Liebe Freunde,
viele mögen Veganer extrem oder radikal nennen und ihnen auch Lügen vorwerfen. Auch uns ernsthaften Katholiken wirft man das vor, weil wir wirklich die Überzeugung haben, dass es die Wahrheit ist, an was wir glauben. Als ich zum ersten Mal die hl. Kommunion kniend in den Mund empfing, hat mein Opa gesagt, dass sei doch extrem. Man kann alles beleidigend abwerten und alles lächerlich machen, aber das sollte uns nicht berühren. Das ist auch jetzt kein Vorwurf an Euch oder an meinen Opa. Aber jene, die so reden, bringen meist bloß Behauptungen ohne eine überzeugende Begründung vor.
Zunächst einmal ein paar gesundheitliche Aspekte:
Das eine pflanzliche Ernährung gesünder ist, ist mittlerweile schon erwiesen. Freilich schadet es der Gesundheit auch nicht, wenn man ab und zu Fleisch isst. Die fettarme pflanzliche Kost senkt die Herzinfarkt- und Krebsrate. Bei den weltweit häufigsten Krankheiten mit Todesfolge handelt es sich um Herzkrankheiten und Krebs. Der Veganismus kann zwar zu Mangelerscheinungen und Erkrankungen führen, allerdings nur, wenn man sich nicht richtig ernährt. Nicht richtig ernähren kann man sich aber auch als Fleischesser. Auf seine Nährstoffversorgung muss man immer achten. Aber wer tut das schon! Wohl die wenigsten. Als Veganer muss man vor allem auf eine ausreichende Versorgung mit Vitamin B12 achten. Vitamin B12 findet sich vor allem in Milchprodukten, Eiern und tierischer Leber. Vegetarier, die nicht auf Milchprodukte und Eier verzichten, haben damit also kein Problem. Veganer aber scheinbar schon. Die Betonung liegt auf "scheinbar". Vitamin B12 findet sich nämlich auch in mikrobiell verunreinigten Pflanzen. Pflanzen und Gemüse dürfen dann allerdings nicht so penibel sauber zubereitet und verzehrt werden, wie es in den modernen westlichen Staaten so der Fall ist. Auch Nahrungsergänzungspräperate oder mit Vitamin B12 angereicherte Lebensmittel können die notwendige Versorgung sicherstellen. Vitamin B12 ist insofern wichtig, weil es am Abbauc der Aminosäure Homocystein beteiligt ist. Die Aminosäure Homocystein ist ein natürlich vorkommendes Stoffwechselprodukt des menschlichen Organismus, welches im Körper maßgeblich durch Cobalamin (Vitamin B12) reguliert und gesenkt wird. Durch mangelhafte Zufuhr an Vitamin B12 kann es zu einem erhöhten Homocysteinspiegel im Blut kommen, der ein Risiko für die Entstehung von Gefäßerkrankungen darstellt. Auch für die Blutbildung ist Vitamin B12 notwendig. Hier muss man halt ein bisschen darauf achten.
Was die Calciumversorgung betrifft, so muss festgehalten werden, dass jene, die auch Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Eier zu sich nehmen, von Haus aus einen höheren Bedarf an Calcium haben, weil die dort vorkommenden schwefeligen Aminosäuren das Calcium aus den Knochen herauslösen und über die Nieren, über den Urin gibt es der Körper dann ab. Das Osteoporoserisiko steigt durch den Veganismus nicht. Im Gegenteil, die Knochendichte bei Veganern ist besser als bei Allesessern.
Wenn ich als Christ ein Veganer werden würde, dann bedeutet das für mich nicht, dass ich die Tiere auf eine Stufe mit dem Menschen stelle. Der Mensch, der als Abbild Gottes an Gottes statt die Erde beherrschen (im Sinne von behüten, bewahren und dienen) soll, hat freilich eine unangefochtene herausragende Stellung in der Schöpfungsordnung. Dies soll nicht bestritten werden. Wenn ich ein Veganer werde, dann geht es mir auch nicht um Askese, um Abtötung und Selbstkasteiung (das geht auch auf andere Art und Weise), sondern einzig und allein um einen liebevollen und respektvollen Umgang mit den Tieren. Ich weiß sehr wohl, dass die Heilige Schrift und auch die Kirche den Vegetarismus nicht vorschreiben. Man verhält sich gleichgültig zum Vegetarismus. Man lehnt ihn nicht ab, noch schreibt man ihn vor. Wenn wir aber auf unser Herz und auf unseren Verstand hören, dann meine ich, dass sie uns (und zwar unabhängig von unserem Glauben) sagen, dass es besser ist, Tiere nicht zu töten und zu verspeisen.
