Papst
Pius XI.
Enzyklika »Mortalium
animos«
Weltrundschreiben des Heiligen Vaters Pius XI.
vom 6. Januar 1928
über religiöse Einheit
An die ehrwürdigen Brüder, die Patriarchen, Primaten,
Erzbischöfe, Bischöfe und anderen Hirten, die in Frieden und Gemeinschaft mit
dem Apostolischen Stuhl leben.
Erwürdige Brüder, Gruß und Apostolischen Segen!
Die Herzen der Sterblichen hat wohl zu keiner andern
Zeit ein solcher Eifer ergriffen, das Band der brüderlichen Verbundenheit, durch
das wir alle auf Grund unseres gleichen Ursprungs und der gleichen Natur
miteinander verknüpft und verkettet sind, zu bestärken und zum Wohl der ganzen
menschlichen Gesellschaft immer weiter auszudehnen, als wir es in unseren Tagen
beobachten können. Die Völker genießen noch nicht in vollem Maße die Segnungen
des Friedens. Ja noch mehr: alte und neue Zerwürfnisse führen mancherorts zu
Aufständen und zu Bürgerzwisten. All die vielen Streitfragen auf dem Gebiete der
Ruhe und der Wohlfahrt der Völker können aber nur durch einträchtiges
Zusammenarbeiten und Zusammenwirken aller jener gelöst werden, die an der Spitze
der Staaten stehen und denen die Leitung und Förderung der Staatsangelegenheiten
anvertraut ist. Anderseits zweifelt niemand mehr an der Einheit der ganzen
Menschheit. So versteht man leicht, weshalb viele den lebhaften Wunsch hegen,
die Völker möchten, bewogen durch ihre gemeinsame brüderliche Verbundenheit, die
Bande ihrer gegenseitigen Zusammengehörigkeit von Tag zu Tag enger knüpfen.
Ganz ähnlich wollen nun einige auch auf dem Gebiete vorgehen, das der von
Christus dem Herrn festgelegten Ordnung des Neuen Bundes unterliegt. Durch die
Erkenntnis der Tatsache, daß es nur sehr wenige Menschen gibt, denen jeder
religiöse Sinn abgeht, glauben sie sich zu der Hoffnung berechtigt, es werde
sich bei aller Verschiedenheit der Völker bezüglich der religiösen Ansichten
doch ohne Schwierigkeit eine brüderliche Übereinstimmung im Bekenntnis gewisser
Wahrheiten als gemeinsamer Grundlage des religiösen Lebens erreichen lassen. Zu
diesem Zwecke halten sie vor einer zahlreichen Zuhörerschaft Konferenzen,
Versammlungen und Vorträge, zu denen sie alle ohne jeden Unterschied zur
Aussprache einladen: Heiden jeder Art und Christen, und endlich auch jene, die
unseligerweise von Christus abgefallen sind oder die seine göttliche Natur und
seine göttliche Sendung erbittert und hartnäckig bekämpfen.
Derartige Versuche können von den Katholiken in keiner Weise gebilligt
werden. Sie gehen ja von der falschen Meinung jener aus, die da glauben, alle
Religionen seien gleich gut und lobenswert, weil alle, wenn auch in
verschiedenen Formen, doch gleichermaßen dem uns angeborenen und natürlichen
Sinn Ausdruck geben, durch den wir nach Gott verlangen und uns seiner
Oberherrschaft gehorsam unterwerfen. Die Vertreter solcher Ansichten sind nun
nicht nur in Irrtum und Selbsttäuschung befangen, sondern sie lehnen auch die
wahre Religion ab, indem sie ihren Begriff verfälschen. Auf diese Weise kommen
sie Schritt für Schritt zum Naturalismus und Atheismus. Daraus ergibt sich dann
ganz klar die Folgerung, daß jeder, der solchen Ansichten und Bemühungen
beipflichtet, den Boden der von Gott geoffenbarten Religion vollständig
verläßt.
Allzuleicht werden manche durch die Vorspiegelung einer scheinbar guten Sache
getäuscht, wenn es sich darum handelt, die Einheit aller Christen untereinander
zu fördern. Ist es nicht billig, - so sagt man - ja, ist es nicht heilige
Pflicht, daß alle, die den Namen Christi anrufen, von den gegenseitigen
Verketzerungen ablassen und endlich einmal durch das Band gegenseitiger Liebe
verbunden werden? Wie könnte denn jemand den Mut haben zu sagen, er liebe
Christus, wenn er sich nicht nach besten Kräften für die Erfüllung des Wunsches
Christi einsetzt, der da den Vater bat, daß seine Jünger eins seien.1
War es nicht auch der Wille desselben Christus, daß seine Jünger daran erkannt
und dadurch von allen anderen unterschieden werden sollten, daß sie sich
gegenseitig lieben: Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn
ihr einander liebt2.
