Prof. Dr. Georg May:
Priestermangel (Text)
Prof. Dr. Georg May:
Selbstgemachter Priestermangel
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Vortrag mit Prof. Georg May,
emeritierter Kirchenrechtler aus Mainz.
Prof. Dr. Georg May:
Priestermangel
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Eine der auffälligsten Erscheinungen in der
Kirche der Gegenwart ist der Priestermangel. Die Zahl der Priesterkandidaten und
der Neupriester hat einen so niedrigen Stand erreicht, wie er seit Jahrhunderten
nicht da war. Die Zahl der Priesterweihen in den deutschen Diözesen ist
2008 erstmals auf unter 100, nämlich 95, gesunken. Um den Bestand an Priestern
zu halten, wären etwa 500 Neupriester erforderlich. Die Folgen des
Priestermangels sind offensichtlich. Pfarreien werden aufgehoben, Pfarrverbände
und Pfarrbünde geschaffen. Zahlreiche Pfarrhäuser stehen leer, werden vermietet
oder abgerissen. An zahllosen Orten wohnt und wirkt kein Priester mehr. Welches
sind die Gründe für den Priestermangel?
I. Der Gläubigenmangel
Welches sind die Gründe des Priestermangels? Die Antwort lautet: Der
Priestermangel ist an erster Stelle eine Auswirkung des Gläubigenmangels, und
das in doppelter Hinsicht. Einmal wenden sich Jahr für Jahr Zehntausende
katholischer Christen von der Kirche ab, werden abständig und erklären den
Kirchenaustritt. Jedes Jahr verlieren Zehntausende, vielleicht Hunderttausende
katholischer Christen den Glauben, geben die religiöse Praxis auf und verzichten
auf den Kontakt zur Kirche. Die Zahl der Taufen hat sich mehr als halbiert. Die
Zahl der sonntäglichen Gottesdienstbesucher ist um mehr als zwei Drittel
zurückgegangen. Es ist hier nicht die Stelle, über die außerund innerkirchlichen
Ursachen dieser Erscheinungen zu sprechen. In jedem Falle ist es falsch,
lediglich die äußeren Verhältnisse dafür verantwortlich zu machen. Der
nachkonziliare Zusammenbruch in unserer Kirche ist eine Tatsache. Die
besorgniserregenden Erscheinungen halten seit Jahrzehnten an. Niemals ist etwas
Wirksames dagegen unternommen worden. Ich kenne keine deutsche Diözese, die eine
missionarische Seelsorge auch nur ernsthaft begonnen hätte. Eine solche
Seelsorge hätte alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Menschen im Glauben
und bei der Kirche zu halten, die Ungetauften zu gewinnen sowie die Abständigen
und Abgefallenen zum Glauben und zur Kirche zurückzuführen. Ein Heer von
Laientheologen (mit hohen Gehältern) ist in Deutschland aufgestellt worden. Aber
die Aufgaben einer míssionarischen Seelsorge sind von ihnen nicht in Angriff
genommen worden. Allzu viele nehmen an Schreibtischen Platz, bedienen Telefone
und verfassen Handreichungen für das, was andere tun sollen.
Dazu kommt der erschreckende Rückgang der Empfängnisund Geburtenfreudigkeit. In
Deutschland liegt die Geburtenrate der Frau, statistisch gesehen, bei 1,2
Kindern; zur Erhaltung der Bevölkerung sind mindestens 2,1 Kinder erforderlich.
Die Kinderlosigkeit und die Kinderarmut unserer Ehen und Familien lassen schon
rein rechnerisch keine große Erwartung auf Priesterberufe zu. Es ist doch
offensichtlich, dass dort, wo vier, fünf und mehr Kinder aufwachsen, die Chance,
dass eines sich dem Priestertum zuwendet, erheblich größer ist als in Familien
mit einem Kind oder zwei Kindern. Die große Familie war stets das Saatbeet für
Berufungen. Heute fehlen die großherzigen Eltern, die bereit sind, einer
zahlreichen Kinderschar das Leben zu geben. Es ist ausgeschlossen, die Seminare
bei einer so niedrigen Geburtenrate zu füllen. Wenn die Gatten nicht das
unfruchtbare Geschlechtsleben aufgeben, ist ein Ende des Priestermangels nicht
abzusehen. Kinderlosigkeit und Kinderarmut haben mehrere Gründe. Einer ist darin
gelegen, dass der Glaube schwach geworden oder verdunstet ist. Wer nicht mehr an
Gott, den Richter und Belohner glaubt, wem das ewige Leben zweifelhaft geworden
ist, der neigt dazu, das irdische Leben zu genießen und alles zu vermeiden, was
eine Last ist. Kinder sind eine Last.
Junge Menschen, die sich fragen, ob sie Priester werden könnten, müssen von
ihren Familien, aber auch von ihrer Gemeinde getragen werden. Wo das Verständnis
für das sakramentale Priestertum fehlt, können geistliche Berufe nicht wachsen.
