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Hier wird die Gruppe der
Irrlehrer vom Erzengel Michael aus dem
Himmel verstoßen. Hinter dem hl. Michael sitzen
die vier Kirchenväter
auf einer Wolke. |
1)
Wenn Christus das Licht ist, welches hinein zündet in
die Finsternisse der Welt: muß nicht Alles frohlockend
diesem Lichte sich zuwenden? Wenn Er gekommen ist, das
Reich der Lüge zu zerstören, und die Götzen des Aber-
und Irrglaubens umzustürzen: wer dürfte es wagen, sie
wieder aufrichten zu wollen? Wenn die Wahrheit, die Er
verkündet hat, vom Himmel stammt, aus dem Schoße des
ewigen Vaters selbst: werden nicht alle Menschen sich
freudig und unbedingt zu ihr bekennen? - Ach, so sollte
und könnte es sein! Aber wir wissen, dass schon die
Juden zur Zeit Christi die Finsternis mehr geliebt haben
als das Licht; dass Juden und Heiden gleich Anfangs
schon sich anstrengten, die zu Boden geworfenen Götzen
wieder auf den Altar zu stellen, und die Wahrheit in
Christo zu bekämpfen. Wenn Er auf seine göttliche Würde
und Wesensgleichheit mit dem himmlischen Vater hinwies,
so hielten sie das für Gotteslästerung. Als Er bezeugte,
dass Er älter sei als Abraham, ja von Ewigkeit her, da
wollten sie Ihn steinigen. Als Er ihnen vom Brote des
ewigen Lebens sprach, und die Einsetzung vom heiligsten
Altarsakramente ankündigte, hielten sie das für eine
Unmöglichkeit, und traten murrend aus der heiligen
Gemeinschaft mit Ihm und den Aposteln. Seine Wunder
leugneten sie, oder suchten - weil die Tatsachen vor
allem Volke geschehen waren - sie auf ebenso boshafte
als lächerliche Weise zu mißdeuten.
Wenn nun unser liebe Herr und Heiland Jesus Christus
solcher Maßen mißkannt wurde schon zur Zeit, wo Er das
Erlösungswerk auf Erden vollbrachte, so dürfen wir uns
darüber nicht wundern, dass auch seine heilige Kirche,
die Lehrmeisterin der Völker, mißkannt und ihre Lehre
bekämpft wird durch alle Jahrhunderte: in dieser Kirche
lebt ja Christus fort; Er aber ist und bleibt bis zum
großen Gerichtstage "das Zeichen, dem man widersprechen
wird!" - Wie damals, so wird der menschliche Verstand
auch fortwährend ohnmächtig sein, die hohen Geheimnisse
der Religion Jesu ganz zu begreifen; und darum wird er
sich, in stolzer Verblendung, gegen selbige empören: an
Scheingründen und Einwendungen wider die Wahrheit kann
es ihm heute so wenig fehlen, wie damals! - Wie damals,
so wird das menschliche Herz auch fortwährend zum Bösen
geneigt sein, und darum die Glaubwürdigkeit des
Lehrmeisters leugnen, der Ihm Demut, Gehorsam und
Selbstüberwindung predigt: heute so gut, wie damals,
will sich das Gewissen vor sich selber rechtfertigen und
entschuldigen! - Wie damals, so wird der stolze Mensch
auch fortwährend Eifersucht und Neid gegen diejenigen
hegen, welche im Auftrage eines unsichtbaren Königs
Glauben und Unterwerfung fordern; um wie viel mehr, wenn
diesen Stellvertretern des Unsichtbaren persönliche
Makel und große Unvollkommenheit anhaftet!
Das ist der Ursprung aller Häresien oder Irrlehren. Die
Geschichte dieser Irrlehren entrollt ein düstres Bild
vor unsern Augen. Ach, wie sinnlos ist der Mensch, der
sich immer und immer wieder zum Richter über jene
Wahrheit aufwirft, welche der Sohn Gottes vom Himmel
gebracht, durch unzählige Wunder bekräftigt und mit
seinem Blute besiegelt hat, für welche Millionen der
heiligsten Menschen bereitwillig Blut und Leben
geopfert, in welcher die edelsten und klarsten Menschen
ihr Glück im Leben und ihren Trost in der Sterbstunde
gefunden haben! Und wie beklagenswert ist das Schicksal
der Tausende und Millionen, welche durch den Stolz der
Irrlehrer vom Quell der Wahrheit, der Gnade und des
Lebens, von Christo und seiner Kirche losgetrennt
wurden! Dennoch ist der Anblick auch dieses Bildes dir
heilsam, o christliche Seele! Mitten im Kampfgewühle
erblickest du ja Christus, den Feldherrn, in hoher,
göttlicher Majestät, wie Er seine Kirche bewacht vor den
Pforten der Hölle, indem Er seine Getreuen sammelt, sie
erleuchtet, kräftigt und begeistert, mit dem Schilde
großer Kirchenlehrer und heiliger Concilien sie schützt,
und das Gold der christlichen Wahrheit aus den Gluten,
welche die Irrlehrer angezündet, nur um so reiner und
lautrer hervorgehen läßt.
2)
Unter den zahlreichen Irrlehren des christlichen
Altertums sind besonders vier von größter Bedeutung,
weil sie gegen die vier hauptsächlichsten
Glaubensartikel von der Weltschöpfung, von der
hochheiligen Dreifaltigkeit, von der gottmenschlichen
Person Christi und von der Gnade gerichtet waren.
a)
Gegen die christliche
Lehre von der Weltschöpfung erhoben sich in den drei
ersten Jahrhunderten die Gnostiker d. h. Männer, die
sich eine höhere Weisheit zutrauten, und mit Verachtung
auf den einfachen Christenglauben herabblickten, dafür
aber in die lächerlichsten Träumereien verfielen. So
schien es ihnen unmöglich, dass Gott, der erhabene
unendliche Geist, den rohen Weltstoff erschaffen habe.
