ENZYKLIKA
"Humanae vitae"
PAPST PAUL
VI.
ÜBER DIE RECHTE ORDNUNG
DER WEITERGABE MENSCHLICHEN LEBENS
25. Juli 1968
AN DIE EHRWÜRDIGEN BRÜDER
DIE PATRIARCHEN,
DIE ERZBISCHÖFE, BISCHÖFE
UND DIE ÜBRIGEN ORTSORDINARIEN,
DIE MIT DEM APOSTOLISCHEN STUHL
IN FRIEDEN UND GEMEINSCHAFT LEBEN,
AN DEN KLERUS
UND DIE CHRISTGLÄUBIGEN
DES GANZEN KATHOLISCHEN ERDKREISES
SOWIE AN ALLE MENSCHEN GUTEN WILLENS
Ehrwürdige Brüder, liebe Söhne und Töchter! Gruß und Apostolischen Segen!
Die Weitergabe des Lebens
1. Die überaus ernste Aufgabe, menschliches Leben weiterzugeben, durch die
die Gatten freie und bewußte Mitarbeiter des Schöpfergottes sind, erfüllt
sie immer mit großer Freude; doch ist die Freude vielfach mit nicht geringen
Schwierigkeiten und Bedrängnissen verbunden.
Zu allen Zeiten stellte die Erfüllung dieser Aufgabe das Gewissen der Gatten
vor schwere Probleme. Die jüngste Entwicklung jedoch, die die menschliche
Gesellschaft nimmt, bringt derartige Veränderungen mit sich, daß sich neue
Fragen erheben, denen die Kirche sich stellen muß, weil sie aufs engste mit
menschlichem Leben und Glück zusammenhängen.
I.
Neue Gesichtspunkte des Problems:
die Zuständigkeit des kirchlichen Lehramtes
Neue Problemstellungen
2. Die Veränderungen sind wirklich bedeutsam und verschiedenartig. Zunächst
handelt es sich um die rasche Bevölkerungszunahme: viele fürchten, daß die
Weltbevölkerung schneller zunimmt, als die zur Verfügung stehende Nahrung
erlaubt. Dadurch wächst die Not in vielen Familien und in den
Entwicklungsländern. Das kann staatliche Regierungen leicht dazu drängen,
diese Gefahr mit radikalen Maßnahmen zu bekämpfen. Dazu erschweren nicht nur
Arbeits- und Wohnverhältnisse, sondern auch gesteigerte Ansprüche
wirtschaftlicher Art und im Hinblick auf die Erziehung und den Unterricht
der Jugend den angemessenen Unterhalt einer größeren Zahl von Kindern.
Wir erleben auch einen gewissen Wandel in der Auffassung von der
Persönlichkeit der Frau und ihrer Aufgabe in der menschlichen Gesellschaft;
ebenso in der Auffassung vom Wert der Gattenliebe in der Ehe und in der
Beurteilung des ehelichen Verkehrs im Hinblick auf diese Liebe.
Schließlich ist vor allem der staunenswerte Fortschritt des Menschen in der
Beherrschung der Naturkräfte und deren rationaler Auswertung in Betracht zu
ziehen. Diese Herrschaft sucht nun der Mensch auf sein ganzes Leben
auszudehnen: auf seinen Körper, seine seelischen Kräfte, auf das soziale
Leben und selbst auf die Gesetze, die die Weitergabe des Lebens regeln.
3. Diese Sachlage wirft neue Fragen auf. Wäre es nicht angebracht,
angesichts der gegenwärtigen Lebensverhältnisse und der Bedeutung, die der
eheliche Verkehr für die Harmonie und gegenseitige Treue der Gatten hat, die
heute geltenden sittlichen Normen zu überprüfen? Zumal, wenn man erwägt, daß
diese unter Umständen nur unter heroischen Opfern befolgt werden können?
Könnte nicht das sogenannte Ganzheitsprinzip auf diesen Bereich angewandt
werden und damit die Planung einer weniger großen, aber vernünftig
geregelten Fruchtbarkeit einen physisch unfruchtbar machenden Akt in eine
erlaubte und vorausschauende Geburtenlenkung verwandeln? Kann man nicht die
Meinung vertreten, daß das Ziel des Dienstes an der Fortpflanzung mehr dem
Eheleben als Ganzen aufgegeben sei als jedem einzelnen Akt? Man stellt auch
die Frage, ob bei dem gesteigerten Verantwortungsbewußtsein des heutigen
Menschen nicht die Zeit gekommen sei, wo die Weitergabe des Lebens mehr von
Vernunft und freier Entscheidung bestimmt werden sollte als von gewissen
biologischen Regelmäßigkeiten.
Zuständigkeit des Lehramtes
4. Zweifellos forderten solche Fragen vom kirchlichen Lehramt eine neue und
vertiefte Überlegung über die Prinzipien der Ehemoral, die ihre Grundlage im
natürlichen Sittengesetz haben, das durch die göttliche Offenbarung erhellt
und bereichert wird.
Kein gläubiger Christ wird bestreiten, daß die Auslegung des natürlichen
Sittengesetzes zur Aufgabe des kirchlichen Lehramtes gehört. Denn zweifellos
hat - wie Unsere Vorgänger wiederholt ausgesprochen haben1 - Christus Jesus,
als er dem Petrus und den übrigen Aposteln an seiner göttlichen Gewalt
Anteil gab und sie aussandte, alle Völker zu lehren, was er uns geboten hat,
sie zu zuverlässigen Wächtern und Auslegern des ganzen Sittengesetzes
bestellt, das heißt nicht nur des evangelischen, sondern auch des
natürlichen Sittengesetzes. Denn auch das natürliche Sittengesetz bringt den
Willen Gottes zum Ausdruck, und dessen treue Befolgung ist ja allen Menschen
zum ewigen Heil notwendig.
In Erfüllung dieses Auftrags hat sich die Kirche zu allen Zeiten, besonders
oft in letzter Zeit über die Natur der Ehe, über die sittlich geordnete
Inanspruchnahme der ehelichen Rechte und die Pflichten der Eheleute in
übereinstimmenden Dokumenten geäußert.
Spezielle Studien
5. Im Bewußtsein dieser gleichen Aufgabe haben Wir den von Unserm Vorgänger
Johannes XXIII. im März 1963 eingesetzten Ausschuß bestätigt und erweitert.
