Predigt von Prof. May
Die Söhne der Welt und die Söhne des Lichtes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Jemand hat gesagt, die Parabel vom ungerechten Verwalter enthalte eine so zweideutige Moral, dass man sie besser aus Lukas streiche, sie passe nicht in die Texte des Herrn. Stattdessen ist sie ein Kabinettstück der Redekunst Christi. Von schärfster Zuspitzung auf ihre Pointe und geradezu auf den Tag, den wir durchleben, zugeschnitten. In Palästina gibt es irgendwo einen Großgrundbesitzer; der hat so viele Güter, dass er sie nicht selber verwalten kann. Er mag auch nicht ständig in der Langeweile dieser Dörfer wohnen. Der Rundfunk und der Fernseher genügen ihm nicht, auch nicht das Telefon und das Internet. Die Autogeschwindigkeit bedürfe wesentlich der Verbesserung, ehe er die Einöde des Jordanlandes ertragen könne. Ein paar Monate Jerusalem, dann Antiochien und Alexandrien; die übrige Zeit in Rom. Die Schiffe fahren schnell, und es gibt dort für die bleiernen Wochentage ein ganzes Varieté von Amüsements und von ernster Abwechslung der Wissenschaft. Wie er in Haifa von italischer Fahrt landet, Cypern gegenüber, erfährt er, dass der vermeintlich gute Verwalter ein großer Gauner ist und mit seinem Vermögen spekuliert hat. Es wird dieses Jahr kaum richtige Pacht einkommen. Man berichtet ihm zuverlässig, dass in den letzten Jahren kaum ein Pächter seine Grundstücke in Ordnung und Fruchtbarkeit gehalten hat. Die Nachrichten sind so zuverlässig, dass kein langer Prozess notwendig ist. Der Verwalter wird abgesetzt. Es wird ihm aufgetragen, in acht Tagen Kartothek und Archiv soweit in Ordnung zu bringen, dass man einen neuen Verwalter einführen kann. Glücklicherweise hat der Herr Baron schon jemanden für diesen Posten in Aussicht. Es wird sich dann zeigen, was mit dem betrügerischen Verwalter zu geschehen hat.
Der jagt mit seinen Gäulen durch die Steppen Galiläas, quer durch Samaria, in die Reichshauptstadt. Er ist längst auch schon ein reicher Mann geworden, hat eine eigene Villa im Grunewald Jerusalems gebaut, eigene Garage, eigene Reitpferde und eigene Jagd. Die Fahrt geht raketenhaft schnell. Das Selbstgespräch zeigt den Mann, der in Kürze seinen Platz verlassen muss, mit Überlegungen für die Zukunft beschäftigt. Etwa durch Bitten bei seinem Herrn noch etwas erreichen zu wollen, daran denkt er nicht. Aber irgendwo im Lande reißt er in die Zügel. Er hält inne, springt mit beiden Füßen auf die Chaussee und steht wie versteinert. Das dauert ein paar Minuten. Dann schreit er auf, springt in den Wagen: Heureka, ich hab’s gefunden! Die dampfenden Pferde jagen über den letzten Kamm bis vor sein Haus. Was hat er gefunden? Er ist entschlossen, mit absoluter Skrupellosigkeit auf Kosten seines bisherigen Herrn sich selbst zu helfen. Der Plan steht fest. Er wird nicht betteln gehen. Er wird sich nicht an die Wohlfahrtsstelle des Bezirksamtes wenden. Er wird niemanden zur Last fallen. Er wird aber auch keine niedrige Arbeit tun. Landarbeit ist schwer. Der Fünfzigjährige schaffte sie nicht mehr. Die Schmach wird er sich sparen, im Kreise seiner Freunde als deklassiert zu erscheinen. Natürlich gibt es arme Teufel, die eine Villa hatten und jetzt Autos waschen. Er weiß einen besseren Weg. Noch diese Nacht spielt der Botendienst und Telegraphendraht. Morgen ab zehn Uhr werden die Pächter bestellt. Auf jeden der drei Tage sechs. Auf den vierten Tag sieben. Dann sind die fünfundzwanzig geschafft. Er lässt sie einzeln zu sich rufen; denn solche Geschäfte, wie er sie vorhat, schließt man nur unter vier Augen ab. Er wird mit ihnen allein verhandeln und jedem die Pacht herabsetzen. Sie zahlen in Naturalien. Der erste 100 Bath Öl, das sind 4000 Liter. Der Kontrakt wird gefälscht, und an die Stelle von 100 werden 50 gesetzt. Der zweite schuldet 100 Kor Weizen. Das sind 40 000 Liter. Der Kontrakt wird gefälscht und 100 in 80 umgeschrieben. So geht es bis zum fünfundzwanzigsten. Die Änderung des Schuldscheins ist so zu denken, dass der alte durch den neuen ersetzt wird, den dann der Gutsbesitzer in die Hand bekommt. Dass der Schuldner auf den Vorschlag des Verwalters eingegangen ist, wird nicht eigens gesagt, aber als selbstverständlich vorausgesetzt.
