Papst Pius XII.
Enzyklika "Mystici Corporis"
über den mystischen Leib Christi

   
   





 

     

Enzyklika "Mystici Corporis"

über den mystischen Leib Christi (29. Juni 1943)

 Pius XII.

Hinweis/Quelle: Textgrundlage: W. Jussen (Hg.), Gerechtigkeit schafft Frieden. Reden und Enzykliken des Heiligen Vaters Papst Pius XII., Hamburg 1946, 276–347

Über den mystischen Leib Christi, der die Kirche ist (Col. l, 24), hat uns zuerst das Wort des Erlösers selbst unterrichtet. Durch diese Lehre wird die große, nie genug gepriesene Huld unserer innigen Verbindung mit einem so erhabenen Haupte in das rechte Licht gestellt. Es handelt sich also gewiß um eine Angelegenheit, die durch ihre Wichtigkeit und Würde alle Menschen, die sich von Gottes Geist führen lassen, zur Betrachtung einlädt, sie erleuchtet und dadurch in hohem Maße anspornt zu jenen heilbringenden Werken, die solchen Weisungen entsprechen. Wir halten es daher für Unsere Aufgabe, hierüber in diesem Rundschreiben mit euch zu sprechen, indem Wir davon vor allem das herausstellen und darlegen, was die streitende Kirche betrifft. Dazu bestimmt Uns nicht nur die außergewöhnliche Erhabenheit dieser Wahrheit selbst, sondern auch unsere gegenwärtige Zeitlage.

Wir beabsichtigen, vom Reichtum zu reden, der im Schoße der Kirche ruht, die Christus mit Seinem Blute erworben hat (Act. 20, 28. 3) und deren Glieder sich ihres dornenumkrönten Hauptes rühmen. Dies ist ein leuchtendes Zeugnis dafür, daß alles Herrliche und Hohe nur aus dem Leid geboren wird, und daß wir uns sogar freuen sollen, wenn wir an Christi Leiden teilnehmen dürfen, damit wir auch bei der Offenbarung Seiner Herrlichkeit uns freuen und frohlocken können (l. Petr. 4, 13.).

Zunächst ist dies zu bedenken: wie der Erlöser des Menschengeschlechtes von denen, deren Heil zu wirken Er auf sich genommen hatte, mit Nachstellungen, Verleumdungen und Qualen überhäuft wurde, so muß die von Ihm gegründete Gemeinschaft auch hierin ihrem göttlichen Stifter ähnlich werden. Zwar leugnen Wir nicht, ja bekennen vielmehr mit Dank gegen Gott, daß es auch in unserer verworrenen Zeit nicht wenige gibt, die, obgleich getrennt von der Herde Jesu Christi, dennoch auf die Kirche wie auf den einzigen Port des Heiles schauen. Aber Wir wissen auch, daß die Kirche Gottes verachtet und hochmütig und feindselig geschmäht wird, nicht nur von solchen, die das Licht der christlichen Weisheit ablehnen und einer erbärmlichen Rückkehr zu den Lehren, Sitten und Einrichtungen einer heidnischen Vorzeit das Wort reden. Sie begegnet vielfach Verkennung, Gleichgültigkeit und selbst einem gewissen Überdruß und Abscheu auch bei vielen Christen, die sich durch den blendenden Schein des Irrtums bestricken oder von den Verlockungen und Verführungen der Welt umgarnen lassen. Wir haben daher allen Grund, Ehrwürdige Brüder, aus Gewissenspflicht und um den Wünschen vieler zu willfahren, die Schönheit, Erhabenheit und Herrlichkeit unserer Mutter, der Kirche, der wir nächst Gott alles verdanken, allen vor Augen zu stellen und sie zu preisen. Es ist zu hoffen, daß diese Unsere Weisungen und Mahnungen in den gegenwärtigen Zeitverhältnissen bei den Christgläubigen reiche Fruchte bringen. Denn Wir wissen, wenn das namenlose Weh und Leid dieser sturmbewegten Zeit, das schier unzählbare Menschen aufs bitterste heimsucht, wie aus Gottes Hand in stiller Ergebung hingenommen wird, dann lenkt es wie mit Naturgewalt das Herz der Leidenden vom irdisch Vergänglichen weg dem Himmlischen und ewig Bleibenden zu, und erweckt in ihnen einen geheimen Durst und ein dringendes Verlangen nach den geistlichen Dingen. Unter dem Wirken des göttlichen Geistes fühlen sie sich angeregt und gedrängt, eifriger das Reich Gottes zu suchen. Je mehr nämlich die Menschen von den Nichtigkeiten dieser Welt und von der ungeordneten Liebe zum Diesseits losgelöst werden, desto mehr werden sie fähig zum Erfassen des Lichtes überirdischer Geheimnisse. Nun zeigt sich aber heute vielleicht deutlicher denn je die Unbeständigkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen, da Reiche und Staaten stürzen, da ungeheure Werte und Reichtümer aller Art auf den weiten Weltmeeren versenkt, da Städte, Festungen und fruchtbare Gefilde zu grausigen Ruinen zerschlagen und durch Brudermord befleckt werden.

Wir hoffen außerdem, es werde auch für jene, die vom Schoße der katholischen Kirche getrennt sind, nicht ungelegen noch unnütz sein, was Wir nun über den mystischen Leib Jesu Christi darlegen wollen. Und dies nicht bloß deshalb, weil ihr Wohlwollen gegen die Kirche täglich zu wachsen scheint, sondern auch aus folgendem Grunde: wenn sie wahrnehmen, wie gegenwärtig Volk gegen Volk und Reich gegen Reich sich erhebt und wie Zwietracht und Mißgunst, wie der Same der Feindschaft ins Ungemessene wachsen; wenn sie dann ihr Auge auf die Kirche richten und ihre gottgegebene Einheit betrachten – wodurch alle Menschen jedweder Abstammung in brüderlichem Bunde mit Christus vereint sind –, dann werden sie sich wahrlich genötigt sehen, eine solche Gemeinschaft der Liebe zu bewundern und unter der Anregung und Hilfe der Gnade sich angezogen fühlen, an dieser Einheit und Liebe teilzuhaben.

Wir sehen noch einen Uns besonders lieben Anlaß, weshalb gerade diese Wahrheit Uns in den Sinn kommt und Uns mit hoher Freude erfüllt. Im vergangenen Jahr, dem fünfundzwanzigsten seit Unserer Bischofsweihe, erlebten Wir zu Unserem großen Trost etwas, was das Bild des mystischen Leibes Jesu Christi in allen Teilen der Welt hellstrahlend aufleuchten ließ. Während nämlich der todbringende, lange Krieg die brüderliche Gemeinschaft der Völker jämmerlich zerbrochen hatte, sahen Wir allenthalben unsere Söhne in Christo in einmütiger Gesinnung und Liebe ihr Herz zum gemeinsamen Vater erheben, der mit den Kümmernissen und Sorgen aller beladen in so stürmischer Zeit das Steuer der katholischen Kirche zu führen hat. Hierin erblicken Wir nicht nur ein Zeugnis für die wunderbare Einheit der Christengemeinschaft, sondern auch für folgende Tatsache: gleichwie Wir alle Völker jeglicher Nation mit Vaterliebe umfangen, so schauen die Katholiken von überall her, obgleich ihre Völker untereinander im Kampfe stehen, zum Vertreter Jesu Christi wie zum Vater auf, der alle liebt, der von völlig unparteilichem und unbestechlichem Urteil geleitet über den aufgewühlten Wogen der menschlichen Wirren steht, der die Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe empfiehlt und nach Kräften vertritt.

Ein nicht geringerer Trost war es für Uns, zu erfahren, daß aus freiwilligen, lieben Gaben ein Beitrag gesammelt wurde, damit sich in Rom ein Heiligtum erheben könne zu Ehren Unseres heiligen Vorgängers und Namenspatrons Eugen I. Wie diese Kirche, durch den Willen und die Spenden aller Christgläubigen errichtet, das Andenken an dieses Festjahr verewigen soll, so wünschen Wir Unserer Dankbarkeit durch dieses Rundschreiben bleibenden Ausdruck zu verleihen; handelt es doch von jenen lebendigen Bausteinen, die auf dem lebendigen Eckstein, der Christus ist, mitauferbaut werden zu einem heiligen Tempel, weit erhabener als jeglicher Tempel von Menschenhand, zu einer Wohnung Gottes im Geiste (Eph. 2, 21. 22; l. Petr. 2, 5.).

Der Hauptgrund aber, weswegen Wir jetzt diese erhabene Lehre einigermaßen ausführlich behandeln wollen, ist Unsere Hirtensorge. Wohl ist vieles hierüber veröffentlicht worden, und es ist Uns nicht unbekannt, daß heute nicht wenige mit Eifer und Hingabe sich mit diesem Gedanken beschäftigen, der auch die christliche Frömmigkeit so sehr anzieht und fördert. Dies ist, wie es scheint, vorab darauf zurückzuführen, daß ein erneuertes Verständnis für die heilige Liturgie, der sich durchsetzende häufigere Empfang des eucharistischen Mahles und schließlich die heute so erfreuliche, innigere Verehrung des heiligsten Herzens Jesu viele zu einer tieferen Betrachtung der unerforschlichen Reichtümer Christi geführt haben, die in der Kirche hinterlegt sind. Dazu kommt, daß die neuerlichen Veröffentlichungen über die Katholische Aktion, die ja die Bande zwischen den Christen untereinander und mit der kirchlichen Hierarchie, besonders mit dem Bischof von Rom, immer enger knüpfen, zweifellos nicht wenig beitrugen, um die Frage gebührend zu beleuchten. Dürfen Wir uns jedoch über diese Tatsachen auch mit gutem Grunde freuen, so sind trotzdem nicht nur bei den von der wahren Kirche Getrennten schwere Irrtümer über diese Lehre verbreitet, sondern es zeigen sich unleugbar auch bei den Christgläubigen weniger richtige oder ganz verfehlte Ansichten, die vom rechten Wege der Wahrheit abziehen können.

Während nämlich auf der einen Seite noch immer ein. falscher Rationalismus alles, was menschliche Geisteskraft übersteigt und hinter sich läßt, für sinnlos betrachtet; während ein diesem verwandter Irrtum, ein flacher Naturalismus, in der Kirche Christi nichts anderes sieht noch sehen will als ein rein rechtliches und gesellschaftliches Band, schleicht sich auf der anderen Seite ein falscher Mystizismus ein, der die unverrückbaren Grenzen zwischen Geschöpf und Schöpfer zu beseitigen sucht und die Heilige Schrift mißdeutet.

Infolge dieser entgegengesetzten, einander widersprechenden und falschen Auffassungen halten manche aus ganz unbegründeter Furcht eine solch tiefere Lehre für gefährlich, ja erschrecken vor ihr wie vor einem schönen, aber verbotenen Paradiesapfel. Das ist unberechtigt; denn von Gott geoffenbarte Geheimnisse können dem Menschen nicht verderblich sein, noch dürfen sie, gleich dem verborgenen Schatz im Acker, unfruchtbar bleiben. Sie sind uns vielmehr dazu von Gott geschenkt, damit sie durch ehrfurchtsvolle Betrachtung zum geistlichen Fortschritt beitragen. So lehrt ja das Vatikanische Konzil: „Die vom Glauben erleuchtete Vernunft vermag durch eifrige, ehrfürchtige und bescheidene Erwägung mit Gottes Gnade eine gewisse Einsicht in die Geheimnisse zu gewinnen, und zwar eine überaus fruchtbare, auf Grund von Ähnlichkeiten im Bereich der natürlichen Erkenntnisse sowie aus dem Zusammenhang der Geheimnisse untereinander und mit dem letzten Ziel des Menschen.“ Freilich wird die Vernunft, so betont das gleiche Konzil, „niemals fähig, dieselben so zu durchdringen wie die Wahrheiten, die den ihr eigenen Erkenntnisgegenstand ausmachen“ (Sessio III: Const. de fide cath., c. 4.).

Damit also die erhebende Schönheit der Kirche in neuer Herrlichkeit erstrahle; damit der unvergleichliche, übernatürliche Adel der Gläubigen, die im Leibe Christi mit ihrem Haupte verbunden sind, lichtvoller zutage trete; damit endlich den vielfachen Irrtümern hierüber jedweder Zugang verschlossen werde, hielten Wir es nach reiflicher Überlegung vor Gott für Unsere Hirtenpflicht, der gesamten Christenheit durch dieses Rundschreiben die Lehre über den mystischen Leib Jesu Christi und über die Verbindung der Gläubigen in diesem Leibe mit dem göttlichen Erlöser vorzulegen und zugleich aus dieser anziehenden Lehre einige Punkte hervorzuheben, die ein tieferes Verständnis des Geheimnisses und dadurch immer reichere Früchte der Vollkommenheit und Heiligkeit bewirken mögen.

Der Betrachtung dieser Lehre bietet sich zunächst das Apostelwort dar: „Als die Sünde übergroß geworden war, wurde die Gnade noch überwältigender (Rom. 5, 20.). Der Stammvater des ganzen Menschengeschlechtes war, wie bekannt, von Gott in einen so erhabenen Stand versetzt, daß er in seinen Nachkommen zugleich mit dem irdischen auch das überirdische Leben der himmlischen Gnade vermitteln sollte. Aber nach dem traurigen Falle Adams verlor die gesamte Menschenfamilie, von der Erbschuld angesteckt, die Teilnahme an der göttlichen Natur (2. Petr, l, 4.), so daß wir alle Kinder des Zornes wurden (Eph. 2, 3.). Doch der erbarmungsreiche Gott „hat so sehr die Welt geliebt, daß Er Seinen eingeborenen Sohn hingab“ (Ioann. 3, 16.), und das Wort des Ewigen Vaters hat mit der gleichen göttlichen Liebe aus der Nachkommenschaft Adams eine menschliche Natur angenommen, freilich eine sündenlose und von jeder Makel freie, damit von dem neuen, himmlischen Adam die Gnade des Heiligen Geistes auf alle Kinder des Stammvaters niederströme. Diese waren durch die Sünde des ersten Menschen der göttlichen Kindschaft verlustig gegangen. Jetzt aber sollten sie durch das menschgewordene Wort, dem Fleische nach Brüder des eingeborenen Sohnes Gottes geworden, die Macht erlangen, Kinder Gottes zu werden (Ioann. l, 12.). So hat denn Christus durch seinen Tod am Kreuze nicht bloß der verletzten Gerechtigkeit des Ewigen Vaters Genüge getan, sondern Er hat uns als Seinen Brüdern zugleich eine unaussprechliche Fülle von Gnaden verdient. Diese hätte Er selbst unmittelbar dem gesamten Menschengeschlecht zuteilen können; Er wollte es aber tun durch die sichtbare Kirche, zu der die Menschen sich vereinigen sollten, damit so bei der Verteilung der göttlichen Erlösungsfrüchte alle Ihm gewissermaßen Helferdienste leisten könnten. Wie nämlich das Wort Gottes unsere Natur gebrauchen wollte, um durch seine Schmerzen und Peinen die Menschen zu erlösen, so gebraucht Es ähnlicherweise im Laufe der Jahrhunderte die Kirche, um dem begonnenen Werk Dauer zu verleihen (Conc. Vat., Const. de Eccl.).

Bei einer Wesenserklärung dieser wahren Kirche Christi, welche die heilige, katholische, apostolische, römische Kirche ist (ibidem, Const. de fid. cath., cap. 1.), kann nichts Vornehmeres und Vorzüglicheres, nichts Göttlicheres gefunden werden als jener Ausdruck, womit sie als „der mystische Leib Jesu Christi“ bezeichnet wird. Dieser Name ergibt sich und erblüht gleichsam aus dem, was in der Heiligen Schrift und in den Schriften der heiligen Väter häufig darüber vorgebracht wird.

Daß die Kirche ein Leib ist, sagen die Heiligen Bücher des öfteren. „Christus ist das Haupt des Leibes der Kirche“ (Col. l, 18.). Wenn aber die Kirche ein Leib ist, so muß sie etwas Einziges und Unteilbares sein nach dem Worte des heiligen Paulus: „Viele zwar, bilden wir doch nur einen Leib in Christus“ (Rom. 12, 5.). Doch nicht bloß etwas Einziges und Unteilbares muß sie sein, sondern auch etwas Greifbares und Sichtbares, wie Unser Vorgänger sel. Anged. Leo XIII. in seinem Rundschreiben Satis cognitum feststellt: „Deshalb, weil sie ein Leib ist, wird die Kirche mit den Augen wahrgenommen“ (A. S. S., XXVIII, p. 710.). Infolgedessen weicht von der göttlichen Wahrheit ab, wer die Kirche so darstellt, als ob sie weder erfaßt noch gesehen werden könnte; als ob sie, wie man behauptet, nur etwas „Pneumatisches“ wäre, wodurch viele christliche Gemeinschaften, obgleich voneinander im Glauben getrennt, doch durch ein unsichtbares Band untereinander vereint wären.

Aber ein Leib verlangt auch eine Vielheit von Gliedern, die so untereinander verbunden sein müssen, daß sie sich gegenseitig Hilfe leisten. Und gleichwie in unserem sterblichen Leib, wenn ein Glied leidet, alle andern mitleiden und die gesunden Glieder den kranken zu Hilfe kommen, so leben auch in der Kirche die einzelnen Glieder nicht einzig für sich, sondern unterstützen auch die andern, und alle leisten sich gegenseitig Hilfsdienste zu gegenseitigem Trost, wie besonders zum weiteren Aufbau des ganzen Leibes.

