Der
göttliche Heiland hat die unfehlbare Kirche als einen
Leuchtturm mitten in die Welt hineingestellt, damit
alle, die nach der Wahrheit verlangen, auf ihn ihre
Blicke hinwenden. Was bedeutet nun die Unfehlbarkeit der
Kirche? Die Kirche ist unfehlbar heißt: Sie kann nicht
irren und fehlen, wenn sie uns die Lehre Jesu Christi
verkündet und erklärt. Ihre Unfehlbarkeit erstreckt sich
einzig und allein auf die Wahrheiten des Glaubens und
auf jene Sittenlehren, welche unmittelbar mit ihnen
zusammenhängen, und als erste und nächste Folgerung aus
ihnen hervorgehen. Die Kirche ist unfehlbar, weil der
Heilige Geist als der Geist der Wahrheit durch seinen
Beistand verhindern wird und nie zulassen kann, dass sie
von der Lehre Jesu Christi abweicht und eine Lüge oder
ein sündhaftes Gebot zum Glauben oder zur Verfolgung
vorschreibt. Christus musste seiner Kirche diese Gabe
der Unfehlbarkeit verleihen.
Wenn in irgend einer Zeit religiöse Kämpfe die Gemüter
aufregen und verwirren: wenn die Einen rufen: Hier ist
Christus! und die Andern antworten: Nein, dort ist
Christus! - ist da niemand auf Erden, der endgültig und
unfehlbar die Wahrheit vom Irrtum unterscheidet, und
dessen Wort den Streit schlichtet? Wenn die Kirche die
Bestimmung hat, die Offenbarung Jesu Christi aller Welt
zu erhalten und rein und unverfälscht auch den spätesten
Jahrhunderten mitzuteilen, muss sie nicht die Gabe
besitzen, endgültig und unfehlbar zu erklären, wo
Christus und seine Wahrheit ist? Wenn sie diese Gabe
nicht besäße, dann wäre sie nicht die Lehrerin der
Völker, der Mund und die Stellvertreterin Jesu Christi!
Ihre Stimme wäre ein Wort aus dem Munde eines Menschen
ohne höhere Kraft und Geltung, und die Wahrheit müsste
in dem Kampfe der Welt und im Widerstreit der Meinungen
unterliegen! die Hölle würde über sie siegen! Entweder
eine unfehlbare Kirche oder gar keine Kirche!
Oder wer soll sonst einen ausgebrochenen religiösen
Streit schlichten? Wer soll die Wahrheit der Offenbarung
auf Erden bewahren? Vielleicht die Gelehrten und Weisen,
die ihr Leben der Erforschung derselben und den
theologischen Studien weihen? Ja, einen Kampf vergrößern
und durch ihre Leidenschaft die Streitenden oft noch
mehr erbittern und entzweien, das können die Gelehrten:
aber ihn lösen und die Herzen versöhnen, das können sie
vielfach nicht! Gewöhnlich stösst unter ihnen der Eine
wieder um, was der Andere als absolute Wahrheit
behauptet hat. Und selbst, wenn Einer die Wahrheit
gefunden hätte, so ist sie doch immer ein Wort aus
fehlbarem, menschlichem Mund, dem jede höhere Autorität
abgeht und welches darum nicht jeden Zweifel
verscheuchen kann!
Oder ist es die Heilige Schrift, die von dem Heiland
bestimmt wurde, religiöse Streitigkeiten endgültig und
unfehlbar zu entscheiden? Die verschiedensten und
widersprechendsten Ansichten haben sich von jeher auf
die Bibel berufen, und Jeder hat sie in seinem Sinne
ausgelegt. Die Menschen tragen ihre Meinungen in sie
hinein und lesen sie dann wieder aus ihr heraus. Ein
totes Buch, das nicht reden kann und das erst seiner
Erklärung durch einen menschlichen Mund bedarf, kann
nicht der unfehlbare Lehrer der Welt sein: und die
Heilige Schrift, die so viele dunkle und schwer zu
erklärende Sätze enthält, ist oft unvermögend, allein
die oberste Schiedsrichterin in einem religiösen Streit
zu bilden.
