der Säule lag, sah ich einen Engel, der
ihn erquickte; es war, als gebe er ihm einen
leuchtenden Bissen.
Nun nahten
die Schergen wieder und stießen ihn mit
Füßen, er solle aufstehen, sie seien noch
nicht fertig mit dem König, sie schlugen
auch nach ihm, und Jesus kroch nach seiner
Gürtelbinde, die an der Seite lag, und die
verruchten Buben stießen dieselbe hohnlachend
mit den Füßen hin und her, so daß der arme
Jesus sich mühsam in blutiger Nacktheit
am Boden wie ein zertretener Wurm wenden
mußte, seinen Gürtel zu erreichen und seine
zerrissenen Lenden zu verhüllen. Dann trieben
sie ihn mit Fußtritten und Schlägen auf
die wankenden Füße und ließen ihm nicht
Zeit, seinen Rock anzuziehen, und warfen
ihm denselben bloß mit den Ärmeln über die
Schultern. Er trocknete das Blut mit diesem
Kleid von seinem Angesicht auf dem Umweg,
auf welchem sie ihn eilend zu dem Wachhaus
trieben. Sie hätten vom Geißelplatz gleich
kürzer hingekonnt, weil die Hallen um das
Gebäude gegen das Forum geöffnet worden
waren, so daß man nach dem Gang sehen konnte,
unter welchem die Schächer und Barabbas
gefangen lagen, aber sie führten Jesus vor
den Sitzen der Hohenpriester vorbei, welche
schrien: «Hinweg mit ihm! Hinweg mit ihm!»
und sich mit Ekel von ihm wendeten; und
sie führten ihn in den inneren Hof des Wachhauses.
Es waren jetzt bei Jesu Eintritt keine Soldaten
darin, aber allerlei Sklaven und Schergen
und Lotterbuben, der Auswurf und Troß.
Weil nun
das Volk so unruhig war, hatte Pilatus eine
Verstärkung der römischen Wache aus der
Burg Antonia herbeigezogen; diese Scharen
umschlossen geordnet das Wachhaus. Sie durften
wohl sprechen und lachen und Jesus verhöhnen,
aber sie mußten sich in Reih und Glied halten.
Pilatus wollte dadurch das Volk im Zaum
halten und ihm imponieren. Es waren wohl
an tausend Mann versammelt.
Maria während
Jesu Geißelung
Ich sah die heilige
Jungfrau während der Geißelung unseres Erlösers
in einer steten Entrückung, sie sah und erlitt
alles, was ihrem Sohn geschah, innerlich mit
unaussprechlicher Liebe und Pein. Oft brachen
leise Klagetöne aus ihrem Munde, ihre Augen
waren entzündet von Tränen. Sie lag verschleiert
in den Armen ihrer älteren Schwester Maria Heli,
welche schon sehr bejahrt war und viel Ähnliches
mit ihrer Mutter Anna hatte. Maria Cleophä,
die Tochter der Maria Heli,
⃰
war
auch zugegen und hing meistens am Arm ihrer
Mutter. Die heiligen Freundinnen Marias und
Jesu waren alle verhüllt und verschleiert, in
Schmerz und Angst bebend, in leisem Wehklagen
um die heilige Jungfrau zusammengedrängt, als
erwarteten sie ihr eigenes Todesurteil. — Maria
hatte ein langes, beinahe himmelblaues Gewand
an und darüber einen langen wollweißen Mantel
und gelblich weißen Schleier. Magdalena war
sehr verstört und ganz zerrüttet vor Schmerz
und Wehklagen, ihre Haare waren unter ihrem
Schleier aufgelöst.
⃰
Maria Heli ist
schon früher in diesen Blättern erwähnt. Nach
den sehr ins Einzelne gehenden Betrachtungen
der Erzählerin über die Verwandten der heiligen
Familie, sieht sie diese Tochter Joachims und
Annas an zwanzig Jahre vor der heiligen Jungfrau
geboren. Sie war das Kind der Verheissung nicht,
und wird zur Unterscheidung von anderen Marien
in ihren Betrachtungen Maria Heli genannt, was
soviel heissen soll, als Maria Joachims oder
Heliachims Tochter. Ihr Mann hiess Cleophas
und ihre Tochter Cleophä, und so ist Maria Cleophä
die Nichte der heiligen Jungfrau, und mehrere
Jahre älter, als diese. Der erste Ehemann der
Maria Cleophä hiess Alphäus, ihre Söhne mit
diesem waren die Apostel Simon, Jakobus der
kleinere und Judas Thaddäus. Mit ihrem zweiten
Manne Sabas erzeugte sie Joses Barsabas, und
in der dritten Ehe mit einem Jonas den Simon,
der Bischof von Jerusalem ward.
Ich sah, da Jesus
nach der Geißelung an der Säule niedergesunken
war, daß Claudia Procle, des Pilatus Weib, der
Muttergottes einen Pack großer Tücher sendete.
Ich weiß nicht mehr recht, ob sie glaubte, Jesus
werde freigelassen werden, und dann solle die
Mutter des Herrn seine Wunden damit verbinden,
oder ob die mitleidige Heidin die Tücher zu
der Handlung sendete, wozu die heilige Jungfrau
sie gebrauchte.
Maria, wieder
zu sich gekommen, sah ihren zerfleischten Sohn
von den Bütteln vorübertreiben. Er wischte das
Blut aus seinen Augen mit seinem Gewand, um
seine Mutter anzusehen; sie hob die Hände schmerzvoll
nach ihm und sah seinen blutigen Fußtapfen nach.
Nun aber sah ich die heilige Jungfrau und Magdalena,
als das Volk sich mehr nach einer andern Seite
wendete, dem Geißelplatze nahen, und sie warfen
sich, von den andern heiligen Frauen und einigen
guten Leuten, die um sie her traten, umschlossen
und gedeckt, auf die Erde bei der Geißelsäule
nieder und trockneten das heilige Blut Jesu
mit jenen Tüchern auf, wo sie nur eine Spur
fanden.
Johannes sah
ich jetzt nicht bei den heiligen Frauen, die
etwa zwanzig waren. Simeons Sohn, Obeds Sohn,
Veronikas Sohn und Aram und Themeni, die beiden
Neffen Josephs von Arimathia, waren alle unter
Angst und Trauer im Tempel beschäftigt.
Es war nach der
Geißelung etwa neun Uhr morgens.
Unterbrechung
der Passionsbilder. März 1823.
Sonntag Lätare.
St. Josephs-Fest
Vorbemerkung
Während diese
Passionsbilder die Betrachtende von der
Vigili oder dem Vorabend des 18. Februar
an bis zum 8. März Sonnabend vor dem Sonntag
Lätare, in täglichen Abteilungen begleiteten,
hatte sie in seelischer und körperlicher
Leidensteilnahme unsäglich gelitten. Ohne
äußeres Bewußtsein in diese Betrachtungen
versunken, weinte und wimmerte sie wie ein
gemartertes Kind. Sie zuckte und zitterte
und kroch jammernd auf ihrem Lager hin und
her, ihr Angesicht glich dem eines unter
Martern sterbenden Menschen, blutiger Schweiß
ergoß sich mehrmals an ihrer Brust und ihrem
Rücken; überhaupt schwitzte sie öfters,
ja fast durchgehend in so ungemeinem Grade,
daß alles, was sie umgab, triefte und der
Schweiß ihre Betten durchdrang. Zugleich
litt sie solchen Durst, daß sie einem in
wasserloser Wüste Verdürstenden glich. Ihr
Mund war am Morgen oft wie vertrocknet und
ihre Zunge zurückgezogen und wie verdorrt,
so daß sie nur mit unartikulierten Tönen
und mit Deuten um Hilfe bitten konnte. Außerdem
begleitete ein tägliches Fieber alle diese
Peinigung oder war deren Folge, und neben
allem diesem währten ihre gewöhnlichen Leiden,
Mitleiden und übernommenen Leiden ohne Unterbrechung
fort. Nur nach mühsamer Erholung vermochte
sie die Passionsbilder zu erzählen, und
auch diese nicht täglich vollständig, sondern
wiederholend und nachtragend.
Auf diese
Weise hatte sie in einem höchst elenden
Zustand Sonnabend, den 8. März 1823, die
Geißelung Jesu, die wir zuletzt mitgeteilt,
als ihre Betrachtung der verflossenen Nacht
erzählt und schien teils während des Tages
noch in diesem Bilde zu verweilen; aber
mit Sonnenuntergang dieses Tages kam in
die bisher stete Reihe ihrer Passionsbetrachtung
eine Unterbrechung, welche wir hier mitteilen,
weil sie sowohl einen Blick in das innere
Leben einer so außerordentlichen Person
gestattet als auch einen würdigen Ruhepunkt
für den Leser dieser Blätter gewährt, denn
wir haben an uns selbst erfahren, daß an
der Betrachtung wie an der Darstellung des
bitteren Leidens die Schwachen leicht ermüden,
obschon es doch für sie gelitten ward.
Das Seelen-
und Körperleben der Betrachtenden war mit
dem täglichen inneren und äußeren Leben
der Kirche in der Zeit in inniger Zusammenstimmung
und gab mit einer vielleicht höheren Notwendigkeit
als jener, welche das gemütliche und körperliche
Leben des natürlichen Menschen an Jahres-
und Tagzeiten, Sonne und Mond, Klima und
Witterung knüpft, ein stetes demütiges Zeugnis
vom Wesen und der Bedeutung aller Geheimnisse
und Feiern des inneren und äußeren Kirchenlebens
in der Zeit, welches es so treu begleitete,
daß bei dem Eintritt des Vorabends, bei
der sogenannten Vigil eines jeden Kirchentages,
sich ihr ganzer Zustand an Seele und Leib
innerlich und äußerlich veränderte und sich
augenblicklich um die geistliche Sonne des
folgenden Kirchentages, nachdem die des
heutigen untergegangen, zu drehen begann,
um nun alle ihre Gebete und Leidensarbeiten
in Tau, Licht und Wärme der speziellen Gnade
dieses neuen Kirchentages zu sonnen und
als Tagewerk zu bestellen.
Nicht gerade
wenn das katholische Abendgeläute den Beginn
des neuen Kirchentages, zum Gebet des rührenden
«Angelus Domini» auffordernd, anzeigte,
welches Geläute durch Unwissenheit oder
Nachlässigkeit öfters zu früh oder zu spät
sein kann, sondern wenn dieser Moment einer
Darstellung des Ewigen in der Zeit wirklich,
an einer uns andern Menschen unsichtbaren
Uhr eintrat, veränderte sich ihr ganzes
Wesen, und die in wirklicher und wesentlicher
Mitfeier eines heutigen Trauerfestes der
Kirche ganz erdrückte, in seelischen und
körperlichen Leiden verschmachtete und verwelkte
Braut Jesu Christi richtete sich, wie von
dem Tau einer neuen Gnade plötzlich erquickt,
mit Leib und Seele auf, um, so ein Freudenfest
der Kirche eintrat, bis zum folgenden Abend
für die innere ewige Wahrheit desselben
heiter und stillfreudig, gleichsam mit verhülltem
Leiden, Zeugnis zu geben.
Alles dieses
aber geschah nicht sowohl durch sie als
an ihr, wenigstens war sie absichtslos dabei
wie die Biene, welche aus den Blumen in
künstlichem Bau Wachs und Honig bereitet.
Es hatte nämlich der treue Wille dieses
armen Bauernmädchens von kindauf, Jesu und
seiner Kirche gehorsam zu sein, vor Gottes
Augen Wohlgefallen, und er gab ihr zu dem
Willen nicht nur die Tat, sondern auch die
Natur; sie konnte nicht mehr anders, als
sich nach der Kirche wie eine Pflanze nach
dem Licht zu wenden, selbst wenn man sie
mit künstlicher Nacht umgeben hätte. Ihr
Antlitz verschleierte oder schmückte sich
mit dem Antlitz ihrer Mutter, der Kirche.
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Am Samstag,
dem 8. März 1823, nach Sonnenuntergang,
als die Ermüdete kaum die Bilder von der
Geißelung unseres Herrn erzählt hatte, ward
sie stille, und der Schreiber dieses glaubte
nicht anders, als daß ihre Seele bereits
in das Bild der Dornenkrönung Jesu übergegangen
sei. Aber nach einigen ruhigen Minuten gewann
ihr erschöpftes, zum Tode müdes Angesicht
eine liebliche, heitere Klarheit, und sie
sprach einige Worte mit jener Freundlichkeit,
in welcher die Unschuld zu Kindern spricht.
Sie sprach: «Ach, der liebe kleine Knabe
kommt zu mir, wer ist er nur? Warte, ich
will ihn fragen — er heißt Josephchen —
o wie lieb er ist! Er läuft durch all das
Volk zu mir her — das arme Kind! — Es ist
so freundlich und lacht, es weiß von nichts
— es dauert mich so, es ist schier ganz
nackt — wenn es nur nicht friert, — es ist
ganz kühl heute früh, — warte, ich will
dich ein bißchen zudecken.» Nach diesen
mit solcher Wahrheit gesprochenen Worten,
daß man sich nach dem Kinde hätte umsehen
mögen, nahm sie einige Tücher, die neben
ihr lagen, und machte mit ihnen alle die
Bewegungen einer mitleidigen Person, die
ein liebes Kind gegen Kälte verhüllt. Der
Schreiber beobachtete dies mit Aufmerksamkeit
und vermutete darin die äußere Gebärde einer
inneren Gebetstätigkeit, wie er dergleichen
schon oft an ihr gesehen. Es konnte ihm
aber jetzt keine Erklärung von dem Grund
ihrer Worte und Handlung werden, denn es
trat eine plötzliche Unterbrechung ihres
Zustandes ein; es wurde nämlich der Name
eines der Gelübde, mit welchem sie dem Herrn
als Klosterfrau heilig verlobt war, das
Wort «Gehorsam» von einer Person ausgesprochen,
welcher ihre Pflege oblag, und augenblicklich
raffte sie sich wie ein frommes, gehorsames
Kind zusammen, welches die Mutter aus tiefem
Schlaf ruft, zu der Mutter zu kommen. Sie
faßte schnell ihren Rosenkranz und das kleine
Handkreuz, das sie immer bei sich hatte,
ordnete ihre Kleidung, rieb sich die Augen,
richtete sich auf und ward, unfähig, selbst
auf den Füßen zu stehen oder zu gehen, von
ihrem Lager auf einen Stuhl gebracht. Es
war die Zeit, da man ihr Lager erfrischte
und ordnete. Der Schreiber verließ sie,
um das heute Erfahrene aufzuzeichnen.
Sonntag,
den 9. März 1823. Heute morgen fragte der
Schreiber jene pflegende Person: «Was mag
die Kranke nur gestern abend mit einem Knaben
Josephchen gemeint haben, von dem sie sprach?»,
und jene Person erwiderte: «Ja, sie hat
sich nachher noch lange in ihren Äußerungen
mit dem Josephchen beschäftigt, sie hat
dieses Söhnchen meiner Verwandten so lieb,
wenn dies nur dem Kind keine Krankheit bedeutet,
denn sie sagte mehrmals, es sei so nackt,
wenn es nur nicht friere.» — Hier erinnerte
sich der Schreiber, jenes Kind Josephchen
wirklich manchmal auf dem Bett der Kranken
spielen gesehen zu haben, und er glaubte
nicht anders, als daß sich ihre Seele mit
diesem Kinde gestern abend im Traume beschäftigt
habe.
Als der Schreiber
sie später besuchte, um die Fortsetzung
der Passionsbilder von ihr zu vernehmen,
fand er sie gegen Vermuten heiterer und
wohler aussehend als alle bisherigen Tage;
sie aber sagte: «Ich habe nichts weiter
nach der Geißelung gesehen»; und auf die
weitere Frage, was sie denn gestern abend
von dem Josephchen, dem artigen Knaben,
so vieles habe zu sprechen gehabt, wußte
sie sich nicht zu entsinnen, an dieses Kind
gedacht zu haben. In weiterem Gespräch,
woher sie doch heute soviel ruhiger, heiterer
und schmerzloser sei, sagte sie, das sei
um Mitte Fasten immer so. Heute singe die
Kirche im Eingang des heiligen Meßopfers
mit Jesaias: «Erfreue dich, Jerusalem! Zur
Freude versammelt euch alle, die ihr sie
liebt. Seid froh und freudig, die ihr traurig
wart: frohlocket und sättigt euch von den
Brüsten ihres Trostes», und darum sei ein
Tag der Erquickung; weil dann auch heute
im heiligen Evangelium der Herr die fünftausend
Menschen mit fünf Broten und zwei Fischen
erquickt und noch soviel übrig geblieben
sei, da müsse man sich freuen. Auch sie
habe er heute früh mit dem heiligen Sakrament
gespeist. An diesem Tage der Fasten sei
sie immer etwas an Leib und Seele gestärkt.
Als nun der Schreiber hierauf in den Münsterschen
Almanach blickte, sah er, daß nicht nur
der Sonntag Lätare war, sondern daß auch
das Fest St. Josephs, des Nährvaters unseres
Herrn, hierzulande heute gefeiert ward,
welches ihm unbekannt war, weil das Josephsfest
anderwärts auf den 19. März fällt. Als er
sie nun aufmerksam machte, es sei ja heute
das Josephsfest, ob sie vielleicht deshalb
vom Joseph gesprochen habe, erklärte sie,
wie sie freilich wisse, daß heute Josephsfest
sei, aber an jenes Knäbchen Joseph, welches
manchmal zu ihr gebracht werde, habe sie
nicht gedacht. In diesen Reden aber fiel
ihr ein, was ihr gestern abend in der Betrachtung
gegeben worden sei, und es ergab sich aus
ihrer Erzählung ein höchst erfreulicher
Blick in den inneren Gang ihrer Anschauungen.
Es war nämlich mit dem Vorabend des heutigen
Sonntags Lätare und des Josephsfestes ein
freudiges Bild des heiligen Joseph plötzlich
in die sie beschäftigenden Passionsbetrachtungen,
gleichsam dramatisch. eingetreten, und zwar
in kindlicher Form.
Wir haben
aber oft erlebt, daß der, der zu ihr sprach,
seine Boten in Kindergestalt zu ihr sendete
und haben bemerkt, daß es immer in Fällen
geschah, wo auch die Kunst zu ihrem Dolmetscher
sich der Form eines Kindes hätte bedienen
können. Sollte z.B. in einem ganz biblisch-
historischen Gesicht der Bezug auf irgendeine
erfüllte Prophezeiung angedeutet werden,
so lief gewöhnlich neben den Ereignissen
des Bildes irgendein Knabe einher, welcher
in seinem Betragen, seiner Kleidung und
in der Art, wie er seine prophetische Schriftrolle
ernst in der Hand trug oder, an einen Stab
gebunden, in der Luft herumschwenkte, den
Charakter dieses oder jenes Propheten bezeichnete.
— Hatte sie schwer zu leiden, so kam etwa
ein stilles, liebliches Kind zu ihr in grünem
Kleide, saß mühsam zufrieden, äußerst unbequem
auf dem schmalen harten Rand ihres Bettes
oder ließ sich klaglos von einem Arm zum
andern nehmen oder auf die Erde setzen,
war immer gleich freundlich und zufrieden,
schaute immer nach ihr und tröstete sie
und war die Geduld. — War sie durch Krankheit
oder übernommenes Leiden ganz ermüdet und
kam durch einen Festzug oder durch eine
Reliquie in Bezug mit einem Heiligen, mit
einem verklärten Glied des Brautleibes Jesu
Christi, so sah sie nur Bilder aus der Kindheit
dieser Heiligen, statt daß sie sonst ihre
schweren Martern mit allen erschütternden
Umständen anschaute. — Sollte ihr in großem
Leiden, in gänzlicher Erschöpfung durch
Gottes Güte Trost und Erheiterung, ja selbst
Belehrung, Warnung und Rüge zukommen, so
geschah dieses immer in kindlichen Formen
und Bildern, und zwar in solchem Maße, daß,
sie in großen Nöten und Bedrängnissen sich
nicht mehr zu helfen wußte, sie entschlummernd
sich oft augenblicklich in irgendeine kindliche
Bedrängnis ihrer Jugend zurückversetzt fühlte
und fest glaubte, ja im Schlaf sich täuschend
äußerte und gebärdete, als sei sie etwa
ein armes fünfjähriges Bauernkind, das,
durch einen Zaun schlüpfend, in den Dornen
weinend stecken geblieben. Immer aber waren
in solchen Fällen diese Kindheitsszenen
haarscharf wirklich erlebte Begebenheiten
ihrer Jugend, und in der Anwendung der Parabel
hieß es wohl: «Was schreist du so? Ich helfe
dir nicht aus dem Zaun, bis du mir zuliebe
geduldig ausharrest und betest»; diese Mahnung
hatte sie auch wohl als Kind im Zaun befolgt
und befolgte sie nun ebenso in ihrem Alter
in scheinbar großer Not und lächelte erwachend
über den Zaun und den Gedulds- und Gebetsschlüssel
dazu, den sie schon als Kind empfangen und
nur so nachlässig vergessen habe, den sie
aber nun treulich und mit unfehlbarem Erfolg
sogleich wieder anwendete.
So bewährte
es sich oft auf eine überraschende und rührende
Weise an der tiefsinnbildlichen Bedeutung
ihrer Kindheitsereignisse für die Ereignisse
ihres späteren Lebens, daß ebenso in dem
Lebendes Individuums wie in jenem der Geschichte
Vorbildlichkeit stattfindet, daß aber dem
Individuum wie der Geschichte ein göttliches
Vorbild in dem Erlöser gegeben ist, damit
beide, mit höherer Kraft ihm nachringend,
aus den Naturschranken der Entwicklung heraus
und in die volle Freiheit des Geistes übertreten,
um heranzuwachsen zum vollkommenen Mannesalter
Christi, auf daß Gottes Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden, und sein Reich
zu uns komme!
Sie erzählte
aber heute folgende, ihr noch erinnerliche Bruchstücke
der Bilder, welche ihre Passionsbetrachtung
gestern abend beim Eintritt der Vigil des St.
Josephsfestes unterbrochen hatten.
St. Joseph
als Knabe
unterbricht am Vorabend seines Festes die Passionsbilder.
Ich war in
allen diesen fürchterlichen Ereignissen
bald hier, bald dort in Jerusalem, ich war
so zerquält und zerpeinigt, ich war so voll
Schmerzen und zum Tode krank. Als sie meinen
liebsten Bräutigam geißelten, saß ich an
einer Ecke des Geißelplatzes, wo sich kein
Jude, aus Furcht, unrein zu werden, hinwagte.
Ich aber scheute mich gar nicht, ach! ich
setzte mich hin und wünschte rein zu werden,
ich wünschte, es möge nur ein Tropfen seines
Blutes auf mich spritzen und mich reinigen.
Ich war so krank, so voll Pein, ich meinte,
ich müsse sterben. Ich konnte gar nicht
helfen, ich mußte alles lassen, wie es war,
und das Mitleid brachte mich schier um.
Ich jammerte und zitterte mit jedem Schlage
und wunderte mich nur immer, daß sie mich
nicht wegjagten. Ach! wie elend lag mein
liebster Bräutigam zerfleischt am Fuße der
Säule im Kreis seines heiligen Blutes, wie
greulich sahen die elenden liederlichen
Dirnen spottend und ekelnd im Vorübergehen
nach ihm hin, wie erbärmlich sagte sein
Blick zu ihnen: «Ihr habt mich so zerfleischt
und spottet immer noch!» Wie grausam stießen
die Büttel mit Füßen nach ihm, daß er fort
solle, wie kroch er mit Wunden und blutbefleckt
so jammervoll nach seinen Kleidern, und
kaum hatte er sich mit seinen von Schmerz
zuckenden Armen verhüllt, so trieben sie
ihn schon wieder auf und zu neuer Pein und
schleppten ihn an seiner armen Mutter vorüber.
Ach! wie sah sie händeringend seinen blutigen
Fußtapfen nach; und durch die nach dem Markt
nun geöffnete Seite des Wachhauses hörte
ich das Gespött der niederträchtigen Henkersbuben,
welche die Dornenkrone mit Handschuhen flochten
und spottend ihre Stacheln prüften. Ich
zitterte und bebte und wollte schon hinlaufen,
um meinen armen Bräutigam in seinem neuen
Leiden zu sehen, und war so bange und so
krank; da kam die arme Mutter Jesu heran
und die andern Frauen und einige gute Männer
um sie her, und diese machten ihr einen
versteckten Raum, und sie trocknete das
Blut Jesu so rührend um die Säule und überall
auf. Das Geschrei und Gebrüll der Feinde
Jesu und des Volkes tönte so gräßlich, da
sie den Herrn hindurchführten. Ich war so
zerrissen und so krank und konnte vor Schmerz
und Angst gar nicht mehr weinen und wollte
nun eben mich aufraffen und mich totenbang
zu der Dornenkrönung Jesu hinschleppen.
Da kam aber
plötzlich ein wunderschönes nacktes Knäbchen
mit blonden Löckchen, nur mit einer Binde
um den Leib bekleidet, zwischen den langen
Gewändern der heiligen Frauen durchgeschlüpft,
und es war so flink und kroch den Männern
zwischen den Beinen durch, und auf einmal
lief es auf mich zu und war ganz lustig
und freundlich und drehte mir den Kopf weg
und hielt mir bald die Augen, bald die Ohren
zu und machte allerlei kindlichen Spaß und
wollte gar nicht zugeben, daß ich weiter
die traurigen Bilder anschaute. Der Knabe
fragte mich auch: «Kennst du mich denn nicht?
Ich heiße ja Joseph und bin von Betlehem»,
und nun fing er an, von der Krippenhöhle
und Geburt Christi und von den Hirten und
den drei Königen zu erzählen und wie herrlich
und freudig das alles gewesen sei, und dabei
hüpfte und scherzte er. Ich fürchtete aber
immer, er möge frieren, weil er so wenig
bekleidet war und noch einige Hagelschauer
fielen, aber er hielt mir die Hände an die
Wangen und sagte: «Fühle, wie warm ich bin;
wo ich bin, friert man nicht.» Ich jammerte
aber noch immer über die Dornenkrone, die
ich flechten sah, er jedoch tröstete mich
und sagte mir eine schöne Parabel her, worin
all das Leiden zur Freude ausging, und patschte
dabei in die Hände. Er legte mir in dieser
Parabel viele Bedeutungen aus dem Leiden
Christi aus und zeigte mir auch die Äcker,
worauf die Dornen gewachsen, aus denen die
Krone geflochten wurde, und was diese Dornen
bedeuteten und wie diese Äcker ganz herrliche
Weizenfelder würden und die Dornen ein schützender
Zaun um sie, der voll schöner Rosen
⃰
blühte.
Ja, er wußte alles so freundlich und lieblich
zu erklären, daß alle Dornen zu Rosen zu
werden schienen, mit denen wir spielten.
Alles aber, was er sagte, war voll Bedeutung,
ich habe leider das meiste vergessen, es
war ein langes, rührendes Bild von der Entstehung
und Entwicklung der Kirche in ganz kindlich
lieblichen Gleichnissen. Der freundliche
Knabe ließ mich aber gar nicht mehr nach
dem Leiden Christi hinsehen und zog mich
in ein ganz anderes Kinderbild. Ich war
nun selbst ein Kind und verwunderte mich
nicht lange darüber und lief mit dem Knaben
Joseph nach Betlehem auf alle seine Jugendspielplätze,
und er zeigte mir alles, und wir spielten
und beteten in der nachmaligen Krippenhöhle,
in welche er sich oft als Knabe flüchtete,
wenn seine Brüder ihn wegen seines frommen
Wesens neckten, und es war, als lebte seine
Familie noch in dem alten Stammhaus, worin
einst der Vater Davids gewohnt hatte und
das zur Zeit von Christi Geburt schon in
fremden Händen war, denn damals waren die
römischen Amtsleute darin, welchen Joseph
den Zins zahlen mußte. Wir waren ganz fröhlich
wie Kinder, und es war, als sei Jesus, ja
selbst die Mutter Gottes noch gar nicht
geboren.
⃰
Wahrscheinlich
hat sie hier unter anderem mancherlei Bezüge
auf den heutigen freudigen Sonntag Lätare
vergessen, welcher auch der Rosensonntag
heisst, weil der heilige Vater heute, die
Freude dieses Tages zu bezeichnen, der zwischen
den Dornen der Fastenzeit wie eine Rose
hervorbricht, eine goldene Rose weihet und
sie in der Hand tragend durch Rom ziehet.
Dahin kann ihre Erwähnung der Rosen deuten,
eben so wie der Weizenacker auf den Namen
"Sonntag der Erquickung ," oder "Brotsonntag,"
weil heute das Evangelium der fünftausend
von Jesu mit fünf Broten und zwei Fischen
Gespeisten gelesen wird. Dieser Tag heisst
daher auch
Dominica rosata, de panibus, refectionis.
So ging ich
am Vorabend des St.-Josephs-Festes aus dem
Leiden der Passionsbilder in ein tröstendes
Kindheitsbild des heiligen Joseph über.
Sie sah während
des Josephsfestes nichts von der Passion, sagte
aber:
Von dem
Aussehen Marias und Magdalenas
Ich habe heute,
Sonntag Lätare, am St.-Josephs-Fest, gar nichts
von den Passionsbildern, aber wohl die heilige
Jungfrau gesehen, welche mir allerlei erklärt
hat, was ich vergessen oder nicht ganz verstanden
hatte.
Die Wangen der
heiligen Jungfrau sah ich heute bleich und hager,
ihre Nase fein und lang, ihre Augen beinahe
blutrot vom Weinen. Es ist wunderbar und unbeschreiblich,
wie schlicht, gerade und einfach ihre Erscheinung
ist. Jetzt ist sie doch seit gestern und die
ganze Nacht in Schrecken und Angst und Tränen
durch das Tal Josaphat und die Straßen von Jerusalem
und das Volk herumgeirrt, und ihre Kleidung
sieht dennoch ganz ordentlich und gar nicht
verwüstet aus. Es ist keine Falte ihres Kleides,
die nicht voll Heiligkeit wäre. Alles ist so
schlicht und einfach, so ernst, rein und unschuldig.
Ihr Umherschauen ist so edel, und der Schleier
macht so einfache, reine Falten, wenn sie das
Haupt ein wenig wendet. Sie bewegt sich nicht
heftig, und im zerreißenden Schmerz ist all
ihr Tun einfach und ruhig. Ihr Gewand ist zwar
feucht vom Nachttau und unzähligen Tränen, aber
es ist rein und ordentllich und unverwüstet.
Sie ist unaussprechlich auf eine ganz überirdische
Weise schön, denn alle Schönheit an ihr ist
zugleich Unbeflecktheit, Wahrheit, Einfalt,
Würde und Heiligkeit.
Magdalena hingegen
erscheint ganz anders, sie ist größer und voller
und zeigt in ihrer Gestalt und Bewegung viel
mehr Formen, aber durch Leidenschaft und Reue
und fürchterlichen Schmerz ist alle ihre Schönheit
zerstört, und sie ist beinahe schrecklich, wenn
nicht gar häßlich jetzt durch die ungebändigte
Wucht ihrer Leiden. Ihre Kleider sind naß und
mit Kot befleckt, sie hängen unordentlich und
zerrissen um sie her, ihre langen Haare hängen
aufgelöst und unordentlich unter dem zerwundenen
nassen Schleier. Sie ist ganz zerstört, sie
denkt an nichts als ihr Leid und sieht beinahe
wie eine Wahnsinnige aus. Es sind so viele Leute
aus Magdalum und der Gegend hier, die sie früher
in ihrem, anfangs so prächtigen und dann so
wüsten Sündenleben gesehen, und da sie so lange
verborgen gelebt, so zeigt nun alles mit Fingern
auf sie und verhöhnt sie bei ihrer zerstörten
Erscheinung; ja es hat sogar schlechtes Volk
aus Magdalum mit Kot im Vorübergehen nach ihr
geworfen, aber sie weiß von nichts, so ganz
ist sie in ihren Jammer versunken.