Ihm gehörten außer vielen Gelehrten aus den betreffenden Fachgebieten auch
Ehepaare an. Dieser Ausschuß sollte Gutachten einholen über die Fragen, die
das eheliche Leben und vor allem die sittlich geordnete Geburtenregelung
aufwirft; er sollte darüber hinaus die Ergebnisse seiner Studien so
vorlegen, daß das kirchliche Lehramt eine den Erwartungen nicht nur der
Gläubigen, sondern auch der übrigen Welt entsprechende Antwort geben könnte.
Das Forschungsergebnis der Sachkundigen und die Gutachten vieler Unserer
Brüder im Bischofsamt, die sie teils aus eigenem Antrieb einsandten, die
teils von Uns erbeten waren, erlaubten Uns, dieses vielseitige Problem von
allen Seiten aus sorgfältiger zu bedenken. Deshalb sagen Wir allen von
Herzen Dank.
Die Antwort des Lehramtes
6. Die Folgerungen jedoch, zu denen der Ausschuß gelangt war, konnten für
Uns kein sicheres und endgültiges Urteil darstellen, das Uns der Pflicht
enthoben hätte, ein so bedeutsames Problem zum Gegenstand Unserer
persönlichen Erwägung zu machen. Das war auch deshalb notwendig, weil es in
der Vollversammlung des Ausschusses nicht zu einer vollen Übereinstimmung
der Auffassungen über die vorzulegenden sittlichen Normen gekommen war; und
vor allem, weil einige Lösungsvorschläge auftauchten, die von der Ehemoral,
wie sie vom kirchlichen Lehramt bestimmt und beständig vorgelegt wurde,
abwichen.
Daher wollen Wir nun nach genauer Prüfung der Uns zugesandten Akten, nach
reiflicher Überlegung, nach inständigem Gebet zu Gott, in kraft des von
Christus Uns übertragenen Auftrags auf diese schwerwiegenden Fragen Unsere
Antwort geben.
II.
Prinzipien der kirchlichen Lehre
Gesamtschau des Menschen
7. Die Frage der Weitergabe menschlichen Lebens darf - wie jede andere
Frage, die das menschliche Leben angeht - nicht nur unter biologischen,
psychologischen, demographischen, soziologischen Gesichtspunkten gesehen
werden; man muß vielmehr den ganzen Menschen im Auge behalten, die gesamte
Aufgabe, zu der er berufen ist; nicht nur seine natürliche und irdische
Existenz, sondern auch seine übernatürliche und ewige. Da nun viele, die
sich für künstliche Geburtenregelung einsetzen, sich dabei auf die
Forderungen der ehelichen Liebe und der verantwortlichen Elternschaft
berufen, ist es nötig, diese beiden bedeutsamen Elemente des ehelichen
Lebens genauer zu bestimmen und zu beleuchten. - Dabei wollen Wir vor allem
zurückgreifen auf die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes", in der sich
jüngst das Zweite Vatikanische Konzil mit sehr hoher Autorität dazu geäußert
hat.
Die eheliche Liebe
8. Die eheliche Liebe zeigt sich uns in ihrem wahren Wesen und Adel, wenn
wir sie von ihrem Quellgrund her sehen; von Gott, der "Liebe ist", von ihm,
dem Vater, "nach dem alle Vaterschaft im Himmel und auf Erden ihren Namen
trägt7".
Weit davon entfernt, das bloße Produkt des Zufalls oder Ergebnis des blinden
Ablaufs von Naturkräften zu sein, ist die Ehe in Wirklichkeit vom
Schöpfergott in weiser Voraussicht so eingerichtet, daß sie in den Menschen
seinen Liebesplan verwirklicht. Darum streben Mann und Frau durch ihre
gegenseitige Hingabe, die ihnen in der Ehe eigen und ausschließlich ist,
nach jener personalen Gemeinschaft, in der sie sich gegenseitig vollenden,
um mit Gott zusammenzuwirken bei der Weckung und Erziehung neuen
menschlichen Lebens.
Darüber hinaus hat für die Getauften die Ehe die hohe Würde eines
sakramentalen Gnadenzeichens, und bringt darin die Verbundenheit Christi mit
seiner Kirche zum Ausdruck.
Eigenart der ehelichen Liebe
9. In diesem Licht wird die besondere Eigenart und Forderung der ehelichen
Liebe deutlich. Es kommt sehr darauf an, daß man davon die rechte
Vorstellung hat.
An erster Stelle müssen wir sie als vollmenschliche Liebe sehen; das heißt
als sinnenhaft und geistig zugleich. Sie entspringt darum nicht nur Trieb
und Leidenschaft, sondern auch und vor allem einem Entscheid des freien
Willens, der darauf hindrängt, in Freud und Leid des Alltags durchzuhalten,
ja dadurch stärker zu werden: so werden dann die Gatten ein Herz und eine
Seele und kommen gemeinsam zu ihrer menschlichen Vollendung.
Weiterhin ist es Liebe, die aufs Ganze geht; jene besondere Form personaler
Freundschaft, in der die Gatten alles großherzig miteinander teilen, weder
unberechtigte Vorbehalte machen noch ihren eigenen Vorteil suchen. Wer
seinen Gatten wirklich liebt, liebt ihn um seiner selbst willen, nicht nur
wegen dessen, was er von ihm empfängt. Und es ist seine Freude, daß er durch
seine Ganzhingabe bereichern darf.
Die Liebe der Gatten ist zudem treu und ausschließlich bis zum Ende des
Lebens; so wie sie Braut und Bräutigam an jenem Tag verstanden, da sie sich
frei und klar bewußt durch das gegenseitige eheliche Jawort aneinander
gebunden haben. Niemand kann behaupten, daß die Treue der Gatten - mag sie
auch bisweilen schwer werden - unmöglich sei. Im Gegenteil. Zu allen Zeiten
hatte sie ihren Adel und reiche Verdienste. Beispiele sehr vieler Ehepaare
im Lauf der Jahrhunderte sind der Beweis dafür: Treue entspricht nicht nur
dem Wesen der Ehe, sie ist darüber hinaus eine Quelle innigen, dauernden
Glücks.
