ALLGEMEINES VON
DEN VORELTERN DER HEILIGEN JUNGFRAU
(Mitgeteilt am
Morgen des 27. Juni 1819)
Heute Nacht ist
mir Alles, was ich als Kind so oft aus dem Leben
der Voreltern der heiligen Jungfrau Maria gesehen,
in einer Reihe von Bildern ganz auf dieselbe
Weise abermals vor die Seele getreten.
— Könnte ich nur alles so erzählen, wie ich
es weiss und vor Augen habe, es würde den Pilger
gewiss erfreuen. Ich selbst bin durch diese
Betrachtung in meinem Elende ganz erquickt worden.
— Als Kind war ich in diesen Dingen so sicher,
dass ich jedem, der mir etwas von diesen Geschichten
auf andere Weise erzählte, gerade heraussagte:
„Nein, es ist so und so“
und ich hätte mich wohl dafür
umbringen lassen, dass es so und nicht anders
sei. Später machte mich die Welt unsicher, und
ich schwieg. Die innere Gewissheit ist mir aber
immer geblieben, und ich habe heute Nacht alles
bis in die kleinsten Umstände wieder gesehen.
Ich war als Kind in meinen Gedanken immer mit
dem Krippchen und dem Jesukind und der Mutter
Gottes beschäftigt, und war oft sehr verwundert,
dass man mir nichts von den Leuten der Mutter
Gottes erzählte, und konnte gar nicht begreifen,
warum man so wenig von ihren Voreltern und Verwandten
aufgeschrieben habe. In dieser grossen Sehnsucht
erhielt ich dann eine Menge Anschauungen, von
den Voreltern der hl. Jungfrau. — Ich
sah ihre Voreltern wohl bis in das vierte oder
fünfte Glied aufwärts, und sah sie immer als
wunderbar fromme und einfältige Leute, in denen
eine ganz ausserordentliche, heimliche Sehnsucht
nach der Ankunft des verheissenen Messias lebte.
— Ich sah diese guten Leute stets zwischen anderen
Menschen wohnend, die mir im Vergleich mit ihnen
roh wie Barbaren erschienen; sie selbst aber
sah ich so still, sanft und mildtätig, dass
ich oft in grosser Sorge um sie in Gedanken
sagte:
„Ach! wo sollen diese guten Leute nur
bleiben, wie sollen sie sich nur vor den bösen
rohen Menschen retten? ich will sie aufsuchen,
ich will ihnen dienen, ich will mit ihnen fort
in einen Wald fliehen, wo sie sich verbergen
können; ach! ich finde sie gewiss noch!“
— So bestimmt sah ich sie und glaubte ich Sie,
dass ich immer ganz bang und voll Sorgen um
sie war.
Stets sah ich diese Leute in grosser Entsagung
lebend. Oft sah ich die Verehelichten unter
ihnen sich zu gegenseitiger Enthaltung von einander
auf eine Zeitlang verloben, was mich dann sehr
freute, ohne dass ich doch bestimmt sagen konnte,
warum. — Solche Absonderungen beobachteten
sie meistens, wenn sie allerlei Gottesdienst
mit Räucherungen und Gebeten vorhatten, aus
welchen Handlungen ich erkannte, dass Priester
unter ihnen waren.
— Ich sah sie oft von einem Ort an den anderen
ziehen, indem sie, um nicht von bösen Leuten
in ihrem Leben gestört zu werden, grosse Güter
verliessen und sich auf kleinere zurückzogen.
Sie waren so innig und voll Sehnsucht nach Gott,
dass ich sie oft einsam im Felde am Tage oder
auch zur Nachtzeit mit so heftigem Verlangen
nach Gott flehend und schreiend laufen sah,
dass sie sich aus Herzenshunger die Kleider
vor der Brust aufrissen, als werde Gott mit
den heissen Sonnenstrahlen sich in ihr Herz
einbrennen, oder mit dem Mondlicht und dem Sternenschein
ihren Durst nach Erfüllung der Verheissung ersättigen.
— Solche Betrachtungen hatte ich wohl, wenn
ich als Kind oder als junges Mädchen einsam
auf der Viehweide bei der Herde oder nachts
auf den höchsten Feldern unserer Bauerschaft
kniend zu Gott flehte, oder wenn ich im Advent
um Mitternacht durch den Schnee 3/4 Stunden
weit von unserer Hütte in Flamste nach Coesfeld
in die Jakobikirche zu der Rorate-Andacht ging.
— Abends vorher und auch wohl in der Nacht betete
ich dann fleissig für die armen Seelen, die,
weil sie vielleicht die Sehnsucht nach dem Heile
in ihrem Leben nicht genug erweckt und sich
anderer Begierde nach Creaturen und Gütern der
Welt hingegeben hatten, in mancherlei Mängel
gefallen waren, und jetzt in Sehsucht nach der
Erlösung schmachteten, und ich opferte mein
Gebet und meine Sehnsucht nach dem Heiland Gott
für sie auf, als wolle ich für ihre Schuld bezahlen.
— Ich hatte aber doch auch einen kleinen Eigennutz
dabei, denn ich wusste, dass die lieben armen
Seelen mich aus Dank dafür und aus stetem Verlangen
nach Gebetshilfe zur rechten Zeit wecken würden,
um nicht zu verschlafen. Sie kamen dann auch,
wie kleine stille, schwache Lichter an mein
Bett herangeschwebt und weckten mich so zur
rechten Minute, dass ich noch mein Morgengebet
für sie aufopfern konnte, dann besprengte ich
mich und sie mit Weihwasser, kleidete mich an
und begab mich auf den Weg und sah die kleinen
armen Lichtlein wie in einer Prozession mich
ganz ordentlich begleiten. Da fang ich dann
mit rechtem Herzensverlangen auf dem Wege:
Himmel
!
Tauet den Gerechten,
Wolken regnet ihn herab
!
und sah hin und wieder in der Wüste und dem
Felde jene Voreltern der heiligen Jungfrau voll
grosser Sehnsucht laufen und nach dem Messias
schreien und tat wie sie, und kam immer zur
rechten Zeit in Coesfeld zur Rorate-Messe an,
wenn die lieben Seelen mich gleich manchmal
einen grossen Umweg durch alle Stationen des
Kreuzweges geführt hatten.
Wenn ich nun diese lieben Voreltern der hl.
Jungfrau so nach Gott hungernd flehen sah, erschienen
sie mir in Tracht und Wesen so fremd, und waren
mir doch so deutlich und nah, dass ich noch
jetzt alle ihre Gesichtszüge und Gestalten vor
Augen habe und kenne; und ich dachte dann immer
bei mir,
„was sind das nur für Leute? Es ist alles nicht
wie jetzt, und doch sind diese Leute da, und
alles ist geschehen!“
und so hoffte ich dann immer, noch zu ihnen
zu kommen.
— Diese guten Leute waren in allem Tun und Reden
und in ihrem Gottesdienst sehr bestimmt und
genau, und hatten keine Klage, als über das
Leid ihres Nächsten.
DIE VORELTERN DER HEILIGEN ANNA - ESSENER
(MITGETEILT IM JULI UND AUGUST 1821)
Ich hatte eine ausführliche Anschauung von den
Voreltern der heiligen Anna, der Mutter der
heiligen Jungfrau. Sie lebten zu Mara in der
Gegend des Berges Horeb und hatten einen geistlichen
Zusammenhang mit einer Art sehr frommer Israeliten,
von welchen ich vieles gesehen habe; was ich
noch davon weiß, will ich erzählen. Ich war
gestern fast den ganzen Tag unter diesen Leuten,
und hätte mich nicht so viel Besuch bedrängt,
so würde ich nicht das meiste vergessen haben.
Man nannte jene frommen Israeliten, die auf
die Voreltern der heiligen Anna Bezug hatten,
Essener oder Essäer. Sie haben aber dreimal
andere Namen gehabt, zuerst hießen sie Eskarener,
dann Chasidäer und endlich Essener oder Essäer.
Der erste Name Eskarener kam von dem Namen Eskara
oder Askara, wie man den Teil des Opfers nannte,
der Gott zukommt, und auch den duftenden Weihrauch
des Weizenmehlopfers
1.
1 Als dieses
im August 1821 nach dem Gehör Niedergeschriebene
im Juli 1840 zum Druck durchgesehen ward, bat
der Schreiber einen sprachkundigen Theologen
um eine Erklärung des Wortes Askara und erhielt
folgenden Bericht: Askarah heißt soviel als
die Erinnerung (comme-moratio) und ist der Name
desjenigen Teiles des unblutigen Opfers, welcher
von dem Priester auf dem Altare verbrannt ward,
um Gott zu ehren und ihn an seine barmherzigen
Verheißungen zu erinnern. Die unblutigen oder
Speiseopfer bestanden gewöhnlich aus dem feinsten
Weizenmehl mit Öl verbunden und mit Weihrauch
belegt. Hiervon verbrannte der Priester allen
Weihrauch und eine Handvoll des mit Öl dargereichten
Mehls oder des davon Gebackenen als Askarah
(Lev 2,2.9.16). Bei den Schaubroten war der
Weihrauch allein die Askarah (Lev 24,7). -Bei
dem Schuldopfer, wo Öl und Weihrauch ganz von
dem Mehlopfer wegblieb, ward eine Handvoll des
Mehls allein als Askarah verbrannt (Lev 5,12).
Ebenso bei dem Opfer einer des Ehebruchs verdächtigen
Frau, wo überdies nur Gerstenmehl dargebracht
wurde (Num 5,12-26). In dieser letzten Stelle
(Num 5,15) läßt die Vulgata die Übersetzung
des Wortes Askarah ganz aus; in den anderen
übersetzt sie abwechselnd mit memoriale, in
memoriam, in monumentum -, Warum die Essener
von dieser Askarah ihren ersten Namen erhalten
haben sollten, hat die Erzählende nicht bestimmter
ausgesprochen; wenn wir aber erwägen, daß die
Essener keine Schlachtopfer zum Tempel brachten,
sondern nur Weihgeschenke hinsendeten, jedoch
sich selbst in Entsagung und Abtötung lebend
gewissermaßen zum Opfer brachten, so liegt der
Gedanke nahe, daß sie, die unfleischlich Lebenden,
ihren Namen von Askarah, dem Gott zukommenden
Teil des unblutigen Mincha oder Mehlopfers,
erhielten, weil sie vielleicht, was wir jedoch
nicht mit Bestimmtheit wissen, solche Speiseopfer
wirklich brachten, oder weil sie in ihrem Wandel
sich zu den anderen Israel ten gewissermaßen
verhielten wie die Askarah zu dem übrigen Opfer.
Der zweite Name Chasidäer heißt soviel als die
Barmherzigen. Woher der Name Essener entstand,
weiß ich nicht mehr. Die Art dieser frommen
Leute stammte aus der Zeit Moses‘ und Aarons,
und zwar von den Priestern her, welche die Bundeslade
trugen; sie erhielten aber erst in den Zeiten
zwischen Jesaias und Jeremias ihre bestimmte
Lebensverfassung. Anfangs waren ihrer nicht
sehr viele; nachher aber wohnten sie im gelobten
Lande in einem Raum von 48 Stunden in der Länge
und 36 in der Breite in Versammlungen. Später
erst kamen sie in die Gegend des Jordans. Sie
wohnten hauptsächlich an dem Berge Horeb und
dem Berge Karmel, wo Elias sich aufgehalten.
Die Essener hatten zu Zeiten der Großeltern
der heiligen Anna auf dem Berge Horeb ein geistliches
Oberhaupt, einen alten Propheten wohnen, er
hieß Archos oder Arkas. Ihre Verfassung hatte
sehr vieles von einem geistlichen Orden. Die
Aufzunehmenden mußten ein Jahr Prüfungen bestehen
und wurden nach höheren prophetischen Eingebungen
für kürzere oder längere Zeit aufgenommen. Die
eigentlichen Glieder des Ordens, welche zusammenwohnten,
heirateten nicht, sie lebten jungfräulich. Es
gab aber Leute, die aus dem Orden ausgegangen
waren oder ihm anhingen, welche heirateten und
in ihren Familien eine in vieler Hinsicht ähnliche
Zucht mit ihren Kindern und Hausgenossen wie
die eigentlichen Essener hielten. Es war ein
Verhältnis zwischen ihnen und den eigentlichen
Essenern, wie es heutzutage die weltlichen Leute
der Dritten Regel, die so genannten Terziaren,
zu den katholischen Ordensgeistlichen haben;
denn diese verehelichten Essener suchten in
Betreff aller wichtigen Angelegenheiten, besonders
bei der Verheiratung ihrer Angehörigen, Belehrung
und Rat bei dem Oberhaupt der Essener, dem Propheten
am Berge Horeb. Die Großeltern der heiligen
Anna gehörten zu dieser Gattung verehelichter
Essener.
Es gab später auch noch eine dritte Gattung
von Essenern, welche alles übertrieben haben
und auf große Irrtümer gekommen sind, und ich
habe gesehen, daß die anderen sie nicht unter
sich duldeten.
Die eigentlichen Essener hatten besonders mit
prophetischen Dingen zu tun, und ihr Oberhaupt
am Berge Horeb ward dort öfter in der Höhle
des Elias göttlicher Offenbarungen teilhaftig,
welche sich auf die Ankunft des Messias bezogen.
Er hatte Erkenntnisse von der Familie, aus welcher
die Mutter des Messias hervorgehen solle, und
wenn er den Voreltern der heiligen Anna in Sachen
der Ehe weissagte, sah er auch, wie die Zeit
des Herrn sich nahte. Wie lange aber die Geburt
der Mutter des Heilandes durch Sünde noch verhindert
oder verzögert werde, wußte er nicht, und er
mahnte daher zu Buße, Abtötung, Gebet und innerlichem
Opfer, in welchen gottgefälligen Übungen alle
Essener immer zu gleichem Zwecke von je das
Beispiel gaben.
Ehe Jesaias diese Leute sammelte und ihnen eine
geregeltere Verfassung gab, lebten sie als fromme,
der Abtötung beflissene Israeliten zerstreut.
Sie trugen immer dieselben Kleider und flickten
sie nicht, bis sie ihnen vom Leibe fielen. Sie
kämpften vorzüglich gegen die Unsittlichkeit
und lebten mit gegenseitiger Einwilligung oft
in langer Enthaltung in weit entfernten Hütten
von ihren Ehefrauen getrennt. Wenn sie aber
in ehelicher Gemeinschaft lebten, geschah es
allein in der Absicht einer heiligen Nachkommenschaft,
welche der Ankunft des Heils förderlich sein
möge. Ich sah sie getrennt von ihren Frauen
essen; wenn der Mann den Tisch verlassen hatte,
kam die Frau, ihre Mahlzeit einzunehmen. Schon
in jenen Zeiten waren Vorfahren der heiligen
Anna und anderer heiligen Leute unter den verehelichten
Essenern.
Jeremias stand auch in Beziehung mit ihnen,
und jene Menschen, die man Prophetenkinder nannte,
waren aus ihnen. Sie wohnten häufig in der Wüste,
um die Berge Horeb und Karmel, auch in Ägypten
sah ich später ihrer viele. Ich habe auch gesehen,
daß sie durch Krieg eine Zeitlang vom Berge
Horeb vertrieben waren und von neuen Oberhäuptern
wieder gesammelt wurden. Die Makkabäer waren
auch unter ihnen.
Sie hatten eine große Verehrung vor Moses und
besaßen ein heiliges Kleidungsstück von ihm,
das er dem Aaron gegeben, von welchem es auf
sie gekommen war. Es war dieses ihr großes Heiligtum,
und ich habe eine Anschauung gehabt, wie etwa
15 aus ihnen in Verteidigung dieses Heiligtums
umgekommen sind. Ihre prophetischen Oberhäupter
hatten Wissenschaft von den heiligen Geheimnissen
der Bundeslade.
Die eigentlichen jungfräulich lebenden Essener
waren von unbeschreiblicher Reinheit und Frömmigkeit.
Sie nahmen Kinder auf und erzogen sie zu großer
Heiligkeit.
Um ein Mitglied des strengen Ordens zu werden,
mußte man 14 Jahre alt sein. Schon erprüfte
Leute hatten nur ein Probejahr, andere zwei
zu bestehen. Sie hatten keine Art von Handel
und tauschten nur ihre Bedürfnisse gegen die
Erzeugnisse ihres Ackerbaues ein.
Hatte sich einer unter ihnen schwer versündigt,
so wurde er durch den von dem Oberhaupte über
ihn ausgesprochenen Bann von ihnen ausgestoßen.
Dieser Bann hatte eine Kraft wie jener des Petrus
über Ananias, der von ihm getroffen starb. Das
Oberhaupt erkannte auf prophetische Weise, wer
gesündigt hatte. Ich sah auch einige Essener,
welche nur Bußstrafen bestanden, und zum Beispiel
in einem starren Rock, dessen ausgebreitete,
unbewegliche Ärmel inwendig voll Stacheln waren,
stehen mußten.
Der Berg Horeb war voll von kleinen Höhlen,
welche die Zellen bildeten, worin sie wohnten.
An einer größeren Höhle war von leichtem Flechtwerk
ein Versammlungssaal angebaut. Hier kamen sie
um 11 Uhr mittags zusammen und aßen. Jeder hatte
ein kleines Brot und einen Becher vor sich.
Der Obere ging von Stelle zu Stelle und segnete
das Brot eines jeden. Nach der Mahlzeit kehrten
sie in ihre einzelnen Zellen zurück. Es befand
sich in diesem Versammlungssaal ein Altar, worauf
verdeckte geweihte Brötchen standen, sie waren
eine Art von Heiligtum, und ich meine, sie wurden
den Armen verteilt.
Die Essener hatten viele Tauben, die zahm waren
und ihnen aus den Händen fraßen. Sie aßen Tauben,
hatten aber auch religiöse Gebräuche mit ihnen.
Sie sprachen etwas über sie und ließen sie fliegen.
Ich sah auch, daß sie Lämmer in die Wüste laufen
ließen, über welche sie etwas ausgesprochen,
als sollten sie ihre Sünden auf sich nehmen.
Ich sah sie alle Jahre dreimal nach Jerusalem
zum Tempel gehen. Sie hatten auch Priester unter
sich, denen besonders die Besorgung der heiligen
Kleider oblag, die sie reinigten, zu denen sie
beisteuerten, und deren sie auch neue bereiteten.
Ich sah sie Viehzucht und Ackerbau, besonders
aber Gartenbau treiben. Der Berg Horeb war zwischen
ihren Hütten voll von Gärten und Obstbäumen.
Viele von ihnen sah ich weben und flechten und
auch Priesterkleider sticken. Die Seide sah
ich sie nicht selbst gewinnen, sie kam in Bündeln
zum Verkauf, und sie tauschten sie gegen andere
Produkte ein.
Sie hatten in Jerusalem eine getrennte Wohngegend
und auch im Tempel eine abgesonderte Stelle.
Die anderen Juden hatten eine Art Abneigung
gegen sie wegen ihrer strengen Sitten. Ich sah
auch, daß sie Geschenke zum Tempel sendeten,
zum Beispiel ganz große Trauben, welche zwei
Leute zwischen sich an einer Stange trugen.
Auch Lämmer sendeten sie, aber nicht zum Schlachten,
man ließ sie nur, ich glaube, in einem Garten
hinlaufen.
Ich habe nicht gesehen, daß die eigentlichen
Essener in der letzten Zeit blutige Opfer brachten.
Ich sah, daß sie sich, ehe sie zum Tempel reisten,
immer erst sehr streng durch Gebet, Fasten und
Buße, ja selbst durch Geißelungen vorbereiteten.
So aber einer mit Sünden beladen und ohne sie
durch Buße gesühnt zu haben, zum Heiligsten,
zum Tempel ging, pflegte er meistens plötzlich
zu sterben. Fanden sie auf der Reise oder in
Jerusalem auf ihrem Wege irgendeinen Kranken
oder sonst Hilflosen, so gingen sie nicht zum
Tempel, bis sie ihm alle mögliche Hilfe geleistet
hatten.
Ich sah überhaupt, daß sie sich mit Heilung
beschäftigten. Sie sammelten Kräuter und bereiteten
Tränke. Ich sah jetzt auch, daß jene heiligen
Leute, von welchen ich vor einiger Zeit gesehen
habe, daß sie kranke Menschen auf eine Streu
von Heilkräutern betteten
2,
Essener waren.
2 Das Töchterchen
des Bruders der gottseligen Emmerich war im
Winter 1820 aus der Bauernschaft Flamske bei
Koesfeld zu ihr nach Dülmen gezogen und erkrankte
an starken Krämpfen, die sich längere Zeit täglich
zur bestimmten Abendstunde mit einem lauten,
widerlich tönenden Würgen einstellten und oft
bis zur Mitternacht fortdauernd eine um so peinlichere
Störung in die Nähe der stillen Kranken brachten,
als sie die Veranlassung und die Bedeutung dieses
Leidens wie der meisten Krankheiten erkannte;
sie hatte mehrfach um die Erkenntnis eines Heilmittels
gebetet und endlich ein ihr bekanntes Blümchen
beschrieben, welches sie den heiligen Lukas
pflücken und gegen die fallende Sucht anwenden
gesehen. Auf ihre sehr genaue Beschreibung des
Blümchens und seines Standortes fand es ihr
Arzt, der Kreisphysikus Dr. Wesener, in Dülmen;
sie erkannte die Pflanze, die er brachte, als
jene an, welche sie meinte und Sternblümchen
nannte, und er bestimmte dieselbe als Cerastium
arvense Linnaei oder Holosteum caryophylleum
veterum. Es scheint merkwürdig, daß das alte
Kräuterbuch Tabernamontani den Gebrauch dieser
Pflanze gegen die fallende Sucht auch erwähnt.