Wie außerdem in der Natur ein Leib nicht aus einer beliebigen Zusammensetzung von Gliedern entsteht, sondern mit Organen ausgestattet sein muß, das heißt mit Gliedern, die verschiedene Aufgaben haben und die in geeigneter Ordnung zusammengesetzt sind, so muß die Kirche hauptsächlich deshalb ein Leib genannt werden, weil sie aus einer organischen Verbindung von Teilen erwächst und mit verschiedenen, aufeinander abgestimmten Gliedern versehen ist. Nicht anders beschreibt der Apostel die Kirche, wenn er sagt: „Gleichwie ... wir an dem einen Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder den gleichen Dienst verrichten, so sind wir viele ein Leib in Christus, die einzelnen aber untereinander Glieder“ (Rom. 12, 4.).

Man darf jedoch nicht glauben, dieser organische Aufbau des Leibes der Kirche beziehe und beschränke sich allein auf die Stufenfolge der kirchlichen Ämter, noch auch, wie eine entgegengesetzte Meinung behauptet, sie bestehe einzig aus Charismatikern, wenngleich solche mit wunderbaren Gaben ausgestattete Menschen niemals in der Kirche fehlen werden. Gewiß ist unbedingt festzuhalten, daß die mit heiliger Vollmacht in diesem Leibe Betrauten dessen erste und vorzügliche Glieder sind, da durch sie in Kraft der Sendung des göttlichen Erlösers selbst die Ämter Christi, des Lehrers, Königs und Priesters für immer fortgesetzt werden. Aber mit vollem Recht haben die Kirchenväter, wenn sie die Dienstleistungen, Stufen, Berufe, Stellungen, Ordnungen und Ämter dieses Leibes hervorheben, nicht nur jene vor Augen, die heilige Weihen empfangen haben, sondern auch alle jene, die nach Übernahme der evangelischen Räte ein tätiges Leben unter den Menschen oder ein in der Stille verborgenes führen, oder auch beides je nach ihrer besonderen Verfassung zu verwirklichen trachten; ferner jene, die, obgleich in der Welt lebend, doch sich eifrig in Werken der Barmherzigkeit betätigen, um andern seelische oder leibliche Hilfe zu leisten; endlich auch jene, die in keuscher Ehe vermählt sind. Ja, es ist zu beachten, daß zumal in den gegenwärtigen Zeitverhältnissen, die Familienväter und -mütter, auch die Taufpaten und namentlich jene, die als Laien zur Ausbreitung des Reiches Christi der kirchlichen Hierarchie hilfreiche Hand bieten, einen ehrenvollen, wenn auch oft unansehnlichen Platz in der christlichen Gemeinschaft einnehmen, ja daß auch sie mit Gottes Huld und Hilfe zur höchsten Heiligkeit aufsteigen können, die gemäß den Verheißungen Jesu Christi niemals in der Kirche fehlen wird.

Wie aber der menschliche Leib offensichtlich mit eigenen Werkzeugen ausgerüstet ist, mit denen er für das Leben, die Gesundheit und das Wachstum seiner selbst und der einzelnen Glieder sorgen kann, so hat der Heiland der Menschen in seiner unendlichen Güte wunderbar für seinen mystischen Leib vorgesorgt, indem Er ihn mit Sakramenten bereicherte, um dadurch die Glieder gleichsam in ununterbrochener Gnadenfolge von der Wiege bis zum letzten Atemzuge zu erhalten und zugleich für die sozialen Bedürfnisse des ganzen Leibes reichlich zu sorgen. Durch das Bad der Taufe werden die in dieses sterbliche Leben Geborenen nicht nur aus dem Tode der Sünde wiedergeboren und zu Gliedern der Kirche gemacht, sondern auch mit einem geistlichen Merkmal gezeichnet und dadurch befähigt und instand gesetzt, die übrigen heiligen Sakramente zu empfangen. Durch die Salbung der Firmung wird den Gläubigen neue Kraft verliehen, daß sie die Mutter Kirche und den Glauben, den sie von ihr erhielten, tapfer schützen und verteidigen. Durch das Sakrament der Buße wird den Gliedern der Kirche, die in Sünde fielen, ein wirksames Heilmittel geboten, womit nicht nur für deren eigenes Heil gesorgt, sondern zugleich von den ändern Gliedern des mystischen Leibes die Gefahr der Ansteckung ferngehalten und ihnen überdies ein Ansporn und ein Tugendbeispiel gegeben wird. Doch noch nicht genug: durch die heilige Eucharistie werden die Gläubigen mit einem und demselben Mahle genährt und gestärkt, sowie untereinander und mit dem göttlichen Haupte des ganzen Leibes durch ein unaussprechliches, göttliches Band geeint. Und zuletzt steht die liebevolle Mutter Kirche dem Todkranken bei, um ihm durch das heilige Sakrament der Ölung, wenn Gott will, die Genesung dieses sterblichen Leibes zu spenden; wenn nicht, so doch der wunden Seele ein himmlisches Heilmittel zu reichen und so dem Himmel neue Bürger und sich selbst neue Anwälte zu schenken, die Gottes Güte für ewig genießen.

Für die sozialen Bedürfnisse der Kirche hat Christus sodann durch zwei von ihm eingesetzte Sakramente noch in besonderer Weise Sorge getragen. Durch die Ehe, in welcher die Brautleute sich gegenseitig Spender der Gnade sind, wird die äußere und geordnete Zunahme der christlichen Gemeinschaft und, was noch wichtiger ist, die rechte religiöse Kindererziehung gewährleistet, ohne die der mystische Leib aufs schwerste bedroht wäre. Durch die heilige Priesterweihe aber werden jene Gott völlig zum Dienste geweiht, welche die eucharistische Hostie opfern, die Schar der Gläubigen mit dem Brote der Engel und mit der Speise der Lehre nähren, sie mit den göttlichen Geboten und Räten leiten und mit den übrigen himmlischen Gaben stärken sollen.

Dabei ist dies zu bedenken: wie Gott zu Beginn der Zeit den Menschen mit einer überaus reichen körperlichen Ausstattung bedachte, kraft deren er die Schöpfung sich unterwerfen und sich vermehrend die Erde erfüllen sollte, so hat Er am Anfang des christlichen Zeitalters die Kirche mit den nötigen Mitteln ausgestattet, daß sie nach Überwindung schier unzähliger Gefahren nicht nur den ganzen Erdkreis, sondern auch den Himmel erfülle.

Den Gliedern der Kirche aber sind in Wahrheit nur jene zuzuzählen, die das Bad der Wiedergeburt empfingen, sich zum wahren Glauben bekennen und sich weder selbst zu ihrem Unsegen vom Zusammenhang des Leibes getrennt haben, noch wegen schwerer Verstöße durch die rechtmäßige kirchliche Obrigkeit davon ausgeschlossen worden sind. „Denn – so sagt der Apostel – durch einen Geist wurden wir alle zu einem Leibe getauft, ob Juden oder Heiden, ob Sklaven oder Freie“ (l. Cor. 12, 13.).

Wie es also in der wahren Gemeinschaft der Christgläubigen nur einen Leib gibt, nur einen Geist, einen Herrn und eine Taufe, so kann es auch nur einen Glauben in ihr geben (Eph. 4, 5.); und deshalb ist, wer die Kirche zu hören sich weigert, nach dem Gebot des Herrn als Heide und öffentlicher Sünder zu betrachten (Matth. 18, 17.). Aus diesem Grunde können die, welche im Glauben oder in der Leitung voneinander getrennt sind, nicht in diesem einen Leib und aus seinem einen göttlichen Geiste leben.

Es wäre aber auch falsch zu glauben, daß der Leib der Kirche deshalb, weil er den Namen Christi trägt, schon hienieden, zur Zeit seiner irdischen Pilgerschaft nur aus heiligmäßigen Gliedern oder nur aus der Schar derer bestehe, die von Gott zur ewigen Seligkeit vorherbestimmt sind. In seiner unendlichen Barmherzigkeit versagt nämlich unser Heiland in seinem mystischen Leib auch denen den Platz nicht, welchen Er ihn einst beim Gastmahl nicht versagte (Matth. 9, 11; Marc. 2, 16; Luc. 15, 2.). Denn nicht jede Schuld, mag sie auch ein schweres Vergehen sein, ist dergestalt, daß sie, wie dies die Folge der Glaubensspaltung, des Irrglaubens und des Abfalls vom Glauben ist, ihrer Natur gemäß, den Menschen vom Leib der Kirche trennt. Auch gehen die nicht allen übernatürlichen Lebens verlustig, die zwar durch ihre Sünde die Liebe und heiligmachende Gnade verloren haben und deswegen unfähig geworden sind zu übernatürlichem Verdienst, die aber den Glauben und die christliche Hoffnung bewahren und durch himmlisches Licht erleuchtet, durch die Einsprechungen und inneren Antriebe des Heiligen Geistes zu heilsamer Furcht gebracht und zum Gebet und zur Reue über ihren Fall angespornt werden.

So möge denn jeder vor der Sünde zurückschrecken, da durch sie die mystischen Glieder des Erlösers befleckt werden; wer aber das Unglück gehabt hat zu sündigen, ohne sich durch Verstocktheit der Gemeinschaft der Christgläubigen unwürdig gemacht zu haben, dem soll man mit größtem Wohlwollen begegnen und in ihm in echter Liebe nichts anderes sehen als ein krankes Glied Jesu Christi. Es ist nämlich besser, wie der Bischof von Hippo bemerkt, „im Lebenszusammenhang mit der Kirche geheilt, als aus ihrem Körper als unheilbares Glied ausgeschnitten zu werden“ (August., Epist, CLVII, 3, 22: Migne, P. L., XXXIII, 686.). „Denn was noch mit dem Leibe zusammenhängt, an dessen Heilung braucht man nicht zu verzweifeln; was aber abgeschnitten ist, kann nicht mehr gepflegt und geheilt werden“ (August., Senn., CXXXVII, l: Migne, P. L., XXXVIII, 754.).

Aus den bisherigen Erklärungen sehen wir, Ehrwürdige Brüder, daß die Kirche derart gestaltet ist, daß man sie einem Leibe vergleichen kann; nunmehr müssen wir deutlich und genau darlegen, warum sie nicht ein beliebiger Leib, sondern der Leib Jesu Christi genannt werden muß. Das aber geht daraus hervor, daß unser Herr Schöpfer, Haupt, Erhalter und Erlöser dieses mystischen Leibes ist.

Während Wir in Kürze auseinandersetzen wollen, auf welche Weise Christus den Leib Seiner Gemeinschaft gebildet hat, bietet sich Uns zu Beginn folgender Ausspruch Leos XIII., Unseres Vorgängers sel. Ang., dar: „Die Kirche, die bereits vorher empfangen, aus der Seite des zweiten, am Kreuze gleichsam schlummernden Adam hervorgegangen war, trat zum erstenmal in erkennbarer Weise ans Licht der Welt am hochheiligen Pfingstfest“ (Leo XIII. Divinum Illud: A. S. S., XXIX, p. 649.). Der göttliche Erlöser begann nämlich den Bau des mystischen Tempels seiner Kirche damals, als Er predigend seine Gebote verkündete. Er vollendete ihn dann, als Er verherrlicht am Kreuze hing, und offenbarte und übergab ihn schließlich der Öffentlichkeit, als Er seinen Jüngern in sichtbarer Weise den Heiligen Geist als Tröster sandte.

Während Er nämlich das Amt des Predigers ausübte, wählte Er die Apostel und sandte sie aus, wie Er selber vom Vater gesandt war (Ioann. 17,18.), als Lehrer, als Lenker und als Spender der Heiligkeit inmitten der Gläubigen. Er bestimmte ihr Haupt und seinen Stellvertreter auf Erden (Matth. 16, 18–19.), offenbarte ihnen alles, was Er vom Vater gehört hatte (Ioann. 15, 15 coll. 17, 8 et 14.), ordnete die Taufe an (Ioann. 3,5.), durch welche die Gläubigen dem Leibe der Kirche eingegliedert werden sollten. Schließlich, am Abend seines Lebens angelangt, setzte Er die heilige Eucharistie als wunderbares Opfer und wunderbares Sakrament ein.

Daß Christus sein Werk am Kreuzesstamme vollendet hat, versichern in ununterbrochener Reihenfolge die Zeugnisse der heiligen Väter, die darauf hinweisen, daß die „Kirche am Kreuz aus der Seite des Erlösers geboren worden sei als neue Eva und Mutter aller Lebendigen (Gen. 3,20.). Wo der große Ambrosius von der durchbohrten Seite Christi spricht, führt er aus: „Jetzt wird sie gebaut, jetzt gestaltet, jetzt ... gebildet, und jetzt erschaffen. ... Jetzt erhebt sich der geistliche Bau zum heiligen Priestertum“ (Ambros., In Luc. 2, 87: Migne, P. L. XV, 1585.). Wer in diese verehrungswürdige Lehre frommen Sinnes eindringt, wird leicht die Gründe erkennen, auf die sie sich stützt.

Fürs erste nämlich folgte auf den durch den Tod des Erlösers aufgehobenen Alten Bund der Neue. Damals wurde das Gesetz Christi mit Seinen Geheimnissen, Satzungen, Einrichtungen und heiligen Bräuchen für den ganzen Erdkreis im Blute Christi besiegelt. Denn während der göttliche Erlöser noch in den engen Grenzen seines Landes predigte – Er war ja nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt (Matth. 15, 24.) – liefen Gesetz und Evangelium nebeneinander her (S. Thom., I-II, p. 103, a. 3, ad 2.). Doch am Stamme des Kreuzes hob Jesus durch seinen Tod das Gesetz mit seinen Vorschriften auf (Eph. 2,15.), heftete den Schuldschein des Alten Bundes ans Kreuz (Col. 2,14.) und gründete in seinem Blute, das Er für das gesamte Menschengeschlecht vergoß, den Neuen Bund (Matth. 26, 28 et l. Cor. 11,25.). „Derart augenscheinlich“, so sagt der heilige Leo der Große, wo er vom Kreuze des Herrn spricht, „wurde der Übergang vom Gesetz zum Evangelium, von der Synagoge zur Kirche, von der Vielfalt der Opfer zum einzigen Opfer bewerkstelligt, daß, als unser Herr seinen Geist aufgab, jener geheimnisvolle Vorhang, der das verborgene, innerste Heiligtum, des Tempels abschloß, plötzlich gewaltsam, von oben bis unten zerriß“ (Leo M., Sem., LXVIII 3: Migne, P.‘L. LIV, 374.).

Am Kreuze also starb das alte Gesetz, das bald begraben und todbringend werden sollte (Hier. et August., Epist. CXLI, 14 et CXVI, 16: Migne, P. L. XXII, 924 et 943; S. Thom., I-II,q. 103, a. 3 ad 2; a. 4 ad l; Concil. Flor., pro lacob.: Mansi. XXXI, 1738.), um dem Neuen Bund Platz zu machen, zu dessen geeigneten Dienern Christus die Apostel erwählt hatte (2. Cor. 3, 6.). In der Kraft des Kreuzes übt unser Heiland, obwohl schon im Schoße der Jungfrau zum Haupt der gesamten Menschenfamilie bestellt, das Amt des Hauptes in seiner Kirche in vollem Umfang aus. „Denn durch den Sieg des Kreuzes verdiente Er sich“, nach der Ansicht des engelgleichen, allgemeinen Lehrers, „die Macht und Herrschaft über die Völker“ (S. Thom., III, q. 42, a. 1.). Durch diesen Sieg vermehrte Er für uns ins unermeßliche jenen Gnadenschatz, den Er glorreich im Himmel regierend seinen sterblichen Gliedern unaufhörlich austeilt. Durch sein am Kreuze vergossenes Blut beseitigte Er das Hemmnis des göttlichen Zornes, so daß aus den Quellen des Heilandes alle Gaben des Himmels, zumal die heiligen Sakramente des Neuen und Ewigen Bundes, zum Heile der Menschen, besonders der Gläubigen, erfließen konnten. Am Kreuzesbaum erkaufte Er sich schließlich seine Kirche, das heißt alle Glieder seines geheimnisvollen Leibes, die durch das Bad der Taufe diesem mystischen Leibe einzig eingegliedert werden konnten durch die heilbringende Kraft des Kreuzes, an dem sie schon in vollstem Maße Christus zu eigen geworden waren.

Wenn nun unser Erlöser durch seinen Tod im Vollsinn des Wortes Haupt der Kirche geworden ist, dann wurde der Kirche auch durch sein Blut die Fülle des Heiligen Geistes mitgeteilt, durch die sie seit der Erhebung und Verherrlichung des Menschensohnes am Kreuze auf göttliche Weise erleuchtet wird. Bis dahin nämlich, so bemerkt Augustinus (De pecc. orig., XXV. 29: Migne, P. L. XLIV, 400.), war der Gnadentau des Trösters nur auf Gedeons Vlies, das heißt auf das Volk Israel, herabgestiegen. Jetzt aber, als der Tempelvorhang zerriß, überströmte er in reicher Fülle, während das Vlies trocken und verlassen blieb, die gesamte Erde, das heißt die katholische Kirche, die durch keine Schranken weder der Stammes- noch der Landeszugehörigkeit begrenzt werden sollte. Wie also im ersten Augenblick der Menschwerdung der Sohn des Ewigen Vaters die mit Ihm wesensvereinigte Menschennatur mit dem Vollmaß des Heiligen Geistes ausstattete, damit sie ein geeignetes Werkzeug der Gottheit beim blutigen Erlösungswerk würde, so wollte Er in der Stunde seines kostbaren Todes seine Kirche durch reichere Gäben des Trösters bereichert sehen, damit sie beim Austeilen der göttlichen Erlösungsfrüchte ein fähiges, niemals versagendes Werkzeug des fleischgewordenen Wortes würde. Die rechtliche Sendung der Kirche nämlich und ihre Befugnis zu lehren, zu leiten und die Sakramente zu spenden, besitzen deshalb die himmlische Kraft und Gewalt, Christi Leib aufzubauen, weil Christus Jesus am Kreuz seiner Kirche den Quell göttlicher Gaben eröffnete. So ward sie instandgesetzt, den Menschen eine stets unfehlbare Lehre zu künden, sie durch die von Gott erleuchteten Hirten heilbringend zu leiten und mit himmlischen Gnaden zu überschütten.