Gute Freunde in Jerusalem verraten das. Der Baron in Haifa weiß am dritten Tage schon Bescheid, nicht die Einzelheiten, aber den erschreckenden Querschnitt. Nun hätten wir erwartet, dass der Baron mit den Fäusten auf den persischen Tisch schlägt; dass er den schnellsten Wagen ankurbeln und auf dem kürzesten Weg nach Jerusalem fahren wird; dass er die Kriminalpolizei alarmiert und noch zur gleichen Stunde diesen Gauner verhaften lässt; weniger, weil noch etwas zu retten, sondern weil die beispiellose Unverschämtheit unerträglich ist. Was dagegen tut er? „Da lobte der Herr den ungerechten Verwalter, dass er klug gehandelt habe.“ Er lobt ihn. So ist die Parabel aufgebaut: Christus will mit ihr etwas ganz Ungewöhnliches demonstrieren. Der Baron lobt den Gauner. Er bewundert die Kunst, mit der er für sich selbst gesorgt hat. Wegen seiner Klugheit, mit der er für seine Zukunft Vorsorge traf, solange er dazu noch Zeit hatte, wird er vom Herrn gelobt. In seiner Klugheit und in nichts anderem liegt die Vorbildlichkeit seiner Handlungsweise. Lukas, der Evangelist, der diese Erzählung aus dem Munde seines Meisters gehört hat, setzt nachdenklich an den Rand die Bemerkung: Beides sind Weltmenschen. Und von ihnen gilt: „Die Söhne dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Söhne des Lichtes.“ Die „Söhne dieser Welt“ sind die Menschen, die in ihren Lebensgrundsätzen und in ihrem Handeln vom Geist dieser gottentfremdeten, dem Einfluss Satans unterstehenden Welt beherrscht werden und nur irdische Ziele kennen. Sie erweisen sich dabei den „Söhnen des Lichtes“ an Klugheit und Weitblick in der Verfolgung ihrer Interessen und in der Wahl der zur Erreichung ihrer Ziele geeigneten Mittel überlegen. Wieso? Sie sehen beide auf den Erfolg und auf die Kunst, reich zu werden. Darin sind sie den religiösen Menschen weit überlegen. Sie sind vollendete Techniker. So lobt der eine den anderen. Er hat im Grunde für solches Programm und für solche Methode tiefes Verständnis.
Christus braucht nicht zu sagen, dass diese Moral unchristlich ist. Das ist selbstverständlich. Aber lernen sollen wir alle aus der Raffiniertheit der Welt, wie sie zielstrebig ist, wie sie zufasst, wie sie die Augen offen hält. Dass wir uns doch um unser ewiges Heil und um die Wohnungen des Himmels so kümmern wollten, wie dieser Betrüger wirksam seine eigene Zukunft sich gesichert hat. Er braucht nicht zu graben. Er braucht nicht zu betteln. Er kann ein paar Jahre von Hof zu Hof reisen. Sie werden ihn mit Freuden gastlich bewirten.
Christus lobt die Klugheit und er empfiehlt sie. Die Klugheit ist eine übernatürliche Tugend. Die Klugheit ist das Wissen um das, was man erstreben soll und was man fliehen muss (Aug.). Was rät, was empfiehlt, was gebietet die christliche Klugheit?
