Der
Ökumenische Kirchentag hat die Verwirrung in den deutschen Gemeinden
gefördert - Die Eucharistie-Enzyklika sollte Pflichtlektüre werden.
(Deutsche Tagespost Nr. 78 vom 03.07.03)
Ein
Priester aus einem unserer östlicher gelegenen mitteleuropäischen
Nachbarländer, der eine hohe Verantwortung in seiner Diözese zu tragen
hat, war zu Besuch bei seinen Verwandten, die vor circa zwanzig Jahren
in die Bundesrepublik Deutschland ausgewandert sind. Über die
Erfahrung mit seinen Verwandten berichtete er mir in einer Begegnung.
Er meinte, sie seien eigentlich in ihrem Denken und Tun protestantisch
geworden, ohne es zu wissen. Auf meine Frage hin, wie er zu einem
solchen Urteil komme, erläuterte er mir in einem längeren Gespräch:
Seine Verwandten begehen den Sonntag ohne heilige Messe, sie
üben Buße ohne Beichte. Für sie ist die Eucharistie ohne
Realpräsenz und ihre Pfarrkirche ist ohne offene Türen. Da
niemand mehr tagsüber zum Gebet kommt, ist sie verschlossen. Und der
Besucher fügte hinzu: «So haben wir zu Hause die protestantische
Kirche erlebt.» Was ist dazu zu sagen?
1. Sonntag ohne Messe
Die ersten Christen lebten
vom Sonntag wie vom täglichen Brot. In der Verfolgungszeit wurden
ihnen ausdrücklich die sonntäglichen eucharistischen Versammlungen
verboten, aber sie erwiderten: «Wir können nicht ohne unsere
Zusammenkünfte mit der Feier der heiligen Eucharistie leben!» Sie
gingen eher in die Verbannung oder sogar in den Tod, als auf den
Sonntag zu verzichten.
Und in der Tat, mit dem
Sonntag verhält es sich wie mit einer Überlandleitung, die die
Elektrizität befördert. Sind die Masten zu weit auseinander gestellt,
dann hängt die Leitung durch, sie bekommt Erdberührung, dann ist der
Elektro-Transfer gestört und das Licht geht aus. Wenn die Zeiten der
Mitfeier der heiligen Eucharistie länger als sieben Tage
auseinanderliegen, dann hängt unsere Lebensleitung ebenfalls
durch, sie bekommt Erdberührung und das Glaubenslicht erlischt.
Feiern kann der Mensch eigentlich nur das oder den, der größer ist als
er selbst, weil der Mensch als Maß für sich zu klein ist. Und in der
Eucharistiefeier wird der Mensch über sich selbst erhoben, und der
Alltag, die Arbeitswoche erhält im Nachglühen der sonntäglichen
Eucharistiefeier Glanz und Würde. Sonntag verloren - alles verloren!
Unsere Sonntags- und Feiertagskultur lebt von der Eucharistiefeier.
Darum tritt die Kirche für die Erhaltung der Feiertage ein - nicht um
ihrer selbst willen, sondern um der Menschen willen, damit ihr Leben
Glanz und Würde behält.
Der weithin bei
katholischen Christen festzustellende Sonntag ohne heilige Messe ist
ein alarmierendes Zeichen. Die Gottesdienstbesucherzahlen gehen
überall zurück. Predigen unsere Priester nicht mehr über die Gnade
und den Wert des Sonntags? Oder sind die Gläubigen für diese
Botschaft taub geworden?
2. Buße ohne Beichte
Ein weiteres Element, das
den Besucher aus Mitteleuropa an den Protestantismus erinnert, ist die
Buße ohne Beichte. In den meisten katholischen Kirchen stehen die
Beichtstühle noch im Kirchenraum, aber sie werden kaum benutzt, nicht
etwa weil man nun anderswo das Beichtgespräch pflegt, sondern weil
kaum mehr einer zur Beichte kommt. Das ist wirklich ein alarmierendes
Zeichen. Die höchste Form der Gnade ist die Begnadigung, und die
höchste Gabe ist die Vergabung, die Vergebung. Wenn man Gott dem Vater
seine kostbarsten Gaben nicht mehr abnimmt, dann hört Gott für uns
auf, Gott zu sein. Die mangelnde Gotteserfahrung zeigt sich in der
mangelnden Beichtpraxis.
