Der
geistliche Kampf
von Lorenzo
Scupoli
Imprimatur
Abtei Marienstatt, 15. April 1934
Dr. Eberhard Hoffmann, Abt S.O.Cist.
Die kirchliche Druckerlaubnis wird hiermit erteilt.
Limburg, den 7. Mai 1934 Göbel, Generalvikar
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Dem allerhöchsten König und siegreichsten Herrn
Jesus Christus, dem Sohne Mariens
1. Vom Wesen der christlichen Vollkommenheit
2. Vom Mißtrauen gegen sich selbst
3. Vom Gottvertrauen.
4. Kennzeichen des Misstrauens gegen sich selbst
und des Vertrauens auf Gott
5. Von dem Irrtum vieler, die den Kleinmut als
eine Tugend ansehen.
6. Weitere Mittel zur Erlangung des Mißtrauens
gegen sich selbst und des Vertrauens auf Gott
7. Von der Tugendübung und
zwar zunächst der des Verstandes, den man vor
Unwissenheit und Vorwitz bewahren soll
8. Warum wir die Dinge nicht richtig einschätzen
und wie wir zur rechten Erkenntnis gelangen können.
9. Von einem anderen Übel, vor dem wir den
Verstand bewahren sollen, um richtig zu urteilen
10. Von der Übung des Willens und dem Endziel,
auf das alle unsere inneren und äußeren Handlungen
eingestellt sein sollen.
11. Erwägungen, die den Willen anspornen, in
allen Dingen das Wohlgefallen Gottes zu suchen.
12. Von den verschiedenen sich widerstreitenden
Willensneigungen.
13. Vom Kampfe gegen sinnliche Triebe und von den
Akten des Willens, um in der Tugendübung Fertigkeit
zu erlangen.
14. Von dem Verhalten, wenn der Wille scheinbar
von den niederen Seelenkräften und anderen Feinden
überwunden und unterdrückt ist
15. Ratschläge für die Art des Kampfes.
16. Ein Streiter Christi soll sich schon in
früher Morgenstunde auf dem Kampfplatze stellen
17. Von der Schlachtordnung wider unsere
sündhaften Neigungen.
18. Vom Widerstände gegen plötzliche,
leidenschaftliche Regungen.
19. Vom Kampfe wider die Fleischeslust
20. Die Kampfesweise wider die Trägheit
21. Von der Beherrschung der äußeren Sinne; wie
wir dadurch zur Betrachtung des göttlichen Wesens
vordringen.
22. Wie uns die sichtbaren Dinge durch die
Betrachtung des menschgewordenen Wortes in den
Geheimnissen seines Lebens und Sterbens zur
Beherrschung unserer Sinne verhelfen
23. Von anderen Hilfen, unsere Sinne bei den
verschiedenen Gelegenheiten zu beherrschen
24. Von der Beherrschung der Zunge.
25. Ein Streiter Christi muß, um wider die Feinde
gut zu kämpfen, die Verwirrung und Unruhe des
Herzens möglichst fliehen.
26. Unser Verhalten bei Verwundungen.
27. Wie der Teufel die Tugendhaften und die
Sklaven der Sünde zu bekämpfen und zu betrügen sucht
28. Die Kampfesart und Hinterlist des Teufels
wider die Sklaven der Sünde.
29. Wie hinterlistig der Teufel jene gefangen
hält, die ihr Elend erkennen und sich freimachen
wollen — Die Gründe, warum unsere Vorsätze oft so
unwirksam sind.
30. Von der Täuschung jener, die auf dem Wege der
Vollkommenheit zu wandeln glauben
31. Von dem listigen Versuch des Teufels, uns vom
Weg der Tugend abzubringen
32. Von den hinterlistigen Versuchen des Teufels,
uns mittels bereits erworbener Tugenden zu Falle zu
bringen.
33. Weitere Ratschläge, um die bösen
Leidenschaften zu bezwingen und in den Tugenden
voranzuschreiten.
34. Nach und nach sind die Tugenden zu erwerben.
35. Von den Mitteln zur Erlangung der Tugend und
ihrem zeitweisen Gebrauch zur Erwerbung einer
einzigen Tugend.
36. Von der Übung und dem steten Fortschritt in
der Tugend.
37. Gelegenheiten zur Erlangung der Tugenden soll
man nicht vorübergehen lassen
38. Alle Gelegenheiten zum Kampf um die Tugenden
soll man liebgewinnen.
39. Wie wir uns bei verschiedenen Anlässen in
derselben Tugend üben sollen
40. Von der Zeit der Tugendübungen und den
Anzeichen des Fortschrittes.
41. Dem Verlangen nach Befreiung von
Widerwärtigkeiten soll man nicht nachgeben — Von der
Beherrschung unserer Wünsche.
42. Vom Widerstand gegen den bösen Feind, der uns
zu Übertreibungen zu verleiten sucht
43. Von den Ursachen des freventlichen Urteils
und vom Widerstand dagegen
44. Vom Gebet
45. Vom innerlichen Gebet
46. Vom betrachtenden Gebet
47. Von einer anderen Art des betrachtenden
Gebetes.
48. Von der Art und Weise, durch die Vermittlung
Mariens zu beten.
49. Vom gläubigen Vertrauen auf Maria, die
allerseligste Jungfrau.
50. Vom betrachtenden Gebet in Vereinigung mit
den Engeln und Heiligen.
51. Von der Betrachtung des Leidens Christi
52. Vom Nutzen der Betrachtung über das Leiden
Christi und der Nachahmung seiner Tugenden.
53. Vom allerheiligsten Altarsakrament
54. Vom Empfang der heiligen Eucharistie.
55. Von der Liebe, die wir bei der Vorbereitung
auf die heilige Kommunion in uns erwecken sollen.
56. Von der geistigen Kommunion.
57. Von der Danksagung.
58. Von der Hingabe seiner selbst
59. Von der fühlbaren Gottverbundenheit und der
Trockenheit
60. Von der Gewissenserforschung.
61. Wir müssen im geistlichen Kampf bis zum Tode
durchhalten.
62. Wie wir den Angriffen der Feinde in der
Todesstunde begegnen sollen.
63. Von den feindlichen Angriffen in der
Todesstunde — Insbesondere von der Versuchung wider
den Glauben und ihrer Abwehr
64. Von der Versuchung zur Verzweiflung und ihrem
Gegenmittel
65. Von der Versuchung zu törichter Eitelkeit
66. Von den Anfechtungen durch trügerische
Vorspiegelungen und Erscheinungen in der Todesstunde.
Vorwort
Wer kennt
heute noch den Geistlichen Kampf von Lorenzo
Scupoli? Immerhin liest man bei Ad. Tanquereys
Grundriß der aszetischen und mystischen Theologie
über diese Schrift, sie werde „mit Recht vom hl.
Franz von Sales als eine der besten kleinen
Abhandlungen über das geistliche Leben geschätzt".
Man kann nur darüber spekulieren, weshalb Scupolis
Werk kaum noch bekannt ist. An seiner Qualität kann
es jedenfalls nicht liegen ...
Francesco
Scupoli kommt 1530 in der Hafenstadt Otranto bei
Neapel zur Welt. Aus den ersten vier Jahrzehnten
seines Lebens wissen wir nur weniges. Jedenfalls
scheint er sich in seinen Jugendjahren den höheren
Studien zu widmen. Erst mit 40 Jahren tritt er in
einen Orden ein, der nur wenig älter ist als Scupoli
selbst, den Ordo Clericorum Regularium vulgo
Theatinorum (OTheat). Die Theatiner, wie sie im
Volksmund heißen, waren am 14.9.1524 vom hl. Kajetan
von Thiene (sein Fest wird am 7. August gefeiert)
und von Gianpietro Caraffa (der 1555 als Paul IV.
auf den päpstlichen Stuhl kam) gegründet worden. Der
Name des Ordens geht auf Caraffa zurück, der von
1505-1524 Bischof von Chieti war. Chieti heißt
lateinisch Theate, daher der Name Theatiner. Dieser
neue Orden entsprang dem Reformgedanken seiner
Gründer. Er war eine von vielen Initiativen, die den
Ausweg aus der kirchlichen Krise in der Erneuerung
des Klerus suchten. Noch lag im Gründungsjahr des
Theatinerordens (1524) das Reformkonzil von Trient
in weiter Ferne; eben erst hatte Giulio dei Media
als Clemens VII. den päpstlichen Thron bestiegen.
Sein Pontifikat war geprägt von Unentschlossenheit,
Schwäche und mangelnder Urteilskraft im Hinblick auf
die reformatorischen Umtriebe, die sich in
Deutschland und auch in anderen Ländern auszuweiten
begannen. Doch die Gründung der Theatiner und
zahlreiche geistesverwandte Bestrebungen (der
Jesuiten, Barnabiten etc.) zeigen, daß die wahre
Reform der Kirche nicht von Häretikern und Apostaten
ausgeht, sondern von Männern und Frauen, die der
kirchlichen Überlieferung und dem katholischen
Glauben treu bleiben. Außerdem wird an diesen
Reformbemühungen im 16. Jahrhundert deutlich, daß
sehr oft in der Kirchengeschichte die Grundlagen für
eine wahre Erneuerung gelegt werden, lange bevor die
Krise ihre eigentliche Dramatik offenbart und den
Höhepunkt erreicht. Während das Haus schon
einzustürzen beginnt, ist der Wiederaufbau längst im
Gange.
Drei Jahre
nach ihrer Gründung in Rom übersiedelten die
Theatiner 1527 (im Jahre des Sacco di Roma) von Rom
nach Venedig und später nach Neapel. Hier schloß
sich im Jahre 1555 der frühere Anwalt Andreas
Avellino den Theatinern an (er wurde 1712
heiliggesprochen, sein Fest wird am 10. November
gefeiert). Andreas Avellino ist es, der den fast
40-jährigen Scupoli bewegt, 1570 bei den Theatinern
in San Paolo zu Neapel einzutreten. Seinen Taufnamen
Francesco vertauscht er jetzt mit Lorenzo. Scupoli
legt am 26.1.1571 die Ordensgelübde ab, absolviert
die philosophischtheologischen Studien und empfängt
am Weihnachtstage 1577 in Piacenza die hl.
Priesterweihe. Sogleich beginnt er eine segensreiche
Tätigkeit, zuerst in Oberitalien (Mailand und
Genua), wo es inzwischen mehrere Niederlassungen des
Ordens gibt, später in Rom. Scupoli erlangt rasch
Erfolg und Beliebtheit als Beichtvater und
Seelenführer. Doch sein fruchtbares Wirken als
Seelsorger ist früh und jäh zu Ende. Gegen Scupoli
werden schwere — verleumderische — Anschuldigungen
vorgebracht. Ob sie die Reinheit des Glaubens oder
die sittliche Lebensführung betreffen, wissen wir
nicht. 1585, im achten Jahr seines Priestertums,
wird Lorenzo Scupoli in den Laienstand
zurückversetzt. Da er sich nicht wirksam verteidigen
kann, nimmt er die Degradierung als Fügung Gottes
an. Fortan ist er bis zu seinem Tode am 28.11.1610 —
noch 25 Jahre also — als Laienbruder tätig, zuerst
in Venedig, danach in Neapel. Hier stirbt er an dem
Ort, wo er 40 Jahre zuvor vom hl. Andreas Avellino
ins Noviziat aufgenommen worden war.
***
„Denen,
die Gott lieben, gereicht alles zum Besten" (Rom
8,28). Manch anderer wäre seinem Orden untreu
geworden oder hätte sich seiner dumpfen Verzweiflung
überlassen. Doch Scupoli zeichnet sich aus durch
heroische Ergebenheit in Gottes Vorsehung. In
vorbildlicher Geduld erträgt er seine bittere Not;
und so gereicht ihm die ungerechte Bestrafung zur
Heiligung. Statt gegen Gott und die Oberen zu
hadern, beginnt er zu schreiben, soweit es seine
beschwerliche Arbeit als Laienbruder zuläßt. Nicht
für die Öffentlichkeit und für die Bekehrung anderer
greift er zur Feder, sondern um sich selbst
Ermahnungen zu erteilen. Er entwirft eine Strategie,
wie die Seele — seine Seele — dem bösen Feind
widerstehen könne. Der Schüler, dem er diesen Plan
und die nötige Taktik im Kampf mitteilt, ist
ursprünglich ausschließlich er selbst. Das erklärt
vielleicht seinen direkten und ungeschminkten Stil.
Erst durch Vermittlung anderer Personen, die des
Laienbruders Aufzeichnungen lesen, gelangen diese
zum Druck. Das ist im Jahre 1589, vier Jahre nach
der Rückversetzung Scupolis in den Laienstand.
Die erste
Ausgabe des Combattimento spirituelle enthält
23 Kapitel, in einer Neuausgabe desselben Jahres
sind es bereits 33, dann 40, schließlich 66 Kapitel.
Das Werk richtet sich anfänglich nicht etwa an die
gesamte Aszetenwelt, sondern nur an die
Ordensschwestern von Sankt Andreas in Venedig. Doch
der Stein kommt ins Rollen. Zwar kennt die
Öffentlichkeit den Autor der kleinen Schrift nicht:
Lorenzo Scupoli bleibt verborgen. „Zusammengestellt
von einem Diener Gottes", heißt es auf dem
Titelblatt. Das verhindert aber ihre rasche
Verbreitung nicht. Noch im selben Jahr wird eine
Neuauflage im gleichen Venezianer Verlag notwendig,
und von nun an jagen sich, Jahr um Jahr, immer neue
Ausgaben, bald auch in anderen Städten Italiens.
Seit dem Jahre 1593 wird der Verfasser als „Theatiner"
vorgestellt. Doch erst 1610, kurz nach Scupolis Tod,
erscheint in einem Neudruck von Bologna zum ersten
Mal sein Name auf dem Titelblatt.
Der
Geistliche Kampf wird in fast alle europäischen
Sprachen übersetzt, dann auch in indische und
asiatische. In England wird er für die Protestanten
bearbeitet, in der orthodoxen Kirche findet er in
griechischer und russischer Sprache Verbreitung
unter dem Titel Die unsichtbare Fehde. Auch
hier erscheint er anonym, wird aber als Eigengut
empfunden. Bis heute rechnet man weltweit mit
insgesamt 400 bis 500 Ausgaben — ein Klassiker!
***
Die vielen
und hohen Auflagen, die Lorenzo Scupolis Werk in der
gläubigen Christenheit gefunden hat, sind gewiß die
beste Empfehlung für diese kleine Schrift. Nur eine
oberflächliche Lektüre oder falsche Erwartungen
könnten den Geistlichen Kampf für überholt
oder ungeeignet erachten.
Man suche
keine Darlegung der Erhabenheit, Schönheit und
Notwendigkeit des inneren Lebens; erst recht nicht
die Beschreibung der großen Zusammenhänge im
Geistesleben, die einen wohlgefügten,
reichgegliederten Bau vor dem Auge des Lesers
erstehen ließe. All dies setzt Scupoli voraus, und
seine Schrift ist deshalb nicht für Anfänger oder
religiös Unwissende gedacht. Der Geistliche Kampf
ist für Menschen geschrieben, die bereits ein
geregeltes religiöses Leben führen und die vor allem
entschlossen sind, den Weg der Vollkommenheit zu
beschreiten, gemäß dem Wort unseres Herrn: „Seid
also vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen
ist" (Mt 5,48).
Natürlich
bringt Scupoli der Sache nach nichts Neues zur
Sprache. Dieselben Hinweise und Ratschläge finden
sich auch bei anderen geistlichen Autoren. Doch kaum
ein zweiter hat so knapp und präzise den geistlichen
Kampf beschrieben, seinen Verlauf und die
wesentlichen Strategien bis ins Detail und nach
allen Richtungen hin durchleuchtet. Freilich
verliert Scupoli keine überflüssigen Worte und sucht
nicht dem Geschmack des Lesers zu schmeicheln oder
ihm auch nur ein Zugeständnis zu machen; er sagt
einfach unverblümt, was er zu sagen hat. Sobald der
Leser sich aber damit abfinden kann, wird er dieses
Buch liebgewinnen. Denn in der Beschränkung und
Konzentrierung auf das Thema liegt seine Stärke und
Brauchbarkeit. Frei von einseitigem Voluntarismus
(Mißtrauen gegen sich selbst und Vertrauen auf Gott
sind zwei der vier Hauptpfeiler des Geistlichen
Kampfes), wird der Anteil, der dem Menschen auf
seinem Weg zur Einigung mit Gott zufällt, praktisch,
„klar und ganz durchführbar" (hl. Franz von Sales)
dargelegt. Und wer schließlich beginnt, den
Geistlichen Kampf nicht nur zu lesen, sondern
ihn auch zu kämpfen, wird das Urteil, schnell
bestätigen, daß sich Scupolis Schrift „durch
psychologisches Feingefühl und weise Maßhaltung
auszeichnet" (Lexikon für Theologie und Kirche
1937).
***
Wenn der
Geistliche Kampf noch einer Empfehlung
bedarf, so hat sie kein Geringerer als der hl. Franz
von Sales (1566-1622) abgegeben. Der Bischof von
Genf, der 1665 heiliggesprochen und 1877 zum
Kirchenlehrer ernannt wurde, gilt unbestritten als
brillanter Kenner der menschlichen Seele und des
Weges zur Vollkommenheit. Diese Kenntnis, seine
Einfühlsamkeit und Milde machten den hl. Franz von
Sales zu einem ebenso beliebten wie fruchtbaren
Beichtvater und Seelenführer. Als solcher hat er
Scupolis Geistlichen Kampf oft und geradezu
wärmstens empfohlen. Diese Wertschätzung soll an
einigen ausgewählten Beispielen dokumentiert werden.
Bekanntlich verband den hl. Franz von Sales mit der
hl. Johanna Franziska von Chantal eine tiefe
geistliche Freundschaft. Mit ihr zusammen gründete
er 1610 den Orden von der Heimsuchung Maria
(Salesianerinnen). Im April 1606 schrieb er an Frau
von Chantal über die Vorzüge des Geistlichen
Kampfes: „Das Buch über die 'Methode, Gott zu
dienen' ist gut, aber verworren und schwierig, mehr
als Ihnen zuträglich ist. Das Buch über den
Geistlichen Kampf enthält alles, was es sagt,
jedoch viel klarer und methodischer." Die junge
Witwe hatte 1601 ihren Mann bei einem tragischen
Jagdunglück verloren und war noch weit entfernt, in
den Ordensstand einzutreten. Der hl. Franz von Sales
verhalf ihr nun zu einem gottergebenen Leben — und
wußte keinen besseren Buchtipp als den
Geistlichen Kampf.
Auch
später kam er mehrmals in seinen Briefen an Frau von
Chantal auf Scupolis Abhandlung zu sprechen. In
einem ergreifenden Brief über den Tod seiner eigenen
Schwester, die mit 14 Jahren verstorben war,
beschwor er die Adressatin, alles in großer Geduld
der Vorsehung Gottes zu überlassen. Als probates
Mittel dazu kam ihm wiederum Scupolis Werk in den
Sinn: „Wir wollen aber jede Woche einmal eine
besondere Übung machen, den Willen Gottes noch
kraftvoller, ja ich gehe noch weiter, zärtlicher und
liebevoller wie nichts sonst in der Welt zu wollen
und zu lieben; und das nicht nur bei erträglichen
Anlässen, sondern bei den unerträglichsten. Sie
finden irgend etwas darüber in dem Buch vom
Geistlichen Kampf, das ich Ihnen so oft
empfohlen habe" (2. November 1607).
Was der
Heilige empfiehlt, hat er natürlich zuvor selbst
geprüft und angewandt. Wir müssen annehmen — nach
allem, was darüber bekannt ist —, daß der
Geistliche Kampf den hl. Franz von Sales auf
seinem eigenen Weg zur Heiligkeit geprägt und
geführt hat, wie sonst kaum ein Buch. In einem Brief
vom 24. Juli 1607 an Johanna Franziska von Chantal
findet sich dieses erstaunliche Bekenntnis: „Meine
liebe Tochter, lesen Sie das 28. Kapitel des
Geistlichen Kampfes, dieses mir so teuren
Buches, das ich seit etwa 18 Jahren in meiner Tasche
bei mir trage und niemals ohne Gewinn wieder lese.
Halten Sie an dem fest, was ich Ihnen gesagt habe."
In einem
Brief, den er ein paar Monate später (24. Januar
1608) an dieselbe Adressatin richtete, waren es in
der Erinnerung des hl. Franz von Sales zwar nur noch
15 Jahre: „Ja, meine Tochter, der Geistliche
Kampf 'ist ein großartiges Buch. Seit 15 Jahren
trage ich es ständig in meiner Tasche mit mir herum
und ich lese niemals darin, ohne daß ich Nutzen
daraus ziehe." Doch einiges spricht für die
Richtigkeit der ersten Zeitangabe. Denn 18 Jahre vor
Abfassung dieser Briefe befand sich der Heilige in
Padua, wo er von 1589-1591 an der dortigen
Hochschule Rechtswissenschaften studierte, und es
sei in Padua gewesen, so berichtet uns Jean-Pierre
Camus, wo der hl. Franz von Sales den Geistlichen
Kampf kennengelernt habe. Camus war Bischof von
Belley, der Nachbardiözese von Genf, und
Zeitgenosse, Freund und geistlicher Sohn des hl.
Franz von Sales. Dieser habe ihm folgendes erzählt:
„Als ich in Padua studierte, lehrte mich ein
Theatiner das Buch kennen und empfahl es mir zum
Gebrauche; ich habe seinen Rat befolgt und mich wohl
dabei befunden. Es ist von einem heiligmäßigen
Ordensmann dieser berühmten Kongregation verfaßt,
der seinen Namen nicht bekannt machte, sondern das
Buch mit bloßer Angabe seines Instituts
veröffentlichte."
Ob es im
Jahre 1608 nun 15 oder gar 18 Jahre waren, seit der
Heilige den Geistlichen Kampf in seiner
Tasche trug — so oder so spricht die Tatsache für
sich. Nicht jedermanns Taschen sind schließlich groß
genug, um gute Bücher zu fassen. Und unter den
zahlreichen geistlichen Werken schien es unserem
Heiligen ausgerechnet Scupolis Abhandlung wert zu
sein, daß er sie jahrzehntelang in der Tasche trug
-und unentwegt in ihr las. Sein erster Biograph L.
de la Riviere berichtet von dem Vorsatz des hl.
Franz von Sales, einmal pro Monat den Geistlichen
Kampf ganz durchzulesen, und da die (zweite)
Ausgabe von 1589, die er besaß, erst 33 Kapitel
enthielt, ergab dies pro Tag etwa ein Kapitel. Camus
seinerseits bestätigt, der Bischof von Genf habe
fast täglich ein Kapitel daraus gelesen.
Welch
herausragende Bedeutung Scupolis Büchlein im Leben
des Heiligen spielte, belegt auch folgendes Zeugnis.
Camus fragte einmal seinen Mitbischof, wer denn
eigentlich sein Seelenführer sei. Da zog der hl.
Franz von Sales den Geistlichen Kampf aus der
Tasche und sagte: „Dieser ist's, der mich seit
meiner Jugend, nebst Gott, in den Übungen des
inneren Lebens unterwiesen und belehrt hat."
Offensichtlich geschah es also aus tiefer
Überzeugung und eigener jahrelanger Erprobung, wenn
der Heilige seinen Beichtkindern (sowohl den
gottgeweihten als auch den eifrigen Christen in der
Welt) den Geistlichen Kampf unablässig
empfahl. Zum Beispiel Madame Brulart (2. November
1607): „Die 'Methode', die 'Vollkommenheit' und die
'Perle' sind reichlich dunkle Bücher, die auf dem
Gebirgsgrat dahingehen; man soll kaum bei ihnen
verweilen. Lesen Sie immer wieder den Geistlichen
Kampf, das soll Ihr Lieblingsbuch sein, es ist
klar und ganz durchführbar." Gut vier Jahre später
(11. Februar 1612) weiß der hl. Franz von Sales noch
immer keinen besseren Rat: „Lesen Sie wieder den
Geistlichen Kampf und richten Sie Ihr besonderes
Augenmerk auf die darin enthaltenen Dokumente, es
wird Ihnen sehr von Nutzen sein."
Dieser Rat
des weisen Seelenführers möge auch dem Leser der
vorliegenden Neuausgabe zu Herzen gehen.
Dem
allerhöchsten König und siegreichsten Herrn Jesus
Christus, dem Sohne Mariens
Da dir
alle Gaben und Opfer, wenn sie von uns sterblichen
Menschen mit lauterem Herzen zu deiner Ehre
angeboten werden, allezeit wohlgefällig waren und
noch immer sind, so überreiche und weihe ich deiner
göttlichen Majestät diese kleine Abhandlung über den
„geistlichen Kampf". Daß diese Schrift nur
unbedeutend ist, hält mich nicht davon ab, sie zu
veröffentlichen, denn bekanntlich bist du der
erhabene Herr allein, der sich an Geringem erfreut,
Hochmut und Anmaßung der Welt aber verachtet.
Ja, wie
hätte ich sie auch, ohne mir Tadel und Nachteil
zuzuziehen, einem anderen als deiner Majestät, dem
König des Himmels und der Erde, widmen können? Was
diese kurze Abhandlung vorträgt, ist deine Lehre, in
der du uns selbst unterwiesen hast: „Uns zu
mißtrauen, auf dich aber zu vertrauen und zu kämpfen
und zu beten!"
Ist schon
bei jedem Kampfe ein erfahrener Führer notwendig,
der die Schlacht leitet und die Krieger begeistert,
damit sie umso mutiger kämpfen, wenn sie unter einem
unbesiegbaren Anführer streiten, sollte da nicht
auch der „geistliche Kampf" eines Führers bedürfen?
Darum erwählen wir alle, die wir zum Kampfe und zum
Sieg über jeden Feind entschlossen sind, dich, Jesus
Christus, zu unserem Heerführer. Denn du hast die
Welt und den Fürsten der Finsternis überwunden und
mit deinen Wunden und dem Tod deines hochheiligen
Leibes die Schwachheit des Fleisches aller jener
besiegt, die opfermutig kämpfen und noch kämpfen
werden.
Als ich
diesen „Kampf" verfaßte, hatte ich beständig das
Schriftwort vor Augen: „Nicht als ob wir fähig
wären, aus eigener Kraft etwas auszudenken" (2 Kor
3, 5). Können wir nicht einmal ohne dich und ohne
deinen Beistand einen guten Gedanken fassen, wie
sollten wir dann allein wider so übermächtige Feinde
kämpfen und ihren unzähligen und versteckten
Fallstricken entgehen?
Dein ist
daher, o Herr, in jeder Hinsicht dieser „Kampf";
denn dein ist die Lehre, und dein sind all die
geistlichen Kämpfer, zu denen auch wir regulierte
Kleriker des Theatinerordens gehören. Und wir alle
bitten dich, niedergeworfen zu den Füßen deiner
allerhöchsten Majestät, diesen „Kampf" anzunehmen
und uns mit deiner wirksamen Gnade allzeit
anzuspornen und zu ermutigen, damit wir immer
hochherziger kämpfen, da wir nicht im geringsten
daran zweifeln, daß wir zu deiner Ehre und zur Ehre
deiner heiligsten Mutter, der allerseligsten
Jungfrau Maria, siegen werden, wenn du in uns
kämpfst.
Dein
geringster, mit deinem heiligsten Blut erkaufter
Diener
Lorenzo
Scupoli, Reg. Kleriker
1. Vom
Wesen der christlichen Vollkommenheit
Um die
christliche Vollkommenheit zu erringen, muß man
kämpfen, wozu vier Dinge erforderlich sind.
Willst du,
in Christus geliebte Seele, zum Gipfel der wahren
Vollkommenheit aufsteigen und durch die Vereinigung
mit Gott eins und eines Geistes mit ihm werden —
etwas Erhabeneres, Besseres und Vorzüglicheres läßt
sich nicht ausdenken —, dann mußt du vor allem
wissen, worin das wahre und vollkommene geistliche
Leben besteht.
Ohne
reiflich darüber nachgedacht zu haben, glauben
viele, daß die Vollkommenheit in einer strengen
Lebensweise bestehe, in der Abtötung der
Sinnlichkeit, in Geißelungen und Bußübungen, in
Fasten, langen Nachtwachen und anderen körperlichen
Bußwerken.
Andere,
und namentlich Frauen, meinen, einen hohen Grad der
Vollkommenheit erreicht zu haben, wenn sie viele
mündliche Gebete verrichten, oft der heiligen Messe
und dem Gottesdienst beiwohnen, häufig die Kirche
besuchen und die heiligen Sakramente empfangen.
Wieder
andere, und unter diesen hie und da auch
Ordenspersonen, reden sich ein, daß die
Vollkommenheit hauptsächlich vom eifrigen Besuch des
Chorgebetes, dem Stillschweigen, der
Zurückgezogenheit und einer genauen Beobachtung der
Regel abhänge.
Auf diese
Weise verlegen die einen die Vollkommenheit in
diese, andere wieder in jene äußere Übung. Aber so
verhält sich die Sache denn doch nicht! Wohl sind
die angeführten Werke mitunter Mittel zur Erlangung
der wahren Vollkommenheit und bisweilen auch
Auswirkungen und Früchte einer bereits erworbenen
Vollkommenheit. Dennoch darf man nie behaupten, daß
in ihnen allein der wahre Geist der Vollkommenheit
bestehe.
Ohne
Zweifel sind sie für diejenigen, die sie recht zu
gebrauchen wissen, äußerst wirksame Mittel, um sich
den wahren Geist anzueignen, durch den sie Kraft und
Stärke gegen ihre eigene Bosheit und Schwäche
erlangen, gegen die Anfechtungen und Nachstellungen
des höllischen Feindes gesichert werden und
schließlich in den Besitz jener geistlichen
Hilfsmittel gelangen, die allen Dienern Gottes und
insbesondere den Unerfahrenen im geistlichen Kampfe
so notwendig sind.
Bei
wahrhaft geistlichen Personen sind sie in der Tat
Auswirkungen und Früchte einer schon erworbenen
Seelenhaltung. Eben weil ihr Leib Gott beleidigte,
züchtigen sie ihn, um ihn in Unterwürfigkeit und
Bereitwilligkeit für den Dienst Gottes zu halten. Um
auch die geringste Gelegenheit zur Sünde zu meiden,
verbringen sie ihr Leben in Einsamkeit und
Stillschweigen und widmen sich dem göttlichen Dienst
und den Werken der Frömmigkeit, damit sie des
himmlischen Umganges teilhaftig werden. So beten sie
und betrachten das Leiden Jesu Christi nicht aus
Neugierde oder um eines fühlbaren Trostes willen,
sondern um ihre eigene Bosheit und Verkehrtheit,
sowie Gottes Güte und Milde immer besser
kennenzulernen. Besonders aber auch, um in sich die
Liebe zu Gott und den Abscheu gegen sich selbst
immer stärker zu entflammen, indem sie in
Selbstverleugnung dem Gottessohne das Kreuz ständig
nachtragen. Und um der größeren Ehre und
Verherrlichung des Herrn willen nahen sie sich
oftmals den heiligen Sakramenten, um sich dadurch
inniger mit ihm zu vereinen und um neue und
wirksamere Kräfte wider die Feinde auf dem
geistlichen Wege zu erlangen.
Jenen
aber, welche die vorgenannten äußeren Werke zur
alleinigen Grundlage ihrer Vollkommenheit machen,
können diese oft mehr als selbst wirkliche Sünden
eine Ursache zum Falle sein; nicht deshalb, weil
diese Übungen etwa nicht gut wären, sondern ihrer
fehlerhaften Einstellung wegen. Einzig auf derartige
Äußerlichkeiten bedacht, vernachlässigen sie ihr
Inneres und überlassen ihr Herz ganz seinen
ungeordneten Neigungen und dem Einfluß des
hinterlistigen bösen Feindes. Bei der Wahrnehmung,
daß sie bereits vom rechten Weg der Vollkommenheit
abgewichen sind, läßt der Feind sie nicht nur mit
innerem Wohlgefallen in der erwähnten Übung
fortfahren, sondern auch an derselben ein solches
Ergötzen finden, daß sie schon die Wonne des
Paradieses zu genießen glauben und meinen, sie seien
bereits unter die Chöre der Engel versetzt und Gott
rede vertraulich mit ihnen. Deshalb sind sie
vielfach von so hochfahrenden Gedanken und Gefühlen
derartig eingenommen, daß sie wähnen, sie wären
aller Welt und Kreatur entledigt und bis in den
dritten Himmel entrückt.
In welch
großem Irrtum aber solche Menschen gefangen und
wieweit sie noch von der wahren Vollkommenheit, nach
der wir streben, entfernt sind, läßt sich ihrem
Leben und Benehmen gut entnehmen. In allen großen
wie kleinen Dingen wollen sie vorgezogen werden und
allen vorangehen. Sie sind eigensinnig und ganz
versessen auf ihre Meinung, und während sie für ihre
eigenen Fehler kein Auge haben, beobachten sie den
Nächsten aufs schärfste und werfen sich über alle
seine Worte und Handlungen zum Richter auf.
Wenn du
ihnen auch nur im geringsten in ihrer hohen Meinung,
die sie von sich haben und in der sie bei anderen zu
stehen wünschen, zu nahe trittst und versuchst, sie
von ihren gewohnheitsmäßig und oberflächlich
verrichteten Andachtsübungen abzubringen, so geraten
sie gleich in Aufregung und heftigen Zorn.
Sucht sie
nun Gott gar mit Trübsal, Schmerz und Krankheit heim
und läßt sie einmal unter Verfolgungen leiden — was
ja niemals ohne seinen Willen geschieht und womit er
seine Getreuen prüft, um sie zur wahren
Selbsterkenntnis und auf den rechten Weg der
Vollkommenheit zu führen —, dann offenbaren sich
schnell ihre verkehrten Grundsätze und ihr vom
Hochmut verdorbenes Herz. Bei keinem Vorkommnis, mag
es günstig oder ungünstig für sie sein, wollen sie
sich in Demut und Ergebenheit unter Gottes mächtige
Hand und unter seine allzeit gerechten, wenn auch
verborgenen Ratschlüsse beugen. Ebensowenig wollen
sie sich nach dem Beispiel des überaus demütigen und
sanftmütigen Gottessohnes einem Geschöpf unterwerfen
und ihre Verfolger und Feinde, die doch nur
Werkzeuge der Barmherzigkeit Gottes und Helfer zu
ihrer Vervollkommnung und ihrem Heile sind, wie
willkommene Freunde lieben.
Darum
schweben auch solche Seelen sichtlich in großer
Gefahr. Da ihr inneres Auge, womit sie sich und ihre
äußeren, scheinbar guten Werke betrachten,
verdunkelt ist, erröten sie nicht, sich einen hohen
Grad der Vollkommenheit zuzuschreiben. Auf diese
Weise werden sie durch ihre ungemein große
Einbildung noch hochfahrender und verfallen leicht
darauf, andere zu verurteilen und zu verachten, so
daß sie nichts davon befreien kann als Gottes
außerordentliche Gnadenhilfe. Viel leichter ist es
nämlich, einen offenkundigen Sünder auf den Weg der
Wahrheit zurückzuführen, als einen geheimen Sünder,
der im Gewand eingebildeter Tugenden daherkommt. Aus
dem Gesagten kannst du klar und deutlich erkennen,
daß in keinem der angeführten Werke das wahre und
vollkommene geistliche Leben besteht.
Sei
überzeugt: Die wahre Vollkommenheit besteht in
nichts anderem als in der Erkenntnis der Größe und
Güte Gottes, wie auch in der Erkenntnis unserer
eigenen Nichtigkeit und unserer Hinneigung zum
Bösen; in der Liebe zu Gott und dem Haß gegen uns
selbst; in bereitwilliger Unterwürfigkeit nicht
allein Gott gegenüber, sondern auch gegen jedes
Geschöpf; im gänzlichen Verzicht auf unseren eigenen
Willen und der völligen Hingabe in den Willen
Gottes, und zwar so, daß der alleinige Beweggrund
all unseres Wollens und Handelns einzig Gottes Ehre,
seine Verherrlichung und sein Wohlgefallen sein
darf, weil er es so will und weil er es verdient,
daß er von allen Geschöpfen geliebt werde.
Das ist
das Gesetz der Liebe, das von Gottes Hand in das
Herz seiner getreuen Diener geschrieben ist.
Das ist
die Selbstverleugnung, die er von uns fordert.
Das ist
sein „süßes Joch" und seine „leichte Bürde".
Das ist
jener Gehorsam, zu welchem unser Erlöser und Meister
uns durch sein Wort und Beispiel ruft. -
Da du nun
einmal nach einer so hohen Vollkommenheit strebst,
mußt du dir auch beständig Gewalt antun, um alle
deine Begierden und Wünsche, mögen sie groß oder
klein sein, hochherzig niederzuzwingen und
vollkommen abzutöten, wie es auch unerläßlich ist,
daß du dich zu diesem geistlichen Kampfe rüstest und
vorbereitest, denn nur dem tapferen Kämpfer wird die
Krone des Sieges zuteil werden.
Da wir in
diesem Kampfe gegen uns selbst streiten und zu
gleicher Zeit auch von uns selbst bekämpft werden,
ist derselbe schwieriger als jeder andere, wie auch
der errungene Sieg ruhmreicher und Gott
wohlgefälliger ist als jeder andere Sieg.
Verlegst
du dich mit allem Eifer darauf, die ungeordneten
Neigungen deines Herzens und auch die kleinste
widerspenstige Leidenschaft zu ertöten und zu
zertreten, so erweisest du Gott einen größeren und
wohlgefälligeren Dienst, als wenn du dich bis aufs
Blut geißeln und durch strenge Fasten und
Enthaltsamkeit die alten Einsiedler und Mönche
übertreffen oder Tausende von Seelen zu Gott
bekehren würdest, dabei aber einige ungeregelte
Neigungen freiwillig in dir unterhalten würdest.
Freilich
ist die Bekehrung der Seelen an sich Gott lieber als
die Bekämpfung irgendeiner Begierde.
Nichtsdestoweniger darfst du nicht das wollen und
ausführen, was erhabener und vorzüglicher ist,
sondern das, was Gott in erster Linie fordert und
will. Zweifellos verlangt und wünscht er von dir
zuerst, daß du den Kampf aufnimmst und auf die
Überwindung deiner Leidenschaften bedacht bist, als
daß du bei irgendeiner freiwilligen, ungeordneten
Neigung große und erhabene Werke vollbringst.
Christliche Seele! Nun kennst du das Wesen der
christlichen Vollkommenheit und weißt, daß du zu
ihrer Erlangung einen ununterbrochenen und
hartnäckigen Kampf gegen dich beginnen mußt; darum
ist es auch notwendig, daß du dich mit brauchbaren
Waffen versiehst, die in diesem geistlichen Kampfe
zum Siege unentbehrlich sind.
Dieselben
sind folgende: Das Mißtrauen gegen dich selbst, das
Vertrauen auf Gott, die Tugendübung und das Gebet.
Mit Gottes
Hilfe wollen wir uns in den folgenden Kapiteln mit
diesen beschäftigen.
2. Vom
Mißtrauen gegen sich selbst
In diesem
geistlichen Kampfe ist dir das Mißtrauen gegen dich
selbst so notwendig, daß du ohne dasselbe — und
davon sei fest überzeugt — nicht nur den erwünschten
Sieg nicht zu erringen, sondern auch nicht einmal
die geringste deiner Leidenschaften zu überwinden
imstande bist.
Beherzige
das wohl und vergiß es nie!
Infolge
unserer verdorbenen Natur sind wir gar leicht
geneigt, eine zu hohe Meinung von uns selbst zu
haben. Obwohl wir an sich doch nur ein Nichts sind,
reden wir uns ein, wir seien doch etwas, und
überschätzen deshalb ohne jeglichen Grund unsere
eigenen Kräfte und bauen vermessentlich auf uns
selbst.
Dieser
Fehler, den wir nur schwer erkennen, mißfällt Gott
sehr, weil er von uns die aufrichtige Überzeugung
von jener untrüglichen Wahrheit wünscht, daß jede
Gnade und Tugend von ihm als dem Urquell alles Guten
herrührt und daß von uns selbst nicht einmal ein
guter Gedanke stammen kann, der ihm wohlgefällig
wäre (vgl. 2 Kor 3, 5).
Ebenso ist
auch dieses so notwendige Mißtrauen gegen uns selbst
gleichfalls ein Werk seiner göttlichen Hand, die
Gott seinen geliebten Freunden bald mittels
heiliger, innerer Erleuchtungen, bald mittels harter
Schicksalsschläge, bald in heftigen und fast
unüberwindbaren Anfechtungen und bald in anderen,
von uns nicht wahrnehmbaren Mitteln zu reichen
pflegt. Nichtsdestoweniger will aber Gott, daß auch
wir nach besten Kräften mitwirken.
Aus diesem
Grunde biete ich dir im folgenden vier Mittel, mit
welchen du dir ein solches Mißtrauen mit Gottes
Hilfe aneignen kannst.
Das erste Mittel
besteht
darin, daß du dich durch eifriges Betrachten zu der
festen Überzeugung von deiner Armseligkeit und
deinem Unvermögen durchringst, wie du aus dir selbst
überhaupt nichts Gutes auszuführen imstande bist,
wodurch du dir den Himmel verdienen könntest.
Das zweite
ist, daß du durch häufiges, inbrünstiges und
demütiges Gebet ein solches Mißtrauen erflehst; denn
es ist ja eine Gottesgabe. Um aber dieses Mißtrauen
zu erlangen, mußt du selbst davon überzeugt sein,
daß es dir gänzlich fehlt, und daß du dasselbe aus
eigener Kraft nicht zu erlangen vermagst.
Deshalb
nahe dich oftmals der göttlichen Majestät im
Vertrauen, Gott werde es dir in seiner Güte gewiß
geben, und erwarte mit Zuversicht die Stunde, welche
die göttliche Vorsehung dafür bestimmt hat;
zweifellos wirst du es erhalten!
Das dritte Mittel
besteht
darin, daß du dich daran gewöhnst, dich selbst und
dein eigenes Urteil zu fürchten, besonders deine
starke Neigung zur Sünde und deine unzähligen
Feinde, denen du aus dir allein nicht den geringsten
Widerstand entgegensetzen kannst. Außerdem mußt du
auch die lange Erfahrung deiner Kampfesgegner, ihre
Kriegslist, mit der sie sich in Engel des Lichtes
verwandeln, und ihre ungezählten Kunstgriffe und
Fallstricke kennen, die sie uns heimlicherweise auf
dem Wege der Vollkommenheit legen.
Das vierte Mittel
endlich
ist, daß du dich noch stärker und nachhaltiger von
deiner großen Schwäche überzeugen läßt, wenn du
bisweilen in einen Fehler fällst. Darum ließ Gott
deinen Fall zu, damit du, durch denselben innerlich
gewarnt und noch mehr erleuchtet, dich als ein
armseliges Geschöpf einzuschätzen und verachten
lernst und wünschst, auch von anderen ebenso
eingeschätzt zu werden. Ohne eine derartige
Gesinnung gibt es kein wahres Mißtrauen gegen sich
selbst, weil es sich eben nur auf wahre Demut und
praktische Selbsterkenntnis gründet.
Es ist
daher klar, daß einem jeden, der sich mit dem
göttlichen Lichte und der unerschaffenen Wahrheit
vereinen will, Selbsterkenntnis vonnöten ist.
Nicht
selten verleiht Gott sie den Stolzen und Vermessenen
auf dem Wege einer Niederlage, indem er sie in
Fehler fallen läßt, vor denen sie sich sicher
fühlten, damit sie sich auf diese Weise kennen und
mißtrauen lernen.