Wenn wir alle diese Geheimnisse des Kreuzes aufmerksam betrachten, sind uns die Worte des Apostels an die Epheser nicht mehr dunkel, Christus habe durch sein Blut die Juden und die Heiden vereint, „da Er in seinem Fleische die Scheidewand niederriß“, die beide Völker trennte; Er habe zugleich das Alte Gesetz aufgehoben, „um aus den zweien in seiner Person einen neuen Menschen zu schaffen“, das heißt die Kirche, „und beide in einem Leibe mit Gott zu versöhnen durch sein Kreuz“ (Eph. 2,l4–16.). So hatte Er also die Kirche durch sein Blut gegründet. Am Pfingstfeste aber stärkte Er sie mit der ihr eigenen Kraft vom Himmel. Denn als Er den schon früher zu seinem Stellvertreter bestimmten Apostelfürsten feierlich in sein erhabenes Amt eingesetzt hatte, war Er zum Himmel gefahren und wollte nunmehr, sitzend zur Rechten des Vaters, seine Braut durch die sichtbare Herabkunft des Heiligen Geistes unter dem Brausen eines gewaltigen Sturmes und unter feurigen Zungen (Act. 2,1–4.) offenbaren und kundmachen. – Christus der Herr war ja selber beim Beginn seiner Lehrtätigkeit von seinem ewigen Vater durch den Heiligen Geist, der in leiblicher Gestalt gleich einer Taube herabkam und über ihm blieb (Luc. 3,22; Marc. l, 10.), geoffenbart worden. So sandte nun auch Er, als die Apostel ihr heiliges Predigtamt antreten sollten, seinen Geist vom Himmel herab, der sie mittels feuriger Zungen berührte und auf die übernatürliche Sendung und das übernatürliche Amt der Kirche wie mit göttlichem Finger hinweisen sollte.

Daß der mystische Leib, den die Kirche bildet, Christi Namen trägt, geht an zweiter Stelle daraus hervor, daß Christus tatsächlich von allen als Haupt der Kirche angesehen werden muß. „Er ist“, wie Paulus sagt, „das Haupt des Leibes, der Kirche“ (Col. l, 18.). Er ist das Haupt, von dem der ganze Leib in passender Ordnung zusammengehalten wird, heranwächst und zunimmt zu seinem Aufbau (Eph.4, 16 coll. Col. 2, 19.).

Es ist Euch wohlbekannt. Ehrwürdige Brüder, wie lichtvoll und klar die Meister der scholastischen Theologie, vor allem der engelgleiche, allgemeine Lehrer, über diese Wahrheit gehandelt haben. Ihr wißt auch sicher, daß die von St. Thomas vorgebrachten Beweise den Ansichten der heiligen Väter getreu entsprechen, die übrigens nichts anderes wiedergaben und erläuterten als die Aussprüche der Heiligen Schrift.

Dennoch möchten Wir hier zum allgemeinen Nutzen diesen Punkt genauer besprechen. Zunächst ist es klar, daß Gottes und der seligen Jungfrau Sohn wegen seiner einzigartigen Stellung Haupt der Kirche genannt werden muß. Nimmt doch das Haupt die höchste Stelle im Leibe ein. Wer ist aber höher gestellt als Christus, unser Gott, der, Wort des Ewigen Vaters, als der „Erstgeborene aller Schöpfung“ (Col. l, 15. 4) angesehen werden muß ? Wer steht auf erhabenerem Gipfel als Christus der Mensch, der, von der makellosen Jungfrau geboren, wahrer und wirklicher Sohn Gottes ist und nach seinem Sieg über den Tod durch die wunderbare, glorreiche Auferstehung der „Erstgeborene unter den Toten“ ward? (Col. 1, 18; Apoc. 1, 5. 5) Wer endlich hat höheren Rang zu beanspruchen als der, welcher, „alleiniger Mittler ... zwischen Gott und den Menschen“ (1. Tim. 2, 5.), auf ganz wunderbare Weise die Erde mit dem Himmel verbindet, der am Kreuz erhöht, wie von einem Thron der Barmherzigkeit alles an sich zog (Ioann. 12, 32.); der als Menschensohn, erwählt aus Zehntausenden, mehr von Gott geliebt wird als alle Menschen, alle Engel und die ganze Schöpfung? (Cyr. Alex., Comm. in Ioh. 1, 4: Migne, P. G. LXXIII, 69; S. Thom., I, q. 20, a. 4, ad I.) Weil aber Christus eine so erhabene Stelle einnimmt, lenkt und regiert Er allein mit Fug und Recht die Kirche. Darum ist Er auch aus diesem Grunde mit dem Haupt zu vergleichen. Das Haupt ist ja, um ein Wort des heiligen Ambrosius zu gebrauchen, die „königliche Burg“ des Leibes (Hexaem. 6, 55: Migne, P. L. XIV, 265.). Von ihm, als dem mit den vorzüglicheren Fähigkeiten ausgestatteten Glied, werden naturgemäß alle übrigen geleitet über die es gesetzt ist, um für sie Sorge zu tragen (August., De Agon. Christ., XX, 22: Migne, P. L. XL. 301.). So führt der Erlöser das Steuer über die gesamte christliche Gemeinschaft und lenkt sie. Und da eine Gemeinschaft von Menschen zu leiten nichts anderes bedeutet, als sie durch zweckmäßiges Planen und geeignete Mittel auf rechtem Weg zum vorbestimmten Ziele zu führen (S. Thom., L, q. 22, a. 1–4.), so ist leicht einzusehen, daß unser Heiland, Vorbild und Beispiel der guten Hirten (Ioann. 10, 1–18; 1. Petr. 5, 1–5.), all dies auf ganz wunderbare Weise ausübt.

Er selbst lehrte uns nämlich, als Er auf Erden weilte, durch Vorschriften, Räte und Mahnungen mit Worten, die niemals vergehen und die für die Menschen aller Zeiten Geist und Leben sein werden (Ioann. 6, 63.). Und überdies erteilte Er seinen Aposteln und deren Nachfolgern eine dreifache Gewalt: zu lehren, zu leiten und die Menschen zur Heiligkeit zu führen. Diese mit besonderen Vorschriften, Rechten und Pflichten umschriebene Gewalt stellte Er als Grundsatz der ganzen Kirche auf.

Aber unser göttlicher Erlöser lenkt und leitet auch selbst unmittelbar die von Ihm gegründete Gesellschaft. Er selber regiert nämlich im Geiste und Herzen der Menschen, beugt und spornt nach seinem Wohlgefallen sogar den widerspenstigen Willen, „Das Herz des Königs ist in der Hand des Herrn. Er lenkt es, wohin Er will“ (Proverb., 21, 1.). Durch diese innere Leitung sorgt Er nicht nur als „Hirte und Bischof unserer Seelen“ (1. Petr. 2, 25.) für die einzelnen, sondern trägt auch Fürsorge für die Gesamtkirche. Bald erleuchtet und stärkt Er ihre Vorsteher, damit jeder von ihnen getreu und fruchtbar sein Amt ausübe. Bald – und dies zumal in schwierigen Zeitumständen – erweckt Er im Schoße der Mutter Kirche Männer und Frauen, die durch den Glanz ihrer Heiligkeit hervorleuchten, um den übrigen Christgläubigen zum Beispiel zu dienen für das Wachstum seines geheimnisvollen Leibes. Mit besonderer Liebe aber blickt Christus vom Himmel auf seine makellose Braut, die hier auf Erden in der Verbannung leidet. Sieht Er sie in Gefahr, so entreißt Er sie der Sturmflut persönlich oder durch seine Engel (Act. 8, 26; 9, 1–19; 10,1–7; 12, 3–10.), oder durch sie, die wir als Hilfe der Christen anrufen, und durch andere himmlische Helfer. Haben sich dann die Wogen gelegt und beruhigt dann tröstet Er sie mit jenem Frieden, „der alle Vorstellung übersteigt“ (Philipp. 4, 7.).

Man darf aber nicht glauben, Er leite sie nur auf unsichtbare (Leo XIII, Satis Cognitum: A. S. S“ XXVIII, 725.) oder außerordentliche Weise. Unser göttlicher Erlöser übt auch eine sichtbare, ordentliche Leitung über seinen mystischen Leib aus durch seinen Stellvertreter auf Erden. Ihr wißt ja, Ehrwürdige Brüder, daß Christus, unser Herr, während seiner irdischen Pilgerfahrt „die kleine Herde“ (Luc. 12, 32.) zwar persönlich und auf wahrnehmbare Weise regiert hat. Als Er aber die Welt dann verlassen und zum Vater zurückkehren wollte, hat Er die sichtbare Leitung der ganzen von Ihm gegründeten Gesellschaft dem Apostelfürsten übertragen. In seiner Weisheit konnte Er ja den von Ihm geschaffenen gesellschaftlichen Leib der Kirche keineswegs ohne sichtbares Haupt lassen. Man kann auch nicht, um diese Wahrheit in Abrede zu stellen, behaupten, durch den in der Kirche aufgestellten Rechtsprimat sei dieser mystische Leib mit einem doppelten Haupte versehen. Denn Petrus ist kraft des Primates nur der Stellvertreter Christi, und daher gibt es nur ein einziges Haupt dieses Leibes, nämlich Christus. Er hört zwar nicht auf, die Kirchen auf geheimnisvolle Weise in eigener Person zu regieren, auf sichtbare Weise jedoch leitet Er sie durch den, der auf Erden seine Stelle vertritt. Bereits nach seiner glorreichen Himmelfahrt war die Kirche nicht nur auf Ihm selber, sondern auch auf Petrus als dem sichtbaren Grundstein erbaut. Daß Christus und sein Stellvertreter auf Erden nur ein einziges Haupt ausmachen, hat Bonifaz VIII., Unser Vorgänger unvergeßlichen Andenkens, durch das apostolische Schreiben Unam Sanctam feierlich erklärt (Corp. Iur. Can., Extr. comm., I, 8, 1.), und seine Nachfolger haben diese Lehre immerfort wiederholt.

In einem gefährlichen Irrtum befinden sich also jene, die meinen, sie könnten Christus als Haupt der Kirche verehren, ohne seinem Stellvertreter auf Erden die Treue zu wahren. Denn wer das sichtbare Haupt außer acht läßt und die sichtbaren Bande der Einheit zerreißt, der entstellt den mystischen Leib des Erlösers zu solcher Unkenntlichkeit, daß er von denen nicht mehr gesehen noch gefunden werden kann, die den sicheren Port des ewigen Heiles suchen.

Was Wir aber hier von der allgemeinen Kirche sagten, das muß auch von den besonderen christlichen Gemeinschaften gesagt werden, sowohl von den orientalischen wie von den lateinischen, aus denen die eine katholische Kirche besteht und sich zusammensetzt. Jede von ihnen wird von Christus Jesus durch das Wort und die Regierungsgewalt ihres eigenen Bischofs geleitet. Deshalb sind die kirchlichen Oberhirten nicht bloß als vorzüglichere Glieder der allgemeinen Kirche anzusehen, weil sie durch ein ganz eigenartiges Band mit dem göttlichen Haupte des ganzen Leibes verbunden und daher mit Recht „die wichtigsten Teile der Glieder des Herrn“ (Greg. Magn., Moral., XIV, 35, 43: Migne, P. L. LXXV, 1062.) genannt werden, sondern jeder einzelne in seinem Sprengel weidet und leitet im Namen Christi als wahrer Hirte seine eigene ihm anvertraute Herde (Conc. Vat., Const. de Ecci., cap. 3.). Bei dieser Tätigkeit sind sie freilich nicht völlig eigenen Rechtes, sondern der dem Römischen Papst gebührenden Gewalt unterstellt, wiewohl sie eine ordentliche Jurisdiktionsgewalt besitzen, die ihnen unmittelbar gleichfalls vom Papste erteilt wird. Deshalb müssen sie als Nachfolger der Apostel zufolge göttlicher Einsetzung (Cod. Iur. Can., can. 329, 1.) vom Volke verehrt werden. Und mehr als von den Regierenden dieser Welt, auch den allerhöchsten, gilt von den Bischöfen, da sie mit der Salbung des Heiligen Geistes versehen sind, das Schriftwort: „Vergreift euch nicht an meinem Gesalbten!“ (1. Paral. 16, 22; ps. 105,15.).

Wir werden darum von tiefer Wehmut ergriffen, wenn Uns berichtet wird, daß nicht wenige aus Unseren Brüdern im Bischofsamte Verfolgungen und Mißhandlungen erleiden, weil sie lebendiges Vorbild für ihre Herde (1. Petr. 5, 3.) geworden sind und das heilige, ihnen anvertraute „Glaubensgut“ (1. Tim. 6, 20.) mit geziemender Tapferkeit und Treue behüten; weil sie auf das Einhalten der heiligsten Gesetze dringen, die von Gott in die Herzen geschrieben sind; weil sie die ihnen anvertraute Herde nach dem Beispiel des höchsten Hirten gegen räuberische Wölfe beschützen. Und dies wird nicht nur ihnen persönlich zugefügt, sondern – was sie noch grausamer und härter empfinden – auch den ihrer Obsorge anvertrauten Gläubigen, ihren Gehilfen in der apostolischen Arbeit, ja sogar den gottgeweihten Jungfrauen. Ein derartiges Unrecht erachten Wir als Uns selber persönlich angetan und wiederholen den erhabenen Ausspruch Gregors des Großen, Unseres Vorgängers unvergeßlichen Andenkens: „Unsere Ehre ist die allgemeine Ehre der Kirche. Unsere Ehre ist die feste Kraft Unserer Brüder; nur dann sind Wir wahrhaft geehrt, wenn jedem einzelnen die ihm gebührende Ehre nicht verweigert wird“ (Ep. ad Eulog., 30: Migne, P. L. LXXVII, 933.).

Man darf aber nicht glauben, daß Christus, unser Haupt, weil Er eine so überragende Stellung einnimmt, nicht nach der Hilfe seines mystischen Leibes verlangt. Denn auch von diesem gilt, was Paulus vom menschlichen Organismus aussagt: „Das Haupt kann nicht zu den Füßen . .. sprechen: Ich bedarf euer nicht“ (1. Cor. 12, 21.).

Es ist offenkundig, daß die Christgläubigen unbedingt der Hilfe des göttlichen Erlösers bedürfen, da Er selber sagte: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Ioann. 15, 5.), und da nach des Apostels Ausspruch jeder Zuwachs beim Aufbau dieses mystischen Leibes von Christus, dem Haupte, sich herleitet (Eph. 4, 16; Col. 2, 19.). Jedoch muß auch festgehalten werden, so seltsam es erscheinen mag, daß Christus nach der Hilfe seiner Glieder verlangt. Und dies gilt vor allem vom obersten Hirten, insoweit er die Stelle Jesu Christi vertritt: um der Last des Hirtenamtes nicht zu erliegen, muß er andere zur Teilnahme an nicht wenigen seiner Obliegenheiten berufen, und bedarf täglich der Unterstützung durch die Gebetshilfe der Gesamtkirche. Überdies will unser Erlöser, soweit Er persönlich auf unsichtbare Weise die Kirche regiert, die Mitwirkung der Glieder seines mystischen Leibes bei der Ausführung des Erlösungswerkes. Das geschieht nicht aus Bedürftigkeit und Schwäche, sondern vielmehr deshalb, weil Er selber zur größeren Ehre seiner makellosen Braut es so angeordnet hat. Während Er nämlich am Kreuze starb, hat Er den unermeßlichen Schatz der Erlösung seiner Kirche vermacht, ohne daß sie ihrerseits dazu beitrug. Wo es sich aber darum handelt, den Schatz auszuteilen, läßt Er seine unbefleckte Braut an diesem Werke der Heiligung nicht nur teilnehmen, sondern will, daß dies sogar in gewissem Sinne durch ihre Tätigkeit bewirkt werde. Ein wahrhaft schaudererregendes Mysterium, das man niemals genug betrachten kann: daß nämlich das Heil vieler abhängig ist von den Gebeten und freiwilligen Bußübungen der Glieder des geheimnisvollen Leibes Jesu Christi, die sie zu diesem Zweck auf sich nehmen; und von der Mitwirkung, die die Hirten und Gläubigen, besonders die Familienväter und -mütter, unserem göttlichen Erlöser zu leisten haben.

Den eben auseinandergesetzten Gründen, aus denen hervorgeht, daß Christus der Herr das Haupt seines gesellschaftlichen Leibes genannt werden muß, sind jetzt noch drei andere hinzuzufügen, die miteinander in engem Zusammenhang stehen.