Gut katholische Familien sind heute seltene Ausnahmen. Die religiöse Erziehung
fällt in den meisten Familien aus. Die Eltern besitzen nichts, was sie
weitergeben könnten. Sie sind mit der Daseinsvorsorge, mit Arbeit und Beruf, mit
Wohnung und Erholung derart eingedeckt, dass für Gebet und Gottesdienstbesuch,
für Sakramentenempfang und religiöse Fortbildung keine Zeit mehr bleibt. Und aus
solchen Familien sollen Priesterberufe kommen? Der mangelnde Zustrom zu den
Priesterseminaren ist auch die Auswirkung fehlender Glaubenskraft in den
Pfarrgemeinden. Ich kenne Pfarreien, die sich selbst als lebendig ausgeben und
anscheinend auch von der Bistumsleitung dafür gehalten werden. Worin bekundet
sich das Leben? In zahlreichen Kreisen, Feiern und Veranstaltungen. Ich messe
die Lebendigkeit einer Gemeinde anders als die Herren Bischöfe. Ich frage: Wie
steht es um die Häufigkeit des Empfanges des Bußsakramentes, und wie viele
kinderreiche Familien gibt es in der Gemeinde? Wo diese beiden Anzeichen
kirchlichen Lebens fehlen, weigere ich mich, von einer lebendigen Gemeinde zu
reden; es ist eher eine sterbende Gemeinde, auch wenn noch so viel äußerer
Betrieb gemacht wird.. Die Folge dieser Verhältnisse ist: Es gibt zu wenige
religiös hochstehende und kirchlich engagierte Jugendliche. Der Staat war
entweder nicht gewillt oder nicht fähig, der zunehmenden Verwahrlosung der
Jugend entgegenzuwirken. Zucht und Ordnung, Disziplin und Respekt sind in der
permissiven Gesellschaft verpönt. Die heute verbreitete frühe Verführung zu
geschlechtlicher Unordnung zerstört die Keime der Berufung zum Priestertum. Die
kirchlichen Jugendverbände tragen, von Ausnahmen abgesehen, nichts für die
Weckung und Förderung von Priesterberufen bei. Wenn man in kirchlichen
Jugendorganisationen Achtung vor und Liebe zum Priestertum sucht, dann muss man
zu den Pfadfindern des Pater Hönisch oder zu den Jugendlichen der
Priesterbruderschaft St. Pius X. gehen.
Der Priesterberuf kann und soll in den Jahren des Heranwachsens keimen und
gedeihen. Damit dies geschieht, ist eine gediegene religiöse Unterweisung
erforderlich. Der Religionsunterricht versagt an vielen, vielleicht an den
meisten Stellen vor der Aufgabe, gründliches religiöses Wissen und gediegene
religiöse Praxis zu vermitteln; er bindet weithin nicht an Glauben und Kirche,
sondern entfernt von beiden. Die meisten Unterrichtsmittel sind entweder
unzulänglich oder geradezu glaubensgefährdend. Die Bischöfe versagen vor der
Aufgabe, den Religionsunterricht zu einem gedeihlichen Unternehmen zu machen,
fast gänzlich. Die Kirche hat in den letzten 50 Jahren fast die gesamte junge
Generation verloren. Woher sonst aber sollen Priester kommen?
II. Die Priester von heute
Die beste, ja, wie ich meine, die einzige zugkräftige Werbung für den
Priesterberuf sind gute, womöglich heiligmäßige Priester. Jugendliche und junge
Männer, in denen Funken der Berufung glimmen, schauen auf die Priester, die im
Amt sind. Was sehen sie da? Es besteht kein Zweifel, dass auch heute die
Mehrzahl der Priester ein geistliches Leben führt, ihren Dienst nach besten
Kräften erfüllt und die Nachfolge des Herrn ernst nimmt. Infolge des
Priestermangels sind aber die meisten noch vorhandenen Priester überlastet. Die
Seelsorge kennt keinen Achtstundentag. Das Bild des gehetzten, von
Pfarrgemeinderatssitzung und Seelsorgegespräch zur Eucharistiefeier eilenden
Pfarrers kann junge Männer schwerlich für den Priesterberuf gewinnen. Viele
Priester sind entmutigt, vereinsamt, kommen sich verlassen vor und drohen an der
Fülle ihrer Verpflichtungen zu scheitern. Ein Strom von Papier – Broschüren,
Handreichungen, Einladungen, Prospekte – ergießt sich von den Ordinariaten über
die Priester.
Es ist aber auch kein Geheimnis, wenn ich feststelle, dass viele Priester kein
Vorbild für junge Männer sind, die Priester werden möchten. Sie sind
veräußerlicht, verweltlicht. Sie haben keine rechte Überzeugung mehr von ihrem
Beruf, vergessen ihre Auserwählung und spotten über ihre Würde. Entsprechend dem
Verlust ihres Sendungsbewußtseins betragen sie sich. Von der Aufgabe der
geistlichen Kleidung angefangen bis in die Sprache hinein suchen sie die
Tatsache zu verwischen, dass sie eben nicht Menschen wie alle anderen sind,
sondern Geweihte, Christus Verähnlichte, Repräsentanten des Herrn.
Ein Teil, ein erheblicher Teil des Klerus ist religiös erschlafft. Der
Gebetseifer vieler Priester ist zurückgegangen. So bewährte, gerade für den
Priester hilfreiche Frömmigkeitsformen wie die Herz-Jesu-Verehrung und die
Marien-Verehrung sind bei ihnen in Mißkredit geraten. Nur noch wenige Priester
harren in Anbetung vor dem im Tabernakel gegenwärtigen Herrn aus, halten eine
intensive innere Vorbereitung auf die Feier der heiligen Messe und eine
ausgiebige Danksagung nach der Darbringung des heiligen Opfers.
Als ein Versäumnis von ungeheurer Tragweite muss der immer seltener werdende
Empfang des Bußsakramentes durch viele Priester angesehen werden. Der Priester,
der sich nicht immerfort selbst bekehrt und geistlich erneuert – und es gibt
kein wirksameres, tiefgreifenderes Mittel der Bekehrung und Erneuerung als die
gute Beichte –, ist in großer Gefahr. Es ist die Gefahr, die Sünde leicht zu
nehmen, von kleinen Sünden zu größeren zu gelangen, in der Sünde zu verwurzeln
und schließlich zu versinken.