Am 22. Mai 1821 sprach sie nach Mittag in Schlummer:
„Weinraute (die sie schon früher angewendet)
und das Sternblümchen mit Weihwasser angefeuchtet
und den ausgepreßten Saft dem Kinde eingegeben,
sollte das wohl schaden können? Schon dreimal
ist es mir innerlich gesagt, ich solle es selbst
auspressen und ihm geben.“ — Der Schreiber wünschend,
sie möge etwas Näheres von diesem Heilmittel
mitteilen, hatte zu Haus ihr unbewußt einige
Blüten dieses Kräutchens gleich einer Reliquie
in Papier gewickelt und heftete ihr gegen Abend
dieses Bäuschchen mit einer Stecknadel an ihr
Wams. Sie wachte und sagte sogleich: „Das ist
keine Reliquie, das ist das Sternblümchen.“
— Sie behielt auf diese Weise das Blümchen während
der Nacht an ihrem Wams befestigt und erzählte
am 23. Mai 1821 morgens:
„Ich habe gar nicht
gewußt, warum ich heute Nacht wie auf einem
Felde zwischen lauter Sternblümchen lag. Ich
habe auch allerlei Gebrauchsarten dieses Blümchens
gesehen, und es wurde mir gesagt: ,Wenn die
Menschen wüßten, wie heilsam dieses Blümchen
ist, es stünde hier nicht so häufig um dich
her.‘ Ich sah aber Gebrauchsbilder schon aus
einer sehr alten Zeit. Ich sah den heiligen
Lukas wandeln und diese Blumen pflücken. Ich
sah auch in einer Gegend, gleich jener, wo Christus
die 5000 Menschen speiste, viele Kranke, von
einem leichten Schirmdach bedeckt, im Freien
auf diese Blümchen gebettet. Es war ihnen eine
Streu davon bereitet. Man hatte die Blüten nach
der Mitte zu, worauf sie lagen, die Stiele und
Blätter aber nach außen gerichtet. Sie litten
an Gicht, Krämpfen und Geschwulst und hatten
runde, mit den Blümchen gefüllte Kissen unter
dem Kopfe liegen. — Ich sah, daß ihnen Leute
die geschwollenen Füße mit diesen Blumen umwickelten.
Ich sah die Kranken diese Blumen essen, auch
Wasser darüber gießen und trinken. Die Blumen
waren dort größer. Es war dies ein Bild aus
alter Zeit, die Leute und Ärzte trugen langes,
wollweißes Gewand und Gürtel. Ich sah sie die
Kräuter immer vor dem Gebrauche segnen. Ich
sah auch eine Pflanze desselben Geschlechts,
aber fetter und mit runderen, saftigeren und
sanfteren Blättern und mit sanftblauen Blüten
von derselben Gestalt, die sehr heilsam in Terminen
(Konvulsionen der Kinder) gebraucht wird. Sie
wächst auf besserem Boden und ist nicht so häufig.
Ich meine, sie heißt auch Augentrost. Ich habe
sie einmal bei Dernekamp gefunden, sie ist kräftiger.“
— Sie gab hierauf das erstemal dem Kinde nur
drei Blümchen, das zweitemal sollte sie fünf
geben. Sie sagt: „Ich sehe des Kindes Natur,
ich kann diese aber nicht richtig beschreiben;
so ein Inneres ist wie ein zerrissenes Kleid,
man muß für jede Stelle einen anderen Lappen
haben.“
Ich sah auch, daß die Essener Kranke durch Handauflegung
heilten oder auch, indem sie sich mit ausgebreiteten
Armen ganz über sie hinstreckten. Auch sah ich
sie in die Entfernung auf eine wunderbare Weise
heilen, indem sie Kranken, welche nicht selbst
kommen konnten, einen Stellvertreter sendeten,
an welchem alles geschah, was man an dem Kranken
getan haben würde. Man merkte sich die Stunde,
und der ferne Kranke war zur selben Zeit genesen.
Ich sah, daß die Essener auf Horeb in den Wänden
ihrer Höhlen vergitterte Räume hatten, in welchen
alte heilige Gebeine, sehr schön in Baumwolle
und Seide gewickelt, bewahrt wurden. Es waren
Gebeine von Propheten, die hier gewohnt, und
auch von Kindern Israels, die dort umher gestorben.
Es standen kleine Töpfe mit grünenden Kräutern
dabei. Sie steckten Lampen davor an, ehrten
die Gebeine und beteten vor ihnen.
Alle unverheirateten Essener, welche am Berge
Horeb und anderwärts in Klöstern zusammen wohnten,
waren von großer Reinlichkeit. Sie trugen lange
weiße Kleider. Das Oberhaupt der Essener auf
Horeb trug bei feierlichen Gebetshandlungen
einen wunderbaren priesterlichen Ornat, auf
die Weise des Hohenpriesters in Jerusalem, nur
kürzer und nicht so prächtig. Wenn er in der
Höhle des Elias auf dem Berge Horeb betete und
weissagte, war er immer in dieser heiligen Kleidung,
welche etwa aus acht Stücken bestand. Es befand
sich ein großes Heiligtum darunter, eine Art
Überwurf oder Skapulier
3
über Brust und Rücken, welches Moses auf bloßem
Leibe getragen hatte, und das von ihm an Aaron
und später an die Essener gekommen war.
3 Man störe
sich nicht an dem Wort Skapulier, es wird von
ihr jedes ärmellose, über den Schultern verbundene,
an den Seiten offene, Rücken und Brust bedeckende
Kleidungsstück so genannt.
Der Prophet Archos, ihr Oberhaupt am Berge Horeb,
trug diesen Überwurf immer auf bloßem Leibe,
wenn er mit dem ganzen Ornat bekleidet um prophetische
Erkenntnis betete. Er hatte den Unterleib mit
einer Binde bedeckt und Brust und Rücken mit
diesem heiligen Überwurf, den ich so genau beschreiben
will, als er mir noch erinnerlich ist. Es wird
wohl deutlicher werden, wenn ich eine Art Muster
davon von Papier ausschneide.“
Nun schnitt sie die Figur von zusammengelegtem
Papier flüchtig aus und sagte: „Ausgebreitet
hatte dieses heilige Skapulier
ungefähr diese Gestalt. Der Stoff war starr
wie ein Gewebe von Haaren gewirkt. In der Mitte
des Brustteils und des Rückenteils war eine
dreieckige, doppelte wie gesteppte Stelle. Ich
kann jetzt nicht recht bestimmt sagen, was dazwischen
war. An dem Halsloch des Skapuliers war vorn
ein Dreieck eingeschnitten und oben die Trennung
durch ein Band oder Riemchen verbunden. Dieses
Dreieck hing an seiner unteren Spitze mit dem
Stoffe noch zusammen und konnte auf eine andere
Öffnung, die vor der Brust war, niedergelassen
werden, welche es alsdann vollkommen bedeckte.
Die oben erwähnte doppelte Stelle war gerippt
wie gesteppt, es waren Buchstaben hineingesteckt
mit kleinen Stiften, welche auf der anderen
Seite mit spitzen Häkchen hervorragend die Brust
stechend berührten. Auf dem oben am Halsloch
ausgeschnittenen, ebenfalls doppelten Dreieck
war auch etwas gleich Buchstaben. Was diese
Dreiecke enthielten, weiß ich jetzt nicht. Wenn
der Priester dieses heilige Kleid anlegte, bedeckte
das obere Dreieck genau das untere. Auf der
Mitte des Rückenteils befand sich auch eine
solche doppelte durchnähte, mit Buchstaben und
Stacheln versehene Stelle. Über dieses Skapulier
trug das Oberhaupt der Essener ein grauwollenes
Hemd und über diesem ein großes weites Hemd
von weißer gezwirnter Seide, welches in der
Mitte durch einen breiten, mit Buchstaben bezeichneten
Gürtel gegürtet war. Er hatte eine Art Stola
um den Hals, die sich über der Brust kreuzte
und vom Gürtel überfaßt bis zu den Waden hinabhing.
Die Stola war über und unter der Stelle der
Kreuzung mit drei Riemen verbunden.
Hierüber
legte er ein Kleidungsstück an, das Ähnlichkeit
mit einem Meßgewand hatte und auch von gezwirnter
weißer Seide gearbeitet war. (Sie schnitt die
Form dieses Kleidungsstückes in ausgebreiteter
Lage aus.) Die hintere Seite war schmal und
lang bis zur Erde und hatte zwei Schellen am
unteren Saume, deren Klang, wenn der Priester
ging, zum Gottesdienst rief. Die vordere Seite
war kürzer und breiter und vom Halsloche bis
herab offen. Es hatte dieser vordere Teil durch
zusammenhaltende, mit Buchstaben und Edelsteinen
verzierte Haften unterbrochene große Lücken
auf Brust und Leib, wo die Stola und das Unterkleid
durchsahen. Die vordere und hintere Seite dieses
Kleides war unter den Armen mit Querbahnen verbunden.
(Sie gab diese bei dem Ausschneiden des Musters
nicht an.) Das Halsloch umschloß ein aufrecht
stehender, vom zugehäkelter Kragen. Der über
dem Kinn geteilte Bart des Priesters fiel über
diesen Halskragen herab.
Über dies alles legte er zuletzt ein kleines
Mäntelchen von weißer gezwirnter Seide. Es schimmerte
und glänzte und war vorn mit drei Krampen, die
mit Edelsteinen, worin etwas eingeschnitten,
verziert waren, geschlossen. Von jeder Schulter
dieses Mäntelchens hingen auch Fransen, Quasten
und Früchte nieder. Er trug außerdem an dem
einen Arme noch einen kurzen Manipel.
Die Kopfbedeckung war, wie ich meine, auch von
weißer Seide und gewirkt und gewulstet wie ein
Turban, näherte sich aber auch dem Barett unserer
Geistlichen, denn sie hatte oben solche Erhabenheiten
und auch einen seidenen Busch. Vor der Stirn
war eine goldene Platte, mit Edelsteinen besetzt,
angeheftet.
Die Essener lebten sehr streng und mäßig, sie
aßen meist nur Früchte, die sie häufig in Gärten
zogen. Archos sah ich meist gelbe bittere Früchte
essen.
Etwa 100 Jahre vor Christi Geburt sah ich bei
Jericho einen sehr frommen Essener, er hieß
Chariot.
Archos oder Arkas, der alte Prophet am Berge
Horeb, hat die Essener 90 Jahre regiert. Ich
sah, wie die Großmutter der heiligen Anna ihn
bei ihrer Verehelichung fragte. Es ist merkwürdig
erschienen, daß diese Propheten immer auf weibliche
Kinder weissagten, und daß die Voreltern Annas
und Anna selbst meist Töchter hatten. Es war,
als sei es die Aufgabe all ihres Gebetes und
frommen Wandels, von Gott einen Segen an frommen
Müttern zu erflehen, aus deren Nachkommenschaft
die heilige Jungfrau, die Mutter des Heilandes
selbst, und die Familien seines Vorläufers,
seiner Diener und Nachfolger hervorgehen sollten.
Der Gebets- und Weissagungsort des Oberhauptes
am Berge Horeb war die Höhle, in welcher Elias
sich hier aufgehalten. Man ging viele Stufen
zu ihr am Berge empor und dann durch einen kleinen
unbequemen Eingang in die Höhle ein paar Stufen
hinab. Der Prophet Archos ging allein hinein.
Es war dieses den Essenern, als wenn der Hohepriester
im Tempel in das Sanktissimum ging, denn hier
war ihr Allerheiligstes. Es befanden sich hier
einige geheimnisvolle Heiligtümer, welche schwer
auszusprechen sind. Was ich noch davon vorzubringen
vermag, will ich erzählen. Ich habe es gesehen,
als Annas Großmutter sich bei dem Propheten
Archos Rats erholte.
Annas Großmutter war von Mara in der Wüste,
wo ihre Familie zu den verehelichten Essenern
gehörte und Güter hatte. Ihr Name klang mir
auf die Art wie Moruni oder Emorun. Es wurde
mir gesagt, es heiße so viel wie eine gute Mutter
oder erhabene Mutter
4.
Als die Zeit kam, daß sie sich verehelichen
sollte, hatte sie mehrere Freier, und ich sah
sie zu dem Propheten Archos am Horeb gehen,
auf daß er ihre Wahl bestimme. Sie begab sich
in einen abgesonderten Raum an dem großen Versammlungssaale
und sprach mit Archos, der in dem Saale war,
durch ein Gitter, als ob sie ihm beichte. Nur
auf diese Weise nahten sich hier die Frauen.
Ich sah hierauf den Propheten Archos seinen
großen Ornat anlegen und in diesem viele Stufen
hinan zur Spitze des Horebs steigen und dann
durch den kleinen Eingang einige Stufen hinab
in die Höhle des Elias gehen. Er schloß die
kleine Tür der Höhle hinter sich und öffnete
ein Loch in der Wölbung, wodurch Licht hereinfiel.
Die Höhle war inwendig reinlich ausgearbeitet.
Es herrschte eine Dämmerung in ihr. Ich sah
an der Wand einen kleinen Altar aus dem Fels
gehauen und bemerkte, jedoch nicht ganz deutlich,
auf demselben mehrere heilige Gegenstände. Es
standen auf dem Altare einige Töpfe mit niedrig
wachsenden Kräuterbüschen.
Es waren von jenen Kräutern, die so hoch wuchsen,
als der Saum des Rockes Jesu von der Erde abstand
5.
Dieses Kraut kenne ich, es wächst auch, doch
schwächer, bei uns; diese Kräuter zeigten durch
ihr Welken oder Grünen bei prophetischen Erkenntnissen
des Archos irgend etwas an.
In der Mitte zwischen diesen kleinen Kräuterbüschen
sah ich etwas wie ein höheres Bäumchen, die
Blätter kamen mir gelblich und wie ein Schneckenhäuschen
gedreht vor. Es erschienen mir auf diesem Bäumchen
wie kleine Figürchen. Ich vermag jetzt nicht
gewiß zu sagen, ob dies Bäumchen lebendig oder
ein gemachtes Kunstwerk gleich einer Wurzel
Jesse
6
war. — (Am folgenden Tage sagte sie): An diesem
Bäumchen mit den gedrehten Blättern war gleichwie
an einer Wurzel Jesse oder einem Stammbaume
zu sehen, wie weit die Herannahung der heiligen
Jungfrau schon fortgeschritten war. Es erschien
mir wie lebendig und doch auch wie ein Behälter,
denn ich sah einen blühenden Zweig, ich glaube,
den Stab Aarons darin bewahrt, der ehemals in
der Bundeslade gewesen.
4 So die Worte
der gottseligen A. K. Emmerich am 16. August
1821. Die Namensklänge sind hier niedergeschrieben,
wie sie dem Schreiber aus ihrem Munde lauteten,
ebenso auch ihre Erklärung: „die erhabene Mutter“.
— Als im Mai 1840 der Schreiber dieses einem
Sprachkundigen vorlas, sagte dieser, Emromo
heiße allerdings eine erhabene Mutter.
5 Sie wollte
hiermit unstreitig aussprechen, es seien diese
Kräuter von der Art jener gewesen, von welchen
Eusebius in seiner Kirchengeschichte Band VII,
Kap. 18 sagt, daß sie um das von der geheilten
Blutflüssigen in Cäsarea Philippi errichtete
Standbild Jesu Christi gewachsen seien, und
wenn sie den Saum des Standbildes mit ihrer
Größe berührt, eine Heilkraft für alle Krankheit
empfangen hätten. Dieses Kraut wird dort als
von unbekannter Art erwähnt. Die Erzählende
sprach auch früher schon von jenem Bild und
diesem Kraut.
6 Sie versteht
wahrscheinlich hierunter die unter diesem Namen
bekannten Abbildungen des Stammbaums Jesu nach
dem Fleisch (Is 11,10).
Wenn Archos um eine Offenbarung bei einer Verehelichung
unter den Voreltern der heiligen Jungfrau in
der Höhle des Elias betete, nahm er diesen Stab
Aarons in die Hand. Sollte diese Ehe zu dem
Stamme der heiligen Jungfrau beitragen, so trieb
der Stab Aarons einen Sprossen und dieser wieder
eine oder mehrere Blumen, worunter manchmal
einzelne mit dem Zeichen der Auserwähltheit
bezeichnet waren. Einzelne bestimmte Sprossen
bedeuteten schon bestimmte Vorfahren Annas,
und kamen diese nun zur Verehelichung, so beobachtete
Archos die sie bedeutenden Sprossen und weissagte,
nachdem diese sich weiter entwickelten.
Es war aber auch noch ein anderes Heiligtum
im Besitze der Essener auf Horeb in der Höhle
des Elias, und zwar ein Teil des eigentlichen
heiligsten Geheimnisses der Bundeslade, das
in den Besitz der Essener gekommen, als die
Lade einmal in die Hände der Feinde fiel. (Sie
sprach hierbei unbestimmt von einem Streit,
einer Spaltung unter den Leviten.) Dieses mit
dem Schrecken Gottes in der Bundeslade verhüllte
Heiligtum kannten nur die Heiligsten der Hohenpriester
und einige Propheten. Ich meine jedoch, erkannt
zu haben, es sei einiges davon in nur wenig
bekannten geheimnisvollen Büchern alter tiefsinniger
Juden erwähnt
7.
Es war nicht mehr vollkommen in der neuen Bundeslade
des von Herodes hergestellten Tempels. Es war
kein Werk von Menschenhänden bereitet, es war
ein Mysterium, ein heiligstes Geheimnis des
göttlichen Segens zur Ankunft der heiligen Jungfrau
voll der Gnade, aus welcher durch Überschattung
des heiligen Geistes das Wort Fleisch angenommen
hat und Gott Mensch geworden ist. Ich sah einen
Teil dieses Heiligtums, das vor der Babylonischen
Gefangenschaft ganz in der Bundeslade gewesen,
jetzt hier bei den Essenern in einem braunen
glänzenden Kelch, der mir wie aus einem Edelstein
schien, bewahrt. Auch aus diesem Heiligtume
weissagten sie. Es schien manchmal wie kleine
Blüten zu treiben.
Als Archos in die Höhle des Elias getreten war,
schloß er die Tür, kniete nieder und betete.
Er schaute empor nach der Lichtöffnung in der
Decke und warf sich auf sein Angesicht zur Erde.
Ich sah nun eine prophetische Erkenntnis, die
er hatte. Er sah nämlich, als wachse unter dem
Herzen der um Rat fragenden Emorun ein Rosenstock
mit drei Zweigen hervor und an jedem dieser
Zweige eine Rose. Die Rose des zweiten Zweiges
war mit einem Buchstaben, ich glaube mit einem
M1 bezeichnet. Er sah noch mehreres. Ein Engel
schrieb Buchstaben an die Wand. Ich sah, daß
Archos sich erhob, als erwache er, und daß er
diese Buchstaben las. Ich habe das einzelne
vergessen. Er begab sich hierauf aus der Höhle
hinab und verkündete der fragenden Jungfrau,
daß sie heiraten solle, und zwar ihren sechsten
Freier. Sie werde ein auserwähltes, mit einem
Zeichen bezeichnetes Kind gebären, welches ein
Gefäß des nahenden Heils sein werde.
Emorun heiratete
hierauf ihren sechsten Freier, einen Essener,
der Stolanus hieß; er war nicht aus der Gegend
von Mara und erhielt durch seine Ehe und die
Güter seiner Frau einen anderen Namen, den ich
nicht mehr bestimmt vorbringen kann; er wurde
verschieden ausgesprochen und klang ungefähr
wie Garescha oder Sarzirius 8
und dergleichen.
7 In der ursprünglich
hebräischen Schrift, welche sich im samaritanischen
Alphabet, auf makkabäischen Münzen und sonst
erhalten hat, bietet der Buchstabe M eine Ähnlichkeit
mit der lateinischen Form N.
8 Diese wie
alle anderen Namensklänge sprach die Erzählerin
in plattdeutscher Mundart, und zwar oft schwankend,
aus. Sie gab sie nur als mit den Namen ähnlich
klingend an, und es ist nicht zu bestimmen,
inwiefern sie hier mehr oder weniger richtig
geschrieben sind. Um so überraschender schien
es, wenn sich später anderwärts für dieselben
Personen ähnliche Namensklänge fanden, wovon
folgendes ein Beispiel. Mehrere Jahre nach dem
Tode der Erzählenden fand der Schreiber in dem
„Encomium trium Mariarum Bertaudi, Petragorici“,
Paris 1529 und namentlich in dessen anhängender
Abhandlung de cognatione divi Joannis Baptistae
cum filiabus et nepotibus beatae Annae. lib.
III. fol. L II. usw., daß der heilige Cyrillus,
3. General des Karmelitenordens (t 1224), in
einer Schrift von den Vorfahren der heiligen
Anna ganz ähnliche Anschauungen von Zweigen,
Sprossen und Blüten anführt, welche der befragte
Prophet gesehen; und weiter, daß Stolanus auch
Agarim oder Garizi genannt werde, in welchen
Namen allerdings Klänge wie in den oben angeführten
Garescha oder Sarziri liegen. Übrigens wird
hier der Karmeliten auf dem Karmel statt der
Essener auf dem Horeb als der Befragten erwähnt.
— 17 Jahre nach dem Tode der gottseligen A.
K. Emmerich las der Schreiber am Fronleichnamstag
1840 in dem Leben der heiligen Mutter Anna in
den Actis Sanctorum Tom. VI. Julii, daß Joan.
Eckius in seiner Homilie von der heiligen Anna
sagt: Stolanus werde von der Tradition Stolan
genannt, und daß das Breviarium Romanum von
1536 und mehrere vor Pius V. gedruckte Breviere
Anna eine Tochter Gaziri, andere diesen aber
Garzim nennen. — Ein sprachkundiger Freund,
welcher die Güte hatte, die Korrektur dieses
Blattes zu lesen, fügte hinzu: „Es überrascht,
daß die Namen Gaziri, Garzi (das m ist am Schluß
angehängt), Garscha oder Garescha, welche Formen
alle drei richtig, obwohl von verschiedenen
Zeitworten gebildet sind, in der Bedeutung „Verstoßener“
übereinstimmen und daß Agari (m) sich im Arabischen
ebenfalls auf Flucht und Vertreibung bezieht.
Das griechische Stolanus schließt den Begriff
der Wanderschaft ein, also einen ähnlichen,
doch milderen Sinn als die semitische Bezeichnung.
Bekanntlich kam es seit Alexander sehr häufig
vor, daß die Juden ihren Namen griechische Beugungen
gaben oder sie ganz übersetzten. — Sarßir heißt
Star und deutet somit auch auf einen Wandervogel.“
Stolanus und Emorun hatten drei Töchter, von
welchen ich mich der Namen Ismeria, Emerentia
und einer späteren Tochter erinnere, die, wie
ich meine, Enue hieß. Sie lebten nicht lange
mehr in Mara, sondern zogen später nach Ephron.
Doch sah ich, daß auch noch ihre Töchter Ismeria
und Emerentia sich nach Weissagungen des Propheten
auf Horeb verehelichten. Ich kann immer nicht
begreifen, daß ich so oft gehört, Emerentia
sei die Mutter der heiligen Anna geworden, da
ich doch immer gesehen, daß es Ismeria gewesen.
Ich will in Gottes Namen erzählen, was mir noch
von diesen Töchtern des Stolanus und der Emorun
gegenwärtig ist
9.
