HELDEN
DES CHRISTENTUMS |
|
|
KONRAD
KIRCH / ADOLF RODEWYK
Endlich
ist der langersehnte Magdalenentag da. Im Herz Jesu
Kloster zu Metz herrscht freudige Erregung. Seit einigen
Tagen weilt die greise, hochverehrte Stifterin zu Besuch
im Hause, und heute ist ihr Namensfest! Noch ein
letztes, geschäftig frohes Hin und Her, dann ist alles
zum Glückwunsch bereit. Die Glocke läutet. Mutter
Barat erscheint unter ihren Kindern. Nun bringen sie
ihre kleinen Gaben dar, flehen Gottes Segen auf die
geliebte Mutter herab, sprechen von ihrem Wollen und
Streben. Mit innerer Ergriffenheit lauscht die Mutter.
Als das letzte Wort verklungen, der letzte Akkord des
Festchores verhallt ist, da bricht sie in die Worte aus:
“Es gibt nur zwei Dinge, die mir am Herzen liegen:
unser Heiland und die Kinder!”
Der
Heiland und die Kinder, das war Sinn und Bedeutung ihres
ganzen Lebens gewesen. Als “Gesandte der göttlichen
Liebe” wie einst die heilige Gertrud hatte sie dem
himmlischen Auftrag gelebt, die Kenntnis und Liebe des
Herzens Jesu in der Welt zu verbreiten und den ihr
anvertrauten Menschen, Ordensfrauen und Kindern, Mutter
und Führerin zu sein. jetzt war sie am Ende ihres
langen Lebens, das köstlich gewesen, weil es “von Mühe
und Arbeit” erfüllt war für die Seelen. Die
Zeitgenossen aber standen bewundernd vor ihrer persönlichen
Heiligkeit und vor dem großen, segensreichen Werk, das
sie geschaffen hatte. “Müßte ich auch zu Fuß über
die Alpen steigen”, rief einer von ihnen aus, “ich
will Mutter Barat sehen; sie ist ja die Theresia unseres
Jahrhunderts!”
Das
Kind der Vorsehung
Magdalena
Sophia Barat stammte aus dem burgundischen Städtchen
Joigny. Trug sie auch die ausgeprägten Züge ihres
Volksstammes, Lebhaftigkeit, rasche Auffassungsgabe,
Beharrlichkeit und ausgesprochenen Sinn für Humor, so
wird doch die Eigenart ihres Wesens Demut, Sanftmut und
Milde sein, Tugenden, die sie in jene Heldenschar
einreihen, die wir Heilige nennen.
Sie
wurde in den Schrecken einer nächtlichen Feuersbrunst
am 12. Dezember 1779 vorzeitig geboren, und, da sie in
Lebensgefahr schwebte, schon beim ersten Morgengrauen
zur Taufe in die Pfarrkirche getragen. Pate wurde der
elfjährige Bruder Ludwig. Mit aufopfernder Sorge
widmete sich die Mutter dem zarten Kinde, das aber allmählich
kräftiger wurde und überraschend aufgeweckt war. Früh
und leicht lernte es die ersten Gebete, und auffallend
waren seine religiösen Neigungen. Die Mutter, die tief
im Ewigen und Übernatürlichen verankert war, senkte in
die Seele ihrer jüngsten den Grund zu jenem lebendigen
Glauben, der auf dem langen Lebenswege das Licht ihres
Geistes, die Quelle ihrer Kraft und die Richtschnur
ihres Handelns bleiben sollte.
Vom
Vater, dem geraden einfachen Faßbinder und Weinbauern
Jacques Barat, hatte sie den ehrlichen, praktischen Sinn
geerbt, von der Mutter Gemütstiefe und zartes
Empfinden. In übersprudelnder Lebenslust tat sie es
ihren Gespielinnen zuvor im Laufen, Springen und fröhlichem
Treiben und war bald der Liebling aller. Sobald sie alt
genug war, trippelte sie zur Christenlehre in die
Pfarrkirche und hüpfte beim Antwortgeben munter auf das
Bänkchen, um gesehen und gehört zu werden. Als der
Priester einmal seine jüngsten, noch nicht zur Beichte
gegangenen Schüler ermahnte, durch aufrichtige Reue die
Verzeihung ihrer Sünden zu erlangen, stand die sechsjährige
Sophie plötzlich auf und begann mit hellem Stimmchen
das Bekenntnis ihrer Fehler. Alles staunte. Der Katechet
ließ sie innehalten, erkannte aber in dieser kindlichen
Selbstanklage die Anzeichen einer besonderen Begnadung.
Schon früh sehnte sie sich nach der heiligen Kommunion.
Als sie im Alter von neun Jahren um die Zulassung zum
Kommunionunterricht bat, sollte sie noch zurückgestellt
werden, war darüber aber so untröstlich und zeigte in
einer besonderen Prüfung soviel Reife und
Herzensreinheit, daß der Pfarrer ihrem Drängen nicht
widerstehen konnte. Bei der ersten Begegnung mit dem
eucharistischen Heiland mag diese begnadete Seele
verstanden haben, was sie später in die Worte kleidete:
“Wenn ein Herz einmal die Liebe Jesu verkostet hat,
erscheint ihm alles übrige schal und wertlos, und es
braucht nicht viel Mühe, um sich dem höchsten Gut gänzlich
hinzugeben.” Als Unterpfand der Auserwählung empfing
sie in dieser Stunde ein besonderes Verständnis für
das Wort Gottes in der Heiligen Schrift.
Von
Liebe umhegt und Liebe wiederschenkend, wuchs das kleine
Mädchen heran in Frohsinn und Glück. Seine Kindertage
waren licht und warm wie die Sonne, die die Trauben in
des Vaters Weinberg reifte. Aber der eigene Bruder
brachte den ersten strengen Ton in dieses Kindesleben.
Aufmerksam beobachtete der junge Theologiestudent die
ungewöhnlichen Geistes‑ und Herzensgaben seiner
kleinen Schwester. Wollte Gott aus ihr ein braves
Winzermädchen machen oder war sie zu etwas Höherem
berufen? Ludwig besprach sich mit den Eltern, die, wenn
auch ungern und zögernd, ihm erlaubten, Sophie zu
unterrichten.
Nun
saß das lebensfrohe Mädchen daheim hinter den Büchern,
wenn draußen die Sonne strahlte, die Vögel sangen, die
Kinder lachten, die Winzer in das Rebengelände zogen
und im eigenen Herzen die goldene Freiheit so verführerisch
lockte! Aber der strenge Bruder nahm keine Rücksicht.
Der Unterrichtsplan umfaßte Rechnen, Geschichte,
Geographie und Naturwissenschaften. Später, als die
begabte Schülerin die Grenzen der gewöhnlichen
Schulwissenschaft überschritten hatte, kamen
Astronomie, Latein und Griechisch hinzu, und “zur
Erholung” durft sie Italienisch und Spanisch lernen.
Im klassischen Altertum erschloß sich ihrem
durchdringenden Verstand eine neue Welt. Namentlich
fesselte sie Virgils ernster Sinn und die Großartigkeit
seiner Naturschilderungen. Von der alten griechischen
Dichtung sagte sie noch in späteren Jahren: “Ich
liebe das heldische Zeitalter; da weitet sich der Geist,
das Herz vernimmt seine eigenen Schläge.” Der feinen
Laune des “Don Quichote” brachte ihr beweglicher
Geist das gleiche Verständnis entgegen wie den Tiefen
der “Göttlichen Komödie” Dantes.
Als
Taufpate, der seine Pflichten ernst nahm, fühlte sich
Ludwig Barat für die Charakterentwicklung seiner
Schwester ebenso verantwortlich wie für ihre
Geistesbildung. Ihre große Begabung hätte sie eitel
machen können; Ihre warmherzige Lebhaftigkeit,
verbunden mit der Zähigkeit eines entschiedenen,
bisweilen unbeugsamen Willens gaben ihr Anlaß zu vielen
Kämpfen. In der männlich strengen Schule Ludwigs wurde
ihr Charakter wie Stahl gehärtet, ihre erregbare Art
zur Klarheit und Stetigkeit gezügelt, ihre Hingabe und
ihr Opfermut erprobt. So erhielt Sophie eine gründliche
wissenschaftliche Bildung und eine gute religiöse
Schulung. Beides sollte sie für ihre spätere Aufgabe
brauchen. Aber noch ahnte niemand, daß Gott in der
schlichten Dachkammer von Joigny in der Stille eine
Heilige heranbildete, die Botin seiner Liebe.
