Der Gehorsam der katholischen Christen im Laien- und Priesterstand
I.
Gehorsam im allgemeinen
1. Inhalt
Gehorsam ist diejenige Tugend, die den Willen geneigt macht, das Gebot eines Oberen zu
erfüllen. Der Gehorsam als spezielle Tugend mit eigentümlichem Objekt besteht in der Geneigtheit,
dem Oberen als dem Vorgesetzten zu geben, was ihm gebührt, sich also seinem Gebot
zu fügen, weil er als Vorgesetzter solches gebietet. Der Gehorsam, als Tugend verstanden,
ist ein Teil der Gerechtigkeit; denn dabei wird dem Vorgesetzten als solchem geleistet, was
ihm zukommt. Ein höherer Grad von tugendhafter Gesinnung ist es, vom Geist der Gehorsamspflicht
sich leiten zu lassen und bereit zu sein, auch den nicht geäußerten Willen des
Vorgesetzten zu erfüllen.
Der Gehorsam ist für die soziale Ordnung, für das Gesamtwohl notwendig. Er ist ein wesentliches
Erfordernis des Gemeinschaftslebens. Der Gehorsam fördert die Entfaltung der
sittlichen Persönlichkeit des einzelnen. Indem der Wille sich unterordnet, bringt er das Opfer
seiner Willkür, aber nicht seiner wahren Freiheit. Die wahre Freiheit besteht in der innerlichen,
stetigen Selbstbestimmung für das Wahre und Vollkommene, und diese setzt eine sittliche
Bindung an die Autorität voraus. Gehorsame Unterordnung ist auch beglückende Einordnung
in das Ganze der natürlichen und übernatürlichen Lebensordnung. Die wahre Freiheit
wird am meisten bedroht durch die ungeordnete Sinnlichkeit und durch die Enge des individuellen
Denkens und Wollens. Beide Schranken werden heilsam durchbrochen durch den
Eingriff des höheren Willens; ihm folgend, erweitern und erheben wir unser Ich; im Dienen
werden wir geschult zum Befehlen. Der Gehorsam soll zu seinem Teil die Verfügbarkeit für
Gottes Willen schaffen.
Die Rücksicht auf Gott ist der eigentliche und tiefste Grund der sittlichen Unterordnung
unter die Menschen. Die rechtmäßige Obrigkeit stammt von Gott, ihre gerechten Gesetze und
Befehle verpflichten im Gewissen (Röm 13,1-7). Die Apostel schärfen den Gehorsam gegen
jede menschliche Obrigkeit ein (Röm 13,1; Eph 6,1; 1 Petr 2,13). Der Wille Gottes wird uns
durch mancherlei Zwischeninstanzen zum Ausdruck gebracht. Im besonderen sind es die
rechtmäßigen Gesetze und Verordnungen, durch die der Wille Gottes zu uns kommt. Wer
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Autorität innehat, muss so handeln, dass die Befehlsempfänger erkennen können, er befehle
allein deswegen, weil er Gott gehorsam sein will. Der Gehorsam soll auch nicht bloß wegen
der Einsicht des Untergebenen in die Gründe des Befehls, sondern aus Achtung vor der höheren
Autorität geübt werden, da und soweit sie Gottes Stelle vertritt. Der Gehorsam ist zu leisten,
auch wenn die Begründung der Gehorsamsforderung nicht einleuchtet. Der Gehorsam
darf nicht im Hinblick auf die persönlichen Schwächen und Fehler der Oberen verweigert
werden. Die Annahme, es bestehe ein Widerspruch zwischen dem eigenen Gewissensurteil
und jenem der Vorgesetzten, führt eine ernste Situation herauf.
Das gebietende und das verbietende Gesetz erzeugen die Verpflichtung, das Gebotene zu
tun und das Verbotene zu unterlassen. Die Verpflichtung des verbietenden Gesetzes besteht
überall und immer, jene des gebietenden Gesetzes macht sich nur geltend, wenn ein konkreter
Anlaß zu seiner Erfüllung besteht. Viele Gesetze haben sowohl eine verbietende wie eine gebietende
Seite. Was die Strenge der Verpflichtung angeht, unterscheidet man Muss- und Sollvorschriften.
Mussvorschriften enthalten eine strenge Verpflichtung, Sollvorschriften eine
weniger strenge.
2. Grenzen
a) Das sittlich Unerlaubte
Jedes wahre Gesetz, auch das rein menschliche, verpflichtet nicht nur nach außen, sondern
ist auch im Gewissen verbindlich, weil es Gottes Wille ist, dass jeder rechtmäßig gebietenden
Obrigkeit Gehorsam geleistet wird. Der Gehorsam gegenüber rein menschlichen Autoritäten
ist jedoch nie ein uneingeschränkter. Die Ansicht totalitärer und rechtspositivistisch eingestellter
Machthaber „Befehl ist Befehl“ (ganz gleichgültig, welches der Inhalt der Anordnung
ist), ist falsch. Jede menschliche Autorität verpflichtet sittlich nur, wenn und weil sie sich als
primäre unmittelbar oder als sekundäre mittelbar auf Gott zurückführen läßt; denn nur Gott
kann den Menschen sittlich, d.h. absolut und unter Sünde, in Pflicht nehmen. Jede echte
menschliche Autorität ist Stellvertretung Gottes an den Menschen und darum auch nur verbindlich,
wenn sie nichts gegen Gott und sein Gebot verordnet. Das Gesetz darf mithin nur
sittlich Erlaubtes, nicht aber Sündhaftes befehlen. Das menschliche Gesetz schöpft seine bindende
Kraft aus dem göttlichen Gesetz; so kann es nicht eine Handlung zur Pflicht machen,
die von Gott verboten ist. Die sittliche Erlaubtheit des Gegenstandes gehört zur Gültigkeit des
Gesetzes; ein unsittliches Gesetz ist kein wirkliches Gesetz. Befehle, die offenkundig Gottes
Geboten oder dem sicheren Recht der Kirche widersprechen, und andere, deren Beobachtung
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ein schwerwiegendes und sicher zu erwartendes Übel mit sich bringen würden, verpflichten
nicht zum Gehorsam. Verletzt das menschliche Gesetz oder Gebot die Vorschriften de ewigen
Gesetzes, hört die Pflicht des Gehorsams auf und Ungehorsam gegen die Menschen wird
Pflicht. Das sittlich verwerfliche Gesetz darf nicht erfüllt werden. Gegenüber dem Befehl, das
unsittliche Gesetz zu erfüllen, ist passiver Widerstand zu leisten, d.h. man hat sich beharrlich
zu weigern, das Gesetz zu erfüllen. Die Apostel stellen den Grundsatz auf: „Man muss Gott
mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29). Der Gesetzgeber ist an seine Zuständigkeit
gebunden; nur in deren Rahmen erläßt er verbindliche Gesetze. Das Gesetz muss inhaltlich für
die öffentliche Wohlfahrt notwendig oder wenigstens förderlich sein. Andernfalls wäre die am
Gesetz liegende Einschränkung der Freiheit nicht hinlänglich begründet.
