Der Kampf gegen die Versuchungen
Tanquerey
(Auszüge aus: Grundriss der aszetischen und mystischen Theologie)
Unser Verhalten der Versuchung gegenüber
Zur Überwindung der Versuchungen und zur Förderung des geistlichen Wohles unserer Seele
müssen hauptsächlich drei Dinge beachtet werden:
1. Man muss der Versuchung zuvorkommen.
2. Sie kräftig bekämpfen.
3. Nach dem Siege Gott danken oder aber nach erlittener Niederlage, sich sofort wieder erheben.
1. Der Versuchung zuvorkommen
Bekannt ist das alte Sprichwort: "Besser vorbeugen als nachträglich heilen." Das rät auch die
christliche Weisheit. Als Christus, der Herr, die drei Apostel zum Ölgarten mitnahm, sagte er zu
ihnen: "Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet." (Mt 26,41). Wachsamkeit und
Gebet sind daher die zwei großen Mittel, um der Versuchung zuvorzukommen.
A) Wachen d. h. Wachtposten um die Seele aufstellen, damit sie nicht überrascht
werde. Man unterliegt so leicht in einem Augenblicke plötzlichen Überfalls! Diese Wachsamkeit
setzt zwei Dinge voraus: Misstrauen gegen sich selbst und Gottvertrauen.
a. Zu vermeiden ist daher die stolze Vermessenheit, die unter dem Vorwande
genügender Kraft zum Siege die Gefahr aufsucht. Das war der Fehler des hl. Petrus, der
bei der Voraussagung Jesu von der Flucht der Apostel ausrief: "Auch wenn alle (an dir) Anstoß
nehmen - ich nicht!" (Mk 14,19). Im Gegenteil, man erinnere sich, dass gerade jener,
der zu stehen glaubt, Acht geben müsse, damit er nicht falle. "Wer also zu stehen
meint, der gebe Acht, dass er nicht fällt." (1 Kor 10,12). Denn ist auch der Geist willig, so
ist doch das Fleisch schwach. Sicherheit findet sich nur im demütigen Misstrauen
gegen sich selbst wegen der eigenen Schwäche.
b. Man muss jedoch auch übertriebene Furcht vermeiden, die die Gefahr nur steigert. Sind
wir auch aus uns selbst schwach, so sind wir dennoch unbesiegbar in dem, der uns stärkt.
"Noch ist keine Versuchung über euch gekommen, die den Menschen überfordert. Gott ist
treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet. Er wird euch in
der Versuchung einen Ausweg schaffen, sodass ihr sie bestehen könnt." (1 Kor 10,13).
c. Infolge des begründeten Misstrauens gegen uns selbst werden wir den gefährlichen
Gelegenheiten ausweichen, z.B. jener Gesellschaft, jenem Vergnügen usw., wo wir
erfahrungsgemäß leicht erliegen. Wir werden gegen Müßiggang ankämpfen, weil er eine
der gefährlichsten Gelegenheiten ist. Auch gegen jene gewohnte Weichlichkeit, welche
die Spannkraft des Willens vermindert und zu jeder Nachgiebigkeit geneigt macht.1
1 Vom Schlafe befangen und daher den Schlägen des Feindes ausgesetzt ist die träge, weichliche, furchtsame, feige
Seele, die jedes Opfer scheut, welches ernste Anstrengung voraussetzt, jene Seele, die vielleicht an Wünschen reich,
aber arm an Entschlüssen und noch ärmer an Taten ist und die sich stets und überall schont, fast immer ihrem Hange
nachgibt und sich vom Strome treiben lässt.
2
Man scheut dann, eitlen Träumereien nachzugehen, die bald die Seele mit gefahrbringenden
Trugbildern anfüllen. Mit einem Worte, man übt Abtötung in den von uns
angegebenen verschiedenen Weisen,2 sowie Hingabe an die Standespflichten,
inneres Leben und das Apostolat. In solch regem Leben bleibt wenig Raum für
Versuchungen.
d. Wachsamkeit muss sich besonders auf den schwachen Punkt der Seele erstrecken.