Ja, so fügen sie hinzu, möchten doch alle Christen "eins" sein! Um wieviel
erfolgreicher würden sie dann an der Bekämpfung der schleichenden Pest der
Gottlosigkeit arbeiten können, die jetzt täglich weiter um sich greift und im
Begriff ist, das Evangelium vollständig um seine Kraft und Wirkung zu bringen.
So und ähnlich reden in stolzer Sprache jene, die man Panchristen nennt. Man
glaube nicht, es handle sich bei ihnen nur um vereinzelte kleine Gruppen. Im
Gegenteil: sie sind zu ganzen Scharen angewachsen und haben sich zu
weitverbreiteten Gesellschaften zusammengeschlossen, an deren Spitze meist
Nichtkatholiken der verschiedensten religiösen Bekenntnisse stehen. Ihr Beginnen
fördern sie inzwischen so tatkräftig, daß es weithin die Zustimmung des Volkes
gefunden hat. Ja, ihre Arbeit hat sogar viele Katholiken angezogen und
begeistert, die sich der Hoffnung hingeben, auf diesem Wege lasse sich eine
Einheit herbeiführen, wie sie auch wohl den Wünschen der heiligen Mutter, der
Kirche, entspricht. Liegt doch der heiligen Kirche nichts mehr am Herzen, als
die verlorenen Söhne wieder in ihren Mutterschoß zurückzurufen und heimzuführen.
Unter diesen überaus verlockenden und einschmeichelnden Worten verbirgt sich
aber ein schwerer Irrtum, der die Grundlage des katholischen Glaubens
vollständig zerstört und untergräbt.
So ermahnt Uns denn Unser apostolisches Pflichtbewußtsein, nicht zuzulassen,
daß verderbliche und falsche Anschauungen in die Kirche des Herrn eindringen.
Euch, ehrwürdige Brüder, und Eure Hirtensorge rufen wir auf, Uns bei der Abwehr
dieses Übels hilfreich zur Seite zu stehen. Wir hegen nämlich das feste
Vertrauen, daß die Grundsätze, die Wir vorlegen, und die Begründung derselben
durch Schrift und Wort eines jeden von Euch viel leichter in das Volk dringen
und besser vom Volk verstanden werden. Aus diesen Grundsätzen sollen dann die
Katholiken lernen, wie sie diese Bemühungen beurteilen und welche Stellung sie
einnehmen müssen gegenüber den Versuchen, die darauf hinzielen, alle Christen
ohne Unterschied auf jede Weise zu einer großen Einheit zu verbinden.
Gott, der Schöpfer aller Dinge, hat uns geschaffen, damit wir ihn erkennen
und ihm dienen, daraus ergibt sich für unseren Schöpfer ein unumschränktes Recht
auf unseren Dienst. Gott hätte zwar dem Menschen zu seiner Leitung nur das
Naturgesetz geben können, das er in das Herz des Menschen einschrieb und dessen
Entfaltung er mit seiner gewöhnlichen Vorsehung geregelt hätte. Er zog es jedoch
vor, uns Gesetze zu geben, denen wir Gehorsam schulden. Im Ablauf der Zeiten von
den ersten Tagen der Menschheit an bis auf die Ankunft und die Predigt Jesu
Christi lehrte Gott der Herr selbst uns die Pflichten, die dem vernunftbegabten
Geschöpfe seinem Schöpfer gegenüber obliegen. Zu wiederholten Malen und auf
mannigfache Art hat Gott einst durch die Propheten zu den Vätern gesprochen; am
Ende dieser Tage hat er durch seinen Sohn zu uns gesprochen.3
Daraus folgt, daß keine andere die wahre Religion sein kann als nur jene, die
sich auf Gottes Offenbarung stützt. Diese Offenbarung, die in der Urzeit begann
und im Alten Bunde fortgesetzt wurde, hat Christus Jesus selber im Neuen Bunde
zur Vollendung gebracht. Wenn aber Gott sprach, und daß er sprach, beweist das
Zeugnis der Geschichte, dann ist es Pflicht des Menschen, Gottes Offenbarung
bedingungslosen Glauben zu schenken und seinen Gesetzen ohne Einschränkung zu
gehorchen. Damit wir aber zur Ehre Gottes und zum Heile unserer Seele beides in
der rechten Weise tun könnten, hat der eingeborene Sohn Gottes seine Kirche auf
Erden gegründet. Alle, die sich Christen nennen, werden, so meinen Wir, nicht
umhin können zu glauben, daß Christus, der Herr, eine Kirche, und zwar nur eine
einzige gestiftet hat. Wenn wir aber weiter fragen, wie diese Kirche nach dem
Willen ihres Stifters sein muß, dann sind, schon nicht mehr alle derselben
Meinung. Sehr viele von ihnen leugnen z. B. die Sichtbarkeit der Kirche,
wenigstens in dem Sinne, daß sie in der Form einer einzigen Gemeinschaft von
Gläubigen in Erscheinung treten müsse, die in gleicher Lehre unter einem Lehr-
und Hirtenamt geeint sind. Unter der Sichtbarkeit verstehen sie vielmehr gar
nichts anderes als einen aus den verschiedenen christlichen Bekenntnissen
bestehenden Kirchenbund, mögen auch die einzelnen Bekenntnisse verschiedene und
sogar sich widersprechende Lehren bekennen.