Ebenso schlimm wie der religiöse Abbau in weiten Teilen des Klerus ist die
aszetische Erschlaffung. Aszese ist das beharrliche Ringen des von der Gnade
getragenen menschlichen Willens, um die christliche Vollkommenheit zu erlangen.
Aszese verlangt Ordnung und Zucht des geistigen und des körperlichen Lebens,
Aszese fordert Bekämpfung alles dessen in uns, das aus der Sünde stammt und zur
Sünde führt, Aszese bedeutet Niederhaltung des Niederen in uns, damit sich das
Höhere frei entwickeln kann. Aszese besagt Abbruch im Erlaubten, um das
Unerlaubte meiden zu können. Jedem Christen ist Aszese notwendig, niemand aber
braucht sie mehr als der Priester. Je höher ein Wert, desto mehr ist er
gefährdet, und je mehr er bedroht ist, um so sorgsamer muss er geschützt werden.
Das katholische Priestertum steht sehr hoch, es bedarf deswegen eines besonders
intensiven Schutzes. Weniges schützt das Priestertum mehr als die Kontrolle über
sich selbst, Disziplin, Beherrschung und Enthaltsamkeit. Hier ist in den letzten
Jahren viel zerstört worden. Die kirchliche Bußdisziplin ist nur mehr ein
Schatten ihrer selbst. Die aszetischen Forderungen, die das Kirchenrecht an den
Priester stellt, stehen weithin bloß noch auf dem Papier. Die Weisungen der
Lehrer des geistlichen Lebens sind fast ganz vergessen. Man braucht sich nicht
zu wundern, dass bei Priestern, welche die Aszese geringschätzen oder aufgeben,
das Fleisch rebellisch wird.
Bei so manchen Geistlichen ist in den letzten Jahren ein merkwürdiges
Zurücktreten des übernatürlichen Sinnes zu beobachten. Man gewinnt den Eindruck,
es sei ihnen mehr daran gelegen, es sich und den ihnen Anvertrauten auf der Erde
möglichst angenehm zu machen, statt sich und die anderen zum Himmel zu führen.
Aus dieser Einstellung erklärt sich das ungebührliche Wuchern des
Unterhaltungsbetriebes in nicht wenigen Pfarreien zu Lasten des geistlichen Tuns.
Für das Feiern von Festen ist keine Mühe zu groß, ist keine Zeit zu lang, sind
keine Kosten zu hoch, aber der Gottesdienst wird in einer minimalen Zeit
abgewickelt, bewährte seelsorgliche Veranstaltungen fallen ganz aus, jede
Anstrengung – wie kniendes Beten – wird vermieden. Als ein Beispiel für zahllose
andere sei auf den Pfarrer verwiesen, der die bisher am Gründonnerstag übliche
Anbetung des Allerheiligsten nach dem Abendgottesdienst abschaffte und an ihrer
Stelle einen Umtrunk im Pfarrheim einführte. In dieselbe Richtung eines argen
Verlustes geistlicher Potenz weisen das Vermeiden ernster und beunruhigender
Gegenstände in der Predigt und in der Erwachsenenbildung, die Nachlässigkeit in
der Vorbereitung auf das Sterben, das Fehlen von konkreten Aufrufen zum
sittlichen Kampf, das Verschweigen oder die Verkehrung der kirchlichen Lehre
über die geschlechtliche Sittlichkeit innerhalb und außerhalb der Ehe sowie das
Durchgehenlassen gefährlicher Verfehlungen – z. B. des vorehelichen
Geschlechtsverkehrs – ohne entsprechende Belehrung und Zurechtweisung.
Viele Priester arbeiten nicht mehr mit der Begeisterung, die der Heilige Geist
in den Seelen weckt. Sie betrachten ihre Tätigkeit als einen Broterwerb, als
einen „Job“, und legen eine Mentalität an den Tag, die für – schlechte – Beamte
charakteristisch ist. Der Seeleneifer im Klerus ist in den letzten 15 Jahren
geringer geworden. An vielen Orten klagen die Kranken, dass sie vernachlässigt
werden. Wohl noch nie seit unvordenklichen Zeiten sind so viele Gläubige
unversehen gestorben wie heute. Die Einzelseelsorge an Armen und Verlassenen, an
Gefährdeten und Sündern liegt in nicht wenigen Pfarreien im argen. Ein Bemühen
um Konversionen gibt es fast überhaupt nicht mehr. Seelsorgliche Hausbesuche
sind selten geworden. Durch die Abhaltung von Bußandachten haben sich zahlreiche
Geistliche die Tätigkeit im Beichtstuhl, die früher oft viele Stunden in
Anspruch nahm, vom Leibe geschafft. Gläubige beschweren sich, dass geistliche
Handlungen wie Beerdigungen hastig, geschäftsmäßig und ohne innere Anteilnahme
abgewickelt werden.