Dieses
empfindlichen Mittels bedient sich aber Gott nur
dann, wenn die anderen, milderen, von denen im
vorigen die Rede war, versagen und den von seiner
Güte beabsichtigten Erfolg nicht zeitigen. Gottes
Güte läßt den Menschen nämlich mehr oder weniger
tief fallen, je nachdem sein Stolz oder seine
Einbildung größer oder geringer sind, so daß kein
Fall eintritt, wo gar keine Selbstüberhebung
vorhanden ist, wie dies bei der allerheiligsten
Jungfrau Maria zutraf.
Fällst du
also in irgendeinen Fehler, so geh in demütiger
Selbsterkenntnis in dich und flehe inständig zum
Herrn, daß er dir in seiner Barmherzigkeit das Licht
einer echten Selbsterkenntnis und ein wahres
Mißtrauen wider dich selbst schenke, wenn du nicht
aufs neue und nicht noch tiefer fallen willst.
3. Vom
Gottvertrauen
Obschon,
wie gesagt, das Mißtrauen gegen sich selbst in
diesem Kampfe sehr notwendig ist, so würden wir
dennoch, wenn wir nur damit allein ausgerüstet
wären, entweder die Flucht ergreifen oder von den
Feinden völlig besiegt und überwunden werden.
Deshalb bedarfst du außerdem eines rückhaltlosen
Gottvertrauens, indem du nur von Gott allein alles
Gute, Beistand und Sieg erhoffst und erwartest.
Gleichwie
wir von uns selbst, da wir nichts sind, nur
Niederlagen zu fürchten haben und deshalb uns ganz
und gar mißtrauen müssen, so dürfen wir dagegen von
Gott zuversichtlich jeden Sieg erhoffen, sofern wir,
um seines Beistandes sicher zu sein, unser Herz mit
einem lebendigen Vertrauen auf ihn stärken. Dieses
Gottvertrauen können wir uns ebenfalls auf eine
vierfache Art zu eigen machen.
Erstens
müssen wir
Gott inständig darum bitten.
Zweitens
sollen wir
Gottes Allmacht und unendliche Weisheit mit den
Augen des Glaubens betrachten. Gott ist nichts
unmöglich oder zu schwer. Und da seine Güte kein Maß
kennt, so ist er mit unaussprechlichem Verlangen
stets bereit, uns zu jeder Stunde und in jedem
Augenblick mit allem zu beschenken, dessen wir zum
geistlichen Kampfe und zu einem völligen Siege über
uns selbst bedürfen, wenn wir uns nur vertrauensvoll
in seine Arme flüchten. Wie wäre es möglich, daß
unser göttlicher Hirt, der dem verirrten Schäflein
dreiunddreißig Jahre nachging, seine Stimme heiser
rief und der rauhen und dornenvollen Wege nicht
achtete, so daß er sein ganzes Blut vergoß und sein
Leben ließ, dasselbe Schäflein verlassen könnte, das
ihm nun durch Beobachtung seiner Gebote folgen will
oder wenigstens ein wenn auch bisweilen schwaches
Verlangen danach trägt, und das inständig bittet und
fleht, er möge das Auge seines Erbarmens nicht von
ihm abwenden? Wäre es möglich, daß er es jetzt nicht
mehr erhören wollte, daß der gute Hirt es nicht auf
seine Schultern nähme und sich nicht mit seinen
Nachbarn, den Heiligen und Engeln im Himmel,
erfreute? Wenn unser Herr kein Mittel, keine Sorge
und Mühe scheute, um die Drachme des Evangeliums,
den blinden und stummen Sünder, auffinden zu können,
ist es da denkbar, daß er ihn jetzt im Stiche ließe,
da derselbe gleich einem Schäflein nach seinem
Hirten ruft und klagt?
Wer sollte
je glauben, daß Gott, der mit Sehnsucht ständig an
des Menschen Herz pocht, um bei ihm Einkehr und Mahl
zu halten und ihm seine Gnade zu schenken, sich nun
taub stellte und sich weigerte einzukehren, wo das
Herz einladend offensteht?
Die dritte Art,
um Gottvertrauen zu erlangen, besteht darin, daß wir
uns die Wahrheit der Heiligen Schrift ins Gedächtnis
rufen, die an so vielen Stellen uns ganz klar und
deutlich beweist, daß niemand zuschanden wird, der
auf Gott vertraut.
Die vierte Art,
wie du Mißtrauen gegen dich selbst und dabei
Gottvertrauen erlangen kannst, ist folgende:
Stehst du
vor irgendeinem Unternehmen, vor einem Kampfe oder
einer Gelegenheit zur Selbstüberwindung, so erinnere
dich, bevor du dich entschließt und handelst, deiner
Schwäche und wende dich, mißtrauisch gegen dich
selbst, an Gottes Macht, Weisheit und Güte. Erst
dann fasse vertrauensvoll den Entschluß,
unerschrocken zu handeln und zu kämpfen, und,
ausgerüstet mit diesen Waffen und mit Gebet (von
welchem später die Rede sein wird), geh' ans Werk
und in den Kampf.
Hältst du
dich aber nicht an diese Regel, so mag es dir wohl
vorkommen, als hättest du alles im Vertrauen auf
Gott ausgeführt. Dennoch befindest du dich in einem
großen Irrtum. Das Selbstvertrauen ist nämlich
natürlich und menschlich und schleicht sich allzu
gerne in unsere Handlungen ein, so daß es im
Vertrauen, das wir auf Gott setzen, heimlicherweise
beständig weiterlebt.
Um dieser
Selbstüberhebung soviel als möglich zu entgehen und
einerseits mit Mißtrauen wider sich selbst und
anderseits mit Vertrauen auf Gott zu handeln, muß
die Betrachtung deiner Schwäche der Betrachtung der
Allmacht Gottes und beide Erwägungen dann zugleich
deinen Handlungen vorausgehen.
4.
Kennzeichen des Misstrauens gegen sich selbst und
des Vertrauens auf Gott
Vielfach
glaubt auch ein Vermessener, daß er Mißtrauen gegen
sich selbst und Vertrauen auf Gott besitze; und
dennoch ist dem nicht so.
Am besten
wirst du dies aus den Wirkungen, die deine Sünden
und Fehltritte hervorrufen, erkennen können.
Wirst du
nämlich nach einem Fehltritte unruhig und traurig,
daß du schier der Verzweiflung anheimfällst und fast
alle Hoffnung auf einen Fortschritt im Guten
verlierst, dann ist dies ein untrügliches Zeichen
dafür, daß du mehr auf dich selbst als auf Gott
vertraut hast. Und je größer deine Betrübnis und
deine Niedergeschlagenheit sind, umso größer war
auch dein Vertrauen auf dich selbst und umso kleiner
auch das Vertrauen auf Gott.
Wer nicht
auf sich selbst, sondern auf Gott allein sein
Vertrauen gründet, der wundert sich gar nicht über
einen Fehltritt und wird auch nicht traurig und
vergrämt, eben weil er weiß, daß er aus Schwäche und
Mangel an Gottvertrauen gefallen ist. Nun, noch
mißtrauischer als zuvor, demütigt er sich und setzt
ein noch größeres Vertrauen auf Gott. Und bei allem
Haß gegen die Sünde und die ungeordneten
Leidenschaften, in denen er die Ursache seines
Straucheins erblickt, empfindet er einen tiefen,
aber gelassenen Reueschmerz über die Beleidigung
Gottes und setzt unbeirrt seinen Weg fort, indem er
mit mehr Mut und Entschiedenheit seine Feinde bis in
den Tod bekämpft.
Wollte
Gott, daß sich manche, die ein geistliches Leben
führen wollen, dies mehr zu Herzen nähmen!
Fallen sie
nämlich einmal in einen Fehler, so ist es um ihre
Ruhe geschehen, die sie nimmer wiederfinden können
noch wollen. Kaum vermögen sie die Stunde zu
erwarten, wo sie ihren Beichtvater sprechen dürfen,
mehr um ihre Angst und Unruhe, die ihrer Eigenliebe
entspringen, loszuwerden, als aus einem anderen
Beweggrund. Und doch sollten sie vorzüglich nur
darum zu ihm hingehen, um sich durch Lossprechung
vom Makel der Sünde zu reinigen und aus der heiligen
Eucharistie neue Kraft zu schöpfen.
5. Von
dem Irrtum vieler, die den Kleinmut als eine Tugend
ansehen
Gar viele
täuschen sich auch darin, daß sie den Kleinmut und
die Unruhe, welche der Sünde folgen, als eine Tugend
ansehen, zumal dieselben mit einem gewissen
Unbehagen verbunden sind.
Sie sehen
nicht ein, daß diese Unruhe nur einem geheimen Stolz
entspringt, der sich auf ihrem vermessentlichen
Selbstvertrauen gründet, womit sie sich allzusehr
auf ihre eigenen Kräfte verließen.
Beim
Anblick ihres Falles und der Erkenntnis, daß ihre
Kräfte dennoch versagten, verlieren sie ihre ganze
Ruhe. Sie verwundern sich wie über etwas ganz Neues
und verfallen dem Kleinmut, weil ihre Stütze, auf
die sie törichterweise so fest bauten,
zusammengebrochen ist.
Einem
Demütigen aber, der auf Gott allein sein ganzes
Vertrauen setzt, kann ein Straucheln gar nichts
anhaben. Trotz seines tiefen Reueschmerzes bleibt er
ruhig. Ebenso verwundert er sich auch gar nicht
darüber; denn er weiß wohl, daß ihm das alles nur
infolge seiner eigenen Armseligkeit und
Gebrechlichkeit zustieß, wie er ja auch alles im
klaren Licht der Wahrheit betrachtet.
6.
Weitere Mittel zur Erlangung des Mißtrauens gegen
sich selbst und des Vertrauens auf Gott
Da alle
Kraft zur Überwindung unserer Feinde aus dem
Mißtrauen gegen uns selbst und aus dem Vertrauen auf
Gott stammt, will ich dir noch einige Mittel an die
Hand geben, damit du diese Tugenden mit Gottes Hilfe
erlangen kannst.
Wisse und
sei von der unumstößlichen Wahrheit gänzlich
überzeugt, daß weder alle unsere Fähigkeiten — seien
es angeborene oder erworbene — noch alle
Gnadengaben, noch die Kenntnis der ganzen Heiligen
Schrift, noch eine vieljährige Treue und Gewohnheit
im Dienste Gottes uns befähigen, den göttlichen
Willen zu erfüllen, wenn nicht bei jedem guten und
Gott genehmen Werke, das wir verrichten sollen, bei
jeder Versuchung, die wir überwinden müssen, und bei
jedem Kreuz, das wir zu tragen haben, durch Gottes
besonderen Beistand unser Herz unterstützt und
aufgerichtet wird und Gott uns nicht seine Hand zum
Handeln reicht.
Diese
Wahrheit müssen wir uns unser ganzes Leben hindurch,
jeden Tag und jeden Augenblick vor Augen halten,
damit wir auf diese Weise niemals, auch nicht einmal
in Gedanken, auf uns selbst vertrauen.
Hinsichtlich des Vertrauens auf Gott wisse, daß es
dem allmächtigen Gott stets ein leichtes ist, alle
Feinde zu überwinden; mögen es ihrer nun viele oder
wenige, alte und erprobte oder neue und unerfahrene
sein.
Mag daher
eine Seele noch so sehr mit Sünden belastet sein;
mag sie auch die Fehler der ganzen Welt an sich
tragen; mag sie noch so verunstaltet sein, daß man
es nicht zu schildern vermag; mag sie sich noch so
sehr bemüht haben, die Sünde auszurotten und das
Gute zu tun und trotzdem nichts erreicht haben und
sich sogar noch stärker zum Bösen hingezogen fühlen:
Dennoch darf sie das Gottvertrauen nicht sinken
lassen und die Waffen nicht strecken, noch die
geistlichen Übungen aufgeben, sondern sie muß
hochherzig weiter kämpfen. Denn sie muß bedenken,
daß der in diesem geistlichen Kampfe nicht
unterliegt, welcher im Kampfe nicht nachläßt und
beständig sein Vertrauen auf Gott setzt. Gott läßt
es zwar mitunter zu, daß seine Kämpfer verwundet
werden, aber er versagt ihnen niemals seine Hilfe.
Darauf
kommt alles an, daß man im Kampfe ausharrt. Den
Kämpfern, die Gott und seine Hilfe suchen, stehen ja
die Hilfsmittel zur Verfügung, und gerade dann, wenn
sie es am wenigsten vermuten, liegen die Feinde
bereits überwunden am Boden.
7. Von der
Tugendübung und zwar zunächst der des Verstandes,
den man vor Unwissenheit und Vorwitz bewahren soll
Wie
notwendig in diesem geistlichen Kampfe das Mißtrauen
gegen sich selbst und das Vertrauen auf Gott auch
sein mögen, so würden wir dennoch, falls wir diese
allein besäßen, nicht nur keinen Sieg über uns
selbst davontragen, sondern dazu noch in viele
Fehler fallen. Deshalb ist uns das dritte Mittel,
das wir oben angegeben haben, vonnöten, nämlich die
entsprechende Tugendübung.
Vor allem
aber müssen unser Verstand und unser Wille
ertüchtigt werden. Was den Verstand angeht, so muß
er vor zwei Feinden behütet werden, welche ihn zu
gefährden pflegen.
Der eine
Feind ist die Unwissenheit, die ihn verdunkelt und
die Erkenntnis der Wahrheit hindert, welche sein
eigentliches Ziel ist.
Durch
beständige Übung soll der Verstand erhellt und
geschärft werden, damit er unsere Bedürfnisse
erkenne und unterscheide, um die Seele von den
ungeordneten Leidenschaften zu reinigen und mit
heiligen Tugenden zu schmücken.
Dieses
Licht kann man auf zweifache Weise erlangen.
Zuerst
und vorzüglich durch Gebet, indem wir den Heiligen
Geist anflehen, damit er unser Herz erleuchte.
Dies wird
er immer tun, wenn wir Gott allein suchen und
bestrebt sind, seinen Willen zu erfüllen und in
allem unser eigenes Urteil dem unseres Seelenführers
unterwerfen.
Zweitens
durch tiefschürfende und ernste Betrachtung, damit
wir erkennen, inwieweit die Dinge dieser Welt gut
oder böse sind, und um sie nicht nach ihrem äußeren
Schein und der Meinung der Welt zu beurteilen,
sondern wie der Heilige Geist sie bewertet.
Stellen
wir diese Betrachtung auf die richtige Weise an, so
erkennen wir deutlich, daß alle jene Dinge, welche
die verblendete und verdorbene Welt liebt und sucht
und sich auf mannigfache Weise und durch die
verschiedensten Mittel zu verschaffen strebt, nur
Eitelkeit und Trug sind. Wir erkennen auch, daß die
Ehren und Freuden dieser Welt wie ein Traum
verfliegen und nur Geistesplagen erzeugen, daß
dagegen die Schmach und Beschimpfung, womit uns die
Welt verfolgt, wahren Ruhm und die Drangsale wahren
Frieden eintragen. Wir sehen ein, daß uns nichts
mehr veredelt und Gott ähnlicher macht, als seinen
Feinden zu verzeihen und ihnen Gutes zu erweisen,
und daß es köstlicher ist, die Welt zu verachten,
als sie zu beherrschen, daß es erhabener und
wertvoller ist, dem geringsten Geschöpfe zu
gehorchen, als über Könige und Kaiser zu gebieten.
Eine demütige Selbsterkenntnis steht weit höher als
die höchste Wissenschaft, und es ist lobenswürdiger,
die geringsten unserer Leidenschaften zu bezwingen
und zu ertöten, als Städte zu erobern, gewaltige
Heere mit der Waffe in der Hand zu besiegen, Wunder
zu wirken und selbst Tote zu erwecken.
8.
Warum wir die Dinge nicht richtig einschätzen und
wie wir zur rechten Erkenntnis gelangen können
Der Grund,
warum wir die obengenannten Dinge und viele andere
nicht richtig erkennen, liegt darin, daß wir uns
nach dem ersten Eindruck, den sie in uns erwecken,
entweder zur Liebe oder zur Abneigung bestimmen
lassen, wodurch unser Verstand beeinflußt wird und
infolgedessen über ihren wirklichen Wert nicht
richtig urteilt.
Darum sei
auf der Hut und halte deinen Willen von jeder
ungeordneten Neigung möglichst frei und unabhängig,
damit du einer derartigen Täuschung nicht zum Opfer
fällst. Begegnet dir irgendeine Sache, so prüfe sie
reiflich und besonnen und ohne Voreingenommenheit
mit dem Verstande, bevor du dich, je nachdem sie in
deinen natürlichen Neigungen Widerwillen oder
Vorliebe erweckt, für oder gegen sie beeinflussen
und bestimmen läßt.
Auf diese
Weise wird der Verstand von keiner Leidenschaft
verblendet und umgarnt. Er bleibt unabhängig und
ungetrübt, und so vermag er stets das Wahre zu
erkennen und sowohl das Böse, das sich hinter einer
trügerischen Lust verbirgt, wie auch das Gute, das
unter dem Schein des Bösen verdeckt ist, zu
entdecken.
Ist aber
der Wille bereits von vorneherein zur Liebe oder zur
Abneigung bestimmt oder entschlossen, so kann der
Verstand die Sache nicht mehr nach ihrem
eigentlichen Wert beurteilen, weil diese entstandene
Voreingenommenheit ihn derart verblendet, daß er sie
für etwas ganz anderes ansieht, als sie in
Wirklichkeit ist.
Durch
diese falsche Belichtung wird der Wille noch stärker
angetrieben, dieselbe wider alle Ordnung und jedes
Gesetz der Vernunft entweder zu lieben oder zu
verabscheuen.
Infolge
dieser stärkeren Willenseinstellung wird der
Verstand noch mehr verdunkelt, der dann die Sache
dem Willen umso liebenswürdiger oder
verabscheuungswürdiger erscheinen läßt.
Wird also
die eben angegebene Regel nicht beobachtet, die für
die ganze Tugendübung von größter Wichtigkeit ist,
dann bewegen sich die beiden so edlen und
hervorragenden Seelenkräfte, der Verstand und der
Wille, beständig in verkehrtem Kreislauf und geraten
infolgedessen in immer dichtere Finsternis und in
größere Irrtümer.
Hüte dich
also mit aller Sorgfalt vor jeglicher Anhänglichkeit
an irgendeine Sache, bevor du sie nicht mit der
Leuchte des Verstandes untersucht und nach ihrem
wahren Werte erkannt hast. Aber nicht allein mit der
Leuchte des Verstandes, sondern vor allem im Lichte
des Glaubens und der Gnade und nach dem Urteil
deines Seelenführers sollst du den wahren Wert der
Dinge zu erkennen trachten.
Diese
Ordnung ist ganz besonders bei gewissen äußeren
Übungen, die gut und heilig sind, zu beobachten. In
solchen liegt die Gefahr näher als in anderen, daß
man sich täuscht oder ohne weise Unterscheidung zu
Werke geht. Nicht selten können dieselben wegen
eines Umstandes der Zeit, des Ortes oder des Maßes,
ja mitunter wegen mangelnden Gehorsams sehr großen
Schaden verursachen.
Die
Erfahrung beweist es ja zur Genüge, wie viele bei
den lobenswertesten und heiligsten Übungen zugrunde
gegangen sind.
9. Von
einem anderen Übel, vor dem wir den Verstand
bewahren sollen, um richtig zu urteilen
Das andere Übel, vor dem wir
den Verstand bewahren müssen, ist die
vorwitzige Neugier.
Wenn wir ihn nämlich mit schädlichen, törichten und
ungehörigen Dingen belasten, machen wir ihn unfähig,
das zu erfassen, was eigentlich zur wahren
Selbstüberwindung und Vervollkommnung gehört. Darum
sollst du wie abgestorben sein für alles Forschen
nach weltlichen, wenn auch erlaubten Dingen, deren
Kenntnis nicht notwendig ist. Halte deshalb deinen
hochfahrenden Geist möglichst innerhalb bestimmter
Grenzen, wie sie die Torheit des Kreuzes liebt.
Neuigkeiten und Zeitströmungen, die unbedeutenden
sowohl wie die bedeutenden, sollen für dich nicht
vorhanden sein.
Auch im
Verlangen nach der Kenntnis himmlischer Dinge sei
maßvoll und demütig und wünsche nichts anderes zu
wissen als Jesus Christus, den Gekreuzigten, sein
Leben und seinen Tod, wie auch seine Forderungen an
dich.
Alles
andere halte fern von dir! Dann wirst du Gott
wohlgefällig sein; denn jene sind seine bevorzugten
Lieblinge, die nach ihm verlangen und nur diejenige
Kenntnis zu erlangen trachten, welche dazu dient, um
ihn, das höchste Gut, zu lieben und seinen heiligen
Willen zu erfüllen. Jedes andere Verlangen und
Forschen ist Eigenliebe, Stolz und ein Fallstrick
des Teufels.
Befolgst
du diese Ratschläge, dann wirst du vielen
Nachstellungen der listigen Schlange entgehen.
Sobald der
böse Feind merkt, daß in jenen, die sich dem
geistlichen Leben widmen, der Wille entschlossen und
stark ist, greift er sie aufseiten der Erkenntnis
an, um durch diese auch Herr über den Willen zu
werden.
Deshalb
flößt er namentlich solchen, die einen scharfen und
durchdringenden Verstand besitzen und aus diesem
Grunde leicht zum Hochmut geneigt sind, hohe und
außerordentliche Gedanken ein, in die sie sich mit
Lust vertiefen, so daß sie meinen, bereits Gott zu
genießen. Darüber vergessen sie, ihr Herz zu läutern
und sich auf Selbsterkenntnis und wahre Abtötung zu
verlegen. Und auf diese Weise geraten sie in die
Fallstricke des Stolzes und erheben schließlich
ihren Verstand zum Abgott. Ja, allmählich kommen
sie, ohne sich dessen bewußt zu werden, so weit, daß
sie sich einbilden, keines Rates und keiner
Belehrung vonseiten anderer Menschen mehr zu
bedürfen, weil sie sich bereits daran gewöhnten,
sich bei jeder Gelegenheit an den Abgott ihrer
eigenen Urteilskraft zu wenden. Das ist ein ungemein
gefährliches Übel und fast kaum mehr zu heilen.
Der Stolz
des Verstandes ist nämlich viel gefährlicher als der
des Willens, da der letztere durch die Übung des
Gehorsams geheilt werden kann, sobald der Verstand
ihn erkannt hat.
Von wem
und wie kann aber derjenige geheilt werden, welcher
der festen Überzeugung huldigt, sein Urteil wäre
besser als das eines jeden anderen? Wie wird ein
solcher sich dem Urteil eines anderen unterwerfen,
das er niemals für so gut wie sein eigenes hält?
Ist das
Auge der Seele, nämlich der Verstand, mit dem man
die Wunde des hochfahrenden Willens erkennen und
heilen sollte, selbst krank, blind und vollen
Stolzes, wer wird dann imstande sein, sie zu heilen?
Ist die Leuchte Finsternis und die Richtschnur zum
Irrtum geworden: Was soll dann aus dem übrigen
werden?
Widerstehe
also dem Stolze beizeiten, bevor sein Gift in dein
Inneres bis ins Mark der Seele dringt. Ziehe deinem
Verstande Grenzen und unterwirf dein Urteil gerne
dem eines anderen; ja, werde töricht um Christi
willen, und du wirst weiser sein als Salomo.
10. Von
der Übung des Willens und dem Endziel, auf das alle
unsere inneren und äußeren Handlungen eingestellt
sein sollen
Neben der
Übung deines Verstandes ist es notwendig, daß du
auch deinen Willen in Zucht und Ordnung hältst,
damit er seinen Neigungen nicht überlassen bleibt,
sondern in allem dem göttlichen Wohlgefallen
gleichförmig wird.
Merke dir
wohl, daß du dich nicht damit begnügen darfst, nur
das zu wollen und auszuführen, was Gott wohlgefällig
ist, sondern du mußt das alles wollen und
vollbringen wie von Gott geführt und angetrieben und
in der reinen und lauteren Absicht, ihm allein zu
gefallen.
Hierbei
erfahren wir einen noch heftigeren Widerstand
vonseiten unserer Natur als bei der vorhin
besprochenen Übung des Verstandes. Unsere Natur ist
nämlich so veranlagt, daß sie in allem — und
bisweilen in guten und geistlichen Dingen noch mehr
als in anderen – ihren eigenen Vorteil und Genuß
sucht. Sie unterhält sich damit und labt sich
begierig, ohne irgendeinen Verdacht zu schöpfen.
So kommt
es, daß wir ein gutes Werk, das wir verrichten
sollen, mit Feuereifer beginnen, aber nicht, als
wären wir angetrieben vom Willen Gottes, auch nicht
in der Absicht, ihm allein zu gefallen, sondern
wegen der Freude und Genugtuung, die wir finden,
wenn wir wollen, was auch Gott will.
Diese
Täuschung ist umso verborgener, je besser die
gewollte Sache an sich ist. Darum pflegen sich
selbst in das Verlangen nach Gott Täuschungen der
Eigenliebe einzuschleichen, indem wir oftmals mehr
auf unser eigenes Interesse und den erwarteten
Vorteil schauen als auf den Willen Gottes, der uns
jenes Gut einzig seiner Verherrlichung wegen
schenkt. Deswegen verlangt er auch, daß wir all
unser Lieben, Wünschen und Verlangen und unsere
ganze Bereitwilligkeit ihm allein darbieten.
Um dich
aber vor diesem Fallstrick, der dir den Weg zur
Vollkommenheit versperren würde, zu bewahren und
dich daran zu gewöhnen, alles nur unter Gottes
Eingebung und in der reinen Absicht zu wollen und zu
vollbringen, um Gott allein die Ehre zu geben und
ihm wohlzugefallen, der ja auch der Ursprung und das
Ziel all unseres Denkens und Handelns sein will, so
gehe folgendermaßen vor:
Bietet
sich dir etwas von Gott Gewolltes dar, dann laß
deinem Willen nicht eher die Freiheit, es zu
begehren, als bis du dein Gemüt zu Gott erhoben und
erkannt hast, daß dies sein Wille ist und daß du es
nur willst, weil er es wollte, und in der Absicht,
ihm allein zu gefallen.
Ist dein
Wille also vom göttlichen Willen angetrieben und
angezogen, dann laß ihn dasselbe verlangen, aber nur
aus dem Grunde, weil Gott es will und weil es ihm so
wohlgefällt und ihn ehrt.
Desgleichen, wenn es sich darum handelt, Dinge, die
Gott nicht will, zu verwerfen; verwirf sie nicht,
bevor du das Auge deines Verstandes auf den
göttlichen Willen gerichtet hast, welcher eben will,
daß du sie einzig nach seinem Wohlgefallen
zurückweisest.
Doch
wisse, daß es nicht leicht ist, die Heimtücke
unserer schlauen Natur zu durchschauen. Obwohl sie
zu jeder Zeit nur sich selbst sucht, spiegelt sie
uns vielfach vor, als ob uns als der einzige
Beweggrund und Zweck das Wohlgefallen Gottes vor
Augen schwebe; was aber keineswegs der Fall ist.
Daher
kommt es, daß wir scheinbar wollen oder nicht
wollen, um Gott zu gefallen oder nicht zu mißfallen,
während wir im Grunde genommen nur in eigenem
Interesse etwas begehren oder nicht wünschen.
Das beste
und geeignetste Mittel, um diesen Irrtum zu
vermeiden, ist die Lauterkeit des Herzens, auf die
ja auch der ganze geistliche Kampf hinzielt, der
darin besteht, daß wir den alten Menschen aus- und
den neuen Menschen anziehen.
Damit du
aber in dieser Kunst eine gewisse Fertigkeit
erlangst, da du von dir selbst allzu sehr
eingenommen bist, so sei zu Beginn deines Handelns
stets darauf bedacht, soviel als möglich jede
Neigung deines eigenen Ichs zu entfernen und auf
diese Weise nichts zu wollen, noch zu vollbringen
oder zurückzuweisen, als das, wozu du dich innerlich
durch eine reine Liebe zu Gott angetrieben fühlst.
Kannst du
dir aber im Augenblick bei all deinen Handlungen,
namentlich bei den inneren Bewegungen der Seele oder
äußeren schnell zu erledigenden Verrichtungen diesen
Beweggrund nicht förmlich vergegenwärtigen, so
bemühe dich, ihn wenigstens in der guten Absicht zu
bewahren, indem du beständig an der aufrichtigen
Absicht festhältst, in allem nur Gott allein zu
gefallen.
Bei
solchen Handlungen aber, die längere Zeit
beanspruchen, ist es gut, wenn du nicht nur zu
Anfang diese Meinung erweckst, sondern auch, wenn du
sie mit Bedacht wiederholt erneuerst und bis zum
Schlusse wirksam erhältst. Andernfalls läufst du
Gefahr, in eine andere Schlinge unserer natürlichen
Selbstsucht zu fallen, welche, mehr zum eigenen Ich
als zu Gott hinneigend, unversehens im Verlauf der
Zeit gar leicht den Vorsatz und das Ziel
verwechselt.
Ein Diener
Gottes, der hierin nicht sehr auf der Hut ist,
beginnt manchmal ein Werk in der guten Meinung,
einzig dem Herrn zu gefallen; aber allmählich
empfindet er, fast ohne es gewahr zu werden, eine so
große Freude an demselben, daß er, des göttlichen
Willens uneingedenk, sich ganz seinen Stimmungen und
Gefühlen hingibt und im Geiste an dem Vorteil und
der Ehre, die ihm daraus erwachsen, haften bleibt.
Und wenn dann Gott dem Werke durch eine Krankheit
oder ein anderes Ereignis oder durch ein Geschöpf
ein Hindernis in den Weg legt, wird er gleich
verwirrt und unruhig und fängt wohl auch an, bald
gegen diesen, bald gegen jenen, ja selbst wider Gott
zu murren. Das ist ein sicheres Zeichen, daß seine
Absicht nicht rein auf Gott allein zielte, sondern
einer faulen Wurzel und einem schlechten Boden
entsproß.
Wer nur,
um Gott zu gefallen und von Gott angetrieben, sich
zu etwas entschließt, will das eine nicht mehr als
das andere; denn er verlangt es ja nur insofern, wie
und wann Gott es will und es ihm genehm ist. Mag er
es erlangen oder nicht; er bleibt zufrieden und
gelassen, weil er auf jeden Fall sein Ziel erreicht,
das kein anderes ist als das Wohlgefallen Gottes.
Deshalb
nimm dich zusammen und strebe danach, alle deine
Werke stets auf jenes vollkommene Ziel zu richten.
Zuweilen
wirst du dich, um den Strafen der Hölle zu entgehen,
oder aus der Hoffnung auf den Himmel, zu guten
Werken angetrieben fühlen. Aber auch dabei muß deine
letzte Absicht der Wille und das Wohlgefallen Gottes
sein, weil du seinem Willen gemäß nicht zur Hölle
fahren, sondern in sein Reich eingehen sollst.
Niemand
ist imstande, die außerordentliche Kraft und Wirkung
dieses Beweggrundes voll zu erfassen. Denn auch das
unbedeutendste und geringste Werk, das um des
Wohlgefallens und der Ehre Gottes willen verrichtet
wird, gilt unendlich mehr als viele andere, überaus
verdienstvolle und erhabene Werke, denen jener
Beweggrund mangelt.
Deshalb
ist es Gott wohlgefälliger, wenn ein kleines
Geldstück einem Armen, um der göttlichen Majestät zu
gefallen, gereicht wird, als wenn jemand aus einem
anderen Beweggrund, wäre es auch der himmlischen
Freude wegen (was doch eine nicht nur gute, sondern
sogar höchst lobenswerte Absicht wäre), sich aller
seiner Güter, wie groß diese auch sein mögen,
entäußerte.
Diese
Übung, alles in der Meinung zu tun, um Gott allein
zu gefallen, mag wohl für den Anfang schwierig sein.
Allein, sie wird angenehm und leicht, wenn man sich
dieselbe zur Gewohnheit macht und mit großer
Herzenssehnsucht nach Gott, als dem vollkommensten
und höchsten Gut, verlangt und strebt, das um seiner
selbst willen verdient, von jeglicher Kreatur
umfangen, verehrt und über alles geliebt zu werden.
Je
aufmerksamer und eifriger wir bedenken, daß Gott
unserer Liebe unendlich würdig ist, desto inniger
und häufiger werden auch die erwähnten Akte des
Willens sein. Umso schneller und leichter werden wir
uns auch die Gewohnheit aneignen, jedes Werk im
Aufblick auf Gott und aus Liebe zu ihm zu
verrichten, der ja allein aller Ehre würdig ist.
Um sich
diese Ausrichtung auf Gott schneller anzueignen,
rate ich dir noch zum Schluß, Gott inständig darum
zu bitten und oft die unzähligen Wohltaten zu
betrachten, die er uns bereits erwiesen hat und uns
noch immer aus reiner Liebe und ohne seinen eigenen
Vorteil erweist.
11.
Erwägungen, die den Willen anspornen, in allen
Dingen das Wohlgefallen Gottes zu suchen
Um deinen
Willen mit größerer Leichtigkeit dahin zu lenken,
daß er in allen Dingen nur das Wohlgefallen Gottes
und seine Ehre suche, erinnere dich häufig daran,
daß Gott dich zuerst auf mannigfache Weise bevorzugt
und geliebt hat:
durch die
Erschaffung, indem er dich aus dem Nichts zu seinem
Ebenbild gemacht und alle anderen Geschöpfe zu
deinem Dienste bestimmt hat;
durch die
Erlösung, indem er nicht einen Engel, sondern seinen
eingeborenen Sohn sandte, um dich nicht mit einem
vergänglichen Preise von Gold und Silber zu
erkaufen, sondern durch sein kostbares Blut und
einen qualvollen und schimpflichen Tod.
Jede
Stunde, ja jeden Augenblick beschützt er dich
bereitwillig vor deinen Feinden, streitet für dich
mit seiner Gnade und hält zu deinem Schutz und zu
deiner Stärkung im Sakrament des Altars seinen
vielgeliebten Sohn beständig bereit.
Ist dies
alles nicht ein Zeichen einer unbeschreiblichen
Hochachtung und Liebe, die der unendliche Gott für
dich hegt?
Kein
Mensch vermag zu begreifen, wie hoch dieser erhabene
Herr uns arme Menschenkinder achtet, wie er sich
unseres Elends und unserer Niedrigkeit annimmt, und
wie sehr wir deshalb seiner unaussprechlichen
Majestät gegenüber verpflichtet sind, die für uns so
Vieles und so Großes getan hat.
Wenn die
Großen dieser Welt sich verpflichtet fühlen, die
ihnen von anderen, wenn auch armen und kleinen
Leuten erwiesenen Ehrenbezeugungen dankbar zu
erwidern, wie müssen erst wir Armselige uns dem
höchsten König des Weltalls gegenüber verhalten, von
dem wir uns so hoch geehrt und so innig geliebt
sehen?
Außerdem
mußt du in dauernder und lebendiger Erinnerung
behalten, daß die göttliche Majestät schon in sich
selbst unserer Verehrung und unserer Dienste, weil
es ihr so gefällt, unendlich würdig ist.
12. Von
den verschiedenen sich widerstreitenden
Willensneigungen
Man kann
wohl sagen, daß in diesem Kampfe der Wille von zwei
verschiedenen Seelenkräften bewegt werden kann. Wird
der Wille von der Vernunft geleitet, nennt man ihn
den vernünftigen oder höheren, da er der höchsten
Seelenkraft folgt. Die andere Willensneigung folgt
den niederen Seelenkräften, die man auch als
Begierlichkeit, Fleischeslust, Sinnlichkeit oder
Leidenschaft bezeichnet.
Die
letztere verdient im eigentlichen Sinne nicht die
Bezeichnung Wille, denn da wir durch die Vernunft zu
Menschen erhoben sind, kann man nicht behaupten, daß
wir das wirklich wollen, was die Sinne uns
vorhalten, solange wir nicht mit dem höheren Willen
zustimmen.
Unser
ständiger geistlicher Kampf hat infolgedessen
hauptsächlich darin seine Ursache, daß unser
vernünftiger Wille zwischen dem höheren Willen
Gottes und dem niederen, sinnlichen hingestellt ist
und fortwährend von beiden bestürmt wird, da jeder
ihn auf seine Seite zur Unterwürfigkeit und zum
Gehorsam zu ziehen versucht.
Deshalb
erleiden Anfänger, die noch mit verkehrten
Gewohnheiten behaftet sind, viele Mühen und
Beschwerden, wenn sie sich entschließen, ihr
sündhaftes Leben zu bessern, der Welt und der
Sinnenlust zu entsagen und sich ganz der Liebe und
dem Dienste Jesu Christi hinzugeben. Denn die
Angriffe, die ihr vernünftiger Wille vom göttlichen
Willen und von ihren sinnlichen Willensneigungen,
die einander beständig bekämpfen, zu ertragen hat,
sind überaus heftig und empfindlich und nicht ohne
große Pein.
So ergeht
es jedoch nicht denen, welche bereits an die Tugend
oder ans Laster gewohnt und entschlossen sind, ihren
Weg fortzusetzen. Denn die Tugendhaften gehen leicht
auf den Willen Gottes ein, während die Lasterhaften
ohne Widerstand der Sinnlichkeit nachgeben.
Niemand
soll sich aber einbilden, er werde eine echte,
christliche Tugend erlangen und dem lieben Gott auf
echte Weise dienen, wenn er nicht entschlossen ist,
sich energisch Gewalt anzutun und tapfer das Weh zu
ertragen, das der Mensch empfindet, wenn er nicht
nur auf die größeren, sondern auch auf die kleinen
Genüsse verzichten muß, in die er durch seinen
erdhaften Sinn verstrickt ist.
Daher
kommt es, daß nur sehr wenige das Ideal der
Vollkommenheit erreichen.
Viele, die
mit Mühe die größeren Laster überwunden haben,
wollen sich nicht beständig Gewalt antun und das
Unangenehme der andauernden Kämpfe mit den
unzähligen kleineren Gelüsten und Leidenschaften auf
sich nehmen, die dann in ihnen derartig wachsen, daß
sie schließlich die Oberhand gewinnen und die
Herrschaft und Gewalt über ihr ganzes Herz an sich
reißen.
Unter
ihnen befinden sich solche, die allerdings kein
fremdes Gut anrühren, aber mit Leidenschaft an ihrem
Besitz haften. Oder solche, die sich zwar nicht mit
unerlaubten Mitteln Ehrenstellen verschaffen, jedoch
dieselben nicht gebührend verachten und nicht
aufhören, nach denselben zu verlangen und sie auf
anderem Wege zu suchen. Wieder andere, die zwar die
vorgeschriebenen Fasten beobachten, aber sonst ihre
Gaumenlust nicht abtöten, sondern sich der
Unmäßigkeit im Essen hingeben und mit Gier nach
ausgesuchten Speisen ausschauen. Ebenso jene, die
wohl ein enthaltsames Leben führen, aber gewissen
Vergnügen nicht entsagen, welche der Vereinigung mit
Gott und einem geistlichen Leben sehr im Wege stehen
und für jede auch noch so heilige Seele, besonders
aber für jene, die dieselben weniger fürchtet, von
großer Gefahr und darum von jedermann möglichst zu
meiden sind.
Infolgedessen werden auch ihre übrigen guten Werke
im Geiste der Lauheit verrichtet und sind von
starker Ichsucht und geheimer Unvollkommenheit
begleitet, namentlich von einem gewissen Ehrgeiz und
dem Verlangen, für die guten Werke von den Leuten
gelobt und geachtet zu werden.
Wer in
einem derartigen Zustand lebt, macht nicht nur keine
Fortschritte auf dem Wege des Heiles, sondern geht
sogar rückwärts und schwebt in großer Gefahr, in die
alten Sünden zurückzufallen. Ein solcher liebt
keineswegs die wahre Tugend und erweist sich wenig
dankbar gegen den Herrn, der ihn der Tyrannei des
bösen Feindes entrissen hat. Zudem ist er unwissend
und blind; er will die Gefahr nicht sehen, in
welcher er schwebt, indem er sich fälschlich
einredet, er sei in einer guten Seelenverfassung.
Hier
offenbart sich eine umso gefährlichere
Selbsttäuschung, je weniger sie beachtet wird.
Viele, die sich dem geistlichen Leben widmen, sich
selbst aber mehr lieben als sie sollten (obwohl sie
nicht einmal sich selbst wahrhaft zu lieben
verstehen), verlegen sich meistens auf jene Übungen,
die ihrem Geschmack zusagen, und unterlassen dann
jene, welche sie in ihren natürlichen Neigungen und
sinnlichen Trieben empfindlich treffen würden. Und
doch sollte vernünftigerweise gerade gegen diese
ihre ganze Kampfesbegeisterung gerichtet sein!
Und darum
ermahne ich dich, meine christliche Seele, recht
eindringlich, die Mühe und das Weh, welches die
Selbstüberwindung mit sich bringt, liebzugewinnen.
Denn hierauf kommt alles an.
Der Sieg
wird umso sicherer und näher sein, je entschlossener
du die Schwierigkeiten auf dich nimmst, die der
Kampf um die Tugend den Anfängern verursacht.
Wenn du
die Mühen und Opfer des Kampfes mehr liebst als den
Sieg und die Tugendkrone, dann wirst du alles umso
schneller erlangen.
13. Vom
Kampfe gegen sinnliche Triebe und von den Akten des
Willens, um in der Tugendübung Fertigkeit zu
erlangen
Sooft die
sinnliche Neigung einerseits und der göttliche Wille
anderseits um den Sieg über deinen vernunftbegabten
Willen streiten, mußt du verschiedene Übungen
vornehmen, damit der göttliche Wille in dir
jederzeit die Oberhand gewinnt.
Erstens:
Sobald
dich die sinnlichen Triebe anfallen und bestürmen,
leiste ihnen energischen Widerstand, damit dein
höherer Wille denselben nicht nachgebe.
Zweitens:
Haben sie
wieder nachgelassen, dann erwecke sie in dir aufs
neue, um sie mit doppelter Energie und Kraft zu
unterdrücken. Fordere sie dann zu einem dritten
Kampfe auf, um dich daran zu gewöhnen, sie immer mit
Entrüstung und Abscheu zu vertreiben. Diese doppelte
Herausforderung zum Kampfe darf man bei jeder
ungeordneten Sinnesregung tun. Ausgenommen sind
jedoch die Regungen des Fleisches, von welchen an
geeigneter Stelle (Kap. 19) im besonderen die Rede
sein wird.
Schließlich mußt du Tugendakte erwecken, die deiner
ungeordneten Neigung entgegengesetzt sind.
Angenommen, du wirst von Regungen der Ungeduld
befallen. Wenn du dich innerlich sammelst und wohl
acht gibst, dann wirst du bemerken, wie diese den
höheren Willen ständig angehen, um ihn zur
Einwilligung zu bewegen.
Durch die
erste Übung widersetze dich also mit
entgegengesetzten Willensakten jeder Regung und
wirke nach besten Kräften dahin, daß der Wille nicht
zustimme. Du darfst dann von diesem Kampfe nicht
ablassen, bis du merkst, daß der Feind, gleichsam
ermattet und getötet, sich besiegt gibt.
Nun aber
vergiß nicht die Hinterlist des bösen Feindes!
Sobald er nämlich wahrnimmt, daß wir uns der
Regungen einer Leidenschaft energisch erwehren,
sieht er nicht nur davon ab, sondern sucht sie
sogar, nachdem sie wach geworden sind, zu
beschwichtigen, damit wir uns durch diese Übung nur
ja keine Fertigkeit in der jener Leidenschaft
widerstrebenden Tugend aneignen und damit wir
überdies in die Schlingen der Hoffart und Eitelkeit
geraten, indem er uns raffiniert die Meinung
beizubringen sucht, wir hätten als tüchtige Krieger
unsere Feinde schnell überwunden.