Jesu Dornenkrönung
und Verspottung
Als die Betrachtende
wieder in die Fortsetzung dieser Bilder
eingegangen, wurde sie sehr krank. Sie erlitt
ein heftiges Fieber und einen so starken
Durst, daß ihr die Zunge ganz krampfhaft
zusammengezogen und wie verdorrt war. Sie
war am Morgen des Montags nach Lätare so
erschöpft und elend, daß sie nur mit Mühe
und ohne genaue Ordnung folgendes mitteilte;
sie erklärte dabei, daß es ihr unmöglich
sei, in ihrem Zustande alle die Mißhandlungen
bei der Krönung Jesu zu erzählen, weil ihr
dann alles wieder vor Augen komme u. s.
w..
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Während
der Geißelung Christi redete Pilatus
noch mehrmals mit dem Volk, und einmal
schrien sie sogar: «Er muß hinweg und
wenn wir alle darüber umkommen sollten»,
und als Jesus zur Krönung geführt wurde,
schrien sie auch noch: «Hinweg mit ihm,
hinweg», denn es kamen immer neue Haufen
von Juden heran, welche von den ausgesendeten
Boten der Hohenpriester zu diesem Geschrei
aufgewiegelt waren.
Hierauf
trat ein kurzer Stillstand ein. Pilatus
machte Anordnungen mit seinen Soldaten,
und die Hohenpriester und der Rat, welche
auf erhöhten Bänken an beiden Seiten
der Straße vor des Pilatus Terrasse
der unter Bäumen und ausgespannten Decken
saßen, ließen sich einige Speise und
Trank von ihren Dienern zutragen. Ich
sah auch Pilatus wieder in seltsamer
Verwirrung mit seinem Aberglauben; er
hatte, sich allein begebend, noch immer
mit Räuchern bei seinen Göttern und
mit allerlei Zeichendeuterei zu schaffen.
Die heilige
Jungfrau und ihre nähere Umgebung sah
ich nach der Geißelung, als sie das
Blut Jesu aufgetrocknet hatte, sich
von dem Forum zurückziehen. Ich sah
sie mit den blutigen Tüchern in einem
kleinen Haus, das an eine Mauer gebaut
war, es war nicht weit von hier gelegen.
Ich erinnere mich nicht mehr, wem es
gehörte. Ich erinnere mich nicht, Johannes,
bei der Geißelung gesehen zu haben.
Die Krönung
und Verspottung Jesu geschah in dem
innern Hof des Wachhauses, das über
den Gefängnissen an dem Forum stand.
Es war mit Säulen umgeben, und die Eingänge
waren geöffnet. Es waren etwa fünfzig
niederträchtige Schurken vom Troß, Knechte
der Gefangenenwärter, Schergen, Buben,
Sklaven und die Geißelknechte, welche
bei dieser Mißhandlung Jesu tätigen
Anteil nahmen. Anfangs drängte sich
das Volk heran, aber bald umgaben tausend
römische Soldaten das Gebäude. Sie standen
in Reih und Glied, höhnten und lachten
und gaben dadurch der Prahlerei der
Quäler Jesu allerlei Veranlassung, sein
Leiden zu vermehren, denn ihr Gelächter
und ihre Späße munterten diese auf,
wie der Beifall die Schauspieler.
Sie hatten
den Fuß einer alten Säule in die Mitte
gewälzt. Es war ein Loch darin, worin
sonst wohl die Säule mochte befestigt
gewesen sein; darauf setzten sie einen
niederen runden Schemel, der hinten
eine Handhabe zum Anfassen hatte, und
sie legten aus Bosheit spitzige Steine
und Scherben darauf.
Sie rissen
Jesus abermals alle Kleidung von seinem
verwundeten Leibe und legten ihm einen
alten roten, zerrissenen, kurzen Soldatenmantel
um, der nicht bis an die Knie reichte.
Es hingen hie und da Fetzen von gelben
Quasten daran. Er lag in einem Winkel
der Schergenkammer, und sie pflegten
ihn den gegeißelten Verbrechern umzutun,
entweder das Blut darin zu trocknen
oder sie zu verspotten. Nun schleppten
sie Jesus zu dem mit Scherben und Steinen
bedeckten Stuhl und stießen ihn mit
dem verwundeten, entblößten Leib darauf
nieder. Sie setzten ihm sodann die Dornenkrone
auf. Sie war ein paar Hand hoch und
dicht und künstlich geflochten und hatte
oben einen vorstehenden Rand. Sie legten
sie ihm wie eine Binde um die Stirn
und banden sie hinten fest zusammen,
da bildete sie einen Kronenhut. Sie
war aus dreifingerdicken, im Dickicht
grad aufgestossenen Dornenzweigen künstlich
geflochten und die Dornen mit Absicht
meist einwärts gedreht. Es waren dreierlei
Stechdornen, solcher Art, wie man bei
uns Kreuzdorn, Schlehdorn und Hagedorn
hat. Oben hatten die Kronflechter einen
vorstehenden Rand von einem Dorn wie
bei uns die Brombeeren angeflochten,
bei welchem sie die Krone anfaßten und
zerrten. Ich habe die Gegend gesehen,
wo die Buben die Dornen geholt haben.
— Sie gaben ihm ein dickes Schilfrohr
in die Hand mit einem Busch oben. Alles
das taten sie mit einer höhnenden Feierlichkeit,
als krönten sie ihn wirklich zum König.
Sie nahmen ihm das Rohr aus der Hand,
schlugen heftig auf die Krone damit,
das Blut füllte seine Augen; — sie knieten
vor ihm nieder, streckten die Zunge
vor ihm aus, schlugen und spien ihm
ins Angesicht und schrien: «Sei gegrüßt,
du König der Juden!» Sie warfen ihn
unter Hohngelächter mit dem Stuhl um
und stießen ihn wieder von neuem darauf.
Ich vermag
alle die niederträchtigen Erfindungen
dieser Buben, den armen Heiland zu verhöhnen,
nicht zu wiederholen. -- Ach!
er dürstete so entsetzlich, denn er
hatte ein Wundfieber
⃰
von
der Zerfleischung durch die unmenschliche
Geißelung, er zitterte, das Fleisch
in den Seiten war hie und da bis auf
die Rippen zerrissen, seine Zunge war
krampfhaft zusammengezogen, nur das
niederrinnende heilige Blut seines Hauptes
erbarmte sich seines glühenden Mundes,
der schmachtend geöffnet war. Die schrecklichen
Menschen aber nahmen seinen Mund als
ein Ziel ihres ekelhaften Auswurfes.
So wurde Jesus etwa eine halbe Stunde
mißhandelt, und die Kohorte, welche
das Prätorium in Reih und Glied umgeben
hatte, lachte und jauchzte dazu.
⃰
Diese
Betrachtung bewegte während dieser Nacht
die Begnadigte zu solchem Mitleiden,
dass sie mit ihrem Heilande zu dürsten
begehrte. Sie fiel hierauf in
ein heftiges Fieber, und erlitt einen
so brennenden Durst, dass sie am Morgen
nicht mehr zu sprechen vermochte, ihre
Zunge war blau, starr und trocken in
den Schlund zurückgezogen, ihre Lippen
dürr und gespannt. Der Schreiber
fand sie in diesem Zustande am Morgen
wie eine Verschmachtete, bleich und
ohnmächtig, sie schien dem Tode nah.
Nachdem man ihr mühsam etwas Wasser
eingeflösst hatte, vermochte sie nach
längerer Ruhe nur mit Anstrengung das
Obige mitzuteilen. Die Person,
welche bei ihr gewacht hatte, erklärte,
dass sie während der Nacht oft wimmernd
auf ihrem Lager umhergekrochen sei.
Ecce Homo
Sie führten
aber nun Jesus mit der Dornenkrone auf dem
Haupt und dem Rohrzepter in den gebundenen
Händen, mit dem Purpurmantel bedeckt, wieder
in den Palast des Pilatus. Jesus war unkenntlich
von Blut, das seine Augen füllte und in
seinen Mund und Bart niedergeronnen war.
Sein Leib war mit Schwielen und Wunden bedeckt
und glich einem in Blut getauchten Tuch.
Er ging gebückt und schwankend, der Mantel
war so kurz, daß er sich beugen mußte, um
seine Blöße zu bedecken, denn sie hatten
ihm alle Bekleidung bei der Krönung wieder
abgerissen.
Als der arme
Jesus unten an der Treppe vor Pilatus anlangte,
ergriff diesen grausamen Menschen selbst
ein Schauder von Mitleid und Ekel. Er lehnte
sich auf einen seiner Offiziere, und da
das Volk und die Priester noch immer lärmten
und höhnten, rief er aus: «Wenn der Judenteufel
so grausam ist, so kann man nicht bei ihm
in der Hölle wohnen.» Als nun Jesus mühselig
die Treppe hinaufgerissen worden war und
im Hintergrund stand, ging Pilatus hervor
auf die Terrasse, und es wurde auf einer
Posaune geblasen, um Aufmerksamkeit zu erregen,
weil Pilatus reden wollte. Er sprach aber
zu den Hohenpriestern und allen Anwesenden:
«Seht, ich lasse ihn nun nochmals heraus
zu euch führen, damit ihr erkennt, daß ich
keine Schuld an ihm finde!»
Jesus ward
nun von den Schergen auf die Terrasse neben
Pilatus hervorgeführt, so daß alles Volk
vom Forum aus ihn sehen konnte. — Es war
ein furchtbarer, herzzerreißender Anblick,
der anfangs Grauen und eine dumpfe Stille
erregte, als die entsetzliche Erscheinung
des Sohnes Gottes voll Blut unter der schrecklichen
Dornenkrone hervor die Blicke seiner blutigen
Augen auf die Wogen des Volkes wendete und
Pilatus, neben ihn tretend, auf ihn hindeutete
und zu den Juden herabrief: «Seht, hier
ist dieser Mensch!»
Während Jesus
in seinem roten Spottmantel mit zerfleischtem
Leibe, das mit Blut überronnene, von Dornen
durchbohrte Haupt niedersenkend, mit gebundenen
Händen, das Rohrzepter haltend, gebeugt,
um seine Blöße mit den Händen zu bedecken,
vor dem Palast des Pilatus in unendlicher
Trauer und Milde, von Schmerz und Liebe
zermalmt, wie ein blutiger Schatten dem
Wutgeschrei der Priester und des Volkes
ausgesetzt war, zogen Scharen von kürzer
bekleideten fremden Mägden und Männern über
das Forum nach dem Schafteich hinab, um
dort bei der Reinigung der Opferlämmer zu
helfen, deren rührendes Geblöke, als wollten
sie ein Zeugnis geben für die schweigende
Wahrheit, noch immer sich mit dem Blutgeschrei
des Volkes vermischte. Nur das wahre Osterlamm
Gottes, das eröffnete, unerkannte Geheimnis
dieses heiligen Tages, erfüllte die Prophezeiung
und beugte sich schweigend zur Schlachtbank.
Die Hohenpriester
und Gerichtsleute wurden ganz grimmig bei
dem Anblick Jesu, dem furchtbaren Spiegel
ihres Gewissens, und sie schrien: «Hinweg
mit ihm, kreuzige ihn!» Pilatus aber rief:
«Habt ihr nicht genug? Er ist so zugerichtet,
daß er kein König mehr wird sein wollen.»
Sie wurden aber wie rasend und schrien immer
heftiger, und alles Volk tobte durcheinander:
«Hinweg mit ihm, ans Kreuz mit ihm!» Da
ließ Pilatus wieder die Posaune blasen und
sprach: «So nehmt ihr ihn euch denn hin
und kreuzigt ihn, denn ich finde keine Schuld
an ihm.» Hier nun riefen einige von den
Hohenpriestern: «Wir haben ein Gesetz, und
nach diesem muß er sterben, denn er hat
sich selbst zu Gottes Sohn gemacht!» Und
Pilatus sagte: «Wenn ihr solche Gesetze
habt, daß dieser sterben muß, so mag ich
kein Jude sein.»
Das Wort
der Juden aber, er mache sich zu Gottes
Sohn, ängstigte Pilatus und regte in ihm
seine abergläubische Sorge wieder auf. Er
ließ darum Jesus an einen Ort allein führen
und sagte zu ihm: «Woher bist du?» Jesus
aber gab ihm keine Antwort; da sagte Pilatus:
«Antwortest du mir nicht? Weißt du nicht,
daß ich Macht habe, dich zu kreuzigen und
dich freizulassen?» Und Jesus antwortete:
«Du hättest keine Macht über mich, wenn
sie dir nicht von oben herab gegeben wäre;
deswegen begeht der, welcher mich dir überliefert
hat, eine noch schwerere Sünde.»
Da Claudia
Procle in großen Ängsten über die Zögerung
ihres Mannes war, sendete sie abermals zu
Pilatus und ließ ihn durch Vorzeigung seines
Pfandes an sein Versprechen erinnern, und
er ließ ihr eine wirre, abergläubische Antwort
zurückmelden, von der ich nur noch weiß,
daß er sich darin auf seine Götter bezog.
Da aber die Feinde Jesu, die Hohenpriester und
Pharisäer, die Verwendung der Frau des Pilatus
für Jesus erfuhren, verbreiteten sie unter dem
Volk: «Jesu Anhänger haben die Frau des Pilatus
bestochen, wird er frei, so vereint er sich
mit den Römern, und wir müssen alle umkommen.»
Pilatus war
bereits in seiner Unentschlossenheit wie ein
Trunkener, sein Urteil taumelte hin und wieder.
Nochmals redete er zu Jesu Feinden, daß er keine
Schuld an ihm finde, und da diese noch ungestümer
den Tod Jesu verlangten, so wollte Pilatus,
durch seine eigenen wirren Gedanken wie durch
seines Weibes Träume und Jesu bedeutungsvolle
Reden unentschieden gemacht, noch irgendeine
Antwort von dem Herrn erforschen, die ihn aus
diesem peinlichen Zustand reißen könnte. Er
kehrte also zu Jesus in die Gerichtsstube zurück
und war ganz allein mit ihm. Er blickte den
armen blutigen Jesus, den man ohne Entsetzen
nicht anschauen konnte, mit forschenden und
fast zaghaften Augen an und dachte zögernd:
«Sollte dieser doch wohl ein Gott sein können?»
Und dann brach er plötzlich mit einem Schwur
heraus, in welchem er Jesus beschwor, ihm zu
sagen: ob er ein Gott und kein Mensch, ob er
jener König sei? Wie weit sein Reich sich erstrecke,
welchen Rang seine Gottheit habe? Er solle es
sagen, so wolle er ihn loslassen. Ich vermag
das, was Jesus dem Pilatus antwortete, nur dem
Inhalt und nicht den Worten nach zu erzählen.
Der Herr sprach furchtbar ernste Worte zu ihm.
Er zeigte ihm wohl, welch ein König er sei und
welches Reich er zu regieren habe, er zeigte
ihm wohl, was die Wahrheit sei, denn er sagte
ihm die Wahrheit. Der Herr sagte dem Pilatus
den ganzen versteckten Greuel seines inneren
Zustandes ins Gesicht, er sagte ihm das Geschick,
das ihm bevorstehe, die Verweisung ins Elend
und ein abscheuliches Ende voraus und daß er
einstens kommen werde, zu richten über ihn ein
gerechtes Gericht.
Pilatus, halb
erschrocken, halb geärgert durch die Worte Jesu,
ging hinaus auf die Terrasse und rief nochmals,
er wolle Jesus freilassen; da schrien sie aber:
«Lässest du diesen los, so bist du kein Freund
des Kaisers, denn wer sich zum König aufwirft,
ist des Kaisers Feind!» Andere schrien, sie
wollten ihn beim Kaiser verklagen, daß er ihr
Fest störe, er solle fortfahren, denn um zehn
Uhr müßten sie bei großer Strafe in den Tempel.
Das Geschrei «Ans Kreuz mit ihm, hinweg mit
ihm!» tobte wieder von allen Seiten, ja, sie
waren auf die flachen Dächer am Forum gestiegen
und schrien herab.
Pilatus
sah nun, daß er bei diesen Rasenden nichts ausrichtete.
Das Getöse und Geschrei hatte etwas Fürchterliches
in sich, und die ganze Masse des Volkes vor
dem Palast war in so grimmiger Bewegung, daß
ein heftiger Aufstand zu befürchten war. Da
ließ Pilatus sich Wasser bringen, und der Diener
goß es ihm vor dem Volke aus der Schale über
die Hände, und Pilatus rief von der Terrasse
hinab: «Ich bin unschuldig an dem Blute dieses
Gerechten, ihr mögt es verantworten.» Da erhob
sich aber ein schauderhaftes einstimmiges Geschrei
des versammelten Volkes, worunter Leute aus
allen Orten Palästinas waren, sie schrien:
«Sein Blut komme auf
uns und unsre Kinder!»
Reflexion
über diese Betrachtungen
Sooft ich
bei Betrachtungen des bitteren Leidens Christi
diesen schauderhaften Schrei der Juden höre:
«Sein Blut komme auf uns und unsre Kinder!»
wird mir die Wirkung dieser feierlichen
Selbstverfluchung durch wunderbar entsetzliche
Bilder vorgestellt und fühlbar gemacht.
Ich sehe, als liege ein finsterer Himmel
voll blutroter Wolken, feuriger Straftaten
und Schwerter über dem rufenden Volk. Es
ist, als wenn ich die Strahlen dieses Fluches
durch all ihr Mark und Bein und bis auf
die Kinder im Mutterleibe treffen sähe.
Ich sehe nämlich das ganze Volk wie verfinstert
und den schrecklichen Schrei mit einem trüben
grimmen Feuer aus ihrem Munde stürzen, sich
über ihnen vereinigen und wieder auf sie
niederschießen, in einige tiefer eindringend,
über andern aber verweilend schweben. Diese
letzteren bedeuten dann solche, welche sich
nach Jesu Tod bekehrten. Die Anzahl dieser
aber war nicht unbedeutend, denn ich sehe
Jesus und Maria während aller dieser schrecklichen
Leiden immer für das Heil der Peiniger beten
und sich keinen Augenblick an all der furchtbaren
Mißhandlung ärgern. Das ganze Leiden des
Herrn sehe ich unter der boshaftesten, grausamsten
Peinigung, unter hoffärtigem und niederträchtigem
Hohn, unter Grimm und Wut und greulicher
Blutgier seiner Feinde und ihrer Knechte
und unter Undank und Verleugnung mancher
seiner Angehöriger als das bitterste Seelen-
und Körperleiden, von Jesus unter stetem
Gebet, steter Liebe zu seinen Feinden, stetem
Flehen um ihre Bekehrung bis zum letzten
Atemzug vollbracht; aber durch alle diese
Geduld und Liebe sehe ich die Wut und Raserei
seiner Feinde noch mehr sich entflammen;
sie ergrimmen, weil alle ihre Mißhandlung
nicht vermag, seinem klaglosen Munde irgendein
Widerwort zu entreißen, das ihre Bosheit
entschuldigen könnte. Heute am Pascha, da
sie das Osterlamm töten, wissen sie nicht,
daß sie ein Lamm töten.
Wenn ich
bei solchen Anschauungen meine Gedanken
auf die Gemüter des Volkes und der Richter
und auf die heiligen Seelen Jesu und Marias
richte, so wird mir oft alles, was mit ihnen
vorgeht, in Erscheinungen gezeigt, welche
die Leute damals nicht gesehen haben, deren
Inhalt sie aber alle fühlten. Ich sehe dann
eine unzählige Menge von Teufelsgestalten,
jede ganz nach dem Laster, die sie bedeutet,
geformt, in schrecklicher Tätigkeit unter
der Menge; ich sehe sie laufen, hetzen,
verwirren, in die Ohren flüstern, in den
Mund fahren, ich sehe sie aus der Volksmasse
einzeln in großer Zahl hervorstürzen, sich
vereinigen und die Menschen gegen Jesus
antreiben; dann wieder vor dessen Liebe
und Geduld erbeben und von neuem unter der
Menge verschwinden. Aber ich sehe in allem
ihrem Tun etwas Verzweifeltes, Verwirrtes,
sich selbst Zerstörendes, ein wirres, unsinniges
Hin- und Herzerren. Über und um Jesus und
bei Maria und allen den wenigen Heiligen
sehe ich auf ähnliche Weise viele Engel
in Tätigkeit. Ich sehe diese auch nach ihren
verschiedenen Aufgaben in mannigfaltiger
Form und Kleidung, und so erscheinen auch
ihre Handlungen bald als Trost, als Gebet,
als Salbung, Speisung, Tränkung, Bedeckung
oder als andere Werke der Barmherzigkeit.
Gleicherweise
sehe ich dann oft Stimmen des Trostes oder
der Drohung wie verschiedene leuchtende
und farbige Worte aus dem Munde solcher
Erscheinungen ausstrahlen; oder es sind
Botschaften, diese in Form von Zetteln in
ihren Händen. Auch sehe ich oft, so ich
es wissen soll, Seelenbewegung und innere
Leidenschaften, Leiden und Lieben, alles,
was Empfindung ist, in verschieden gefärbten
Licht- und Nachtbewegungen die Brust und
den ganzen Leib der Menschen in mannigfaltigen
Formen, Richtungen und Verwandlungen von
Farbe und Gestalt, von Langsamkeit und Schnelligkeit
durchziehen und durchzucken und verstehe
dann das alles. Aber es ist unmöglich, das
wieder zu sagen, denn es ist ganz unendlich
viel, und ich bin dabei so voll Schmerz,
Leid und Betrübnis über meine und aller
Welt Sünden und so zerrissen vom bitteren
Leiden Jesu, daß ich gar nicht weiß, wie
ich das wenige, was ich erzähle, noch zusammenbringe.
Viele Dinge, besonders Erscheinungen und
Tätigkeiten von Teufeln und Engeln, welche
von andern Seelen, die das Leiden Christi
schauend betrachtet haben, in die Erzählung
eingeflochten werden, sind einzelne Stücke
solcher inneren, damals unsichtbaren geistigen
Wirkungsbilder, welche nach der Seelenrichtung
der Schauenden bald so, bald anders behalten
und mit der Erzählung verbunden werden.
Daher oft Widersprüche, weil sie Verschiedenes
vergessen, Verschiedenes übergehen, Verschiedenes
anmerken. Da alle Bosheit an Christus gepeinigt,
alle Liebe in ihm gelitten hat, da er die
Sünden der Welt als das Lamm Gottes auf
sich genommen: wer kann da nicht unendliche
Dinge des Greuels und der Heiligkeit erkennen
und erzählen? Wenn daher die Gesichte und
Betrachtungen vieler frommer Leute nicht
ganz übereinstimmen, so rührt dies daher,
daß sie nicht aus gleicher Gnade schauten,
erzählten und verstanden wurden.
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Alle solche
Äusserungen über die Formen ihres Sehens
hat die Kranke dem Schreiber nicht nur während
dieser Betrachtungen öfters einzeln gemacht,
sondern auch früher ganz ähnlich. Sie erklärte
auch zugleich, daß sie das meiste dieser
Art nicht mitteilte, weil die Gesichte dadurch
undeutlich werden. Es leuchtet aber dadurch
sehr wohl ein, wie schwer es ihr bei der
Masse der Erscheinungen sein mußte, den
Faden des Herganges ganz sicher in der Erinnerung
zu bewahren. Wer sollte daher der in so
heftiger Affektion des Mitleidens Erkrankten
nicht gerne verzeihen, wenn im Verlauf ihrer
Mitteilungen vielleicht irgend kleine Lücken
oder Zeitverwechslungen stattfinden möchten.
Jesus zum
Kreuzestod verurteilt
Pilatus,
der nicht die Wahrheit, sondern einen Ausweg
suchte, war nun schwankender als je. Sein
Gewissen sagte: Jesus ist unschuldig; sein
Weib sagte: Jesus ist heilig; sein Aberglaube
sagte: er ist ein Feind deiner Götter; seine
Feigheit sagte: er ist selbst ein Gott und
wird sich rächen. Da fragte er Jesus nochmals
bang und feierlich, und Jesus sagte ihm
seine geheimsten Verbrechen, sein künftiges
elendes Schicksal und Ende, und daß er an
jenem Tage, auf den Wolken des Himmels sitzend,
ein gerechtes Gericht über ihn richten werde;
da kam ihm ein neues Gewicht gegen die Loslassung
Jesu in die falsche Waage seiner Gerechtigkeit.
Er ärgerte sich, daß er vor Jesus, den er
nicht ergründen konnte, in der ganzen Blöße
seiner inneren Schmach dastand und daß er,
den er hatte geißeln, den er konnte kreuzigen
lassen, ihm ein elendes Ende voraussagte,
ja, daß der Mund, der keiner Lüge je beschuldigt
worden, der Mund, der kein Wort zu seiner
Rechtfertigung gesprochen, in so äußerster
Not ihn vor sein gerechtes Gericht an jenem
Tage beschied. Alles das machte seine Hoffart
ergrimmen; aber wie keine Empfindung in
diesem elenden, schwankenden Menschen allein
herrschend war, so faßte ihn zugleich die
Angst vor der Drohung des Herrn, und er
machte den letzten Versuch, Jesus freizusprechen.
Auf die Drohung der Juden aber, ihn bei
dem Kaiser zu verklagen, wenn er Jesus freispreche,
ergriff ihn eine andere Feigheit. Die Furcht
vor dem irdischen Kaiser überwog seine Furcht
vor dem König, dessen Reich nicht von dieser
Welt war. Der feige, schwankende Bösewicht
dachte: «Stirbt er, so stirbt, was er von
mir weiß und was er mir geweissagt, mit
ihm.» Auf die Drohung mit dem Kaiser tat
Pilatus ihren Willen, gegen sein Wort, das
er seiner Frau gegeben, gegen Recht und
Gerechtigkeit und seine eigene Überzeugung.
Aus Furcht vor dem Kaiser gab er den Juden
das Blut Jesu preis, für sein Gewissen aber
hatte er nichts als Wasser, das ließ er
sich über die Hände gießen, wobei er ausrief:
«Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten,
da seht ihr zu!» — Nein, Pilatus, da sieh
du zu! denn du nennst ihn gerecht und vergießest
sein Blut, du bist der ungerechte, gewissenlose
Richter; — und dasselbe Blut, das er von
seinen Händen abwaschen wollte und von seiner
Seele nicht abwaschen konnte, riefen die
blutgierigen Juden fluchend auf sich und
ihre Kinder. Das Blut Jesu, das für uns
um Barmherzigkeit schreit, fordern sie auf,
gegen sie um Rache zu schreien. Sie riefen:
«Sein Blut komme auf uns und unsre Kinder!»
Unter diesem
entsetzlichen Geschrei befahl Pilatus, alles
zum Urteilsspruch zu rüsten. Er ließ sich
andere feierliche Kleider bringen und anlegen,
es ward ihm eine Art Krone aufgesetzt, woran
ein Edelstein oder sonst etwas Blinkendes
war, es ward ihm ein anderer Mantel angelegt,
auch ein Stab vor ihm getragen. Es zogen
viele Soldaten um ihn her und gingen Gerichtsdiener
vor ihm, die etwas trugen, und folgten Schreiber
mit Rollen und Brettchen. Voraus ging einer,
der auf der Posaune blies. So zog er aus
seinem Palast auf das Forum hinaus, wo dem
Geißelplatz gegenüber ein schön gemauerter
hoher Sitz zum Urteilssprechen war; nur
von diesem Sitz aus hatten die Urteile ihre
volle Kraft. Es hieß dieser Richtersitz
Gabbatha und war eine runde Terrasse, auf
welche von mehreren Seiten Stufen führten,
oben darauf war ein Sitz für Pilatus und
hinter ihm eine Bank für andere Gerichtspersonen.
Viele Soldaten umgaben diese Terrasse und
standen teils auf den Stufen. Manche von
den Pharisäern waren schon von dem Palast
aus zu dem Tempel gegangen. Nur Annas und
Kaiphas und etwa 28 andere zogen gleich
zu dem Tribunal hin auf das Forum, als Pilatus
die Amtskleider anlegte. Die beiden Schächer
waren schon vor den Gerichtsort geführt
worden, als das Ecce Homo vorüber war. Der
Sitz des Pilatus wurde mit einer roten Decke
belegt, und es lag ein blaues Kissen darauf
mit gelben Borten.
Es wurde aber
nun Jesus, noch immer in seinem roten Spottmantel
mit der Krone auf dem Haupt und gebundenen Händen,
von den Schergen und umgebenden Soldaten durch
das höhnende Volk vor das Tribunal geführt und
zwischen die beiden Mörder gestellt. Als Pilatus
auf seinem Richterstuhl saß, sagte er nochmals
laut zu den Feinden Jesu: «Seht da euren König!»
Sie schrien aber: «Weg, weg mit diesem! kreuzige
ihn!» Und Pilatus sagte: «Soll ich euern König
kreuzigen?» Es riefen aber die Hohenpriester:
«Wir haben keinen König als den Kaiser!» Da
sprach Pilatus ferner kein Wort für oder mit
Jesus und begann das Verdammungsgericht. Die
beiden Schächer waren schon früher zum Kreuz
verurteilt, und ihre Hinrichtung war auf das
Ansuchen der Hohenpriester auf heute verschoben
worden, denn sie gedachten Jesus zu beschimpfen,
indem er mit gemeinen Mördern gekreuzigt würde.
Die Kreuze der Schächer lagen bereits neben
ihnen. Gehilfen der Kreuziger hatten sie herbeigeschleppt.
Das Kreuz unseres Herrn war noch nicht da, wahrscheinlich
weil sein Todesurteil noch nicht gesprochen
war.
Die heilige
Jungfrau, welche sich nach der öffentlichen
Ausstellung Jesu durch Pilatus und dem Blutgeschrei
der Juden hinwegbegeben hatte, drängte sich,
von mehreren Frauen umgeben, wieder durch
die Menge des Volkes zu dem Todesurteil
ihres Sohnes und Gottes hinzu. Jesus stand,
von den Schergen umgeben und mit Grimm und
Hohnlachen von seinen Feinden angeblickt,
unten an den Stufen vor Pilatus. Es wurde
durch eine Posaune Stille geboten, und Pilatus
sprach mit einem feigen Grimm das Todesurteil
über den Heiland aus.
Ich fühlte
mich ganz erdrückt von seiner Niederträchtigkeit
und Zweizüngigkeit; der Anblick des aufgeblasenen
Schurken, der Triumph und Blutdurst der
abgehetzten und nun befriedigten Hohenpriester,
das Elend und der tiefe Schmerz des armen
Heilands, die unaussprechliche Angst und
Pein der Mutter Jesu und der heiligen Frauen,
das gierige grimmige Lauern der Juden, das
kalte stolze Wesen der Soldaten umher, und
mein Schauen aller gräßlichen Teufelsgestalten
unter der Menge des Volkes hatten mich ganz
vernichtet. Ach! ich fühlte, daß ich da
hätte stehen sollen, wo Jesus, mein liebster
Bräutigam, stand, dann wäre das Urteil gerecht
gewesen. Ich war so leidend und zerrissen,
daß ich den Hergang nicht mehr genau weiß.
Was ich mich erinnere, will ich ungefähr
sagen.
Pilatus hielt
erst ein Geschwätz, worin er Claudius Tiberius
mit hohen Namen den Kaiser nannte, und dann
sprach er die Anklage gegen Jesus aus, der
als Aufwiegler, Ruhestörer und Verletzer
des jüdischen Gesetzes, indem er sich einen
Sohn Gottes und einen König der Juden nennen
lasse, von den Hohenpriestern zum Tode verurteilt
und vom Volk einstimmig zur Kreuzigung begehrt
worden sei. Als er aber noch gar hinzusetzte,
daß er dieses Urteil richtig gefunden, er,
der seit mehreren Stunden die Unschuld Jesu
ausgesprochen, da verging mir Hören und
Sehen über den infamen zweizüngigen Menschen.
