Enzyklika "Mystici
Corporis"
über den
mystischen Leib Christi (29. Juni 1943)
Pius XII.
Hinweis/Quelle: Textgrundlage: W.
Jussen (Hg.), Gerechtigkeit schafft Frieden. Reden und
Enzykliken des Heiligen Vaters Papst Pius XII., Hamburg
1946, 276–347
Über den mystischen Leib
Christi, der die Kirche ist (Col. l, 24), hat uns zuerst
das Wort des Erlösers selbst unterrichtet. Durch diese
Lehre wird die große, nie genug gepriesene Huld unserer
innigen Verbindung mit einem so erhabenen Haupte in das
rechte Licht gestellt. Es handelt sich also gewiß um
eine Angelegenheit, die durch ihre Wichtigkeit und Würde
alle Menschen, die sich von Gottes Geist führen lassen,
zur Betrachtung einlädt, sie erleuchtet und dadurch in
hohem Maße anspornt zu jenen heilbringenden Werken, die
solchen Weisungen entsprechen. Wir halten es daher für
Unsere Aufgabe, hierüber in diesem Rundschreiben mit
euch zu sprechen, indem Wir davon vor allem das
herausstellen und darlegen, was die streitende Kirche
betrifft. Dazu bestimmt Uns nicht nur die
außergewöhnliche Erhabenheit dieser Wahrheit selbst,
sondern auch unsere gegenwärtige Zeitlage.
Wir beabsichtigen, vom
Reichtum zu reden, der im Schoße der Kirche ruht, die
Christus mit Seinem Blute erworben hat (Act. 20, 28. 3)
und deren Glieder sich ihres dornenumkrönten Hauptes
rühmen. Dies ist ein leuchtendes Zeugnis dafür, daß
alles Herrliche und Hohe nur aus dem Leid geboren wird,
und daß wir uns sogar freuen sollen, wenn wir an Christi
Leiden teilnehmen dürfen, damit wir auch bei der
Offenbarung Seiner Herrlichkeit uns freuen und
frohlocken können (l. Petr. 4, 13.).
Zunächst ist dies zu
bedenken: wie der Erlöser des Menschengeschlechtes von
denen, deren Heil zu wirken Er auf sich genommen hatte,
mit Nachstellungen, Verleumdungen und Qualen überhäuft
wurde, so muß die von Ihm gegründete Gemeinschaft auch
hierin ihrem göttlichen Stifter ähnlich werden. Zwar
leugnen Wir nicht, ja bekennen vielmehr mit Dank gegen
Gott, daß es auch in unserer verworrenen Zeit nicht
wenige gibt, die, obgleich getrennt von der Herde Jesu
Christi, dennoch auf die Kirche wie auf den einzigen
Port des Heiles schauen. Aber Wir wissen auch, daß die
Kirche Gottes verachtet und hochmütig und feindselig
geschmäht wird, nicht nur von solchen, die das Licht der
christlichen Weisheit ablehnen und einer erbärmlichen
Rückkehr zu den Lehren, Sitten und Einrichtungen einer
heidnischen Vorzeit das Wort reden. Sie begegnet
vielfach Verkennung, Gleichgültigkeit und selbst einem
gewissen Überdruß und Abscheu auch bei vielen Christen,
die sich durch den blendenden Schein des Irrtums
bestricken oder von den Verlockungen und Verführungen
der Welt umgarnen lassen. Wir haben daher allen Grund,
Ehrwürdige Brüder, aus Gewissenspflicht und um den
Wünschen vieler zu willfahren, die Schönheit,
Erhabenheit und Herrlichkeit unserer Mutter, der Kirche,
der wir nächst Gott alles verdanken, allen vor Augen zu
stellen und sie zu preisen. Es ist zu hoffen, daß diese
Unsere Weisungen und Mahnungen in den gegenwärtigen
Zeitverhältnissen bei den Christgläubigen reiche Fruchte
bringen. Denn Wir wissen, wenn das namenlose Weh und
Leid dieser sturmbewegten Zeit, das schier unzählbare
Menschen aufs bitterste heimsucht, wie aus Gottes Hand
in stiller Ergebung hingenommen wird, dann lenkt es wie
mit Naturgewalt das Herz der Leidenden vom irdisch
Vergänglichen weg dem Himmlischen und ewig Bleibenden
zu, und erweckt in ihnen einen geheimen Durst und ein
dringendes Verlangen nach den geistlichen Dingen. Unter
dem Wirken des göttlichen Geistes fühlen sie sich
angeregt und gedrängt, eifriger das Reich Gottes zu
suchen. Je mehr nämlich die Menschen von den
Nichtigkeiten dieser Welt und von der ungeordneten Liebe
zum Diesseits losgelöst werden, desto mehr werden sie
fähig zum Erfassen des Lichtes überirdischer
Geheimnisse. Nun zeigt sich aber heute vielleicht
deutlicher denn je die Unbeständigkeit und
Vergänglichkeit alles Irdischen, da Reiche und Staaten
stürzen, da ungeheure Werte und Reichtümer aller Art auf
den weiten Weltmeeren versenkt, da Städte, Festungen und
fruchtbare Gefilde zu grausigen Ruinen zerschlagen und
durch Brudermord befleckt werden.
Wir hoffen außerdem, es
werde auch für jene, die vom Schoße der katholischen
Kirche getrennt sind, nicht ungelegen noch unnütz sein,
was Wir nun über den mystischen Leib Jesu Christi
darlegen wollen. Und dies nicht bloß deshalb, weil ihr
Wohlwollen gegen die Kirche täglich zu wachsen scheint,
sondern auch aus folgendem Grunde: wenn sie wahrnehmen,
wie gegenwärtig Volk gegen Volk und Reich gegen Reich
sich erhebt und wie Zwietracht und Mißgunst, wie der
Same der Feindschaft ins Ungemessene wachsen; wenn sie
dann ihr Auge auf die Kirche richten und ihre
gottgegebene Einheit betrachten – wodurch alle Menschen
jedweder Abstammung in brüderlichem Bunde mit Christus
vereint sind –, dann werden sie sich wahrlich genötigt
sehen, eine solche Gemeinschaft der Liebe zu bewundern
und unter der Anregung und Hilfe der Gnade sich
angezogen fühlen, an dieser Einheit und Liebe
teilzuhaben.
Wir sehen noch einen Uns
besonders lieben Anlaß, weshalb gerade diese Wahrheit
Uns in den Sinn kommt und Uns mit hoher Freude erfüllt.
Im vergangenen Jahr, dem fünfundzwanzigsten seit Unserer
Bischofsweihe, erlebten Wir zu Unserem großen Trost
etwas, was das Bild des mystischen Leibes Jesu Christi
in allen Teilen der Welt hellstrahlend aufleuchten ließ.
Während nämlich der todbringende, lange Krieg die
brüderliche Gemeinschaft der Völker jämmerlich
zerbrochen hatte, sahen Wir allenthalben unsere Söhne in
Christo in einmütiger Gesinnung und Liebe ihr Herz zum
gemeinsamen Vater erheben, der mit den Kümmernissen und
Sorgen aller beladen in so stürmischer Zeit das Steuer
der katholischen Kirche zu führen hat. Hierin erblicken
Wir nicht nur ein Zeugnis für die wunderbare Einheit der
Christengemeinschaft, sondern auch für folgende
Tatsache: gleichwie Wir alle Völker jeglicher Nation mit
Vaterliebe umfangen, so schauen die Katholiken von
überall her, obgleich ihre Völker untereinander im
Kampfe stehen, zum Vertreter Jesu Christi wie zum Vater
auf, der alle liebt, der von völlig unparteilichem und
unbestechlichem Urteil geleitet über den aufgewühlten
Wogen der menschlichen Wirren steht, der die Wahrheit,
Gerechtigkeit und Liebe empfiehlt und nach Kräften
vertritt.
Ein nicht geringerer
Trost war es für Uns, zu erfahren, daß aus freiwilligen,
lieben Gaben ein Beitrag gesammelt wurde, damit sich in
Rom ein Heiligtum erheben könne zu Ehren Unseres
heiligen Vorgängers und Namenspatrons Eugen I. Wie diese
Kirche, durch den Willen und die Spenden aller
Christgläubigen errichtet, das Andenken an dieses
Festjahr verewigen soll, so wünschen Wir Unserer
Dankbarkeit durch dieses Rundschreiben bleibenden
Ausdruck zu verleihen; handelt es doch von jenen
lebendigen Bausteinen, die auf dem lebendigen Eckstein,
der Christus ist, mitauferbaut werden zu einem heiligen
Tempel, weit erhabener als jeglicher Tempel von
Menschenhand, zu einer Wohnung Gottes im Geiste (Eph. 2,
21. 22; l. Petr. 2, 5.).
Der Hauptgrund aber,
weswegen Wir jetzt diese erhabene Lehre einigermaßen
ausführlich behandeln wollen, ist Unsere Hirtensorge.
Wohl ist vieles hierüber veröffentlicht worden, und es
ist Uns nicht unbekannt, daß heute nicht wenige mit
Eifer und Hingabe sich mit diesem Gedanken beschäftigen,
der auch die christliche Frömmigkeit so sehr anzieht und
fördert. Dies ist, wie es scheint, vorab darauf
zurückzuführen, daß ein erneuertes Verständnis für die
heilige Liturgie, der sich durchsetzende häufigere
Empfang des eucharistischen Mahles und schließlich die
heute so erfreuliche, innigere Verehrung des heiligsten
Herzens Jesu viele zu einer tieferen Betrachtung der
unerforschlichen Reichtümer Christi geführt haben, die
in der Kirche hinterlegt sind. Dazu kommt, daß die
neuerlichen Veröffentlichungen über die Katholische
Aktion, die ja die Bande zwischen den Christen
untereinander und mit der kirchlichen Hierarchie,
besonders mit dem Bischof von Rom, immer enger knüpfen,
zweifellos nicht wenig beitrugen, um die Frage gebührend
zu beleuchten. Dürfen Wir uns jedoch über diese
Tatsachen auch mit gutem Grunde freuen, so sind trotzdem
nicht nur bei den von der wahren Kirche Getrennten
schwere Irrtümer über diese Lehre verbreitet, sondern es
zeigen sich unleugbar auch bei den Christgläubigen
weniger richtige oder ganz verfehlte Ansichten, die vom
rechten Wege der Wahrheit abziehen können.
Während nämlich auf der
einen Seite noch immer ein. falscher Rationalismus
alles, was menschliche Geisteskraft übersteigt und
hinter sich läßt, für sinnlos betrachtet; während ein
diesem verwandter Irrtum, ein flacher Naturalismus, in
der Kirche Christi nichts anderes sieht noch sehen will
als ein rein rechtliches und gesellschaftliches Band,
schleicht sich auf der anderen Seite ein falscher
Mystizismus ein, der die unverrückbaren Grenzen zwischen
Geschöpf und Schöpfer zu beseitigen sucht und die
Heilige Schrift mißdeutet.
Infolge dieser
entgegengesetzten, einander widersprechenden und
falschen Auffassungen halten manche aus ganz
unbegründeter Furcht eine solch tiefere Lehre für
gefährlich, ja erschrecken vor ihr wie vor einem
schönen, aber verbotenen Paradiesapfel. Das ist
unberechtigt; denn von Gott geoffenbarte Geheimnisse
können dem Menschen nicht verderblich sein, noch dürfen
sie, gleich dem verborgenen Schatz im Acker, unfruchtbar
bleiben. Sie sind uns vielmehr dazu von Gott geschenkt,
damit sie durch ehrfurchtsvolle Betrachtung zum
geistlichen Fortschritt beitragen. So lehrt ja das
Vatikanische Konzil: „Die vom Glauben erleuchtete
Vernunft vermag durch eifrige, ehrfürchtige und
bescheidene Erwägung mit Gottes Gnade eine gewisse
Einsicht in die Geheimnisse zu gewinnen, und zwar eine
überaus fruchtbare, auf Grund von Ähnlichkeiten im
Bereich der natürlichen Erkenntnisse sowie aus dem
Zusammenhang der Geheimnisse untereinander und mit dem
letzten Ziel des Menschen.“ Freilich wird die Vernunft,
so betont das gleiche Konzil, „niemals fähig, dieselben
so zu durchdringen wie die Wahrheiten, die den ihr
eigenen Erkenntnisgegenstand ausmachen“ (Sessio III:
Const. de fide cath., c. 4.).
Damit also die erhebende
Schönheit der Kirche in neuer Herrlichkeit erstrahle;
damit der unvergleichliche, übernatürliche Adel der
Gläubigen, die im Leibe Christi mit ihrem Haupte
verbunden sind, lichtvoller zutage trete; damit endlich
den vielfachen Irrtümern hierüber jedweder Zugang
verschlossen werde, hielten Wir es nach reiflicher
Überlegung vor Gott für Unsere Hirtenpflicht, der
gesamten Christenheit durch dieses Rundschreiben die
Lehre über den mystischen Leib Jesu Christi und über die
Verbindung der Gläubigen in diesem Leibe mit dem
göttlichen Erlöser vorzulegen und zugleich aus dieser
anziehenden Lehre einige Punkte hervorzuheben, die ein
tieferes Verständnis des Geheimnisses und dadurch immer
reichere Früchte der Vollkommenheit und Heiligkeit
bewirken mögen.
Der Betrachtung dieser
Lehre bietet sich zunächst das Apostelwort dar: „Als die
Sünde übergroß geworden war, wurde die Gnade noch
überwältigender (Rom. 5, 20.). Der Stammvater des ganzen
Menschengeschlechtes war, wie bekannt, von Gott in einen
so erhabenen Stand versetzt, daß er in seinen Nachkommen
zugleich mit dem irdischen auch das überirdische Leben
der himmlischen Gnade vermitteln sollte. Aber nach dem
traurigen Falle Adams verlor die gesamte
Menschenfamilie, von der Erbschuld angesteckt, die
Teilnahme an der göttlichen Natur (2. Petr, l, 4.), so
daß wir alle Kinder des Zornes wurden (Eph. 2, 3.). Doch
der erbarmungsreiche Gott „hat so sehr die Welt geliebt,
daß Er Seinen eingeborenen Sohn hingab“ (Ioann. 3, 16.),
und das Wort des Ewigen Vaters hat mit der gleichen
göttlichen Liebe aus der Nachkommenschaft Adams eine
menschliche Natur angenommen, freilich eine sündenlose
und von jeder Makel freie, damit von dem neuen,
himmlischen Adam die Gnade des Heiligen Geistes auf alle
Kinder des Stammvaters niederströme. Diese waren durch
die Sünde des ersten Menschen der göttlichen Kindschaft
verlustig gegangen. Jetzt aber sollten sie durch das
menschgewordene Wort, dem Fleische nach Brüder des
eingeborenen Sohnes Gottes geworden, die Macht erlangen,
Kinder Gottes zu werden (Ioann. l, 12.). So hat denn
Christus durch seinen Tod am Kreuze nicht bloß der
verletzten Gerechtigkeit des Ewigen Vaters Genüge getan,
sondern Er hat uns als Seinen Brüdern zugleich eine
unaussprechliche Fülle von Gnaden verdient. Diese hätte
Er selbst unmittelbar dem gesamten Menschengeschlecht
zuteilen können; Er wollte es aber tun durch die
sichtbare Kirche, zu der die Menschen sich vereinigen
sollten, damit so bei der Verteilung der göttlichen
Erlösungsfrüchte alle Ihm gewissermaßen Helferdienste
leisten könnten. Wie nämlich das Wort Gottes unsere
Natur gebrauchen wollte, um durch seine Schmerzen und
Peinen die Menschen zu erlösen, so gebraucht Es
ähnlicherweise im Laufe der Jahrhunderte die Kirche, um
dem begonnenen Werk Dauer zu verleihen (Conc. Vat.,
Const. de Eccl.).
Bei einer Wesenserklärung
dieser wahren Kirche Christi, welche die heilige,
katholische, apostolische, römische Kirche ist (ibidem,
Const. de fid. cath., cap. 1.), kann nichts Vornehmeres
und Vorzüglicheres, nichts Göttlicheres gefunden werden
als jener Ausdruck, womit sie als „der mystische Leib
Jesu Christi“ bezeichnet wird. Dieser Name ergibt sich
und erblüht gleichsam aus dem, was in der Heiligen
Schrift und in den Schriften der heiligen Väter häufig
darüber vorgebracht wird.
Daß die Kirche ein Leib
ist, sagen die Heiligen Bücher des öfteren. „Christus
ist das Haupt des Leibes der Kirche“ (Col. l, 18.). Wenn
aber die Kirche ein Leib ist, so muß sie etwas Einziges
und Unteilbares sein nach dem Worte des heiligen Paulus:
„Viele zwar, bilden wir doch nur einen Leib in Christus“
(Rom. 12, 5.). Doch nicht bloß etwas Einziges und
Unteilbares muß sie sein, sondern auch etwas Greifbares
und Sichtbares, wie Unser Vorgänger sel. Anged. Leo
XIII. in seinem Rundschreiben Satis cognitum feststellt:
„Deshalb, weil sie ein Leib ist, wird die Kirche mit den
Augen wahrgenommen“ (A. S. S., XXVIII, p. 710.).
Infolgedessen weicht von der göttlichen Wahrheit ab, wer
die Kirche so darstellt, als ob sie weder erfaßt noch
gesehen werden könnte; als ob sie, wie man behauptet,
nur etwas „Pneumatisches“ wäre, wodurch viele
christliche Gemeinschaften, obgleich voneinander im
Glauben getrennt, doch durch ein unsichtbares Band
untereinander vereint wären.
Aber ein Leib verlangt
auch eine Vielheit von Gliedern, die so untereinander
verbunden sein müssen, daß sie sich gegenseitig Hilfe
leisten. Und gleichwie in unserem sterblichen Leib, wenn
ein Glied leidet, alle andern mitleiden und die gesunden
Glieder den kranken zu Hilfe kommen, so leben auch in
der Kirche die einzelnen Glieder nicht einzig für sich,
sondern unterstützen auch die andern, und alle leisten
sich gegenseitig Hilfsdienste zu gegenseitigem Trost,
wie besonders zum weiteren Aufbau des ganzen Leibes.