Darum behaupteten sie: dieser Weltstoff sei schon von
Ewigkeit her dagewesen, wie Gott selbst; aus Gott aber
sei ein zweiter, jedoch unvollkommener Geist
hervorgestrahlt worden, aus diesem Zweiten ein Dritter,
und so noch unzählbar Viele, Jeder geringer an Würde und
Weisheit als die Vorhergehenden; nun habe einer dieser
geringern Geister sich gegen den allerhöchsten Gott
empöret, und ein eigenes Reich gründen wollen;
zu diesem Zweck habe er sich des Weltstoffes bemächtigt,
und daraus die Welt mit den drei Naturreichen gebildet,
somit verdanke diese Körperwelt einem geringern, bösen
Geiste (Demiurg) ihr Dasein, weshalb alles Körperliche
an und für sich böse und sündhaft sei; darum müsse der
Mensch, der zu Gott empor steigen wolle, sich von allem
Körperlichen so viel als möglich fern halten, namentlich
vom Genusse des Fleisches, des Weines und von der Ehe;
darum habe auch Jesus (ebenfalls ein, aus dem höchsten
Gott ausgestrahlter, niedriger Geist) keinen wirklichen
Körper, sondern nur einen Scheinleib gehabt. Solche und
ähnliche Abgeschmacktheiten schmückten die Gnostiker mit
herausgerissenen Sätzen aus der heiligen Schrift und den
Büchern der heidnischen Weltweisen aus, und vermeinten,
damit die wahre, geistige Wissenschaft erlangt zu haben!
Ihre Sittenlehre schien sehr strenge; der Lebenswandel
aber der Meisten unter ihnen war voller Ausschweifung
und Gräuel; solches hießen sie dann eine
gottwohlgefällige Verachtung des Körperlichen! Die
merkwürdigsten Lehrer dieser Gnosis waren Cerinthus,
Basilides, Valentin, Marcion, und der Perser Manes; die
Lehre des Letztern ist der Manichäismus. Gegen sie
kämpften schon die heiligen Apostel Johannes und Paulus,
sowie die ersten Apostelschüler und die ältesten
Kirchenväter, und wachten sorgfältig, dass die
kirchliche Lehre durch keine solche Träumereien
verunstaltet und befleckt wurde.
b)
Gegen das Geheimnis von der hochheiligen Dreieinigkeit
hatten sich schon im dritten Jahrhundert mehrere
Irrlehrer erhoben, z. B. Paulus von Samosata, Beryllus
von Bostra, der afrikanische Priester Sabellius u. A.,
welche behaupteten: "in Gott sei nur Eine Person, die
freilich auf dreifache Art und Weise, als Vater, Sohn
und heiliger Geist, sich offenbare." - Arius, Priester
in Alexandria, wollte diese Irrlehre bekämpfen, verfiel
aber dabei in den gegenteiligen Irrtum: um die
Dreifaltigkeit der Person zu beweisen, zerriß er die
Einheit der göttlichen Wesenheit, und lehrte: "Der Sohn
Gottes ist nicht nur der Person, sondern auch der Natur
nach verschieden vom Vater; Er ist nicht aus dem Wesen
des Vaters geboren, sondern aus Nichts gemacht worden,
und darum nicht gleich ewig und gleich vollkommen wie
der Vater, sondern nur das Erste und Vornehmste seiner
Geschöpfe." - Dadurch wurde Arius der Vorläufer der
heutigen sog. Vernunftgläubigen, (Rationalisten) welche
dir Gottheit Jesu Christi leugnen. In der Person des
heiligen Kirchenlehrers Athanasius aber erweckte Gott
seiner Kirche einen glorreichen Bekenner und Verteidiger
der Wahrheit gegn diese schreckliche Irrlehre, welche in
der allgemeinen Kirchenversammlung von Nicäa, 325,
feierlich verworfen wurde. Dennoch ließ es Gott zu, dass
der Arianismus sich über einen großen Teil der
Christenheit ausbreiten, und bei verschiedenen Völkern -
teils durch die Hinterlist und Heuchelei der Irrlehrer,
teils durch die Unterstützung, welche sie am
kaiserlichen Hofe fanden (der heilige Athanasius wurde
fünf mal verbannt) - gegen 300 Jahre lang sich erhalten
konnte.
Verwandt mit dieser Irrlehre ist die des Macedonius,
welcher auch vom heiligen Geiste behauptete: "Er sei
nicht gleichen Wesens mit dem Vater, sondern geringer
als der Vater und der Sohn." Die Kirchenversammlung von
Constantinopel hat diese Lästerung wider den heiligen
Geist im Jahre 381 verurteilt.
c)
Hundert Jahre nach dem Auftreten des Arius erhob sich
Nestorius, Patriarch von Constantinopel, gegen die
katholische Lehre von der Einheit der Person in Christo
boshaften Widerspruch. Das Geheimnis von der innigen und
unzertrennlichen Vereinigung der beiden Naturen in
Christo - der göttlichen und der menschlichen Natur - in
Einheit der Person hielt er für eine Torheit, und
behauptete: "in Christo seien zwei Personen, die
göttliche und die menschliche; und weil Maria nur die
menschliche Person Christi geboren habe, dürfe sie nicht
Mutter Gottes genannt werden." Diese Lehre predigte er
im Jahre 428 öffentlich in Constantinopel.
Unbeschreiblich war die Aufregung und der Schmerz des
gläubigen Volkes. Wie, es sollte Maria nicht mehr als
die hocherhabene Gottesmutter lobpreisen dürfen? Und
wenn die göttliche und menschliche Natur in Chrsto nicht
unzertrennlich verbunden sind, wenn also am Kreuze nur
die menschliche Person Christi gelitten hat und
gestorben ist: welchen Wert kann alsdann das
Erlösungsopfer auf Golgatha noch haben? Deshalb ward
diese Irrlehre durch zahlreiche Bischöfe und Priester,
insonderheit aber durch den heiligen Patriarchen
Cyrillus von Alexandrien bekämpft, und auf dem dritten
allgemeinen Concil zu Ephesus im Jahre 431 verworfen.
