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Thomas von Aquin - Lehre des Heils

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Caelum:
DAS UNGENÜGEN DES ALTEN BUNDES

Johannes sagt, daß wir aus der Fülle Christi "eine Gnade für eine andere" empfangen haben (Joh 1,16). Diese Aussage führt uns zur Erkenntnis, daß wir aus seiner Fülle eine Gnade und statt ihrer eine andere empfangen haben. Es ist also zu überlegen, worin die erste Gnade besteht, für die wir die zweite empfangen haben, und worin diese neue Gnade selbst besteht.
Nach Chrysostomus ist die erste Gnade, die das ganze Menschengeschlecht empfangen hat, die Gnade des Alten Bundes gewesen, die mit dem Empfang des Gesetzes zusammenfiel... Es ist etwas Großes, daß den im Götzendienst gefangenen Menschen von Gott die Gebote gegeben wurden... Aber genügte denn diese erste Gnade? Ich antworte: Nein, denn durch das Gesetz erhält man nur die Erkenntnis der Sünde, nicht ihre Tilgung. Im Hebräerbrief 7,19 heißt es: "Niemanden hat das Gesetz zur Vollkommenheit geführt." Deshalb mußte eine neue Gnade kommen, um die Sünden zu tilgen und uns mit Gott zu versöhnen. Deshalb sagt der Evangelist: "Das Gesetz ist durch Moses gegeben, die Gnade aber und die Wahrheit ist durch Jesus Christus",... als durch den Herrn und Urheber der Wahrheit und Gnade.
Die Notwendigkeit der neuen Gnade beruht also auf dem Ungenügen des Gesetzes, das zwar zeigte, was man tun sollte, das aber zur Erfüllung seiner Vorschriften keine Hilfe bot. Deshalb wurde es der Anlaß zum Tode, und in diesem Sinne sagt Paulus, das Gesetz sei ein Diener des Todes gewesen: "Denn wenn schon der Dienst der Verdammung glänzend war, so ist der Dienst der Rechtfertigung von überwältigendem Glanze" (2 Kor 3,9). Das Gesetz versprach zwar die Hilfe der Gnade, aber es gab sie nicht, denn "es hat niemanden zur Vollkommenheit geführt" (Hebr 7,19). Das Gesetz war in seinen Opfern und heiligen Handlungen zwar ein Abbild der neuen Gnadenwirklichkeit, aber es brachte sie nicht zur offenen Erkenntnis. Und darum war es notwendig, daß Christus kam, der die Gnade hervorbrachte durch seinen Tod, durch den er die Sünde zunichte machte. Durch sein Sterben hat er uns die Gnade verdient, die uns hilft zur Erfüllung der Gebote Gottes. "Wir wissen ja, daß unser alter Mensch gekreuzigt wurde, damit... wir nicht mehr Sklaven der Sünde sind" (Röm 6,6). Christus hat zudem die schattenhaften Abbilder des Gesetzes zur Erfüllung gebracht, durch die Wirklichkeit ersetzt und die den Vätern gegebenen Verheißungen eingelöst. Er lehrte die der Welt verborgenen Wahrheit, wie es Johannes 18,37 heißt: "Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen"... Christus selbst ist durch seine Wesenheit die ungeschaffene Wahrheit, welche ewig ist, nicht geworden, sondern vom Vater gezeugt. Durch ihn aber sind geworden alle geschöpflichen Wahrheiten, die an der Ur-Wahrheit teilhaben und sie widerspiegeln, aufstrahlend in heiligen Seelen.