Er sprach auch: «So verurteile ich den Jesus
Nazarenus, König der Juden, an das Kreuz
genagelt zu werden», und dann befahl er
den Schergen, das Kreuz zu holen. Ich erinnere
mich auch, jedoch nicht mit Bestimmtheit,
als habe er einen langen Stab, in welchem
inwendig wenig Mark war, dabei zerbrochen
und Jesus vor die Füße geworfen.
Die Mutter
Jesu sank bei diesen Worten bewußtlos zusammen,
als wolle sie sterben. Nun war es gewiß,
nun war der furchtbare, schmerzhafte, schmähliche
Tod ihres heiligsten, geliebtesten Sohnesund
Erlösers gewiß. Johannes und ihre Begleiterinnen
aber brachten sie hinweg, auf daß die blinden
Menschen sich nicht schmähend an den Schmerzen
der Mutter ihres Heilandes versündigen möchten.
Aber Maria konnte nicht ruhen, die Leidenswege
Jesu zu wandeln, ihre Gefährten mußten sie
abermals von Stelle zu Stelle geleiten;
denn der Eifer eines geheimnisvollen Gottesdienstes
des Mitleidens trieb sie überall, wo der
von ihr geborene Erlöser für die Sünden
seiner Brüder, der Menschen, gelitten hatte,
das Opfer ihrer Tränen auszugießen; und
so nahm die Mutter des Herrn alle geheiligten
Stellen der Erde durch die Vorweihe ihrer
Tränen für die künftige Verehrung der Kirche,
unser aller Mutter, in Besitz, wie Jakob
den Stein zum Gedächtnis aufrichtete und
mit Öl salbend weihte, bei welchem ihm die
Verheißung geschehen war.
Es wurde
nun auf dem Richtersitz auch das Urteil
noch von Pilatus geschrieben und von andern,
die hinter ihm standen, mehr als dreimal
abgeschrieben. Es wurden auch Boten abgesendet,
denn einzelnes mußte von andern unterschrieben
werden, ich weiß nicht, ob das zum Urteil
gehörte oder ob es andere Befehle waren.
Jedoch wurden auch von diesen Schreiben
einige an entfernte Orte gesendet. Ein Urteil
über Jesus aber schrieb Pilatus, das seine
Doppelzüngigkeit ganz bewies, denn es lautete
ganz anders als das mündlich ausgesprochene,
und ich sah, als schreibe er es wider seinen
Willen in peinlicher Gemütsverwirrung und
als führe ihm dabei ein zürnender Engel
die Hand. Dieses Schreiben, dessen ich mich
nur im allgemeinen erinnere, enthielt ungefähr
folgendes:
«Notgedrungen
von den Hohenpriestern und dem Synedrium
und einem drohenden Aufstand des Volkes,
welche Jesus von Nazaret der Aufwiegelung,
Gotteslästerung, Gesetzverletzung usw. beschuldigten
und zum Tode begehrten, Beschuldigungen,
welche ich nicht eigentlich einsah, habe
ich, um nicht vor dem Kaiser als ein unwilliger
Richter der Juden und Beförderer des Aufstandes
verklagt zu werden, denselben als einen
Verbrecher gegen ihr Gesetz mit Gewalt zum
Tode begehrten Jesus zur Kreuzigung übergeben
mit zwei andern verurteilten Verbrechern,
deren Hinrichtung auf ihr Treiben verschoben
worden war, weil sie Jesus mit ihnen wollten
gerichtet haben.»
Hier schrieb
der elende Mensch nun wieder ganz anders.
Er schrieb nachher auch noch die Überschrift
des Kreuzes in drei Zeilen mit Firnis auf
ein dunkelbraunes Brettchen. Das entschuldigende
Urteil wurde mehrfach abgeschrieben und
an verschiedene Orte gesendet. Die Hohenpriester
zankten sich aber am Tribunal noch mit ihm
herum, jenes Urteil war ihnen gar nicht
recht, besonders, daß er geschrieben, sie
hätten das Aufschieben der Kreuzigung der
Schächer begehrt, um Jesus mit ihnen zu
richten; und dann stritten sie über den
Titel Jesu und wollten, es solle nicht «König
der Juden», sondern «der sich für einen
König der Juden ausgab» darauf stehen. Pilatus
aber war ganz ungeduldig und höhnisch gegen
sie und schrie zürnend: «Was ich geschrieben,
habe ich geschrieben.» Sie wollten auch,
das Kreuz Christi solle nicht höher über
dem Haupt sein als das der beiden Schächer;
es muß aber höher werden, denn es war wegen
Mißlingen der Arbeit über dem Haupt zu kurz
geworden, um den von Pilatus geschriebenen
Titel darauf zu setzen. Sie schoben diesen
Mangel an Raum und das Protestieren gegen
Erhöhung vor, um den ihnen schimpflichen
Titel abzuwenden. Pilatus aber gab nicht
nach, und sie mußten den Kreuzesstamm durch
ein eingezapftes Stück erhöhen lassen, woran
der Titel geheftet werden konnte. So nun
erhielt das Kreuz durch allerlei Ereignisse
jene bedeutungsvolle Gestalt, die ich öfter
gesehen habe. Ich sah nämlich immer das
Kreuz so, daß die beiden Arme wie die Äste
eines Baumes aus dem Stamm aufwärts liefen,
und es wäre gleich einem Y, wenn man dessen
untere Linie bis zu gleicher Höhe zwischen
den Armen verlängerte. Die beiden Arme waren
dünner als der Stamm, in welchem diese Arme,
jeder einzelne, eingezapft wurden, und diese
Einzapfungen wurden an jeder Seite durch
einen darunter eingeschlagenen Keil verstärkt.
Weil aber der mittlere Stamm über dem Haupt
durch Misslingen zu kurz geworden war, um
die Überschrift des Pilatus sichtbar zu
tragen, mußte noch ein Stück auf diesen
Stamm aufgesetzt werden. An der Stelle der
Füße wurde ein Klötzchen, um darauf zu stehen,
befestigt.
Während nun
Pilatus das ungerechte Urteil sprach, sah
ich, daß Claudia Procle, seine Frau, ihm
sein Pfand zurücksendete und sich von ihm
lossagte; ich sah auch, daß sie noch am
heutigen Abend heimlich aus seinem Palast
zu den Freunden Jesu fliehen und in einem
Gewölbe unter Lazarus’ Haus in Jerusalem
versteckt werden wird. Ich sah auch in Bezug
auf den schändlichen Urteilsspruch des Pilatus
und auf die Trennung seines Weibes von ihm
durch irgendeinen Freund Christi auf einen
grünen Stein hinten an der Terrasse Gabbatha
zwei Zeilen einkratzen, worin ich mich der
Worte judex injustus und des Namens Claudia
Procle erinnere. Jedoch weiß ich nicht mehr,
ob dieses heute oder einige Zeit nachher
geschehen, und entsinne mich nur, daß ein
dichter Trupp Männer an dieser Stelle des
Forums standen und miteinander sprachen,
während jener Mann, von ihnen gedeckt, ohne
bemerkt zu werden, diese Zeilen einkratzte,
und ich sah, daß dieser Stein unkenntlich
noch jetzt unten an einem Haus oder Kirchenfundament
in Jerusalem befindlich ist, wo Gabbatha
war. Claudia Procle suchte als Christin
später Paulus auf und war dessen besondere
Freundin.
Als das Todesurteil
gesprochen war und das Schreiben und Gezänke
mit den Hohenpriestern anfing, war Jesus
den Schergen preisgegeben; vorher war noch
einige Achtung vor dem Gericht, jetzt war
er die Beute dieser schrecklichen Menschen.
Man brachte seine Kleider heran, wie sie
ihm bei der Verspottung vor Kaiphas waren
ausgezogen worden; man hatte sie aufbewahrt,
und ich meine, sie waren von mitleidigen
Menschen gewaschen worden, denn sie waren
rein. Es war auch, glaube ich, Gewohnheit
bei den Römern, die Hinzurichtenden so auszuführen.
Nun ward Jesus abermals von den schändlichen
Buben entblößt, und sie banden ihm die Hände
los, damit sie ihn bekleiden konnten. Sie
rissen ihm den roten wollenen Spottmantel
von dem verwundeten Leib und rissen ihm
manche Wunde damit auf. Er legte sich zitternd
selbst die Unterleibshülle um die Lenden,
und dann warfen sie ihm sein wollenes Skapulier
um den Hals; weil sie ihm aber den braunen
ungenähten Rock, den seine Mutter ihm gewirkt
hatte, nicht über die breite Dornenkrone
anlegen konnten, rissen sie ihm dieselbe
vom Haupt, und alle Wunden ergossen neues
Blut mit unsäglichen Schmerzen. Als sie
ihm nun den gewirkten Rock über den verwundeten
Leib geworfen, legten sie ihm noch sein
weites weißes, wollenes Gewand, seinen breiten
Gürtel und zuletzt seinen Mantel um. Hierauf
banden sie ihm den Fesselgürtel, an dessen
auslaufenden Stricken sie ihn führten, wieder
um die Mitte des Leibes. All dies geschah
mit schauderhafter Roheit, unter Stoßen
und Schlagen.
Die beiden Schächer
standen ihm rechts und links zur Seite mit gebundenen
Händen; sie hatten wie Jesus, vor dem Gericht
stehend, eine Kette um den Hals hängen. Sie
hatten nur eine Unterleibshülle und ein Skapulierwams
von schlechtem Zeug, oben offen, ohne Ärmel
an und auf dem Kopf von Stroh gedrehte Kappen
mit einem Wulst, beinahe wie Kinderfallhüte
geformt. Sie waren schmutzig-bräunlich mit Schwielen
von der früheren Geißelung bedeckt. Der, welcher
sich nachher bekehrte, war jetzt schon still
und in sich gekehrt, der andere aber war grimmig
und frech, fluchte und höhnte mit den Schergen
auf Jesus, der sie beide mit Liebe und Sehnsucht
nach ihrem Heil anblickte und alle seine Leiden
auch für sie mittrug. — Die Schergen aber waren
beschäftigt, alle ihre Werkzeuge zusammenzutragen,
und es rüstete sich alles zum traurigsten grausamsten
Zuge, auf welchem der liebende schmerzvolle
Erlöser die Sündenlast von uns Undankbaren hintragen
wollte, um sein heiligstes Blut für dieselben
aus dem von den verworfensten Menschen durchbohrten
Kelche seines Leibes aussühnend zu vergießen.
Endlich waren
Annas und Kaiphas unter Zank und Grimm mit Pilatus
fertig geworden. Sie erhielten ein paar lange
schmale Zettel oder Pergamentrollen mit Abschriften
und eilten nun zum Tempel. Sie hatten Not, zur
rechten Zeit hin zu kommen.
Hier schieden
die Hohenpriester vom wahren Osterlamm; sie
eilten zum Tempel von Stein, um das Sinnbild
zu schlachten und zu essen, und ließen die Erfüllung,
das wahre Lamm Gottes, von schändlichen Henkern
zum Altar des Kreuzes führen. Hier schieden
sich die Wege zum verhüllten und zum erfüllten
Opfer; sie überließen das reine sühnende Osterlamm
Gottes, das sie äußerlich mit dem ganzen Greuel
ihrer Verruchtheit verunglimpft und zu verunreinigen
gestrebt hatten, unreinen und grausamen Henkern
und eilten zum steinernen Tempel, die gereinigten,
gewaschenen, gesegneten Lämmer zu opfern. Sie
hatten sich scheu gehütet, äußerlich verunreinigt
zu werden, während der ganze Greuel ihres Innern,
in Grimm, Neid und Hohn überkochend, sie besudelt
hatte. «Sein Blut komme auf uns und unsere Kinder!»
Mit diesen Worten hatten sie die Zeremonie erfüllt,
die Hand des Opfernden auf das Haupt des Schlachtopfers
zu legen. Es schieden sich hier die Wege zum
Altar des Gesetzes und zum Altar der Gnade,
Pilatus aber, der stolze, schwankende, vor Gott
zitternde und götzendienende, mit der Welt buhlende
Heide, ein Sklave des Todes, in der Zeit herrschend
bis zum schmählichen Ziel des ewigen Todes,
zog mit seinen Gehilfen, von einer Wache umgeben,
zwischen den beiden Wegen hindurch zu seinem
Palast, unter Vortritt des Posaunenbläsers.
Das ungerechte Gericht war gerichtet um zehn
Uhr unserer Zeit am Morgen.
Jesus trägt
sein Kreuz nach Golgota
Als Pilatus
den Gerichtssitz verlassen hatte, folgte
ihm ein Teil der Soldaten und stellte sich
vor dem Palast zum Zuge auf. Eine kleine
Schar blieb bei den Verurteilten. 28 bewaffnete
Pharisäer, worunter die sechs grimmigen
Feinde Jesu, die bei der Gefangennahme am
Ölberge gewesen, kamen gegen das Forum geritten,
um den Zug zu geleiten. Die Schergen führten
Jesus auf die Mitte des Forums, und es traten
mehrere Sklaven durch das Tor von der Abendseite
herein, das Kreuzholz tragend, und warfen
es ihm vor die Füße prasselnd auf die Erde
nieder. Die beiden dünneren einzuzapfenden
Arme waren auf den breiten, schweren Stamm
mit Stricken aufgebunden, die Keile, das
Fußklötzchen und das nachgefertigte Aufsetzstück
trugen nebst anderem Gerät verschiedene
Henkersjungen.
Als das Kreuz
vor Jesus auf dem Boden lag, warf er sich
dabei auf die Knie nieder, umfaßte es mit
den Armen und küßte es dreimal, indem er
leise ein rührendes Dankgebet zu seinem
himmlischen Vater für die beginnende Erlösung
der Menschen sprach. Wie die Priester unter
den Heiden einen neugegründeten Altar umarmen,
so umarmte der Herr sein Kreuz, den ewigen
Altar des genugtuenden blutigen Opfers.
Die Schergen aber rissen Jesus in aufrechtkniende
Stellung, und er mußte den schweren Balken
mühsam mit weniger und grausamer Hilfe auf
seine rechte Schulter nehmen und mit dem
rechten Arm umfassen. Ich sah ihm unsichtbare
Engel helfen, sonst hätte er es nicht aufzuladen
vermocht, er kniete unter der Last gebeugt.
Während Jesus betete, legten andere Kreuziger
den beiden Schächern die von den Stämmen
getrennten Querhölzer ihrer Kreuze quer
über den Nacken und knebelten ihnen die
emporgehobenen Hände daran fest. Diese Querhölzer
waren nicht ganz gerade, sondern etwas gebogen,
und wurden bei der Kreuzigung an das obere
Ende der Kreuzstämme befestigt, welche Stämme
ihnen jetzt mit dem andern Gerät von Sklaven
nachgetragen wurden. Es ertönte aber die
Posaune von Pilatus Reiterei, und einer
von den berittenen Pharisäern nahte Jesus,
der noch mit seiner Last kniete, und sagte:
«Es ist aus mit den schönen Reden, macht,
daß wir ihn loswerden, vorwärts! vorwärts!»
Da rissen sie ihn in die Höhe, da kam die
ganze Kreuzlast auf seine Schultern, die
wir ihm nachtragen müssen nach seinen heiligen,
ewig wahren Worten. Da setzte sich der auf
Erden so schmähliche, im Himmel so selige
Triumphzug des Königs der Könige in Bewegung.
Sie hatten
aber zwei Stricke an das hintere Ende des
Kreuzstammes gebunden, und zwei der Schergen
hoben daran empor, daß es in der Schwebe
blieb und nicht schleifte. Weit um Jesus
gingen vier Schergen, welche vier Stricke
hielten, die an dem neuen Fesselgürtel befestigt
waren, den sie ihm um die Mitte des Leibes
gelegt hatten. Sein Mantel war ihm zusammengefaßt
um den Oberleib gebunden. Jesus erinnerte
mich lebhaft mit den zusammengebundenen
Kreuzhölzern auf der Schulter an Isaak,
der das Holz zu seinem eigenen Opfer auf
den Berg trug. — Die Posaune von Pilatus
zeigte nun an, daß der Zug voran solle,
weil er sich selbst mit einer Schar in Bewegung
setzen wollte, um in der Stadt irgendeinem
Aufstand vorzubeugen. Er war aber gerüstet
und saß zu Pferd, von seinen Offizieren
und einer Schar Reiter umgeben, und es folgte
hierauf eine Abteilung von etwa dreihundert
Soldaten zu Fuß, alle von der Grenze zwischen
Italien und der Schweiz.
Vor dem Kreuzigungszug
ging ein Posaunenbläser, der an allen Straßenecken
in seine Posaune stieß und die Hinrichtung
ausrief. Einige Schritte hinter ihm zog
eine Schar von Buben und anderem Gesindel,
sie trugen Getränk, Stricke, Nägel, Keile
und Körbe mit allerlei Werkzeugen; stärkere
Knechte trugen Stangen, Leitern und die
Kreuzstämme der Schächer. Die Leitern bestanden
nur aus einer Stange, durch welche Zapfen
gesteckt waren. Hierauf folgten einige der
berittenen Pharisäer und dann ein junger
Bursche, dieser trug die Kreuzüberschrift
des Pilatus vor der Brust und hatte die
Dornenkrone Christi, welche bei der Kreuztragung
auf dem Haupt anfangs unmöglich schien,
an einer Stange auf der Schulter. Dieser
Bube war nicht sehr bös.
Nun folgte
unser Herr und Erlöser unter der schweren
Last des Kreuzholzes gebeugt und schwankend,
zergeißelt, zerschlagen, ermüdet; seit dem
gestrigen letzten Abendmahl ohne Speise
und Trank und Schlaf, in steter tödlicher
Mißhandlung, von Blutverlust, Wunden, Fieber,
Durst und unnennbarem innern Leid und Entsetzen
erschöpft, ging er schwankend und niedergedrückt
auf bloßen, verwundeten Füßen. Die Rechte
umfaßte die schwere Last auf der rechten
Schulter, die Linke suchte oft mühsam das
weite hindernde Gewand vor den unsicheren
Tritten zu heben. Vier Schergen hielten
die von seinem Fesselgürtel auslaufenden
Stricke weit von ihm. Die zwei vorderen
zerrten ihn vorwärts, und die beiden folgenden
trieben ihn an; so hatte er keinen sicheren
Tritt, und die zerrenden Stricke hinderten
ihn immer, sein Gewand zu heben. Seine Hände
waren von dem heftigen früheren Schnüren
verwundet und geschwollen. Sein Angesicht
war mit Blut und Geschwulst bedeckt, seine
Haare und sein Bart waren zerrauft und mit
Blut verklebt, die Last und die Fesseln
drückten ihm die schwere wollene Kleidung
in den verwundeten Leib, und die Wolle klebte
fest an den neu aufbrechenden wunden Stellen;
um ihn waren lauter Hohn und Bosheit, er
war unaussprechlich elend, martervoll und
liebend, sein Mund war betend, sein Blick
flehend, vergebend und leidend. — Die zwei
Schergen hinter ihm, welche das Kreuzstammende
mit dem daran befestigten Strick emporhielten,
vermehrten die Mühseligkeit Jesu, indem
sie die Last durch ihr Heben und Sinkenlassen
der Stricke öfters verschoben.
Es gingen
mehrere Soldaten mit Lanzen zur Seite des
Zuges. Nun folgten die beiden Schächer;
zwei Büttel führten jeden an Gürtelstricken.
Sie hatten die gekrümmten, von den Stämmen
abgelösten Querhölzer ihrer Kreuze auf dem
Nacken, und ihre Arme waren ausgespannt
an die Enden derselben gebunden, sie hatten
nur Schurzbinden um, und ihr Oberleib war
mit einem offenen Überwurf ohne Ärmel bedeckt,
auf dem Kopf trugen sie von Stroh gedrehte
Kappen. Sie waren etwas berauscht von einem
Getränk, das man ihnen gegeben. Der gute
Schächer war jedoch sehr still, der böse
aber war frech, grimmig und fluchend. Die
Schergen waren braunes, kleines, aber stämmiges
Gesindel mit kurzen, schwarzen, krausen,
struppigen Haaren, sie hatten nur wenig
Bart, hie und da ein Büschchen. Sie hatten
keine jüdische Gesichtsbildung und waren
Kanalarbeiter von einem ägyptischen Sklavenstamm,
sie trugen nur kurze Schurzröcke und lederne
Brustüberwürfe ohne Ärmel. Sie waren ganz
bestialisch. Hinter den Schächern schloß
die eine Hälfte der reitenden Pharisäer
den Zug. Diese Reiter ritten einzeln während
des ganzen Zuges längs desselben her und
hin, anzutreiben und Ordnung zu halten.
Unter dem Gesindel, welches Geräte tragend
vorauszog, befanden sich auch einige niederträchtige
Judenbuben, die sich freiwillig zugedrängt
hatten.
Nach einem
bedeutenden Zwischenraum folgte der Zug
des Pilatus; voraus ritt ein Posaunenbläser
zu Pferd, dann ritt Pilatus in seinem Kriegsrock
zwischen seinen Offizieren vor einer Schar
Reiter, und nun folgten dreihundert Soldaten
zu Fuß. Pilatus’ Zug ging über das Forum,
dann aber in eine breite Straße.
Der Zug mit
Jesus wurde durch eine ganz enge Straße
zwischen Hinterhäusern geführt, um dem Volk
Raum zu lassen, das sich zum Tempel begab,
und auch um dem Zuge des Pilatus nicht hinderlich
zu sein.
Die größte
Menge des Volkes hatte sich schon gleich
nach der Verurteilung in Bewegung gesetzt.
Die meisten Juden begaben sich in ihre Wohnungen
oder zum Tempel, sie hatten am Morgen schon
viel Zeit versäumt und eilten, ihre Zubereitungen
zum Schlachten des Osterlammes fortzusetzen;
doch war die Menge von allerlei gemischten
Menschen, Fremden, Sklaven, Arbeitern, Knaben,
Frauen und Pöbel noch sehr groß, und sie
stürzten nach allen Straßen durch Umwege
voraus, um hie und da den traurigen Zug
nochmals zu sehen. Die folgende Schar von
römischen Soldaten verhinderte aber das
unmittelbare Nachdringen, und sie mußten
immer wieder von der Seite durch Umwege
vorlaufen. Die meisten strömten hinaus nach
Golgota.
Die enge
Straße, durch welche Jesus zuerst geführt
wurde, ist kaum ein paar Schritte breit,
sie zieht sich zwischen Hinterhäusern hin,
wo viel Unreinigkeit ist. Jesus mußte hier
vieles erleiden, die Büttel gingen näher
bei ihm, aus Fenstern und Mauerlöchern höhnte
ihn allerlei Gesindel, und Sklaven, welche
dort ihr Geschäft hatten, warfen ihn mit
Kot und Küchenabfall, boshafte Schurken
gossen schwarze, stinkende Jauche auf ihn,
ja selbst Kinder sammelten, angestiftet,
Steine in den Schoß ihrer Röckchen und schütteten
sie ihm, aus den Häusern durch den Zug laufend,
vor die Füße in den Weg unter Schimpfen
und Lästern. So taten die Kinder ihm, der
die Kinder geliebt, gesegnet und seliggepriesen.
Erster Fall Jesu
unter denn Kreuz
Die enge Straße
wendet sich gegen ihr Ende wieder zur Linken,
wird breiter und etwas aufsteigend. Es kommt
dort eine unterirdische Wasserleitung vom Berge
Sion her; ich meine, sie fließt längs des Forums,
wo auch in der Tiefe übermauerte Rinnen laufen,
nach dem Schafteich am Schaftor zu. Ich hörte
das Glucken und Rieseln des Wassers in den Röhren.
Hier vor dem Aufsteigen der Straße ist eine
tiefere Stelle, wo bei Regen sich oft Wasser
und Kot sammelt, und es liegt da, wie öfters
in den Straßen von Jerusalem, die an manchen
Stellen sehr roh sind, ein erhöhter Stein zum
Überschreiten. Der arme Jesus, als er mit seiner
schweren Last hierher kam, vermochte nicht weiterzugehen.
Die Schergen zerrten und trieben ihn unbarmherzig,
da stürzte der göttliche Kreuzträger an dem
vorragenden Stein in ganzer Länge zur Erde hin,
und die Kreuzbürde fiel neben ihm nieder. Die
Treiber fluchten, zerrten und stießen ihn mit
Füßen, es entstand eine Stockung in dem Zuge
und ein Getümmel um ihn. Vergebens reichte er
die Hand, daß ihm einer aufhelfe. «Ach! es ist
ja bald vorüber», sprach er und betete, die
Pharisäer schrien:
«Auf? Treibt
ihn auf? Er stirbt uns sonst unter den Händen.»
Hie und da an den Seiten des Weges sah man weinende
Weiber mit Kindern, die aus Angst wimmerten.
Durch übernatürliche Hilfe richtete Jesus sein
Haupt wieder empor, und die schrecklichen, teuflischen
Buben setzten ihm hier, statt ihn zu erleichtern,
die Dornenkrone wieder auf. Als sie ihn aber
mit Mißhandlungen wieder aufgerissen hatten,
legten sie ihm das Kreuz wieder auf die Schulter,
und er mußte nun sein elendes, mit Dornen gepeinigtes
Haupt mit schrecklicher Not ganz nach der einen
Seite hängen, um die schwere Last neben der
breiten Krone auf der Schulter zu tragen. So
wankte er mit neuer, vermehrter Qual die breitere,
aufsteigende Straße hinan.
Der kreuztragende
Jesus und seine Mutter
Zweiter Fall
Jesu unter dem Kreuz
Die von Schmerz
ganz zerrissene Mutter Jesu hatte vor etwa
einer Stunde, da das ungerechte Urteil über
ihr Kind gesprochen war, das Forum mit Johannes
und einigen Frauen verlassen. Sie hatten
viele heilige Stellen seines Leidens wieder
betreten, und als das Laufen des Volkes,
das Blasen der Posaunen und der Zug des
Pilatus und der Soldaten den Antritt des
bitteren Kreuzwegs verkündeten, konnte Maria
nicht mehr ausharren, sie mußte ihren göttlichen
Sohn in seinem Leiden sehen und bat Johannes,
sie an eine Stelle zu bringen, wo Jesus
vorüberkomme.
Sie waren
von der Gegend von Sion hergekommen. Sie
gingen an einer Seite über die Gerichtsstelle,
die Jesus verlassen hatte, dann durch Tore
und Alleen, wo es sonst nicht offen war,
aber jetzt, da alles Volk hin und herströmte.
Dann kamen sie durch die abendliche Seite
eines Palastes, der sich mit einem Tor nach
der breiten Straße öffnet, in welche der
Zug bei dem ersten Fall Jesu sich hineinwendete.
Ich weiß nicht mehr ganz bestimmt, ist es
ein Flügel von den Wohnungen des Pilatus,
mit dessen Gebäuden es durch Höfe und Alleen
zusammenzuhängen scheint, oder ist es, wie
es mir heute erinnerlich ist, das eigentliche
Wohnhaus des Hohenpriesters Kaiphas, denn
das auf Sion ist nur das Amtshaus. — Johannes
erwirkte von einem mitleidigen Diener oder
Pförtner die Erlaubnis, mit Maria und ihrer
Begleitung hindurch nach der anderen Seitegehen
zu dürfen, und er öffnete ihnen das jenseitige
Tor. — Es war einer der Neffen Josephs von
Arimathia bei ihnen, und Susanna, Johanna
Chusa und Salome von Jerusalem folgten der
heiligen Jungfrau.
Als ich die
arme Mutter Gottes, bleich, mit rotgeweinten
Augen, zitternd und bebend, von oben bis
unten in eine bläulich graue Hülle eingewunden,
mit den anderen durch dieses Haus hineingehen
sah, war es mir ganz zerreißend und schauerlich
zumute. Man hörte das Getöse und Geschrei
des nahenden Zuges über die Häuser hinweg
und den Schall der Posaune und das Ausrufen
an den Ecken, daß einer zur Kreuzigung geführt
werde. — Der Diener öffnete das Tor, da
ward das Getöse deutlicher und schrecklicher.
Maria betete und sagte zu Johannes: «Soll
ich es sehen, soll ich hinwegeilen? O wie
werde ich es ertragen können!» Johannes
sagte: «So du nicht bliebest, würde es dich
nachher immer bitter schmerzen.» — Da traten
sie hinaus unter das Tor, und sie blieb
und schaute rechts den Weg hinab, der hier
etwas aufstieg und bei dem Standort Marias
wieder eben ward.
Ach, wie
schnitt der Ton der Posaune durch ihr Herz!
Der Zug nahte heran, er war etwa noch achtzig
Schritte entfernt, als sie hinaustraten.
Es zog hier kein Volk voraus, aber an den
Seiten und hinterher einige Scharen. Vieles
Gesindel, das den Gerichtsort zuletzt verlassen
hatte, lief durch Nebenstraßen zerstreut
voraus, andere Stellen zum Zuschauen einzunehmen.
Als die Haufen
der Henkersdiener mit allem Martergeräte
frech triumphierend nahten, zitterte und
jammerte die Mutter Jesu und rang die Hände,
und einer der Buben fragte nebenherziehendes
Volk: «Was ist das für ein Weib, das so
kläglich tut?» Da antwortete einer: «Es
ist die Mutter des Galiläers!» Als die Schurken
dies hörten, höhnten sie die jammernde Mutter
mit Spottreden, zeigten mit Fingern auf
sie, und einer der niedrigen Buben faßte
die Kreuzesnägel in die Faust und hielt
sie höhnend der heiligen Jungfrau vor das
Angesicht. Sie aber sah händeringend nach
Jesus hin und lehnte sich, vom Schmerz zermalmt,
gegen den Pfeiler des Tores. Sie war bleich
wie eine Leiche, und ihre Lippen waren blau.
Die Pharisäer ritten vorüber, da kam der
Knabe mit der Inschrift, und ach! ein paar
Schritte hinter ihm, Gottes Sohn, ihr Sohn,
der Heilige, der Erlöser, — da ging schwankend
und gebückt ihr lieber Sohn Jesus, das Haupt
mit der Dornenkrone schmerzlich von der
schweren Kreuzeslast auf seine Schulter
abwendend. Die Schergen rissen ihn an den
Stricken vorwärts. Sein Angesicht war bleich
und blutig und zerschlagen, sein Bart von
Blut spitz zusammenklebend. Er blickte mit
seinen blutigen tiefliegenden Augen so ernst
und mitleidig unter dem schrecklichen verwirrten
Dorngeflecht seiner Krone hervor gegen seine
peinvolle Mutter und sank strauchelnd zum
zweiten Mal unter der Last des Kreuzes auf
die Knie und Hände nieder zur Erde. — Die
Mutter in der Heftigkeit ihres Schmerzes
und ihrer Liebe sah keine Soldaten, keine
Henker, sie sah nur ihren geliebten, elenden,
mißhandelten Sohn; händeringend stürzte
sie die paar Schritte vom Tor des Hauses
zwischen die auftreibenden Schergen zu Jesus
hin und sank, ihn umarmend, zu ihm in die
Knie. Ich hörte, ich weiß nicht, ob mit
ihren Lippen gesprochen oder in ihrem Geiste,
die Worte: «Mein Sohn!» —«Meine Mutter!»
Aber es ward
ein Getümmel, Johannes und die Frauen wollten
Maria zurückziehen, die Schergen schimpften
und höhnten, einer sagte: «Weib! was willst
du hier? Hättest du ihn besser erzogen,
so wäre er nicht in unseren Händen.» In
mehreren Soldaten fühlte ich einige Rührung.
Sie trieben aber die heilige Jungfrau zurück,
kein Scherge berührte sie. Johannes und
die Frauen führten sie, und sie sank an
einem Eckstein des Tores, welcher die Mauer
stützte, vor Schmerz wie tot in die Knie.
Sie drehte dem Zug den Rücken zu, und ihre
Hände berührten den schräg auflaufenden
Stein, gegen den sie hinsank, mehr oben
als unten. Es war ein grüngeaderter Stein;
wo ihre Knie ihn berührt, blieben flache
Gruben, wo ihre Hände angelehnt, flachere
Male. Es waren stumpfe Eindrücke gleich
jenen, die ein Schlag auf einen Teig verursacht.