In die gegenteilige Irrlehre verfiel der Abt Eutyches.
Um den Nestorius zu bekämpfen, behauptete er: "Die
menschliche Natur in Christo sei mit der göttlichen so
innig vereint, dass sie sich in ihr ganz aufgelöst habe,
so dass man eigentlich nur mehr von einer einzigen Natur
in Christo, von der göttlichen, reden könne." Er
bedachte nicht, dass Jesus Christus, wenn die
menschliche Natur in Ihm aufgehoben wird, nicht mehr
unser wahrhaftige Bruder, also auch nicht mehr unser
Erlöser sein kann! Deshalb erhob sich besonders der
heilige Papst Leo, der Große, mit apostolischem Eifer
gegen die Monophysiten (d. h. die Anhänger der Lehre von
einer einzigen Natur in Christo), und das vierte
allgemeine Concil von Chalcedon sprach im Jahre 451 die
Verurteilung wider sie aus.
d)
Fast gleichzeitig ergriff
der britische Mönch Pelagius in Rom (später in Karthago)
die christliche Lehre von der Gnade und von der Freiheit
des menschlichen Willens an, indem er diesen allzusehr
erhob und jene herabwürdigte. Ganz ähnlich den
Vernunftgläubigen unsrer Tage, behauptete dieser
verblendete Mönch schon vor anderthalb Jahrtausenden:
"Adams Sünde habe seinen Nachkommen keinen Schaden
gebracht, darum gebe es auch keine Erbsünde, die Taufe
sei zum Heile des Menschen nicht notwendig, und der
Mensch habe in sich selbst so viel sittliche Kraft, um
auch ohne die Gnade ganz tugendhaft und gottwohlgefällig
zu leben, und das Himmelreich verdienen zu können." Der
hauptsächliche Bekämpfer dieser Irrlehre war der heilige
Kirchenlehrer Augustinus. Gegen die Pelagianer
verteidigte er die Notwendigkeit der übernatürlichen
Gnade, gegen die Manichäer aber die Freiheit des
menschlichen Willens: All unsre Tugend und Heiligkeit
könne nur aus der Vereinigung des Göttlichen und des
Menschlichen, d. h. der Gnade vom Himmel und der freien
Tätigkeit des Menschen hervorgehen, und die göttliche
Gnade sei es, welche den, durch Adams Sünde verwundeten
und geschwächten Willen des Menschen wieder befreie,
belebe, bekräftige und zu wahrhaftiger (übernatürlicher)
Tugend befähige. Diese altchristliche Lehre des heiligen
Augustinus wurde in mehrern Concilien bestätigt, und die
Irrlehre der Pelagianer nochmals auf der dritten
allgemeinen Kirchenversammlung zu Ephesus feierlich
verworfen.
e)
Beim Abschlusse des christlichen Altertumes entbrannte
noch in der morgenländischen Kirche der Bilderstreit.
Die Morgenländer hatten nämlich die Verehrung, welche
den heiligen Bildern gebühret, vielfach auf
abergläubische Weise übertrieben; und so vermeinte der
griechische Kaiser Leo, der Isaurier, im Jahre 727, den
Bilderdienst als etwas Abgöttisches, ganz verbieten zu
müssen. Der Streit dauerte 120 Jahre, und mehrere
griechische Kaiser vergaßen alle Sorge für die
bürgerliche Wohlfahrt ihrer Völker, nur um in die Kirche
Gottes hineinzuregieren, und die christliche
Bilderverehrung durch kaiserliche Verordnungen, Folter-
und Todestrafe auszurotten. Allein die frommen
Kaiserinnen Irene und Theodora nahmen sich der in
törichter Weise so übermäßig verfolgten urchristlichen
Sitte an, und die siebente und die achte allgemeine
Kirchenversammlung zu Nicäa und Constantinopel
verteidigten die Verehrung (nicht Anbetung) der Bilder
als etwas ganz erlaubtes und dem christlichen Volke sehr
heilsames.
3)
Im christlichen Mittelalter waren es hauptsächlich drei
große Stürme, welche die Einheit der Kirche bedrohten,
und ihren Mutterarmen zahlreiche Bekenner entrissen: das
griechische Schisma, die manichäistischen Schwärmereien
des dreizehnten Jahrhunderts und der Husitenkampf.
a)
Der Urheber des
griechischen Schisma, welches die morgenländische oder
griechische Kirche von der römischen Haupt- und
Mutterkirche lostrennte, ist Photius. Dieser arglistige
Mann, unterstützt durch die Ränke und Gewalttätigkeiten
des kaiserlichen Hofes, bestieg im Jahre 858 den
Patriarchenstuhl zu Constantinopel. Anfänglich suchte er
sich, durch unwürdige Schmeicheleien und Geschenke, die
päpstliche Anerkennung zu verschaffen. Als ihm das aber
nicht gelang, warf er die Larve ab, und erfrechte sich,
über die abendländische oder römische Kirche, als sei
sie vom Glauben und der christlichen Sitte der Vorväter
abgewichen, den Bann auszusprechen. Der Heuchler wurde
zwar später von Kaiser Leo VI. seiner Würde entsetzt und
starb im Jahre 891. Allein die Glut der Zwietracht, die
er angefacht hatte, brannte unter der Asche fort, bis
der ehrgeizige Michael Cerularius, der im Jahre 1043 zum
Patriarchen von Constantinopel erhoben wurde, sie
neuerdings zur mächtigen Flamme anfachte. Er wiederholte
die frühern Klagen des Photius wider Rom, und wußte Volk
und Geistlichkeit dermaßen aufzuwiegeln, dass die
völlige Losreißung der morgenländischen Kirche von der
abendländischen erfolgte. - Seither haben die Päpste und
die, auf allgemeinen Concilien versammelten Bischöfe
nicht aufgehört, die Getrennten wieder zur kirchlichen
Einheit zurückzurufen. Allein obschon diese Bemühungen
hie und da großen Erfolg zu versprechen schienen, und
einzelne Bistümer wirklich zur Mutterkirche
zurückkehrten (unirte Griechen) so dauert dir Spaltung
im Großen und Ganzen bis auf den heutigen Tag noch fort.