An dieser Stelle darf ich nicht unterlassen, auf die betrüblichen Verfehlungen
von Priestern gegen ihre Standespflichten und allgemein gegen die sittlichen
Normen hinzuweisen. Es ist eine Tatsache, dass der Priesterstand nicht mehr auf
der sittlichen Höhe steht, die er noch vor 50 Jahren einnahm. Zu viele Abfälle
und Skandale haben das gläubige Volk in seinem Vertrauen zum Priestertum
erschüttert und den Feinden der Kirche willkommenes Material zur Schmähung
geliefert. Doch damit nicht genug. Es war stets ein wirksames Mittel aller
Feinde der Kirche, die Fehler, Mängel und Schwächen der Geistlichen zu
brandmarken, aber auch zu übertreiben, um auf diese Weise den Glauben und die
Autorität der Kirche zu treffen. Diese Methode wird heute von allen Massenmedien
angewandt.
Namentlich gescheiterte und ausgebrochene Priester fallen mit immer neuen
Verdächtigungen und Verleumdungen über die Priesterschaft her. Um ihr eigenes
Versagen zu kaschieren, geben sie ihre ehemaligen Mitbrüder als Heuchler, die
ein Doppelleben führen, aus. Dabei werden teilweise horrende Zahlen genannt, die
völlig aus der Luft gegriffen sind und jeder empirischen Basis entbehren. Selten
und schwach sind die berufenen Schützer des Priesterstandes, die Bischöfe, gegen
diese unerhörten Schmähungen aufgestanden. Die Theologiestudierenden kennen die
Situation der Diffamierung und Verdächtigung der Priesterschaft. Dass sie
dadurch nicht zum Streben nach dem Priestertum ermutigt werden, liegt auf der
Hand.
In den letzten 45 Jahren haben sich dramatische Vorgänge in der Priesterschaft
abgespielt. Ich erinnere an erster Stelle an die Massenflucht aus unserem
Abendmahlssaal. Tausende und Abertausende von Priestern haben ihren heiligen
Beruf aufgegeben. Dieser Exodus ist das Zeichen einer schweren Krise des
Priesterstandes. Eine Elite ist abgesunken, ja zerbrochen. Die zahllosen
Skandale auf dem Absprung befindlicher und entsprungener Priester haben Achtung
und Ansehen des Priesterstandes in der Gesellschaft und beim Kirchenvolk
gründlich und nachhaltig zerstört. Bis zur Stunde lassen sich diese Versager vor
die Fernsehschirme zerren und versprühen dort ihre albernen Tiraden. Die meisten
Menschen bringen den Priestern weder Vertrauen noch Liebe, sondern Befremden,
Abneigung und Verachtung entgegen.
III. Entwertung des Priestertums
Der Zusammenbruch oder das Absacken so vieler Priester wäre nicht geschehen ohne
die Wühlarbeit von Theologen. In unserer Kirche hat seit geraumer Zeit ein
gigantischer Feldzug gegen das Priestertum eingesetzt. Christus sei kein
Priester gewesen, heißt es. Er habe kein Priestertum eingesetzt. In der Urkirche
habe es kein Priestertum gegeben. Der Vorsitz der Gemeinde sei bloß menschlichen
Rechtes. So schreibt der Pastoraltheologe Leo Karrer: „Den Amtsträgern kommt
somit theologisch kein Mehr zu, das den sogenannten Laien fehlte.“ Das ist genau
der Standpunkt des Protestantismus. Seelsorge ist jetzt nach ihm „ein
kommunikativer Prozeß zwischen Glaubenden, bei dem… alle gleichwertige Söhne und
Töchter Gottes sind“. Gleichwertig gewiß, aber nicht gleichberechtigt. Nach den
vier Pastoraltheologen Fuchs, Mette, Greinacher und Steinkamp ist für das Neue
Testament kennzeichnend, „dass es keine heilsvermittelnden Institutionen und
Personen zwischen Gott und den Menschen gibt“. Damit entfällt die göttliche
Legitimation von Kirche und Priestertum.
Fuchs meint, in Notsituationen könnten auch ungeweihte „Gemeindeleiter“ den
Vorsitz bei der „Eucharistiefeier“ übernehmen. Für Harald Schützeichel bedarf es
keiner Priester mehr, „die eine Mittlerfunktion zwischen Gott und dem Volk
übernehmen“. Die Gemeinde wird zum Träger der Liturgie gemacht, so dass dem
Priester nur die Vorsteherschaft oder die Moderation bleibt. All das und vieles
andere wird von wohldotierten Theologieprofessoren, die teilweise Priester
ausbilden, ohne nennenswerte Gegenwehr der Bischöfe unter das Volk gestreut.
Dass sich für ein derart degradiertes Priestertum niemand entscheiden mag, liegt
auf der Hand
IV. Nivellierung des Priestertums
Der Priestermangel ist auch eine Folge der Nivellierung des Priestertums, der
Einebnung der Stellung des Priesters als des Hirten in werkzeuglicher
Abhängigkeit, aber auch in Repräsentation des ewigen Hohenpriesters Christus.
Als ein wahres Verhängnis für die Heranbildung von Priestern erweist sich hier
der Ökumenismus.
Der ökumenische Betrieb trifft das katholische Priestertum in der Wurzel. Im
Namen des Ökumenismus zwingen die deutschen Bischöfe ihre Priester, mit
nichtkatholischen Religionsdienern in gemeinsamen Gottesdiensten
zusammenzuwirken. Auf diese Weise verwirren sie die Gewissen, verdunkeln den
Glauben und fördern den Übergang zum Protestantismus. Die Entwicklung ist auch
hier, wie vorauszusehen war, über die bischöflichen Vorgaben hinausgegangen.