Inzwischen
wütete die Französische Revolution. Für die Priester
und Theologen hieß es: Zivileid oder Tod. Auch Ludwig
Barat geriet in Kerkerhaft. Nur der Abfall vom Glauben hätte
ihn aus dem Gefängnis befreit. Tief litten die Eltern
des jungen Diakons, und Sophies erfinderische Liebe bot
alles auf, um sie zu trösten.
Vor
seiner Verhaftung hatte Ludwig den Seinen aus Paris ein
Herz Jesu Bild gesandt. Es hing in der Wohnstube am
Ehrenplatz und verschwand nicht einmal während der
zahlreichen Haussuchungen. Wie oft suchte die geprüfte
Familie hier Stärke und Trost und flehte für den
bedrohten Sohn und Bruder! Sophie lernte, ihre Sorgen
mit dem Leiden des sterbenden Erlösers zu vereinigen
und fand hier den Quell ihrer Verehrung des heiligsten
Herzens. In seiner Liebe sollte sich ihr Leben
verzehren.
Unscheinbarer
Beginn
Der
Sturz Robespierres im Jahre 1794 öffnete die Gefängnisse;
auch Ludwig Barat wurde freigelassen. Dem Martertod war
er entgangen. Gott hatte ihm eine andere Aufgabe
zugedacht, die äußerlich weniger glänzend, aber tatsächlich
weit bedeutungsvoller war. Er sollte die Ausbildung
seiner Schwester und ihre geistliche Führung wieder in
die Hand nehmen.
Sophie
war nun ein junges Mädchen von 15 Jahren, voll Anmut
und Bescheidenheit. Ein Schimmer übernatürlicher Schönheit
verklärte ihr Wesen. Der langgehegte Entschluß, sich
ganz Gott zu weihen, war fester geworden. Schon vor zwei
Jahren hatte sie bei der Vermählung ihrer älteren
Schwester ihren Eltern von dieser Absicht gesprochen,
aber die Zeitverhältnisse hatten die Ausführung unmöglich
gemacht. Seither hatte das gemeinsam getragene Leid
Mutter und Tochter noch enger miteinander verbunden;
zudem erfuhr Sophie von allen Seiten Anerkennung, ja
Bewunderung. Die Klippe war gefährlich für ihren
Beruf. Da schlug der inzwischen zum Priester geweihte
Bruder vor, die Schwester mit sich nach Paris zu nehmen.
Dort könne sie weit besser ihre Studien fortsetzen und
ungehemmter Gottes Absichten entsprechen. Aber sein Plan
stieß auf Widerspruch. Weder Mutter noch Tochter
wollten etwas von Trennung wissen. Doch mit der
Weigerung war auch Sophies Herzensfriede dahin. Angst
und Zweifel quälten sie. Allzu mächtig rief die innere
Stimme sie zu rückhaltloser Hingabe an Gott. “Ich
verfocht eine verlorene Sache”, gestand sie später.
Die Gnade siegte nach hartem Kampf, und opfermutig
folgte Sophie ihrem Bruder in die Hauptstadt, wo dieser
bei frommen, älteren Damen zwei Zimmer gemietet hatte.
Das
Leben der Geschwister war ärmlich, streng in Gott
geborgen, dem Studium und der Abtötung gewidmet. In
einer kleinen Hauskapelle feierte Abbé Barat im
geheimen das heilige Meßopfer, da öffentlicher
Gottesdienst immer noch nicht gestattet war. Sophie
vertraute mit kindlicher Einfalt dem ernergischen Bruder
die Leitung ihres Gewissens an. Selbst die Leiden im
Kerker hatten seinen Sinn nicht gemildert, und wie ein
zweiter Konrad von Marburg führte er seine Elisabeth
auf rauhen Wegen zur Vollkommenheit. Harte
Selbstverleugnung und Buße schälten ihr Herz täglich
mehr vom Irdischen los, und in der Liebe zu Jesu Herz
fand sie Kraft für alle Opfer. Als sie der strenge
Bruder schalt: “Du wirst nie eine große Heilige
werden!” antwortete sie leise: “Dann will ich
wenigstens recht demütig sein.”
Neben
Studium und Hausarbeit widmete sich Sophie der Erziehung
eines kleinen Mädchens. Mit einigen Gefährtinnen, die
sich ihr angeschlossen hatten, gab sie Kindern aus der
Nachbarschaft Katechismusunterricht und bereitete sie
auf die erste heilige Kommunion vor. Diese kleinen
Schutzbefohlenen wurden die Erstlinge jener unübersehbaren
Schar von Kindern, welche aus der Fülle des Herzens und
dem Reichtum ihres Wissens zu beglücken und zu belehren
die Heilige berufen war. In der Stille und
Abgeschiedenheit reifte sie ihrer Sendung entgegen. Sie
sehnte sich nach dem verborgenen Leben im Karmel; aber
auch die apostolische Tätigkeit in den Missionen
begeisterte sie. Weder das eine noch das andere sollte
ihr zuteil werden. Für sie hatte Gott einen eigenen
Weg, der beides verband, einen besonderen Auftrag, der
ihr jetzt kund werden sollte.
Die
Aufklärung des 18. Jahrhunderts und die Revolution
hatten der europäischen, besonders der französischen
Gesellschaft schwere Wunden geschlagen. Um das Jahr 1800
erlebte Frankreich wieder lichte Augenblicke. Den Vorkämpfern
des Reiches Gottes erschien die Heranbildung des
kommenden Geschlechtes die vordringlichste Aufgabe. So
mußte auch die weibliche Jugend planmäßig auf ihre
verantwortungsvolle Lebensaufgabe vorbereitet werden.
Ein junger Geistlicher, Léonor de Tournély, Oberer
einer Priesterkongregation, die später unter dem Namen
“Väter vom Glauben” wirkte, hatte im Gebet den Plan
einer Ordensgründung gefaßt, die sich zur Ehre des
heiligsten Herzens Jesu dieser Aufgabe widmen sollte.
Mehrere Versuche, sie ins Leben zu rufen, waren
gescheitert, und bevor sich sein Lieblingsgedanke
verwirklicht hatte, nahm Gott ihn zu sich. Mit unerschüttertem
Vertrauen versicherte der Sterbende: “Sie wird, sie muß
kommen”, und diese Zuversicht hinterließ er seinem
Freunde Joseph Varin mit dem Auftrag, Mittel und Wege
zur Ausführung zu finden.
Varin
fand sie in der zwanzigjährigen Schwester des jungen
Abbé Barat, der sich kürzlich den “Vätern vom
Glauben” angeschlossen hatte. Vom Heiligen Geiste
erleuchtet, erkannte P. Varin, daß dieses bescheidene,
hochbegabte Mädchen das von Gott bereitete Werkzeug
sei. “Als ich sie sah, wurde mir alles klar”, sagte
er später. Ludwigs Sendung bei seiner Schwester war nun
erfüllt, und P. Varin übernahm die Führung ihrer
Seele. In einer ernsten Unterredung legte er ihr nahe,
daß die Kirche Apostel brauche, Erzieher und Lehrer für
die Jugend, die ganz Gott geweiht seien und ihren Eifer
aus dem Herzen Jesu schöpften. Sophies Vorbildung deute
darauf hin, daß sie ihr Wissen und ihr Können in den
Dienst des Apostolates stellen solle. Das junge Mädchen
horchte auf. War es möglich, daß Gott den Verzicht auf
die tiefste Sehnsucht ihres Herzens verlangte, deren
Urheber doch nur er selbst sein konnte? War sie denn befähigt
zu einem Werke, wie es Tournély vorgeschwebt hatte? Sie
wollte Bedenkzeit erbitten. Doch da wurde es plötzlich
licht in ihrer Seele. Mit sanfter Gewalt zog sie der
Herr an sich und erfüllte sie mit dem Wunsche, sich
seinem Herzen gänzlich hinzugeben und Ihm Seelen zu
gewinnen. “Gott hat gesprochen”, sagte sie einfach
und überließ sich ohne weiteres Schwanken Seinem
Willen.