Wir beginnen mit der Gleichförmigkeit, die offensichtlich zwischen Haupt und Gliedern auf Grund der gleichen Natur besteht. Dazu ist zu bemerken: unsere Natur erreicht zwar nicht die der Engel, hat jedoch durch Gottes Güte vor der Engelnatur einen Vorzug: „Christus ist nämlich“, wie der Aquinate sagt, „das Haupt der Engel. Denn Christus steht über den Engeln auch seiner Menschheit nach ... Ebenso erleuchtet und beeinflußt Er die Engel auch als Mensch. Soweit jedoch die Naturgleichheit in Frage kommt, ist Christus nicht das Haupt der Engel, weil Er sich nach dem Wort des Apostels nicht der Engel, sondern der Kinder Abrahams annahm“ (Comm. in ep. ad Eph., cap. 1, lect. 8; Hebr. 2, 16–17.). Aber nicht nur unsere Natur hat Christus angenommen, sondern Er ist auch in der Gebrechlichkeit, Leidensfähigkeit und Sterblichkeit seines Leibes unser Blutsverwandter geworden. Wenn aber das Wort „sich selbst entäußerte und Knechtsgestalt annahm“ (Philipp. 2, 7.), so geschah dies auch deshalb, um uns, seine Brüder dem Fleische nach, der göttlichen Natur teilhaft zu machen (2. Petr. 1, 4.): hier in unserer irdischen Verbannung durch die heiligmachende Gnade, und dort in der ewigen Heimat durch Erlangung der ewigen Seligkeit. Deshalb wollte der Eingeborene des Ewigen Vaters Menschensohn sein, damit wir dem Bilde des Sohnes Gottes gleichförmig würden (Rom. 8, 29.) und nach dem Bilde unseres Schöpfers uns erneuerten (Col. 3,10.). Alle jene also, die sich des christlichen Namens rühmen, müssen nicht nur unseren göttlichen Erlöser als erhabenes und vollkommenstes Vorbild aller Tugenden betrachten, sondern auch durch weise Flucht vor der Sünde und eifriges Heiligkeitsstreben so seine Lehre und sein Leben in ihrem sittlichen Verhalten zum Ausdruck bringen, daß sie, wenn der Herr erscheint, Ihm in seiner Herrlichkeit ähnlich werden, und Ihn sehen, wie Er ist (1.Ioann.3,2.).

Wie aber Christus will, daß die einzelnen Glieder Ihm ähnlich werden, so wünscht Er es auch vom ganzen Leib der Kirche. Und das geschieht in der Tat, indem die Kirche nach dem Vorbild ihres Stifters lehrt, leitet und das göttliche Opfer darbringt. Außerdem stellt sie durch Befolgung der evangelischen Räte die Armut, den Gehorsam und die unberührte Keuschheit des Erlösers in sich dar. In ihren zahlreichen und verschiedenartigen religiösen Genossenschaften, die gleichsam ihre Kleinode bilden, zeigt sie uns gewissermaßen Christus selbst, wie Er auf dem Berge betrachtend betet oder den Volksscharen predigt oder die Kranken und Verletzten heilt, die Sünder zum Guten bekehrt, oder allen Wohltaten spendet. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn die Kirche, solange sie hier auf Erden weilt, nach dem Beispiel Christi auch mit Verfolgungen, Mißhandlungen und Leiden heimgesucht wird.

Überdies muß Christus deshalb als Haupt der Kirche gelten, weil sein mystischer Leib aus der Fülle und Vollkommenheit der übernatürlichen Gaben schöpft, die Er ihm spendet. Wie nämlich – worauf mehrere Väter hinweisen – das Haupt unseres sterblichen Leibes im Besitz aller Sinne ist, während die übrigen Glieder unseres Organismus nur am Gefühlssinn teilhaben, so strahlen auch alle Tugenden, Gaben und Gnadenvorzüge der christlichen Gemeinschaft in Christus dem Haupte aufs vollkommenste wieder. „Es war Gottes „Wille, in Ihm die ganze Fülle wohnen zu lassen“ (Col. 1, 19.). Ihn zieren jene übernatürlichen Gaben, welche die hypostatische Vereinigung der beiden Naturen im Gefolge hat: in Ihm wohnt der Heilige Geist in einer derartigen Gnadenfülle, daß sie größer nicht gedacht werden kann. Ihm ist gegeben „die Macht über alles Fleisch“ (Ioann. 17, 2.), überreich sind in Ihm „alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis“ (Col. 2,3.). Auch jene Erkenntnis, die man Erkenntnis der Gottschauung nennt, besitzt Er in solcher Fülle, daß sie an Umfang und Klarheit die beseligende Schau aller Heiligen im Himmel weit überragt. Und schließlich ist Er so reich an Gnade und Wahrheit, daß wir alle aus seiner unerschöpflichen Fülle empfangen (Ioann. l, 14–16.).

Diese Worte des Jüngers, dem Jesus seine besondere Liebe schenkte, geben Uns Anlaß, den letzten, besonders einleuchtenden Beweisgrund dafür anzuführen, daß Christus der Herr das Haupt seines mystischen Leibes zu nennen ist. Wie nämlich die Nerven vom Haupte in alle Glieder unseres Leibes sich verteilen und ihnen die Fähigkeit verleihen, zu fühlen und sich zu bewegen, so flößt unser Erlöser seiner Kirche die Kraft und die Stärke ein, vermöge deren die Christgläubigen die göttlichen Dinge klarer erkennen und eifriger erstreben. Von Ihm strahlt in den Leib der Kirche alles Licht aus, wodurch die Gläubigen übernatürliche Erleuchtung empfangen und jegliche Gnade, durch die sie heilig werden, wie Er selber heilig ist.

Seine gesamte Kirche erleuchtet Christus; das kann fast aus unzähligen Stellen der Heiligen Schrift und der heiligen Väter bewiesen werden. „Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der im Schoße des Vaters ruht, der hat Kunde von ihm gebracht“ (Ioann. 1, 18.).

Als Lehrer von Gott kommend (Ioann. 3,2.), um der Wahrheit Zeugnis zu geben (Ioann. 18,37.), erleuchtete Er die junge Kirche der Apostel mit seinem Lichte derart, daß der Apostelfürst ausrief: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Ioann. 6, 68.). Den Evangelisten stand Er vom Himmel aus in der Weise bei, daß sie gleichsam als Glieder Christi aufzeichneten, was sie sozusagen durch das Diktat des Hauptes erkannten (August., De cons. evang., I, 35, 54: Migne, P; L. XXXIV, 1070.). Und so ist Er auch heute noch für uns, die wir hier in der irdischen Verbannung weilen, Begründer des Glaubens, wie Er in der Heimat dessen Vollender (Hebr. 12, 2.) ist. Er ist es, der den Gläubigen das Licht des Glaubens eingießt; der die Hirten und Lehrer und besonders seinen Stellvertreter auf Erden mit den übernatürlichen Gaben der Erkenntnis, der Einsicht und Weisheit bereichert, damit sie den Schatz des Glaubens getreu bewahren, mutig verteidigen, fromm und eifrig erklären und sichern. Er ist es schließlich, der, wenn auch unsichtbar, die Konzilien der Kirche leitet und erleuchtet (Cyr. Alex., Ep. 55 de Symb.: Migne, P. G. LXXVII, 293.).

Christus ist Begründer und Urheber der Heiligkeit. Denn es gibt keinen heilbringenden Akt, der nicht aus Ihm als seiner übernatürlichen Quelle sich herleitete. „Ohne Mich“, sagt Er, „könnt ihr nichts tun“ (Ioann. 15, 5.). Wenn wir ob begangener Schuld von Seelenschmerz und Reue bewegt werden; wenn wir uns in kindlicher Furcht und Hoffnung zu Gott bekehren, immer werden wir von seiner Kraft geführt. Gnade und Glorie entspringen aus seiner unerschöpflichen Fülle. Besonders die hervorragenderen Glieder seines mystischen Leibes beschenkt unser Erlöser unaufhörlich mit den Gaben des Rates, der Stärke, der Furcht und der Frömmigkeit, damit der gesamte Leib von Tag zu Tag mehr und mehr zunehme an Heiligkeit und Reinheit des Lebens. Und wenn die Sakramente der Kirche mit einem äußeren Ritus gespendet werden, dann bringt Er selber die Wirkung in den Seelen hervor (S. Thom., III, q. 64, a. 3. 2). Ebenso ist Er es, der die Erlösten mit seinem Fleische und Blute nährt und die wirren, erregten Leidenschaften beruhigt. Er vermehrt die Gnade und bereitet die Glorie für Seele und Leib. Diese Schätze der göttlichen Güte erteilt Er den Gliedern seines mystischen Leibes nicht bloß darum, weil Er sie als eucharistisches Opferlamm auf Erden und als verklärtes im Himmel durch Hinweis auf seine Wunden und mit innigem Flehen vom Ewigen Vater erbittet, sondern auch darum, weil Er für jeden Einzelnen jede einzelne Gnade „in dem Maße, in dem Christus sie austeilt“ (Eph. 4,7.), auswählt, bestimmt und zuwendet. Daraus folgt, daß vom göttlichen Erlöser wie aus der Hauptkraftquelle „der ganze Leib zusammengefügt und zusammengehalten wird mit Hilfe aller Gelenke, die ihren Dienst verrichten nach der Tätigkeit, die jedem Gliede zugewiesen ist. So vollzieht sich das Wachstum des Leibes, und baut er sich auf in Liebe“. (Eph. 4,16; Col. 2,19.)

Oben haben Wir, Ehrwürdige Brüder, kurz und klar dargelegt, wie Christus der Herr seine reichen Gaben aus seiner göttlichen Fülle heraus in die Kirche einströmen lassen will, damit sie Ihm möglichst gleichgestaltet werde. Diese Erörterung dient gewiß auch der Klarstellung des dritten Grundes, aus dem sich ergibt, weshalb der gesellschaftliche Leib der Kirche den herrlichen Namen Christi trägt: dieser Grund liegt darin, daß unser Erlöser selbst die von Ihm gestiftete Kirche mit göttlicher Kraft erhält. Wie Bellarmin (De Rom. Pont., I, 9; De Concil., II, 19.) fein und scharfsinnig bemerkt hat, ist diese Benennung des Leibes Christi nicht bloß daraus zu erklären, daß Christus das Haupt seines mystischen Leibes genannt werden muß, sondern auch aus der Tatsache, daß Er derart Träger der Kirche ist und in ihr gewissermaßen derart lebt, daß sie selbst gleichsam ein zweiter Christus wird. Gerade das behauptet der Völkerapostel, wenn er im Schreiben an die Korinther (1. Cor. 12, 12.) die Kirche einfachhin „Christus“ nennt, indem er offensichtlich den Meister selbst nachahmt, der ihm, als er die Kirche verfolgte, vom Himmel zurief (Apg. 9, 4; 22, 7; 26, 14.): „Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?“ Ja, wenn wir Gregor von Nyssa (Greg. Nyss., De vita Moysis: Migne, P. G. XLIV, 385.) glauben dürfen, wird die Kirche vom Apostel öfter „Christus“ geheißen; auch ist euch, ehrwürdige Brüder, das Wort Augustins nicht unbekannt: „Christus predigt Christus“ (Serm., CCCLIV, 1: Migne, P. L. XXXIX, 1563.).

Diese erhabene Benennung ist jedoch nicht so zu verstehen, als ob das unaussprechliche Band, womit der Sohn Gottes eine bestimmte menschliche Natur mit sich vereinigte, auch die Gesamtkirche umfasse. Sie hat vielmehr ihren Grund darin, daß unser Erlöser die Güter, die Ihm vornehmlich eigen sind, so seiner Kirche mitteilt, daß diese in ihrem ganzen Leben, dem sichtbaren wie dem geheimnisumhüllten, Christi Bild möglichst vollkommen zum Ausdruck bringt. Denn zufolge der rechtlichen Sendung, womit der göttliche Erlöser die Apostel in die Welt sandte, wie Er selbst vom Vater gesandt war (Ioann. 17, 18 et 20, 21.), ist Er es, der durch die Kirche tauft, lehrt und regiert, löst und bindet, darbringt und opfert. Mittels jener höheren, ganz inneren und erhabenen Schenkung, die Wir oben berührt haben, wo Wir nämlich die Art der Einflußnahme des Hauptes auf die Glieder beschrieben, läßt Christus der Herr die Kirche an seinem übernatürlichen Leben teilnehmen, durchdringt ihren ganzen Leib mit seiner göttlichen Kraft und nährt und erhält die einzelnen Glieder gemäß dem Rang, den sie im Leibe einnehmen, ungefähr in der Weise, in welcher der Weinstock die mit ihm verbundenen Rebzweige nährt und fruchtbar macht (Leo XIII, Sapientiae Christianae: A. S. S. XXII, 392; Satis cognitum: ibidem, XXVIII, 710.).

Wenn wir nun aufmerksam dieses göttliche von Christus gegebene Lebens- und Kraftprinzip in sich selbst betrachten, insofern es die Quelle einer jeden geschaffenen Gabe und Gnade bildet, werden wir leicht verstehen, daß es nichts anderes ist als der Tröster Geist, der vom Vater und vom Sohne ausgeht, und der in besonderer Weise Geist Christi und Geist des Sohnes genannt wird (Rom. 8, 9; 2. Cor. 3, 17; Gal. 4, 6.). Denn mit diesem Geist der Wahrheit und Gnade hat der Sohn Gottes im unversehrten Schoße der Jungfrau seine Seele gesalbt. Dieser Geist betrachtet es als seine Wonne, im lebenspendenden Erlöserherzen als in seinem bevorzugten Tempel zu wohnen. Diesen Geist hat uns Christus am Kreuze durch sein eigenes Blut verdient. Ihn hauchte Er über die Apostel aus und schenkte ihn so der Kirche zur Nachlassung der Sünden (Ioann. 20. 22.). Während jedoch nur Christus diesen Geist in ungemessener Fülle empfing (Ioann. 3, 34.), wird er den Gliedern des mystischen Leibes aus der Fülle Christi selbst nur in dem Grade verliehen, als Christus ihn gibt (Eph. 1, 8; 4, 7.). Nachdem Christus am Kreuze verherrlicht ist, wird sein Geist der Kirche in reichstem Maße mitgeteilt, damit sie selbst und ihre einzelnen Glieder von Tag zu Tag unserem Erlöser ähnlicher werden. Der Geist Christi ist es, der uns zu Adoptivkindern Gottes gemacht hat (Rom. 8, 14–17; Gal. 4, 6–7.), damit wir einst „alle mit unverhülltem Antlitz die Herrlichkeit,des Herrn schauen und so von Herrlichkeit zu Herrlichkeit zu dem gleichen Bilde umgestaltet werden“ (2. Cor. 3, 18.).

Dem Geiste Christi als dem unsichtbaren Prinzip kommt auch die Aufgabe zu, alle Teile des Leibes untereinander sowie mit ihrem erhabenen Haupte zu verbinden, da Er ja ganz im Haupte ist, ganz im Leibe, ganz in den einzelnen Gliedern. Diesen letzteren aber teilt er seine Gegenwart und seinen Beistand in verschiedenem Grade mit, je nach ihren verschiedenen Aufgaben und Ämtern und je nach dem höheren oder geringeren Maße ihrer geistlichen Gesundheit. Er ist es, der infolge seines himmlischen Odems in allen Teilen des Leibes als das Prinzip jeder wirklich zum Heile ersprießlichen Lebensbetätigung angesehen werden muß. Er ist es, der, obwohl selbst in allen Gliedern gegenwärtig und in ihnen in göttlicher Weise tätig, dennoch in den untergeordneten auch durch die Dienstleistung der übergeordneten wirkt. Er ist es endlich, der der Kirche unter dem Wehen seiner Gnade fortwährend neues Wachstum verleiht, es aber verschmäht, in den vom Leibe völlig getrennten Gliedern durch die heiligmachende Gnade zu wohnen. Gerade diese Gegenwart Und Wirksamkeit des Geistes Jesu Christi hat Unser weiser Vorgänger unsterblichen Andenkens Leo XIII. in seiner Enzyklika Divinum illud mit folgenden Worten kurz und treffend ausgedrückt: „Es genüge der eine Satz: Christus ist das Haupt der Kirche, der Heilige Geist ihre Seele“ (A. S. S., XXIX, p. 650.).

Wenn wir hingegen die innere Lebenskraft, mittels deren die ganze Christengemeinschaft von ihrem Stifter erhalten wird, nun nicht in sich selbst, sondern in den aus ihr entspringenden geschöpflichen Wirkungen betrachten, so besteht sie in den übernatürlichen Gnaden, die unser Erlöser zugleich mit seinem Geiste der Kirche verleiht, und zugleich mit seinem Geiste, als dem Spender übernatürlichen Lichtes und Wirker der Heiligkeit, hervorbringt. Die Kirche kann also ebenso wie alle ihre heiligen Glieder das große Wort des Apostels sich zu eigen machen: „Ich lebe, vielmehr nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal. 2, 20.).

Unsere Darlegungen über das „mystische Haupt“ (Ambros., De Elia et ieiun., 10 36–37 et in Psalm 118, serm. 20 2: Migne, P. L. XIV, 710 et XV, 1483.) würden unvollkommen bleiben, wenn Wir nicht, wenigstens kurz, auch den folgenden Satz desselben Apostels berührten: „Christus ist das Haupt der Kirche, Er der Erlöser seines Leibes“ (Eph. 5, 23.). Denn in diesen Worten liegt die Hindeutung auf den letzten Grund, weshalb der Leib der Kirche den Namen Christi trägt. Christus ist nämlich der göttliche Erlöser dieses Leibes. Wird Er doch mit vollem Recht von den Samaritern als „der Heiland der Welt gepriesen“ (Ioann. 4, 42.); ja, man muß Ihn ohne Zweifel als den „Heiland aller“ ansprechen, wenngleich man mit Paulus hinzufügen muß, „vornehmlich der Gläubigen“ (1. Tim. 4, 10.). Vor allen andern nämlich hat Er seine Glieder, die die Kirche bilden, mit seinem Blute erkauft (Apg. 20, 28.). Es erübrigt jedoch, diesen Gedanken weiter zu erörtern, nachdem Wir oben über die aus dem Kreuze entsprossene Kirche, über Christus, den Spender des Lichtes, den Wirker der Heiligkeit und den Erhalter seines mystischen Leibes ausführlich genug gehandelt haben. Vielmehr haben wir Grund, Gott unaufhörlich dafür zu danken und demütigen Sinnes aufmerksam darüber nachzudenken. Was unser Erlöser aber einst am Kreuze begonnen hat, das setzt Er in seiner himmlischen Herrlichkeit ohne Unterlaß fort. „Unser Haupt – so Augustinus – legt Fürsprache für uns ein: die einen Glieder nimmt Er zu sich, andere züchtigt Er, andere läutert Er, andere tröstet Er, andere erschafft Er, andere beruft Er, andere ruft Er zurück, andere bessert Er, andere erneuert Er“ (Enarr. in ps., LXXXV, 5: Migne, P. L. XXXVII, 1085.). Uns aber ist die Aufgabe geworden, Christus in diesem Heilswirken hilfreiche Hand zu leisten, „die wir aus dem Einen und durch den Einen erlöst sind und selbst erlösen“ (Clem. Alex., Strom., VII, 2: Migne, P. G. IX, 413.).