Die griechische Kirche aber, aus welcher einst die
größten Lehrer und berühmtesten Heiligen hervorgegangen,
ist seither wie ein, vom Weinstock abgeschnittenes
Rebschoß, vertrocknet und verdorret; und der Fluch des
Cäsareopapismus, d. h. der kaiserlichen Oberherrlichkeit
über die Kirche, wie er einst von den Kaisern in
Constantinopel ausging, liegt heute noch - nachdem diese
Stadt im Jahre 1453 in die Hände der mahomedanischen
Türken gefallen - über der unglücklichen griechischen
Kirche, wo die höchste geistliche und die höchste
bürgerliche Gewalt in den Händen eines Kaiserpapstes,
des rußischen Zaren, liegt.
b)
Kaum anderthalb
Jahrhundert nach diesem traurigen Abfalle des
Morgenlandes, ward das christliche Abendland selbst
durch die Schwärmerei der Katharer und Albigenser
erschüttert. Es waren dies nicht etwa zwei verschiedene
religiöse Parteien, sondern vielmehr eine ganze Menge
manichäisch- gnostischer Sekten, die besonders in
Spanien und Südfrankreich am Anfange des dreizehnten
Jahrhunderts ihr Unwesen trieben. Wegen ihrer stolzen
Scheinheiligkeit heißen sie Katharer ("die Reinen"), von
ihrem Hauptsitze aber, der südfranzösischen Stadt Albi,
erhielten sie den Namen Albigenser.
Sie verwarfen alle christlichen Grundwahrheiten von der
Weltschöpfung, von der Menschwerdung Christi, von seiner
Auferstehung, sowie allen äußeren Gottesdienst, und
namentlich auch die Ehe. "Nicht der Gott des Lichtes -
so lehrten sie - habe die Welt erschaffen, sondern der
Gott der Finsternis, Jehova; die, von diesem
abstammenden Menschen seien darum, ihrer Natur nach,
Feinde des Lichtes; allein der Lichtgott habe seinen
vornehmsten Engel, Jesus, mit einem Scheinleibe in die
Welt gesandt, um die Menschen von der Knechtschaft
Jehova´s und seiner zehn Gebote zu befreien. Diese
Befreiten bilden eine höhere Menschenklasse, und nur
ihnen ist man Gehorsam schuldig, weil nur sie in
strengster Enthaltung von allem Körperlichen leben. Ein
Jeder, der verspricht, sich noch vor seinem Tode in
diese höhere Klasse aufnehmen zu lassen, darf sich
inzwischen alle Genüsse erlauben, und braucht sich al
keine Gebote zu halten, zumal diese ja vom Gotte der
Finsternis, von Jehova, herstammen."
So schauerliche Grundsätze mußten begreiflich nicht nur
alle Grundlagen der Kirche, sondern auch des Staates
zerstören. Als darum die Mittel der Güte und der
Belehrung, welche der große Papst Innocenz III. gegen
sie angewandt, vergeblich waren; als auch der geistige
Kreuzzug der Predigt und des Rosenkranzgebetes, welchen
der heilige Dominikus und seine Mönche unternahmen, das
schreckliche Übel nicht völlig besiegte; als die Empörer
in ihrer Frechheit sogar an der Person des päpstlichen
Legaten, Peters von Castelnau, sich vergriffen, und ihn
während der Predigt am 15. Jänner 1209 erschlugen: da
mußte auch gegen sie zum Schwerte gegriffen werden. Ein
Kreuzheer, Graf Simon von Montfort an der Spitze, zog
wider sie aus, und es begann eine Reihe blutiger und
gräuelvoller Kriege - nach deren Vollendung, um´s Jahr
1229, die Inquisition in´s Leben trat, und die
Hartnäckigen, als Frevler an der bürgerlichen Ordnung,
dem bürgerlichen Strafgerichte überantwortete.
c)
Mit dem Unwesen der
Albigenser stunden im Mittelalter noch zahlreiche andere
schwärmerische Erscheinungen in Verbindung. Die äußere
Majestät der Kirche, der fürstliche Glanz und die
Reichtümer ihrer Vorsteher, der ärgerliche Lebenswandel
vieler Geistlichen: dies verwirrte manch gutmütige aber
schwache Seele, welche das Zufällige nicht vom
Wesentlichen und die Ausnahmen nicht von der Regel zu
unterscheiden vermochte. Solche Seelen verfielen dann
leicht in Argwohn und Zweifel wider die Kirche. Ihr
blödes Auge sah nur das Äußerliche; und so meinten sie,
das Innerliche, der Geist Jesu Christi, sei ganz aus
dieser Kirche gewichen. In diesem Argwohn wurden sie gar
oft noch bestärkt durch die Strafpredigten heiliger
Männer und gottbegnadigter Frauen wider
pflichtvergessene Bischöfe und Priester; vielfach auch
durch mißverständliche oder falsche Prophezeiungen. So
entstand dann allmälig in ihnen Verachtung gegen die
Kirche, ihre Verordnungen und ihren Gottesdienst; sie
wollten ganz innerlich, ganz geistig werden, um in
unmittelbare Verbindung mit Christus und der jenseitigen
Welt zu treten, und verfielen dabei in eine höchst
gefährliche falsche Mystik.
Dies war das Schicksal der Waldenser im 12. Jahrhundert,
der Brüder und Schwestern des freien Geistes, sowie der
Apostelbrüder im dreizehnten. Auch der Engländer John
Wikless gehörte zu diesen verderblichen Schwärmern. Mit
großer Leidenschaft eiferte er wider den Güterbesitz der
Kirche und wider den Papst, und setzte (wie später die
sog. Reformatoren) den Verstand und das fromme Gemüt
jedes einzelnen Menschen, welcher die heiligen Schriften
las, zum unfehlbaren Erklärer derselben und obersten
Schiedsrichter des Glaubens ein. Er starb im Jahre 1384;
seine Lehre aber wurde wieder aufgegriffen und
verbreitet durch den Böhmischen Irrlehrer Johannes Hus.