Am
21. November 1800 weihte sie sich mit , drei Gefährtinnen
dem göttlichen Herzen Jesu, um fortan nur seiner Liebe
und Verherrlichung zu leben. Gott hatte von ihr den
Verzicht auf das rein beschauliche Leben gefordert, aber
nicht auf die Beschauung selbst. Diese darf und soll
nicht geopfert werden, vielmehr das Apostolat beleben,
vertiefen und befruchten. Zeitlebens wird die Stifterin
dem inneren Leben vor der äußeren Tätigkeit den
Vorzug geben und zur Beschauung neigende Seelen mit
besonderer Freude in ihre Ordensgemeinschaft aufnehmen.
Die
ersten Monate nach dem denkwürdigen Feste Maria
Opferung 1800, dem Geburtstag der Gesellschaft vom
Heiligsten Herzen Jesu, verbrachten die vier Gefährtinnen
in Sammlung und Gebet. Aber diese seligen Tage dauerten
nicht lange. Auf Anregung der “Väter vom Glauben”
übernahm die kleine Gemeinde im folgenden Jahr ein
Pensionat in Amiens, das unter der bisherigen Leitung
nicht recht gedeihen wollte. Damit war das erste Herz
Jesu Kloster gegründet. Schwester Sophie Barat gab den
wissenschaftlichen Unterricht in den höheren Klassen
und den Kleinen Katechismusstunden.
Am
7. Juni 1802 durfte sie die Ordensgelübde ablegen. Als
die Feier beginnen sollte, war sie nicht aufzufinden.
Nach langem Suchen entdeckten die Schwestern sie endlich
im Garten, ganz verborgen und im Gebet versunken. Von
diesem Tage an nannte sie sich vorzugsweise Magdalena
aus Verehrung für die erste Anbeterin des göttlichen
Herzens.
Bisher
war Franziska Loquet, die Älteste unter ihnen, Oberin
gewesen. Als es sich jedoch zeigte, daß sie keinen
wahren Ordensberuf hatte, kehrte sie nach Paris zurück,
und P. Varin betraute auf Bitten aller Schwestern — in
Amiens hatten sich inzwischen mehrere junge Mädchen der
entstehenden Ordensgesellschaft angeschlossen — die
23jährige Schwester Magdalena Sophia mit der Leitung
des Hauses. 62 Jahre lang sollte sie die Bürde der
Oberin tragen. Sie empfand sie stets als schweres Kreuz;
denn sie hielt sich für unwürdig und unfähig, andere
zu leiten, und immer wieder bat sie, nicht befehlen zu müssen,
sondern nur gehorchen zu dürfen. Aber sie umfing auch
dieses Kreuz mit Liebe. Schon damals legte sie ihr Herz
als Brandopfer auf den Altar des göttlichen Herzens:
“Ein Leben ohne Leiden ist ein Leben ohne Liebe”,
sagte sie, “ein Leben ohne Liebe aber ist mir Tod”.
Bald
zeigten sich im Hause die wohltuenden Folgen einer
besseren Verwaltung. Gott verlieh der demütigen, schüchternen
Sophie eine Kraft, die sogar P. Varin in Erstaunen
versetzte. Zugleich sorgte sie mit mütterlicher Liebe für
die kleine Klostergemeinde, in der alle ein Herz und
eine Seele im Herzen Jesu waren.
Aber
nun erhoben sich äußere Schwierigkeiten. Argwohn der
Behörden und böswillige Nachreden drohten das Kloster
in seiner Entwicklung zu hemmen. In dieser Not nahm die
bedrängte Oberin ihre Zuflucht zur Gottesmutter. Am
Feste Maria Himmelfahrt 1804 weihte sie die junge
Stiftung der allerseligsten Jungfrau. Maria erhörte das
Gebet. Die Mißverständnisse schwanden, die
Verleumdungen verstummten. Gottes Segen ruhte sichtbar
auf dem Werk, das nun rasch aufblühte.
Entfaltung
Immer
mehr junge Mädchen schlossen sich der eifrigen
Ordensgemeinde in Amiens an. Aus Grenoble kam die Bitte
eines ganzen Konvents um Aufnahme in die Gesellschaft.
Nach der Vertreibung durch die Revolution hatten sich
dort in dem alten Kloster Sainte Marie d'en Haut wieder
einige Ordensfrauen zusammengefunden, die ein kümmerliches
Dasein fristeten, aber von hohem Tugendstreben beseelt
waren. P. Varin rief Mutter Barat zur Entscheidung der
Angelegenheit nach Grenoble. Sogleich folgte sie dem Ruf
und ließ Mutter Anna Baudemont in Amiens als Oberin zurück.
Später meinte sie: “Die Sendung fiel auf mich, weil
ich am leichtesten zu entbehren war.” In Grenoble
nahmen die Schwestern sie bereitwillig und voll Freuden
auf. Sie hatten nur das eine Verlangen, sich dem Herzen
Jesu zu weihen und für Ihn zu arbeiten. In keiner
brannte dieser Wunsch heißer als in Philippine Duchesne,
der stärksten Persönlichkeit dieses Kreises. Sie war
eine zielbewußte, hochgebildete Frau, die nur im
Heldenhaften Genüge finden konnte. Mit bewundernswertem
Großmut legte sie all das Ihre in die sanfte,
umbildende Hand ihrer neuen, um zehn Jahre jüngeren
Oberin. Trotz des Gegensatzes im Wesen verband beide
Frauen bald eine innige Freundschaft, die weder Prüfung
noch Trennung je zerstören sollte. Philippine war
Apostel und Missionar, Magdalena Sophia Mutter und Führerin.
Beide begeisterte ein gleiches Hochziel: glühende Liebe
zu Christus, zu Seiner Kirche und den Seelen. Beiden ist
die Ehre der Altäre zuteil geworden.
Die
Stifterin unternahm die Umwandlung des Klosters mit so
viel Klugheit und Geduld, daß sie bald alle Herzen
gewann. Aber auch dieses Haus wuchs im Schatten des
Kreuzes heran: Krankheiten und Anfechtungen aller Art
blieben der Oberin nicht erspart. Gott gewährte ihr in
den Sorgen einen großen Trost. Gerade damals kehrte
Pius VII. von der Kaiserkrönung Napoleons in Paris nach
Italien zurück und reiste durch Lyon. Hier durfte
Mutter Barat aus seiner Hand den Leib des Herrn
empfangen und in einer Privataudienz zum erstenmal den
Segen des Statthalters Christi für das beginnende,
ihren Händen anvertraute Werk erbitten. Im Namen ihrer
Töchter gelobte sie ihm unverbrüchliche Treue und begründete
damit die innige Verbundenheit der Gesellschaft vom
Heiligsten Herzen Jesu mit dem Stuhle Petri. Nach einem
Jahr kehrte Magdalena Sophia nach Amiens zurück. Von
dort aus waren mehrere andere Niederlassungen gegründet
worden. Die Entwicklung der Gesellschaft machte es unerläßlich,
ihr eine feste Gestalt zu geben und einer Generaloberin
die Leitung aller Klöster anzuvertrauen. So berief P.
Varin alle Profeßschwestern nach Amiens. Der WahIakt
fand am 18. Januar 1806, Petri Stuhlfeier, statt. Die
Stimmenmehrheit fiel auf Mutter Barat; denn, so sagte
eine der Wählerinnen, “ihre innige Vereinigung mit
dem göttlichen Heiland, ihre Sanftmut und Klugheit,
ihre Hingabe und Liebe für die Gesellschaft, die
Weisheit und Reife, mit der sie die Verwaltung führte,
und das in einem Alter, in dem andere erst Hoffnungen
erwecken, hatten uns überzeugt, Gott habe sie in Seiner
Liebe uns zur Mutter ausersehen”. P. Varin schrieb
bald darauf der neuen Generaloberin. “Ich weiß, daß
Sie noch viel leisten müssen, ehe die Gesellschaft fest
begründet ist; aber ich weiß auch, daß der Herr Ihnen
ein Herz geben wird, das größer ist als jegliches
Leid, und ein solches Herz kann alles von Ihm
verlangen.”