Christus, der Herr, hat aber seine Kirche als selbständige und aus ihrem
Wesen heraus sichtbare und äußerlich erkennbare Gesellschaft gegründet. Dieser
Kirche gab er den Auftrag, das Werk der Erlösung der Menschheit bis in die
spätesten Zeiten hinein fortzusetzen unter der Führung eines Hauptes,4
durch das Lehramt der mündlichen Lehrverkündigung,5
und durch die Spendung der Sakramente, in denen die Quellen himmlischer Gnaden
fließen6.
Darum hat er sie auch in seinen Gleichnissen mit einem Reiche,7
mit einem Hause8
,mit einem Schafstall9
und mit einer Herde10
verglichen. Diese so wunderbar begründete Kirche konnte mit dem Tode ihres
Stifters und der Apostel, die ihr die erste Ausbreitung gaben, nicht aufhören
und untergehen. Sie hatte ja den Auftrag, alle Menschen ohne Unterschied der
Zeit und des Ortes zum ewigen Heile zu führen: Gehet hin und lehret alle
Völker.11
Wie kann dieser Kirche bei der immerdar fortdauernden Ausübung ihres Amtes
etwas an Kraft und Wirksamkeit fehlen, da ihr ja Christus stetsfort hilfreich
zur Seite steht, der feierlich versprach: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis
ans Ende der Welt?12
So kann es gar nicht anders sein, als daß die Kirche Christi nicht nur heute
und in alle Zeit fortbesteht, sondern sie muß auch heute noch die gleiche sein,
die sie zur Zeit der Apostel war. Sonst müßten wir sagen - was fern von uns sei
-, Christus der Herr sei nicht imstande gewesen, sein Vorhaben auszuführen, oder
er habe geirrt, als er sagte, die Mächte der Hölle würden seine Kirche nicht
überwältigen.13
An dieser Stelle müssen wir eine falsche Ansicht erwähnen und zurückweisen,
von der diese ganze Frage abhängt, und von der auch die ganze vielgestaltige
Arbeit und die Versuche der Nichtkatholiken zur Wiedervereinigung der
christlichen Kirchen, die Wir oben erwähnt haben, ihren Ausgang nehmen.
Die Vorkämpfer dieser Bemühungen führen unzählige Male das Wort Christi an:
Damit alle eins seien, und: Es wird werden ein Hirt und eine Herde.14
Diese Worte führen sie aber immer so an, als ob darin ein Wunsch und ein Gebet
Jesu Christi zum Ausdruck kämen, die noch der Erfüllung harren. Sie sind nämlich
der Meinung, die Einheit im Glauben und in der Leitung der Kirche, die ein
Kennzeichen der wahren und einen Kirche Christi ist, habe bisher wohl noch zu
keiner Zeit bestanden und bestehe auch heute nicht. Man könne diese Einheit wohl
herbeisehnen, und sie könne vielleicht auch einmal durch den gemeinsamen Willen
aller erreicht werden, aber für unsere Zeit sei sie nur ein schöner Traum.