Caelum:
DIE VERSUCHUNGEN SIND PRÜFUNGEN DES MENSCHEN

Der Mensch wird versucht von der eigenen Sinnlichkeit, vom Teufel und von der Welt. Die Sinnlichkeit versucht ihn auf zweifache Art: Zunächst lockt sie an zum Bösen, denn sie erstrebt immer die eigene Lust, und darin ist oftmals Sündhaftes einbeschlossen. Denn wer in sinnlichen Freuden aufgeht, der setzt das Geistige zurück. Sodann versucht die Sinnlichkeit, indem sie uns vom Guten losreißt. Denn sich selbst überlassen, würde der Geist immer an den Geistesgütern Freude haben. Aber die Sinnlichkeit kommt und hindert den Geist. "Dem innern Gesetze nach habe ich zwar Freude am Gesetze Gottes. Aber ich nehme in meinen Gliedern ein anderes Gesetz wahr, das im Streite liegt mit dem Gesetze meines Geistes. Es macht mich zum Gefangenen unter dem Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern herrscht" (Röm 7,24 f.).
Diese Versuchung durch die Sinnlichkeit ist nun deshalb so gefahrvoll, weil unser Feind, die ungeordnete Sinnlichkeit, mit uns verbunden ist. Denn, sagt Boethius, keine Seuche ist so gefährlich wie ein mit uns vertrauter Feind. Daher muß man sich ihr gegenüber sehr in acht nehmen: "Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet" (Mt 26,41)...
Der Teufel heißt mit Nachdruck "der Versucher" schlechthin (1 Thess 3,5). Mit größter Verschlagenheit geht er bei der Versuchung zu Werke. Wie ein guter Feldherr bei der Belagerung einer Festung, so späht er die schwachen Stellen des Gegners aus. Wo der Mensch am schwächsten ist, da versucht er ihn. Und so versucht er den Menschen gerade in den Sünden, zu denen er eine besonders starke Neigung hat. Hat jemand die Sinnlichkeit bereits bezwungen, dann versucht er ihn zum Zorn, zum Stolz und zu anderen Geistessünden. Dabei geht der Störenfried auf doppelte Weise vor: Er stellt dem Menschen nicht sofort etwas offenbar Böses, sondern anfänglich etwas scheinbar Gutes vor Augen. So will er ihn im Anfang wenigstens etwas von seinem guten Vorsatz abbringen. Denn wenn er den Menschen erst durch etwas aus der Ordnung gebracht hat, kann er ihn leichter zur Sünde verführen. "Der Widersacher selbst verwandelt sich in einen Lichtengel" (2 Kor 11,14). Nachdem er dann den Menschen zur Sünde verführt hat, verstrickt er ihn darin, um das Auferstehen von der Sünde zu vereiteln. Und somit hat es der Störenfried auf zweierlei abgesehen: Er täuscht den Menschen, und den Getäuschten hält er in der Sünde gefangen.
Die Welt schließlich versucht uns auf zweifache Art: erstens durch ein übergroßes und maßloses Verlangen nach irdischen Gütern; zweitens durch die Gewalttätigkeiten der Verfolger und Tyrannen. "Alle, die in Christus Jesus fromm leben wollen, müssen Verfolgung leiden" (2 Tim 3,12). "Fürchtet euch nicht vor denen, welche den Leib töten" (Mt 10,28). So ist also klar, was Versuchung ist, und wie der Mensch aus ihr befreit wird. Dabei muß man bedenken, daß Christus uns nicht beten lehrt, daß wir überhaupt nicht versucht werden mögen, sondern: daß wir nicht in Versuchung zu Fall kommen. Denn wenn der Mensch die Versuchung besiegt, dann erwirbt er sich die Krone. Darum sagt die Schrift: "Haltet es für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Prüfungen geratet!" (Jak 1,2).
     Erläuterung zum Vaterunser: "Und führe uns nicht in Versuchung"

Caelum:
WIR SIND SEIN LEIB

Auf Grund ihrer Ähnlichkeit mit dem natürlichen Menschenleib bezeichnet man die Gesamtkirche als einen mystischen Leib. Denn in diesem wie in jenem haben die verschiedenen Glieder auch verschiedene Aufgaben (Röm 12,4 f.; 1 Kor 12,12 ff.) In demselben Sinne heißt nun auch Christus das Haupt der Kirche auf Grund der Ähnlichkeit mit dem natürlichen Haupte. Dabei läßt sich ein Dreifaches hervorheben: die Stellung des Hauptes, seine Vollkommenheit und seine Kraft:
Seine Stellung: Das Haupt ist der erste und höchste Teil des Menschenleibes. Aus diesem Grunde pflegt man auch allgemein das Erste als Haupt zu bezeichnen...
Seine Vollkommenheit: Im Haupte leben und weben alle inneren und äußeren Sinne, während in den übrigen Gliedern nur der Tastsinn vorhanden ist...
Seine Kraft: Wegen der im Haupte herrschenden belebenden und bewegenden Kraft gehen vom Haupte Kraft und Bewegung der Einzelglieder aus sowie die Lenkung ihrer Betätigung. Daher bezeichnet man auch den Lenker eines Volkes als sein Haupt...
Diese drei Dinge kommen Christus im geistigen Sinne zu: Erstens ist kraft seiner Gottverbundenheit seine Gnade die höchste und - wenn auch nicht zeitlich - die erste. Denn alle anderen Menschen empfingen ihre Gnade im Hinblick auf seine Gnade. Das lehrt der Römerbrief (8,24): "Die er vorhererkannt, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu werden. Er sollte der Erstgeborene unter vielen Brüdern sein."
Zweitens: Die Vollkommenheit hatte Christus in seiner Fülle aller Gnaden, von der Johannes (1,14) sagt: "Wir sahen ihn, voll der Gnade und Wahrheit."
Drittens: Er besitzt die Kraft, seine Gnade in alle Glieder der Kirche einströmen zu lassen. Johannes sagt: "Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen" (Joh 1,16).
Und so wird es klar, daß wir Christus mit Recht das Haupt der Kirche nennen.