Wie außerdem in der Natur
ein Leib nicht aus einer beliebigen Zusammensetzung von
Gliedern entsteht, sondern mit Organen ausgestattet sein
muß, das heißt mit Gliedern, die verschiedene Aufgaben
haben und die in geeigneter Ordnung zusammengesetzt
sind, so muß die Kirche hauptsächlich deshalb ein Leib
genannt werden, weil sie aus einer organischen
Verbindung von Teilen erwächst und mit verschiedenen,
aufeinander abgestimmten Gliedern versehen ist. Nicht
anders beschreibt der Apostel die Kirche, wenn er sagt:
„Gleichwie ... wir an dem einen Leib viele Glieder
haben, aber nicht alle Glieder den gleichen Dienst
verrichten, so sind wir viele ein Leib in Christus, die
einzelnen aber untereinander Glieder“ (Rom. 12, 4.).
Man darf jedoch nicht
glauben, dieser organische Aufbau des Leibes der Kirche
beziehe und beschränke sich allein auf die Stufenfolge
der kirchlichen Ämter, noch auch, wie eine
entgegengesetzte Meinung behauptet, sie bestehe einzig
aus Charismatikern, wenngleich solche mit wunderbaren
Gaben ausgestattete Menschen niemals in der Kirche
fehlen werden. Gewiß ist unbedingt festzuhalten, daß die
mit heiliger Vollmacht in diesem Leibe Betrauten dessen
erste und vorzügliche Glieder sind, da durch sie in
Kraft der Sendung des göttlichen Erlösers selbst die
Ämter Christi, des Lehrers, Königs und Priesters für
immer fortgesetzt werden. Aber mit vollem Recht haben
die Kirchenväter, wenn sie die Dienstleistungen, Stufen,
Berufe, Stellungen, Ordnungen und Ämter dieses Leibes
hervorheben, nicht nur jene vor Augen, die heilige
Weihen empfangen haben, sondern auch alle jene, die nach
Übernahme der evangelischen Räte ein tätiges Leben unter
den Menschen oder ein in der Stille verborgenes führen,
oder auch beides je nach ihrer besonderen Verfassung zu
verwirklichen trachten; ferner jene, die, obgleich in
der Welt lebend, doch sich eifrig in Werken der
Barmherzigkeit betätigen, um andern seelische oder
leibliche Hilfe zu leisten; endlich auch jene, die in
keuscher Ehe vermählt sind. Ja, es ist zu beachten, daß
zumal in den gegenwärtigen Zeitverhältnissen, die
Familienväter und -mütter, auch die Taufpaten und
namentlich jene, die als Laien zur Ausbreitung des
Reiches Christi der kirchlichen Hierarchie hilfreiche
Hand bieten, einen ehrenvollen, wenn auch oft
unansehnlichen Platz in der christlichen Gemeinschaft
einnehmen, ja daß auch sie mit Gottes Huld und Hilfe zur
höchsten Heiligkeit aufsteigen können, die gemäß den
Verheißungen Jesu Christi niemals in der Kirche fehlen
wird.
Wie aber der menschliche
Leib offensichtlich mit eigenen Werkzeugen ausgerüstet
ist, mit denen er für das Leben, die Gesundheit und das
Wachstum seiner selbst und der einzelnen Glieder sorgen
kann, so hat der Heiland der Menschen in seiner
unendlichen Güte wunderbar für seinen mystischen Leib
vorgesorgt, indem Er ihn mit Sakramenten bereicherte, um
dadurch die Glieder gleichsam in ununterbrochener
Gnadenfolge von der Wiege bis zum letzten Atemzuge zu
erhalten und zugleich für die sozialen Bedürfnisse des
ganzen Leibes reichlich zu sorgen. Durch das Bad der
Taufe werden die in dieses sterbliche Leben Geborenen
nicht nur aus dem Tode der Sünde wiedergeboren und zu
Gliedern der Kirche gemacht, sondern auch mit einem
geistlichen Merkmal gezeichnet und dadurch befähigt und
instand gesetzt, die übrigen heiligen Sakramente zu
empfangen. Durch die Salbung der Firmung wird den
Gläubigen neue Kraft verliehen, daß sie die Mutter
Kirche und den Glauben, den sie von ihr erhielten,
tapfer schützen und verteidigen. Durch das Sakrament der
Buße wird den Gliedern der Kirche, die in Sünde fielen,
ein wirksames Heilmittel geboten, womit nicht nur für
deren eigenes Heil gesorgt, sondern zugleich von den
ändern Gliedern des mystischen Leibes die Gefahr der
Ansteckung ferngehalten und ihnen überdies ein Ansporn
und ein Tugendbeispiel gegeben wird. Doch noch nicht
genug: durch die heilige Eucharistie werden die
Gläubigen mit einem und demselben Mahle genährt und
gestärkt, sowie untereinander und mit dem göttlichen
Haupte des ganzen Leibes durch ein unaussprechliches,
göttliches Band geeint. Und zuletzt steht die liebevolle
Mutter Kirche dem Todkranken bei, um ihm durch das
heilige Sakrament der Ölung, wenn Gott will, die
Genesung dieses sterblichen Leibes zu spenden; wenn
nicht, so doch der wunden Seele ein himmlisches
Heilmittel zu reichen und so dem Himmel neue Bürger und
sich selbst neue Anwälte zu schenken, die Gottes Güte
für ewig genießen.
Für die sozialen
Bedürfnisse der Kirche hat Christus sodann durch zwei
von ihm eingesetzte Sakramente noch in besonderer Weise
Sorge getragen. Durch die Ehe, in welcher die Brautleute
sich gegenseitig Spender der Gnade sind, wird die äußere
und geordnete Zunahme der christlichen Gemeinschaft und,
was noch wichtiger ist, die rechte religiöse
Kindererziehung gewährleistet, ohne die der mystische
Leib aufs schwerste bedroht wäre. Durch die heilige
Priesterweihe aber werden jene Gott völlig zum Dienste
geweiht, welche die eucharistische Hostie opfern, die
Schar der Gläubigen mit dem Brote der Engel und mit der
Speise der Lehre nähren, sie mit den göttlichen Geboten
und Räten leiten und mit den übrigen himmlischen Gaben
stärken sollen.
Dabei ist dies zu
bedenken: wie Gott zu Beginn der Zeit den Menschen mit
einer überaus reichen körperlichen Ausstattung bedachte,
kraft deren er die Schöpfung sich unterwerfen und sich
vermehrend die Erde erfüllen sollte, so hat Er am Anfang
des christlichen Zeitalters die Kirche mit den nötigen
Mitteln ausgestattet, daß sie nach Überwindung schier
unzähliger Gefahren nicht nur den ganzen Erdkreis,
sondern auch den Himmel erfülle.
Den Gliedern der Kirche
aber sind in Wahrheit nur jene zuzuzählen, die das Bad
der Wiedergeburt empfingen, sich zum wahren Glauben
bekennen und sich weder selbst zu ihrem Unsegen vom
Zusammenhang des Leibes getrennt haben, noch wegen
schwerer Verstöße durch die rechtmäßige kirchliche
Obrigkeit davon ausgeschlossen worden sind. „Denn – so
sagt der Apostel – durch einen Geist wurden wir alle zu
einem Leibe getauft, ob Juden oder Heiden, ob Sklaven
oder Freie“ (l. Cor. 12, 13.).
Wie es also in der wahren
Gemeinschaft der Christgläubigen nur einen Leib gibt,
nur einen Geist, einen Herrn und eine Taufe, so kann es
auch nur einen Glauben in ihr geben (Eph. 4, 5.); und
deshalb ist, wer die Kirche zu hören sich weigert, nach
dem Gebot des Herrn als Heide und öffentlicher Sünder zu
betrachten (Matth. 18, 17.). Aus diesem Grunde können
die, welche im Glauben oder in der Leitung voneinander
getrennt sind, nicht in diesem einen Leib und aus seinem
einen göttlichen Geiste leben.
Es wäre aber auch falsch
zu glauben, daß der Leib der Kirche deshalb, weil er den
Namen Christi trägt, schon hienieden, zur Zeit seiner
irdischen Pilgerschaft nur aus heiligmäßigen Gliedern
oder nur aus der Schar derer bestehe, die von Gott zur
ewigen Seligkeit vorherbestimmt sind. In seiner
unendlichen Barmherzigkeit versagt nämlich unser Heiland
in seinem mystischen Leib auch denen den Platz nicht,
welchen Er ihn einst beim Gastmahl nicht versagte (Matth.
9, 11; Marc. 2, 16; Luc. 15, 2.). Denn nicht jede
Schuld, mag sie auch ein schweres Vergehen sein, ist
dergestalt, daß sie, wie dies die Folge der
Glaubensspaltung, des Irrglaubens und des Abfalls vom
Glauben ist, ihrer Natur gemäß, den Menschen vom Leib
der Kirche trennt. Auch gehen die nicht allen
übernatürlichen Lebens verlustig, die zwar durch ihre
Sünde die Liebe und heiligmachende Gnade verloren haben
und deswegen unfähig geworden sind zu übernatürlichem
Verdienst, die aber den Glauben und die christliche
Hoffnung bewahren und durch himmlisches Licht
erleuchtet, durch die Einsprechungen und inneren
Antriebe des Heiligen Geistes zu heilsamer Furcht
gebracht und zum Gebet und zur Reue über ihren Fall
angespornt werden.
So möge denn jeder vor
der Sünde zurückschrecken, da durch sie die mystischen
Glieder des Erlösers befleckt werden; wer aber das
Unglück gehabt hat zu sündigen, ohne sich durch
Verstocktheit der Gemeinschaft der Christgläubigen
unwürdig gemacht zu haben, dem soll man mit größtem
Wohlwollen begegnen und in ihm in echter Liebe nichts
anderes sehen als ein krankes Glied Jesu Christi. Es ist
nämlich besser, wie der Bischof von Hippo bemerkt, „im
Lebenszusammenhang mit der Kirche geheilt, als aus ihrem
Körper als unheilbares Glied ausgeschnitten zu werden“
(August., Epist, CLVII, 3, 22: Migne, P. L., XXXIII,
686.). „Denn was noch mit dem Leibe zusammenhängt, an
dessen Heilung braucht man nicht zu verzweifeln; was
aber abgeschnitten ist, kann nicht mehr gepflegt und
geheilt werden“ (August., Senn., CXXXVII, l: Migne, P.
L., XXXVIII, 754.).
Aus den bisherigen
Erklärungen sehen wir, Ehrwürdige Brüder, daß die Kirche
derart gestaltet ist, daß man sie einem Leibe
vergleichen kann; nunmehr müssen wir deutlich und genau
darlegen, warum sie nicht ein beliebiger Leib, sondern
der Leib Jesu Christi genannt werden muß. Das aber geht
daraus hervor, daß unser Herr Schöpfer, Haupt, Erhalter
und Erlöser dieses mystischen Leibes ist.
Während Wir in Kürze
auseinandersetzen wollen, auf welche Weise Christus den
Leib Seiner Gemeinschaft gebildet hat, bietet sich Uns
zu Beginn folgender Ausspruch Leos XIII., Unseres
Vorgängers sel. Ang., dar: „Die Kirche, die bereits
vorher empfangen, aus der Seite des zweiten, am Kreuze
gleichsam schlummernden Adam hervorgegangen war, trat
zum erstenmal in erkennbarer Weise ans Licht der Welt am
hochheiligen Pfingstfest“ (Leo XIII. Divinum Illud: A.
S. S., XXIX, p. 649.). Der göttliche Erlöser begann
nämlich den Bau des mystischen Tempels seiner Kirche
damals, als Er predigend seine Gebote verkündete. Er
vollendete ihn dann, als Er verherrlicht am Kreuze hing,
und offenbarte und übergab ihn schließlich der
Öffentlichkeit, als Er seinen Jüngern in sichtbarer
Weise den Heiligen Geist als Tröster sandte.
Während Er nämlich das
Amt des Predigers ausübte, wählte Er die Apostel und
sandte sie aus, wie Er selber vom Vater gesandt war (Ioann.
17,18.), als Lehrer, als Lenker und als Spender der
Heiligkeit inmitten der Gläubigen. Er bestimmte ihr
Haupt und seinen Stellvertreter auf Erden (Matth. 16,
18–19.), offenbarte ihnen alles, was Er vom Vater gehört
hatte (Ioann. 15, 15 coll. 17, 8 et 14.), ordnete die
Taufe an (Ioann. 3,5.), durch welche die Gläubigen dem
Leibe der Kirche eingegliedert werden sollten.
Schließlich, am Abend seines Lebens angelangt, setzte Er
die heilige Eucharistie als wunderbares Opfer und
wunderbares Sakrament ein.
Daß Christus sein Werk am
Kreuzesstamme vollendet hat, versichern in
ununterbrochener Reihenfolge die Zeugnisse der heiligen
Väter, die darauf hinweisen, daß die „Kirche am Kreuz
aus der Seite des Erlösers geboren worden sei als neue
Eva und Mutter aller Lebendigen (Gen. 3,20.). Wo der
große Ambrosius von der durchbohrten Seite Christi
spricht, führt er aus: „Jetzt wird sie gebaut, jetzt
gestaltet, jetzt ... gebildet, und jetzt erschaffen. ...
Jetzt erhebt sich der geistliche Bau zum heiligen
Priestertum“ (Ambros., In Luc. 2, 87: Migne, P. L. XV,
1585.). Wer in diese verehrungswürdige Lehre frommen
Sinnes eindringt, wird leicht die Gründe erkennen, auf
die sie sich stützt.
Fürs erste nämlich folgte
auf den durch den Tod des Erlösers aufgehobenen Alten
Bund der Neue. Damals wurde das Gesetz Christi mit
Seinen Geheimnissen, Satzungen, Einrichtungen und
heiligen Bräuchen für den ganzen Erdkreis im Blute
Christi besiegelt. Denn während der göttliche Erlöser
noch in den engen Grenzen seines Landes predigte – Er
war ja nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel
gesandt (Matth. 15, 24.) – liefen Gesetz und Evangelium
nebeneinander her (S. Thom., I-II, p. 103, a. 3, ad 2.).
Doch am Stamme des Kreuzes hob Jesus durch seinen Tod
das Gesetz mit seinen Vorschriften auf (Eph. 2,15.),
heftete den Schuldschein des Alten Bundes ans Kreuz
(Col. 2,14.) und gründete in seinem Blute, das Er für
das gesamte Menschengeschlecht vergoß, den Neuen Bund (Matth.
26, 28 et l. Cor. 11,25.). „Derart augenscheinlich“, so
sagt der heilige Leo der Große, wo er vom Kreuze des
Herrn spricht, „wurde der Übergang vom Gesetz zum
Evangelium, von der Synagoge zur Kirche, von der
Vielfalt der Opfer zum einzigen Opfer bewerkstelligt,
daß, als unser Herr seinen Geist aufgab, jener
geheimnisvolle Vorhang, der das verborgene, innerste
Heiligtum, des Tempels abschloß, plötzlich gewaltsam,
von oben bis unten zerriß“ (Leo M., Sem., LXVIII 3:
Migne, P.‘L. LIV, 374.).
Am Kreuze also starb das
alte Gesetz, das bald begraben und todbringend werden
sollte (Hier. et August., Epist. CXLI, 14 et CXVI, 16:
Migne, P. L. XXII, 924 et 943; S. Thom., I-II,q. 103, a.
3 ad 2; a. 4 ad l; Concil. Flor., pro lacob.: Mansi.
XXXI, 1738.), um dem Neuen Bund Platz zu machen, zu
dessen geeigneten Dienern Christus die Apostel erwählt
hatte (2. Cor. 3, 6.). In der Kraft des Kreuzes übt
unser Heiland, obwohl schon im Schoße der Jungfrau zum
Haupt der gesamten Menschenfamilie bestellt, das Amt des
Hauptes in seiner Kirche in vollem Umfang aus. „Denn
durch den Sieg des Kreuzes verdiente Er sich“, nach der
Ansicht des engelgleichen, allgemeinen Lehrers, „die
Macht und Herrschaft über die Völker“ (S. Thom., III, q.
42, a. 1.). Durch diesen Sieg vermehrte Er für uns ins
unermeßliche jenen Gnadenschatz, den Er glorreich im
Himmel regierend seinen sterblichen Gliedern
unaufhörlich austeilt. Durch sein am Kreuze vergossenes
Blut beseitigte Er das Hemmnis des göttlichen Zornes, so
daß aus den Quellen des Heilandes alle Gaben des
Himmels, zumal die heiligen Sakramente des Neuen und
Ewigen Bundes, zum Heile der Menschen, besonders der
Gläubigen, erfließen konnten. Am Kreuzesbaum erkaufte Er
sich schließlich seine Kirche, das heißt alle Glieder
seines geheimnisvollen Leibes, die durch das Bad der
Taufe diesem mystischen Leibe einzig eingegliedert
werden konnten durch die heilbringende Kraft des
Kreuzes, an dem sie schon in vollstem Maße Christus zu
eigen geworden waren.
Wenn nun unser Erlöser
durch seinen Tod im Vollsinn des Wortes Haupt der Kirche
geworden ist, dann wurde der Kirche auch durch sein Blut
die Fülle des Heiligen Geistes mitgeteilt, durch die sie
seit der Erhebung und Verherrlichung des Menschensohnes
am Kreuze auf göttliche Weise erleuchtet wird. Bis dahin
nämlich, so bemerkt Augustinus (De pecc. orig., XXV. 29:
Migne, P. L. XLIV, 400.), war der Gnadentau des Trösters
nur auf Gedeons Vlies, das heißt auf das Volk Israel,
herabgestiegen. Jetzt aber, als der Tempelvorhang zerriß,
überströmte er in reicher Fülle, während das Vlies
trocken und verlassen blieb, die gesamte Erde, das heißt
die katholische Kirche, die durch keine Schranken weder
der Stammes- noch der Landeszugehörigkeit begrenzt
werden sollte. Wie also im ersten Augenblick der
Menschwerdung der Sohn des Ewigen Vaters die mit Ihm
wesensvereinigte Menschennatur mit dem Vollmaß des
Heiligen Geistes ausstattete, damit sie ein geeignetes
Werkzeug der Gottheit beim blutigen Erlösungswerk würde,
so wollte Er in der Stunde seines kostbaren Todes seine
Kirche durch reichere Gäben des Trösters bereichert
sehen, damit sie beim Austeilen der göttlichen
Erlösungsfrüchte ein fähiges, niemals versagendes
Werkzeug des fleischgewordenen Wortes würde. Die
rechtliche Sendung der Kirche nämlich und ihre Befugnis
zu lehren, zu leiten und die Sakramente zu spenden,
besitzen deshalb die himmlische Kraft und Gewalt,
Christi Leib aufzubauen, weil Christus Jesus am Kreuz
seiner Kirche den Quell göttlicher Gaben eröffnete. So
ward sie instandgesetzt, den Menschen eine stets
unfehlbare Lehre zu künden, sie durch die von Gott
erleuchteten Hirten heilbringend zu leiten und mit
himmlischen Gnaden zu überschütten.