Im allgemeinen nämlich erfolgt von dort aus der Angriff. Zur Verstärkung dieses verwundbaren
Punktes dient das Partikularexamen,3 wodurch unsere Aufmerksamkeit für längere Zeit auf
diese Schwäche oder noch besser auf die entgegen gesetzte Tugend gerichtet bleibt.
B) Das mit Wachsamkeit verbundene Gebet zieht Gott auf unsere Seite und macht uns
unbesiegbar. Im Grunde genommen, bringt unser Sieg Gott auch Vorteil. Er ist es ja, den der
Teufel in uns angreift, dessen Werk er in uns zerstören will. Rufen wir daher mit Vertrauen Gott
an, wir werden gewiss erhört werden. Jedes Gebet hilft in der Versuchung, das mündliche
und das innere, das stille und das allgemeine, Anbetungs- und Bittgebet. Zur Zeit der
Ruhe bete man ganz besonders für die Zeit der Versuchung. Erscheint diese dann, so
bedarf es nur einer kurzen Erhebung des Herzens, und man wird erfolgreich bestehen.
2. Der Versuchung widerstehen
Dieser Widerstand ist, je nach der Art der Versuchungen, verschieden. Es gibt deren, die
zwar häufig, jedoch nicht sehr schwer sind. Diese muss man verachten, wie der hl. Franz v.
Sales es vortrefflich erklärt:4
"Was die kleinen Versuchungen von Eitelkeit, Argwohn, Traurigkeit, Eifersucht, Neid, Liebelei und
ähnlichen Täuschungen anbetrifft, die wie Mücken und Fliegen vor unsern Augen tanzen und uns
bald auf die Wange, bald auf die Nase stechen ... so widersteht man ihnen dadurch am besten,
dass man sich nicht um sie kümmert. Werden wir auch durch sie belästigt, so kann uns das alles
nicht schaden, solange wir fest entschlossen sind, Gott zu dienen. Verachten Sie also diese kleinen
Anfechtungen und halten Sie dieselben nicht einmal eines Gedankens wert, sondern lassen Sie sie
um die Ohren summen, solange es ihnen gefällt ... ganz wie man es mit Mücken macht."
Hier wollen wir aber besonders von den schweren Versuchungen sprechen. Sie müssen
schnell, energisch, mit Beharrlichkeit und Demut bekämpft werden:
A) Schnell, ohne erst lange mit dem Feinde zu verhandeln, ohne Zögern. Anfangs hat die
Versuchung in der Seele noch nicht festen Fuß gefasst, da weist man sie noch
leicht ab. Bedeutend schwerer ist es, ist sie bereits in das Innerste der Seele
eingedrungen. Daher erst kein langes Besprechen. Bringen wir den Begriff der
verbotenen Lust mit etwas äußerst Abstoßendem in Verbindung, wie z. B. mit einer
giftigen Natter oder einem Verräter, der uns in den Rücken fallen will und erinnern
wir uns an die Worte der Hl. Schrift : "Flieh vor der Sünde wie vor der Schlange;
kommst du ihr zu nahe, so beißt sie dich." (Sir 21,2a). Diese Flucht geschieht durch
Gebet und durch energisches Ablenken des Geistes auf einen andern Gegenstand.
B) Energisch, nicht weichlich und gleichsam ungern. Das nämlich käme gleich einer
Einladung an die Versuchung, zurückzukommen. Daher mit Kraft und
Entschlossenheit, als Beweis des Abscheus vor einem solchen Vorschlage. "Weiche
zurück, Satan!" (Mk 8,33). Die Taktik muss aber, je nach der Art der Versuchungen,
verschieden sein. – Handelt es sich um Reize der Lust, so wende man sich ab,
entweiche, indem man die Aufmerksamkeit auf einen den Geist ganz in Anspruch
nehmenden Gegenstand lenkt. Unmittelbarer Widerstand würde meistens die
Gefahr nur vergrößern. – Handelt es sich um Widerwillen gegen die Erfüllung der
Pflicht, um Abneigung, Hass, Menschenfurcht, da ist es oft besser, der Versuchung
die Stirn zu bieten, offen und frei der Schwierigkeit ins Auge zu sehen und zu deren
Überwindung die Grundsätze des Glaubens zu Hilfe zu rufen.