Gehen wir nun einen Schritt weiter, Ehrwürdige Brüder, und erörtern wir den Punkt, der den Grund, warum Christi Leib, die Kirche, mystisch, d. h. geheimnisvoll genannt werden muß, ins gehörige Licht rücken soll. Diese Benennung, die schon bei mehreren Kirchenschriftstellern der Vorzeit üblich war, wird durch nicht wenige Dokumente der Päpste bestätigt. Aber nicht bloß aus einem Grund ist dieses Wort berechtigt. Es unterscheidet zunächst den gesellschaftlichen Leib der Kirche, dessen Haupt und Lenker Christus ist, von dessen physischem Leib, der, aus der jungfräulichen Gottesmutter geboren, jetzt zur Rechten des Vaters thront und unter den eucharistischen Gestalten verborgen ist. Ebenso – und dies ist wegen der Zeitirrtümer von großer Bedeutung – schließt diese Bezeichnung jeden natürlichen Leib, sei es einen physischen, sei es einen sogenannten moralischen, aus.

In einem natürlichen Leibe nämlich verbindet das einigende Prinzip die einzelnen Teile derart, daß sie kein eigenes Fürsichsein mehr besitzen. Im mystischen Leib dagegen verbindet das einigende Prinzip, obschon es bis ins Innerste geht, die Glieder so untereinander, daß die einzelnen ihre Eigenpersönlichkeit vollauf bewahren. Wenn wir sodann das gegenseitige Verhältnis zwischen dem Ganzen und den einzelnen Gliedern betrachten, so ergibt sich folgendes: in jedem lebendigen physischen Leibe sind alle einzelnen Glieder in letzter Linie einzig zum Wohle des ganzen Organismus da, während jede gesellschaftliche Gliederung von Menschen, wenn man auf deren letzten Nützlichkeitszweck sieht, hingeordnet ist auf den Nutzen aller und zugleich jedes einzelnen Gliedes, da diese ja Personen sind. Um also auf unsere Sache zurückzukommen, wie der Sohn des Ewigen Vaters um des ewigen Heiles unser aller willen vom Himmel herabgestiegen ist, so hat Er den Leib der Kirche gebildet und mit dem göttlichen Geiste beseelt zu dem Zwecke, das ewige Glück der unsterblichen Seelen zu wirken und zu sichern, gemäß dem Ausspruch des Apostels: „Alles gehört euch, ihr aber gehört Christus und Christus Gott“ (1. Cor. 3, 23; Pius XI., Divini Redemptoris: A. A. S., 1937, p. 80.). Wie nämlich die Kirche zum Wohl der Gläubigen da ist, so hat sie die Bestimmung, Gott und den Er gesandt hat, Christus Jesus zu verherrlichen.

Vergleichen wir sodann den mystischen Leib mit einer sogenannten moralischen Körperschaft, so müssen wir auch da einen keineswegs geringfügigen, sondern höchst bedeutungsvollen und schwerwiegenden Unterschied feststellen. In der moralischen Körperschaft nämlich ist das einigende Prinzip nichts anderes als der gemeinsame Zweck und das gemeinsame Zusammenwirken aller zu demselben Zweck mittels einer gesellschaftlichen Obrigkeit. Im mystischen Leibe dagegen, von dem wir handeln, kommt zu diesem Zusammenwirken noch ein anderes inneres Prinzip, das sowohl dem ganzen Organismus wie den einzelnen Gliedern wirklich und kraftvoll innewohnt und von solcher Erhabenheit ist, daß es in sich betrachtet alle einigenden Bande, die einen physischen oder einen moralischen Leib zusammenhalten, unermeßlich weit überragt. Dieses Prinzip gehört, wie oben gesagt, nicht der natürlichen, sondern der übernatürlichen Ordnung an; ja es ist in sich selber geradezu unendlich und unerschaffen: der Geist Gottes, der, wie der engelgleiche Lehrer sagt, „der Zahl nach ein und derselbe, die ganze Kirche erfüllt und einigt“ (De Veritate, q. 29, a. 4, c.).

Die richtige Bedeutung der Bezeichnung „mystisch“ erinnert also daran, daß die Kirche, die als eine in ihrer Art vollkommene Gesellschaft anzusehen ist, nicht bloß aus gesellschaftlichen und rechtlichen Bestandteilen und Beziehungen besteht. Sie ist ja weit vorzüglicher als irgendwelche andern menschlichen Körperschaften (Leo XIII, Sapientiae christianae: A. S. S., XXII, p. 392.), die sie überragt, wie die Gnade die Natur hinter sich läßt und wie das Unsterbliche alles Vergängliche (Leo XIII, Satis cognitum: A. S. S., XXVIII, p. 724.). Jene rein menschliche Gesellschaften, namentlich der Staat, sind gewiß nicht zu verachten oder geringzuschätzen. Allein die Kirche als ganze gehört nicht der Ordnung dieser Dinge an, gleichwie der Mensch als ganzer nicht mit dem Gebilde unseres sterblichen Leibes, zusammenfällt (Ibidem, p. 710.). Denn die rechtlichen Beziehungen, auf welchen die Kirche ebenfalls beruht und welche zu ihren Bestandteilen gehören, stammen zwar aus ihrer göttlichen von Christus gegebenen Verfassung und haben ihren Anteil bei Erreichung ihres übernatürlichen Zieles. Doch was die Kirche über jedwede natürliche Ordnung hoch hinaushebt, ist der Geist unseres Erlösers, der als Quelle aller Gnaden, Gaben und Charismen fortwährend und zuinnerst die Kirche erfüllt und in ihr wirkt. Wie der Bau unseres sterblichen Leibes zwar ein wundervolles Werk unseres Schöpfers ist, jedoch weit unter der erhabenen Würde unserer Seele zurückbleibt, geradeso hat das gesellschaftliche Gefüge der christlichen Gemeinschaft, wie sehr es auch die Weisheit seines göttlichen Meisters verkündet, doch nur einen ganz untergeordneten Rang, sobald man es vergleicht mit den geistlichen Gaben, mit denen die Kirche ausgestattet ist und von denen sie lebt, sowie mit deren göttlichem Ursprung. Aus alledem, was Wir in unserem Schreiben an Euch, Ehrwürdige Brüder, bisher dargelegt haben, geht klar hervor, daß sich jene in einem schweren Irrtum befinden, die sich nach eigener Willkür eine verborgene, ganz unsichtbare Kirche vorstellen, ebenso wie jene, die sich die Kirche als eine Art menschlicher Organisation denken mit einer bestimmten satzungsmäßigen Ordnung und mit äußeren Riten, aber ohne Mitteilung übernatürlichen Lebens (Ibidem, p. 710.). Nein, wie Christus, das Haupt und Urbild der Kirche, „nicht ganz ist, wenn man in Ihm entweder nur die menschliche, sichtbare ..., oder bloß die göttliche, unsichtbare Natur betrachtet ..., sondern wie Er Einer aus beiden und in beiden Naturen ist ...: so sein mystischer Leib“ (Ibidem, p. 710.); hat doch das Wort Gottes eine menschliche leidensfähige Natur angenommen, damit nach der Gründung einer sichtbaren und mit dem göttlichen Blute geweihten Gesellschaft „der Mensch durch eine sichtbare Leitung den Weg zum Unsichtbaren zurückfinde“ (S. Thomas, De veritate, q. 29, a. 4, a. 3.).

Deshalb bedauern und verwerfen Wir auch den verhängnisvollen Irrtum jener, die sich eine selbstersonnene Kirche erträumen, nämlich eine nur durch Liebe aufgebaute und erhaltene Gesellschaft, der sie – mit einer gewissen Verächtlichkeit – eine andere, die sie die Rechtskirche nennen, gegenüberstellen. Eine solche Unterscheidung einzuführen ist ganz verfehlt. Sie verkennt, daß der göttliche Erlöser die von Ihm gegründete Gemeinschaft von Menschen als eine in ihrer Art vollkommene Gesellschaft mit allen rechtlichen und gesellschaftlichen Bestandteilen gerade zu dem Zwecke wollte, damit sie dem Heilswerk der Erlösung hier auf Erden dauernden Bestand sichere (Conc. Vat., Sess. IV, Const. dogm. de Eccl.), und daß Er sie zur Erreichung desselben Zweckes vom Tröster Geist mit himmlischen Gnaden und Gaben reich ausgestattet wissen wollte. Gewiß, sie sollte nach dem Willen des Ewigen Vaters „das Reich des Sohnes seiner Liebe“ (Col. 1, 13.) sein, dabei aber in Wahrheit ein solches Reich, in welchem alle durch ihren Glauben eine vollkommene Unterwerfung des Verstandes und Willens darbringen (Conc. Vat., Sess. III, Const. de fide cath., cap. 3.) und in Demut und Gehorsam Dem ähnlich werden sollten, der für uns „gehorsam ward bis zum Tode“ (Philipp. 2, 8.). Es kann also kein wirklicher Gegensatz oder Widerspruch bestehen zwischen der unsichtbaren Sendung des Heiligen Geistes und dem rechtlich von Christus empfangenen Amt der Hirten und Lehrer. Beide ergänzen und vervollkommnen einander wie in uns Leib und Seele, und gehen von Einem und demselben aus, unserem Erlöser: Er hat gewiß seinen Aposteln den göttlichen Odem eingehaucht mit den Worten: „Empfanget den Heiligen Geist“ (Ioann. 20,22.), aber Er hat ihnen auch den klaren Auftrag erteilt: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Ioann. 20,21.), und in gleichem Sinne gesagt: „Wer euch hört, der hört mich“ (Luc. 10, 16.).

Wenn man aber in der Kirche einiges wahrnimmt, was die Schwäche unserer menschlichen Natur verrät, so fällt das nicht ihrer rechtlichen Verfassung zur Last, sondern vielmehr der beklagenswerten Neigung der Einzelnen zum Bösen. Diese Schwäche duldet ihr göttlicher Stifter auch in den höheren Gliedern seines mystischen Leibes deswegen, damit die Tugend der Herde und der Hirten erprobt werde und in allen die Verdienste des christlichen Glaubens wachsen. Denn, wie oben gesagt, Christus wollte die Sünder aus der von Ihm gegründeten Gemeinschaft nicht ausgeschlossen wissen. Wenn also manche Glieder an geistlichen Gebrechen leiden, so ist das kein Grund, unsere Liebe zur Kirche zu vermindern, sondern vielmehr mit ihren Gliedern größeres Mitleid zu haben.

Ohne Fehl erstrahlt unsere verehrungswürdige Mutter in ihren Sakramenten, durch die sie ihre Kinder gebiert und nährt; im Glauben, den sie jederzeit unversehrt bewahrt; in ihren heiligen Gesetzen, durch die sie alle bindet, und in den evangelischen Räten, zu denen sie ermuntert; endlich in den himmlischen. Gaben und Charismen, durch die sie in unerschöpflicher Fruchtbarkeit (Conc. Vat., Sess. III, Const. de fide cath., cap. 3.) unabsehbare Scharen von Märtyrern, Jungfrauen und Bekennern hervorbringt. Ihr kann man es nicht zum Vorwurf machen, wenn einige ihrer Glieder krank oder wund sind. Sie fleht ja in deren Namen selbst täglich Gott an: „Vergib uns unsere Schulden“, und widmet sich unablässig ihrer geistlichen Pflege mit mütterlich starkem Herzen. Wenn wir also den Ausdruck „mystischer“ Leib Christi gebrauchen, so liegen schon in der Bedeutung dieses Wortes sehr ernste Lehren für uns. Solche Mahnung klingt an in den Worten des heiligen Leo: „Erkenne, Christ, deine Würde, und der göttlichen Natur einmal teilhaft geworden, kehre nicht durch unwürdiges Betragen zum alten erbärmlichen Zustand zurück! Denke daran, wessen Hauptes und wessen Leibes Glied du‘ bist!“ (Serm. XXI, 3: Migne, P. L. LIV, 192–193.).

Wir möchten jetzt, Ehrwürdige Brüder, in ganz besonderer Weise über unsere enge Verbindung mit Christus im Leibe der Kirche sprechen. Ist diese – wie mit Recht der heilige Augustinus sagt (August., Contra Faust., 21, 8: Migne, P. L. XLII, 392.) – etwas Erhabenes, Geheimnisvolles und Göttliches, so wird sie doch oft gerade aus diesem Grund von einigen falsch verstanden und dargestellt. Zunächst ist es klar, daß diese Verbindung mit Christus sehr innig ist. In der Heiligen Schrift wird sie mit dem Band einer keuschen Ehe, mit der lebensvollen Einheit von Weinstock und Rebzweigen und mit dem Organismus unseres Leibes verglichen (Eph. 5, 22–23; Ioann. 15, 1–5; Eph. 4, 16.). Sie wird als so tiefinnerlich dargestellt, daß es nach dem Wort des Völkerapostels: „Er (Christus) ist das Haupt des Leibes, der Kirche“ (Col. l, 18.), die uralte, ständig von den Vätern weitergegebene Lehre ist, der göttliche Erlöser bilde zusammen mit seinem gesellschaftlichen Leibe nur eine einzige mystische Person oder, wie Augustinus sagt, „den ganzen Christus“ (Enarr in Ps“ 17,51 et XC, II, I: Migne, P. L. XXXVI, 154 et XXXVII 1159.). Ja, unser Heiland selbst zögerte nicht, in seinem hohepriesterlichen Gebet diese Vereinigung mit jener wunderbaren Einheit zu vergleichen, durch die der Sohn im Vater ist und der Vater im Sohn (Ioann. 17, 21–23.).

Unsere Vereinigung in Christus und mit Christus aber ergibt sich an erster Stelle aus der Tatsache, daß die christliche Gemeinschaft nach dem Willen ihres Stifters einen vollkommenen Gesellschaftskörper bildet und infolgedessen in ihr alle Glieder vereint sein müssen durch das einheitliche Streben zum gleichen Ziel. Je edler aber das Ziel ist, auf das sich dieses Streben richtet, je göttlicher die Quelle ist, aus der es entspringt, um so erhabener gestaltet sich ohne Zweifel auch die Einheit. Nun ist aber sein Ziel das allerhöchste, nämlich die fortgesetzte Heiligung der Glieder dieses Leibes selbst zur Ehre Gottes und des Lammes, das geopfert ist (Apoc. 5, 12–13.). Seine Quelle aber ist ganz göttlich: der Ratschluß des Ewigen Vaters und der liebestarke Wille unseres Heilandes, aber auch die Erleuchtungen und Antrieb des Heiligen Geistes im Innersten unserer Seele. Wenn wir nicht den geringsten heilbringenden Akt setzen können, es sei denn im Heiligen Geiste, wie konnten da ungezählte Scharen verschiedenster Volkszugehörigkeit und Abstammung in voller Eintracht die Ehre des dreieinigen Gottes erstreben ohne die Kraft jenes Odems, der vom Vater und Sohn in einer einzigen, ewigen Liebe ausgeht?

Da nun aber dieser gesellschaftliche Leib Christi, wie Wir oben dargelegt haben, nach dem Willen seines Stifters sichtbar sein muß, so folgt notwendig, daß auch jenes Zusammenwirken aller Glieder äußerlich in die Erscheinung treten muß durch das Bekenntnis desselben Glaubens, durch die Gemeinschaft derselben Sakramente und die Teilnahme am selben Opfer, wie auch durch die tätige Beobachtung derselben Gebote. Zudem muß durchaus ein allen sichtbares Oberhaupt vorhanden sein, von dem die Tätigkeit und die Zusammenarbeit aller wirksam auf die Erreichung des vorgesteckten Zieles gerichtet wird: Wir meinen den Stellvertreter Jesü Christi auf Erden. Wie nämlich der göttliche Erlöser den Beistand, den Geist der Wahrheit, gesandt hat, damit Er an seiner Statt (Ioann. 14,16 et 26.) die unsichtbare Leitung der Kirche übernehme, so hat Er dem Petrus und seinen Nachfolgern aufgetragen, Ihn auf Erden zu vertreten und die sichtbare Leitung der christlichen Gemeinschaft zu übernehmen. Zu diesen rechtlichen Banden, die für sich allein schon die Bindungen jeder anderen, selbst der höchsten menschlichen Gesellschaft, weit übertreffen, kommt notwendig noch eine andere Einheitsgrundlage: es sind jene drei Tugenden, durch die wir mit Gott und untereinander aufs engste verbunden werden: der christliche Glaube, die Hoffnung und die Liebe.