Wenn darum der Heiland nicht wollte, dass religiöse
Kämpfe ohne Ende seine Kirche verwirren und die Wahrheit
selbst in Gefahr käme, in Lüge verkehrt zu werden, so
musste er seine Kirche mit der Gabe der Unfehlbarkeit
ausrüsten. Gott stellte die Mutter an die Seite des
Kindes und lässt den Menschen aus dem geheiligten Schoße
einer Familie emporwachsen. Wird er der Kirche, die sein
heiliger Leib und seine auserwählte Braut ist, die er
aus seinem Blute zum Heile der Welt schuf, nicht jene
Gnaden gegeben haben, die ihr nötig sind, damit sie
ihren Beruf auf Erden erfülle? Er verlieh ihr seinen
Geist, der von ihm und dem Vater ausgeht: und dieser
Geist der Wahrheit und sein fortgesetzter Beistand
bewirkt, dass sie von der Wahrheit nicht abweicht und
ihr Wort nicht trügt. Von diesem Beistand Jesu Christi
und von dem des Heiligen Geistes überzeugt tritt sie mit
einer höheren Autorität vor die streitende Welt und
verlangt Gehorsam von ihren Kindern: und jene, welche
treue Kinder ihrer Mutter sind, geben sich glaubensvoll
ihrem Wort hin, weil sie in ihm einen Ausspruch des
Heiligen Geistes verehren.
Vom Anbeginn
der Welt hat der Herr eine gewisse Unfehlbarkeit allen
denjenigen verliehen, welche in seinem Namen zu den
Menschen sprachen und die Pflicht des Glaubens von ihnen
verlangten. Er wandelte mit den ersten Menschen selbst
im Paradiese und lehrte sie mit unfehlbarem Munde. Er
redete mit seinem Volk durch die Patriarchen und
Propheten, durch welche sein Geist mit ihm sprach. Unser
Heiland erschien dann in der Fülle der Zeiten, und
freudig und zweifellos konnten die Menschen seinen
Worten und seiner Offenbarung sich hingeben. Sollte im
neuen Bund der Gnade das unfehlbare Wort Gottes gänzlich
mangeln? Ohne die Unfehlbarkeit wäre die Kirche
vergebens gestiftet, und die Wahrheit, die der Herr in
ihr niederlegt, wäre längst von ihr gewichen. Wir würden
trotz der Kirche wie irrende Wolken von jedem Winde der
Lehre hin- und hergetrieben. Der Herr hätte uns eine
Quelle geöffnet, um an ihrem reinen Wasser unseren Durst
nach Wahrheit zu befriedigen und er hätte zugleich
zugelassen und nicht verhindert, dass ihr Wasser durch
giftige Zusätze verderblich für uns würde.
Was aber unsere Vernunft von Gott im Hinblick auf den
Zweck und die Bestimmung der Kirche fordert, das hat der
Heiland, wie die klaren Worte der Heiligen Schrift uns
versichern, seiner Kirche auch gewährt. Er hat ihr zu
allen jenen Gnaden, ohne welche sie ihren erhabenen
Beruf unter den Menschen nicht erfüllen könnte, den
Beistand des Heiligen Geistes und seinen beständigen
Schutz hinzugefügt, damit sie von der Wahrheit
nimmermehr abweiche und als unfehlbare Lehrerin in der
Welt auftrete. Als er kurz vor seiner Himmelfahrt seine
Jünger hinaussandte zu allen Völkern, um das Evangelium
ihnen zu verkünden, so sprach er zu ihnen: "Mir ist alle
Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. So gehet denn
hin, lehret alle Völker und taufet sie im Namen des
Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und
lehret sie alles halten, was ich euch gesagt habe. Und
siehe ich bin bei euch bis an das Ende der Welt" (Matth.
28,18-20). Mit diesen Worten schickt er seine Apostel
als seine Stellvertreter und Nachfolger in die ganze
Welt. Mit derselben Gewalt ausgerüstet, die er von
seinem Vater im Himmel empfing, sollten sie vor allen
Völkern der Erde erscheinen. Sie sollten lehren in
seinem Namen: sie sollten taufen und Gebote in seiner
Gewalt und Macht geben.
An seiner Stelle sollten sie und ihre Nachfolger stehen,
und das gleiche tun wie er. Und damit sie dieses
könnten, damit sie Lehrer der Weisheit seien, wie er:
damit sie Spender seiner Sakramente und rechtmäßige und
verständige Hirten der Gläubigen seien wie er, so
versprach er ihnen, dass er bei ihnen, an ihrer und
aller ihrer Nachfolger Seite bis zum Ende der Welt
bleiben werde. Wenn aber Jesus Christus, die unfehlbare
Weisheit, bei den Aposteln und allen ihren Nachfolgern
ist, so können sie, durch diesen Beistand geschützt, in
keinem Augenblick von der Wahrheit abweichen. Wenn in
einem einzigen Fall die Kirche in Irrtum verfiele, dann
wäre die Verheißung Jesu Christi nicht bloß eitel und
unerfüllt, sondern der Heiland selbst wäre wortbrüchig!