b) Das ungerechte Gesetz
ist ein Gesetz, 1. das durch die Rücksicht auf das Gemeinwohl nicht gefordert wird und
somit die persönliche Freiheit ungebührlich beschränkt, 2. bei dem Gesetzgeber seine Kompetenz
überschritten und die Lasten unbillig verteilt hat. An sich besteht in diesen Fällen keine
Pflicht, das Gesetz zu beobachten; ein solches Gesetz verpflichtet nicht im Gewissen, außer
etwa wegen des zu vermeidenden Ärgernisses oder der zu befürchtenden Verwirrung. Näherhin
ist zu sagen: In gewissen Fällen darf man das ungerechte Gesetz erfüllen, in anderen
darf man es nicht erfüllen, in wieder anderen muss man es erfüllen. Man darf das ungerechte
Gesetz erfüllen, wenn es sich lediglich darum handelt, dass man auf das eigene Recht Verzicht
leistet, wenn also irgendwelche Pflichten nicht verletzt werden. Man muss das ungerechte
Gesetz erfüllen, wenn sonst höhere Interessen gefährdet würden, also die Gefahr des Ärgernisses
oder die Gefahr des Aufruhrs gegeben wäre. Man darf das ungerechte Gesetz nicht erfüllen,
wenn durch die Erfüllung schwerer Schaden entstünde, etwa schweres Ärgernis herbeigeführt
würde.
c) Zweifel an der Gesetzesverpflichtung
Es kann nun ein Zweifel an der Gesetzesverpflichtung bestehen, und zwar kommt nur ein
objektiv begründeter Zweifel in Frage, nicht ein wegen Saumseligkeit des Subjektes entstehender
Zweifel. Der Zweifel kann sich auf die Rechtslage oder auf die Sachlage beziehen. Ein
Rechtszweifel liegt vor, wenn nicht sicher ist, ob ein Gesetz besteht, ob es verbindliche Kraft
besitzt oder ob ein bestimmter Sachverhalt unter das Gesetz fällt. Beim Rechtszweifel ist das
Gesetz selbst zweifelhaft. Hier gilt der Grundsatz: Ein zweifelhaftes Gesetz gilt nicht. Denn
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die Freiheit zu handeln gilt als Regel, die zu vermuten ist. Ein Tatsachenzweifel liegt vor,
wenn es nicht sicher ist, ob ein unter das Gesetz fallender Sachverhalt wirklich und nach den
vom Gesetz verlangten Merkmalen vorliegt. Bei einem Zweifel hinsichtlich der Sachlage behält
das Gesetz seine verpflichtende Kraft.
d) Unkenntnis des Gesetzes
Unkenntnis des Gesetzes ist das einer Person dauernd anhaftende Nichtwissen. Man unterscheidet
hinsichtlich des Gegenstands Unkenntnis des Rechts und der Tatschen,
hinsichtlich der Überwindbarkeit unüberwindbare Unkenntnis, die immer unverschuldet
ist, und überwindbare Unkenntnis, die verschuldet oder unverschuldet sein kann,
nach der Schwere der Schuld leicht fahrlässige, grob fahrlässige und absichtlich unterhaltene
Unkenntnis; die letztere kommt dem Vorsatz nahe.
Es gibt Gesetze, von denen keine Rechtsunkenntnis entschuldigt, d.h. sie wirken in jedem
Falle ohne Rücksicht auf das Wissen oder Nichtwissen der Beteiligten. Für gebietende und
verbietende Gesetze gilt der Grundsatz, dass ihre Übertretung dem schuldlos Nichtwissenden
nicht zugerechnet wird und dass ihre Übertretung dem verschuldet Nichtwissenden je nach
Schwere der Schuld vermindert zugerechnet wird. Das heißt: Unverschuldete Unkenntnis entschuldigt,
verschuldete Unkenntnis mindert die Verantwortlichkeit.
e) Epikie
Die Epikie ist die von einem Einzelnen zu treffende Feststellung, dass ein Gesetz im Einzelfall
nicht verpflichtet, weil seine Befolgung in diesem Falle schlecht oder verderblich wäre.
Die subjektive Entscheidung des Einzelnen ändert nichts an der objektiven Verpflichtungskraft
des Gesetzes, sondern befreit ihn lediglich für diesmal von der Gesetzesbindung im Gewissen.
Es kommt vor, dass die Beobachtung einer gesetzlichen Bestimmung zwar in der Regel
für das Gemeinwohl nützlich ist, dass aber ihre Erfüllung sich in manchen Fällen als
höchst schädlich erweist. Weil nun der Gesetzgeber nicht alle einzelnen Fälle in Betracht ziehen
kann, so erläßt er die Gesetze entsprechend dem, was gewöhnlich zutrifft, indem er seine
Absicht auf den gemeinsamen Nutzen richtet. Wenn daher in einem Falle die Beobachtung
eines solchen Gesetzes dem Gemeinwohl schädlich ist, so ist es nicht zu beobachten. Die Epikie
besteht also darin, dass man unter besonderen Umständen den Wortlaut des Gesetzes außer
acht läßt und der Intention des Gesetzgebers folgt. Die Epikie ist die Korrektur des positi5
ven Rechts in einzelnen außerordentlichen Fällen. Weiter geht jenes Verständnis der Epikie,
die darin die bei Vorliegen außerordentlicher Umstände zu treffende Feststellung sieht, dass
der Gesetzgeber den konkreten Fall, wenn er ihn gekannt hätte, von dem Gesetz ausgenommen
hätte. Die Epikie ist keine Selbstdispens, sondern setzt das klare Urteil voraus, dass ein
bestimmter Fall nicht zum Bereich des Gesetzes gehört. Epikie ist nicht der Tatbestand der
Pflichtenkollision; von einer solchen kann nur dann die Rede sein, wenn zwei Pflichten zu
gleicher Zeit erfüllt werden sollen, aber nicht erfüllt werden können; bei Epikie kommt nur
eine Pflicht in Frage.
f) Wegfall des Gesetzeszweckes
Der Zweck eines Gesetzes kann im konkreten Fall ganz oder zum Teil entfallen. Solange er
nur zum Teil entfällt, bleibt die Verpflichtung voll bestehen, weil der andere nicht trennbare
Teil die Erfüllung des ganzen Gesetzes verlangt. Eine Entpflichtung kommt daher nur in Frage
beim gänzlichen Wegfall des Gesetzeszweckes. Dafür gelten folgende Grundsätze. Bei
dem bloß negativen (oder kontradiktatorischen) Wegfall des Gesetzeszweckes, d.h. wenn der
Zweck des Gesetzes durch dessen Befolgung nicht erreicht wird, bleibt die Verpflichtung bestehen.