Es war ein sehr harter Stein. Ich sah, daß
er unter dem Bischof Jakobus dem Jüngeren
in die erste katholische Kirche, die Kirche
am Teich Bethesda, gekommen ist. — Ich habe
es schon gesagt und sage es nochmals, daß
ich solche Eindrücke in Stein wie hier mehrmals
bei großen ernsten Ereignissen durch heilige
Berührung entstehen gesehen habe. Es ist
dies so wahr wie das Wort: «Ein Stein muß
sich darüber erbarmen», so wahr wie das
Wort: «Dieses macht Eindruck!» Die ewige
Weisheit hat in ihrer Barmherzigkeit nie
der Buchdruckerkunst bedurft, um der Nachwelt
ein Zeugnis von Heiligen zu überliefern.
Die beiden Junger
aber brachten die Mutter Jesu, da die zur Seite
des Zuges mit Lanzen gehenden Soldaten vorwärtstrieben,
wieder in das Tor hinein, welches dann geschlossen
wurde.
Unsern Herrn
hatten die Schergen unterdessen wieder aufgerissen
und das Kreuz auf eine andere Art auf seine
Schulter gelegt. Die oben aufgebundenen Kreuzarme
waren locker geworden und einer derselben neben
dem Kreuz in den Strickschlingen heruntergesunken;
diesen umfaßte jetzt Jesus mit dem Arm, und
so hing nun der Kreuzstamm hinten etwas mehr
zur Erde.
Ich sah hie und
da zwischen dem Gesindel, das den Zug mit Hohn
begleitete, weinende verschleierte Frauengestalten
wanken.
Simon von Cyrene
Dritter Fall
Jesu unter denn Kreuz
Der Zug ging
in der breiten Straße weiter durch das Bogentor
einer alten inneren Mauer der Stadt. Vor diesem
Tor ist ein größerer Platz, es laufen da drei
Straßen zusammen. Da mußte Jesus wieder über
einen großen Stein und wankte und sank, und
das Kreuz fiel neben ihm nieder, und er fiel,
sich auf den Stein stützend, ganz elend zur
Erde, vermochte auch nicht mehr sich aufzurichten.
Es kamen da Scharen von wohlgekleideten Leuten
hergegangen, sie zogen zum Tempel, und sie schrien
mitleidig: «O weh! der arme Mensch stirbt!»
Es ward ein Getümmel, sie konnten Jesus nicht
mehr aufbringen, und die den Zug führenden Pharisäer
sagten zu den Soldaten: «Wir bringen ihn nicht
lebendig hin, ihr müßt einen suchen, der ihm
das Kreuz tragen hilft.» Es kam aber gerade
die mittelste Straße herab Simon von Cyrene,
ein heidnischer Mann, seine drei Söhnlein gingen
mit ihm; er trug einen Bund Reiser unter dem
Arm und war ein Gärtner, der in den Gärten,
die gegen die östliche Stadtmauer liegen, gearbeitet
hatte. Er kam jährlich gegen das Fest mit Frau
und Kindern nach Jerusalem wie viele ähnliche
Arbeitsleute, die Hecken zu beschneiden. Er
konnte nicht ausweichen, es war ein Gedränge,
und da sie ihn an seiner Kleidung als einen
Heiden und geringen Arbeitsmann erkannten, packten
ihn die Soldaten an und schleppten ihn herbei,
er solle dem Galiläer das Kreuz tragen helfen.
Er wehrte sich und zeigte großen Widerwillen,
aber sie zwangen ihn mit Gewalt. Seine Knaben
schrien und weinten, und einige Frauen, welche
den Mann kannten, nahmen sie zu sich. Simon
empfand einen großen Ekel und Widerwillen. Der
arme Jesus sah so schrecklich elend und entstellt
aus, und seine Kleider waren von Kot befleckt.
Aber er weinte und blickte Simon so erbarmungswürdig
an. Simon mußte ihm aufhelfen, und nun banden
die Schergen den einen Kreuzarm weiter zurück
und mit einer Strickschlinge dem Simon auf die
Schulter; er ging dicht hinter Jesus, der nun
nicht mehr so schwer zu tragen hatte. Sie rückten
Jesus auch die Dornkrone wieder anders. So kam
endlich der traurige Zug wieder in Gang.
Simon war ein
rüstiger Mann von 40 Jahren, er ging mit unbedecktem
Haupt, hatte ein kurzes anliegendes Oberkleid
an, seine Lenden waren mit Lappen umwunden,
an den Sohlen, die mit Riemen um die Beine befestigt
waren, hatte er spitze Schnäbel. Seine Söhne
trugen buntgestreifte Röcke. Zwei waren schon
erwachsener, sie hießen Rufus und Alexander
und kamen später unter die Jünger. Der dritte
war noch kleiner, und ich habe ihn bei Stephanus
noch als einen Knaben gesehen. Simon trug das
Kreuz nicht lange hinter Jesus, als er eine
tiefe Rührung empfand.
Veronika
mit dem Schweißtuch
Die Straße,
worauf der Zug jetzt ging, ist eine lange,
sich etwas links krümmende Straße. Es laufen
mehrere Seitenstraßen hinein, und von allen
Seiten zogen wohlgekleidete Leute zu dem
Tempel, die sich teils zurückzogen aus pharisäischer
Angst, verunreinigt zu werden, teils einiges
Mitleid bewiesen. Beinahe zweihundert Schritte
hatte Simon dem Herrn geholfen, die Kreuzeslast
zu tragen, als aus einem zur Linken der
Straße liegenden schönen Haus, zu dessen
Vorhof mit breiter Mauer und blinkendem
Gitter eine Terrasse mit Treppen führt,
eine große, ansehnliche Frau mit einem Mägdlein
an der Hand dem Zuge entgegenstürzt. Es
war Seraphia, das Weib Sirachs, eines Mitgliedes
aus dem Tempelrat, welche durch ihre heutige
Handlung den Namen Veronika, von vera icon
(das wahre Bild), erhalten.
Seraphia
hatte zu Hause einen köstlichen gewürzten
Wein bereitet mit der frommen Begierde,
den Herrn auf seinem bitteren Leidensweg
damit zu erquicken. Sie war in schmerzlicher
Erwartung dem Zuge schon einmal entgegengeeilt,
ich sah sie verschleiert mit einem jungen
Mägdlein, das sie an Kindes Statt angenommen,
an der Hand neben dem Zuge schon hereilen,
als Jesus seiner heiligen Mutter begegnete.
Sie fand in dem Getümmel aber keine Gelegenheit,
und so eilte sie dann nach ihrem Hause zu,
den Herrn zu erwarten.
Sie trat
verschleiert in die Straße, ein Tuch hing
über ihrer Schulter, das Mägdlein, etwa
neun Jahre alt, stand neben ihr und hatte
die mit Wein gefüllte Kanne unter einem
Überhang verborgen, als der Zug sich näherte.
Die Vorausziehenden versuchten vergebens,
sie zurückzuweisen. Sie war von Liebe und
Mitleid außer sich, sie drang mit dem Kind,
das ihr Gewand faßte, durch das zur Seite
laufende Gesindel, durch die Soldaten und
Schergen hindurch, trat Jesus in den Weg,
fiel auf die Knie und hob das Tuch, an einer
Seite ausgebreitet, zu ihm auf mit den flehenden
Worten: «Würdige mich, meines Herrn Antlitz
zu trocknen!» Jesus ergriff das Tuch mit
der Linken und drückte es mit der flachen
Hand gegen sein blutiges Angesicht und dann,
die Linke mit dem Tuche gegen die Rechte
bewegend, welche über den Kreuzarm herüberfaßte,
drückte er das Tuch zwischen beiden Händen
zusammen und reichte es ihr dankend zurück.
Sie aber küßte es und schob es unter den
Mantel auf ihr Herz und stand auf; da hob
das Mägdlein das Weingefäß schüchtern empor,
aber das Schimpfen der Schergen und Soldaten
gestatteten es nicht, daß sie Jesus erquickte.
Nur die rasche Kühnheit ihrer Handlung hatte
durch den Zudrang des Volkes um das plötzliche
Ereignis eine Stockung von kaum zwei Minuten
in den Zug gebracht, wodurch die Darreichung
des Schweißtuches möglich ward. Die reitenden
Pharisäer aber und Schergen ergrimmten über
diesen Aufenthalt und noch mehr über die
öffentliche Verehrung des Herrn und begannen
Jesus zu schlagen und zu zerren, und Veronika
floh mit dem Kind in ihr Haus.
Kaum hatte
sie ihr Gemach betreten, als sie das Schweißtuch
vor sich auf den Tisch legte und ohnmächtig
niedersank, das Mägdlein kniete jammernd
mit dem Weinkrug bei ihr. So fand sie ein
Hausfreund, der zu ihr eintrat, und sah
sie bei dem ausgebreiteten Tuch, auf dem
das blutige Angesicht Jesu schrecklich,
aber wunderbar deutlich abgedrückt war,
wie tot liegen. Er war ganz entsetzt, weckte
sie und zeigte ihr das Angesicht des Herrn.
Sie war voll Wehklage und Trost und kniete
vor dem Tuch und rief aus: « Nun will ich
alles verlassen, der Herr hat mir ein Andenken
gegeben.»
Dieses Tuch
war eine etwa dreimal so lange wie breite
Bahn feiner Wolle, sie trugen es gewöhnlich
um den Nacken hängend, manchmal ein zweites
über der Schulter nieder; es war eine Sitte,
Trauernden, Weinenden, Mühseligen, Kranken,
Ermüdeten damit entgegenzutreten und ihnen
das Angesicht damit zu trocknen; es war
ein Zeichen der Trauer und des Mitleids.
Man beschenkte sich auch in den heißen Ländern
damit. Es hat dieses Tuch nachher immer
zu Häupten ihres Lagers gehangen. Es ist
nach ihrem Tode durch die heiligen Frauen
an die Mutter Gottes und durch die Apostel
an die Kirche gekommen.
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Seraphia
war eine Base des Täufers Johannes, denn
ihr Vater war der Sohn von dem Bruder des
Vaters Zacharias’. Sie war von Jerusalem.
— Da Maria als vierjähriges Mägdlein zu
den Tempeljungfrauen gebracht wurde, sah
ich Joachim und Anna und andere Begleiter
in das väterliche Haus Zacharias’, nicht
weit vom Fischmarkt, gehen. Es wohnte ein
uralter Verwandter Zacharias’ darin. Dieser
mag wohl sein Oheim und Seraphias Großvater
gewesen sein. Ich sah sie damals schon bedeutend
älter als Maria, sie mag um fünf Jahre älter
gewesen sein. Auch bei Marias Vermählung
mit Joseph sah ich sie älter als die heilige
Jungfrau. Sie war auch mit dem alten Simeon,
der bei Jesu Opferung im Tempel geweissagt,
verwandt und von Jugend auf eine Freundin
von dessen Söhnen. Diese hatten schon früh
von ihrem Vater her eine Sehnsucht nach
dem Messias, welche auch Seraphia teilte.
Es blieb diese Erwartung des Heils lange
wie ein heimliches Lieben unter manchen
guten Menschen damals, die andern ahnten
solches nicht in der Zeit. Als der zwölfjährige
Jesus in Jerusalem zurückblieb, im Tempel
zu lehren, sah ich Seraphia älter als die
Mutter Jesu und dennoch unverheiratet. Sie
sendete Jesus Speise nach einer kleinen
Herberge von Jerusalem, wo er einkehrte,
wenn er nicht im Tempel war. Es war dies
dieselbe Herberge, eine Viertelstunde von
Jerusalem gen Betlehem zu, wo Maria, nach
Christi Geburt von Betlehem zum Tempel gehend,
Jesus zu opfern, einen Tag und zwei Nächte
bei zwei alten Leuten mit Joseph verweilte.
Diese Leute waren Essener Leute, die Frau
war mit Johanna Chusa verwandt. Sie kannten
die heilige Familie mit Jesus. Diese Herberge
war eine Stiftung für Arme; Jesus und die
Jünger hatten oft ihre Zuflucht dort, und
ich sah in seiner letzten Zeit, da er in
dem Tempel lehrte, öfters von Seraphia Speise
dahinsenden. Es waren aber damals andere
Hausleute daselbst. — Seraphia heiratete
spät, ihr Mann Sirach, ein Nachkomme der
keuschen Susanna, war in dem Tempelrat.
Da er anfangs Jesus sehr abgeneigt war,
hatte Seraphia wegen ihres innigen Zusammenhanges
mit Jesus und den heiligen Frauen vieles
von ihm zu leiden. Ja, er hat sie sogar
mehreremal längere Zeit in einem Gewölbe
eingesperrt. Durch Joseph von Arimathia
und Nikodemus bekehrt, ward er milder gesinnt
und ließ es seiner Frau zu, Jesus zu folgen.
In dem Gericht über Jesus bei Kaiphas gestern
nacht und heute morgen erklärte er sich
mit Nikodemus, Joseph von Arimathia und
allen Wohlgesinnten für unseren Herrn und
schied mit diesen von dem Synedrium aus.
Seraphia ist noch eine schöne, stattliche
Frau, aber sie muß doch über fünfzig Jahre
alt sein. — Bei dem triumphierenden Einzug
Jesu in Jerusalem, den wir am Palmsonntag
feiern, sah ich sie mit einem Kind auf dem
Arm unter andern Frauen ihren Schleier vom
Haupt nehmen und ihn in freudiger Verehrung
am Wege hinbreiten. Es war dasselbe Tuch,
das sie jetzt in einem traurigen, aber siegreicheren
Triumphzug dem Herrn entgegenbrachte, die
Spuren seines Leidens damit zu sänftigen,
derselbe Schleier, der seiner mitleidigen
Besitzerin den neuen, triumphierenden Namen
Veronika
⃰
gab
und jetzt in der öffentlichen Verehrung
der Kirche ist.
⃰
Da die Begnadigte hier so manches ihrer Erkenntnis
von Veronika oder Seraphia mitteilt, fügen wir
noch Einiges hinzu, was sie, angeregt durch
die Berührung einiger Reliquien, aus ihren Betrachtungen
am 2. August 1821 in Bezug auf diese Heilige
erzählte:
„Ich sah ein Bild, das ich mich nicht erinnere,
jemals früher gesehen zu haben. Jm dritten Jahre
nach Christi Himmelfahrt sendete der römische
Kaiser einen seiner Leute nach Jerusalem, Zeugnisse
über alle Gerüchte von Jesu Tod und Auferstehung
zu sammeln. Dieser Mann brachte den Nicodemus,
die Seraphia und einen Verwandten der Johanna
Chusa, den Jünger Epaphras mit nach Rom. Dieser
letzte war ein ganz einfältiger Diener der Jünger,
der früher ein Diener und Bote der Priester
am Tempel gewesen. Er hatte Jesus gleich nach
der Auferstehung in den ersten Tagen bei den
Aposteln im Cönaculum und sonst noch oft gesehen.
— Jch sah Veronica bei dem Kaiser, er war krank,
sein Lager war auf ein paar Stufen erhöht, es
hing ein großer Vorhang nieder, die Stube war
viereckig, nicht sehr groß, ich sah keine Fenster,
aber von der Decke des Zimmers kam Licht herab,
und es hingen Schnüre nieder, durch welche man
Klappen öffnen und schließen konnte. Der Kaiser
war allein, seine Leute waren in der Vorstube.
Ich sah, daß Veronica außer dem Schweißtuche
noch ein anderes Tuch von den Grabtüchern Jesu
bei sich hatte, und daß sie das Schweißtuch
vor dem Kaiser ausbreitete. Es war eine lange
schmale Zeugbahn, welche sie ehedem als Schleier
um Kopf und Hals getragen, der Abdruck von Jesu
Angesicht befand sich an dem einen Ende, und
da sie es dem Kaiser vorhielt, faßte sie die
längere Seite des Tuches, welche niederhing,
mit der einen Hand zusammen. Das Angesicht Jesu
war nicht wie ein reines Gemälde, sondern mit
Blut darin abgedrückt, es war auch breiter als
ein Gemälde, denn es hatte um das Angesicht
herum gelegen.
Auf dem anderen
Tuche, da« Veronica bei sich hatte, sah ich
den Abdruck des zergeißelten Leibes Jesu, ich
glaube, daß es eines der Tücher war, worauf
er vor der Grablegung gewaschen worden ist.
Ich sah nicht, daß der Kaiser mit diesen Tüchern
berührt ward, oder sie anrührte. Er ist aber
durch ihren Anblick gesund geworden. Er wollte
Veronica in Rom behalten, und ihr zum Lohne
ein Haus und Güter und gute Dienstleute geben,
aber sie verlangte nichts, als wieder nach Jerusalem
zurückzukehren und zu sterben, wo Jesus gestorben.
Ich sah auch, daß sie mit ihren Gefährten dahin
zurückkehrte, und daß sie in der Verfolgung
der Christen in Jerusalem, als Lazarus mit seinen
Schwestern in's Elend vertrieben war, mit einigen
andern Frauen entfloh, aber eingeholt in einen
Kerker gesperrt ward, in welchem sie als eine
Märtyrin der Wahrheit, für Jesus, den sie so
oft mit irdischem Brote, und der sie mit seinem
Fleische und Blute zum ewigen Leben gespeist
hatte, den Hungertod starb. Ich erinnere mich
im Allgemeinen, einmal früher gesehen zu haben,
wie das Schweißtuch der Veronika nach ihrem
Tode bei den heiligen Frauen blieb, wie der
Jünger Thaddäus es mit nach Edessa nahm, und
dort und anderwärts viele Wunder damit tat,
wie es auch in Konstantinopel war, und durch
die Apostel an die Kirche gekommen ist; einmal
meinte ich, als sei es in Turin, wo das Grabtuch
Christi ist, aber ich habe damals die Geschichte
aller jener heiligen Tücher gesehen, und sie
haben sich mir in der Erinnerung vermengt. Auch
heute habe ich noch Vieles von Seraphia oder
Veronica gesehen, was ich aber nicht erzähle,
weil es mir nicht mehr ganz deutlich ist."
Die weinenden
Töchter Jerusalems
Vierter und fünfter Fall unter dem Kreuz
Der Zug hatte
noch eine gute Strecke bis zum Tor, der
Weg ist etwas abhängig gegen dasselbe. Das
Tor ist fest und lang. Man geht zuerst durch
einen gewölbten Bogen, dann über eine Brücke,
dann wieder durch einen Bogen. Das Tor steht
in die Richtung von 4 Uhr zwischen Mittag
und Abend. Beim Austritt läuft die Stadtmauer
eine Strecke, ungefähr so weit wie von meiner
Wohnung bis zur Stadtkirche, was einige
Minuten betragen mag, mittagwärts, wendet
sich sodann eine gute Strecke gegen Abend
und nimmt dann wieder die mittägliche Richtung
um den Berg Sion herum. Rechts vom Tor läuft
die Mauer mitternachtwärts bis zum Ecktor
und wendet sich dann längs der Nordseite
Jerusalems morgenwärts.
Als der Zug
dem Tor nahte, trieben die Schergen heftiger.
Dicht vor dem Tor war in dem unebenen und
ausgefahrenen Weg eine große Lache; die
grausamen Schergen zerrten Jesus vorwärts,
man ging gedrängter, Simon von Cyrene suchte
bequemer seitwärts zu treten, dadurch verschob
sich die Richtung der Kreuzlast, und der
arme Jesus, zum viertenmal unter dem Kreuz
fallend, stürzte hart in die kotige Lache
nieder, so daß Simon das Kreuz kaum halten
konnte. Jesus jammerte mit hoher gebrochener
und doch lauter Stimme: «Wehe, wehe, Jerusalem,
wie habe ich dich geliebt, wie eine Henne,
die ihre Küchlein unter ihren Flügeln versammelt,
und du stößt mich so grausam zu deinem Tor
hinaus!» Der Herr war gar kläglich und betrübt,
die Pharisäer aber wendeten sich zu ihm
und schimpften: «Der Ruhestörer hat noch
nicht genug, er führt noch lose Reden» u.
dgl. Sie schlugen und stießen Jesus und
schleiften ihn aufrichtend aus dem Loch.
Da ward Simon von Cyrene ganz erbittert
über die Grausamkeit der Schergen und rief:
«Wenn ihr eurer Büberei kein Ende macht,
so werfe ich das Kreuz nieder, und wenn
ihr mich auch töten wollt.»
Gleich vor dem
Tor wendet sich aus der Landstraße rechts ein
rauher, nicht breiter Weg einige Minuten mitternachtwärts,
zum Kalvarienberg hinauf. Die Landstraße selbst
teilt sich in einiger Entfernung in drei Richtungen,
links zwischen Abend und Mittag durch das Tal
Gihon nach Betlehem zu, abendwärts gegen Emmaus
und Joppe und rechts zwischen Abend und Mitternacht
um den Kalvarienberg herum gegen das Ecktor,
welches nach Bethsur führt. Man kann hier von
dem Tor, durch welches Jesus ausgeführt wird,
zwischen Mittag und Abend zur Linken blickend,
das Betlehemstor sehen. Diese beiden Tore liegen
unter den Toren Jerusalems am nächsten zusammen.
Mitten in der
Landstraße vor dem Tor, wo der Weg zum Kalvarienberge
abläuft, stand an einem Pfahl eine Tafel aufgerichtet,
worauf das Todesurteil unseres Heilands und
der beiden Schächer mit erhabenen weißen, wie
aufgeklebten Buchstaben geschrieben war. Unfern
hiervon, an dem Winkel des ablaufenden Weges,
stand eine Schar von vielen weinenden und wehklagenden
Frauen. Es waren teils Jungfrauen und arme Weiber
mit Kindern aus Jerusalem, die dem Zuge vorausgelaufen
waren, teils von Betlehem, Hebron und anderen
umliegenden Orten, welche zum Fest gezogen kamen
und sich an diese Frauen hier angeschlossen
hatten.
Jesus sank hier
zwar nicht ganz zu Boden, jedoch wie ohnmächtig
zusammen, so daß Simon hinter dem gebeugten
Herrn das Kreuz zur Erde senkte, ihm nahte und
ihn unterstützte. Der Herr lehnte sich an Simon.
Dies ist der fünfte Fall des kreuztragenden
Jesus. Die Weiber und Jungfrauen erhoben aber
bei seinem furchtbaren elenden Anblick ein großes
Wehblagen und Jammergeschrei und streckten Jesus,
nach jüdischer Weise des Mitleids, Tücher entgegen,
er möge sich den Schweiß abtrocknen. Da wendete
sich Jesus zu ihnen und sagte: «Ihr Töchter
von Jerusalem» — das heißt auch, ihr Leute aus
den Tochterstädten von Jerusalem —, «weinet
nicht über mich, weinet über euch selbst und
eure Kinder, denn siehe, es wird eine Zeit kommen,
in der man sagen wird: selig die Unfruchtbaren
und die Leiber, die nicht geboren haben, und
die Brüste, die nicht gesäugt haben! Dann werden
sie zu sagen beginnen zu den Bergen: fallet
über uns, und ihr Hügel bedeckt uns, denn wenn
man das am grünen Holz tut, was wird man am
dürren Holze tun?» Er sprach auch noch andere
schöne Reden zu ihnen, die ich vergessen habe,
es war darunter: Ihr Weinen solle ihnen belohnt
werden, sie sollten von nun an andere Wege gehen,
usw.
Es währte eine
Pause, denn der Zug harrte eine Weile, das vortretende
Gesindel mit dem Martergerät zog auf den Kalvarienberg,
und es folgten 100 Mann römische Soldaten von
der Schar des Pilatus, der den Zug in kleiner
Entfernung bis hierher begleitet hatte und sich
vom Tor aus wieder zur Stadt zurück wendete.
Jesus auf
dem Berge Golgota
Sechster und siebter Fall und Einkerkerung Jesu
Der Zug setzte
sich wieder in Bewegung. Jesus ward mit
dem Kreuz den rauhen beschwerlichen Weg
zwischen der Stadtmauer und dem Kalvarienberg
in mitternächtlicher Richtung unter Schlägen
und Reißen an den Stricken hinaufgetrieben;
dann wendet der Schlangenpfad sich wieder
in der Höhe mittagwärts. Da fiel der arme
Jesus zum sechsten Mal einen schweren verwundenden
Fall unterm Kreuz. Nun aber schlugen und
trieben sie heftiger als je, bis Jesus oben
auf dem Gerichtsfelsen anlangte und mit
dem Kreuz auf die Erde niederstürzte zum
siebten Male.
Simon von
Cyrene, selbst mißhandelt und ermüdet, war
ganz von Zorn und Mitleid zerrissen. Er
wollte dem armen Jesus wieder aufhelfen,
aber die Schergen trieben ihn mit Stößen
und Schimpfen den Berg wieder hinab. Er
ist bald darauf zu den Jüngern gekommen.
Auch alle die überflüssigen Buben und Handlanger,
die mitgezogen waren, wurden zurückgetrieben.
Die berittenen Pharisäer waren an der Abendseite
des Kalvarienberges auf bequemen Serpentinenpfaden
hinaufgeritten. Man konnte hier oben eben
über die Stadtmauer sehen.
Die obere
Fläche, der Richtplatz, ist kreisförmig
und wohl so groß, daß man ihn etwa auf dem
Kirchhof hier vor der Pfarrkirche abzeichnen
könnte. Er ist wie eine ziemliche Reitbahn
groß und mit einem niederen Erdwall umgeben,
welchen fünf Wege durchschneiden. Solche
fünf Wege sind schier bei allen Anlagen
hier im Lande, bei Badeplätzen, Taufplätzen
und dem Teich Bethesda, auch sind an vielen
Städten fünf Tore. Diese Anordnung findet
sich bei allen Anlagen aus alter Zeit und
auch bei neueren, die aus guter Gesinnung
etwa noch gemacht werden. Es ist, wie bei
allem im Heiligen Land, hiermit eine tiefe
prophetische Vorbedeutung verbunden, welche
heute durch die Eröffnung der fünf Wege
allen Heiles in den heiligen fünf Wunden
Jesu erfüllt wird.
Die reitenden
Pharisäer hielten an der Abendseite vor dem
Kreis, wo der Berg sanft abhängig ist; an der
Seite gegen die Stadt, wo die Hinzurichtenden
hinaufgeführt werden, ist er wüst und steil.
Es waren etwa 100 römische Soldaten von der
Schweizer Grenze, welche teils am Berg hier
und da, teils um den Kreiswall des Richtplatzes
aufgestellt waren. Einige standen bei den beiden
Schächern, die man des Raumes halber nicht ganz
heraufgeführt, sondern mit den an die Querhölzer
gebundenen Armen etwas unterhalb des Richtplatzes,
wo der Weg sich wieder gen Mittag wendet, an
den Abhang auf den Rücken gelegt hatte. Sehr
viel Volk, meistens gemeine Leute, Fremde, Knechte,
Sklaven, Heiden und viele Frauen, solche Leute,
die sich nicht vor Verunreinigung zu hüten hatten,
standen teils um den Kreis, teils mehrten sie
sich immer mehr auf den umliegenden Höhen durch
Leute, die zur Stadt zogen. Gegen Abend, am
Berge Gihon, stand ein ganzes Lager von Ostergästen,
und viele schauten aus der Ferne und drangen
abwechselnd näher.
Es war etwa viertel
vor 12 Uhr, als Jesus, mit dem Kreuz in den
Richtkreis geschleppt, niederstürzte und Simon
fortgetrieben wurde. Sie zerrten Jesus an den
Stricken in die Höhe, schnürten die Kreuzhölzer
auseinander, und legten sie aufs Geratewohl
zusammen. Ach! wie elend, traurig, zerrissen,
blutig, bleich, ein schreckliches Bild, stand
der arme Jesus auf der Marterstelle. Da rissen
sie ihn nieder unter Hohnreden, etwa wie: «Wir
müssen dir deinen Thron anmessen, du König!»
Aber er legte sich selbst willig auf das Kreuz,
und hätte er es in seinem Elend schneller vermocht,
sie hätten ihn nicht niederzureißen brauchen.
Da streckten sie ihn auf dem Kreuz aus und machten
sich die Zeichen seiner Länge an Händen und
Füßen, und die Pharisäer umher höhnten.
Sie rissen ihn
aber wieder auf und führten ihn gebunden etwa
70 Schritte mitternachtwärts den Kalvarienberg
hinab zu einer in den Felsen gehauenen Grube,
die wie ein Keller oder eine Zisterne war. Sie
hoben die Tür auf und stießen ihn so unbarmherzig
hinab, daß er sich ohne ein Wunder die Knie
auf dem harten Felsengrunde zerschmettert hätte.
Ich hörte sein lautes helles Wehklagen. Sie
schlossen die Tür über ihm und ließen Wachen
dort zurück. Ich bin die 70 Schritte mitgegangen,
ich meine auch gesehen zu haben, im höheren
Gesicht, wie Engel ihm halfen, daß seine Knie
nicht zerschmetterten, aber er klagte und wimmerte
herzzerreißend. Der Stein ist unter seinen Knien
erweicht.
Nun begannen
die Schergen ihre Zurüstungen. Es befand sich
in der Mitte des Richtkreises der höchste Punkt
des Kalvarienfelsens, ein runder, etwa zwei
Schuh hoher Hügel mit einigen Stufen. Sie meißelten
auf diesem Hügel an den Löchern, in welchen
die drei Kreuze aufgerichtet werden sollten,
nachdem sie das Maß an dem unteren Ende der
Stämme genommen hatten. Sie richteten die beiden
Kreuzstämme für die Schächer links und rechts
auf dieser Kuppe auf. Diese Stämme waren roh
und niederer als Jesu Kreuz und oben schräg
abgesägt; die Querhölzer, an welche ihnen jetzt
noch die Hände angeknebelt waren, wurden nachher
bei der Kreuzigung dicht unter dem oberen Ende
der Kreuze befestigt.
Die Schergen
legten nun das Kreuz Christi an den Ort der
Annagelung, so daß sie es bequem auf den Standort
in die Höhe ziehen und in das Loch hinein senken
konnten. Sie zapften die beiden Armhölzer links
und rechts ein, nagelten den Fußklotz auf, bohrten
die Löcher der Nägel und für die Titeltafel
des Pilatus, schlugen Keile unter die eingelassenen
Arme, machten hie und da kleine Aushöhlungen
in den Mittelstamm, Raum für die Dornenkrone
und am Rücken, damit der Leib mehr stehe als
hänge, grössere Marter leide und die Hände nicht
zerreißen sollten. Sie schlugen Pfähle und einen
Balken quer darüber hinter dem Kreuzhügel in
die Erde, um das Kreuz durch darübergelegte
Stricke aufziehen zu können, und trafen mehrere
ähnliche Vorbereitungen.
Maria und die
Freundinnen ziehen nach Golgota
Nachdem die
heilige Jungfrau dem kreuztragenden Jesus
so schmerzlich begegnet und bewußtlos niedergesunken
war, brachten Johanna Chusa, Susanna und
Salome von Jerusalem und Johannes und der
Neffe Josephs von Arimathia sie in das Haus,
von den Soldaten getrieben, zurück, und
das Tor ward zwischen ihr und ihrem geliebten,
belasteten, mißhandelten Sohn geschlossen.
Die Liebe, die Sehnsucht, bei ihrem Sohn
zu sein und alles mit ihm zu leiden und
ihn nicht zu lassen bis ans Ende, gaben
ihr eine übernatürliche Stärke, und ihre
Begleiterinnen eilten verschleiert mit ihr
nach dem Hause des Lazarus in der Gegend
des Ecktores, wo die anderen heiligen Frauen
bei Magdalena und Martha in Tränen und Wehklagen
sich versammelt hatten — es waren auch einige
Kinder bei ihnen —, und von dort zogen sie
nun zu siebzehn den Leidensweg Jesu.