Eine fehlbare Kirche stünde nicht mehr in seinem Namen
und seiner Kraft in der Welt! Das Wort aus ihrem Munde
muss untrüglich und unfehlbar sein, wie das aus dem
Munde Jesu Christi selbst! Dem Herrn schien aber dieser
sein Beistand noch nicht genug zu sein, um seine Kirche
in der Wahrheit zu erhalten. Er gab ihr noch einen
anderen Schutz: denn es handelte sich um das höchste
Interesse der Menschheit, um die Wahrheit, die allein im
Stande ist, die Welt von Irrtum und Sünde frei zu
erhalten und dem ewigen Leben entgegenzuführen. Er
sprach darum zu seinen Jüngern vor seiner Himmelfahrt:
"Ich will den Vater bitten, und er wird euch einen
anderen Tröster geben, damit er in Ewigkeit bei euch
bleibe, den Geist der Wahrheit. Wenn jener Geist der
Wahrheit kommt, so wird er euch alle Wahrheit lehren" (Joh.
14,13). Dieses Versprechen erfüllte er schon am
Pfingstfeste: und der Heilige Geist, der einstens die
Propheten erleuchtete und dem Erlöser in geheimnisvoller
Weise die Wege auf Erden bereitete, kam über die Apostel
herab, und er bleibt bei der Kirche bis zum Ende der
Tage. Wo der Heilige Geist wohnt, kann nicht Unwahrheit
sein: denn er ist wesentlich das Licht und der Geist der
Wahrheit.
Wenn die Kirche fehlbar wäre, und nur ein einziges Mal
von der Wahrheit abweichen würde, dann wäre auch diese
Verheißung Jesu Christi eine Lüge, und der Heilige Geist
wäre nicht in Ewigkeit bei der Kirche!
Wohl sind es fehlbare Menschen, welchen das Lehramt
derselben anvertraut ist und die ihren Lehrkörper bilden
und Untrüglichkeit und Irrtumslosigkeit ist keine
Eigenschaft ihrer Natur. Unfehlbar von Natur aus ist
Gott allein. Aber der Heiland und der Heilige Geist
stehen den fehlbaren Menschen zur Seite und sie bewirken
durch diesen Beistand, dass die aus sich fehlbaren
Menschen von der Wahrheit nicht abweichen. Sie
verhindern durch ihren Schutz, dass der Lehrkörper der
Kirche keinen Irrtum statt der Wahrheit dem christlichen
Volk vortrage und dass sie selbst in Irrtum falle.
Ferner sprach der göttliche Heiland zu dem heiligen
Petrus, den er zum sichtbaren Oberhaupt seiner Kirche
erwählt hatte: "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen
will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle
werden sie nicht überwältigen" (Matth. 16,18). Der
Heiland vergleicht seine Kirche mit einem Gebäude, das
auf Felsengrund ruht und ihm seine Festigkeit verdankt:
und er sagt, dass deshalb keine Gewalt der Erde und
nicht die Pforten der Hölle gegen daselbe etwas
vermögen. Die gefährlichsten Stürme, die sich aber gegen
die Kirche erhoben haben, und die überhaupt sich gegen
sie erheben können, sind jene, welche die Reinheit des
Glaubens gefährden. Der Glaube ist die Bedingung des
Heiles und der Seligkeit, die Ursache unserer Hoffnung
und die Grundlage des ganzen christlichen Lebens. Wenn
seine Reinheit Schaden leidet, dann ist es um die Kirche
geschehen. Ihr Leben ist nur eine Entfaltung des
Glaubens. Der ganze Kultus, die Spendung der heiligen
Sakramente, die kirchliche Verfassung hängt auf das
innigste mit ihm zusammen. Die Kirche kann unmöglich in
Irrtum fallen: denn sie wird von einer
unerschütterlichen und untrüglichen Grundlage getragen.