Denn die Gesetze dienen dem Gesamtwohl, nicht dem Wohl des Einzelnen. Wenn der
Gesetzeszweck für den Einzelnen (in bloß negativer Weise) entfällt, verliert er doch für die
Gemeinschaft nicht seinen Sinn. Das Gesetz behält seine Bedeutung, und seine Erfüllung ist
für den Einzelnen nicht zum Schaden. Beim konträren Wegfall des Gesetzeszweckes, d.h.
wenn der Gesetzeszweck so entfällt, dass die Befolgung des Gesetzes zu Unrecht oder wenigstens
zu einer schweren Schädigung führen würde, entfällt die Gesetzesverpflichtung für
den konkreten Fall. Durch den konträren Wegfall des Gesetzeszweckes ist das Gesetz für den
Einzelnen unvernünftig geworden; damit fehlt ihm die Seele, nämlich die Vernünftigkeit. Hier
noch verpflichten zu wollen, übersteigt die Macht des Gesetzgebers; denn seine Normen wollen
dem Recht, nicht dem Unrecht dienen.
g) Normenkollision
Mehrere Normen können im Einzelfall so zusammenstoßen, dass nicht alle zugleich erfüllt
werden können, sondern nur die eine oder die andere. Dann ist die für das Wohl der Gemeinschaft
gewichtigere Norm zu befolgen. Welche das ist, muss aus den konkreten Verhältnissen
heraus entschieden werden. Wenn keine Norm als überwiegend zu erkennen ist, dann ist die
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dem Range nach höhere Norm der niederen vorzuziehen. Das heißt: Eine naturrechtliche
Norm geht einer positiv-göttlichen Norm vor, diese geht dem menschlichen Recht vor.
h) Unmöglichkeit der Gesetzeserfüllung
Ein physisch oder moralisch unmögliches Gesetz verpflichtet nicht. Man unterscheidet die
physische und die moralische Unmöglichkeit. Physische Unmöglichkeit liegt vor, wenn in
keiner Weise die Kraft vorhanden ist, das Gesetz zu erfüllen. Ein Gesetz darf nicht eine Last
aufbürden, der die Kraft des Einzelnen oder das natürliche Vermögen überhaupt nicht gewachsen
ist. Die (absolute) physische Unmöglichkeit entschuldigt stets von der Beobachtung
des Gesetzes. Moralische Unmöglichkeit liegt vor, wenn mit der Beobachtung eines Gesetzes
zufällig eine besondere Schwierigkeit verbunden ist, zu deren Überwindung eine so große
Anstrengung erforderlich wäre, dass sie dem Einzelnen nicht zugemutet werden kann. Die
vom Gesetz aufgebürdete Last darf nicht unverhältnismäßig schwer sein. Moralische Unmöglichkeit
liegt stets vor in den Fällen des Notstandes. Notstand ist eine ohne eigenes Verschulden
entstandene äußere Zwangslage, die den Bedrängten physisch oder moralisch zwingt, zur
Abwendung der Gefahr dem Gesetz zuwider zu handeln. Es kann sich dabei um eine Gefährdung
geistlicher, aber auch irdischer Güter handeln. Nur der Inhaber der gefährdeten Güter
kann sich auf Notstand berufen. Bei Notstand entfällt durchweg jede Verantwortlichkeit,
wenn es sich um die Verletzung eines menschlichen (rein kirchlichen) Gesetzes handelt. Es ist
dabei vorausgesetzt, dass der die Gesetzeserfüllung hindernde Umstand zufällig auftritt (also
nicht mit der Erfüllung des Gesetzes naturgemäß verbunden ist) und so ernster Natur ist, dass
es nicht zumutbar ist, das Gesetz zu beobachten. Die Verantwortlichkeit wird nicht aufgehoben,
wohl aber gemindert, wenn die Notstandshandlung in sich schlecht ist oder zur Verachtung
des Glaubens bzw. der kirchlichen Autorität oder zum Schaden der Seelen ausschlägt.
Man unterscheidet zwischen rechtfertigendem und entschuldigendem Notstand. Beiden gemeinsam
ist, dass die rechtswidrige Tat (Straftat) zur Abwehr einer gegenwärtigen, nicht anders
abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit der eigenen oder einer anderen Person
erfolgt. Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrigerweise an, sie sei im Sinne eines entschuldigenden
Notstandes zulässig, wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden
konnte (§ 35 Abs. 2 StGB).
Moralische Unmöglichkeit kann auch gegeben sein im Falle eines schweren Nachteils. Moralische
Unmöglichkeit darf nur angenommen werden 1. unter gewissenhafter Würdigung von
Gegenstand und Zweck des Gesetzes, 2. unter ernsthafter Beachtung der Schwere der Geset7
zesverpflichtung, 3. unter genauem Bedenken des aus der Nichtbeachtung etwa entstehenden
Ärgernisses. Das trifft auf das positive menschliche und das positive göttliche Gesetz zu. Auf
moralische Unmöglichkeit kann man sich nicht berufen, 1. wenn das Gesetz eine in sich
schlechte Handlung verbietet, 2. wenn die Gesetzesverletzung zur Verachtung des Glaubens,
der kirchlichen Autorität oder zum Schaden des Seelenheiles ausschlägt.
3. Verfehlungen gegen den Gehorsam
Gefehlt gegen die Pflicht des Gehorsams wird durch materiellen und formellen Ungehorsam.
Materieller Ungehorsam ist die Verletzung der Gehorsamspflicht, wenn das Motiv etwa
der Leichtsinn oder die ungeordnete Begierde oder der Zorn bildet. Formeller Ungehorsam ist
die Verletzung der Gehorsamspflicht, wenn der Ungehorsam aus förmlicher Verachtung der
Vorschrift oder des Befehlenden stammt. Die Ursünde der Stammeltern war Selbstüberhebung
und Gehorsamsverweigerung.
Der Gehorsam befreit nicht vom Mitdenken. Der Untergebene ist berechtigt und verpflichtet,
Inhalt und Grund von Befehl und Gesetz zu überdenken und zu prüfen. Er darf und soll
sich Gedanken machen über Sinn und Zweck von Geboten und Verordnungen. Der Gehorsam
entbindet nicht von der Gewissensprüfung. Der Untergebene kann und muss untersuchen, ob
er vor Gott berechtigt und verpflichtet ist, Befehlen und Gesetzen nachzukommen. Kein Vorgesetzter
kann das Gewissen eines Untergebenen ersetzen. Der Gehorsam entläßt nicht aus der
Pflicht, die Stimme zu erheben, wenn gut unterrichtete und kompetente Personen von Weisungen
oder Unterlassungen von Vorgesetzten Gefahr und Schaden ausgehen sehen. Der Gehorsam
verbietet nicht, Gegenvorstellungen und Einwände gegen Befehle und Gesetze vorzubringen.