9 Allerdings
nennen die der Tradition folgenden Schriftsteller
gewöhnlich Emerentia als die Mutter der heiligen
Anna. Aber sie nennen diese Emerentia auch als
das Weib des Stolanus, welches die Erzählerin
Emorun nennt. Die Tradition sagt, Emerentia,
das Weib des Stolanus, gebar Ismeria, die Mutter
der Elisabeth, und Anna, die Mutter der heiligen
Jungfrau, Maria. Nach der Mitteilung der Erzählerin
ist aber Anna nicht die Tochter, sondern die
Enkelin des Stolanus. Wäre dies ein Irrtum von
ihr, so könnte er dadurch veranlaßt sein, daß
die demütige Seherin das von Jugend auf von
der Herkunft der heiligen Anna aus der Tradition
Gehörte mit ihren eigenen Anschauungen vermischte.
Vielleicht ist der Name Emerentia nichts als
die Latinisierung des von ihr gehörten Namens
Emorun. Da sie dieses aber nicht weiß oder es
vergessen hat und die Namen Emerentia und Ismeria
ihr von der Tradition immer neben Stolanus als
nächste Angehörige der heiligen Anna vor deren
Verehelichung dargeboten werden, so bildeten
sich ihr vielleicht Töchter des Stolanus heraus.
Es ward übrigens höchst selten bemerkt, daß
sie bei den unzähligen Namen, welche sie vernahm,
einige verwechselt hätte, es sei denn in äußerster
Krankheit und Verlassenheit geschehen. Wir sind
jedoch geneigt, hier irgendeinen Irrtum zu vermuten,
da die Tradition allgemein die heilige Elisabeth
eine Nichte der heiligen Anna nennt, nach der
Mitteilung der A. K. Emmerich aber Elisabeth
die Nichte von Annas Mutter ist, wodurch Elisabeth,
da Anna eine späte Tochter genannt wird, fast
älter als diese scheinen dürfte. Da der Schreiber
den etwa hier eingetretenen Irrtum nicht zu
erklären vermag, so ersucht er den wohlwollenden
Leser, es geduldig hinzunehmen, und somit das
an Geduld für den Schreiber zu ersetzen, was
dieser während der mühseligen, mannigfach gestörten
Auffassung dieser Mitteilungen in dieser christlichen
Tugend versäumt haben dürfte.
Emerentia heiratete einen Aphras oder Ophras,
einen Leviten. Aus dieser Ehe stammt Elisabeth,
die Mutter Johannes‘ des Täufers. Eine andere
Tochter von ihnen ward, wie die Schwester ihrer
Mutter, Enue genannt. Sie war bei Mariä Geburt
bereits Witwe. Eine dritte Tochter von ihnen
war Rhode, deren Tochter unter anderen jene
Mara war, die ich bei dem Tode der heiligen
Jungfrau gegenwärtig gesehen.
Ismeria verehelichte sich mit einem Eliud. Sie
lebten in der Gegend von Nazareth, ganz in der
Weise der verehelichten Essener. Von ihren Eltern
war die hohe eheliche Zucht und Enthaltsamkeit
auf sie gekommen. Aus ihnen stammte unter anderen
Anna. Enue, die dritte Tochter des Stolanus,
wohnte verheiratet zwischen Bethlehem und Jericho.
Ein Nachkomme von ihr war bei Jesus.
Ismeria und Ehud hatten eine erstgeborene Tochter
Sobe. Da bei dieser aber das Zeichen der Verheißung
nicht eingetreten, waren sie sehr betrübt und
zogen wieder zu dem Propheten auf dem Berge
Horeb, um sich Rats zu erholen. Archos ermahnte
sie zu Gebet und Opfer und verhieß ihnen Trost.
Ismeria war hierauf wohl während 18 Jahren unfruchtbar.
Als Gott sie aber wieder segnete, sah ich, daß
Ismeria nachts eine Offenbarung hatte. Sie sah,
daß ein Engel neben ihrem Lager einen Buchstaben
an die Wand schrieb. Ich meine, daß es wieder
jenes M war. Ismeria sagte es ihrem Manne, dieser
aber hatte dasselbe gesehen, und sie sahen nun
beide erwacht das Zeichen an der Wand. Sie gebar
aber nach drei Monaten die heilige Anna, welche
jenes Zeichen auf der Magengegend mit zur Welt
brachte.
Anna ward mit ihrem fünften Jahre, wie später
Maria, in die Tempelschule gebracht. Sie lebte
dort 12 Jahre und ward in ihrem 17. Jahre nach
Hause gesendet, wo sie zwei Kinder fand, nämlich
ein nach ihr geborenes Schwesterchen Maraha
und ein Söhnlein ihrer älteren Schwester Sobe,
welches Eliud hieß. Ein Jahr nachher erkrankte
Ismeria tödlich. Sie ermahnte alle die Ihrigen
auf ihrem Sterbelager und stellte ihnen Anna
als die künftige Hausmutter vor. Dann sprach
sie noch mit Anna allein, sagte ihr, daß sie
ein auserwähltes Gefäß der Gnade sei, heiraten
müsse und sich bei dem Propheten auf Horeb Rats
erholen solle. Dann starb sie.
Sobe, die ältere Schwester Annas, war mit einem
Salomo verheiratet. Sie hatte außer dem Sohne
Eliud noch die Tochter Maria Salome, die mit
Zebedäus die Apostel Jakobus Major und Johannes
erzeugte. Sobe hatte noch eine zweite Tochter,
welche eine Tante des Bräutigams von Kana und
die Mutter dreier Jünger war. Eliud, der Sohn
der Sobe und des Salomo, war der zweite Mann
der Witwe Maroni von Naim und der Vater des
von Jesus erweckten Knaben.
Mahara, Annas jüngere Schwester, erhielt, da
der Vater Eliud in das Tal Zabulon zog, das
Gut in Sephoris. Sie heiratete und hatte eine
Tochter und zwei Söhne Arastaria und Cocharia,
welche Jünger wurden.
Anna hatte noch eine dritte Schwester, welche
sehr arm, eines Hirten Weib auf Annas Trift
war. Sie war viel in dem Hause Annas.
Annas Urgroßvater war ein Prophet. Eliud, ihr
Vater, stammte aus Levi, ihre Mutter Ismeria
aber aus Benjamin. Anna ist in Bethlehem geboren.
Ihre Eltern zogen aber dann nach Sephoris, vier
Stunden von Nazareth, wo sie ein Haus und dabei
ein Gut hatten. Sie besaßen aber auch Güter
in dem schönen Tal Zabulon, anderthalb Stunden
von Sephoris und drei von Nazareth. Annas Vater
war oft mit seiner Familie in der schönen Jahreszeit
im Tale Zabulon und zog nach dem Tode seiner
Ehefrau ganz dahin, wodurch die Berührung mit
den Eltern des heiligen Joachim, der Anna heiratete,
entstand. Joachims Vater hieß Matthat und war
der zweite Bruder von Jakob, dem Vater des heiligen
Joseph, der erste Bruder hieß Joses. Matthat
hatte sich im Tale Zabulon niedergelassen.
Ich sah Annas Vorfahren sehr fromm und andächtig
mit an der Bundeslade tragen und sah, daß sie
Strahlen aus dem Heiligtum derselben empfingen,
die sich auf ihre Nachkommenschaft, auf Anna
und die heilige Jungfrau Maria bezogen.
Annas Eltern waren reich. Ich sah dies an ihrer
großen Wirtschaft; sie hatten viele Ochsen,
aber sie hatten nichts für sich allein, sie
gaben alles den Armen. Ich habe Anna als Kind
gesehen. Sie war nicht besonders schön, aber
doch schöner als andere. So schön wie Maria
war sie bei weitem nicht, aber ungemein einfältig
und kindlich fromm; so habe ich sie allezeit
gesehen, auch als Jungfrau, als Mutter und als
altes Mütterchen; so daß, wenn ich eine recht
kindliche alte Bauersfrau sah, ich immer denken
mußte, die ist wie Anna. Sie hatte noch mehrere
Geschwister, Brüder und Schwestern, die wurden
verheiratet. Sie aber wollte noch nicht heiraten.
Ihre Eltern hatten sie besonders lieb. Sie hatte
wohl an sechs Freier, aber sie schlug sie aus.
Sie erhielt, da sie sich wie ihre Vorfahren
bei den Essenern Rats erholt hatte, die Weisung,
Joachim zu heiraten, den sie damals noch nicht
kannte, der aber, als ihr Vater Eliud in das
Tal Zabulon zog, wo Joachims Vater Matthat wohnte,
um sie freite.
Joachim war gar nicht schön. Der heilige Joseph,
wenngleich nicht jung, war gegen ihn ein sehr
schöner Mann. Joachim war von kleiner, breiter
und doch magerer Gestalt
10,
und ich muß lachen, wenn ich an seine Figur
denke, aber er war ein wunderbar frommer, heiliger
Mensch. Joachim war auch arm. Er war mit dem
heiligen Joseph verwandt, und zwar folgendermaßen.
10 Zum Beweis
des kindlich vertrauten, ganz unfeierlichen
Verkehrs der Seherin mit diesen ihr so heiligen
Personen führen wir hier an, daß sie sich in
der Erzählung des Ausdrucks bediente, „ein kleiner,
breiter und doch magerer Butzen“.
Josephs Großvater stammte aus David durch Salomon
und hieß Mathan. Er hatte einen Sohn Jakob und
einen Joses. Jakob war der Vater Josephs. Als
Mathan starb, heiratete seine Witwe einen zweiten
Mann Levi, der aus David durch Nathan stammte,
und von diesem Levi gebar sie Matthat, den Vater
Heli, denn so hieß auch Joachim.
Die Freierei war damals ganz einfach. Die Freier
waren ganz schüchtern und blöde. Man sprach
zusammen und dachte nichts bei dem Heiraten,
als es müsse so sein. Sagte die Braut ja, so
waren es die Eltern zufrieden, sagte sie nein
und hatte Gründe dazu, so war es auch recht.
War die Sache bei den Eltern richtig gemacht,
so geschah die Versprechung in der Synagoge
des Ortes. Der Priester betete an der heiligen
Stelle, wo die Gesetzrollen lagen, die Eltern
an dem gewöhnlichen Ort. Die Brautleute aber
gingen in einen Raum zusammen und beredeten
sich über ihre Verträge und Absichten; waren
sie einig, so sagten sie es den Eltern und diese
dem Priester, der sich nun nahte und die Erklärung
annahm. Am folgenden Tage wurden sie dann getraut;
das geschah mit allerlei Zeremonien unter freiem
Himmel.
Joachim und Anna wurden an einem kleinen Orte
getraut, wo nur eine geringe Schule war. Es
war nur ein Priester zugegen. Anna war etwa
19 Jahre alt. — Sie hausten bei Eliud, dem Vater
Annas. Dies Haus gehörte zu der Stadt Sephoris,
es lag aber eine Strecke davon ab, zwischen
einer Gruppe von Häusern, worunter es das größere
war. Hier lebten sie wohl mehrere Jahre. Sie
hatten beide etwas Ausgezeichnetes in ihrem
Wesen; sie waren zwar ganz jüdisch, aber es
war etwas in ihnen, was sie selbst nicht kannten,
ein wunderbarer Ernst. Ich habe sie selten lachen
gesehen, wenn sie gleich am Anfang ihrer Ehe
nicht eigentlich traurig waren. Sie hatten einen
stillen, gleichmäßigen Charakter und in ihrem
frischen Alter schon etwas von alten gesetzten
Leuten. Ich habe wohl in meiner Jugend schon
solche junge Paare gesehen, die sehr gesetzt
waren, und bei denen ich damals schon dachte,
die sind gerade wie Anna und Joachim.
Die Eltern waren wohlhabend, sie hatten viele
Herden, schöne Teppiche und Geschirre und viele
Knechte und Mägde; den Acker bauen habe ich
sie nicht gesehen, aber wohl Vieh treiben auf
der Weide. Sie waren sehr fromm, innig, wohltätig,
schlicht und recht. Sie teilten oft ihre Herden
und alles in drei Teile und gaben ein Drittel
des Viehs in den Tempel, und das trieben sie
selbst hin, wo es von Tempeldienern empfangen
wurde. Das zweite Drittel gaben sie den Armen
oder begehrenden Anverwandten, deren meistens
einige zugegen waren, die es wegtrieben. Das
letzte und gewöhnlich geringste Drittel behielten
sie für sich. Sie lebten sehr mäßig und gaben
alles hin, wo begehrt ward. — Da habe ich oft
schon als Kind gedacht:
„Geben reicht aus; wer gibt, erhält doppelt
wieder“; denn ich sah, daß ihr Drittel sich
immer wieder mehrte, und daß alles bald wieder
so vollauf war, daß sie wieder in drei Teile
teilen konnten. — Sie hatten viele Verwandte,
die bei allen feierlichen Gelegenheiten bei
ihnen versammelt waren; da sah ich dann nie
viel Schmauserei. Ich sah sie wohl in ihrem
Leben hie und da einem Armen Speise reichen,
aber eigentliche Gastmahle sah ich nie. — Wenn
sie zusammen waren, sah ich sie gewöhnlich im
Kreis an der Erde liegen und von Gott mit einer
großen Erwartung reden. Ich sah auch oft böse
Menschen aus ihrer Verwandtschaft dabei, welche
das mit Unwillen und Erbitterung ansahen, wenn
sie so voll Sehnsucht nach dem Himmel in ihren
Gesprächen emporblickten. Aber sie wollten diesen
Übelgesinnten doch wohl, versäumten bei keiner
Gelegenheit, sie zu sich zu bitten, und gaben
ihnen alles doppelt. Ich sah oft, daß diese
mit Unwillen und stürmend das begehrten, was
die guten Leute ihnen mit Liebe entgegenbrachten.
Es waren auch Arme in ihrer Familie, und ich
sah sie oft ein Schaf, auch mehrere hingeben.
Das erste Kind, welches Anna im Hause ihres
Vaters gebar, war eine Tochter, aber sie war
das Kind der Verheißung nicht. Die Zeichen,
welche geweissagt worden waren, traten nicht
ein bei ihrer Geburt, die mit einigen betrübten
Umständen verbunden war. Ich sah nämlich, daß
Anna, die gesegneten Leibes war, Kummer durch
ihr Gesinde hatte. Eine ihrer Mägde war durch
einen Verwandten Joachims zu Falle gekommen.
Anna sehr bestürzt, die strenge Zucht ihres
Hauses so verletzt zu sehen, verwies dieser
Magd ihren Fehler etwas streng, und diese nahm
sich ihr Unglück nun so zu Herzen, daß sie vor
der Zeit ein totes Kind gebar. Anna war hierüber
ganz untröstlich, sie fürchtete schuld daran
zu sein, und es folgte, daß auch sie zu früh
gebar. Ihre Tochter aber blieb am Leben. Weil
nun dieses Kind die Zeichen der Verheißung nicht
hatte und zu früh geboren war, so hielt Anna
dies für eine Strafe Gottes und war sehr betrübt,
denn sie glaubte sich versündigt zu haben. Dennoch
hatten sie eine herzliche Freude an dem neugeborenen
Töchterlein, das auch Maria genannt ward. Es
war ein ganz liebes, frommes und sanftes Kind,
und ich sah es immer etwas dick und stark heranwachsen.
Die Eltern hatten es auch sehr lieb, aber es
blieb doch eine gewisse Unruhe und Betrübnis
in ihnen, weil sie erkannten, daß es nicht die
von ihnen erwartete heilige Frucht ihrer Verbindung
sei.
Sie büßten daher lange und lebten in Enthaltung
voneinander; auch ward Anna unfruchtbar, was
sie stets für eine Folge ihrer Versündigung
ansahen und darum alle ihre guten Werke verdoppelten.
Ich sah sie oft in eifrigem Gebete abgesondert
und wie sie sich längere Zeit voneinander trennten,
Almosen gaben und Opfer zum Tempel sendeten.
So lebten sie bei dem Vater Eliud wohl sieben
Jahre, was ich an dem Alter des ersten Kindes
sehen konnte, als sie sich entschlossen, sich
von den Eltern zu trennen, und ihren Wohnsitz
in einem Haus und Feldgut aufzuschlagen, das
von Joachims Eltern ihnen in der Gegend von
Nazareth zugekommen war. Sie hatten die Absicht,
dort in der Einsamkeit ihr eheliches Leben ganz
von neuem zu beginnen und durch einen Gott noch
gefälligeren Wandel seinen Segen auf ihre Verbindung
herabzuziehen. Ich sah diesen Entschluß in der
Familie fassen und sah Annas Eltern die Ausstattung
ihrer Kinder zurüsten. Sie teilten die Herden
und sonderten für den neuen Haushalt Ochsen,
Esel und Schafe ab, welche viel größer als bei
uns zulande waren. Auf die Esel und Ochsen vor
der Tür wurden allerlei Geräte, Gefäße und Gewande
gepackt, und die guten Leute waren so geschickt,
alles aufzupacken, als die Tiere es zu empfangen
und fortzutragen. Wir können unsere Sachen kaum
so geschickt auf Wagen packen, wie diese Leute
es auf diese Tiere konnten. Sie hatten schönen
Hausrat, alle Gefäße waren zierlicher als jetzt,
es war, als hätte der Meister jedes mit anderer
Gesinnung und Liebe gemacht. Ich sah, wie sie
gebrechliche mit allerlei Bildwerk künstlich
geformte Krüge mit Moos ausgefüllt und umwickelt
und an beiden Enden eines Riemens befestigt,
den Tieren über den Rücken hängten, auf den
freien Rücken der Tiere aber allerlei Päcke
von bunten Decken und Gewand legten. Ich sah
auch, wie sie kostbare, mit Gold rohgestickte
Decken aufpackten, und daß die Ausziehenden
von den Eltern einen kleinen, schweren Klumpen
in einem Beutel empfingen, als sei es etwa ein
Stück edles Metall.
Als alles bereitet war, traten auch Knechte
und Mägde zu dem Zug und trieben die Herde und
Lasttiere vor sich hin nach der neuen Wohnung,
welche wohl 5—6 Stunden von da entlegen war.
Ich glaube, sie rührten von Joachims Eltern
her. — Nachdem Anna und Joachim von allen Freunden
und Dienern dankend und ermahnend Abschied genommen
hatten, verließen sie ihren bisherigen Aufenthalt
mit Rührung und guten Vorsätzen. Annas Mutter
lebte nicht mehr, aber ich sah doch, daß die
Eltern der beiden Eheleute sie nach ihrer neuen
Wohnung begleiteten. Vielleicht hatte Eliud
wieder geheiratet, oder es waren etwa von den
Eltern Joachims dabei. Maria Heli, Annas erstes
Töchterlein, ungefähr 6—7 Jahre alt, war auch
bei dem Zuge.
Die neue Wohnung lag sehr angenehm in einer
hügeligen Gegend, von Wiesen und Bäumen umgeben,
etwa anderthalb Stunden oder eine starke Stunde
gegen Abend von Nazareth, auf einer Höhe zwischen
dem Tal bei Nazareth und dem Tal Zabulon. Eine
mit einer Allee von Terebinthen besetzte Schlucht
führte von dem Hause gegen Nazareth zu. Vor
dem Hause lag ein geschlossener Hofraum, sein
Boden schien mir nackter Felsengrund. Er war
von einer niederen Felsen- oder rohen Steinmauer
und hinter oder auf dieser von einem lebendigen
Flechtzaun umgeben. An einer Seite dieses Hofes
befanden sich leichtere kleine Gebäude für das
Gesinde und zur Aufbewahrung von mancherlei
Gerätschaften, auch war ein offener Schoppen
dort errichtet, um Vieh und Lasttiere da einzustellen.
Es lagen mehrere Gärten umher, und in einem
solchen Gartenraum nahe bei dem Hause stand
ein großer Baum von eigentümlicher Art. Seine
Zweige senkten sich zur Erde nieder, wurzelten
und trieben wieder Bäume empor, die ebenso taten,
wodurch ein ganzer Kreis von Lauben gebildet
ward.
Die Türe in der Mitte des ziemlich großen Hauses
drehte sich in Angeln. Das Innere war wohl von
dem Umfange einer mittleren Dorfkirche und durch
viele mehr oder weniger beweglich geflochtene
Wände, die nicht bis zur Decke empor reichten,
in die verschiedenen Wohnräume eingeteilt. Durch
die Haustüre trat man in den ersten Teil des
Hauses, einen großen Vorsaal, der die ganze
Breite einnahm, und zu Festmahlzeiten gebraucht
oder auch nach Bedürfnis bei vielen Gästen durch
leichte bewegliche Schirmwände in viele kleine
Schlafräume abgezeltet ward. Der Haustüre gegenüber
trat man durch eine leichte Türe in der Mitte
der Rückwand dieser Vorhalle in den mittleren
Teil des Hauses, und zwar in einen Gang, welcher
zwischen vier Schlafkammern zur Rechten und
vier zur Linken dieses Hausteils hinlief. Diese
Kammern waren auch von etwas mehr als mannshohen
leichten Flechtwänden gebildet, die oben in
offenem Gitterwerk endeten. Von hier führte
der Gang in den dritten oder hinteren Teil des
Hauses, welcher nicht viereckig, sondern nach
der Gestalt des Hauses wie der Chor einer Kirche
halbrund oder in einem Winkel endete. In der
Mitte dieses Raumes, dem Eingange gegenüber,
stieg eine Feuermauer bis zur Rauchöffnung oben
in der Decke des Hauses empor; am Fuße dieser
Mauer befand sich die Feuerstelle, wo gekocht
wurde. Vor der Feuerstelle hing eine fünfarmige
Lampe von der Decke nieder. Der Raum zur Seite
der Feuerstelle und hinter derselben war in
mehrere größere Kammern durch leichte Wände
abgezeltet. Hinter dem Herde waren durch mehrere
Teppichwände die Schlafstellen, der Betwinkel,
der Speiseraum und Arbeitsraum der Familie abgeteilt.
Hinter den schönen Obstgärten bei dem Hause
lagen Felder, dann ein Wald und hinter diesem
ein Berg.
Als die Reisenden in dem Hause zusammen ankamen,
fanden sie schon alles an Ort und Stelle und
ganz eingerichtet, denn die alten Leute hatten
vorher hingeschickt und alles ordnen lassen.
Die Knechte und Mägde hatten alles so schön
und ordentlich abgepackt und an seinen Ort gebracht,
wie sie es beim Aufpacken getan hatten, denn
sie waren so hilfreich und taten alles so still
und verständig vor sich hin, daß man ihnen nicht
immer, wie heutzutage, alles einzelne befehlen
mußte. So war dann bald alles in Ruhe, und nachdem
die Eltern sie in das neue Haus eingewiesen
hatten, nahmen sie nebst dem Töchterchen Annas,
das mit seinen Großeltern zurückzog, von Anna
und Joachim mit Segen und Umarmung Abschied
und begaben sich auf den Heimweg. Ich sah diese
Leute bei solchen Besuchen und ähnlichen Gelegenheiten
nie schmausen, sie lagen zwar oft im Kreise
und hatten ein paar Schüsselchen und kleine
Krüge vor sich auf dem Teppich, aber sie redeten
meist von göttlichen Dingen und heiligen Erwartungen.