In der Tat, es ist nur „ein Herr“, wie der Apostel mahnt, „nur ein Glaube“ (Eph.4,5.), jener Glaube nämlich, durch den wir dem einen Gott anhangen und Ihm, den Er gesandt hat, Jesus Christus (Eph.4,5.). Wie stark wir durch diesen Glauben mit Gott verbunden werden, zeigen die Worte des Liebesjüngers Jesu: „Wer immer bekennt, daß Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott, und er bleibt in Gott“ (1. Ioann. 4, 15.). Ebenso innig werden wir aber durch dieser christlichen Glauben untereinander und mit unserem Haupte verbunden. Denn da wir alle, die wir gläubig sind, „denselben Geist des Glaubens haben“ (2. Cor. 4, 13.), werden wir auch von demselben Lichte Christi erleuchtet, durch dieselbe Speise Christi ernährt, durch dasselbe Lehramt und dieselbe Amtsvollmacht Christi geleitet. Wenn nun derselbe Glaubensgeist uns alle beseelt, leben wir auch alle dasselbe Leben „im Glauben an den Sohn Gottes, der uns geliebt und sich für uns dahingegeben hat“ (Gal. 2, 20.); und wie Christus, unser Haupt, der Urheber unseres Glaubens ist, wenn Er, mit lebendigem Glauben aufgenommen, in unserem Herzen wohnt (Eph. 3, 17.), so wird Er auch sein Vollender sein (Hebr. 12, 2.).

Wie wir aber durch den Glauben hier auf Erden Gott anhangen als der Quelle der Wahrheit, so erstreben wir Ihn durch die Tugend der christlichen Hoffnung als die Quelle der Seligkeit, „indem wir die selige Hoffnung und die herrliche Erscheinung des großen Gottes erwarten“ (Tit. 2, 13.). Ob dieses gemeinsamen Verlangens nach dem Himmelreich, womit wir im Diesseits nicht unsere bleibende Heimat sehen, sondern die zukünftige suchen (Hebr. 13, 14.) und die Glorie des Himmels ersehnen, sagt der Völkerapostel ohne Bedenken: „Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung“ (Eph. 4, 4.); ja, Christus selbst wohnt in uns gleichsam als die Hoffnung der Herrlichkeit (Col. l, 27.).

Die Bande des Glaubens und der Hoffnung, durch die wir mit unserem göttlichen Erlöser in seinem mystischen Leibe verbunden werden, sind gewiß von großer Wichtigkeit und höchster Bedeutung. Aber sicher nicht weniger wichtig und wirksam sind die Bande der Liebe. Denn wenn schon im natürlichen Bereich die Liebe, aus der die wahre Freundschaft entspringt, etwas sehr Erhabenes ist, was muß man dann nicht von jener übernatürlichen Liebe sagen, die von Gott selbst in unsere Herzen ausgegossen wird ? „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm“ (1.Ioann.4,16.). Diese Liebe hat, gleichsam nach einem von Gott selbst gegebenen Gesetz die Wirkung, daß sie in unsere liebenden Herzen Ihn selbst in Gegenliebe hinabsteigen läßt gemäß dem Wort: „Wenn jemand mich liebt ..., wird auch mein Vater ihn lieben, und Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen“ (Ioann.14,23.). Die Liebe verbindet uns also enger mit Christus als jede andere Tugend. Von ihrer himmlischen Glut erfaßt, haben so viele Kinder der Kirche freudig für Ihn Schmach erlitten und bis zum letzten Atemzug und Blutstropfen jegliche, auch die schlimmsten Qualen und Prüfungen, ausgestanden. Deshalb mahnt uns unser göttlicher Heiland so eindringlich: „Bleibt in meiner Liebe!“ und da ja eine Liebe schwächlich und völlig inhaltslos bleibt, wenn sie sich nicht in guten Werken entfaltet und Gestalt annimmt, fügt Er sogleich hinzu: „Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe, wie auch Ich die Weisungen meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe verbleibe“ (Ioann.15,9–10.).

Aber dieser Liebe zu Gott und zu Christus muß die Liebe zum Nächsten entsprechen. Wie könnten wir denn auch behaupten, unseren göttlichen Erlöser zu lieben, wenn wir diejenigen haßten, die Er selbst mit seinem kostbaren Blute erlöst hat, um sie zu Gliedern seines mystischen Leibes zu machen? Aus diesem Grunde ermahnt uns auch der Liebesjünger Jesu mit den Worten: „Wenn einer sagt: Ich liebe Gott, dabei aber seinen Bruder haßt, so ist er ein Lügner. Denn wie kann einer Gott lieben, den er nicht sieht, wenn er seinen Bruder nicht liebt, den er sieht? Wir haben dies Gebot von Gott: Wer Gott liebt, der muß auch seinen Bruder lieben!“ (1. Ioann. 4, 20–21.). Sogar dies ist Tatsache: wir werden desto mehr mit Gott und Christus verbunden sein, je mehr wir einer des anderen Glieder sind (Rom. 12, 5.), in einmütiger Sorge füreinander (1. Cor. 12, 25.). Und wir selbst werden untereinander desto mehr in Liebe verbunden und zusammengeschlossen sein, je glühender die Liebe ist, womit wir Gott und unserem göttlichen Haupte anhangen.

Uns aber hat der eingeborene Sohn Gottes schon vor Grundlegung der Welt mit seiner anfanglosen, unendlichen Erkenntnis und seiner ewigen Liebe umfangen. Und um diese seine Liebe auf eine ganz augenscheinliche und wunderbare Weise zu offenbaren, erhob Er unsere Menschennatur zu persönlicher Einigung mit sich selbst, so daß, wie Maximus von Turin mit schlichter Einfachheit bemerkt, „in Christus unser eigenes Fleisch uns liebt“ (Serm. XXIX: Migne, P. L. LVII, 594.).

Jene liebevolle Erkenntnis aber, womit uns der göttliche Erlöser vom ersten Augenblick seiner Menschwerdung an entgegenkam, übertrifft alles menschliche Bemühen und Begreifen. Denn vermöge jener seligen Gottschau, deren Er sich sogleich nach der Empfängnis im Schoße der Gottesmutter erfreute, sind Ihm alle Glieder seines mystischen Leibes unablässig und jeden Augenblick gegenwärtig und umfängt Er sie alle mit seiner heilbringenden Liebe. O wunderbare Herablassung der göttlichen Güte zu uns; o unbegreifliche Tiefe einer Liebe ohne Grenzen! In der Krippe, am Kreuz, in der ewigen Glorie des Vaters hat Christus immerdar alle Glieder der Kirche vor Augen und im Herzen, mit weit größerer Klarheit und Liebe als eine Mutter ihr Kind auf dem Schoße, als ein jeder sich selbst kennt und liebt.

Aus dem Gesagten wird ersichtlich, Ehrwürdige Brüder, warum der Apostel Paulus so häufig schreibt, Christus lebe in uns und wir in Christus. Dafür gibt es aber auch noch einen tieferen Grund: nach unseren Ausführungen lebt Christus in uns durch seinen Geist, den Er uns mitteilt, und durch den Er so in uns tätig ist, daß alle übernatürlichen Wirkungen des Heiligen Geistes in den Seelen auch Christus zugeschrieben werden müssen (S. Thom., Comm. in Ep. ad Eph., cap. II, lect. 5.). „Wenn jemand den Geist Christi nicht hat, sagt der Apostel, gehört er Ihm nicht an. Ist dagegen Christus in euch ..., so lebt der Geist wegen der Rechtfertigung“ (Rom. 8, 9–10.). Dieselbe Mitteilung des Geistes Christi, womit alle Gaben, Tugenden und Charismen, die im Haupte auf überragende, überreiche und wirksame Weise wohnen, in alle Glieder der Kirche übergeleitet und in ihnen, gemäß der Stellung, die sie im mystischen Leibe Jesu Christi einnehmen, von Tag zu Tag vervollkommnet werden, hat auch zur Folge, daß die Kirche gleichsam, die Fülle und Ergänzung des Erlösers ist und Christus in jeder Beziehung in der Kirche gleichsam Erfüllung findet (S. Thom., Comm. in Ep. ad Eph., cap. I, lect. 8.). Mit diesen Worten haben Wir den tiefsten Grund berührt, warum nach der Ansicht des heiligen Augustin, die Wir schon kurz erwähnten, das mystische Haupt, welches Christus ist, und die Kirche, die hier auf Erden wie ein zweiter Christus seine Stelle vertritt, den einen neuen Menschen darstellen, durch den bei der unaufhörlichen Fortsetzung des Heilswerkes am Kreuze Himmel und Erde verbunden werden: Wir meinen Christus als Haupt und Leib, den ganzen Christus.

Wir wissen sehr gut, daß das Verständnis und die Erklärung dieser geheimnisvollen Lehre über unsere Verbindung mit dem göttlichen Heiland und zumal über das Wohnen des Heiligen Geistes in der Seele durch mannigfache Schleier gehindert wird und infolge der Schwäche des forschenden Menschengeistes in ein gewisses Dunkel gehüllt ist. Aber Wir wissen auch, daß aus dem rechten und eifrigen Studium dieses Gegenstandes und aus dem Widerstreit und der Erörterung der verschiedenen Meinungen und Ansichten, sofern solches Forschen sich leiten läßt von der Liebe zur Wahrheit und von dem schuldigen Gehorsam gegenüber der Kirche, reiche und kostbare Erkenntnisse ersprießen, durch die auch in diesen heiligen Wissensgebieten ein wirklicher Fortschritt erzielt wird. Deshalb machen Wir denen keinen Vorwurf, die verschiedene Wege und Weisen aufsuchen, um dem erhabenen Geheimnis unserer wundervollen Verbindung mit Christus näherzukommen und es nach Kräften aufzuhellen. Um aber dabei nicht von der wahren Lehre und dem rechten Lehramt der Kirche abzuirren, gelte für alle als gemeinsamer, unumstößlicher Grundsatz, jede Art von mystischer Vereinigung abzulehnen, wodurch die Gläubigen irgendwie die Grenzen des Geschöpfes überschreiten und so verwegen in den Bereich des Göttlichen einzudringen suchen, daß sie sich auch nur eine einzige Eigenschaft der ewigen Gottheit gleichsam selbst beilegen. Außerdem sollen alle ohne Schwanken daran festhalten, daß in diesen Dingen alles, was Gott als letzte Wirkursache betrifft, der ganzen Heiligsten Dreifaltigkeit zugeschrieben werden muß.

Ferner soll man wohl bedenken, daß es sich hier um ein verborgenes Geheimnis handelt, das wir während dieser irdischen Verbannung nie ganz enthüllt durchschauen und in menschlicher Sprache ausdrücken können. Man spricht von einer Einwohnung der göttlichen Personen, insofern sie in den geschaffenen, vernunftbegabten Lebewesen auf unerforschliche Weise zugegen sind und den Gegenstand ihrer Erkenntnis und Liebe bilden (S. Thom., I, q. 43, a. 3.); jedoch auf eine Weise, die alle geschöpfliche Fähigkeit übersteigt und tief innerlich und einzigartig ist. Wollen wir sie uns wenigstens in etwa nahebringen, so dürfen wir die vom Vatikanischen Konzil (Sess. 3, Const. de fid. cath., cap.4.) für solche Dinge dringend empfohlene Anweisung nicht außer acht lassen. Sie besteht darin, daß wir beim Bemühen um eine wenn auch noch so geringe Vermehrung unserer Erkenntnis göttlicher Geheimnisse, diese untereinander und mit dem höchsten Ziel, auf das sie hingeordnet sind, vergleichen sollen. Mit Recht wendet also Unser weiser, unvergeßlicher Vorgänger Leo XIII., da er von unserer Verbindung mit Christus und über den uns innewohnenden göttlichen Tröster spricht, die Augen zu jener beseligenden Schau, in der einst im Himmel diese mystische Verbindung ihren Abschluß und ihre Vollendung finden wird. „Diese wunderbare Vereinigung, sagt er, die man Einwohnung nennt, ist nur quantitativ, d. h. dem Grade nach von jener verschieden, in der Gott die Himmelsbewohner beseligend umfängt“ (Divinum illud: A. S. S“ XXIX, p. 653.). In jener Schau wird es uns auf ganz unsagbare Weise gestattet sein, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist mit den durch das Glorienlicht geschärften Augen des Geistes zu betrachten, die Ausgänge der göttlichen Personen durch alle Ewigkeit hindurch aus nächster Nähe mitzuerleben und ein Glück zu verkosten, jenem ähnlich, wodurch die allerheiligste und ungeteilte Dreifaltigkeit selig ist.

Was Wir bisher über die enge Verbindung des mystischen Leibes Jesu Christi mit seinem Haupte dargelegt haben, würde Uns indes unvollkommen scheinen, wenn Wir hier nicht wenigstens einiges hinzufügten über die hochheilige Eucharistie, wodurch jene Vereinigung in diesem sterblichen Leben gleichsam zu ihrem Gipfelpunkt geführt wird.

Christus der Herr wollte nämlich, daß die wunderbare, nie genug gepriesene Verbindung zwischen uns und unserem göttlichen Haupte durch das eucharistische Opfer den Gläubigen in besonderer Weise offenbar werde. Dabei vertreten nämlich die Priester nicht nur die Stelle unseres Heilandes, sondern auch die des ganzen mystischen Leibes und der einzelnen Gläubigen. Ebenso bringen aber auch die Gläubigen selbst das unbefleckte Opfer, das einzig durch des Priesters Wort auf dem Altare zugegen ward, durch die Hände desselben Priesters in betender Gemeinschaft mit ihm dem Ewigen Vater dar als ein wohlgefälliges Lob und Sühneopfer für die Anliegen der ganzen Kirche. Und so wie der göttliche Erlöser sterbend am Kreuze sich selbst als Haupt des ganzen Menschengeschlechtes dem Ewigen Vater zum Opfer brachte, so opfert Er in dieser „reinen Opfergabe“ (Mal. 1, 11.) nicht nur sich selbst als Haupt der Kirche dem himmlischen Vater, sondern in sich selbst auch seine mystischen Glieder, die Er ja alle, mögen sie auch schwach und krank sein, liebevoll in sein Herz geschlossen hat.

Das Sakrament der heiligen Eucharistie aber, das ein lebendiges und wunderbares Bild der Einheit der Kirche ist – da ja das zur Verwandlung bestimmte Brot aus vielen Körnern eins wird (Didache 9, 4.) – schenkt uns den Urheber der übernatürlichen Gnade selbst, damit wir aus Ihm jenen Geist der Liebe schöpfen, der uns antreibt, nicht mehr unser eigenes, sondern Christi Leben zu fuhren, und in allen Gliedern seines gesellschaftlichen Leibes den Erlöser selbst zu lieben.

Gibt es bei den traurigen Zeitverhältnissen, unter denen wir gegenwärtig leiden, viele, die Christus dem Herrn, verborgen unter den Schleiern der heiligen Eucharistie, derart anhangen, daß weder Trübsal noch Angst, weder Hunger noch Blöße, weder Gefahr noch Verfolgung und Schwert sie zu trennen vermöchten von seiner Liebe (Rom. 8, 35.), so kann ohne Zweifel das heilige Gastmahl, das nicht ohne göttliche Fügung in unserer Zeit von Kindheit auf wieder häufiger empfangen wird, die Quelle jener Seelenstärke werden, die nicht selten in der Christenheit auch Helden zu erwecken und zu erhalten vermag.

Das sind die Lehren, Ehrwürdige Brüder, die die Gläubigen recht erkennen und fromm und treu festhalten sollen. Dann können sie sich auch leicht vor jenen Irrtümern hüten, die von mancher Seite infolge einer willkürlichen Erforschung dieses schwierigen Gegenstandes nicht ohne große Gefahr für den katholischen Glauben und große Verwirrung der Seelen erwachsen.

Manche bedenken zu wenig, daß der Apostel Paulus nur bildlich über diesen Gegenstand gesprochen hat; unterlassen die so notwendige Unterscheidung zwischen physischem, moralischem und mystischem Leib und bringen so einen ganz verkehrten Begriff von Einheit auf. Sie lassen nämlich den göttlichen Erlöser und die Glieder der Kirche zu einer einzigen physischen Person zusammenwachsen; und während sie den Menschen göttliche Attribute beilegen, unterwerfen sie Christus den Herrn dem Irrtum und der menschlichen Neigung zum Bösen. Solch irreführende Lehre steht in vollem Widerspruch zum katholischen Glauben, zur Überlieferung der Väter und ebenso zur Ansicht und zum Geist des Völkerapostels. Er weiß zwar um die wunderbar innige Verbindung Christi mit seinem mystischen Leib, aber er stellt sie dennoch wie Braut und Bräutigam einander gegenüber (Eph. 5, 22–23.).

Nicht weniger entfernt sich von der Wahrheit der gefährliche Irrtum derer, die aus unserer geheimnisvollen Verbindung mit Christus einen ungesunden Quietismus herleiten wollen. Danach wird das ganze geistliche Leben der Christen und ihr Fortschritt in der Tugend nur der Wirksamkeit des Heiligen Geistes zugeschrieben unter völliger Verkennung und Beiseitelassung der persönlichen Mitwirkung, die wir Ihm schulden. Gewiß kann keiner leugnen, daß der Heilige Geist Jesu Christi die einzige Quelle ist, aus der alles übernatürliche Leben in die Kirche und ihre Glieder herabfließt. Denn die „Gnade und Glorie verleiht der Herr“ (Ps., 83,12.), sagt der Psalmist. Daß aber die Menschen beständig in den Werken der Heiligkeit verharren, daß sie unverdrossen in der Gnade und Tugend voranschreiten, daß sie selbst mannhaft zum Gipfel der christlichen Vollkommenheit emporstreben und auch andere nach Kräften dazu anspornen, das alles will der Geist Gottes nur dann wirken, wenn die Menschen selbst durch tägliches, tatkräftiges Bemühen ihren Teil dazu beitragen. „Nicht den Schlafenden“, sagt der heilige Ambrosius, „sondern den Eifrigen werden die göttlichen Wohltaten gespendet“ (Expos. Evang. sec. Luc. 4, 49: Migne, P. L. XV, 1626.). Wenn nämlich schon in unserem sterblichen Leib die Glieder nur bei ständiger Übung gesund und kräftig bleiben, so gilt das noch in viel höherem Grad vom gesellschaftlichen Leib Jesu Christi, in dem ja die einzelnen Glieder alle ihre persönliche Freiheit und Verantwortlichkeit behalten. Deswegen konnte auch derselbe, der das Wort aussprach: „Ich lebe, doch nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal. 2, 20.), ohne Zögern behaupten: „Seine (d. h. Gottes) Gnade ist in mir nicht unwirksam geblieben, sondern ich habe mich mehr gemüht als sie alle; doch nicht ich, sondern die Gnade Gottes mit mir“ (1. Cor. 15, 10.). Es ist demnach klar, daß durch jene falschen Lehren das Geheimnis, von dem Wir handeln, nicht dem geistlichen Fortschritt der Gläubigen, sondern in beklagenswerter Weise ihrem Verderben dienstbar gemacht wird.