Der Gehorsam untersagt auch nicht, Rechtsmittel gegen Befehle und Gesetze einzulegen.
II.
Gehorsam in der Kirche
1. Begründung
Christus hat die grundsätzliche Vorschrift gegeben, der sichtbaren Kirche und ihren Gesetzen
Gehorsam zu leisten. Die Kirche als Organisation ist aufgebaut auf dem Gehorsam gegen
die kirchlichen Hirten: „Wer euch hört, hört mich“ (Lk 10,16; Röm 15,8; Hebr 13,17). Der
kirchlichen Obrigkeit gebührt Gehorsam, weil sie im höchsten Auftrag und im Namen Christi
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die kirchliche Gemeinschaft zu leiten berufen ist. Kraft der Einsetzung Christi gibt es in der
Kirche eine Hierarchie, welche das Hirtenamt und das Lehramt innehat. Die Inhaber des Hirtenamtes
ordnen an, was von den Gliedern der Kirche zu tun ist. Die Inhaber des Lehramtes
legen vor, was zu glauben ist. Kraft der Einsetzung Christi gibt es in der Kirche ein aktives
Lehramt, das die unmittelbare Glaubensnorm ist. Das Lehramt ist die einzige gottgewollte
Instanz für die zuverlässige Auslegung des geschriebenen und überlieferten Wortes Gottes.
Der Gehorsam gegen die kirchlichen Autoritäten muss sich bewähren in der Treue zum Lehramt
des Papstes und der Bischöfe. Der lehrenden Autorität wird Gehorsam, der von ihr vorgetragenen
Lehre wird Zustimmung geschuldet. Die Äußerungen des Hirtenamtes berühren mittelbar,
jene des Lehramtes betreffen unmittelbar den Glauben. Sendung ist von Gehorsam untrennbar.
Der Gesandte ist dem Sendenden untergeben; von ihm empfängt er die Sendung,
ihm hat er Rechenschaft abzulegen, wie er sie verwirklicht hat. Die Autorität muss mit Festigkeit
die Beobachtung des Rechts und die Anwendung der Befehle einfordern. Wer sich der
eigenen Verantwortung entzieht, um ein ruhiges Leben zu führen, verfehlt den Dienst, den er
der Gemeinschaft zu leisten verpflichtet ist. Wenn in manchen Diözesen der Anschein besteht,
wer es mit der Diözesanleitung gut „könne“, sei in der Lage, sich seine Verwendung auszusuchen,
dann ist eine solche Praxis verwerflich. Glücklich der Obere, in dem amtliche Autorität
und persönliche Autorität zusammentreffen, wo also Amtsgewalt und charakterliche Qualität
sich verbinden.
2. Verfehlungen
Die Sünden wider den der Kirche geschuldeten Gehorsam sind solche besonderer Art mit
Rücksicht auf die Würde, womit die kirchliche Obrigkeit umkleidet ist. Die einzelnen Verfehlungen
sind um so schwerer, je mehr dadurch die Erreichung der höchsten Aufgabe, der Heiligung,
gefährdet wird. Die hauptsächlichen Verfehlungen sind Schisma und Häresie. Das
Schisma besteht in der Verweigerung der Unterordnung unter den Papst oder die Verweigerung
der Gemeinschaft mit den dem Papst untergebenen Gliedern der Kirche (c. 751). Die
Häresie ist die beharrliche Leugnung einer kraft göttlichen und katholischen Glaubens zu
glaubenden Wahrheit oder der beharrliche Zweifel an einer solchen Wahrheit (c. 751). Darin
liegt Ungehorsam gegen den sich offenbarenden Gott und gegen die seine Offenbarung vorlegende
Kirche.
Zahlreiche andere Vergehlungen gegen die Befehle, Weisungen und Gesetze der Kirche
sind denkbar. Wir sind in den letzten fünfzig Jahren Zeugen vielfältigen Ungehorsams gewe9
sen. Er ging aus von Theologen, Bischöfen, Bischofskonferenzen sowie von Laien und Laienvereinigungen.
Er reichte vom Widerstand gegen lehramtliche Äußerungen über gottesdienstliche
Eigenmächtigkeiten bis zur versuchten Erteilung der Priesterweihe von Frauen. Selten
wurde gegen Ungehorsam eingeschritten, am wenigsten von den Bischöfen, am ehesten noch
vom Heiligen Stuhl. Häufig wurden im Ungehorsam eingeführte Praktiken zunächst geduldet
und später unter Anrufung des Gehorsams vorgeschrieben. Der Ungehorsam hält auf mehreren
Gebieten bis heute an.
3. Die besondere Verpflichtung des Klerus
Alle Christgläubigen sind zum Gehorsam gegenüber den Hirten der Kirche verpflichtet (c.
212 § 1). Für die Laien wird diese Verpflichtung noch einmal ausgesprochen (c. 224). Die
Kleriker trifft eine besondere Pflicht des Gehorsams gegenüber dem Papst und dem eigenen
Bischof (c. 273). Der Kleriker hat eine (gegenüber dem Laien) hervorgehobene, besondere
Pflicht der Ehrerbietung und des Gehorsams gegenüber dem Papst und seinem Oberhirten,
d.h. dem Bischof der Diözese, der er eingegliedert ist, und, falls er anderswo Dienst tut, dem
Bischof der Dienstdiözese (c. 273). Man spricht vom kanonischen Gehorsam, was besagt,
dass Reichweite und Grenzen des Gehorsams durch das kirchliche Recht bestimmt werden.
Der Inhalt in gegenständlicher Hinsicht sind die Amts- und Standespflichten des Klerikers,
aber auch das Privatleben, insofern ihm auferlegt ist, auch außerhalb des Dienstes alles zu
meiden, was seinem Amt und Stand abträglich ist. Ihre Pflichten und Rechte sind im wesentlichen
in den cc. 273-289 enthalten. In formaler Hinsicht ist die Gehorsamspflicht begrenzt
durch die Zuständigkeit des Oberhirten, dem der Kleriker untersteht. Der Oberhirt hat die
Grenzen einzuhalten, die ihm in persönlicher, sachlicher und örtlicher Beziehung gesetzt sind.
Der Platz, an dem man von den Oberen gestellt wird, ist der Ort, wo man nach Gottes Willen
arbeiten soll. Ob er den Wünschen und Erwartungen des Einzelnen entspricht, ist nebensächlich.