Hier sah ich nun die heiligen Leute ein ganz
neues Leben anfangen. Sie wollten alles Vorhergegangene
Gott aufopfern und nun ganz denken, als kämen
sie jetzt erst zusammen, und so strebten sie
dann nun, durch ein Gott wohlgefälliges Leben
jenen Segen auf sich herabzuflehen, nach welchem
allein sie so heiß verlangten. Ich sah sie beide
unter ihre Herden gehen und diese in drei Teilen,
wie ich oben von ihren Eltern gesagt, zwischen
dem Tempel, den Armen und sich verteilen. Das
beste auserlesene Teil ließen sie zum Tempel
treiben, ein gutes Drittel empfingen die Armen;
den schlechtesten Teil aber behielten sie für
sich selbst, und so taten sie mit allem dem
Ihrigen. Ihr Haus war ziemlich geräumig, sie
lebten und schliefen in abgesonderten Kämmerchen,
wo ich sie sehr oft, jedes allein mit großer
Innigkeit beten sah. Ich sah sie lange Zeit
so leben, sie gaben große Almosen; und sooft
ich sie auch ihre Herden und Habe teilen sah,
mehrte sich doch alles schnell wieder. Sie lebten
sehr mäßig in Abbruch und Enthaltung. Ich sah
sie wohl auch bei dem Gebet Bußkleider anlegen,
und oft sah ich Joachim fern bei seinen Herden
auf der Weide zu Gott flehend.
In solchem ernsten Wandel vor Gott lebten sie
19 Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes
in beständiger Sehnsucht nach dem Segen der
Fruchtbarkeit, und ihre Betrübnis ward immer
größer. Ich sah auch böse Leute aus der Gegend
zu ihnen kommen und sie schmähen:
„Sie müßten schlechte Leute sein, weil sie keine
Kinder bekämen, und das Töchterchen bei Annas
Eltern sei ihr Kind nicht, Anna sei unfruchtbar,
sie habe jenes Kind unterschoben, sonst hätte
sie es bei sich usw.“, über welche Reden die
guten Leute immer wieder von neuem niedergedrückt
wurden.
Anna hatte den festen Glauben und die innere
Gewißheit, die Ankunft des Messias sei nah,
und sie stehe unter seinen menschlichen Verwandten.
Sie flehte und schrie nach der Erfüllung der
Verheißung und strebte mit Joachim fortwährend
nach höherer Reinheit. Die Schmach der Unfruchtbarkeit
betrübte sie tief. Sie durfte sich kaum mehr
ungekränkt in der Synagoge sehen lassen. Joachim,
wenngleich klein und mager, war dennoch rüstig,
und ich sah ihn häufig mit Opfervieh nach Jerusalem
ziehen. Anna war auch nicht groß und sehr zart
von Gestalt. Sie zehrte auch durch den Kummer
dermaßen ab, daß ihre Wangen ganz einfielen,
wenn sie gleich eine gewisse Röte behielten.
Sie fuhren fort, von Zeit zu Zeit ihre Herden
mit dem Tempel und den Armen zu teilen, und
der Teil, den sie für sich zurückbehielten,
ward immer geringer.
JOACHIM AM TEMPEL VERSCHMÄHT, ZIEHT ZU SEINEN
HERDEN
Nachdem sie nun so viele Jahre vergebens um
den Segen Gottes in ihrer Ehe gefleht hatten,
sah ich, daß Joachim wieder ein Opfer zum Tempel
bringen wollte. Sie bereiteten sich beide durch
Bußübungen vor. Ich sah sie in Bußkleidern gegürtet
nachts betend an der harten Erde liegen; dann
zog Joachim bei Tagesanbruch über Land in die
Weidegegenden zu seinen Herden, und Anna blieb
allein zurück. — Bald hierauf sah ich, daß Anna
ihm Tauben, andere Vögel und noch mancherlei
Gegenstände in Käfigen und Körben durch Knechte
nachsendete, was er alles am Tempel opfern wollte.
Er nahm zwei Esel von seiner Weide und belastete
sie mit diesen und anderen Körben, in welche
er, ich glaube drei kleine, weiße, lustige Tiere
mit langen Hälsen tat. Ich weiß nicht mehr,
ob es Lämmer oder Ziegenböckchen waren. Er hatte
eine Leuchte auf einem Stabe bei sich, die wie
ein Licht in einem hohlen Kürbis schimmerte,
— So sah ich ihn mit seinen Knechten und Lasttieren
auf einem schönen, grünen Felde zwischen Bethanien
und Jerusalem, auf welchem ich später Jesus
oft verweilen sah, angelangt. — Sie zogen hinauf
zum Tempel und stellten ihre Esel in dieselbe
Tempelherberge, nahe bei dem Viehmarkte ein,
in die sie später bei Marias Opferung einkehrten.
Sie brachten hierauf die Opfergaben die Treppe
hinauf und gingen durch Wohnräume der Tempeldiener
wie damals
11.
Hier gingen Joachims Knechte, nachdem man ihnen
die Opfer abgenommen hatte, zurück.
11 Der Leser
möge sich nicht daran stören, wenn sich die
Erzählerin hier und überhaupt ferner auf Ereignisse
bezieht, welche der Geschichte nach noch nicht
eingetreten sein könnten. Er möge bedenken,
daß die Anschauungen aus der Geschichte der
heiligen Jungfrau, welche hier in historischer
Folge zusammengestellt sind, der Erzählenden
jährlich an den bezüglichen Kirchenfesten verliehen
wurden; wenn sie nun im Juli und August 1821
um die Zeit des St.-Anna- und Joachims-Festes
ihre Betrachtungen von dem Leben der Eltern
der heiligen Jungfrau erzählt, so erwähnt sie,
um sich verständlicher zu machen, etwas, was
sie in früheren Jahren im November am Feste
Mariä Opferung schon gesehen.
Joachim aber ging in die Halle wo sich das Wasserbecken
befand und die Opfer alle gewaschen wurden.
Hierauf ging er durch einen langen Gang in eine
Halle zur Linken des Raumes, in welchem der
Rauchopferaltar, der Tisch der Schaubrote und
der siebenarmige Leuchter standen. -— Hier,
wo noch mehrere Opfernde versammelt waren, ward
Joachim auf das äußerste geprüft. Ich sah, daß
Rüben, ein Priester, seine Opfergaben verschmähte
und sie nicht zu den anderen an der rechten
Seite der Halle hinter Gittern sichtbar aufstellte,
sondern beiseite schob. Er schmähte den armen
Joachim laut vor den Anwesenden wegen seiner
Unfruchtbarkeit, ließ ihn nicht herzu und wies
ihn in einen beschimpfenden, vergitterten Winkel.
Ich sah hierauf, wie Joachim in höchster Betrübnis
den Tempel verließ und über Bethanien in die
Gegend von Machärus in ein Versammlungshaus
der Essener ging, um sich Trost und Rat zu holen.
— In demselben Hause und früher in jenem bei
Bethlehem hat jener Prophet Manachem gelebt,
der dem Herodes in seiner Jugend das Königtum
und seine großen Verbrechen weissagte. — Joachim
begab sich von dort zu seinen entferntesten
Herden an dem Berg Hermon. Sein Weg führte ihn
durch die Wüste Gaddi über den Jordan. — Der
Hermon ist ein langer, schmaler Berg, den, wenn
er an der Sonnenseite ganz grün und voll der
reichsten Obstbäume ist, an der entgegengesetzten
Seite Schnee bedeckt.
ANNA EMPFÄNGT DIE VERHEISSUNG DER FRUCHTBARKEIT
UND REIST ZUM TEMPEL
Joachim war durch seine Verschmähung am Tempel
so traurig und beschämt, daß er Anna gar nicht
sagen ließ, wo er sich aufhielt. Sie erfuhr
aber von anderen Leuten, welche zugegen gewesen
waren, die Kränkung, die Joachim erlitten, und
ihre Betrübnis war unbeschreiblich. Ich sah
sie oft weinend mit dem Angesichte auf der Erde
liegen, weil sie nun gar nicht wußte, wo Joachim
war, der wohl an fünf Monate bei seinen Herden
am Hermon versteckt blieb.
Anna litt gegen das Ende dieser Zeit noch mehr
durch die Unart einer ihrer Mägde, welche ihr
ihr Leiden oft vorrückte. Einstens aber, es
war am Anfang des Laubhüttenfestes, da diese
Magd auswärts auf dies Fest zu gehen verlangte,
was ihr Anna, durch die Verführung ihrer früheren
Dienerin gewarnt, als eine wachsame Hausmutter
versagte, warf ihr diese Magd ihre Unfruchtbarkeit
und Verlassenheit von Joachim als eine Strafe
Gottes für ihre Härte so heftig vor, daß sie
dieselbe nicht mehr in ihrem Hause dulden mochte.
Sie sendete sie mit Geschenken, von zwei Knechten
begleitet, ihren Eltern mit der Erklärung zurück,
sie möchten ihre Tochter aus ihrem Hause wieder
so annehmen, wie sie dieselbe ihr übergeben
hätten, denn sie vermöge sie nicht länger zu
verwahren.
Als Anna ihre Magd weg gesendet hatte, ging
sie traurig in ihre Kammer und betete. Am Abend
aber warf sie ein großes Tuch über das Haupt
und hüllte sich ganz darin ein und ging mit
einem verdeckten Lichte zu dem bereits früher
erwähnten großen Baum ihres Hofraumes, welcher
eine Laubhütte bildete, und zündete eine Lampe
an, die in einer Art Kasten an diesem Baume
hing, und betete aus einer Gebetsrolle. - Dieser
Baum war sehr groß, es waren Sitze und Lauben
darin angebracht, er senkte seine Zweige über
die Mauer wieder in die Erde nieder, wo sie
wieder wurzelten und aufschössen und sich abermals
zur Erde wurzelnd senkten und wieder aufschössen,
wodurch eine ganze Reihe von Lauben gebildet
ward. - Dieser Baum hat die Art des Baumes der
verbotenen Frucht im Paradies. Die Früchte hängen
meistens zu fünfen um die Spitze der Zweige
herum. Sie sind birnförmig, inwendig fleischig,
blutfärbig geädert und haben in der Mitte einen
hohlen Raum, um welchen die Kerne in dem Fleische
sitzen. Die Blätter sind sehr groß, und ich
meine solche, mit welchen sich Adam und Eva
im Paradiese bedeckten. Die Juden gebrauchten
die Blätter besonders bei dem Laubhüttenfest,
um die Wände zu schmücken, weil sie sich, schuppenförmig
gelegt, sehr bequem mit ihren Rändern ineinander
fügen.
Anna schrie unter diesem Baume lange Zeit zu
Gott, wenn er auch ihren Leib verschlossen habe,
so möge er doch ihren frommen Gefährten Joachim
nicht von ihr entfernt halten. - Siehe, da erschien
ihr ein Engel Gottes, er trat wie aus der Höhe
des Baumes vor sie nieder und sprach zu ihr,
sie möge ihr Herz beruhigen, der Herr habe ihr
Gebet erhört; sie solle am folgenden Morgen
mit zwei Mägden zum Tempel reisen und Tauben
zum Opfer mitnehmen. Auch Joachims Gebet sei
erhört, er ziehe mit seinem Opfer auch zum Tempel,
sie werde mit ihm unter der goldenen Pforte
zusammentreffen. Joachims Opfer werde angenommen,
sie beide würden gesegnet werden; bald solle
sie den Namen ihres Kindes erkennen. Er sagte
ihr auch, daß er ihrem Manne gleiche Botschaft
gebracht habe, und verschwand hierauf.
Anna voll Freude dankte dem barmherzigen Gott.
Sie kehrte nun in das Haus zurück und ordnete
mit ihren Mägden das Nötige, um am folgenden
Morgen zum Tempel zu reisen. - Ich sah hierauf,
wie sie sich zu schlafen niederlegte, nachdem
sie gebetet hatte. Ihr Lager bestand aus einer
schmalen Decke und einem Wulst unter dem Kopfe.
Morgens ward die Decke zusammengerollt. Sie
legte ihre Oberkleider ab, hüllte sich vom Kopf
bis zu den Füßen in ein weites Tuch ein und
legte sich gerade ausgestreckt auf die rechte
Seite gegen die Wand ihres Kämmerchens, längs
welcher ihr Bett stand.
Nachdem Anna kurze Zeit geschlafen hatte, sah
ich einen Lichtglanz von oben zu ihr niederdringen,
der sich neben ihrem Lager in die Gestalt eines
leuchtenden Jünglings zusammenzog. Es war der
Engel des Herrn, der ihr sagte, sie werde ein
heiliges Kind empfangen, und die Hand über sie
ausstreckend, große leuchtende Buchstaben an
die Wand schrieb. Es war der Name Maria. Der
Engel verschwand nun wieder, indem er sich in
Licht auflöste. Anna war währenddem wie in einer
innerlichen freudigen Traumbewegung, sie richtete
sich halberwacht auf ihrem Lager auf, betete
mit großer Innigkeit und sank wieder ohne klares
Bewußtsein in den Schlaf. - Nach Mitternacht
aber erwachte sie freudig wie durch eine innere
Anmutung, und nun sah sie mit Schrecken und
Freude die Schrift an der Wand. Es waren wie
rote, goldene, leuchtende Buchstaben, groß und
nicht viele; aber sie schaute sie mit unbeschreiblicher
Freude und Zerknirschung an, bis sie bei Tagesanbruch
erloschen. Sie sah es so klar, und ihre Freude
wuchs dermaßen, daß sie ganz verjüngt aussah,
als sie aufstand.
In dem Augenblick, als das Licht des Engels
mit Gnade über Anna gekommen war, sah ich unter
ihrem Herzen einen Glanz und erkannte in ihrer
Person die auserwählte Mutter, das erleuchtete
Gefäß der nahenden Gnade. Ich kann, was ich
in ihr erkannte, nur mit dem Ausdruck bezeichnen,
ich erkannte in ihr eine gesegnete Mutter, welcher
eine Wiege geschmückt, ein Bettchen gedeckt,
ein Tabernakel erschlossen ist, um ein Heiligtum
würdig zu empfangen und zu bewahren. Ich sah,
daß Anna durch Gottes Gnade dem Segen erschlossen
war. - Wie wunderbar ich das erkannte, ist unaussprechlich,
denn ich erkannte Anna als die Wiege alles menschlichen
Heils und zugleich als einen erschlossenen kirchlichen
Behälter, vor welchem der Vorhang zurückgezogen
war, und ich erkannte dieses auch natürlich,
und alle diese Erkenntnis war eins und zugleich
natürlich und heilig. - Anna war damals, wie
ich meine, 43 Jahre alt.
Anna stand nun auf, zündete die Lampe an, betete
und trat die Reise nach Jerusalem mit ihren
Opfergaben an. Alle ihre Hausgenossen waren
am Morgen von einer wunderbaren Freudigkeit
durchdrungen, wenngleich nur sie allein von
der Erscheinung des Engels wußte.
JOACHIM,
VOM ENGEL GETRÖSTET, OPFERT WIEDER AM TEMPEL
Ich sah um dieselbe Zeit Joachim bei seinen
Herden am Berge Hermon über dem Jordan in stetem
Gebete zu Gott um Erhörung flehen. -Wenn er
die jungen Lämmer so fröhlich blökend um ihre
Mütter springen sah, wurde er gar sehr betrübt,
daß er keine Kinder hatte. Doch sagte er seinen
Hirten die Ursache seiner Trauer nicht. -Es
war aber um die Zeit des Laubhüttenfestes, und
er errichtete mit seinen Hirten schon die Laubhütten.
-Da er nun betete und verzagte, wie gewöhnlich
zu dem Fest nach Jerusalem opfern zu gehen,
weil er seiner Verschmähung dort gedachte, sah
ich den Engel ihm erscheinen, der ihm befahl,
getröstet zum Tempel zu reisen, sein Opfer werde
angenommen und sein Gebet erhört werden. Er
werde mit seinem Weibe unter der goldenen Pforte
zusammenkommen. -Ich sah nun Joachim ganz freudig
seine Herden -o wie vieles und schönes Vieh
hatte er! - abermals in drei Teile teilen. Den
geringsten behielt er für sich, den besseren
sendete er den Essenern, und den schönsten Teil
führte er mit seinen Knechten zum Tempel. Er
kam am vierten Tage des Festes in Jerusalem
an und kehrte wie früher am Tempel ein.
Anna kam auch am vierten Tage des Festes in
Jerusalem an und wohnte bei den Verwandten des
Zacharias am Fischmarkte. Sie traf erst am Ende
des Festes mit Joachim zusammen.
Ich sah aber, daß, obwohl Joachims Opfer das
letztemal auf ein höheres Zeichen nicht angenommen
worden war, dennoch der Priester, der ihn so
hart dabei anließ, statt ihn zu trösten, deswegen,
ich weiß nicht mehr, in welche göttliche Strafe
fiel.
Jetzt aber hatten die Priester eine höhere Mahnung,
seine Opfer anzunehmen, und ich sah einige,
als er seine Ankunft mit den Opfertieren gemeldet
hatte, ihm vor dem Tempel entgegentreten und
seine Gaben empfangen. -Das Vieh, das er zum
Geschenke an den Tempel brachte, war nicht sein
eigentliches Opfer. Sein Opfer zum Schlachten
bestand in zwei Lämmern und drei lustigen Tierchen,
ich glaube Böckchen. Auch sah ich, daß ihm viele
Männer, die ihn kannten, Glück wünschten, da
sein Opfer angenommen ward.
Im Tempel sah ich des Festes wegen alles geöffnet
und mit Laub- und Fruchtgewinden umzogen, auch
an einem Orte über acht freistehenden Säulen
eine Laubhütte errichtet. -Joachim machte ganz
dieselben Wege im Tempel wie das vorige Mal.
Sein Opfer ward auf der gewöhnlichen Stelle
geschlachtet und verbrannt. Etwas davon wurde
jedoch an einer anderen Stelle verbrannt, ich
meine zur Rechten jener Vorhalle, in welcher
der große Lehrstuhl stand
12.
-Ich sah aber die Priester im Heiligen ein Rauchopfer
halten. Es wurden auch Lampen angezündet, und
es brannte Licht auf dem siebenarmigen Leuchter,
aber nicht auf allen sieben Armen zugleich.
Ich habe oft gesehen, daß bei verschiedenen
Gelegenheiten verschiedene Arme des Leuchters
erleuchtet wurden.
12
Diese Anführung
bestätigt sich aus folgender Note: Nach der
jüdischen Überlieferung wurden selbst bei den
Brandopfern mehrere Teile, namentlich der Nervus
femoris, die Sehne der Hüfte, welche im Kampfe
Jakobs mit dem Engel von diesem berührt verdorrte
(statim emarcuit. Gen 32,25) nicht auf dem Altare,
sondern neben demselben gegen Osten hin, auf
dem sogenannten Aschenhaufen verbrannt. (Siehe
auch Gen 32,32.)
Als das Rauchopfer emporstieg, sah ich wie einen
Lichtstrahl auf den opfernden Priester im Heiligen
und zugleich auf Joachim draußen in der Halle
kommen. Es entstand ein Stillstand in der Handlung
wie durch Staunen und übernatürliche Erkenntnis.
-Ich sah nun, daß zwei Priester, wie auf göttlichen
Befehl, hinaus zu Joachim in die Halle gingen
und ihn durch den Weg der Seitenkammern in das
Heilige zu dem goldenen Rauchopferaltare führten.
Nun legte der Priester etwas auf den Rauchaltar.
Ich erkannte dieses nicht als getrennte Weihrauchkörner,
ich sah es wie einen zusammenhängenden Klumpen
und weiß jetzt nicht mehr, woraus dieser bestand
13.
Diese Masse verzehrte sich mit großem Rauch-
und Wohlgeruch auf dem goldenen Rauchaltar vor
dem Vorhang des Allerheiligsten. Ich sah aber
nun den Priester das Heiligste verlassen, worin
Joachim allein zurück blieb.
Während das Rauchopfer sich verzehrte, sah ich
Joachim entzückt mit ausgebreiteten Armen auf
den Knien liegen. Ich sah zu ihm, wie später
zu Zacharias bei der Verheißung des Täufers,
eine leuchtende Gestalt, einen Engel, eintreten.
Er sprach zu ihm und gab ihm einen Zettel, auf
welchem ich, in leuchtenden Buchstaben geschrieben,
die drei Namen erkannte, Helia, Hanna, Mirjam
14
Und bei diesem letzten Namen sah ich das Bild
einer kleinen Bundeslade oder eines Sakramentshäuschens.
Er befestigte diesen Zettel unter sein Gewand
auf die Brust. Der Engel sagte zu ihm, seine
Unfruchtbarkeit sei ihm keine Schande, sondern
ein Ruhm, denn was sein Weib empfangen werde,
solle die unbefleckte Frucht aus Gottes Segen
durch ihn, solle der Gipfel des Segens Abrahams
sein.
Als Joachim dieses nicht fassen konnte, führte
ihn der Engel hinter den Vorhang, welcher von
dem Gitter des Allerheiligsten noch so weit
entfernt war, daß man dort stehen konnte, und
ich sah den Engel mit der Bundeslade nahen,
und er schien mir etwas aus ihr zu entnehmen.
Ich sah nun, als halte er dem Joachim eine leuchtende
Kugel oder einen Lichtkreis vor und befehle
ihm, hineinzuhauchen und zu schauen
15.
Ich sah aber, als entstünden unter dem Hauche
Joachims allerlei Bilder in dem Lichtkreise,
und er sehe sie, und sein Hauch habe den Kreis
nicht getrübt, und der Engel sage ihm, ebenso
rein wie diese Kugel von seinem Hauche geblieben,
werde das Kind Annas empfangen werden.
13
Ohne Zweifel
war dieses eine zusammengeschmolzene Mischung
jener Ingredienzien, welche nach der jüdischen
Gesetzesüberlieferung zum täglichen Rauchopfer
gehörten, als Myrrhe, Kassia, Narde, Safran,
wohlriechender Kalmus, Zimt, Costus, Stakte,
Zipporen (Seenelke), Galbanum und Weihrauch,
verbunden mit reinem Salze.
14 Anfangs
wußte der Schreiber nicht, daß diese drei Namen
nur andere Formen für Joachim, Anna und Maria
seien. Als er später dieses erfuhr, wurde ihm
die von der Erzählerin mitgeteilte Aussprache
mit ein rührender Beweis, wie unmittelbar sie
angeschaut habe.