Unsere Gesellschaft ist
durch und durch religiös, aber von einer Religion ohne Gott. Man baut
sich eine eigene Religion zusammen aus allen möglichen Elementen, aber
immer so, dass sie den eigenen Lebensstil, die eigene Lebensauffassung
bestätigt, verstärkt und unterstützt. Die evangelischen Kirchen haben
viel an Glaubenssubstanz verloren durch den Verlust der Beichte, die
dort erst seit der Aufklärung erfolgt ist. Nun sind wir davon
eingeholt, und das macht unsere Gemeinden arm, geistlich
steril, säkular und verweltlicht. Pfarrer berichten, dass vor
Ostern etwa neunzig Prozent aller Beichtenden Umsiedler und Aussiedler
aus Mittel- und Osteuropa waren. Wie lange werden die das noch tun,
bis sie sich an die Verbilligung der Buße ohne Beichte gewöhnt haben,
die eine pure Selbsttäuschung ist?
3. Eucharistie ohne
Realpräsenz
Dieses «ohne» ist für mich
das Gefährlichste und das Erschütternste. Mein Gesprächspartner
erzählte, dass in der Pfarrei seiner Verwandten die Eucharistie in
einer Seitenkapelle aufbewahrt wird, so dass man nicht mehr
das ewige Licht sieht, und niemand, der den Kirchenraum betritt,
macht noch eine Kniebeuge. Es gibt vor dem Gottesdienst auch
kein knieendes Gebet, sondern alle sitzen sofort - wie in einem
Wartesaal - und beginnen mit dem Nachbarn muntere Gespräche.
Es entsteht kein innerer Raum, in dem die Eucharistie würdig vollzogen
werden kann. Durch unerleuchtete und häretische Kombination mancher
Theologieprofessoren wird den Gläubigen vorgegaukelt, unsere
Eucharistiefeier sei mit dem evangelischen Abendmahl konvertibel, so
dass wir als Katholiken auch dort das Abendmahl empfangen können und
die Protestanten bei uns die heilige Eucharistie.
Damit ist der Lebensnerv
der Kirche getroffen, und unsere Kirche scheint damit endgültig
protestantisch geworden zu sein. Viele katholische Gläubige haben
so bei uns ihre Heimat verloren. Es ist keine Seltenheit, dass
Gläubige weite Wege zurücklegen, um an Orte zu kommen, wo noch
katholisch gläubig die heilige Messe gefeiert wird.
Der Heilige Vater hat
gleichsam die Notbremse gezogen, indem er uns die Enzyklika «Ecclesia
de Eucharistia» geschenkt hat. Hier wird ganz deutlich in
Erinnerung gerufen und lehramtlich zu glauben vorgelegt, was die
katholische Kirche immer von der Eucharistie gesagt und geglaubt hat.
Die Eucharistiefeier ist die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers
Christi. Sie kann nur gültig und recht gefeiert werden von einem
gültig geweihten Priester, der über seinen Weihebischof in der
apostolischen Sukzession steht, die bis auf die Apostel und
damit auf Christus zurückgeht. In den eucharistischen Gestalten wird
Christus wirklich, wahrhaft und wesentlich gegenwärtig. Die
kleine Hostie - materiell fast ein Nichts - ist aber unser
Allerheiligstes, weil es nicht mehr eine Sache ist, sondern ein Du.
Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.
4. Kirchen ohne offene
Türen
Der Tabernakel gehört vor
diesem Hintergrund in die Sichtweite der Gemeinde, das ewige Licht
muss für alle sichtbar sein und den Gläubigen sagen: Die Stille des
Kirchenraumes ist eine von einem Du erfüllte Stille, die uns zur
Anbetung, Danksagung und Fürbitte einlädt. Wenn das in einer
menschlich ansprechenden Weise geschieht, dann würden sich auch
tagsüber Menschen einfinden, die den eucharistischen Herrn verehren
und anbeten, sie würden von innen her belebte Kirche sein, und
dann könnten unsere Kirchen wieder offen stehen, so dass sie
wieder buchstäblich eine weltoffene Kirche würde. Dann würde
von ganz alleine das «Kirche ohne geöffnete Türen» der Vergangenheit
angehören.
Meine Erfahrungen als
Bischof zeigen, dass von dem ökumenischen Kirchentag ein großer
Desorientierungs- und Verwirrungsschub in unsere Gemeinden ausgegangen
ist. Weil zum Beispiel dort am Sonntag morgen ein ökumenischer
Gottesdienst stattfand, meint man, dass dies nun auch in allen
Gemeinden möglich ist. Die Bischöfe haben sich trotz Bedenken über
diesen Einwand hinweggesetzt.
Weil von Anfang an immer
wieder die Frage der Interkommunion durch alle Kirchentagsteilnehmer
diskutiert und in zwei spektakulären Veranstaltungen praktiziert
wurde, setzt sich das punktuell in manchen Gemeinden fort. Nicht nur
einfache Gottesdienstbesucher, sondern auch Kommunionhelfer und sogar
Priester praktizieren das. Ich kann nur wiederholen: Dadurch ist der
Nerv unseres katholischen Glaubens getroffen.