Dem fügen sie bei, die Kirche bestehe aus sich heraus und ihrer Natur nach
aus verschiedenen Teilen, d. h. aus den verschiedensten Teilkirchen oder
getrennten Gemeinschaften, die jetzt noch getrennt sind, und die, wenn sie auch
manche Lehren gemeinsam haben, in anderen doch wieder voneinander abweichen.
Alle diese Teilkirchen hätten die gleichen Rechte. Auch sei die Kirche höchstens
von der Zeit der Apostel bis zu den ersten ökumenischen Konzilien nur eine
einzige und einig gewesen. Deshalb ergebe sich die Notwendigkeit, so sagen sie,
alle Meinungsverschiedenheiten und all die alten Streitpunkte, welche die
Christenheit bis auf den heutigen Tag spalten und trennen, vollkommen
hintanzusetzen und außer acht zu lassen. Aus den übrigen Lehren müsse eine
gemeinsame Glaubensregel aufgestellt und vorgelegt werden, in deren Bekenntnis
dann alle die Überzeugung und vor allem das lebhafte Gefühl ihrer brüderlichen
Verbundenheit in sich trügen. Diesem allgemeinen Kirchenbunde werde es dann auch
möglich sein, in ernster Arbeit dem stets voranschreitenden Unglauben
erfolgreichen Widerstand zu leisten.
Hierüber, ehrwürdige Brüder, herrscht unter ihnen Übereinstimmung. Einzelne
gehen dann noch weiter und geben zu, der Protestantismus habe einzelne
Glaubenswahrheiten und gewisse an sich gute und nützliche äußere
gottesdienstliche Gewohnheiten, die demgegenüber von der Römischen Kirche
beibehalten wurden, allzu voreilig verworfen. Sie fügen aber gleich hinzu, auch
die Römische Kirche habe unrecht gehandelt; sie habe die ursprüngliche Religion
` verderbt, indem sie einzelne neue Lehren eingeführt und zu glauben vorgestellt
habe, die dem Evangelium nicht nur fremd seien, sondern sogar im Widerspruch zu
ihm ständen. Dazu zählen sie als die wichtigste die Lehre vom
Jurisdiktionsprimat, der Petrus und seinen Nachfolgern auf dem Römischen Stuhle
zuerkannt wird. In dieser Gruppe gibt es einige, deren Zahl allerdings gering
ist, die dem Papst einen Ehrenprimat oder auch eine gewisse Jurisdiktion oder
Hirtengewalt zubilligen. Diese beruht aber nach inrer Ansicht nicht auf
göttlichem Recht, sondern gewissermaßen auf der Zustimmung der Gläubigen. Andere
gehen noch weiter und wünschen sogar, der Papst solle auf ihren freilich in
allen Farben schillernden Konferenzen den Vorsitz führen. Wenn man somit auch
viele Nichtkatholiken finden kann, welche die brüderliche Gemeinschaft in
Christus Jesus mit lauter Stimme preisen, so findet sich aber kein einziger, dem
es in den Sinn käme, sich der Lehre und der Leitung des Stellvertreters Jesu
Christi zu unterwerfen und ihm zu gehorchen. Inzwischen versichern sie jedoch,
mit der Römischen Kirche unter Wahrung der Rechtsgleichheit, d. h. als
vollständig gleichberechtigte Parteien, gerne verhandeln zu wollen. Über eines
besteht aber kein Zweifel: Wenn es zu gemeinsamen Besprechungen käme, so würden
sie nur in der Absicht verhandeln, daß sie in einem etwa abzuschließenden
Übereinkommen nicht gezwungen würden, von den Meinungen abzulassen, die auch
heute noch der Grund dafür sind, daß sie als irrende Schäflein außerhalb des
einen Schafstalls Christi stehen.