"Die einen Menschen - so lehrte er - sind von Gott zur
ewigen Seligkeit vorausbestimmt (die Prädestinierten),
und diese könne nicht anders als selig werden. Die
Anderen aber sind zur Verdammnis vorausbestimmt, und
können ihr nicht entrinnen. Nur die Prädestinierten sind
Mitglieder der Kirche; nur diese können Vorsteher der
Kirche und des Staates sein; den Anderen schuldet man
keinen Gehorsam." Dadurch wurde Hus zum gefährlichsten
Empörer wider der Kirche und Staat. Mit einem
Geleitsbriefe von Kaiser Sigismund versehen, erschien er
vor der allgemeinen Kirchenversammlung zu Constanz. Die
Fürsten, sowie die gelehrtesten und
menschenfreundlichsten Bischöfe drangen mit Bitte und
Belehrung in ihn, seiner unsinnigen und gefährlichen
Irrlehre zu entsagen und die Kirche Gottes von so
schrecklichem Ärgernisse zu befreien. Allein der stolze
und hartnäckige Mann widerstand jeglicher Mahnung, und
wurde deshalb am 6. Juli 1415 als Ketzer und Aufrührer
zu Constanz verbrannt. Nun begannen die böhmischen
Edelleute - unter dem Vorwande, Hus zu rächen und den
Laienkelch, d. h. die Kommunion unter beiden Gestalten,
zu erzwingen - wider den deutschen König Sigismund den
fürchterlichen Husitenkrieg, der erst nach zwanzig
Jahren mit Unterwerfung der böhmischen und mährischen
Husiten endete.
4)
An der Schwelle der neueren Zeit, d. h. im Anfange des
16. Jahrhunderts erblicken wir drei Männer, welche die
Kirche Christi reformieren, d. h. umbilden und
verbessern wollten, in Wahrheit aber sie zerrissen, und
einen großen Teil der Christenheit von ihr losgetrennt
haben. Diese drei sogenannten Reformatoren sind Luther,
Zwingli und Calvin. Ihr Widerspruch gegen die Kirche
bezog sich anfänglich nur auf äußere Dinge und wirkliche
Übelstände; allein die Unklarheit ihres Geistes, der
Stolz ihres Herzens und die gefährliche Lobpreisung,
welche ihnen von einigen Großen dieser Welt zu Teil
wurde, führte sie immer weiter, bis endlich ihre Lehren
alle Grundlagen und Glaubenswahrheiten der katholischen
Kirche erschütterten. Sie selbst waren unter sich nichts
weniger als einig, und bekämpften einander in wichtigen
Punkten auf´s leidenschaftlichste. Diese Kämpfe haben
auch unter ihren Anhängern fortgedauert. Heutzutage, wo
der Unglaube unter Letztern in schauerlicher Weise um
sich greift, und gläubige und ungläubige Protestanten
immer schroffer sich ausscheiden, kann die Lehre der
Erstern, soweit sie von dem katholischen Glauben
abweicht, ungefähr in folgenden Sätzen ausgedrückt
werden:
1.
"Das Fundament alles christlichen Glaubens ist die
Bibel; und ein Jeder, der mit gutem Willen in ihr liest
und danach lebt, wird aller Wahrheit und aller Gnade in
Christo teilhaftig." - Dagegen lehrt uns der katholische
Glaube, dass Christus die Seinigen nicht auf tote
Buchstaben, sondern auf die Apostel und ihre Nachfolger
angewiesen hat; dass Er nicht ein geschriebenes Buch,
sondern eine lebendige Kirche zur unfehlbaren
Lehrmeisterin der Völker eingesetzt hat; und dass diese
allein Auftrag und Vollmacht besitzt, den wahren Sinn
der Bibel, sowie den reichen Inhalt der mündlichen
Überlieferung allen Völkern mitzuteilen und zu erklären.
2.
"Der Glaube allein macht die Menschen selig." - Dagegen
lehrt uns die katholische Kirche, dass Christus von den
Seinigen nicht nur den Glauben, sondern auch die, aus
dem Glauben hervorgehenden Werke der christlichen Liebe
als unerlässliche Bedingung der ewigen Seligkeit
fordert.
3.
"Christus allein ist der
Priester in Ewigkeit, und darum bedarf seine Kirche
keiner Priester, sondern nur gewisser Männer, welche das
Wort Gottes verkünden, und die kirchliche Ordnung unter
den Gläubigen aufrecht erhalten." - Dagegen lehrt uns
die katholische Kirche, dass Christus, der Hohepriester,
auch die Apostel und ihre Nachfolger seiner
priesterlichen Vollmacht teilhaftig gemacht, und ihnen
den Auftrag gegeben hat, nicht nur seine Lehre zu
predigen, sondern auch sein hochheiliges Opfer in
unblutiger Weise zu erneuern, die heiligen Sakramente zu
spenden und in seinem Namen zu segnen.
4.
"Die Kirche Christi
braucht und besitzt kein anderes Oberhaupt, als Jesum
Christum." - Dagegen lehrt uns die katholische Kirche,
dass Christus den heiligen Petrus und seinen
Rechtsnachfolger, den Papst, zu seinem sichtbaren
Stellvertreter und zum Oberhaupte der heiligen Gemeinde,
zum Mittelpunkt der christlichen Einheit und zum
unfehlbaren Lehrmeister der Glaubenswahrheit gemacht
hat.
5.
"Es gibt nur zwei
eigentliche Sakramente: die Taufe und das Abendmahl." -
Dagegen lehret uns die katholische Kirche, dass sieben
heilige Sakramente von Christus eingesetzt, und durch
alle Jahrhunderte den Gläubigen gespendet worden sind.
6.