C) Mit Beharrlichkeit. Zuweilen nämlich kehrt die einen Augenblick besiegte Versuchung
mit erneuter Angriffswut zurück, und der Teufel bringt aus der Wüste sieben
Geister mit, die schlimmer sind als er. Dieser Hartnäckigkeit unseres Feindes muss mit
nicht weniger zähem Widerstande begegnet werden. Derjenige, der bis zum Ende kämpft,
erringt den Sieg. Um aber des Sieges sicherer zu sein, muss man die Versuchung dem
Beichtvater offenbaren. Diesen Rat gaben die Heiligen, besonders der hl. Ignatius und der
hl. Franz v. Sales. "Denn wohl gemerkt," sagt letzterer, "die erste Bedingung, die der böse
Feind von der zu verführenden Seele fordert, ist Schweigen. Ganz so machen es jene,
die Frauen und Mädchen verführen wollen. Sie verlangen zu allererst, dass ihre Vorschläge den
Vätern oder Gatten nicht mitgeteilt werden, während Gott bei seinen Einsprechungen vor allen
Dingen wünscht, dass wir sie den Oberen und Seelenführern bekannt geben." Tatsächlich
scheint eine besondere Gnade mit dieser Herzenseröffnung verknüpft zu sein. Eine
geoffenbarte Versuchung ist halb überwunden.
D) Mit Demut. Diese nämlich zieht die Gnade herab und die Gnade ist es, die den Sieg
verleiht. Der aus Hochmut gefallene Teufel flieht vor einem aufrichtigen Akte der
Demut, und die im Stolze ihre Kraft erneuernde dreifache Begierlichkeit wird leicht besiegt,
schlagen wir ihr sozusagen, durch die Demut das Haupt ab.
3. Nach der Versuchung
Nach der Versuchung hüte man sich wohl, bis ins kleinste zu untersuchen, ob man
zustimmte oder nicht. Diese Unvorsichtigkeit könnte die Versuchung aufs neue
heraufbeschwören und so neue Gefahr verursachen. Übrigens kann man leicht, ohne langes
Nachgrübeln, auf das Zeugnis des Gewissens hin erkennen, ob man Sieger blieb.
A) War man so glücklich zu siegen, so danke man aus ganzem Herzen jenem, der uns den Sieg
verlieh. Es ist das eine Pflicht der Dankbarkeit und gleichzeitig das beste Mittel, um zur
richtigen Zeit neue Gnaden zu erlangen. Wehe den Undankbaren, die sich selbst den Sieg
zuschreiben, an statt Gott dafür zu danken! Bald werden sie sich durch persönliche Erfahrung von
ihrer Schwäche überzeugen können.
B) Hatte man hingegen das Unglück zu erliegen, so entmutige man sich nicht, sondern
erinnere sich, wie herzlich der verlorene Sohn aufgenommen wurde. Gleich ihm werfe
man sich zu Füssen des Stellvertreters Gottes und rufe aus tiefstem Herzen: "Vater, ich habe
gesündigt wider den Himmel und wider dich. Ich verdiene nicht mehr, dein Sohn zu heißen."
(Lk 15,21). Gott, der noch barmherziger ist als der Vater des jungen Verschwenders wird uns den
Friedenskuss geben und uns wieder seine Freundschaft anbieten.
Um jedoch Rückfälle zu vermeiden, nehme der reuige Sünder aus seinem Vergehen
Anlass zu tiefer Verdemütigung vor Gott, zur Einsicht seiner eigenen Unfähigkeit,
Gutes zu tun, zu größerem Gottvertrauen und größerer Vorsicht in sorgfältiger
Vermeidung aller Gelegenheit zur Sünde, zur Erneuerung in den Bußübungen. Ein auf
diese Weise wieder gutgemachter Fehler wird kein wahres Hindernis für die
Vollkommenheit sein. Wie der hl. Augustinus mit Recht bemerkt, werden die sich auf diese
Weise Wiederaufraffenden demütiger, vorsichtiger und eifriger.