Autor Thema: Eine Clerical-Pop Story – Warum die perfekte Eintönigkeit im Jubelchor für Papst  (Gelesen 5202 mal)

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Eine Clerical-Pop Story – Warum die perfekte Eintönigkeit im Jubelchor für Papst Franziskus Zweifel weckt

Franziskus und Benedikt XVI. gemeinsames Bild Ikone der neuen Clerical Pop ArtDer Rechtsphilosoph Mario Palmaro und der Journalist Alessandro Gnocchi beschäftigten sich in der Tageszeitung Il Foglio mit der „perkten Einstimmigkeit“, mit der Papst Franziskus als neuer „Popstar“ am katholischen Firmament (aber nicht nur) gefeiert wird. Sie versuchen in ihrer Analyse dieses „bisher unbekannten“ Phänomens einen Vergleich mit der Popkultur und deren Gesetzmäßigkeiten, ihrem Konformismus, dem Verharren auf der Gefühlsebene und ständiger Grenzüberschreitungen.
Clerical-Pop

von Alessandro Gnocchi und Mario Palmaro

Mit diesem Papst hat ein Chor mit perfekter Einstimmigkeit eingesetzt, der Zweifel weckt. Bei jemandem, der nicht im Chor singt.


In der katholischen Welt ist also der Frieden ausgebrochen. Ausgenommen der eine oder andere physiologische Querkopf, scheinen mit der Wahl von Papst Franziskus I. alle zufrieden zu sein und jeder Widerspruch scheint besänftigt. Ein geradezu einmaliges Ereignis in zweitausend Jahren Kirchengeschichte, wenn man bedenkt, daß das Schöne am leidenschaftlichen Katholischsein, sofern man davon noch sprechen kann, gerade immer handfeste theologische Prügeleien zwischen einer theologischen Schule und einer anderen Schule, zwischen einem Orden und einem anderen Orden, zwischen einem Charisma und einem anderem Charisma waren.

Seit dem 13. März 2013 hat das katholische Volk mit großer Anteilnahme der Welt alle Unterschiede und Streitpunkte und jeden Groll beiseitegelegt, um wie in einem Popkonzert an einer endlosen La-Ola-Welle zu Ehren des neuen Papstes mitzumachen. Alle sind Hauptakteure eines großen Happenings, bei dem, wie bei allen solchen Ereignissen, die Lust dominiert, sich alle gleich zu fühlen, sich mit etwas und mit jemand zu identifizieren, zu vergessen, was man noch bis eine Sekunde vor Kauf der Eintrittskarte war.

Gemeinsame La-Ola-Welle und jeder fühlt sich berufen, „strahlende Horizonte“ für „Kirche von Papst Franziskus“ zu prophezeien


Das genügt schon, daß jeder sich berufen fühlt, neue strahlende Horizonte für die „Kirche von Papst Franziskus“ zu prophezeien. Das alles ohne auch nur einen Erinnerungskrümel an die Dramen, die bis vor kurzem so schwer auf dem Schiff des Petrus lasteten, daß es fast zu kentern schien. Pädophilie, Geschäftemacherei, Sittenlosigkeit, Machtkämpfe, und alles was Benedikt XVI. angeblich zum Rücktritt gezwungen hätte, sind von den Titselseiten der Zeitungen und aus der Gerüchteküche verschwunden: Es gibt sie nicht mehr.

Es genügt schon, wenn man es wagt, ein einfaches „Hoffen wir…“ anzufügen, etwa in der Schlange beim Lieblingsgemüsehändler, wo natürlich auch der antiklerikalste Kunde beteuert, wie sehr ihm dieser neue Papst gefällt, um sich unverhofft auf gefährlichen Abwegen wiederzufinden. Die durch die drei Punkte gekennzeichnete kleine Gedankenpause hinter dem vorsichtig-schüchtern geäußerten „Hoffen wir“ können viele schon nicht ertragen und es braucht nur eine Kleinigkeit, um auf der Anklagebank zu landen mit sofortiger Verurteilung ohne Berufungsmöglichkeit, und zwar im Namen einer Barmherzigkeit und einer Sanftheit, die die katholische Welt  erst jetzt entdeckt zu haben scheint.