Aus diesem
Grunde mußt du jetzt zum zweiten Kampfe übergehen.
Rufe dir
jene Gedanken, die dich zur Ungeduld reizten, wieder
ins Gedächtnis zurück und erwecke sie aufs neue,
damit sich dein sinnliches Begehrungsvermögen wieder
erregt. Dann aber unterdrücke durch wiederholte
Willensakte und mit noch größerer Gewalt als das
erste Mal diese Regungen.
Freilich,
so sehr wir auch unsere Feinde abweisen und damit
Gutes tun und Gott gefallen, wir laufen dennoch
Gefahr, bei einer anderen Gelegenheit überwunden zu
werden, wenn wir die Gegner nicht aus tiefster Seele
hassen. Deshalb rücke ihnen mit einem dritten
Angriff zu Leibe und vertreibe sie nicht allein mit
Unwillen, sondern auch mit Abscheu von dir, bis sie
dir schließlich ganz verhaßt und verächtlich
geworden sind.
Endlich
mußt du, um deine Seele zu vervollkommnen und mit
dem Kleid der Tugend zu schmücken, innere Akte
erwecken, die deinen ungeordneten Neigungen gerade
zuwiderlaufen.
Willst du
dir beispielsweise eine vollkommene Fertigkeit in
der Geduld erwerben und reizt dich jemand durch
Verachtung zur Ungeduld, dann ist es nicht genug,
daß du dich durch den dreifachen Kampf ertüchtigst,
sondern du mußt auch die widerfahrene
Geringschätzung wollen und lieben, indem du danach
verlangst, aufs neue auf dieselbe Weise und von
derselben Person beleidigt zu werden. Mach dich auch
auf noch Schlimmeres gefaßt und nimm dir vor, es zu
erdulden.
Der Grund,
warum solche entgegengesetzten Akte notwendig sind,
um uns in der Tugend zu vervollkommnen, liegt darin,
daß die anderen Übungen, so zahlreich und wirksam
sie auch sein mögen, gar nicht hinreichen, um auch
die Wurzel auszurotten, aus der die Laster
hervorsprießen.
Willigen
wir bei der uns zugefügten Kränkung nicht in die
Regungen der Ungeduld ein und bekämpfen wir
dieselben auf die im vorigen angegebene dreifache
Weise, so werden wir uns trotzdem niemals von dem
Fehler der Ungeduld, der in unserer Neigung zur
eigenen Hochschätzung und unserer Scheu vor
Verachtung seine Wurzel hat, freimachen, wenn wir
uns nicht durch häufige und öfters wiederholte Akte
daran gewöhnen, die Geringschätzung selbst
liebzugewinnen und uns ihrer zu erfreuen.
Solange
noch die Wurzel des Fehlers lebt, wuchert sie
beständig weiter, so daß sie die Tugend zum Welken
bringt und bisweilen sogar ganz erstickt. Außerdem
setzt sie uns der Gefahr aus, bei jeder sich
darbietenden Gelegenheit wieder zurückzufallen.
Daraus folgt, daß wir ohne entgegengesetzte Akte
eine wahre Festigkeit in der Tugend nie erlangen
werden. Des weiteren mußt du beachten, daß diese
Akte so häufig und so zahlreich sein müssen, daß sie
imstande sind, die üble Gewohnheit vollständig zu
zerstören. Denn gerade wie eine solche durch viele
sündhafte Akte von unserem Herzen Besitz genommen
hat, so muß sie auch durch viele entgegengesetzte
Akte mit der Wurzel herausgerissen werden, damit
eine tugendhafte Gewohnheit Eingang finden kann.
Ja, ich
behaupte noch mehr. Es sind viel mehr gute Akte
erforderlich, um eine tugendhafte Gewohnheit zu
bilden, als sündhafte zu einer üblen, weil jene
nicht wie diese von einer durch die Sünde
verdorbenen Natur unterstützt wird.
Zu dem
Gesagten bemerke ich außerdem, daß bei einer
Tugendübung auch äußere, den inneren entsprechende
Akte gesetzt werden müssen, indem man sich (um bei
dem angeführten Beispiel zu bleiben) zur Übung der
Geduld sanfter und liebevoller Worte bedient und
sich dem gehässigen Urheber des Verdrusses gegenüber
möglichst entgegenkommend und gefällig erweist.
Und
sollten diese inneren wie äußeren Akte tatsächlich
oder scheinbar mit einer derartigen
Interesselosigkeit gesetzt werden, daß es dir
vorkommt, als ob du sie nur widerwillig ausführtest,
so darfst du sie trotzdem nicht unterlassen. Denn,
so schwach sie auch sein mögen, sie verleihen dir
dennoch Kraft und Ausdauer im Kampfe und bahnen dir
den Weg zum Siege.
Aber nicht
bloß die großen und heftigen, sondern auch die
geringfügigen sündhaften Triebe sollst du mit
innerer Aufmerksamkeit bekämpfen, weil diese für
jene die Bahn freimachen, woraus dann allmählich die
üblen Gewohnheiten entstehen.
Gar manche
ließen es sich zu wenig angelegen sein, auch die
schwächeren Triebe einer Leidenschaft mit der Wurzel
aus ihrem Herzen zu reißen, nachdem sie die
stärkeren Gelüste derselben Leidenschaft bereits
überwunden hatten. Und so kam es, daß sie, als sie
es am wenigsten ahnten, von denselben Feinden
heftiger und gefährlicher angegriffen wurden als
zuvor.
Des
weiteren gebe ich dir zu bedenken, daß du darauf
achtest, bisweilen dein Verlangen in erlaubten, aber
nicht notwendigen Dingen zu bezähmen und abzutöten,
woraus viel Gutes erwächst. Denn dadurch wirst du
immer fähiger und bereitwilliger, dich auch in
anderen Dingen zu überwinden. Du machst dich stärker
und erfahrener im Kampfe gegen die Versuchungen und
wirst vielen Nachstellungen des bösen Feindes
entgehen und dem Herrn einen überaus wohlgefälligen
Dienst erweisen.
Aufrichtig
sage ich es dir, christliche Seele: Fährst du in
diesen guten und heilsamen Übungen in der
angegebenen Weise fort, um dich zu vervollkommnen
und deiner Herr zu werden, dann gebe ich dir die
Versicherung, daß du in kurzer Zeit große
Fortschritte machst und nicht nur dem Scheine nach,
sondern in Wahrheit ein geistliches Leben führen
wirst.
Auf andere
Weise aber und bei anderen Übungen — mögen sie nach
deinem Dafürhalten noch so vorzüglich sein und
deinem Geschmack noch so stark zusagen, daß es dir
scheint, als wärest du dabei in tiefster Sammlung
und in süßes Zwiegespräch mit dem Herrn versunken —
darfst du niemals erwarten, jemals eine Tugend und
den wahren Geist zu erlangen. Dieser besteht ja
nicht, wie ich dir bereits im ersten Kapitel
darlegte, in Übungen, welche unseren Sinnen
schmeicheln und ihnen angenehm sind; auch wird er
nicht aus ihnen geboren, sondern aus solchen, welche
unsere Sinne mit ihren Werken ans Kreuz heften,
wodurch der in den Tugenden des Evangeliums
gefestigte und erneuerte Mensch mit dem Gekreuzigten
und seinem Schöpfer vereint wird.
Wie sich
alle sündhaften Gewohnheiten durch viele und
wiederholte Akte des höheren Willens, der den
Trieben der Sinnlichkeit nachgibt, bilden, so steht
es anderseits außer Zweifel, daß umgekehrt auch die
Fertigkeit in den Tugenden des Evangeliums durch
häufige Akte erworben wird, die mit dem göttlichen
Willen übereinstimmen und von ihm bald zu der einen
und bald wieder zu einer anderen Tugendübung
angeregt werden.
Mag unser
Wille auch noch so heftig von den niederen Trieben
und der Sünde angefallen werden, er wird niemals
sünd- und erdhaft, solange er weder nachgibt noch
sich selbst ihnen frei zuwendet. Ebenso wird er auch
nie tugendhaft und eins mit Gott, wie sehr er von
göttlichen Einsprechungen und Gnadenerweisen
aufgefordert und bestürmt wird, wenn er sich nicht
durch innere und äußere Akte mit dem göttlichen
Willen gleichförmig macht.
14. Von
dem Verhalten, wenn der Wille scheinbar von den
niederen Seelenkräften und anderen Feinden
überwunden und unterdrückt ist
Wenn es
dir zuweilen scheint, der höhere Wille vermöge
nichts wider den niederen und wider seine Feinde,
weil du in dir kein wirksames Wollen verspürst, dann
harre dennoch ruhig aus und gib den Kampf nicht auf!
Du darfst dich nämlich nicht für überwunden halten,
solange du dir nicht klar bewußt bist, daß du
wirklich nachgegeben hast.
Gleichwie
unser höherer Wille der niederen Triebe nicht
bedarf, um seine eigenen Akte zu setzen, so kann er
auch niemals, trotz heftiger Angriffe, ohne seine
Zustimmung gezwungen werden, sich ihnen als besiegt
zu ergeben. Gott hat ja unseren Willen mit Freiheit
und einer solchen Energie ausgestattet, daß — mögen
sich auch alle sinnlichen Triebe, alle Teufel und
die ganze Welt miteinander gegen ihn verschwören und
rüsten, um ihn mit aller Macht anzugreifen und zu
bedrängen — er trotz ihrer Anfeindungen vollkommen
frei das wollen und nicht wollen kann, was er will
oder nicht will, und zwar sooft und solange (und in
solcher Weise) und in der Absicht, wie es ihm
beliebt.
Sollten
dich bisweilen jene Feinde mit solcher Heftigkeit
anfallen und dir so zusetzen, daß deinem Willen,
gleichsam wie erstickt, der Atem vergeht: Laß den
Mut nicht sinken und wirf die Waffen nicht zu Boden!
Bediene dich in diesem Falle deiner Zunge zur
Verteidigung und sprich: „Ich gebe nicht nach! Ich
will nichts mit dir zu tun haben!" Mache es wie ein
Krieger, der wenigstens mit dem Schwertknauf
zuschlägt, wenn der Feind ihm auf dem Nacken sitzt
und er ihn nicht mit des Schwertes Spitze zu treffen
vermag. Und wie er dann, um den Feind mit der Spitze
töten zu können, zurückspringt, so ziehe dich auf
deine Selbsterkenntnis zurück: daß du nichts bist
und nichts vermagst. Und im Vertrauen auf Gott, der
alles vermag, versetze der feindlichen Leidenschaft
mit den Worten einen Hieb: „Hilf mir, Herr! Hilf
mir, o Gott! Helft mir, Jesus und Maria, damit ich
ihr nicht nachgebe." Läßt der Feind dir Zeit, dann
kannst du der Schwäche deines Willens zu Hilfe
kommen, indem du dir verschiedene Gedanken vor die
Seele führst, aus deren Betrachtung der Wille wieder
Atem und Kraft wider seine Feinde schöpfen kann.
Du wirst
zum Beispiel durch irgendeine Versuchung oder eine
sonstige Drangsal in einer Weise von der Ungeduld
bestürmt, daß dein Wille kaum zu widerstehen vermag;
da kannst du ihn stärken, indem du in deinem Geiste
folgende oder ähnliche Gedanken erwägst:
Erstens:
Prüfe
dich, ob du das Übel, das du leiden mußt, vielleicht
verdienst, weil du selbst dazu den Anlaß gegeben
hast. Hast du es verdient, dann mußt du eben das
Harte und Unangenehme, das du dir selber zugefügt
hast, wie es die Gerechtigkeit verlangt, auch
geduldig in Kauf nehmen.
Zweitens:
Hast du
keine Schuld daran, dann denke einmal an andere
Fehltritte, für die dich Gott noch nicht gestraft
hat und für die du nicht genügend Buße getan hast.
Erkennst du dann, daß Gottes Barmherzigkeit die
Strafe, welche entweder die ewige oder die zeitliche
im Fegfeuer wäre, in eine unbedeutende in diesem
Leben umwandelt, so mußt du diese Strafe nicht nur
gerne, sondern auch dankbar hinnehmen.
Drittens:
Sollte es
dir scheinen, als hättest du zuviel Buße getan und
die göttliche Majestät nur ein wenig beleidigt, was
du dir aber durchaus nicht einbilden darfst, so
bedenke, daß man nur durch die enge Pforte der
Trübsale ins Himmelreich eingeht.
Viertens:
Selbst
wenn du auf einem anderen Weg dahin gelangen
könntest, so dürftest du schon um des Gesetzes der
Liebe willen nicht einmal daran denken, da doch der
Sohn Gottes und all seine geliebten Freunde nur
durch Dornen und Kreuze in das Himmelreich
eingegangen sind.
Fünftens:
Du mußt
dir bei dieser und jeder anderen Gelegenheit vor
allem den Willen Gottes vor Augen halten, der bei
der Liebe, die er zu dir hegt, ein überaus großes
Wohlgefallen an jedem Werk der Tugend und Abtötung
hat, das du, um seine Liebe zu erwidern, als treuer
und hochherziger Streiter vollbringst. Sei auch
überzeugt, daß, je unsinniger diese Unbill an sich
ist und je unangemessener vonseiten desjenigen, der
sie dir zufügt, und je lästiger und schwerer es dir
daher fällt, sie zu ertragen, du desto angenehmer
dem Herrn sein wirst, wenn du selbst in solchen
Dingen, die außer der Ordnung scheinen und dir daher
umso bitterer sind, den göttlichen Willen und die
Pläne seiner Vorsehung erkennst und liebst, die
jedes Ereignis – so widersinnig es scheinen mag — zu
einem guten und äußerst vollkommenen Ende zu ordnen
und zu lenken weiß.
15.
Ratschläge für die Art des Kampfes
Du hast
nun gesehen, in welcher Weise du kämpfen mußt, um
dich selbst zu überwinden und mit Tugenden zu
schmücken.
Außerdem
mußt du dich überzeugen lassen, daß du, um über
deine Feinde mit größerer Schnelligkeit und
Leichtigkeit den Sieg davonzutragen, wie es sich
geziemt, Tag für Tag besonders gegen deine
Eigenliebe zu kämpfen hast und dich gewöhnst, die
Verachtung und Widerwärtigkeiten, welche die Welt
dir antut, als liebenswerte Wohltaten zu betrachten.
Vernachlässigst du diesen Kampf und legst ihm zu
wenig Gewicht bei, so bleibt der Sieg schwierig und
nur vereinzelt, unvollkommen und unsicher.
Auch
darauf mache ich dich aufmerksam, daß du den Kampf
mit Starkmut führen mußt. Die Tugend wirst du von
Gott leicht erlangen, wenn du darum inständig flehst
und einerseits die Wut und den unversöhnlichen Haß
deiner Feinde sowie die große Zahl ihrer
Schlachtreihen und Heere bedenkst, anderseits aber
auch erwägst, daß Gottes Güte und Liebe zu dir
unendlich größer ist und unvergleichlich mehr Engel
und Heilige des Himmels mit ihrem Gebet an unserer
Seite kämpfen.
Dieser
Gedanke ist von solcher Wirkung, daß eine Menge
schwach scheinender Personen die gesamte Macht und
Weisheit der Welt, alle Angriffe des Fleisches und
die ganze Wut der Hölle überwand und besiegte.
Deshalb
brauchst du nie zu erschrecken und mutlos zu werden,
wenn es dir auch scheint, als würde der Ansturm
deiner Feinde immer heftiger und als sollte der
Kampf dein ganzes Leben andauern und als drohten dir
gleichsam von vielen Seiten sichere Niederlagen.
Außer dem oben Gesagten vergiß nicht, daß alle Macht
und List unserer Feinde in der Hand unseres
göttlichen Herrn ruhen, für dessen Ehre wir ja
streiten. Da dieser uns unsagbar liebt und uns
selbst mit strengem Befehl zum Kampfe ruft, wird er
nicht zulassen, daß wir überwältigt werden, sondern
auch selbst für dich kämpfen und dir deine Feinde
unterwerfen, wann es ihm gefällt und falls es dir
von größerem Nutzen ist; sollte er damit auch bis
zum letzten Tage deines Lebens zögern.
Deine
Sache ist es also, hochherzig zu kämpfen, niemals
die Waffen zu strecken und die Flucht zu ergreifen,
auch wenn du verwundet wirst. Um tapfer streiten zu
können, merke dir noch zum Schlusse, daß niemand dem
Kampfe entfliehen kann und daß jeder, der nicht
kämpft, unausweichlich gefangen oder getötet wird.
Überdies haben wir es in diesem Kampfe mit Feinden
zu tun, die mit einem derartigen Haß gegen uns
erfüllt sind, daß wir in keinem Falle Frieden oder
Waffenstillstand zu erwarten haben.
16. Ein
Streiter Christi soll sich schon in früher
Morgenstunde auf dem Kampfplatze stellen
Das erste,
was deine geistigen Augen beim Erwachen beobachten
sollen, ist, daß du dich auf einen geschlossenen
Kampfplatz gestellt siehst, wo das Gesetz gilt, daß,
wer nicht kämpft, für immer stirbt.
Stelle dir
vor, du sähest vor dir als bewaffneten Feind die
bösen Neigungen, die du zu bekämpfen dir vorgenommen
hast, bereit, dich zu verwunden und zu töten; auf
der rechten Seite aber deinen siegreichen Feldherrn
Jesus Christus mit seiner heiligsten Mutter, der
Jungfrau Maria, zugleich mit ihrem geliebten
Bräutigam, dem heiligen Joseph, und vielen
Schlachtreihen von Engeln und Heiligen, vor allem
dem heiligen Erzengel Michael, und auf der linken
Seite den höllischen Feind mit seinem Anhang, wie er
die erwähnte Leidenschaft zum Nachgeben reizt.
Dabei
stelle dir weiter vor, du hörtest die Stimme deines
heiligen Schutzengels zu dir sprechen: „Heute hast
du wider diesen und deine anderen Feinde zu kämpfen.
Dein Herz zage nicht und verliere nicht den Mut. Du
darfst keineswegs aus Furcht oder einer anderen
Rücksicht wegen nachgeben, denn unser Herr steht dir
mit seiner ganzen glorreichen Heerschar zur Seite,
um gegen alle deine Feinde zu kämpfen, und er wird
nicht zugeben, daß sie dich überwältigen oder
überlisten. Steh unerschütterlich fest! Tu dir
Gewalt an und ertrage den Schmerz, den du bisweilen
unter dem Ansturm erleidest."
Aus
tiefstem Herzensgrunde flehe und rufe oft zum Herrn,
zur allerseligsten Jungfrau Maria und zu allen
Heiligen um Hilfe. Zweifellos wirst du den Sieg
davontragen. Bist du auch schwach und mit sündhaften
Gewohnheiten behaftet und sind auch deine Feinde
stark und zahlreich, so sind der Hilfsmittel deines
Schöpfers und Erlösers ungemein viele. Ja, über alle
Maßen und unvergleichlich stärker ist dein Gott, der
dich mehr zu retten wünscht, als dein Feind dich zu
verderben verlangt.
So kämpfe
denn und laß dich durch die Mühe nicht verdrießen,
denn aus der Anstrengung und Energie, die man gegen
die sündhafte Neigung anwendet, und aus der Qual,
die man der schlechten Gewohnheiten wegen empfindet,
erwachsen der Sieg und der große Schatz, mit dem man
das Himmelreich erwirbt und durch den die Seele auf
ewig mit Gott vereint wird.
Im Namen
des Herrn beginne dann den Kampf mit den Waffen des
Mißtrauens wider dich selbst und des Vertrauens auf
Gott und mit Gebet und frommer Übung. Fordere jenen
Feind und jene Neigung, die du in der oben (Kapitel
13) angegebenen Weise zu überwinden dir vornahmst,
zum Kampfe heraus, bald durch Widerstand, bald durch
Verachtung und bald durch einen Akt der
entgegengesetzten Tugend. Versetze ihm weitere
tödliche Streiche, um dadurch deinem Herrn zu
gefallen, der mit der ganzen triumphierenden Kirche
deinem Kampfe zuschaut.
Nochmals
sage ich dir: Du darfst nicht nachlassen im Kampfe!
Gedenke der Pflicht, die uns allen obliegt, Gott zu
dienen und ihm zu gefallen, und der Notwendigkeit
des Kampfes, dem wir nicht entrinnen können, ohne
uns Wunden, ja selbst den Tod zuzuziehen.
Aber noch
mehr lege ich dir ans Herz: Wolltest du auch wie ein
Fahnenflüchtiger Gott verlassen und dich der Welt
und der Sinnenlust ergeben, du müßtest trotzdem mit
endlosen Widerwärtigkeiten kämpfen, so daß Schweiß
dein Antlitz bedecken und Todesangst dein Herz
erfassen würden.
Darum
bedenke, wie töricht es wäre, eine Mühsal und Qual
auf sich zu laden, die mit dem Tod zugleich eine nie
endende Pein nach sich zieht, um auf diese Weise
einem Schmerz zu entfliehen, der bald endet und uns
in die ewige und unendliche Glückseligkeit führt, in
der wir auf immer unseres Gottes genießen.
17. Von
der Schlachtordnung wider unsere sündhaften
Neigungen
Es kommt
viel darauf an, daß man die Schlachtordnung kennt,
in der man kämpfen muß, um auf die rechte Weise zu
streiten, nicht unüberlegt und energielos, wie es
gar viele zu ihrem größten Nachteil tun. Die
Kampfordnung wider deine Feinde und ungeordneten
Neigungen besteht darin, daß du dein Inneres
durchforschst und sorgfältig prüfst, von welchen
Gedanken und Gefühlen es umdrängt und von welcher
Leidenschaft es am meisten eingenommen und
tyrannisiert wird. Und dagegen mußt du dann vor
allem die Waffen ergreifen und den Kampf beginnen.
Wirst du
aber dabei von einem anderen Feind angefallen, dann
mußt du immer wider den Gegner kämpfen, der dich
gerade und zunächst bekriegt, um nachher wieder zu
deiner ersten Aufgabe zurückzukehren.
18. Vom
Widerstände gegen plötzliche, leidenschaftliche
Regungen
Da du bis
jetzt noch nicht verstehst, dich gegen unerwartete
Anwürfe von Beleidigungen oder anderen
Widerwärtigkeiten zu schützen, so gewöhne dich,
solche vorauszusehen, sie allmählich zu wünschen und
mit vorbereitetem Herzen zu erwarten.
Um sie
vorauszusehen, erwäge die Beschaffenheit deiner
Leidenschaften und beachte die Personen, mit denen
du zu tun hast und die Orte, an denen du dich
aufhältst. Und daraus kannst du mit Leichtigkeit
schließen, was dir vielleicht zustoßen wird.
Begegnet
dir aber eine unvorhergesehene Widerwärtigkeit, so
kannst du dir damit helfen, daß du dein Augenmerk
auf andere vorausgesehene richtest und dich dabei
des folgenden Verfahrens bedienst.
In dem
Augenblicke, wo du die ersten Auswirkungen einer
Beleidigung oder einer anderen üblen Sache zu
verspüren beginnst, suche dich zu beherrschen und
entschieden deinen Geist zu Gott zu erheben. Richte
deinen Blick auf seine unaussprechliche Güte und
Liebe zu dir, mit der er dir die Trübsal sandte,
damit du sie aus Liebe zu ihm trägst und dich
dadurch noch mehr läuterst und ihm auf diese Weise
näher kommst und dich mit ihm vereinst.
Hast du
erkannt, wie sehr es ihm gefällt, wenn du sie
duldest, dann wende dich an dich selbst und tadle
dich, indem du zu dir sprichst: „Ach, warum willst
du dieses Kreuz nicht tragen, das nicht ein Mensch,
sondern dein himmlischer Vater dir schickt?" Und zum
Kreuze gewandt, umfasse es mit möglichst großer
Geduld und Freude, und sprich: „O Kreuz, das die
göttliche Vorsehung für mich bereitet hat, bevor ich
war! O Kreuz, versüßt durch die milde Liebe meines
Gekreuzigten! Hefte mich nunmehr an dich, damit ich
mich ganz dem ergebe, der an dir gestorben ist und
mich durch dich erlöst hat!"
Sollte die
Leidenschaft aber zu Anfang die Oberhand in dir
gewinnen, daß du dich nicht zu Gott aufzuschwingen
imstande warst und verwundet wurdest, dann versuche,
dies sobald als möglich zu tun, wie wenn du nicht
verwundet worden wärest.
Das
wirksamste Hilfsmittel gegen die plötzlichen
Regungen ist, daß du sogleich die Ursache entfernst,
aus der sie entspringen.
Du weißt
zum Beispiel, daß du wegen einer Zuneigung, die du
zu einer Sache hegst, in plötzliche Gemütsbewegung
gerätst, sobald du von ihr belästigt wirst. Das
Mittel, um dem vorzubeugen, ist, daß du dich eben
gewöhnst, die Neigung auszurotten.
Geht aber
die Beunruhigung nicht von einer Sache, sondern von
einer Person aus, an der dir auch die unbedeutendste
Handlung Abneigung und Unwillen erregt, weil sie dir
so unsympathisch ist, dann besteht das Gegenmittel
darin, daß du dich bemühst, deinen Widerwillen zu
brechen, um sie lieb und teuer zu finden. Abgesehen
davon, daß sie ein Geschöpf Gottes ist und gleich
dir von der Hand des Herrn gebildet und durch
dasselbe göttliche Blut erlöst wurde, bietet sie dir
Gelegenheit, sofern du sie erträgst, deinem Herrn
ähnlich zu werden, der gegen alle so liebevoll und
gütig ist.
19. Vom
Kampfe wider die Fleischeslust
Gegen
dieses Laster mußt du auf eine besondere Weise und
so ganz anders als gegen die anderen kämpfen.
Damit du
zu kämpfen verstehst, mußt du drei Zeitabschnitte
wohl beachten, nämlich die Zeit, bevor wir versucht
werden, während wir versucht werden und nachher,
wenn die Versuchung vorüber ist.
Vor der
Versuchung
richtet
sich dein Kampf gegen die Ursachen, die diese
Versuchung hervorzurufen pflegen.
Erstens:
Du darfst
dieses Laster nicht dadurch bekämpfen, daß du ihm
die Stirne bietest, sondern du mußt soviel als
möglich jede Gelegenheit und jede Person meiden, von
der dir die geringste Gefahr droht.
Mußt du
notgedrungen mit einer solchen Person sprechen, dann
tue es möglichst kurz und mit zurückhaltender und
ernster Miene. Auch deine Worte sollen dann mehr
Sachlichkeit als Freundlichkeit und Zuneigung
verraten.
Halte dich
nur nicht für sicher, wenn du den Stachel des
Fleisches nicht verspürst und sogar seit Jahren
nicht empfunden hattest. Was nämlich dieses
fluchwürdige Laster nicht in vielen Jahren bewirkte,
bringt es oft in einer einzigen Stunde fertig.
Meistens trifft es seine Vorbereitungen ganz im
geheimen. Es schadet dann umso mehr und schlägt
schwerer zu heilende Wunden, je freundlicher es sich
gab und je weniger es Argwohn erregte.
Die
Erfahrung hat es oft genug bewiesen und beweist es
beständig, daß noch mehr zu fürchten ist, wenn der
Umgang mit gewissen Personen unter dem Vorwand
erlaubter Gründe fortgesetzt wird, wie zum Beispiel
aus Verwandtschaft, einer Verpflichtung oder des
tugendhaften Wandels wegen, den die geliebte Person
führt. Denn mit dem übertriebenen und unvorsichtigen
Umgang vermischt sich meistens das Gift sinnlichen
Vergnügens, das unvermerkt nach und nach einträufelt
und bis ins Mark der Seele eindringt. Dadurch wird
das ruhige und vernünftige Denken immer mehr
verfinstert, so daß man anfängt, Gefahren wie z.B.
verliebte Blicke, gegenseitige Liebesbeteuerungen
und sinnliche Freude am Beisammensein nicht zu
beachten. So geht man beiderseits immer weiter und
gleitet allmählich ins Verderben oder in eine
heftige und schwer zu überwindende Versuchung. Drum
sage ich es nochmals: Fliehe! Du bist wie Stroh beim
nahen Feuer.
Verlaß
dich nicht darauf, du wärest überströmt von der Flut
eines guten und festen Willens und entschlossen und
bereit, eher zu sterben als Gott zu beleidigen. Denn
durch den häufigen Verkehr trocknet die Glut des
Feuers unmerklich das Wasser des guten Willens und
überrumpelt ihn, ehe man sich dessen versieht, so
daß man jede Rücksicht auf Verwandtschaft oder
Freundschaft außer acht läßt, Gott nicht mehr
fürchtet und weder Ehre noch Leben noch alle Strafen
der Hölle achtet. Deshalb: Fliehe! Fliehe, wenn du
nicht wirklich überfallen, gefangen und getötet
werden willst.
Zweitens:
Fliehe den
Müßiggang! Sei behutsam und bei deinen Gedanken und
Handlungen auf die Pflichten deines Standes bedacht.
Drittens:
Widersetze
dich niemals deinen Vorgesetzten; sondern gehorche
ihnen gerne, indem du bereitwillig ihre Aufträge
ausführst, besonders aber jene, die dich
verdemütigen und deinen Wünschen und Neigungen
zuwider sind.
Viertens:
Fälle nie
ein freventliches Urteil über deinen Nächsten,
namentlich nicht in bezug auf dieses Laster. Ist er
offenkundig gefallen, so habe Mitleid mit ihm und
ereifere dich nicht wider ihn. Verachte und
verspotte ihn nicht, sondern ziehe daraus die Frucht
der Demut und Selbsterkenntnis: Daß du nicht
vergißt, daß du erdhaft und nichts bist. Wende dich
hilferufend im Gebet an Gott und fliehe mehr als je
einen Verkehr, auf dem auch nur ein Schatten Gefahr
ruht.
Wenn du
andere so schnell verurteilst und verachtest, wird
Gott dich auf deine Kosten heilen, indem er zuläßt,
daß du in denselben Fehler fällst, damit du auf
diese Weise deinen Hochmut einsehen lernst, dich
verdemütigst und dich um Heilmittel für beide Laster
umsiehst.
Und
solltest du auch nicht fallen, noch deine Sinnesart
ändern, dann sei versichert, daß man an der
Vortrefflichkeit deines seelischen Zustandes doch
sehr zweifeln muß.
Fünftens
endlich:
Bemerkst du in dir irgendeine Gnadengabe und Freude
an geistlichen Dingen, so gib wohl darauf acht, daß
du dich nicht einer gewissen eitlen
Selbstgefälligkeit hingibst und dir einbildest, du
wärst wunder was und deine Feinde würden dich nicht
mehr angreifen, weil du scheinbar mit Ekel,
Widerwillen und Abneigung auf sie herabsiehst. Bist
du hier unbelehrbar, dann kommst du leicht zu Fall.
Während
der Versuchung
sieh zu,
ob dieselbe einer inneren oder äußeren Ursache
entspringt.
Unter der
äußeren
verstehe ich die Neugierde der Augen und Ohren,
unpassende Kleidung, Umgang und Unterhaltungen,
welche zu diesem Laster Anlaß geben.
Das
Heilmittel in diesen Fällen sind Ehrbarkeit und
Sittsamkeit, daß man nichts zu sehen, noch zu
vernehmen begehrt, was zu diesem Laster reizt, und,
wie oben gesagt, die Flucht.
Die
innere
Ursache geht entweder auf den starken körperlichen
Trieb oder auf Gedanken und Vorstellungen zurück,
welche von unseren schlechten Gewohnheiten oder den
Einflüsterungen des bösen Feindes herrühren.
Der starke
Trieb unseres Körpers muß durch Enthaltsamkeit,
Selbstbeherrschung, körperliche und sonstige
Abtötungen, aber nur wie sie weise Unterscheidung
und der Gehorsam eingeben, im Zaume gehalten werden.
Wider
Gedanken und Vorstellungen — mögen sie von
irgendwelcher Seite herkommen — helfen folgende
Mittel: Ernstliche Beschäftigung und Arbeit, wie sie
dem einzelnen Stand entsprechen, Gebet und
Betrachtung.
Das Gebet
soll folgendermaßen beschaffen sein. Sobald du
merkst, daß sich wenn auch nicht derartige Gedanken,
sondern erst ihre Vorboten nahen wollen, wende
eiligst deinen Geist zum Gekreuzigten und sprich: „O
mein Jesus! Mein liebreichster Jesus, hilf! Hilf
mir, daß ich nicht von diesem Feinde gefangen
werde!" Umarme mitunter das Kreuz, an dem dein Herr
hängt; küsse öfters die Wundmale der heiligen Füße
und flehe mit heißer Inbrunst: „O herrliche
Wundmale, o unschuldige Wunden, o heilige Wunden!
Verwundet doch mein armes und unreines Herz und
bewahret mich vor der Sünde!"
Als
Betrachtung möchte ich dir dann nicht als
Gegenmittel empfehlen, daß du in dem Augenblick, wo
die Versuchungen der Fleischeslust sich einstellen,
gewisse Erwägungen über dieses Laster anstellst, wie
über seine Verwerflichkeit und unersättliche Gier,
den Ekel und Überdruß, die ihm folgen, und die
Gefahren und Schäden für die Gesundheit, Leben und
Ehre und ähnliche Sachen.
Dieses
Mittel ist nämlich nicht immer sicher wirksam, um
die Versuchungen zu überwinden. Es kann sogar zum
Schaden gereichen; denn während dieses Nachdenken
auf der einen Seite die bösen Gedanken vertreibt,
bietet es auf der anderen Seite eine gefährliche
Gelegenheit, an denselben Ergötzen zu finden und in
die böse Lust einzuwilligen.
Daher gibt
es nur ein Heilmittel, nämlich, daß man nicht allein
die Gedanken, sondern auch alles andere flieht, was
dieselben wecken könnte, wie sehr es auch mit ihnen
im Widerstreit stände.
Daher
betrachte dieser Folgen wegen lieber das Leben und
Leiden unseres gekreuzigten Herrn.
Sollten
aber während der Betrachtung die Gedanken gegen
deinen Willen wieder kommen und dich, was leicht
möglich ist, mehr als gewöhnlich belästigen, so
werde nicht verwirrt! Gib die Betrachtung ja nicht
auf, noch wende dich wider die Vorstellungen, um sie
zu bekämpfen, sondern fahre mit möglichst größerer
Aufmerksamkeit in der Betrachtung ruhig fort und
kümmere dich gar nicht um dieselben, gerade als ob
sie dich durchaus nichts angingen. Es gibt kein
besseres Verfahren, sich denselben zu widersetzen,
als das genannte, selbst wenn die Gedanken dich
andauernd belästigen würden.
Beschließe
dann deine Betrachtung mit folgender oder ähnlicher
Bitte: „Befreie mich, o mein Schöpfer und Erlöser,
von meinen Feinden zur Ehre deines Leidens und
deiner unaussprechlichen Güte!"
Denke
überhaupt nicht an das Laster, denn schon die bloße
Erinnerung daran ist nicht ohne Gefahr.
Bei
solchen Versuchungen sollst du auch nicht weiter
nachdenken, ob du eingewilligt hast oder nicht; denn
dies ist unter dem Schein des Guten nur eine
Hinterlist des bösen Feindes, der dich dadurch
beunruhigen und mutlos oder kleinmütig machen will.
Andernfalls hofft er dich zur Einwilligung in die
böse Lust zu verleiten, wenn du weiter darüber
nachgrübelst.
Bist du
dir nicht ganz klar bewußt, eingewilligt zu haben,
so genügt es bei solchen Versuchungen, daß du den
Zweifel deinem Seelenführer kurz offenbarst und dich
mit seinem Urteil zufriedengibst, ohne weiter
darüber nachzudenken (da jedenfalls keine schwere
Sünde vorliegt).
Vertraue
ihm auch mit aller Aufrichtigkeit deine ganzen
Gedanken an und laß dich nicht durch irgendeine
Ausflucht oder falsche Scham davon abhalten.
Ist uns
zur Überwindung all unserer Feinde die Tugend der
Demut äußerst notwendig, dann müssen wir uns gerade
in bezug auf dieses Laster weit mehr als bei einem
anderen verdemütigen, weil es fast immer eine Strafe
für den Hochmut ist.
Nach der
Versuchung
mußt du,
so unbelastet und sicher du dich auch fühlst, deinen
Geist vollständig von jenen Gegenständen, die deine
Versuchungen verursachen, fern halten; selbst wenn
du dich um einer Tugend oder eines anderen
geistlichen Nutzens willen angetrieben fühlst,
anders zu handeln. Das wäre nämlich nur eine
Selbsttäuschung unserer verderbten Natur und eine
Falle unseres schlauen Gegners, der sich in einen
Engel des Lichtes verwandelt, um uns in die
Finsternis zu führen.
20. Die
Kampfesweise wider die Trägheit
Um nicht
in die elende Sklaverei der Trägheit zu geraten, die
dir nicht nur den Weg zur Vollkommenheit versperrt,
sondern dich auch in die Hände deiner Feinde
überliefert, mußt du die Neugierde und jede Bindung
ans Irdische sowie alle Beschäftigung fliehen, die
für deinen Stand nicht passen.
Ferner gib
dir alle Mühe, jeder guten Einsprechung und allen
Anordnungen deiner Vorgesetzten Folge zu leisten,
indem du alles der Zeit und dem Wunsch gemäß
ausführst, wie sie es gerne wollen.
Zögere
auch keinen Augenblick damit! Denn der erste kleine
Aufschub zieht einen zweiten nach sich, und dieser
einen dritten und die weiteren, denen die
Sinnlichkeit sich viel leichter zuwendet und
nachgibt als dem ersten, weil sie von der Lust, die
sie dabei empfindet, angelockt und gefangen ist. So
fängt man ein Werk entweder zu spät an oder
unterläßt es zuweilen aus Widerwillen ganz.
Auf diese
Weise bildet sich allmählich der Hang zur Trägheit.
Dieser führt dahin, daß wir selbst in dem
Augenblick, wo wir von ihr gefesselt sind, uns
vornehmen, ein anderes Mal sehr emsig und fleißig
sein zu wollen, weil wir uns schämen, bisher so
träge gewesen zu sein.
Die
Trägheit erfaßt dann alles. Sie steckt mit ihrem
Gift nicht nur den Willen an und macht ihn
arbeitsscheu, sondern sie verblendet dazu noch den
Verstand, daß er nicht einsieht, wie töricht und
schlecht begründet der Vorsatz ist, später schnell
und sorgfältig vollbringen zu wollen, was man eben
jetzt tun sollte, was man aber jetzt freiwillig ganz
unterläßt oder doch auf eine andere Zeit verschiebt.
Es genügt
auch nicht, eine Arbeit, die du zu verrichten hast,
schnell zu erledigen, sondern du mußt sie zu der
nach ihrer Beschaffenheit und Art gewünschten Zeit
und mit der ganzen dafür notwendigen Sorgfalt
ausführen, damit sie in jeder Weise möglichst
vollkommen ausfällt.
Ebenso ist
es kein Fleiß, sondern eine sehr durchsichtige
Trägheit, eine Arbeit vor der Zeit zu verrichten und
sie mit Eilfertigkeit und ohne Sorgfalt zur
Ausführung zu bringen, um nachher bequem die Ruhe
pflegen zu können, mit welcher wir schon in Gedanken
rechneten, als wir die Arbeit schnell zu erledigen
suchten.
Dieses
große Übel kommt daher, daß man den hohen Wert eines
guten Werkes nicht zu schätzen weiß, das zur rechten
Zeit und in der entschiedenen Absicht ausgeführt
wird, sich der Mühe und Schwierigkeit zu
unterziehen, welche die Bekämpfung des Lasters der
Trägheit einem Neuling im Kampfe bereitet.
Darum
beherzige es wohl, daß eine einzige Erhebung des
Gemütes zu Gott, ja eine bloße Kniebeugung zu seiner
Ehre mehr wert ist, als alle Schätze der Welt, und
daß die Engel eine glorreiche Siegeskrone aus dem
Himmelreiche unserer Seele bereiten, so oft wir uns
selbst und unseren sündhaften Trieben Gewalt antun.
Andererseits bedenke, daß Gott den Trägen die
Gnaden, die er ihnen verliehen hat, nach und nach
entzieht und den Eifrigen dieselben vermehrt, um sie
in die Herrlichkeit und Wonne eingehen zu lassen,
die er selbst genießt.
Fehlt dir
der Mut, den Mühen und Schwierigkeiten sogleich
hochherzig zu begegnen, dann halte dieselben
gleichsam vor dir verborgen, damit sie dir geringer
erscheinen, als sie von den Trägen angesehen werden.
Um dich in
einer Tugend zu üben und sie zu erlangen, bedarf es
einer großen Menge von Tugendakten; es ist die
Arbeit vieler Tage und die zu überwindenden Feinde
sind zahlreich und stark. Fange so an, als ob du nur
wenige Tugendakte zu setzen und nur kurze Zeit dich
anzustrengen hättest. Kämpfe nur wider einen Feind,
als müßtest du sonst mit keinem anderen kämpfen, und
zwar mit dem festen Vertrauen, daß du mit Gottes
Hilfe stärker seist als sie alle. Auf diese Weise
wird die Trägheit allmählich zurückgehen und die
entgegengesetzte Tugend Schritt für Schritt ihren
Einzug halten.
Dasselbe
Verfahren gilt auch vom Gebet. Deine Ertüchtigung
verlangt hie und da eine Gebetsstunde, was deiner
Trägheit lästig erscheint. Beginne, als wolltest du
nur eine halbe Viertelstunde dem Gebete widmen, dann
wirst du leicht die andere Hälfte und den übrigen
Teil erfüllen.
Empfindest
du aber manchmal in der zweiten Hälfte oder in der
folgenden Zeit ein heftiges Widerstreben und
Überdruß, so verschiebe die Übung, damit sie dich
nicht ganz anwidere, und nimm sie nach geraumer Zeit
wieder auf. Das nämliche Verfahren beobachte auch
bei der körperlichen Arbeit, wenn du zufällig einmal
mehrere zu erledigen hast, was deiner Trägheit
überaus schwierig zu sein scheint, so daß du darüber
in völlige Verwirrung gerätst. Gleichwohl beginne in
aller Gemütsruhe wenigstens mit einer derselben, wie
wenn du sonst gar nichts zu tun hättest. Läßt du es
dabei nicht an Eifer fehlen, dann wirst du auch die
übrigen Arbeiten mit leichterer Mühe bewältigen, als
es deiner Trägheit vorkam.
Handelst
du aber nicht nach diesem Verfahren und begegnest du
der Mühe und der Schwierigkeit, die sich dir
entgegenstellen, nicht gleich energisch, dann wird
das Laster der Trägheit so in dir die Oberhand
gewinnen, daß nicht allein eine gegenwärtige Mühe
und Schwierigkeit, wie sie die Tugendübung anfangs
zu bereiten pflegt, sondern auch eine von weitem
drohende dich derartig ängstigen und peinigen, daß
du immer in der Furcht lebst, gleich als wollten
Feinde dich belästigen und überfallen und stände
fortwährend jemand hinter dir, der dir eine neue
Last aufbürde, weshalb du selbst im größten Frieden
nie zur Ruhe kämest.
Merke dir,
daß dieses Laster der Trägheit mit seinem heimlichen
Gift nach und nach nicht allein die ersten zarten
Wurzeln, aus denen die Fertigkeit in der Übung der
Tugenden erwachsen soll, sondern auch die bereits
erzielte Fertigkeit vernichtet.