Und wäre es möglich, dass der Lehrkörper derselben nur
ein einziges Mal von der Wahrheit und der reinen Lehre
Jesu Christi abwiche, dann wäre wieder die Verheißung
des Heilandes zur Unwahrheit geworden. Wenn der
Felsengrund wanken würde, dann würde das ganze Gebäude,
das auf ihm ruht, zusammenstürzen.
Deswegen nennt der heilige Paulus die Kirche des
lebendigen Gottes die "Säule und Grundfeste der
Wahrheit" (1.Tim. 3,15). Durch die Säule und Grundfeste
eines Gebäudes wird das Gebäude selbst getragen und
jeder Teil eines Hauses ruht auf ihr. Ist die Säule und
Grundfeste unerschütterlich, so wird alles, was auf ihr
errichtet ist, an ihrer Festigkeit Teil nehmen. So ist
der Glaube des einzelnen Gläubigen insofern irrtumsfrei,
insofern er mit der Lehre der Kirche übereinstimmt,
welche eine Säule und Grundfeste der Wahrheit ist und
darum die Unfehlbarkeit besitzt. Könnte sie von der
Wahrheit abirren und wäre sie fehlbar, so würde der
Glaube eines jeden Gliedes derselben seiner Gewissheit
entbehren, und sie selbst verdiente nicht die Säule und
Grundfeste der Wahrheit genannt zu werden. Wollte man,
wie die Reformation, diese Stelle des heiligen Paulus so
deuten, dass die Kirche nur deshalb die Säule und
Grundfeste der Wahrheit genannt wird, weil sie selbst
von der Wahrheit unterstützt und getragen wird, so liegt
auch in dieser Erklärung die Unfehlbarkeit derselben:
denn wenn sie stets von der Wahrheit unterstützt und
getragen wird, so kann sie unmöglich von ihr abirren und
der Unwahrheit preisgegeben werden!
Die Kirche war sich ihrer Unfehlbarkeit immer bewusst.
Wenn sie ihre Stimme erhob, um Gläubigen zu belehren
oder ein Gebot ihnen aufzulegen, so tat sie das unter
Hinweisung auf den Beistand des Heiligen Geistes, der
durch sie redete. Die Apostel, welche auf dem ersten
Konzil zu Jerusalem versammelt waren, um einen Streit,
der wegen der Beobachtung des jüdischen
Zeremonialgesetzes entstanden war, zu schlichten,
begleiteten ihr Urteil mit den Worten: "Dem Heiligen
Geist und uns hat es gefallen, euch keine weiteren Last
aufzulegen" (Apostelgesch. 15,28), um die Quelle
anzugeben, aus der sie ihre Entscheidung geschöpft
hatten, und zugleich auf die Verbindlichkeit derselben
hinzuweisen. Und ihre Nachfolger haben zu allen Seiten
fortgefahren, so zu reden und zu tun. Entweder
ausdrücklich oder stillschweigend berief sich die Kirche
bei allen Entscheidungen in Hinsicht auf eine Lehre des
Glaubens oder eine Sittenvorschrift auf den Heiligen
Geist, der ihre Beratungen durch seinen Beistand leitet
und durch ihren Mund spricht. Sie war sich zu allen
Zeiten dieser ihrer Unfehlbarkeit so sehr bewusst, dass
sie die Gläubigen unter Androhung der Ausschließung von
ihrem Schoße und der ewigen Verdammnis zum Gehorsam
gegen ihr Wort verpflichtete. Unmöglich hätte sie so
handeln können, wenn die leiseste Möglichkeit bestand,
dass sie irren konnte. "Gegen das, was die gesammte
Kirche glaubt, sich auflehnen wollen, ist", wie der
heilige Augustinus sagt, "die verwegenste Torheit" (Epist.
118). "Die Kirche ist nicht gesendet, um mit
Vernunftgründen zu streiten, sondern das mitzuteilen,
was ihr anvertraut wurde."
Der Beistand des Heiligen Geistes schließt die Tätigkeit
des menschlichen Verstandes nicht aus. Die Kirche wendet
daher auch die natürlichen Mittel an, um der Wahrheit
einer Lehre der Offenbarung nahe zu kommen, die
Geschichte, die Tradition und die menschliche Vernunft;
allein diese Untersuchungen sind nur die menschlichen
Vorbereitungen, welche der Tätigkeit des Heiligen
Geistes vorausgehen. Der Geist Gottes und Jesus Christus
steht der Kirche bei diesen Untersuchungen bei, dass sie
die Wahrheit findet, und er lässt es nicht zu, dass sie
bei ihrer Entscheidung in Irrtum fällt. Der Ausspruch
der Kirche ist darum nicht das Resultat menschlichen
Denkens, sondern er ist durch den Beistand des Heiligen
Geistes zustande gekommen.