In den beiden Schöpfungsberichten finden wir die vollkommene gottgewollte Schöpfung vor, die keine Sünde kennt, keine Boshaftigkeit, keine Hartherzigkeit, keine Lieblosigkeit und all diese Übel, sondern nur die Unschuld. Ob dies jetzt historisch zu verstehen ist oder nicht, spielt keine Rolle. Wir wissen, dass die Naturwissenschaftler überwiegend die Evolutionstheorie den Schöpfungsberichten vorziehen. Aber das soll hier nicht diskutiert werden. Es geht hier ganz einfach um die gottgewollte Schöpfung ohne Sünde und diese sieht auch keinen grausamen Überlebenskampf vor, nach der Regel, Töten, um zu überleben. Hier essen sich Menschen und Tiere nicht gegenseitig auf. Auf diese vollkommene Schöpfung bezieht sich auch der hl. Kirchenvater Hieronymus bei seiner Argumentation. Er war nicht der einzige Rechtgläubige im frühe Christentum, der den Vegetarismus lebte und verlangte.
Im ersten Schöpfungsbericht heißt es, dass Gott, nachdem er die Welt erschaffen hat, zum Menschengeschlechte sprach: „Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen. Allen Tieren des Feldes, allen Vögeln des Himmels und allem, was sich auf der Erde regt, was Lebensatem in sich hat, gebe ich alle grünen Pflanzen zur Nahrung“ (Gen 1, 29-30). Danach stellt er fest, dass er die Welt „sehr gut“ geschaffen hat. Die Welt, so wie sie Gott geschaffen hatte, als es noch keine Sünde gab, die also ganz und gar vollkommen war, war eine vegetarische Welt. Mensch und Tier, sowie die Tiere untereinander lebten friedlich miteinander und ernährten sich ausschließlich streng vegetarisch.
Nach dem zweiten Schöpfungsbericht ließ „Gott, der Herr, […] aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten“ (Gen 2, 9) und er „gebot […] dem Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen“ (Gen 2, 16).
Diese Erzählungen, mit denen die Schrift beginnt, führen uns die gottgewollte Vollkommenheit vor Augen, die der Mensch schließlich zerstört hat. Man sieht die innige Verbindung der Menschen mit den Tieren. Denn die Tiere, die nicht sündigen können, sondern nur ihren Instinkten folgen, leiden unter den Sünden der Menschen, die sie ausbeuten, quälen und töten. Bei der Sintflut wurde nicht nur das sündige Menschengeschlecht vom Erdboden vertilgt, sondern auch die Tiere. Dies ist ein treffliches Bild dafür, wie eng das Schicksal von Mensch und Tier verbunden ist.
Ein herausragendes Beispiel für einen strengen Vegetarier zur Zeit des Alten Bundes bildet der Prophet Daniel, der sich nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift rein pflanzlich ernährte. Als König Nebukadnezzar (König von Babel) seinem Oberkämmerer befahl „einige junge Israeliten an den Hof zu bringen, Söhne von königlicher Abkunft oder wenigstens aus vornehmer Familie; sie sollten frei von jedem Fehler sein, schön an Gestalt, in aller Weisheit unterrichtet und reich an Kentnissen; sie sollten einsichtig und verständig sein und geeignet, im Palast des Königs Dienst zu tun [...]. Als tägliche Kost wies ihnen der König Speisen und Wein von der königlichen Tafel zu“ (Dan 1, 3-5). Einer der jungen Männer, die an den Hof König Nebukadnezzars gebracht wurden, war Daniel. „Daniel war entschlossen, sich nicht mit den Speisen und dem Wein der königlichen Tafel unrein zu machen, und er bat den Oberkämmerer darum, sich nicht unrein machen zu müssen. Gott ließ ihn beim Oberkämmerer Wohlwollen und Nachsicht finden. Der Oberkämmerer sagte aber zu Daniel: Ich fürchte mich vor meinem Herrn, dem König, der euch die Speisen und Getränke zugewiesen hat; er könnte finden, dass ihr schlechter ausseht als die anderen jungen Leute eures Alters; dann wäre durch eure Schuld mein Kopf beim König verwirkt. Da sagte Daniel zu dem Mann, den der Oberkämmerer als Aufseher für ihn [...] eingesetzt hatte: Versuch es doch einmal zehn Tage lang mit deinen Knechten! Lass uns nur pflanzliche Nahrung zu essen und Wasser zu trinken geben! Dann vergleiche unser Aussehen mit dem der jungen Leute, die von den Speisen des Königs essen. Je nachdem, was du dann siehst, verfahr weiter mit deinen Knechten! Der Aufseher nahm ihren Vorschlag an und machte mit ihnen eine zehntägige Probe. Am Ende der zehn Tage sahen sie besser und wohlgenährter aus als all die jungen Leute, die von den Speisen des Königs aßen. Da ließ der Aufseher ihre Speisen und auch den Wein, den sie trinken sollten, beiseite und gab ihnen Pflanzenkost“ (Dan 1, 8-17).