Wie der
Holzwurm, so nagt und zehrt das Laster der Trägheit
ganz still am Mark des geistlichen Lebens. Gerade so
versucht es auch der böse Feind, jedem, besonders
denen, die ein geistliches Leben führen wollen,
Nachstellungen zu bereiten und Fallstricke zu legen.
Wache darum im Gebet und in guten Werken und säume
nicht, das Tuch deines Hochzeitsgewandes zu wirken,
mit dem du geschmückt dem Bräutigam entgegengehen
sollst.
Erinnere
dich jeden Tag, daß, wer dir den Morgen schenkt, den
Abend nicht verspricht, und wenn er den Abend gibt,
der Morgen dir nicht zugesichert ist. Verwende darum
jeden Augenblick deiner Zeit nach Gottes
Wohlgefallen, wie wenn dir keine weitere Zeit zur
Verfügung stände, und das umso mehr, als du von
jedem Augenblick wirst strenge Rechenschaft ablegen
müssen.
Zum Schluß
ermahne ich dich, jeden Tag für verloren zu halten —
hättest du auch viele Arbeit geleistet —, an dem du
keinen Sieg über deine ungeordneten Neigungen und
deinen Eigenwillen davongetragen und an dem du
deinem Herrn nicht gedankt hast für seine Wohltaten,
besonders für sein bitteres Leiden, das er für dich
erduldet hat, und für seine väterliche und
liebevolle Heimsuchung, daß er dich der Teilnahme an
dem unvergleichlichen Schatz verschiedener Trübsale
würdigte.
21. Von
der Beherrschung der äußeren Sinne; wie wir dadurch
zur Betrachtung des göttlichen Wesens vordringen
Große
Anspannung und andauernde Übung sind vonnöten, um
unsere äußeren Sinne zu beherrschen und in Schranken
zu halten. Denn das triebhafte Begehren unserer
verderbten Natur sieht es darauf ab, maßlos seine
Lust und Befriedigung zu suchen.
Da es aus
sich nicht imstande ist, dieselbe zu erreichen,
bedient es sich der Sinne als seiner Soldaten und
natürlichen Werkzeuge, um durch sie alles, was sich
ihnen bietet, zu erfassen und dessen Bild der Seele
einzuprägen, indem es dasselbe wahrnimmt und sich
aneignet. Hieraus entsteht die Lust, die sich
infolge der innigen Verbindung zwischen Geist und
Leib auf alle Sinne ausdehnt, soweit sie des
Genusses fähig sind, und die dann weiter auf Seele
und Körper gleichmäßig verderblich übergreift und
den ganzen Menschen verseucht.
Du weißt
um das verderbliche Übel; lerne jetzt auch das
Heilmittel dagegen kennen.
Sei wohl
auf der Hut und lasse deinen Sinnen keinen freien
Spielraum! Bediene dich ihrer niemals zu bloß
sinnlichem Vergnügen, sondern nur wenn eine edle
Absicht oder dein Interesse und Bedürfnis die
Triebfeder deines Tuns sind.
Sind sie
unversehens zu weit gegangen, dann bringe sie wieder
ins rechte Geleise oder zügle sie, daß sie nicht
mehr als armselige Sklaven törichter Lust dienen,
sondern von allem, was ihnen begegnet, köstliches
Gut als Beute der Seele zuführen. So kann sie in
tiefster Sammlung ihre Schwingen weiten und ihr Auge
himmelwärts auf Gott richten.
Auf
folgende Weise kannst du dabei vorgehen: Bietet sich
deinen äußeren Sinnen irgendein Gegenstand dar, dann
trenne in Gedanken von dem Geschöpf den
innewohnenden Geist (seines Daseins letzten Grund)
und erwäge, daß es nichts von all dem, was deine
Sinne wahrnehmen, aus sich hat, sondern daß es
Gottes Werk ist, der mit seinem unsichtbaren Odem
ihm das Dasein, Gute und Schöne, das es besitzt,
geschenkt hat. Dabei freue dich, daß der Herr allein
die Ursache und der Ursprung so vieler und so
verschiedenartiger Vollkommenheiten der Dinge ist
und daß er alle Vollkommenheiten, die nur ein
verschwindend kleiner Grad seiner unendlichen und
erhabenen göttlichen Eigenschaften sind, im höchsten
Maße in sich begreift.
Merkst du,
daß ein schöner und kostbarer Gegenstand deine
Aufmerksamkeit weckt, dann führe dieses Geschöpf auf
sein Nichts zurück, indem du dein Seelenauge auf den
gegenwärtigen, allerhöchsten Schöpfer, der ihm das
Dasein gab, richtest, und, dich in ihm allein
erfreuend, sprich: „O göttliches und über alles
liebenswürdiges Wesen! Wie beglückt es mich, daß du
allein der unendliche Urgrund aller geschaffenen
Wesen bist!"
Ebenso,
wenn du Bäume, Pflanzen und dergleichen erblickst,
suche mit deinem geistigen Auge wahrzunehmen, daß
sie ihre Lebenskraft nicht aus sich, sondern von
jenem unsichtbaren und alles belebenden Geiste
haben, und du magst hierbei sprechen: „Sieh da das
Leben, von dem, in dem und durch das alles Leben und
Wachstum hat; o lebendige Wonne meines Herzens!"
So wirst
du auch beim Anblick der vernunftlosen Tiere dein
Herz zu Gott erheben, der ihnen Instinkt und
Bewegungsfreiheit gibt, und sprechen: „O Ursprung
aller Bewegung, der du alles bewegst, selbst aber
unbeweglich bist; wie freue ich mich über deine
Unwandelbarkeit und Unveränderlichkeit!"
Fühlst du
dich von der Schönheit der Geschöpfe angezogen, dann
sondere das Wahrgenommene vom Geiste, den du nicht
siehst, und bedenke, daß alles nach außen tretende
Schöne einzig von dem unsichtbaren Geiste stammt,
der jene äußere Schönheit schafft, und sprich voller
Freude: „Siehe das Bächlein des unerschaffenen
Quells; sieh die Tröpflein des unermeßlichen Ozeans
alles Guten. O, wie freue ich mich von Herzensgrund,
wenn ich der ewigen, unendlichen Schönheit gedenke,
die der Urquell aller erschaffenen Schönheit ist!"
Beobachtest du am Nächsten Güte, Weisheit,
Gerechtigkeit oder andere Tugenden, dann mache
dieselbe Trennung und sprich zu deinem Gott: „O
überreicher Tugendschatz! Wie groß ist meine Freude,
daß von dir und durch dich allein alles Gute
hervorgeht und daß alles im Vergleich mit deiner
göttlichen Vollkommenheit wie nichts ist. Ich danke
dir, o Herr, für alles Gute, das du meinem Nächsten
erwiesen hast. Gedenke, Herr, auch meiner Armut, daß
ich der Tugend der ... sehr bedarf". Nimmst du eine
Arbeit in Angriff, dann vergiß nicht, daß Gott die
erste Ursache zu dieser Handlung ist und daß du
nichts bist als ein in seiner Hand lebendes
Werkzeug. Erhebe deine Gedanken darauf
folgendermaßen zu Gott: „O höchster Herr des
Weltalls, mit innigster Freude bekenne ich, daß du
vor allem und in erster Linie bei jedem Werke
mitwirkst."
Genießt du
Speise oder Trank, dann erinnere dich, daß Gott der
Nahrung den Wohlgeschmack verleiht. Und dich im
Geber allein erfreuend, sollst du also sprechen:
„Freue dich, meine Seele, außer Gott gibt es keine
wahre Freude; nur in ihm allein kannst du an den
Dingen Ergötzen finden."
Erfreut
ein lieblicher Duft deinen Geruchsinn, bleibe am
Genuß nicht hängen, sondern wende deine Seele hin zu
Gott, von dem aller Wohlgeruch seinen Ursprung hat,
und sprich im Gefühl seelischer Tröstung: „Ach Herr,
wie erfreut es mich, daß alle Lieblichkeit von dir
ausgeht; gib, daß meine Seele, aller erdhaften
Neigung entkleidet und ledig, sich emporschwinge und
wie ein lieblicher Wohlgeruch vor deinem Angesicht
erscheine."
Dringen
liebliche Weisen voll süßer Harmonie an dein Ohr,
dann erhebe dein Gemüt zu Gott und sprich: „O mein
Gott und Herr, wie beglücken mich deine unendlichen
Vollkommenheiten, die nicht nur zu einer himmlischen
Harmonie zusammenklingen, sondern auch im
einhelligen Chor der Engel, im Himmel und in der
ganzen Schöpfung eine wunderbare, jubelnde Melodie
auslösen."
22. Wie
uns die sichtbaren Dinge durch die Betrachtung des
menschgewordenen Wortes in den Geheimnissen seines
Lebens und Sterbens zur Beherrschung unserer Sinne
verhelfen
Im
Vorhergehenden habe ich gezeigt, wie wir unseren
Geist von den sichtbaren Dingen zur Betrachtung des
göttlichen Wesens erheben können. Nun erlerne auch
das Verfahren, an dieselben die Betrachtung des
menschgewordenen Wortes durch die Erwägung der
heiligsten Geheimnisse seines Lebens und Leidens
anzuknüpfen.
Alle Dinge
der Welt können diesem Zwecke dienen, wenn man, wie
oben gesagt wurde, in ihnen den allerhöchsten Gott
als die einzige und erste Ursache erblickt, die
denselben alles Sein, alle Schönheit und alle
Vorzüge, die sie besitzen, verliehen hat, und dann
weiter erwägt, wie groß und unermeßlich seine Güte
ist, daß er, der alleinige Urheber und Herr der
ganzen Schöpfung, sich so erniedrigte, daß er Mensch
wurde und für uns Menschen leiden und sterben wollte
und sogar zuließ, daß seine eigenen Geschöpfe sich
wider ihn erhoben und ihn ans Kreuz schlugen.
Viele
Dinge sind besonders geeignet, die heiligen
Geheimnisse vor unserem geistigen Auge zu
vergegenwärtigen, wie beispielsweise Waffen,
Stricke, Geißeln, Säulen, Dornen, Schilfrohre,
Hämmer usw., welche Werkzeuge seines Leidens waren.
Ärmliche
Wohnungen werden dir den Stall und die Krippe des
Herrn ins Gedächtnis rufen. Beim Regen sollen wir
des göttlichen Blutregens gedenken, der im Ölgarten
von seinem heiligsten Leibe niedertropfte und zur
Erde niederrann. Steine, die wir erblicken, werden
uns jene Felsen vergegenwärtigen, die sich bei
seinem Tode spalteten; die Erde erzählt uns von dem
Beben, das sie erzittern machte; die Sonne von der
Finsternis, die sie verdunkelte; und sehen wir
Wasser, so möge es uns an jenes Wasser erinnern, das
aus seiner heiligsten Seite floß. — Ähnliches kann
man auch von anderen Dingen sagen.
Genießt du
Wein oder ein anderes Getränk, so denke an den Essig
und die Galle, womit man den Herrn tränkte.
Reizen
dich Wohlgerüche, dann erinnere dich des
Leichengeruches, den die Toten auf dem
Kalvarienberge ausströmten und der den Herrn
belästigte.
Legst du
deine Kleider an, dann denke an das ewige Wort, das
die menschliche Natur annahm, um seine Gottheit zu
verhüllen.
Ziehst du
deine Kleider aus, dann erinnere dich, wie dein
Heiland seiner Gewänder beraubt wurde, um nackt und
bloß für dich gegeißelt und gekreuzigt zu werden.
Hörst du
das Volk schreien und toben, dann gedenke der
abscheulichen Rufe, die ans Ohr deines göttlichen
Heilandes drangen: „Ans Kreuz! Ans Kreuz! Hinweg mit
ihm! Hinweg mit ihm!"
Vernimmst
du den Schlag einer Uhr, dann erinnere dich jener
qualvollen Herzschläge, die dein Jesus empfand, als
er im Ölgarten wegen des nahen Leidens und Sterbens
zu zittern begann; oder stelle dir vor, jene
grausamen Hammerschläge zu vernehmen, mit welchen
man ihn ans Kreuz schlug.
Bei jeder
Gelegenheit, wo sich bei dir oder anderen Trauer
oder Weh melden, erwäge, daß dieses Leid im
Vergleich zu jenen unfaßbaren Qualen, die den Leib
und die Seele deines Herrn peinigten und
niederdrückten, nichts ist.
23. Von
anderen Hilfen, unsere Sinne bei den verschiedenen
Gelegenheiten zu beherrschen
Wir haben
gesehen, wie wir unseren Geist von den sichtbaren
Dingen aus zur Betrachtung Gottes und der
Geheimnisse des menschgewordenen Wortes erheben
können. Nun füge ich noch einige andere Arten von
Erwägungen hinzu, damit jede Seele je nach ihrem
Geschmack und Bedürfnis reichliche und entsprechende
Nahrung findet.
Das wird
nicht bloß schlichten Seelen, sondern auch jenen,
die sich zur höheren Erkenntnis aufgeschwungen haben
und bereits auf dem geistlichen Wege weiter
vorangeschritten sind, ebenfalls zum Nutzen
gereichen. Denn niemand ist beständig und im
gleichen Maße zu den erhabensten Betrachtungen fähig
und disponiert.
Übrigens
brauchst du aber nicht zu fürchten, durch die
Mannigfaltigkeit verwirrt zu werden, sofern du dich
an die Regel der Unterscheidung und an den Rat eines
andern (deines Seelenführers) hältst, die du nicht
nur in diesem Falle, sondern auch in bezug auf alle
Winke, die ich dir gebe, in Demut und mit Vertrauen
befolgen mußt.
Beim
Anblick so vieler reizender Dinge, die dem Auge
gefallen und von der Welt so geschätzt werden,
bedenke, daß alle überaus armselig und schmutzig im
Vergleich zu den himmlischen Reichtümern sind, nach
welchen du (die ganze Welt für nichts erachtend) mit
ganzer Seele trachten sollst.
Wendest du
deinen Blick zur Sonne, dann stelle dir vor, daß
deine Seele im Stande der Gnade deines Schöpfers
viel leuchtender und herrlicher ist als das
Himmelsgestirn; anderseits aber ohne Gottes Gnade
viel dunkler und abscheulicher als die höllische
Finsternis ist. Erhebst du deine leiblichen Augen
zum Himmelsgewölbe, das sich über dir spannt, dann
dringe mit deinen Seelenaugen höher hinauf bis zum
höchsten Himmel und verweile in Gedanken an dem
Orte, der dir zur ewigen und unendlich beseligenden
Wohnung bereitet ist, sofern du hier auf Erden in
Reinheit und Heiligkeit wandelst.
Hörst du
der Vögel Gesang oder andere Weisen, dann erhebe
deinen Geist zu den Chören des Himmels, wo ein
ewiges Alleluja erschallt, und bitte den Herrn, daß
er dich würdige, ihn mit den himmlischen Geistern
auf ewig zu loben und zu preisen.
Merkst du,
daß irdische Schönheit dich zu umgarnen sucht, dann
übersieh nicht, daß die höllische Schlange sich
darin verbirgt, darauf bedacht und bereit, dich zu
töten oder wenigstens zu verwunden. „O du verfluchte
Schlange!" so magst du zu ihr reden, „wie
hinterlistig stellst du mir nach, um mich zu
verschlingen!" — Und zu Gott gewandt sprich:
„Gepriesen seist du, mein Gott, daß du mir den Feind
entdeckt und mich vor seinem grimmigen Rachen
errettet hast!" — Alsdann flüchte vor der lockenden
Gefahr eilig in die Wundmale des Gekreuzigten.
Betrachte dieselben und erwäge, wieviel der Herr an
seinem heiligsten Leibe erlitten hat, um dich von
der Sünde zu erlösen und dir einen tiefen Abscheu
wider die Sinnenlust einzuflößen.
Noch an
ein anderes Mittel, um der gefährlichen Lockung aus
dem Wege zu gehen, erinnere ich, nämlich daß du dich
innerlich von dem ernsten Gedanken erfassen läßt,
was wohl aus dem Geschöpf nach seinem Tode wird, das
dich jetzt mit seiner Schönheit so reizt.
Während du
wandelst, erinnere dich daran, daß du mit jedem
Schritt dem Tode näher kommst.
Siehst du
die Vögel die Luft durcheilen und Wasser
dahinfließen, denke daran, daß dein Leben mit noch
größerer Schnelligkeit dem Ende zueilt.
Wenn
Orkane losbrechen oder Blitze zucken und die Donner
rollen, gedenke des schreckvollen Gerichtstages.
Beuge anbetend deine Knie und flehe zu Gott, er möge
dir Gnade und Zeit schenken, um gut vorbereitet vor
seiner höchsten Majestät erscheinen zu können. Bei
den verschiedenartigen Ereignissen, die jedem im
Leben begegnen, kannst du dich auf ähnliche Weise
üben.
Fühlst du
dich zum Beispiel von Schmerz und Traurigkeit
niedergedrückt oder hast du unter Hitze, Kälte oder
einem anderen Ungemach zu leiden, richte deinen
Blick empor auf Gottes ewigen Willen, dem es zu
deinem Besten gefiel, dich gerade in dem Maße und zu
der Zeit diese Trübsal erdulden zu lassen. Erfreue
dich deshalb der Liebe, die Gott dir zeigt, und der
Gelegenheit, die er dir bietet, ihm zu seinem
größeren Wohlgefallen zu dienen, und sprich zu
deinem Herzen: „Sieh, so erfüllt sich an mir der
Wille Gottes, der von Ewigkeit bestimmte, daß ich
jetzt diese Drangsal erleide. Gepriesen sei darum
auf ewig mein liebreicher Herr!"
Taucht in
deinem Herzen ein guter Gedanke auf, so kehre ihn
sogleich zu Gott hin und erkenne mit Dankbarkeit an,
daß er von ihm ausging.
Liesest
du, dann stelle dir vor, als ob der Herr selbst zu
dir sprechen würde, und nimm die Worte auf, wie wenn
sie aus seinem göttlichen Munde fließen würden.
Fällt dein
Blick auf ein Kruzifix, sieh es als die Standarte
deines Kriegsdienstes an. Verläßt du dieselbe, dann
gerätst du in die Hände grausamer Feinde; folgst du
ihr, dann wirst du mit reicher Siegesbeute in den
Himmel einziehen.
Siehst du
das liebliche Bild Mariens, der Jungfrau, wende dein
Herz zur Königin des Himmels hin und sag' ihr Dank,
daß sie Gottes Willen allzeit so treu erfüllte; daß
sie den Erlöser der Welt geboren, mit ihrer Milch
genährt hat und heranwachsen ließ, und daß in
unserem geistlichen Kampfe ihre Gnadenhilfe niemals
versagt.
Die
Heiligenbilder zeigen dir ebenso viele tapfere
Streiter, die ihren Lauf vollendeten und dir den Weg
bahnten, den du ebenfalls gehen mußt, um mit ihnen
der ewigen Siegeskrone teilhaft zu werden.
Erblickst
du eine Kirche, so kannst du unter anderem erwägen,
daß deine Seele ein Tempel Gottes ist, den du als
seine Wohnung rein und unentweiht erhalten sollst.
Sooft du
das dreimalige Glockenzeichen zum „Englischen Gruße"
vernimmst, magst du folgende kurze Erwägungen
anstellen, die den Worten entsprechen, die man vor
jedem Himmelsgruß zu beten pflegt: Beim ersten
Zeichen danke Gott für die Botschaft, die er als
Anfang unserer Erlösung vom Himmel auf die Erde
sandte. Beim zweiten freue dich mit Maria, der
Jungfrau, über ihre hohe Würde, zu der sie aus ihrer
außerordentlichen und überaus tiefen Demut erhoben
wurde. Beim dritten Zeichen bete mit der
überglücklichen Mutter und dem Erzengel Gabriel das
eben fleischgewordene göttliche Kindlein an.
Vergiß
auch nicht bei allen drei Glockenzeichen, namentlich
beim letzten, aus Ehrfurcht ein wenig dein Haupt zu
neigen.
Diese
Erwägungen, auf die drei Glockenzeichen verteilt,
eignen sich für jede Zeit des Tages.
Die
folgenden Erwägungen verteilen sich auf den Abend,
Mittag und Morgen und beziehen sich auf das Leiden
des Herrn. Um uns nicht undankbar zu zeigen, sollen
wir als ihre grossen Schuldner oftmals der Schmerzen
Unserer Lieben Frau gedenken, die sie wegen des
Leidens ihres Sohnes erduldet hat.
Am Abend
gedenke der Todesangst, die die reinste Jungfrau
wegen des blutigen Schweisses, der Gefangennahme und
der geheimen Not ihres gebenedeiten Sohnes in jener
Nacht erlitt. Am Morgen habe Mitleid mit ihrer
Betrübnis, die sie empfand, als ihr Sohn vor Pilatus
und Herodes geführt, zum Tode verurteilt und mit dem
schweren Kreuze beladen wurde. Am Mittag betrachte
mit Andacht das Schwert der Schmerzen, das das Herz
der betrübten Mutter bei der Kreuzigung und dem Tode
des Herrn und der grausamen Durchbohrung seiner
heiligsten Seite durchdrang.
Diese
Betrachtungen über die Schmerzen Mariens magst du
vom Donnerstagabend bis zum Samstagmittag anstellen;
die übrigen an den anderen Tagen. Richte dich aber
dabei ganz nach dem frommen Zug deines Herzens und
den äußeren Umständen, wie sie sich gerade ergeben.
Nun zum
Schluß in aller Kürze, um deine Sinne recht zu
beherrschen: Sei allen Dingen, Ereignissen und
Vorfällen gegenüber auf der Hut, daß du dich nicht
gleich durch Zu- oder Abneigung, die sie in dir
erwecken, beeinflussen oder bestimmen läßt. Laß dich
nur insofern darauf ein oder lehne sie ab, wie du
sie nach dem Willen Gottes ergreifen oder abweisen
sollst.
Laß es dir
auch gesagt sein, daß ich die obigen Weisungen über
die Art, wie du deine Sinne beherrschen sollst,
nicht gegeben habe, daß du dich einzig damit
beschäftigst. Vielmehr sollst du deinen Geist in
beständiger Sammlung auf Gott einstellen und nach
seinem Willen durch häufige Tugendakte deine Feinde
zu überwinden und deinen sündhaften Trieben durch
entgegengesetzte Tugendübungen zu widerstehen
trachten. Nur deshalb gab ich dir die bezeichneten
Winke, damit du dich klug und vernünftig danach zu
richten weißt. Denn, wie du wissen mußt, ist es
keineswegs nützlich, sich mit zu vielen Übungen,
auch wenn sie noch so vortrefflich sind, zu
überladen, weil dadurch gar oft der Geist gehemmt
und die Eigenliebe, die Unbeständigkeit und die
Nachstellungen des Teufels gefördert werden.
24. Von
der Beherrschung der Zunge
Die Zunge
muß vor allem beherrscht und im Zaume gehalten
werden, denn die Menschen sind zu sehr geneigt, ihr
freien Lauf zu lassen und von Dingen zu sprechen,
die den Sinnen schmeicheln.
Das viele
Reden hat meistens seine Wurzel in einem gewissen
Hochmut, daß wir uns einbilden, mehr zu wissen, uns
in unseren Gedanken und Vorstellungen bespiegeln und
uns wie Lehrmeister bemühen, dieselben anderen
beizubringen, als ob sie es nötig hätten, von uns zu
lernen.
Die Übel,
die aus dem vielen Reden entstehen, lassen sich mit
wenigen Worten gar nicht beschreiben.
Die
Schwatzhaftigkeit ist die Mutter der Trägheit, ein
Beweis für Dummheit und Albernheit, die Türe für die
Verleumdung, die Dienerin der Lüge und der Rauhreif
für den religiösen Eifer.
Durch das
viele Reden werden die sündhaften Leidenschaften
bestärkt, die dann die Zunge wiederum anreizen, noch
leichtsinniger mit unbesonnenen Reden fortzufahren.
Führe
keine langen Gespräche weder mit solchen, die dich
ungern anhören, um ihnen nicht lästig zu fallen,
noch mit jenen, die dir gerne lauschen, um nicht die
Grenzen der Bescheidenheit zu überschreiten.
Vermeide
alles aufdringliche und laute Reden, denn beides
wirkt unangenehm und zeugt von Anmaßung und Torheit.
Sprich
ohne vernünftigen Grund niemals von deiner Person
und deinen Arbeiten, noch von deinen Angehörigen.
Ist es jedoch notwendig, dann nur kurz und
zurückhaltend.
Redet ein
anderer scheinbar etwas zuviel von sich, so suche
daraus geistigen Gewinn zu ziehen. Ahme ihn auch
dann nicht nach, wenn seine Worte auf eigene
Verdemütigung und Selbstanklage abzielen.
Von deinem
Nächsten und seinen Angelegenheiten sprich möglichst
wenig; es sei denn, du kannst gelegentlich etwas
Gutes von ihm aussagen.
Rede
dagegen gerne von Gott, vor allem von seiner Liebe
und Güte, jedoch mit einer gewissen Furcht, auch
dabei irren zu können. Höre lieber zu, wenn andere
davon sprechen, und bewahre ihre Worte im Grunde
deines Herzens.
Von den
Gesprächen anderer darf nur der Schall ihrer Stimme
an dein Ohr dringen; dein Herz soll nämlich ständig
auf den Herrn eingestellt bleiben. Mußt du aber
unbedingt auf das Gespräch eines anderen aufmerken,
um ihn zu verstehen und ihm Antwort zu geben, dann
unterlasse es nicht, hie und da in Gedanken einen
Blick zum Himmel zu richten, wo dein Gott wohnt, und
gedenke seiner erhabenen Größe, wie auch er stets
auf deine Niedrigkeit herabschaut.
Überlege
zuvor sorgfältig, ehe deine Gedanken und Einfälle
von deinen Lippen fließen, denn bei vielen wirst du
erkennen, daß sie besser unausgesprochen bleiben.
Ferner ist
es angebracht, daß du manches von dem, was dir zu
sagen wert erscheint, mit Stillschweigen begräbst.
Sicherlich wirst du dies auch einsehen, wenn du nach
dem Gespräch darüber nachdenkst.
Das
Stillschweigen, meine christliche Seele, ist eine
große Macht im geistlichen Kampf und ein sicheres
Unterpfand für den Sieg.
Es ist
eine unentbehrliche Freundin für den, der sich
selbst mißtraut und sein Vertrauen auf Gott setzt.
Es ist die Hüterin des Gebetsgeistes und die
vortrefflichste Helferin in der Übung der Tugenden.
Um dich
ans Stillschweigen zu gewöhnen, erwäge öfters die
Schäden und Gefahren der Geschwätzigkeit und die
großen Vorteile des Stillschweigens.
Suche
diese Tugend liebzugewinnen und — um in ihr
Fertigkeit zu erlangen — schweige zuweilen auch,
wenn es nicht Unrecht ist zu reden, sofern dir oder
dem Nächsten daraus kein Schaden erwächst.
Darum wird
es dir auch von Nutzen sein, wenn du dich von
Unterhaltungen fernhältst. Anstelle der Menschen
werden die Engel und Heiligen, ja Gott selbst dir
Gesellschaft leisten. Vergiß schließlich nicht des
Kampfes, den du zu führen hast; denn wenn du weißt,
welch große Aufgabe deiner harrt, wirst du kein
Verlangen danach tragen, dich mit müßigen Reden zu
befassen.
25. Ein
Streiter Christi muß, um wider die Feinde gut zu
kämpfen, die Verwirrung und Unruhe des Herzens
möglichst fliehen
Nach
besten Kräften müssen wir uns bemühen, den
verlorenen Herzensfrieden wiederzugewinnen. Ebenso
muß es dir einleuchten, daß kein Ereignis, das uns
im Leben begegnet, uns denselben wirklich rauben
oder auch nur stören darf.
Allerdings
haben wir triftigen Grund, unsere Sünden zu
beklagen, aber das dürfen wir nur mit einem ruhigen
Schmerz, wie ich es bereits an mehreren Stellen
ausgeführt habe. In gleicher Weise soll man ohne
Herzensunruhe jeden Sünder mit wohlwollender Liebe
bemitleiden und dessen Schuld wenigstens im Herzen
beweinen.
Andere
harte und kummervolle Schicksalsschläge wie
Krankheit, Verletzungen, Todesfälle unserer
Angehörigen, Pest, Krieg, Feuersbrünste und ähnliche
Übel werden von den Weltleuten als naturwidrig
meistens verabscheut; wir aber können sie mit Gottes
Gnade nicht nur wünschen, sondern sogar als eine
gerechte Strafe für die Bösen und als eine
Gelegenheit zur Tugendübung für die Gerechten
liebgewinnen. In dieser Hinsicht sind sie ja auch
unserem Herrgott wohlgefällig. Und richten wir uns
hierin nach seinem Willen, dann werden wir ruhigen
und heiteren Gemütes durch alle Bitterkeiten und
Widerwärtigkeiten dieses Lebens hindurchgehen.
Sei darum
versichert, daß jede Art von Unruhe in uns dem
lieben Gott mißfällt, weil sie immer von
Unvollkommenheit begleitet ist und stets aus der
häßlichen Wurzel unserer Selbstliebe hervorgeht.
Stelle
deshalb immer eine Wache auf, die dir sogleich ein
Zeichen gibt, wenn sie irgend etwas entdeckt, was
dich verwirren oder beunruhigen könnte, damit du zur
Verteidigung die Waffen ergreifst und dir sagst, daß
alle erwähnten Leiden und viele ähnliche trotz ihres
äußeren Scheines gar keine wahren Übel sind und uns
auch nicht die eigentlichen Güter zu rauben imstande
sind, und daß Gott selbst sie alle aus den besagten
guten Gründen fügt oder aus anderen uns unbekannten,
aber zweifellos höchst gerechten und heiligen
Absichten zuläßt.
Wenn man
so bei jedem Unglücksfall sein Herz in Ruhe und
Frieden bewahrt, dann kann man daraus viel Nutzen
ziehen; andernfalls fruchten unsere Übungen wenig
oder gar nichts.
Zudem ist
unser Herz wegen seiner Unruhe den mannigfachen
Angriffen des bösen Feindes ständig ausgesetzt, und
wir sind in einem solchen Zustande auch nicht in der
Lage, den geraden Pfad und den sicheren Weg der
Tugend zu erkennen.
Unser
Feind kann diesen Frieden in der Seele nicht leiden,
weil er in ihm die Wohnstätte des göttlichen Geistes
erblickt, wo Gott Großes wirken will. Deswegen
versucht er, ihn uns durch falsche Vorspiegelungen
zu rauben, indem er uns scheinbar fromme Wünsche
eingibt. Den Betrug vermagst du unter anderem daran
zu erkennen, daß diese Wünsche dich um den Frieden
des Herzens bringen.
Um einen
so großen Schaden zu verhindern, öffne, wenn die
Wache wieder einen Wunsch meldet, die Türe deines
Herzens nicht eher, als bis du, frei von allem
Eigenwillen, ihn zuerst Gott dargestellt und den
Herrn mit dem Bekenntnis deiner Blindheit und
Unwissenheit aufs inständigste gebeten hast, er möge
in seinem Lichte dich erkennen lassen, ob derselbe
von ihm oder dem Widersacher stamme. Wenn möglich,
hole auch das Urteil deines Seelenführers ein.
Auch wenn
der Wunsch von Gott herrührt, bemühe dich, deinen
allzu großen Eifer vor seiner Ausführung zu zügeln.
Denn ein Werk, dem eine solche Abtötung vorausgeht,
ist Gott genehmer, als wenn es mit natürlichem
Ungestüm vollbracht wird; ja, bisweilen ist ihm die
Abtötung sogar wohlgefälliger als das Werk selbst.
Du wirst
die Festung deines Herzens in Frieden und Sicherheit
halten, wenn du deine unguten Wünsche vertreibst und
die guten nicht eher ausführst, als bis du die
natürlichen Antriebe zuvor zurückgedrängt hast.
Um dein
Herz in tiefstem Frieden zu bewahren, mußt du es vor
gewissen Selbstvorwürfen und Gewissensbissen
schützen, die von Gott zu kommen scheinen, weil sie
dich eines Fehlers beschuldigen, in Wirklichkeit
aber vielfach vom Teufel eingegeben sind.
An ihren
Früchten wirst du erkennen, woher sie eigentlich
stammen.
Machen sie
dich demütig und eifrig fürs Gute und zerstören sie
nicht das Gottvertrauen, dann nimm sie als von Gott
kommend in Dankbarkeit an. Machen sie dich unruhig,
kleinmütig, mißtrauisch, träge und nachlässig im
Guten, dann kannst du bestimmt annehmen, daß sie vom
Widersacher herrühren. Schenke ihnen deshalb kein
Gehör und fahre ruhig in deinen Übungen fort.
Öfters als
aus den angegebenen Ursachen entspringt die Unruhe
unseres Herzens den Widrigkeiten, die uns zustoßen.
Um dich gegen solche Schläge zu sichern, mußt du
zweierlei beachten. Zunächst gib acht und sieh zu,
wem diese Ereignisse zuwider sind; der Seele oder
bloß der Eigenliebe und dem Eigenwillen. Sind sie
deinen Hauptfeinden, dem Eigenwillen und der
Eigenliebe, zuwider, dann darfst du sie nicht als
Widerwärtigkeiten ansprechen, sondern als
Gnadenerweise und Hilfeleistungen vonseiten des
allerhöchsten Gottes, die wir mit freudigem Herzen
und mit Dankbarkeit annehmen müssen.
Sind sie
der Seele zuwider, so darfst du ihretwegen den
Frieden des Herzens nicht verlieren, wie ich es dir
im folgenden Kapitel darlegen werde.
Zweitens
mußt du dein Herz ganz auf Gott einstellen und
blindlings, ohne Weiteres wissen zu wollen, alles
aus der liebevollen Hand der göttlichen Vorsehung
als reiches Gnadengeschenk annehmen, dessen Wert dir
im Augenblick noch unbekannt ist.
26.
Unser Verhalten bei Verwundungen
Fühlst du
dich verwundet, weil du aus Schwachheit oder sogar
mit Wissen und Willen fehltest, dann werde nicht
kleinmütig und unruhig, sondern kehre auf der Stelle
zu Gott zurück und sage zu ihm: „Siehe, Herr, da
habe ich wieder gezeigt, was ich bin; von mir aus
war ja nichts anderes als ein Fehltritt zu
erwarten."
Denke
etwas darüber nach und verdemütige dich vor dir
selbst. Bereue die Beleidigung Gottes und
verabscheue, ohne die Fassung zu verlieren, deine
sündhaften Leidenschaften, namentlich jene, die dich
zur Sünde führten. Und fahre dann fort: „Herr, auch
hier wäre ich weiter gegangen, wenn deine Güte mich
nicht zurückgehalten hätte."
Sage ihm
jetzt Dank. Umfasse ihn mit noch innigerer Liebe und
bewundere seine Güte, daß er dir trotz deiner Sünde
seine Rechte bot, um dich vor weiterem Falle zu
bewahren.
Und voll
Vertrauen auf seine unendliche Barmherzigkeit
sprich: „Herr, zeige dich, wie du bist: Verzeihe mir
und laß nie zu, daß ich mich je im Leben von dir
trenne; daß ich von dir weggehe und dich noch einmal
beleidige." Dann aber grüble nicht mehr darüber
nach, ob Gott dir auch wirklich verziehen hat oder
nicht; denn das wäre nur Hochmut, Beunruhigung des
Geistes, Zeitvergeudung und Hinterlist des bösen
Feindes, der dich durch scheinbar gute Vorstellungen
täuschen will.
Überlaß
dich rückhaltlos Gottes liebevoller Vatersorge und
fahre in deinen Übungen gerade so fort, als ob du
gar nicht gestrauchelt wärest. Und solltest du
tagsüber wiederholt fallen und verwundet werden,
dann tu, was ich dir gesagt habe, mit nicht
geringerem Vertrauen ein zweites, drittes und auch
das letzte Mal genau so wie das erste Mal. Und mit
größerer Selbstverachtung und wachsendem Abscheu vor
der Sünde gib dir Mühe, behutsamer zu wandeln. Diese
Übung mißfällt dem bösen Feind ungemein, weil er
weiß, wie wohlgefällig sie Gott ist, und weil er
sich von dem beschämt und überwunden sieht, den er
vorher besiegt hatte. Darum bemüht er sich, uns
durch mannigfache heimtückische Kunstgriffe davon
abzuhalten, was ihm leider wegen unserer
Fahrlässigkeit und geringer Wachsamkeit über uns
selbst vielfach gelingt. Stößt du daher auf
Schwierigkeiten, dann mußt du dir noch mehr Gewalt
antun, indem du diese Übung auch bei einem einzigen
Fehltritt öfters wiederholst.
Bist du
nach einem Fehler unruhig, verwirrt und verzagt,
dann mußt du zuallererst den Frieden und die Ruhe
des Herzens zugleich mit dem Vertrauen wieder zu
erlangen trachten. Die Unruhe, die du nämlich der
Sünde wegen empfindest, hat ihren Grund nicht in der
Beleidigung, die du Gott, sondern in dem Schaden,
den du dir selbst zugefügt hast.
Das
Mittel, um diesen Frieden wiederzugewinnen, besteht
darin, daß du dir für den Augenblick den Fehltritt
ganz aus dem Sinn schlägst und einzig die
unaussprechliche Güte Gottes betrachtest, wie er mit
unsagbarem Verlangen bereit ist, dir jede, auch die
schwerste Sünde zu vergeben, und wie er den Sünder
auf die verschiedenste Weise und auf vielerlei Wegen
ruft, damit er komme und sich in diesem Leben durch
die heiligmachende Gnade und im Jenseits durch die
ewig beseligende Glorie mit ihm vereine.
Hast du
durch solche oder ähnliche Erwägungen dein Herz
beruhigt, dann führe dir deinen Fehltritt wieder vor
die Seele und verfahre, wie ich es dir oben sagte.
Kommt die
Stunde zum Empfang des Bußsakramentes — dessen
häufigen Empfang ich dir nicht genug ans Herz legen
kann —, dann überdenke wieder alle deine Fehltritte
und bekenne sie aufrichtig deinem Beichtvater mit
erneutem Reueschmerz und Mißfallen über die Gott
angetane Beleidigung und mit dem Vorsatz, ihn nicht
mehr zu beleidigen.
27. Wie
der Teufel die Tugendhaften und die Sklaven der
Sünde zu bekämpfen und zu betrügen sucht
Das mußt
du dir merken, daß der Teufel auf nichts anderes als
auf unseren Untergang ausgeht und daß er nicht alle
auf dieselbe Weise bekämpft.
Um dir
einige seiner Kampfarten und Täuschungsversuche zu
schildern, will ich dir vorerst die Seelenverfassung
aufdecken, in welcher sich manche Menschen befinden.
Die einen
leben in der Sklaverei der Sünde und denken gar
nicht daran, sich von ihr zu befreien.
Andere
wollen sich allerdings freimachen, aber fangen
niemals damit an.
Wieder
andere glauben auf dem Wege der Tugend zu wandeln,
gehen aber dennoch abseits.
Andere
endlich waren bereits im Besitz der Tugend, fallen
jedoch in noch größeres Unglück.
Von diesen
allen wollen wir der Reihe nach berichten.
28. Die
Kampfesart und Hinterlist des Teufels wider die
Sklaven der Sünde
Hält der
böse Feind jemand in der Knechtschaft der Sünde
gefangen, dann sinnt er nur darauf, ihn noch mehr zu
verblenden und jeden Gedanken von ihm fernzuhalten,
der ihn zur Erkenntnis seiner unglücklichen Lage
führen könnte.
Aber nicht
genug damit, daß er die Gedanken und Eingebungen,
die ihn zur Umkehr bringen würden, durch
widersprechende Vorstellungen verdrängt. Er sucht
ihn durch geschickt herbeigeführte Gelegenheiten in
die gleichen oder andere, noch größere Sünden zu
stürzen. Infolgedessen wächst und verschlimmert sich
seine Verblendung ständig, so daß er immer tiefer
fällt und sich ganz an die Sünde gewöhnt. Auf diese
Weise gleitet sein unglückliches Leben gleichsam wie
im Kreislauf eilends von der größeren Sünde in
größere Verblendung und von dieser in größere Schuld
und zuletzt in den Tod — wenn Gott nicht mit seiner
Gnade vorsorgt.
Das
Gegenmittel, soweit es in unserer Macht liegt,
besteht darin, daß derjenige, der sich in einer so
unglücklichen Lage befindet, den Vorstellungen und
Eingebungen, die ihn vom Dunkel ins Licht rufen,
bereitwillig Gehör schenkt und aus ganzem Herzen zu
seinem Schöpfer fleht: „O mein Herr, hilf mir; komme
mir eilends zu Hilfe und laß mich nicht länger in
dieser Sündennacht liegen!" Unablässig soll er auf
diese oder ähnliche Weise zu Gott flehen und rufen.
Wenn es
ihm möglich ist, eile er schnellstens zu einem
Beichtvater, um Rat und Hilfe zu holen, wie er sich
aus den Händen des Feindes befreien könne.
Ist es ihm
aber unmöglich, dies sofort zu tun, dann nehme er
eilig seine Zuflucht zum Gekreuzigten und werfe sich
in Demut zu dessen Füßen nieder. Auch bitte er die
allerseligste Jungfrau Maria um Erbarmen und
Beistand.
Sei
überzeugt: In der raschen Entschlossenheit liegt der
Sieg, wie du es im nächsten Kapitel hören wirst.
29. Wie
hinterlistig der Teufel jene gefangen hält, die ihr
Elend erkennen und sich freimachen wollen — Die
Gründe, warum unsere Vorsätze oft so unwirksam sind
Gewöhnlich
werden jene, die ihre schlimme Lage erkennen und
gerne ändern möchten, vom bösen Feind mit der
hinterlistigen Waffe besiegt, nämlich daß sie ihre
Bekehrung auf morgen, auf später verschieben
sollten.
„Ich will
eine Sache noch erledigen und das Hemmnis erst
beseitigen, um mich später mit mehr Ruhe dem
geistlichen Leben widmen zu können..."; eine Grube,
in die viele fielen und noch immer fallen.
Unsere
Trägheit und Bequemlichkeit tragen die Schuld, daß
man in einer Angelegenheit, bei der doch das
Seelenheil und Gottes Ehre auf dem Spiel stehen,
nicht rasch und entschlossen die siegreichen Waffen
ergreift: „Jetzt, sogleich, warum denn erst
später?... Heute noch; ja heute, warum denn erst
morgen?" und nicht zu sich selbst sagt: „Sollte mir
das »Später« und das »Morgen« auch gewährt sein; ist
das wirklich der rechte Weg zum Heil und Sieg, daß
man sich vorher verwunden lassen und aufs neue
schuldig machen will?"
Du siehst
also, das beste Gegenmittel, um dieser und der im
vorigen Kapitel besprochenen Täuschung zu entgehen
und den Feind zu überwinden, liegt im unverzüglichen
Gehorsam gegen die göttlichen Vorstellungen und
Eingebungen.
Rasche
Entschlossenheit und keine bloßen Vorsätze; denn
diese versagen meistens. Viele wurden bei
verschiedenen Anlässen gerade durch dieselben
getäuscht.
Der
erste
schon vorhin erwähnte Grund ist der, daß unsere
Vorsätze nicht das Mißtrauen gegen uns selbst und
das Vertrauen auf Gott zum Fundament haben. Unser
hochfahrender Sinn läßt uns ja auch nicht die Quelle
unserer Täuschung und Verblendung erkennen.
Das Licht
zur Erkenntnis und das Mittel zum Heile entstammen
der Güte Gottes, der unseren Fehltritt zuläßt und
uns durch unseren Fall von unserem Selbstvertrauen
zum Gottvertrauen und von unserem Hochmut zur
Selbsterkenntnis verhilft.