Diese Liebe ist schließlich fruchtbar, da sie nicht ganz in der ehelichen
Vereinigung aufgeht, sondern darüber hinaus fortzudauern strebt und neues
Leben wecken will. "Ehe und eheliche Liebe sind ihrem Wesen nach auf die
Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft ausgerichtet. Kinder sind gewiß
die vorzüglichste Gabe für die Ehe und tragen zum Wohl der Eltern selbst
sehr bei."
Verantwortliche Elternschaft
10. Deshalb fordert die Liebe von den Ehegatten, daß sie ihre Aufgabe
verantwortlicher Elternschaft richtig erkennen. Diese Aufgabe, auf die man
heute mit gutem Recht ganz besonderen Wert legt, muß darum richtig
verstanden werden. Sie muß aber unter verschiedenen berechtigten,
miteinander zusammenhängenden Gesichtspunkten betrachtet werden.
Was zunächst die biologischen Vorgänge angeht, bedeutet
verantwortungsbewußte Elternschaft die Kenntnis und die Beachtung der mit
ihnen zusammenhängenden Funktionen. So vermag der Mensch in seinen
Fortpflanzungskräften die biologischen Gesetze zu entdecken, die zur
menschlichen Person gehören9.
Was dann psychologisch Trieb und Leidenschaft betrifft, so meint
verantwortungsbewußte Elternschaft ihre erforderliche Beherrschung durch
Vernunft und Willen.
Im Hinblick schließlich auf die gesundheitliche, wirtschaftliche, seelische
und soziale Situation bedeutet verantwortungsbewußte Elternschaft, daß man
entweder, nach klug abwägender Überlegung, sich hochherzig zu einem größeren
Kinderreichtum entschließt, oder bei ernsten Gründen und unter Beobachtung
des Sittengesetzes zur Entscheidung kommt, zeitweise oder dauernd auf
weitere Kinder zu verzichten.
Endlich und vor allem hat verantwortungsbewußte Elternschaft einen inneren
Bezug zur sogenannten objektiven sittlichen Ordnung, die auf Gott
zurückzuführen ist, und deren Deuterin das rechte Gewissen ist. Die Aufgabe
verantwortungsbewußter Elternschaft verlangt von den Gatten, daß sie in
Wahrung der rechten Güter- und Wertordnung ihre Pflichten gegenüber Gott,
sich selbst, gegenüber ihrer Familie und der menschlichen Gesellschaft
anerkennen.
Daraus folgt, daß sie bei der Aufgabe, das Leben weiterzugeben, keineswegs
ihrer Willkür folgen dürfen, gleichsam als hinge die Bestimmung der sittlich
gangbaren Wege von ihrem eigenen und freien Ermessen ab. Sie sind vielmehr
verpflichtet, ihr Verhalten auf den göttlichen Schöpfungsplan auszurichten,
der einerseits im Wesen der Ehe selbst und ihrer Akte zum Ausdruck kommt,
den anderseits die beständige Lehre der Kirche kundtut.
Achtung vor dem Wesen und der Zielsetzung des ehelichen Aktes
11. Jene Akte, die eine intime und keusche Vereinigung der Gatten darstellen
und die das menschliche Leben weitertragen, sind, wie das letzte Konzil
betont hat, "zu achten und zu ehren"; sie bleiben auch sittlich erlaubt bei
vorauszusehender Unfruchtbarkeit, wenn deren Ursache keineswegs im Willen
der Gatten liegt; denn die Bestimmung dieser Akte, die Verbundenheit der
Gatten zum Ausdruck zu bringen und zu bestärken, bleibt bestehen. Wie die
Erfahrung lehrt, geht tatsächlich nicht aus jedem ehelichen Verkehr neues
Leben hervor. Gott hat ja die natürlichen Gesetze und Zeiten der
Fruchtbarkeit in seiner Weisheit so gefügt, daß diese schon von selbst
Abstände in der Aufeinanderfolge der Geburten schaffen. Indem die Kirche die
Menschen zur Beobachtung des von ihr in beständiger Lehre ausgelegten
natürlichen Sittengesetzes anhält, lehrt sie nun, daß "jeder eheliche Akt"
von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet bleiben muß.
Untrennbarkeit von liebender Vereinigung und Fortpflanzung
12. Diese vom kirchlichen Lehramt oft dargelegte Lehre gründet in einer von
Gott bestimmten unlösbaren Verknüpfung der beiden Sinngehalte - liebende
Vereinigung und Fortpflanzung -, die beide dem ehelichen Akt innewohnen.
Diese Verknüpfung darf der Mensch nicht eigenmächtig auflösen.
Seiner innersten Struktur nach befähigt der eheliche Akt, indem er den
Gatten und die Gattin aufs engste miteinander vereint, zugleich zur Zeugung
neuen Lebens, entsprechend den Gesetzen, die in die Natur des Mannes und der
Frau eingeschrieben sind. Wenn die beiden wesentlichen Gesichtspunkte der
liebenden Vereinigung und der Fortpflanzung beachtet werden, behält der
Verkehr in der Ehe voll und ganz den Sinngehalt gegenseitiger und wahrer
Liebe, und seine Hinordnung auf die erhabene Aufgabe der Elternschaft, zu
der der Mensch berufen ist. Unserer Meinung nach sind die Menschen unserer
Zeit durchaus imstande, die Vernunftgemäßheit dieser Lehre zu erfassen.