Dieses
unfehlbare Lehramt der Kirche wurde in verschiedener
Weise im Laufe der Zeit ausgeübt. In feierlichster Weise
geschieht das durch ein allgemeines oder ökumenisches
Konzil. Ein allgemeines Konzil nennen wir dasjenige, bei
welchem die Bischöfe aus den verschiedenen Länder des
Erdkreises, wenn auch nicht alle, doch in großer Anzahl
versammelt sind, um in Vereinigung mit dem Papst als dem
Oberhaupt der Kirche Entscheidungen über Lehren des
Glaubens oder der Sitten zu geben. In einer solchen
Versammlung ist der ganze Lehrkörper der Kirche
vereinigt: und da derselbe auf die leichteste Weise von
dem Glauben derselben Zeugnis ablegen und über ihn sich
aussprechen kann, so gelten von ihm die Verheißungen,
welche der Heiland seiner Kirche gegeben. Seine
Entscheidungen sind unfehlbar im Heiligen Geiste. Ein
allgemeines Konzil, auf welchem die Verheißungen Jesu
Christi ruhen sollen, muss von dem Oberhaupt der Kirche
berufen sein. Dem Papst gebührt das Recht des Vorsitzes
und der Leitung desselben: und nur jede Beschlüsse
können Ausspruch auf Gültigkeit haben, welche von ihm
bestätigt worden sind. Auch muss natürlich jeder
einzelne Bischof die notwendige physische und moralische
Freiheit haben, seine Meinung und Stimme abzugeben. Ein
Konzil ohne den Papst ist nicht denkbar, weil ein
lebendiger Leib ohne Haupt nicht gedacht werden kann.
Würde eine noch so große Anzahl von Bischöfen sich
irgendwo versammeln, ohne dass der Papst eine solche
Versammlung berufen hätte oder leiten und ihre
Beschlüsse bestätigen würde, so könnte diese nicht ein
Konzil genannt werden. Es wäre ein toter Rumpf ohne das
Haupt, und in einer solchen Versammlung sind die
Verheißungen Gottes nicht lebendig!
Das unfehlbare Lehramt der Kirche spricht sich ferner
aus, wenn alle auf dem Erdboden zerstreuten Bischöfe
oder doch ein größerer Teil derselben einer vom Papst
gegebenen Erklärung ausdrücklich beistimmen, oder auf
irgendeine andere Art, wenn auch nur stillschweigend,
sich zu ihr bekennen. Sicher ist der Beistand Jesu
Christi und des Heiligen Geistes nicht an einen Ort oder
an die körperliche Vereinigung der Bischöfe geknüpft. Er
ist alle Tage in der Kirche tätig bis an das Ende der
Welt: und die Unfehlbarkeit derselben kann unmöglich auf
jene kurzen Augenblicke beschränkt werden, in denen der
Lehrkörper an einem bestimmten Orte versammelt ist. Sind
die Bischöfe des Erdkreises geistigerweise vereinigt, so
bilden sie auch in dieser Form das Lehramt der Kirche
und erfreuen sich des Beistandes des Heiligen Geistes.
Zahlreiche Irrlehren wurden durch diese Übereinstimmung
der zerstreuten Bischöfe entschieden und im Jahre 1854
das Dogma der Unbefleckten Empfängnis der seligsten
Jungfrau in dieser Weise der christlichen Welt
verkündet.
Ebenso wenn der Heilige Vater als Haupt und Lehrer der
Christenheit eine Entscheidung in einer Lehre des
Glaubens und der Sitten für die ganze Kirche fällt, so
verehren wir in einem solchen Ausspruch die Stimme des
unfehlbaren Lehramtes der Kirche. Das ist das Dogma,
welches von dem vatikanischen Konzil verkündet wurde.
Der Papst ist als Haupt der Kirche ihr Mund. Warum
sollte er, der im Namen der ganzen Kirche redet, nicht
die Gaben und Gnaden, welche ihr verliehen sind, in
solchen Augenblicken besitzen? Eine Entscheidung des
kirchlichen Lehramtes durch ein allgemeines Konzil und
durch die zerstreute Kirche ist nicht immer und nicht so
leicht zu erhalten. Die Einholung eines solchen
Ausspruches des unfehlbaren Lehramtes kann auf längere
Zeit gänzlich unmöglich werden.