„Im Unterschied zum Alten Testament kennt das Neue Testament keinerlei Speiseverbote. Vielmehr gilt die Grundregel: ‚Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein‘ (Mk 7,15). Die aktuelle exegetische Forschung zählt diesen Vers mit seiner impliziten Nichtigkeitserklärung der alttestamentlichen Speisegebote ‚zum sichersten Bestand echter Jesusüberlieferung.‘ Mehr noch: ‚Mk 7,15 [ist] möglicherweise das einzige Jesuswort, das diese Vorstellung [Betonung des Gegensatzes von äußerer und innerer Reinheit] aufweist.‘ Insofern Unreinheit ‚nicht naturhaft bedingt‘ ist, hat sich der Mensch dem Neuen Testament zufolge nicht des Fleischverzehrs zu enthalten, sondern dessen, ‚was aus seinem Innersten selbst, seinem ‚bösen Herzen‘ kommt.‘ Im Sinne einer ‚vergeistigten Reinheitsauffassung‘ zieht der Evangelist Markus die ausdrückliche Folgerung im Blick auf die Reinheit aller Speisen: ‚Indem er [Jesus] alle Speisen für rein erklärte, sagte er aber: ‚Das, was aus dem Menschen herauskommt, jenes verunreinigt den Menschen‘‘ (Mk 7,19).
Der Apostel Paulus sah sich in der Gemeinde von Rom mit Gemeindemitgliedern konfrontiert, die den Fleischverzicht für alle Christen verbindlich vorschreiben wollten. Er bleibt den jesuanischen Vorgaben treu, indem er die hier ‚zum erstenmal in der Geschichte des Christentums auftauchende Streitfrage‘ in dem Sinne beantwortet, dass die Einnahme der freien oder asketischen Haltung eine Frage des persönlichen Gewissens sei, es allerdings grundsätzlich keine unreinen Speisen gebe: ‚Der eine [der Starke] glaubt alles essen zu dürfen, der Schwache isst nur Gemüse. (...) Auf Jesus, unseren Herrn, gründet sich meine feste Überzeugung, dass an sich nichts unrein ist‘ (Röm 14,2.14). - In der Gemeinde von Korinth bezieht Paulus in der Frage des Fleischverzichts aus gegebenem Anlass abermals Stellung: ‚Speise aber wird uns nicht vor Gott bringen. Weder haben wir einen Nachteil, wenn wir [Fleisch] nicht essen, noch einen Vorteil, wenn wir [Fleisch] essen. Seht aber zu, dass dieses euer Freiheitsrecht nicht zum Anstoß für die Schwachen werde‘ (1 Kor 8, 8-9). Nach Paulus gilt: ‚Liberalität in der Speisefrage bringt keine Vor-, Askese keine Nachteile coram Deo.‘ Vielmehr komme es auf gegenseitige ‚Rücksichtnahme‘ an, um die allen Menschen durch Christi Tod geschenkte Liebe nicht durch den ‚Schindluder‘ mangelnder Nächstenliebe unbeantwortet zu lassen. Insgesamt gilt Paulus jeder Ausdruck dualistisch-gnostischer Askese als unvereinbar mit der freiheitlichen Botschaft vom angebrochenen Gottesreich“ (Prof. Dr. Dr. Hubertus Lutterbach: „Was das christliche Mönchtum mit der neutestamentlichen Indifferenz gegenüber dem Fleischverzehr anfing“). Dieser Deutung können wir zustimmen, denn es geht primär um die Achtung des Tieres und nicht um eine dualistisch-gnostische Form der Askese die zweifelsohne mit dem Christentum unvereinbar ist.