Treue zum Schöpfungsplan Gottes
13. Man weist ja mit Recht darauf hin, daß ein dem Partner aufgenötigter
Verkehr, der weder auf sein Befinden noch auf seine berechtigten Wünsche
Rücksicht nimmt, kein wahrer Akt der Liebe ist, daß solche Handlungsweise
vielmehr dem widerspricht, was mit Recht die sittliche Ordnung für das
Verhältnis der beiden Gatten zueinander verlangt. Ebenso muß man dann auch,
wenn man darüber nachdenkt, zugeben: Ein Akt gegenseitiger Liebe
widerspricht dem göttlichen Plan, nach dem die Ehe entworfen ist, und dem
Willen des ersten Urhebers menschlichen Lebens, wenn er der vom Schöpfergott
in ihn nach besonderen Gesetzen hineingelegten Eignung, zur Weckung neuen
Lebens beizutragen, abträglich ist. Wenn jemand daher einerseits Gottes Gabe
genießt und anderseits - wenn auch nur teilweise - Sinn und Ziel dieser Gabe
ausschließt, handelt er somit im Widerspruch zur Natur des Mannes und der
Frau und deren inniger Verbundenheit; er stellt sich damit gegen Gottes Plan
und heiligen Willen. Wer das Geschenk ehelicher Liebe genießt und sich dabei
an die Zeugungsgesetze hält, der verhält sich nicht, als wäre er Herr über
die Quellen des Lebens, sondern er stellt sich vielmehr in den Dienst des
auf den Schöpfer zurückgehenden Planes. Wie nämlich der Mensch ganz
allgemein keine unbeschränkte Verfügungsmacht über seinen Körper hat, so im
besonderen auch nicht über die Zeugungskräfte als solche, sind doch diese
ihrer innersten Natur nach auf die Weckung menschlichen Lebens angelegt,
dessen Ursprung Gott ist. "Das menschliche Leben muß allen etwas Heiliges
sein", mahnt Unser Vorgänger Johannes XXIII., "denn es verlangt von seinem
ersten Aufkeimen an das schöpferische Eingreifen Gottes."
Unerlaubte Wege der Geburtenregelung
14. Gemäß diesen fundamentalen Grundsätzen menschlicher und christlicher
Eheauffassung müssen Wir noch einmal öffentlich erklären: Der direkte
Abbruch einer begonnenen Zeugung, vor allem die direkte Abtreibung - auch
wenn zu Heilzwecken vorgenommen -, sind kein rechtmäßiger Weg, die Zahl der
Kinder zu beschränken, und daher absolut zu verwerfen.
Gleicherweise muß, wie das kirchliche Lehramt des öfteren dargetan hat, die
direkte, dauernde oder zeitlich begrenzte Sterilisierung des Mannes oder der
Frau verurteilt werden.
Ebenso ist jede Handlung verwerflich, die entweder in Voraussicht oder
während des Vollzugs des ehelichen Aktes oder im Anschluß an ihn beim Ablauf
seiner natürlichen Auswirkungen darauf abstellt, die Fortpflanzung zu
verhindern, sei es als Ziel, sei es als Mittel zum Ziel.
Man darf, um diese absichtlich unfruchtbar gemachten ehelichen Akte zu
rechtfertigen, nicht als Argument geltend machen, man müsse das Übel wählen,
das als das weniger schwere erscheine; auch nicht, daß solche Akte eine
gewisse Einheit darstellen mit früheren oder nachfolgenden fruchtbaren Akten
und deshalb an ihrer einen und gleichen Gutheit teilhaben. Wenn es auch
zuweilen erlaubt ist, das kleinere sittliche Übel zu dulden, um ein größeres
zu verhindern oder um etwas sittlich Höherwertiges zu fördern, so ist es
dennoch niemals erlaubt - auch aus noch so ernsten Gründen nicht -, Böses zu
tun um eines guten Zweckes willen: das heißt etwas zu wollen, was seiner
Natur nach die sittliche Ordnung verletzt und deshalb als des Menschen
unwürdig gelten muß; das gilt auch, wenn dies mit der Absicht geschieht, das
Wohl des einzelnen, der Familie oder der menschlichen Gesellschaft zu
schützen oder zu fördern. Völlig irrig ist deshalb die Meinung, ein
absichtlich unfruchtbar gemachter und damit in sich unsittlicher ehelicher
Akt könne durch die fruchtbaren ehelichen Akte des gesamtehelichen Lebens
seine Rechtfertigung erhalten.
Erlaubtheit therapeutischer Mittel
15. Die Kirche hält aber jene therapeutischen Maßnahmen, die zur Heilung
körperlicher Krankheiten notwendig sind, nicht für unerlaubt, auch wenn
daraus aller Voraussicht nach eine Zeugungsverhinderung eintritt.
Voraussetzung dabei ist, daß diese Verhinderung nicht aus irgendeinem Grunde
direkt angestrebt wird.
Erlaubte Inanspruchnahme unfruchtbarer Perioden
16. Allein dieser Lehre der Kirche über die Gestaltung der ehelichen
Sittlichkeit halten einige heute entgegen, wie schon oben (Nr. 3) erwähnt,
es sei Recht und Aufgabe der menschlichen Vernunft, die ihr von der
Naturwelt dargebotenen Kräfte zu steuern und auf Ziele auszurichten, die dem
Wohl des Menschen entsprechen. Ja, man fragt: Ist nicht in diesem
Zusammenhang in vielen Situationen künstliche Geburtenregelung vernünftiger,
wenn man nämlich damit mehr Frieden und Eintracht in der Familie erreichen
und für die Erziehung schon lebender Kinder bessere Bedingungen schaffen
kann? Auf diese Frage ist entschieden zu antworten: Die Kirche ist die
erste, die den Einsatz der menschlichen Vernunft anerkennt und empfiehlt,
wenn es um ein Werk geht, das den vernunftbegabten Menschen so eng mit
seinem Schöpfer verbindet; aber ebenso betont sie, daß man sich dabei an die
von Gott gesetzte Ordnung halten muß.
Wenn also gerechte Gründe dafür sprechen, Abstände einzuhalten in der
Reihenfolge der Geburten - Gründe, die sich aus der körperlichen oder
seelischen Situation der Gatten oder aus äußeren Verhältnissen ergeben -,
ist es nach kirchlicher Lehre den Gatten erlaubt, dem natürlichen Zyklus der
Zeugungsfunktionen zu folgen, dabei den ehelichen Verkehr auf die
empfängnisfreien Zeiten zu beschränken und die Kinderzahl so zu planen, daß
die oben dargelegten sittlichen Grundsätze nicht verletzt werden.