Eine
der ersten Sorgen der Neuerwählten war die Errichtung
eines Noviziatshauses, in dem sie sich persönlich der
Heranbildung der jungen Schwestern widmen konnte. In
einer ehemaligen Zisterzienserabtei in Poitiers eröffnete
sie am 8. September 1806 das Noviziat. Zuerst zeigte sie
den Neulingen das hohe Ziel ihres Berufes: persönliche
Hingabe des ganzen Wesens an den persönlichen Dienst
des Herrn. Immer wieder erklärte Sophie, daß alles äußere
Tun aus der innigen Verbindung mit Gott hervorgehen müsse,
und daß diese Vereinigung sich gründe auf Gebet und
Selbstverleugnung. Mit größter Eindringlichkeit
betonte sie die zentrale Stellung der
Herz-Jesu-Verehrung, die sich an den ganzen Christus
wendet, weil die Liebe dieses göttlichen Herzens in
allen Glaubensgeheimnissen wunderbar aufleuchtet; ja daß
nur e i n Herzschlag im Corpus Christi mysticum
pulsiert: der Schlag des heiligsten Herzens Jesu, König
und Mittelpunkt aller Herzen.
Die
Mutter eilte ihren geistlichen Töchtern auf dem Wege
voran. In der jungen Oberin zeigte sich eine
erstaunliche Ausgeglichenheit, die ihr bei aller Güte
und Demut eine unbestrittene Autorität sicherte. Sie
verstand es, Festigkeit mit Milde zu verbinden, glühenden
Eifer mit weiser Mäßigung, sicheres, klares Urteil mit
brennender, alles verzeihender Liebe zum Nächsten.
Die
Ordensregel
Jahre
waren vergangen, ehe Mutter Barat ihr Haus in Amiens
wiedersah. Dort war inzwischen manches anders geworden.
Abbé de Saint Estève, Beichtvater der Ordensfrauen und
Kinder, ein unruhiger, herrschsüchtiger Geist, hatte,
zusammen mit Mutter Baudemont, allerlei Neuerungen
eingeführt. Er glaubte, die Rolle eines Stifters übernehmen
zu müssen. Ohne Auftrag gab er sich daran, Statuten zu
entwerfen, die dem ursprünglichen Geist der
Gesellschaft nicht entsprachen. Das Ergebnis war ein
Gemisch aus verschiedenen Ordensregeln, die er nun den
Klöstern vom Heiligsten Herzen aufnötigen wollte.
So
begann eine langjährige schwere Leidenszeit für Mutter
Barat. Der Empfang in Amiens war höflich, aber kühl,
sogar bei den Kindern. Man ließ sie merken, daß ihre
Anwesenheit unerwünscht sei. Wohlmeinende Freunde
rieten der Generaloberin, sich durch energisches
Auftreten Recht zu verschaffen. Aber lieber wollte sie
mit dem sanften und demütigen Herzen Jesu schweigen und
dulden. Absichtlich hatte sie bisher mit der endgültigen
Fassung der Regeln gezögert. In längerer Übung sollte
erst erprobt werden, was später der ganzen Gesellschaft
als Richtschnur zu dienen hatte. Nun aber war der
Zeitpunkt für diese wichtige Arbeit gekommen, die P.
Varin mit Mutter Barat unter viel Gebet und Überlegung
übernahm. Immer noch hofften sie, Saint Estève werde
sich nachgiebig zeigen, aber umsonst. Nach dem Sturz
Napoleons 1814 reiste er mit dem neuernannten französischen
Gesandten nach Rom. Er benutzte seinen dortigen
Aufenthalt, um teils durch Intrigen, teils durch unwahre
Angaben den Schein zu erwecken, der Papst habe seine
Statuten gebilligt und die von Mutter Barat verworfen.
Er scheute sich nicht, ihr ein Schriftstück zu übersenden,
das mit einem gefälschten Namen gezeichnet war und sie
mit der Exkommunikation bedrohte, falls sie sich nicht
den Konstitutionen des Abbé de Saint Estève
unterwerfe.
P.
Varin und Mutter Barat, als treue Kinder der Kirche,
waren bereit zu gehorchen, obgleich sie wußten, daß
diese neue Genossenschaft, die nicht einmal mehr den
Namen des Heiligsten Herzens Jesu tragen sollte, nicht
jene war, die P. de Tournély im Geiste geschaut hatte
und die so offenbar Gottes Werk gewesen war. Aber es kam
nicht bis zum Äußersten. Auf der französischen
Staatskanzlei wurde der Betrug aufgedeckt. Saint Estève
mußte nach Frankreich zurückkehren und fand dort ein
unrühmliches Ende. Acht Jahre hatte der schwere Kampf
gedauert. Nie war eine Klage über Mutter Barats Lippen
gekommen. Im Gegenteil: als sie persönlich von ihrem
Gegner angegriffen wurde, schrieb sie einer Vertrauten:
“Der wenigstens behandelt mich, wie ich es
verdiene.” Als später die wenigen Schwestern,
darunter M. Baudemont, die ihm nach Rom gefolgt waren,
in Not gerieten, unterstützte sie diese in hochherziger
Weise.
Frei
von unberufener Einmischung, hielt sie nun den
Augenblick für gekommen, ihren Schwestern die von ihr
mit P. Varin ausgearbeiteten Konstitutionen zu übergeben,
und berief deshalb zum Allerheiligenfeste 1815 zwei
Profeßschwestern aus jedem Kloster zur Beratung nach
Paris, wo die Satzungen ihre endgültige Fassung
erhalten sollten. Sie beginnen mit den klaren Worten:
“Diese kleine Gesellschaft ist ganz der Verherrlichung
des Herzens Jesu und der Verbreitung seiner Verehrung
geweiht.” Darum sollen alle Mitglieder nach inniger
Vereinigung mit dem Herzen des Heilandes streben, ihn
verstehen und lieben lernen in persönlichem, innerem
Gebet; denn “der Geist der Gesellschaft ist wesentlich
auf Gebet und inneres Leben gegründet”
(Konstitutionen). Wenn aber die Liebe des Gottesherzens
in einer Seele glüht, dann drängt es Sie, auch anderen
von diesem Reichtum mitzuteilen. Deshalb wollte
Magdalena Sophia ihre Gesellschaft in den Dienst der
Jugenderziehung stellen. Die Regel lehnt sich an die
Konstitutionen der Gesellschaft Jesu an. Ignatianisch
ist die starke Betonung der apostolischen Gesinnung und
der Exerzitien. Außer den üblichen Ordensgelübden
Armut, Keuschheit und Gehorsam legen die Schwestern das
Gelübde der Beständigkeit ab, das nur der Papst lösen
kann, und die Chorfrauen fügen das Gelöbnis hinzu,
sich der Erziehung der Jugend zu widmen. Die
Gesellschaft wird von einer auf Lebenszeit gewählten
Generaloberin geleitet, die als Mutter der großen
Ordensfamilie in persönlichem Kontakt mit all ihren Häusern
und Ordensfrauen steht.
In
dieser starken Einheit der Herzen sah die Stiftterin den
Segensquell, der sich von ihren Klöstern über die Welt
ergießen sollte, und nie schien ihr ein Opfer zu groß,
um diese Eintracht zu bewahren und immer enger zu schließen.