Willst du
also, daß sich deine Vorsätze verwirklichen, dann
müssen sie fest sein. Und fest werden sie, wenn sie
keine Spur von Selbstvertrauen an sich tragen und
nur auf demütigem Gottvertrauen aufgebaut sind.
Der
zweite
Grund
ist, daß wir bei
unseren Vorsätzen besonders auf die Schönheit und
den Wert der Tugend schauen, die unseren allzu
schwachen und energielosen Willen für sich
einnehmen, weshalb er bei eintretenden
Schwierigkeiten, die wir zur Gewinnung einer Tugend
überwinden müssen, versagt und zurückschreckt, eben
weil er so schwach und ungeübt ist.
Deshalb
nimm, um deinen Eifer zu entflammen, für gewöhnlich
nicht die Tugend selbst, als vielmehr vor allem die
Schwierigkeiten, die mit ihrem Erwerb verknüpft
sind, aufs Korn.
Mit derlei
Schwierigkeiten mußt du — bald weniger, bald mehr —
deinen Willen erziehen, sofern du wirklich in den
Besitz der Tugenden gelangen willst. Und sei
überzeugt, daß du dich selbst und deine Feinde viel
schneller und gründlicher besiegen wirst, je
hochherziger und inniger du die Schwierigkeiten
annimmst und sogar liebgewinnst.
Der
dritte
Grund endlich ist der, daß unsere Vorsätze vielfach
weniger die Tugend und den Willen Gottes, als unser
eigenes Interesse im Auge haben. Das ist gewöhnlich
bei solchen Vorsätzen der Fall, die wir in Zeiten
geistlichen Trostes oder schwerer und harter
Bedrängnis fassen, in welcher uns nur der Vorsatz,
uns ganz Gott und der Übung der Tugend widmen zu
wollen, eine Linderung gewährt.
Um dieser
Täuschung nicht zu unterliegen, sei in Zeiten
seelischen Gehobenseins mit Vorsätzen besonders
vorsichtig und zurückhaltend, vor allem mit
Versprechen und Gelübden.
Und bist
du niedergeschlagen, dann erwecke nur den einen
Vorsatz, nach dem Willen Gottes dein Kreuz geduldig
zu tragen und unter Verzicht auf jeden irdischen, ja
selbst himmlischen Trost in ihm zu frohlocken. Deine
einzige Bitte und dein einziger Wunsch seien dann,
daß du mit Gottes Hilfe und mit der unversehrten
Tugend der Geduld und ohne Fehl jede Widerwärtigkeit
ertragen kannst.
30. Von
der Täuschung jener, die auf dem Wege der
Vollkommenheit zu wandeln glauben
Hat der
Widersacher beim ersten und zweiten Angriff und
Täuschungsversuch eine Niederlage erlitten, dann
versucht es der Böse mit einem dritten, daß er
nämlich unsere Aufmerksamkeit von unseren
eigentlichen Feinden, die uns wirklich bekämpfen und
schädigen, ablenkt und uns mit Plänen und Wünschen
nach einer höheren Vollkommenheit überrumpelt.
Infolgedessen tragen wir beständig neue Wunden
davon, ohne ihnen Beachtung zu schenken. Wir halten
derartige Pläne schon für Wirklichkeit und schwelgen
in stolzem Selbstgefühl.
Während
wir nicht die geringste Mühsal oder einen
Widerspruch ertragen mögen, vergeuden wir mitunter
die Zeit mit langen Betrachtungen und Vorsätzen, wie
wir große Leiden, ja selbst die des Reinigungsortes
erdulden wollen.
Weil
unsere Sinnlichkeit dagegen, wie bei einer
fernliegenden Erscheinung, keinen Widerwillen
empfindet, bilden wir Armselige uns ein, schon auf
gleicher Stufe mit denen zu stehen, die in der Tat
Großes mit Geduld ertragen haben.
Um diesem
Irrtum aus dem Weg zu gehen, bekämpfe vorsätzlich
nur solche Feinde, die dich aus der Nähe und
Wirklichkeit bekriegen. Dann wirst du dich
überzeugen, ob deine Vorsätze echt oder unecht,
wirksam oder unwirksam sind, und du wirst auf dem
gebahnten und königlichen Wege zur Tugend und
Vollkommenheit voranschreiten.
Gegen
solche Feinde aber, die dich gewöhnlich nicht
belästigen, rate ich dir ab, einen Kampf zu
unternehmen; es wäre denn, daß du einen baldigen
Angriff von ihrer Seite aus zu erwarten hast. In
diesem Falle tust du recht daran, im voraus Vorsätze
zu fassen, um dann gerüstet und stark angetroffen zu
werden.
Betrachte
deine Vorsätze jedoch niemals als Tatsachen, selbst
wenn du dich pflichtgemäß eine Zeitlang in der
Tugend geübt hast. Bleibe demütig und in Sorge
deiner Schwäche wegen! Vertrau auf Gott und nimm zu
ihm in häufigem Gebet deine Zuflucht, damit er dich
stärke und vor aller Gefahr behüte, namentlich vor
jeder Vermessenheit und dem leisesten
Selbstvertrauen.
Unter
dieser Voraussetzung dürfen wir im voraus wohl
Vorsätze fassen, um eine höhere Stufe der
Vollkommenheit zu ersteigen, auch wenn wir einige
kleinere Fehler nicht ablegen können, die der Herr
zu unserer Verdemütigung und Selbsterkenntnis und
zur Bewahrung irgendeines Gutes zuläßt.
31. Von
dem listigen Versuch des Teufels, uns vom Weg der
Tugend abzubringen
Sieht der
böse Geist uns auf dem geraden Wege zur Tugend, so
fällt er uns, wie oben gesagt wurde, mit einer
vierten List an, indem er in uns fromme Wünsche
verschiedenster Art weckt, um uns von der Übung der
Tugend ins Laster zu stürzen.
Eine
kranke Person erduldet beispielsweise ihr Unwohlsein
mit Geduld und Ergebung. Der heimtückische
Widersacher weiß sehr wohl, daß sie sich dadurch die
Fertigkeit in der Übung der Geduld aneignet. Er
stellt ihr darum all die guten Werke vor, die sie in
einer anderen Lage auszuführen imstande wäre, und
versucht ihr einzureden, sie könnte gesund Gott viel
besser dienen und sich wie auch dem Nächsten mehr
nützen.
Hat er ihr
einmal solche Wünsche angeregt, so fördert und
steigert er dieselben immer mehr, bis schließlich
die Person darüber unruhig wird, dieselben nicht zur
Ausführung bringen zu können, wie sie es gerne
möchte. Und je größer und stärker ihr Verlangen
wird, umso mehr wächst auch ihre Unruhe.
Und weiter
verleitet der böse Feind sie ganz unbemerkt zur
Ungeduld über ihre Krankheit, zwar nicht über diese
als solche, sondern als Hindernis zu jenen Werken,
deren Ausführung sie um eines höheren Gutes willen
so sehnsüchtig verlangt.
Hat er sie
so weit, dann entzieht er mit derselben Schlauheit
ihren Augen das Ziel, in allem Gott zu dienen und
gute Werke zu tun, und läßt ihr nur das bloße
Verlangen, von ihrer Krankheit befreit zu werden.
Findet ihr
Wunsch dann keine Erfüllung, so wird sie derartig
beunruhigt, daß sie vollständig die Geduld verliert.
Und so fällt sie, ohne sich dessen zu versehen, von
der Tugend, die sie bislang übte, in das
entgegengesetzte Laster. Das Mittel, um sich vor
einem derartigen Betrug zu schützen und ihm wirksam
zu begegnen, besteht darin, daß du dich in jeder
widrigen Lage, in der du dich befindest, wohl davor
hütest, irgendwelche frommen Wünsche zu hegen, die
du zur Zeit nicht verwirklichen kannst und die dich
wahrscheinlich nur in Unruhe versetzen würden.
In aller
Demut, Geduld und Ergebenheit sei überzeugt, daß
deine verwirklichten Wünsche ohnehin nicht jene
Wirkung haben, die du dir einbildest, da du viel
unvermögender und unbeständiger bist, als du dich
selbst einschätzt.
Bedenke
auch ferner, daß Gott in seinem geheimen Ratschluß,
vielleicht auch deiner Sünden wegen, jenes Gute
nicht einmal von dir begehrt, sondern nur von dir
verlangt, daß du dich in Ergebung unter die
liebevolle und mächtige Hand seiner Vorsehung beugst
und verdemütigst.
Bist du
durch deinen Seelenführer oder infolge einer anderen
Ursache verhindert, deine Andachtsübungen
wunschgemäß zu verrichten und namentlich die heilige
Kommunion zu empfangen, dann laß dich nicht durch
unzeitige Wünsche verwirren und beunruhigen. Befreie
dich von deinem Eigenwillen und bekleide dich mit
Gottes heiligem Willen und sprich zu dir selbst:
„Erblickte
das Auge der göttlichen Vorsehung in mir keinen
Undank und keine Mängel, dann wäre ich jetzt der
Gnade, das allerheiligste Altarsakrament zu
empfangen, keineswegs beraubt. Hieraus erkenne ich,
daß der Herr mir meine Unwürdigkeit kundtun will;
darum sei er immerdar gelobt und gepriesen! Fest
baue ich, o mein Gott, auf die Forderung deiner
unendlichen Güte, daß ich mich dir in allem
unterwerfe, dir gehorche und mein Herz bereitwillig
und ganz deinem Willen erschließe, damit du
geistigerweise bei mir einkehren, es trösten und
wider die Feinde stärken kannst, die es dir
entfremden wollen. Alles möge geschehen, was gut in
deinen Augen ist! Dein Wille, mein Schöpfer und
Erlöser, sei mir jetzt und allezeit Speise und
Stütze! Nur um eine Gnade, o ewige Liebe, bitte ich,
daß meine Seele, geläutert und befreit von allem,
was dir mißfällt, mit dem Schmuck heiliger Tugenden
geziert, stets auf dein Kommen und auf alles, was du
über mich zu verhängen für gut findest, gerüstet
sei."
Befolgst
du diese Weisungen, dann darfst du versichert sein,
daß du bei jedem frommen Wunsche, den du auch nicht
verwirklichen kannst, immer Gelegenheit hast, deinen
Herrn auf diese Weise zufriedenzustellen, wie es ihm
am besten entspricht; mag nun dieser Wunsch von der
Natur oder vom bösen Feind herkommen, welcher dich
zu beunruhigen und vom Weg der Tugend abzubringen
sucht, oder von Gott selbst stammen, der deine
Ergebung in seinen heiligen Willen zu prüfen
begehrt. Denn darin besteht die wahre
Gottverbundenheit und der echte Gehorsam, den Gott
von uns verlangt.
Insbesondere ermahne ich dich, bei Heimsuchungen,
von welcher Seite sie auch kommen mögen, nie
ungeduldig zu werden. Falls du die erlaubten Mittel,
wie sie die Diener Gottes zu gebrauchen pflegen,
dagegen anwendest, so tu dies nicht allein in der
Absicht und in der Erwartung auf Befreiung, sondern
deshalb, weil Gott es will, daß wir uns ihrer
bedienen. Wir wissen ja auch nicht, ob es seiner
göttlichen Majestät genehm ist, uns gerade durch
diese Mittel zu befreien.
Handelst
du anders, dann werden dir noch mehr Übel
widerfahren; denn gelingt die Sache nicht nach
Wunsch und Willen, so gerätst du sicher in Ungeduld
oder deine Geduld wird fehlerhaft, Gott weniger
genehm und dir nur geringes Verdienst eintragen.
Zum Schluß
mache ich dich noch auf eine versteckte Täuschung
aufmerksam, die von unserer Eigenliebe erzeugt wird,
welche unsere Fehler bei gewissen Gelegenheiten
zudeckt und in Schutz nimmt.
So
verhüllt zum Beispiel ein Kranker, der über seine
Krankheit recht verdrießlich ist, seine Ungeduld mit
dem Vorhang des Eifers für etwas scheinbar Gutes.
Sein Mißmut, sagt er, sei keine wirkliche Ungeduld
über die Beschwerden, welche ihm das Unwohlsein
verursachen, sondern ein berechtigter Kummer, daß er
selbst dazu Anlaß gegeben habe, oder daß andere der
Pflege oder anderer Ursachen wegen durch ihn
Unannehmlichkeiten erlitten.
Ähnlich
macht es auch ein Ehrgeiziger, der sich über eine
nicht erhaltene Ehrenstelle ärgert. Er schreibt
diesen Ärger durchaus nicht seinem Hochmut und
seiner Einbildung, sondern anderen Gründen zu, die
ihm aber bekanntlich bei anderen Gelegenheiten gar
keinen Kummer bereiten, solange ihm dabei kein
Nachteil erwächst. Geradesowenig hat der Kranke, den
es angeblich so schmerzt, daß andere seinetwegen
sich abmühen sollen, ein Gefühl, wenn dieselben bei
anderen Kranken die gleichen Beschwerden auf sich
nehmen müssen.
Das
beweist deutlich, daß die Wurzel ihrer Klagen nicht
in der Rücksicht auf andere zu suchen ist, sondern
nur in ihrer Abneigung, die sie gegen alles hegen,
was ihren Neigungen zuwider ist.
Damit du
nicht in denselben oder einen ähnlichen Fehler
fällst, trage in Geduld jede Mühsal und Pein, welche
Ursache sie auch immer haben mögen.
32. Von
den hinterlistigen Versuchen des Teufels, uns
mittels bereits erworbener Tugenden zu Falle zu
bringen
Die
arglistige und böse Schlange findet selbst in
unseren bereits erworbenen Tugenden ein gutes
Mittel, um uns zu überlisten und durch sie zu Falle
zu bringen, nämlich dadurch, daß wir ihretwegen an
uns Gefallen finden und uns überheben und
schließlich dem Laster des Hochmutes und der
Ruhmsucht verfallen.
Als Schutz
wider diese Gefahr führe deine Kämpfe stets auf dem
ebenen und gesicherten Felde einer wahren und tiefen
Selbsterkenntnis: Daß du nichts bist, nichts weißt,
nichts vermagst, nichts hast als Armseligkeiten und
Gebrechen und nichts verdienst als die ewige
Verdammnis.
Hast du
einmal innerhalb der Grenzen dieser Wahrheit eine
feste und gesicherte Stellung bezogen, dann laß dich
durch keinen Plan oder irgendeine Rücksicht auch nur
einen Fußbreit hinauslocken. Sei überzeugt, es ist
alles Mache deiner schlimmsten Feinde, die dich
bestimmt verwunden oder sogar töten würden, wenn du
in ihre Hände fallen würdest.
Um dich zu
einem planmäßigen Vorgehen auf dem genannten Felde
der Erkenntnis deiner Armseligkeit zu erziehen,
bediene dich folgender Regel:
Sooft du
einen prüfenden Blick auf dich und deine Werke
richtest, fasse stets nur das ins Auge, was wirklich
von dir ist und nicht von Gott und seiner Gnade
stammt, und nach dem, was du als dein Ureigen
entdeckst, beurteile dich selbst.
Gedenkst
du der Zeit, bevor du warst, dann wirst du inne, daß
du im tiefen Abgrund der Ewigkeit ein reines Nichts
gewesen bist, und daß du nichts fertiggebracht hast,
noch tun konntest, um das Dasein zu erhalten.
Läßt du in
der Zeit, in der du einzig durch Gottes Güte das
Dasein hast, das außer acht, was sein Eigen ist —
wie er dich auch beständig durch seine Vorsehung
erhält —, was ist denn dein Eigen, als gleichfalls
ein Nichts? Zweifellos würdest du sofort in dein
ursprüngliches Nichts, aus dem dich seine
allmächtige Hand herausgezogen hat, zurückfallen,
wenn er dich auch nur für einen Augenblick dir
selber überließe.
Es ist
demnach völlig einleuchtend, daß du hinsichtlich
deines natürlichen Daseins durchaus keinen Grund
hast, dich selbst hoch einzuschätzen und die Achtung
der Leute zu verlangen, wenn du deine eigenen
Verdienste nach objektiven Maßstäben mißt.
Was dann
das übernatürliche Leben der Gnade und der guten
Werke betrifft, wärst du wohl imstande, mit deinen
natürlichen Anlagen und Kräften, frei von aller
Hilfe Gottes, aus dir selbst auch nur das geringste
Gute und Verdienstliche zu tun? — Ganz gewiß nicht!
Anderseits, wenn du die vielen Fehltritte deines
vergangenen Lebens und dabei noch das viele Böse in
Erwägung ziehst, das du sicher begangen hättest,
hätte Gottes mildreiche Hand dich nicht
zurückgehalten, dann wirst du finden, daß deine
Sünden durch die Menge nicht nur der Tage und Jahre,
sondern auch der bösen Handlungen und üblen
Gewohnheiten (denn ein Laster zieht das andere nach
sich) zu einer fast endlosen Zahl angewachsen wären.
Willst du
nicht zum Freibeuter an der Güte Gottes werden,
sondern fest mit dem Herrn verbunden bleiben, dann
mußt du dich von Tag zu Tag geringer einschätzen.
Sorge
dafür, daß dein Urteil, das du über dich selbst
fällst, stets der Gerechtigkeit entspricht, sonst
könnte es dir sehr zum Schaden gereichen.
Angenommen, du übertriffst durch die Erkenntnis
deiner Bosheit einen anderen, der sich in seiner
Verblendung wer weiß was einbildet, so machst du
dich schließlich schlechter als jener durch die
Anstrengungen deines Willens, von den Leuten als das
geachtet und behandelt zu werden, was du nach deiner
eigenen Überzeugung nicht bist.
Willst du
durch die Erkenntnis deiner Bosheit und Armseligkeit
deine Feinde von dir fernhalten und dich Gott
wohlgefällig machen, dann genügt es keineswegs, daß
du dich selbst verachtest und dich alles Guten für
unwert und jeden Übels für wert erachtest, sondern
du mußt auch die Verachtung vonseiten anderer
lieben, die Ehrungen verabscheuen, dich der
Beleidigungen erfreuen und gelegentlich gerne
Arbeiten verrichten, die andere mit Verachtung
verschmähen.
Auf das
abfällige Urteil der Leute darfst du durchaus keinen
Wert legen, um solche heilsamen Arbeiten zu
unterlassen, falls du sie nur in der Absicht, um
dich zu verdemütigen und zu ertüchtigen, und nicht
aus einem gewissen geistigen Dünkel und schlecht
erkannten Hochmut verrichtest, wie man ja bisweilen
unter allerlei recht bequemen Vorwänden sich um die
Meinung anderer wenig oder gar nicht kümmert.
Wirst du
einmal wegen einer guten Eigenschaft, die Gott dir
verliehen hat, von den Leuten gern gesehen und
gelobt, dann laß dich nicht gehen und weiche kein
Tüpfelchen von der eben ausgesprochenen Wahrheit und
Ehrlichkeit ab. Wende dich gleich zu Gott und
beteuere ihm von Herzen: „Ferne sei es von mir, o
Herr, daß ich ein Dieb an deiner Ehre und Gnade
werde; dir sei Lob und Preis und Ehre, mir aber
Schmach und Schande!" Und zu deinem Lobredner sprich
im Herzen: „Wie kommt es, daß jener mich für gut
hält, da doch nur Gott und seine Werke gut sind?"
Handelst du auf diese Weise und gibst Gott so das
Seine, dann hältst du deine Feinde von dir fern und
bereitest dich zum Empfang größerer Gnaden und
Hulderweise vonseiten Gottes vor.
Bringt
dich die Erinnerung an gute Werke in die Gefahr der
Selbstgefälligkeit, dann sieh jene geschwind nicht
als deine, sondern als Gottes Werke an und, dich
gleichsam an sie wendend, sprich in deinem Herzen:
„Ich verstehe nicht, wie ihr vor mir erscheint und
vor meinen Augen Gestalt angenommen habt, denn nicht
ich bin euer Urheber, sondern der allgütige Gott hat
euch in seiner Gnade geschaffen, genährt und
erhalten. Ihn allein will ich deshalb als euren
wahren und eigentlichen Vater anerkennen, ihm Dank
sagen und alles Lob dafür spenden."
Ferner
bedenke, daß alle deine Werke nicht allein der
Erleuchtung und der Gnade, die dir zu ihrer
Erkenntnis und Ausführung verliehen worden waren,
wenig entsprachen, sondern dazu noch sehr
unvollkommen und allzuweit von jener reinen Absicht,
Sorgfalt und schuldigem Eifer entfernt waren, von
welchen sie hätten begleitet und ausgeführt werden
sollen.
Überlegst
du das wohl, so hast du mehr Grund zur Scham als zu
törichtem Spaß. Denn es ist leider allzu wahr, daß
die Gnaden, die wir von Gott rein und vollkommen
empfangen, durch unsere Unvollkommenheiten bei ihrem
Gebrauch beschmutzt werden.
Weiter
vergleiche deine Werke mit denen der Heiligen und
anderer Diener Gottes, und bei diesem Vergleich
wirst du mit aller Klarheit erkennen, daß deine
besten und größten Werke an Gehalt und Wert sehr
niedrig stehen.
Vergleichst du sie sodann mit den Werken, die
Christus in den Geheimnissen seines Lebens und
ständigen Leidens vollbrachte, und betrachtest du
sie ohne Rücksicht auf seine göttliche Person ganz
für sich allein und nach der Selbstlosigkeit und
Lauterkeit seiner Liebe, mit welcher er sie
ausführte, dann siehst du, daß alle deine Werke
dagegen geradezu ein reines Nichts sind.
Richtest
du endlich deine Gedanken auf das Wesen und die
unendliche Majestät deines Gottes und auf die ihm
gebührende Verehrung, dann merkst du deutlich, daß
dir von allen deinen Werken statt Selbstgefälligkeit
nichts anderes als Furcht und Schrecken
übrigbleiben. Während deines ganzen Lebens und bei
all deinem Tun kannst du nur aus ganzem Herzen zu
deinem Herrn beten: „Herr, sei mir armen Sünder
gnädig! "Auch warne ich dich, die Gnaden, die Gott
dir verliehen hat, leichtsinnig zu offenbaren. Fast
immer mißfällt dies deinem Herrn, wie er es deutlich
in folgender Unterweisung zu erkennen gibt.
Einmal
erschien er einer frommen Seele nur wie ein Geschöpf
in der Gestalt eines kleinen Kindes. In aller
Einfalt bat sie ihn, den Englischen Gruß zu beten,
und sogleich begann er: „Gegrüßet seist du, Maria,
du bist voll der Gnaden: Der Herr ist mit dir. Du
bist gebenedeit unter den Frauen" — dann hielt er
inne, denn er wollte mit den folgenden Worten sein
eigenes Lob nicht aussprechen. Als sie ihn bat
fortzufahren, verschwand er und ließ seine Dienerin
getröstet zurück, da er ihr durch sein Beispiel
diese himmlische Lehre kundgetan hatte.
Lerne also
auch du dich zu erniedrigen und mit all deinen
Werken als das Nichts zu erkennen, das du in der Tat
bist. Das ist das Fundament aller anderen Tugenden.
Gerade wie
Gott uns, ehe wir waren, aus dem Nichts erschuf, so
will er jetzt, da wir durch ihn sind, auf dieser
unserer Erkenntnis von unserem Nichts das ganze
Gebäude unseres geistlichen Lebens gründen. Und je
tiefer wir dieses Fundament legen, umso höher wird
der Bau wachsen. Denn in dem Maße, als wir das
Erdgeröll unserer Armseligkeiten ausgraben, umso
stärkere und festere Steine wird der göttliche
Bauherr einfügen, um den Bau gewaltig aufsteigen zu
lassen. Bilde dir nicht ein, du könntest in dieser
Selbsterniedrigung jemals zu tief gehen; im
Gegenteil: Sei überzeugt, deine Armseligkeit wäre
abgrundlos, wenn es an einem Geschöpf etwas
Unendliches geben könnte.
Haben wir
uns eine solche Erkenntnis angeeignet und handeln
wir danach, so besitzen wir alles Gute. Ohne
dieselbe sind wir noch weniger als nichts, selbst
wenn wir die Werke aller Heiligen zusammen
verrichteten und ständig mit Gott beschäftigt wären.
O
beseligende Erkenntnis, die uns auf Erden beglückt
und im Himmel verherrlicht!
O Licht,
das aus der Finsternis aufsteigt und der Seele
Schönheit und Glanz verleiht!
O
verborgenes Kleinod, das aus dem Unrat unserer
Armseligkeiten aufleuchtet!
O
erkanntes Nichts, das uns zu Herren der Welt macht!
Nie werde
ich müde, von ihm zu dir zu sprechen: Willst du Gott
loben, so beschuldige dich selbst und wünsche von
anderen beschuldigt zu werden. Willst du Gott in dir
und dich in ihm erhöhen, so verdemütige dich vor
allen und unter alle. Wünschst du ihn zu finden,
dann erhöhe dich nicht; denn sonst flieht er.
Erniedrige
und verdemütige dich, soviel du es vermagst; dann
wird er kommen, um dich heimzusuchen und zu umarmen.
Umso
lieber wird er sich dir nahen und mit umso
zärtlicherer Liebe dich umfangen, je geringer du
dich in deinen eigenen Augen einschätzt und je mehr
du von allen Menschen verachtet und wie das
verabscheuungswürdigste Geschöpf verworfen zu werden
verlangst.
Eines so
großen Gnadengeschenkes, daß dein Gott, der
deinetwegen mit Schmach überhäuft wurde, sich mit
dir vereinen will, halte dich für unwürdig und
vergiß nicht, ihm für diesen Hulderweis oftmals zu
danken. Fühle dich auch dem gegenüber zu Dank
verpflichtet, der dir Anlaß zur Verdemütigung
gegeben, namentlich aber jenen gegenüber, die dich
mit Füßen traten oder gar glauben, daß du es nur
unwillig und ungern littest. Wäre letzteres der
Fall, dann laß es dir äußerlich nicht anmerken.
Sollten trotz dieser so wahren und wirksamen
Erwägungen die Arglist des Teufels, wie auch unsere
eigene Unklugheit und Begierlichkeit dennoch in uns
übermächtig sein, daß die Gedanken der
Selbstüberhebung nicht aufhören, uns zu beunruhigen
und unser Herz zu bestürmen, dann ist es noch mehr
an der Zeit, uns in unseren Augen umso tiefer zu
verdemütigen, als wir aus der Erfahrung wissen, wie
wenig wir auf dem Wege des geistlichen Lebens und in
der Selbsterkenntnis vorangeschritten sind, da wir
uns von derartigen Belästigungen, die ihre Wurzel in
unserem törichten Hochmut haben, nicht frei zu
machen imstande sind.
Auf diese
Weise werden wir aus dem Gift Honig und aus den
Wunden Gesundheit gewinnen.
33.
Weitere Ratschläge, um die bösen Leidenschaften zu
bezwingen und in den Tugenden voranzuschreiten
Soviel ich
dir bereits über die Art gesagt habe, wie du dich
selbst überwinden und dich mit Tugenden schmücken
sollst, so bleibt mir in dieser Beziehung doch noch
manches übrig, auf das ich dich aufmerksam machen
möchte.
Erstens:
Willst du
dir wirklich Tugenden aneignen, dann darfst du dich
nicht dazu verleiten lassen, die geistlichen Übungen
sozusagen nach einem starren Plan auf die einzelnen
Tage der Woche zu verteilen, daß du den einen Tag
für diese, den anderen für jene Tugend bestimmst.
Die
Ordnung im Kampfe und in den Übungen ist vielmehr
die, daß du wider jene Leidenschaften, die dir
beständig Schaden zufügen und dich immer noch
anfallen und schädigen, Krieg führst und dich mit
den entgegengesetzten Tugenden in möglichst
vollkommenem Grade schmückst.
Hast du
dir einmal diese Tugenden erworben, dann wirst du
dir auch die übrigen mit Leichtigkeit und ohne viele
Übungen schnell aneignen, wenn du die sich
darbietenden und nie mangelnden Gelegenheiten gut
ausnützest. Die Tugenden sind ja so innig
miteinander verkettet, daß, wer eine vollkommen
besitzt, auch alle anderen an der Türe des Herzens
zum Einzug bereit findet.
Zweitens:
Bestimme
dir niemals eine Zeit, weder Tage, noch Wochen, noch
Jahre für den Erwerb der Tugenden; immer sollst du
gleich einem Neugeborenen oder einem neugeworbenen
Krieger kämpfen und zur Höhe der Vollkommenheit
vorrücken.
Bleibe
auch keinen Augenblick stehen, denn wer auf dem Wege
der Tugend und der Vollkommenheit innehält, schöpft
dadurch keinen neuen Atem und keine neue Kraft,
sondern geht rückwärts und wird schwächer als zuvor.
Unter dem
Stehenbleiben verstehe ich hier die vorgefaßte
Meinung, als hätte man die Tugend bereits vollkommen
erworben, infolgedessen man die Gelegenheiten zu
neuen Tugendakten und die kleineren Fehler kaum
beachtet.
Deshalb
sei eifrig und klug darauf bedacht, auch nicht die
unbedeutendste Gelegenheit zur Tugend ungenutzt
vorübergehen zu lassen.
Ergreife
darum gerne jede Gelegenheit zur Tugendübung,
namentlich jene, die große Überwindung kostet. Denn
jene Akte, die mit mehr Schwierigkeiten verbunden
sind, gewähren eine schnellere und tiefer wurzelnde
Fertigkeit in der Übung der Tugenden. Wer dir solche
Gelegenheiten verschafft, soll dir besonders lieb
sein.
Einzig die
Gelegenheiten, die in dir Versuchungen zur
Sinneslust wecken, sollst du entschieden meiden und
möglichst rasch fliehen.
Drittens:
Sei
vorsichtig und zurückhaltend in bezug auf
Tugendübungen, die dem Körper schädlich sein können,
wie beispielsweise Kasteiungen durch Geißelungen,
Bußgewänder, Fasten, Nachtwachen, überlange
Betrachtungen und dergleichen mehr. Damit darf man,
wie nachher gesagt wird, nur langsam und mit Maß zu
Werke gehen.
Die
anderen, durchaus innerlichen Tugenden aber, wie die
Liebe zu Gott, Weltverachtung, Selbsterniedrigung,
Haß wider die sündhaften Leidenschaften und wider
die Sünde, Liebe zur Geduld und Sanftmut, Nächsten-
und Feindesliebe soll man sich weder nach und nach
aneignen, noch zu ihrer vollen Höhe stufenweise
ansteigen, sondern man soll sich bemühen, einen
jeden Akt dieser Tugenden sogleich möglichst
vollkommen zu vollbringen.
Viertens:
Dein
ganzes Sinnen, Trachten und Lieben soll auf nichts
anderes eingestellt sein als auf den Sieg über die
bekämpften Leidenschaften und die Übung der
entgegengesetzten Tugenden. Das sei deine einzige
Welt: Dein Himmel und deine Erde; das sei dein
einziger Schatz und dein Alles, um Gott zu gefallen.
Magst du
essen oder fasten, dich abmühen oder ruhen, wachen
oder schlafen; magst du zu Hause weilen oder
auswärts; magst du der Betrachtung oder der
Handarbeit obliegen: Alles sei darauf gerichtet, die
bewußte Leidenschaft zu überwinden und zu besiegen
und die ihr widerstreitende Tugend zu erlangen.
Fünftens:
Sei
überhaupt den irdischen Genüssen und
Annehmlichkeiten abhold, dann können dich die Laster
nur mit geringer Macht angreifen, weil sie alle
insgesamt ihre Wurzel in der Sinnlichkeit haben. Ist
diese durch unsere Abneigung wider uns selbst
unterbunden, verlieren sie auch ihre Stoßkraft und
ihren Einfluß.
Wolltest
du auf der einen Seite gegen irgendein Laster und
eine besondere Leidenschaft Krieg führen und auf der
anderen Seite wieder nach den irdischen Genüssen
haschen, obwohl sie nicht mit schwerer, aber doch
mit leichter Schuld behaftet sind, so würde dein
Kampf erbittert und blutig und ein Sieg nur ungewiß
und selten sein.
Darum
halte die erhabenen, göttlichen Aussprüche stets vor
Augen:
„Wer sein
Leben liebt, verliert es, und wer sein Leben in
dieser Welt haßt, wird es zum ewigen Leben bewahren"
(Joh 12,25).
Und:
„Brüder, wir sind nicht dem Fleische verpflichtet,
um nach dem Fleische zu leben. Denn wenn ihr nach
dem Fleische lebt, werdet ihr sterben; wenn ihr aber
durch den Geist die Werke des Fleisches abtötet,
werdet ihr leben" (Rom 8,12-13).
Sechstens
bemerke
ich noch zum Schluß: Vielleicht wird es gut, ja
notwendig sein, wenn du zunächst einmal eine gute
Generalbeichte mit all ihren erforderlichen
Bedingungen ablegst, um dich der Huld deines Herrn
zu versichern, von dem man ja alle Gnaden und den
Sieg erwarten muß.
34.
Nach und nach sind die Tugenden zu erwerben
Obschon
der wahre Streiter Christi den Gipfel der
Vollkommenheit zu ersteigen trachtet und einem
geistlichen Fortschritt keine Grenzen setzen darf,
muß er dennoch mit kluger Besonnenheit den
Feuereifer seines Geistes in Schranken halten, der
zu Anfang gewöhnlich in heller Glut auflodert, dann
aber abnimmt und mitten auf dem Wege erlischt.
Abgesehen
von dem, was vorhin bereits über die Mäßigung bei
den äußeren Tugendübungen gesagt wurde, mußt du dir
merken, daß auch die inneren Tugenden nur nach und
nach und stufenweise zu erwerben sind. Auf diese
Weise wird dann auch das Kleine rasch groß und
dauerhaft.
Für
gewöhnlich soll man sich beispielsweise nicht gleich
in Widerwärtigkeiten üben und erfreuen wollen, noch
sie herbeiwünschen, bevor man nicht die niederen
Grade der Tugend der Geduld durchlaufen hat.
Ebenso
rate ich dir, nicht allen oder mehreren Tugenden auf
einmal, sondern zunächst nur einer und darauf einer
anderen deine Hauptaufmerksamkeit zu schenken. So
wird der Seele die Fertigkeit darin viel leichter
und tiefer eingepflanzt, da das Gedächtnis sich
ihrer bei allen Gelegenheiten infolge der
beständigen Übung in einer Tugend besser erinnert;
der Verstand wird geschärft und findet dadurch immer
neue Anlässe und Beweggründe zu ihrer Erwerbung und
der Wille gibt sich ihr mit mehr Neigung und Wärme
hin, als wenn man sich mehreren Tugenden zugleich
widmen wollte.
Durch die
Übereinstimmung, mit der die inneren Akte nur auf
eine Tugend hinzielen, sind diese auch bei ihrer
gleichförmigen Übung mit weniger Anstrengung
verbunden, da der eine Tugendakt den anderen ihm
ähnlichen anlockt und unterstützt. Auch machen sie
durch ihr gemeinsames Vorgehen einen stärkeren
Eindruck auf unser Herz, weil sie dessen Grund zur
Aufnahme schon bereitet und zu neuen Übungen, die
den früheren ähnlich sind, geneigt finden.
Diese
Beweise werden durch die anerkannte Tatsache noch
verstärkt, daß jeder, der sich in einer einzigen
Tugend gründlich übt, hierdurch sich auch in einer
anderen zu üben lernt. Auf diese Weise wachsen mit
der einen Tugend zugleich alle anderen und zwar
infolge ihrer engen Verwandtschaft als gemeinsame
Strahlen aus einem und demselben göttlichen Lichte.
35. Von
den Mitteln zur Erlangung der Tugend und ihrem
zeitweisen Gebrauch zur Erwerbung einer einzigen
Tugend
Zur
Erwerbung der Tugenden bedarf es außerdem noch eines
hochgesinnten und weiten Herzens und keines
schwächlichen und feigen, sondern eines energischen
und entschiedenen Willens, der von der festen
Überzeugung getragen ist, durch viele
Widerwärtigkeiten und Härten vorangehen zu müssen.
Weiter muß
man eine ausgeprägte Neigung und Vorliebe für die
Tugenden hegen, um sie erlangen zu können. Deshalb
erwäge öfters, in welch hohem Maße sie Gott
wohlgefällig und wie vortrefflich und ausgezeichnet
und für uns so nützlich und notwendig sie sind, da
alle Vollkommenheit in ihnen ihren Anfang und ihr
Ende nimmt.
An jedem
Morgen erwecke den festen Vorsatz, die
Gelegenheiten, wie sie sich während des Tages
jeweils bieten werden, zur Übung in den Tugenden zu
benützen. Im Verlaufe des Tages sollen wir uns
erforschen, ob wir den Vorsatz ausführten oder
nicht, um ihn dann wieder nachdrücklicher zu
erneuern. Dabei berücksichtige man aber vor allem
jene Tugend, deren Übung man sich besonders
vorgenommen hat.
Ebenso
sollen wir die Beispiele der Heiligen, unsere Gebete
und Betrachtungen über das Leben Jesu, die zum
Fortschritt im geistlichen Leben so ungemein
notwendig sind, mit jener Tugend in Beziehung
bringen, in der wir uns gerade zu bewähren suchen.
Überhaupt müssen wir dies bei allen Anlässen — wie
wir es nachher im einzelnen zeigen werden — in die
Tat umsetzen, so verschieden dieselben auch
untereinander sein mögen.
Sorgen wir
dafür, daß die inneren und äußeren Tugendakte uns
zur Gewohnheit werden, damit wir sie mit der
gleichen Schnelligkeit und Leichtigkeit zu setzen
imstande sind, wie wir früher unseren natürlichen
Neigungen entsprechend handelten. Und je mehr sie
diesen widersprechen, umso schneller wird — wie wir
an anderer Stelle (Kap. 33) gesagt haben — die gute
Gewohnheit Eingang in unsere Seele finden.
Die
erhabenen Worte der Heiligen Schrift haben — mag man
sie mit dem Munde aussprechen oder nur in Gedanken
wohl erwägen — eine wunderbare Kraft, uns bei der
Tugendübung zu helfen. Darum sollen wir immer mit
einer Anzahl solcher Stellen, die auf die Tugend, in
der wir uns gerade üben, Bezug nehmen, gerüstet sein
und sie während des Tages besonders beim Erwachen
der widerstreitenden Leidenschaft öfters
wiederholen. So können wir uns, wenn wir uns zum
Beispiel um die Erlangung der Geduld bemühen,
folgender oder ähnlicher Aussprüche bedienen:
„Kinder,
ertraget geduldig den Zorn, welcher über euch
gekommen ist" (Bar 4, 25).
„Die
Geduld der Bedrängten wird nicht auf immer verloren
sein" (Ps 9,19).
„Besser
ist ein Langmütiger als ein Starker, und wer sein
Herz beherrscht, besser als ein Städteeroberer" (Spr
16, 32).
„In eurer
Geduld werdet ihr eure Seele besitzen" (Lk 21,19).
„Lasset
uns mit geduldiger Ausdauer den uns obliegenden
Wettkampf laufen" (Hebr 12,1).
Zum
gleichen Zwecke können wir auch folgende oder
ähnliche kurze Gebete aussprechen:
„Wann, o
mein Gott, wird mein Herz mit dem Schild der Geduld
gerüstet sein?"
„Wann
werde ich, um meinen Herrn zufriedenzustellen, jede
Trübsal mit ruhigem Gemüt erdulden?"
„O überaus
glückliche Leiden, die mich meinem für mich
leidenden Herrn Jesus ähnlich machen!"
„O
einziges Leben meiner Seele, wann werde ich zu
deiner Ehre unter tausend Kümmernissen zufrieden
sein?"
„O ich
Glückseliger, wenn ich inmitten der Trübsale vor
Sehnsucht brennen würde, noch mehr zu dulden!"
Solche und
ähnliche kurze Gebete, wie sie der Geist der Andacht
uns eingibt, sollen wir unserem Fortschritt in der
Tugend entsprechend gebrauchen.
Man nennt
sie Stoß- oder Schußgebete, weil wir sie gleichsam
wie Wurfgeschosse oder Pfeile gen Himmel schleudern.
Sie besitzen eine gewaltige Kraft zum eifrigen
Voranschreiten in der Tugend und dringen bis ins
Herz Gottes, wenn sie von zwei Flügeln getragen
sind.
Der eine
ist die sichere Überzeugung, daß Gott mit unserer
Übung in der Tugend zufrieden ist; und der andere
ist das aufrichtige und heiße Verlangen nach der
Tugend, einzig, um seiner göttlichen Majestät zu
gefallen.
36. Von
der Übung und dem steten Fortschritt in der Tugend
Eines der
wichtigsten und notwendigsten Mittel zur Erlangung
der Tugend ist neben den oben angegebenen auch das
eine, daß wir, um unser vorgestecktes Ziel zu
erreichen, ohne Unterlaß beständig voranschreiten
müssen; denn andernfalls: Wer stehen bleibt, geht
schon rückwärts.
Sobald wir
einmal mit den Tugendakten aufhören, kommen in uns
infolge des starken Triebes unserer sinnlichen
Begehrlichkeit und anderer äußerer Einflüsse eine
Menge ungeordneter Leidenschaften zum Vorschein,
welche die Tugend vernichten oder wenigstens sehr
vermindern. Überdies werden wir noch vieler Gnaden
und Gaben beraubt, die wir bei weiterem
Fortschreiten vom Herrn wohl hätten erlangen können.
Zwischen
dem Weg zur Vollkommenheit und dem gewöhnlichen Weg
eines Reisenden über Land besteht der Unterschied,
daß man auf dem letzteren durch eine Rast nichts von
der bereits zurückgelegten Strecke verliert, wohl
aber auf dem ersten Weg. Außerdem nimmt beim
irdischen Wanderer die Müdigkeit durch die Fortdauer
der körperlichen Bewegung ständig zu, während man
auf dem geistlichen Wege immer mehr Kraft und
Frische gewinnt, je weiter man auf ihm
voranschreitet.
Durch die
Übung in der Tugend werden die sinnlichen Triebe,
durch deren Widerstreit der Pfad so rauh und mühsam
war, beständig schwächer; der Geist, in welchem die
Tugend ihren Sitz hat, wird hingegen immer
gefestigter und stärker.
Mit dem
Fortschritt im Guten vermindert sich die zu Anfang
empfundene Mühe, während ein gewisses stilles
Glücksgefühl, das unter göttlichem Einfluß die
Mühsal verwandelt, in demselben Maße wächst.
Und so
schreitet man müheloser und freudiger immer weiter
voran von Tugend zu Tugend und gelangt endlich auf
dem Gipfel des Berges an, wo die vollendete Seele
nicht mehr widerwillig, sondern mit Wonne und Jubel
dient. Die ungeordneten Leidenschaften sind besiegt
und gebändigt. Über alle Kreatur und sich selbst
erhoben, weilt sie am Herzen des Allerhöchsten und
genießt trotz aller Mühe eine sanfte Ruhe.
37.
Gelegenheiten zur Erlangung der Tugenden soll man
nicht vorübergehen lassen
Wir haben
nun zur Genüge gesehen, daß wir im Streben nach
Vollkommenheit immer voranschreiten müssen und nicht
mehr rasten dürfen.
Wachen wir
daher sorgfältig darüber, daß uns auch zur Erlangung
der Tugenden keine Gelegenheit, die sich uns bietet,
entgeht.
Darum
handeln jene nicht richtig, die sich den
Widerwärtigkeiten, die zu diesem Zwecke dienen
können, möglichst zu entziehen suchen. Wünschst du —
um bei unserem Beispiel zu bleiben — die Tugend der
Geduld zu erwerben, dann tust du nicht gut daran,
wenn du dich von solchen Personen, Verrichtungen
oder Plänen, die dich zur Ungeduld reizen,
fernhältst.