Die Kirche bleibt sich und ihrer Lehre treu, wenn sie einerseits die
Berücksichtigung der empfängnisfreien Zeiten durch die Gatten für erlaubt
hält, andererseits den Gebrauch direkt empfängnisverhütender Mittel als
immer unerlaubt verwirft auch wenn für diese andere Praxis immer wieder
ehrbare und schwerwiegende Gründe angeführt werden. Tatsächlich handelt es
sich um zwei ganz unterschiedliche Verhaltensweisen: bei der ersten machen
die Eheleute von einer naturgegebenen Möglichkeit rechtmäßig Gebrauch; bei
der anderen dagegen hindern sie den Zeugungsvorgang bei seinem natürlichen
Ablauf. Zweifellos sind in beiden Fällen die Gatten sich einig, daß sie aus
guten Gründen Kinder vermeiden wollen, und dabei möchten sie auch sicher
sein. Jedoch ist zu bemerken, daß nur im ersten Fall die Gatten sich in
fruchtbaren Zeiten des ehelichen Verkehrs enthalten können, wenn aus
berechtigten Gründen keine weiteren Kinder mehr wünschenswert sind. In den
empfängnisfreien Zeiten aber vollziehen sie dann den ehelichen Verkehr zur
Bezeugung der gegenseitigen Liebe und zur Wahrung der versprochenen Treue.
Wenn die Eheleute sich so verhalten, geben sie wirklich ein Zeugnis der
rechten Liebe.
Ernste Folgen der Methoden einer künstlichen Geburtenregelung
17. Verständige Menschen können sich noch besser von der Wahrheit der
kirchlichen Lehre überzeugen, wenn sie ihr Augenmerk auf die Folgen der
Methoden der künstlichen Geburtenregelung richten. Man sollte vor allem
bedenken, wie bei solcher Handlungsweise sich ein breiter und leichter Weg
einerseits zur ehelichen Untreue, anderseits zur allgemeinen Aufweichung der
sittlichen Zucht auftun könnte. Man braucht nicht viel Erfahrung, um zu
wissen, wie schwach der Mensch ist, und um zu begreifen, daß der Mensch -
besonders der Jugendliche, der gegenüber seiner Triebwelt so verwundbar ist
- anspornender Hilfe bedarf, um das Sittengesetz zu beobachten, und daß es
unverantwortlich wäre, wenn man ihm die Verletzung des Gesetzes selbst
erleichterte. Auch muß man wohl befürchten: Männer, die sich an
empfängnisverhütende Mittel gewöhnt haben, könnten die Ehrfurcht vor der
Frau verlieren, und, ohne auf ihr körperliches Wohl und seelisches
Gleichgewicht Rücksicht zu nehmen, sie zum bloßen Werkzeug ihrer
Triebbefriedigung erniedrigen und nicht mehr als Partnerin ansehen, der man
Achtung und Liebe schuldet.
Schließlich ist sehr zu bedenken, welch gefährliche Macht man auf diese
Weise jenen staatlichen Behörden in die Hand gäbe, die sich über sittliche
Grundsätze hinwegsetzen. Wer könnte es Staatsregierungen verwehren, zur
Überwindung der Schwierigkeiten ihrer Nationen für sich in Anspruch zu
nehmen, was man Ehegatten als erlaubte Lösung ihrer Familienprobleme
zugesteht? Wer könnte Regierungen hindern, empfängnisverhütende Methoden zu
fördern, die ihnen am wirksamsten zu sein scheinen, ja sogar ihre Anwendung
allgemein vorzuschreiben, wo immer es ihnen notwendig erscheint? Auf diese
Weise könnte es geschehen, daß man, um Schwierigkeiten persönlicher,
familiärer oder sozialer Art, die sich aus der Befolgung des göttlichen
Gesetzes ergeben, zu vermeiden, es dem Ermessen staatlicher Behörden
zugestände, sich in die ganz persönliche und intime Aufgabe der Eheleute
einzumischen.
Will man nicht den Dienst an der Weitergabe des Lebens menschlicher Willkür
überlassen, dann muß man für die Verfügungsmacht des Menschen über den
eigenen Körper und seine natürlichen Funktionen unüberschreitbare Grenzen
anerkennen, die von niemand, sei es Privatperson oder öffentliche Autorität,
verletzt werden dürfen. Diese Grenzen bestimmen sich einzig aus der
Ehrfurcht, die dem menschlichen Leibe in seiner Ganzheit und seinen
natürlichen Funktionen geschuldet wird: und zwar entsprechend den oben
dargelegten Grundsätzen und dem recht verstandenen sogenannten
Ganzheitsprinzip, so wie es Unser Vorgänger Pius XII. erläutert hat.
Die Kirche als Garant der wahren Werte des Menschen
18. Es ist vorauszusehen, daß vielleicht nicht alle diese überkommene Lehre
ohne weiteres annehmen werden; es werden sich, verstärkt durch die modernen
Kommunikationsmittel, zu viele Gegenstimmen gegen das Wort der Kirche
erheben. Die Kirche aber, die es nicht überrascht, daß sie ebenso wie ihr
göttlicher Stifter gesetzt ist "zum Zeichen, dem widersprochen wird", steht
dennoch zu ihrem Auftrag, das gesamte Sittengesetz, das natürliche und
evangelische, demütig, aber auch fest zu verkünden.
Die Kirche ist ja nicht Urheberin dieser beiden Gesetze; sie kann deshalb
darüber nicht nach eigenem Ermessen entscheiden, sondern nur Wächterin und
Auslegerin sein; niemals darf sie etwas für erlaubt erklären, was in
Wirklichkeit unerlaubt ist, weil das seiner Natur nach dem wahren Wohl des
Menschen widerspricht.
Indem sie das eheliche Sittengesetz unverkürzt wahrt, weiß die Kirche sehr
wohl, daß sie zum Aufbau echter menschlicher Kultur beiträgt; darüber hinaus
spornt sie den Menschen an, sich nicht seiner Verantwortung dadurch zu
entziehen, daß er sich auf technische Mittel verläßt; damit sichert sie die
Würde der Eheleute. Indem die Kirche so dem Beispiel und der Lehre unseres
göttlichen Erlösers getreu vorgeht, zeigt sie, daß ihre aufrichtige und
uneigennützige Liebe den Menschen begleitet: sie will ihm helfen in dieser
Welt, daß er wirklich als Kind am Leben des lebendigen Gottes teilhat, der
aller Menschen Vater ist.
III.