Die besondere Gehorsamspflicht des Klerikers wirkt sich dahin aus, dass er grundsätzlich
jeden ihm von seinem eigenen Oberhirten übertragenen Dienst übernehmen und getreu erfüllen
muss (c. 274 § 2). Einwendungen kann er nur dann erheben, wenn hinreichende Hinderungsgründe
vorliegen. Die Dienstpflicht hält den Kleriker am Dienstort fest. Man spricht von
der Residenzpflicht, wie sie beispielsweise für den Pfarrer (c. 533) und den Pfarrvikar (c. 550
§ 1) festgesetzt ist. Die Freizügigkeit des Klerikers ist insofern beschränkt. Der Pfarrer ist
gehalten, den Ortsoberhirten über die mehr als einwöchige Abwesenheit von der Pfarrei zu
unterrichten (c. 533 § 2).
10
III.
Glaube als Gehorsam
1. Inhalt
Der Glaube, der Gott geschuldet wird, ist eine umfassende Wirklichkeit. Der Glaube ist
gleichzeitig Zustimmung zur Offenbarung Gottes, Fürwahrhalten, Vertrauen und Übereignung
an Gott. Der Glaube ist aber auch Gehorsam, weil der Zeuge eine Autorität hat, die uns zur
Annahme der von ihr verbürgten Wahrheit verpflichtet. In diesem Sinne schreibt Paulus:
„Doch nicht alle gehorchen dem Evangelium“ (Röm 10,10). Das Zweite Vatikanische Konzil
spricht (in Nr. 5 Dei Verbum) von dem Gehorsam, der dem sich offenbarenden Gott zu leisten
ist, näherhin von dem Gehorsam des Verstandes und des Willens. Vom Glaubensgehorsam
unterschieden ist der religiöse Gehorsam des Willens und des Verstandes (Nr. 25 Abs. 1 LG).
Die Theologie unterscheidet zwischen fides divina und fides ecclesiastica. Fides divina erstreckt
sich auf die in der Offenbarung enthaltenen Heilswahrheiten und –tatsachen. Glaubensmotiv
ist die Autorität des sich offenbarenden Gottes. Fides ecclesiastica stützt sich unmittelbar
auf die Autorität der Kirche. Sie hat zum Gegenstand die nur virtuell geoffenbarten
Wahrheiten, die durch logische Schlußfolgerungen aus nicht geoffenbarten gewonnen werden.
und solche natürlichen Wahrheiten oder nicht geoffenbarte Tatsachen, die mit der formell
geoffenbarten in solch innerem Zusammenhang stehen, dass die Reinheit des kirchlichen
Glaubens bzw. die unfehlbare Lehrfähigkeit der Kirche durch sie bedingt ist. Direkter Gegenstand
des authentischen und unter den erforderlichen Voraussetzungen unfehlbaren Lehramtes
sind die geoffenbarten Wahrheiten, gleichgültig ob sie explizit oder implizit geoffenbart sind
(fides divina). Indirekter Gegenstand des authentischen und unter den erforderlichen Voraussetzungen
unfehlbaren Lehramtes sind Wahrheiten, die nicht selbst geoffenbart sind, aber mit
geoffenbarten so zusammenhängen, dass diese ohne jene nicht wirksam geschützt, erklärt und
angewandt werden können. Es ist dies ein der Kirche geleisteter Glaube (fides ecclesiastica).
Die fides ecclesiastica ist verpflichtend, sofern das kirchliche Lehramt mit dem Anspruch auf
Unfehlbarkeit die betreffenden Wahrheiten vorlegt. Also: die conclusiones theologicae (von
denen eine Prämisse in der Offenbarung, die andere in der Vernunft enthalten ist), katholische
Wahrheiten, die unzertrennlich mit Glaubenswahrheiten zusammenhängen, so dass, wer jene
leugnet, auch diese verwirft, z.B. Geistigkeit und Unsterblichkeit der Seele, ferner die sogenannten
facta dogmatica und die Kanonisation der Heiligen. Die Lehren und Entscheidungen
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des Bischofs und der römischen Kongregationen verlangen den Gehorsam, der gültigen
menschlichen Gesetzen geschuldet wird. Den vom Papst authentisch bestätigten Kongregationsentscheidungen
schuldet man den assensus religiosus. Derselbe assensus gilt den authentischen
Lehrkundgebungen des Bischofs, die bis zum sicheren Beweis des Gegenteils die Präsumtion
der Richtigkeit haben. Ein Verstoß gegen die Glaubenswahrheiten (c. 750) kann Apostasie,
Häresie oder Schisma darstellen und entsprechend geahndet werden (c. 1364). Ein
Verstoß gegen Wahrheiten, denen religiöser Gehorsam zu leisten ist (c. 752), kann nach c.
1371 n. 1 bestraft werden.
Sittlich verpflichtend ist zunächst der sogenannte äußere Gehorsam, die Pflicht zur äußeren
Unterwerfung unter die kirchliche Jurisdiktionsgewalt, d.h. man darf nicht die gegenteilige
Ansicht aufstellen und verbreiten. Sodann verlangt der Gehorsam auch innerliche Zustimmung.
Dies ergibt sich aus der Pflicht zur Anerkennung der von Gott gesetzten Autorität. Diese
innere Zustimmung hat Grade, je nach der größeren oder geringeren Lehrautorität, von der
die Entscheidung ausging, nach der Umsicht und Sorgfalt, mit der sie getroffen wurde, nach
den Gründen, auf die sie sich stützt, nach dem Umfang, den sie ihren Worten nach hat. Wenn
aber dem von dem Urteil oder der Entscheidung Betroffenen schwerwiegende Gründe besonders
theologischer Art für das Gegenteil zu sprechen scheinen, so wäre es nicht unerlaubt, eine
bedingte Zustimmung (cum formidine errandi) zu leisten oder eventuell auch sein Urteil
einstweilen zu suspendieren. Ebenfalls besteht für den Betroffenen ein Recht und u.U. eine
Pflicht, in geziemender Weise Gegengründe vorzubringen, eventuell den Papst anzugehen.
2. Formel
Der Glaube wird zusammengefaßt in sogenannten Kurzformeln des Glaubens, in Glaubensbekenntnissen.
Solche Bekenntnisse sind im Laufe der Kirchengeschichte häufig entstanden.