Darum sind die Worte: “Cor unum et anima una in Corde
Jesu — Ein Herz und eine Seele im Herzen Jesu” in
das silberne Kreuz eingraviert, das jede Ordensfrau vom
Heiligsten Herzen Jesu bei der ewigen Profeß zugleich
mit dem Brautring empfängt. In diesen Satzungen
erkannten die versammelten Schwestern freudig den ursprünglichen
Geist ihres Berufes und nahmen sie dankbar an. Papst Leo
XII. hat sie 1826 feierlich bestätigt.
So
hatte Magdalena Sophia gesiegt. Es war der Sieg einer
Heiligen. Das Leid hatte ihr Herz nicht verengt, es war
tiefer, größer und weiter geworden an Liebe und
Verstehen. Immer war sie bereit gewesen zum Nachgeben
und Verzichten, nur an dem Wesenskern ihres Werkes, der
Verherrlichung des Herzens Jesu, hatte sie unbeirrbar
festgehalten. Nun war sie erhört. Papst Pius XII. hat
diese Tatsache gewürdigt, als er zum 150. Gründungstag
der Gesellschaft schrieb:
“Es
ist nicht ohne eine besondere Eingebung von oben, daß
die heilige Magdalena Sophia ihre Gründung unter das
Zeichen des Heiligsten Herzens Jesu stellte ... Es galt,
diese erkaltete Welt dem brennenden Feuerherd der göttlichen
Liebe” näherzubringen. Die Gesellschaft vom
Heiligsten Herzen Jesu war eine der ersten
Ordensfamilien, die sich für ihre Taufe diesen dreimal
heiligen Namen erbat. Die Stifterin, deren kontemplative
Seele sich in die Abgründe der Liebe des göttlichen
Herzens verlor, um sie desto besser ausstrahlen zu können,
bezeugte dadurch auch, daß das tiefe innere Leben die
Vorbedingung für jedes echte Apostolat ist. Die äußeren
Werke, sogar die aufsehenerregendsten, wären nichts
ohne diese übernatürlichen Voraussetzungen und es ist
klar, daß der Erfolg eines so großen Unternehmens, das
menschliche Kräfte und Mittel übersteigt, nirgends
anders gesucht werden kann als in einem Leben von
intensivem Gebet, von Aufopferung, Demut und Abtötung,
das durch die Vermittlung des Unbefleckten Herzens Mariä
an der Quelle selbst geschöpft wurde: am Heiligsten
Herzen Jesu.”
Später
sollten noch einmal Stürme an den Grundfesten dieser
Gesellschaft rütteln. 1815 bestanden sechs Ordenshäuser.
20 Jahre darauf waren es bereits 40. Die Generaloberin
konnte die regelmäßige Visitation ihrer Klöster nicht
mehr allein durchführen. Die Einteilung der
Gesellschaft in Provinzen war eine dringende
Notwendigkeit geworden. Waren sich alle Mitglieder der
1839 nach Rom einberufenen Generalversammlung darüber
einig, so wollten viele nun wie in diesem, so auch in
anderen Punkten eine stärkere Angleichung an die
Jesuitenregel durchsetzen, z. B. die Abschaffung des
gemeinsamen Chorgebets, die Profeß nach zehnjähriger
Probezeit; ja selbst der Leitsatz: “Diese kleine
Gesellschaft ist ganz der Verherrlichung des Herzens
Jesu geweiht” . . . sollte in jenen des hl. Ignatius
umgeändert werden: “Ihr Zweck ist, sich der größeren
Ehre Gottes zu weihen.” P. Varin erhob als erster
Klage: “Wenn Sie diesen Satz aus der Regel streichen,
so brauchen Sie nur noch den Namen der Gesellschaft zu
ändern!”
Magdalena
Sophia selbst stand den Neuerungen ablehnend gegenüber;
denn sie blieb stets der Meinung, die Gesellschaft vom
Heiligsten Herzen sei ein Frauenorden, der in seiner
gesamten Geistesrichtung die vollkommene Weiblichkeit
und, soweit als möglich, das Idealbild der Frau
verwirklichen solle, wie es Gott in der allerseligsten
Jungfrau vor Augen gestellt hat. Zwischen der
Gesellschaft und dem Orden des Hl. Ignatius müsse eine
Ähnlichkeit wie zwischen Bruder und Schwester bleiben.
Aber
die Stimmen der Versammlung waren gegen sie. So
unterwarf sie sich und schrieb selber an ihre Klöster,
um sie zur Annahme der neuen Dekrete aufzufordern. Doch
vor allem die Häuser in Frankreich wollten sich den
Neuerungen nicht fügen und beriefen sich auf unbedingte
Einhaltung der päpstlich bestätigten Regel — in
Anbetracht der weiten und raschen Ausbreitung der
Gesellschaft eine praktische Unmöglichkeit.
Einsam
stand die Stifterin inmitten dieser Widersprüche,
verlassen von ihren geliebten Töchtern, den unermüdlichen,
treuen Mitarbeiterinnen der ersten Stunde. Ihr
erfahrener, klarer Blick erkannte deutlich den Ausweg:
Einhaltung der goldenen Mitte zwischen den beiden
extremen Richtungen; aber ihr Einspruch und ihr Rat
verhallten ungehört. “Was ist aus unserem lieben Cor
unum geworden?” schrieb sie traurig. “Wie der Wagen
des Propheten Ezechiel, so werde ich nach allen Seiten
gezogen. Persönliche Kränkungen kamen hinzu. Man
verstieg sich zu der Behauptung, ihre geistigen Fähigkeiten
nähmen derart ab, daß sie zur Leitung des Ordens
untauglich sei. Aber Tieferblickende urteilten: “Man möchte
meinen, Gott habe für sie das Maß der Schmerzen vergrößert,
die ein Mensch tragen kann.”
Jahrelang
dauerte der Kampf, aus dem endlich durch Vermittlung des
Erzbischofs von Besançon beim Heiligen Stuhl Magdalena
Sophia erfolgreich hervorging. Die Konstitutionen der
Gesellschaft wurden 1851 definitiv vollendet und vom
Papst neuerdings bestätigt. In allen Punkten war der
Stifterin Recht gegeben. Pius IX. hatte die Aufteilung
der Gesellschaft in verschiedene Verwaltungsgebiete
genehmigt, wollte sie aber nicht Provinzen, sondern
Vikariate nennen, um die Abhängigkeit ihrer
Vorsteherinnen, der “Vikaroberinnen”, und deren
Einheit mit der Generaloberin zu betonen. Für die übrigen
strittigen Fragen galt seine Entscheidung: “Die
Gesellschaft soll auch ferner nach den von Papst Leo
XII. bestätigten Regeln geleitet werden.”
Sofort
gab Magdalena Sophia ihren Töchtern die Lösung
bekannt. Alle unterwarfen sich. Der Mutter aber lag es
fern, sich ihres Sieges zu rühmen. Ihre große Seele
kannte nur Verzeihen und Vergessen. Wohl hatten manche
Schwestern ihr bitter weh getan. Gerade ihnen erwies sie
die zarteste Liebe und war darauf bedacht, ihnen Beweise
mütterlichen Vertrauens zu schenken, um den Stachel der
Selbstvorwürfe zu entfernen. Mehr noch: sie verteidigte
gerade jene, die ihre Ehre verletzt hatten und duldete
kein hartes Urteil über sie.
Ausbreitung
Mit
der Festlegung der Ordenssatzungen und deren allgemeiner
Annahme begann ein neuer Zeitabschnitt im Leben Mutter
Barats. Ihre Gesellschaft ruhte nun auf sicherer
Grundlage und entwickelte bald eine starke Lebenskraft.
In der Heimat und im Ausland, ja auch in fernen
Erdteilen fand sie neue Wirkungskreise.