Sollte Gott nicht Vorsorge getroffen haben, dass dieses
noch in einer anderen Weise sich äußert, sodass seine
Stimme leichter zu allen Zeiten sich vernehmbar macht
und gehört wird? Er hat dem Heiligen Vater, welcher der
Vater und Lehrer aller Christen ist, dem er die volle
Gewalt gegeben, seine Kirche zu regieren, und dessen
Stimme alle Gläubigen von jeher mit ehrerbietigem
Gehorsam sich hingegeben haben, die Gabe der
Unfehlbarkeit verliehen, wenn er in seinem Amt als
Lehrer der Kirche auftritt und handelt.
Man hat aus der Unfehlbarkeit des Heiligen Vaters ein
Zerrbild gemacht, um daselbe um so besser angreifen,
verspotten und verleumden zu können. Man hat die
Unfehlbarkeit desselben mit einer Unsündlichkeit und
allgemeinen Irrtumslosigkeit verwechselt. Alle diese und
andere Behauptungen sind lügenhafte Entstellungen
dessen, was die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes
besagt.
Der Papst kann sündigen, wie wir alle: er kann Unrecht
tun, in einer Sünde beharren und ewig verloren gehen. Er
ist der Möglichkeit des Irrtums ausgesetzt, wie alle
anderen Menschen. Er kann irren in wissenschaftlichen
Dingen und Bestrebungen, wenn er solche übernimmt. Er
kann irren, wenn er als Landesherr und Fürst seines
irdischen Gebietes Anordnungen trifft und Gesetze für
dasselbe gibt. Er kann sogar irren, wenn als Bischof
seiner eigenen Diözese in Rom oder als Patriarch des
Abendlandes etwas tut.
Er kann selbst in Glaubens- und Sittenlehren als
Privatperson eine falsche und irrige Meinung haben. Nur
in einem einzigen Fall kann er nicht irren, wenn er, wie
das vatikanische Konzil sagt, als Hirte und Lehrer der
Christen kraft seiner höchsten apostolischen Gewalt eine
Entscheidung in Glaubens- und Sittenlehren gibt, welche
von der ganzen Kirche festzuhalten ist. Das und nichts
anderes, nicht mehr und nichts weniger besagt die Lehre
von der Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes!
Die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes ist im
strengsten Sinne des Wortes eine Amtsgnade, wie das
vatikanische Konzil noch hinzugefügt hat. Der Papst ist
unfehlbar in Glaubens- und Sittenlehren "vermöge des
göttlichen Beistandes, welcher ihm in dem heiligen
Petrus ist versprochen worden". So oft der Heilige Vater
seines Amtes als oberster Hirte und Lehrer der
Christenheit in der angegebenen Weise waltet, ist er
durch den Beistand des Heiligen Geistes, der dem
heiligen Petrus und seinen Nachfolgern auf dem
päpstlichen Stuhle versprochen und mitgeteilt worden,
vor jedem Irrtum gesichert und bewahrt. Die
Unfehlbarkeit der päpstlichen Lehrentscheidungen ruht
deswegen nicht in der Gelehrsamkeit, in den
Geistesgaben, auch nicht in der persönlichen Tugend und
Heiligkeit eines Papstes, sondern in dem Beistand des
Heiligen Geistes, der ihn, welcher sonst ein
fehlerhafter und dem Irrtum unterworfener Mensch ist, in
diesen wichtigen Amtshandlungen, so oft er als oberster
Richter des Glaubens und der Sitten eine Entscheidung
gibt, vor jedem Irrtum zum Heile seiner Kirche schützt.
Ein besonderer Beistand Gottes und des Heiligen Geistes
steht dem Heiligen Vater in solchen wichtigen
Amtshandlungen zur Seite, wie ja auch bei einem Konzil
nicht die Weisheit und Gelehrsamkeit, noch die Tugend
und Heiligkeit der versammelten Bischöfe, sondern der
Beistand des Heiligen Geistes, der der Kirche verheißen
und gegeben ist, die Möglichkeit eines jeden Irrtums
ausschließt.
(entnommen aus: Das dreifache
Reich Gottes, von Pfarrer Joseph Reiter, 1911)
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