Autor Thema: Gott ist da - Die Gnade  (Gelesen 6841 mal)

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Gott ist da - Die Gnade
« am: 10. Oktober 2012, 17:44:59 »
Die geschaffene Gnade ist Abdruck der «ungeschaffenen Gnade»

Der hl. Thomas von Aquin hat unsere Beziehung zu Gott auf eine noch umfassendere Weise verstanden: Es stimmt, daß die Gnade Gott in uns ist. Aber das schließt die «geschaffene Gnade» nicht aus. Im Gegenteil, sie wird aus einem tieferen Grund sogar erforderlich: wenn Gott in unser Inneres kommt, so modifiziert es ihn nicht, da Gott unveränderlich ist; sein Kommen modifiziert und verändert aber unser Sein. Es verwandelt mich und macht aus mir eine Neuschöpfung. Wenn Gott sich unser bemächtigt, so werden wir von seinem Siegel bezeichnet: das Siegel des Heiligen Geistes wird uns durch den sakramentalen Charakter eingeprägt. Der Kontakt mit Gott verändert uns und nicht Gott. Seine Gegenwart macht uns besser. Er vergöttlicht uns (das ist das Übernatürliche). Es gelingt uns nicht, diese Identifikation der Liebe, die Gott für die Ewigkeit in uns erschafft, umfassend auszudrücken. Nur die Heiligen erfahren es wirklich, ohne es jedoch erklären zu können. Wenn man daran glaubt, wenn man es lebt, nimmt man es schließlich wahr.

Das war es auch, was einer meiner Kameraden aus der Kriegsgefangenschaft während seiner Inhaftierung in Deutschland begriffen hat. Er war durch einen unterirdischen Gang, den er sich gegraben hatte, geflohen, wurde aber an dessen Ausgang festgenommen. Daraufhin kam er in Einzelarrest. Er war Tag und Nacht ganz allein, ohne auch nur irgend jemanden zu sehen und ohne zu wissen, was ihn erwarten würde. Es war ihm verboten, sich am Tag hinzulegen. Er war völlig allein, ohne ein Buch, ohne irgendeine Beschäftigung. Er glaubte verrückt zu werden. Er schrie und brüllte — kein Echo. Schließlich wandte er sich an Gott. Einige Gebetsfetzen aus seiner Kindheit kamen ihm wieder in Erinnerung. Immer mehr davon kam ihm mit Freude wieder in den Sinn. Er wiederholte sie, er rekonstruierte das Vater unser, dann das Credo. Er sprach sie so langsam wie möglich. Darin fand er einen tiefen Frieden in Gott. Als er wieder in das Gefangenenlager, in dem auch ich war, zurückkehrte, war er ein anderer Mensch geworden: verklärt.

Etwas Ähnliches widerfuhr auch Tatjana Goritschewa im sowjetischen Rußland. Dieses junge blonde Mädchen war eine brillante Intellektuelle und Philosophielehrerin. Sie unterrichtete Marxismus, wie man ihn ihr seit ihrer Kindheit gelehrt hatte. Aber sie fand kein Leben darin und suchte etwas anderes. Sie las sowohl Sartre als auch Karl Rahner. Sie suchte auch im Bereich von Yoga, von transzendentaler Meditation, wiederholte unablässig «Mantras», saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden. Eines Tages versuchte sie, ohne zu wissen warum, anstelle des indischen Mantras das Vater unser zu sprechen, das sie in einem verlorenen Heft gefunden hatte. Anstatt also das Wort Krishna zu wiederholen, wiederholte sie das Vater unser und auf einmal wurde sie von einer lichtvollen Gewißheit fortgerissen:
ES IST WAHR!

Sie wurde Christin, eine sehr tiefe Christin und sie ist es geblieben. 1979 gründete sie eine feministische Bewegung, die aber nicht wie andere Bewegungen dieser Art ist: ein christlicher Feminismus unter dem Namen der Muttergottes: Maria. Sie hatte zwei Dinge verstanden: der marxistische Materialismus ist eine Sklaverei, die für die Frauen schlimmer ist als für die Männer, und: Maria ist das wahre Vorbild für die Befreiung der Frauen durch die Liebe Gottes.

Sie wurde zu einer gefährlichen Person für den Marxismus, der sagte: wir brauchen keinen Feminismus, wir haben dieses Problem gelöst — während Tatjana Goritschewa das Gegenteil bewies. Die staatliche Obrigkeit bekam Angst und verwies sie 1981 des Landes. Seitdem hat sie ihr ganzes Leben in den Dienst Gottes gestellt.

Der Schatz unseres Lebens ist Gottes Anwesenheit in uns. Sie ist uns durch die Taufe geschenkt, wir vernachlässigen sie jedoch. Viele Getaufte bleiben totgeborene Christen. Nehmen wir uns Zeit, uns dessen bewußt zu werden: Gott ist nicht abwesend, er ist in der Nacht des Glaubens verborgen. Entdecken wir ihn daher in uns. Dort liegt unsere Zukunft. Unser Friede, unser Glück sind bereits da.
Danke, Herr!

René Laurentin
Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten?

 

La Salette 1846



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