Schon
als Magdalena Sophia das Herz Jesu Kloster in Grenoble
gründete, wurde sie ungestümer denn je von der
Sehnsucht ergriffen, in die Missionen zu gehen. Da Pater
Varin ihr begreiflich machte, es liege nicht in der
Absicht Gottes, flehte sie zum Herrn: “Wenn das
Verlangen Deiner Dienerin Dir nicht gefällt, so gewähre
mir wenigstens eine Ordensgefährtin, die statt meiner
und besser als ich diese Aufgabe erfülle!” Mutter
Duchesne sollte die Auserwählte sein. Zwölf Jahre
hatte sie vergeblich um Entsendung in die Missionen
gebeten. Noch schien das Werk in der Heimat nicht genügend
gefestigt, das Wagnis zu kühn. Da kam 1817 ein
Missionsbischof aus Amerika und warb um Mitarbeiterinnen
für seine Diözese. Magdalena Sophia erkannte darin den
Fingerzeig Gottes. Sie hielt ihre flehende Tochter nicht
länger zurück. 1818 gründete Philippine Duchesne in
Louisiana das erste überseeische Kloster vom Heiligsten
Herzen. Unter unsäglichen Entbehrungen und Opfern
wirkte sie bis zu ihrem Tode im Jahre 1852 unter Weißen
und Eingeborenen. Inniger Gebetsgeist und glühender
apostolischer Eifer waren der Inhalt ihres heiligen
Lebens. Dennoch schien das Arbeiten im Lande ihrer
Sehnsucht jahrelang erfolglos. Heute verwirklichen in
Nord‑ und Mittelamerika acht Vikariate mit 50 Häusern
und rund 1600 Ordensfrauen die Erwartung der Stifterin
und der ersten Missionarin der Gesellschaft, die 1940
seliggesprochen wurde.
Die
volle Entfaltung ihres Werkes sollte Magdalena Sophia
nur durch schwere äußere und innere Leiden erkaufen.
In Frankreich hatten die Zeitverhältnisse sich gegen
Ende der Regierung Karls X. so gestaltet, daß die
Zukunft für die religiösen Orden bedrohlich schien.
Die Religion wurde öffentlich verspottet, der Kirche
wurde die Unterrichtsfreiheit entzogen, der
Jesuitenorden in die Acht erklärt. Während diese
Gesetze in den Kammern verhandelt wurden, ließ Mutter
Barat zur Sühne das Herz Jesu Fest mit außergewöhnlicher
Feierlichkeit begehen. Öffentlich wollte sie das
Bekenntnis ihres Glaubens und ihrer Liebe ablegen und
dem göttlichen Herzen genugtun für die erlittene
Schmach.
Inmitten
der drohenden Gefahren war es nötig, durch Klostergründungen
im Ausland Zufluchtsstätten für die hereinbrechenden
Verfolgungen zu schaffen. So folgte Mutter Barat dem
Rufe Papst Leos XII. nach Rom, um 1828 in dem
Minimenkloster Trinità dei Monti auf der Höhe des
Pincio ein Internat für die Töchter der alten römischen
Familien zu gründen. Gregor XVI. vervollständigte
diese Stiftung durch die Übergabe eines Klosters in
Trastevere, dem ärmsten römischen Stadtviertel. Dort
sollten die Kinder aus dem Volke unterrichtet und
erzogen werden. Auf dem Janikulus, in der Villa Lante,
eröffnete Mutter Barat 1837 das römische Noviziat.
1830
brach der gefürchtete Bürgerkrieg in Frankreich aus.
Um den Novizinnen eine ungestörte Heranbildung zu
sichern, suchte sie Zuflucht in der Schweiz. Im Schlosse
Giviziers bei Freiburg fand sie herzliche Aufnahme. Aber
wie frohlockte sie, als sie nach Ankauf der Besitzung
Montet wieder in die gewohnten Verhältnisse klösterlicher
Armut und Verborgenheit zurückkehren konnte! Anfangs
waren die einheimischen Bewohner den französischen Gästen
wenig geneigt; aber die Menschenfreundlichkeit und Güte
der Generaloberin überwand alle Vorurteile, und bald
hieß sie weit und breit nur mehr “die heilige
Nonne”. In der Einsamkeit des Alpentales, inmitten der
fröhlichen Novizenschar, schienen Tage der Ruhe und des
Friedens für die Stifterin anzubrechen. Aber die
kirchenfeindliche Haltung der Eidgenossenschaft zwang
sie wenige Jahre später, die Schweiz wieder zu
verlassen.
Wie
oft hat Magdalena Sophia die Seligkeit des Verfolgtseins
um der Gerechtigkeit willen erfahren, besonders in den
Revolutionen der 1840er und 1850er Jahre. In Turin
wurden die Ordensfrauen in den Straßen und auf der Bühne
verhöhnt, weil sie treu zu Christus und zur Kirche
standen. In Saluzzo bedrohte der Pöbel sie mit
Brandlegung und Vergiftung. Garibaldi plünderte und
verwüstete die Villa Lante in Rom, und für die Trinità
dei Monti bedeutete die französische Schutzherrschaft
nur eine Gefahr mehr. Auf italienischem Boden gingen
damals zehn Klöster verloren. In ihrer Mutterliebe
empfand Magdalena Sophia alle Sorgen und Leiden ihrer Töchter
innig mit, aber zutiefst quälten sie die Schmähungen,
mit denen die Empörer Gott und die heilige Kirche überhäuften.
Als sie die Nachricht von der Ausweisung ihrer
Schwestern aus Sardinien erhielt, schrieb sie: “Was
mir am meisten das Herz zerreißt, ist der Haß gegen
unseren göttlichen Herrn und Meister, der in dieser
Verfügung zum Ausdruck kommt.”
Als
Europa sich endlich befriedet hatte, brachte der
amerikanische Bürgerkrieg neue Schrecken und Gefahren.
Wie drückend und unheimlich war für die Mutter die
Ungewißheit über das Los ihrer Schwestern; denn
infolge der Absperrung der Verkehrswege blieb lange Zeit
jede sichere Nachricht aus. Sie konnte nur erfahren, daß
mehrere Klöster mitten im Kampfgebiet lagen. Daß
schließlich doch alle verschont blieben, schrieb die
Generaloberin der weisen Haltung der Oberinnen, mehr
aber noch den Gebeten ihrer Töchter für die
amerikanischen Mitschwestern zu.
Trotz
aller Widerstände, Schwierigkeiten und Verfolgungen
breitete sich die Gesellschaft vom Heiligsten Herzen
Jesu immer weiter aus. Es entstanden in den folgenden
Jahren Niederlassungen in England und Irland, in Canada,
Cuba, Chile, Algerien, in Spanien, Belgien, Holland, Österreich
und Deutschland. Waren die Schwestern in der Heimat
vertrieben, so setzte die Stifterin sie sogleich anderwärts
wieder ein. “Unsere Heimat hinieden ist der ganze
Erdkreis und droben im Himmel”, pflegte sie zu sagen.
Ehe
Mutter Barat zur Gründung eines neuen Klosters schritt,
erwog sie den Plan in langem Beten vor Gott, bat auch
andere um Gebet und holte sich Rat bei weisen Freunden.
War ihr Entschluß einmal gefaßt, dann ging sie mit
grenzenlosem Vertrauen auf Gott ans Werk. Bedenkt man
die damaligen schwerfälligen Verkehrsmittel und die
vielen schmerzhaften Krankheiten dieser Frau, so scheint
es beinah unglaublich, was sie geleistet hat. Wie oft
hat sie Frankreich durchquert und Italien in dem damals
noch üblichen zweirädrigen Ochsenkarren durchzogen! In
Belgien, in der Schweiz, in England besuchte sie ihre Klöster.
Eine ihrer letzten Reisen unternahm sie nach Riedenburg
bei Bregenz am Bodensee, wo sie viele deutsche Kinder
antraf.
Mit
allen ihren Häusern stand sie in regem schriftlichem
Verkehr. 14 000 Briefe sind uns von ihr erhalten. Täglich
verbrachte sie lange Stunden am Schreibtisch; immer
wieder warf sie einen Blick auf das Kruzifix, um von
dort Licht, Rat und Hilfe zu erflehen. Im Herzen ihres
Herrn fand sie die flammenden Worte, die ihre Töchter
zu Hingabe und Opfer begeisterten: Unwürdig Ihres
Berufes, ja, ganz unfähig, ihn zu erfüllen, wäre eine
Ordensfrau vom Heiligsten Herzen, in deren Seelen nicht
fortwährend das Feuer des Seeleneifers brennen würde
...”