Jahrhundertelang galt das Glaubensbekenntnis, das Papst Pius IV. in der Bulle „Iniunctum
Nobis“ vom 13. November 1564 vorgeschrieben hatte1. Dieses sogenannte tridentinische
Glaubensbekenntnis wurde nach dem Ersten Vatikanischen Konzil erweitert2. Die Formula
professionis fidei tridentina-vaticana war dem CIC/1917 vorangestellt und stand bis 1967 in
Geltung. Der CIC/1917 ordnete die Ablegung des Glaubensbekenntnisses in den cc. 1406 bis
1408. Im Jahre 1967 legte die Kongregation für die Glaubenslehre eine neue Formel für die
Professio fidei vor. Sie enthielt das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis und
1 DH 1862-1870.
2 CIC Fontes VI Nr. 4236 S. 597f.
12
einen Zusatz3. Darin war ausgesagt, dass der Bekennende alles annimmt und festhält, was
hinsichtlich der Glaubens- und Sittenlehre von der Kirche, sei es durch feierliches Urteil definiert
oder durch das ordentliche Lehramt verteidigt und erklärt ist, wie es von ihr vorgelegt
wird, besonders was das Geheimnis der Kirche Christi, die Sakramente, das Messopfer und
den Primat des Papstes betrifft. Die Formel war fortan gemäß c. 1406 § 1 CIC/1917 zu verwenden.
Das Glaubensbekenntnis umfaßte mithin alle kirchenamtlich vorgelegten Lehren
über Glaube und Sitten. Diese Lehren standen nicht allesamt auf derselben Ebene der Verbindlichkeit.
Die Zustimmung zu diesen Lehren unterschied sich je nach Art der Vorlage
(prout ab ipsa proponuntur).
Das Bekenntnis von 1967 erwies sich offensichtlich als ungenügend. Die Obstruktion von
modernistischen Theologen zwang zu einer Erweiterung und Differenzierung. Es wurde eine
neue Formal für das Glaubensbekenntnis geschaffen4. Der Papst hat sie am 1. Juli 1988 gebilligt
und mit Verpflichtungskraft ausgestattet5. Sie war ab 1. März 1989 verbindlich. Das
grundlegende Glaubensbekenntnis ist nach wie vor das Nizäno-Konstantinopolitanische. Es
ist als erster Text in dem Glaubensbekenntnis enthalten, das von der Glaubenskongregation
am 9. Januar 19896 vorgelegt wurde. Darüber hinaus enthält diese Formel drei Zusätze. An
erster Stelle steht der Glaube an die Offenbarung (firma fide credere). Hier geht es um die
Wahrheit des Wortes Gottes, das die Kirche als Offenbarung zu glauben vorlegt. Diese Lehren
sind im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten und werden von der kirchlichen
Autorität als von Gott geoffenbarte Wahrheiten zur Annahme vorgelegt. Die Vorlage
erfolgt entweder durch das außerordentliche Lehramt oder durch das ordentliche Lehramt. Das
außerordentliche Lehramt wird auf zwei Weisen tätig, entweder durch eine Kathedralentscheidung
des Papstes oder durch eine Entscheidung des auf einem Konzil versammelten Bischofskollegiums
mit dem Papst an der Spitze. Das ordentliche Lehramt wird tätig durch die
tägliche allgemeine Lehrverkündigung der mit dem Papst vereinten Bischöfe, die eine Wahrheit
als unfehlbar zu glauben vorlegen. Diese Lehren verlangen von den Gläubigen die Zustimmung
mit theologalem Glauben (assensus fidei). Dieser Absatz deckt sich weitestgehend
mit c. 750. Dort heißt es: Mit göttlichem und katholischem Glauben ist all das zu glauben,
was im geschriebenen oder überlieferten Worte Gottes, der einen Glaubenshinterlage, die der
Kirche anvertraut ist, enthalten ist und gleichzeitig als von Gott geoffenbart vorgelegt wird
3 AAS 59,1967,1058.
4 AAS 81, 1989,105.
5 AAS 81, 1989,1169.
6 AAS 81, 1989, 105f.
13
und entweder vom feierlichen Lehramt der Kirche oder von ihrem ordentlichen und allgemeinen
Lehramt, was durch das gemeinsame Festhalten der Gläubigen unter der Führung des heiligen
Lehramtes kundgetan wird (c. 750 § 1).
An zweiter Stelle steht das Bekenntnis zu den Wahrheiten, die notwendig mit der göttlichen
Offenbarung verbunden sind (circa doctrinam de fide vel moribus). Hier geht es um die
Wahrheit von Lehren, welche die Kirche definitiv vorlegt. Der Gegenstand dieses Absatzes
umfaßt alle jene Lehren, die zum Bereich der Glaubens- und Sittenlehre gehören und die notwendig
sind, um das Glaubensgut treu zu bewahren und auszulegen, auch wenn sie vom Lehramt
der Kirche nicht als formell geoffenbart vorgelegt worden sind. Solche Lehren können
einmal vom Papst oder vom Konzil, zum anderen vom ordentlichen allgemeinen Lehramt als
sententia definitive tenenda unfehlbar gelehrt werden. Definitiv besagt rechtlich endgültig,
abschließend, irreformabel. Was definitiv vorgetragen wird, ist unfehlbar. Zwischen unfehlbar
definierten Glaubenswahrheiten und unfehlbar definierten Lehren über Glaube oder Sitten ist
zu unterscheiden. Jeder Gläubige ist gehalten, diesen Wahrheiten seine feste und endgültige
Zustimmung zu geben. Diese Zustimmung gründet im Glauben an den Beistand, den der Heilige
Geist dem Lehramt schenkt, und in der katholischen Lehre von der Unfehlbarkeit des
Lehramtes in diesem Bereich. Wer sie leugnet, lehnt Wahrheiten der katholischen Lehre ab
und steht deshalb nicht mehr in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche. Diese
Lehren werden nicht als formell geoffenbarte vorgelegt, weil sie dem Glaubensgut nicht geoffenbarte
oder noch nicht ausdrücklich als geoffenbart erkannte Bestandteile hinzufügen. Der
endgültige Charakter dieser Lehren ergibt sich zumindest wegen der inneren Verbundenheit
mit der geoffenbarten Wahrheit. Was die Art der Zustimmung betrifft, die den Wahrheiten
geschuldet wird, die von der Kirche als von Gott geoffenbart (1. Absatz) oder als endgültig zu
halten (2. Absatz) vorgelegt werden, so besteht hinsichtlich des vollen und unwiderruflichen
Charakters der Zustimmung, die den entsprechenden Lehren entgegenzubringen ist, kein Unterschied.
Was sie unterscheidet, bezieht sich auf die übernatürliche Tugend des Glaubens.