Bei dieser Sachlage ist es klar, daß weder der Apostolische Stuhl in
irgendeiner Weise an ihren Konferenzen teilnehmen kann, noch daß es den
Katholiken irgendwie erlaubt sein kann, diese Versuche zu unterstützen oder an
ihnen mitzuarbeiten. Wenn sie das täten, so würden sie einer falschen
christlichen Religion, die von der einen Kirche Christi grundverschieden ist,
Geltung verschaffen. Können wir dulden, was doch eine große Gottlosigkeit wäre,
daß die Wahrheit, und zwar die von Gott geoffenbarte Wahrheit zum Gegenstand von
Verhandlungen gemacht wird? Bei der gegenwärtigen Frage handelt es sich aber
darum, die geoffenbarte Wahrheit zu schützen. Christus Jesus hat doch seine
Apostel in alle Welt gesandt, um durch sie allen Völkern den Glauben des
Evangeliums zu verkünden, und um sie vor jedem Irrtum zu bewahren, sandte er
ihnen vor ihrer Aussendung den Heiligen Geist und ließ sie in alle Wahrheit
einführen.15
Ist nun diese Lehre der Apostel in der Kirche, der Gott selbst als Leiter und
Hüter immer zur Seite steht, jemals ganz verloren gegangen oder auch nur einmal
verdunkelt worden? Wenn unser Erlöser so klar sagte, sein Evangelium sei nicht
nur für das Zeitalter der Apostel bestimmt, sondern für alle Zeiten, konnte dann
der Glaubensinhalt im Laufe der Jahrhunderte so verdunkelt oder so unsicher
werden, daß man heute auch einander widersprechende Meinungen dulden müßte? Wenn
dem so wäre, dann müßte man auch zugeben, die Herabkunft des Heiligen Geistes
auf die Apostel und das dauernde Verweilen dieses Geistes in der Kirche, wie
auch die Predigt Jesu Christi hätten schon seit Jahrhunderten alle Wirkung und
jeden Nutzen verloren. Das zu behaupten, hieße aber Gott lästern.
In Wirklichkeit gab der eingeborene Sohn Gottes seinen Gesandten den Auftrag,
alle Völker zu lehren, und zugleich legte er allen Völkern die Pflicht auf, das
anzunehmen, was ihnen durch die von Gott vorherbestimmten Zeugen16
verkündet würde. Diesem Gebote hat er die Sanktion gegeben: Wer glaubt und sich
taufen läßt, wird gerettet werden, wer aber nicht glaubt, wird verdammt
werden.17
Dieses Doppelgebot Christi, das Gebot der Lehrverkündigung und das
Glaubensgebot, das zur Erlangung des ewigen Heiles den Glauben fordert, muß zu
allen Zeiten erfüllt werden. Beide Gebote sind aber ganz unverständlich, wenn
die Kirche die Lehren des Evangeliums nicht unversehrt und leicht faßlich
vorlegt, und wenn sie bei dieser Glaubensverkündigung nicht von jedem Irrtum
frei ist. In dieser Frage gehen auch jene fehl, die da meinen, der Schatz der
Glaubenswahrheiten sei zwar irgendwo auf Erden vorhanden, er müsse aber unter so
mühsamer Arbeit und unter so langdauernden Studien und Erörterungen gesucht
werden, daß ein Menschenleben kaum ausreiche, um diesen Schatz zu finden und
sich zu eigen zu machen.
Als ob der allgütige Gott durch seine Propheten und durch seinen eingeborenen
Sohn zu dem Zweck gesprochen hätte, daß nur wenige, und zwar erst im
vorgerückten Alter die solcherweise geoffenbarten Wahrheiten kennenlernen
könnten, und nicht, um eine Glaubens- und Sittenlehre vorzulegen, durch die alle
Menschen ihr ganzes Erdenleben hindurch sich leiten lassen können.
Es hat zwar den Anschein, als ob die Panchristen, die sich um die
Wiedervereinigung der Kirche bemühen, das erhabene Ziel verfolgten, die Liebe
unter allen Christen zu verbreiten. Wie könnte aber die Liebe zu einer
Schädigung des Glaubens führen? Wir wissen doch alle, daß selbst Johannes, der
Apostel der Liebe, der in seinem Evangelium wohl die innersten Geheimnisse des
heiligsten Herzens Jesu geoffenbart hat, und der den Seinen das neue Gebot:
Liebet einander18
immer wieder in Erinnerung brachte, streng jeden Verkehr mit denen verboten hat,
die Christi Lehre nicht rein und unverfälscht bekennen: Kommt einer zu euch und
bringt diese Lehre nicht mit, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und bietet ihm
keinen Gruß.19
Weil also die Liebe nur auf der Grundlage eines reinen und unverfälschten
Glaubens aufbauen kann, müssen die Jünger Christi durch die Einheit des Glaubens
als dem vorzüglichsten Band miteinander verbunden werden.
Wie sollte man sich also einen Bund der Christenheit denken, dessen
Mitglieder auch auf dem Gebiete der Glaubenswahrheiten ihre eigenen Gedanken und
Meinungen beibehalten können, selbst wenn diese sich gegenseitig widersprechen?