„Die für die Ausbreitung des Fleischverzichts unter den Christen entscheidenden Impulse gehen auf den Kirchenvater Hieronymus († 420) zurück. Besonders in einem 393 in Bethlehem gegen den Häretiker Jovinianus († vor 406) abgefassten Werk [„Adversus Iovinianum“] äußert er sich dezidiert auch zum Fleischverzicht. Diese Stellungnahme war nötig geworden, weil Jovinianus unter den Christen judaisierende Tendenzen ausgemacht hatte und dagegen die Auffassung herausstellte, es gebe keinerlei Unterschiede in den Verdiensten zwischen Fasten und Gott gedanktem Genuss von Speisen aller Art; vielmehr käme es allein darauf an, die Taufe rein zu bewahren: Alle Menschen, die in dieser Lebensausrichtung erfolgreich seien, würden den gleichen Lohn im Himmel erhalten. Gegen diese Tendenz der ‚Gleichmacherei‘ zieht Hieronymus zu Felde, wenn er maßgeblich die Lanze zugunsten des Fleischverzichtes bricht.
[…] Die Erlaubnis des Fleischverzehrs wurzele nicht im ersten Bund Gottes mit den Menschen, sondern gehe erst auf den zweiten Bund Gottes mit Noe zurück“ (Prof. Dr. Dr. Hubertus Lutterbach: „Was das christliche Mönchtum mit der neutestamentlichen Indifferenz gegenüber dem Fleischverzehr anfing“).
„In seiner Darlegung erinnert Hieronymus wiederholt an die Anfänge der Heilsgeschichte, dessen A und O der Heiland selbst sei,[Hieronymus: „Adversus Iovinianum“, I,18] um alsdann im Blick auf den Fleischverzicht anzuschließen: ‚Seit dem Anfang des menschlichen Daseins ernährten wir uns nicht von Fleisch […]. In dieser Weise verhielt es sich bis zur Sintflut. Nach der Sintflut jedoch mit der Übergabe des Gesetzes, das niemand erfüllen konnte, wurde das Fleisch aufgetischt, um es zu essen. Die Abschaffung [des Fleischverbots] wurde dem Menschen aufgrund seiner Gefühllosigkeit zugestanden […]. Nachdem jedoch Christus am Ende der Zeiten in die Welt gekommen sein und das Omega zum Alpha und das Äußerste wieder zum Anfang zurückgerollt haben wird, dann […] werden wir kein Fleisch mehr essen, wie schon der Apostel sagt: ‚Es ist gut, keinen Wein zu trinken und kein Fleisch zu essen (Röm 14,21).‘ Und der Wein mit dem Fleisch ist [dem Menschen] erst nach der Flut zugestanden worden.‘ [Hieronymus: „Adversus Iovinianum“, I,18] Der Argumentation des Hieronymus zufolge kannte man während der goldenen Zeit des Anfangs im Gefolge des ersten Bundes keinen Fleischgenuss; erst mit dem zweiten Bund erhielten die Menschen die bis zur Wiederkunft des Herrn geltende, göttlich erteilte Erlaubnis zum Verzehr von Fleisch. Diese Differenzierung zwischen der goldenen Zeit des wunderbaren Anfangs und der späteren Abkehr von der ursprünglichen Reinheit musste sich auf die Ausbildung des christlichen Asketentums folgenreich auswirken. Mit dem Ziel der Verwirklichung perfekten Christentums orientierten sich die Anachoreten und in ihrem Gefolge die Zönobiten an dieser Zeit des goldenen Anfangs; allzumal im Blick auf den Fleischverzicht! Das Ziel ihres Lebens bestand schließlich darin, in Jesu Nachfolge schon auf Erden das Leben der Engel zu führen“ (Prof. Dr. Dr. Hubertus Lutterbach: „Was das christliche Mönchtum mit der neutestamentlichen Indifferenz gegenüber dem Fleischverzehr anfing“).
Nach der verheerenden Sintflut, die das sündige Menschengeschlechte vom Antlitz der Erde getilgt hat, sprach der Herr zu Noach: „Furcht und Schrecken vor euch soll sich auf alle Tiere der Erde legen, auf alle Vögel des Himmels, auf alles, was sich auf der Erde regt, und auf alle Fische des Meeres; euch sind sie übergeben. Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen. Alles übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen“ (Gen 9, 2f).