Wenn wir alle diese
Geheimnisse des Kreuzes aufmerksam betrachten, sind uns
die Worte des Apostels an die Epheser nicht mehr dunkel,
Christus habe durch sein Blut die Juden und die Heiden
vereint, „da Er in seinem Fleische die Scheidewand
niederriß“, die beide Völker trennte; Er habe zugleich
das Alte Gesetz aufgehoben, „um aus den zweien in seiner
Person einen neuen Menschen zu schaffen“, das heißt die
Kirche, „und beide in einem Leibe mit Gott zu versöhnen
durch sein Kreuz“ (Eph. 2,l4–16.). So hatte Er also die
Kirche durch sein Blut gegründet. Am Pfingstfeste aber
stärkte Er sie mit der ihr eigenen Kraft vom Himmel.
Denn als Er den schon früher zu seinem Stellvertreter
bestimmten Apostelfürsten feierlich in sein erhabenes
Amt eingesetzt hatte, war Er zum Himmel gefahren und
wollte nunmehr, sitzend zur Rechten des Vaters, seine
Braut durch die sichtbare Herabkunft des Heiligen
Geistes unter dem Brausen eines gewaltigen Sturmes und
unter feurigen Zungen (Act. 2,1–4.) offenbaren und
kundmachen. – Christus der Herr war ja selber beim
Beginn seiner Lehrtätigkeit von seinem ewigen Vater
durch den Heiligen Geist, der in leiblicher Gestalt
gleich einer Taube herabkam und über ihm blieb (Luc.
3,22; Marc. l, 10.), geoffenbart worden. So sandte nun
auch Er, als die Apostel ihr heiliges Predigtamt
antreten sollten, seinen Geist vom Himmel herab, der sie
mittels feuriger Zungen berührte und auf die
übernatürliche Sendung und das übernatürliche Amt der
Kirche wie mit göttlichem Finger hinweisen sollte.
Daß der mystische Leib,
den die Kirche bildet, Christi Namen trägt, geht an
zweiter Stelle daraus hervor, daß Christus tatsächlich
von allen als Haupt der Kirche angesehen werden muß. „Er
ist“, wie Paulus sagt, „das Haupt des Leibes, der
Kirche“ (Col. l, 18.). Er ist das Haupt, von dem der
ganze Leib in passender Ordnung zusammengehalten wird,
heranwächst und zunimmt zu seinem Aufbau (Eph.4, 16 coll.
Col. 2, 19.).
Es ist Euch wohlbekannt.
Ehrwürdige Brüder, wie lichtvoll und klar die Meister
der scholastischen Theologie, vor allem der
engelgleiche, allgemeine Lehrer, über diese Wahrheit
gehandelt haben. Ihr wißt auch sicher, daß die von St.
Thomas vorgebrachten Beweise den Ansichten der heiligen
Väter getreu entsprechen, die übrigens nichts anderes
wiedergaben und erläuterten als die Aussprüche der
Heiligen Schrift.
Dennoch möchten Wir hier
zum allgemeinen Nutzen diesen Punkt genauer besprechen.
Zunächst ist es klar, daß Gottes und der seligen
Jungfrau Sohn wegen seiner einzigartigen Stellung Haupt
der Kirche genannt werden muß. Nimmt doch das Haupt die
höchste Stelle im Leibe ein. Wer ist aber höher gestellt
als Christus, unser Gott, der, Wort des Ewigen Vaters,
als der „Erstgeborene aller Schöpfung“ (Col. l, 15. 4)
angesehen werden muß ? Wer steht auf erhabenerem Gipfel
als Christus der Mensch, der, von der makellosen
Jungfrau geboren, wahrer und wirklicher Sohn Gottes ist
und nach seinem Sieg über den Tod durch die wunderbare,
glorreiche Auferstehung der „Erstgeborene unter den
Toten“ ward? (Col. 1, 18; Apoc. 1, 5. 5) Wer endlich hat
höheren Rang zu beanspruchen als der, welcher,
„alleiniger Mittler ... zwischen Gott und den Menschen“
(1. Tim. 2, 5.), auf ganz wunderbare Weise die Erde mit
dem Himmel verbindet, der am Kreuz erhöht, wie von einem
Thron der Barmherzigkeit alles an sich zog (Ioann. 12,
32.); der als Menschensohn, erwählt aus Zehntausenden,
mehr von Gott geliebt wird als alle Menschen, alle Engel
und die ganze Schöpfung? (Cyr. Alex., Comm. in Ioh. 1,
4: Migne, P. G. LXXIII, 69; S. Thom., I, q. 20, a. 4, ad
I.) Weil aber Christus eine so erhabene Stelle einnimmt,
lenkt und regiert Er allein mit Fug und Recht die
Kirche. Darum ist Er auch aus diesem Grunde mit dem
Haupt zu vergleichen. Das Haupt ist ja, um ein Wort des
heiligen Ambrosius zu gebrauchen, die „königliche Burg“
des Leibes (Hexaem. 6, 55: Migne, P. L. XIV, 265.). Von
ihm, als dem mit den vorzüglicheren Fähigkeiten
ausgestatteten Glied, werden naturgemäß alle übrigen
geleitet über die es gesetzt ist, um für sie Sorge zu
tragen (August., De Agon. Christ., XX, 22: Migne, P. L.
XL. 301.). So führt der Erlöser das Steuer über die
gesamte christliche Gemeinschaft und lenkt sie. Und da
eine Gemeinschaft von Menschen zu leiten nichts anderes
bedeutet, als sie durch zweckmäßiges Planen und
geeignete Mittel auf rechtem Weg zum vorbestimmten Ziele
zu führen (S. Thom., L, q. 22, a. 1–4.), so ist leicht
einzusehen, daß unser Heiland, Vorbild und Beispiel der
guten Hirten (Ioann. 10, 1–18; 1. Petr. 5, 1–5.), all
dies auf ganz wunderbare Weise ausübt.
Er selbst lehrte uns
nämlich, als Er auf Erden weilte, durch Vorschriften,
Räte und Mahnungen mit Worten, die niemals vergehen und
die für die Menschen aller Zeiten Geist und Leben sein
werden (Ioann. 6, 63.). Und überdies erteilte Er seinen
Aposteln und deren Nachfolgern eine dreifache Gewalt: zu
lehren, zu leiten und die Menschen zur Heiligkeit zu
führen. Diese mit besonderen Vorschriften, Rechten und
Pflichten umschriebene Gewalt stellte Er als Grundsatz
der ganzen Kirche auf.
Aber unser göttlicher
Erlöser lenkt und leitet auch selbst unmittelbar die von
Ihm gegründete Gesellschaft. Er selber regiert nämlich
im Geiste und Herzen der Menschen, beugt und spornt nach
seinem Wohlgefallen sogar den widerspenstigen Willen,
„Das Herz des Königs ist in der Hand des Herrn. Er lenkt
es, wohin Er will“ (Proverb., 21, 1.). Durch diese
innere Leitung sorgt Er nicht nur als „Hirte und Bischof
unserer Seelen“ (1. Petr. 2, 25.) für die einzelnen,
sondern trägt auch Fürsorge für die Gesamtkirche. Bald
erleuchtet und stärkt Er ihre Vorsteher, damit jeder von
ihnen getreu und fruchtbar sein Amt ausübe. Bald – und
dies zumal in schwierigen Zeitumständen – erweckt Er im
Schoße der Mutter Kirche Männer und Frauen, die durch
den Glanz ihrer Heiligkeit hervorleuchten, um den
übrigen Christgläubigen zum Beispiel zu dienen für das
Wachstum seines geheimnisvollen Leibes. Mit besonderer
Liebe aber blickt Christus vom Himmel auf seine
makellose Braut, die hier auf Erden in der Verbannung
leidet. Sieht Er sie in Gefahr, so entreißt Er sie der
Sturmflut persönlich oder durch seine Engel (Act. 8, 26;
9, 1–19; 10,1–7; 12, 3–10.), oder durch sie, die wir als
Hilfe der Christen anrufen, und durch andere himmlische
Helfer. Haben sich dann die Wogen gelegt und beruhigt
dann tröstet Er sie mit jenem Frieden, „der alle
Vorstellung übersteigt“ (Philipp. 4, 7.).
Man darf aber nicht
glauben, Er leite sie nur auf unsichtbare (Leo XIII,
Satis Cognitum: A. S. S“ XXVIII, 725.) oder
außerordentliche Weise. Unser göttlicher Erlöser übt
auch eine sichtbare, ordentliche Leitung über seinen
mystischen Leib aus durch seinen Stellvertreter auf
Erden. Ihr wißt ja, Ehrwürdige Brüder, daß Christus,
unser Herr, während seiner irdischen Pilgerfahrt „die
kleine Herde“ (Luc. 12, 32.) zwar persönlich und auf
wahrnehmbare Weise regiert hat. Als Er aber die Welt
dann verlassen und zum Vater zurückkehren wollte, hat Er
die sichtbare Leitung der ganzen von Ihm gegründeten
Gesellschaft dem Apostelfürsten übertragen. In seiner
Weisheit konnte Er ja den von Ihm geschaffenen
gesellschaftlichen Leib der Kirche keineswegs ohne
sichtbares Haupt lassen. Man kann auch nicht, um diese
Wahrheit in Abrede zu stellen, behaupten, durch den in
der Kirche aufgestellten Rechtsprimat sei dieser
mystische Leib mit einem doppelten Haupte versehen. Denn
Petrus ist kraft des Primates nur der Stellvertreter
Christi, und daher gibt es nur ein einziges Haupt dieses
Leibes, nämlich Christus. Er hört zwar nicht auf, die
Kirchen auf geheimnisvolle Weise in eigener Person zu
regieren, auf sichtbare Weise jedoch leitet Er sie durch
den, der auf Erden seine Stelle vertritt. Bereits nach
seiner glorreichen Himmelfahrt war die Kirche nicht nur
auf Ihm selber, sondern auch auf Petrus als dem
sichtbaren Grundstein erbaut. Daß Christus und sein
Stellvertreter auf Erden nur ein einziges Haupt
ausmachen, hat Bonifaz VIII., Unser Vorgänger
unvergeßlichen Andenkens, durch das apostolische
Schreiben Unam Sanctam feierlich erklärt (Corp. Iur. Can.,
Extr. comm., I, 8, 1.), und seine Nachfolger haben diese
Lehre immerfort wiederholt.
In einem gefährlichen
Irrtum befinden sich also jene, die meinen, sie könnten
Christus als Haupt der Kirche verehren, ohne seinem
Stellvertreter auf Erden die Treue zu wahren. Denn wer
das sichtbare Haupt außer acht läßt und die sichtbaren
Bande der Einheit zerreißt, der entstellt den mystischen
Leib des Erlösers zu solcher Unkenntlichkeit, daß er von
denen nicht mehr gesehen noch gefunden werden kann, die
den sicheren Port des ewigen Heiles suchen.
Was Wir aber hier von der
allgemeinen Kirche sagten, das muß auch von den
besonderen christlichen Gemeinschaften gesagt werden,
sowohl von den orientalischen wie von den lateinischen,
aus denen die eine katholische Kirche besteht und sich
zusammensetzt. Jede von ihnen wird von Christus Jesus
durch das Wort und die Regierungsgewalt ihres eigenen
Bischofs geleitet. Deshalb sind die kirchlichen
Oberhirten nicht bloß als vorzüglichere Glieder der
allgemeinen Kirche anzusehen, weil sie durch ein ganz
eigenartiges Band mit dem göttlichen Haupte des ganzen
Leibes verbunden und daher mit Recht „die wichtigsten
Teile der Glieder des Herrn“ (Greg. Magn., Moral., XIV,
35, 43: Migne, P. L. LXXV, 1062.) genannt werden,
sondern jeder einzelne in seinem Sprengel weidet und
leitet im Namen Christi als wahrer Hirte seine eigene
ihm anvertraute Herde (Conc. Vat., Const. de Ecci., cap.
3.). Bei dieser Tätigkeit sind sie freilich nicht völlig
eigenen Rechtes, sondern der dem Römischen Papst
gebührenden Gewalt unterstellt, wiewohl sie eine
ordentliche Jurisdiktionsgewalt besitzen, die ihnen
unmittelbar gleichfalls vom Papste erteilt wird. Deshalb
müssen sie als Nachfolger der Apostel zufolge göttlicher
Einsetzung (Cod. Iur. Can., can. 329, 1.) vom Volke
verehrt werden. Und mehr als von den Regierenden dieser
Welt, auch den allerhöchsten, gilt von den Bischöfen, da
sie mit der Salbung des Heiligen Geistes versehen sind,
das Schriftwort: „Vergreift euch nicht an meinem
Gesalbten!“ (1. Paral. 16, 22; ps. 105,15.).
Wir werden darum von
tiefer Wehmut ergriffen, wenn Uns berichtet wird, daß
nicht wenige aus Unseren Brüdern im Bischofsamte
Verfolgungen und Mißhandlungen erleiden, weil sie
lebendiges Vorbild für ihre Herde (1. Petr. 5, 3.)
geworden sind und das heilige, ihnen anvertraute
„Glaubensgut“ (1. Tim. 6, 20.) mit geziemender
Tapferkeit und Treue behüten; weil sie auf das Einhalten
der heiligsten Gesetze dringen, die von Gott in die
Herzen geschrieben sind; weil sie die ihnen anvertraute
Herde nach dem Beispiel des höchsten Hirten gegen
räuberische Wölfe beschützen. Und dies wird nicht nur
ihnen persönlich zugefügt, sondern – was sie noch
grausamer und härter empfinden – auch den ihrer Obsorge
anvertrauten Gläubigen, ihren Gehilfen in der
apostolischen Arbeit, ja sogar den gottgeweihten
Jungfrauen. Ein derartiges Unrecht erachten Wir als Uns
selber persönlich angetan und wiederholen den erhabenen
Ausspruch Gregors des Großen, Unseres Vorgängers
unvergeßlichen Andenkens: „Unsere Ehre ist die
allgemeine Ehre der Kirche. Unsere Ehre ist die feste
Kraft Unserer Brüder; nur dann sind Wir wahrhaft geehrt,
wenn jedem einzelnen die ihm gebührende Ehre nicht
verweigert wird“ (Ep. ad Eulog., 30: Migne, P. L.
LXXVII, 933.).
Man darf aber nicht
glauben, daß Christus, unser Haupt, weil Er eine so
überragende Stellung einnimmt, nicht nach der Hilfe
seines mystischen Leibes verlangt. Denn auch von diesem
gilt, was Paulus vom menschlichen Organismus aussagt:
„Das Haupt kann nicht zu den Füßen . .. sprechen: Ich
bedarf euer nicht“ (1. Cor. 12, 21.).
Es ist offenkundig, daß
die Christgläubigen unbedingt der Hilfe des göttlichen
Erlösers bedürfen, da Er selber sagte: „Ohne mich könnt
ihr nichts tun“ (Ioann. 15, 5.), und da nach des
Apostels Ausspruch jeder Zuwachs beim Aufbau dieses
mystischen Leibes von Christus, dem Haupte, sich
herleitet (Eph. 4, 16; Col. 2, 19.). Jedoch muß auch
festgehalten werden, so seltsam es erscheinen mag, daß
Christus nach der Hilfe seiner Glieder verlangt. Und
dies gilt vor allem vom obersten Hirten, insoweit er die
Stelle Jesu Christi vertritt: um der Last des
Hirtenamtes nicht zu erliegen, muß er andere zur
Teilnahme an nicht wenigen seiner Obliegenheiten
berufen, und bedarf täglich der Unterstützung durch die
Gebetshilfe der Gesamtkirche. Überdies will unser
Erlöser, soweit Er persönlich auf unsichtbare Weise die
Kirche regiert, die Mitwirkung der Glieder seines
mystischen Leibes bei der Ausführung des
Erlösungswerkes. Das geschieht nicht aus Bedürftigkeit
und Schwäche, sondern vielmehr deshalb, weil Er selber
zur größeren Ehre seiner makellosen Braut es so
angeordnet hat. Während Er nämlich am Kreuze starb, hat
Er den unermeßlichen Schatz der Erlösung seiner Kirche
vermacht, ohne daß sie ihrerseits dazu beitrug. Wo es
sich aber darum handelt, den Schatz auszuteilen, läßt Er
seine unbefleckte Braut an diesem Werke der Heiligung
nicht nur teilnehmen, sondern will, daß dies sogar in
gewissem Sinne durch ihre Tätigkeit bewirkt werde. Ein
wahrhaft schaudererregendes Mysterium, das man niemals
genug betrachten kann: daß nämlich das Heil vieler
abhängig ist von den Gebeten und freiwilligen Bußübungen
der Glieder des geheimnisvollen Leibes Jesu Christi, die
sie zu diesem Zweck auf sich nehmen; und von der
Mitwirkung, die die Hirten und Gläubigen, besonders die
Familienväter und -mütter, unserem göttlichen Erlöser zu
leisten haben.
Den eben
auseinandergesetzten Gründen, aus denen hervorgeht, daß
Christus der Herr das Haupt seines gesellschaftlichen
Leibes genannt werden muß, sind jetzt noch drei andere
hinzuzufügen, die miteinander in engem Zusammenhang
stehen.
Wir beginnen mit der
Gleichförmigkeit, die offensichtlich zwischen Haupt und
Gliedern auf Grund der gleichen Natur besteht. Dazu ist
zu bemerken: unsere Natur erreicht zwar nicht die der
Engel, hat jedoch durch Gottes Güte vor der Engelnatur
einen Vorzug: „Christus ist nämlich“, wie der Aquinate
sagt, „das Haupt der Engel. Denn Christus steht über den
Engeln auch seiner Menschheit nach ... Ebenso erleuchtet
und beeinflußt Er die Engel auch als Mensch. Soweit
jedoch die Naturgleichheit in Frage kommt, ist Christus
nicht das Haupt der Engel, weil Er sich nach dem Wort
des Apostels nicht der Engel, sondern der Kinder
Abrahams annahm“ (Comm. in ep. ad Eph., cap. 1, lect. 8;
Hebr. 2, 16–17.). Aber nicht nur unsere Natur hat
Christus angenommen, sondern Er ist auch in der
Gebrechlichkeit, Leidensfähigkeit und Sterblichkeit
seines Leibes unser Blutsverwandter geworden. Wenn aber
das Wort „sich selbst entäußerte und Knechtsgestalt
annahm“ (Philipp. 2, 7.), so geschah dies auch deshalb,
um uns, seine Brüder dem Fleische nach, der göttlichen
Natur teilhaft zu machen (2. Petr. 1, 4.): hier in
unserer irdischen Verbannung durch die heiligmachende
Gnade, und dort in der ewigen Heimat durch Erlangung der
ewigen Seligkeit. Deshalb wollte der Eingeborene des
Ewigen Vaters Menschensohn sein, damit wir dem Bilde des
Sohnes Gottes gleichförmig würden (Rom. 8, 29.) und nach
dem Bilde unseres Schöpfers uns erneuerten (Col. 3,10.).