Apostolisches
Wirken
Der
Weitblick Magdalena Sophias galt nicht nur der
Ausbreitung ihres Werkes, sondern auch seiner inneren
Festigung und Ausreifung. Aber ihr Handeln entsprang
niemals dem eigenen Antrieb und Wünschen: es war
vielmehr ein Hinhorchen auf den Ruf Gottes, ein
Verstehen seiner Gedanken, ein selbstloses, unbedingtes
Sichhingeben an seinen Auftrag. Als gefügiges Werkzeug
ruhte sie in seiner Hand. Natürlich gesprochen, schien
sie nicht zum Herrschen berufen, und doch brachte sie es
darin zur Meisterschaft. Gegen ihre Neigung unternahm
sie das Werk der Erziehung, und nichts lag ihr ferner,
als planmäßig zur Errichtung eines sogenannten
Lehrordens zu schreiten. Dabei besaß sie aber eine überraschende
Begabung, hellsichtig zu erkennen, was dem jugendlichen
Alter gut, heilsam und förderlich ist. Je mehr
Erfahrung sie sammelte, um so höher schätzte sie die
liebe, sorgenvolle Arbeit der Erziehung, um so teurer
wurden ihr die Kinder, und nach 20 Jahren klugen Wirkens
in ihrer Mitte, als die einheitliche Leitung der sich
mehrenden Pensionate geschriebene Richtlinien verlangte,
verfaßte sie jenen Erziehungs‑ und Studienplan,
der neben den Konstitutionen eine ihrer kostbarsten
Hinterlassenschaften darstellt und den Ruf der Schulen
des Sacré Coeur begründen sollte. Tüchtige
Ordensfrauen und erfahrene Priester zog sie zu Rate;
aber der Mittelpunkt des Kreises, der zu diesen
Besprechungen in Paris zusammentraf, war sie selbst mit
ihrer hohen Bildung, ihrem feinen Takt und dem sichtlich
auf ihr ruhenden Geist Gottes.
Auf
dem Gebiet der Erziehung hat sie Pfadfinderarbeit
geleistet und eine Heranbildung der weiblichen Jugend
erstrebt, die den Forderungen der damaligen gewandelten
Verhältnisse entsprach. Die Philosophie der Aufklärung
und der soziale Umsturz hatten Trümmer zurückgelassen.
Aber nicht das alte Haus wollte sie wiederherstellen,
sondern auf den Resten verbliebener Grundmauern einen
neuen, zeitgemäßen Bau errichten. Heute noch kann sich
die Erziehung in der Gesellschaft vom Heiligsten Herzen
nach den Leitsätzen des damals entstandenen Planes
richten. Unveränderlich in den Prinzipien, ist er von
überraschender Anpassungsfähigkeit gegenüber den Bedürfnissen
neuer Zeiten und verschiedenster Länder. Die Stifterin
betrachtete ihn nie als abgeschlossenes Werk, unterzog
ihn selbst erneuter Überprüfung und gab den Rat: Die
alten Arbeitsweisen soll man nicht verachten, den neuen
sich nicht verschließen.”
Was
sie anstrebte, war die Erziehung des Kindes durch das
Herz des Heilandes. Seine Erkenntnis und Liebe, sein
Dienst und seine Nachfolge waren ihr Ziel. “Um zu
erziehen”, sagte sie, “muß die Ordensfrau in
Christus leben, sich heiligen und dann von der Fülle übernatürlichen
Lebens dem Kinde mitteilen.” Unberechenbar groß und
tief erschien ihr der Einfluß der christlichen Mädchenerziehung
auf Glaube und Sitte des Volkes. “Die Ordensfrauen mögen
bedenken”, heißt es in den Konstitutionen, daß ihre
Zöglinge nach der gewöhnlichen Anordnung der göttlichen
Vorsehung dazu bestimmt sind, einst Gattinnen und
Familienmütter zu werden. Wieviel Gutes aber kann eine
wahrhaft christliche Frau, eine treue und tugendhafte
Familienmutter wirken! ... Künftige Geschlechter
schulden vielleicht einer gottesfürchtigen Mutter ihr
ewiges Heil.” Vor allem drängte deshalb die Stifterin
auf eine gediegene Frömmigkeit. Aber den jungen Mädchen
sollte Gelegenheit zur Aneignung reichen Wissens geboten
werden, da die Frau nicht nur mit dem Herzen, sondern
auch mit dem Verstande die ebenbürtige Gefährtin des
Mannes sein soll. So wurde z. B. bereits in den ersten
Lehrplänen der Gesellschaft eine Einführung in die
Elemente der thomistischen Philosophie vorgesehen. Schon
damals nahmen Logik, Psychologie, Ontologie, Ethik und
Theodizee in den oberen Klassen der Schulen vom
Heiligsten Herzen einen Ehrenplatz unter den Lehrfächern
ein. In der Geschichte siebt der Studienplan eine
Lehrmeisterin des Lebens. Sie soll das sittliche Urteil
formen, die Mädchen anleiten, über Vorurteile und
Sympathien hinweg zur Objektivität zu gelangen, und sie
befähigen, die Folge der Ereignisse, die sich in ihrem
eigenen Leben abrollen, zu verstehen. Der mathematische
und naturwissenschaftliche Unterricht soll sie zu
exaktem Denken anregen. Der literarischen Ausbildung
endlich mißt der Studienplan überragende Bedeutung zu.
Sie zumeist erweitert und vertieft den Geist und weckt
den Sinn für moralische und ästhetische Werte. Sie
wird an Wichtigkeit einzig vom Religionsunterricht übertroffen.
Die Religion soll den Eckpfeiler bilden, das Ganze
kraftvoll tragend und zusammenhaltend. Die Vorschriften
des Lehrplanes für die weiblichen Handarbeiten, die
Erziehung zur Ordnung und die Einführung in die Leitung
eines Haushaltes zeigen deutlich, wie sehr die “starke
Frau” der Heiligen Schrift Magdalena Sophia als
Vorbild für die weibliche Jugend vor Augen stand.
Nach
der Absicht Mutter Barats dürfen Unterricht und
Erziehung nicht getrennt werden. Nie würde die
Ordensfrau, die nur Lehrerin sein wollte, der ihr
gestellten Aufgabe genügen. Das Kind braucht die
herzenskundige Mutter. Grundbedingung jedes nachhaltigen
erziehlichen Wirkens ist das einerseits mütterlich
denkende und andrerseits kindlich vertrauende Verhältnis
zwischen Lehrerinnen und Schülerinnen.
Die
Herz Jesu Kinder sollen nach dem Willen der Stifterin
eine große Familie bilden. Die Erziehung wird dem
einzelnen angepaßt. Sie ist bestrebt, den Kinder persönlichen
Wert zu verleihen, feste Grundsätze, Verankerung im
Glauben. Die Tagesordnung mit ihren Zeiten des
Stillschweigens und der geregelten Arbeit stellt
Anforderungen, die in kleinen Dingen fortgesetzte
Entsagung verlangen. So solle die jungen Menschen allmählich
für jene Opfer heranreifen, die das Leben notwendig
auferlegen und das Gewissen fordern wird.
Magdalena
Sophia war sich wohl bewußt, daß dieses hohe Ziel
nicht immer und überall verwirklicht werden kann.
Gottes Werk begegnet unzähligen Hindernissen durch das
Versagen menschlicher Mithilfe.
Auf
die Kinder, die so leicht herausfühlen, wo ihnen ein
reines, liebendes, gütiges Herz entgegenschlägt, übte
ihre Persönlichkeit eine unwiderstehliche
Anziehungskraft aus; nicht nur auf die, welche in näherem,
längerem Verkehr mit ihr standen, sondern auch auf
jene, die sie zum erstenmal oder nur selten sahen. Die
Liebe zum göttlichen Herzen, die Mutter Barats ganzes
Sein erfüllte, strömte auf andere über. In späterer
Jahren ließen die Sorgen und Arbeiten für die
Gesamtheit des Werkes der Stifterin kaum mehr Zeit,
unmittelbar an der Erziehungsarbeit teilzunehmen, aber
ihre erfinderische Liebe spähte stets nach
Gelegenheiten aus, sich der Jugend wenigsten in
vereinzelten Fällen zu widmen.