Und wie können, so fragen Wir, Menschen, die ganz gegenteilige Meinungen
vertreten, ein und demselben Bund der Gläubigen angehören? Um einige Beispiele
zu nennen: Wenn die einen bejahen, die mündliche Überlieferung sei eine
rechtmäßige Quelle der göttlichen Offenbarung, während die anderen es leugnen;
wenn die einen die Ansicht vertreten, die aus den Bischöfen, Priestern und den
übrigen Weihestufen bestehende Hierarchie der Kirche sei von Gott eingesetzt,
während die anderen behaupten, sie sei je nach den verschiedenen
Zeitbedürfnissen und mannigfachen äußeren Umständen allmählich eingeführt
worden? Wenn die einen in der heiligen Eucharistie den durch jene wunderbare
Verwandlung des Brotes und des Weines, die Transsubstantiation genannt wird,
wahrhaft gegenwärtigen Christus anbeten, während die anderen sagen, der Leib des
Herrn sei dort nur durch den Glauben oder sinnbildlich oder durch eine vom
Sakramente ausgehende Kraft gegenwärtig? Wenn die einen in der heiligen
Eucharistie ein wahres Opfer und ein wahres Sakrament sehen, während die anderen
in ihr nur ein Andenken und eine Erinnerung an das letzte Abendmahl erblicken?
Wenn die einen glauben, es sei gut und nützlich, die mit Christus im Himmel
verherrlichten Heiligen und unter ihnen besonders die Gottesmutter Maria,
demütig anzurufen und ihre Bilder zu verehren, während die anderen behaupten,
eine solche Verehrung sei unzulässig, weil sie gegen die Ehre des einen Mittlers
zwischen Gott und den Menschen20
verstoße?
Wir können nicht sehen, wie bei solchen Meinungsverschiedenheiten ein Weg zur
Einheit der Kirche gefunden werden kann, da diese Einheit nur aus der Einheit
des Lehramtes und der Einheit der Glaubensregel und der Einheit des Glaubens in
der ganzen Christenheit entstehen kann. Wohl aber wissen Wir, daß auf diese
Weise leicht der Weg zu einer Geringschätzung der Religion, nämlich zum
Indifferentismus und zum Modernismus geebnet wird. Die beklagenswerten Anhänger
des Modernismus lehren ja, die Wahrheit der Glaubenssätze sei nicht absolut,
sondern relativ, d. h. sie entspreche den mannigfachen zeitlichen und örtlichen
Bedürfnissen und den verschiedenen Neigungen des menschlichen Herzens, da sie
nicht in einer unveränderlichen Offenbarung enthalten sei, sondern dem Leben der
Menschen angepaßt werde.
Außerdem ist es absolut unstatthaft, auf dem Gebiet der Glaubenswahrheiten
den von ihnen eingeführten Unterschied zwischen den sogenannten "grundlegenden"
und "nichtgrundlegenden" Glaubenswahrheiten zu machen, als müßten die
grundlegenden von allen angenommen werden, während die nichtgrundlegenden der
freien Zustimmung der Gläubigen überlassen werden könnten. Die übernatürliche
Tugend des Glaubens hat doch die Autorität der göttlichen Offenbarung zum
inneren Beweggrund, die eine solche Unterscheidung in keiner Weise zuläßt.
Deshalb müssen alle wahren Anhänger Christi beispielsweise dem Dogma von der
Unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter Maria genau denselben Glauben schenken
wie dem Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, und sie dürfen die
Menschwerdung unseres Herrn nicht anders glauben als das unfehlbare Lehramt des
Papstes, und zwar in dem Sinne, wie es auf dem ökumenischen Vatikanischen Konzil
festgelegt worden ist. Diese Wahrheiten sind deswegen nicht weniger sicher und
nicht weniger zu glauben, weil sie zu verschiedenen Zeiten oder auch erst in
neuester Zeit von der Kirche feierlich erklärt und verkündet worden sind; denn
sie alle sind von Gott geoffenbart worden.