Alle jene also, die sich des christlichen Namens rühmen,
müssen nicht nur unseren göttlichen Erlöser als
erhabenes und vollkommenstes Vorbild aller Tugenden
betrachten, sondern auch durch weise Flucht vor der
Sünde und eifriges Heiligkeitsstreben so seine Lehre und
sein Leben in ihrem sittlichen Verhalten zum Ausdruck
bringen, daß sie, wenn der Herr erscheint, Ihm in seiner
Herrlichkeit ähnlich werden, und Ihn sehen, wie Er ist
(1.Ioann.3,2.).
Wie aber Christus will,
daß die einzelnen Glieder Ihm ähnlich werden, so wünscht
Er es auch vom ganzen Leib der Kirche. Und das geschieht
in der Tat, indem die Kirche nach dem Vorbild ihres
Stifters lehrt, leitet und das göttliche Opfer
darbringt. Außerdem stellt sie durch Befolgung der
evangelischen Räte die Armut, den Gehorsam und die
unberührte Keuschheit des Erlösers in sich dar. In ihren
zahlreichen und verschiedenartigen religiösen
Genossenschaften, die gleichsam ihre Kleinode bilden,
zeigt sie uns gewissermaßen Christus selbst, wie Er auf
dem Berge betrachtend betet oder den Volksscharen
predigt oder die Kranken und Verletzten heilt, die
Sünder zum Guten bekehrt, oder allen Wohltaten spendet.
Es ist daher nicht zu verwundern, wenn die Kirche,
solange sie hier auf Erden weilt, nach dem Beispiel
Christi auch mit Verfolgungen, Mißhandlungen und Leiden
heimgesucht wird.
Überdies muß Christus
deshalb als Haupt der Kirche gelten, weil sein
mystischer Leib aus der Fülle und Vollkommenheit der
übernatürlichen Gaben schöpft, die Er ihm spendet. Wie
nämlich – worauf mehrere Väter hinweisen – das Haupt
unseres sterblichen Leibes im Besitz aller Sinne ist,
während die übrigen Glieder unseres Organismus nur am
Gefühlssinn teilhaben, so strahlen auch alle Tugenden,
Gaben und Gnadenvorzüge der christlichen Gemeinschaft in
Christus dem Haupte aufs vollkommenste wieder. „Es war
Gottes „Wille, in Ihm die ganze Fülle wohnen zu lassen“
(Col. 1, 19.). Ihn zieren jene übernatürlichen Gaben,
welche die hypostatische Vereinigung der beiden Naturen
im Gefolge hat: in Ihm wohnt der Heilige Geist in einer
derartigen Gnadenfülle, daß sie größer nicht gedacht
werden kann. Ihm ist gegeben „die Macht über alles
Fleisch“ (Ioann. 17, 2.), überreich sind in Ihm „alle
Schätze der Weisheit und Erkenntnis“ (Col. 2,3.). Auch
jene Erkenntnis, die man Erkenntnis der Gottschauung
nennt, besitzt Er in solcher Fülle, daß sie an Umfang
und Klarheit die beseligende Schau aller Heiligen im
Himmel weit überragt. Und schließlich ist Er so reich an
Gnade und Wahrheit, daß wir alle aus seiner
unerschöpflichen Fülle empfangen (Ioann. l, 14–16.).
Diese Worte des Jüngers,
dem Jesus seine besondere Liebe schenkte, geben Uns
Anlaß, den letzten, besonders einleuchtenden Beweisgrund
dafür anzuführen, daß Christus der Herr das Haupt seines
mystischen Leibes zu nennen ist. Wie nämlich die Nerven
vom Haupte in alle Glieder unseres Leibes sich verteilen
und ihnen die Fähigkeit verleihen, zu fühlen und sich zu
bewegen, so flößt unser Erlöser seiner Kirche die Kraft
und die Stärke ein, vermöge deren die Christgläubigen
die göttlichen Dinge klarer erkennen und eifriger
erstreben. Von Ihm strahlt in den Leib der Kirche alles
Licht aus, wodurch die Gläubigen übernatürliche
Erleuchtung empfangen und jegliche Gnade, durch die sie
heilig werden, wie Er selber heilig ist.
Seine gesamte Kirche
erleuchtet Christus; das kann fast aus unzähligen
Stellen der Heiligen Schrift und der heiligen Väter
bewiesen werden. „Niemand hat Gott je gesehen; der
eingeborene Sohn, der im Schoße des Vaters ruht, der hat
Kunde von ihm gebracht“ (Ioann. 1, 18.).
Als Lehrer von Gott
kommend (Ioann. 3,2.), um der Wahrheit Zeugnis zu geben
(Ioann. 18,37.), erleuchtete Er die junge Kirche der
Apostel mit seinem Lichte derart, daß der Apostelfürst
ausrief: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte
des ewigen Lebens“ (Ioann. 6, 68.). Den Evangelisten
stand Er vom Himmel aus in der Weise bei, daß sie
gleichsam als Glieder Christi aufzeichneten, was sie
sozusagen durch das Diktat des Hauptes erkannten
(August., De cons. evang., I, 35, 54: Migne, P; L.
XXXIV, 1070.). Und so ist Er auch heute noch für uns,
die wir hier in der irdischen Verbannung weilen,
Begründer des Glaubens, wie Er in der Heimat dessen
Vollender (Hebr. 12, 2.) ist. Er ist es, der den
Gläubigen das Licht des Glaubens eingießt; der die
Hirten und Lehrer und besonders seinen Stellvertreter
auf Erden mit den übernatürlichen Gaben der Erkenntnis,
der Einsicht und Weisheit bereichert, damit sie den
Schatz des Glaubens getreu bewahren, mutig verteidigen,
fromm und eifrig erklären und sichern. Er ist es
schließlich, der, wenn auch unsichtbar, die Konzilien
der Kirche leitet und erleuchtet (Cyr. Alex., Ep. 55 de
Symb.: Migne, P. G. LXXVII, 293.).
Christus ist Begründer
und Urheber der Heiligkeit. Denn es gibt keinen
heilbringenden Akt, der nicht aus Ihm als seiner
übernatürlichen Quelle sich herleitete. „Ohne Mich“,
sagt Er, „könnt ihr nichts tun“ (Ioann. 15, 5.). Wenn
wir ob begangener Schuld von Seelenschmerz und Reue
bewegt werden; wenn wir uns in kindlicher Furcht und
Hoffnung zu Gott bekehren, immer werden wir von seiner
Kraft geführt. Gnade und Glorie entspringen aus seiner
unerschöpflichen Fülle. Besonders die hervorragenderen
Glieder seines mystischen Leibes beschenkt unser Erlöser
unaufhörlich mit den Gaben des Rates, der Stärke, der
Furcht und der Frömmigkeit, damit der gesamte Leib von
Tag zu Tag mehr und mehr zunehme an Heiligkeit und
Reinheit des Lebens. Und wenn die Sakramente der Kirche
mit einem äußeren Ritus gespendet werden, dann bringt Er
selber die Wirkung in den Seelen hervor (S. Thom., III,
q. 64, a. 3. 2). Ebenso ist Er es, der die Erlösten mit
seinem Fleische und Blute nährt und die wirren, erregten
Leidenschaften beruhigt. Er vermehrt die Gnade und
bereitet die Glorie für Seele und Leib. Diese Schätze
der göttlichen Güte erteilt Er den Gliedern seines
mystischen Leibes nicht bloß darum, weil Er sie als
eucharistisches Opferlamm auf Erden und als verklärtes
im Himmel durch Hinweis auf seine Wunden und mit innigem
Flehen vom Ewigen Vater erbittet, sondern auch darum,
weil Er für jeden Einzelnen jede einzelne Gnade „in dem
Maße, in dem Christus sie austeilt“ (Eph. 4,7.),
auswählt, bestimmt und zuwendet. Daraus folgt, daß vom
göttlichen Erlöser wie aus der Hauptkraftquelle „der
ganze Leib zusammengefügt und zusammengehalten wird mit
Hilfe aller Gelenke, die ihren Dienst verrichten nach
der Tätigkeit, die jedem Gliede zugewiesen ist. So
vollzieht sich das Wachstum des Leibes, und baut er sich
auf in Liebe“. (Eph. 4,16; Col. 2,19.)
Oben haben Wir,
Ehrwürdige Brüder, kurz und klar dargelegt, wie Christus
der Herr seine reichen Gaben aus seiner göttlichen Fülle
heraus in die Kirche einströmen lassen will, damit sie
Ihm möglichst gleichgestaltet werde. Diese Erörterung
dient gewiß auch der Klarstellung des dritten Grundes,
aus dem sich ergibt, weshalb der gesellschaftliche Leib
der Kirche den herrlichen Namen Christi trägt: dieser
Grund liegt darin, daß unser Erlöser selbst die von Ihm
gestiftete Kirche mit göttlicher Kraft erhält. Wie
Bellarmin (De Rom. Pont., I, 9; De Concil., II, 19.)
fein und scharfsinnig bemerkt hat, ist diese Benennung
des Leibes Christi nicht bloß daraus zu erklären, daß
Christus das Haupt seines mystischen Leibes genannt
werden muß, sondern auch aus der Tatsache, daß Er derart
Träger der Kirche ist und in ihr gewissermaßen derart
lebt, daß sie selbst gleichsam ein zweiter Christus
wird. Gerade das behauptet der Völkerapostel, wenn er im
Schreiben an die Korinther (1. Cor. 12, 12.) die Kirche
einfachhin „Christus“ nennt, indem er offensichtlich den
Meister selbst nachahmt, der ihm, als er die Kirche
verfolgte, vom Himmel zurief (Apg. 9, 4; 22, 7; 26,
14.): „Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?“ Ja,
wenn wir Gregor von Nyssa (Greg. Nyss., De vita Moysis:
Migne, P. G. XLIV, 385.) glauben dürfen, wird die Kirche
vom Apostel öfter „Christus“ geheißen; auch ist euch,
ehrwürdige Brüder, das Wort Augustins nicht unbekannt:
„Christus predigt Christus“ (Serm., CCCLIV, 1: Migne, P.
L. XXXIX, 1563.).
Diese erhabene Benennung
ist jedoch nicht so zu verstehen, als ob das
unaussprechliche Band, womit der Sohn Gottes eine
bestimmte menschliche Natur mit sich vereinigte, auch
die Gesamtkirche umfasse. Sie hat vielmehr ihren Grund
darin, daß unser Erlöser die Güter, die Ihm vornehmlich
eigen sind, so seiner Kirche mitteilt, daß diese in
ihrem ganzen Leben, dem sichtbaren wie dem
geheimnisumhüllten, Christi Bild möglichst vollkommen
zum Ausdruck bringt. Denn zufolge der rechtlichen
Sendung, womit der göttliche Erlöser die Apostel in die
Welt sandte, wie Er selbst vom Vater gesandt war (Ioann.
17, 18 et 20, 21.), ist Er es, der durch die Kirche
tauft, lehrt und regiert, löst und bindet, darbringt und
opfert. Mittels jener höheren, ganz inneren und
erhabenen Schenkung, die Wir oben berührt haben, wo Wir
nämlich die Art der Einflußnahme des Hauptes auf die
Glieder beschrieben, läßt Christus der Herr die Kirche
an seinem übernatürlichen Leben teilnehmen, durchdringt
ihren ganzen Leib mit seiner göttlichen Kraft und nährt
und erhält die einzelnen Glieder gemäß dem Rang, den sie
im Leibe einnehmen, ungefähr in der Weise, in welcher
der Weinstock die mit ihm verbundenen Rebzweige nährt
und fruchtbar macht (Leo XIII, Sapientiae Christianae:
A. S. S. XXII, 392; Satis cognitum: ibidem, XXVIII,
710.).
Wenn wir nun aufmerksam
dieses göttliche von Christus gegebene Lebens- und
Kraftprinzip in sich selbst betrachten, insofern es die
Quelle einer jeden geschaffenen Gabe und Gnade bildet,
werden wir leicht verstehen, daß es nichts anderes ist
als der Tröster Geist, der vom Vater und vom Sohne
ausgeht, und der in besonderer Weise Geist Christi und
Geist des Sohnes genannt wird (Rom. 8, 9; 2. Cor. 3, 17;
Gal. 4, 6.). Denn mit diesem Geist der Wahrheit und
Gnade hat der Sohn Gottes im unversehrten Schoße der
Jungfrau seine Seele gesalbt. Dieser Geist betrachtet es
als seine Wonne, im lebenspendenden Erlöserherzen als in
seinem bevorzugten Tempel zu wohnen. Diesen Geist hat
uns Christus am Kreuze durch sein eigenes Blut verdient.
Ihn hauchte Er über die Apostel aus und schenkte ihn so
der Kirche zur Nachlassung der Sünden (Ioann. 20. 22.).
Während jedoch nur Christus diesen Geist in ungemessener
Fülle empfing (Ioann. 3, 34.), wird er den Gliedern des
mystischen Leibes aus der Fülle Christi selbst nur in
dem Grade verliehen, als Christus ihn gibt (Eph. 1, 8;
4, 7.). Nachdem Christus am Kreuze verherrlicht ist,
wird sein Geist der Kirche in reichstem Maße mitgeteilt,
damit sie selbst und ihre einzelnen Glieder von Tag zu
Tag unserem Erlöser ähnlicher werden. Der Geist Christi
ist es, der uns zu Adoptivkindern Gottes gemacht hat
(Rom. 8, 14–17; Gal. 4, 6–7.), damit wir einst „alle mit
unverhülltem Antlitz die Herrlichkeit,des Herrn schauen
und so von Herrlichkeit zu Herrlichkeit zu dem gleichen
Bilde umgestaltet werden“ (2. Cor. 3, 18.).
Dem Geiste Christi als
dem unsichtbaren Prinzip kommt auch die Aufgabe zu, alle
Teile des Leibes untereinander sowie mit ihrem erhabenen
Haupte zu verbinden, da Er ja ganz im Haupte ist, ganz
im Leibe, ganz in den einzelnen Gliedern. Diesen
letzteren aber teilt er seine Gegenwart und seinen
Beistand in verschiedenem Grade mit, je nach ihren
verschiedenen Aufgaben und Ämtern und je nach dem
höheren oder geringeren Maße ihrer geistlichen
Gesundheit. Er ist es, der infolge seines himmlischen
Odems in allen Teilen des Leibes als das Prinzip jeder
wirklich zum Heile ersprießlichen Lebensbetätigung
angesehen werden muß. Er ist es, der, obwohl selbst in
allen Gliedern gegenwärtig und in ihnen in göttlicher
Weise tätig, dennoch in den untergeordneten auch durch
die Dienstleistung der übergeordneten wirkt. Er ist es
endlich, der der Kirche unter dem Wehen seiner Gnade
fortwährend neues Wachstum verleiht, es aber verschmäht,
in den vom Leibe völlig getrennten Gliedern durch die
heiligmachende Gnade zu wohnen. Gerade diese Gegenwart
Und Wirksamkeit des Geistes Jesu Christi hat Unser
weiser Vorgänger unsterblichen Andenkens Leo XIII. in
seiner Enzyklika Divinum illud mit folgenden Worten kurz
und treffend ausgedrückt: „Es genüge der eine Satz:
Christus ist das Haupt der Kirche, der Heilige Geist
ihre Seele“ (A. S. S., XXIX, p. 650.).
Wenn wir hingegen die
innere Lebenskraft, mittels deren die ganze
Christengemeinschaft von ihrem Stifter erhalten wird,
nun nicht in sich selbst, sondern in den aus ihr
entspringenden geschöpflichen Wirkungen betrachten, so
besteht sie in den übernatürlichen Gnaden, die unser
Erlöser zugleich mit seinem Geiste der Kirche verleiht,
und zugleich mit seinem Geiste, als dem Spender
übernatürlichen Lichtes und Wirker der Heiligkeit,
hervorbringt. Die Kirche kann also ebenso wie alle ihre
heiligen Glieder das große Wort des Apostels sich zu
eigen machen: „Ich lebe, vielmehr nicht ich, sondern
Christus lebt in mir“ (Gal. 2, 20.).
Unsere Darlegungen über
das „mystische Haupt“ (Ambros., De Elia et ieiun., 10
36–37 et in Psalm 118, serm. 20 2: Migne, P. L. XIV, 710
et XV, 1483.) würden unvollkommen bleiben, wenn Wir
nicht, wenigstens kurz, auch den folgenden Satz
desselben Apostels berührten: „Christus ist das Haupt
der Kirche, Er der Erlöser seines Leibes“ (Eph. 5, 23.).
Denn in diesen Worten liegt die Hindeutung auf den
letzten Grund, weshalb der Leib der Kirche den Namen
Christi trägt. Christus ist nämlich der göttliche
Erlöser dieses Leibes. Wird Er doch mit vollem Recht von
den Samaritern als „der Heiland der Welt gepriesen“
(Ioann. 4, 42.); ja, man muß Ihn ohne Zweifel als den
„Heiland aller“ ansprechen, wenngleich man mit Paulus
hinzufügen muß, „vornehmlich der Gläubigen“ (1. Tim. 4,
10.). Vor allen andern nämlich hat Er seine Glieder, die
die Kirche bilden, mit seinem Blute erkauft (Apg. 20,
28.). Es erübrigt jedoch, diesen Gedanken weiter zu
erörtern, nachdem Wir oben über die aus dem Kreuze
entsprossene Kirche, über Christus, den Spender des
Lichtes, den Wirker der Heiligkeit und den Erhalter
seines mystischen Leibes ausführlich genug gehandelt
haben. Vielmehr haben wir Grund, Gott unaufhörlich dafür
zu danken und demütigen Sinnes aufmerksam darüber
nachzudenken. Was unser Erlöser aber einst am Kreuze
begonnen hat, das setzt Er in seiner himmlischen
Herrlichkeit ohne Unterlaß fort. „Unser Haupt – so
Augustinus – legt Fürsprache für uns ein: die einen
Glieder nimmt Er zu sich, andere züchtigt Er, andere
läutert Er, andere tröstet Er, andere erschafft Er,
andere beruft Er, andere ruft Er zurück, andere bessert
Er, andere erneuert Er“ (Enarr. in ps., LXXXV, 5: Migne,
P. L. XXXVII, 1085.). Uns aber ist die Aufgabe geworden,
Christus in diesem Heilswirken hilfreiche Hand zu
leisten, „die wir aus dem Einen und durch den Einen
erlöst sind und selbst erlösen“ (Clem. Alex., Strom.,
VII, 2: Migne, P. G. IX, 413.).