Widersprüchliche Konservative, die 2005 Wahl Benedikts statt Bergoglios bejubelten …


Die Widersprüchlichkeit dieser so unversöhnlichen und intoleranten Begierde nach Barmherzigkeit und Sanftheit scheint niemandem aufzufallen. Man ist versucht den Sänger Max Pezzali und die alte Musikgruppe 883 paraphrasierend zu sagen: Das ist das harte Gesetz des Pop. Angesichts der einmütigen Haltung, den Beginn dieses Pontifikats im Zeichen von Widersprüchen zu lesen, die niemanden stören, nicht einmal jene katholischen Köpfe, die unter Benedikt XVI. so sehr die klare Strenge der Vernunft liebten, ist vielleicht der Zeitpunkt gekommen, vom harten Gesetz des Clerical-Pop zu sprechen.

Ein Phänomen neuester Prägung, das, was das Sich-Lustigmachen über das Prinzip der Nicht-Widersprüchlichkeit anbelangt, anderen um nichts nachsteht. Um nur ein Beispiel anzuführen, genügt es an die Scharen von Konservativen zu denken, die sich 2005 im Siebten Himmel fühlten, weil Joseph Ratzinger an Stelle von Jorge Mario Bergoglio gewählt wurde, und die sich nun im Siebten Himmel fühlen, weil Jorge Mario Bergoglio an die Stelle von Joseph Ratzinger getreten ist.

Und wenn es jemand wagt die Einzigartigkeit dieser Einmütigkeit zu analysieren, die so viele Widersprüche in sich birgt, wird ihm sofort das garantiert rostbeständige Argument entgegengehalten, daß über dem Konklave schließlich der Beistand des Heiligen Geistes liegt. Ein Argument, das aber, so unkritisch hingeworfen, nicht erklärt, warum diese Einmütigkeit eben einzigartig ist. Um die Absonderlichkeiten der modernen Welt, ja sogar der katholischen zu verstehen, genügt es nicht nur zerstreut der einen oder anderen Vorlesung in Dogmatik gelauscht zu haben. Es bräuchte zumindest ein wenig von der Erfahrung von Max Pezzali.

Bilder und Schlagworte von Katholiken und Nicht-Katholiken haben sich angeglichen

Vorausgesetzt man war vorher drei Meter über dem Himmel unterwegs, muß man mit etwas Geduld einige Stufen, bis auf die Ebene der Menschen heruntersteigen. Dort angekommen folgt die Entdeckung, indem man sich die Finger mit der Druckerschwärze der Zeitungen schmutzig macht, indem man Internetseiten, Fernsehen und Radio verfolgt, dem Palaver im Kaffeehaus, im Büro, im Hauptschiff der Kathedrale oder in einer abgelegenen Kapelle lauscht, daß Katholiken und Nicht-Katholiken die gleichen Bilder vor Augen haben und die gleichen Schlagworte im Mund führen. Wenige, einfache, absolute, so wie es sich eben gehört für das, was die kollektive Vorstellungswelt formt. Neues Futter für die Gefräßigkeit der Medien, denen man nicht zum Vorwurf machen kann, daß sie fleißig ihrer Aufgabe nachkommen. Wenn man diese unersättlichen Monster füttert, vielleicht in der Illusion, sich ihrer bedienen zu können, endet man damit, von ihnen verschlungen, zerkaut und wieder ausgespuckt zu werden, allerdings so wie es ihnen gefällt, mit einem anderen Aussehen und anderer Natur.

In den 70er Jahren machte der Medientheoretiker Herbert Marshall McLuhan darauf aufmerksam, daß „die entmenschlichte Welt, in der wir leben, eine außergewöhnliche Gefahr für die menschgewordene Kirche“ ist. Oder, daß die von den elektronischen Medien geschaffene Welt „als vernünftig erscheinendes Faksimile des mystischen Leibes, eine betäubende Erscheinung des Antichristen ist. Schließlich ist der Fürst dieser Welt ein großer Elektronik-Ingenieur.”  Aber niemand hörte ihm zu. „Die Theologen haben sich nicht einmal herabgelassen, einen Blick auf ein solches Problem zu werfen“, wie Marshall McLuhan selbst schrieb.