15 „Ich dachte
noch, als er ihm den Lichtkreis so nahe vor
das Gesicht hielt, an einen Gebrauch bei unseren
Hochzeiten auf dem Lande, wo einen der Küster
einen auf ein Brettchen gemalten Kopf küssen
läßt, wobei man vierzehn Pfennige bezahlen muß."
(Worte der A. K. Emmerich)
Ich sah hierauf, als hebe der Engel die Lichtkugel
empor, und sie stand nun wie ein Umfang in der
Luft, und ich sah wie durch eine Öffnung in
ihr eine zusammenhängende Reihe von Bildern
vom Falle bis zur Erlösung der Menschheit. Es
ging eine ganze Welt in ihr wachsend auseinander.
Ich wußte und erkannte alles, kann es aber im
einzelnen nicht mehr wiederbringen. Oben im
höchsten Gipfel sah ich die heilige Dreifaltigkeit,
unter ihr zu einer Seite das Paradies. Adam
und Eva, den Sündenfall, die Verheißung der
Erlösung, alle Vorbilder derselben, Noah, die
Sintflut, die Arche, den Empfang des Segens
durch Abraham, die Übergabe des Segens an den
Erstgeborenen von Abraham an Isaak, von Isaak
an Jakob, dann, wie er Jakob durch den Engel
genommen wurde, mit welchem er rang, hierauf
wie der Segen an Joseph in Ägypten kam und in
ihm und seinem Weibe in einen höheren Grad der
Würde trat, dann wie mit Reliquien Josephs und
Asnaths, seines Weibes durch Moses das Heiligtum
des Segens aus Ägypten entführt, das Allerheiligste
der Bundeslade, der Sitz des lebendigen Gottes
unter seinem Volke ward; dann den Dienst und
Wandel des Volkes Gottes um das Heiligtum, die
Führungen und Verbindungen zur Entwicklung des
heiligen Geschlechtes, des Stammes der heiligen
Jungfrau und alle ihre und des Heilands Vorbilder
und Sinnbilder in der Geschichte und den Propheten.
-Alles dieses sah ich in Sinnbildern ringsherum
und auch von unten nach oben in dem Lichtkreis.
-Ich sah große Städte, Türme, Paläste, Throne,
Tore, Gärten, Blumen und alle diese Bilder wie
mit Lichtbrücken untereinander wunderbar verbunden;
und alle waren angefochten und bestürmt von
grimmigen Tieren und anderen gewaltigen Erscheinungen.
-Alle diese Bilder stellten vor, wie der Stamm
der heiligen Jungfrau, aus welcher Gott Fleisch
annehmen und Mensch werden wollte, gleich allen
Heiligen von Gottes Gnade durch viele Anfechtungen
und Kämpfe geführt worden ist. -Ich erinnere
mich auch an einem gewissen Punkte dieser Bilderreihe
einen Garten gesehen zu haben, der rings von
einer dichten Dornenhecke umschlossen war, welche
eine Menge von Schlangen und anderen ekelhaften
Tieren vergebens zu durchdringen strebten. -Auch
sah ich einen festen Turm von allen Seiten durch
Kriegsleute bestürmt, die von ihm abstürzten.
-Ich sah viele Bilder dieser Art, welche sich
auf die Geschichte der heiligen Jungfrau in
ihren Voreltern bezogen; und die Übergänge und
Brücken, die alles verbanden, bedeuteten den
Sieg über Störungen, Hindernisse und Unterbrechungen
des Heils.
Es war, als sei ein reines Fleisch, ein reinstes
Blut durch das Erbarmen Gottes in die Menschheit
wie in einen getrübten Strom gegeben und müsse
mit großer Mühseligkeit und Arbeit sich aus
seinen zerstreuten Elementen wieder finden,
während der ganze Strom es an sich zu reißen
und zu trüben strebte, und endlich habe es sich
durch unzählige Gnaden Gottes und treue Mitwirkungen
der Menschen nach vielen Trübungen und Reinigungen
in dem sich immer neu ergießenden Strome gefunden
und steige nun als die heilige Jungfrau aus
dem Strome hervor, aus welcher das Wort Fleisch
geworden ist und unter uns gewohnt hat.
Es waren unter den Bildern, die ich in der Lichtkugel
sah, viele, welche auch in der lauretanischen
Litanei von der heiligen Jungfrau ausgesprochen
sind und die ich immer sehe und verstehe und
mit tiefer Andacht verehre, wenn ich diese Litanei
bete. -Es entwickelten sich aber die Bilder
in der Kugel noch weiter bis zur Erfüllung aller
Barmherzigkeit Gottes gegen die in unendliche
Zerspaltung und Zerstreuung gefallene Menschheit,
und es schlossen sich die Bilder in der Lichtkugel
an der anderen Seite dem Paradies gegenüber
mit dem himmlischen Jerusalem
16
zu Füßen des Thrones Gottes. -Als ich alle diese
Bilder gesehen hatte, verschwand die Lichtkugel,
die eigentlich nichts war als die in einem Lichtkreis
von einem Punkte aus und in ihn wieder eingehende
Bilderfolge. -Ich meine, das Ganze war eine
Erkenntnis, welche dem Joachim von den Engeln
in einer Vision eröffnet ward und die ich nun
auch sah. Immer, wenn ich eine solche Mitteilung
sehe, erscheint sie in einem Lichtkreise wie
in einer Kugel.
16 Die selige
Maria Jesu, Oberin der Franziskanerinnen zu
Agreda, erzählt in ihren Gesichten vom Leben
der heiligen Jungfrau Maria, wie ihr das neue
oder himmlische Jerusalem (Offb 21,2.9) nur
als die heilige Jungfrau selbst erklärt ward.
(Siehe heilige Stadt Gottes, 1. Teil, XVII.
Kap. § 248 und XVIII. Kap. § 263 usw. Augsburg
und Dillingen bei Bencard 1718.) — Chrysostomus
in der Rede auf das Fest der Verkündigung führt
Gott zu dem Engel Gabriel sprechend an: „Gehe
hin zu der beseelten Stadt, von welcher der
Prophet spricht: Herrliches wird von dir gesagt,
o Stadt Gottes (Ps 86,3). — Georgius, Bischof
von Nikomedien (7. Jahrhundert), nennt in seiner
Rede auf Maria Opferung die heilige Jungfrau
die beseelte Stadt Gottes usw. — In dem kleinen
Offizium der allerseligsten Jungfrau heißt die
Antiphon zu Psalm 86, sicut laetantium omnium
nostrum habitatio est in te sancta Dei genitrix,
da doch dieser Vers an und für sich auf Jerusalem
geht usw.
JOACHIM EMPFÄNGT DEN SEGEN DER BUNDESLADE
Ich sah nun, daß der Engel die Stirne Joachims
mit der Spitze seines Daumens und Zeigefingers
bezeichnete oder salbte, und daß er ihm einen
leuchtenden Bissen zu essen und eine lichte
Flüssigkeit aus einem schimmernden Becherchen
zu trinken gab, das er mit zwei Fingern faßte.
Es war von der Gestalt des Abendmahlkelches,
jedoch ohne Fuß. -Diese Speisung erschien mir
auch, als gebe er ihm eine kleine lichte Weizenähre
und ein Lichtträubchen in den Mund, und ich
erkannte, daß hierauf alle sündliche Lust und
Unreinheit von Joachim verschwunden sei.
Ich sah hierauf, daß der Engel den Joachim des
höchsten Gipfels, der heiligsten Blüte jenes
Segens teilhaftig machte, den Gott dem Abraham
gegeben und der endlich aus Joseph das Heiligtum
der Bundeslade, der Sitz Gottes unter seinem
Volke geworden war; er gab dem Joachim diesen
Segen, in derselben Weise, wie mir bei anderer
Gelegenheit gezeigt ward, daß Abraham durch
einen Engel den Segen empfing, nur mit der Abweichung,
daß der segnende Engel bei Abraham den Segen
aus sich selbst, gleichsam aus seiner Brust,
bei Joachim aber aus dem Allerheiligsten zu
nehmen schien
17
.
Es war bei der Segnung Abrahams, als setze Gott
die Gnade dieses Segens ein und segne den Vater
seines künftigen Volkes mit diesem Segen, auf
daß die Steine zum Bau seines Tempels aus ihm
hervorgehen möchten. - Als Joachim aber den
Segen empfing, war es, als nehme der Engel das
Heiligtum des Segens aus dem Tabernakel dieses
Tempels und übergebe es einem Priester, auf
daß das heilige Gefäß aus ihm gebildet werde,
in welchem das Wort Fleisch werden solle. -
Es ist dieses unaussprechlich, weil es das unverletzte
Allerheiligste ist, das durch den Sündenfall
im Menschen verletzt worden ist.
17
Die Erzählerin,
welche in der Mitteilung ihrer vielfältigen
Anschauungen aus dem Alten Testamente oft mit
großem Detail von der Bundeslade gesprochen,
hat nie gesagt, daß nach der Babylonischen Gefangenschaft
im wiederhergestellten Tempel oder später in
dem Tempel, den Herodes erneuert, die erste
Bundeslade mit ihrem ganzen Inhalte wieder gewesen.
Jedoch hat sie wohl erwähnt, daß im Allerheiligsten
des Tempels eine erneute Lade gewesen, in welcher
noch einige Reste der Heiligtümer der ersten
Bundeslade bewahrt werden, von welchen sie manches
in Besitz und Verehrung der Essener gekommen
sah.
Ich habe seit meiner frühesten Jugend in meinen
vielen Betrachtungen aus dem Alten Testament
gar oft in die Bundeslade gesehen und habe dabei
immer alles wie in einer vollkommenen Kirche,
nur ernster und schauerlicher, gefühlt. Ich
sah nicht nur die Gesetztafeln gleich dem geschriebenen
Worte Gottes darin, sondern auch eine sakramentalische
Gegenwart des lebendigen Gottes
18
und es war diese gleichsam wie die Wurzel von
Wein und Weizen, von Fleisch und Blut des zukünftigen
Opfers der Erlösung. Es war ein Segen, aus dessen
Gnade unter gottesfürchtiger Mitwirkung nach
dem Gesetz jener Stamm hervor gewachsen, dem
endlich die reine Blume entsprossen ist, in
welcher das Wort Fleisch, in welcher Gott Mensch
geworden, der uns sein Fleisch und Blut, sich
selbst mit Menschheit und Gottheit wieder im
Neuen Bunde zum Sakrament eingesetzt hat, ohne
dessen Genuß wir das ewige Leben nicht haben
werden. -Ich habe nie die sakramentalische Gegenwart
Gottes in der Bundeslade vermißt, außer wenn
sie in der Feinde Hand gefallen war, denn alsdann
war das Heiligtum zu dem Hohenpriester oder
irgendeinem Propheten gerettet. Mit den Gesetztafeln
allein ohne das Heiligtum kam mir die Bundeslade
dann vor wie der Tempel der Samaritaner auf
dem Garizim oder wie heutzutage eine Kirche,
worin statt der von der Hand Gottes geschriebenen
Tafeln des Gesetzes nur die von Menschen verstandene
Heilige Schrift und nicht das heilige Sakrament
ist.
18 Man stoße
sich nicht an dem Ausdruck „sakramentalische
Gegenwart Gottes"; denn daß Gott auf eine geheimnisvolle,
sichtbar angekündigte Weise über der Bundeslade
gegenwärtig war, bezeugt die Heilige Schrift
deutlich. Zwischen jenen Cherubsbildern nämlich,
welche auf dem Spruchthrone oder über der Bundeslade
standen, zeigte sich, ob immer oder nur zu gewissen
Zeiten, ist nicht ausgesprochen, ein Glanz der
göttlichen Majestät, den eine Wolke verhüllte.
„Sage zu Aaron, deinem Bruder, daß er nicht
zu aller Zeit ins Heiligtum eingehe, . .. auf
daß er nicht sterbe, denn in einer Wolke will
ich erscheinen über dem Spruchthron" (Lev 16,2).
Zwischen den zwei Cherubim heraus will Gott
mit Moses reden (Ex 25,22). Als die Bundeslade
in den neuen salomonischen Tempel getragen war,
zog Gott in einer Wolke auf sie ein, daß die
Priester nicht mehr innen bleiben konnten, da
sprach Salomon: „Der Herr hat gesagt, daß er
wohnen wolle in der Wolke" (2 Chr 6,1 und 3
Kg 8,10—13 Diese verhüllte Gegenwart Gottes
auf der alten Bundeslade führt im Hebräischen
den Namen Schechinah; nach den Anschauungen
der Emmerich wäre aber dieser Glanz nur Ausstrahlung
vom geheimnisvollen Inhalt der Lade gewesen.
In der Bundeslade Moses', die in der Stiftshütte
und im Tempel Salomons gestanden, sah ich dieses
Heiligste des Alten Bundes unter der Form zweier
sich durchdringenden, kleineren Lichtgestalten
innerhalb eines leuchtenden Umfanges; jetzt
aber, als der Engel den Joachim dieses Segens
teilhaftig machte, sah ich diesen Segen, als
gebe der Engel etwas Leuchtendes, gleich einem
leuchtenden Pflanzenkeim, von der Form einer
leuchtenden Bohne in das vor der Brust geöffnete
Gewand Joachims. — Auch bei der Übergabe des
Segens an Abraham sah ich die Gnade auf diese
Weise zu ihm übergehen und bei ihm in der von
Gott bestimmten Wirksamkeit verbleiben, bis
er diesen Segen Isaak seinem Erstgeborenen übergab,
von welchem er auf Jakob und von diesem durch
den Engel auf Joseph und von Joseph und seinem
Weibe in einer umfassenderen Bedeutung zur Bundeslade
kam. — Ich vernahm, daß der Engel dem Joachim
die Bewahrung des Geheimnisses gebot und erkannte
daraus die Ursache, warum später Zacharias,
der Vater des Täufers, stumm geworden, nachdem
er den Segen und die Verheißung der Fruchtbarkeit
Elisabeths vom Engel Gabriel am Altar des Rauchopfers
empfangen hatte (Lk 1,9—22). — Mir ward eröffnet,
daß Joachim in diesem Segen die höchste Frucht
und die eigentliche Erfüllung des Segens Abrahams,
den Segen zur unbefleckten Empfängnis der allerseligsten
Jungfrau empfing, welche der Schlange das Haupt
zertrat.
Der Engel führte hierauf Joachim wieder in das
Heilige hervor und verschwand. Joachim aber
sank in Entzückung erstarrt zur Erde. Hier fanden
ihn die wieder eintretenden Priester mit von
Freude glühendem Antlitz. Sie hoben ihn mit
Ehrfurcht auf und brachten ihn hinaus auf einen
Stuhl, auf welchem sonst Priester zu sitzen
pflegten. Hier wuschen sie ihm das Angesicht,
hielten ihm etwas von stärkendem Geruch unter
die Nase, gaben ihm zu trinken und taten mit
ihm, wie man mit Ohnmächtigen zu tun pflegt.
Als Joachim sich erholt hatte, schien er leuchtend,
blühend und wie verjüngt.
JOACHIM UND ANNA BEGEGNEN SICH UNTER DER
GOLDENEN PFORTE
Joachim war auf eine göttliche Mahnung in das
Heilige geführt worden und wurde nun auf
eine ähnliche Erkenntnis in einen geheiligten
Gang gebracht, der unter dem Boden des Tempels
und unter der goldenen Pforte hinlief. Ich habe
Mitteilungen über die Bedeutung und Entstehung
dieses Ganges bei dem Baue des Tempels gehabt
und auch über seine Bestimmung; ich vermag dieses
aber nicht mehr deutlich vorzubringen. Ich glaube,
es war ein Religionsgebrauch der Aussöhnung
und der Segnung für Unfruchtbare mit dem Gebrauch
dieses Ganges verbunden. Man wurde in diesen
Weg unter gewissen Umständen zur Reinigung und
Versöhnung, Lossprechung usw. geführt.
Joachim ward von Priestern in der Gegend des
Opferschlachthofes durch eine kleine Tür in
diesen Gang geführt. Die Priester gingen zurück;
Joachim aber ging den sich wieder senkenden
Weg weiter.
Anna war mit ihrer Magd, welche die Opfertauben
in Gitterkörben trug, auch zum Tempel gekommen.
Sie hatte ihr Opfer abgegeben und einem Priester
eröffnet, daß ihr vom Engel befohlen sei, unter
der goldenen Pforte ihrem Manne zu begegnen.
Ich sah nun auch, daß sie von Priestern in Begleitung
ehrwürdiger Frauen, ich meine die Prophetin
Hanna war dabei, durch einen Eingang an der
anderen Seite in den geheiligten Gang geführt
ward, worauf ihre Begleitung sie verließ.
Ich sah die Beschaffenheit dieses Ganges sehr
wunderbar. Joachim ging durch eine kleine Pforte,
der Weg senkte sich hinab. Im Anfang war der
Gang eng, erweiterte sich aber. Die Wände schimmerten
golden und grün, und von oben schien ein rötliches
Licht herein. Ich sah schöne Säulen wie gewundene
Bäume und Weinstöcke darin.
Als Joachim ungefähr den dritten Teil des Ganges
durchwandelt hatte, kam er an eine Stelle, in
deren Mitte eine Säule, wie ein Palmenbaum mit
nieder hängenden Blättern und Früchten gestaltet,
stand, und hier trat ihm Anna von Freude leuchtend
entgegen. - Sie umarmten sich in heiliger Freude
und teilten sich ihr Glück mit. Sie waren entzückt
und von einer Lichtwolke umgeben. - Ich sah
dieses Licht von einer großen Schar von Engeln
ausgehen, welche die Erscheinung eines hohen
leuchtenden Turmes tragend, über Anna und Joachim
nieder schwebten. -Dieser Turm war, wie ich
in Bildern aus der lauretanischen Litanei den
Turm Davids, den elfenbeinernen Turm usw. gestaltet
sehe. - Ich sah, als verschwinde dieser Turm
zwischen Anna und Joachim, und es umgab sie
eine Glorie von Licht.
Ich erkannte hierauf, infolge der hier gegebenen
Gnade sei die Empfängnis Mariä so rein geworden,
wie alle Empfängnis ohne den Sündenfall gewesen
sein würde. - Ich hatte zugleich eine unaussprechliche
Anschauung. Es tat sich der Himmel über ihnen
auf, ich sah die Freude der heiligen Dreifaltigkeit
und der Engel und deren Teilnahme an der hier
den Eltern Mariä erteilten geheimnisvollen Segnung.
Anna und Joachim wandelten nun Gott lobend bis
zum Ausgange unter der goldenen Pforte; der
Weg ging gegen sein Ende wieder aufsteigend.
Sie kamen unter einem hohen schönen Bogen wie
in einer Art Kapelle, wo viele Lichter brannten,
heraus. Hier wurden sie von Priestern empfangen,
die sie hinweg geleiteten.
Der Teil des Tempels, worüber der Saal des Synedriums
war, lag mehr über der Mitte des unterirdischen
Ganges; hier über seinem Ende befanden sich,
wie ich glaube, Wohnungen von Priestern, denen
die Sorge für die Kleider oblag.
Joachim und Anna kamen nun in eine Art von Bucht
am äußersten Rande des Tempelberges gegen das
Tal Josaphat zu. Man konnte da nicht mehr gerade
ausgehen. Der Weg wendete sich zur Rechten oder
Linken.
Nachdem Joachim und Anna noch ein Priesterhaus
besucht hatten, sah ich sie mit ihrem Gesinde
ihre Rückreise in die Heimat antreten. In Nazareth
angekommen, hielt Joachim eine freudige Mahlzeit,
speiste viele Arme und gab großes Almosen. Ich
sah die Freude und Innigkeit und den heißen
Dank der beiden Eheleute gegen Gott, als sie
dessen Barmherzigkeit gegen sie betrachteten;
ich sah sie oft in Tränen zusammen betend.
Ich erhielt bei dieser Gelegenheit noch die
Erklärung, die heilige Jungfrau sei in vollkommener
Lauterheit und heiligem Gehorsam von ihren Eltern
erzeugt worden, welche sodann mit steter Enthaltung
in höchster Andacht und Gottesfurcht zusammengelebt
hätten. — Ich ward zugleich deutlich belehrt,
wie die Reinheit, Keuschheit und Enthaltung
der Eltern und ihr Kampf gegen Unlauterkeit
einen unermeßlichen Einfluß auf die Heiligkeit
der Kinder habe, welche sie erzeugen, und wie
alle Enthaltsamkeit nach der Empfängnis viele
Keime der Sünde von der Frucht abwende. - Überhaupt
erkannte ich immer in Übermaß und Überfluß die
Wurzel von Mißgestalt und Sünde.
BEILAGEN ZU
DEN MITTEILUNGEN ÜBER DIE EMPFÄNGNIS DER HEILIGSTEN
JUNGFRAU MARIA
Hier folgen mancherlei Anschauungen der gottseligen
A. K. Emmerich, welche sie bei den jährlichen
Festbetrachtungen in der Oktave von Mariä Empfängnis
zu verschiedenen Zeiten mitteilte. Sie führen
zwar den Faden des Lebens Mariä nicht unmittelbar
fort, werfen jedoch auf das Geheimnis der Auserwählung,
Zubereitung und Verehrung dieses Gefäßes der
Gnade ein vorzügliches Licht. Da sie mitten
unter mannigfaltigen Störungen und Leiden ausgesprochen
wurden, kann es nicht auffallen, daß sie in
der Gestalt von Bruchstücken erscheinen.
WIEDERHERSTELLUNG
DER MENSCHHEIT DEN ENGELN GEZEIGT
19
Ich sah ein wundervolles Bild, wie Gott nach
dem Falle des Menschen dem Engel zeigte, wie
er das Menschengeschlecht wiederherstellen wolle.
Bei dem ersten Anblick des Bildes verstand ich
es nicht, bald aber ward es mir ganz deutlich.
Ich sah den Thron Gottes, die allerheiligste
Dreieinigkeit und gleichsam eine Bewegung in
ihrer Dreifaltigkeit. Ich sah die neun Chöre
der Engel und wie Gott ihnen verkündete, auf
welche Weise er das gefallene Menschengeschlecht
wiederherstellen wolle. Ich sah einen unaussprechlichen
Jubel darüber in den Engeln.
Es wurde mir nun in allerlei Sinnbildern die
Entwicklung der Heilsabsichten Gottes für die
Menschen gezeigt. Ich sah diese Bilder zwischen
den neun Chören der Engel erscheinen und wie
eine Art Geschichte aufeinander folgen. -Ich
sah, wie die Engel zu diesen Bildern mitwirkten,
sie hüteten und verteidigten. -Ich vermag nicht
mehr, mich des Ganzen mit Sicherheit in seiner
Folge zu entsinnen und muß in Gottes Namen so
hinsagen, was ich noch weiß.