Hieronymus erklärt: „Wegen der Härte unserer Herzen wurde uns die entsprechende Erlaubnis durch Mose gewährt. So war das Essen von Fleisch bis zur Sintflut unbekannt.‘“ Mit diesen Worten spricht Hieronymus wie der Herr bezüglich der Ehescheidung: „Nur weil ihr so hartherzig seid, hat Mose euch erlaubt, eure Frauen aus der Ehe zu entlassen. Am Anfang war das nicht so“ (Mt 19, 8). Nach Mk 10, 5-9 sagt der Herr: „Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er [Anm.: gemeint ist Mose] euch dieses Gebot gegeben. Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ Auch die Bestimmungen Gottes bezüglich des Vegetarismus am Anfang der Schöpfung darf der Mensch nicht aufheben. Die Erlaubnis des Fleischverzehrs war eine Erlaubnis, die unserer Hartherzigkeit zugeschrieben werden muss. Es ist nämlich ebenso hartherzig, dass wir Tiere quälen, ausbeuten und töten, um sie selbst, ihre Milch oder ihre Eier zu verzehren, wie es hartherzig ist, wenn der Mann das Recht hat, seine Frau durch eine Scheidungsurkunde willkürlich, ohne Grund, zu entlassen. „Ich sage euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, und eine andere heiratet, der begeht Ehebruch“ (Mt 19, 9).
Der Herr macht in seinen sechs Antithesen (Mt 5, 21-48) deutlich wie unvollkommen und unvollendet die Weisungen der Tora sind. Er spricht vom Töten, vom Ehebruch, von der Ehescheidung, vom Schwören, von der Vergeltung und von der Feindesliebe, und stellt dabei die Gebote der Tora seiner vollkommenen göttlichen Lehre gegenüber. Als neuer Mose vertieft er die Zehn Gebote, indem er spricht: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist … Ich aber sage euch: …“. Und diese Vertiefung der Vorschriften der Tora, die sich auch an anderen Stellen in den Evangelien befinden, macht deutlich, dass es nicht um Äußerliches geht, nicht nur um die böse Tat an sich, sondern schon um die innere Einstellung des Menschen.
Nach Mt 19,21 spricht unser geliebter Herr Jesus Christus: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkaufe alles, was du hast und gib es den Armen. Und dann komm, folge mir nach.“ Hieronymus bezieht sich darauf, und schreibt: „Wenn du vollkommen sein willst, ist es gut, keinen Wein zu trinken und kein Fleisch zu essen. Wenn du vollkommen sein willst, ist es besser, die Seele zu füttern als den Leib“ (Hieronymus: „Adversus Iovinianum“, II,6).
Und wollen wir, ja müssen wir als Christen etwa nicht nach der Vollkommenheit streben? Freilich muss man unterscheiden zwischen dem vollkommenen Stand der Priester und Ordensleute und dem jener Christen, die mitten in der Welt als Eheleute leben. Wenn davon die Rede ist, dass man alles, was man hat, hergeben und dem Herrn folgen soll, dann meint das eine besondere Berufung, der nicht alle folgen können und auch nicht alle folgen sollen. Auch das vollkommene engelgleiche Leben der gottgeweihten Jungfräulichkeit, der ehelosen Keuschheit der Priester und Ordensleute „um des Himmelreiches willen“ (Mt 19,12) ist nicht jedem gegeben, sondern nur viele sind dazu berufen. Der strenge Vegetarismus dagegen ist von jedem Christen, lebe er im Stande der Jungfräulichkeit oder der Ehe, lebe er in der Welt oder in der Abgeschiedenheit als notwendige Pflicht zu erkennen und zu leben, um dem Herrn zu gefallen und nach seinem Willen ein Leben in der Liebe und in der Wahrheit, eben in der Vollkommenheit, zu führen.