Ich sah sie
alle ernst und entschlossen, unbekümmert
um den Hohn des Pöbels und durch die Trauer
Ehrfurcht gebietend, in ehrbarer Verhüllung
über das Forum kommen und auf der Stelle,
wo Jesus das Kreuz aufgenommen, die Erde
küssen. Dann wandelten sie den ganzen Leidensweg
Jesu und ehrten alle Stellen seiner Schmerzen,
und Maria und die tiefer Erleuchteten suchten
seine Fußtapfen wandelnd zu betreten, und
die heilige Jungfrau, alles fühlend und
innerlich schauend, leitete ihr Verweilen
und ihr Fortschreiten auf diesem Kreuzweg,
und alle Stellen drückten sich lebhaft in
ihre Seele, ja sie zählte die Schritte und
sagte ihren Begleiterinnen die heiligen
Stellen.
Auf diese
Weise war die rührendste erste Andachtsweise
der Kirche zuerst in das liebende Mutterherz
Marias mit dem von Simeon prophezeiten Schwert
eingeschrieben und kam von ihren heiligen
Lippen zu ihren Leidensgenossen und von
diesen bis zu uns. Das ist die heilige Übergabe
von Gott zum Herzen der Mutter, und von
da von Herz zu Herz der Kinder; so pflanzt
sich die Tradition der Kirche fort. Wenn
man so sieht wie ich, erscheint solche Übergabe
lebendiger und heiliger als jede andere.
Es sind aber den Juden alle Orte, wo Heiliges
und Geliebtes geschehen, von jeher sehr
ehrwürdig, und sie vergessen keine Stelle
höherer Ereignisse, richten Steine auf,
wandern hin und beten. So entstand der heilige
Kreuzweg nicht durch eine nachgeholte Absicht,
sondern aus der Natur der Menschen und den
Absichten Gottes mit seinem Volk, durch
die treueste Mutterliebe, sozusagen unter
den Füßen Jesu, der ihn zuerst gewandelt.
Es gelangte
nun diese heilige Schar bis zum Hause der
Veronika, und sie traten hinein, denn Pilatus
kam mit seinen Reitern und zweihundert Soldaten
vom Tor die Straße zurückgeritten. Hier
sahen sie unter vielen Tränen und Wehklagen
das Schweißtuch mit dem Angesicht Jesu an
und priesen die Barmherzigkeit Jesu mit
seiner treuen Freundin. Sie nahmen von hier
das Gefäß mit dem gewürzten Wein mit, das
Veronika nicht gegönnt wurde, Jesus zu reichen,
und zogen nebst Veronika dem Tore zu bis
auf Golgota hinan. Es waren noch mehrere
gutgesinnte, auch unterwegs gerührte Leute,
auch viele Männer zu dem Zug gekommen, der
unbeschreiblich rührend und ordentlich durch
die Straßen zog. Es war schier ein größerer
Zug als der Zug Jesu, außer dem Volk, das
jenem nachlief.
Die Leiden,
die zerreißenden Schmerzen Marias auf diesem
Weg, beim Anblick des Richtplatzes und beim
Auftreten an der Höhe kann man nicht aussprechen,
es waren die Schmerzen Jesu innerlich und
das Gefühl des Zurückbleibens. Magdalena
war ganz zerrissen und wie von Schmerzen
trunken und wankend, wie geschleudert aus
Pein in Pein. Sie fiel aus Stummheit in
Jammern, aus Erstarrung in Händeringen,
aus Klagen in Drohen, sie mußte immer von
den andern gestützt, geschützt, ermahnt,
verborgen werden.
Sie stiegen
an der Abendseite, am sanften Abhang den
Hügel hinan und standen in drei Entfernungen
von der Kreisumwallung hintereinander. Die
Mutter Jesu, ihre Nichte Maria Cleophä und
Salome und Johannes traten dicht an den
Kreis, Martha, Maria Heli, Veronika, Johanna
Chusa, Susanne, Maria Markus standen etwas
entfernter um Magdalena her, welche sich
nicht fassen konnte. Etwas weiter zurück
standen noch etwa sieben andere und dazwischen
meist gutgesinnte Leute, die eine Verbindung
unter ihnen erhielten. Die reitenden Pharisäer
standen auf verschiedenen Plätzen in Haufen
um den Kreis, und an den fünf Eingängen
römischen Soldaten.
Welcher Blick
Marias auf den Marterplatz, auf den Kreuzhügel,
das schreckliche Kreuz vor ihr ausgestreckt,
die Hämmer, die Stricke, die furchtbaren Nägel
zusammengetragen, zwischen allem diesem die
halb nackten, scheußlichen, fluchenden, wie
trunkenen Henker hin und her arbeitend! Die
Kreuzpfähle der Schächer waren schon aufgerichtet
und zum Aufsteigen einzelne Zapfen in dareingebohrte
Löcher gesteckt. Die Abwesenheit Jesu verlängerte
die Marter der Mutter. Sie wußte Jesus noch
lebend, sie verlangte ihn zu sehen, sie zitterte
ihn zu sehen, sie sollte ihn sehen in unaussprechlicher
Peinigung.
Wetter.
Am Morgen bis
gegen 10 Uhr, da das Urteil gesprochen wurde,
war abwechselnd Hagelschauer, dann während der
Ausführung heller Himmel und Sonnenschein, jetzt
gegen 12 Uhr entstand ein rötlicher trüber Schein
vor der Sonne.
Jesus zur
Kreuzigung entkleidet und mit Essig getränkt
Es gingen nun
vier Schergen nördlich die siebzig Schritte
zu der Kerkergrube hinab und rissen Jesus heraus,
der da zu Gott um Stärkung gefleht und sich
nochmals für die Sünden seiner Feinde aufgeopfert
hatte. Sie schleppten ihn treibend, schlagend
und höhnend diesen letzten Pfad seines Leidens.
Das Volk schaute und höhnte, die Soldaten brüsteten
sich kalt und ernst, Ordnung haltend, die Schergen
empfingen ihn grimmig und hereinreißend in den
Kreis.
Als die heiligen
Frauen Jesus herankommen sahen, gaben sie einem
Mann Geld, das er den Schergen nebst dem Gefäß
mit Gewürzwein bringen sollte, auf daß sie ihn
erquicken möchten. Diese Schurken jedoch gaben
ihm den Wein nicht, sondern tranken ihn nachher
selbst. Sie hatten aber zwei braune Gefäße dastehen,
in dem einen waren Essig und Galle, in dem andern
eine Art Essigbärme; es sollte Wein sein mit
Wermuth und Myrrhe, und sie hielten dem gebundenen
Heiland von dem letzteren Getränk einen braunen
Becher an die Lippen; er versuchte und trank
nicht. Es waren achtzehn Schergen in dem Richtkreis,
die sechs Geißler, die vier Ausführer, die zwei
Kreuzstrickhalter und sechs Kreuziger. Sie waren
teils hier beschäftigt, teils waren sie bei
den Schächern und arbeiteten und soffen abwechselnd.
Es waren schmutzige, halbnackte, kleine, starke
Menschen mit fremden Gesichtern, struppigem
Haar, stoppligem Bart, greulich und viehisch.
Sie dienten Römern und Juden um Geld.
Der Anblick von
allem diesem ward mir dadurch noch schrecklicher,
daß ich auch das den andern unsichtbare Böse
hier in seiner Gestalt sehen mußte. Ich sah
nämlich große furchtbare Teufelsgestalten zwischen
allen diesen grausamen Menschen tätig, als reichten
sie ihnen alles, als rieten und hülfen sie zu
allem, und unzählige kleine gräßliche Erscheinungen
aller Gestalten von Kröten, Schlangen und Drachen
mit vielen Klauen und aller Arten greulichen
giftigen Ungeziefers sah ich um die Umgebung
wie verfinsternd schwärmen. Sie schossen den
Leuten ins Maul, in den Busen, saßen auf ihren
Schultern, und es waren dies solche Leute, welche
allerlei grimmige böse Gedanken hatten oder
Worte des Fluchs und Hohns ausstießen. Über
dem Herrn aber sah ich während der Kreuzigung
oft große weinende Engelgestalten und Glorien
erscheinen, in denen ich bloß kleine Angesichte
erkannte. Solche Engel des Mitleids und Trostes
sah ich auch über der heiligen Jungfrau und
allen Wohlgesinnten stärkend und aufrichtend
erscheinen.
Nun aber rissen
die Schergen unserem Herrn den Mantel ab, der
ihm um den Oberleib geschlungen war. Sie nahmen
ihm den Fesselgürtel ab und seinen eigenen Gürtel
und rissen ihm das wollweiße Oberkleid über
das Haupt, es hatte einen Brustschlitz, mit
Riemen verbunden. Dann nahmen sie ihm die lange
schmale Halsbahn von den Schultern, und da sie
ihm den braunen ungenähten Rock, den ihm seine
Mutter gewirkt hatte, nicht über die breite
Dornkrone ziehen konnten, rissen sie ihm die
Krone vom Haupt, alle dessen Wunden neu eröffnend,
schürzten ihm dann den gewirkten Rock und zogen
ihm denselben mit vermaledeitem Hohn über das
blutende, wundenvolle Haupt aus.
Da stand
der zitternde Sohn des Menschen, mit Blut,
Schwielen, vertrockneten Wunden und fließenden
Wunden, mit Striemen und Flecken bedeckt.
Er hatte nur noch das kurze wollene Skapulier
über dem Oberleib und die Hülle des Unterleibes
an. Das Skapulier war mit der Wolle in seinen
Wunden festgetrocknet und mit Blut in die
neue tiefe Wunde verklebt, welche ihm die
Kreuzeslast in die Schulter gedrückt hatte,
woran er unaussprechlich litt. Unbarmherzig
rissen sie ihm das Skapulier von der Brust,
und erstand schrecklich zerrissen und verschwollen
in seiner Nacktheit, die Schulter und Achsel
waren bis auf die Gebeine zerrissen, und
die weiße Wolle des Skapuliers klebte hie
und da auf den Wundrinden und im trockenen
Blut seiner Brust.
Nun rissen
sie ihm den letzten Gürtel von den Hüften,
er stand nackt und krümmte sich schamhaft,
und als er ihnen unter den Händen umzusinken
drohte, setzten sie ihn auf einen herbeigewälzten
Stein, stießen ihm die Dornenkrone von neuem
wieder auf das Haupt und boten ihm das andere
Gefäß mit Essig und Galle zum Trinken dar,
doch er wendete schweigend das Haupt ab.
Jetzt aber,
da die Schergen ihn an den Armen, mit denen
er seine Blöße bedeckte, anpackten und aufrichteten,
um ihn auf das Kreuz zu werfen, erhob sich
Ärger, lautes Murren und Wehklagen unter
allen seinen Freunden über die schmähliche
Entblößung. Seine Mutter betete heftig,
sie war im Begriff, ihren Schleier abzureißen
und, in den Kreis dringend, ihm denselben
als Hülle zu reichen, aber Gott erhörte
sie; denn in diesem Augenblick stürzte ein
Mann, der vom Tor, quer durch alles Volk
durch, außer dem Weg heraufgelaufen war,
geschürzt und außer Atem in den Kreis unter
die Schergen und reichte Jesus ein Tuch,
welcher dieser dankend annahm und so um
die Mitte des Leibes wand, daß das längere
Ende zwischen den Beinen hindurch rückwärts
wieder durch den Bund geschlungen war.
Dieser von Gott
durch das Gebet der heiligen Jungfrau erflehte
Wohltäter seines Erlösers hatte in seinem Ungestüm
etwas Gebieterisches, er drohte mit der Faust
gegen die Schergen und sagte nichts als: «Und
daß ihr den armen Menschen sich bedecken laßt!»
Er sprach mit niemand sonst und eilte ebenso
schnell, wie er herangekommen, wieder von dannen.
Es war Jonadab, der Neffe des heiligen Joseph,
aus der Gegend von Betlehem, der Sohn des Bruders,
dem Joseph nach Christi Geburt den übrigen Esel
verpfändet hatte. Er war kein entschiedener
Freund Jesu, auch heute hatte er sich ferngehalten
und überall herumgestanden. Schon als er von
der Entblößung bei der Geißelung hörte, ergrimmte
er, und da die Kreuzigung nahte, ergriff ihn
eine ungemeine Angst im Tempel. Während die
Mutter Jesu auf Golgota zu Gott schrie, ward
Jonadab plötzlich von einem unwiderstehlichen
Trieb ergriffen, er mußte aus dem Tempel hinaus
zum Kalvarienberg eilen, die Blöße des Herrn
zu bedecken. Er fühlte mit Unwillen in seiner
Seele die Schmach Chams, welcher der Blöße des
mit Wein berauschten Noahs spottete,
und mußte eilen,
wie ein neuer Sem die Scham des Keltertreters
zu bedecken. Die Kreuziger aber waren Chamiten,
und Jesus trat die blutige Kelter des neuen
erlösenden Weines, als ihn Jonadab bedeckte.
Diese Handlung war die Erfüllung eines Vorbildes
und wurde belohnt, wie ich später sah und erzählen
werde.
Jesus wird
an das Kreuz geschlagen
Jesus, ein
Bild des Jammers, wurde von den Schergen
auf das Kreuz gestreckt. Er setzte sich
selbst darauf, und sie stießen ihn nieder
auf den Rücken und rissen seinen rechten
Arm mit der Hand auf das rechte Nagelloch
des rechten Kreuzarmes und schnürten den
Arm fest, und es kniete einer auf seiner
heiligen Brust, und einer hielt die sich
schließende Hand auf, und der andere setzte
den langen dicken Nagel, der spitz zugefeilt
war, in das dicke Teil seiner segnenden
Rechten und schlug wütende Schläge mit dem
eisernen Schlägel. Ein süßes, helles, gebrochenes
Wehgeschrei tönte aus dem Munde des Herrn.
Sein Blut spritzte auf die Arme der Schergen.
Die Bänder der Hand wurden zerrissen und
mit dem dreischneidigen Nagel in das engere
Nagelloch hineingetrieben. Ich habe die
Hammerschläge gezählt, aber in meinem Elend
wieder vergessen. Die heilige Jungfrau wehklagte
leise und schien äußerlich bewußtlos, Magdalena
aber war ganz von Sinnen.
Die Bohrer
waren ein großes Stück Eisen wie ein lateinisches
T, es war kein Holz daran. Auch die großen
Hämmer waren mit den Stielen ganz von Eisen
aus einem Stück und beinahe von der Form,
wie bei uns die hölzernen Schlägel der Tischler,
mit welchen sie auf die Meißel schlagen.
Die Nägel,
bei deren Anblick Jesus so sehr geschaudert
hatte, waren so lang, daß sie, in die Faust
gefaßt, oben und unten etwa einen Zoll hervorstanden.
Sie hatten oben ein Plättchen mit einer
Kuppe, welches im Umfang eines Kronentalers
die Hand füllte. Die Nägel waren dreischneidig,
oben so dick wie ein mäßiger Daumen, unten
wie ein kleiner Finger und dann spitz zugefeilt.
Eingeschlagen sah die Spitze an der hinteren
Seite des Kreuzarmes ein wenig hervor.
Nach der
Annagelung der rechten Hand unseres Herrn
fanden die Kreuziger, daß seine linke Hand,
die auch auf den Kreuzarm festgebunden war,
nicht bis zu der Stelle des Nagelloches
reichte, das sie wohl zwei Zoll vor den
Fingerspitzen gebohrt hatten; sie banden
daher die Stricke an seinen linken Arm allein
und zogen, sich mit den Füßen gegen das
Kreuz stemmend, so heftig an diesem Arm,
bis die Hand die Nagelstelle erreichte.
Jesus wehklagte ganz rührend. Sie rissen
ihm die Arme ganz aus den Geweben, seine
Achseln waren ausgedehnt und hohl, und an
den Ellbogen sah man die Knochenabsätze.
Seine Brust hob sich hoch empor, die Knie
zogen sich gegen den Unterleib. Sie knieten
ihm auf den Armen und der Brust, sie knebelten
ihm die Arme fest und schlugen dann den
zweiten grausamen Nagel durch die Linke
des Herrn, das Blut spritzte empor, der
süße, helle Wehruf Jesu tönte durch die
Schläge des schweren Hammers. — Die Arme
Jesu waren in gerader Linie so ausgespannt,
daß sie nicht mehr die schräg aufsteigenden
Kreuzarme deckten; man sah zwischen den
Kreuzarmen und seinen Achselhöhlen durch.
Die heilige
Jungfrau fühlte alle Peinigung mit Jesus.
Sie ward bleich wie eine Leiche, und leise
Schmerzenstöne erklangen von ihren Lippen.
Die Pharisäer höhnten und schimpften nach
der Seite des Walles hin, wo sie stand,
und man führte sie darum etwas ferner von
dem Kreise zu den andern heiligen Frauen.
Magdalena war wie wahnsinnig, sie zerriß
sich das Angesicht, ihre Augen und Wangen
waren blutig.
Es war aber
an dem Kreuz, etwa an einem Drittel seiner
Höhe von unten, ein hervorragender Klotz
durch einen sehr großen Nagel befestigt,
um die Füße Jesu darauf zu nageln, so daß
er mehr stehe als hänge; sonst wären die
Hände zerrissen und hätten die Füße, ohne
zu zerbrechen, auch nicht angenagelt werden
können. In diesen Klotz war das Nagelloch
gebohrt. Es war auch eine Stelle für die
Fersen ausgehöhlt, wie denn überhaupt an
dem Kreuzstamme einige Aushöhlungen angebracht
waren, um das längere Hängen des Leidenden
möglich zu machen und das Zerreißen der
Hände und Herabstürzen des Körpers durch
seine Schwere zu verhindern.
Der ganze
Leib unseres Erlösers hatte sich durch die
gewaltsame Ausspannung der Arme nach den
zu weit auseinander gebohrten Annagelungsstellen
in die Höhe gezogen, und seine Knie hatten
sich aufgerichtet. Nun aber fielen die Schergen
über diese her und banden sie, mit Strickschlingen
ziehend, nieder, und es reichten durch die
boshafte Stellung der Nagellöcher seine
heiligen Füße bei weitem nicht bis zum Fußklotz
hin. Da erhob sich unter den Schergen ein
Fluchen und Höhnen, einige meinten, man
müsse andere Löcher bohren an den Armen,
denn den Klotz heraufzurücken war beschwerlich,
andere höhnten schauderhaft: er wolle sich
nicht strecken, aber sie wollten ihm helfen;
und sie banden ihm Stricke an das rechte
Bein und zogen mit schrecklich marternder
Gewalt den Fuß auf den Standklotz und knebelten
das Bein mit Stricken fest. Es war die Ausspannung
des Körpers so entsetzlich, daß die Brust
Jesu krachte und er laut jammerte: «Gott!
o Gott!» Sie hatten ihm die Brust und die
Arme auch gebunden, damit die Hände nicht
aus den Nägeln rissen. Sein Unterleib zog
sich ganz hinweg, und es war, als brächen
ihm die Rippen von dem Brustbeine. Es war
ein schauderhaftes Leiden.
Sie knebelten
nun den linken Fuß ebenso gewaltig mit Stricken
über dem rechten Fuß nieder und durchbohrten
ihn oben am Rist, weil er zum Annageln nicht
fest genug über dem rechten Fuß ruhte, mit
einem feineren, plattköpfigeren Stift als
die Nägel der Hände waren; es war wie ein
Vorbohren mit einem Pfriem. Nun aber ergriffen
sie den schrecklichsten, viel längeren Nagel
und trieben ihn mit großer Anstrengung durch
den verwundeten Rist des linken und durch
den des unten ruhenden rechten Fußes krachend
hindurch, in das Loch des Standklotzes und
durch diesen in den Kreuzesstamm hinein.
Ich habe am Kreuz, von der Seite sehend,
den einen Nagel durch beide Füße durchgehen
sehen.
Das Annageln
der Füße war grausamer als alles, durch
die Ausdehnung des ganzen Leibes. Ich zählte
an die 36 Hammerschläge unter dem Wehklagen
des armen Erlösers, das mir so süß und hell
und rein klang; die Stimmen des Hohns und
Grimms umher klangen mir dumpf und trübe.
Die heilige
Jungfrau aber war zum Gerichtskreis zurückgekehrt,
und bei dem Zerren und Krachen und Wehklagen
unter dem Annageln der Füße sank sie, von
heftigem Mitleid zerrissen, von neuem in
die Arme ihrer Begleiterinnen, und es entstand
ein Getümmel. Da ritten Pharisäer herzu
und schimpften sie, und die Freunde brachten
sie wieder von dem Kreis zurück. Es erhob
sich aber hie und da bei der Annagelung
und darauffolgenden Kreuzaufrichtung, besonders
unter den Frauen, ein Mitleidsgeschrei:
«O, daß die Erde diese Buben nicht verschlingt,
daß nicht Feuer vom Himmel sie verzehrt!»
und Hohn und Spott antworteten auf diese
Äußerungen der Liebe.
Die Wehklagen Jesu waren lauter Schmerzenstöne
unter stetem Beten einzelner Psalmen und Prophetenstellen,
deren Weissagung er jetzt erfüllte; auch auf
dem Weg und bis zum Tod war er in solchem Gebet
und in dieser Erfüllung ununterbrochen begriffen.
Ich habe alle diese Stellen gehört und mitgebetet,
und auch sonst, wenn ich die Psalmen betete,
fielen diese Stellen mir immer ein, jetzt aber
bin ich so zermalmt von der Marter meines himmlischen
Bräutigams, daß ich sie nicht mehr zusammenbringen
kann. — Ich sah weinende Engel über Jesus während
dieser schrecklichen Peinigung erscheinen.
Beim Anfange
der Annagelung hatte der Führer der römischen
Wache den Titel, den Pilatus geschrieben, schon
auf seinem Pflock auf dem Kopf des Kreuzes anheften
lassen. Die Pharisäer ärgerten sich darüber,
denn die Römer lachten laut über den Titel «König
der Juden», und es ritten einige Pharisäer,
nachdem sie das Maß zu einem neuen Titel hatten
nehmen lassen, zur Stadt, um nochmals Pilatus
um eine andere Inschrift zu bitten.
Man meißelte
noch während der Annagelung auf dem Kreuzhügel
an dem Loch, worin das Kreuz aufgerichtet werden
sollte, denn es war zu klein und der Fels sehr
hart. Es hatten aber einige Schergen den gewürzten
Wein der heiligen Frauen Jesus nicht gegeben,
sondern selbst getrunken, und sie waren ganz
rauschig davon und empfanden ein Brennen und
Schneiden im Leib, so daß sie wie toll wurden.
Sie schimpften Jesus einen Zauberer, waren wütend
über seine Geduld und liefen mehrmals den Kalvarienberg
hinab und soffen Eselsmilch. Es waren Weiber
aus dem nahen Lager der Ostergäste mit melkenden
Eselinnen in der Nähe, sie verkauften die Milch.
Nach dem Stand
der Sonne war es ungefähr ¼ nach 12 Uhr, als
sie Jesus kreuzigten, und da sie das Kreuz aufrichteten,
hallte eingroßes Trompetengetön vom Tempel her.
Das Osterlamm war geschlachtet.
Aufrichtung
des Kreuzes
Nach der
Annagelung unseres Herrn zogen sie mit Stricken,
die an Ringen hinten am Kreuz befestigt
wurden, den oberen Teil des Kreuzes auf
den erhöhten Standort und warfen dann diese
Stricke über einen jenseits errichteten
Querbalken oder Bock, und viele Schergen
zogen vermittels dieser Stricke das Kreuz
in die Höhe, andere steuerten mit Hakenstöcken
an dem Stamm nach und richteten den Fuß
in das Joch. Dann schoben sie den Gipfel
des Kreuzes etwas vorwärts, daß es in senkrechte
Richtung kam und seine ganze Last mit einem
erschütternden Stoß in die Grube niederfuhr.
Das Kreuz erzitterte von dem Stoß, Jesus
wehklagte laut, die ausgespannte Last des
Leibes zog nieder, die Wunden wurden weiter,
das Blut rann reichlicher, und die zerschundenen
Gebeine stießen sich. Nun rüttelten sie
das Kreuz noch fest und schlugen fünf Keile
umher in das Loch, einen vorn, einen zur
Rechten, einen zur Linken und zwei an die
hintere, etwas runde Seite des Kreuzes.
Es war ein erschreckender
und zugleich rührender Eindruck, als unter Hohngeschrei
der Schergen und Pharisäer und vieles entfernten
Volkes, das ihn nun auch sehen konnte, das Kreuz
emporschwankte und erschütternd niederstieß;
aber auch fromme, wehklagende Stimmen erhoben
sich zu ihm. Die heiligsten Stimmen der Erde,
die jammernde Stimme der Mutter und der Freundinnen
und des Freundes und aller, die reinen Herzens
waren, begrüßten das am Kreuz erhöhte, ewige,
Fleisch gewordene Wort mit rührender Wehklage,
und alle Hände der Liebenden streckten sich
bang empor, als wollten sie helfen, da der Heiligste
der Heiligen, der Bräutigam aller Seelen, lebendig
an das Kreuz genagelt, in den Händen der tobenden
Sünder emporschwankte. Als aber das Kreuz mit
lautem Hall aufrecht in die Sandgrube hineinsank,
trat ein kurzes Schweigen ein; alles schien
von einem neuen, nie dagewesenen Gefühl überrascht.
Selbst die Hölle fühlte den Stoß des sinkenden
Kreuzes mit Schrecken und bäumte sich nochmals
in ihren Werkzeugen mit Hohn und Fluch gegen
dasselbe; bei den Armen Seelen aber und in der
Vorhölle war eine bang harrende Freude. Sie
horchten auf jenen Stoß mit sehnsüchtiger Hoffnung,
er tönte ihnen wie das Pochen des nahenden Siegers
an den Toren der Erlösung. Das heilige Kreuz
stand zum ersten Mal inmitten der Erde aufgerichtet
wie ein anderer Baum des Lebens im Paradies,
und aus den erweiterten Wunden Jesu tropften
vier heilige Ströme auf die Erde nieder, ihren
Fluch zu sühnen und sie ihm, dem neuen Adam,
zu einem Paradiese zu befruchten.
Als unser Heiland
an dem Kreuz aufgerichtet stand und das Hohngeschrei
auf wenige Minuten durch ein schweigendes Staunen
unterbrochen war, schallte der Ton vieler Trompeten
und Posaunen vom Tempel herüber und kündete
das begonnene Schlachten des Osterlammes, des
Vorbildes, an, indem er das Hohn- und Wehgeschrei
um das wahre geschlachtete Lamm Gottes mit ahnungsreicher
Feierlichkeit unterbrach; und es ward manches
harte Herz erschüttert und gedachte der Worte
des Täufers: «Siehe das Lamm Gottes, welches
die Sünden der Welt auf sich genommen hat.»
Der Standort
des Kreuzes war etwas über zwei Schuh hoch.
Als der Kreuzfuß an der Grube stand, waren die
Füße Jesu mannshoch, und als es hineingesunken
fest stand, konnten die Freunde die Füße umarmen
und küssen. Es war ein schräger Aufweg zu diesem
Hügel. Das Angesicht Jesu sah nach Nordwest.
Kreuzigung
der Schächer
Während der
Annagelung des Herrn lagen die Schächer,
noch mit den Händen an die Querhölzer über
den Nacken gebunden, an der östlichen Seite
des Kalvarienberges am Weg auf dem Rücken,
und es stand eine Wache bei ihnen. Sie waren
beide, der Ermordung einer jüdischen reisenden
Frau und ihrer Kinder zwischen Jerusalem
und Joppe verdächtig, auf einem Schloß jener
Gegend, das Pilatus auch manchmal bei Kriegsübungen
bewohnte und wo sie wie reiche Kaufleute
erschienen, gefangengenommen worden. Sie
hatten lange bis zum Beweis und der Verurteilung
gesessen. Ich habe das Nähere vergessen.
Der sogenannte linke Schächer war älter
und ein großer Bösewicht, er war der Verführer
und Meister des Bekehrten. Man nennt sie
gewöhnlich Dismas und Gesmas, ich habe die
richtigen Namen vergessen, ich will darum
den Guten Dismas, den Bösen Gesmas nennen.
Sie waren
beide von jenem Räuberhaufen an der ägyptischen
Grenze, in dessen Herberge die heilige Familie
mit dem Kinde Jesus auf der Flucht nach
Ägypten übernachtet hatte, und Dismas war
jener aussätzige Knabe, der in dem Badewasser
des Jesuskindes von seiner Mutter auf Anraten
Marias gewaschen und augenblicklich heil
geworden war. Die Barmherzigkeit und der
Schutz, den seine Mutter der heiligen Familie
damals gegen ihre Gefährten angedeihenließ,
war durch jene vorbildliche Reinigung belohnt
worden, die jetzt bei der Kreuzigung in
Erfüllung trat, da er durch das Blut Jesu
gereinigt ward. Dismas war ganz verkommen,
er kannte Jesus nicht, doch war er nicht
bösartig, und die Geduld des Herrn hatte
ihn gerührt. Er sprach hier liegend immer
mit seinem Gesellen Gesmas von Jesus. Er
sagte: «Sie gehen schrecklich mit dem Galiläer
um; es muß wohl ein ärgeres Übel sein, was
er mit seinem neuen Gesetz getan, als unsere
Tat, aber er hat eine große Geduld und Macht
über alle Menschen.» — Da erwiderte Gesmas:
«Was für eine Macht hat er denn. Ist er
so mächtig, wie sie sagen so könnte er uns
allen helfen.» — So und dergleichen redeten
sie, und als das Kreuz im Aufrichten war,
kamen Schergen und schleppten sie heran
mit den Worten, es sei nun die Reihe an
ihnen, und man band sie von den Querhölzern
und eilte sehr, denn die Sonne war trüb,
und es war eine Bewegung in der Natur, als
nahe ein Ungewitter.
Die Schergen
stellten Leitern an die aufgerichteten Stämme
und befestigten die gekrümmten Querhölzer halb
eingelassen mit einem Pflock oben an die Stämme.
Es wurden nun zwei Leiterstangen an jedes Schächerkreuz
gestellt, worauf Henker standen. Unterdessen
hatte man ihnen von dem Myrrhenessig zu trinken
gegeben, ihnen die offenen, schlechten Wämser
ausgetan und zog sie nun an den Armen mit Stricken,
die über die Kreuzarme geworfen wurden, hinauf,
indem sie unter Schlagen und Prügeln auf Pflöcken,
die durch die Stämme in Löcher gesteckt waren,
aufstiegen. An den Querhölzern und dem Stamm
waren schon Stricke, ich meine von gedrehtem
Bast, angeknüpft. Ihre Arme wurden verdreht
über die Querhölzer gebogen und über den Handgelenken
und Ellbogen und ebenso über den Knien und Fußknöcheln
von den Stricken umschlungen und durch Umdrehen
eingesteckter Prügel so gewaltig angeknebelt,
daß die Muskeln bluteten und die Knochen krachten.
Sie stießen ein furchtbares Gebrüll aus, und
der gute Schächer Dismas sagte beim Hinaufsteigen:
«Wäret ihr mit uns umgegangen wie mit dem armen
Galiläer, so bräuchtet ihr uns nicht mehr da
hinauf zu ziehen.»
Würfeln
um die Kleider Jesu
An der Stelle,
wo die Schächer außer dem Kreis gelegen, hatten
unterdessen die Kreuziger die Kleider Jesu in
mehreren Haufen zusammengelegt, um sie unter
sich zu verlosen. Der Mantel war oben enger
als unten und hatte mehrere Falten, an der Brust
war er doppelt und bildete dadurch Taschen.
Sie zerrissen ihn in langen Bahnen und teilten
sie; auch den weißen langen Rock, der an der
Brust offen war und dort durch Riemen geschlossen
wurde, zerrissen sie in Bahnen und teilten ihn;
sie teilten auch die Halsbahn, den Gürtel, das
Brustskapulier und die Unterleibshülle, die
alle von dem Blut des Herrn durchdrungen waren.