Gehen wir nun einen
Schritt weiter, Ehrwürdige Brüder, und erörtern wir den
Punkt, der den Grund, warum Christi Leib, die Kirche,
mystisch, d. h. geheimnisvoll genannt werden muß, ins
gehörige Licht rücken soll. Diese Benennung, die schon
bei mehreren Kirchenschriftstellern der Vorzeit üblich
war, wird durch nicht wenige Dokumente der Päpste
bestätigt. Aber nicht bloß aus einem Grund ist dieses
Wort berechtigt. Es unterscheidet zunächst den
gesellschaftlichen Leib der Kirche, dessen Haupt und
Lenker Christus ist, von dessen physischem Leib, der,
aus der jungfräulichen Gottesmutter geboren, jetzt zur
Rechten des Vaters thront und unter den eucharistischen
Gestalten verborgen ist. Ebenso – und dies ist wegen der
Zeitirrtümer von großer Bedeutung – schließt diese
Bezeichnung jeden natürlichen Leib, sei es einen
physischen, sei es einen sogenannten moralischen, aus.
In einem natürlichen
Leibe nämlich verbindet das einigende Prinzip die
einzelnen Teile derart, daß sie kein eigenes Fürsichsein
mehr besitzen. Im mystischen Leib dagegen verbindet das
einigende Prinzip, obschon es bis ins Innerste geht, die
Glieder so untereinander, daß die einzelnen ihre
Eigenpersönlichkeit vollauf bewahren. Wenn wir sodann
das gegenseitige Verhältnis zwischen dem Ganzen und den
einzelnen Gliedern betrachten, so ergibt sich folgendes:
in jedem lebendigen physischen Leibe sind alle einzelnen
Glieder in letzter Linie einzig zum Wohle des ganzen
Organismus da, während jede gesellschaftliche Gliederung
von Menschen, wenn man auf deren letzten
Nützlichkeitszweck sieht, hingeordnet ist auf den Nutzen
aller und zugleich jedes einzelnen Gliedes, da diese ja
Personen sind. Um also auf unsere Sache zurückzukommen,
wie der Sohn des Ewigen Vaters um des ewigen Heiles
unser aller willen vom Himmel herabgestiegen ist, so hat
Er den Leib der Kirche gebildet und mit dem göttlichen
Geiste beseelt zu dem Zwecke, das ewige Glück der
unsterblichen Seelen zu wirken und zu sichern, gemäß dem
Ausspruch des Apostels: „Alles gehört euch, ihr aber
gehört Christus und Christus Gott“ (1. Cor. 3, 23; Pius
XI., Divini Redemptoris: A. A. S., 1937, p. 80.). Wie
nämlich die Kirche zum Wohl der Gläubigen da ist, so hat
sie die Bestimmung, Gott und den Er gesandt hat,
Christus Jesus zu verherrlichen.
Vergleichen wir sodann
den mystischen Leib mit einer sogenannten moralischen
Körperschaft, so müssen wir auch da einen keineswegs
geringfügigen, sondern höchst bedeutungsvollen und
schwerwiegenden Unterschied feststellen. In der
moralischen Körperschaft nämlich ist das einigende
Prinzip nichts anderes als der gemeinsame Zweck und das
gemeinsame Zusammenwirken aller zu demselben Zweck
mittels einer gesellschaftlichen Obrigkeit. Im
mystischen Leibe dagegen, von dem wir handeln, kommt zu
diesem Zusammenwirken noch ein anderes inneres Prinzip,
das sowohl dem ganzen Organismus wie den einzelnen
Gliedern wirklich und kraftvoll innewohnt und von
solcher Erhabenheit ist, daß es in sich betrachtet alle
einigenden Bande, die einen physischen oder einen
moralischen Leib zusammenhalten, unermeßlich weit
überragt. Dieses Prinzip gehört, wie oben gesagt, nicht
der natürlichen, sondern der übernatürlichen Ordnung an;
ja es ist in sich selber geradezu unendlich und
unerschaffen: der Geist Gottes, der, wie der
engelgleiche Lehrer sagt, „der Zahl nach ein und
derselbe, die ganze Kirche erfüllt und einigt“ (De
Veritate, q. 29, a. 4, c.).
Die richtige Bedeutung
der Bezeichnung „mystisch“ erinnert also daran, daß die
Kirche, die als eine in ihrer Art vollkommene
Gesellschaft anzusehen ist, nicht bloß aus
gesellschaftlichen und rechtlichen Bestandteilen und
Beziehungen besteht. Sie ist ja weit vorzüglicher als
irgendwelche andern menschlichen Körperschaften (Leo
XIII, Sapientiae christianae: A. S. S., XXII, p. 392.),
die sie überragt, wie die Gnade die Natur hinter sich
läßt und wie das Unsterbliche alles Vergängliche (Leo
XIII, Satis cognitum: A. S. S., XXVIII, p. 724.). Jene
rein menschliche Gesellschaften, namentlich der Staat,
sind gewiß nicht zu verachten oder geringzuschätzen.
Allein die Kirche als ganze gehört nicht der Ordnung
dieser Dinge an, gleichwie der Mensch als ganzer nicht
mit dem Gebilde unseres sterblichen Leibes,
zusammenfällt (Ibidem, p. 710.). Denn die rechtlichen
Beziehungen, auf welchen die Kirche ebenfalls beruht und
welche zu ihren Bestandteilen gehören, stammen zwar aus
ihrer göttlichen von Christus gegebenen Verfassung und
haben ihren Anteil bei Erreichung ihres übernatürlichen
Zieles. Doch was die Kirche über jedwede natürliche
Ordnung hoch hinaushebt, ist der Geist unseres Erlösers,
der als Quelle aller Gnaden, Gaben und Charismen
fortwährend und zuinnerst die Kirche erfüllt und in ihr
wirkt. Wie der Bau unseres sterblichen Leibes zwar ein
wundervolles Werk unseres Schöpfers ist, jedoch weit
unter der erhabenen Würde unserer Seele zurückbleibt,
geradeso hat das gesellschaftliche Gefüge der
christlichen Gemeinschaft, wie sehr es auch die Weisheit
seines göttlichen Meisters verkündet, doch nur einen
ganz untergeordneten Rang, sobald man es vergleicht mit
den geistlichen Gaben, mit denen die Kirche ausgestattet
ist und von denen sie lebt, sowie mit deren göttlichem
Ursprung. Aus alledem, was Wir in unserem Schreiben an
Euch, Ehrwürdige Brüder, bisher dargelegt haben, geht
klar hervor, daß sich jene in einem schweren Irrtum
befinden, die sich nach eigener Willkür eine verborgene,
ganz unsichtbare Kirche vorstellen, ebenso wie jene, die
sich die Kirche als eine Art menschlicher Organisation
denken mit einer bestimmten satzungsmäßigen Ordnung und
mit äußeren Riten, aber ohne Mitteilung übernatürlichen
Lebens (Ibidem, p. 710.). Nein, wie Christus, das Haupt
und Urbild der Kirche, „nicht ganz ist, wenn man in Ihm
entweder nur die menschliche, sichtbare ..., oder bloß
die göttliche, unsichtbare Natur betrachtet ..., sondern
wie Er Einer aus beiden und in beiden Naturen ist ...:
so sein mystischer Leib“ (Ibidem, p. 710.); hat doch das
Wort Gottes eine menschliche leidensfähige Natur
angenommen, damit nach der Gründung einer sichtbaren und
mit dem göttlichen Blute geweihten Gesellschaft „der
Mensch durch eine sichtbare Leitung den Weg zum
Unsichtbaren zurückfinde“ (S. Thomas, De veritate, q.
29, a. 4, a. 3.).
Deshalb bedauern und
verwerfen Wir auch den verhängnisvollen Irrtum jener,
die sich eine selbstersonnene Kirche erträumen, nämlich
eine nur durch Liebe aufgebaute und erhaltene
Gesellschaft, der sie – mit einer gewissen
Verächtlichkeit – eine andere, die sie die Rechtskirche
nennen, gegenüberstellen. Eine solche Unterscheidung
einzuführen ist ganz verfehlt. Sie verkennt, daß der
göttliche Erlöser die von Ihm gegründete Gemeinschaft
von Menschen als eine in ihrer Art vollkommene
Gesellschaft mit allen rechtlichen und
gesellschaftlichen Bestandteilen gerade zu dem Zwecke
wollte, damit sie dem Heilswerk der Erlösung hier auf
Erden dauernden Bestand sichere (Conc. Vat., Sess. IV,
Const. dogm. de Eccl.), und daß Er sie zur Erreichung
desselben Zweckes vom Tröster Geist mit himmlischen
Gnaden und Gaben reich ausgestattet wissen wollte. Gewiß,
sie sollte nach dem Willen des Ewigen Vaters „das Reich
des Sohnes seiner Liebe“ (Col. 1, 13.) sein, dabei aber
in Wahrheit ein solches Reich, in welchem alle durch
ihren Glauben eine vollkommene Unterwerfung des
Verstandes und Willens darbringen (Conc. Vat., Sess.
III, Const. de fide cath., cap. 3.) und in Demut und
Gehorsam Dem ähnlich werden sollten, der für uns
„gehorsam ward bis zum Tode“ (Philipp. 2, 8.). Es kann
also kein wirklicher Gegensatz oder Widerspruch bestehen
zwischen der unsichtbaren Sendung des Heiligen Geistes
und dem rechtlich von Christus empfangenen Amt der
Hirten und Lehrer. Beide ergänzen und vervollkommnen
einander wie in uns Leib und Seele, und gehen von Einem
und demselben aus, unserem Erlöser: Er hat gewiß seinen
Aposteln den göttlichen Odem eingehaucht mit den Worten:
„Empfanget den Heiligen Geist“ (Ioann. 20,22.), aber Er
hat ihnen auch den klaren Auftrag erteilt: „Wie mich der
Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Ioann. 20,21.),
und in gleichem Sinne gesagt: „Wer euch hört, der hört
mich“ (Luc. 10, 16.).
Wenn man aber in der
Kirche einiges wahrnimmt, was die Schwäche unserer
menschlichen Natur verrät, so fällt das nicht ihrer
rechtlichen Verfassung zur Last, sondern vielmehr der
beklagenswerten Neigung der Einzelnen zum Bösen. Diese
Schwäche duldet ihr göttlicher Stifter auch in den
höheren Gliedern seines mystischen Leibes deswegen,
damit die Tugend der Herde und der Hirten erprobt werde
und in allen die Verdienste des christlichen Glaubens
wachsen. Denn, wie oben gesagt, Christus wollte die
Sünder aus der von Ihm gegründeten Gemeinschaft nicht
ausgeschlossen wissen. Wenn also manche Glieder an
geistlichen Gebrechen leiden, so ist das kein Grund,
unsere Liebe zur Kirche zu vermindern, sondern vielmehr
mit ihren Gliedern größeres Mitleid zu haben.
Ohne Fehl erstrahlt
unsere verehrungswürdige Mutter in ihren Sakramenten,
durch die sie ihre Kinder gebiert und nährt; im Glauben,
den sie jederzeit unversehrt bewahrt; in ihren heiligen
Gesetzen, durch die sie alle bindet, und in den
evangelischen Räten, zu denen sie ermuntert; endlich in
den himmlischen. Gaben und Charismen, durch die sie in
unerschöpflicher Fruchtbarkeit (Conc. Vat., Sess. III,
Const. de fide cath., cap. 3.) unabsehbare Scharen von
Märtyrern, Jungfrauen und Bekennern hervorbringt. Ihr
kann man es nicht zum Vorwurf machen, wenn einige ihrer
Glieder krank oder wund sind. Sie fleht ja in deren
Namen selbst täglich Gott an: „Vergib uns unsere
Schulden“, und widmet sich unablässig ihrer geistlichen
Pflege mit mütterlich starkem Herzen. Wenn wir also den
Ausdruck „mystischer“ Leib Christi gebrauchen, so liegen
schon in der Bedeutung dieses Wortes sehr ernste Lehren
für uns. Solche Mahnung klingt an in den Worten des
heiligen Leo: „Erkenne, Christ, deine Würde, und der
göttlichen Natur einmal teilhaft geworden, kehre nicht
durch unwürdiges Betragen zum alten erbärmlichen Zustand
zurück! Denke daran, wessen Hauptes und wessen Leibes
Glied du‘ bist!“ (Serm. XXI, 3: Migne, P. L. LIV,
192–193.).
Wir möchten jetzt,
Ehrwürdige Brüder, in ganz besonderer Weise über unsere
enge Verbindung mit Christus im Leibe der Kirche
sprechen. Ist diese – wie mit Recht der heilige
Augustinus sagt (August., Contra Faust., 21, 8: Migne,
P. L. XLII, 392.) – etwas Erhabenes, Geheimnisvolles und
Göttliches, so wird sie doch oft gerade aus diesem Grund
von einigen falsch verstanden und dargestellt. Zunächst
ist es klar, daß diese Verbindung mit Christus sehr
innig ist. In der Heiligen Schrift wird sie mit dem Band
einer keuschen Ehe, mit der lebensvollen Einheit von
Weinstock und Rebzweigen und mit dem Organismus unseres
Leibes verglichen (Eph. 5, 22–23; Ioann. 15, 1–5; Eph.
4, 16.). Sie wird als so tiefinnerlich dargestellt, daß
es nach dem Wort des Völkerapostels: „Er (Christus) ist
das Haupt des Leibes, der Kirche“ (Col. l, 18.), die
uralte, ständig von den Vätern weitergegebene Lehre ist,
der göttliche Erlöser bilde zusammen mit seinem
gesellschaftlichen Leibe nur eine einzige mystische
Person oder, wie Augustinus sagt, „den ganzen Christus“
(Enarr in Ps“ 17,51 et XC, II, I: Migne, P. L. XXXVI,
154 et XXXVII 1159.). Ja, unser Heiland selbst zögerte
nicht, in seinem hohepriesterlichen Gebet diese
Vereinigung mit jener wunderbaren Einheit zu
vergleichen, durch die der Sohn im Vater ist und der
Vater im Sohn (Ioann. 17, 21–23.).
Unsere Vereinigung in
Christus und mit Christus aber ergibt sich an erster
Stelle aus der Tatsache, daß die christliche
Gemeinschaft nach dem Willen ihres Stifters einen
vollkommenen Gesellschaftskörper bildet und
infolgedessen in ihr alle Glieder vereint sein müssen
durch das einheitliche Streben zum gleichen Ziel. Je
edler aber das Ziel ist, auf das sich dieses Streben
richtet, je göttlicher die Quelle ist, aus der es
entspringt, um so erhabener gestaltet sich ohne Zweifel
auch die Einheit. Nun ist aber sein Ziel das
allerhöchste, nämlich die fortgesetzte Heiligung der
Glieder dieses Leibes selbst zur Ehre Gottes und des
Lammes, das geopfert ist (Apoc. 5, 12–13.). Seine Quelle
aber ist ganz göttlich: der Ratschluß des Ewigen Vaters
und der liebestarke Wille unseres Heilandes, aber auch
die Erleuchtungen und Antrieb des Heiligen Geistes im
Innersten unserer Seele. Wenn wir nicht den geringsten
heilbringenden Akt setzen können, es sei denn im
Heiligen Geiste, wie konnten da ungezählte Scharen
verschiedenster Volkszugehörigkeit und Abstammung in
voller Eintracht die Ehre des dreieinigen Gottes
erstreben ohne die Kraft jenes Odems, der vom Vater und
Sohn in einer einzigen, ewigen Liebe ausgeht?
Da nun aber dieser
gesellschaftliche Leib Christi, wie Wir oben dargelegt
haben, nach dem Willen seines Stifters sichtbar sein
muß, so folgt notwendig, daß auch jenes Zusammenwirken
aller Glieder äußerlich in die Erscheinung treten muß
durch das Bekenntnis desselben Glaubens, durch die
Gemeinschaft derselben Sakramente und die Teilnahme am
selben Opfer, wie auch durch die tätige Beobachtung
derselben Gebote. Zudem muß durchaus ein allen
sichtbares Oberhaupt vorhanden sein, von dem die
Tätigkeit und die Zusammenarbeit aller wirksam auf die
Erreichung des vorgesteckten Zieles gerichtet wird: Wir
meinen den Stellvertreter Jesü Christi auf Erden. Wie
nämlich der göttliche Erlöser den Beistand, den Geist
der Wahrheit, gesandt hat, damit Er an seiner Statt
(Ioann. 14,16 et 26.) die unsichtbare Leitung der Kirche
übernehme, so hat Er dem Petrus und seinen Nachfolgern
aufgetragen, Ihn auf Erden zu vertreten und die
sichtbare Leitung der christlichen Gemeinschaft zu
übernehmen. Zu diesen rechtlichen Banden, die für sich
allein schon die Bindungen jeder anderen, selbst der
höchsten menschlichen Gesellschaft, weit übertreffen,
kommt notwendig noch eine andere Einheitsgrundlage: es
sind jene drei Tugenden, durch die wir mit Gott und
untereinander aufs engste verbunden werden: der
christliche Glaube, die Hoffnung und die Liebe.
In der Tat, es ist nur
„ein Herr“, wie der Apostel mahnt, „nur ein Glaube“
(Eph.4,5.), jener Glaube nämlich, durch den wir dem
einen Gott anhangen und Ihm, den Er gesandt hat, Jesus
Christus (Eph.4,5.). Wie stark wir durch diesen Glauben
mit Gott verbunden werden, zeigen die Worte des
Liebesjüngers Jesu: „Wer immer bekennt, daß Jesus der
Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott, und er bleibt in
Gott“ (1. Ioann. 4, 15.). Ebenso innig werden wir aber
durch dieser christlichen Glauben untereinander und mit
unserem Haupte verbunden. Denn da wir alle, die wir
gläubig sind, „denselben Geist des Glaubens haben“ (2.