19 Schwer krank,
hatte A. K. Emmerich in den Nächten des 2. und
3. Septembers 1821 umfassende Anschauungen von
dem Schutzengelfeste und dem Wesen und den Chören
der Engel überhaupt. Aber ohne alle geistliche
Aufforderung dazu, von mancherlei Leiden, Störungen
und Arbeiten bestürmt, vermochte sie nur noch
weniges bruchstücklich mitzuteilen, was nach
mehrmaliger Wiederholung sich als das Folgende
ergeben hat.
Ich sah vor dem Throne Gottes einen Berg wie
von Edelsteinen erscheinen, er wuchs und breitete
sich aus. Er war gestuft, er ward gleich einem
Throne, ging dann in die Gestalt eines Turmes
über und umfaßte als solcher alle geistlichen
Schätze, alle Gaben der Gnade. Die neun Chöre
der Engel umgaben ihn. - Ich sah an der einen
Seite dieses Turmes wie auf einem goldenen Wolkenrändchen
Weinreben und Weizenähren wie die Finger gefalteter
Hände sich durcheinander senkend erscheinen.
- In welchem Zeitpunkt des ganzen Bildes ich
dies gesehen, weiß ich nicht mehr genau zu bestimmen.
Ich sah im Himmel eine Gestalt gleich einer
Jungfrau erscheinen, welche in den Turm überging
und wie mit ihm verschmolz. Der Turm war sehr
breit und oben flach, er schien mir an der Rückseite
offen, wo die Jungfrau in ihn überging. - Es
war dieses nicht die heilige Jungfrau Maria
in der Zeit, sie war es in der Ewigkeit, in
Gott
20.
Ich sah ihre Erscheinung sich vor der allerheiligsten
Dreifaltigkeit gestalten, wie sich ein Hauch
vor dem Munde gleich einem Wölkchen bildet
21.
Ich sah auch von der heiligen Dreifaltigkeit
eine Erscheinung zu dem Turme hin ausgehen.
In diesem Zeitpunkte des Bildes sah ich nun
zwischen den Chören der Engel einen Behälter
des Allerheiligsten entstehen. Die Engel wirkten
alle in diesem Gefäße mit, welches die Gestalt
eines mit allerlei bedeutsamen Bildern umgebenen
Turmes hatte. Es standen ihm zwei Figuren zur
Seite, welche sich hinter ihm die Hände reichten.
Dieses geistliche Gefäß, in stetem Wachstum
begriffen, ward immer herrlicher und reicher.
Ich sah sodann etwas aus Gott und durch alle
neun Chöre der Engel hindurchgehen, es erschien
mir gleich einem leuchtenden heiligen Wölkchen,
das immer bestimmter ward, je näher es jenem
Heiligtumsbehälter kam, in welchen es endlich
einging.
Auf daß ich aber erkennen möge, es sei dieses
ein wesentlicher Segen Gottes, der auf die Gnade
reiner und sündloser Fortstammung, sozusagen
auf die Erzielung reiner Pflanzen deute, sah
ich zuletzt diesen Segen in der Gestalt einer
leuchtenden Bohne in den Heiligtumsbehälter
eingehen, worauf derselbe selbst in den Turm
überging
22.
20 Siehe das
Kapitel in der Sabbatvesper des Offiziums der
allerseligsten Jungfrau aus Eccl. 24 ab initio
et ante saecula creata sum et usque ad futura
saecula non desinam.
21 Vergleidie
die durch lange kirchliche Anwendung auf Maria
geheiligte Stelle: Ego ex ore Altissimi prodivi
primogénita ante omnem creaturam, ego feci in
coelis, ut oriretur lumen indeficiens. Thronus
meus in columna nubis etc. Eccl. 24,5.
22 Die Erzählerin
erwähnte im Verlauf ihrer mannigfaltigen, teils
historischen, teils sinnbildlichen Betrachtungen
aus dem Alten und Neuen Testament dieses Segens
in vielfachen Beziehungen, deren wir einige
in geschichtlicher Folge hier zusammenstellen.
— Es war jener Segen, mit und aus welchem Eva
aus der rechten Seite Adams hervor genommen
worden ist. Ein Segen, den ich durch Gottes
barmherzige Vorsehung dem Adam, als er im Begriff
stand, in die Sünde einzuwilligen, entziehen
sah, den aber Abraham nach Einsetzung der Beschneidung
mit der Verheißung Isaaks durch die Engel wieder
empfing, und der hierauf von ihm in feierlicher
sakramentalischer Handlung auf seinen erstgeborenen
Isaak und von diesem auf Jakob übertragen wurde.
Dem Jakob aber ward dieser Segen durch den mit
ihm ringenden Engel entzogen und ging auf Joseph
in Ägypten über. Endlich ward er durch Moses
in der Nacht vor dem Zuge aus Ägypten wieder
genommen, mit den Gebeinen Josephs entführt
und war sodann das Heiligtum des Volkes in der
Bundeslade. — Diese Aufschlüsse der Gottseligen
hatten wir eben nicht ohne Zögern und Bedenken
rür den Drude hingeschrieben, als wir hörten,
daß im Buche Sohar (welches dem Simon Bar Jochai
im 2. Jahrhundert n. Chr. zugeschrieben wird,
aber viel ältere Bestandteile enthält) diese
und ähnliche im Verlauf vorkommende Mitteilungen
über dieses Mysterium des Alten Bundes sich
fast Wörtlich wieder finden. Ein des späteren
Chaldäischen kundiger Leser kann sich, hiervon
überzeugen, wenn er zum Beispiel folgende Stellen
nachsieht: Sohar Par Told'oth. p. 340. Ibid
345 (Ausg. Sulzbach). B'reschit p. 135. Trumah
p. 251. etc.
An einem Teile dieser Erscheinungen sah ich
die Engel tätig mitwirken. Es stieg aber auch
eine Reihe von Bildern aus der Tiefe herauf,
gleichsam falsche Trugbilder, und ich sah die
Engel gegen diese arbeiten und sie beiseite
schieben. Ich habe sehr vieles dergleichen gesehen
und wieder vergessen. Was ich mich noch von
diesen Trugbildern entsinne, ist folgendes.
Ich sah eine Kirche von unten aufsteigen, beinahe
in der Form, in welcher mir immer die heilige
allgemeine Kirche erscheint, wenn ich sie nicht
als ein bestimmtes Ortsgebäude, sondern als
die heilige katholische Kirche überhaupt sehe,
nur daß diese einen Turm über dem Eingang hat,
welchen die von unten aufsteigende Kirche nicht
hatte. -Diese Kirche war sehr groß, aber sie
war falsch. Die Engel drängten sie beiseite,
und sie kam schief zu stehen. -Ich sah weiter
eine große Schale erscheinen, die an der einen
Seite eine Nippe hatte. Sie wollte in die falsche
Kirche eingehen, aber sie ward auch beiseite
geschoben.
Ich sah sodann von den Engeln einen Kelch bereiten,
er hatte die Gestalt des heiligen Abendmahlkelches
und ging in den Turm ein, in welchen die Jungfrau
eingegangen war.
Ich sah auch einen stumpfen Turm oder Bau erscheinen.
Er hatte viele Pforten. Ich sah viele Scharen
hindurch ziehen, unter denen ich Gestalten wie
Abraham und die Kinder Israel erkannte. Ich
meine, er deutet auf die Sklaverei in Ägypten.
Ich sah einen runden gestuften Turm aufsteigen,
der sich auch auf Ägypten bezog. Er wurde zurückgeschoben
und stand schief. Ich sah einen ägyptischen
Tempel aufsteigen, der jenem glich, an dessen
Decke ich die ägyptischen Götzenpriester das
Bild einer geflügelten Jungfrau anheften gesehen,
als der Bote des Elias ihnen das Vorbild der
heiligen Jungfrau verkündet hatte, welches dieser
Prophet auf dem Karmel gesehen, wovon ich später
erzählen werde. Dieser Tempel ward zurückgeschoben
und kam schief zu stehen.
Ich sah dann zwischen den Chören der Engel zur
Rechten des heiligen Turmes einen Zweig aufblühen,
der ein ganzer Stammbaum von kleinen männlichen
und weiblichen Figuren ward, welche sich die
Hände reichten. — Dieser Stammbaum schloß mit
der Erscheinung einer kleinen Krippe, worin
ein Kindlein lag, in der Form, wie ich diese
Krippe bei den heiligen drei Königen
23
vorgestellt gesehen habe. Hierauf aber sah ich
eine große herrliche Kirche erscheinen.
23
In den Betrachtungen
der A. K. Emmerich über den Lehrwandel unseres
Herrn, die sie in historischer Folge während
drei Jahren täglich erzählte, sah sie Jesum
nach der Erweckung des Lazarus, welche am 7.
Oktober des 3. Lehrjahres eintrat, um den Verfolgungen
der Pharisäer auszuweichen, sich über den Jordan
zurückziehen, von wo er die Apostel und Jünger
in ihre Heimat entließ und selbst mit drei Jünglingen,
Eliud, Silas und Erimen-Sear, Nachkommen von
Begleitern der heiligen drei Könige, welche
bei deren Rückzug im gelobten Lande zurückgeblieben,
sich mit den Familien der Hirten bei Bethlehem
ehelich verbunden hatten, zu der damaligen Niederlassung
der heiligen drei Könige reiste, von wo er sich
durch Ägypten nach dem gelobten Lande zurückbegab.
Am 1. Januar vor seinem Tode betritt er wieder
Judäa, trifft den 8. Montagabends am Brunnen
Jakobs wieder mit den Aposteln zusammen, lehrt
und heilt in Sichar, Ephron, bei Jericho, in
Kapharnaum und Nazareth. Gegen den Februar kommt
er wieder nach Bethanien und in die Gegend,
lehrt und heilt in Bethabara, Ephraim und bei
Jericho, von Mitte Februar bis zu seinem Leiden
am 30. März ist er abwechselnd in Bethanien
und Jerusalem. Von der ganzen Zeit zwischen
Lazari Erweckung und Palmsonntag schweigen die
Evangelisten, nur Johannes sagt (11,53—54):
„Von dem Tage an beratschlagten sie, ihn zu
töten, darum wandelte Jesus nun nicht mehr öffentlich
unter den Juden, sondern zog in eine Gegend
nahe bei der Wüste, in eine Stadt, welche Ephraim
heißt, und hielt sich daselbst auf mit seinen
Jüngern." Eine Anwesenheit des Herrn in Ephraim
bei Jericho erzählt A. K. Emmerich am 14., 15.
und 16. Januar und abermals zwischen dem 6.
und 12. Februar ohne genaue Bestimmung des Tages.
-Wir wenden uns aber wieder zur Veranlassung
dieser Note. Vom 1. bis15. Dezember des dritten
Lehrjahres sah und erzählte sie täglich den
Aufenthalt des Herrn nebst seinen drei Begleitern
in einer Zeltstadt der heiligen drei Könige
in Arabien, wo sie sich bald nach ihrer Rückkehr
von Bethlehem niedergelassen hatten. Zwei dieser
Stammhäupter lebten noch. Sie beschreibt ihre
Lebensweise, Religionsgebräuche und die Festlichkeiten,
mit welchen sie Jesum empfingen, mit höchst
merkwürdigem Detail. Unter vielem anderen erzählte
sie am 4. bis 6. Dezember, wie diese Sterndiener
den Herrn in ihren Tempel führten, den sie als
eine viereckige, oben abgestumpfte, mit Treppen
und Stufen umgebene Pyramide von Holzwerk beschrieb,
auf welcher sie von außen die Gestirne beobachteten
und in deren Innerem sie ihren Gottesdienst
feierten. Sie zeigten ihm darin das Bild eines
Jesuskindes in der Krippe, welches sie gleich
nach ihrer Rückkehr von Bethlehem bereitet und
hineingestellt hatten, und zwar ganz nach der
Form, wie sie es vor ihrem Zuge in dem Sterne
gesehen hatten. Die Seherin beschreibt es mit
folgenden Worten: „Die ganze Vorstellung war
von Gold und von einer sternförmigen Goldplatte
umgeben. Das goldene Kindchen saß in einer Krippe,
gleich jener zu Bethlehem, auf einer roten Decke,
es hatte die Händchen auf der Brust gekreuzt
und war von den Füßen bis an die Brust eingewickelt.
Sie hatten sogar das Heu der Krippe angebracht,
es war wie ein weißes Kränzchen, ich weiß nicht
mehr wovon, hinter dem Kopf des Kindes zu sehen.
— Sie zeigten Jesu dieses Bild, sie hatten kein
anderes in ihrem Tempel." — Dieses ist ihre
Beschreibung des Krippenbildes, auf welches
sie sich oben im Texte bezieht.
In allen diesen Bildern war ein wunderbarer
Zusammenhang und Übergang. Die ganze Anschauung
war unbeschreiblich reich und bedeutungsvoll.
Selbst die widerwärtigen, üblen, falschen Erscheinungen
von Türmen, Kelchen, Kirchen, welche hinweg
geschoben wurden, mußten zur Entwicklung des
Heiles dienen.
Während der Erzählung dieser Bruchstücke kam
sie immer wieder auf die unaussprechliche Freude
der Engel zurück. Das Ganze hat in diesen Trümmern
keinen eigentlichen Schluß und scheint eine
Reihe von Sinnbildern für die Geschichte des
Heils zu sein. Sie sagte dabei: „Ich habe die
Vorbilder des Erlösungswerkes zuerst zwischen
den Chören der Engel gesehen und hierauf eine
Reihe von Bildern von Adam bis auf die Babylonische
Gefangenschaft."
EIN VORBILD MARIÄ IN ÄGYPTEN VOR ELIAS
Ich sah ein Ereignis in Ägypten, das sich vorbildlich
auf die heilige Jungfrau bezog, in sehr früher
Zeit. Es muß sehr lange vor Elias gewesen sein,
aus dessen Zeit ich auch etwas dort gesehen
habe, was ich nachher erzählen will.
Ich sah in Ägypten, viel weiter vom gelobten
Lande als On oder Heliopolis, einen Ort, bei
welchem ein Götzenbild auf einer Insel im Flusse
stand. Der Kopf dieses Götzenbildes war weder
ganz ein Menschenkopf noch ganz ein Ochsenkopf
und trug drei Hörner, wovon eines mitten auf
der Stirne. Das Bild war hohl und hatte Öffnungen
im Leibe, in welchem man die Opfer wie in einem
Ofen verbrannte. Seine Füße waren wie Krallen.
In der einen Hand hatte es eine Pflanze, die
aus dem Wasser wie eine Lilie emporsteigt und
sich nach der Sonne öffnet und schließt. In
der anderen Hand trug der Götze auch eine Pflanze
gleich Ähren mit ganz dicken Körnern, ich meine
auch aus dem Wasser wachsend, doch weiß ich
es nicht mehr ganz gewiß. — Sie hatten nach
einem großen Siege diesem Götzen einen Tempel
gebaut, sie wollten ihn einweihen, und alles
war zum Opfer bereitet. Als sie aber nun dem
Götzen auf dem Wasser nahten, sah ich ein wunderbares
Ereignis.
Ich sah bei dem Götzen eine greuliche, dunkle
Erscheinung und über ihr einen großen Engel,
gleich jenem, der dem Evangelisten Johannes
in der Offenbarung erschien, vom Himmel niedersteigen.
Dieser Engel stieß mit seinem Stabe der dunklen
Gestalt auf den Rücken. Dieser Teufel krümmte
sich und mußte gezwungen aus dem Götzenbilde
sprechen, sie sollten den Tempel nicht zu seiner,
sondern zu einer Jungfrau Ehre einweihen, welche
auf Erden erscheinen werde, und der sie diesen
Sieg zu danken hätten. Ich weiß die Umstände
nicht mehr genau.
Ich sah aber, daß diese Leute nun in dem neuen
Tempel das Bild einer fliegenden Jungfrau aufrichteten.
Das Bild war an der Wand angebracht. Die Jungfrau
beugte sich fliegend über ein Schiffchen, worin
ein Wickelkind lag. Das Schiffchen stand auf
einem Säulchen, welches oben kraus wie ein Baum
war. Von der einen der beiden ausgebreiteten
Hände hing ihr eine Waage nieder, und ich sah
zwei Gestalten neben ihr an der Wand, welche
in die beiden Schalen der Waage etwas legten.
— Das Schiffchen, worin das Kindchen lag, war
gleich jenem, in welchem Moses auf dem Nilfluß
gelegen, nur war es oben offen, das von Moses
aber war oben bis auf eine kleine Öffnung zugedeckt
gewesen.
ELIAS SIEHT EIN VORBILD DER HEILIGEN JUNGFRAU
Ich sah das ganze gelobte Land ohne Regen vertrocknet
und verschmachtet und wie Elias mit zwei Dienern
auf dem Berge Karmel stieg, Regen von Gott zu
erflehen. — Zuerst erstiegen sie einen hohen
Rücken, dann rohe Felsentreppen zu einer Terrasse,
dann wieder viele Felsenstufen und gelangten
zu einer großen Fläche, auf welcher ein Felsenhügel
lag, in dem sich eine Höhle befand. -Zu der
Höhle dieses Felsenhügels stieg Elias auf Stufen
hinan. Die Knechte ließ er am Rande der großen
Fläche und befahl einem derselben, auf den See
von Galiläa hinzuschauen, der aber sah greulich
aus, denn er war ganz ausgetrocknet, voll von
Löchern und Höhlen, Sumpf und verfaulten Tieren.
Elias setzte sich zusammengekauert nieder, senkte
den Kopf zwischen die Knie, verhüllte sich,
betete heftig zu Gott und schrie siebenmal seinem
Diener zu, ob er keine Wolke aus dem See aufsteigen
sehe. Ich sah aber bei seinem siebten Rufe die
Wolke aufsteigen, und wie der Diener dies dem
Elias verkündete, der ihn fort sendete zu dem
König Ahab.
Ich sah aber in der Mitte des Sees sich einen
weißen Wirbel bilden, aus welchem ein schwarzes
Wölkchen wie eine Faust hervor stieg, welches
sich öffnete und ausbreitete. — In diesem Wölkchen
sah ich gleich anfangs eine kleine leuchtende
Gestalt, gleich einer Jungfrau. Ich sah auch,
daß Elias diese Gestalt in der sich ausbreitenden
Wolke erblickte. Das Haupt dieser Jungfrau war
mit Strahlen umgeben, sie breitete ihre Arme
wie ein Kreuz aus und hatte an der einen Hand
einen Siegeskranz hängen. Ihr langes Gewand
war wie zugebunden unter ihren Füßen. Sie erschien
in der sich erweiternden Wolke wie über das
ganze gelobte Land ausgestreckt.
Ich sah, wie diese Wolke sich teilte und an
bestimmten heiligen und geheiligten Gegenden,
und wo fromme und nach dem Heil flehende Menschen
wohnten. sich in weißen Tauwirbeln niederließ.
Ich sah diese Wirbel regenbogenfarbige Ränder
erhalten und sich in deren Mitte den Segen wie
zu einer Perle in der Muschel vereinen. - Ich
erhielt eine Erklärung, dieses sei ein Vorbild,
und aus diesen gesegneten Stellen, wo sich die
Wolke in weißen Wirbeln niedergelassen, sei
wirklich die Mitwirkung zur Erscheinung der
heiligen Jungfrau hervorgegangen
25
.
25 Die Menschheit
vor Christus war gleichsam ein dürrer Boden,
der nach Regen dürstete, um Früchte zu bringen.
Sie rief um Stillung dieses Durstes nicht bloß
durch geistige Gnaden, sondern durch die persönliche
Gerechtigkeit. Christus war nicht bloß Frucht
und Sprosse Gottes und der Erde (Is 4,2. Jer
23,5; 33,15. Zach 3,8; 6,12), er war auch ein
Regen und ein Tau zur Hervorbringung von ihm
ähnlichen Früchten. Denn David prophezeit (Ps
71 oder 72): "Er wird herabkommen wie Regen
auf die Au, wie Tropfen, die das Land befeuchten.
In seinen Tagen werden die Gerechten blühen,
und es wird Getreide dicht stehen im Lande,
auf den Gipfeln der Berge (das ist nach der
Auslegung des chald. übersetzers ,in der Kirche'),
sie werden hervorgriinen aus den Städten wie
das Gras der Erde." Darum rief auch Isaias (40,8)
: "Tauet ihr Himmel von oben, und die Wolken
sollen den Gerechten regnen." In seiner fortdauernden
Gestalt ist dieser Regen die vermehrte Mitteilung
des heiligen Sakramentes, dessen Vorbild das
Manna war, daher bemerkt der alre hebräische
Kommentar Breschithrabba zu der Stelle, wo Isaak
dem Jakob Tau vom Himmel als Segen verheißt
(Parascha 65 in der Ausgabe von Konstantinopel
unter Soleiman), unter diesem Tau sei das Manna
wie unter dem (durch den Tau genährten) Weizen
und Wein eine Nachkommenschaft yon Jünglingen
und Jungfrauen zu verstehen (zu Gen 27,28. Vgl.
Zach 9,17). Demnach befremdet es nicht, wenn
auch in späteren jüdischen Schriften der Messias
als Tau erscheint. In Talmud (Taanith. dist.
Maimathi maskirin) sagt R. Berachia : Die Gemeinde
Israel hat Gott unbescheiden gebeten (Os 6,3):
daß er zu uns komme wie ein Frühregen, wie ein
Spätregen, der das Land befruchtet. Da sagte
Gott zu ihr: Meine Tochter, du forderst eine
Sache, welche bald erfleht wird, bald nicht
erfleht wird. Ich will dir aber eine Sache sein,
welche immerdar erfleht wird : "Ich will für
Israel ein Tau sein, und es soll wie eine Lilie
blühen" (Os 14,4). Deutlicher ist die Beziehung
auf den Messias da, wo der ' Talmud (hierosol.
tract. b'rachoth. c. 5) den Psalm von dem Priestertum
des Erlösers auf diese Idee hinführt. Er erklärt
nämlich die Worte (Ps 110): Aus dem Schoß der
Morgenröte kommt der Tau deiner Geburt (vulgat.
Ps 109,3 ex utera ante luciferum genui te) durch
folgende Stelle des Michäas (5,6): Wie Tau vom
Herrn, wie Tröpflein auf dem Gras, die auf keinen
Mann harren und nicht auf Menschensöhne warten.