Weil sie aber über seinen braunen gewirkten
Rock uneins wurden, der ihnen durch Zerreißen
unnütz geworden wäre, so nahmen sie ein Brett
mit Zahlen und bohnenförmige Steine mit Zeichen,
die sie bei sich hatten, und warfen mit denselben
auf das Brett und verlosten den Rock. Da jedoch
nun ein Bote von Leuten, die Nikodemus und Joseph
von Arimathia dazu bestellt hatten, zu ihnen
heraufgelaufen kam und sagte, daß sich unten
Käufer für die Kleider Jesu befänden, so rafften
sie alle die Kleider zusammen, liefen hinab
und verkauften sie, und so blieben diese Heiligtümer
bei den Christen.
Der gekreuzigte
Jesus und die Schächer
Nach dem
heftigen Stoß des aufgerichteten Kreuzes
vergoß das Haupt Jesu, das, mit der Dornenkrone
beschwert, heftig erschüttert wurde, reiche
Ströme von Blut, und auch von den Händen
und Füßen Jesu tropften Ströme seines heiligen
Blutes nieder. Die Schergen aber stiegen
nun auf Leitern hinan und lösten die Stricke
von dem heiligen Leib, mit welchen sie ihn
an den Kreuzesstamm gebunden hatten, auf
daß er bei dem Aufrichten nicht aus den
Nägeln reiße. Nun drang der durch die ebene
Lage und das Schnüren veränderte Blutlauf
in der senkrechten Lage in neue Bewegung.
Alle Schmerzen wurden neu und ganz betäubend,
und Jesus senkte das Haupt auf die Brust
und hing wohl sieben Minuten ohnmächtig
wie tot.
Es war eine
kurze Ruhe umher, die Kreuziger waren mit
der Teilung der Kleider Jesu beschäftigt,
das Posaunengetön vom Tempel verhallte in
der Luft. Alle Anwesenden waren in Grimm
und Schmerz erschöpft, und ich sah meinen
Jesus, mein Heil, der Welt Heil, unbeweglich
wie tot, in Schmerzen ohnmächtig, und schaute
ihn an mit Ernst und Schrecken und Mitleid,
auch ich war dem Tode nah und glaubte, eher
zu sterben, als zu leben. Mein Herz war
voll Bitterkeit und Liebe und Leid, mein
Haupt war wie wahnsinnig von einem Dornennest
von Stacheln umgeben, meine Hände und Füße
waren wie Glühöfen von Pein, es rissen und
zuckten tausend Blitze unsäglicher Schmerzen
durch all meine Adern und Nerven und begegneten
sich in allen inneren und äußeren Gliedern
meines Leibes und kämpften, wo sie sich
begegneten, und wurden eine Quelle neuer
Qualen, und alles dieses entsetzliche Leiden
war doch lauter Liebe, und alles dieses
zuckende Feuer der Schmerzen war doch eine
Nacht, in welcher ich jetzt nichts sah als
meinen und aller Seelen gekreuzigten Bräutigam,
und ich schaute ihn an mit großem Jammer
und Trost.
Sein Angesicht
mit der furchtbaren Krone, dem Blut, das
die Augenhöhlen, die Haare, den Bart und
den verschmachtend offenen Mund füllte,
war zur Brust gesunken und vermochte auch
später wegen dem Umfang der Krone sich nur
mit unsäglicher Pein zu erheben. Seine Brust
war weit zerspannt und gewaltsam hinaufgerissen,
seine Achseln waren hohl und schrecklich
ausgedehnt, seine Ellbogen und Handgelenke
wie aus den Geweben gezogen, das Blut strömte
an den Armen nieder von den weitgerissenen
Handwunden. Unter der hinaufgezogenen Brust
war eine tiefe Höhle, sein ganzer Unterleib
war hohl und schmal, wie hinweggeschwunden.
Gleich den Armen waren die Lenden und Beine
des Herrn auf eine entsetzliche Weise wie
aus den Gelenken gezogen. Seine Glieder
waren so gewaltsam ausgedehnt, alle Muskeln
und die zerrissene Haut so jammervoll gespannt,
daß man alle seine Gebeine zählen konnte,
das Blut träufelte unter dem furchtbaren
Nagel, der seine heiligen Füße durchbohrte,
an dem Kreuzstamme nieder, sein ganzer heiliger
Leib war mit Wunden, roten Schwielen, Striemen,
braunen, blauen und gelben Flecken und Beulen
und blutig geschundenen Stellen bedeckt.
Die verwundeten Stellen rissen von der heftigen
Spannung und ergossen hie und da rotes Blut.
Später ward das Blut bleich und wässrig
und der heilige Leib immer weißer, die Rinden
der Wunden fielen ab, und er glich ganz
verblutetem Fleische. Trotz aller dieser
gewaltiger Entstellung erschien der Leib
unseres Herrn am Kreuz unaussprechlich edel
und rührend, ja der Sohn Gottes, die ewige,
sich in der Zeit opfernde Liebe war schön,
rein und heilig in dem zertrümmerten, mit
den Sünden aller Menschen beladenen Leib
des sterbenden Osterlammes.
Die Hautfarbe
der heiligen Jungfrau und so auch unseres
Herrn war von Natur fein gelblich schimmernd,
mit durchscheinendem Rot gemischt. Durch
die Anstrengungen und Reisen in den letzten
Jahren waren seine Wangen unter den Augen
und seine Nasenknorpel etwas röter gebräunt.
Er hatte eine hohe und breite Brust, sie
war rein und unbehaart, die Brust des Johannes
des Täufers war ganz rot behaart wie ein
Fell. Jesus hatte breite Schultern und starke
Armmuskeln, seine Lenden waren auch mit
starken, ausgezeichneten Muskeln, seine
Knie waren kräftig und stark wie eines Menschen,
der viel gewandert und viel kniend gebetet,
seine Beine waren lang und mit starken Wadenmuskeln
vom vielen Reisen und Bergsteigen. Seine
Füße waren sehr schön und stark ausgearbeitet,
sie hatten vom vielen barfüßigen Wandeln
auf rauhen Wegen starke Schwielen unter
den Sohlen. Seine Hände waren schön, mit
langen und schönen Fingern, nicht weichlich,
aber auch nicht wie eines schwer Handarbeitenden.
Sein Hals war nicht kurz, aber stark und
muskelig, sein Haupt in einem schönen Verhältnis
und nicht zu groß, seine Stirne frei und
hoch und das ganze Angesicht ein reines
schönes Oval, seine Haare, nicht übermäßig
dick, waren rötlichbraun, schlicht gescheitelt
hingen sie bis zum Nacken, sein Bart war
nicht lang, sondern spitz und auf dem Kinn
geteilt.
Jetzt war
sein Haar größtenteils ausgerissen und das
übrige mit Blut verklebt, sein Leib hatte
Wunde an Wunde, seine Brust war wie zerbrochen,
man sah hohl unter das Brustgewölbe, sein
Leib war weggezogen, die Rippenbeine sahen
hie und da durch die zerrissene Haut. Über
den hervorstehenden Beckenknochen war sein
Leib so dünn ausgespannt, daß er den Kreuzstamm
nicht ganz deckte.
Das Kreuz war
hinten etwas rundlich, vorn flach und an den
nötigen Stellen ausgehauen, es war der Kreuzstamm
ungefähr ebenso breit wie dick. Die einzelnen
Stücke des Kreuzes waren von verschiedenen Holzfarben,
teils braun, teils gelblich, und der Stammdunkler,
wie Holz, das lange im Wasser gelegen ist.
Die Kreuze der
Schächer waren roher und standen links und rechts
am Rande des Hügels, von Jesu Kreuz so weit
entfernt, daß ein Mann durchschreiten konnte.
Sie schauten sich etwas an und standen tiefer.
Die Schächer beteten und höhnten zu Jesus hinauf,
er sprach zu Dismas etwas herab. Der Anblick
der Schächer am Kreuz war schrecklich, besonders
des linken, eines grimmigen berauschten Bösewichts
voll Fluch und Hohn. Sie hingen ganz verdreht,
zerbrochen, verschwollen und zerschnürt. Ihre
Gesichter waren braun und blau, ihre Lippen
braun vom Getränk und aufdringenden Blut, ihre
Augen geschwollen und rot hervordringend. Sie
brüllten und schrien unter den Schnüren scheußlich,
Gesmas fluchte und lästerte, die Nägel der angehefteten
Querhölzer drückten ihre Köpfe vorwärts, sie
zuckten und drehten sich im Schmerz, und trotz
der harten Knebelung der Beine arbeitete sich
der Fuß des einen in die Höhe, so daß das Knie
vorstand.
Verspottung
und erstes Wort Jesu am Kreuz
Nach der
Kreuzigung der Schächer und der Teilung
der Kleider des Herrn rafften die Schergen
alle ihre Geräte zusammen, schimpften und
höhnten Jesus und zogen von dannen. Auch
die übrigen anwesenden Pharisäer zu Pferd
setzten sich in Bewegung, ritten um den
Kreis vor das Angesicht Jesu, höhnten ihn
mit vielen schmählichen Worten und ritten
von dannen. Ebenso zogen die hundert römischen
Soldaten mit ihren Führern vom Berg und
aus der Gegend ab, denn es zogen fünfzig
andere römische Soldaten herauf und besetzten
die Posten. Der Hauptmann dieser neuen Schar
war Abenadar, ein geborener Araber, der
später Ktesiphon getauft ward, und der Unteroffizier
hieß Cassius, er war eine Art Beiläufer
des Pilatus und erhielt später den Namen
Longinus
⃰
. Es ritten
auch von neuem einige Älteste herauf, worunter
jene wiederkehrten, die abermals vergeblich
von Pilatus eine andere Inschrift für den
Kreuztitel begehrt hatten. Er hatte sie
gar nicht einmal vor sich gelassen. Sie
waren um so erbitterter. Sie ritten um den
Kreis und vertrieben die heilige Jungfrau,
welche sie ein loses Weib nannten; sie ward
von Johannes zu den zurückstehenden Frauen
gebracht, Magdalena und Martha hatten sie
in den Armen.
⃰
Über
beide später Notizen aus ihren Betrachtungen.
Wenn sie,
das Kreuz umziehend, vor das Angesicht Jesu
kamen, schüttelten sie verächtlich den Kopf
und sagten: «Pfui über dich, Lügner! Wie
zerbrichst du den Tempel und baust ihn wieder
in drei Tagen?» — «Andern hat er immer helfen
wollen und kann sich selbst nicht helfen,
— bist du Gottes Sohn, so steige vom Kreuz
herab», — «ist er der König Israels, so
steige er vom Kreuz nieder, so wollen wir
ihm glauben.» — «Er vertraute Gott, der
helfe ihm nun». Auch die Soldaten spotteten
und sagten: «Bist du der Judenkönig, so
hilf dir nun.»
Als Jesus
noch in der Ohnmacht so elend hing, sagte
Gesmas, der Schächer zur Linken: «Sein Teufel
hat ihn nun verlassen.» — Ein Soldat aber
steckte einen Schwamm mit Essig auf einen
Stab und hielt ihn Jesus vor das Angesicht,
und er schien ein wenig zu saugen; das Höhnen
währte fort. Der Soldat sagte: «Bist du
der Judenkönig, so hilf dir selbst.» Alles
dieses geschah, während die frühere Schar
durch den Haufen des Abenadar abgelöst ward.
Jesus aber
richtete sein Haupt etwas auf und sagte:
«Vater! vergib ihnen, denn sie wissen
nicht, was sie tun», und betete still
weiter. — Da rief Gesmas: «Bist du Christus,
so hilf dir und uns!» Das Höhnen währte
fort, aber Dismas, der rechte Schächer,
ward tief gerührt, als Jesus für seine Feinde
betete, und da Maria ihres Kindes Stimme
hörte, konnte ihre Umgebung sie nicht mehr
zurückhalten, sie drang in den Kreis. Johannes,
Salome und Maria Cleophä folgten ihr, und
der Hauptmann vertrieb sie nicht.
Dismas, der rechte
Schächer, erhielt durch das Gebet Jesu einen
inneren Strahl der Erleuchtung, als die heilige
Jungfrau herzutrat, und er erkannte innerlich,
daß Jesus und seine Mutter ihm als Kind schon
geholfen, und er erhob seine Stimme ganz mächtig
und laut und sagte ungefähr folgendes: «Wie
ist es möglich, ihr lästert ihn, und er betet
für euch, er hat geschwiegen und geduldet und
betet für euch, und ihr lästert, er ist ein
Prophet, er ist unser König, er ist Gottes Sohn!»
Über diese unerwartete Strafrede aus dem Mund
des elend hängenden Mörders entstand ein Tumult
unter den Spöttern, und sie suchten Steine und
wollten ihn am Kreuz steinigen. Der Hauptmann
Abenadar aber wehrte ab, ließ sie auseinandertreiben
und stellte Ordnung und Ruhe her.
Unterdessen fühlte
sich die heilige Jungfrau ganz gestärkt durch
Jesu Gebet, und Dismas sagte zu Gesmas, welcher
zu Jesus hinschrie: «Wenn du Christus bist,
so helfe dir und uns!» — «Und auch du fürchtest
dich nicht vor Gott und leidest doch gleiches
Urteil; wir aber sind mit Recht in dieser Peinigung,
denn wir empfangen den Lohn unserer Taten, dieser
aber hat nichts Ungerechtes getan. Oh! bedenke
deine Stunde und wende deine Seele um», usw.
Er war aber ganz erleuchtet und gerührt und
bekannte Jesus seine Schuld, sprechend: «Herr,
wenn du mich verdammst, so geschieht mir recht,
aber erbarme dich meiner.» Und Jesus sagte zu
ihm: «Du sollst meine Barmherzigkeit erfahren.»
Dismas erhielt nun die Gnade einer tiefen Reue
eine Viertelstunde lang.
Das zuletzt Erzählte
geschah meistens alles zugleich und dicht hintereinander
von 12 bis ½ 1Uhr nach der Sonne, ein paar Minuten
gleich nach der Kreuzaufrichtung; aber es wendete
sich schnell alles anders in der Seele der meisten
Zuschauer, denn noch unter den Reden des reumütigen
Schächers geschah ein großes Zeichen in der
Natur und erfüllte alle mit Angst.
Verfinsterung
der Sonne
Zweites und drittes Wort am Kreuz
Bis gegen 10
Uhr, da das Urteil durch Pilatus gesprochen
ward, waren abwechselnd einzelne Hagelschauer
gefallen, dann trat bis12 Uhr heller Himmel
und Sonnenschein ein, und nun kam ein trüber,
roter Nebel vor die Sonne. Um die sechste Stunde
aber nach der Sonne, wie ich sah um halb eins
etwa, denn die jüdische Zeit zählte anders und
weicht ab von der Sonne, da entstand eine ganz
wunderbare Verfinsterung der Sonne. Es wurde
mir der Hergang sehr ausführlich gezeigt, aber
leider konnte ich es nicht behalten und habe
keine Ausdrücke, es wieder zu sagen. Ich war
anfangs wie außer der Erde, als ich es ankommen
sah; ich sah allerlei Himmelsringe und Sternbahnen
wunderbar durcheinander kreisend. Ich sah den
Mond an einer anderen Seite der Erde und sah
ihn einen schnellen Lauf oder Sprung tun, wie
eine schwebende Feuerkugel; dann war ich wieder
in Jerusalem und sah den Mond über dem Ölberg
hervorschießen, voll und bleich, die Sonne war
umnebelt, und er zog sehr schnell von der Morgenseite
vor die Sonne heran. Anfangs sah ich an der
Ostseite der Sonne wie eine dunkle Bank, diese
wurde wie ein Berg und bedeckte sie bald ganz,
der Kern des Bildes erschien fahl, ein roter
Schein wie ein glühender Ring war umher, der
Himmel wurde ganz dunkel, die Sterne traten
rotschimmernd hervor. Es kam ein ungemeines
Erschrecken über Menschen und Tiere, das Vieh
brüllte und lief von dannen, die Vögel suchten
sich Schlupfwinkel und fielen scharenweise auf
die Hügel um den Kalvarienberg nieder, man konnte
sie mit Händen greifen. Die Spötter begannen
zu schweigen, die Pharisäer versuchten noch,
alles natürlich zu erklären, es gelang ihnen
aber schlecht, und auch sie wurden von einer
inneren Angst befallen. Alle Menschen schauten
zum Himmel empor. Viele schlugen an die Brust
und rangen die Hände und schrien: «Sein Blut
komme auf seine Mörder!» Manche in der Ferne
und Nähe warfen sich auf die Knie und baten
Jesus um Verzeihung, und Jesus wendete in seinen
Schmerzen die Augen zu ihnen.
Während die
Finsternis immer zunahm und alles zum Himmel
schaute und das Kreuz, außer von Jesu Mutter
und nächsten Freunden, verlassen stand,
richtete Dismas, der in tiefer Reue versunken
gewesen war, in demütiger Hoffnung sein
Haupt auf zu Jesus und sprach: «Herr!
lasse mich an einen Ort kommen, wo du mich
erlösen magst, gedenke meiner, wenn du in
dein Reich kommst!» Da sprach Jesus
zu ihm: «Wahrlich, ich sage dir, heute
noch wirst du mit mir im Paradiese sein.»
Die Mutter
Jesu, Magdalena, Maria Cleophä, Maria Magdalena
und Johannes standen aber zwischen den Kreuzen
der Schächer um Jesu Kreuz und schauten
den Herrn an, und die heilige Jungfrau,
ganz von Mutterliebe überwältigt, flehte
innerlich sehr inbrünstig, Jesus möge sie
doch mit ihm sterben lassen. Da blickte
der Herr seine liebe Mutter gar ernst und
mitleidig an und wendete seine Augen zu
Johannes und sagte zu ihr: «Frau, sieh,
das ist dein Sohn; er wird noch mehr dein
Sohn sein, als wenn du ihn geboren hättest.»
Er lobte auch noch Johannes und sagte: «Er
ist immer arglos glaubend gewesen und hat
sich nicht geärgert, außer damals, da seine
Mutter ihn wollte erhöht haben.» Zu Johannes
aber sagte er: «Sieh! das ist deine Mutter!»,
und Johannes umarmte die Mutter Jesu, die
nun auch seine Mutter geworden war, ehrerbietig
wie ein frommer Sohn unter dem Kreuz des
sterbenden Erlösers. Die heilige Jungfrau
aber war nach diesem feierlichen Vermächtnis
ihres sterbenden Sohnes so von Schmerz und
Ernst erschüttert, daß sie in den Armen
der heiligen Frauen das äußere Bewußtsein
verlor und, von ihnen umgeben, dem Kreuz
gegenüber eine Weile auf den Erdwall niedergesetzt
und sodann aus dem Kreise des Richtplatzes
zu ihren Freundinnen gebracht wurde.
Ich weiß nicht,
ob Jesus alle diese Worte laut mit seinen heiligen
Lippen aussprach, aber ich ward sie inne, als
er seine heilige Mutter dem Johannes als Mutter
und diesen ihr als Sohn vor seinem Tod übergab.
In solchen Betrachtungen wird vieles vernommen,
was nicht geschrieben steht, und man kann nur
das wenigste mit den gewöhnlichen Worten wiedererzählen.
Was dort so klar ist, daß man glaubt, es verstehe
sich von selbst, das weiß man hier nicht mit
Worten verständlich zu machen. So verwundert
man sich dort gar nicht, daß Jesus, die heilige
Jungfrau anredend, nicht «Mutter» spricht, sondern
«Frau»; denn man fühlt sie in ihrer Würde als
das Weib, welches der Schlange das Haupt zertreten
sollte in dieser Stunde, da durch den Opfertod
des Menschensohnes, ihres Sohnes, jene Verheißung
wahr geworden ist. Man wundert sich dort nicht,
daß er ihr, die der Engel gegrüßt: «Du bist
voll der Gnade!», den Johannes zum Sohn gibt,
weil man sieht, daß dessen Name ein Name der
Gnade ist, denn dort sind alle das, was sie
heißen, und Johannes war ein Kind Gottes geworden,
und Christus lebte in ihm. Man fühlt dort, daß
Jesus mit jenen Worten Maria allen zur Mutter
gegeben, welche, ihn wie Johannes aufnehmend
und an seinen Namen glaubend, Kinder Gottes
werden und nicht aus Blut, nicht aus dem Willen
des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes,
sondern aus Gott geboren sind. Man fühlt dort,
daß die Reinste, Demütigste, Gehorsamste, welche,
zu dem Engel sprechend: «Siehe die Magd des
Herrn, mir geschehe nach deinem Worte», die
Mutter des ewigen fleischgewordenen Wortes geworden
war, jetzt, da sie von ihrem sterbenden Sohne
vernimmt, daß sie nun auch eine geistliche Mutter
eines andern Sohnes sein solle, mitten in den
zerreißenden Schmerzen des Abschieds wieder
demütig gehorsam in ihrem Herzen gesprochen
hat: «Siehe die Magd des Herrn, mir geschehe
nach deinem Worte», und daß sie alle Kinder
Gottes, alle Brüder Jesu als ihre Kinder aufnahm.
Alles dieses erscheint aber dort so einfach
und hier so mannigfaltig, daß es mehr durch
die Gnade Gottes zu fühlen als mit Worten auszusprechen
ist. Ich muß bei solchen Dingen gedenken, wie
mir mein himmlischer Bräutigam einst sagte:
«In den glaubenden, hoffenden, liebenden Kindern
der Kirche steht alles geschrieben.»
⃰
⃰
Diese
Äusserung der Erzählenden bezieht sich auf eine
Betrachtung, welche sie am 3. November des dritten
Lehrjahres Jesu, 28 Tage nach Lazari Erweckung
von den Tobten und 5 Monate vor dem Tode des
Herrn mitteilte. Sie sah den Herrn an der äußersten
Ostgrenze des gelobten Landes, nachdem er das
Land der Amoriter (Gilead) durchwandert, in
einem Städtchen nördlich eines größeren äußersten
Grenzortes, den sie Kedar nannte, mehrere Tage
bei Gelegenheit einer Vermählung über die Bedeutung
und Heiligkeit der Ehe lehren. Die Erzählende
sagte damals: „ich war in dieser Betrachtung
wie ein gegenwärtiger Zuhörer und wandelte mit
den Andern hin und zurück. Die Lehren des Herrn
erschienen mir aber so heilig und so dringend
wichtig für unsere elende Zeit, daß ich mit
großer Heftigkeit in meinem Herzen ausschriee:
„„Ach, warum wird dieses nicht aufgeschrieben,
warum ist denn kein Jünger da, dieses aufzuschreiben,
auf daß es die ganze arme Welt erfahre?""
Bei diesem meinem heftigen Verlangen wendete
sich mein himmlischer Bräutigam plötzlich zu
mir um und sprach: „Ich wirke die Liebe und
baue den Weinberg, wo es Früchte trägt; wäre
dieses aufgeschrieben, es wäre wie vieles Geschriebene
vernichtet, oder unbefolgt, oder bequem gedeutet.
Dieses und unendlich vieles, das nicht geschrieben
steht, ist Fruchtbringender geworden, als das
Geschriebene. Nicht das geschriebene Gesetz
ist das befolgte. In den glaubenden, hoffenden,
liebenden Kindern der Kirche steht alles geschrieben
u. s. w."
Zustand
der Stadt und des Tempels während der Finsternis
Es war nun
ungefahr ½ 2 Uhr, und ich wurde in die Stadt
geführt zu sehen, wie es dort hergehe. Ich
fand eine allgemeine Angst und Bestürzung.
Nebel und Nacht lag in den Straßen, die
Menschen tappten verirrt umher, viele lagen
in Winkeln mit verhülltem Haupt und schlugen
an die Brust, viele schauten nach dem Himmel
und standen auf den Dächern und wehklagten.
Die Tiere brüllten und verbargen sich, die
Vögel flogen niedrig und fielen nieder.
Ich sah, daß Pilatus den Herodes besucht
hatte, und daß sie in großer Bestürzung
nach dem Himmel schauten, auf derselben
Terrasse, von welcher Herodes am Morgen
die Verspottung Jesu mitangesehen hatte.
Dies sei nicht natürlich, sagten sie, Jesus
sei gewiß zuviel geschehen. Ich sah hierauf
Herodes mit Pilatus nach dessen Palast über
das Forum gehen. Sie waren beide sehr geängstigt
und gingen mit starken Schritten, von Wachen
umgeben. Pilatus schaute nicht nach dem
Richterstuhl Gabbatha hin, wo er Jesus verurteilt
hatte. Das Forum war öde, die Leute eilten
hie und da in die Häuser, andere liefen
wehklagend umher. Es sammelten sich auch
einige Haufen auf den öffentlichen Plätzen.
Pilatus in seinem Palast ließ die Ältesten
aus den Juden berufen und fragte sie, was
ihnen diese Finsternis bedeute, er halte
sie für ein drohendes Zeichen, ihr Gott
scheine über sie zu zürnen, daß sie den
Galiläer mit Gewalt zum Tode begehrt, der
gewiß ihr Prophet und König gewesen sei,
er habe seine Hände gewaschen, usw. Sie
aber blieben hartnäckig, legten alles als
eine gewöhnliche Naturerscheinung aus und
bekehrten sich nicht. Jedoch hie und da
bekehrten sich viele Leute, und zwar auch
alle jene Soldaten, die gestern bei der
Gefangennehmung Jesu am Ölberg gefallen
und wieder aufgestanden waren.
Es sammelte sich
unterdessen viel Volk vor dem Schloß des Pilatus,
und wo sie morgens geschrien: «Kreuzige ihn,
hinweg mit ihm!» schrien sie jetzt: «Ungerechter
Richter! Sein Blut komme auf seine Mörder!»
Pilatus mußte sich mit Soldaten umgeben, und
jener Zadoch, der am Morgen, als Jesus ins Richthaus
ging, seine Unschuld laut ausgerufen, schrie
und lärmte dermaßen vor dem Palast, daß Pilatus
ihn beinahe festnehmen ließ. Pilatus, der elende
Mensch ohne Seele, machte den Juden die größten
Vorwürfe: er habe keinen Teil daran, es sei
ihr König, ihr Prophet, ihr Heiliger gewesen,
den sie zum Tode gebracht, und nicht der seine,
ihn gehe er nichts an, sie hätten seinen Tod
gewollt.
Im Tempel herrschte
Angst und Schrecken im höchsten Grade. Sie waren
im Schlachten des Osterlammes begriffen, als
plötzlich die Nacht einfiel, alles war verwirrt,
und hie und da brach bange Wehklage aus. Die
Hohenpriester taten alles, um die Ruhe und Ordnung
zu erhalten; man steckte alle Lampen beim hellen
Tage an, aber die Verwirrung ward nur noch größer.
Ich sah Annas in peinliche Angst geraten, er
lief aus einem Winkel in den andern, um sich
zu verbergen. Als ich wieder zur Stadt hinausging,
bebten die Schirme und Gitter vor den Fenstern
der Häuser, und es war doch kein Sturm. Die
Dunkelheit ward immer größer. Ich sah auch im
äußeren Teil der Stadt an der West-/Nordgegend,
gegen die Stadtmauer zu, wo viele Gärten und
Gräber sind, einzelne Grabeingänge einsinken,
als wanke der Boden.
Verlassenheit
Jesu
Viertes Wort Jesu am Kreuz
Auf Golgota
machte die Finsternis einen wunderbar fürchterlichen
Eindruck. Das greuliche Toben und Martern,
das Geschrei und die fluchende Tätigkeit
bei der Kreuzaufrichtung, die Anknebelung
und das Gebrüll der beiden Schächer, das
Höhnen und Umherreiten der Pharisäer, der
Wechsel der Soldaten, das lärmende Abziehen
der berauschten Henker hatte im Anfange
der Verfinsterung den Eindruck zerstreut,
und dann folgte die Strafrede des reumütigen
Dismas und die Wut der Pharisäer gegen ihn.
Nun aber wuchs die Finsternis, die Zuschauer
wurden ernster und vom Kreuz abgewendeter.
Da empfahl Jesus seine Mutter dem Johannes,
und sie ward hierauf aus dem Kreise hinausgebracht.
Es trat jetzt eine dumpfe Pause ein, das
Volk ward bange bei der zunehmenden Finsternis,
die meisten schauten zum Himmel, in vielen
regte sich das Gewissen, manche wendeten
die Augen reumütig zum Kreuz, viele schlugen
an die Brust und bereuten, die Gleichgesinnten
zogen sich nach und nach zusammen, die Pharisäer,
heimlich bang, erklärten alles noch natürlich,
aber ihre Reden wurden immer kleinlauter
und verstummten endlich fast ganz. Hie und
da stießen sie wohl noch ein freches Wort
aus, aber es machte sich sehr gezwungen.
Der Kern der Sonne war fahldunkel wie Berge
im Mondschein, ein roter Ring umgab sie,
die Sterne traten mit rötlichem Lichte hervor,
die Vögel fielen aus der Luft auf dem Kalvarienberg
und in den nahen Weinbergen zwischen die
Menschen nieder und ließen sich mit Händen
greifen, die Tiere umher brüllten und zitterten,
die Pferde und Esel der berittenen Pharisäer
drängten sich zusammen und hängten die Köpfe.
Dampf und Nebel umgab alles.
Um das Kreuz
war es stille, alles war abgewendet, viele
Leute flohen zur Stadt. Der gekreuzigte
Heiland war mit dem Gefühl der tiefsten
Verlassenheit in seiner unendlichen Marter,
seine Feinde liebend und für sie betend,
zu seinem himmlischen Vater gewendet. Er
betete, wie während seines ganzen Leidens,
stets in Psalmenstellen, die nun an ihm
in Erfüllung traten. Ich sah Engelsgestalten
um ihn. Als die Dunkelheit aber zunahm und
die Angst drückend auf allen Gewissen und
eine dumpfe Stille über allem Volk lag,
sah ich Jesus ganz einsam und trostlos hängen.
Er litt alles, was ein armer, gepeinigter,
zermalmter Mensch in der größten Verlassenheit,
ohne menschlichen und göttlichen Trost leidet,
wenn der Glaube, die Hoffnung, die Liebe
ganz einsam, ohne Erwiderung und Genuß,
ohne alles Licht, nackt ausgeleert in der
Wüste der Prüfung stehen und mit unendlicher
Marter allein von sich selbst leben. Er
ist nicht auszusprechen, dieser Schmerz.
In diesem Leid errang uns der liebende Jesus
die Kraft, in dem äußersten Elende der Verlassenheit,
wenn alle Bande und Beziehungen mit jenem
Dasein und Leben, jener Welt und Natur aufhören,
in denen wir hienieden stehen, und wenn
also auch jene Aussichten sich schließen,
welche dieses Leben aus sich selbst zu einem
andern Dasein eröffnet, durch die Vereinigung
unserer Verlassenheit mit den Verdiensten
seiner Verlassenheit am Kreuz siegreich
zu bestehen. Er errang uns die Verdienste
des Bestehens im äußersten Kampf gänzlicher
Verlassenheit und opferte sein Elend, seine
Armut, seine Verlassenheit für uns elende
Sünder auf, so daß der mit Jesus im Leibe
der Kirche vereinigte Mensch nicht mehr
verzweifeln darf in der äußersten Stunde,
wenn sich alles verfinstert und alles Licht
scheidet und aller Trost. In diese Wüste
der inneren Nacht brauchen wir nicht mehr
einsam und gefährdet hinabzusteigen! Jesus
hat in den Abgrund des bitteren Meeres dieser
Verlassenheit seine innere und äußere Verlassenheit
am Kreuze hinabgesenkt, und so hat er den
Christen in der Verlassenheit des Todes,
in der Verfinsterung allen Trostes nicht
mehr einsam gelassen. Es gibt keine Wüste,
keine Einsamkeit, keine Verlassenheit, keine
Verzweiflung in letzter Todesnot mehr für
den Christen, denn Jesus, der das Licht,
der Weg und die Wahrheit ist, ist auch diesen
finsteren Weg segnend und alle Schrecken
bändigend gewandelt und hat sein Kreuz in
dieser Wüste aufgerichtet.