Bild beider Päpste Ikone der Clerical-Pop Art


So wurde aus dem realen religiösen Bild immer mehr eine kollektive Vorstellungswelt, bis sie sich in perfektem Pop-Stil in einer Art von undefiniertem und undefinierbarem universellem Bestreben präsentierte. Die beispielhafte Ikone dieses Ergebnisses ist das Bild der beiden Päpste, Franziskus und Benedikt, einer neben dem anderen. Ein so entfremdendes sichtbares Fragment scheint  ein Werk von Andy Warhol, eine Replik der berühmten Siebdrucke, bei denen sich mehrfach Porträtbilder von Marilyn Monroe oder Mao wiederholen. Andererseits war Warhol sehr religiös, ein so eifriger und fleißiger Pfarrangehöriger, daß er es schaffte, im fernen Jahr 1980 Papst Johannes Paul II. zu treffen.

Abgesehen von der meritorischen Frage, für die Historiker und Theologen zuständig sind, ist der gemeinsame Anblick der beiden Päpste nebeneinander auf der formalen Sprachebene die tragende Säule der bisher ungekannten Einmütigkeit, die Franziskus I. umweht. Im reinsten Pop-Art-Geist, können die beiden Figuren gleichzeitig nach verschiedenen Gesichtspunkten gelesen werden. Von denen eine über die andere gelegt wird, und eine als Negativ der anderen interpretiert werden kann, oder die eine als Abschwächung oder Verstärkung der anderen, aber auch als unterschiedliche Nuancen einer möglichen dritten Figur, und so weiter und so fort. An diesem Punkt wird klar, daß ein irreversibler Mechanismus von Repliken in Bewegung gesetzt wurde, der dazu führt, daß das vorherrschende Bild sich durchsetzt. Und nicht von ungefähr spricht man von einem Bild, denn – einmal soweit – spielt es keine Rolle mehr, ob es sich dabei um die Wirklichkeit handelt.

Franziskus-Verzicht auf traditionelle Gewänder von genialer Funktionalität


Die interessanteste Folge dieses Phänomens ist eine Art von atemlosem Wettrennen, um den Gesten und Worten von Papst Franziskus eine bestimmte Bedeutung zuzuschreiben in der Illusion, damit alle widersprechenden Bedeutungen auszuschließen. Da nur am Bild und nicht an der Realität laboriert wird, wirkt man auf diese Weise lediglich an der Verwirklichung eines kollektiven Opus mit. Wer meint, eine eigene exklusive Interpretation des Pop-Phänomens zu liefern, um es sich zu eigen zu machen, tut in Wirklichkeit nichts anderes als seinen farbigen Pinselstrich dem Bild hinzuzufügen, das wesentlich aussagekräftiger ist als die Summe aller Pinselstriche. So kräftig, daß es sogar ohne den kleinsten Farbtupfer auskommen könnte. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, ist der Verzicht des neuen Papstes auf die traditionellen Gewänder geradezu von genialer Funktionalität, da diesen Pop-Art-Pinselstriche geradezu zuwider sind. Da macht sich das Weiß viel besser unter dem man im Gegenlicht die schwarzen Alltagshosen erkennt, das so offensichtlich bar jeder Persönlichkeit ist, daß es dazu verleitet, es zu vereinnahmen ohne zu durchschauen, daß man vereinnahmt wird.