Dasselbe geschieht auch durch die falschen Anschauungen jener, die behaupten, man dürfe die häufige Beichte der läßlichen Sünden nicht so hoch einschätzen; das allgemeine Sündenbekenntnis, das die Braut Christi Tag für Tag zusammen mit den ihr im Herrn vereinten Kindern durch die Priester am Fuß des Altares ablege, sei ihr vorzuziehen. Gewiß können solche Sünden, wie euch bekannt ist, Ehrwürdige Brüder, auf mannigfache, höchst lobenswerte Weise gesühnt werden. Aber zum täglich eifrigeren Fortschritt auf dem Wege der Tugend möchten Wir angelegentlichst den frommen Brauch der häufigen Beichte empfohlen wissen, der nicht ohne den Antrieb des Heiligen Geistes in der Kirche eingeführt wurde. Wird doch durch ihn die Selbsterkenntnis gefördert, die christliche Demut vertieft, die sittliche Schwäche an der Wurzel gefaßt, die geistliche Nachlässigkeit und Lauheit bekämpft, das Gewissen gereinigt, der Wille gestärkt, eine heilsame Seelenleitung ermöglicht und kraft des Sakramentes die Gnade vermehrt. Mögen also die, welche in den Reihen des jüngeren Klerus die Hochschätzung der häufigen Beichte zu verringern und herabzusetzen suchen, wohl bedenken, daß sie eine Sache betreiben, die dem Geiste Christi fremd und für den mystischen Leib unseres Heilandes ein Unsegen ist.

Manche sprechen auch unseren Gebeten alle wirkliche Kraft ab oder suchen andern die Meinung beizubringen, die privaten Gebete hätten vor Gott geringe Bedeutung; vielmehr komme den öffentlichen, im Namen der Kirche verrichteten Gebeten der wahre Wert zu, weil sie vom mystischen Leibe Jesu Christi ausgehen. Das ist durchaus nicht richtig. Der göttliche Erlöser steht nicht nur in der engsten Lebensgemeinschaft mit seiner Kirche als der vielgeliebten Braut, sondern in ihr ist Er, auch aufs innigste vereint mit der Seele jedes einzelnen Gläubigen und sehnt sich danach, vor allem nach der heiligen Kommunion, traute Zwiesprache mit ihr zu führen. Obgleich das öffentliche Gebet, da es von der Mutter Kirche selbst verrichtet wird, wegen der Würde der Braut Christi jedes andere übertrifft, so entbehren doch auch alle ändern, selbst die ganz privaten Gebete, nicht der Würde und Kraft. Sie tragen sogar viel bei zum Nutzen des ganzen mystischen Leibes. Denn in ihm wird kein gutes Werk, kein Tugendakt von einzelnen Gliedern vollbracht, der nicht infolge der Gemeinschaft der Heiligen auch der Gesamtheit zugute käme. Es ist den einzelnen Menschen auch nicht verwehrt, deswegen, weil sie Glieder dieses Leibes sind, besondere, auch rein zeitliche Gaben, für sich selbst zu erbitten, wenn dabei nur die demütige Unterwerfung unter den Willen Gottes gewahrt wird: sie bleiben ja selbständige Personen und ihren persönlichen Bedürfnissen unterworfen (S. Thom. II-II, q. 83, a. 5 et 6.). Welche Hochschätzung endlich alle der Betrachtung himmlischer Wahrheiten entgegenbringen sollen, geht aus den amtlichen Äußerungen der Kirche sowie aus der Übung und dem Vorbild aller Heiligen hervor.

Schließlich kann man auch der Auffassung begegnen, wir dürften unsere Gebete nicht unmittelbar an die Person Jesu Christi richten; sie müßten sich vielmehr durch Christus an den ewigen Vater wenden, da unser Heiland als Haupt seines mystischen Leibes nur als „der Mittler zwischen Gott und den Menschen“ (1. Tim. 2, 5.) angesehen werden dürfe. Aber eine solche Behauptung widerspricht nicht nur dem Geist der Kirche und der Gewohnheit der Gläubigen, sondern widerstreitet auch der Wahrheit. Christus ist nämlich, um uns ganz klar zu fassen, mit beiden Naturen zugleich das Haupt der ganzen Kirche (S. Thom., De Veritate, q. 29, a. 4, c.); und im übrigen hat Er auch selbst feierlich erklärt: „Wenn ihr Mich um etwas in meinem Namen bitten werdet, werde Ich es tun“ (Ioann. 14, 14.). Zwar werden, zumal beim heiligen Meßopfer, wo Christus zugleich Opferpriester und Opferlamm ist und so in besonderer Weise das Mittleramt ausübt, die Gebete meist durch seinen eingeborenen Sohn an den ewigen Vater gerichtet. Doch auch hier, selbst bei der heiligen Opferhandlung, wendet sich nicht selten das Gebet auch an den göttlichen Erlöser. Es sollte doch allen Christen bekannt und selbstverständlich sein, daß der Mensch Jesus Christus zugleich Gottes Sohn und Gott selber ist. Und so antwortet gewissermaßen die streitende Kirche, wenn sie das makellose Lamm und die konsekrierte Hostie anbetet und anfleht, auf die Stimme der triumphierenden Kirche, die nicht aufhört zu singen: „Dem, der auf dem Throne sitzt, und dem Lamme sei Preis und Ehre und Herrlichkeit und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ (Apoc. 5, 13.).

Wir haben bisher, Ehrwürdige Brüder, in Erklärung des Geheimnisses, das unser aller verborgene Verbindung mit Christus in sich begreift, als Lehrer der gesamten Kirche den Geist mit dem Lichte der Wahrheit erleuchtet. Nunmehr halten Wir es noch für die Pflicht Unseres Hirtenamtes, auch das Herz zu jener innigen Liebe zum mystischen Leibe Christi anzuregen, die sich nicht nur im Denken und Reden, sondern auch im Handeln äußert. Schon die Mitglieder des Alten Bundes haben ihre irdische heilige Stadt mit dem Psalm besungen: „Sollte ich dein vergessen, Jerusalem, dann soll man meine rechte Hand vergessen! Meine Zunge soll mir am Gaumen kleben, wenn ich deiner nimmer gedenke; wenn ich nimmer Jerusalem als meine vorzüglichste Freude betrachte!“ (Ps., 136, 5–6.). Mit wie viel größerem Stolz und lebendigerer Freude müssen wir darüber frohlocken, daß wir wohnen dürfen in der Stadt, gebaut auf den heiligen Höhen, aus lebendigen und auserwählten Quadern, „auf dem hehren Eckstein, der Christus Jesus selber ist!“ (Eph. 2, 20; 1. Petr. 2, 4–5.). Nichts Ehrenvolleres, nichts Erhabeneres, nichts Ruhmreicheres kann je erdacht werden, als anzugehören der heiligen, katholischen, apostolischen, römischen Kirche, durch die wir Glieder an dem gleichen verehrungswürdigen Leib werden, von dem einen erhabenen Haupt geleitet, von dem gleichen göttlichen Geist durchdrungen, von derselben Lehre und demselben Brot der Engel in dieser Erdenverbannung gestärkt, bis wir dereinst auch dasselbe ewige Glück im Himmel genießen dürfen.

Um jedoch nicht vom Engel der Finsternis, der sich in einen Engel des Lichtes (2. Cor. 11, 14.) kleidet, betrogen zu werden, sei oberstes Gesetz unserer Liebe: Christi Braut so zu lieben, wie Christus sie liebte und mit seinem Blute erkaufte. Teuer sollen uns daher die Sakramente sein, womit die gute Mutter Kirche uns stärkt; die Feiern, womit sie uns tröstet und erfreut, die heiligen Lieder und liturgischen Bräuche, womit sie unser Herz himmelwärts lenkt; teuer aber auch die Sakramentalien und jene verschiedenen Übungen der Frömmigkeit, womit sie die Herzen der Gläubigen liebevoll mit dem Geist Christi durchdringt und erhebt. Wie es unsere Kindespflicht ist, ihre mütterliche Liebe zu uns anzuerkennen, so noch mehr, die ihr von Christus verliehene Autorität zu verehren, die unseren Verstand für den Gehorsam gegen Christus (2. Cor. 10, 5.) gefangennimmt. Kraft dessen sind wir gehalten, ihren Gesetzen und ihren sittlichen Vorschriften zu gehorchen, die bisweilen unsere gefallene Natur hart empfindet; sind wir gemahnt, den Widerstand des Leibes, den wir tragen, durch freiwillige Abtötung zu beugen, ja zuweilen uns selbst erlaubter Freuden zu enthalten. Es genügt ferner nicht, diesen mystischen Leib nur insoweit zu lieben, als er durch sein göttliches Haupt und seine himmlischen Gaben sich auszeichnet. Wir müssen ihm auch in der sterblichen Erscheinung unseres Fleisches unsere tatfreudige Liebe zollen, in seinen menschlich schwachen Bestandteilen, auch wenn diese bisweilen weniger der Stellung entsprechen, die sie in dem verehrungswürdigen Leib einnehmen.

Damit solch zuverlässige und unverfälschte Liebe in unserem Herzen Platz greife und täglich wachse, müssen wir uns angewöhnen, in der Kirche Christus selbst zu erblicken. Denn Christus ist es, der in seiner Kirche lebt, der durch sie Lehre, Leitung und Heiligung spendet. Christus ist es auch, der sich auf verschiedene Weise in den verschiedenen Gliedern seiner Gemeinschaft darstellt. Wo dies Streben nach lebendigem Glaubensgeist wirklich das Handeln aller Christgläubigen bestimmt, da werden sie gewiß nicht allein den hervorragenderen Gliedern des mystischen Leibes Ehre und gebührenden Gehorsam entgegenbringen, zumal denen, welche im Auftrag des göttlichen Hauptes einmal Rechenschaft abzulegen haben über unsere Seelen (Hebr. 13, 17.); sie werden auch um jene sich kümmern, denen die besondere Liebe unseres Erlösers galt: den Schwachen, Verwundeten und Kranken, ob sie natürlicher oder übernatürlicher Heilung bedürfen; den Kindern, deren Unschuld heute so leicht gefährdet, deren kleine Seele wie Wachs formbar ist; den Armen endlich, in denen unsere helfende Liebe mit innigem Mitleid die Person Jesu Christi selber erkennen soll.

So mahnt ja der Apostel mit vollem Recht: „Viel notwendiger sind jene Glieder des Leibes, die als die schwächeren erscheinen; und die, welche wir für die weniger achtunggebietenden ansehen, umkleiden wir mit reicherem Schmuck“ (1. Cor. 12, 22–23.). Im Bewußtsein der Uns auferlegten hohen Amtspflicht glauben Wir diesen ernsten Satz heute erneut betonen zu müssen. Mit großem Schmerz erleben Wir es, wie körperlich Mißgestaltete, Geistesgestörte und Erbkranke als Last der Gesellschaft zuweilen ihres Lebens beraubt werden; ja wie dies von manchen als neue Erfindung menschlichen Fortschritts und überaus gemeinnützige Tat gepriesen wird. Doch welcher rechtlich Denkende sieht nicht, daß solche Auffassung nicht minder dem natürlichen und dem göttlichen, allen Herzen eingeschriebenen Gesetz (Decret. S. Officii, 2 Dec. 1940: A.A. S., 1940, p. 553.), als dem Empfinden jedweder höheren Menschlichkeit Hohn spricht? Das Blut derer, die unserem Erlöser gerade deswegen teurer sind, weil sie größeres Erbarmen verdienen, „schreit von der Erde zum Himmel“ (Gen. 4, 10.).

Damit aber jene echte Liebe, womit wir in der Kirche und ihren Gliedern unseren Erlöser erblicken müssen, nicht allmählich erlahme, ist es eine große Hilfe, wenn wir auf Jesus selbst als höchstes Vorbild der Liebe zur Kirche schauen.

In erster Linie wollen wir die Weite seiner Liebe nachahmen. Gewiß ist die Braut Christi nur eine: die Kirche. Doch die Liebe des göttlichen Bräutigams ist so weit, daß sie niemanden ausschließt und in der einen Braut das ganze Menschengeschlecht umfaßt. Aus diesem Grund hat unser Erlöser sein Blut vergossen, um alle Menschen, so verschieden sie durch Abstammung und Volkszugehörigkeit sein mögen, in seinem Kreuz mit Gott zu versöhnen und in einem Leibe zu einigen. Wahre Liebe zur Kirche fordert darum nicht nur von uns, daß wir als Glieder desselben Leines füreinander einstehen (Gen. 4, 10.), uns freuen sollen, wenn ein anderes Glied Ehre erfährt, und mit seinen Schmerz (1. Cor. 12, 26.) mitleiden sollen, sondern daß wir zugleich die Menschen, die noch nicht im Leibe der Kirche mit uns vereint sind, als Christi Brüder dem Fleische nach betrachten sollen, die gleich uns zu demselben ewigen Heil berufen sind. Leider gibt es heute mehr denn je Menschen, die mit Feindschaft, Haß und Mißgunst hochmütig prahlen, als sei dies eine gewaltige Steigerung menschlicher Ehre und menschlicher Kraft. Wir sehen mit Schmerz die unheilvollen Früchte solcher Grundsätze vor uns. Laßt uns darum unserem Friedensfürsten folgen, der uns lehrte, nicht nur die zu lieben, die aus anderem Volk und Blut stammen als wir (Luc. 10, 33–37.), sondern selbst unsere Feinde (Luc. 6, 27–35; Matth. 5, 44–48.). Wir wollen, von der tröstlichen Überzeugung des Völkerapostels tief durchdrungen, mit ihm die Höhe und die Breite, die Erhabenheit und Tiefe der Liebe Christi besingen (Eph. 3, 18.). Sie kann keine Verschiedenheit des Stammes und der Sitten schmälern, kein Ozean mit seinen gewaltigen Fluten hemmen, kein Krieg auflösen, sei er aus gerechtem oder ungerechtem Grund begonnen.

In dieser schweren Stunde, Ehrwürdige Bruder, in der soviel Schmerz den Körper, soviel Traurigkeit die Seele durchwühlt, müssen alle zu solch übernatürlicher Liebe aufgerufen werden. Die Kräfte aller Gutgesinnten – Wir denken besonders an jene, die in den verschiedensten Vereinigungen der Linderung der Not sich widmen – sollen sich verbinden, um in herrlichem Wetteifer von Güte und Erbarmen Abhilfe zu schaffen in so gewaltiger leiblicher und seelischer Not. So soll allüberall die wohltätige Weite und unerschöpfliche Segensfülle des mystischen Leibes Christi aufstrahlen.

Der Weite der Liebe, womit Christus die Kirche umfing, entspricht deren ausdauernde Tatkraft, womit denn auch wir alle eifrig und beharrlich bemüht sein sollen, den mystischen Leib Christi zu umhegen. Es gab im Leben unseres Erlösers keine Stunde von der Menschwerdung an, womit er den Grund zu seiner Kirche legte bis zum Ende seines sterblichen Lebens, worin er nicht um die Formung und Vollendung seiner Kirche bis zur Ermattung, obgleich Gottes Sohn, bemüht war mit dem strahlenden Vorbild seiner Heiligkeit, in Predigten, Zwiegesprächen, Berufungen, Bestimmungen. Es ist darum Unser Wunsch, es möchten alle, die in der Kirche ihre Mutter erkennen, eifrig erwägen, daß tatkräftige Mitarbeit zum Auferbauen und zum Wachstum des mystischen Leibes Jesu Christi nach dem Maß ihrer Stellung Pflicht aller Glieder ist, nicht bloß der Diener des Heiligtums und jener, die sich Gott ganz im religiösen Leben geweiht haben. Wir erwarten, daß dies ganz besonders jene beachten, wie sie es ja schon lobenswerterweise tun, die in den Kampfscharen der Katholischen Aktion den Bischöfen und Priestern im apostolischen Amt ihre Mithilfe leihen, und jene, die zum gleichen Zweck in frommen Vereinigungen mitwirken. Wie bedeutungsvoll und wichtig ihrer aller tüchtige Mitarbeit in der gegenwärtigen Lage ist, sieht jeder.

Wir dürfen an dieser Stelle nicht schweigen von den Familienvätern und -müttern, denen unser Erlöser die zartesten Glieder seines mystischen Leibes anvertraut hat. Um ihrer Liebe zu Christus und zur Kirche willen bitten Wir sie innig, mit größter Sorgfalt über die ihnen zu treuen Händen übergebenen Kinder zu wachen und sie vor den mannigfachen Tücken, denen sie heute so leicht zum Opfer fallen, zu bewahren.

In besonderer Weise aber hat unser Heiland seine glühende Liebe zur Kirche durch die innigen Gebete geoffenbart, die Er an den himmlischen Vater für sie richtete. Wie allen bekannt ist, Ehrwürdige Brüder, – um nur einiges in Erinnerung zu rufen – betete Er kurz vor dem Kreuzestod aus ganzem Herzen für Petrus (Luc. 22, 32.), für die übrigen Apostel (Ioann.17,9–19.) und dann für alle, die durch die Predigt des göttlichen Wortes an Ihn glauben würden (Ioann.17,20–23.).