Hieronymus weist jene Christen zurück, die in ihrer Laxheit den Fleischverzicht nicht üben wollen: „Wenn du jedoch schwach bist und dich die Suppen mit Gekochtem (also Fleisch) erfreuen – kein Mensch entreißt deiner Kehle die essbaren Speisen. Iss und trink, so wie es dir gefällt und wie es in einem Lied der Israeliten heißt: ‚Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot‘ (1 Kor 15, 58). Derjenige isst und trinkt, der nach dem Essen den Untergang erwartet; derjenige der mit Epikur sagt: ‚Nach dem Tod ist nichts, und der Tod selbst ist nichts.‘ Wir aber glauben den Worten des Apostels Paulus: ‚Die Speisen sind für den Bauch da, und der Bauch ist für die Speisen da, der Herr aber wird beide vernichten‘ (1 Kor 6, 13).“ (Hieronymus: „Adversus Iovinianum“, II,6)
„Mit Blick auf die Bedeutung der goldenen Anfangszeit für den Fleischverzicht, die Hieronymus unter Rückgriff auf Zitate aus dem Neuen Testament bestätigt sieht, beruft er sich ergänzend auf Traditionen innerhalb der griechischen Philosophie. ‚Fast alle griechischen Zeugnisse‘, so resümiert er, sprächen davon, dass zur Zeit des goldenen Anfangs der Erdboden alles hervorgebracht und deshalb niemand Fleisch gegessen hätte; alle hätten von Erdfrüchten und Äpfeln gelebt, die die Erde von selbst wachsen gelassen hätte. Dem Zeugnis des Stoikers Chaeremon zufolge sei den alten ägyptischen Priestern jedwede weltliche Beschäftigung ein Gräuel gewesen; und Hieronymus stellt im Blick auf seinen Gewährsmann weiter heraus: ‚Sie enthielten sich stets von Fleisch und Wein, und zwar wegen der Zartheit ihrer Wahrnehmung und wegen des Schwindels ihres Kopfes […]; vor allem aber wegen der Anregung des Geschlechtstriebes, die aus diesem Essen und aus diesem Trank erwächst. Stattdessen ernährten sie sich von ein wenig Brot und überaßen sich nicht.‘ [Hieronymus: „Adversus Iovinianum“, II,13] Ganz im Sinne der griechischen Philosophie, der es vor allem um die innere Wachsamkeit und die Therapie der menschlichen Leidenschaften ging, unterstreicht auch Hieronymus den Fleischgenuss als Wurzel der Leidenschaftlichkeit: ‚Das Essen des Fleisches und das Trinken des Weines sowie die Völlerei des Bauches sind eine Pflanzstätte der Leidenschaften.‘ [Hieronymus: „Adversus Iovinianum“, II,7] Was den Philosophen an asketischer Praxis möglich sei, müssten die Christen angesichts ihres Anspruchs, die einzig wahren Philosophen zu sein, mit weit größerem Nachdruck verwirklichen: ‚Wenn jedoch die krotoniatischen Männer des Milo schon kein Speiseöl auftragen, das aus Fleisch gewonnen und gefördert worden ist; um wie viel mehr ist es dem Weisen und Philosophen Christi notwendig, eine ebenso große Stärke zu zeigen, die den Athleten und dem Soldaten nötig ist?‘ [Hieronymus: „Adversus Iovinianum“, II,7]
Fassen wir zusammen: Unter Rückgriff auf den paradiesisch-fleischlosen Anfang des Menschengeschlechts optiert Hieronymus in unmissverständlicher Weise zugunsten des Fleischverzichts unter den Christen. Obgleich sich das Neue Testament im Blick auf den Fleischverzehr indifferent gibt, vermag Hieronymus innerhalb seines gleichermaßen paradiesisch-ideal wie philosophisch-asketisch geprägten Bezugsrahmens die Wurzeln für den Vegetarismus im Neuen Testament sehr wohl zu erkennen; allein wer seine Leidenschaften mittels Fleischabstinenz bekämpft, darf die christliche Vollkommenheit für sich in Anspruch nehmen. Auf die weitere christliche Tradition wirkte Hieronymus auch insofern prägend, als seine Geringschätzung des Fleischverzehrs nicht in einer dualistischen Abkehr von der Materie wurzelt, so dass er den Vegetarismus im Sinne der Gnostiker kompromisslos hätte vorschreiben können; vielmehr versteht Hieronymus das Fleisch und den Konsum von Fleisch entsprechend dem damaligen, auch von vielen paganen Philosophen geteilten Stand der ´Naturwissenschaften´ als hilfreiches Mittel zur Förderung der Leidenschaften. Vor diesem Hintergrund sollte ihm der Fleischverzicht zugleich als geeignetes Instrument zur Vergegenwärtigung des paradiesischen Urzustandes erscheinen." (Prof. Dr. Dr. Hubertus Lutterbach).
Über das anbrechende messianische Reich sagt übrigens der Prophet Jesaja: „Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist“ (Jes 11, 6-9).
Zu den Fischen, die Jesus verspeist hat, schreibe ich ein andermal.
Mit herzlichen Grüßen,
Christian