Daß die geheimnisvolle Regenwolke des Elias,
das Vorbild der hocherwählten Trägerin und Bringerin
desjenigen Regens, welcher erst vom Kreuze und
nun bis zum Ende vom Sakrament aus die dürre
Erde erquickt, gerade vom Galiläischen Meere
aufsteigt, schickt sich wohl zu dem Umstand,
daß von diesem See und seinen Ufern aus der
Tau der Lehre und der Heilungen Christi auf
die armen Menschen so reich und wohltuend niederfiel.
Ja eben damals, als er in Kapharnaum ( Joh 6)
lehrte, wie er der wahre himmlische Tau, das
wahre Manna, das Brot des Lebens sei im heiligen
Sakrament, war er unmittelbar vorher wunderbar
über das Meer weggegangen wie eine Wolke und
schüttete nun den Segen der größten Verheißung
in die Herzen seiner Zuhörer. Es schwebt uns
vor, in einer alten rabbinischen Schrift gelesen
zu haben, daß der Messias aus dem Galiläischcn
Meer heraussteigen müsse, können aber zur Stunde
die Stelle nicht bestimmt nachweisen, welches
wir uns jedoch bei Wiederauffindung an geeignetem
Ort vorbehalten. Gegenwärtig finden wir indessen
(Midrasch Thillim f. 4. 1. Lightfoot centur.
chronogr. c. 70) in einem alten jüdischen Kommentar
über die Psalmen: Sieben Meere habe ich geschaffen,
sagt Gott, aber aus allen diesen habe ich keines
erwählt als das von Genesareth.
Ich sah aber ein prophetisches Traumbild, worin
Elias während des Aufsteigens der Wolke vier
Geheimnisse in Bezug auf die heilige Jungfrau
erkannte. Ich habe in meiner gestörten Lage
leider das Genauere hiervon wie sehr vieles
andere vergessen. Elias erkannte unter anderem
daraus, Maria werde im siebenten Weltalter geboren
werden, hierauf bezog sich, daß er seinen Knecht
siebenmal zu sich gerufen. - Er sah auch, aus
welchem Stamme sie kommen werde. Er sah an der
einen Seite des Landes einen niederen, aber
sehr breiten Stammbaum, auf der entgegen gesetzten
Seite aber erblickte er einen bei der Wurzel
breiten, bei dem Gipfel dünn werdenden, sehr
hohen Stammbaum, welcher seinen Gipfel in den
ersteren hineinsenkte. - Er verstand dieses
alles und erkannte auf solche Weise vier Geheimnisse
von der künftigen Mutter des Heilandes.
Ich hatte hierauf noch eine Betrachtung, wie
Elias die Höhle, über welcher er gebetet hatte,
erweiterte, wie er eine größere Ordnung unter
die Prophetenkinder brachte, von welchen immer
einige in dieser Höhle um die Ankunft der heiligen
Jungfrau flehten und ihre Zukunft schon vor
ihrer Geburt verehrten. — Ich sah, daß diese
Andacht zu der heiligen Jungfrau hier ununterbrochen
fortwährte, daß sie noch durch die Essener bestand,
als Maria schon auf Erden wandelte und daß sie
später, von Einsiedlern, aus denen endlich die
Karmelitermönche hervorgingen, bis in unsere
Zeit fortgesetzt ward.
ERLÄUTERUNG DES VORIGEN ELIASBILDES
(Als die Erzählerin später ihre Anschauungen
von der Zeit Johannes' des Täufers mitteilte,
sah sie dasselbe Eliasbild in Bezug auf den
damaligen Zustand des Landes und der Menschen.
Wir teilen Folgendes als das Vorhergehende erläuternd
daraus mit.)
Ich sah ein großes Getümmel in Jerusalem am
Tempel, ein Beratschlagen, ein Schreiben mit
Rohrfedern, ein Aussenden von Boten durch das
Land. Man betet und schreit zu Gott nach Regen,
man läßt den Elias überall suchen. — Ich habe
auch Elias in der Wüste vom Engel gespeist und
getränkt gesehen, der Engel hatte ein Gefäß
wie ein kleines glänzendes, weiß und rot, quer
gestreiftes Tönnchen. Ich sah alle seine Händel
mit Achab, das Opfer auf Karmel, das Erschlagen
der Götzenpriester, sein Beten um Regen, das
Anziehen der Wolken.
Ich sah außer der Dürre der Erde auch eine große
Dürre und Unfruchtbarkeit der Menschen in edleren
Keimen. Ich sah, daß Elias durch sein Gebet
den Segen rief, aus dem die Wolke ward, und
daß er die Wolken lenkte und verteilend niederließ
nach inneren Anschauungen, sonst wäre vielleicht
ein zerstörender Erguß daraus geworden. — Er
fragte seinen Diener siebenmal nach der Wolke;
es deutet dieses auf sieben Weltalter oder Generationen,
bis der eigentliche Segen in Israel eine feste
Wurzel fassen würde, wovon diese Segenswolke
nur ein Vorbild war.
Er selbst sah
in der aufsteigenden Wolke ein Bild der heiligen
Jungfrau und erkannte mancherlei Geheimnisse,
die sich auf ihre Abstammung und Ankunft bezogen
26.
26 In
dem Offizium der Empfängnis Maria und sonst
in kirchlichen Büchern wird der Vers: sicut
nebula texi omnem terram (Eccl 24,6) in vollster
Übereinstimmung mit dieser
prophetischen Anschauung von der Gottesgebärerin
gebraucht.
Ich sah durch das Gebet des Elias zuerst den
Segen als Tau herab gerufen. Die Wolke senkte
sich in weißen Flächen nieder, diese bildeten
Wirbel, hatten regenbogenfarbige Ränder und
lösten sich endlich in Tropfen niederfallend
auf. -Ich erkannte darin auch einen Bezug auf
das Manna der Wüste, das lag aber morgens wie
Felle bröcklig und dicht, und sie konnten es
aufrollen. -Ich sah diese Tauwirbel längs dem
Jordan ziehen und nicht überall, sondern nur
hie und da an bedeutenden Stellen sich niederlassen.
Besonders zu Ainon, gegenüber von Salem, und
auf den späteren Taufstellen sah ich deutlich
solche glänzende Wirbel niedersinken. Ich fragte
auch, was die bunten Ränder dieser Tauwirbel
bedeuteten, und erhielt eine Erklärung durch
das Beispiel einer Muschel im Meer, welche auch
so schimmernde Farbenränder habe und sich, der
Sonne aussetzend, das Licht an sich sauge und
von Farben reinige, bis in ihrer Mitte die weiße
reine Perle entstehe. -Es wurde mir aber gezeigt,
daß dieser Tau und der nachfolgende Regen mehr
sei, als was man unter einer Erfrischung der
Erde zu verstehen pflegt.
Ich hatte das deutliche Verständnis, daß ohne
diesen Tau die Ankunft der heiligen Jungfrau
um wohl hundert Jahre verspätet worden wäre,
indem durch die Besänftigung und Segnung der
Erde, die Geschlechter, von Früchten der Erde
lebend, auch genährt und erquickt wurden, und
das Fleisch den Segen empfangend sich auch veredelte.
Ich sah in Bezug auf die Annäherung des Messias
die Strahlen dieses befruchtenden Taues von
Geschlecht zu Geschlecht bis in die Substanz
der heiligen Jungfrau. Ich kann es nicht beschreiben.
-Manchmal sah ich auf einem solchen farbigen
Rand eine oder auch mehrere Perlen sich bilden
und auf diesen wie eine Menschengestalt erscheinen,
die hauchte wie Geist aus und das sproßte wieder
mit anderen solchen zusammen. Das Bild der Perlenmuschel
bezog sich auf Maria und Jesus.
Ich sah auch, wie damals die Erde und das Fleisch
durstig und lechzend waren nach Regen, so später
die Menschen und der Geist nach der Taufe des
Johannes. Es hatte das ganze Bild sowohl eine
Vorbedeutung auf die Ankunft der heiligen Jungfrau
als auch auf den Zustand des Volkes zur Zeit
des Täufers. -Ihre damalige Angst, ihr Schmachten
und Suchen nach Regen und Elias und doch die
Verfolgung desselben, später das ähnliche Schmachten
des Volkes nach Taufe und Buße und wieder das
Nichtverstehen der Synagoge und das Senden nach
Johannes.
VORBILD DER HEILIGEN JUNGFRAU IN ÄGYPTEN
In Ägypten sah ich diese Heilsbotschaft auf
folgende Weise verkündet. Ich sah, daß Elias
auf den Befehl Gottes aus drei Gegenden in Morgen,
Mitternacht und Mittag zerstreute gute Familien
berufen lassen sollte, und daß er zu dieser
Sendung drei Prophetenschüler aussuchte, welche
er erst fort sendete, nachdem er sie durch ein
von Gott erflehtes Zeichen als die Rechten erkannt
hatte, denn es war eine weite gefährliche Aufgabe,
und er mußte besonnene Boten dazu auserwählen,
damit sie nicht ermordet würden. -Einer zog
nach Mitternacht, einer nach Morgen, der dritte
nach Mittag ; dieser mußte ein bedeutendes Stück
Weg durch Ägypten ziehen, wo den Israeliten
besonders die Gefahr drohte, erschlagen zu werden.
Dieser Bote zog den Weg, welchen die heilige
Familie auf der Flucht nach Ägypten nahm. Ich
meine auch, daß er nahe bei On vorüber kam,
wohin das Kind Jesus geflüchtet ward. Ich sah
ihn auf einer großen Ebene zu einem Götzentempel
kommen, der mit einer Wiese und allerlei anderen
Gebäuden umgeben war. Sie beteten hier einen
lebendigen Stier an. Sie hatten ein Stierbild
und mancherlei andere Götzen in ihrem Tempel.
Sie hatten ein gräuliches Opfer und schlachteten
mißgestaltete Kinder.
Sie ergriffen den vorüberwandelnden Prophetenschüler
und brachten ihn vor die Priester. Zum Glück
waren sie höchst neugierig, sonst hätten sie
ihn leicht ermordet. Sie fragten ihn aber nun
aus, woher er sei, und was ihn hierher führe?
-und er sagte ihnen alles geradeheraus, wie
eine Jungfrau werde geboren werden, aus der
das Heil der Welt kommen solle; und dann würden
alle ihre Götzen zerbrechen
27.
Sie staunten über seine Verkündung, schienen
ganz gerührt dadurch und entließen ihn ohne
alle Verletzung. Ich sah sie hierauf sich beraten
und das Bild einer Jungfrau verfertigen lassen,
das sie in der Mitte der Tempeldecke in ausgestreckter
nieder schwebender Lage befestigten. Diese Figur
hatte einen Kopfputz wie jene Götzenbilder,
deren dort so viele, halb wie ein Weib, halb
wie ein Löwe gestaltet, reihenweise liegen.
-Auf
der Mitte des Kopfes hatte sie wie ein kleines
tiefes Fruchtgemäße stehen, die Oberarme waren
bis zu den Ellbogen an den Leib angezogen, die
Unterarme wie zurückziehend abwehrend ausgebreitet
und hielten Weizenähren in den Händen. Sie hatte
drei Brüste, eine größere höhere in der Mitte,
zwei kleinere standen niedriger zu beiden Seiten
derselben. Der Unterleib war lang bekleidet,
die Füße waren verhältnismäßig sehr klein und
spitz. Es hing von ihnen etwas wie Quasten nieder.
-An den beiden Oberarmen hatte sie eine Art
von Flügeln wie feine, strahlenförmige Federn,
ebenso an den Unterarmen. Diese Flügel waren
wie zwei Federkämme durcheinander greifend.
Ebenso liefen gekreuzte Federn längs den beiden
Lenden und über die Mitte des Leibes bis herab.
Der Rock hatte keine Falten.
Sie verehrten dieses Bild und opferten ihm mit
der Bitte, es möge doch ihren Gott Apis und
ihre anderen Götter nicht zertrümmern. Übrigens
verharrten sie in dem ganzen Gräuel ihres Götzendienstes
wie bisher, nur daß sie von nun an immer diese
Jungfrau vorher anriefen, deren Bild sie, wie
ich glaube, nach allerlei Bedeutungen in der
Erzählung des Propheten und aus der Gestalt,
die Elias gesehen, zusammengesetzt hatten.
27 Epiphanius in seinem Werke von dem Leben
der Propheten sagt von Jeremias: Dieser Prophet
gab den ägyptischen Priestern ein Merkzeichen
an und verkündete ihnen, alle ihre Götzenbilder
würden in Trümmer zerfallen, wenn eine jungfräuliche
Mutter mit ihrem göttlichen Kinde Ägypten betreten
werde. Und so geschah es auch. Darum beten sie
noch heute eine jungfräuliche Mutter und ein
in der Krippe liegendes Kind an. Als sie der
König Ptolemäus um die Ursache hiervon fragte,
antworteten sie: Es ist dieses ein Geheimnis,
das wir von unseren Voreltern empfingen, denen
es von einem heiligen Propheten verkündet worden,
und dessen Erfüllung wir erwarten. Epiphan,
Band 2, Seite 240. Es kann jedoch mit dem oben
erwähnten Prophetenschüler des Elias nicht wohl
Jeremias gemeint sein, da dieser an drei Jahrhunderte
später lebte.
MARIA FROMMEN HEIDEN VERKÜNDET
Ich sah auch, wie damals aus großer Barmherzigkeit
Gottes frommen Heiden verkündet wurde, daß der
Messias aus einer Jungfrau in Judäa werde geboren
werden. Die Vorfahren der heiligen drei Könige,
die sterndienenden Chaldäer, erhielten diese
Erkenntnis durch die Erscheinung eines Bildes
in einem Stern oder am Himmel. Sie weissagten
darüber. Die Spuren dieser Vorbilder der heiligen
Jungfrau habe ich an den Bildern ihrer Tempel
gesehen und erzählt, da ich die Reise Jesu zu
ihnen nach Lazari Erweckung im letzten Vierteil
seines dritten Lehrjahres mitteilte.
DIE GESCHICHTE
DES TOBIAS VORBILD DER ANKUNFT DES HEILS UND
ALSO AUCH JOACHIMS UND ANNAS
Am Feste des Erzengels Michael im September
1821 erzählte A. K. Emmerich unter anderem aus
einer Betrachtung über die heiligen Engel folgendes
Bruchstück der Geschichte des Tobias, dessen
Führung durch den Erzengel Raphael sie gesehen.
Ich sah vieles aus dem Leben des Tobias, welches
ein Vorbild der Geschichte der Heilsankunft
in Israel ist. Nicht so, als wenn diese Geschichte
ein erdichtetes Vorbild wäre, sondern sie ist
ein geschehenes, gelebtes Vorbild.
In Sara, dem Weibe des jungen Tobias, wurde
mir ein Vorbild der heiligen Anna gezeigt. Wessen
ich mich nun noch von dem vielen Gesehenen erinnere,
will ich mitteilen, nur werde ich es nicht in
der rechten Folge vorbringen können.
In dem alten Tobias war der fromme, auf den
Messias hoffende Stamm der Juden vorgebildet.
Die Schwalbe, der Bote des Frühlings, deutete
auf die Nähe des Heiles. Die Blindheit des alten
Tobias deutete darauf, daß er keine Kinder mehr
erzeugen sollte und sich bloß dem Gebet und
der Betrachtung ergeben; sie bedeutete das treue
dunkle Sehnen und Harren nach dem Lichte des
Heiles und die Unwissenheit, woher es kommen
werde.
Die zänkische Frau des Tobias stellte die Quälerei
und die leeren Formen der pharisäischen Handhabung
des Gesetzes vor. -Das Zicklein, welches sie
statt Arbeitslohn nach Hause gebracht hatte,
war, wovor Tobias gewarnt, wirklich ein gestohlenes,
welches ihr die Leute um ein billiges überlassen
hatten. Tobias kannte diese Leute und wußte
es. Sein Weib schmähte ihn darüber aus. Es hatte
auch eine Bedeutung auf die Verachtung der frommen
Juden und Essener durch die Pharisäer und leeren
Formjuden und auf ihr Verhältnis zu denselben,
welche Bedeutung ich nicht mehr erklären kann.
Der Engel Raphael
sagte keine Unwahrheit mit den Worten, er sei
Azarias, der Sohn des Ananias; denn diese Worte
heißen ungefähr soviel als des Herren Hilfe
aus der Wolke des Herrn
28.
28 Diese Deutung,
welche ältere Ausleger berühren, ohne sie ganz
darzulegen, ist vollkommen richtig, wie die
biblische Philologie ausweist.
Dieser Engel, der den jungen Tobias geleitete,
stellte die Führung der Geschlechter, die Bewahrung
und Lenkung des Segens bis zur Empfängnis der
heiligen Jungfrau vor.
In dem Gebete des alten Tobias und der Sara,
der Tochter Raguels, welches ich gleichzeitig
von den Engeln zu dem Throne Gottes bringen
und erhören sah, erkannte ich das Flehen des
frommen Israel und der Tochter Sions um die
Ankunft des Heils und ebenso das gleichzeitige
Flehen Joachims und Annas an getrennten Orten
um das verheißene Kind.
Die Blindheit des alten Tobias und das Schmähen
seines Weibes gegen ihn deuteten auch auf Joachims
Kinderlosigkeit und auf das Verwerfen seines
Opfers am Tempel.
Die
sieben vom Satan ermordeten Männer der Sara,
Tochter Raguels, waren durch Sinnlichkeit umgekommen,
denn Sara hatte ein Gelübde getan, nur von einem
frommen und keuschen Manne besessen zu werden.
Sie deuteten auf solche, deren Eintritt in den
Stamm Jesu nach dem Fleische das Hervortreten
der heiligen Jungfrau und also die Ankunft des
Heilandes gehindert haben würde, auch deutete
es auf gewisse segenlose Zeiten in der Geschichte
des Heils und auf die Freier, welche Anna abweisen
mußte, damit sie sich mit Joachim, dem Vater
Mariä, verbinde.
Das Schmähen der Magd gegen Sara (Tob 3,7) deutet
auf das Schmähen der Heiden und der ungläubigen,
gottlosen Juden gegen die Erwartung des Messias,
wodurch gleich der Sara alle frommen Juden zu
eifrigerem Gebete angetrieben wurden. — Auch
ist es ein Vorbild von dem Schmähen der Magd
gegen die heilige Mutter Anna, worauf diese
so eifrig betete, daß sie erhört ward.
Der Fische, welcher den jungen Tobias verschlingen
wollte, deutete auf die Anfechtung der Unterwelt,
der Heiden, der Sünde gegen die Ankunft des
Heiles und somit auch auf die lange Unfruchtbarkeit
Annas.
Das Töten des Fisches, das Ausschneiden des
Herzens, der Leber, der Galle desselben und
deren Verbrennung und Räucherung durch den jungen
Tobias und die Sara deuteten auf die Besiegung
des Teufels der Fleischlichkeit, der ihre früheren
Männer erwürgt hatte, und auf die guten Werke
und die Enthaltung Joachims und Annas, durch
welche sie den Segen heiliger Fruchtbarkeit
errungen haben. - Ich sah auch einen tiefen
Bezug auf das heilige Sakrament hierbei, den
ich aber nicht mehr mitzuteilen weiß.
Die Galle des Fisches, wodurch der alte Tobias
wieder sehend ward, deutet auf die Bitterkeit
des Leidens, wodurch die erwählten Juden zur
Erkenntnis und Teilnahme des Heiles gelangten,
es deutet auf die Einkehr des Lichtes in die
Finsternis durch das bittere Leiden Jesu von
seiner Geburt an.
Ich hatte viele Erklärungen dieser Art. Ich
sah vieles einzelne aus der Geschichte des Tobias.
Ich meine, die Nachkommen des jungen Tobias
trugen zum Stamme Joachims und Annas bei. Der
alte Tobias hatte noch andere nicht gute Kinder.
Sara gebar drei Töchter und vier Söhne. Das
erste Kind war eine Tochter. Der alte Tobias
erlebte noch Kindeskinder.
DER STAMMBAUM DES MESSIAS
Ich sah die Stammlinie des Messias aus David
hervortretend und sich in zwei Ströme teilen.
Zur Rechten lief die Linie durch Salomo und
endete mit Jakob, dem Vater des heiligen Joseph.
Ich sah die Figuren aller im Evangelium angegebenen
Voreltern des heiligen Joseph auf den Zweigen
dieses rechten Astes des Stammbaumes aus David
durch Salomo.
Diese Geschlechtslinie zur Rechten hatte eine
höhere Bedeutung, ich sah sie aus dem Munde
der einzelnen Gestalten ausgehen, in ganz ungefärbten,
lichtweißen Strömen. - Die Gestalten waren höher
und geistiger als die der Linie zur Linken.
Jeder hatte einen etwa armlangen Blumenstengel
mit palmenartig nieder hängenden Blättern in
der Hand, am Gipfel des Stengels blühte die
große lilienartige Blumenglocke mit fünf oben
gelben Staubfäden, welche einen feinen Staub
streuten. Diese Blumen waren von verschiedener
Größe. Kraft und Schönheit. Die Blume, die Joseph,
der Nährvater Jesu, trug, war die schönste von
allen, rein und voll frischer Blätter. - Drei
Glieder dieses Stammastes über seiner Mitte
waren ausgestoßen, erschwarzt und verdorrt.
Es waren mehrere Lücken an dieser Salomonischen
Linie, wo die Früchte weiter auseinander standen.
-Mehrmals berührten sich der rechte und linke
Stamm, und sie durchkreuzten sich gegenseitig
wenige Glieder vor ihrem Ende. - Ich hatte eine
Mitteilung über die höhere Bedeutung der Stammlinie
aus Salomo. Sie war mehr aus dem Geist, weniger
aus dem Fleische, sie hatte etwas von der Bedeutung
Salomos. Ich kann es nicht ausdrücken.
Die Geschlechtslinie
zur Linken ging aus David durch Nathan bis auf
Heli, welches der rechte Name Joachims, des
Vaters Mariä ist, denn er hat den Namen Joachim
erst später erhalten, so wie Abram erst später
Abraham genannt wurde. Ich habe die Ursache
vergessen, werde sie aber vielleicht wieder
erhalten. Jesum höre ich oft in meinen Betrachtungen
einen Sohn Helis 29
nach dem Fleische
nennen.
Diese ganze Linie zur Linken aus David durch
Nathan sah ich niedriger auslaufen. Sie ging
meistens aus dem Nabel der einzelnen Gestalten.
Ich sah sie farbig, rot, gelb, weiß, aber nie
blau. Sie hatte hie und da Flecken und kam dann
wieder klar hervor. Die Gestalten neben ihr
waren kleiner als jene der Salomonischen Linie.
Sie trugen kleinere, nach der Seite hängende
Zweige mit gelbgrünen gezackten Blättern, diese
Zweige hatten oben eine rötliche Knospe von
der Farbe der wilden Rose. Es waren diese Knospen
keine Blumenknospen, sondern Fruchtknötchen
und immer geschlossen. An den Zweigen senkte
sich eine doppelte Reihe von Ästchen nach der
einen Seite nieder, woran die gezackten Blättchen
hingen.