Kanzeltausch und Interzelebration sind in deutschen Landen keine Seltenheit
mehr. Ich kenne einen katholischen Pfarrer, der den Vorabendgottesdienst am
Samstag von einer protestantischen Pastorin halten ließ. Niemals ist etwas
Ernsthaftes geschehen, um die Mißbräuche zu unterbinden. Man bedenke, was hier
geschieht: Der katholische Priester, der mit dem nichtkatholischen
Religionsdiener bei religiösem Tun gemeinsam auftritt, begibt sich damit eines
Stückes seiner Identität.
Der protestantische Pfarrer ist unserer Achtung gewiß. Aber eines dürfen Sie
nicht tun, meine Herren Bischöfe! Stellen Sie ihn nicht auf dieselbe Ebene wie
den katholischen Priester, denn dahin gehört er nicht. Er ist ein mit gewissen
religiösen Funktionen betrauter Laie, aber kein seinsmäßig Christus dem
Hohenpriester verähnlichter Vollzieher unsagbarer Geheimnisse. Hören Sie auf mit
dem Ökumenismus, der den Priesternachwuchs erdrosselt, dem geweihten Priester
das Würdebewußtsein raubt und das gläubige Volk in die totale Verwirrung führt!
Der Teil des katholischen Volkes, der sich den Glauben bewahrt hat, will den
geweihten Priester haben, nicht den protestantischen Religionsdiener! Der
Priester, der dem protestantischen Religionsdiener gleichgestellt wird, zieht
keine jungen Männer an. Der anspruchsvolle Dienst und die hohe Lebensform, die
dem Priester auferlegt sind, kann nur von jemand übernommen werden, der von dem
hohen Rang katholischen Priestertums überzeugt ist.
V. Versuchte Ersetzung der Priester durch Laien
Die deutschsprachigen Bischöfe beginnen, den Priester als Haupt und Leiter der
Gemeinde in immer weiterem Umfang durch Nichtgeweihte zu ersetzen. Im Bistum St.
Gallen werden schon manche Pfarreien von Pastoralassistenten geleitet. In der
Diözese Linz stehen Pfarrassistenten neunzehn Pfarreien vor. Die Initiative „Wir
sind Kirche“ propagiert die in Eigenverantwortung, d.h. ohne priesterliches
Haupt geleitete Gemeinde. Nach diesem Modell hat der Priester auf dem Papier
lediglich die Dienstaufsicht über den Pfarrbeauftragten, und es bleiben ihm jene
sakramentalen Vollzüge, die ohne Weihe nicht ausgeübt werden können. Das ist
alles. Durch den Einsatz hauptamtlicher Laien auf fast allen Gebieten
kirchlicher (und pfarrlicher) Tätigkeit, der für Dauer gedacht ist, wird die
Verfassung der Kirche auf kaltem Wege radikal deformiert. Nicht mehr das
priesterliche Haupt der Gemeinde ist das prägende Prinzip, sondern der laikale
Pfarrbeauftragte. Wenn nichtgeweihte Personen eine Pfarrei selbständig leiten,
wird das priesterlich-hierarchische Wesen der Kirche in der Wurzel zerstört. Die
sakramentale Vergegenwärtigung Christi durch das priesterliche Haupt fehlt in
einer solchen Gemeinde. Eine Personalpolitik, die den Priester durch andere
Personen zu ersetzen versucht, macht den Priester scheinbar immer mehr
entbehrlich. Ein nichtpriesterliches Amt mit priesterlichen Aufgaben ist jedoch
ein Widerspruch in sich selbst. Der Unterschied zwischen dem Amt aufgrund von
Weihe und kirchlicher Tätigkeit Nichtgeweihter ist unüberbrückbar. Wer
Gemeindeleitung und Vorsitz in der Feier des eucharistischen Opfersakramentes
trennt, der verletzt die notwendige Zusammengehörigkeit beider Dienste. Wer
nicht Christus durch das Weihesakrament verähnlicht wurde, ist unfähig, ihn der
Gemeinde zu repräsentieren; er kann dies weder bei der Eucharistie noch in der
Gemeindeleitung. In der Pfarrei des Pfarrbeauftragten zeichnet sich die Gefahr
ab, dass eine Gemeinde entsteht, die ohne den entscheidenden Vollzug der Kirche,
die Feier des eucharistischen Opfers, auskommt. Völlig richtig ist gesagt
worden, dass auf diese Weise „die sakramentale Grundstruktur der Kirche
unterlaufen und letztlich zerstört wird“.
Mit Sorge, teilweise mit Angst sehen viele Priesterkandidaten ihrem künftigen
Dienst entgegen, den sie mit theologisch ausgebildeten Laien teilen müssen. Es
gibt ohne Zweifel im kirchlichen Dienst stehende Laien, die aus echtem Glauben
und in guter Absicht für Gott und die Kirche arbeiten. Ihnen sei für ihr Wirken
eigens gedankt. Doch die Schwierigkeiten mit hauptamtlichen Laien sind zu
zahlreich, als dass sie geleugnet werden könnten. Sie wollen sich vom Priester
nichts sagen lassen, handeln eigenmächtig, nehmen sich unerlaubte Freiheiten
heraus, bestehen auf strenger Einhaltung der Dienstzeit. Angesichts des massiven
Einsatzes von Gemeindeund Pastoralassistenten fragen sich viele
Priesterkandidaten, ob sie unbedingt Priester werden sollen, wenn sie als
theologisch ausgebildete Laien beinahe dasselbe tun können.