Cor. 4, 13.), werden wir auch von demselben Lichte
Christi erleuchtet, durch dieselbe Speise Christi
ernährt, durch dasselbe Lehramt und dieselbe
Amtsvollmacht Christi geleitet. Wenn nun derselbe
Glaubensgeist uns alle beseelt, leben wir auch alle
dasselbe Leben „im Glauben an den Sohn Gottes, der uns
geliebt und sich für uns dahingegeben hat“ (Gal. 2,
20.); und wie Christus, unser Haupt, der Urheber unseres
Glaubens ist, wenn Er, mit lebendigem Glauben
aufgenommen, in unserem Herzen wohnt (Eph. 3, 17.), so
wird Er auch sein Vollender sein (Hebr. 12, 2.).
Wie wir aber durch den
Glauben hier auf Erden Gott anhangen als der Quelle der
Wahrheit, so erstreben wir Ihn durch die Tugend der
christlichen Hoffnung als die Quelle der Seligkeit,
„indem wir die selige Hoffnung und die herrliche
Erscheinung des großen Gottes erwarten“ (Tit. 2, 13.).
Ob dieses gemeinsamen Verlangens nach dem Himmelreich,
womit wir im Diesseits nicht unsere bleibende Heimat
sehen, sondern die zukünftige suchen (Hebr. 13, 14.) und
die Glorie des Himmels ersehnen, sagt der Völkerapostel
ohne Bedenken: „Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch
berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung“ (Eph. 4,
4.); ja, Christus selbst wohnt in uns gleichsam als die
Hoffnung der Herrlichkeit (Col. l, 27.).
Die Bande des Glaubens
und der Hoffnung, durch die wir mit unserem göttlichen
Erlöser in seinem mystischen Leibe verbunden werden,
sind gewiß von großer Wichtigkeit und höchster
Bedeutung. Aber sicher nicht weniger wichtig und wirksam
sind die Bande der Liebe. Denn wenn schon im natürlichen
Bereich die Liebe, aus der die wahre Freundschaft
entspringt, etwas sehr Erhabenes ist, was muß man dann
nicht von jener übernatürlichen Liebe sagen, die von
Gott selbst in unsere Herzen ausgegossen wird ? „Gott
ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in
Gott und Gott in ihm“ (1.Ioann.4,16.). Diese Liebe hat,
gleichsam nach einem von Gott selbst gegebenen Gesetz
die Wirkung, daß sie in unsere liebenden Herzen Ihn
selbst in Gegenliebe hinabsteigen läßt gemäß dem Wort:
„Wenn jemand mich liebt ..., wird auch mein Vater ihn
lieben, und Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm
nehmen“ (Ioann.14,23.). Die Liebe verbindet uns also
enger mit Christus als jede andere Tugend. Von ihrer
himmlischen Glut erfaßt, haben so viele Kinder der
Kirche freudig für Ihn Schmach erlitten und bis zum
letzten Atemzug und Blutstropfen jegliche, auch die
schlimmsten Qualen und Prüfungen, ausgestanden. Deshalb
mahnt uns unser göttlicher Heiland so eindringlich:
„Bleibt in meiner Liebe!“ und da ja eine Liebe
schwächlich und völlig inhaltslos bleibt, wenn sie sich
nicht in guten Werken entfaltet und Gestalt annimmt,
fügt Er sogleich hinzu: „Wenn ihr meine Gebote haltet,
bleibt ihr in meiner Liebe, wie auch Ich die Weisungen
meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe
verbleibe“ (Ioann.15,9–10.).
Aber dieser Liebe zu Gott
und zu Christus muß die Liebe zum Nächsten entsprechen.
Wie könnten wir denn auch behaupten, unseren göttlichen
Erlöser zu lieben, wenn wir diejenigen haßten, die Er
selbst mit seinem kostbaren Blute erlöst hat, um sie zu
Gliedern seines mystischen Leibes zu machen? Aus diesem
Grunde ermahnt uns auch der Liebesjünger Jesu mit den
Worten: „Wenn einer sagt: Ich liebe Gott, dabei aber
seinen Bruder haßt, so ist er ein Lügner. Denn wie kann
einer Gott lieben, den er nicht sieht, wenn er seinen
Bruder nicht liebt, den er sieht? Wir haben dies Gebot
von Gott: Wer Gott liebt, der muß auch seinen Bruder
lieben!“ (1. Ioann. 4, 20–21.). Sogar dies ist Tatsache:
wir werden desto mehr mit Gott und Christus verbunden
sein, je mehr wir einer des anderen Glieder sind (Rom.
12, 5.), in einmütiger Sorge füreinander (1. Cor. 12,
25.). Und wir selbst werden untereinander desto mehr in
Liebe verbunden und zusammengeschlossen sein, je
glühender die Liebe ist, womit wir Gott und unserem
göttlichen Haupte anhangen.
Uns aber hat der
eingeborene Sohn Gottes schon vor Grundlegung der Welt
mit seiner anfanglosen, unendlichen Erkenntnis und
seiner ewigen Liebe umfangen. Und um diese seine Liebe
auf eine ganz augenscheinliche und wunderbare Weise zu
offenbaren, erhob Er unsere Menschennatur zu
persönlicher Einigung mit sich selbst, so daß, wie
Maximus von Turin mit schlichter Einfachheit bemerkt,
„in Christus unser eigenes Fleisch uns liebt“ (Serm.
XXIX: Migne, P. L. LVII, 594.).
Jene liebevolle
Erkenntnis aber, womit uns der göttliche Erlöser vom
ersten Augenblick seiner Menschwerdung an entgegenkam,
übertrifft alles menschliche Bemühen und Begreifen. Denn
vermöge jener seligen Gottschau, deren Er sich sogleich
nach der Empfängnis im Schoße der Gottesmutter erfreute,
sind Ihm alle Glieder seines mystischen Leibes
unablässig und jeden Augenblick gegenwärtig und umfängt
Er sie alle mit seiner heilbringenden Liebe. O
wunderbare Herablassung der göttlichen Güte zu uns; o
unbegreifliche Tiefe einer Liebe ohne Grenzen! In der
Krippe, am Kreuz, in der ewigen Glorie des Vaters hat
Christus immerdar alle Glieder der Kirche vor Augen und
im Herzen, mit weit größerer Klarheit und Liebe als eine
Mutter ihr Kind auf dem Schoße, als ein jeder sich
selbst kennt und liebt.
Aus dem Gesagten wird
ersichtlich, Ehrwürdige Brüder, warum der Apostel Paulus
so häufig schreibt, Christus lebe in uns und wir in
Christus. Dafür gibt es aber auch noch einen tieferen
Grund: nach unseren Ausführungen lebt Christus in uns
durch seinen Geist, den Er uns mitteilt, und durch den
Er so in uns tätig ist, daß alle übernatürlichen
Wirkungen des Heiligen Geistes in den Seelen auch
Christus zugeschrieben werden müssen (S. Thom., Comm. in
Ep. ad Eph., cap. II, lect. 5.). „Wenn jemand den Geist
Christi nicht hat, sagt der Apostel, gehört er Ihm nicht
an. Ist dagegen Christus in euch ..., so lebt der Geist
wegen der Rechtfertigung“ (Rom. 8, 9–10.). Dieselbe
Mitteilung des Geistes Christi, womit alle Gaben,
Tugenden und Charismen, die im Haupte auf überragende,
überreiche und wirksame Weise wohnen, in alle Glieder
der Kirche übergeleitet und in ihnen, gemäß der
Stellung, die sie im mystischen Leibe Jesu Christi
einnehmen, von Tag zu Tag vervollkommnet werden, hat
auch zur Folge, daß die Kirche gleichsam, die Fülle und
Ergänzung des Erlösers ist und Christus in jeder
Beziehung in der Kirche gleichsam Erfüllung findet (S.
Thom., Comm. in Ep. ad Eph., cap. I, lect. 8.). Mit
diesen Worten haben Wir den tiefsten Grund berührt,
warum nach der Ansicht des heiligen Augustin, die Wir
schon kurz erwähnten, das mystische Haupt, welches
Christus ist, und die Kirche, die hier auf Erden wie ein
zweiter Christus seine Stelle vertritt, den einen neuen
Menschen darstellen, durch den bei der unaufhörlichen
Fortsetzung des Heilswerkes am Kreuze Himmel und Erde
verbunden werden: Wir meinen Christus als Haupt und
Leib, den ganzen Christus.
Wir wissen sehr gut, daß
das Verständnis und die Erklärung dieser geheimnisvollen
Lehre über unsere Verbindung mit dem göttlichen Heiland
und zumal über das Wohnen des Heiligen Geistes in der
Seele durch mannigfache Schleier gehindert wird und
infolge der Schwäche des forschenden Menschengeistes in
ein gewisses Dunkel gehüllt ist. Aber Wir wissen auch,
daß aus dem rechten und eifrigen Studium dieses
Gegenstandes und aus dem Widerstreit und der Erörterung
der verschiedenen Meinungen und Ansichten, sofern
solches Forschen sich leiten läßt von der Liebe zur
Wahrheit und von dem schuldigen Gehorsam gegenüber der
Kirche, reiche und kostbare Erkenntnisse ersprießen,
durch die auch in diesen heiligen Wissensgebieten ein
wirklicher Fortschritt erzielt wird. Deshalb machen Wir
denen keinen Vorwurf, die verschiedene Wege und Weisen
aufsuchen, um dem erhabenen Geheimnis unserer
wundervollen Verbindung mit Christus näherzukommen und
es nach Kräften aufzuhellen. Um aber dabei nicht von der
wahren Lehre und dem rechten Lehramt der Kirche
abzuirren, gelte für alle als gemeinsamer,
unumstößlicher Grundsatz, jede Art von mystischer
Vereinigung abzulehnen, wodurch die Gläubigen irgendwie
die Grenzen des Geschöpfes überschreiten und so verwegen
in den Bereich des Göttlichen einzudringen suchen, daß
sie sich auch nur eine einzige Eigenschaft der ewigen
Gottheit gleichsam selbst beilegen. Außerdem sollen alle
ohne Schwanken daran festhalten, daß in diesen Dingen
alles, was Gott als letzte Wirkursache betrifft, der
ganzen Heiligsten Dreifaltigkeit zugeschrieben werden
muß.
Ferner soll man wohl
bedenken, daß es sich hier um ein verborgenes Geheimnis
handelt, das wir während dieser irdischen Verbannung nie
ganz enthüllt durchschauen und in menschlicher Sprache
ausdrücken können. Man spricht von einer Einwohnung der
göttlichen Personen, insofern sie in den geschaffenen,
vernunftbegabten Lebewesen auf unerforschliche Weise
zugegen sind und den Gegenstand ihrer Erkenntnis und
Liebe bilden (S. Thom., I, q. 43, a. 3.); jedoch auf
eine Weise, die alle geschöpfliche Fähigkeit übersteigt
und tief innerlich und einzigartig ist. Wollen wir sie
uns wenigstens in etwa nahebringen, so dürfen wir die
vom Vatikanischen Konzil (Sess. 3, Const. de fid. cath.,
cap.4.) für solche Dinge dringend empfohlene Anweisung
nicht außer acht lassen. Sie besteht darin, daß wir beim
Bemühen um eine wenn auch noch so geringe Vermehrung
unserer Erkenntnis göttlicher Geheimnisse, diese
untereinander und mit dem höchsten Ziel, auf das sie
hingeordnet sind, vergleichen sollen. Mit Recht wendet
also Unser weiser, unvergeßlicher Vorgänger Leo XIII.,
da er von unserer Verbindung mit Christus und über den
uns innewohnenden göttlichen Tröster spricht, die Augen
zu jener beseligenden Schau, in der einst im Himmel
diese mystische Verbindung ihren Abschluß und ihre
Vollendung finden wird. „Diese wunderbare Vereinigung,
sagt er, die man Einwohnung nennt, ist nur quantitativ,
d. h. dem Grade nach von jener verschieden, in der Gott
die Himmelsbewohner beseligend umfängt“ (Divinum illud:
A. S. S“ XXIX, p. 653.). In jener Schau wird es uns auf
ganz unsagbare Weise gestattet sein, den Vater, den Sohn
und den Heiligen Geist mit den durch das Glorienlicht
geschärften Augen des Geistes zu betrachten, die
Ausgänge der göttlichen Personen durch alle Ewigkeit
hindurch aus nächster Nähe mitzuerleben und ein Glück zu
verkosten, jenem ähnlich, wodurch die allerheiligste und
ungeteilte Dreifaltigkeit selig ist.
Was Wir bisher über die
enge Verbindung des mystischen Leibes Jesu Christi mit
seinem Haupte dargelegt haben, würde Uns indes
unvollkommen scheinen, wenn Wir hier nicht wenigstens
einiges hinzufügten über die hochheilige Eucharistie,
wodurch jene Vereinigung in diesem sterblichen Leben
gleichsam zu ihrem Gipfelpunkt geführt wird.
Christus der Herr wollte
nämlich, daß die wunderbare, nie genug gepriesene
Verbindung zwischen uns und unserem göttlichen Haupte
durch das eucharistische Opfer den Gläubigen in
besonderer Weise offenbar werde. Dabei vertreten nämlich
die Priester nicht nur die Stelle unseres Heilandes,
sondern auch die des ganzen mystischen Leibes und der
einzelnen Gläubigen. Ebenso bringen aber auch die
Gläubigen selbst das unbefleckte Opfer, das einzig durch
des Priesters Wort auf dem Altare zugegen ward, durch
die Hände desselben Priesters in betender Gemeinschaft
mit ihm dem Ewigen Vater dar als ein wohlgefälliges Lob
und Sühneopfer für die Anliegen der ganzen Kirche. Und
so wie der göttliche Erlöser sterbend am Kreuze sich
selbst als Haupt des ganzen Menschengeschlechtes dem
Ewigen Vater zum Opfer brachte, so opfert Er in dieser
„reinen Opfergabe“ (Mal. 1, 11.) nicht nur sich selbst
als Haupt der Kirche dem himmlischen Vater, sondern in
sich selbst auch seine mystischen Glieder, die Er ja
alle, mögen sie auch schwach und krank sein, liebevoll
in sein Herz geschlossen hat.
Das Sakrament der
heiligen Eucharistie aber, das ein lebendiges und
wunderbares Bild der Einheit der Kirche ist – da ja das
zur Verwandlung bestimmte Brot aus vielen Körnern eins
wird (Didache 9, 4.) – schenkt uns den Urheber der
übernatürlichen Gnade selbst, damit wir aus Ihm jenen
Geist der Liebe schöpfen, der uns antreibt, nicht mehr
unser eigenes, sondern Christi Leben zu fuhren, und in
allen Gliedern seines gesellschaftlichen Leibes den
Erlöser selbst zu lieben.
Gibt es bei den traurigen
Zeitverhältnissen, unter denen wir gegenwärtig leiden,
viele, die Christus dem Herrn, verborgen unter den
Schleiern der heiligen Eucharistie, derart anhangen, daß
weder Trübsal noch Angst, weder Hunger noch Blöße, weder
Gefahr noch Verfolgung und Schwert sie zu trennen
vermöchten von seiner Liebe (Rom. 8, 35.), so kann ohne
Zweifel das heilige Gastmahl, das nicht ohne göttliche
Fügung in unserer Zeit von Kindheit auf wieder häufiger
empfangen wird, die Quelle jener Seelenstärke werden,
die nicht selten in der Christenheit auch Helden zu
erwecken und zu erhalten vermag.
Das sind die Lehren,
Ehrwürdige Brüder, die die Gläubigen recht erkennen und
fromm und treu festhalten sollen. Dann können sie sich
auch leicht vor jenen Irrtümern hüten, die von mancher
Seite infolge einer willkürlichen Erforschung dieses
schwierigen Gegenstandes nicht ohne große Gefahr für den
katholischen Glauben und große Verwirrung der Seelen
erwachsen.
Manche bedenken zu wenig,
daß der Apostel Paulus nur bildlich über diesen
Gegenstand gesprochen hat; unterlassen die so notwendige
Unterscheidung zwischen physischem, moralischem und
mystischem Leib und bringen so einen ganz verkehrten
Begriff von Einheit auf. Sie lassen nämlich den
göttlichen Erlöser und die Glieder der Kirche zu einer
einzigen physischen Person zusammenwachsen; und während
sie den Menschen göttliche Attribute beilegen,
unterwerfen sie Christus den Herrn dem Irrtum und der
menschlichen Neigung zum Bösen. Solch irreführende Lehre
steht in vollem Widerspruch zum katholischen Glauben,
zur Überlieferung der Väter und ebenso zur Ansicht und
zum Geist des Völkerapostels. Er weiß zwar um die
wunderbar innige Verbindung Christi mit seinem
mystischen Leib, aber er stellt sie dennoch wie Braut
und Bräutigam einander gegenüber (Eph. 5, 22–23.).
Nicht weniger entfernt
sich von der Wahrheit der gefährliche Irrtum derer, die
aus unserer geheimnisvollen Verbindung mit Christus
einen ungesunden Quietismus herleiten wollen. Danach
wird das ganze geistliche Leben der Christen und ihr
Fortschritt in der Tugend nur der Wirksamkeit des
Heiligen Geistes zugeschrieben unter völliger Verkennung
und Beiseitelassung der persönlichen Mitwirkung, die wir
Ihm schulden. Gewiß kann keiner leugnen, daß der Heilige
Geist Jesu Christi die einzige Quelle ist, aus der alles
übernatürliche Leben in die Kirche und ihre Glieder
herabfließt. Denn die „Gnade und Glorie verleiht der
Herr“ (Ps., 83,12.), sagt der Psalmist. Daß aber die
Menschen beständig in den Werken der Heiligkeit
verharren, daß sie unverdrossen in der Gnade und Tugend
voranschreiten, daß sie selbst mannhaft zum Gipfel der
christlichen Vollkommenheit emporstreben und auch andere
nach Kräften dazu anspornen, das alles will der Geist
Gottes nur dann wirken, wenn die Menschen selbst durch
tägliches, tatkräftiges Bemühen ihren Teil dazu
beitragen. „Nicht den Schlafenden“, sagt der heilige
Ambrosius, „sondern den Eifrigen werden die göttlichen
Wohltaten gespendet“ (Expos. Evang. sec. Luc. 4, 49:
Migne, P. L. XV, 1626.). Wenn nämlich schon in unserem
sterblichen Leib die Glieder nur bei ständiger Übung
gesund und kräftig bleiben, so gilt das noch in viel
höherem Grad vom gesellschaftlichen Leib Jesu Christi,
in dem ja die einzelnen Glieder alle ihre persönliche
Freiheit und Verantwortlichkeit behalten. Deswegen
konnte auch derselbe, der das Wort aussprach: „Ich lebe,
doch nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal.