Seelsorgliche Richtlinien
Die Kirche als Mutter und Lehrmeisterin
19. Unsere Worte wären nicht der volle und deutliche Ausdruck der Gedanken
und Sorgen der Kirche, der Mutter und Lehrmeisterin aller Völker, wenn sie
den Menschen, die sie zur treuen Befolgung von Gottes Gebot über die Ehe
auffordern, nicht auch in den schweren Situationen, unter denen heute
Familien und Völker leiden, Hilfen böten bei der Durchführung einer sittlich
geordneten Geburtenregelung. Die Kirche kann sich ja zu den Menschen nicht
anders verhalten als unser göttlicher Erlöser: sie kennt die Schwachheit der
Menschen, sie hat Erbarmen mit den Scharen, sie nimmt sich der Sünder an;
sie muß aber jenes Gesetz lehren, das wirklich das Gesetz des menschlichen
Lebens ist: jenes Lebens, das auf seine ursprüngliche Wahrheit
zurückgeführt, von Gottes Geist bewegt wird.
Möglichkeit der Beobachtung des göttlichen Gesetzes
20. Die Verwirklichung der Lehre über die rechte Geburtenregelung, die die
Kirche als Gottes Gebot selbst verkündet, erscheint zweifellos vielen
schwer, ja sogar ganz unmöglich. Aber wie jedes besonders hohe und wertvolle
Gut verlangt dieses Gesetz vom einzelnen Menschen, von der Familie und von
der menschlichen Gesellschaft feste Entschlüsse und viele Anstrengungen. Ja,
seine Befolgung ist nicht möglich ohne die helfende Gnade Gottes, die den
guten Willen des Menschen stützt und stärkt. Wer aber tiefer nachdenkt, wird
erkennen, daß diese Anstrengungen die Würde des Menschen erhöhen und
beitragen zum Wohl der menschlichen Gesellschaft.
Selbstbeherrschung
21. Sittlich geordnete Geburtenregelung aber verlangt von den Gatten vor
allem eine volle Anerkennung und Wertschätzung der wahren Güter des Lebens
und der Familie, ferner eine ständige Bemühung um allseitige Beherrschung
ihrer selbst und ihres Trieblebens. Ganz sicher ist diese geistige
Herrschaft über den Naturtrieb ohne Askese nicht möglich. Nur so vermag man
die dem ehelichen Leben eigentümlichen Ausdrucksformen der Liebe in Einklang
zu bringen mit der rechten Ordnung. Das gilt besonders für jene Zeiten, in
denen man Enthaltsamkeit üben muß. Solche Selbstzucht, Ausdruck ehelicher
Keuschheit, braucht keineswegs der Gattenliebe zu schaden; sie erfüllt sie
vielmehr mit einem höheren Sinn für Menschlichkeit. Solche Selbstzucht
verlangt zwar beständiges Sich-Mühen; ihre heilsame Kraft aber führt die
Gatten zu einer volleren Entfaltung ihrer selbst und macht sie reich an
geistlichen Gütern. Sie schenkt der Familie wahren Frieden und hilft, auch
sonstige Schwierigkeiten zu meistern. Sie fördert bei den Gatten
gegenseitige Achtung und Besorgtsein füreinander; sie hilft den Eheleuten,
ungezügelte Selbstsucht, die der wahren Liebe widerspricht, zu überwinden,
sie hebt bei ihnen das Verantwortungsbewußtsein für die Erfüllung ihrer
Aufgaben. Sie verleiht den Eltern bei der Erziehung der Kinder eine
innerlich begründete, wirkungsvollere Autorität: dementsprechend werden dann
Kinder und junge Menschen mit fortschreitendem Alter zu den wahren
menschlichen Werten die rechte Einstellung bekommen und die Kräfte ihres
Geistes und ihrer Sinne in glücklicher Harmonie entfalten.
Schaffung einer für die Keuschheit gedeihlichen Atmosphäre
22. Bei dieser Gelegenheit wollen Wir die Erzieher und alle, die für das
Gemeinwohl der menschlichen Gesellschaft verantwortlich sind, an die
Notwendigkeit erinnern, ein Klima zu schaffen, das geschlechtlich
zuchtvolles Verhalten begünstigt. So überwindet wahre Freiheit
Ungebundenheit durch Wahrung der sittlichen Ordnung.
Alle, denen der Fortschritt der menschlichen Kultur und der Schutz der
wesentlichen Güter der Seele am Herzen liegt, müssen einstimmig verurteilen,
was bei den modernen Massenmedien dazu beiträgt, die Sinne aufzupeitschen
und Sittenverfall zu verbreiten, ebenso jede Form von Pornographie in
Schrift, Wort und Darstellung. Man soll doch nicht versuchen, solche
Entartung mit Berufung auf Kunst und Wissenschaft zu rechtfertigen oder mit
dem Hinweis auf die Freiheit, die vielleicht in diesem Bereich die
staatlichen Stellen gewähren.
Appell an die staatlichen Behörden
23. Daher richten Wir das Wort an die Regierungen, denen vor allem die
Verantwortung für den Schutz des Gemeinwohls obliegt und die soviel zur
Wahrung der guten Sitten beitragen können: Duldet niemals, daß die guten
Sitten eurer Völker untergraben werden; verhindert unter allen Umständen,
daß durch Gesetze in die Familie, die Keimzelle des Staates, Praktiken
eindringen, die zum natürlichen und göttlichen Gesetz im Widerspruch stehen.
Um das Problem des Bevölkerungszuwachses zu lösen, kann und muß die
staatliche Gewalt einen anderen Weg gehen: den einer weisen und
vorausschauenden Familien- und Bildungspolitik, die das Sittengesetz und die
Freiheit der Bürger sicherstellt.
Wir wissen sehr wohl um die Schwierigkeiten, die hier die Regierungen haben,
zumal in den Entwicklungsländern. Unser Verständnis für diese begründeten
Sorgen beweist Unsere Enzyklika "Populorum progressio". Hier aber
wiederholen Wir mit Unserem Vorgänger Johannes XXIII.: "Bei Behandlung und
Lösung dieser Fragen darf der Mensch weder Wege gehen noch Mittel anwenden,
die im Widerspruch zu seiner Würde stehen, wie sie von jenen ungescheut
angeboten werden, die vom Menschen und seinem Leben rein materialistisch
denken. Unserer Überzeugung nach läßt sich die Frage nur lösen, wenn beim
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt sowohl der einzelnen wie
des ganzen Menschheitsgeschlechtes die echt menschlichen Güter und Werte
geachtet und gemehrt werden."