Wenn
in der Gesellschaft vom Heiligsten Herzen mit Rücksicht
auf die religiöse und kulturelle Auswirkung die
Erziehung von Töchtern aus einflußreichen Familien im
Vordergrund steht, so war es der Heiligen ebenso auch
ein Herzensanliegen, allen ihren Klöstern Armenschulen
und Waisenhäuser anzugliedern. Sie erkannte in der
Sorge für die leidenden Glieder des mystischen Leibes
Christi einen wesentlichen Bestandteil ihrer
apostolischen Sendung. Deshalb wandte sie auch stets den
Armen ihre besondere mütterliche Liebe zu, die sich zu
wahrer Ehrfurcht steigerte, weil sie sich im
Notleidenden einem tiefen Geheimnis der göttlichen
Weisheit gegenüber sah. “Der Arme ist der Retter der
Seele des Reichen”, sagt sie den Kindern. “Auf sein
Wort hin öffnet oder schließt der Herr die
Schatzkammer seiner Barmherzigkeit. In seinem Geld
besitzt der Reiche die Schlüssel der Erde; der Arme hat
in seiner Armut die Schlüssel zum Himmelreich.”
Die
ihr anvertraute Jugend hat Magdalena Sophia besonders
der Gottesmutter geweiht. Bereits 1816 führte sie für
die eifrigeren Schülerinnen die Marianische
Kongregation unter dem Titel der “Unbefleckten Empfängnis”
ein und gab ihnen die Weisung: “Aufgabe der
Marienkinder ist es, die heiligsten Herzen Jesu und Mariä
zu lieben, zu verehren und nach Kräften ihre Verehrung
zu verbreiten. Durch ein echt christliches Leben sollen
sie den Geist und die Grundsätze Jesu Christi dem Geist
der Welt entgegenstellen.” Doch Magdalena Sophia
wollte noch mehr. Frauen und Mädchen der weitesten
Kreise sollten zu einer dem Herrn und seiner heiligsten
Mutter besonders geweihten Gemeinschaft
zusammengeschlossen werden. So entstand die
“Kongregation der auswärtigen Marienkinder vom Sacré
Coeur”. — Und als dritte Art von Kongregation wurde
schließlich eine Vereinigung von Frauen und Mädchen
unter dem Namen “Trösterinnen Mariens” gegründet.
Vollendung
Mutter
Barat war in der Leitung des ihr anvertrauten Werkes alt
geworden, aber sie blieb der Mittelpunkt, um den alle Kräfte
kreisten. Ihre Weisheit, Liebe und Heiligkeit strahlten
Licht und Wärme aus bis in die entferntesten Bereiche.
Den Titel “Stifterin” lehnte sie selbst allezeit
entschieden ab. Eine solche Benennung empfand sie als
eine Art Gotteslästerung; denn alles war das Werk des göttlichen
Herzens, ihm allein gebührte Ruhm und Ehre. Aber traf
eines ihrer Klöster Unglück oder Mißerfolg, bekannte
sie: “All das Leid habe ich durch meine vielen
Untreuen verschuldet. Ich verdiene die Strafe.”
Mit
zunehmendem Alter wurden die häufigen Visitationsreisen
für die Generaloberin zu beschwerlich, und die letzten
vierzehn Jahre ihres Lebens verließ sie nur mehr selten
das Mutterhaus in Paris. Aber ihr Wirken blieb schöpferisch
wie zuvor. Die Neugründungen schritten fort,
vielgestaltige Werke wurden übernommen. Regelmäßig
versammelte die Mutter ihre jungen Schwestern nach den
ersten fünf Jahren der apostolischen Arbeit zu einer
letzten Vorbereitung auf die Profeß im Mutterhaus. In
dieser Einrichtung sah sie ein außerordentlich
wertvolles Mittel zur Erhaltung der Einheit der
Gesellschaft.
Mild
und sanft war ihre Leitung, ganz dem Einfluß der göttlichen
Weisheit unterworfen. “Dem Heiland ist es lieber, wenn
wir in Güte und Nachsicht zu weit gehen, als in
Strenge”, meinte sie, und danach handelte sie. Diese
Mutterliebe war die unüberwindliche Macht, die ihr alle
Herzen gewann. Mehr und mehr sehnte sie sich nach dem
Himmel. Hatte der Herr ihr den nahen Tod kundgetan? Wie
zum Abschied lud sie die Kleinsten aus dem Pensionat
kurz vor ihrem Tode noch einmal zu sich in den Garten,
plauderte mit ihnen, beschenkte sie und segnete in ihnen
zum letztenmal die Jugend, die sie so sehr geliebt und
der sie die ganze Kraft ihres Lebens gewidmet hatte.
Das
Fest Christi Himmelfahrt kam heran. Sonntags zuvor fand
sich die geliebte Mutter noch einmal im Kreise ihrer
Schwestern ein. “Es drängt mich zu kommen, denn
Donnerstag geht es in den Himmel! Wir müssen uns vorher
doch noch sehen”, sagte sie. Am nächsten Morgen traf
sie ein Schlaganfall, nachdem sie wie gewöhnlich um 5
Uhr aufgestanden war und ihre Betrachtung bewegungslos
kniend verrichtet hatte, das Kruzifix in der Hand. Bis
zum Ende blieb sie ohne Sprache. Als die letzte Stunde
des Himmelfahrtsfestes schlug, übergab Magdalena Sophia
ihre Seele Gott dem Herrn. Es war der 25. Mai 1865.
Demütig
und still, wie sie zu leben gewünscht hatte, war sie
gestorben. Gegen 4000 Töchter aus allen Ländern
beweinten den Heimgang ihrer Mutter, während 1368
Schwestern ihr im Tode bereits vorangegangen waren.
Damals zählte die Gesellschaft 89 Klöster, heute sind
es 180.
In
Mutter Barats Nachlaß fand sich ein kurzes Schreiben,
aus dem noch einmal ihre wunderbare Demut
hervorleuchtete und in dem sie alle Ordensfrauen
beschwor, auch um den Preis der schwersten Opfer ihre
heiligen Verpflichtungen und den wahren Ordensgeist
aufrechtzuerhalten, besonders die Übung der
Herzenstugend Jesu, der Demut, und ihrer
unzertrennlichen Gefährtin, der Armut, und endlich des
Gehorsams, der alle anderen umfaßt und erhält. Das
Testament schließt mit den Worten: Ich bitte den guten
Meister, Sie alle zu segnen und tief in Ihre Seelen den
Willen und das unaufhörliche Verlangen einzuprägen,
sich bis zum letzten Atemzug der Liebe des göttlichen
Herzens und um seinetwillen dem Heil der Seelen zu
weihen, wie es unser heiliger Beruf verlangt.”
Gott
erhöht die Niedrigen. Schon 1908 wurde Magdalena Sophia
seliggesprochen, und im Jubeljahr 1925 nahm Pius XI. sie
in die Zahl der Heiligen auf. Ihre unversehrt erhaltenen
Gebeine ruhen in der Kirche des Herz Jesu Klosters zu
Jette bei Brüssel, die zu einer Stätte reicher
Gnadenerweise geworden ist. Im Mittelpunkt der
Christenheit aber, im Petersdom, grüßt die Statue der
heiligen Magdalena Sophia in der Reihe anderer großer
Ordensstifter den Rompilger. Das Kind an ihrer Seite ist
ein Symbol ihres Erziehungswerkes; der Engel aber
versinnbildlicht das Leben inneren Gebetes, auf das sie
ihren Orden gegründet hat.
In
allen Weltteilen befinden sich Klöster vom Heiligsten
Herzen Jesu. Das Generalmutterhaus ist in Rom, Via
Nomentana 118.
Die
Anschriften der Häuser im deutschen Sprachgebiet
sind:
Deutschland:
Herz Jesu Kloster, P ü t z c h e n bei Bonn
(Noviziatshaus)
M ü n c h e n,
Franz-Josefstraße 4
Berlin‑Charlottenburg
9, Insterburgallee 8
H a m b u r g,
Neue Rabenstraße 1
Österreich:
Wien III, Rennweg 31
G r a z ,
Petersgasse 1
P r e ß b a u in
bei Wien, An der Westbahn
R i e d e n b u r
g bei Bregenz, Vorarlberg.
KONRAD
KIRCH / ADOLF RODEWYK
|