2, 20.), ohne Zögern behaupten: „Seine (d. h. Gottes)
Gnade ist in mir nicht unwirksam geblieben, sondern ich
habe mich mehr gemüht als sie alle; doch nicht ich,
sondern die Gnade Gottes mit mir“ (1. Cor. 15, 10.). Es
ist demnach klar, daß durch jene falschen Lehren das
Geheimnis, von dem Wir handeln, nicht dem geistlichen
Fortschritt der Gläubigen, sondern in beklagenswerter
Weise ihrem Verderben dienstbar gemacht wird.
Dasselbe geschieht auch
durch die falschen Anschauungen jener, die behaupten,
man dürfe die häufige Beichte der läßlichen Sünden nicht
so hoch einschätzen; das allgemeine Sündenbekenntnis,
das die Braut Christi Tag für Tag zusammen mit den ihr
im Herrn vereinten Kindern durch die Priester am Fuß des
Altares ablege, sei ihr vorzuziehen. Gewiß können solche
Sünden, wie euch bekannt ist, Ehrwürdige Brüder, auf
mannigfache, höchst lobenswerte Weise gesühnt werden.
Aber zum täglich eifrigeren Fortschritt auf dem Wege der
Tugend möchten Wir angelegentlichst den frommen Brauch
der häufigen Beichte empfohlen wissen, der nicht ohne
den Antrieb des Heiligen Geistes in der Kirche
eingeführt wurde. Wird doch durch ihn die
Selbsterkenntnis gefördert, die christliche Demut
vertieft, die sittliche Schwäche an der Wurzel gefaßt,
die geistliche Nachlässigkeit und Lauheit bekämpft, das
Gewissen gereinigt, der Wille gestärkt, eine heilsame
Seelenleitung ermöglicht und kraft des Sakramentes die
Gnade vermehrt. Mögen also die, welche in den Reihen des
jüngeren Klerus die Hochschätzung der häufigen Beichte
zu verringern und herabzusetzen suchen, wohl bedenken,
daß sie eine Sache betreiben, die dem Geiste Christi
fremd und für den mystischen Leib unseres Heilandes ein
Unsegen ist.
Manche sprechen auch
unseren Gebeten alle wirkliche Kraft ab oder suchen
andern die Meinung beizubringen, die privaten Gebete
hätten vor Gott geringe Bedeutung; vielmehr komme den
öffentlichen, im Namen der Kirche verrichteten Gebeten
der wahre Wert zu, weil sie vom mystischen Leibe Jesu
Christi ausgehen. Das ist durchaus nicht richtig. Der
göttliche Erlöser steht nicht nur in der engsten
Lebensgemeinschaft mit seiner Kirche als der
vielgeliebten Braut, sondern in ihr ist Er, auch aufs
innigste vereint mit der Seele jedes einzelnen Gläubigen
und sehnt sich danach, vor allem nach der heiligen
Kommunion, traute Zwiesprache mit ihr zu führen.
Obgleich das öffentliche Gebet, da es von der Mutter
Kirche selbst verrichtet wird, wegen der Würde der Braut
Christi jedes andere übertrifft, so entbehren doch auch
alle ändern, selbst die ganz privaten Gebete, nicht der
Würde und Kraft. Sie tragen sogar viel bei zum Nutzen
des ganzen mystischen Leibes. Denn in ihm wird kein
gutes Werk, kein Tugendakt von einzelnen Gliedern
vollbracht, der nicht infolge der Gemeinschaft der
Heiligen auch der Gesamtheit zugute käme. Es ist den
einzelnen Menschen auch nicht verwehrt, deswegen, weil
sie Glieder dieses Leibes sind, besondere, auch rein
zeitliche Gaben, für sich selbst zu erbitten, wenn dabei
nur die demütige Unterwerfung unter den Willen Gottes
gewahrt wird: sie bleiben ja selbständige Personen und
ihren persönlichen Bedürfnissen unterworfen (S. Thom.
II-II, q. 83, a. 5 et 6.). Welche Hochschätzung endlich
alle der Betrachtung himmlischer Wahrheiten
entgegenbringen sollen, geht aus den amtlichen
Äußerungen der Kirche sowie aus der Übung und dem
Vorbild aller Heiligen hervor.
Schließlich kann man auch
der Auffassung begegnen, wir dürften unsere Gebete nicht
unmittelbar an die Person Jesu Christi richten; sie
müßten sich vielmehr durch Christus an den ewigen Vater
wenden, da unser Heiland als Haupt seines mystischen
Leibes nur als „der Mittler zwischen Gott und den
Menschen“ (1. Tim. 2, 5.) angesehen werden dürfe. Aber
eine solche Behauptung widerspricht nicht nur dem Geist
der Kirche und der Gewohnheit der Gläubigen, sondern
widerstreitet auch der Wahrheit. Christus ist nämlich,
um uns ganz klar zu fassen, mit beiden Naturen zugleich
das Haupt der ganzen Kirche (S. Thom., De Veritate, q.
29, a. 4, c.); und im übrigen hat Er auch selbst
feierlich erklärt: „Wenn ihr Mich um etwas in meinem
Namen bitten werdet, werde Ich es tun“ (Ioann. 14, 14.).
Zwar werden, zumal beim heiligen Meßopfer, wo Christus
zugleich Opferpriester und Opferlamm ist und so in
besonderer Weise das Mittleramt ausübt, die Gebete meist
durch seinen eingeborenen Sohn an den ewigen Vater
gerichtet. Doch auch hier, selbst bei der heiligen
Opferhandlung, wendet sich nicht selten das Gebet auch
an den göttlichen Erlöser. Es sollte doch allen Christen
bekannt und selbstverständlich sein, daß der Mensch
Jesus Christus zugleich Gottes Sohn und Gott selber ist.
Und so antwortet gewissermaßen die streitende Kirche,
wenn sie das makellose Lamm und die konsekrierte Hostie
anbetet und anfleht, auf die Stimme der triumphierenden
Kirche, die nicht aufhört zu singen: „Dem, der auf dem
Throne sitzt, und dem Lamme sei Preis und Ehre und
Herrlichkeit und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ (Apoc.
5, 13.).
Wir haben bisher,
Ehrwürdige Brüder, in Erklärung des Geheimnisses, das
unser aller verborgene Verbindung mit Christus in sich
begreift, als Lehrer der gesamten Kirche den Geist mit
dem Lichte der Wahrheit erleuchtet. Nunmehr halten Wir
es noch für die Pflicht Unseres Hirtenamtes, auch das
Herz zu jener innigen Liebe zum mystischen Leibe Christi
anzuregen, die sich nicht nur im Denken und Reden,
sondern auch im Handeln äußert. Schon die Mitglieder des
Alten Bundes haben ihre irdische heilige Stadt mit dem
Psalm besungen: „Sollte ich dein vergessen, Jerusalem,
dann soll man meine rechte Hand vergessen! Meine Zunge
soll mir am Gaumen kleben, wenn ich deiner nimmer
gedenke; wenn ich nimmer Jerusalem als meine
vorzüglichste Freude betrachte!“ (Ps., 136, 5–6.). Mit
wie viel größerem Stolz und lebendigerer Freude müssen
wir darüber frohlocken, daß wir wohnen dürfen in der
Stadt, gebaut auf den heiligen Höhen, aus lebendigen und
auserwählten Quadern, „auf dem hehren Eckstein, der
Christus Jesus selber ist!“ (Eph. 2, 20; 1. Petr. 2,
4–5.). Nichts Ehrenvolleres, nichts Erhabeneres, nichts
Ruhmreicheres kann je erdacht werden, als anzugehören
der heiligen, katholischen, apostolischen, römischen
Kirche, durch die wir Glieder an dem gleichen
verehrungswürdigen Leib werden, von dem einen erhabenen
Haupt geleitet, von dem gleichen göttlichen Geist
durchdrungen, von derselben Lehre und demselben Brot der
Engel in dieser Erdenverbannung gestärkt, bis wir
dereinst auch dasselbe ewige Glück im Himmel genießen
dürfen.
Um jedoch nicht vom Engel
der Finsternis, der sich in einen Engel des Lichtes (2.
Cor. 11, 14.) kleidet, betrogen zu werden, sei oberstes
Gesetz unserer Liebe: Christi Braut so zu lieben, wie
Christus sie liebte und mit seinem Blute erkaufte. Teuer
sollen uns daher die Sakramente sein, womit die gute
Mutter Kirche uns stärkt; die Feiern, womit sie uns
tröstet und erfreut, die heiligen Lieder und
liturgischen Bräuche, womit sie unser Herz himmelwärts
lenkt; teuer aber auch die Sakramentalien und jene
verschiedenen Übungen der Frömmigkeit, womit sie die
Herzen der Gläubigen liebevoll mit dem Geist Christi
durchdringt und erhebt. Wie es unsere Kindespflicht ist,
ihre mütterliche Liebe zu uns anzuerkennen, so noch
mehr, die ihr von Christus verliehene Autorität zu
verehren, die unseren Verstand für den Gehorsam gegen
Christus (2. Cor. 10, 5.) gefangennimmt. Kraft dessen
sind wir gehalten, ihren Gesetzen und ihren sittlichen
Vorschriften zu gehorchen, die bisweilen unsere
gefallene Natur hart empfindet; sind wir gemahnt, den
Widerstand des Leibes, den wir tragen, durch freiwillige
Abtötung zu beugen, ja zuweilen uns selbst erlaubter
Freuden zu enthalten. Es genügt ferner nicht, diesen
mystischen Leib nur insoweit zu lieben, als er durch
sein göttliches Haupt und seine himmlischen Gaben sich
auszeichnet. Wir müssen ihm auch in der sterblichen
Erscheinung unseres Fleisches unsere tatfreudige Liebe
zollen, in seinen menschlich schwachen Bestandteilen,
auch wenn diese bisweilen weniger der Stellung
entsprechen, die sie in dem verehrungswürdigen Leib
einnehmen.
Damit solch zuverlässige
und unverfälschte Liebe in unserem Herzen Platz greife
und täglich wachse, müssen wir uns angewöhnen, in der
Kirche Christus selbst zu erblicken. Denn Christus ist
es, der in seiner Kirche lebt, der durch sie Lehre,
Leitung und Heiligung spendet. Christus ist es auch, der
sich auf verschiedene Weise in den verschiedenen
Gliedern seiner Gemeinschaft darstellt. Wo dies Streben
nach lebendigem Glaubensgeist wirklich das Handeln aller
Christgläubigen bestimmt, da werden sie gewiß nicht
allein den hervorragenderen Gliedern des mystischen
Leibes Ehre und gebührenden Gehorsam entgegenbringen,
zumal denen, welche im Auftrag des göttlichen Hauptes
einmal Rechenschaft abzulegen haben über unsere Seelen
(Hebr. 13, 17.); sie werden auch um jene sich kümmern,
denen die besondere Liebe unseres Erlösers galt: den
Schwachen, Verwundeten und Kranken, ob sie natürlicher
oder übernatürlicher Heilung bedürfen; den Kindern,
deren Unschuld heute so leicht gefährdet, deren kleine
Seele wie Wachs formbar ist; den Armen endlich, in denen
unsere helfende Liebe mit innigem Mitleid die Person
Jesu Christi selber erkennen soll.
So mahnt ja der Apostel
mit vollem Recht: „Viel notwendiger sind jene Glieder
des Leibes, die als die schwächeren erscheinen; und die,
welche wir für die weniger achtunggebietenden ansehen,
umkleiden wir mit reicherem Schmuck“ (1. Cor. 12,
22–23.). Im Bewußtsein der Uns auferlegten hohen
Amtspflicht glauben Wir diesen ernsten Satz heute erneut
betonen zu müssen. Mit großem Schmerz erleben Wir es,
wie körperlich Mißgestaltete, Geistesgestörte und
Erbkranke als Last der Gesellschaft zuweilen ihres
Lebens beraubt werden; ja wie dies von manchen als neue
Erfindung menschlichen Fortschritts und überaus
gemeinnützige Tat gepriesen wird. Doch welcher rechtlich
Denkende sieht nicht, daß solche Auffassung nicht minder
dem natürlichen und dem göttlichen, allen Herzen
eingeschriebenen Gesetz (Decret. S. Officii, 2 Dec.
1940: A.A. S., 1940, p. 553.), als dem Empfinden
jedweder höheren Menschlichkeit Hohn spricht? Das Blut
derer, die unserem Erlöser gerade deswegen teurer sind,
weil sie größeres Erbarmen verdienen, „schreit von der
Erde zum Himmel“ (Gen. 4, 10.).
Damit aber jene echte
Liebe, womit wir in der Kirche und ihren Gliedern
unseren Erlöser erblicken müssen, nicht allmählich
erlahme, ist es eine große Hilfe, wenn wir auf Jesus
selbst als höchstes Vorbild der Liebe zur Kirche
schauen.
In erster Linie wollen
wir die Weite seiner Liebe nachahmen. Gewiß ist die
Braut Christi nur eine: die Kirche. Doch die Liebe des
göttlichen Bräutigams ist so weit, daß sie niemanden
ausschließt und in der einen Braut das ganze
Menschengeschlecht umfaßt. Aus diesem Grund hat unser
Erlöser sein Blut vergossen, um alle Menschen, so
verschieden sie durch Abstammung und Volkszugehörigkeit
sein mögen, in seinem Kreuz mit Gott zu versöhnen und in
einem Leibe zu einigen. Wahre Liebe zur Kirche fordert
darum nicht nur von uns, daß wir als Glieder desselben
Leines füreinander einstehen (Gen. 4, 10.), uns freuen
sollen, wenn ein anderes Glied Ehre erfährt, und mit
seinen Schmerz (1. Cor. 12, 26.) mitleiden sollen,
sondern daß wir zugleich die Menschen, die noch nicht im
Leibe der Kirche mit uns vereint sind, als Christi
Brüder dem Fleische nach betrachten sollen, die gleich
uns zu demselben ewigen Heil berufen sind. Leider gibt
es heute mehr denn je Menschen, die mit Feindschaft, Haß
und Mißgunst hochmütig prahlen, als sei dies eine
gewaltige Steigerung menschlicher Ehre und menschlicher
Kraft. Wir sehen mit Schmerz die unheilvollen Früchte
solcher Grundsätze vor uns. Laßt uns darum unserem
Friedensfürsten folgen, der uns lehrte, nicht nur die zu
lieben, die aus anderem Volk und Blut stammen als wir
(Luc. 10, 33–37.), sondern selbst unsere Feinde (Luc. 6,
27–35; Matth. 5, 44–48.). Wir wollen, von der
tröstlichen Überzeugung des Völkerapostels tief
durchdrungen, mit ihm die Höhe und die Breite, die
Erhabenheit und Tiefe der Liebe Christi besingen (Eph.
3, 18.). Sie kann keine Verschiedenheit des Stammes und
der Sitten schmälern, kein Ozean mit seinen gewaltigen
Fluten hemmen, kein Krieg auflösen, sei er aus gerechtem
oder ungerechtem Grund begonnen.
In dieser schweren
Stunde, Ehrwürdige Bruder, in der soviel Schmerz den
Körper, soviel Traurigkeit die Seele durchwühlt, müssen
alle zu solch übernatürlicher Liebe aufgerufen werden.
Die Kräfte aller Gutgesinnten – Wir denken besonders an
jene, die in den verschiedensten Vereinigungen der
Linderung der Not sich widmen – sollen sich verbinden,
um in herrlichem Wetteifer von Güte und Erbarmen Abhilfe
zu schaffen in so gewaltiger leiblicher und seelischer
Not. So soll allüberall die wohltätige Weite und
unerschöpfliche Segensfülle des mystischen Leibes
Christi aufstrahlen.
Der Weite der Liebe,
womit Christus die Kirche umfing, entspricht deren
ausdauernde Tatkraft, womit denn auch wir alle eifrig
und beharrlich bemüht sein sollen, den mystischen Leib
Christi zu umhegen. Es gab im Leben unseres Erlösers
keine Stunde von der Menschwerdung an, womit er den
Grund zu seiner Kirche legte bis zum Ende seines
sterblichen Lebens, worin er nicht um die Formung und
Vollendung seiner Kirche bis zur Ermattung, obgleich
Gottes Sohn, bemüht war mit dem strahlenden Vorbild
seiner Heiligkeit, in Predigten, Zwiegesprächen,
Berufungen, Bestimmungen. Es ist darum Unser Wunsch, es
möchten alle, die in der Kirche ihre Mutter erkennen,
eifrig erwägen, daß tatkräftige Mitarbeit zum Auferbauen
und zum Wachstum des mystischen Leibes Jesu Christi nach
dem Maß ihrer Stellung Pflicht aller Glieder ist, nicht
bloß der Diener des Heiligtums und jener, die sich Gott
ganz im religiösen Leben geweiht haben. Wir erwarten,
daß dies ganz besonders jene beachten, wie sie es ja
schon lobenswerterweise tun, die in den Kampfscharen der
Katholischen Aktion den Bischöfen und Priestern im
apostolischen Amt ihre Mithilfe leihen, und jene, die
zum gleichen Zweck in frommen Vereinigungen mitwirken.
Wie bedeutungsvoll und wichtig ihrer aller tüchtige
Mitarbeit in der gegenwärtigen Lage ist, sieht jeder.
Wir dürfen an dieser
Stelle nicht schweigen von den Familienvätern und
-müttern, denen unser Erlöser die zartesten Glieder
seines mystischen Leibes anvertraut hat. Um ihrer Liebe
zu Christus und zur Kirche willen bitten Wir sie innig,
mit größter Sorgfalt über die ihnen zu treuen Händen
übergebenen Kinder zu wachen und sie vor den
mannigfachen Tücken, denen sie heute so leicht zum Opfer
fallen, zu bewahren.
In besonderer Weise aber
hat unser Heiland seine glühende Liebe zur Kirche durch
die innigen Gebete geoffenbart, die Er an den
himmlischen Vater für sie richtete. Wie allen bekannt
ist, Ehrwürdige Brüder, – um nur einiges in Erinnerung
zu rufen – betete Er kurz vor dem Kreuzestod aus ganzem
Herzen für Petrus (Luc. 22, 32.), für die übrigen
Apostel (Ioann.17,9–19.) und dann für alle, die durch
die Predigt des göttlichen Wortes an Ihn glauben würden
(Ioann.17,20–23.).