Bei den Wahrheiten des ersten Absatzes beruht die Zustimmung direkt auf dem Glauben an
die Autorität des Wortes Gottes (de fide credenda). Bei Wahrheiten des zweiten Absatzes
stützt sich die Zustimmung auf den Glauben an den Beistand, den der Heilige Geist dem
Lehramt schenkt, und auf die katholische Lehre von der Unfehlbarkeit des Lehramtes (de fide
tenenda). Das kirchliche Lehramt kann in einem endgültigen Akt oder in einem nicht endgültigen
Akt eine Lehre vorlegen, die als von Gott geoffenbart zu glauben ist (1. Absatz) oder
endgültig zu halten ist (2. Absatz). In einem endgültigen Akt wird eine Wahrheit entweder
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vom Papst ex cathedra oder vom Ökumenischen Konzil feierlich definiert. In einem nicht
endgültigen Akt wird eine Lehre vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der in der Welt
verstreuten und in Einheit mit dem Papst stehenden Bischöfe unfehlbar vorgelegt. Eine solche
Lehre kann vom Papst bestätigt werden, auch ohne eine feierliche Definition vorzunehmen,
indem er ausdrücklich erklärt, dass sie zum Lehrgut des ordentlichen und allgemeinen Lehramtes
– entweder als von Gott geoffenbarte Wahrheit (1. Absatz) oder als Wahrheit der katholischen
Lehre (2. Absatz) gehört. Wenn also hinsichtlich einer Lehre kein Urteil in der feierlichen
Form einer Definition vorliegt, diese Lehre aber zum Glaubensgut gehört und vom ordentlichen
und allgemeinen Lehramt (das notwendigerweise jenes des Papstes einschließt)
gelehrt wird, ist sie als in unfehlbarer Weise vorgelegt zu verstehen. Die Erklärung, in welcher
der Papst sie bestätigt, ist in diesem Falle keine Dogmatisierung, sondern eine formale Bestätigung,
dass eine Wahrheit im Besitz der Kirche ist und von ihr unfehlbar weitergegeben wird.
Der zweite Absatz des Glaubensbekenntnisses deckt sich mit dem neuen § 2 des c. 750.
Dort heißt es: Fest anzuerkennen und zu halten ist auch alles und jedes, was vom Lehramt der
Kirche bezüglich der Lehre über den Glauben und die Sitten endgültig (definitive) vorgelegt
wird, das nämlich, was zur unversehrten Bewahrung und zur getreuen Auslegung der Glaubenshinterlage
erforderlich ist. Daher widersetzt sich der Lehre der katholischen Kirche, wer
diese endgültig zu haltenden Lehrsätze (propositiones) ablehnt (c. 750 § 2). Damit werden
jene definitiv vorgelegten Lehren erfaßt, die nicht mit göttlichem und katholischem Glauben,
sondern (nur) mit kirchlichem Glauben zu glauben sind (firmiter amplecti et retinere). Verstöße
gegen c. 750 § 2 werden durch c. 1364 nicht erfaßt.
Dem dritten Absatz gehören alle Lehren an, die in Sachen des Glaubens und der Sitten als
wahr oder zumindest als sicher vorgetragen werden, auch wenn sie nicht durch ein feierliches
Urteil definiert und auch nicht vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt als endgültig vorgelegt
worden sind. Diese Lehren sind authentischer Ausdruck des ordentlichen Lehramtes
des Papstes oder des Bischofskollegiums und erfordern deshalb religiösen Gehorsam des Willens
und des Verstandes. Sie werden vorgelegt, um zu einem tieferen Verständnis der Offenbarung
beizutragen, um die Übereinstimmung einer Lehre mit den Glaubenswahrheiten zu
betonen oder um vor mit diesen Wahrheiten unvereinbaren Auffassungen und vor gefährlichen
Meinungen zu warnen, die zum Irrtum führen können. Eine Aussage, die gegen diese
Lehren verstößt, ist als irrig, oder bei Lehren, die Vorsichtsmaßregeln darstellen, als verwegen
oder gefährlich zu qualifizieren und deshalb tuto doceri non potest. Hier geht es um die
Wahrheit von Lehren, die das Lehramt autoritativ vorlegt, wenn auch nicht definitiv. Dieser
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Absatz hat seine entsprechende Bestimmung in c. 752. Doch ist ein Unterschied zu beachten.
C. 752 bezieht sich lediglich auf Lehren über Glaube und Sitten. Der Absatz 3 geht dagegen
auf alle Lehren, die der Papst oder das Bischofskollegium in der Ausübung ihres authentischen
Lehramtes vortragen. (religiosum voluntatis et intellectus absequium).
IV.
Der Treueid
1. Unterschied von Glaubensbekenntnis und Treueid
Glaubensbekenntnis und Treueid sind zwei verschiedene Rechtsinstitute (c. 380). Das
Glaubensbekenntnis ist die Versicherung, sich den Glauben der Kirche zu eigen gemacht zu
haben und darin festzustehen. Es ist kein Eid. Der Treueid ist die unter Anrufung Gottes abgegebene
Versicherung, das übertragene Amt bzw. den übertragenen Dienst gemäß der kirchlichen
Glaubens- und Sittenlehre sowie der kirchlichen Rechtsordnung ausüben zu wollen.
Das Glaubensbekenntnis stellt auf den Glauben einer Person im Augenblick der Übernahme
eines Amtes oder Dienstes ab. Der Treueid ist ein Versprechen, das in die Zukunft weist. Beide
Formeln der Bindung wurden und werden trotz ihrer Verschiedenheit häufig zusammen
genannt. Die Kongregation für die Glaubenslehre erließ am 19. September 1989 ein Reskript
ex audientia Sanctissimi, das die Formeln für das Glaubensbekenntnis und den Treueid betraf,
die in dem Faszikel der Acta Apostolica Sedis vom 9. Januar 1989 veröffentlicht worden waren.
Damals hatte der Papst in der Audienz für den Präfekten der Glaubenskongregation vom
1. Juli 1988 die erwähnten Formeln und die zugehörigen Normen gebilligt und mit Gesetzeskraft
ausgestattet (approbare atque sancire)7. Das erwähnte Reskript war notwendig geworden,
weil versucht wurde, die Geltungskraft gewisser Bestimmungen, die den Treueid betreffen, in
Zweifel zu ziehen.
2. Formel
Seit vielen Jahrhunderten hatten die neuernannten Bischöfe einen Obödienzeid gegen den
Heiligen Stuhl abzulegen. Der Text war im Pontificale Romanum enthalten. Im Jahre 1972
wurde der Treueid neu gefaßt, den die Bischöfe gemäß c 332 § 1 CIC/1917 zu leisten haben8.