"Für die Christen gibt es
kein anderes Opfer als das blutige Kreuzopfer unsers
Herrn." - Dagegen lehrt uns die katholische Kirche, dass
dieses blutige Kreuzopfer, nach der Anordnung Christi
beim letzten Abendmahle, bis ans Ende der Welt auf
unblutige Weise in der heiligen Messe erneuert werden
muß, als das, von den Propheten geweissagte reine
Speiseopfer nach der Ordnung Melchisedechs.
7.
"Da Gott nur im Geiste und in der Wahrheit angebetet
werden will, so können beim christlichen Gottesdienste
weder religiöse Bilder noch mancherlei Ceremonien
geduldet werden." - Dagegen lehrt uns die katholische
Kirche, dass fromme Bilder und bedeutungsvolle heilige
Ceremonien die innerliche Andacht und die Anbetung
Gottes im Geiste und in der Wahrheit mächtig wecken und
fördern, und darum mit dem christlichen Gottesdienste
verbunden sein soll.
8.
"Der Sünder bedarf zur
Sündennachlassung nichts anderes als den Glauben an die
Versöhnung in Christo und den ernstlichen Entschluß der
Lebensbesserung." - Dagegen lehret uns die katholische
Kirche, dass Christus seine Apostel und ihre Nachfolger
beauftragt hat, die reumütigen Sünder, nachdem sie in
der heiligen Beicht ihre Vergehungen demütig bekannt
haben, von denselben loszusprechen.
9.
"Das Abendmahl enthält
nur ein Sinnbild und gnadenreiches Andenken an den
Erlösungstod Jesu Christi." - Dagegen lehrt uns die
katholische Kirche, dass im heiligsten Altarsakramente
das verheissene wahrhaftige Brot des Lebens, d. h. Jesus
Christus selbst, wirklich und wesentlich gegenwärtig
ist.
10.
"Dem Herrn allein gebühret Anbetung, Lob und Preis;
deshalb ist es ein unchristlicher Gebrauch, sich mit
Gebeten an Maria und an die Heiligen zu wenden." -
Dagegen lehrt uns die katholische Kirche, dass es sehr
heilsam und vernünftig ist, Maria und die lieben
Heiligen zu verehren und sie um ihre Fürsprache am
Throne Gottes anzurufen.
11.
"Im Jenseits gibt es nur
Himmel und Hölle." - Dagegen lehrt uns die katholische
Kirche, dass es noch einen Reinigungsort (Fegfeuer)
gibt, und deshalb für die Seelen der lieben Verstorbenen
Gebete und Opfer dargebracht werden sollen.
Hieraus ersiehst du, o christliche Seele, wie weit diese
neue Lehre von der alten, urchristlichen Wahrheit
abweicht, und wie tief diejenigen zu beklagen sind,
welche sich (mit oder ohne ihre Schuld, darüber können
wir nicht urteilen: Gott ist der Richter!) dem "neuen
Evangelium" zugewendet haben! - Wünschest du aber über
die drei unglücklichen Männer, ihr Auftreten und ihre
Schicksale, Näheres zu vernehmen, so sei dir solches
hier in aller Kürze erzählt.
a)
Martin Luther, geboren den 10. November 1483 zu Eisleben
in Sachsen, wurde Augustinermönch, Priester und
Professor zu Wittenberg. Damals wurde in Deutschland der
Ablass gepredigt, und hierbei die Gläubigen eingeladen,
eine fromme Beisteuer zum herrlichsten Tempel der
Christenheit, zur Erbauung der Peterskirche in Rom
darzubringen. Luther nahm Anstoß am Auftreten der
Ablaßprediger, und schlug am Tore der
Allerheiligenkirche zu Wittenberg eine Darlegung seiner
Ansichten über den Ablass in 95 Sätzen an. Dies geschah
am 31. Oktober 1517. Die Sätze erregten ungeheures
Aufsehen in ganz Europa, und viele, sonst rechtgläubige
Männer nahmen Partei für den kühnen Mönch, in welchem
sie nur einen Eiferer wider unchristliche Mißbräuche
erblickten. Luther selbst wollte sich anfänglich von der
Kirche nicht trennen. Noch am 3. März 1519 schrieb er
nach Rom, dass ihm, nächst Christus, die Autorität des
Papstes über Alles im Himmel und auf Erden gehe; ja
sogar noch am 15. Jänner 1520 beteuerte er dem Kaiser
Karl: er wolle als treuer und gehorsamer Sohn der
katholischen Kirche leben und sterben. Allein der Geist
des Widerspruchs hatte ihn schon allzusehr verblendet.
Eine christliche Wahrheit nach der anderen leugnend,
verfiel er dem Kirchenbanne, verband sich mit allen
Feinden der Kirche, lästerte und verhöhnte schriftlich
und mündlich in den rohesten Ausdrücken die katholischen
Glaubenslehren, Sittenvorschriften und Gebräuche, und
trat endlich im Juni 1525 auch seine heiligen
Ordensgelübde mit Füßen, indem er sich mit einer
ausgesprungenen Nonne, Catharina Bora, verheiratete. Er
starb am 22. Februar 1546, nachdem er es noch mit
eigenen Augen hatte ansehen und beklagen müssen, wie das
deutsche Volk, seit dem Beginne der neuen Lehre,
sittenloser und ausschweifender geworden!
b)
Ulrich Zwingli, geboren
den 1. Jänner 1484 zu Wildhausen in der Schweiz, trat in
den heiligen Priesterstand und wurde Pfarrer in Clarus,
später in Einsiedeln - ein, wenn auch gelehrter, doch
unwürdiger Seelsorger, der, nach seinem eigenen
Geständnisse, durch unzüchtigen Lebenswandel großes
Ärgernis gab. Dennoch ward er im Jahre 1518 als Pfarrer
nach Zürich gewählt, woselbst er gar bald, unterstützt
durch die Regierung, gegen die alte katholische Lehre
auftrat, sich verehlichte, die heilige Messe abschaffte,
die religiösen Bilder zerstörte, die Klöster aufhob.