Dem was Franziskus I. bisher gesagt, vor allem aber getan hat, eine besondere Bedeutung zuzuschreiben, ist nichts anderes als die Intelligenz im Leerlauf zu gebrauchen aus dem einfachen Grund, weil die Ebenen auf denen man sich bewegt verschieden sind. Der Philosoph und Sprachtheoretiker Lucio Spaziante schrieb in einem Aufsatz „Soziosemiotik des Pop“, der trotz des Titels sehr lesenwert und intelligent ist: „Die Pop-Kultur zeichnet sich als eine Kultur des Machens statt des Wissens aus, wo man, um der Spontanität Raum zu lassen, es vorzieht nicht zu wissen, wo die Praxis mehr zählt als die Theorie. Wer Rockmusik hört, weiß, daß er in jener Welt erstmals Herr eines Territoriums ist. Dort gibt es keine Professoren, nicht Tausende von zu lesenden Büchern, keine Kultur und Politik zu verstehen. Es genügt einen Sänger zu lieben, manchmal zu imitieren, die gleichen mentalen und physischen Kleider anzuziehen und schon erfindet man sich gesellschaftlich neu. Im Pop gibt es keine wirkliche Anstrengung zur Theorienbildung. Damit die Inhalte klar werden, müssen sie extrahiert werden. […] Der Pop schafft den Durchbruch, hier wie anderswo, trotz Sprachbarrieren. Der Grund dafür liegt wahrscheinlich darin, daß der Sinn der Worte das letzte ist, was man erfaßt.“

Nicht Glauben sondern elementares Gefühl ist der Kitt

Diese Dimension des Wortsinns erklärt diesen Wunsch, sich mit den gerade in Mode stehenden Popstars zu identifizieren, auch dem, der gerade in der katholischen Welt aktuell ist. Eine Erhebung in Pfarreien, Gemeinschaften und Bewegungen würde schnell ergeben, daß jeder Gläubige ein eigenes Bild vom Papst hat. Und wenn man der Sache auf den Grund ginge, würde man feststellen, daß der Kitt, der diese Riesenwelle zusammenhält, ein vages, elementares Gefühl ist, das weit, zu weit unterhalb des Glaubens, der Glaubens-  und Morallehre angesiedelt ist.

Das Praktizieren des katholischen Glaubens verlangte jedoch immer den Gebrauch von Intellekt und Willen. Mit dieser anspruchsvollen Askese der Vernunft, zusammen mit dem Gebet und dem Blut der Märtyrer hat die Kirche ihre Kinder aufgezogen und die Welt bekehrt: nicht indem sie für ein Konzert in die Arena ging, sondern um im Namen des Logos den Löwen gegenüberzutreten. „Die Wiege der Kirche“, schrieb Marhall McLuhan, „war das griechisch-römische Alphabet, das nicht vom Menschen, sondern von der Vorsehung entwickelt wurde. Die Tatsache, daß die griechisch-römische Kultur schon immer den Großteil der Menschheit kennzeichnete, der dann christlich wurde, wurde nie in Frage gestellt. Es wird selbstverständlich vorausgesetzt, daß die Missionare ihren Glauben wahrscheinlich vom geschriebenen Wort empfingen.“

Es war Mitte der 70er Jahre, als der kanadische Wissenschaftler diese Anmerkungen verfaßte. Es war das goldene Zeitalter des Pop, den die katholische Welt sich auf dramatische Weise anschickte, sich mit den übrigen vier, fünf Jahren Verspätung zu eigen zu machen.

Der Papst war damals ein Intellektueller erster Güte wie Paul VI. und daher klingt es umso prophetischer und messerscharf was McLuhan am Ende seiner Ausführung anfügte: „Ich wünschte, die Kirche würde mehr über die Geburt der Kirche in der Wiege des griechisch-römischen Alphabets sprechen. Dieses kulturelle Erbe ist unentbehrlich. Das Problem ist, daß sie selber nicht die Antwort kennen: Sie kennen sie wirklich nicht. Es gibt keinen in der Hierarchie, den Papst mit eingeschlossen, der diese Sachen weiß. Niemand.“

Übersetzung: Giuseppe Nardi

Quelle: http://www.katholisches.info/2013/04/15/eine-clerical-pop-story-warum-die-perfekte-eintonigkeit-im-jubelchor-fur-papst-franziskus-zweifel-weckt/

 

La Salette 1846



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