Aus diesem
Grunde darfst du keinen Verkehr meiden, weil er dir
lästig ist. Vielmehr pflege den Umgang auch mit
solchen, die dir Verdruß und Langeweile verursachen,
und halte dich stets bereit, alles Ärgerliche und
Unangenehme, das dir begegnen könnte, bereitwillig
zu ertragen, sonst wirst du dich niemals an die
Geduld gewöhnen.
Ist dir
eine Arbeit ihrer selbst oder des Auftraggebers
wegen unangenehm, oder weil sie dich von
angenehmeren Beschäftigungen abhält, dann unterlasse
sie trotzdem nicht! Fange sie nur an und setze sie
fort, solltest du dich auch beunruhigt fühlen und
durch ihre Unterlassung Ruhe finden können. Du
würdest ja sonst niemals leiden lernen und deine
Ruhe wäre doch keine echte, weil sie nicht aus einem
von der Leidenschaft geläuterten und mit Tugenden
geschmückten Herzen käme.
Dasselbe
sage ich auch von lästigen Vorstellungen, die dein
Gemüt bisweilen peinigen und verwirren. Du darfst
sie nicht ganz von dir weisen, denn die Qual, die
sie dir verursachen, dient dazu, dich zur Geduld in
Widerwärtigkeiten zu erziehen.
Wer etwas
anderes behauptet, der lehrt dich wohl mehr, der
Mühsal aus dem Wege zu gehen, als die ersehnte
Tugend zu gewinnen. Allerdings muß sich vor allem
ein unerfahrener Kämpfer bei den erwähnten
Gelegenheiten mit Vorsicht und Klugheit zurückhalten
und schützen, indem er einmal beherzt vorgeht und
dann wieder geschickt ausweicht, je nachdem er sich
eine größere oder geringere Tugend und Geisteskraft
erworben hat.
Niemals
aber darf man ihnen ganz den Rücken kehren und sich
derart vor ihnen zurückziehen, daß man jede
unangenehme und widerwärtige Gelegenheit flieht.
Wohl würden wir uns für den Augenblick vor der
Gefahr eines Falles bewahren, doch später wären wir
einer größeren Gefahr zur Sünde der Ungeduld
ausgesetzt, weil wir uns nicht früher durch die
Übung der entgegengesetzten Tugend gerüstet und
gestärkt haben.
38.
Alle Gelegenheiten zum Kampf um die Tugenden soll
man liebgewinnen
Ich bin
noch nicht zufrieden, daß du zur Erwerbung der
Tugenden die sich darbietenden Gelegenheiten nicht
meidest; ich will vielmehr, daß du sie als überaus
wichtige Ereignisse hochschätzt, gerne suchst und
mit Freuden umfängst, sobald sie sich zeigen. Und
gerade die sollen dir die kostbarsten und liebsten
sein, die deinem Empfinden am meisten widerstreben.
Das wird
dir mit Gottes Hilfe nicht schwerfallen, wenn du
deinem Herzen folgende Erwägungen tief einprägst:
Erstens:
Die
Gelegenheiten sind angemessene, ja notwendige Mittel
zur Erwerbung der Tugenden. Wenn du daher zum Herrn
um diese betest, bittest du folgerichtig auch um
jene, denn in der Regel schenkt er die Geduld nicht
ohne Trübsal und die Demut nicht ohne Verachtung.
Dasselbe
muß man von allen anderen Tugenden behaupten, die
man zweifellos nur auf dem Wege der
Widerwärtigkeiten erlangt, welche uns umso mehr zu
diesem Zweck verhelfen und die uns umso lieber und
willkommener sein sollen, je mühseliger sie für uns
sind. Die Tugendakte sind in solchen Fällen viel
hochherziger und stärker und bahnen uns viel
schneller und leichter den Weg zur Tugend.
Dabei
dürfen wir aber auch die unbedeutendsten
Gelegenheiten, wie beispielsweise einen
unfreundlichen Blick oder ein liebloses Wort, nicht
gering einschätzen und unbenutzt vorübergehen
lassen, denn dafür sind dann die Tugendakte viel
häufiger, wenn sie auch nicht so kräftig ausfallen,
als jene, die wir bei größeren Schwierigkeiten
setzen.
Die
zweite
Erwägung, die ich bereits vorhin streifte, ist:
Alles, was uns begegnet, kommt von Gott, und zwar zu
unserem Besten und Nutzen, den wir daraus ziehen
sollen. Freilich gibt es (wie gesagt) darunter
manches, wie zum Beispiel unsere Fehler und die der
anderen, von denen man nicht behaupten kann, daß sie
von Gott, der die Sünde nicht will, herrühren.
Dennoch sind sie im gewissen Sinne von Gott,
insofern er sie zuläßt und nicht verhindert, obwohl
er sie verhindern könnte.
Alle
Mühsal und Pein, die uns entweder als Folge unserer
Sünden oder durch die Bosheit der Menschen zustoßen,
sind jedoch von Gott und aus Gott, insoweit er bei
ihnen mitwirkt. Das in seinen allerreinsten Augen so
Häßliche und Sündhafte, das damit verbunden ist und
nach seinem Willen nicht eintreten sollte, will Gott
nur, damit wir es auf uns nehmen und geduldig
erleiden, einmal wegen des Nutzens, den wir aus der
Tugendübung ziehen, und dann aus anderen gerechten,
aber uns verborgenen Gründen.
Da wir nun
den Willen Gottes genau kennen, daß wir jede
Drangsal, die uns von Seiten der Menschen oder auch
um unserer eigenen Sünden willen widerfährt, mit
Ergebung dulden, so ist das Gerede, das viele zur
Entschuldigung ihrer Ungeduld führen, nichts anderes
als ein nichtiger Vorwand, um die eigene Schuld zu
verdecken und das Kreuz, das wir nach dem Willen
Gottes unleugbar tragen sollen, abzulehnen.
Aber noch
mehr behaupte ich: Unter gleichen Umständen ist es
dem Herrn viel lieber, wenn wir das Unrecht
vonseiten der Menschen, namentlich von jenen, denen
wir früher Dienste und Wohltaten erwiesen haben,
ertragen, als die Unbilden, welche uns von anderen
widrigen Zufällen widerfahren. Dadurch wird unser
natürlicher Hochmut mehr als sonst im Keime erstickt
und Gott durch unser freiwilliges Dulden in höchstem
Maße erfreut und verherrlicht, weil wir hier bei
einem Vorfall mitwirken, aus dem seine
unaussprechliche Güte und Allmacht in hellstem
Glänze hervorleuchtet, daß wir nämlich aus dem
verderblichen Gift der Bosheit und der Sünde die
köstliche und süße Frucht der Tugend und
Vollkommenheit gewinnen.
Merke dir
also, christliche Seele: Sobald der Herr das
lebhafte Verlangen nach Fortschritt und das ernste
und pflichtschuldige Streben nach dem Besitz eines
so kostbaren Gutes in uns wahrnimmt, bereitet er den
Kelch ungemein heftiger Anfechtungen und der
schlimmsten Versuchungen, die es gibt, den wir dann
gelegentlich trinken müssen. Und im Gedenken an
seine Liebe und an unser eigenes Wohl sollen wir ihn
mit geschlossenen Augen ergreifen und unbesorgt und
bereitwillig bis zum letzten Tropfen leeren; denn
die Arznei ist von einer Hand, die niemals einen
Fehlgriff machen kann, mit Zutaten gemischt, die der
Seele umso heilsamer sind, je bitterer sie
schmecken.
39. Wie
wir uns bei verschiedenen Anlässen in derselben
Tugend üben sollen
Vorhin
haben wir gesehen, daß es nützlicher ist, sich eine
Zeitlang nur in einer einzigen Tugend zu üben als in
mehreren zugleich, und daß wir ferner alle sich
bietenden Gelegenheiten nützen sollen, wenn sie auch
untereinander sehr verschieden sind. Nun gib einmal
acht, wie leicht du dies ausführen kannst.
Es kann
sich an einem Tag, selbst in der nämlichen Stunde
ereignen, daß wir wegen einer ganz einwandfreien
Handlung zurechtgewiesen werden oder daß von anderen
wider uns gemurrt wird; daß uns eine Gefälligkeit
oder eine andere Kleinigkeit mit unhöflichen Worten
abgeschlagen wird; daß ein häßlicher Verdacht ohne
Grund wider uns aufkommt; daß uns irgendein
körperlicher Schmerz befällt oder uns ein
unangenehmer Auftrag gegeben wird; daß uns eine
mangelhaft zubereitete Speise vorgesetzt wird oder
uns schlimmere und schwerer zu ertragende Dinge
begegnen, von welchen das armselige Menschenleben
eben ausgefüllt ist.
Obschon
man bei der Vielheit dieser oder ähnlicher
Vorkommnisse verschiedene Tugendakte setzen kann,
wollen wir uns nichtsdestoweniger an die angegebene
Regel halten und nur durch solche Tugendakte
fortschreiten, die der Tugend entsprechen, deren
Übung wir uns zur Zeit vorgenommen haben.
Ertüchtigen wir uns zum Beispiel zur Zeit, in der
sich die aufgezählten Ereignisse abspielen, in der
Geduld, dann werden wir uns bemühen, alles mit
willigem und heiterem Gemüt auf uns zu nehmen.
Ist es die
Demut, so wollen wir bei all diesen
Widerwärtigkeiten nicht vergessen, daß wir jedes
Übel verdienen.
Ist es der
Gehorsam, dann beugen wir uns bereitwillig der Hand
des allmächtigen Gottes und um seines Wohlgefallens
willen — weil er es verlangt — auch jeder
vernünftigen, ja selbst der unbeseelten Kreatur, von
deren Seite uns die Widerwärtigkeiten zustoßen.
Ist es die
Armut, so geben wir uns zufrieden, allen irdischen
Trostes, des großen wie kleinen, gänzlich entblößt
und beraubt zu sein. Ist es die Liebe, dann erwecken
wir Akte der Liebe gegen den Nächsten als Werkzeug
des Nutzens, den wir erlangen können, und gegen Gott
als den eigentlichen und liebreichen Urheber, von
dem alles Unangenehme zu unserer Prüfung und zu
unserem geistlichen Fortschritt ausgeht und
zugelassen wird.
Aus all
dem, was über die verschiedenen Vorfälle, die uns
jeden Tag begegnen können, gesagt wurde, sieht man,
wie wir schon bei einer einzigen Gelegenheit, zum
Beispiel in einer längeren Krankheit oder einer
anderen Not, beständig Akte jener Tugend erwecken
können, in der wir gerade fortschreiten wollen.
40. Von
der Zeit der Tugendübungen und den Anzeichen des
Fortschrittes
Die Dauer
der Zeit zu bestimmen, die wir zur Übung in den
verschiedenen Tugenden verwenden sollen, kann nicht
meine Sache sein, da eine solche Festlegung sich
nach der Beschaffenheit und dem Bedürfnis des
einzelnen, dem Fortschritt auf dem Wege des
geistlichen Lebens und dem Urteil des Seelenführers
zu richten hat.
Geht man,
wie gesagt, dabei planmäßig und mit Eifer zu Werke,
so unterliegt es keinem Zweifel, daß man schon in
wenigen Wochen große Fortschritte machen wird.
Ein
Zeichen für die Fortschritte, die man in der Tugend
bereits gemacht hat, ist, daß man trotz geistiger
Trockenheit, Dunkelheit, Seelennot und mangels allen
Trostes unbeirrt und unablässig in den Tugendübungen
fortfährt. Ebenso ist auch die Stärke (bzw. die
Schwäche) des Widerstandes, den die Sinnlichkeit den
Tugendakten entgegensetzt, ein klarer Beweis dafür.
Denn in demselben Maße, als diese an Kraft verliert,
dürfen wir annehmen, daß wir vorangeschritten sind.
Empfindet man namentlich bei plötzlichen und
unvorhergesehenen Anfechtungen in den sinnlichen und
niederen Trieben keinen Widerstreit und Aufruhr, so
zeigt dies deutlich, daß wir die Tugend erworben
haben.
Je größer
die Bereitwilligkeit und Geistesfreude sind, die
unsere Tugendakte begleiten, umso mehr können wir
der Überzeugung sein, daß wir in unserer Tugend
wirkliche Fortschritte zu verzeichnen haben.
Merke dir
aber noch das eine: Wir dürfen uns keineswegs der
Meinung hingeben, wir seien tatsächlich im vollen
Besitz einer Tugend oder wir seien Sieger über eine
unserer Leidenschaften, wenn wir nach längerer Zeit
und nach vielen Kämpfen keine Regung der
Sinnlichkeit mehr verspüren. Dabei können die
Arglist und der Einfluß des bösen Feindes und unser
trügerisches Naturell die Hand im Spiele haben, so
daß wir einen Fehler in unserem geheimen Hochmut
noch für eine Tugend ansehen.
Trachten
wir übrigens nach jener Vollkommenheit, zu welcher
Gott der Herr uns beruft, dann werden wir uns nie
einbilden, auch nur die ersten Grenzsteine auf dem
Weg der Tugend überschritten zu haben, sollten wir
auch schon lange auf ihm gewandert sein.
Ja, gleich
einem neugeworbenen Krieger, der soeben seine
Ausbildung zum Kampfe erhielt, fang immer wieder von
neuem deine Übungen an, gerade als ob du dich bisher
noch nicht ertüchtigt hättest.
Außerdem
erinnere ich dich daran, daß du mehr auf dein
Vorankommen in der Tugend bedacht bist, als daß du
deinem schon erreichten Fortschritt nachforschst;
denn Gott der Herr, der eigentliche und alleinige
Erforscher unserer Herzen, gibt ihn den einen zu
erkennen, den anderen wieder nicht, je nach der
Wahrnehmung, ob diese Kenntnis zur Demut oder zum
Hochmut führt, und als liebevoller Vater nimmt er
den einen die Gefahr hinweg und bietet sie anderen
als eine Gelegenheit zum Wachstum in der Tugend an.
Bemerkt
die Seele auch gar keinen Fortschritt, so soll sie
trotzdem in ihrer Tugendübung nicht nachlassen; sie
wird ihn einmal wahrnehmen, wenn es der Herr für gut
findet, ihn zu ihrer größeren Vervollkommnung
erkennen zu lassen.
41. Dem
Verlangen nach Befreiung von Widerwärtigkeiten soll
man nicht nachgeben — Von der Beherrschung unserer
Wünsche
Bist du in
einer unangenehmen Lage, die du mit herzhafter
Geduld erträgst, dann hüte dich, dir vom bösen Feind
oder deiner Eigenliebe den Wunsch einflößen zu
lassen, aus ihr befreit zu werden; denn es würden
dir daraus zwei nicht geringe Nachteile erwachsen.
Erstens
würde das
Verlangen die Tugend der Geduld freilich nicht
vollständig in dir vernichten, dich aber nach und
nach zur Ungeduld verführen.
Zweitens
würde
deine Geduld mit Mängeln behaftet und von Gott nur
für die Zeit belohnt werden, während welcher du
durchgehalten hast. Hättest du aber dem Wunsch nach
Befreiung nicht nachgegeben und dich rückhaltlos der
göttlichen Güte überlassen, dann würde der Herr dein
Leiden als einen Dienst von ganz langer Dauer
vergelten, selbst wenn es nur eine Stunde oder noch
weniger gedauert hätte.
Mache es
dir daher zur steten Regel, deine Wünsche überhaupt
von allem frei zu halten und einzig und allein auf
ihr wahres und eigentliches Ziel, den Willen Gottes,
einzustellen. Auf diese Weise werden sie gut und
tugendhaft, und du wirst in allen Widerwärtigkeiten
stets gelassen und auch zufrieden sein, weil nichts
ohne den Willen Gottes geschehen kann. Und da du
nach diesem verlangst, willst und hast du ja damit
zugleich alles, was du wünschst und was dir zu jeder
Zeit glückt.
Dies
findet allerdings auf die Sünden der Menschen und
deine Sünden keine Anwendung, weil Gott sie nicht
will. Wohl aber gilt es von jedem Übel, das aus
einer Strafe oder anderswoher stammt, mag es noch so
gewaltsam wühlen und tief dringen, daß es das Herz
in seinen Tiefen trifft und die Wurzeln des
natürlichen Lebens gefährdet. Aber auch das ist nur
ein Kreuz, mit dem Gott seine vertrautesten und
teuersten Freunde zuweilen zu begnadigen liebt.
Was ich
über die Geduld, die wir in allen Fällen üben
sollen, sagte, wende auch auf jenen Teil jeder
Drangsal an, der zurückbleibt und den wir ebenfalls
zur Ehre Gottes ertragen sollen, nachdem wir uns der
erlaubten Mittel bedient haben, um uns davon frei zu
machen.
42. Vom
Widerstand gegen den bösen Feind, der uns zu
Übertreibungen zu verleiten sucht
Sieht der
böse Feind, daß wir mit lebhaftem Verlangen und
beherrschten Wünschen schlicht und einfach auf dem
Weg der Tugend sind und daß er uns mit offener
Hinterlist nicht auf seinen Pfad locken kann, dann
verwandelt er sich in einen Engel des Lichtes und
drängt uns dauernd mit freundlichen Vorstellungen,
Aussprüchen der Heiligen Schrift und Beispielen der
Heiligen, auf unvernünftige Weise den Gipfel der
Vollkommenheit zu ersteigen, um uns so ins Verderben
zu stürzen. Deshalb stachelt er uns an, unseren Leib
durch Bußgürtel, Fasten, Geißelungen und dergleichen
harte Abtötungen zu kasteien, damit wir hochmütig
meinen, Großartiges zu leisten. Weiter beabsichtigt
er, daß wir uns dadurch eine Krankheit zuziehen und
infolgedessen unfähig zu frommen Übungen werden oder
daß uns die geistlichen Übungen wegen gar zu großer
Mühe und Anstrengung zum Ekel werden und wir, auf
diese Weise im Guten lau geworden, mit größerer
Begierde als zuvor den irdischen Genüssen und
Vergnügen nachlaufen.
Das ist
schon vielen begegnet, die, in geistiger
Vermessenheit dem drängenden Verlangen eines
unbesonnenen Eifers folgend, durch unsinnige äußere
Abtötungen das Maß überschritten und so in ihrem
Wahn zugrunde gingen und zum Gespött der boshaften
Teufel wurden. Es wäre ihnen sicherlich nicht
widerfahren, wenn sie das Gesagte wohl überlegt und
bedacht hätten, daß solche Kasteiungen nur bei
entsprechenden körperlichen Kräften und Geistesdemut
lobenswert und nützlich sind und stets der
Veranlagung und Natur des einzelnen angemessen sein
müssen.
Wer in
dieser strengen Lebensweise den Heiligen nicht
nachfolgen kann, dem mangelt es nicht an
Gelegenheiten, ihr Leben nachzuahmen, wenn er mit
starkem und tatkräftigem Verlangen nach der überaus
ruhmreichen Krone der wahren Kämpfer Jesu Christi
strebt, indem er die ganze Welt und sich selbst
geringschätzt; das Stillschweigen und die Einsamkeit
liebt; Böses erduldet und seinem schlimmsten
Widersacher Gutes erweist; die Sünde sorgfältig
meidet, was Gott mehr gefällt als alle körperlichen
Bußübungen.
Hinsichtlich der letzteren gebe ich dir den Rat, sie
nur mit klugem Maß zu verwenden, damit du sie immer
nach Wunsch vermehren kannst und nicht infolge
gewisser Übertreibungen gezwungen wirst, sie
schließlich ganz aufzugeben.
Ich glaube
ja nicht, daß du in denselben Fehler mancher, sonst
als fromm angesehener Leute fällst, die, durch die
Schmeichelei der Natur verlockt und genarrt, allzu
eifrig um die Erhaltung ihrer körperlichen
Gesundheit besorgt sind. Argwöhnisch und ängstlich
schweben sie schon bei einer Kleinigkeit in
beständiger Unsicherheit und Furcht, sie verlieren
zu können; und an nichts denken und von nichts reden
sie lieber als von ihrer Lebensweise und ihren
Kuren. Stets sind sie darauf bedacht, sich solche
Speisen zu verschaffen, die ihrem Geschmack und
Magen zusagen, der dann infolge der überflüssigen
Verweichlichung geschwächt wird.
Während
man unter dem Vorwand, Gott besser dienen zu können,
so handelt, will man im Grunde genommen doch nur die
beiden Hauptfeinde, die Seele und den Leib,
miteinander versöhnen, was keinem zum Vorteil, wohl
aber dem einen wie dem anderen zum Schaden gereicht,
da man durch eine derartig ängstliche Sorge den Leib
um seine Gesundheit und die Seele um ihre
Gottverbundenheit bringt.
Deshalb
ist eine abgehärtete Lebensweise auf jeden Fall
besser und nützlicher. Nur darf sie nicht der oben
besprochenen Mäßigkeit entbehren, die auf die
verschiedenartigen Umstände und die
Leibesbeschaffenheit des einzelnen Rücksicht nimmt,
welche ja keiner bestimmten Regel unterworfen sind.
Ich füge
noch hinzu, daß wir nicht bloß bei unseren äußeren
Verrichtungen mit Maß vorgehen müssen, sondern auch
beim Erwerb der inneren Tugenden Mäßigkeit bewahren
sollen, die ja, wie oben gesagt wurde, von Stufe zu
Stufe gewonnen werden.
43. Von
den Ursachen des freventlichen Urteils und vom
Widerstand dagegen
Aus dem
früher behandelten Laster der Selbstüberhebung und
Selbstgefälligkeit entspringt ein anderes, das uns
den größten Schaden zufügt, nämlich das freventliche
Urteil, welches wir über den Nächsten fällen,
infolgedessen wir ihn gering einschätzen, verachten
und ihn seiner Ehre berauben.
So wie
dieser Fehler aus dem Hang zum Bösen und dem Hochmut
hervorgeht, wird er auch von ihnen genährt und
großgezogen, da er durch die unbemerkte Schmeichelei
und Irreführung zugleich mit ihnen wächst. Je höher
wir uns in unserer Selbstgefälligkeit erheben, umso
tiefer schrauben wir unsere gute Meinung vom
Nächsten herab, in der Annahme, weit von jenen
Unvollkommenheiten entfernt zu sein, die wir bei
anderen so gerne als Tatsache vermuten.
Der
arglistige Teufel durchschaut aber unsere überaus
traurige Seelenverfassung und bemüht sich
unermüdlich, unsere Augen zu schärfen und offen zu
halten, damit wir umso wachsamer die Fehler des
Nächsten beobachten, untersuchen und vergrößern. In
unserer Fahrlässigkeit glauben und erkennen wir
nicht, wie eifrig er sich anstrengt und bestrebt
ist, auch die kleinen Gebrechen von diesem und jenem
unserem Gedächtnis einzuprägen, wenn er keine großen
entdecken kann.
Da er nun
so ruhelos auf deinen Schaden hinarbeitet: Siehe zu,
daß du nicht in seine Schlinge gerätst. Sobald er
dir irgendeinen Fehltritt deines Nächsten vorhält,
kehre deine Gedanken ohne Zögern davon ab; und
fühlst du dennoch in dir den Drang, ein Urteil
darüber zu fällen: Laß dich nicht dazu verleiten und
bedenke, daß es nicht deine Sache ist und du kein
Recht dazu besitzt. Und hättest du es auch, so wärst
du dennoch nicht in der Lage, dir ein gerechtes
Urteil zu bilden, weil du selbst von tausend
Leidenschaften umgarnt bist und zu stark dazu
neigst, ohne triftigen Grund Böses von anderen zu
denken.
Als
wirksamstes Gegenmittel empfehle ich dir, dich in
Gedanken mehr mit den Anliegen und Nöten deines
Herzens zu beschäftigen, dann wirst du immer klarer
einsehen, daß du in und mit dir übergenug zu tun und
zu arbeiten hast und dir keine Zeit noch Lust
übrigbleiben, dich um die Angelegenheiten des
Nächsten zu kümmern.
Widmest du
dich, wie es sich gehört, mit allem Eifer dieser
Arbeit, dann wirst du die schlimmen Anlagen deines
Seelenauges immer mehr läutern, aus denen jenes
verderbliche Laster hervorgeht.
Sei
überzeugt: Denkst du ohne Grund etwas Böses von
deinem Bruder, dann steckt eine Wurzel des nämlichen
Übels auch in deinem Herzen, das, seiner üblen
Verfassung entsprechend, alles Verwandte, das ihm
begegnet, in sich aufnimmt.
Kommt es
dir in den Sinn, andere wegen eines Fehlers zu
verurteilen, richte deine Entrüstung wider dich
selbst und, als wärst du mit derselben Schuld
behaftet, sprich in deinem Herzen: „Wie sollte ich,
Armseliger, der ich in dieselben und in schwerere
Sünden verstrickt bin, es wagen, mein Haupt zu
erheben, um die Fehler des Nächsten zu beobachten
und zu richten?" — Und auf diese Weise werden die
Waffen, die gegen andere gerichtet waren und dir
Wunden geschlagen hätten, deine Wunden heilen, wenn
du sie wider dich selbst wendest.
Ist aber
der begangene Fehler deines Nächsten unzweifelhaft
und offenkundig, so entschuldige ihn in liebevollem
Mitleid und vergiß nicht, daß in deinem Bruder noch
Tugenden verborgen sind, zu deren Schutz der Herr
seinen Fall zugelassen hat, damit er, zeitweise in
diesen Fehlern verstrickt, sich in seinen Augen
geringer einschätze und durch die Verachtung der
anderen Menschen den Segen der Verdemütigung
erlange, sich Gott wohlgefälliger und seinen Gewinn
größer mache, als sein Verlust gewesen war.
Ist die
Sünde aber nicht nur offenkundig, sondern auch
bedeutend und kommt sie aus verhärtetem Herzen, dann
eile in Gedanken zu Gottes staunenswerten Gerichten,
wo du Menschen erblickst, die früher arge Bösewichte
waren und nachher einen hohen Grad der Heiligkeit
erlangten, und andere dagegen, die von der Höhe der
erhabensten Vollkommenheit, die sie erreicht zu
haben schienen, in das elendste Verderben
hinabstürzten.
Fürchte
und zittere mehr deinetwegen als um eines anderen
willen; und sei fest überzeugt, daß alles Gute und
Erfreuliche, was du über deinen Nächsten denkst,
Wirkung des Heiligen Geistes ist und alle
Verachtung, freventliches Urteil und Erbitterung
wider ihn aus unserer eigenen Bosheit und von der
Einflüsterung des bösen Feindes kommen.
Hätte
irgendeine Unvollkommenheit des Nächsten einen
unrechten Eindruck auf dich gemacht, dann ruhe nicht
eher und gönne deinen Augen keinen Schlaf, bis du
ihn mit Gewalt aus dem Herzen ausgemerzt hast.
44. Vom
Gebet
Wie
notwendig das Mißtrauen gegen sich selbst, das
Vertrauen auf Gott und die Übung in diesem Kampfe
sind, wurde bisher dargelegt. Aber viel notwendiger
ist das Gebet — die vierte oben angegebene Kunst und
Waffe —, womit wir nicht nur die genannten
Fertigkeiten, sondern auch alles andere Gute von
unserem Herrgott erlangen können.
Das Gebet
ist nämlich das Werkzeug, um alle Gnaden zu
erlangen, die aus der Quelle der göttlichen Güte und
Liebe auf uns herabfließen.
Durch das
Gebet wirst du — wenn du dich seiner wohl zu
bedienen weißt — Gott das Schwert in die Hand
drücken, mit dem er für dich kämpft und siegt.
Um sich
seiner aber mit Nutzen bedienen zu können, mußt du
dich gewöhnen und bemühen, folgende Fertigkeiten zu
besitzen:
Erstens
sollst du
beständig von einem lebhaften Verlangen durchdrungen
sein, der göttlichen Majestät in allem und so, wie
es ihr am wohlgefälligsten ist, zu dienen.
Um dieses
Verlangen anzufachen, beherzige wohl: daß Gott um
seiner überaus bewundernswerten Erhabenheit, Güte,
Majestät, Weisheit, Schönheit willen und wegen
seiner anderen unendlichen Vollkommenheiten jeden
Dienstes und aller Ehre unaussprechlich würdig ist;
daß er selbst, um dir zu dienen, dreiunddreißig
Jahre litt und sich abmühte und deine häßlichen,
durch die Bosheit der Sünde vergifteten Wunden nicht
mit Öl, Wein und Leinwandfetzen behandelte und
heilte, sondern mit dem kostbaren Naß, das aus
seinen heiligen Adern und seinem reinsten, von
Geißeln, Dornen und Nägeln zerrissenen Fleische
geflossen ist. Überdies bedenke, wie überaus
nutzbringend dieser Dienst ist, daß wir Herr über
uns selbst, Sieger über den bösen Feind und Kinder
Gottes selber werden.
Zweitens:
Sei auch
von einem lebendigen Glauben und Vertrauen beseelt,
daß der Herr dir alles zu seinem Dienste und zu
deinem Wohle Erforderliche zu geben bereit ist.
Dieses
gottgefällige Vertrauen ist das Gefäß, das der liebe
Gott mit dem Schatz seiner Gnade anfüllt. Und je
größer und weiter dieses ist, umso reicher kehrt das
Gebet in unser Inneres zurück.
Wie könnte
auch der getreue und allmächtige Gott es versäumen,
uns seiner Gnadengeschenke teilhaftig zu machen, da
er doch selbst das Gebet um dieselben befohlen hat
und uns den Heiligen Geist versprach, wenn wir mit
Glauben und Beharrlichkeit darum bitten würden?
Drittens:
Widme dich
dem Gebet immer in der reinen Absicht, nicht deinen
Willen, sondern den Willen Gottes allein zu
begehren, und dies in deinen Bitten wie in der
Erfüllung deines Flehens. Denn Gottes Wille muß dich
zum Beten antreiben und dein Verlangen nach
Erhörung, soweit er selbst will, wecken. Deine
Absicht soll mit einem Worte darauf gerichtet sein:
deinen Willen mit dem Willen Gottes (und nicht
umgekehrt den göttlichen Willen mit deinem) zu
vereinen.
Da dein
Wille von der Eigenliebe angesteckt und verdorben
ist, verirrt er sich häufig und weiß nicht, um was
er bittet. Der göttliche Wille hingegen ist mit
unaussprechlicher Güte verbunden und kann niemals
irren. Darum steht er als König und Gebieter über
jedem Willen; als würdige Richtschnur, der alle
folgen und sich fügen müssen.
Deshalb
sollen wir stets auch nur das erbitten, was mit dem
göttlichen Wohlgefallen im Einklang steht. Zweifelst
du einmal, ob dies wirklich der Fall ist, dann
darfst du das Betreffende nur unter der Bedingung
begehren, wenn Gott damit einverstanden ist, daß du
es erlangst. Wovon du aber überzeugt bist, daß es
Gott gefällt, wie zum Beispiel die Tugenden, das
erflehe mehr, um Gott zu gefallen und dienen zu
können, als wegen eines anderen, wenn auch geistigen
Zweckes oder Nutzens.
Viertens:
Geh zum
Gebet, mit Werken geschmückt, die mit deinen Bitten
übereinstimmen, und nach dem Gebet bemühe dich noch
eifriger, dich für die Gnade und die gewünschte
Tugend empfänglich zu machen.
Die Übung
des Gebetes soll aber derart von der Übung der
Selbstüberwindung begleitet sein, daß eine Übung der
anderen abwechselnd folgt. Denn um eine Tugend beten
und sich um ihren Besitz nicht bemühen, das hieße
nichts anderes als Gott versuchen.
Fünftens
sollen den
Bitten meistens Danksagungen für empfangene
Wohltaten auf diese oder ähnliche Weise vorausgehen:
„O mein Gott, der du mich aus Güte erschaffen und
erlöst und mich unzählige Male ohne mein Wissen aus
den Händen meiner Feinde errettet hast, eile mir
auch jetzt zu Hilfe und schlage meine Bitte nicht
ab, obschon ich mich immer widerspenstig und
undankbar dir gegenüber erwiesen habe."
Betest du
um eine besondere Tugend und stehst du gerade unter
dem Druck einer Widerwärtigkeit, dann vergiß nicht,
für die Gelegenheit, die dir geboten wird, zu
danken; denn auch diese ist kein geringer
Gunsterweis.
Sechstens:
Da das
Gebet seine Stärke und Kraft, Gott zur Erfüllung
unserer Wünsche zu bewegen, aus seiner Wesensgüte
und Barmherzigkeit und aus den Verdiensten des
Lebens und Leidens seines eingeborenen Sohnes
schöpft, wie auch aus den gegebenen Versprechen, uns
zu erhören, so beschließe deine Bitte mit einer oder
mehreren der folgenden Anrufungen: „Gewähre mir, o
Gott, diese Gnade um deiner übergroßen Milde
willen!" — „Mögen die Verdienste deines Sohnes die
Erhörung meiner Bitte erwirken!" — „Gedenke, o mein
Gott, deiner Verheißungen und erhöre gnädig mein
Gebet!"
Ein
anderes Mal bitte auch um Gnade durch die Verdienste
der allerseligsten Jungfrau Maria und anderer
Heiligen, die bei Gott viel vermögen und bei ihm
hoch in Ehren stehen, da sie seine göttliche
Majestät in diesem Leben verherrlichten.
Siebtens
ist es
notwendig, ohne Unterlaß zu beten; denn die demütige
Beharrlichkeit überwindet selbst den
unüberwindlichen Gott. Wenn die Ausdauer und
Zudringlichkeit der Witwe im Evangelium den
verruchten und ungerechten Richter zur Gewährung
ihrer Bitte zu rühren vermochte (Lk 18,2-8), sollten
unsere Bitten nicht den viel mehr rühren, in dem die
ganze Fülle der Güte wohnt?
Sollte der
Herr nach deinem Gebet noch zögern, dich
heimzusuchen und zu erhören, ja selbst das Gegenteil
zum Ausdruck bringen, so fahre trotzdem im Gebete
fort und bewahre ein unerschütterliches und
lebendiges Vertrauen auf seine Hilfe! Es fehlen ihm
keineswegs die Mittel, die in unendlicher Fülle
alles Maß übersteigen, um allen die notwendigen
Gnaden zu schenken.
Liegt der
Fehler nicht auf deiner Seite, dann sei überzeugt,
daß du demnach alles, was du erbittest, oder aber
etwas anderes, was dir viel nützlicher ist, oder
sogar beides zugleich erhalten wirst.
Je mehr du
dich zurückgewiesen glaubst, desto tiefer erniedrige
dich vor dir selber. Erinnere dich deiner Vergehen,
und unverwandten Blickes auf die göttliche Liebe
stärke dein Vertrauen auf dieselbe immer mehr.
Bleibt es fest und unerschütterlich, umso
wohlgefälliger ist es dem Herrn, je stärker es
angefochten wurde.
Erweise
dich allezeit dadurch dankbar, daß du seine Güte,
Weisheit und Liebe stets anerkennst, auch dann, wenn
er deine Bitte abschlägt, gerade wie wenn er sie
gewährt hätte, und daß du bei jedem Ereignis
standhaft und freudig in demütiger Unterwerfung
unter seine göttliche Vorsehung verbleibst.
45. Vom
innerlichen Gebet
Das
innerliche Gebet ist eine Erhebung des Gemütes zu
Gott, verbunden mit einer ausdrücklichen oder
stillschweigenden Bitte um Erhörung.
Ausdrücklich ist die Bitte, wenn man die Gnade
innerlich mit diesen oder ähnlichen Worten erfleht:
„O mein Gott, gib mir diese Gnade zu deiner Ehre!"
oder „O mein Herr, ich glaube, daß es dir
wohlgefällt und zu deiner Ehre gereicht, wenn ich
diese Gnade erbitte und besitze. Vollende an mir
dein göttliches Wohlwollen."
Und wirst
du von Feinden umdrängt, dann bete also: „Eile, mein
Gott, mir zu helfen, damit ich den Feinden nicht
nachgebe!" oder „Mein Gott, Zuflucht und Stärke
meiner Seele, komme mir eilends zu Hilfe, damit ich
nicht falle!"
Hält der
Kampf an, fahre in dieser Gebetsart fort und
widersteh immer deinem Gegner.
Ist das
Toben vorüber, dann kehre dich zum Herrn; führe ihm
deinen Gegner und deine Schwäche beim Widerstand vor
und sprich: „Sieh, o mein Gott, das Geschöpf deiner
mildreichen Hand, das mit deinem Blut erkauft wurde.
Siehe da deinen Feind, der es dir zu entreißen und
zu vernichten sucht. Zu dir, o mein Herr, nehme ich
meine Zuflucht; auf dich vertraue ich allein, der du
allmächtig und gut bist; du kennst meine Schwäche
und weißt, wie rasch ich mich ihm ohne deinen
Beistand freiwillig unterwerfen würde. Hilf mir
also, du meine Hoffnung und Seelenstärke!"
Das
stillschweigende Gebet liegt vor, wenn das Gemüt
sich um eine Gnade zu Gott aufrichtet und ohne ein
Wort und eine Erklärung ihm seine Not aufdeckt: So
zum Beispiel, wenn ich mein Gemüt zu Gott erhebe und
mich in seiner Gegenwart als ohnmächtig erkenne,
mich vor dem Bösen zu schützen und das Gute zu tun;
wenn ich vom Verlangen, ihm zu dienen, entbrenne und
mit Demut und Vertrauen seine Hilfe erwarte und
immer wieder zum Herrn aufblicke.
Dieser Akt
einer von Sehnsucht und Glauben vertieften und von
Gott erleuchteten Erkenntnis ist ein Gebet, das
stillschweigend erfleht, was mir nottut. Und je
klarer und aufrichtiger die erwähnte Erkenntnis und
je glühender die Sehnsucht und lebendiger der Glaube
sind, umso wirksamer ist auch das Gebet.
Daneben
gibt es noch eine andere, kürzere Art des
stillschweigenden Gebetes, daß man nämlich
geistigerweise ganz einfach einen Blick um Hilfe auf
Gott richtet. Dieser Aufblick ist nichts anderes als
eine unausgesprochene Erinnerung und Bitte um die
bereits erbetene Gnade.
Bemühe
dich, diese Gebetsweise gut zu erlernen und dich mit
ihr vertraut zu machen, denn sie ist — wie dich die
Erfahrung lehren wird — eine Waffe, die man bei
jedem Anlaß und überall schnell ergreifen kann und
von größerem Wert und Nutzen ist, als ich es zu
sagen vermag.
46. Vom
betrachtenden Gebet
Willst du
eine geraume Zeit, etwa eine halbe oder ganze Stunde
oder länger, dem Gebet obliegen, dann verbinde mit
ihm die Betrachtung über das Leben und Leiden Jesu
Christi, indem du seine Handlungen auf die von dir
ersehnte Tugend anwendest.
Wünschst
du beispielsweise die Tugend der Geduld zu erlangen,
nimm einige Punkte aus dem Geheimnis seiner
Geißelung zum Gegenstand deiner Erwägung.
Erstens:
Der Herr
wird von den Knechten der Bosheit unter Hohngeschrei
zu dem Orte der Geißelung geschleppt, nachdem
Pilatus den Befehl dazu erteilt hatte.
Zweitens:
Wütend
reißt man ihm die Kleider vom Leibe, daß er entblößt
und nackt dasteht.
Drittens:
Mit
Stricken werden seine unschuldigen Hände roh
gefesselt und an die Säulen gebunden.
Viertens:
Sein
ganzer Körper wird durch die Geißelhiebe zerfetzt
und zerrissen, so daß sein heiligstes Blut in
Strömen zur Erde fließt.
Fünftens:
Schlag auf
Schlag treffen ihn die Hiebe auf derselben Stelle,
wodurch seine Wunden immer heftiger brennen und
schmerzen.
Nachdem du
dir so zur Erwerbung der Geduld diese oder ähnliche
Betrachtungspunkte vorgestellt hast, gebrauche die
Sinne, um möglichst lebhaft die bitteren Herzensnöte
und die grausamen Leiden, die dein lieber Herr an
seinem ganzen Körper wie in seinen einzelnen Teilen
ausgestanden hat, nachzuempfinden.
Sodann
wende dich zu seiner heiligsten Seele und dringe so
tief als möglich in die Geduld und Sanftmut ein, mit
der er eine so fürchterliche Mißhandlung ertrug,
ohne daß sein Hunger nach ärgeren und grausameren
Leiden und Qualen für die Ehre seines Vaters und
unser Heil gestillt worden wären.
Betrachte
ferner, wie er mit lebhaftem Verlangen wünscht, du
möchtest deine Mühseligkeiten ruhig auf dich nehmen,
und schau, wie er sich wieder zum Vater mit der
Bitte kehrt, er möge dir voll Huld die Gnade zuteil
werden lassen, geduldig dein augenblickliches, wie
auch jedes andere Kreuz zu tragen.
Ringe dich
durch zu dem festen Entschluß, alles mit geduldigem
Herzen tragen zu wollen, und erhebe daraufhin dein
Gemüt zum Vater; danke ihm vor allem dafür, daß er
seinen eingeborenen Sohn in die Welt sandte und ihm
auftrug, für dich so bittere Qualen zu erleiden und
zu beten, und erflehe dir endlich kraft der
Verdienste und Fürsprache seines Sohnes die Tugend
der Geduld.
47. Von
einer anderen Art des betrachtenden Gebetes
Aber auch auf eine andere Art
kannst du betrachtend beten. Hast du nämlich die
bitteren Leiden des Herrn liebevoll erwogen und in
deinem Geiste die Bereitwilligkeit seines Herzens
geschaut, mit der er sie auf sich genommen hatte,
dann gehe von der Größe seiner Qualen und seiner
Geduld zu zwei anderen Erwägungen über. Betrachte
erstens
sein Verdienst und
zweitens
die Freude und Verherrlichung des ewigen Vaters
infolge des vollkommenen Gehorsams seines leidenden
Sohnes.
Beides
stelle dann seiner göttlichen Majestät vor und bitte
kraft derselben um die Gnade, die du gerade
wünschst.
Auf diese
Weise kannst du eine Betrachtung nicht nur über
jedes Geheimnis des Leidens des Herrn anstellen,
sondern auch über jedes einzelne, innere wie äußere
Werk, das er in jedem Geheimnis verrichtete.
48. Von
der Art und Weise, durch die Vermittlung Mariens zu
beten
Außer den
oben dargelegten Betrachtungsweisen gibt es noch
eine weitere Art, betrachtend zu beten, nämlich
mittels der allerseligsten Jungfrau Maria, wobei man
zuerst sein Gemüt zum ewigen Gott, dann zum
liebreichen Jesus und zuletzt zur glorreichsten
Mutter erhebt.
Zu Gott
gewendet erwäge zweierlei: Erstens die Wonne, die er
von Ewigkeit her empfand, wenn er sich selbst in
Maria betrachtete, bevor er sie aus dem Nichts ins
Dasein gerufen hatte; und zweitens ihre Tugenden und
guten Werke während ihres irdischen Lebens.
Über die
Wonne kannst du also betrachten: Schwinge dich im
Geiste empor über Zeit und Raum und tritt in die
Ewigkeit und ins Herz Gottes selbst ein; schau da
seine Wonne, die er über Maria empfand. Und hast du
in dieser Wonne Gott gefunden, dann bitte ihn
zuversichtlich um ihretwillen um die Gnade und Kraft
zur Vernichtung deiner Feinde, vor allem desjenigen,
der dich eben bekämpft.
Nun
betrachte die überaus erhabenen und so einzigartigen
Tugenden und guten Werke der heiligsten Mutter;
biete sie einmal alle insgesamt und dann wieder
einzeln dem lieben Gott dar und erflehe kraft
derselben von seiner unendlichen Güte alles, was dir
nottut.