VI. Die Macht der Räte
Besorgnis und Angst der Priesterkandidaten richten sich auch auf die Räte, die
ihnen an die Seite gestellt werden, mit denen sie rechnen müssen und
zusammenwirken sollen. Ein schwerer Schlag gegen den Leitungsdienst der Priester
war die Einrichtung des Pfarrgemeinderates. Sie geht nur scheinbar auf das
Zweite Vatikanische Konzil zurück. Dort heißt es: „In den Diözesen sollen nach
Möglichkeit beratende Gremien eingerichtet werden, welche die apostolische
Tätigkeit der Kirche… unterstützen“ (AA 26). Das Konzil dachte an Gruppen
kompetenter und selbstloser Laien, die dem Priester bei seinen mannigfachen
Aufgaben hilfreich zur Seite stehen. Ihm schwebten Arbeitsgemeinschaften vor,
wie sie sich in den letzten Jahren spontan in Form der Initiativkreise gebildet
haben. Die deutschen Bischöfe haben die Anregung des Konzils mißverstanden und
ein perfektes Rätesystem von der Pfarrei bis zur Diözese, ja bis zur
Bischofskonferenz aufgebaut. Davon schreibt ein Konzilsperitus, dass das Konzil
an einen derartigen Aufbau einer anderen Hierarchie „nicht im Traume“ gedacht
habe. Das ist einer der vielen Fälle, in denen man Folgerungen aus den
Beschlüssen des Konzils gezogen hat, die nicht den Texten, sondern den Wünschen
und Erwartungen von Interessenten entsprechen. Die Einrichtung des Rätesystems
war und ist ein Anschlag auf den Priester als des Repräsentanten Christi, des
Hauptes einer jeden Gemeinde. Es ist offensichtlich, dass hier das
protestantische Modell des Presbyteriums Pate gestanden hat. Jesus hat aber
nicht angeordnet, dass die Herde den Hirten, sondern dass der Hirt die Herde
weiden soll. Der Priester ist nicht der Gemeinde verantwortlich, sondern dem
Herrn, der ihn zum Hirten bestellt hat. Wenn man die Priester den Gremien
ausliefert, dann braucht man sich über Mangel an Priesterkandidaten nicht zu
wundern. Denn den Priestern wird durch die Räte häufig ihr Dienst erschwert und
verleidet. Die deutschen Bischöfe räumen immerhin ein, dass es „nicht selten… zu
Spannungen zwischen Priestern und den Gremien“ kommt.
VII. Das Ungenügen der Priesterseminare
Trotz der beklagenswerten Verhältnisse, in denen das Priestertum und die
Priesterschaft in unserer Kirche sich befinden, gibt es noch einzelne junge
Männer, die es wagen, in ein Priesterseminar einzutreten. Was finden sie dort
vor? Meine Bemerkungen über die Priesterseminare stehen unter dem Vorbehalt:
soweit mein Blick reicht, also soweit es die mir zur Verfügung stehenden
Informationen gestatten. Das Priesterseminar ist die Ausbildungsstätte für
Priester. In manchen Diözesen dient es gleichzeitig der Heranbildung von
Laientheologen. Dieses Nebeneinander ist schädlich für den Beruf angehender
Priester. Es beruht auf dem grundlegenden Irrtum, dass Priester und Laien im
wesentlichen dasselbe tun, mit dem einzigen Unterschied, dass der eine geweiht
ist, der andere nicht. Manche, vielleicht viele Regenten, also Leiter der
Priesterseminare, sind ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Es fehlt ihnen an den
erforderlichen Kenntnissen und Erfahrungen. Der Mainzer Bischof Lehmann sagte
mir einmal von dem Leiter seiner Priesterbildungsstätte, er habe das
Priesterseminar verwaltet wie ein Notar. Das soll wohl heißen: bürokratisch,
umständlich, kleinkariert, ohne Feuer und Begeisterung, ohne mitreißenden
Schwung. Die (hoffentlich segensreiche) Einwirkung der Diözesanbischöfe auf die
Alumnen ist vielerorts durchaus unzureichend. Den glühenden Eifer für die Sache
Christi, den sie selbst nicht haben, können sie anderen nicht vermitteln. Die
Aszese, also die Einübung in die Tugenden, hat nicht genügenden Stellenwert in
den Seminarien. Der Fernseher in den Zimmern, der Schlüssel zum Haus, die
Freiheit zu Besuchen, die Abwesenheiten an Wochenenden sind für Konzentration,
Sammlung und Innerlichkeit der Priesterkandidaten schädlich. Wer nicht
spätestens im Priesterseminar lernt, eine feste Tagesordnung einzuhalten und
diszipliniert zu leben, der lernt es überhaupt nicht, und dieser Mangel hat
schwerwiegende Folgen für das Leben und Wirken des Priesters. Dazu kommt die
progressistische Gehirnwäsche als Mittel der Auslese. Wer im Verdacht steht, das
Priestertum in dem Sinne anzustreben, wie es die Kirche immer gelehrt und in
jüngster Zeit Johannes Paul II. unüberhörbar herausgestellt hat, ist in Gefahr,
einer rückwärts gerichteten Frömmigkeit oder gar mangelnder
Gemeinschaftsfähigkeit geziehen zu werden. Wer in hergebrachter Weise glaubt,
kommt in den Ruch des Fundamentalismus. Man wirft den Kandidaten vor, sie
könnten nicht auf Menschen zugehen, seien Dialogverweigerer, hätten ein
vorkonziliares Priesterbild, mißachteten die Kompetenz der Laien. Das oberste
Gebot für angehende Priester scheint zu sein, mit Räten und Verbänden
zurechtzukommen. Unbequeme Kandidaten werden durch fadenscheinige Begründungen
oder gar durch verleumderische Beschuldigungen aus der Bahn geworfen. Ich
bezweifle, dass es in Deutschland auch nur eine Handvoller theologischer
Studienstätten gibt, die garantiert gläubige, fromme, seeleneifrige Priester
auszubilden imstande sind.