Gegen Luther, welcher an der wahrhaftigen Gegenwart
Christi in der heiligen Kommunion festhalten wollte,
trat Zwingli mit großem Ingrimme auf, so dass Luther,
als er den Tod Zwingli´s in der Schlacht von Kappel (11.
Oktober 1531) vernahm, frohlockend ausrief: "Siehe, das
ist das Ende ihrer Herrlichkeit, welche sie durch
Lästerungen wider das Abendmahl unsers Herrn gesucht
haben! Nun erheben sie den Zwingli gar noch zu einem
Martyrer Christi, um das Mass ihrer Gotteslästerungen
voll zu machen, bis es überlaufen muss." - Ebenso
feindselig benahmen sich andererseits auch die Anhänger
Zwingli´s gegen Luther, dessen "kurzes
Glaubensbekenntnis" sie ein "so unreines, lästerliches,
wütendes und verteufeltes Buch" nannten, dass es "einzig
und beispiellos in seiner Art" und eine Schmach der
Christenheit sei.
c)
Johannes Calvin, geboren
den 10. Juli zu Noyon in Frankreich, wurde in Paris mit
dem Luthertume bekannt, und trat sofort mit glühendem
Eifer als Verteidiger der neuen Lehre auf. Bald aber sah
er sich genötigt, Frankreich zu verlassen und kam, nach
kurzem Aufenthalte in Basel, nach Genf. Hier gelang es
ihm, durch seine Kenntnisse und seine eiserne
Willenskraft, sich zum obersten, fast unumschränkten
Herrn in geistlichen und weltlichen Dingen aufzuwerfen,
und die neue Lehre einzuführen. Dieser düstere,
unheimliche und gewalttätige Mann huldigte der
strengsten Prädestinationslehre, d. h. dem schauerlichen
Wahne: Gott habe einige Menschen zum ewigen Leben,
Andere unrettbar zum ewigen Tode vorausbestimmt. Alle,
die nicht gänzlich und in allen Stücken sich seiner
Lehre unterwarfen, verfolgte er mit dem grimmigsten
Hasse. Den Arzt Bolsec, den Ratsherrn Ameaux, den
Gentilis u. A. ließ er einkerkern und verbannen, den
Jakob Grüet ließ er wiederholt auf die Folter spannen
und dann enthaupten, den Arzt Michael Servet verbrennen:
nur weil sie in kirchlichen Dingen anderer Ansicht
waren, als er. Er selbst starb am 27. Mai 1564.
d)
Das waren die drei
Männer, welche die Religion Jesu Christi verbessern und
die Kirche Gottes reformieren wollten! Mit Recht rief
ihnen der gelehrte und vielgepriesene Crasmus von
Rotterdam zu: "Was wollt ihr denn? Ihr verlangt, dass
die Welt auf einmal das verachte, was die Voreltern seit
einem Jahrtausend uns überliefert haben! Eurem neuen
Evangelium fehlt alles, die Weissagung, die Wunder, die
Reinheit des Lebenswandels, die innere Vernünftigkeit
der Lehre, die Übereinstimmung der Lehrmeister, die
Martyrer: - und dennoch verlangt ihr, dass wir mit
Händen und Füßen in dieses neue Evangelium
hinüberspringen! Ihr wollet uns glauben machen, dass die
Kirche während vierzehn Jahrhunderten ihren Christus
entbehrt, und dass, während der Bräutigam so lange
schlief, die Braut Larven und Götzen verehrt habe! -
O kein Laster ist schrecklicher, als der Abfall von der
Kirche. Wenn ihr all die Übbigkeit, den Stolz, den Geiz,
und was immer man den Priestern vorwerfen mag,
zusammenhäufet, so ist diese vielköpfige Schlange von
Lastern doch nichts gegen das eine Ungeheuer der
Lostrennung von der Kirche. - Die Apostel enthielten
sich entweder ganz der Ehe, oder lebten mit ihren
rechtmäßigen Gattinnen wie Bruder und Schwester, nur um
so ungeteilter sich dem Evangelium zu widmen: nun
erblühet ein Evangelium nach welchem Priester und Mönche
gegen Gesetz und Gelübde sich verheiraten! Einst
verwandelte das Evangelium die rohen, streitsüchtigen
und aufbrausenden Menschen in sanfte und friedfertige
Lämmer: die Anhänger des neuen Evangeliums aber
verwildern, rauben, verfluchen ihre Wohltäter und
predigen Aufruhr. Neue Heuchler sehe ich, neue Tyrannen,
aber keine Spur evangelischen Geistes! Zeiget mir auch
nur einen Einzigen, welcher durch dieses Evangelium ein
besserer Mensch geworden wäre; ich für meinen Teil habe
noch keinen gekannt, der dadurch nicht schlechter
geworden wäre als ehedem. - Wo dieses neue Evangelium
herrschet, geht die Wissenschaft zu Grunde. Die
Schriften der Alten liegen in Verachtung. Die
Philosophie des Aristoteles nennt Luther ein
Teufelswerk, und verdammt jegliche Wissenschaft.
Melanchton eifert gegen die Universitäten. Pharell
verlästert alle menschliche Gelehrsamkeit als
Teufelserfindung. Hier möchte man die Schuld, dass die
Zahl der Studierenden abnimmt, gerne den Geistlichen
aufbürden, denn auf diesem Felde tummelt man sich so
gerne herum - und gedenkt nicht der zahllosen Collegien
in England, Holland, Frankreich und anderwärts, die von
Bischöfen und Priestern auf´s Freigebigste gegründet und
mit Stiftungen für die Zöglinge auf´s Reichlichste
bedacht wurden. Allerdings haben neulich auch einige
(protestantische) Städte angefangen, sich Professoren zu
verschreiben: es wird notwendig sein, dass sie sich auch
die Schüler dazu verschreiben - solche Geistesträgheit
hat uns das neue Evangelium gebracht."