Bei jeder Priesterweihe
fragt der Bischof jeden Weihekandidaten ausdrücklich, ob er bereit
ist, die Mysterien der Eucharistie nach der kirchlichen Überlieferung
und in Ehrfurcht zu feiern. Und erst wenn er das bejaht, darf er ihm
die Hände zur Priesterweihe auflegen. Wenn er dieses Versprechen
bricht, verwirkt er sein Recht, an den Altar zu treten und die heilige
Eucharistie zu feiern. Das Gleiche gilt für die übrigen Diener der
Eucharistie, die Diakone, aber auch die Kommunionhelfer.
Die letzte Enzyklika des
Papstes «Eucharistie und Kirche» muss zur Pflichtlektüre aller
in der Kirche Verantwortlichen werden. Man muss sich mit der
Eucharistielehre der Kirche ehrlich auseinandersetzen, damit man sie
aus vollem Herzen bejahen kann. Mitunter beruft man sich bei solchen
Unregelmäßigkeiten auf das eigene Gewissen. Das Gewissen ist nicht
normgebend. Das Gewissen muss sich an der Wahrheit orientieren.
Das Gewissen ist eine Norma normata, eine normierte
Norm. Und wenn ich nichts weiß, dann kann mich das Gewissen
in dieser Angelegenheit gar nicht in die Pflicht nehmen.
Die evangelische Theologin
Heike Schmoll hat am Tag nach dem Berliner ökumenischen Kirchentag in
einem Kommentar für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» sinngemäß
geschrieben: Was die sogenannte ökumenische Basis katholischer- und
evangelischerseits verbindet, ist die völlige Ignoranz über
das, was die eigenen Kirchen lehren und glauben. Ignoranz ist aber
keine Voraussetzung für eine echte Ökumene, der wir nach dem Worte
Christi alle verpflichtet sind: «Alle sollen eins sein» (Joh 17,21).
Eine solche Ökumene endet schließlich in einer Art Gefühlsreligion,
von der es genügend Angebote in der gegenwärtigen Gesellschaft gibt.
Viele Glaubende sind heute
in der Kirche mit aufgerufen - als Pfarrgemeinderäte,
Kirchenvorstände, in den Verbänden und Gemeinschaften - mit
Verantwortung zu tragen. Wenn aber zur Verantwortung nicht als
Voraussetzung ein solides Glaubenswissen kommt, kann das nur
tragisch sein. Und wenn man nicht mehr weiß, dass man nichts weiß,
zerstört man damit die Kirche in ihrer Substanz.
Hier muss um der Ökumene
willen auch noch eine kritische Bemerkung zu dem Wort gemacht werden,
das geradezu zur Zauberformel auf diesem Feld geworden ist. Es
geht um die Worte «noch nicht». Was alles noch nicht geht, dazu
werden alle offenen ökumenischen Fragen aufgeführt. Weil das alles
unter dem «noch nicht» steht, erweckt es den Eindruck, «aber bald
geht es». Realistisch wird man sagen müssen, dass hier viel
häufiger die Worte «nicht mehr» angebracht sind.
Etwa auf dem Gebiet der
Ethik können wir oft nicht mehr mit einer Stimme sprechen. Es
sei nur an die unterschiedliche Bewertung der Homosexualität in
Theorie und Praxis erinnert. Gleiches gilt für den Bereich des
Glaubens. Dass beispielsweise die Frauenordination in der
evangelischen Kirche neue Hürden in der wichtigen Amtsfrage
aufgerichtet hat, die es vor fünfzig Jahren nicht gab, sei nur am
Rande vermerkt. Die Ökumene lebt vom Realismus und vom Mut, ihm ins
Angesicht zu sehen und nicht von verschwommenen Vorstellungen.
Sonntag ohne Messe, Buße
ohne Beichte, Eucharistie ohne Realpräsenz. Kirchen ohne offene Türen.
Das ist eine traurige Bilanz, die ein Beobachter aus einem
mitteleuropäischen Land bei uns macht. Wir sind oft so betriebsblind,
dass wir das gar nicht mehr wahrnehmen. Darum wird in einer solchen
Begegnung auch ein Signal zur Umkehr hörbar. Sorgen wir alle dafür,
dass es für einen katholischen Christen wirklich heißt, Sonntag mit
heiliger Messe, Buße mit Beichte, Eucharistie mit Realpräsenz und
damit auch mit Tabernakel und unsere Kirchen mit offenen Türen.
Wenn aus den vier «ohne» wieder vier «mit» werden, dann werden
viele katholische Christen und darüber hinaus viele Menschen eine
innere Heimat bei uns finden. Sie werden sich in der katholischen
Kirche geborgen wissen, weil die Gegenwart des Herrn spürbar und
erfahrbar wird und bleibt. |