VIII. Die theologischen Fakultäten
Das Priesterseminar ist für die geistliche und charakterliche Formung der
Priesterkandidaten zuständig. Ihre wissenschaftliche Ausbildung erfolgt an
theologischen Fakultäten und Hochschulen. Wie sieht sie aus?
Der Zustand in der katholischen Glaubenswissenschaft ist heute katastrophal. Was
hier auf weite Strecken betrieben wird, ist nicht die denkerische Bemühung um
die Offenbarung Gottes und den Glauben der Kirche, sondern unwissenschaftliches
Gerede, seichte Ideologie, ja Verrat an der Wahrheit. Die Theologie ist weithin
ein Tummelplatz für oberflächliche Plauderer und bösartige Kritik geworden. Eine
bestimmte Spielart der progressistischen Theologie zerstört sogar den Glauben
und mit dem Glauben die Grundlage des sittlichen Lebens und der Gottesverehrung.
Man täusche sich nicht. Es geht bei der gegenwärtigen Auseinandersetzung in der
Kirche nicht bloß um diese oder jene Glaubenswahrheit und ihre Interpretation;
es geht vielmehr heute um das Gesamt von Christentum und Kirche, ob es überhaupt
eine unveränderliche, zeitlose Wahrheit, ob es überhaupt einen Gottmenschen, ob
es überhaupt eine verbindliche Glaubensgemeinschaft gibt.
An manchen Fakultäten lehren Theologen, die mit der Kirche, ihrer Ordnung und
ihrem Recht in ständigem Konflikt leben, die das eine oder andere Dogma leugnen,
die mit dem katholischen Glauben mehr oder weniger zerfallen sind, ja, die
glaubensmäßig und religiös geradezu den Boden unter den Füßen verloren haben.
Unhaltbare Thesen werden aufgestellt, die angeblich neu sind, in Wirklichkeit
aber bei protestantischen Autoren nachgelesen werden können. Es gibt heute
katholische Theologen, die ihre „Berühmtheit“ ausschließlich der Tatsache
verdanken, dass sie mit ebenso großer Unverfrorenheit wie Zungenfertigkeit
heterodoxes Lehrgut vortragen. Der Neuheitseffekt dieser Aufstellungen beruht
allein darin, dass sie bis zu der Zeit, in der das kirchliche Lehramt seine
Funktion wahrnahm, keine Daseinsberechtigung in der katholischen Kirche hatten.
Manche dieser „Gelehrten“ reden verantwortungslos daher und fügen der Kirche
schwersten Schaden zu. Ohne Kontakt mit der Seelsorge und ohne Verständnis für
deren Erfordernisse tragen sie ihre unausgegorenen Vorstellungen den regelmäßig
zur Kritik nicht fähigen Studierenden vor und richten ungeheure Verwüstungen in
den Seelen an. Statt aufzubauen, reißen sie ein. Mit gehässigen Unterstellungen
fallen sie über den Heiligen Vater her, hämisch und höhnisch untergraben sie
seine Autorität; sie wissen, dass sie nichts riskieren, denn kein Bischof geht
gegen sie vor, wie sie es verdient hätten. Ich wage die Behauptung: Die Mehrzahl
der Theologieprofessoren in unseren Landen richtet mehr Schaden als Nutzen an.
Angesichts des bestehenden Lehrchaos in der „katholischen“ Theologie ist eine
sehr große Zahl der Theologiestudierenden ratlos, wie es weitergehen soll. Die
Folge ist regelmäßig, dass viele das Ziel, Priester zu werden, aufgeben. Denn
niemand will sein Leben auf ein Fundament bauen, das angeblich schwankend ist,
niemand mag große Opfer für eine Sache bringen, die, wie es scheint, auf
morschen Pfeilern steht. Hier und nirgendwo anders liegt die Hauptursache für
den zunehmenden Priestermangel, hier die Hauptwurzel für die Zölibatskrise.
IX. Die Rolle der Bischöfe
Geführte schauen auf den Führer, um von ihm geführt zu werden. Soldaten blicken
auf ihre Offiziere, um von ihnen mit Kampfesmut erfüllt zu werden.
Priesterkandidaten richten ihr Auge auf ihren Bischof, der ihnen Wegweiser,
Vorbild, Ansporn und Stütze sein soll. Was sehen sie dort? Ich denke nicht
daran, auch nur über einen der deutschen Bischöfe den Stab zu brechen. Aber es
muss erlaubt sein, Fragen zu stellen. Der Bischof soll seinen Priestern
voranleuchten an Tugenden. Wie viele Bischöfe gibt es im deutschen Sprachraum,
die durch ihre Heiligkeit die Priester anspornen, die sie durch ihre Demut
rühren, die sie mit ihrer Frömmigkeit mitreißen? Wie viele Bischöfe treten den
Hetzern in den Medien furchtlos entgegen? Wie viele Bischöfe, die eine
überdurchschnittliche Gottesund Nächstenliebe ausstrahlen? Wie viele Bischöfe,
die mit ihrem verzehrenden Seeleneifer ihre Priester anstecken? Wie viele
Bischöfe, die ihre Bistümer rastlos durcheilen, um den Glauben zu stärken, die
Treue zur Kirche zu festigen, die Ergebenheit gegen den Heiligen Vater zu
vertiefen? Wo ist der Bischof, der in den einzelnen Pfarreien und Ortschaften
erscheint, dem Pfarrer einen Sonntagsgottesdienst abnimmt, der sich in den
Beichtstuhl setzt, der die Kranken besucht?