Rechnen wir zu dieser damaligen Verwilderung und
Entsittlichung, wie sie hier der sonst so milde Erasmus
schildert, noch die schrecklichen Religionskriege in
England, Frankreich, Deutschland und der Schweiz, dann
die Gewalttätigkeiten, mit welchen die neue Lehre an den
meisten Orten eingeführt und begründet wurde, und
endlich die traurige Spaltung, die nun seit drei
Jahrhunderten das christliche Europa in zwei feindliche
Lager teilt, zur Freude des Unglaubens und der Hölle: -
dann werden wir sog. Reformation als eine der schwersten
Heimsuchungen, welche der Herr je über seine Kirche
kommen ließ, betrachten müssen. Doch unentwegt vertrauen
wir auf sein Wort: "Die Pforten der Hölle werden die
Kirche nicht überwältigen - und es wird Ein Hirt und
Eine Herde sein!"
e)
Überblicken wir die Anfechtungen und Kämpfe, welche seit
den Tagen der Reformation bis heute von einzelnen
Katholiken gegen die heilige Kirche ausgingen, so
beruhen sie größtenteils auf einem falschen
Liberalismus. Bemühe dich, o christliche Seele, die
Bedeutung dieses wichtigen Wortes recht genau zu
erfassen. Die katholische Kirche wird hauptsächlich von
drei Feinden bekämpft: von der Staatsomnipotenz, d. h.
von der staatlichen Gewalt, die Alles, auch das
kirchliche Leben beherrschen und allmächtig sein will;
vom bibelgläubigen Protestantismus, und vom Unglauben.
Nun gab es von jeher und gibt es bis auf unsre Tage
herab einzelne Katholiken, einzelne Gelehrten und
Professoren, sogar hochgestellte Geistliche, die, statt
diesen drei Feinden gegenüber die kostbare Hinterlage
des Glaubens und der Gnade unversehrt zu hüten und
mannhaft zu verteidigen, mit denselben mehr oder weniger
liebäugelten, und bald diesen, bald jenen Teil der
katholischen Wahrheit und des kirchlichen Rechtes
preisgaben, in der guten Absicht, die Hauptsache zu
retten und den kirchlichen Frieden zu bewahren. Sie
bedachten nicht, dass die christliche Wahrheit nicht
Menschenwerk noch eine Ware ist, mit welcher man, nach
Art der Kaufleute, um irdischen Gewinnes willen, markten
und feilschen darf! Sie bedachten nicht, wie ernstlich
der Herr uns befiehlt, auch am kleinsten Teile seiner
Lehre und Vorschriften in unentwegter Treue
fetstzuhalten! Sie bedachten nicht, dass der Feind durch
solche Nachgiebigkeit doch niemals zufrieden gestellt
wird, und somit die vermeintliche Klugheit sich am Ende
als Torheit und Treulosigkeit erweisen muss! - Freilich
ernten solche Menschen eine Zeit lang das Lob der Welt.
Sie werden als tolerante, freisinnige und aufgeklärte
Katholiken gepriesen, während man ihre Mitbrüder, die
standhaft und unerschütterlich an der Kirche festhalten,
als Ultramontane, beschimpft, verachtet und verfolgt.
Allein gerade diese Lobpreisungen der Feinde sollten
ihnen bange machen! Denn Christus, der Herr, hat
gesprochen: "Gedenket meiner Rede: der Knecht ist nicht
größer als sein Herr. Haben sie Mich verfolgt, so werden
sie auch euch verfolgen. Wäret ihr von dieser Welt
gewesen, so würde die Welt das Ihrige lieben; weil ihr
aber nicht von der Welt seid, sondern Ich euch von der
Welt auserwählt habe, darum hasset euch die Welt."
Zur Bekämpfung dieses falschen Liberalismus hat der
göttliche Heiland in unsern Tagen viele große, gelehrte
und starkmütige Männer erwecket: an ihrer Spitze die
Bischöfe Deutschlands und der Schweiz. Ausgerüstet mit
der Waffenrüstung des Glaubens, unerschütterlich im
Vertrauen auf Gott, ausgezeichnet durch Erfahrung und
Wissenschaft, unzugänglich wie den schmeichlerischen
Verlockungen, so auch den Drohungen von Seite der
Gewaltigen dieser Erde, pflichtbewußt, einträchtig und
der Martyrerbischöfe früherer Jahrhunderte eingedenkt:
so kämpfen diese erlauchten Männer wider die Angriffe
des folschen Liberalismus, und verteidigen in Wort und
Schrift, in Rechtsverwahrungen und Hirtenschreiben die
Hinterlage des Glaubens, die Freiheit der Kirche und die
Rechte des christgläubigen Volkes.
Ihr Anführer in diesem heiligen Kampfe ist der Vater der
Christenheit, der glorreiche Papst Pius IX. Mild und
freundlich gegen die Menschen, hat er vom Beginne seines
Pontifikates an nicht aufgehört, die falschen Grundsätze
mit Heldenmut zu bekämpfen. Wie einst der greise
Mathathias in den Tagen des treulosen und übermütigen
Königs Antiochus, so rief auch Pius IX.: "Wer immer
Eifer für das Gesetz hat, und den Bund des Herrn
aufrecht hält, der ziehe aus, mir nach! Stark ist der
Übermut unsrer Feinde, eine Zeit der Strafe, der
Verwüstung und des grimmigen Zornes. Drum ermannet euch,
o Brüder, und seid wacker für das Gesetz!" - In
zahlreichen apostolischen Rundschreiben, Ansprachen und
päpstlichen Erlassen hat er den Antiochus einer
gottlosen Aufklärung entlarvt, und mit lauter Stimme es
den Völkern verkündet, dass nicht falsche Nachgiebigkeit
und biegsame Grundsatzlosigkeit zum Frieden führt; dass
wahrer, dauerhafter und beseligender Friede einzig und
allein in Christo ist, und nur derjenige diesen Frieden
findet, der in allem, ganz und ungeteilt Ihm huldigt und
Ehre gibt. Denn ewig unzertrennlich bleibet der
Engelsgruß: "Ehre Gott in der Höhe - und Friede den
Menschen auf Erden!"
(Auszug aus: LEBEN JESU,
von L.C.Businger, 1874) |