Das Lehramt der Kirche ist ja nach Gottes Ratschluß auf Erden begründet
worden, damit die geoffenbarten Lehren für alle Zeiten unversehrt bewahrt würden
und damit sie leicht und sicher zur Kenntnis der Menschen kämen. Wenn dieses
Lehramt auch durch den Papst und die mit ihm in Gemeinschaft stehenden Bischöfe
durch die tägliche Lehrverkündigung ausgeübt wird, so hat es doch auch die
Aufgabe, unter gewissen Feierlichkeiten und mit klaren Lehrformeln eine
Glaubensentscheidung vorzunehmen, sooft sich die Notwendigkeit ergibt, den
Irrtümern und Angriffen der Irrlehrer wirksam entgegenzutreten oder den
Gläubigen einzelne Wahrheiten der heiligen Lehre klarer und eingehender erklärt
vorzulegen. Durch die Ausübung dieses außerordentlichen Lehramtes werden keine
neu erfundenen Lehren eingeführt, es wird auch nicht dem von Gott der Kirche
anvertrauten Glaubensschatze etwas Neues hinzugefügt, was nicht wenigstens
einschlußweise immer darin enthalten war, sondern es wird nur eine Wahrheit, die
bisher noch einigen dunkel erscheinen konnte, eingehender erklärt, oder es wird
eine Wahrheit als Glaubenssatz festgelegt, über die bisher noch bei einigen
Meinungsverschiedenheiten bestanden.
Daraus geht hervor, ehrwürdige Brüder, aus welchen Gründen der Apostolische
Stuhl niemals die Teilnahme der Seinigen an den Konferenzen der Nichtkatholiken
zugelassen hat. Es gibt nämlich keinen anderen Weg, die Vereinigung aller
Christen herbeizuführen, als den, die Rückkehr aller getrennten Brüder zur einen
wahren Kirche Christi zu fördern, von der sie sich ja einst unseligerweise
getrennt haben. Zu der einen wahren Kirche Christi, sagen Wir, die wahrlich
leicht erkennbar vor aller Augen steht, und die nach dem Willen ihres Stifters
für alle Zeiten so bleiben wird, wie er sie zum Heile aller Menschen begründet
hat. Die mystische Braut Christi ist ja im Laufe der Jahrhunderte niemals
befleckt worden, und sie kann nie befleckt werden nach den schönen Worten
Cyprians: "Zum Ehebruch läßt sich die Braut Christi nicht führen, sie ist
unbefleckt und züchtig. Nur ein Haus kennt sie, die Heiligkeit eines
Schlafgemaches bewahrt sie in keuscher Scham".21
Dieser heilige Märtyrer wunderte sich deshalb auch mit Fug und Recht, wie
jemand glauben konnte, "diese der göttlichen Festigkeit entstammende und mit
himmlischen Geheimnissen engverbundene Einheit könne bei der Kirche zerrissen
und durch den Widerstreit einander widerstrebender Meinungen aufgelöst
werden".22
Der mystische Leib Christi, das ist die Kirche, ist ja eine Einheit,23
zusammengefügt und zusammengehalten24
wie der physische Leib Christi, und so ist es unangebracht und töricht zu sagen,
der mystische Leib könne aus getrennten und zerstreuten Gliedern bestehen. Wer
mit dem mystischen Leib Christi nicht eng verbunden ist, der ist weder ein Glied
desselben, noch hat er einen Zusammenhang mit Christus, dem Haupte.25
In dieser Kirche Christi kann niemand sein und niemand bleiben, der nicht die
Autorität und die Vollmacht Petri und seiner rechtmäßigen Nachfolger anerkennt
und gehorsam annimmt. Haben denn nicht die Väter jener, die in den Irrtümern des
Photius und der Glaubensneuerer befangen sind, dem Bischof von Rom als oberstem
Seelenhirten Gehorsam geleistet? Aber Gott sei es geklagt: Die Kinder haben das
Vaterhaus verlassen, dieses aber ist deshalb nicht zusammengefallen oder
untergegangen, weil es durch Gottes Beistand auf immer in seinem Bestande
erhalten wird. So mögen sie wieder heimkehren zu ihrem gemeinsamen Vater, der
das Unrecht, das sie dem Apostolischen Stuhle angetan haben, längst vergessen
hat, und der sie mit liebevollem Herzen aufnehmen wird. Wenn sie sich, wie sie
sagen, mit Uns und den Unsrigen vereinen wollen, warum beeilen sie sich dann
nicht, wieder zur Kirche zu kommen, "der Mutter und der Lehrerin aller
Christgläubigen"?26
Sie alle mögen hören auf Laktanz, der da sagt: "Nur ... die katholische Kirche
hat die wahre Gottesverehrung bewahrt. Sie ist der Quell der Wahrheit, die
Wohnung des Glaubens, der Tempel Gottes; wenn jemand nicht in sie eintritt, oder
wer aus ihr austritt, der begibt sich der Hoffnung des Lebens und des Heiles.