Darauf
wende dich im Geiste zum Sohne: Erinnere ihn an den
jungfräulichen Schoß, der ihn neun Monate trug; an
die Ehrfurcht, mit der ihn die Jungfrau nach seiner
Geburt anbetete und als wahren Mensch und wahren
Gott und als ihren Sohn und Schöpfer anerkannte; an
die mitleidsvollen Augen, die ihn in seiner großen
Armut schauten; an den süßen Mund, der ihn so zart
küßte; an die Milch, mit der sie ihn nährte, und
alle Angst und Not, die sie während seines Lebens
und Sterbens um seinetwillen erduldete. Damit wirst
du dem göttlichen Sohne gewiß sanfte Gewalt antun,
dich zu erhören.
Zuletzt
kehre dich zur allerseligsten Jungfrau: Erinnere
sie, daß Gottes Vorsehung und Güte von Ewigkeit her
sie zur Mutter der Gnade und Erbarmung und zu
unserer Fürsprecherin erkor, und daß wir nach ihrem
gebenedeiten Sohne keine zuverlässigere und
mächtigere Hilfe besitzen als sie.
Erinnere
sie auch an die Wahrheit, die über sie aufgezeichnet
und durch eine Unzahl von Wundern bestätigt ist, daß
niemand sie je mit Vertrauen angerufen, der ihre
mildreiche Fürsprache nicht erfahren hätte.
Stelle ihr
endlich die vielen Leiden vor, die ihr einziger Sohn
zu unserem Heil auf sich genommen hat, und bitte
sie, sie möge dir von ihm die Gnade erlangen, daß
sie zu seiner Ehre und Freude jene Wirkung in dir
hervorrufe, um derentwillen er sie gelitten hat.
49. Vom
gläubigen Vertrauen auf Maria, die allerseligste
Jungfrau
Willst du
in all deinen Nöten mit gläubigem Vertrauen zur
allerseligsten Jungfrau Maria deine Zuflucht nehmen,
dann kannst du dieses Vertrauen durch folgende
Erwägungen erlangen.
Erstens:
Schon aus
Erfahrung wissen wir, daß alle Gefäße, in denen sich
Balsam oder eine andere kostbare Flüssigkeit befand,
lange Zeit den Geruch davon bewahren, auch wenn sie
nichts mehr enthalten, und das umso mehr, je länger
sie damit angefüllt waren, und erst recht, wenn noch
ein Rest in ihnen zurückgeblieben ist. Und dennoch
besitzen der Balsam oder jene andere Flüssigkeit nur
eine beschränkte und vorübergehende Kraft und
Wirkung. Ebenso verspürt auch derjenige, der in der
Nähe eines großen Feuers stand, noch längere Zeit
nach seiner Entfernung die Wärme der Glut.
Wenn dem
so ist: Von welchem Feuer der Liebe und von welchen
Gefühlen der Erbarmung und Güte muß dann das Herz
der allerseligsten Jungfrau Maria glühen und erfüllt
sein? Sie, die den Sohn Gottes neun Monate in ihrem
jungfräulichen Schoß trug und ihn noch immer in
ihrem Herzen und ihrer Seele trägt, der die Liebe,
Erbarmung und Güte selbst ist, deren Kraft keine
Grenzen und Schranken kennt und von unendlicher und
grenzenloser Gewalt ist.
Wie es
aber unmöglich ist, daß jemand zu einem großen Feuer
hintritt, ohne von dessen Hitze etwas zu verspüren,
ebenso und noch viel mehr ist es ausgeschlossen, daß
ein Hilfsbedürftiger, der sich diesem Feuer der
Liebe, Erbarmung und Güte, das im Herzen der
allerseligsten Jungfrau immerfort brennt, nähert,
ohne Hilfe, Gnaden und Gaben bleibt. Und diese
werden umso reicher sein, je häufiger er sich ihr
naht und je größer sein Glaube und sein Vertrauen
sind.
Zweitens:
Kein
Geschöpf liebte jemals den göttlichen Heiland Jesus
Christus so innig und kein Geschöpf stimmte jemals
mit seinem Willen so vollständig überein, wie seine
heiligste Mutter.
Nun hat
der Sohn Gottes selber sein Leben und sich selbst
ganz für uns Sünder und unsere Bedürfnisse
hingegeben und seine Mutter zu unserer Mutter und
Fürsprecherin bestellt, damit sie uns beistehe und
nach ihm Mittlerin zu unserem Heile sei; wie könnte
daher unsere Mutter und Fürsprecherin uns im Stich
lassen und sich gegen den Willen ihres Sohnes
auflehnen?
Nimm
deshalb in jeder Not mit Zuversicht deine Zuflucht
zur heiligsten Mutter und Jungfrau Maria. Beseligend
und bereichernd ist dieses Vertrauen und Sicherheit
bietet die Zuflucht zu ihr, die da immer noch Gnade
und Erbarmung spendet.
50. Vom
betrachtenden Gebet in Vereinigung mit den Engeln
und Heiligen
Um dich
der Hilfe und Gunst der Engel und Heiligen im Himmel
zu erfreuen, kannst du auf zweifache Weise vorgehen.
Erstens:
Wende dich
zum ewigen Vater; weise ihn auf die Liebe und das
Lob hin, mit dem ihn der ganze himmlische Hof
verherrlicht, und auf die Mühseligkeiten und Leiden,
die die Heiligen auf Erden aus Liebe zu ihm erduldet
haben, und auf diese gestützt, bitte seine göttliche
Majestät um alles, was dir nottut.
Zweitens:
Wende dich
an die Scharen der Heiligen selbst und erbitte ihren
Beistand im Kampfe gegen deine Gebrechen und wider
alle deine Feinde und vor allem um ihren Schutz in
der Todesstunde.
Ein
anderes Mal betrachte die vielen und
außerordentlichen Gnaden, die sie vom allerhöchsten
Schöpfer erhielten, und erwecke in dir eine innige
Liebe zu ihnen, wie auch eine lebhafte Freude über
ihren Reichtum an Gnaden, wie wenn sie deine eigenen
wären.
Wenn
möglich freue dich, daß sie und nicht du die Gnaden
besitzest, weil Gott es so wollte, der dafür gelobt
und gepriesen sei. Um diese Übung ordnungsgemäß und
ohne Mühe vorzunehmen, kannst du die Scharen der
Heiligen in Gruppen aufteilen und für ihre Verehrung
die einzelnen Tage der Woche etwa auf diese Weise
festlegen:
Am Sonntag
verehre die neun Chöre der Engel; am Montag den
heiligen Johannes den Täufer; am Dienstag die
Patriarchen und Propheten; am Mittwoch die Apostel;
am Donnerstag die Märtyrer; am Freitag die Bischöfe
und andere heilige Männer; am Samstag die Jungfrauen
und andere heilige Frauen.
Unterlasse
es jedoch niemals, an jedem Tag und auch sonst recht
häufig zur allerseligsten Jungfrau Maria, der
Königin aller Heiligen, deinem heiligen Schutzengel
und dem heiligen Erzengel Michael und allen deinen
heiligen Fürsprechern deine Zuflucht zu nehmen. Auch
flehe alle Tage zur allerseligsten Jungfrau Maria,
zu ihrem Sohne und zum himmlischen Vater um die
Gnade, daß sie dir den Gemahl Mariens, den heiligen
Joseph, zum besonderen Fürsprecher und Beschützer
bestellen möchten, und wende dich vertrauensvoll an
ihn mit der Bitte, dir seinen mächtigen Schutz
angedeihen zu lassen.
Viel
Wunderbares wird von diesem glorreichen Heiligen
berichtet, von den vielen Gnaden, die alle seine
Verehrer erhalten, die ihn in ihren geistigen wie
zeitlichen Nöten angerufen haben, wie er besonders
viele fromme Seelen anleitete, auf die rechte Weise
zu beten und zu betrachten.
Hält Gott
schon die übrigen Heiligen so hoch, weil sie ihm
während ihres Lebens Ehre und Gehorsam erwiesen, um
wieviel mehr dürfen wir da annehmen, daß er diesen
überaus demütigen und glückseligen Heiligen
hochschätzen und sein Gebet in Gnaden aufnehmen
wird, da er bereits hier auf Erden von Gott so hoch
geehrt wurde, daß er sich ihm unterwerfen und wie
einem Vater gehorchen wollte.
51. Von
der Betrachtung des Leidens Christi
Was ich
über das Leiden des Herrn bereits (Kap. 46)
ausführte, dient dazu, das Gebet und die Betrachtung
mittels Bitten zu gestalten. Nun will ich noch
einiges hinzufügen, wie wir daraus die
verschiedensten Seelenstimmungen gewinnen können.
Betrachte
zum Beispiel einmal das Geheimnis der Kreuzigung
Christi, von dem du unter anderen folgende Punkte
besonders erwägen kannst.
Erstens:
Auf dem
Kalvarienberg wird der Herr von den rasenden
Schergen mit Gewalt entkleidet, so daß sein Fleisch,
an dem infolge der Geißelung die Kleider festkleben,
in Fetzen abgerissen wird.
Zweitens:
Die
Dornenkrone wird ihm vom Haupte genommen und nachher
wieder aufgesetzt, was ihm neue Wunden verursacht.
Drittens:
Unter
grausamen Hammerschlägen wird er mit Nägeln ans
Kreuz geheftet.
Viertens:
Da seine
heiligen Glieder nicht bis zu den für die Kreuzigung
gebohrten Löchern reichen, werden sie von den rohen
Henkersknechten mit solcher Gewalt angezogen, daß
alle seine Gebeine ausgerenkt werden.
Fünftens:
Am harten
Stamm des Kreuzes hängend, hat der Herr keine andere
Stütze als die Nägel, die wegen der schweren und
drückenden Last des Körpers seine allerheiligsten
Wunden mit unbeschreiblichem Schmerz vergrößern und
verschlimmern.
Willst du
so aus diesen oder ähnlichen Punkten das Gefühl der
Liebe in deinem Herzen wecken, dann suche durch ihre
Betrachtung zu einer immer größeren Erkenntnis der
unendlichen Güte deines Herrn zu gelangen, der aus
Liebe zu dir so vieles hatte leiden wollen. Mit der
vertieften Erkenntnis wächst auch in gleichem Maße
die Liebe.
Infolge
der Erkenntnis dieser unendlichen Liebe und Güte,
die der Herr dir erwiesen hat, wird in dir sicher
ein tiefer Reueschmerz wach werden, deinen Gott, der
deiner Sünden wegen so vielfach mißhandelt und
gepeinigt wurde, so häufig und so undankbar
beleidigt zu haben.
Um in dir
die Hoffnung zu beleben, erwäge, daß der große Gott
solche Not und solches Elend auf sich nahm, um die
Sünde zu tilgen und dich aus den Fesseln Satans und
deiner eigenen Schuld zu befreien und um dich mit
seinem ewigen Vater zu versöhnen und dich mit
Vertrauen zu erfüllen, in all deiner Not zu ihm
deine Zuflucht zu nehmen.
Innige
Freude wirst du empfinden, wenn du von seinen Leiden
zu ihren Wirkungen übergehst und siehst, wie er
dadurch die ganze Welt von der Sünde erlöste, den
Zorn des Vaters besänftigte, den Fürsten der
Finsternis zuschanden machte, den Tod überwand und
die Throne der Engel wieder bevölkerte. Und diese
Freude wird sich bei der Betrachtung jener Freude
steigern, die die allerheiligste Dreifaltigkeit mit
der allerseligsten Jungfrau Maria und der ganzen
triumphierenden und streitenden Kirche darüber
empfindet.
Um dich
zum Haß wider deine eigenen Sünden aufzureizen,
fasse alle Erwägungen dahin zusammen, daß du dir
vorstellst, der Herr hätte zu keinem anderen Zweck
gelitten, als dich zum Haß gegen deine sündhaften
Neigungen, namentlich gegen jene zu bewegen, die
dich am stärksten beherrscht und seiner göttlichen
Güte am meisten mißfällt.
Um deine
Bewunderung zu erregen, erwäge, ob es etwas Größeres
gibt, als den Schöpfer des Weltalls und Spender
allen Lebens von seinen eigenen Geschöpfen verfolgt
und getötet, die höchste Majestät verachtet und
erniedrigt, die Gerechtigkeit verurteilt, Gottes
Schönheit angespieen, des himmlischen Vaters Liebe
gehaßt, das innerste und unzugänglichste Licht der
Gewalt der Finsternis überliefert und die
Herrlichkeit und Glückseligkeit selbst für die
Schmach und Schande des menschlichen Geschlechtes
gehalten und ins tiefste Elend versenkt zu sehen.
Um deinen
mit Schmerz überhäuften Herrn zu bemitleiden, dringe
nach der Betrachtung seiner äußeren Leiden im Geiste
weiter zu anderen, unvergleichlich heftigeren
Leiden, die ihn innerlich quälten. Haben jene dein
Herz betrübt, dann wäre es erstaunlich, wenn diese
nicht dein Herz vor Schmerz zerrissen.
Christi
Seele schaute Gottes Wesenheit, wie sie diese jetzt
im Himmel schaut, und erkannte sie aller Ehre und
jeglichen Dienstes unendlich würdig und wünschte
deshalb sehnlichst aus unaussprechlicher Liebe zu
ihr, daß jede Kreatur ihre ganzen Kräfte dafür
einsetze.
Da sie
aber das Gegenteil wahrnahm, wie sie durch die
ungeheuren Sünden und abscheulichen Frevel der Welt
so entsetzlich beleidigt und verachtet wurde, war
sie zu gleicher Zeit von unendlichem Kummer und
Schmerz durchwühlt, der sie umso mehr peinigte, je
größer ihre Liebe und Sehnsucht war, daß eine so
erhabene Majestät geehrt und ihr von allen gedient
werden sollte.
Gleichwie
man die Größe dieser Liebe und Sehnsucht nicht zu
erfassen vermag, so kann sich auch niemand einen
Begriff machen, wie bitter und tief das innere
Leiden des gekreuzigten Heilandes gewesen ist.
Und da er
ferner alle Geschöpfe unsagbar liebt, so schmerzten
ihn im Verhältnis zu dieser Liebe alle ihre Sünden
unermeßlich, weil sie sich durch diese von ihm
trennen. Denn durch jede Todsünde, die je ein Mensch
beging und noch begehen wird, reißt sich ja ein
jeder, so oft er sündigt, von der Seele des Herrn
los, mit der er durch die Liebe vereint war.
Weit
schmerzlicher ist diese Trennung als die eines
körperlichen Gliedes, das aus seiner natürlichen
Lage entfernt wird, weil die Seele viel edler und
vollkommener als der Leib und darum auch für
Schmerzen viel empfindlicher ist.
Unter den
Leiden, die der Herr für die Geschöpfe erduldete,
war das am bittersten, das er über die Sünden der
Verdammten empfand, die sich niemals mehr mit ihm
vereinigen können und deshalb ewige unaussprechliche
Qualen erleiden müssen.
Will die
Seele (von ihrem lieben Jesus gerührt), um
mitzuleiden, weiter in Christi Leid vordringen, dann
wird sie noch ungemein heftige Leiden in ihm
entdecken, die ihm nicht nur die begangenen, sondern
auch die unterlassenen Sünden verursachten. Denn es
steht außer Zweifel, daß unser Herr die Verzeihung
jener und die Verhinderung dieser Sünden um den
Preis seines kostbaren Leidens erwarb.
Gewiß wird
es dir nicht an anderen Erwägungen mangeln, um mit
deinem betrübten und gekreuzigten Heiland
mitzuleiden. Denn nie hat ein mit Vernunft begabtes
Geschöpf einen Schmerz erduldet, noch wird es je
einen erleiden, den er nicht selbst in sich
empfunden hätte.
Die
Beleidigungen, Anfechtungen, Verleumdungen, Strafen,
alle Angst und Not aller Menschen hienieden
schmerzten die Seele Christi empfindlicher als jene,
die sie selbst durchmachen mußte. Denn alle ihre
großen und kleinen Schmerzen der Seele und des
Leibes, bis zum geringsten Kopfweh und Nadelstich,
sah unser Herr und wollte sie in seiner
unermeßlichen Liebe mitleiden und in seinem
mildreichsten Herzen mitempfinden.
Wie sehr
ihn aber die Schmerzen seiner heiligsten Mutter
betrübten, wer vermag das zu schildern? Denn so wie
der Herr litt und duldete, litt auch die
allerheiligste Jungfrau, wenn auch nicht in
demselben Maße, aber dennoch aufs bitterste.
Und diese
ihre Schmerzen erneuerten die Seelenwunden ihres
gebenedeiten Sohnes, so daß sein mildreichstes Herz
gleichsam wie von ebenso vielen glühenden Pfeilen
der Liebe verwundet wurde. Darum kann man sein Herz
der vielen Qualen wegen, die ich andeutete, und noch
mehr der unzähligen, uns unbekannten Schmerzen wegen
mit Recht „eine liebevolle Hölle freiwilliger
Leiden" nennen, wie man von einer frommen Seele
berichtet, die es so in heiliger Herzenseinfalt zu
bezeichnen pflegte.
Forschst
du aufmerksam nach der Ursache der vielen Leiden,
die unser gekreuzigter Erlöser und Herr ertragen
hat, dann findest du keine andere als die Sünde.
Hieraus
folgt eindeutig, daß das wahre Mitleid und der
eigentliche Dank, die er von uns verlangt und die
wir ihm unsagbar schulden, darin bestehen, daß wir
über seine Unbill einzig und allein aus Liebe zu ihm
Schmerz empfinden, über alles die Sünde hassen und
hochherzig gegen seine Feinde und unsere sündhaften
Neigungen kämpfen, damit wir den alten Menschen mit
seinen Werken aus- und den neuen Menschen anziehen
und unsere Seele mit den christlichen Tugenden
schmücken.
52. Vom
Nutzen der Betrachtung über das Leiden Christi und
der Nachahmung seiner Tugenden
Unter den vielen Vorteilen,
die du aus dieser heilsamen Betrachtung über das
Leiden des Herrn schöpfen kannst, steht an
erster
Stelle, daß du nicht allein deine begangenen Sünden
bereust, sondern auch darüber dich betrübst, daß
deine ungeordneten Leidenschaften, die ihn ans Kreuz
schlugen, noch immer in dir leben.
Der
zweite
Nutzen ist, daß du ihn um Verzeihung wegen deiner
Sünden und um die Gnade eines tiefen Hasses wider
dich selbst bittest, um ihn nie mehr zu beleidigen,
damit du ihm in Zukunft zum Ersatz für seine vielen,
um deinetwillen erduldeten Mühseligkeiten vielmehr
in treuer Liebe dienst, was ja ohne einen solchen
heiligen Haß nicht möglich ist.
Der
dritte
Vorteil soll sein, daß du jede deiner sündhaften
Neigungen, so unbedeutend sie auch ist, mit aller
Kraft auf Leben und Tod bekämpfst.
Der
vierte
Gewinn soll der sein, daß du mit allen Kräften dich
bestrebst, die Tugenden des göttlichen Heilandes
nachzuahmen, da er nicht bloß gelitten hat, um uns
zu erlösen und für unsere Missetaten Genugtuung zu
leisten, sondern auch, um uns ein Beispiel der
heiligen Nachfolge zu geben.
Zu diesem
Ziel lege ich hier eine Betrachtungsweise vor, die
dir dienlich sein kann.
Wünschst
du dir, um Christus nachzufolgen, zum Beispiel die
Geduld anzueignen, dann erwäge folgende Punkte:
- Wie
verhält sich die Seele Christi während seines
Leidens Gott gegenüber?
- Wie
handelt Gott der Seele Christi gegenüber?
- Wie
verhält sich die Seele Christi sich selbst und
seinem Leibe gegenüber?
- Wie
handelt Christus gegen uns?
- Wie
sollen wir uns Christus gegenüber verhalten?
Erstens:
Erwäge,
wie die Seele Christi, ganz in die Anschauung Gottes
versenkt, die unendliche und unbegreifliche Größe,
gegen die alles Geschaffene wie ein Nichts
verschwindet, bewundert und sich trotz ihrer
unwandelbaren Glückseligkeit hienieden der
unwürdigsten Behandlung von seiten der Menschen
unterwirft, von welchen sie nur Untreue und Schmach
erntet; und wie sie Gott anbetet und sich dankbar
und rückhaltlos zum Opfer darbietet.
Zweitens:
Hierauf
betrachte, wie Gott sich der Seele Christi gegenüber
verhält; wie er verlangt und sie drängt, für uns
Backenstreiche, Anspucken, Roheiten, Geißeln, Dornen
und das Kreuz auf sich zu nehmen, und wie er ihr
sein Wohlgefallen kundtut, sie mit Schimpf und Weh
ganz überhäuft zu sehen.
Drittens:
Sodann
gehe zur Betrachtung der Seele Christi über; wie sie
im hellsten Lichte ihres Verstandes das große
Wohlgefallen Gottes über ihre Leiden schaut und mit
allen Fasern und der ganzen unermeßlichen Glut ihres
Wesens seine göttliche Majestät wegen ihrer
unendlichen Verdienste und zahllosen Verpflichtungen
ihr gegenüber unaussprechlich liebt; und wie sie,
von Gott aufgefordert, aus Liebe zu uns und zu
unserem Beispiel zu leiden, sich freudig und
zufrieden zu bereitwilligem Gehorsam gegen seinen
heiligsten Willen anschickt.
Aber wer
vermag in den Abgrund der Sehnsüchte einzudringen,
die die reinste und liebevollste Seele da empfand?
Obwohl sie geradezu in einem Wirrwarr von Mühsal und
Leid sich befindet, sucht sie immer nach neuen Arten
und Wegen, um noch mehr zu leiden, und, da sie nicht
findet, was sie verlangt, gibt sie sich und ihren
unschuldigsten Leib freiwillig auf Gnade und Ungnade
den verruchten Menschen und bösen Geistern der Hölle
als Beute hin.
Viertens:
Nun schau
deinen Jesus, wie er mit liebevollem Blick zu dir
gewandt dich anspricht: „Sieh, meine Seele, wohin
mich deine unbeherrschten Begierden gebracht haben,
da du dir nicht einmal ein wenig Gewalt antun
wolltest.
Sieh, wie
viel und wie gern ich aus Liebe zu dir leide, um dir
ein Beispiel wahrer Geduld zu geben.
Bei all
meinen Schmerzen beschwöre ich dich, dieses und
jedes andere Kreuz zu meiner größeren Freude willig
zu tragen und dich rückhaltlos den Händen deiner
Feinde, die ich dir sende, zu überlassen, auch wenn
sie noch so gemein und grausam gegen deine Ehre und
deinen Leib wüten würden.
O, wenn du
wüßtest, welchen Trost ich daraus schöpfe! An diesen
Wunden kannst du es gut erkennen, die ich als
wertvolle Kleinodien erhielt, um deine arme, mir so
überaus teure Seele mit kostbaren Tugenden zu
schmücken. Wenn ich deinetwegen bis zum äußersten
Opfer bewogen wurde, warum solltest du nicht auch
ein wenig leiden wollen, um meinem Herzen Freude zu
bereiten und meine Wunden zu lindern, die mir deine
Ungeduld geschlagen hat? Jene Ungeduld, die mich
bitterer betrübt, als diese Wunden selbst
schmerzen."
Fünftens:
Dann
bedenke, wer mit dir so spricht, und du wirst
erkennen, daß es der König der Herrlichkeit selbst
ist, Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch.
Schau das Übermaß seiner Qualen und Mißhandlungen,
die selbst der gemeinste Verbrecher nicht verdient
hätte!
Sieh
deinen Herrn, wie er inmitten so großer Leiden nicht
nur standhaft und geduldig ausharrt, sondern voller
Freude ist, wie wenn er Hochzeit feiere. Gleichwie
einige Wassertropfen ein Feuer noch mehr entfachen,
so wuchsen mit seinen Schmerzen, die seiner
überströmenden Liebe nur winzig erschienen, die
Freude und Sehnsucht, noch mehr zu erdulden.
Ferner
bedenke, daß dein mildreichster Herr dies alles
nicht aus Zwang oder aus Eigennutz gelitten und
getan hat, sondern — wie er es dir selbst sagte —
aus reiner Liebe zu dir und damit du dich in seiner
Gefolgschaft in der Tugend der Geduld übst.
Laß dich
tief ergreifen von seinem heißen Wunsch und seiner
innigen Freude, die du ihm durch deine Übung in
dieser Tugend bereitest. Erwecke inbrünstige Akte
der Sehnsucht, nicht allein geduldig, sondern auch
freudig dein jetziges und jedes andere, härtere
Kreuz zu tragen, um deinem Gott nachzufolgen und ihm
größeren Trost zu schenken.
Stelle dir
hierauf im Geiste seine Schmach und Bitterkeit, die
er deinetwegen erlitt, und seinen Starkmut und seine
Geduld vor und schäme dich dann des Gedankens, deine
Geduld wäre auch nur ein Schatten von Geduld und
deine Schmerzen und Leiden wären wirkliche Schmerzen
und Leiden.
Sei in
ständiger Furcht und banger Sorge, daß der leiseste
Gedanke, nicht aus Liebe zu deinem Herrn leiden zu
wollen, ein Plätzchen im Innern deines Herzens
finden und sich dort auch nur für einen Augenblick
festsetzen könnte.
Der
Gekreuzigte ist das Buch, das ich dir zum Lesen
gebe; da kannst du das wahre Abbild aller Tugenden
kennenlernen. Er ist das Buch des Lebens, und darum
unterweist er nicht nur den Verstand mit Worten,
sondern entflammt auch den Willen durch sein
lebendiges Beispiel. Sämtliche Bücher der Welt — es
gibt derer ja so viele — vermögen alle zusammen
keinen vollkommeneren Unterricht für die Aneignung
der Tugenden zu geben, wie es die Betrachtung des
Gekreuzigten tut.
Sei
überzeugt, daß die, welche viele Stunden lang das
Leiden unseres Herrn beweinen und seine Geduld
betrachten, aber beim Nahen einer Widerwärtigkeit
sich so ungeduldig gebärden, als ob sie im Gebet
etwas ganz anderes gelernt hätten, irdischen
Kriegern ähneln, die im Zeltlager und vor der
Schlacht mit Heldentaten prahlen, beim Erscheinen
des Feindes aber die Waffen wegwerfen und die Flucht
ergreifen.
Was kann
es auch Törichteres und Beklagenswerteres geben, als
die Tugenden des Herrn wie in einem glänzenden
Spiegel zu betrachten, sie liebzugewinnen und zu
bewundern, und dann nachher, wenn die Gelegenheit
sie zu üben da ist, ihr Andenken und ihre vorige
Hochschätzung vollständig aus dem Auge zu verlieren?
53. Vom
allerheiligsten Altarsakrament
Bisher
habe ich dich, wie du gesehen hast, mit vier Waffen
versehen, die dir zum Siege über deine Feinde
notwendig sind. Auch habe ich dir viele Ratschläge
gegeben, damit du diese Waffen gut handhaben kannst.
Nun muß ich noch von einer weiteren Waffe reden,
nämlich vom allerheiligsten Sakrament der
Eucharistie.
Gerade wie
dieses Sakrament alle anderen Sakramente übertrifft,
so ist auch diese fünfte Waffe allen übrigen Waffen
weit überlegen.
Die
bereits angeführten vier Waffen erhalten ihre Kraft
aus den Verdiensten und der Gnade, die das Blut
Christi erworben hat. Diese Waffe aber ist das
Fleisch und das Blut Christi selbst, vereint mit der
Seele und Gottheit des Heilandes.
Mit jenen
kämpft man durch die Kraft Christi wider die Feinde.
Hier aber kämpfen wir gegen dieselben mit Christus,
und Christus kämpft zugleich im Verein mit uns, denn
wer Christi Fleisch und Blut genießt, der steht auf
der Seite Christi, wie auch Christus auf dessen
Seite steht.
Da man nun
auf eine zweifache Weise, nämlich durch den
wirklichen Genuß des Sakramentes einmal am Tage und
die geistige Kommunion in jeder Stunde und in jedem
Augenblick, mit dieser Waffe vertraut wird, so
unterlasse es nicht, sie möglichst oft und immer
wieder aufs neue zu ergreifen.
54. Vom
Empfang der heiligen Eucharistie
Aus
verschiedenen Gründen können wir uns dem
allerheiligsten Sakrament des Altares nahen. Um
unser Ziel aber erreichen zu können, müssen wir
Verschiedenes dabei beobachten, was sich auf drei
Zeitabschnitte verteilt, nämlich: Vor der heiligen
Kommunion, beim Empfang derselben und nach der
heiligen Kommunion.
Vor der
heiligen Kommunion
müssen wir
(aus welchen Gründen wir sie auch immer empfangen
wollen) uns unbedingt im Sakrament der Buße von
aller Todsünde, wenn eine solche vorliegt, waschen
und reinigen und uns mit allen Fasern des Herzens,
sozusagen rückhaltlos mit ganzer Seele und all
unseren Kräften und Fähigkeiten Jesus Christus, so
wie es ihm gefällt, hingeben, da er uns in diesem
allerheiligsten Sakrament sein Fleisch und Blut mit
seiner Seele und Gottheit und allen seinen
Verdiensten zum Geschenke macht.
Beim
Gedanken, daß unsere Gabe im Vergleich mit seinem
Geschenk doch so unbedeutend und gleichsam nichts
ist, muß sich in uns der Wunsch regen, alles zu
besitzen, was Himmel und Erde ihm je dargeboten und
geopfert haben, um es seiner göttlichen Majestät
darzubringen.
Willst du
die heilige Kommunion empfangen, um deine und seine
Feinde in dir zu überwinden und zu vernichten, so
erinnere dich am Vorabend oder bereits schon früher,
welche Sehnsucht der Sohn Gottes hegt, daß du ihm in
deinem Herzen ein Plätzchen bietest, damit er sich
mit dir im allerheiligsten Sakrament vereine und dir
zur Überwindung aller deiner sündhaften
Leidenschaften beistehen könne. Diese Sehnsucht
unseres Herrn ist so groß und so unermeßlich, daß
ein geschaffener Geist sie nicht zu erfassen
imstande ist.
Um dich
aber dazu einigermaßen zu befähigen, präge deinem
Herzen zwei Erwägungen recht tief ein:
Erstens:
Das
unaussprechliche Wohlgefallen des allgütigen Gottes,
bei uns zu sein, worin ja seine „Wonne" besteht (Spr
8, 31).
Zweitens:
Den
unendlichen Haß gegen die Sünde, die seiner
Vereinigung mit uns, nach der er so sehnsüchtig
verlangt, hindernd in den Weg tritt und allen seinen
göttlichen Vollkommenheiten völlig zuwiderläuft.
Als das
höchste Gut und makelloseste Licht und die
unendliche Schönheit muß er ja die Sünde aufs
äußerste hassen und verabscheuen, die eben nichts
anderes ist als Schlechtigkeit, Finsternis und
Häßlichkeit, für unsere Seele ganz unerträglich.
Dieser Haß des Herrn wider die Sünde ist so brennend
heiß, daß alle Opfer des Alten und Neuen Testamentes
auf ihre Vernichtung hinzielten, vor allem das
vollkommenste Opfer, das Leiden seines Sohnes, der
nach der Lehre erleuchteter Diener Gottes im Notfall
tausendmal sterben würde, um jede noch so
unbedeutende Sünde in uns zu tilgen.
Hast du
aus solchen Erwägungen, wenn auch nur unvollkommen,
die Größe seiner Sehnsucht erkannt, mit welcher der
Herr verlangt, in dein Herz einzukehren, um alle
deine Feinde zu vertreiben und vollständig
niederzuringen, dann erwecke ein lebhaftes
Verlangen, ihn in dieser Absicht aufzunehmen.
Ermutigt
und begeistert durch die Hoffnung auf den baldigen
Einzug deines himmlischen Heerführers in dein Herz,
fordere die Leidenschaft, die du zu bekriegen dir
vorgenommen hattest, wiederholt zum Kampfe heraus
und unterdrücke sie jedesmal ganz energisch, indem
du dabei die entgegengesetzten Tugendakte setzest.
Diese Übung führe dann am Vorabend und am Morgen des
Kommuniontages beharrlich aus.
Beim
Empfang der heiligen Kommunion:
Stehst du
im Begriffe, das allerheiligste Sakrament zu
empfangen, wirf kurz vorher einen flüchtigen Blick
auf deine Fehler seit der letzten Kommunion, die du
gerade so begangen hast, als ob es keinen Gott gäbe,
der für dich in den Geheimnissen des Kreuzes so
unendlich viel erduldet hat. Ein elendes Vergnügen
und deinen eigenen Willen hattest du dem Willen
Gottes und seiner Ehre vorgezogen! Laß dich
erschüttern von Scham und einer heilsamen Furcht ob
deines Undankes und deiner Unwürdigkeit.
Jetzt aber
denke mehr daran, daß die unermeßliche Güte deines
Herrn dich zur Umkehr ruft, der du so abgrundtief
undankbar und untreu bist. Nahe dich ihm
vertrauensvoll und biete ihm einen weiten Platz in
deinem Herzen an, damit er als unumschränkter König
darin herrschen kann.
Du räumst
ihm aber nur dann einen weiten Platz ein, wenn du
alle Anhänglichkeiten an irgendeine Kreatur aus
deinem Herzen verbannst und es daraufhin allem
anderen verschließt, daß nur deinem Herrn allein der
Zutritt offensteht.
Nach der
heiligen Kommunion
zieh dich
schnell in die Stille deines Herzens zurück; bete in
aller Ehrfurcht und Demut deinen Gott an und
vereinige dich im Geiste mit ihm:
„O mein
einziges Gut, du siehst, wie rasch ich dich
beleidige; wie viel diese Leidenschaft wider mich
vermag und daß ich aus mir nicht imstande bin, mich
von ihr frei zu machen. Du mußt für mich kämpfen,
und von dir allein erhoffe ich den Sieg, obschon
auch ich noch weiter kämpfen muß."
Darauf
wende dich zum ewigen Vater: Opfere ihm seinen
gebenedeiten Sohn, den er dir schenkte und den du
nun im Herzen trägst, zum Dank für die empfangene
Gnade und den Sieg über dich selbst auf, und
versprich ihm, hochherzig gegen die bestimmte
Leidenschaft kämpfen zu wollen in der sicheren
Erwartung des Sieges, den dir Gott nicht versagen
wird, wenn du das Deine tust, sollte er dich auch
nicht gleich erhören.
55.
Von der
Liebe, die wir bei der Vorbereitung auf die heilige
Kommunion in uns erwecken sollen
Um in
deinem Herzen durch dieses hocherhabene Sakrament
die Liebe zu Gott zu erwecken, erwäge seine
Zuneigung, die er für dich hegt.
Schon am
Vorabend
betrachte,
daß der große und allmächtige Gott nicht damit
zufrieden war, dich nach seinem Bild und Gleichnis
zu erschaffen und seinen eingeborenen Sohn in die
Welt zu senden, damit er dreiunddreißig Jahre deiner
Sünden wegen leide und um deiner Erlösung willen die
bittersten Schmerzen und den qualvollen Kreuzestod
erdulde, sondern er wollte ihn auch im hochheiligen
Sakrament als deine Speise und Wegzehrung
hinterlassen.
Überdenke
einmal recht aufmerksam die unfaßbare und
unübertreffliche Größe dieser Liebe, die in jeder
Hinsicht überaus vollkommen und einzigartig dasteht.
Erstens:
Der Zeit
nach hat Gott uns von Ewigkeit her und ohne Anfang
geliebt, und gleichwie er seiner Gottheit nach ewig
ist, so hat er auch vor aller Zeit im Plane seiner
ewigen Liebe beschlossen, uns seinen Sohn auf so
wunderbare Weise zu schenken.
Von Wonne
erfaßt, kannst du freudigen Herzens jubeln: „Schon
von Ewigkeit her hat der allerhöchste Gott mich
armes Menschenkind so hoch geschätzt und so innig
geliebt, daß er meiner gedachte und mit
unaussprechlicher Liebe danach verlangte, mir seinen
eigenen Sohn zur Speise zu geben."
Zweitens:
Jede Liebe
hat ihre Grenzen, die sie nicht zu überschreiten
imstande ist. Nur allein die Liebe unseres Herrn ist
grenzenlos.
Um ihr
daher restlos zu genügen, gab er seinen eigenen Sohn
hin, der an Erhabenheit und Würde ihm gleich und
eines Wesens und einer Natur mit ihm ist. Die Liebe
ist daher so groß wie das Geschenk und das Geschenk
so groß wie die Liebe. Beide aber sind so groß, daß
kein Verstand etwas Größeres auszudenken vermag.
Drittens:
Keine Not
und kein Zwang haben Gott genötigt, uns seine Liebe
zu schenken; einzig und allein seine eigene,
wesenhafte Güte bewog ihn zu der so großen und
unbegreiflichen Liebe zu uns.
Viertens:
Auch kein
gutes Werk, noch ein Verdienst von unserer Seite aus
mußte vorausgehen, um den Allerhöchsten dazu zu
bewegen, uns eine so überschwengliche Liebe zukommen
zu lassen; nur aus reinster Güte hat er sich uns,
seinen unwürdigen Geschöpfen, gänzlich hingegeben.
Fünftens:
Richtest
du deinen Blick auf die Reinheit dieser Liebe, dann
bemerkst du, daß sie nicht wie irdische Liebe mit
Eigennutz vermischt ist. Denn der Herr bedarf
unserer Güter keineswegs; ohne uns ist er in sich
allein überaus glücklich und glorreich, und nur zu
unserem Vorteil hat er uns selbstlos seine
unaussprechliche Güte und Liebe zugewandt. Hast du
dir dies zu Herzen genommen, dann sprich zu dir
selbst: „Wie kann der so große Gott überhaupt sein
Herz einer so armseligen Kreatur zuwenden? Was
willst du, König der Glorie, und was erwartest du
von mir Häuflein Erdenstaub? O, mein Gott, ich
erkenne deutlich deine einzige Absicht, welche mir
die Selbstlosigkeit deiner Liebe kundtut. Denn aus
keinem anderen Grunde gibst du dich mir ganz zur
Speise, als um mich in dich umzuwandeln. Nicht als
ob du meiner benötigst, sondern allein, damit du in
mir lebst und ich in dir lebe und ich durch diese
liebevolle Vereinigung in dich umgewandelt und mein
Herz mit deinem göttlichen Herzen eine Einheit
werde."
Freue dich
voll Verwunderung, daß Gott dich so hoch schätzt und
so innig liebt. Sei überzeugt, daß er mit seiner
allmächtigen Liebe nichts anderes will und verlangt,
als deine Liebe ganz auf sich zu ziehen. Wende daher
deine Liebe von jeder Kreatur und zuletzt auch von
dir selbst ab, weil auch du ein Geschöpf bist — und
bringe dich restlos dem Herrn als Brandopfer dar,
damit seine Liebe und sein göttliches Wohlgefallen
allein deinen Verstand und Willen und dein
Gedächtnis beeinflussen und alle deine Sinne
beherrschen.
Siehst du
nun ein, daß nichts so überirdische Wirkungen in dir
auslöst als der würdige Empfang des hochheiligen
Altarsakramentes, dann mache dein Herz in dieser
Absicht mit folgenden Stoßgebeten und Gefühlen der
Liebe weit auf:
„O
Himmelsspeise, wann werde ich mich dir nur im Feuer
deiner Liebe und in keinem anderen rückhaltlos zum
Opfer bringen? Wann, ja wann, o unerschaffene Liebe?
O
Lebensbrot, wann werde ich einzig in dir und durch
dich und dir allein leben? Ach, wann, o mein Leben?
Du schönes, süßes und ewiges Leben!
O
himmlisches Manna, wann wird mich jede irdische
Speise ekeln, daß ich nur nach dir verlange und nur
an dir allein Genuß finde? Wann wird es sein, meine
Wonne? Ja, wann, o mein einziges Gut?
Ach, o
liebreicher und allmächtiger Herr, befreie bitte
mein armes Herz von aller irdischen Anhänglichkeit
und jeder sündhaften Leidenschaft! Schmücke es aus
mit deinen heiligen Tugenden und dem lauteren
Verlangen, alles einzig deines Wohlgefallens wegen
zu tun. Denn nur so wird sich mein Herz öffnen, um
dich einzuladen und dich mit sanfter Gewalt zum
Eintritt zu bewegen. Dann kannst du auch in mir jene
Erfolge erzielen, die du schon immer ersehnt hast."
Mit
solchen Gefühlen der Liebe magst du dich am Abend
und am Morgen auf die heilige Kommunion vorbereiten.
Naht die
Stunde
der
heiligen Kommunion, dann bedenke, wen du aufnimmst:
Es ist der
Sohn Gottes in seiner unendlichen Erhabenheit, ob
der die Himmel und alle Mächte zittern.
Es ist der
Heilige der Heiligen, der Spiegel ohne Makel und die
lauterste Reinheit, gegen die kein Geschöpf rein
ist.
Es ist
derjenige, der aus Liebe zu dir von der ungerechten
und ruchlosen Welt wie ein Wurm und Abschaum der
Menschheit verworfen, erniedrigt, verhöhnt,
angespien und gekreuzigt werden wollte.
Du stehst
(laß es dir gesagt sein) im Begriffe, den ewigen
Gott zu empfangen, in dessen Hand Leben und Tod der
ganzen Welt liegt.
Und du
bist aus dir nur das reinste Nichts: Um deiner
Sünden und Bosheit willen tief unter dem
armseligsten und unreinsten, unvernünftigen Geschöpf
stehend und wert, von allen bösen Geistern der Hölle
beschämt und verspottet zu werden.
Statt dich
für die großen und zahllosen Wohltaten dankbar zu
erweisen, hast du mit deinen Launen und Begierden
einen so gütigen und liebevollen Herrn verachtet und
sein kostbares Blut mit Füßen getreten.
Trotzdem
ruft er dich in seiner ewigen Liebe und
unwandelbaren Güte zu seinem Gottestische, ja er
zwingt dich sogar zum zeitweiligen Hinzutritt mit
Todesdrohung. Er verschließt dir das Tor seiner Güte
nicht, noch wendet er sich von dir ab, obschon du
von Natur aus gleichsam aussätzig, lahm,
wassersüchtig, blind, vom Teufel besessen und vielen
unreinen Lastern ergeben bist. Nur das eine verlangt
er von dir:
Erstens:
daß es
dich reut, ihn beleidigt zu haben;
Zweitens:
daß du die
schweren und geringen Sünden haßt;
Drittens:
daß du
dich seinem Willen und seiner Vorsehung allzeit
durch Besinnung und Tat bei jeder Gelegenheit zur
Verfügung stellst;
Viertens:
daß du mit
festem Vertrauen erwartest, er werde dir verzeihen,
dich reinwaschen und wider alle deine Feinde in
Schutz nehmen.
Gefestigt
durch die unaussprechliche Liebe des Herrn, nahe
dich der heiligen Kommunion mit heiliger und
liebender Furcht und sprich:
„O Herr,
ich bin nicht würdig, dich zu empfangen, denn ich
habe dich so oft und so schwer beleidigt und meine
Sünden gar so wenig beweint.
O Herr,
ich bin nicht würdig, dich zu empfangen, denn ich
bin nicht frei von jeder Anhänglichkeit an die
läßlichen Sünden.
O Herr,
ich bin nicht würdig, dich zu empfangen, denn ich
habe mich noch nicht rückhaltlos deiner Liebe,
deinem Willen und deiner Vorsehung hingegeben.
Ach, o
mein allmächtiger und allgütiger Gott, um deiner
Güte und deines Wortes willen mache mich würdig,
dich, meine Liebe, mit unerschütterlichem Glauben
aufzunehmen."