Caelum:
CHRISTUS DAS HAUPT ALLER MENSCHEN

Zwischen den natürlichen Menschenleib und dem mystischen Leib der Kirche besteht folgender Unterschied: Dem natürlichen Leibe gehören alle Glieder gleichzeitig an, dem mystischen Leibe jedoch nicht. Das gilt zunächst von der Kirche in ihrem natürlichen Dasein, denn darin wird ihr Leib aus den Menschen aller Zeiten gebildet, die vom Anfang der Welt bis zu ihrem Ende jemals leben. Dasselbe gilt aber auch von ihrem übernatürlichen Sein, weil sich in der Kirche jederzeit solche befinden, die das Leben der Gnade noch entbehren, es aber später erhalten werden, während gleichzeitig andere schon in der Gnade leben. Somit kann man als Glieder des mystischen Leibes nicht nur die bezeichnen, die ihm tatsächlich angehören, sondern auch die, welche nur der Möglichkeit nach seine Glieder sind. Von diesen werden manche niemals dem Leibe wirklich eingegliedert, andere dagegen werden zu ihrer Zeit zu seinen lebendigen Gliedern, und zwar in drei verschiedenen Stufen: durch den Glauben, durch die Liebe hier auf Erden, durch die selige Gottesschau im Himmel.
Daraus ergibt sich folgendes: Christus ist ganz allgemein und für alle Zeiten das Haupt aller Menschen, aber in verschiedenen Graden. In erster Lienie und hauptsächlich ist er das Haupt derer, die ihm durch die Herrlichkeit der Gottschau wirklich vereinigt sind; zweitens derer, die ihm durch die Liebe wirklich vereint sind; drittens derer, die ihm durch den Glauben wirklich vereint sind; viertens derer, die ihm nur der Möglichkeit nach verbunden sind, einer Möglichkeit, die zwar noch nicht Wirklichkeit ward, aber doch werden soll nach göttlicher Vorherbestimmung; fünftens ist er auch das Haupt derer, die ihm verbunden sind einer Möglichkeit nach, die niemals verwirklicht wird. Das sind die Menschen, die in dieser Welt leben, doch nicht für die Seligkeit vorherbestimmt sind. Sobald sie aber aus dieser Welt abscheiden, hören sie ganz und gar auf, Glieder Christi zu sein, weil sie dann jede Möglichkeit verlieren, mit Christus vereint zu werden.

Caelum:
LEBENDIGE UND TOTE GLIEDER DER KIRCHE

Bei Paulus lesen wir: "Christus hat... sich für die Kirche dahingegeben..., damit er sich eine Kirche bereite, strahlend rein, ohne Flecken, ohne Runzeln oder sonst etwas dieser Art" (Eph 5,25 ff.).
Diese herrliche Kirche, die keine Makel und Runzel hat, ist das Endziel, zu dem wir durch Christi Leiden hingeführt werden. Dieses Ziel besteht aber erst im Leben der Heimat, nicht im Leben der Pilgerschaft, von dem Johannes schreibt: "Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selst" (1 Joh 1,8). Von todbringenden, schweren Sünden sind allerdings die Glieder frei, die Christus durch die Liebe wirklich vereinigt sind. Die jedoch solch schwere Sünden auf sich geladen, die sind nicht in Wirklichkeit, sondern nur der Möglichkeit nach Glieder Christi. Man könnte sie wohl auch unvollendete Glieder Christi nennen, weil sie noch durch den toten Glauben mit Christus verbunden sind. Dieser Glaube verbindet sie nur in etwa, nicht schlechthin mit Christus und gibt ihnen keinen Anteil an Christi Gnadenleben. Denn "der Glaube ohne Werke ist tot" (Jak 2,20). Und doch empfangen auch diese Menschen von Christus noch eine Art Fünklein Leben, das im Glauben besteht. Es ist wie bei einem abgestorbenen Gliede, das immer noch ein wenig vom Menschen bewegt werden kann.

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