Jesus, ganz
verlassen, ganz arm, ganz hilflos, gab,
wie die Liebe tut, sich selbst hin, ja er
machte seine Verlassenheit selbst zu einem
reichsten Schatz, denn er opferte sich und
all sein Leben, Arbeiten, Lieben und Leiden
und das bittere Gefühl unseres Undankes
seinem himmlischen Vater für unsere Schwachheit
und Armut auf Er machte vor Gott sein Testament
und gab all sein Verdienst der Kirche und
den Sündern. Er gedachte aller, er war in
seiner Verlassenheit bei allen, bis ans
Ende der Zeit, und so betete er auch für
jene Irrgläubigen, welche meinen, er habe
als Gott sein Leiden nicht gefühlt und habe
nicht oder nur weniger gelitten als ein
Mensch, der in solchen Leiden stehen würde.
— Indem ich aber seines Gebets teilhaftig
und mitfühlend wurde, vernahm ich, als sage
er, man solle doch ja lehren, daß er dieses
Leiden der Verlassenheit bitterer, als ein
Mensch es vermag, gelitten habe, weil er
ganz mit der Gottheit vereint, weil er ganz
Gott und Mensch war und nun im Gefühl der
von Gott verlassenen Menschheit als Gottmensch
das Leiden der Verlassenheit vollkommen
in seinem ganzen Maß fühlend erschöpfte.
Und so rief
er in seinem Leiden das Zeugnis seiner Verlassenheit
aus und eröffnete damit allen äußerst Bedrängten,
welche Gott als ihren Vater erkennen, die
Freiheit zu vertrauter kindlicher Klage.
— Jesus rief gegen 3 Uhr mit lauter Stimme:
«Eli, Eli Lama Sabachtani!» Das heißt:
«Mein Gott.
Mein Gott. Warum hast du mich verlassen?»
Als dieser
Ruf unseres Herrn die bange Stille umher
unterbrach, wendeten sich die Spötter wieder
zum Kreuz, und einer sprach: «Er ruft den
Elias», ein anderer: «Wir wollen sehen,
ob Elias kommt und’ ihm herunterhilft.»
Die Mutter aber, da sie die Stimme ihres
Sohnes hörte, konnte nichts mehr zurückhalten,
sie drang wieder zu dem Kreuz hin, und Johannes,
Maria Cleophä, Magdalena und Salome folgten
ihr.
Es war, während
das Volk umher zagte und wehklagte, ein
Zug von etwa dreißig reitenden vornehmen
Männern, aus Judäa und der Gegend von Joppe
zum Feste ziehend, angekommen, und da sie
das schreckliche Verfahren mit Jesus und
die drohenden Erscheinungen in der Natur
sahen, sprachen sie ihr Entsetzen laut aus
und riefen: «Wehe! Man sollte diese greuliche
Stadt, wäre der Tempel Gottes nicht in ihr,
niederbrennen, solche Schuld hat sie auf
sich geladen!»
Diese Äußerung
der vornehmen Fremden ward dem Volk eine
Stütze. Murren und Wehklagen brach nun überall
aus, und die Gleichgesinnten zogen sich
zusammen. Alle Anwesenden zerfielen in zwei
Parteien, der eine Teil wehklagte und murrte,
die anderen schimpften und tobten dagegen,
die Pharisäer aber wurden immer kleinlauter,
und weil sie einen Aufstand des Volkes fürchteten,
da auch in Jerusalem eine große Bestürzung
herrschte, so besprachen sie sich mit dem
Hauptmann Abenadar, worauf man zum nahen
Tor sendete und es schließen ließ, um die
Verbindung mit der Stadt zu unterbrechen,
und durch einen Boten fünfhundert Mann von
Pilatus’ und Herodes’ Leibwache begehrte,
um einem Aufstand vorzubeugen. — Einstweilen
schaffte der Hauptmann Abenadar durch seinen
Ernst Ordnung und Ruhe und untersagte den
Hohn, um das Volk nicht zu reizen.
Bald nach
drei Uhr ward es heller, der Mond begann von
der Sonne zu weichen, und zwar nach entgegengesetzter
Richtung. Die Sonne erschien strahllos, umnebelt
und rot, und der Mond sank schnell nach der
entgegengesetzten Seite, als wenn er falle.
Es kehrten auch die Sonnenstrahlen nach und
nach zurück, und die Sterne verschwanden, doch
war es noch immer trübe. Mit dem nahenden Licht
wurden die Spötter wieder kühner und triumphierten,
und da geschah es, daß sie sagten: «Er ruft
den Elias.» Abenadar aber gebot Ruhe und Ordnung.
Tod Jesu
Fünftes bis siebentes Wort Jesu am Kreuz
Als es heller
ward, erschien der Leib des Herrn am Kreuz
bleich, schwach, wie ganz verschmachtet
und weißer als vorher, so sehr war er verblutet.
Er sagte auch, ich weiß nicht, ob betend
und mir allein vernehmlich oder ob halblaut:
«Ich bin gepreßt wie der Wein, der hier
zuerst gekeltert worden, all mein Blut muß
ich geben, bis das Wasser kommt und die
Hülsen weiß werden, es soll aber kein Wein
mehr hier gekeltert werden.»
Ich sah später
in bezug auf diese Worte ein Bild, wie Japhet
hier auf dieser Stelle den Wein gekeltert
hat, das ich später erzählen will.
Jesus war
ganz verschmachtet und sprach mit vertrockneter
Zunge: «Mich dürstet» —und da die Seinigen
ihn traurig ansahen, sagte er: «Konntet
ihr mir nicht einen Trunk Wasser geben?»
Er meinte, während der Finsternis hätte
sie wohl niemand gehindert. Johannes sagte
betrübt: «O Herr! Wir haben es vergessen»,
und Jesus sagte noch soviel wie: «Auch die
Nächsten mußten mich vergessen und mir keinen
Trunk reichen, auf daß die Schrift erfüllt
würde.» — Es hatte ihm aber dieses Vergessen
bitter weh getan. Auf seine Klage baten
sie die Soldaten und boten ihnen Geld an,
ihm einen Trunk Wasser zu reichen, sie taten
es aber nicht, sondern einer tauchte einen
birnförmigen Schwamm in Essig, der in einem
Tönnchen von Bast dastand, und goß auch
Galle hinein. Aber der Hauptmann Abenadar
war von Jesus gerührt, er nahm dem Soldaten
den Schwamm, drückte ihn aus und füllte
ihn mit reinem Essig. Er steckte hierauf
das eine Ende des Schwammes in ein kurzes
Stück Ysoprohr, welches wie ein Mundstück
zum Saugen diente, und hob diese auf der
Spitze seiner Lanze befestigte Vorrichtung
so zu dem Antlitz Jesu empor, daß das Rohrstück
zu dem Mund Jesu gelangte und dieser durch
dasselbe den Essig aus dem Schwamm saugen
konnte.
Von einigen
Worten, welche ich den Herrn noch zur Ermahnung
des Volkes sprechen hörte, erinnere ich
mich allein, daß er sagte: «Und wenn ich
keine Stimme mehr habe, wird der Mund der
Toten sprechen»; worauf einige ausriefen:
«Er lästert noch!» Abenadar aber gebot Ruhe.
Da nun die
Stunde des Herrn gekommen war, rang er mit
dem Tode, und ein kalter Schweiß drang aus
seinen Gliedern. Johannes stand am Kreuz
und trocknete Jesu Füße mit seinem Schweißtuch.
Magdalena lehnte, ganz von Schmerz zermalmt,
an der Rückseite des Kreuzes. Die heilige
Jungfrau stand zwischen Jesus und des guten
Schächers Kreuz, von den Armen der Maria
Cleophä und der Salome unterstützt, und
sah zu ihrem sterbenden Sohn hinauf Da sprach
Jesus: «Es ist vollbracht!» und richtete
das Haupt empor und rief mit lauter Stimme:
«Vater, in deine Hände befehle ich meinen
Geist!» Es war ein süßer lauter Schrei,
der Himmel und Erde durchdrang; dann senkte
er sein Haupt und gab seinen Geist auf,
und ich sah seine Seele wie einen leuchtenden
Schatten bei dem Kreuz zur Erde hinab in
den Kreis der Vorhölle fahren. — Johannes
und die heiligen Frauen sanken zur Erde
auf ihr Antlitz nieder.
Abenadar,
der Hauptmann, von Geburt ein Araber, als
Jünger nachmals Ktesiphon getauft, hielt,
seit er Jesus mit dem Essig tränkte, auf
seinem Pferd dicht am Kreuzhügel, so daß
der Vorderteil des Tieres erhöht stand.
Er schaute lange tieferschüttert, ernst,
unabgewandt ins dornengekrönte Antlitz unseres
Herrn. Des Rosses Haupt war bang und krank
gesenkt, und Abenadar, dessen Stolz sich
beugte, zog auch den Zügel nicht an. Da
sprach der Herr die letzten Worte laut und
kräftig und starb mit Erde, Höll’ und Himmel
laut durchdringendem Geschrei. Die Erde
bebte, und der Fels zerbarst weit klaffend
zwischen Jesus und des linken Schächers
Kreuz. Das Zeugnis Gottes ging mit Schreck
und Schauder mahnend tief durch die trauernde
Natur. Es war vollbracht — die Seele unseres
Herrn verließ den Leib, und bei dem Todesschrei
des sterbenden Erlösers erbebten alle, die
es hörten, mit der Erde, die wallend ihren
Heiland anerkannte, doch die verwandten
Herzen nur durchfuhr ein scharfes Schwert
des Schmerzes. Da war es, daß die Gnade
über Abenadar kam, da zitterte sein Roß
und wankte seine Leidenschaft und brach
sein stolzer, harter Sinn gleich dem Kalvariafels.
Er warf den Speer von sich und schlug mit
starker Faust gewaltig an sein Herz, laut
schreiend mit der Stimme eines neuen Menschen:
«Gelobt sei Gott, der Allmächtige, der Gott
Abrahams und Jakobs, dieser war ein gerechter
Mann, wahrhaftig er ist Gottes Sohn!», und
viele der Soldaten, von des Hauptmanns Wort
erschüttert, taten ebenso wie er.
Es wollte
aber Abenadar, der nun ein neuer, ein erlöster
Mensch war, nachdem er öffentlich dem Sohne
Gottes huldigte, nicht länger mehr im Dienst
seiner Feinde stehen. Er wendete sein Pferd
zu Cassius, dem Unteroffizier, den man Longinus
nennt, stieg ab, hob seine Lanze auf und
gab sie ihm, sprach einiges zu den Soldaten
und zu Cassius, der nun das Pferd bestieg
und hier befehligte; denn Abenadar eilte
vom Kalvarienberg und durch das Tal Gihon
zu den Höhlen des Tales Hinnom; er kündigte
den dort verborgenen Jüngern den Tod des
Herrn an und eilte weiter zu Pilatus in
die Stadt.
Es kam ein
tiefes Erschrecken über alle Anwesenden
mit dem Todesschrei Jesu, als die Erde bebte
und der Kreuzhügel zersprang, es war ein
Schrecken, der durch die ganze Natur ging,
denn da zerriß auch der Vorhang des Tempels,
da stiegen viele Tote aus den Gräbern, da
sanken Wände im Tempel, stürzten Berge und
Gebäude in vielen Weltgegenden ein.
Abenadar
rief sein Zeugnis aus, viele Soldaten zeugten
mit ihm, viele aus dem anwesenden Volk und
den zuletzt gekommenen Pharisäern bekehrten
sich. Viele schlugen an die Brust, wehklagten
und irrten vom Berg durch das Tal nach Hause.
Andere zerrissen ihre Kleider und streuten
Staub auf ihr Haupt. Alles war voll Furcht
und Schrecken.
Johannes
richtete sich auf, mehrere der heiligen
Frauen, die bisher entfernt gestanden, drangen
in den Kreis, sie erhoben die Mutter Jesu
und die Freundinnen und führten sie aus
dem Kreis hinaus, um sie zu erquicken.
Da der liebende
Herr alles Lebens die martervolle Schuld
des Todes für die Sünder zahlte, als Mensch
seine Seele seinem Gott und Vater empfahl
und seinen Leib dahingab in den Tod, überzog
dieses heilige zerschmetterte Gefäß die
bleiche kalte Farbe des Todes. Sein Leib
erzitterte in Schmerzen und ward weiß, und
die Ströme des an den Wundstellen niedergeronnenen
Blutes erschienen dunkler und deutlicher.
Sein Angesicht ward länger, seine Wangen
sanken ganz ein, seine Nase ward schmaler
und spitzer, seine Kinnlade sank nieder,
seine geschlossenen, blutvollen Augen öffneten
sich halbgebrochen, er hob das dornengekrönte
Haupt zum letzten Mal wenige Augenblicke
und ließ es sinken auf die Brust unter der
Last der Schmerzen, seine Lippen, blau und
gespannt, zeigten in dem offenen Mund die
blutige Zunge. Seine Hände, früher um die
Nägelköpfe gekrümmt, öffneten sich und sanken
mehr hervor, indem die Arme sich ganz streckten,
sein Rücken gegen das Kreuz sich anschloß
und die ganze Last des heiligen Leibes auf
die Füße niedersank. Da sanken seine Knie
zusammen, nach einer Seite sich wendend,
und es drehten sich seine Füße etwas um
den Nagel, der sie durchbohrte.
Da erstarrten
die Hände seiner Mutter, ihre Augen verdunkelten
sich, Todesbleiche bedeckte sie, ihre Ohren
hörten nicht mehr, ihre Füße wankten, sie
sank zur Erde, und auch Magdalena, Johannes
und die andern sanken mit verhülltem Angesicht,
dem Schmerz hingegeben, nieder.
Und als die liebendste,
traurigste Mutter aufgerichtet ward von den
Freunden und die Augen emporrichtete, sah sie
den vom Heiligen Geist rein empfangenen Leib
ihres Sohnes, das Fleisch von ihrem Fleisch,
das Gebein von ihrem Gebein, das Herz von ihrem
Herzen, das heilige Gefäß, aus ihrem Schoß in
göttlicher Überschattung gebildet, nun aller
Zier, aller Gestalt und seiner heiligsten Seele
beraubt, hingegen den Gesetzen der Natur, die
er geschaffen und die der Mensch in Sünde mißbraucht
und entstellt hat, von den Händen derjenigen,
die herzustellen und zu beleben er gekommen
war ins Fleisch, zertrümmert, mißhandelt, entstellt,
getötet. Ach! ausgestoßen, verachtet, verhöhnt
hing einem Aussätzigen gleich das ausgeleerte
Gefäß aller Schönheit, Wahrheit und Liebe zerrissen
am Kreuz zwischen Mördern. — Wer faßt den Schmerz
der Mutter Jesu, der Königin aller Märtyrer!
Das Licht der
Sonne war noch trüb und neblig, es war schwül
und drückende Luft bei dem Beben der Erde, nachher
aber folgte eine empfindliche Kühle. — Die Gestalt
von unseres Herrn Leichnam am Kreuz war ungemein
ehrbar und rührend. Die Schächer hingen in schrecklicher
Verdrehung wie betrunken da, sie schwiegen zuletzt
beide, Dismas betete.
Es war bald nach
drei Uhr, da Jesus verschied. Als der erste
Schrecken des Erdstoßes vorüber war, wurden
mehrere der Pharisäer frecher. Sie nahten dem
Riß des Kalvarienberges, warfen Steine hinab,
banden Stricke zusammen und ließen sie hinab,
als sie aber den Grund nicht erreichen konnten,
wurden sie etwas bedenklicher, auch ergriff
sie das Wehklagen und das Brustschlagen des
Volkes, und sie ritten von dannen. Mehrere waren
ganz verwandelt in ihrem Innern. Auch das Volk
verlor sich bald nach der Stadt und durch das
Tal in Schrecken und Angst. Viele hatten sich
bekehrt. Ein Teil der anwesenden fünfzig römischen
Soldaten verstärkte die Wache am Tor, bis die
verlangten 500 andern ankamen. Das Tor war geschlossen
worden, einige der Soldaten hatten andere Posten
umher besetzt, um Zulauf und Verwirrung zu verhüten.
Cassius (Longinus) und etwa fünf Soldaten blieben
in dem Kreis, sie lagen an der Umwallung umher.
Die Verwandten Jesu umgaben das Kreuz und saßen
ihm gegenüber und wehklagten und trauerten.
Mehrere der heiligen Frauen waren zur Stadt
gekehrt. — Es war einsam, still und traurig.
Aus der Ferne im Tal und auf entlegenen Höhen
erschien hie und da scheu einer der jünger und
schaute furchtsam und neugierig nach dem Kreuz
und zog sich bei jeder Annäherung von Menschen
wieder zurück.
Erdbeben,
Erscheinung der Toten in Jerusalem
Als Jesus
mit lautem Ruf seinen Geist in die Hände
seines himmlischen Vaters aufgab, sah ich
seine Seele, eine Lichtgestalt, bei dem
Kreuz zur Erde niederfahren und mit ihr
eine leuchtende Schar von Engeln, darunter
auch Gabriel; ich sah durch diese Engel
eine große Menge von bösen Geistern von
der Erde in den Abgrund niedertreiben. Jesus
aber sendete viele Seelen aus der Vorhölle
hinauf in ihre Leiber, die Unbußfertigen
zu schrecken und zu mahnen und ein Zeugnis
von ihm zu geben.
Mit dem Erdstoß
bei Jesu Tod, da der Kalvarifels zersprang,
stürzte und sank vieles in der Welt, besonders
in Palästina und Jerusalem. Sie hatten sich
in der Stadt und dem Tempel kaum etwas bei
der weichenden Finsternis beruhigt, als
das Beben des Grundes, das Getöse des Einstürzens
an vielen Orten einen noch allgemeineren
Schrecken verbreitete. Den fliehenden und
wehklagend durcheinander eilenden Menschen
aber traten zum äußersten Entsetzen hie
und da die erstandenen, wandelnden, mit
hohler Stimme mahnenden Leichen entgegen.
Im Tempel
hatten die Hohenpriester das Schlachten,
welches durch den Schrecken der Finsternis
etwas gestört worden, eben wieder in Gang
gebracht und triumphierten über das rückkehrende
Licht, als plötzlich der Grund bebte, ein
dumpfes Getöse gehört wurde und das Krachen
einstürzender Mauern, von dem zischenden
Reißen des Vorhangs begleitet, einen Augenblick
der stummen Angst in der ungeheuren Menge
erweckte, der bald hie und da von Wehgeschrei
unterbrochen ward. Aber die Menge war so
geordnet, das ungeheure Gebäude des Tempels
so erfüllt und das Heran- und Zurückschreiten
der großen Scharen der schlachtenden Menschen
so regelmäßig bestimmt, und die Handlung
des Schlachtens, Blutauslassens und Sprengens
des Blutes am Altar durch die langen Reihen
unzähliger Priester, von lautem Gesang und
Posaunenschall umtönt, war so zusammenhängend
und verkettet, daß der Schrecken nicht gleich
in allgemeine Verwirrung und Auflösung überging.
So setzte sich denn in dem ungeheuren Gebäude,
den vielen Räumen und Gängen die Opfertätigkeit
in einzelnen Gegenden noch ruhig fort, während
Schrecken und Entsetzen an andern Orten
ausbrach und am dritten durch die Priester
wieder gestillt wurde, bis endlich durch
die Erscheinung der Toten hie und da im
Tempel sich alles auflöste und das Opfer,
als sei der Tempel verunreinigt, unterbrochen
wurde. Doch auch dieses Ereignis kam nicht
so plötzlich über die Menge, daß sie sich
erdrückend, fliehend die vielen Tempelstufen
herabgestürzt hätte, sondern sie löste sich
nach und nach, in Massen niedereilend, auf,
während andere Teile hie und da wieder durch
die Priester und durch die Absonderungen
zusammengehalten wurden. Doch war die Angst,
der Schrecken in verschiedenen Graden im
ganzen unbeschreiblich.
Man kann
sich ein Bild der Ordnung und Störung, die
hier herrschte, machen, wenn man sich einen
großen Ameisenhaufen in voller geordneter
Tätigkeit vorstellt, in welchen Steine geworfen
oder der hie und da mit einem Stab zerwühlt
wird; während hier sich alles verwirrt,
geht dort die Tätigkeit noch den ungestörten
Gang und wird an erwählten Orten auch gleich
wieder gedeckt und hergestellt.
Der Hohepriester
Kaiphas und sein Anhang aber verlor mit
verzweifelter Frechheit den Kopf nicht,
und gleich der klugen Obrigkeit einer aufrührerischen
Stadt brach er durch Drohung, Trennung der
Parteien, Zureden und allerlei Vorspiegelungen
die Gefahr und erreichte besonders durch
seine teuflische Hartnäckigkeit und scheinbare
Ruhe so viel, daß nicht eine allgemeine
verderbliche Verwirrung ausbrach und daß
die Meinung des ganzen Volkes diese schrecklichen
Mahnungen nicht als ein Zeugnis für den
unschuldigen Tod Jesu auslegte. Auch die
römische Besatzung der Burg Antonia tat
alles, die Ordnung zu erhalten, und so waren
zwar der Schrecken und die Verwirrung groß
und erfolgte die Auflösung des Festes, aber
ohne Aufstand, und die Flamme ward zu einer
glimmenden Angst, welche das Volk, nach
und nach zerstreut, mit nach Hause nahm
und die dort bei den meisten durch die Tätigkeit
der Pharisäer wieder unterdrückt wurde.
So war es
im allgemeinen. Die einzelnen Ereignisse,
deren ich mich entsinne, waren folgende:
Die beiden großen Säulen des Einganges in
das Sanktum des Tempels, zwischen welchen
ein prächtiger Vorhang niederhing, wichen
oben auseinander, die linke nach Süden,
die rechte nach Norden; die Schwelle, die
sie trugen, sank, und der große Vorhang
zerriß zischend von oben nach unten der
Länge nach, so daß er, sich öffnend, nach
beiden Seiten niederfiel. Dieser Vorhang
war rot, blau, weiß und gelb. Es waren viele
Himmelskreise darauf abgebildet, auch Figuren,
wie die eherne Schlange. Man konnte nun
in das Sanktum hineinsehen. An Simeons Betzelle
neben dem Sanktum in den nördlichen Mauern
stürzte ein großer Stein heraus, und das
Gewölbe der Zelle stürzte ein. In einigen
Hallen sank hie und da der Boden, Schwellen
verrückten sich und Säulen wichen.
Im Sanktum
erschien der zwischen Tempel und Altar erschlagene
Hohepriester Zacharias und sprach drohende
Worte aus. Auch sprach er von dem Tod des
andern Zacharias
⃰
und
des Johannes, wie überhaupt vom Morde der
Propheten. Er kam von der Öffnung her, welche
der bei Simeons Betzelle ausgefallene Stein
gebildet hatte, und redete die Priester
im Sanktum an. — Zwei frühverstorbene Söhne
des frommen Hohenpriesters Simon Justus,
der ein Ältervater des alten, bei Jesu Opferung
im Tempel weissagenden Priesters Simeon
gewesen ist, erschienen wie Geister in größerer
Gestalt auf dem Lehrstuhl und sprachen drohende
Worte vom Mord der Propheten und dem Opfer,
das nun zu Ende gehe, und ermahnten alle,
sich zu der Lehre des Gekreuzigten zu wenden.
— Am Altar erschien Jeremias und sprach
drohende Worte, das Opfer sei zu Ende, und
es beginne ein neues Opfer. Diese Reden
und Erscheinungen an Orten, wo Kaiphas oder
die Priester sie allein vernommen hatten,
wurden verleugnet und verheimlicht und unter
schwerem Bann verboten, davon zu sprechen.
— Aber es entstand noch ein großes Geräusch,
die Türen des Heiligtumes sprangen auf,
und es ertönte eine Stimme: «Laßt uns von
dannen ziehen!» Ich sah Engel aus dem Tempel
weichen. Der Altar des Rauchopfers bebte,
und ein Rauchgefäß stürzte um, der Behälter
der Schriftrollen fiel ein, und alle Rollen
stürzten durcheinander, die Verwirrung wuchs,
man wußte die Zeit nicht mehr. Nikodemus,
Joseph von Arimathia und viele andere trennten
sich vom Tempel und gingen hinweg. Es lagen
hie und da tote Leiber, andere wandelten
durch das Volk in einzelne Hallen und sprachen
drohende Worte; mit der Stimme der vom Tempel
scheidenden Engel kehrten sie zu den Gräbern
zurück. — Der Lehrstuhl stürzte in der Vorhalle
zusammen. Viele der zuletzt zum Kalvarienberg
gerittenen 32 Pharisäer waren unter dieser
Verwirrung zum Tempel zurückgekehrt, und
da sie sich unter dem Kreuz bekehrt hatten,
erschütterten sie alle diese Zeichen um
so mehr, so daß sie Annas und Kaiphas heftige
Vorwürfe machten und sich vom Tempel zurückzogen.
⃰
Hieher
bezieht sich Folgendes aus den Betrachtungen
vom Leben Jesu. 1821 betrachtete sie das
erste Lehrjahr Jesu, und erzählte Mitte
September vieles von dem Umgange des Herrn
mit einem alten Essener Eliud, einem Neffen
Zachariä, des Vaters des Täufers. Er wohnte
vor Nazareth, wo Jesus damals vor seiner
Taufe einige Tage verweilte. Aus den Gesprächen
Eliud's mit Jesu erzählte die Betrachtende
Vieles, was sich auf die früheste Geschichte
der heiligen Familie bezieht, unter anderm
am 18ten September, 10 Tage vor Jesu Taufe:
„Heute hörte ich auch unter Anderm: Etwa
im 6ten Jahre Johannes des Täufers kam Elisabeth,
seine Mutter, zu ihm in die Wüste. Sie konnte
vor Trauer nicht mehr zu Hause aushalten,
denn Herodes hatte ihren Mann Zacharias,
der von Hebron zum Tempeldienste reiste,
auffangen, und in Jerusalem zuerst grausam
peinigen und dann umbringen lassen, weil
er den Aufenthalt seines Sohnes nicht bekennen
wollte. Seine Freunde begruben nachher seinen
Leib nahe bei dem Tempel. Dieser ist aber
nicht jener Zacharias, der zwischen Tempel
und Altar erschlagen wurde, welchen ich
bei der Auferstehung vieler Toten bei Jesu
Tod aus der Tempelmauer neben dem Betkämmerchen
des alten Simeon's habe heraus und im Tempel
umher gehen sehen, und dessen Grab aus der
Mauer herausstürzte. Es sanken damals noch
mehrere heimliche Gräber im Tempel ein"
u. s. w.
Annas, eigentlich
der heimliche Hauptfeind Jesu, der seit
langem alle versteckten Ränke gegen ihn
und die Jünger geleitet und auch die Ankläger
unterrichtet hatte, war wie unsinnig vor
Angst und floh von einem Winkel in den andern
in den verborgenen Gemächern des Tempels.
Ich sah ihn wie in Krämpfen unter Winseln
und Geschrei ganz verkrümmt in einen versteckten
Raum gebracht werden und von mehreren seiner
Anhänger umgeben. Kaiphas hatte ihn einmal
fest umarmt, um seinen Mut aufzurichten,
aber vergebens; die Erscheinung der Toten
hatte ihn ganz in Verzweiflung gebracht.
— Kaiphas, wiewohl in tiefer Angst, hatte
einen so stolzen und hartnäckigen Teufel
in sich, daß er sich sein Entsetzen nicht
merken ließ. Er bot allen Trotz und setzte
den drohenden Zeichen Gottes und seiner
verborgenen Angst seinen Grimm und Stolz
mit frecher Stirne entgegen. — Als er aber
den Fortgang der heiligen Handlungen nicht
mehr erhalten konnte, verbarg er und gebot
er alle Ereignisse und Erscheinungen zu
verbergen, die nicht der ganzen Menge bekanntgeworden.
Er selbst sprach und ließ andere Priester
sprechen, diese Erscheinungen des Zornes
Gottes seien durch die Anhänger des gekreuzigten
Galiläers veranlaßt, welche verunreinigt
zum Tempel gekommen wären; nur die Feinde
des heiligen Gesetzes, das auch Jesus habe
umstoßen wollen, hätten diesen Schrecken
herbeigeführt, und vieles sei der Zauberei
des Galiläers zuzuschreiben, der auch im
Tode, wie im Leben, die Ruhe des Tempels
gestört habe. So gelang es ihm, viele zu
beschwichtigen und anderen durch Drohungen
Furcht einzujagen, viele jedoch waren tief
erschüttert und verbargen ihre Gesinnung.
Das Fest ward bis zur Reinigung des Tempels
aufgeschoben. Viele Lämmer waren nicht geschlachtet,
das Volk zerstreute sich nach und nach.
Das Grab
des Zacharias unter der Tempelmauer war
unten eingesunken und zerstürzt und dadurch
Steine aus den Mauern gefallen. Zacharias
ist heraus, aber nicht hier wieder hineingegangen,
ich weiß nicht, wo er seine Hülle wieder
abgelegt hat. Die erstandenen Söhne Simon
Justi legten ihre Leiber wieder in die Gruft,
als der Leib Jesu zu Grabe bereitet wurde.
Während alles
dieses im Tempel vorging, herrschte an vielen
Orten von Jerusalem ein gleicher Schrecken.
Gleich nach drei Uhr stürzten viele Gräber,
besonders in der nordwestlichen Gartengegend,
innerhalb der Stadt ein. Ich sah hie und
da die eingehüllten Toten darin liegen,
in anderen lagen vermoderte Lumpen und Gerippe,
aus manchen drang ein unleidlicher Gestank.
— Es stürzten in des Kaiphas Richthaus die
Stufen ein, worauf Jesus verspottet gestanden,
auch ein Teil der Feuerstelle in der Vorhalle
daselbst, wo die Verleugnung des Petrus
begonnen. Es ward eine solche Zerstörung,
daß man einen neuen Eingang nehmen mußte.
Hier erschien die Leiche des Hohenpriesters
Simon Justus, aus dessen Geschlecht Simeon
war, der bei Jesu Opferung im Tempel weissagte.
Diese Erscheinung sprach einige drohende
Worte über das ungerechte Urteil, das hier
gefällt worden, aus. Es waren mehrere vom
Synedrium versammelt. Die Leute, welche
gestern Nacht dem Petrus und Johannes Eingang
verschafft hatten, bekehrten sich und flohen
in die Höhlen zu den Jüngern. — Bei dem
Palast des Pilatus zerbrach der Stein und
sank die Stelle, worauf Jesus von Pilatus
dem Volk dargestellt worden war. Alles wankte
und bebte, und in dem Hof des nahen Richthauses
sank die ganze Stelle ein, wo die Leiber
der unschuldigen Kinder verscharrt waren,
die Herodes hatte ermorden lassen. — Noch
an mehreren Stellen der Stadt stürzten Wände
ein und zerspalteten sich Mauern; doch ward
kein ganzes Gebäude zertrümmert.
— Der verwirrte,
abergläubige Pilatus war in großen Schrecken
und zu aller Regierung unfähig. Das Erdbeben
erschütterte seinen Palast, es rollte und schwankte
unter ihm, er floh von einem Raum zum andern.
Die Toten schrien ihm aus dem Vorhof sein falsches
Gericht und widersprechendes Urteil entgegen.
Er glaubte, dieses seien die Götter des Propheten
Jesus, und sperrte sich in dem heimlichen Winkel
seines Schlosses ein, wo er seinen Göttern räucherte
und opferte, und er tat ihnen Gelübde, auf daß
sie ihm die Götter des Galiläers unschädlich
machen möchten. Herodes war in seinem Palast
wie unsinnig vor Angst und ließ alles zusperren.
Es waren wohl
an hundert Verstorbene aus aller Zeit, welche
in Jerusalem und in der Umgegend mit ihren Leibern
sich aus den eingestürzten Gräbern erhoben und
meistens paarweise zu einzelnen Stellen der
Stadt wanderten, dem hin- und herfliehenden
Volk entgegentraten und mit kurzen Strafworten
von Jesus zeugten. Die meisten Gräber lagen
einsam draußen in den Tälern, aber es waren
auch viele in den neuangelegten Teilen der Stadt,
besonders in der Gartengegend gegen Nordwest,
zwischen dem Ecktor und Kreuzigungstor, und
auch um und unter dem Tempel waren viele vergessene,
heimliche Gräber.