Nach der
heiligen Kommunion
verschließe sofort das Innerste deines Herzens,
vergiß alle Kreatur und rede mit deinem Herrn auf
folgende oder ähnliche Weise:
„O
höchster Himmelskönig, was hat dich bewogen, bei mir
einzukehren, der ich so elend, arm, blind und nackt
bin?" Und er wird dir antworten: „Die Liebe."
Erwidere
darauf: „O unerschaffene Liebe, o süße Liebe, was
verlangst du von mir?"
„Nichts
anderes", wird er dir antworten, „als Liebe! Kein
anderes Feuer soll auf dem Altar deines Herzens und
in all deinen Opfern und Werken brennen als das
Feuer meiner Liebe, das mir den lieblichsten
Wohlgeruch bereitet, wenn es alle andere Liebe und
deinen Eigenwillen restlos verzehrt hat.
Um das
habe ich gebeten und bitte ich noch immer, weil ich
sehnlichst verlange, daß ich ganz dein sei und du
ganz mein. Das wird aber niemals der Fall sein,
solange du dich nicht zu jener Hingabe durchgerungen
hast, die mich erfreut, und solange du noch immer
selbstsüchtig deinem eigenen Willen, deinen
Begierden und deiner Ehrsucht nachgehst.
Um dir
meine Liebe schenken zu können, verlange ich von dir
Haß wider dich selbst und dein Herz, daß ich es mit
dem meinigen vereine, welches am Kreuz darum
geöffnet wurde. Ganz begehre ich dich zu besitzen,
damit auch ich ganz dein sein kann. Du weißt, daß
mein Wert unvergleichlich ist, dennoch stelle ich
mich in meiner Güte mit dir auf dieselbe Stufe.
Erwirb mich, meine geliebte Seele, indem du dich mir
rückhaltlos hingibst.
Ich will
von dir, daß du nichts wünschst, nichts denkst,
nichts erstrebst und nichts siehst als nur mich und
meinen Willen, damit ich in dir alles wünsche,
denke, erstrebe und sehe, so daß dein Nichts in den
Abgrund meines unendlichen Wesens versinke und darin
völlig umgewandelt werde. Auf diese Weise wirst du
in mir restlos glücklich und heilig werden und ich
werde in dir ganz befriedigt sein."
Zum Schluß
opfere dem himmlischen Vater seinen Sohn auf:
Zunächst für dich und deine Anliegen, dann für die
ganze Kirche, für deine Lieben und für die, denen du
auf irgendeine Weise verpflichtet bist, und für die
Seelen im Fegefeuer. Opfere ihn aber auch auf in
Erinnerung und in Vereinigung mit jenem blutigen
Opfer, das er selbst, am Kreuze hängend, dem
himmlischen Vater darbrachte.
So kannst
du auch alle heiligen Messen aufopfern, die an
diesem Tage in der heiligen römischen Kirche
gefeiert werden.
56. Von
der geistigen Kommunion
Obschon
wir den Herrn nur einmal am Tage im heiligsten
Sakrament aufnehmen können, so ist es uns (wie
gesagt) dennoch zu jeder Stunde und in jedem
Augenblick möglich, ihn geistigerweise zu empfangen,
wovon uns kein Geschöpf, sondern nur unsere
Nachlässigkeit oder ein anderes Verschulden
abzuhalten imstande ist.
Bisweilen
wird sogar die geistige Kommunion nutzbringender und
Gott genehmer sein, als manche sakramentale
Kommunion, bei der es den Empfängern an Andacht und
Wärme fehlt.
Sooft du
die geistige Kommunion empfangen willst, wirst du
den Sohn Gottes bereit finden, sich dir
geistigerweise mit eigener Hand zur Speise zu geben.
Um dich
darauf vorzubereiten, kehre dein Herz in dieser
Absicht zum Herrn; bereue nach einem kurzen
Rückblick deine Sünden, mit welchen du Gott
beleidigt hast, und bitte ihn mit tiefer Demut und
großem Vertrauen, daß er sich würdige, in deine arme
Seele einzukehren und sie mit neuer Gnade zu heilen
und wider die Feinde zu stärken.
Willst du
einen deiner sinnlichen Triebe überwinden oder
abtöten oder einen Tugendakt setzen, dann führe
dieses alles in der Absicht aus, um dein Herz auf
den Herrn vorzubereiten, wie er es von dir beständig
verlangt.
Dann wende
dich an ihn und bitte ihn mit herzlichem Verlangen,
daß er dich heimsuche, um dich mit seiner Gnade zu
heilen und von deinen Feinden zu befreien, damit er
allein dein Herz in Besitz nehmen kann.
Oder
erinnere dich deiner letzten heiligen Kommunion und
sprich mit verlangendem Herzen: „Wann, o mein Gott,
werde ich dich wieder empfangen? Wann? Ja, wann?"
Willst du
dich aber auf eine noch bessere Weise auf die
heilige Kommunion vorbereiten, dann stelle schon am
Vorabend alle deine Abtötungen, Tugendakte und guten
Werke auf den geistigen Empfang deines Herrn ein. In
früher Morgenstunde denke an das große Glück und die
Beseligung einer Seele, die das hochheilige
Sakrament des Altares würdig empfängt; wie die Seele
die verlorene Tugend und ihre frühere Schönheit
wieder erlangt und der Früchte und Verdienste des
Leidens des Gottessohnes selbst teilhaftig wird.
Erwäge weiter, wie sehr es Gott gefällt, wenn wir
ihn bei uns aufnehmen und die erwähnten Gnaden
erhalten, und laß es dir angelegen sein, dein Herz
mit einer großen Sehnsucht nach seinem Empfang zu
entflammen, um ihm Freude zu bereiten.
Hast du
dieses Verlangen in deinem Herzen geweckt, dann
wende dich mit folgenden Worten an den Herrn: „Da es
mir nicht vergönnt ist, dich heute im heiligen
Sakrament zu empfangen, laß mich, o unerschaffene
Güte und Allmacht, dich jetzt und zu jeder Stunde
und an jedem Tage geistigerweise würdig empfangen,
nachdem du mir alle meine Sünden verziehen und mich
geheiligt hast. Schenke mir neue Gnade und Kraft
wider alle meine Feinde, vor allem aber wider jenen,
den ich um deines Wohlgefallens willen gerade
bekämpfe."
57.
Von der
Danksagung
Da alles
Gute, das wir besitzen und tun, von Gott und durch
Gott kommt, so sind wir ihm auch für alle unsere
guten Werke und Siege, sowie für alle Wohltaten,
besondere und allgemeine, die wir von seiner milden
Hand empfangen haben, zum Dank verpflichtet.
Um dies
auf die rechte Weise tun zu können, muß man die
Gründe ins Auge fassen, warum der Herr uns seine
Gnaden mitteilt. Denn aus dieser Erwägung und
Erkenntnis lernt man, wie der Herr will, daß wir ihm
danken.
Weil nun
der Herr bei all seinen Wohltaten in erster Linie
seine Ehre im Auge hat und uns zu seiner Liebe und
seinem Dienst zu bewegen sucht, so frage dich vor
allem: „Was hat Gott bewogen, mir diese Guttat und
Gnade zu schenken und zu erweisen? War es seine
Allmacht, Weisheit oder Güte?"
Siehst du
dann, daß du in dir (wie auch an dir) nichts
Empfehlenswertes für irgendeine Wohltat besitzest,
sondern in deiner Undankbarkeit ihrer nur unwürdig
bist, sprich in tiefer Demut zum Herrn: „Wie kommt
es, o Herr, daß du dich herabläßt, einer unwürdigen
Kreatur solche Wohltaten zu erweisen? Gepriesen sei
dein Name in alle Ewigkeit!"
Und
erkennst du schließlich, daß er mit seinen Wohltaten
nur deine Liebe und deinen Gehorsam sucht, dann
enflamme in dir die Liebe zu einem so liebevollen
Herrn und ein aufrichtiges Verlangen, seinem Willen
gemäß zu dienen.
Verbinde
damit auch die gänzliche Hingabe deiner selbst, die
du auf folgende Weise vornehmen kannst.
58. Von
der Hingabe seiner selbst
Soll dein
Selbstopfer Gott wirklich genehm sein, dann muß es
zwei Eigenschaften besitzen.
Erstens
muß es in Vereinigung mit der
Hingabe Christi an den Vater geschehen, und
zweitens
muß deine Gesinnung frei von aller
Anhänglichkeit an die Geschöpfe sein.
Fürs erste
mußt du wissen, daß der Sohn Gottes während seines
Lebens im Tale der Tränen nicht bloß sich selbst und
seine Handlungen dem himmlischen Vater aufopferte,
sondern mit sich selbst auch uns und unsere Werke,
weshalb auch unsere Hingabe in Vereinigung mit der
Hingabe Christi und mit Vertrauen in sie geschehen
soll.
Fürs
zweite sieh genau zu, ob deine Gesinnung, bevor du
dich Gott anbietest, vollkommen lauter ist; denn
wäre dies nicht der Fall, so müßte sie zuerst von
jeder Anhänglichkeit befreit werden.
Nimm darum
zu Gott deine Zuflucht, damit er dich gnädig befreie
und damit du dich, von jedem Geschöpf befreit und
ungebunden, seiner göttlichen Majestät rückhaltlos
hinzugeben imstande bist.
Dabei mußt
du jedoch vorsichtig zu Werke gehen. Bist du einer
Kreatur noch verhaftet und willst dich Gott
hingeben, so bietest du nämlich nicht dein Eigen,
sondern das eines anderen dar, weil du nicht mehr
dir selbst, sondern einem Geschöpf gehörst, dem du
durch deine Anhänglichkeit verhaftet bist. Und ein
solches Opfer mißfällt dem Herrn, da du mit ihm
gleichsam deinen Spott zu treiben scheinst.
Deshalb
bleiben viele unserer Selbstopfer an Gott nicht nur
unnütz und fruchtlos, sondern wir geraten zudem noch
in mancherlei Fehler und Sünden.
Obgleich
wir noch mit einem Geschöpf verhaftet sind, können
wir uns Gott dennoch darbieten, aber nur in der
Absicht, daß er uns davon in seiner Güte löse, damit
wir uns dann seiner göttlichen Majestät und seinem
Dienste rückhaltlos widmen können. Und so sollen wir
uns ihm immer wieder mit heißem Verlangen anbieten.
Deine
Hingabe sei also frei von jeder Anhänglichkeit und
jedem Eigenwillen. Schau darum nicht auf irdischen
oder himmlischen Gewinn, sondern einzig und allein
auf den Willen und die Pläne Gottes, denen du dich
zu immerwährendem Brandopfer unterwerfen und
hingeben sollst. Und von aller Kreatur losgeschält
sprich: „Sieh, o mein Herr und Schöpfer, ich und
alle meine Wünsche sind deinem Willen und deinen
ewigen Ratschlüssen unterworfen; tu mit mir, was dir
gutdünkt und wohlgefällt, im Leben und im Tode und
nach dem Tode, in der Zeit und in der Ewigkeit!"
Ist deine
Hingabe tatsächlich aufrichtig gemeint — bei
Widerwärtigkeiten wirst du es deutlich erkennen —,
dann wirst du aus einem irdischen ein im Geiste des
Evangeliums vom Glück begünstigter Kaufmann werden,
weil du Gottes Eigen wirst und Gott dein Eigen wird.
Denn er ist ja der Anteil derer, die sich von aller
Kreatur und von sich selbst gänzlich losschälen und
befreien und sich rückhaltlos seiner göttlichen
Majestät übergeben und darbieten.
Hier hast
du ein überaus wirksames Mittel, um alle deine
Feinde zu überwinden. Denn welcher Feind oder welche
Macht könnte dir jemals schaden, wenn du durch diese
Hingabe mit Gott so vereint bist, daß du ganz sein
und er ganz dein ist?
Willst du
aber dem Herrn irgendein Opfer darbieten wie
beispielsweise Fasten, Gebete, Akte der Geduld oder
ein anderes gutes Werk, so erinnere dich der
Opfergesinnung, mit welcher Christus sein Fasten,
seine Gebete und anderen guten Werke dem Vater
darbrachte, und im Vertrauen auf ihren Wert und ihre
Verdienste opfere die deinigen auf.
Möchtest
du dem himmlischen Vater für deine Sündenschuld die
Werke Christi anbieten, so kannst du das auf
folgende Weise tun:
Überblickst du deine Sünden im allgemeinen oder faßt
du sie auch einzeln ins Auge, so wirst du inne, daß
es dir aus eigener Kraft unmöglich ist, den Zorn
Gottes zu besänftigen und seiner Gerechtigkeit
Genugtuung zu leisten. Nimm deshalb zum Leben und
Leiden seines Sohnes Zuflucht, indem du eine seiner
Handlungen wie zum Beispiel sein Fasten, Beten,
Dulden und Blutvergießen erwägst. Hieraus wirst du
ersehen, daß er, um den Vater zu versöhnen und deine
Sündenschuld zu sühnen, seine Werke, sein Leiden und
sein Blut gleichsam mit den Worten aufopferte:
„Sieh,
ewiger Vater, wie ich nach deinem Willen für die
Sünden und Fehltritte dieses Menschen deiner
Gerechtigkeit überreiche Genugtuung geleistet habe.
Deine göttliche Majestät möge ihm gnädig verzeihen
und ihn in die Zahl deiner Auserwählten aufnehmen."
Biete dem himmlischen Vater dieselbe Opfergabe und
Bitte an und flehe ihn an, dir um ihretwillen alle
Schuld zu erlassen.
Dies
kannst du nicht nur tun, wenn du von einem Geheimnis
zum anderen, sondern auch, wenn du von einem Akt
eines Geheimnisses zu einem anderen übergehst. Nicht
bloß für dich, sondern auch für andere kannst du
dich dieser Aufopferung bedienen.
59. Von
der fühlbaren Gottverbundenheit und der Trockenheit
Die
fühlbare Gottverbundenheit wird entweder von der
Natur oder dem bösen Feind oder der Gnade
verursacht.
Aus ihren
Früchten kannst du ihren Ursprung erkennen. Denn
wenn sie keine Besserung deines Lebenswandels
bewirkt, dann mußt du befürchten, daß sie vom bösen
Feind oder der Natur herrührt, und dies umso mehr,
je angenehmer, süßer und stürmischer sie sich
äußert, namentlich dann, wenn sie von einer gewissen
Selbstbespiegelung begleitet ist.
Empfindest
du in deiner Seele die Süße der geistlichen Freude,
dann forsche nicht lange nach ihrer Herkunft und
verlaß dich auch nicht auf dieselbe. Ebenso laß dir
auch das Bewußtsein von deiner Armseligkeit nicht
rauben. Bemühe dich mit doppeltem Eifer, dein Herz
von jeder, selbst geistlichen Bindung frei zu halten
und Gott und sein Wohlgefallen allein zu suchen. Auf
diese Weise wirst du das süße Gefühl — mag es nun
von der Natur oder dem bösen Feinde stammen — in
eine Gnade umwandeln.
Auch die
Trockenheit der Seele geht aus drei Ursachen hervor:
Erstens:
Vom bösen
Feind, der die Seele in Lauheit versetzen und vom
begonnenen religiösen Leben in weltliche
Unterhaltungen und Vergnügungen zurückwerfen will.
Zweitens:
Von uns
selbst infolge unserer Schuld, Erdhaftigkeit und
Nachlässigkeit.
Drittens:
Von der
Gnade:
- entweder
zu unserer Mahnung, noch energischer von jeder
Anhänglichkeit, die nicht nach Gott strebt, und von
aller Beschäftigung, die nicht auf ihn abzielt,
abzulassen;
- oder zu
unserer Belehrung durch die Erfahrung, daß alles
Gute in uns von Gott kommt; damit wir seine Gnade
künftig höher schätzen und demütiger und
sorgfältiger bewahren; daß wir durch völligen
Verzicht auf uns selbst, ja auf allen geistlichen
Trost, an dem wir mit Leidenschaft hängen, umso
inniger mit seiner göttlichen Majestät vereint
werden und unser Herz, das der Herr für sich allein
besitzen will, nicht teilen;
- oder
endlich zu unserem Besten, weil er uns gerne mit all
unseren Kräften unter dem Beistand seiner Gnade
kämpfen sieht.
Fühlst du
also in deinem Innern Trockenheit, dann geh in dich
und sieh nach, welcher Fehler dir die fühlbare
Gottverbundenheit entzogen hat. Eröffne den Kampf
gegen ihn, aber nicht um die fühlbare Gnade wieder
zu erlangen, sondern um alles Gott Mißfällige in dir
auszumerzen.
Entdeckst
du aber keinen Fehler, so ist deine fühlbare
Gottverbundenheit die wahre Gottverbundenheit, die
in der bereitwilligen Hingabe an den Willen Gottes
besteht.
Unterlaß
auch um keinen Preis deine geistlichen Übungen!
Fahre mit allem Eifer darin fort, so nutzlos und fad
sie dir auch erscheinen mögen. Trinke willig den
bitteren Kelch der Trockenheit, den der Wille Gottes
dir in Liebe darreicht.
Und sollte
die Trockenheit mitunter von so großer und so
dichter Finsternis des Geistes begleitet sein, daß
du weder ein noch aus weißt, so laß dich nicht
entmutigen! Harre ruhig unter dem Kreuze aus und
suche keinen irdischen Trost, wenn auch die Welt
oder ein Geschöpf ihn dir anbieten würden.
Verbirg
vor jedermann deine Leiden, mit Ausnahme deines
Seelenführers, dem du dich anvertrauen sollst, nicht
um deine Pein zu lindern, sondern um dich
unterweisen zu lassen, wie du sie nach dem Willen
Gottes tragen mußt.
Versuche
auch nicht, durch Kommunionen, Gebete oder andere
geistliche Übungen vom Kreuze herabzusteigen,
sondern schöpfe aus ihnen die Kraft, dich zur
größeren Ehre des Gekreuzigten im Kreuze zu
erfreuen.
Und bist
du infolge der Dunkelheit deines Gemütes nicht
imstande, dich wie sonst der Betrachtung und dem
Gebet zu widmen, so betrachte so gut, als du es eben
vermagst.
Und was du
mit deinem Gefühl nicht auszurichten vermagst, suche
mit dem Willen und dem Wort zu erreichen, indem du
dir und dem Herrn eindringlich zuredest. Wunderbare
Wirkungen wirst du damit erzielen und neues Leben
und neuen Mut wird dein Herz daraus schöpfen.
In solcher
Lage magst du mit dem Psalmisten sprechen:
„Warum
bist du traurig, meine Seele, und warum verwirrst du
mich? Hoffe auf Gott, denn ich werde ihn immer noch
preisen; ihn, das Heil meines Angesichtes und mein
Gott" (Ps 42, 5).
„Warum, o
Herr, hast du dich zurückgezogen so weitab, siehst
nicht her, da es doch Zeit ist, in der Drangsal?"
(Ps 10,1).
„Verlaß
mich nicht gänzlich!" (Ps 118, 8).
Erinnere
dich jener heilsamen Unterweisung, die der Herr
seiner geliebten Sara, der Gemahlin des Tobias,
eingab, und bediene dich ihrer, indem du ausrufst:
„Das aber hält jeder für gewiß, der dich verehrt,
daß sein Leben, wenn er erprobt ist, gekrönt werden
wird, und daß er, wenn er der Züchtigung unterworfen
gewesen, zu deiner Barmherzigkeit wird kommen
dürfen. Du hast kein Gefallen an unserem Verderben;
denn nach dem Sturme schaffst du Stille und nach dem
Weinen und Wehklagen flößest du Frohlocken ein. Dein
Name, o Gott Israels, sei gepriesen in Ewigkeit!"
(Tob 3, 21-23).
Erinnere
dich auch deines Erlösers, der zu seiner größten
Qual von seinem himmlischen Vater in seiner
Menschheit verlassen war. Trage mit ihm das Kreuz
und bete aus tiefstem Herzen: „Dein Wille geschehe"
(Mt 26, 42).
Handelst
du auf diese Weise, dann werden deine Geduld und
dein Flehen die Opferflammen deines Herzens zum
Throne Gottes emportragen, und du wirst in der Tat
mit Gott verbunden sein. Denn die wahre
Gottverbundenheit besteht — wie gesagt — in einer
lebhaften und entschlossenen Willensbereitschaft,
dem Heiland auf seinem Wege mit dem Kreuze auf den
Schultern nachzufolgen, wohin er uns zu sich einlädt
und ruft: Gott um Gottes willen zu suchen und
zuweilen auch Gott um Gottes willen zu lassen.
Würden
viele, die sich dem geistlichen Leben widmen, und
namentlich Frauen, ihren Fortschritt nicht nach der
fühlbaren Gottverbundenheit messen, so wären sie
nicht von sich selbst, noch vom bösen Feinde
hintergangen worden. Sie würden nicht kampfunfähig
und sogar undankbar über eine so große Wohltat, die
ihnen der Herr erweist, trauern, sondern eifriger
und sorgfältiger seiner göttlichen Majestät dienen,
die alles zu ihrer Ehre und zu unserem Heile
anordnet und zuläßt.
Auch darin
irren sich manche Seelen, die sich sonst vor jeder
Gelegenheit zur Sünde ängstlich und vorsichtig
hüten, daß sie mutlos und verzagt werden und sich
dem Gedanken hingeben, als ob sie Gott verlassen und
sich weit von ihm entfernt hätten, wenn sie mitunter
von häßlichen, gemeinen und abscheulichen Gedanken
und noch schrecklicheren Vorstellungen geplagt
werden. Es dünkt ihnen ein Ding der Unmöglichkeit,
daß der göttliche Geist in einem Herzen weilen
könne, das von derartigen Gedanken voll ist.
So bleiben
sie niedergeschlagen, geraten schier in Verzweiflung
und kehren wieder ins Weltliche zurück, nachdem sie
alle ihre guten Übungen aufgegeben haben.
Sie
erfassen die Gnade nicht, die ihnen der Herr
erweist. Er läßt es in seiner Güte ja zu, daß sie
von solchen Quälgeistern angefochten werden, um sie
zur Selbsterkenntnis zu führen und damit sie sich
ihm in ihrer Hilfsbedürftigkeit nähern. Undankbar
klagen sie darüber, wofür sie sich eigentlich seiner
unendlichen Güte gegenüber erkenntlich zeigen
sollten.
Bei
derartigen Vorfällen sollst du nichts weiter tun,
als dich in die Betrachtung deiner verkehrten
Neigung vertiefen. Gott will eben, daß dir zu deinem
Heile bewußt wird, wie schnell du selbst für die
schlimmsten Sünden zu haben bist und daß du ohne
seinen Beistand ins größte Verderben stürzen
würdest. Hieraus schöpfe eine starke Zuversicht und
ein festes Vertrauen auf seine Hilfe, die er dir
gewähren wird. Er tut dir ja die Gefahr kund und
will dich durch dein Gebet und die Zuflucht zu ihm
immer näher an sich ziehen. Sei ihm dafür von Herzen
dankbar!
Sei auch
überzeugt, daß solche Quälgeister und gemeine
Gedanken viel besser durch geduldiges Ertragen und
kluges Ausweichen als durch allzu heftigen
Widerstand vertrieben werden.
60. Von
der Gewissenserforschung
Bei der
Gewissenserforschung mußt du dreierlei erwägen: Die
Sünden des Tages, ihre Ursachen und die Gesinnung
und Bereitwilligkeit, mit der du sie zu bekämpfen
und die entgegengesetzte Tugend zu erwerben vorhast.
Bezüglich
der Sünden halte dich an das in Kapitel 26 („Wenn
wir verwundet werden") Gesagte.
Ihre
Ursache bemühe dich zu bekämpfen und auszurotten.
Um dies
auszuführen und die betreffende Tugend zu erlangen,
mußt du deinen Willen mit Mißtrauen wider dich
selbst, mit Vertrauen auf Gott, sowie durch Gebet,
viele Tugendakte wider den Fehler und Sehnsucht nach
der entgegengesetzten Tugend festigen.
Die Siege,
die du bereits errungen, und die guten Werke, die du
schon vollbracht hast, sollen dir immer verdächtig
erscheinen.
Wegen der
fast unvermeidlichen Gefahr, daß sich insgeheim
törichte Eitelkeit und Hochmut einschleichen, rate
ich dir zudem, nicht viel an diese zu denken.
Stelle sie
darum alle — welcher Art sie auch sein mögen — der
Barmherzigkeit Gottes anheim und richte dein ganzes
Sinnen auf das Höhere, das dir noch auszuführen
übrigbleibt.
Was sodann
die Danksagung für die Gaben und Gnaden betrifft,
die dir der Herr an diesem Tage zuteil werden ließ,
erkenne ihn als den Geber alles Guten an und danke
ihm, daß er dich von so vielen sichtbaren, aber noch
zahlreicheren unsichtbaren Feinden errettet, dir
gute Gedanken eingegeben, Gelegenheiten zur
Tugendübung geboten und so manche dir unbekannte
Wohltat erwiesen hat.
61. Wir
müssen im geistlichen Kampf bis zum Tode durchhalten
Zu den
Hauptbedingungen des geistlichen Kampfes gehört die
Beharrlichkeit, mit der wir auf die Abtötung unserer
Leidenschaften bedacht sein müssen, weil dieselben
im Leben nie sterben, sondern wie Unkraut immer
wieder aufschießen.
Gleichwie
dieser Kampf erst mit dem Leben ein Ende nimmt, so
können wir ihm auch niemals entgehen; und wer nicht
kämpft, verfällt entweder der Gefangenschaft oder
dem Tode.
Außerdem
haben wir es mit Feinden von unversöhnlichem Haß zu
tun, von denen wir weder einen Frieden noch einen
Waffenstillstand erwarten dürfen, da sie denjenigen
umso grausamer zugrunde richten, der mit ihnen
Freundschaft schließen will.
Dennoch
darfst du dich vor ihrer Macht und großen Zahl nicht
ängstigen. Denn in diesem Kampfe kann der nicht
überwunden werden, der selbst nicht zustimmt, da ja
alle Macht unserer Feinde in der Hand unseres Herrn
liegt, für dessen Ehre wir kämpfen sollen.
Gott wird
auch nicht zugeben, daß du unterliegst, sondern für
dich streiten und als der Stärkere dir den Sieg über
alle deine Feinde verleihen, sofern du mit ihm
vereint tapfer kämpfst und nicht auf dich, sondern
auf seine Macht und Güte baust.
Sollte der
Herr dir auch nicht sogleich die Siegespalme
verleihen, so verliere trotzdem nicht den Mut! Du
darfst überzeugt sein — was dich auch zum
zuversichtlichen Kampfe aufmuntern soll —, daß er
alles Widrige zu deinem Besten und Vorteil wandelt,
wenn du nur ausdauernd und heldenmütig kämpfst.
Folge
daher deinem himmlischen Herrn, der deinetwegen die
Welt überwand und sich in den Tod dahingab. Widme
dich großmütigen Herzens diesem Kampfe und der
völligen Vernichtung aller deiner Feinde. Würdest du
auch nur einem einzigen das Leben schenken, so wäre
er dir wie ein Pfeil im Auge oder wie eine Lanze in
der Seite und würde dich auf der glorreichen
Siegesbahn behindern.
62. Wie
wir den Angriffen der Feinde in der Todesstunde
begegnen sollen
Obgleich
unser ganzes Leben auf Erden ein beständiger
Kriegsdienst ist (Job 7, 1), steht uns der Haupt-
und Entscheidungskampf erst in der letzten Stunde
beim Heimgang in die Ewigkeit bevor. Wer nämlich in
diesem Augenblick unterliegt, wird sich nimmermehr
erheben.
Um dann
gut gerüstet zu sein, benutze die dir gebotene Zeit
zum tapferen Kampfe. Denn wer im Leben treu gekämpft
hat, wird auch in der Todesstunde infolge der
erworbenen Fertigkeit leicht den Sieg erringen.
Denke
darum oft und ernstlich an den Tod. Du wirst ihn
dann weniger fürchten, und dein Herz wird
ungehindert und zum Kampfe bereit sein, wenn er dich
überfällt.
Die
Weltmenschen fliehen freilich diesen Gedanken, um in
ihren Vergnügen nicht gestört zu werden; denn diese
zu lassen, empfinden sie bei ihrer Einstellung und
ihrem Hang zu ihnen als Qual. Deshalb verringert
sich auch ihre Anhänglichkeit an sie keineswegs; sie
nimmt vielmehr ständig an Kraft zu, und
infolgedessen verursacht ihnen die Trennung von
diesem Leben und von den so liebgewonnenen Dingen
das größte Leid, das von ihnen umso bitterer
empfunden wird, je länger sie dieselben genossen
haben.
Um dich
noch besser auf diesen wichtigen Kampf
vorzubereiten, kannst du dir zuweilen vorstellen, du
befändest dich ohne jegliche Hilfe ganz allein in
Todesnot, und dir jene Umstände vor Augen führen,
die dich dann ängstigen werden. Erwäge auch die
Mittel, die ich dir angeben werde, um dich ihrer in
der letzten Not besser bedienen zu können. Denn der
Waffengang, den man nur ein einziges Mal besteht,
muß zuvor gut eingeübt sein, damit man da keinen
Fehler begeht, wo es keine Verbesserung mehr gibt.
63. Von
den feindlichen Angriffen in der Todesstunde —
Insbesondere von der Versuchung wider den Glauben
und ihrer Abwehr
Mit vier
ungemein gefährlichen Versuchungen pflegen unsere
Feinde uns in der Todesstunde vornehmlich zu
bestürmen; nämlich mit der Versuchung wider den
Glauben, der Verzweiflung, der törichten Eitelkeit
und mancherlei trügerischen Vorspiegelungen und
Erscheinungen des Teufels als Engel des Lichtes.
Bezüglich
der ersten Anfechtung: Beginnt der böse Feind dir
mit falschen Beweisgründen zuzusetzen, dann laß
unverzüglich alles Vernünfteln und sprich ganz
energisch: „Weiche von mir, Satan, du Vater der
Lüge, ich will von dir nichts wissen; es genügt mir
der Glaube, den die heilige katholische Kirche
lehrt!"
Selbst
solchen Gedanken, die dem Glauben günstig scheinen,
hänge möglichst wenig nach. Betrachte sie vielmehr
als Fallstricke, mit denen der böse Feind dich zu
fangen sucht.
Solltest
du aber keine Zeit mehr finden, deine Gedanken von
solchen Bildern abzulenken, so bleibe dennoch fest
und standhaft und schenke keinem Beweise und
Zeugnis, das der Widersacher aus der Heiligen
Schrift anführt, Beachtung. Sie sind ja alle
verstümmelt, schlecht angewandt oder falsch
ausgelegt, so gut und einleuchtend sie auch scheinen
mögen.
Fragt die
listige Schlange nach der Glaubenslehre der
katholischen Kirche, dann gib ihr keine Antwort,
sondern erwecke einen Akt lebendigen Glaubens in
deinem Herzen, da du ihre List durchschaust und
erkennst, wie sie dich im Worte fangen will. Oder
antworte ihr, um sie vor Wut bersten zu machen, daß
die heilige katholische Kirche die Wahrheit lehre,
und würde der Böse dann fragen, was diese Wahrheit
eigentlich sei, erwidere ihm nur: gerade das, was
sie glaubt.
Vor allem
aber sei deine Seele ständig dem Gekreuzigten
zugewandt, zu dem du immer wieder beten sollst: „O
mein Gott, mein Schöpfer und Erlöser, eile mir zu
helfen und verlaß mich nicht, damit ich nicht von
der Wahrheit deines heiligen katholischen Glaubens
abweiche. Und wie ich durch deine Huld und Gnade in
dieser Wahrheit geboren wurde, so laß mich auch zu
deiner Ehre mein irdisches Leben in ihr vollenden."
64. Von
der Versuchung zur Verzweiflung und ihrem
Gegenmittel
Der zweite
Ansturm, mit dem der böse Geist uns völlig zu
entmutigen sucht, ist der Schrecken, den er uns mit
der Erinnerung an unsere Sünden einjagen will, um
uns dadurch in den Abgrund der Verzweiflung zu
stürzen.
In dieser
Gefahr halte dich an die untrügliche Regel, daß die
Gedanken an deine Sünden von der Gnade stammen und
dich zum Heile führen, sofern sie in dir Demut,
Schmerz über die Beleidigung Gottes und Vertrauen
auf seine Güte erzeugen. Beunruhigen sie dich aber
und verursachen in dir Mißtrauen und Kleinmut, daß
sie dich unter dem Schein der Wahrheit und
Berechtigung zu der Ansicht verleiten, du wärest
verdammt und hättest keine Zeit mehr, dein Heil zu
wirken, dann erkenne in ihnen eine Wirkung des
hinterlistigen Betrügers. Verdemütige dich noch
tiefer und vertraue umso fester auf Gott, denn
dadurch wirst du den Feind mit seinen eigenen Waffen
schlagen und dem Herrn Ehre erweisen.
Die
Erinnerung soll dich allerdings wegen der
Beleidigung Gottes jedesmal betrüben, aber im
Vertrauen auf sein Leiden sollst du ihn dann auch um
Verzeihung bitten.
Ja, ich
sage dir noch mehr: Sollte es dir scheinen, als ob
Gott dir selbst ankündigte, du gehörtest nicht zu
seinen Auserwählten, so verliere deswegen durchaus
nicht das Vertrauen auf ihn, sondern sprich in Demut
zu ihm: „O mein Herr, du hast ja allen Grund, mich
meiner Sünden wegen zu verwerfen. Doch hege ich um
deiner Güte willen eine noch größere Zuversicht, daß
du mir verzeihen wirst.
Darum
erbitte ich von dir das Heil für dein armes
Geschöpf, das wegen seiner Bosheit die Verdammnis
verdient, aber durch den Preis deines Blutes erlöst
wurde.
Zu deiner
Ehre, mein Erlöser, verlange ich gerettet zu werden,
und im Vertrauen auf deine unendliche Barmherzigkeit
übergebe ich mich rückhaltlos in deine Hände.
Verfahre mit mir nach deinem Wohlgefallen; du bist
ja allein mein Richter. Selbst wenn du mich tötest,
will ich in meiner zuversichtlichen Hoffnung auf
dich nicht wanken!"
65. Von
der Versuchung zu törichter Eitelkeit
Die dritte
Anfechtung besteht in der Versuchung zum Hochmut und
zur Vermessenheit.
Laß dich
in dieser Beziehung auch nicht zum leisesten
Wohlgefallen an dir selbst oder deinen guten Werken
verleiten. Suche deine Freude einzig im Herrn, in
seiner Milde und in den Werken seines Lebens und
Leidens.
Erniedrige
dich in deinen eigenen Augen immer mehr bis zum
letzten Atemzug und erkenne in Gott den alleinigen
Urheber aller deiner guten Handlungen, deren du dich
erinnerst.
Nimm deine
Zuflucht zu seiner Hilfe, aber erwarte sie nicht auf
Grund deiner Verdienste, wenn du auch noch so viele
und bedeutende Kämpfe siegreich bestanden hättest.
Bleibe
beständig in heilsamer Furcht und bekenne
aufrichtig, daß alle deine Fürsorge vergeblich wäre,
wenn Gott dich nicht unter die Hut seiner Fittiche
nehmen würde, auf dessen Schutz du allein vertrauen
sollst.
Befolgst
du diese Ratschläge, dann können deine Feinde dir
nichts anhaben. Und auf diese Weise ebnest du dir
den Weg zum glücklichen Einzug ins himmlische
Jerusalem.
66. Von
den Anfechtungen durch trügerische Vorspiegelungen
und Erscheinungen in der Todesstunde
Sollte
unser Feind, der in seiner Hartnäckigkeit mit seinen
Belästigungen niemals aufhört, dir durch Blendwerke
und trügerische Erscheinungen als Engel des Lichtes
zusetzen wollen, so verhalte dich ganz ruhig und
unerschüttert in dem Bewußtsein deines Nichts und
rede ihn mit Kühnheit an: „Weiche von hinnen,
Unseliger, in deine Finsternis, ich verdiene keine
Erscheinungen und bedarf einzig der Barmherzigkeit
meines Jesus und der Fürbitte Mariens, des heiligen
Josef und der übrigen Heiligen."
Scheint es
dir aber infolge zahlreicher und fast
unwidersprechlicher Anzeichen, daß die Gesichte
himmlischen Ursprunges sind, weise sie auch dann mit
Entschiedenheit zurück. Fürchte nicht, daß dein
Widerstand, der sich auf deine Unwürdigkeit gründet,
dem Herrn mißfällt. Denn stammt die Erscheinung von
ihm selbst, dann wird er es schon deutlich kundtun,
und du wirst nichts verlieren, da er seine Gnade,
die er den Demütigen schenkt, ihnen wegen der Übung
der Demut nicht entzieht.
Dies sind
die gebräuchlichsten Waffen, deren sich der Feind
beim letzten Hinscheiden wider uns bedient. Außerdem
versucht er aber einen jeden nach seiner
eigentlichen Neigung, die er als dessen schwache
Seite kennt.
Deshalb
sollen wir uns bereits vor dem Nahen der Stunde
unseres Entscheidungskampfes wider unsere heftigeren
Leidenschaften wohl rüsten und sie mit Nachdruck
bekämpfen, um uns den Sieg in jenem Augenblick zu
erleichtern, der uns jede Möglichkeit raubt, ihn
sonst zu erringen.
Militia est
vita hominis super terram.
- Ein Kampf
ist des Menschen Leben auf Erden.Job 7,1
übertragen P.
Gilbert Wellstein S.O.Cist
Imprimatur
Abtei
Marienstatt, 15. April 1934
Dr. Eberhard
Hoffmann, Abt S.O.Cist.
Die
kirchliche Druckerlaubnis wird hiermit erteilt.
Limburg, den 7. Mai 1934
Göbel, Generalvikar
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Dem allerhöchsten König und siegreichsten Herrn
Jesus Christus, dem Sohne Mariens
1. Vom Wesen der christlichen Vollkommenheit
2. Vom Mißtrauen gegen sich selbst
3. Vom Gottvertrauen.
4. Kennzeichen des Misstrauens gegen sich selbst
und des Vertrauens auf Gott
5. Von dem Irrtum vieler, die den Kleinmut als
eine Tugend ansehen.
6. Weitere Mittel zur Erlangung des Mißtrauens
gegen sich selbst und des Vertrauens auf Gott
7. Von der Tugendübung und
zwar zunächst der des Verstandes, den man vor
Unwissenheit und Vorwitz bewahren soll
8. Warum wir die Dinge nicht richtig einschätzen
und wie wir zur rechten Erkenntnis gelangen können.
9. Von einem anderen Übel, vor dem wir den
Verstand bewahren sollen, um richtig zu urteilen
10. Von der Übung des Willens und dem Endziel,
auf das alle unsere inneren und äußeren Handlungen
eingestellt sein sollen.
11. Erwägungen, die den Willen anspornen, in
allen Dingen das Wohlgefallen Gottes zu suchen.
12. Von den verschiedenen sich widerstreitenden
Willensneigungen.
13. Vom Kampfe gegen sinnliche Triebe und von den
Akten des Willens, um in der Tugendübung Fertigkeit
zu erlangen.
14. Von dem Verhalten, wenn der Wille scheinbar
von den niederen Seelenkräften und anderen Feinden
überwunden und unterdrückt ist
15. Ratschläge für die Art des Kampfes.
16. Ein Streiter Christi soll sich schon in
früher Morgenstunde auf dem Kampfplatze stellen
17. Von der Schlachtordnung wider unsere
sündhaften Neigungen.
18. Vom Widerstände gegen plötzliche,
leidenschaftliche Regungen.
19. Vom Kampfe wider die Fleischeslust
20. Die Kampfesweise wider die Trägheit
21. Von der Beherrschung der äußeren Sinne; wie
wir dadurch zur Betrachtung des göttlichen Wesens
vordringen.
22. Wie uns die sichtbaren Dinge durch die
Betrachtung des menschgewordenen Wortes in den
Geheimnissen seines Lebens und Sterbens zur
Beherrschung unserer Sinne verhelfen
23. Von anderen Hilfen, unsere Sinne bei den
verschiedenen Gelegenheiten zu beherrschen
24. Von der Beherrschung der Zunge.
25. Ein Streiter Christi muß, um wider die Feinde
gut zu kämpfen, die Verwirrung und Unruhe des
Herzens möglichst fliehen.
26. Unser Verhalten bei Verwundungen.
27. Wie der Teufel die Tugendhaften und die
Sklaven der Sünde zu bekämpfen und zu betrügen sucht
28. Die Kampfesart und Hinterlist des Teufels
wider die Sklaven der Sünde.
29. Wie hinterlistig der Teufel jene gefangen
hält, die ihr Elend erkennen und sich freimachen
wollen — Die Gründe, warum unsere Vorsätze oft so
unwirksam sind.
30. Von der Täuschung jener, die auf dem Wege der
Vollkommenheit zu wandeln glauben
31. Von dem listigen Versuch des Teufels, uns vom
Weg der Tugend abzubringen
32. Von den hinterlistigen Versuchen des Teufels,
uns mittels bereits erworbener Tugenden zu Falle zu
bringen.
33. Weitere Ratschläge, um die bösen
Leidenschaften zu bezwingen und in den Tugenden
voranzuschreiten.
34. Nach und nach sind die Tugenden zu erwerben.
35. Von den Mitteln zur Erlangung der Tugend und
ihrem zeitweisen Gebrauch zur Erwerbung einer
einzigen Tugend.
36. Von der Übung und dem steten Fortschritt in
der Tugend.
37. Gelegenheiten zur Erlangung der Tugenden soll
man nicht vorübergehen lassen
38. Alle Gelegenheiten zum Kampf um die Tugenden
soll man liebgewinnen.
39. Wie wir uns bei verschiedenen Anlässen in
derselben Tugend üben sollen
40. Von der Zeit der Tugendübungen und den
Anzeichen des Fortschrittes.
41. Dem Verlangen nach Befreiung von
Widerwärtigkeiten soll man nicht nachgeben — Von der
Beherrschung unserer Wünsche.
42. Vom Widerstand gegen den bösen Feind, der uns
zu Übertreibungen zu verleiten sucht
43. Von den Ursachen des freventlichen Urteils
und vom Widerstand dagegen
44. Vom Gebet
45. Vom innerlichen Gebet
46. Vom betrachtenden Gebet
47. Von einer anderen Art des betrachtenden
Gebetes.
48. Von der Art und Weise, durch die Vermittlung
Mariens zu beten.
49. Vom gläubigen Vertrauen auf Maria, die
allerseligste Jungfrau.
50. Vom betrachtenden Gebet in Vereinigung mit
den Engeln und Heiligen.
51. Von der Betrachtung des Leidens Christi
52. Vom Nutzen der Betrachtung über das Leiden
Christi und der Nachahmung seiner Tugenden.
53. Vom allerheiligsten Altarsakrament
54. Vom Empfang der heiligen Eucharistie.
55. Von der Liebe, die wir bei der Vorbereitung
auf die heilige Kommunion in uns erwecken sollen.
56. Von der geistigen Kommunion.
57. Von der Danksagung.
58. Von der Hingabe seiner selbst
59. Von der fühlbaren Gottverbundenheit und der
Trockenheit
60. Von der Gewissenserforschung.
61. Wir müssen im geistlichen Kampf bis zum Tode
durchhalten.
62. Wie wir den Angriffen der Feinde in der
Todesstunde begegnen sollen.
63. Von den feindlichen Angriffen in der
Todesstunde — Insbesondere von der Versuchung wider
den Glauben und ihrer Abwehr
64. Von der Versuchung zur Verzweiflung und ihrem
Gegenmittel
65. Von der Versuchung zu törichter Eitelkeit
66. Von den Anfechtungen durch trügerische
Vorspiegelungen und Erscheinungen in der Todesstunde.