Die Priester sind Seelsorger. Was sie umtreibt, ist die Sorge für die Seelen.
Sie haben aber auch selbst eine unsterbliche Seele, die der Sorge bedarf. Wer
nimmt sie wahr? Der Seelsorger der Priester ist der Diözesanbischof. Sie sind
ihm als seine wichtigsten Mitarbeiter anvertraut. Er hat sie nicht nur in ihrem
Dienst zu leiten, sondern sie auch zum Himmel zu führen. Wie sieht die Sorge der
meisten deutschen Diözesanbischöfe für ihre Priester aus? Zumeist kläglich. Die
lächerlichen Priestertage, die in vielen Bistümern veranstaltet werden, dienen
als Alibi dafür, dass die bischöfliche Sorge für die Priester gleich Null ist;
sie bewirken nichts, sie richten niemanden auf, sie retten keinen einzigen. Wo
ist der Bischof, der seine Priester an Ort und Stelle besucht, der Zeit für sie
hat, der sie anhört und tröstet? Ein deutscher Bischof beklagte sich, dass ein
Priester, der seinen Beruf aufgegeben hat, nicht zu ihm gekommen sei. Richtig
wäre, dass er zu ihm gegangen wäre.
Ich kenne Bischöfe, die ihre Herde sträflich vernachlässigen, aber dafür ihre
Hobbys pflegen. Ich kenne Bischöfe, die ihren Bischofsstuhl in der Hauptsache
dazu benutzen, um auf einer erhöhten Bühne ihren professoralen Liebhabereien
nachzugehen; nur ein Bruchteil der Zeit und der Kraft wird für die unmittelbare
Seelsorge verwendet. Ich kenne Bischöfe, die stets, aber auch nur bei
Gelegenheiten erscheinen, wo die Vertreter der Massenmedien anwesend sind und
sie mit Ton und Bild aufnehmen. Die stille, unbeobachtete Seelsorge fällt aus.
Dazu kommt der sichtbare oder getarnte Widerstand von Bischöfen gegen die
höchste Autorität in der Kirche. Wenn Weisungen aus Rom kommen, kann man sicher
sein, dass deutsche Bischöfe Ausstellungen daran erheben. Wir wissen, wer die
Wahl des Kardinals Ratzinger zum Papst verhindern wollte und wer sich heute
schwer tut, seinen Weisungen zu folgen. Eine Kirche, in der Bischöfe gegen den
Papst stehen, zieht Jugendliche nicht an. Sie wollen nicht mit Oberhirten
zusammen sein, deren geheime oder offene Opposition gegen das Papstamt sie
kennen. Junge Männer, die Priester werden wollen, lehnen es ab, sich in
Uneinigkeit und Meinungsverschiedenheiten verstricken zu lassen. Sie mögen sich
nicht an eine Diözese binden, die Abweichungen von der Lehre und der Ordnung der
Kirche erlaubt oder übersieht. Niemand mag sich einer Organisation anvertrauen,
deren Leitung unaufhörlich über den Grund stöhnt, auf dem sie steht.
Geradezu erschütternd ist die Solidarität der Bischöfe im Versagen. Aus
gläubigen Priestergemeinschaften stünden Seelsorger zur Verfügung. Kein einziger
deutscher Bischof hat ihnen meines Wissens bis zur Stunde eine Pfarrei
übertragen. Diese Priestergemeinschaften schicken ihre Mitglieder in die USA, wo
sie großzügig aufgenommen werden. Die Türen der deutschen Pfarrhäuser bleiben
ihnen verschlossen. Wir haben in Deutschland eine Unzahl von theologischen
Bildungsstätten mit dem entsprechenden Personal. Nach meinem Urteil würde die
Hälfte davon ausreichen, um den Bedürfnissen von Forschung und Lehre Genüge zu
tun. Aber kein Bischof ist bereit, dieser Einsicht Folge zu geben, die Aufhebung
von Fakultäten in Angriff zu nehmen. Dazu kommt eine erschreckende
Selbstsicherheit. Ein Priester, der mehrere Jahre Kaplan eines deutschen
Bischofs war, erklärte mir: „Der läßt sich von niemand etwas sagen.“ Vermutlich
gibt es noch mehr von der Sorte. Der Kardinal Šeper, Präfekt der
Glaubenskongregation, der es wissen mußte, hat einst den Satz geprägt: „Die
Krise der Kirche ist eine Krise der Bischöfe.“ An der Richtigkeit dieser
Feststellung, hat sich bis heute nichts geändert.
Schluß
Vielleicht fragen Sie mich zum Schluß: Sie haben die Ursachen des
Priestermangels geschildert. Aber wie kann er behoben werden? Die Antwort
lautet: indem die Ursachen beseitigt werden. Der Mangel an Berufungen läßt sich
umkehren durch Menschen, die ein glaubwürdiges Zeugnis für ihren Glauben ablegen
und mit Begeisterung für Gott und die Kirche arbeiten. Wenn wir uns bekehren,
können Wunder geschehen. Beten wir, rufen wir, flehen wir zum Herrn mit Weinen,
Fasten und Wehklagen. Ich bin überzeugt: Wenn die Menge unserer Leiden erfüllt
ist, wenn die Zahl unserer Gebete voll, wird Gott die Wende herbeiführen, auf
die wir gläubigen Christen hoffen.
Prof. Dr. Georg May |