1. Der Mensch muss sich jeden Tag daran erinnern, wozu er geschaffen ist. Dazu ist er auf der Welt, dass er seinen Schöpfer erkenne und ihn ehre in Furcht und Hochachtung und Befolgung seiner Gebote. Paulus sagt dasselbe mit anderen Worten: „Keiner von uns lebt sich selbst und keiner stirbt sich selbst. Leben wir, so leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Wir mögen also leben oder sterben: wir sind des Herrn“ (Röm 14,7). Wir sind geboren und empfänglich für ein höchstes und letztes Gut, das jenseits liegt, über diesem Leben so kurz und voll Fährlichlichkeiten, im Himmel. Nur in ihm findet der Mensch sein vollkommenes und allseitiges Glück. Deswegen ist die angelegenste Sorge eines jeden, dieses Ziel zu erreichen. So ist es klug, jeden Tag zu beten: „Zeige mir, Herr, deinen Weg, dass ich ihn wandle in Treue zu dir“ (Ps 85,11). Es ist ebenso klug, alles zu tun oder zu vermeiden, was uns diesem Ziel näherbringt. Trage Gott in dein Leben, dann trägt dich dein Leben zu Gott.
2. Der wahre Christ muss den Wunsch haben, täglich besser, Gott wohlgefälliger zu werden. Wer sich heute nicht bessert, wird morgen ärger. Wie wird man besser? Indem man sich selbst überwindet. In dem Maße wirst du im Guten vorankommen, als du dir selbst Gewalt antust (NC). Wenn du dir nicht Gewalt antust, wirst du die Sünde nicht besiegen (NC). Der wahre Fortschritt des Menschen besteht in der Selbstverleugnung (NC). Sich selbst verleugnen heißt: das unterlassen, was man gern täte (aber Gott missfällt), und das tun, was man gern vermiede (weil es anstrengend ist).
3. Der ärgste Feind unseres Heiles ist die Eigenliebe. Sie ist die Wurzel alles Übels. Das erste Verderben des Menschen war die Eigenliebe. Die Eigenliebe ist so selbstsüchtig, dass sie sich selbst in allem sucht. So verdirbt sie alle Handlungen des Menschen. Es ist die Art der Eigenliebe, allem auszuweichen, was mühsam und unangenehm ist; sie ist der geborene Parteigänger des Eigensinnes und des Müßigganges.
4. Die Klugheit warnt vor dem Weltgeist. Der Weltgeist ist gekennzeichnet durch das Verlangen nach Besitz, Macht und Lust; er übt seine Herrschaft aus durch die Begehrlichkeit des Fleisches und der Augen. Darum muss er überwunden werden. Welchen Nutzen oder Vorteil soll es bringen, seine Gedanken unablässig auf Dinge zu richten, die wir verlassen müssen, selbst wenn sie uns nicht verlassen sollten? Unser Herr fragt: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, an seiner Seele aber Schaden leidet?“ (Mt 16,26).
5. Die Klugheit empfiehlt den rechten Gebrauch von Geld und Eigentum. Wir sollen kluge Verwalter unseres Besitzes sein. Man muss den ungerechten Mammon so benützen, dass man durch ihn Freunde im Himmel gewinnt. Der irdische Besitz ist das Mittel, sich die Aufnahme in das ewige Leben zu erwerben. Echte christliche Klugheit ist es, den für das Heil gefährlichen Besitz zu Liebeswerken zu verwenden.
6. Die Klugheit befiehlt, in ruhiger Arbeit das eigene Brot zu verdienen. Der Apostel Paulus hat seinen Gemeinden wiederholt die Pflicht zur Berufsarbeit eingeschärft. Nach Saloniki schreibt er: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ (2 Thess 3,10). Gott hat den Brunnen geschaffen, aber nicht den Eimer. Jetzt ist die Zeit der Arbeit. Einst kommt die Zeit des Lohnes. Wer träge ist bei der Arbeit, ist unverschämt, wenn er Lohn verlangt. Gebet und Arbeit sollen einander in die Augen schauen, wie die beiden Engel auf der Bundeslade.
Der Heide Seneca sagt: Die Klugheit reicht hin, um ein glückliches Leben zu führen. Also: Was du betreibst, betreibe es klug und bedenke das Ende. Das Leben ist kurz, aber von unendlichem Wert. Denn es birgt den Keim der Ewigkeit in sich. „Was nützt das für die Ewigkeit?“, ist die wichtigste Frage bei allen menschlichen Handlungen.
Amen.