Sehr zu Unrecht würde man die göttliche Vorsehung für das verantwortlich
machen, was im Gegenteil eine Folge kurzsichtiger Politik ist, mangelnden
Sinns für soziale Gerechtigkeit, selbstsüchtiger Bereicherung, schließlich
fauler Nachlässigkeit in der Übernahme von Anstrengungen, die ein Volk mit
all seinen Bürgern zu höherem Lebensstandard führen könnten27. Möchten doch
alle Verantwortlichen, auf die es ankommt - wie es einige schon
ausgezeichnet tun -, immer wieder mit allen Kräften ans Werk gehen. Man darf
nicht nachlassen im Eifer, sich innerhalb der großen Menschenfamilie
gegenseitig zu helfen; hier öffnet sich, meinen Wir, ein schier unbegrenztes
Betätigungsfeld für die großen überstaatlichen Einrichtungen.
An die Wissenschaftler
24. Wir möchten nun Unsern Appell an die Männer der Wissenschaft richten,
"die dem Wohl von Ehe und Familie und dem Frieden des Gewissens sehr dienen,
wenn sie durch ihre gemeinsame wissenschaftliche Arbeit die Voraussetzungen
für eine sittlich einwandfreie Geburtenregelung genauer zu klären
versuchen". Vor allem ist zu wünschen - was schon Pius XII. gesagt hat -,
daß aufbauend auf dem Wissen um die natürlichen Zyklen die Medizin für eine
sittlich geordnete Geburtenregelung sichere Grundlagen zu schaffen vermag29.
So werden dann die Wissenschaftler - besonders die Katholiken unter ihnen -
durch ihren Beitrag beweisen, daß es so ist, wie die Kirche lehrt: daß
nämlich "es keinen wahren Widerspruch geben kann zwischen den göttlichen
Gesetzen hinsichtlich der Übermittlung des Lebens und dem, was echter
ehelicher Liebe dient".
An die christlichen Eheleute
25. Nun richtet sich Unser Wort insbesondere an Unsere Söhne und Töchter,
besonders an diejenigen, die Gott beruft, ihm im Ehestande zu dienen. Indem
die Kirche die unumstößlichen Forderungen des göttlichen Gesetzes
weitergibt, verkündet sie das Heil und schließt in den Sakramenten Wege der
Gnade auf: dadurch wird der Mensch eine neue Schöpfung, die in Liebe und
echter Freiheit dem erhabenen Plan seines Schöpfers und Erlösers entspricht
und Sinn hat für die leichte Last Christi.
Indem sie in Demut seiner Stimme folgen, sollen die christlichen Eheleute
daran denken, daß ihre Berufung zum christlichen Leben, die in der Taufe
gründet, im Sakrament der Ehe entfaltet und gefestigt wurde. So werden sie
"gestärkt und gleichsam geweiht", um ihre Aufgaben treu erfüllen, ihre
Berufung zur Vollendung führen und vor der Welt das ihnen aufgetragene
christliche Zeugnis geben zu können. Diese Aufgabe hat der Herr ihnen
anvertraut, damit sie den Menschen jenes heilige und doch milde Gesetz
offenbar machen, das ihre gegenseitige Liebe und ihr Zusammenwirken mit der
Liebe Gottes, des Urhebers menschlichen Lebens, innig vereint.
Daß für das Leben christlicher Eheleute bisweilen ernste Schwierigkeiten
auftreten, leugnen Wir keineswegs: denn wie für jeden von uns ist auch für
sie "die Pforte eng und schmal der Weg, der zum Leben führt". Dennoch wird
die Hoffnung auf dieses Leben wie ein hellstrahlendes Licht ihren Weg
erleuchten, wenn sie tapferen Sinnes bemüht sind, "nüchtern, gerecht und
gottesfürchtig in dieser Welt zu leben34", wohl wissend, daß "die Gestalt
dieser Welt vergeht".
Deshalb sollen die Eheleute die ihnen auferlegten Opfer bereitwillig auf
sich nehmen, gestärkt durch den Glauben und die Hoffnung, die "nicht
zuschanden werden läßt: denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere
Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ward36". Sie sollen ferner
in inständigem Gebet die Hilfe Gottes erflehen und vor allem aus der immer
strömenden Quelle der Eucharistie Gnade und Liebe schöpfen. Sollten aber
Sünden ihren Weg hemmen, dann mögen sie nicht den Mut verlieren, sondern
demütig und beharrlich zur Barmherzigkeit Gottes ihre Zuflucht nehmen, die
ihnen im Bußsakrament in reichem Maße geschenkt wird. So können die Eheleute
zu der ihnen als Gatten eigenen Vollkommenheit kommen, wie der Apostel sie
kennzeichnet: "Ihr Männer, liebet eure Frauen, wie Christus die Kirche
geliebt hat ... So sollen die Männer ihre Frauen lieben wie ihren eigenen
Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst. Hat doch niemand je sein
eigenes Fleisch gehaßt, sondern er hegt und pflegt es wie Christus seine
Kirche ... Dieses Geheimnis ist groß: ich meine im Hinblick auf Christus und
die Kirche. Wohlan, so liebe jeder von euch seine Frau ebenso wie sich
selbst; die Frau aber stehe in Ehrfurcht zum Manne."
Familienapostolat
26. Eine der edelsten Früchte, die aus dem unentwegten Bemühen der Eheleute
um die Befolgung des göttlichen Gesetzes heranreift, ist der häufige Wunsch
der Eheleute, andere an ihrer Erfahrung teilhaben zu lassen. So fügt sich
dem weiten Bereich der Laienberufung ein neues Apostolat ausgezeichneter Art
ein: der Dienst jener aneinander, die in gleicher Situation stehen: die
Eheleute übernehmen für andere Eheleute, denen gegenüber sie sich als Führer
erweisen, eine apostolische Aufgabe. Das scheint heute eine besonders
zeitgemäße Form des Apostolates zu sein.