Nicht alle die
Leichname, die beim Einsturz der Gräber sichtbar
wurden, standen auf; manche wurden bloß sichtbar,
weil die Gräber gemeinschaftlich waren. Viele
aber, deren Seelen Jesus aus der Vorhölle emporgesendet,
richteten sich auf, erhoben die Gesichtsklappen
ihrer Leichenverhüllung und schritten wie schwebend
durch die Straßen zu den Ihrigen hin. — Sie
traten in die Häuser ihrer Nachkommen mit drohenden
Strafreden über die Teilnahme am Mord Jesu.
— Ich sah die einzelnen Gestalten, wie sie befreundet
waren, zusammenkommen und paarweise durch die
Straßen der Stadt ziehen. Ich sah die Bewegung
ihrer Füße unter der langen Totenkleidung nicht,
sie strichen wie schwebend leicht über den Boden
hin, ihre Hände waren teils verschlungen in
breiten Binden, teils hingen die weiten, um
die Arme gebundenen Ärmel lang über die Hände
nieder. Die Gesichtsdecken waren aufgeschlagen
über das Haupt, die bleichen, gelben Gesichter
sahen trocken und verdorrt aus den langen Bärten
hervor; die Stimmen klangen fremd und ungewohnt,
und diese Stimmen und das Hinstreichen von Ort
zu Ort, unaufhaltsam und unbekümmert um alles
umher, war ihre einzige Äußerung, ja sie schienen
nichts als Stimmen. Sie waren nach den Sitten
ihrer Sterbezeit, nach Stand und Alter etwas
verschieden gekleidet. An den Scheidewegen,
wo die Todesstrafe Jesu vor dem Zug nach Golgota
ausposaunt worden war, standen sie still und
riefen Jesu Ruhm aus und Wehe den Mördern. Die
Menschen standen fern, hörten und zitterten
und flohen, wenn sie vorwärtsschritten. Auf
dem Forum vor Pilatus’ Palast hörte ich sie
drohende Worte ausrufen, ich erinnere mich des
Wortes: «Blutiger Richter.» — Alles Volk floh
in die äußersten Winkel der Häuser und versteckte
sich, es war eine große Angst in der Stadt;
um vier Uhr ungefähr kehrten die Leichen zu
den Gräbern zurück. Nach Christi Auferstehung
erschienen aber hie und da noch viele Geister.
Das Opfer war unterbrochen und alles in Verwirrung,
nur ein kleiner Teil des Volkes aß das Osterlamm
am Abend.
Ich sah auch
an anderen Orten des Gelobten Landes und in
fernen Ländern allerlei Erscheinungen und Zeichen
in dieser Stunde, die ich später erzählen will.
Joseph
von Arimathia begehrt Jesu Leib von Pilatus
Kaum war nach
allen diesen schrecklichen Ereignissen wieder
einige Ruhe in Jerusalem eingetreten, als auch
der bestürzte Pilatus von allen Seiten mit Berichten
über das Vorgefallene bestürmt ward und nun
auch der Hohe Rat der Juden, was schon am Morgen
von ihm beschlossen war, zu ihm sendete, er
möge den Gekreuzigten die Beine zerschmettern
und sie, wenn sie tot wären, vom Kreuz abnehmen
lassen, damit sie nicht über den Sabbat dahingen.
Pilatus ließ also die Schergen zu diesem Zwecke
hinaus zur Richtstätte senden.
Gleich hierauf
sah ich Joseph von Arimathia, den Ratsherrn,
zu Pilatus kommen. Er hatte den Tod Jesu schon
erfahren und mit Nikodemus beschlossen, den
Leib des Herrn in seinem neuen Felsengrabe im
Garten, nicht sehr weit vom Kalvarienberg, zu
begraben. Ich meine, ihn auch schon draußen
vor dem Tor gesehen zu haben, wie er alles auskundschaftete,
es waren wenigstens schon Leute von ihm in seinem
Grabgarten und reinigten und vollendeten noch
einiges im Innern des Grabes. Nikodemus ging
bereits an einige Orte, um Tücher und Spezereien
zur Leichenbereitung zu kaufen, und erwartete
den Joseph.
Joseph fand Pilatus
sehr geängstigt und verwirrt. Er bat ihn ganz
offen und unerschrocken, er möge ihm erlauben,
den Leib Jesu, des Königs der Juden, vom Kreuz
abzunehmen, denn er wolle ihn in seinem Grab
begraben. Pilatus ward noch mehr erschüttert,
da ein angesehener Mann so dringend bat, den
Leib Jesu, den er so schmählich hatte kreuzigen
lassen, ehren zu dürfen; es mahnte ihn die Unschuld
Jesu noch ängstlicher, aber er verstellte sich
und sagte: «Ist er denn schon tot?» denn er
hatte ja erst vor einigen Minuten die Schergen
hinausgesendet, die Gekreuzigten durch das Beinbrechen
zu töten. Er ließ darum den Hauptmann Abenadar
rufen, der von den Höhlen zurückgekommen war,
wo er mit einigen der Jünger gesprochen hatte,
und fragte ihn, ob der König der Juden schon
gestorben sei. Da erzählte ihm Abenadar den
Tod des Herrn um drei Uhr, seine letzten Worte
und seinen lauten Schrei, das Beben der Erde
und Bersten des Felsens, und Pilatus schien
äußerlich sich bloß zu wundern, daß er so früh
gestorben, weil die Gekreuzigten sonst wohl
länger Lebten, aber innerlich war er geängstigt
und bestürzt über das Zusammentreffen der Zeichen
mit seinem Tode. Er wollte vielleicht seine
Grausamkeit einigermaßen beschönigen, indem
er dem Joseph von Arimathia sogleich einen Befehl
ausfertigte, daß er ihm den Leib des Königs
der Juden schenke und dieser ihm daher zur Abnahme
vom Kreuz und zur Beerdigung zu überlassen sei.
Er freute sich, hierdurch den Hohenpriestern
einen Possen zu tun, welche Jesus gern mit den
beiden Mördern ehrlos eingescharrt gewußt hätten.
— Er sendete auch hinaus, wahrscheinlich den
Abenadar selbst, denn ich sah diesen bei der
Abnahme Jesu vom Kreuze.
Joseph von Arimathia
verließ hierauf den Pilatus und ging zu Nikodemus,
der ihn bei einer wohlgesinnten Frau erwartete,
deren Haus an der breiten Straße, dicht neben
jener Straße lag, in welcher unserem Herrn gleich
bei dem Antritt seines bitteren Kreuzweges so
viel Schmach angetan worden war. Nikodemus hatte
viele Kräuter und Gewürze zur Einbalsamierung
teils hier selbst gekauft, denn diese Frau war
eine Würzhändlerin, teils hatte sie ihm manche
Spezerei, die sie nicht selbst besaß, wie auch
mancherlei Tücher und Binden zur Leichenbereitung
anderwärts gekauft und zusammengetragen, welche
Gegenstände sie ihnen alle bequem zum Tragen
zusammenrollte und packte. Joseph von Arimathia
ging aber auch noch anderwärts und kaufte ein
sehr schönes, feines baumwollenes Tuch, sechs
Ellen lang und mehrere Ellen breit, und ihre
Diener holten aus einem Schuppen neben dem Hause
des Nikodemus Leitern, Hämmer, Bolzen, Wasserschläuche,
Gefäße, Schwämme und alles Nötige zu ihrem Vorhaben,
und sie packten die kleineren Gegenstände in
eine leichte Tragbare, ungefähr wie jene, worin
die Jünger den Leib Johannes des Täufers von
Machärus, dem festen Schloß des Herodes, entführten.
⃰
⃰
Sie
beschrieb die hier erwähnte Tragbahre als einen
langen ledernen Behälter, der durch Einschiebung
von drei handbreiten, starken und doch leichten
Stäben die Gestalt eines geschlossenen Sarges
erhielt, den man vermittelst der hervorragenden
Stäbe auf den Schultern tragen konnte. Die Entführung
des Leichnams Johannes des Täufers von Machärus
erzählte sie in ihren Betrachtungen als in der
Nacht vom Dienstag auf Mittwoch, 4 - 5ten Sabat
= 21 - 22sten Januar des 2ten Lehrjahres, ungefähr
14 Tage nach seiner Enthauptung geschehen. Sie
erwähnte als dabei tätig, die drei Johannesjünger
Jakob, Eliachim und Zadoch. Söhne des Cleophas
und der Maria Heli, und Brüder der Maria Cleophä,
außerdem Saturnin, Judas Barsabas, und die Neffen
des Joseph von Arimathia, Aram und Themeni,
dann einen Sohn der Johanna Chusa, einen Sohn
der Veronika, einen Sohn des Simeon und einen
Vetter Johannes von Hebron. Der Leib des Täufers,
ohne sein Haupt, das erst später erlangt wurde,
ward nach Juta in sein Familiengrab gebracht.
Die Seite
Jesu wird eröffnet
Beinbruch der Schächer
Unterdessen
war es still und traurig draußen auf Golgota.
Alles Volk hatte sich furchtsam zerstreut
und verborgen; die Mutter Jesu und Johannes,
Magdalena, Maria Cleophä und Salome standen
und saßen mit verhüllten Häuptern dem Kreuz
gegenüber und trauerten. Einige Soldaten
saßen an dem Erdwall und hatten ihre Spieße
neben sich gesteckt. Cassius ritt hin und
wieder, die Soldaten sprachen von dem Kalvarifels
hinab mit andern, die entfernter standen.
Der Himmel war trübe und eine große Trauer
über der ganzen Natur. Da zogen sechs Schergen
heran, sie hatten Leitern, Schaufeln und
Stricke bei sich und schwere dreieckige
Eisenkolben zum Zerschmettern der Gebeine.
Als die Schergen
in den Gesichtskreis einzogen, traten die
Angehörigen Jesu etwas zurück, und die heilige
Jungfrau war in neuer zerreißender Angst,
die Schergen möchten den Leib Jesu am Kreuz
noch mißhandeln, denn sie stiegen am Kreuze
hinauf und stießen den heiligen Leib Jesu
an und behaupteten, er stelle sich nur tot.
Da sie ihn aber ganz kalt und erstarrt fühlten
und Johannes auf Bitten der heiligen Frauen
sich an die Soldaten wendete, ließen sie
einstweilen von dem Leib des Herrn ab, schienen
jedoch nicht überzeugt, daß er tot sei.
Sie stiegen nun auf Leitern an den Kreuzen
der Schächer hinan, zwei zerschmetterten
jedem mit ihren schneidenden Keulen die
Knochenröhren der Arme ober und unter den
Ellbogen, und ein dritter tat dieses ober
den Knien und auf den Schienbeinen unter
einem furchtbaren Gebrülle des Gesmas, dem
sie mit dem Kolben durch drei Stöße noch
die Brust einstießen. Dismas wimmerte und
starb unter der Marter und war der erste
Sterbliche, der seinen Erlöser wiedersah.
Hierauf knebelten sie die Bande los und
ließen die Leiber auf die Erde niederstürzen,
die sie dann an Stricken in das Tal zwischen
dem Hügel und der Stadtmauer hinabschleiften
und daselbst verscharrten.
Sie schienen
noch an dem Tod des Herrn zu zweifeln, und
die Angehörigen Jesu waren durch das gräßliche
Verfahren bei dem Beinbrechen noch mehr
geängstigt, sie möchten zurückkehren. Aber
Cassius, nachher Longinus genannt, der Unteroffizier,
ein etwas voreiliger, dienstbeflissener
Mensch von fünfundzwanzig Jahren, dessen
sich wichtig machende Geschäftigkeit bei
blöden, schielenden Augen unter seinen Untergebenen
öfters Gespött erregte, wurde plötzlich
von einem wunderbaren Eifer ergriffen. Die
Grausamkeit und niederträchtige Wut der
Schergen, die Angst der heiligen Frauen
und die Gnade eines plötzlichen heiligen
Eifers machten ihn zum Erfüller einer Prophezeiung.
Er schob seine Lanze, die verkürzt ineinander
steckte, verlängernd auseinander, steckte
die Spitze derselben auf, wendete sein Pferd
und trieb es heftig den engen Kreuzhügel
hinan, auf dem es sich kaum wenden konnte,
und ich sah, wie er es vor dem Riß des zerborstenen
Felsens wahrte. So zwischen dem Kreuz des
guten Schächers und Jesu Kreuz, zur Rechten
von dem Leibe unseres Heilands, haltend,
faßte er die Lanze mit beiden Händen und
stieß sie mit einer solchen Heftigkeit aufwärts
in die hohle, gespannte rechte Seite des
heiligen Leibes durch die Eingeweide und
das Herz, daß ihre Spitze an der linken
Brust eine kleine Wunde öffnete, und indem
er die heilige Lanze mit Ungestüm zurückriß,
stürzte aus der weiten Wunde der rechten
Seite Jesu ein reicher Strom von Blut und
Wasser nieder und überströmte sein aufwärts
gerichtetes Angesicht mit Heil und Gnade.
Er sprang vom Pferd, fiel auf die Knie,
schlug an seine Brust und bekannte Jesus
laut vor allen Anwesenden.
Die heilige
Jungfrau und die andern, deren Blicke stets
zu Jesus emporgerichtet waren, sahen die
plötzliche Handlung dieses Mannes mit Angst
an und begleiteten den Stoß seiner Lanze
mit einem Wehgeschrei, indem sie zu dem
Kreuz hinstürzten. Maria, als habe der Stoß
ihr eigenes Herz durchbohrt, fühlte das
schneidende Eisen durch und durch und sank
in die Arme ihrer Freundinnen nieder, während
Cassius, laut den Herrn bekennend, auf den
Knien lag und freudig Gott lobte, denn er
glaubte und war erleuchtet und sah nun hell
und klar. Die Augen seines Leibes wie jene
seiner Seele waren geheilt und geöffnet.
— Sogleich aber ergriff sie alle die ehrerbietigste
Rührung vor dem Blut des Erlösers, das,
schäumend, mit Wasser gemischt, sich in
eine Vertiefung des Felsbodens unter dem
Kreuz gesammelt hatte, und Cassius, Maria,
die heiligen Frauen und Johannes schöpften
das Blut und Wasser mit Trinkschalen, die
sie bei sich hatten, in Flaschen und trockneten
es mit Tüchern auf.
⃰
⃰
Sie
sagte auch: „Cassius, Longinus getauft, predigte
später als , Diocon Christum, und führte immer
von diesem heiligen Blute bei sich. Es war vertrocknet,
und man fand davon in seinem Grabe in Italien
in einer Stadt nicht weit von dem Orte, wo die
heilige Clara gelebt. Es ist ein grüner See
mit einer Insel bei dieser Stadt. Sein Leib
muß wohl dorthin gebracht worden sein." Die
Erzählende scheint Mantua mit jener Stadt zu
meinen, wo eine solche Tradition ist. Welche
heilige Clara in der Nähe gelebt, ist dem Schreiber
unbekannt.
Cassius war wie
verwandelt, er hatte sein volles Gesicht erhalten
und war tief bewegt und gedemütigt; die anwesenden
Soldaten, gerührt von dem Wunder, das an ihm
geschehen war, warfen sich auf die Knie nieder,
schlugen an die Brust und bekannten Jesus. Das
Blut mit Wasser strömte aus der weit eröffneten
rechten Seite des Herrn reichlich auf einen
reinen Stein und stand schäumend darauf. Sie
schöpften es mit ungemeiner Rührung rein auf,
und die Tränen Marias und Magdalenas mischten
sich mit demselben. Die Schergen, welche indessen
den Befehl von Pilatus erhalten hatten, den
Leib Jesu nicht zu berühren, den er Joseph von
Arimathia zur Beerdigung geschenkt, kehrten
nicht wieder.
Die Lanze des
Cassius bestand aus mehreren Teilen, die man
aufeinander befestigte, und schien nur ein mäßig
langer starker Stab, wenn sie nicht auseinandergezogen
war. Das verwundende Eisen hatte einen platten,
birnförmigen Körper, an dem man oben eine Spitze
aufsteckte, unten zwei bewegliche schneidende
gekrümmte Eisen herauszog, wenn man die Lanze
gebrauchte.
Alles dieses
geschah am Kreuz Jesu bald nach vier Uhr, während
Joseph von Arimathia und Nikodemus mit dem Anschaffen
der Bedürfnisse zur Beerdigung Christi beschäftigt
waren. Da aber den Freunden Jesu auf Golgota
von Joseph von Arimathias Dienern, die zur Reinigung
seines Grabes gegangen, berichtet wurde, daß
er mit Erlaubnis des Pilatus den Leib Jesu abnehmen
und in sein Grab legen werde, begab sich Johannes
mit den heiligen Frauen sogleich nach der Stadt
auf den Berg Sion, damit sich die heilige Jungfrau
ein wenig erquicken könne und um noch einige
zur Grablegung nötige Gerätschaften dort zu
holen. Sie hatte eine kleine Wohnung in den
Nebengebäuden des Coenaculums. Sie gingen nicht
durch das nahe Tor, sondern südlicher durch
das Tor, das nach Betlehem führt, denn das nahe
Tor war geschlossen und inwendig von den Soldaten
besetzt, welche die Pharisäer bei der Aufregung
des Volkes begehrt hatten.
Einige Örtlichkeiten
des alten Jerusalem
Die Betrachtende
beschrieb öfters manche Ortslagen nach Wendung
und Richtung so ins einzelne, daß die Auffassung
durch das große Detail selbst schier unmöglich
ward, denn während sie auf ihrem Krankenlager
festlag, wendete sie sich im Geiste, die
Gegenstände anschauend, hin und her und
konnte daher erzählend und mit den Händen
deutend die Richtungen links und rechts
sehr leicht verwechseln. Mehrere solche
Ortsangaben, die sie verschiedene Male mit
geringen Abweichungen während der Mitteilung
ihrer Betrachtung erwähnte, stellen wir
hier zusammen und lassen auch ihre Beschreibungen
des Grabes und Gartens Josephs von Arimathia
folgen, um die Erzählung der Grablegung
unseres Herrn nicht zu sehr dadurch zu unterbrechen.
-------------------------------------
An der Morgenseite
von Jerusalem ist das erste Tor mittäglich
von der Südostecke des Tempels jenes, das
in den Stadtteil Ophel führt, das Tor aber,
welches der Nordostecke des Tempels mitternächtlich
zunächst liegt, ist das Schaftor. Zwischen
diesen beiden Toren ist jedoch vor nicht
gar langer Zeit noch ein Tor entstanden,
das zu einigen Straßen führt, die übereinander
an der Ostseite des Tempelberges hinlaufen
und meist von Steinmetzen und anderen Arbeitern
bewohnt werden. Diese Wohnungen lehnen an
den Grundmauern des Tempels. Alle diese
Häuser dieser beiden Straßen sind meistens
Eigentum des Nikodemus, der sie hat bauen
lassen. Die darin wohnenden Steinmetze zahlen
ihm Miete oder arbeiten dafür, denn sie
stehen mit ihm und seinem Freund Joseph
von Arimathia in stetem Verkehr, welch letzterer
große Steinbrüche in seiner Heimat besitzt
und Handel damit treibt. Nikodemus hat aber
in der letzten Zeit ein schönes neues Tor
zu diesen Straßen gebaut. Sie nennen es
jetzt das Tor Moriah. Als es fertig war,
ist Jesus zuerst am Palmsonntag hindurchgezogen.
Er zog also durch das neue Tor des Nikodemus,
durch welches vor ihm niemand gezogen, und
ward in das neue Grab des Joseph von Arimathia
begraben, in welchem vor ihm noch niemand
geruht hatte. Dieses Tor ist in späteren
Zeiten vermauert worden, und es entstand
die Sage, da sollten die Christen einstens
wieder einziehen. Noch heutzutage ist ein
vermauertes Tor in dortiger Gegend, welches
die Türken das Goldene Tor nennen.
Der gerade
Weg vom Schaftor gegen Abend, wenn man durch
alle Mauern durch könnte, trifft ungefähr
zwischen dem nordwestlichen Ende des Berges
Sion und zwischen Golgota mitten durch.
Von diesem Tor bis nach Golgota in gerader
Linie ist wohl Dreiviertelstunde Wegs, vom
Palast des Pilatus aber bis Golgota in gerader
Linie etwa Fünfachtelstunde. Die Burg Antonia
liegt an der Nordwestecke des Tempelberges
auf einem hervorspringenden Felsen. Wenn
man sich vom Palast des Pilatus abendwärts
links durch den Bogen wendet, hat man diese
Burg zur Linken. Es ist auf einer Mauer
dieser Burg ein hochgelegener offener Platz,
der das Forum überschaut. Von dort verkündet
Pilatus mancherlei dem Volke, z.B. neue
Gesetze. — Auf dem Kreuzweg innerhalb der
Stadt hatte Jesus den Kalvarienberg öfter
zu seiner Rechten liegen. (Es muß also der
Weg Jesu teils südwestlich gegangen sein.)
Jesu Weg führte durch das Tor einer inneren
Stadtmauer, die gegen Sion zuläuft, welcher
Stadtteil sehr hoch liegt. Außerhalb dieser
Mauer liegt abendwärts ein Teil der Stadt,
der mehr Gärten als Häuser enthält; auch
sind gegen die äußerste Stadtmauer hin schöne
Gräber mit gemauerten und ausgehauenen Kunsteingängen
und oben darauf oft artige Gärtchen. In
dieser Gegend liegt das Haus des Lazarus
in Jerusalem und hat gegen das Ecktor, wo
sich die abendliche, äußere Stadtmauer nach
Mittag herumwendet, schöne Gärten bis an
die Mauer; es führt, wie ich meine, neben
dem großen Stadttor ein eigenes Pförtchen
durch die Stadtmauer in diese Gärten. Jesus
und die Seinigen sind öfter mit Zulassung
des Lazarus da aus- und eingegangen. Jenes
Tor an der Nordwestecke führt in der Richtung
von Betsur, welches nördlicher als Emmaus
und Joppe liegt. Nördlich von der äußersten
Stadtmauer liegen mehrere Gräber von Königen.
Dieser abendliche, noch nicht so angebaute
Teil der Stadt ist der niedrigste Teil;
er fällt gegen die Stadtmauer zu ab und
steigt dann wieder in der Nähe derselben
etwas, auf welcher Anschwellung schöne Gärten
und auch Weinberge liegen; hinter diesen
läuft ein breiter gemauerter Weg innerhalb
der Mauern, der hie und da fahrbar ist und
Aufwege zu den Mauern und Türmen hat, die
nicht wie unsere Türme die Aufgänge im Innern
haben. Jenseits der Mauer außerhalb der
Stadt ist noch ein Abhang gegen das Tal,
so daß also die Mauer um diesen niederen
Teil der Stadt wie auf einem erhöhten Wall
hinläuft. Auf dem äußeren Abhang vor der
Stadtmauer sind noch Gärten und Weinberge.
Der Kreuzweg Jesu ging nicht durch die Gartengegend
der Stadt selbst, diese Gegend lag dem Ende
seines Weges nördlich zur Rechten. Simon
von Cyrene aber kam aus dieser Gegend in
den Weg Jesu eingetreten. Das Tor, durch
das Jesus ausgeführt wurde, sieht nicht
gerade abendwärts, sondern in der Richtung
von vier Uhr nachmittags. Die Stadtmauer
zur Linken, wenn man zum Tor hinaustritt,
läuft eine kurze Strecke südlich und macht
dann einen starken Ausbug gegen Abend und
zieht sich dann wieder südlich um den Berg
Sion herum. Nach dieser linken Seite der
Mauer, wenn man hinausgeht, gegen Sion zu,
liegt ein sehr mächtiger Turm wie eine Festung.
An dieser Seite liegt dem Ausführungstor
ein anderes sehr nah, es sind diese beiden
wohl die sich nächsten Tore der Stadt und
sind wohl nicht ferner voneinander als das
Burgtor vom Lüdinghauser Tor hier in Dülmen.
Dieses Tor führt gegen Abend ins Tal, und
der Weg wendet sich von ihm aus links etwas
im Mittag nach Betlehem zu. Bald vordem
Tor der Ausführung Christi wendet der Weg
sich nördlich rechts nach dem Kalvarienberg,
der, an seiner Morgenseite der Stadt zugewendet,
steil abhängig, an der Abendseite aber sanft
abhängig ist. Jenseits, gegen Abend, sieht
man eine Strecke in den Weg nach Emmaus;
es ist da eine Wiese am Weg, wo ich Lukas
Pflanzen sammeln sah, als er mit Cleophas
nach der Auferstehung nach Emmaus ging und
ihnen Jesus begegnete. Jesus sah, am Kreuz
aufgerichtet, in die Richtung zwischen Abend
und Mitternacht gegen zehn Uhr. Wenn Jesus
sein Haupt am Kreuz rechts wendete, konnte
er etwas vom Tempel und der Burg Antonia
sehen. Es liefen an der Stadtmauer östlich
und nördlich vom Kalvarienberg auch Gärten,
Gräber und Weinberge hinan. Nördlich am
Fuße des Kalvarienberges wurde das Kreuz
eingescharrt. Jenseits des Kreuzauffindungsortes
nordöstlich sind auch schöne Rebenterrassen.
Wenn man vom Kreuzstand südlich schaut,
sieht man auf des Kaiphas Haus, unter der
Burg Davids hinweg.
Garten und Grab
Josephs von Arimathia
Dieser Garten
⃰
liegt,
vom Kalvarienberg wenigstens sieben Minuten
entfernt, nahe am Betlehemstore an der Anhöhe,
welche zur Stadtmauer hinanläuft. Es ist ein
schöner Garten mit großen Bäumen, Sitzen und
Schattenplätzen, und die eine Seite desselben
zieht sich bis zur Stadtmauer an der Höhe hinauf.
Wenn man von der Mitternachtsseite im Tal oben
hereintritt, steigt der Grund des Gartens links
an der Stadtmauer hinan. Rechts am Ende des
Gartens liegt ein getrennter Fels, worin das
Grab ist. Man wendet sich vom Eingangsweg des
Gartens rechts zu dem Eingang der Grabhöhle,
die gegen Morgen auf den ansteigenden Garten
und zur Stadtmauer hinschaut. In der Südwest-
und Nordwestseite desselben Felsens sind noch
zwei kleinere neue Grabhöhlen mit niedrigem
Eingang. An der Abendseite des Felsens läuft
noch ein schmaler Weg herum. Der Boden vor dem
Eingang in die Grabhöhle liegt höher als dieser
Eingang, der Felsen liegt etwas tiefer, und
man steigt zur Tür auf Stufen hinab wie in einen
kleinen Graben vor der Ostseite des Felsens.
Dieser äußere Zugang ist mit Flechtwerk geschlossen.
Der Raum des Felsenkellers ist so groß, daß
vier Menschen zur Rechten und vier zur Linken
an den Wänden stehen können und die Leiche noch
bequem von andern zwischen ihnen durchgetragen
werden kann. Dieser Raum rundet sich an der
Abendseite, gerade der Tür gegenüber, zu einer
breiten und nicht sehr hohen Nische, indem sich
dort die Felswand über dem etwa zwei Fuß hohen
Grablager herüberwölbt. In der Fläche des Grablagers
ist der Raum für eine gewickelte Leiche ausgehoben.
Dieses Grablager hängt wie ein Altar nur an
der Hinterseite mit dem Felsen zusammen, zu
Häupten und zu Füßen kann noch ein Mensch stehen,
und auch vor dem Grablager kann man noch stehen,
wenn auch die Tür der Grabnische verschlossen
wird. Diese Tür ist von Kupfer oder anderem
Metall und öffnet sich gebrochen nach beiden
Seiten, wo sie Anlage an den Seitenwänden hat;
sie steht nicht senkrecht, sondern liegt etwas
schräg vor der Nische und reicht so weit vom
Boden nieder, daß ein vor sie niedergelegter
Stein das Öffnen verhindern kann. Der hierzu
bestimmte Stein liegt jetzt noch vordem Eingang
des Grabgewölbes und wird erst nach der Bestattung
des Herrn hereingeschafft und vor die geschlossenen
Grabtüren gelegt. Er ist groß und gegen die
Grabtüren zu etwas abgerundet, weil die Wand
neben den Grabtüren auch nicht winkelrecht ist.
Um diese Türen wieder zu öffnen, braucht man
diesen großen Stein nicht erst aus dem Gewölbe
herauswälzen, was wegen der Beengtheit des Raumes
höchst beschwerlich sein würde, sondern man
befestigt eine von der Decke niedergelassene
Kette in einige Ringe, die hierzu an dem Stein
angebracht sind, und rückt ihn durch Aufziehen
der Kette, jedoch immer mit großer Anstrengung
mehrerer Männer, an die Seite der Höhle von
der Grabtür hinweg.
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Es
scheint hier nötig, zu erwähnen, daß die Erzählende
in den vier Jahren, während welcher ihre Betrachtungen
aufgezeichnet wurden, viele Schicksale der heiligen
Orte in Jerusalem von den ersten Zeiten an mitteilte.
Sie hat diese Orte in abwechselnder der Verwüstung
und Herstellung, immer aber in heimlicher oder
öffentlicher Verehrung gesehen, und selbst in
ihren Betrachtungen verehrt. Sie sah auch mehrere
Steine und Felsenteile, die Zeugen des Leidens
und der Auferstehung, des Herrn gewesen, nach
der Entdeckung der Stellen durch die heilige
Helena in der durch sie erbauten heil. Grabkirche
in einem engeren Raume einander näher gerückt,
und in den Schutz der Stadt gebracht. Sie verehrte
in Betrachtungen dieser Kirche den Kreuzstand,
das Grablager und mehrere Teile der Grabhohle
unsers Herrn, welche dort mit Kapellen überbaut
worden sind;" manchmal aber, wenn sie nicht
sowohl das Totenlager unsers Herrn, als vielmehr
die Stelle der Erde, wo das Grab gestanden,
verehrte, schien sie im Geiste diese Stelle
zwar in der nähern Umgegend, aber doch entfernter
von dem Standorte des Kreuzes heimsuchen zu
müssen.
Dem Eingang der
Höhle gegenüber ist ein Steinsitz im Garten.
Oben auf dem mit Rasen bewachsenen Grabfelsen
kann man gehen und eben noch über der Stadtmauer
die Höhe von Sion und einzelne Türme sehen;
auch sieht man von hier das Betlehemstor, eine
Wasserleitung und den Brunnen Gihon. Der Fels
war inwendig weiß mit roten und braunen Adern.
Die Höhle ist ganz sauber ausgearbeitet.
Kreuzabnahme
Während das
Kreuz, nur von einigen Wachen umgeben, einsam
stand, sah ich einmal etwa fünf Männer,
die von Bethanien durch die Täler hergekommen
waren, sich dem Richtplatz nahen, zu dem
Kreuz emporschauen und wieder hinwegschleichen;
ich meine, es müssen Jünger gewesen sein.
Zwei Männer aber, den Joseph von Arimathia
und den Nikodemus, sah ich heute dreimal
in der Gegend wie forschend und überlegend.
Einmal waren sie während der Kreuzigung
in der Nähe. (Vielleicht als sie den Kriegsknechten
die Kleider abkaufen ließen.) Später waren
sie da, um zu sehen, ob das Volk weg sei,
und gingen dann zum Grab, um etwas zu bereiten;
von dem Grab gingen sie wieder zum Kreuz
selbst und sahen dann hinauf und ringsumher,
als besähen sie sich die Gelegenheit. Sie
machten den Plan zur Abnahme und kehrten
in die Stadt zurück.
Nun begannen
sie, die Bedürfnisse zum Balsamieren zusammenzutragen,
und ihre Knechte nahmen nebst anderem Werkzeug
zur Abnahme des heiligen Leibes vom Kreuz
zwei Leitern aus einer Scheune bei dem großen
Haus des Nikodemus mit. Jede dieser Leitern
bestand nur aus einem Pfahl, in den Bohlenstücke
als Stufen eingefalzt waren. Es waren Haken
an den Leitern, die man höher und niederer
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