Laßt uns darum in Nachahmung des Beispiels Christi täglich zum Herrn der Ernte flehen. Er wolle Arbeiter senden in seine Ernte (Matth. 9, 38; Luc. 10, 2.). Täglich sollen unsere vereinten Bitten zum Himmel emporsteigen, um Gott alle Glieder des mystischen Leibes Jesu Christi zu empfehlen, vor allem die Bischöfe, denen die Seelsorge über ihre Diözese anvertraut ist; sodann die Priester und Ordensleute, die, zum „Anteil des Herrn“ berufen, in der Heimat und im Heidenland das Reich des göttlichen Erlösers schützen, mehren und fördern. Kein Glied des verehrungswürdigen Leibes Christi wollen wir in unserem gemeinsamen Beten vergessen. Auch jener laßt uns innig gedenken, die die Last der irdischen Verbannung besonders schmerzlich empfinden, oder die, aus diesem Leben geschieden, im läuternden Feuer gereinigt werden; schließlich derer, die in die Lehre Christi erst eingeführt werden, damit sie möglichst bald im Wasser der Taufe Erlösung finden.

Wir wünschen ferner sehnlichst, dieses gemeinsame Beten möge mit heißer Liebe auf die sich ausdehnen, die entweder von der Wahrheit des Evangeliums noch nicht erleuchtet und in die sichere Hürde der Kirche noch nicht eingetreten sind, oder welche von Uns, die Wir ohne Unser Verdienst die Stelle Jesu Christi hier auf Erden vertreten, durch unglückselige Spaltung im Glauben und in der Einheit getrennt sind. Laßt uns für sie das göttliche Gebet unseres Heilandes zum Vater im Himmel wiederholen: „Auf daß alle eins sein mögen, wie Du, Vater, in mir und ich in Dir, daß auch sie in Uns eins seien, damit die Welt glaube, daß Du mich gesandt hast“ (Ioann. 17, 21.).

Wie euch sicher bekannt ist, Ehrwürdige Brüder, haben Wir von Anfang Unseres Pontifikates an auch sie, die nicht zur sichtbaren Gemeinschaft der katholischen Kirche gehören, Gottes Schutz und Leitung empfohlen und feierlich versichert, daß Uns in Nachahmung des Beispiels des guten Hirten nichts mehr am Herzen liegt, als daß auch sie das Leben haben und es in Fülle besitzen (Pius XII. Summi Pontificatus: A. A. S., 1939, p. 419.). Wir wünschen diese Unsere feierliche Versicherung durch diese Enzyklika, die der Ehre „des großen und glorreichen Leibes Christi“ (Iren., Adv. Haer., IV, 33, 7: Migne, P. G. VII, 1076.) geweiht ist, zu wiederholen, nachdem Wir soeben um die Gebete der ganzen Kirche nachgesucht haben. Alle jene und jeden einzelnen von ihnen laden Wir mit liebendem Herzen ein, den inneren Antrieben der göttlichen Gnade freiwillig und freudig zu entsprechen und sich aus einer Lage zu befreien, in der sie des eigenen ewigen Heiles nicht sicher sein können (Pius IX, lam vos omnes, 13 Sept. 1868: Act. Conc. Vat., C. L. VII, 10.). Denn mögen sie auch aus einem unbewußten Sehnen und Wünschen heraus schon in einer Beziehung stehen zum mystischen Leib des Erlösers, so entbehren sie doch so vieler wirksamen göttlichen Gaben und Hilfen, deren man sich nur in der katholischen Kirche erfreuen kann. Möchten sie also eintreten in den Kreis der katholischen Einheit und alle, mit uns in der gleichen Gemeinschaft des Leibes Jesu Christi geeint, an das eine Haupt sich wenden in ruhmreicher Liebesverbundenheit (Gelas. I, Epist. XIV: Migne, P. L. LIX, 89.). In unablässigem Flehen zum Geiste der Liebe und der Wahrheit erwarten Wir sie mit ausgebreiteten Armen, nicht als Fremde, sondern als solche, die in ihr eigenes Vaterhaus heimkehren.

Doch wenn es auch Unser Wunsch ist, es möchte unaufhörlich dies Gemeinschaftsgebet des ganzen mystischen Leibes um möglichst baldigen Eintritt aller Irrenden in die eine Hürde Jesu Christi zu Gott emporsteigen, so müssen Wir doch betonen, daß solch ein Schritt aus freiem Willensentschluß geschehen muß, da niemand glauben kann, der es nicht freiwillig tut (August., In Ioann. Ev. tract., XXVI, 2: Migne, P. L. XXX, 1607.). Sollten also Menschen, die nicht glauben, wirklich zum Eintritt in den äußerlichen Bau der Kirche, zum Hintreten an den Altar und zum Empfang der Sakramente genötigt werden, so können dies gewiß keine wahren Christgläubigen sein (August., Ibidem.). Denn der Glaube, ohne den man Gott unmöglich gefallen kann (Hebr. 11, 6.), muß eine völlig freie „Hingabe des Verstandes und Willens“ (Conc. Vat., Const. de fide cath., cap. 3.) sein. Sollte daher einmal der Fall eintreten, daß jemand gegen die beständige Lehre dieses apostolischen Stuhles (Leo XIII, Immortale Dei: A. S. S., XVIII, pp. 174–175; Cod. lur. Can., c. 1351.) wider seinen Willen zum katholischen Glauben gezwungen würde, so müssen Wir dies im Bewußtsein Unserer Amtspflicht unbedingt zurückweisen. Weil aber die Menschen einen freien Willen haben und ihre Freiheit infolge ihrer verkehrten Neigungen und Leidenschaften auch mißbrauchen können, kann nur der Vater der Erleuchtung sie durch den Geist seines geliebten Sohnes wirksam zur Wahrheit bewegen. Wenn also bedauerlicherweise so viele Menschen noch außerhalb der Wahrheit des katholischen Glaubens stehen und dem Walten der göttlichen Gnade ihre Freiheit nicht unterwerfen, so hat dies seinen Grund nicht nur darin, daß sie selbst (August., Ibidem.), sondern auch darin, daß die Christgläubigen keine glühenderen Gebete um diese Gnade an Gott richten. Stets aufs neue wiederholen Wir darum Unsere Mahnung, daß alle in brennender Liebe zur Kirche und nach dem Beispiel des göttlichen Heilandes solche Gebete beharrlich verrichten.

Aber auch dies ist, zumal in der heutigen Zeitlage angebracht, ja notwendig, daß für Könige und Fürsten und für alle Regierenden, die durch ihren Schutz von außen der Kirche beistehen können, innig gebetet wird, damit nach Herstellung einer gerechten Ordnung „der Friede als Werk der Gerechtigkeit“ (Is. 32, 17.) von Gottes Liebe beseelt aus den trüben Fluten der Unwetter der müden Menschheit sich zeige und die liebevolle Mutter Kirche ein friedliches und ruhiges Leben führen könne in aller Frömmigkeit und Reinheit (1. Tim. 2, 2.). Man muß vor Gott darum anhalten, daß doch alle Lenker der Völker die Weisheit lieben möchten (Sap. 6,23.), so daß sie nie das furchtbare Urteil des Heiligen Geistes treffe: „Fragen wird der Allerhöchste nach euern Werken, und eure Gedanken wird Er verhören, weil ihr als Walter seiner Gewalt ungerecht geurteilt, die Satzung der Gerechtigkeit nicht beobachtet habt, nach Gottes Willen nicht gewandelt seid. Schrecklich und überraschend wird Er vor euch stehen; denn das härteste Gericht ergeht über die Obrigkeiten. Dem kleinen Mann wird Erbarmen zuteil, die Gewalthaber indes werden gewaltig geschlagen. Gott schont keinen ob seines Ranges, Er fürchtet sich vor keiner Größe. Den Kleinen und den Großen, Er hat sie beide gemacht und gleicherweise auf alle erstreckt sich seine Sorge; doch den Stärkeren droht größere Strafe. Euch, ihr Regenten, gilt dieses mein Wort, daß ihr Weisheit lernet und nie sie mißachtet!“ (Ibidem, 6, 4–10.).

Christus der Herr hat seine Liebe zu seiner unberührten Braut jedoch nicht allein durch unermüdliches Wirken und beharrliches Beten geoffenbart, sondern auch durch die Leiden und Qualen, die Er aus freiwilliger Liebe für sie auf sich nahm. „Da Er die Seinen liebte ... liebte Er sie bis ans Ende“ (Ioann. 13, l.). Nur durch sein Blut hat Er sich die Kirche erkauft (Apg. 20, 28.). So laßt uns, wie es die Sicherstellung unseres Heiles verlangt, frei den blutigen Spuren unseres Königs folgen: „denn wenn wir zur Ähnlichkeit mit Seinem Tode verwachsen sind, werden wir es zugleich mit seiner Auferstehung sein“ (Rom. 6, 5.), und „wenn wir mitgestorben sind, werden wir auch mitleben“ (2. Tim. 2, 11.). Dies heischt von uns zugleich eine echte und tätige Liebe zur Kirche und zu den Seelen, die sie für Christus gebiert. Zwar hat unser Heiland seiner Kirche durch das bittere Leiden und den bitteren Tod einen geradezu unendlichen Schatz von Gnaden verdient. Doch diese Gnaden werden uns nach Gottes weisem Rat nur zu Teilen zugedacht; ihre gößere oder geringere Fülle hängt nicht wenig auch von unseren guten Werken ab, durch die der von Gottes Huld gespendete Gnadenregen auf die Seelen der Menschen herabgezogen wird. Er wird sicherlich in reicher Fülle strömen, wenn wir nicht nur eifrig zu Gott beten und besonders am heiligen Meßopfer womöglich täglich andächtig teilnehmen, nicht nur in christlicher Liebespflicht die Not so vieler Bedürftigen zu lindern versuchen, sondern vor allem, wenn wir den vergänglichen Gütern dieser Welt die ewigen vorziehen; wenn wir diesen sterblichen Leib durch freiwillige Buße in Zucht halten, ihm Unerlaubtes versagen und auch Hartes und Rauhes ihm abfordern; wenn wir endlich die Mühen und Leiden des gegenwärtigen Lebens wie aus Gottes Hand ergeben annehmen. So werden wir gemäß dem Wort des Apostels „an unserem Fleische ergänzen, was an dem Leiden Christi noch fehlt für seinen Leib, die Kirche“ (Col. l, 24.).

Während wir dies schreiben, steht vor Unseren Augen eine fast unendliche Schar von Bedrängten, deren Schmerz Wir innig mitfühlen. Es sind die Kranken, die Armen, die Krüppel, die Witwen und Waisen, und viele, die am eigenen Leid oder an dem der Ihrigen oft bis zur Erschöpfung tragen. Sie alle ermuntern Wir mit der Liebe eines Vaters, was immer der Grund ihrer Leiden und Drangsale sein mag, sie mögen voll Vertrauen emporblicken zum Himmel und ihre Not dem darbringen, der ihnen einst reichen Lohn dafür spenden wird. Mögen alle sich erinnern, daß ihr Dulden nicht eitel ist, sondern ihnen selbst und der Kirche zugleich großen Segen bringt, wenn sie es in solcher Absicht gelassen auf sich nehmen. Zur größeren Wirksamkeit dieser Absicht trägt sicherlich ungemein viel die täglich erneuerte Selbsthingabe an Gott bei, wie sie die Mitglieder jener frommen Vereinigung üben, die unter dem Namen Gebetsapostolat bekannt ist. Wir legen Wert darauf, den Gott so wohlgefälligen Bund in diesem Zusammenhang herzlich zu empfehlen.

Sollen wir schon zu jeder Zeit um des Heiles der Seelen willen unsere Leiden mit denen des göttlichen Erlösers vereinen, so muß dies heute, Ehrwürdige Brüder, allen ein Gebot sein, indes die furchtbare Kriegsfackel fast den ganzen Erdkreis in Brand steckt und soviel Tod, Elend und Not schafft. Ebenso muß es heute in besonderer Weise für alle ein Gebot der Stunde sein, sich der Laster, der Verführungen der Welt und der körperlichen Ausschweifungen zu enthalten; ja selbst von allem irdischen Tand, dem keinerlei Bedeutung für die christliche Formung der Seele und für unser himmlisches Endziel zukommt. Vielmehr müssen wir das ernste Wort Unseres unsterblichen Vorgängers Leo des Großen einprägen, daß wir durch die Taufe zum Fleisch des Gekreuzigten wurden (Serm. LXIII, 6; LXVI, 3: Migne, P. L. LIV, 357 et 366.), und das herrliche Gebet des heiligen Ambrosius: „Trage mich (Christus) auf Deinem Kreuz, das heilsam ist für die Verirrten, in dem allein Ruhe ist für die Wegesmüden, in dem allein Leben sein wird für alle, die sterben müssen“ (In Ps. 118, XXII, 30: Migne, P. L. XV, 1521.).

Bevor Wir nun schließen, fühlen Wir Uns gedrängt, wieder und wieder alle zu ermahnen, daß sie die gütige Mutter Kirche lieben mit herzlicher, tätiger Liebe. Für ihre Unversehrtheit und ihr reiches, blühendes Wachstum laßt uns täglich dem Ewigen Vater unser Beten, Schaffen und Leiden darbringen, sofern uns wirklich das Heil der gesamten Menschheitsfamilie am Herzen liegt, die durch göttliches Blut erlöst ist. Indes die jagenden Wolken den Himmel verdüstern; indes der gesamten menschlichen Gesellschaft und der Kirche selbst gewaltige Fährnisse drohen, laßt uns dem Vater der Erbarmungen uns und alles Unsere mit dem Gebet vertrauen: „Sieh‘ hernieder, o Herr, wir bitten Dich, auf diese Deine Familie, für die unser Herr Jesus Christus ohne Bedenken den Händen der Henker sich hingab und Kreuzesqual auf sich nahm“ (Off. Maior. Hebd.).

Möge die jungfräuliche Gottesmutter, Ehrwürdige Brüder, diesen Unseren Wünschen, die gewiß auch die euern sind, zur Verwirklichung helfen und allen eine unverfälschte Liebe zur Kirche erflehen! Ihre hochheilige Seele war mehr als alle ändern von Gott geschaffenen Seelen vom göttlichen Geiste Jesu Christi erfüllt. Sie hat ihre Zustimmung gegeben „im Namen der ganzen menschlichen Natur“, so daß „sich zwischen dem Sohne Gottes und der Menschennatur eine Art geistlicher Ehe“ vollzog (S. Thom., III, q, 80, a. 1.). Sie hat Christus den Herrn, der schon in ihrem jungfräulichen Schöße mit der Hoheit des Hauptseins über die Kirche umkrönt war, in Wundern geboren, den Quell alles himmlischen Lebens. Sie hat den Neugeborenen denen, die Ihm aus Juden und Heidenland die erste Anbetung zollten, als Prophet, König und Priester dargereicht. Ihr Einziggeborener hat auf ihre Mutterbitte „zu Cana in Galiläa“ das Wunderzeichen gewirkt, auf das hin „seine Jünger an Ihn glaubten“ (Ioann. 2, 11.). Sie hat, frei von jeder persönlichen oder erblichen Verschuldung und immer mit ihrem Sohn aufs innigste verbunden, Ihn auf Golgatha zusammen mit dem gänzlichen Opfer ihrer Mutterrechte und ihrer Mutterliebe dem Ewigen Vater dargebracht als neue Eva für alle Kinder Adams, die von dessen traurigem Fall entstellt waren. So ward sie, schon zuvor Mutter unseres Hauptes dem Leibe nach, nun auch auf Grund eines neuen Titels des Leids und der Ehre im Geiste Mutter aller seiner Glieder. Sie war es, die durch ihre mächtige Fürbitte erlangte, daß der schon am Kreuz geschenkte Geist des göttlichen Erlösers am Pfingsttag der neugeborenen Kirche in wunderbaren Gaben gespendet wurde. Sie hat endlich dadurch, daß sie ihr namenloses Leid tapfer und vertrauensvoll trug, mehr als alle Christgläubigen zusammen, als wahre Königin der Märtyrer, „ergänzt, was an den Leiden Christi noch fehlt ... für seinen Leib, die Kirche“ (Col. l, 24.). Sie hat den geheimnisvollen Leib Christi, der aus dem durchbohrten Herzen des Heilandes geboren ward (Off. Ssmi Cordis in hymno ad vesp.), mit derselben innigen Mutterliebe und Sorge begleitet, womit sie das Jesuskind in der Krippe und an ihrer Brust umhegte und nährte.

Ihrem unbefleckten Herzen haben Wir vertrauensvoll alle Menschen geweiht. Möge sie, die hochheilige Mutter aller Glieder Christi (Pius X, Ad diem illum: A. S. S., XXXVI, p. 453.), strahlend jetzt mit Leib und Seele in der Himmelsglorie und herrschend droben mit ihrem Sohn, von Ihm inständig erflehn, daß reiche Ströme der Gnade unaufhörlich vom erhabenen Haupt auf alle Glieder des geheimnisvollen Leibes herabfließen. Möge sie mit ihrer wirksamen Fürsprache wie in vergangenen Zeiten so heute die Kirche schützen und ihr sowie der ganzen Menschheit endlich friedlichere Zeiten von Gott erlangen. Von dieser übernatürlichen Hoffnung getragen, spenden Wir als Unterpfand himmlischer Gnaden und als Zeugnis Unseres besonderen Wohlwollens euch allen und jedem einzelnen. Ehrwürdige Brüder, sowie der jedem von euch anvertrauten Herde aus ganzem Herzen den apostolischen Segen.

 

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