Schmeichle sich doch niemand mit hartnäckigem Festhalten an Streitpunkten. Denn
es geht um sein Leben und sein Heil; und wer nicht mit Vorsicht und Sorgfalt für
sein Heil sorgt, der hat es verwirkt und verloren".27
Zum Apostolischen Stuhle also, der in dieser Stadt aufgerichtet ist, welche
die Apostelfürsten Petrus und Paulus mit ihrem Blute geweiht haben, zu diesem
Sitze, der "die Wurzel und der Mutterschoß der katholischen Kirche"28
ist, mögen die getrennten Söhne kommen, nicht in der Absicht und Hoffnung, die
Kirche des lebendigen Gottes, die Säule und Grundfeste der Wahrheit29
, werde die Reinheit ihres Glaubens aufgeben und Irrtümer dulden und zulassen,
sondern im Gegenteil, um sich ihrem Lehramt und ihrer Führung zu überlassen. O
Möchte doch Uns durch eine gütige Vorsehung das gelingen, was so vielen Unserer
Vorgänger nicht gelungen ist, daß Wir all die Söhne, deren durch frevelhaftes
Beginnen entstandene Trennung. Wir tief bedauern, in väterlicher Liebe wieder
umarmen können! O Möchte doch Gott, unser Erlöser, der will, daß alle Menschen
gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.30
Uns hören, da Wir so inständig zu ihm flehen, er möge alle Irrenden zur Einheit
der Kirche zurückführen! In diesem so bedeutungsvollen Anliegen wenden Wir Uns
flehentlich um Fürsprache an die allerseligste Jungfrau Maria, die Mutter der
göttlichen Gnade, die Besiegerin aller Irrlehren und die Hilfe der Christen; und
es ist Unser Wunsch, daß auch alle anderen zu ihr beten, damit sie Uns doch
möglichst bald die herzlich ersehnte Stunde erflehen möge, in der alle Menschen
auf die Stimme ihres göttlichen Sohnes hören und die Einheit des Geistes durch
das Band des Friedens bewahren.31
Ihr seht, ehrwürdige Brüder, wie sehr diese Frage Uns am Herzen liegt, und
auch alle Unsere Kinder sollen das erfahren, so ist es Unser Wunsch, nicht nur
jene, die schon zur katholischen Kirche gehören, sondern auch alle, die von Uns
getrennt sind. Wenn diese in demütigem Gebet das Licht vom Himmel erflehen, dann
werden sie ohne Zweifel die eine wahre Kirche Jesu Christi erkennen und werden
dann in sie eintreten und mit Uns in vollkommener Liebe verbunden sein. In
dieser Erwartung geben Wir Euch, ehrwürdige Brüder, Eurem Klerus und Eurem Volke
in herzlicher Liebe den Apostolischen Segen zum Unterpfand göttlicher Gaben und
als Zeugnis Unseres väterlichen Wohlwollens.
Gegeben zu Rom bei St. Peter am 6. Januar, dem Feste der Erscheinung des
Herrn, im Jahre 1928, dem sechsten Unseres Pontifikats.
Pius PP. XI.
1
Eph 5,32.
2
Jo 13,35.
3
Hbr 1,1.
4
Cf. Mt 16,18 sq.; Lc 22,32; Jo 21,15-17.
5
Cf. Mc 16,15.
6
Cf. Jo 3,5; 6,48-59; 20,22 sq.; Mt 18,18 sqq..
7
Cf. Mt 13
8
Cf. Mt 16,18.
9
Cf. Jo 10,16.
10
Cf. Jo 21,15 sqq.
11
Mt 28,19
12
Mt 18,20.
13
Cf. Mt 16,18.
14
Jo 17,21; 10,16.
15
Cf. Jo 16,13.
16
Act 10,41.
17
Mc 16,16.
18
I Jo 3,23.
19
II Jo 10.
20
I Tim 2,5.
21
Cyprianus, De catholicae Ecclesiae unitate, 6 CV 3,1,214. PL 4,502.
22
Cyprianus loc. cit.
23
I Kor 12,12.
24
Eph 4,16.
25
Cf. Eph 5,30; 1,11.
26
Conc. Lateranense IV, c.5. Denzinger Nr. 436.
27
Lactantius, Divin. Instit. IV 30,11-12. PL 6,542.
28
Cyprianus, Epist. XLVIII ad Cornelium, 3. PL 4,541.
29
I Tim 3,15.
30
I Tim 2,4
31
Eph 4,3.