Ab 1. Juli 1988 ist eine neue Formel für den Treueid der Bischöfe vorgeschrieben9. Die Vorschrift
trat in Kraft am 1. März 1989. Der Treueid bezieht sich auf die getreue Ausübung der
7 AAS 81, 1989, 1169.
8 Ochoa, Leges V Nr. 4161 col. 6440.
9 AAS 81, 1989, 106.
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Pflichten, die mit dem zu übernehmenden Amt oder Dienst verbunden sind. In diesem Sinne
könnte man ihn als Amts- oder Diensteid bezeichnen. Die Formel für den Treueid ist in sechs
Absätze eingeteilt. Im Treueid verspricht der Eidleistende erstens, im Reden und Handeln
stets die Gemeinschaft mit der Kirche zu bewahren. Dieses Versprechen berührt sich mit dem
c. 209 § 1 und findet seine Entsprechung in den cc. 330, 333 § 1, 392 § 1 und 529 § 2. Der
Eidleistende verspricht zweitens, die ihm übertragenen Pflichten sorgfältig und gewissenhaft
zu erfüllen. Dieses Versprechen berührt sich mit dem c. 209 § 2. Er verspricht weiter, in seiner
Amtsführung die Glaubenshinterlage unversehrt zu bewahren, getreu zu überliefern und
zu erklären sowie widersprechende Lehren zu meiden. Dieses Versprechen berührt sich mit
cc. 747 § 1 und 750. Die getreue Bewahrung, Darlegung und Weitergabe des Glaubensgutes
ist an sich eine Selbstverständlichkeit für den Amtsträger in einer Glaubensgemeinschaft. Er
verspricht sodann, der gemeinsamen Ordnung der Kirche zu folgen und ihre Beobachtung zu
fördern sowie sich an alle kirchlichen Gesetze zu halten. Es sei hier an c. 392 § 1 erinnert. Er
verspricht endlich, in christlichem Gehorsam allem zu folgen, was die Hirten der Kirche als
authentische Lehrer des Glaubens erklären und als Leiter der Kirche anordnen sowie dem Bischof
in seinem Apostolat beizustehen. Dieses Versprechen berührt sich mit cc. 212 § 1, 753,
675 § 3. Der christliche Gehorsam, von dem hier die Rede ist, leitet sich ab vom Christsein
und verpflichtet jeden Christen (c. 212 § 1). Die Kleriker sind darüber hinaus zum kanonischen
Gehorsam verpflichtet (c. 273). Die Träger der evangelischen Räte verpflichten sich
durch Gelübde zum spezifischen Gehorsam (cc. 573 § 2, 607). Der Gehorsam ist selbstverständlich
nur jenem Bischof gegenüber zu leisten, dem der Einzelne unterstellt ist. Diesem
gegenüber aber bezieht er sich sowohl auf den Glauben als auch auf die Disziplin. Der letzte
Absatz enthält die Anrufung Gottes und seines Evangeliums.
Den Treueid haben (nach c. 380) die Bischöfe abzulegen. Darüber hinaus sind bestimmte
Personen verpflichtet, einen eigenen Treueid abzulegen (c. 833 nn. 5-8). Er soll das Glaubensbekenntnis
ergänzen. Für andere Ämter (außerhalb des Episkopates) oder Dienste wird
vor Antritt ein Eid oder ein Versprechen gefordert (cc. 471 n. 1, 1283 n. 1, 1454). Darüber
hinaus werden auch weitere Amtsträger verpflichtet, einen Amtseid oder ein Dienstversprechen
abzulegen.
Es ist offensichtlich, dass es sich bei Glaubensbekenntnis und Treueid um äußerst gewichtige
Dokumente handelt und dass ihre Auferlegung einen hochbedeutsamen Akt des obersten
kirchlichen Lehr- und Hirtenamtes darstellt. Man hätte erwartet, dass die Hirten der Kirche
ihre Pflicht darin sehen, diese ernste Angelegenheit sogleich und nachdrücklich in die
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Rechtswirklichkeit überzuführen. Doch dies geschah nicht. Die Deutsche Bischofskonferenz
zögerte die Übernahme der beiden Dokumente jahrelang hinaus. Erst nach langem Widerstreben
wurden sie übernommen. Sie stießen in manchen Kreisen auf Ablehnung und Empörung.
Der Tübinger Dogmatikprofessor Peter Hünermann bezeichnete Glaubensbekenntnis und
Treueid als „Aufforderung zum Meineid“ und sprach von einer „ungeheuren Zwangsmaßnahme“.
Anfang des Jahres 2001 legten fünfzig Priester der Erzdiözese Freiburg im Breisgau
Protest gegen das Glaubensbekenntnis und gegen den Treueid ein. Die Arbeitsgemeinschaft
Studierender der katholischen Theologie in Deutschland machte sich den Protest zu eigen.
Diese Auffassung blieb wie viele vorhergegangene sanktionslos. Wieweit in den einzelnen
deutschen Diözesen Glaubensbekenntnis und Treueid in der vom Apostolischen Stuhl vorgeschriebenen
Weise praktiziert werden, entzieht sich meiner Kenntnis.
Schluß
Meine lieben Mitbrüder!
Wir Priester stehen unter Vorgesetzten, denen wir zum Gehorsam verpflichtet sind. Dieser
Gehorsam fällt – wie jeder Gehorsam – uns häufig nicht leicht. Wir wissen um das Ungenügen
vieler, die an leitender Stelle der Kirche stehen. Aber wir wissen auch, dass eine Gemeinschaft,
in welcher der Gehorsam aufhört, zerfällt. Die Krise, in der unsere Kirche steht, hat
mannigfache Aspekte. Aber einer von ihnen ist unübersehbar: der Ungehorsam, der Zusammenbruch
der Disziplin. Die Auflehnung hat ihren intellektuellen Ursprung in den Aufstellungen
von Theologen. Der Episkopat schritt nicht dagegen ein. Die verkehrten Ansichten
sanken ab in den Klerus. Der Klerus begann, gegen das geltende Recht Praktiken zuerst im
Gottesdienst, dann auch auf anderen Gebieten einzuführen. Ich erinnere an die zuerst in Holland
geübte Handkommunion. Die Bischöfe nahmen die im Ungehorsam eingeführten Verhaltensweisen
mehrheitlich hin. Ich erinnere an den Münchener Erzbischof Döpfner, der, bei einer
Klerusversammlung gefragt, wie lange die „Babyspeisung“ noch geübt werden solle, antwortete:
„Ihr braucht euch nicht mehr daran zu halten.“ Bald zeigte sich, dass ein beträchtlicher
Teil der Bischöfe den Weisungen und Anordnungen des Apostolischen Stuhles nicht
mehr vorbehaltlos folgte. Mit Mißtrauen wurden und werden hochwichtige Lehrdokumente
und Anordnungen kritisiert, beiseite geschoben, madig gemacht und so um ihre Wirkung gebracht.
Ich erinnere an die Erklärung der Glaubenskongregation „Dominus Iesus“ vom 6. Au18
gust 200010. Mit ihrer Obstruktion gegen Rom richten die Bischöfe unermeßlichen Schaden
an. Unsere Stellung, meine ich, sollte eindeutig sein. Im Konflikt zwischen deutschen Bischöfen
und dem Heiligen Vater können wir uns nur für diesen entscheiden. Wir wollen ihm die
Treue halten, die er in deutschen Landen nicht mehr findet.
Prof. Dr. Georg May