Laßt uns darum in
Nachahmung des Beispiels Christi täglich zum Herrn der
Ernte flehen. Er wolle Arbeiter senden in seine Ernte (Matth.
9, 38; Luc. 10, 2.). Täglich sollen unsere vereinten
Bitten zum Himmel emporsteigen, um Gott alle Glieder des
mystischen Leibes Jesu Christi zu empfehlen, vor allem
die Bischöfe, denen die Seelsorge über ihre Diözese
anvertraut ist; sodann die Priester und Ordensleute,
die, zum „Anteil des Herrn“ berufen, in der Heimat und
im Heidenland das Reich des göttlichen Erlösers
schützen, mehren und fördern. Kein Glied des
verehrungswürdigen Leibes Christi wollen wir in unserem
gemeinsamen Beten vergessen. Auch jener laßt uns innig
gedenken, die die Last der irdischen Verbannung
besonders schmerzlich empfinden, oder die, aus diesem
Leben geschieden, im läuternden Feuer gereinigt werden;
schließlich derer, die in die Lehre Christi erst
eingeführt werden, damit sie möglichst bald im Wasser
der Taufe Erlösung finden.
Wir wünschen ferner
sehnlichst, dieses gemeinsame Beten möge mit heißer
Liebe auf die sich ausdehnen, die entweder von der
Wahrheit des Evangeliums noch nicht erleuchtet und in
die sichere Hürde der Kirche noch nicht eingetreten
sind, oder welche von Uns, die Wir ohne Unser Verdienst
die Stelle Jesu Christi hier auf Erden vertreten, durch
unglückselige Spaltung im Glauben und in der Einheit
getrennt sind. Laßt uns für sie das göttliche Gebet
unseres Heilandes zum Vater im Himmel wiederholen: „Auf
daß alle eins sein mögen, wie Du, Vater, in mir und ich
in Dir, daß auch sie in Uns eins seien, damit die Welt
glaube, daß Du mich gesandt hast“ (Ioann. 17, 21.).
Wie euch sicher bekannt
ist, Ehrwürdige Brüder, haben Wir von Anfang Unseres
Pontifikates an auch sie, die nicht zur sichtbaren
Gemeinschaft der katholischen Kirche gehören, Gottes
Schutz und Leitung empfohlen und feierlich versichert,
daß Uns in Nachahmung des Beispiels des guten Hirten
nichts mehr am Herzen liegt, als daß auch sie das Leben
haben und es in Fülle besitzen (Pius XII. Summi
Pontificatus: A. A. S., 1939, p. 419.). Wir wünschen
diese Unsere feierliche Versicherung durch diese
Enzyklika, die der Ehre „des großen und glorreichen
Leibes Christi“ (Iren., Adv. Haer., IV, 33, 7: Migne, P.
G. VII, 1076.) geweiht ist, zu wiederholen, nachdem Wir
soeben um die Gebete der ganzen Kirche nachgesucht
haben. Alle jene und jeden einzelnen von ihnen laden Wir
mit liebendem Herzen ein, den inneren Antrieben der
göttlichen Gnade freiwillig und freudig zu entsprechen
und sich aus einer Lage zu befreien, in der sie des
eigenen ewigen Heiles nicht sicher sein können (Pius IX,
lam vos omnes, 13 Sept. 1868: Act. Conc. Vat., C. L.
VII, 10.). Denn mögen sie auch aus einem unbewußten
Sehnen und Wünschen heraus schon in einer Beziehung
stehen zum mystischen Leib des Erlösers, so entbehren
sie doch so vieler wirksamen göttlichen Gaben und
Hilfen, deren man sich nur in der katholischen Kirche
erfreuen kann. Möchten sie also eintreten in den Kreis
der katholischen Einheit und alle, mit uns in der
gleichen Gemeinschaft des Leibes Jesu Christi geeint, an
das eine Haupt sich wenden in ruhmreicher
Liebesverbundenheit (Gelas. I, Epist. XIV: Migne, P. L.
LIX, 89.). In unablässigem Flehen zum Geiste der Liebe
und der Wahrheit erwarten Wir sie mit ausgebreiteten
Armen, nicht als Fremde, sondern als solche, die in ihr
eigenes Vaterhaus heimkehren.
Doch wenn es auch Unser
Wunsch ist, es möchte unaufhörlich dies
Gemeinschaftsgebet des ganzen mystischen Leibes um
möglichst baldigen Eintritt aller Irrenden in die eine
Hürde Jesu Christi zu Gott emporsteigen, so müssen Wir
doch betonen, daß solch ein Schritt aus freiem
Willensentschluß geschehen muß, da niemand glauben kann,
der es nicht freiwillig tut (August., In Ioann. Ev.
tract., XXVI, 2: Migne, P. L. XXX, 1607.). Sollten also
Menschen, die nicht glauben, wirklich zum Eintritt in
den äußerlichen Bau der Kirche, zum Hintreten an den
Altar und zum Empfang der Sakramente genötigt werden, so
können dies gewiß keine wahren Christgläubigen sein
(August., Ibidem.). Denn der Glaube, ohne den man Gott
unmöglich gefallen kann (Hebr. 11, 6.), muß eine völlig
freie „Hingabe des Verstandes und Willens“ (Conc. Vat.,
Const. de fide cath., cap. 3.) sein. Sollte daher einmal
der Fall eintreten, daß jemand gegen die beständige
Lehre dieses apostolischen Stuhles (Leo XIII, Immortale
Dei: A. S. S., XVIII, pp. 174–175; Cod. lur. Can., c.
1351.) wider seinen Willen zum katholischen Glauben
gezwungen würde, so müssen Wir dies im Bewußtsein
Unserer Amtspflicht unbedingt zurückweisen. Weil aber
die Menschen einen freien Willen haben und ihre Freiheit
infolge ihrer verkehrten Neigungen und Leidenschaften
auch mißbrauchen können, kann nur der Vater der
Erleuchtung sie durch den Geist seines geliebten Sohnes
wirksam zur Wahrheit bewegen. Wenn also
bedauerlicherweise so viele Menschen noch außerhalb der
Wahrheit des katholischen Glaubens stehen und dem Walten
der göttlichen Gnade ihre Freiheit nicht unterwerfen, so
hat dies seinen Grund nicht nur darin, daß sie selbst
(August., Ibidem.), sondern auch darin, daß die
Christgläubigen keine glühenderen Gebete um diese Gnade
an Gott richten. Stets aufs neue wiederholen Wir darum
Unsere Mahnung, daß alle in brennender Liebe zur Kirche
und nach dem Beispiel des göttlichen Heilandes solche
Gebete beharrlich verrichten.
Aber auch dies ist, zumal
in der heutigen Zeitlage angebracht, ja notwendig, daß
für Könige und Fürsten und für alle Regierenden, die
durch ihren Schutz von außen der Kirche beistehen
können, innig gebetet wird, damit nach Herstellung einer
gerechten Ordnung „der Friede als Werk der
Gerechtigkeit“ (Is. 32, 17.) von Gottes Liebe beseelt
aus den trüben Fluten der Unwetter der müden Menschheit
sich zeige und die liebevolle Mutter Kirche ein
friedliches und ruhiges Leben führen könne in aller
Frömmigkeit und Reinheit (1. Tim. 2, 2.). Man muß vor
Gott darum anhalten, daß doch alle Lenker der Völker die
Weisheit lieben möchten (Sap. 6,23.), so daß sie nie das
furchtbare Urteil des Heiligen Geistes treffe: „Fragen
wird der Allerhöchste nach euern Werken, und eure
Gedanken wird Er verhören, weil ihr als Walter seiner
Gewalt ungerecht geurteilt, die Satzung der
Gerechtigkeit nicht beobachtet habt, nach Gottes Willen
nicht gewandelt seid. Schrecklich und überraschend wird
Er vor euch stehen; denn das härteste Gericht ergeht
über die Obrigkeiten. Dem kleinen Mann wird Erbarmen
zuteil, die Gewalthaber indes werden gewaltig
geschlagen. Gott schont keinen ob seines Ranges, Er
fürchtet sich vor keiner Größe. Den Kleinen und den
Großen, Er hat sie beide gemacht und gleicherweise auf
alle erstreckt sich seine Sorge; doch den Stärkeren
droht größere Strafe. Euch, ihr Regenten, gilt dieses
mein Wort, daß ihr Weisheit lernet und nie sie mißachtet!“
(Ibidem, 6, 4–10.).
Christus der Herr hat
seine Liebe zu seiner unberührten Braut jedoch nicht
allein durch unermüdliches Wirken und beharrliches Beten
geoffenbart, sondern auch durch die Leiden und Qualen,
die Er aus freiwilliger Liebe für sie auf sich nahm. „Da
Er die Seinen liebte ... liebte Er sie bis ans Ende“ (Ioann.
13, l.). Nur durch sein Blut hat Er sich die Kirche
erkauft (Apg. 20, 28.). So laßt uns, wie es die
Sicherstellung unseres Heiles verlangt, frei den
blutigen Spuren unseres Königs folgen: „denn wenn wir
zur Ähnlichkeit mit Seinem Tode verwachsen sind, werden
wir es zugleich mit seiner Auferstehung sein“ (Rom. 6,
5.), und „wenn wir mitgestorben sind, werden wir auch
mitleben“ (2. Tim. 2, 11.). Dies heischt von uns
zugleich eine echte und tätige Liebe zur Kirche und zu
den Seelen, die sie für Christus gebiert. Zwar hat unser
Heiland seiner Kirche durch das bittere Leiden und den
bitteren Tod einen geradezu unendlichen Schatz von
Gnaden verdient. Doch diese Gnaden werden uns nach
Gottes weisem Rat nur zu Teilen zugedacht; ihre gößere
oder geringere Fülle hängt nicht wenig auch von unseren
guten Werken ab, durch die der von Gottes Huld
gespendete Gnadenregen auf die Seelen der Menschen
herabgezogen wird. Er wird sicherlich in reicher Fülle
strömen, wenn wir nicht nur eifrig zu Gott beten und
besonders am heiligen Meßopfer womöglich täglich
andächtig teilnehmen, nicht nur in christlicher
Liebespflicht die Not so vieler Bedürftigen zu lindern
versuchen, sondern vor allem, wenn wir den vergänglichen
Gütern dieser Welt die ewigen vorziehen; wenn wir diesen
sterblichen Leib durch freiwillige Buße in Zucht halten,
ihm Unerlaubtes versagen und auch Hartes und Rauhes ihm
abfordern; wenn wir endlich die Mühen und Leiden des
gegenwärtigen Lebens wie aus Gottes Hand ergeben
annehmen. So werden wir gemäß dem Wort des Apostels „an
unserem Fleische ergänzen, was an dem Leiden Christi
noch fehlt für seinen Leib, die Kirche“ (Col. l, 24.).
Während wir dies
schreiben, steht vor Unseren Augen eine fast unendliche
Schar von Bedrängten, deren Schmerz Wir innig mitfühlen.
Es sind die Kranken, die Armen, die Krüppel, die Witwen
und Waisen, und viele, die am eigenen Leid oder an dem
der Ihrigen oft bis zur Erschöpfung tragen. Sie alle
ermuntern Wir mit der Liebe eines Vaters, was immer der
Grund ihrer Leiden und Drangsale sein mag, sie mögen
voll Vertrauen emporblicken zum Himmel und ihre Not dem
darbringen, der ihnen einst reichen Lohn dafür spenden
wird. Mögen alle sich erinnern, daß ihr Dulden nicht
eitel ist, sondern ihnen selbst und der Kirche zugleich
großen Segen bringt, wenn sie es in solcher Absicht
gelassen auf sich nehmen. Zur größeren Wirksamkeit
dieser Absicht trägt sicherlich ungemein viel die
täglich erneuerte Selbsthingabe an Gott bei, wie sie die
Mitglieder jener frommen Vereinigung üben, die unter dem
Namen Gebetsapostolat bekannt ist. Wir legen Wert
darauf, den Gott so wohlgefälligen Bund in diesem
Zusammenhang herzlich zu empfehlen.
Sollen wir schon zu jeder
Zeit um des Heiles der Seelen willen unsere Leiden mit
denen des göttlichen Erlösers vereinen, so muß dies
heute, Ehrwürdige Brüder, allen ein Gebot sein, indes
die furchtbare Kriegsfackel fast den ganzen Erdkreis in
Brand steckt und soviel Tod, Elend und Not schafft.
Ebenso muß es heute in besonderer Weise für alle ein
Gebot der Stunde sein, sich der Laster, der Verführungen
der Welt und der körperlichen Ausschweifungen zu
enthalten; ja selbst von allem irdischen Tand, dem
keinerlei Bedeutung für die christliche Formung der
Seele und für unser himmlisches Endziel zukommt.
Vielmehr müssen wir das ernste Wort Unseres
unsterblichen Vorgängers Leo des Großen einprägen, daß
wir durch die Taufe zum Fleisch des Gekreuzigten wurden
(Serm. LXIII, 6; LXVI, 3: Migne, P. L. LIV, 357 et
366.), und das herrliche Gebet des heiligen Ambrosius:
„Trage mich (Christus) auf Deinem Kreuz, das heilsam ist
für die Verirrten, in dem allein Ruhe ist für die
Wegesmüden, in dem allein Leben sein wird für alle, die
sterben müssen“ (In Ps. 118, XXII, 30: Migne, P. L. XV,
1521.).
Bevor Wir nun schließen,
fühlen Wir Uns gedrängt, wieder und wieder alle zu
ermahnen, daß sie die gütige Mutter Kirche lieben mit
herzlicher, tätiger Liebe. Für ihre Unversehrtheit und
ihr reiches, blühendes Wachstum laßt uns täglich dem
Ewigen Vater unser Beten, Schaffen und Leiden
darbringen, sofern uns wirklich das Heil der gesamten
Menschheitsfamilie am Herzen liegt, die durch göttliches
Blut erlöst ist. Indes die jagenden Wolken den Himmel
verdüstern; indes der gesamten menschlichen Gesellschaft
und der Kirche selbst gewaltige Fährnisse drohen, laßt
uns dem Vater der Erbarmungen uns und alles Unsere mit
dem Gebet vertrauen: „Sieh‘ hernieder, o Herr, wir
bitten Dich, auf diese Deine Familie, für die unser Herr
Jesus Christus ohne Bedenken den Händen der Henker sich
hingab und Kreuzesqual auf sich nahm“ (Off. Maior. Hebd.).
Möge die jungfräuliche
Gottesmutter, Ehrwürdige Brüder, diesen Unseren
Wünschen, die gewiß auch die euern sind, zur
Verwirklichung helfen und allen eine unverfälschte Liebe
zur Kirche erflehen! Ihre hochheilige Seele war mehr als
alle ändern von Gott geschaffenen Seelen vom göttlichen
Geiste Jesu Christi erfüllt. Sie hat ihre Zustimmung
gegeben „im Namen der ganzen menschlichen Natur“, so daß
„sich zwischen dem Sohne Gottes und der Menschennatur
eine Art geistlicher Ehe“ vollzog (S. Thom., III, q, 80,
a. 1.). Sie hat Christus den Herrn, der schon in ihrem
jungfräulichen Schöße mit der Hoheit des Hauptseins über
die Kirche umkrönt war, in Wundern geboren, den Quell
alles himmlischen Lebens. Sie hat den Neugeborenen
denen, die Ihm aus Juden und Heidenland die erste
Anbetung zollten, als Prophet, König und Priester
dargereicht. Ihr Einziggeborener hat auf ihre
Mutterbitte „zu Cana in Galiläa“ das Wunderzeichen
gewirkt, auf das hin „seine Jünger an Ihn glaubten“ (Ioann.
2, 11.). Sie hat, frei von jeder persönlichen oder
erblichen Verschuldung und immer mit ihrem Sohn aufs
innigste verbunden, Ihn auf Golgatha zusammen mit dem
gänzlichen Opfer ihrer Mutterrechte und ihrer
Mutterliebe dem Ewigen Vater dargebracht als neue Eva
für alle Kinder Adams, die von dessen traurigem Fall
entstellt waren. So ward sie, schon zuvor Mutter unseres
Hauptes dem Leibe nach, nun auch auf Grund eines neuen
Titels des Leids und der Ehre im Geiste Mutter aller
seiner Glieder. Sie war es, die durch ihre mächtige
Fürbitte erlangte, daß der schon am Kreuz geschenkte
Geist des göttlichen Erlösers am Pfingsttag der
neugeborenen Kirche in wunderbaren Gaben gespendet
wurde. Sie hat endlich dadurch, daß sie ihr namenloses
Leid tapfer und vertrauensvoll trug, mehr als alle
Christgläubigen zusammen, als wahre Königin der
Märtyrer, „ergänzt, was an den Leiden Christi noch fehlt
... für seinen Leib, die Kirche“ (Col. l, 24.). Sie hat
den geheimnisvollen Leib Christi, der aus dem
durchbohrten Herzen des Heilandes geboren ward (Off.
Ssmi Cordis in hymno ad vesp.), mit derselben innigen
Mutterliebe und Sorge begleitet, womit sie das Jesuskind
in der Krippe und an ihrer Brust umhegte und nährte.
Ihrem unbefleckten Herzen
haben Wir vertrauensvoll alle Menschen geweiht. Möge
sie, die hochheilige Mutter aller Glieder Christi (Pius
X, Ad diem illum: A. S. S., XXXVI, p. 453.), strahlend
jetzt mit Leib und Seele in der Himmelsglorie und
herrschend droben mit ihrem Sohn, von Ihm inständig
erflehn, daß reiche Ströme der Gnade unaufhörlich vom
erhabenen Haupt auf alle Glieder des geheimnisvollen
Leibes herabfließen. Möge sie mit ihrer wirksamen
Fürsprache wie in vergangenen Zeiten so heute die Kirche
schützen und ihr sowie der ganzen Menschheit endlich
friedlichere Zeiten von Gott erlangen. Von dieser
übernatürlichen Hoffnung getragen, spenden Wir als
Unterpfand himmlischer Gnaden und als Zeugnis Unseres
besonderen Wohlwollens euch allen und jedem einzelnen.
Ehrwürdige Brüder, sowie der jedem von euch anvertrauten
Herde aus ganzem Herzen den apostolischen Segen.
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