An die Ärzte und ihre Helfer
27. Große Hochachtung zollen Wir den Ärzten und ihren Helfern, die in der
Ausübung ihres Berufes mehr darauf schauen, was ein christliches Berufsethos
von ihnen fordert als auf rein menschliche Interessen. Sie mögen beharrlich
bei dem Vorsatz bleiben, sich für die Lösungen einzusetzen, die dem Glauben
und der Vernunft entsprechen; sie mögen sich auch bemühen, ihre
Berufskollegen für die gleiche Einstellung zu gewinnen. Zudem sollen sie es
als besondere Aufgabe ihres Berufes betrachten, sich das notwendige Wissen
zu erwerben, um in diesem schwierigen Bereich Eheleute, die zu ihnen kommen,
recht beraten und ihnen verantwortbare Wege zeigen zu können, wie es mit Fug
und Recht von ihnen erwartet wird.
An die Priester
28. Liebe Priester, liebe Söhne! Durch euren heiligen Beruf seid ihr Berater
und geistliche Führer der einzelnen Menschen wie der Familien.
Voll Vertrauen möchten Wir Uns an euch wenden. Eure Pflicht ist es ja -
Unser Wort gilt besonders den Lehrern der Moraltheologie -, die kirchliche
Ehelehre unverfälscht und offen vorzulegen. Gebt an erster Stelle ihr bei
der Ausübung eures Amtes das Beispiel aufrichtigen Gehorsams, der innerlich
und nach außen dem kirchlichen Lehramt zu leisten ist. Wie ihr wohl wißt,
verpflichtet euch dieser Gehorsam nicht so sehr wegen der beigebrachten
Beweisgründe, als wegen des Lichtes des Heiligen Geistes, mit dem besonders
die Hirten der Kirche bei der Darlegung der Wahrheit ausgestattet sind39.
Ihr wißt auch, daß es zur Wahrung des inneren Friedens der einzelnen und der
Einheit des christlichen Volkes von größter Bedeutung ist, daß in Sitten-
wie in Glaubensfragen alle dem kirchlichen Lehramt gehorchen und die gleiche
Sprache sprechen. Deshalb machen Wir Uns die eindringlichen Worte des großen
Apostels Paulus zu eigen und appellieren erneut an euch aus ganzem Herzen:
"Ich ermahne euch, Brüder, ... daß Ihr alle in Eintracht redet; keine
Parteiungen soll es unter euch geben, vielmehr sollt ihr im gleichen Sinn
und in gleicher Überzeugung zusammenstehen."
Schlußwort
29. Ferner, wenn nichts von der Heilsiehre Christi zu unterschlagen eine
hervorragende Ausdrucksform der Liebe ist, so muß dies immer mit Duldsamkeit
und Liebe verbunden sein; dafür hat der Herr selbst durch sein Wort und Werk
den Menschen ein Beispiel gegeben. Denn obwohl er gekommen war; nicht um die
Welt zu richten, sondern zu retten41, war er zwar unerbittlich streng gegen
die Sünde, aber geduldig und barmherzig gegenüber den Sündern.
Bei ihren Schwierigkeiten und Nöten sollten die Eheleute im Wort und im
mitfühlenden Herzen des Priesters ein Echo der Stimme und der Liebe unseres
Erlösers finden.
Redet mit Zuversicht, liebe Söhne, überzeugt, daß der Heilige Geist, welcher
dem Lehramt bei der Darlegung der rechten Lehre beisteht, die Herzen der
Gläubigen erleuchtet und sie zur Zustimmung einlädt. Es geht nicht ohne
Gebet. Lehrt es die Eheleute; unterweist sie, daß sie oft, mit großem
Glauben, zu den Sakramenten der Eucharistie und der Buße kommen und niemals
wegen ihrer Schwachheit den Mut verlieren.
An die Bischöfe
30. Liebe und ehrwürdige Brüder im Bischofsamt! Am Ende dieses
Rundschreibens wenden Wir Uns in Ehrerbietung und Liebe an euch. Mit euch
teilen Wir besonders eng die Sorgen um das geistliche Wohl des Gottesvolkes.
An euch richtet sich Unsere dringende Bitte: Setzt euch, an der Spitze eurer
Mitarbeiter, der Priester, und eurer Gläubigen restlos und unverzüglich ein
für Schutz und Heiligkeit der Ehe; dafür, daß damit das Leben in der Ehe zu
menschlicher und christlicher Vollendung kommt. Das sollt ihr als die größte
und verantwortungsvollste Aufgabe ansehen, die euch heute anvertraut ist.
Ihr wißt sehr wohl, daß dieser Hirtendienst eine gewisse Abstimmung der
pastoralen Bemühungen aufeinander erfordert, die alle Bereiche menschlichen
Tuns umfaßt: den wirtschaftlichen, den der Bildung und den
gesellschaftlichen. Gleichzeitiger Fortschritt auf allen diesen Gebieten
wird das Leben von Eltern und Kindern in der Familie erträglicher, leichter
und froher machen. Bei ehrfürchtiger Wahrung von Gottes Plan mit der Welt
wird auch das Leben der menschlichen Gesellschaft durch brüderliche Liebe
reicher und durch wahren Frieden gesicherter werden.
31. Euch, ehrwürdige Brüder, liebe Söhne und Töchter, und euch alle,
Menschen guten Willens, rufen Wir auf zu einem wahrhaft großen Werk der
Erziehung und des Fortschritts und der Liebe. Wir stützen Uns dabei auf die
feste Lehre der Kirche, die der Nachfolger des heiligen Petrus, gemeinsam
mit den Brüdern im katholischen Bischofsamt, treu bewahrt und auslegt.
Dieses wahrhaft große Werk, davon sind Wir fest überzeugt, gereicht sowohl
der Welt wie der Kirche zum Segen. Nur wenn der Mensch sich an die von Gott
in seine Natur eingeschriebenen und darum weise und liebevoll zu achtenden
Gesetze hält, kann er zum wahren, sehnlichst erstrebten Glück gelangen. Für
dieses große Werk erflehen Wir nicht nur euch allen, sondern besonders den
Eheleuten, vom allheiligen und allbarmherzigen Gott die Fülle himmlischer
Gnade und erteilen euch als deren Unterpfand von Herzen Unseren
Apostolischen Segen.
Rom, bei St. Peter, am 25. Juli, am Fest des
heiligen Apostels Jakobus 1968, im sechsten Jahre Unseres Pontifikats.
PAPST PAUL VI.