Etwa drei oder
vier Glieder vor Heli oder Joachim durchkreuzten
sich die beiden Linien und endeten oben mit
der heiligen Jungfrau Ich meine, daß ich bei
dieser Durchkreuzung das Blut der heiligen Jungfrau
30
bereits leuchtend in dem Strahle beginnen sah.
Die heilige Mutter Anna stammte väterlicher
Seite aus Levi, mütterlicher Seite aus Benjamin.
Ich sah in einer Betrachtung die Bundeslade
von ihren Vorfahren so fromm und andächtig tragen,
und daß sie damals Strahlen des Segens aus ihr
empfingen, welche sich auf ihre Nachkommenschaft,
auf Anna und Maria, bezogen. Ich sah immer viele
Priester im elterlichen Hause Annas und auch
bei Joachim, was auch durch die Verwandtschaft
mit Zacharias und Elisabeth veranlaßt wurde.
29
So wird auch die Stelle Lk 3,23 von mehreren
alten (zum Beispiel Hilarius diaconus quaest.
vet. et nov. I. 56 und II. 6) und neueren Auslegern,
besonders nach dem griechischen Text, gefaßt:
„Er wurde für einen Sohn Josephs gehalten, stammte
aber in der Tat von Eli." Daß Maria, deren Geschlechtslinie
doch von Lukas aufgeführt wird, selbst nicht
genannt ist, erklärt sich durch den Grundsatz
der jüdischen Genealogen:
„genus patris
vocatur genus, genus matris non vocatur genus"
(Talmud baba bathra, Seite 110). Der Vater Mariä
war demnach das erste anführbare Glied in der
Abstammung Christi dem Fleische nach. Christus,
der auf Erden keinen Vater hatte, heißt dem
Fleische nach mit größerem Recht ein Sohn des
Eli, als Laban (Gen 29,5) ein Sohn Nachors und
Zacharias ein Sohn Jddos (Esr 5,1) genannt wird,
da beide doch Enkel der Genannten sind.
30
Die selige Emmerich meint damit ohne Zweifel
die Verbindung der Davidisdien Linien Nathan
und Salomo, von welcher unten Seite
29 die Rede war. Im dritten Geschlecht nämlich
aufwärts von Joachim heiratete die Großmutter
des heiligen Joseph, nachdem sie dem Salomoniden
Matthan zwei Söhne, darunter den Jakob, Vater
des heiligen Joseph, geboren hatte, einen zweiten
Mann, Levi aus der Davidischen Familie Nathan
— und gebar diesem den Matthat, den Vater des
Eli oder Joachim. Auf solche Weise sind Joachim
und Joseph verwandt. Auffallend ist, daß Ravmundus
Martini in seinem pugio fidei (S. 745 ed. Carp.)
ebenfalls bemerkt, daß die Großmutter des heiligen
Joseph nach dem Tod des Matthan einen zweiten
Mann geheiratet habe, von welchem Joachim herstamme.
ERSCHEINUNG DER HEILIGEN MUTTER ANNA
(Am 26. Juli 1819 erzählte die ehrwürdige Emmerich
sehr vieles aus dem Leben der heiligen Anna.
Der Schreiber wußte die Veranlassung nicht,
denn der Münsterische Kalender meldet an diesem
Tage das Fest des heiligen Hubertus; es entdeckte
sich aber später, daß der römische Kalender
am 26. Juli das Annafest feiert, wodurch ihre
Anschauung veranlaßt ward. Am 16. August, dem
Annafest nach dem Münsterischen Kalender, erzählte
sie jährlich auch mehreres von der Mutter der
heiligen Jungfrau, was alles in dem oben Mitgeteilten
zusammengestellt ist. Vom26. Juli 1819 gehört
noch folgendes hierher.)
Nachdem sie am Nachmittag vieles von der heiligen
Mutter Anna erzählt hatte, betete sie und entschlummerte
darüber. Nach einer Weile nieste sie dreimal
und sagte schlaftrunken mit einiger Ungeduld:
„Ei, warum soll ich denn aufwachen?" Hierauf
erwachte sie völlig und sagte lächelnd: „Ich
war in einem viel besseren Orte, es ging mir
viel besser als hier. Ich hatte vielen Trost,
da weckte mich auf einmal das Niesen, es sagte
mir einer: ,Du sollst erwachen', ich wollte
aber nicht, es gefiel mir dort so gut, ich war
ganz ungeduldig, daß ich fort sollte, da mußte
ich niesen und erwachte." Am folgenden Tage
erzählte sie:
„Als ich gestern Abend zu Nacht gebetet hatte
und kaum eingeschlafen war, trat eine Person
an mein Bett, und ich erkannte in ihr eine Jungfrau,
die ich schon früher oft gesehen hatte. Sie
sprach ganz kurz zu mir: Du hast heute viel
von mir gesprochen, mm sollst du mich auch sehen,
damit du dich nicht in mir irrest. — Ich fragte
sie aber: ,Habe ich auch wohl zuviel geredet?'
Da erwiderte sie kurzweg: ,Nein!' und verschwand.
— Sie war noch im jungfräulichen Stande, war
schlank und anmutig; sie hatte den Kopf mit
einer weißen Kappe bedeckt, welche im Nacken,
zusammengezogen mit einem Zipfel endigend, nieder
hing, als seien ihre Haare darin verschlossen.
Ihr langes, sie ganz bedeckendes Kleid war von
weißlicher Wolle, die anschließenden Ärmel erschienen
nur um die Ellbogen etwas kraus gebauscht. Hierüber
trug sie einen langen Mantel von bräunlicher
Wolle wie von Kamelhaaren.
Kaum hatte ich mich mit Rührung über diese Erscheinung
gefreut, als plötzlich in ähnlicher Kleidung
eine bejahrte Frau mit etwas gebeugterem Haupte
und sehr eingefallenen Wangen vor mein Lager
trat, sie war wie eine schöne, hagere, etwa
50 Jahre alte Jüdin. - Ich dachte schon: „Ei,
was will denn die alte Judenfrau bei mir?" Da
sprach sie zu mir: „Du brauchst nicht zu erschrecken,
ich will mich dir nur zeigen, wie ich gewesen
bin, da ich die Mutter des Herrn geboren, damit
du dich nicht irrst." Ich fragte sogleich: „Ei,
wo ist denn das liebe Kindlein Maria?" Und sie
erwiderte: „Ich habe sie jetzt nicht bei mir."
Da fragte ich weiter: „Wie alt ist sie denn
jetzt?" Und sie antwortete: „Vier Jahre"; und
ich fragte abermals: „Habe ich dann auch recht
geredet?" Und sie sprach kurz: „Ja!" Ich aber
bat sie: „Oh, mache doch, daß ich nicht zuviel
sage!" - - Sie antwortete nichts und verschwand.
Nun erwachte ich und überdachte alles, was ich
von der Mutter Anna und der Kindheit der heiligen
Jungfrau gesehen, und alles ward mir klar, und
ich fühlte mich ganz glückselig. Am Morgen wieder
entschlummert, sah ich noch ein neues, sehr
schönes und zusammenhängendes Bild. Ich glaubte
es nicht vergessen zu können, aber der kommende
Tag fiel mit so vielen Störungen und Leiden
über mich, daß ich nichts mehr davon übrig habe.
KIRCHENFESTBILD DER EMPFÄNGNIS MARIÄ
(erzählt am 8. Dezember 1819)
Nachdem ich die ganze Nacht bis gegen Morgen
in einem schrecklichen Greuelbilde von den Sünden
der ganzen Welt zugebracht hatte, schlief ich
wieder ein und ward nach Jerusalem entrückt,
an die Stelle, wo der Tempel gestanden, und
dann weiter in die Gegend von Nazareth, wo sich
ehedem das Haus Joachims und Annas befand. Ich
erkannte noch die Umgegend.
Hier sah ich aus der Erde eine feine Lichtsäule
wie den Stengel einer Blume hervor steigen,
und diese Säule trug, wie der Kelch einer Blume
oder wie die Samenkapsel des Mohns auf einem
Stiele hervor wächst, die Erscheinung einer
leuchtenden achteckigen Kirche 31.
31 Alle kirchlichen
Festbilder sah die gottselige Emmerich, wenn
sie auch 'cht mehr auf Erden in der streitenden
Kirche gefeiert wurden, doch in der triumphierenden
Kirche feiern. Sie sah dann die Feierlichkeit
in der Erscheinung einer durchsichtigen leuchtenden
Kirche, deren Form sie meistens als ein Achteck
angab, von allen Heiligen, welche einen besonderen
Bezug auf das Fest hatten, mit einer tiefsinnigen
Kombination der Feier vollziehen. Diese Kirche
sah sie meistens in der Luft schwebend. — Bemerkenswert
aber erscheint, daß bei jedem Feste, welches
sich auf irgendeine Blutsverwandtschaft mit
Jesus Christus oder auf die Mysterien seines
Lebens bezog, sie diese Kirche nicht in der
Luft schwebend, sondern gleich einer Blume oder
Frucht auf einem aus der Erde hervordringenden
Stiel, wie auf einer Säule stehend, und also
gleichsam gewachsen erscheinen sah. — Vor allem
aber war es dem Schreiber überraschend, daß
sie bei allen Festen stigmatisierter Heiligen,
zum Beispiel des heiligen Franziskus von Assisi,
der heiligen Katharina von Siena usw. die Erscheinung
der Kirche auch nicht in der Luft schwebend,
sondern auf dem Stiel aus der Erde gewachsen
sah. — Eine Reflexion hierüber erscheint nicht
unfruchtbar, sie selbst sprach sich wahrscheinlich
aus Bescheidenheit nie darüber aus.
Die tragende Säule stieg bis in die Mitte dieser
Kirche wie ein Bäumchen hervor, auf dessen regelmäßig
geteilten Zweigen Gestalten aus der Familie
der heiligen Jungfrau standen, welche in diesem
Festbilde der Gegenstand der Verehrung waren.
Sie standen wie auf den Staubfäden einer Blume.
— Es war dies aber die heilige Mutter Anna zwischen
dem heiligen Joachim und einem anderen Manne,
vielleicht ihrem Vater. Unter der Brust der
heiligen Anna sah ich einen Lichtraum, etwa
von der Gestalt eines Kelches und in diesem
die Gestalt eines leuchtenden Kindes sich entwickeln
und größer werden. Es hatte die Händchen über
der Brust gekreuzt und sein Häuptchen geneigt,
und es gingen von ihm unzählig viele Strahlen
nach einer Seite der Welt aus. Es fiel mir auf,
daß dies nicht nach allen Richtungen geschah.
Auf anderen umgebenden Zweigen saßen gegen diese
Mitte gerichtet mancherlei verehrende Gestalten,
und rings in der Kirche umher sah ich in Ordnungen
und Chören unzählige Heilige gegen diese heilige
Mutter betend gerichtet.
Diese süße Innigkeit und Einigkeit dieses Gottesdienstes
ist mit nichts zu vergleichen als mit einem
Feld der mannigfaltigsten Blumen, welche, von
einem leisen Winde bewegt, ihre Düfte und Farben
den Strahlen der Sonne opfernd entgegenschwenken,
aus welcher alle Blumen diese Opfergaben, ja
ihr Leben selbst empfangen haben.
Über diesem Sinnbilde des Festes der Unbefleckten
Empfängnis erhob sich das Lichtbäumchen mit
einem neuen Aufschuß zu seinem Gipfel, und ich
sah in dieser zweiten Zweigkrone einen weiteren
Moment des Festes gefeiert. Hier knieten Maria
und Joseph und etwas tiefer unten vor ihnen
die heilige Mutter Anna. Sie beteten das Jesuskind
an, welches mit dem Reichsapfel oder der Weltkugel
in der Hand über ihnen in dem Gipfel von unendlichem
Glänze umgeben saß.
— Um diese Vorstellung her beugten sich anbetend
die Chöre der heiligen drei Könige, Hirten,
Apostel und Jünger in der nächsten Umgebung,
in weiteren Kreisen aber andere Heilige. — Weiter
oben sah ich in höchstem Lichte unbestimmtere
Formen und Gestalten von Kräften und Würden,
und noch höher herab, gleichsam durch die Kuppel
der Kirche hereinstrahlte wie eine halbe Sonne.
Dieses zweite Bild schien auf die Nähe des Christfestes
nach dem Feste der Empfängnis zu deuten.
Bei der ersten Erscheinung des Bildes sah ich,
als stehe ich außerhalb der Kirche unter der
Säule in die umherliegende Gegend, später in
die Kirche selbst, wie ich sie beschrieben.
— Ich sah auch das Kindlein Maria sich in den
Lichtraum unter dem Herzen der heiligen Mutter
Anna entwickeln und erhielt zugleich eine unaussprechliche
Überzeugung von der Empfängnis ohne Erbsünde.
Ich las es deutlich wie aus einem Buche und
verstand es. — Mir wurde auch gesagt, hier sei
einst eine Kirche zur Ehre dieser Gnade Gottes
gestanden, sie sei aber als Mitveranlassung
mancher unangemessener Streitigkeiten über dieses
heiligste Geheimnis der Zerstörung preisgegeben
worden, doch feiere die triumphierende Kirche
noch immer dieses Fest an dieser Stelle.
DIE HEILIGE JUNGFRAU SPRICHT VON GEHEIMNISSEN
IHRES LEBENS
(WÄHREND IHRER BETRACHTUNGEN AUS DEM LEHRWANDEL
JESU ERZÄHLTE A. K. EMMERICH AM 16. DEZEMBER
1822)
Ich höre oft, wie die heilige Jungfrau den vertrauten
Frauen, zum Beispiel der Johanna Chusa und der
Susanna von Jerusalem, allerlei Geheimnisse
von sich und unserem Herrn erzählt, die sie
teils aus innerer Erkenntnis, teils aus den
Mitteilungen der heiligen Mutter Anna weiß.
-So habe ich sie auch heute der Susanna und
Martha erzählen hören, daß sie, während sie
unseren Herrn unter ihrem Herzen getragen, nicht
die mindeste Beschwerde, sondern eine unendliche
innere Freude und Seligkeit empfunden habe.
-Sie erzählte ihnen auch, daß Joachim und Anna
sich in der Halle unter der goldenen Pforte
in einer goldenen Stunde begegnet seien; und
hier sei jene Fülle der göttlichen Gnade zu
ihnen gelangt, in deren Folge sie allein durch
heiligen Gehorsam und reine Gottesliebe ohne
alle Unlauterkeit ihrer Eltern das Dasein unter
dem Herzen ihrer Mutter empfangen habe. Sie
gab ihnen auch zu erkennen, daß ohne den Sündenfall
die Empfängnis aller Menschen ebenso rein gewesen
sein würde. Sie sprach auch von ihrer geliebten
älteren Schwester, Maria Heli, wie ihre Eltern
diese nicht als die verheißene Frucht erkannt
und sich nachher so lange enthalten und gesehnt
hätten. -Mich freute, hier nun von der heiligen
Jungfrau selbst zu hören, was ich immer von
ihrer älteren Schwester gesehen habe.
Ich sah nun den ganzen Hergang der von den Eltern
Mariä empfangenen Gnade wieder, von der Erscheinung
des Engels bei Anna und Joachim an bis zu ihrer
Begegnung unter der goldenen Pforte, wie ich
es immer erzählte. Unter der goldenen Pforte,
das heißt in der unterirdischen heiligen Halle
unter der goldenen Pforte, sah ich Joachim und
Anna von einer Menge von Engeln mit himmlischem
Lichte umgeben, sie selbst leuchteten und waren
rein wie Geister in einem übernatürlichen Zustande,
wie nie vor ihnen ein Menschenpaar gewesen.
Ich meine, in der goldenen Pforte selbst sind
die Prüfungen und die Zeremonien der Freisprechung
der des Ehebruchs beschuldigten Frauen und andere
Aussöhnungen vollzogen worden
32.
Es waren fünf ähnliche unterirdische Gänge unter
dem Tempel, auch einer unter dem Orte, wo die
Jungfrauen wohnen. Man ward bei bestimmten Sühnungen
hineingeführt
33.
Ob jemals andere vor Joachim und Anna diesen
Weg betraten, weiß ich jetzt nicht, aber ich
glaube, es war wohl ein sehr seltener Fall.
Ob es überhaupt ein Gebrauch bei Opfern war,
welche Unfruchtbare brachten, ist mir jetzt
auch nicht gegenwärtig. Es ist den Priestern
so befohlen worden.
32 A. K. Emmerich
trifft in dieser Bemerkung mit den Angaben der
ältesten jüdischen Literatur überein. So zum
Beispiel Mischn. Tract. Tamid. c. 5. und Sotah
c. 1.
33 Es ist eine
fruchtbare Betrachtung, daß gerade an derjenigen
Tempelstelle, über welcher die des Ehebruches
Beschuldigten durch das sogenannte bittere Eiferwasser
dem Gottesurteil unterworfen, gestraft oder
gerechtfertigt, und die Unreinen gereinigt wurden,
die segnende Gnade zur reinen Empfängnis der
Mutter Jesu Christi erteilt wurde, in dessen
Verbindung mit der Kirche die Ehe ein großes
Sakrament ist (Eph 5,32) und welcher s|eh zum
Stihnopfer hingab, den Ehebruch der Menschheit
gegen Gott zu sühnen und ein Bräutigam der erkauften
Seelen zu werden.
FEIER DER EMPFÄNGNIS MARIÄ AN VERSCHIEDENEN
ORTEN
EINLEITUNG — PERSÖNLICHES
Im Jahre 1820, den 8. Dezember am Fest der unbefleckten
Empfängnis Mariä, bewegte sich die Seele der
Erzählerin in betrachtender Gebetstätigkeit
über einen großen Teil der Erde. Aus den mitgeteilten
Bruchstücken dieser Reisevision, welche an angemessenem
Orte ganz mitgeteilt werden wird, führen wir
hier, um einen Begriff solcher Seelenbewegungen
zu geben, auszüglich Folgendes an:
Sie kam nach
Rom, war bei dem heiligen Vater, besuchte in
Sardinien eine ihr liebe fromme Klosterfrau,
berührte Palermo, gelangte nach Palästina und
hierauf nach Indien und von da auf einen von
ihr so genannten Prophetenberg
34
— Weiter gelangte
sie noch in Abessinien auf einem hohen Felsgebirge
in eine wunderbare Judenstadt und besuchte deren
Vorsteherin Judit
35,
mit welcher sie von dem Messias, von dem heutigen
Feste der Empfängnis seiner Mutter, von der
heiligen Adventszeit und dem herannahenden Feste
seiner Geburt sprach. Auf dieser ganzen Reise
tat sie alles, was nach seiner Aufgabe und der
sich darbietenden Gelegenheit ein gewissenhafter
Missionär auf einer ähnlichen Reise tun würde:
sie betete, lehrte, half, tröstete und lernte.
Um aber, was sie auf dieser Reise das Fest Mariä
Empfängnis betreffend vernommen, dem Leser mit
ihren Worten verständlich machen zu können,
bitten wir denselben, die Note auf der Seite
56 nachzulesen, in welcher der Teil des Lehrwandels
Jesu, auf welchen sie sich hier bezieht, auszüglich
angeführt ist.
„Als ich heute Nacht in meinem großen Reisetraum
in das gelobte Land kam, sah ich alles, was
ich von der Empfängnis der heiligen Jungfrau
erzählt habe. Hierauf trat ich in die täglichen
Betrachtungen der Lehrjahre unseres Herrn ein
und war heute der Reihe nach am 8. Dezember
des dritten Lehrjahres. — Ich fand Jesum
nicht im gelobten Lande, sondern ward von meinem
Führer über den Jordan gegen Morgen nach Arabien
gebracht, wo der Herr von drei Jünglingen begleitet,
sich heute in einer Zeltstadt der heiligen drei
Könige befand, in der sie sich nach ihrer Rückkehr
von Bethlehem niedergelassen hatten.
34 Prophetenberg
nannte die Erzählerin eine über alle Gebirge
der Erde erhöhte Örtlichkeit, zu welcher sie
auf ihren ekstatischen Reisevisionen am 10.
Dezember zum ersten Male und dann später noch
verschiedene Male geführt ward. Sie sah dort
die Bücher prophetischer Offenbarung aller Zeiten
und Völker in einem Gezelte bewahrt und von
einer Persönlichkeit geprüft und verwaltet,
welche sie teils an Johannes den Evangelisten,
teils an Elias und an letzteren besonders dadurch
erinnerte, daß sie den Wagen, auf welchem dieser
Prophet von der Erde entrückt ward, hier oben
in der Nähe des Gezeltes ganz von lebendigem
Grün überzogen wahrnahm. Diese Persönlichkeit
nun sagt ihr, daß sie alle Bücher prophetischer
Erkenntnis, die jemals den Menschen gegeben
oder mannigfach getrübt worden oder noch zu
geben sei, nach einem großen vorliegenden Buche
vergleiche, vieles ausstreiche oder in dem zur
Seite brennenden Feuer vertilge. Die Menschen
seien noch nicht fähig, diese Gaben zu empfangen,
es müsse erst ein anderer kommen usw. Alles
dieses sah sie auf einer grünen, von einem klaren
See umgebenen Insel, worauf mehrere, verschiedenförmige,
von Gärten umgebene Türme standen. Sie hatte
die Empfindung, daß diese Türme Schatzkammern
und Brunnenhäuser der Weisheit verschiedener
Völker seien und daß unter der Insel, welche
von mehreren Quellen durchrieselt war, der Ursprung
für heiliggehaltener Flüsse, unter anderem des
Ganges ruhe, welche am Fuße des Gebirges zutage
kämen usw. Die Richtung des Weges, auf welchem
sie zu diesem Prophetenberge geführt ward, war
je nach dem Ausgangspunkte ihrer Reise immer
die Richtung nach dem hohen Mittelasien. Sie
erwähnte Situationen, Natur, Menschen, Tier-
und Pflanzenleben der durchwandelten Gegenden,
ward dann, durch einen ganz einsamen öden Raum,
wie durch Wolken dringend, zu der erwähnten
Örtlichkeit emporgehoben, deren nähere Bestimmung
nebst allem von der Erzählerin dort Erlebten
mit der ganzen Reisevision an angemessener Stelle
mitgeteilt werden wird. Den Rückweg ward sie
niedersteigend wieder durch die Wolkenregion
geführt, durchzog dann abermals, von herrlicher
Vegetation, von Tieren und Vögeln belebte Gegenden
und gelangte dann zum Ganges und sah an diesem
Fluß indische Religionsgebräuche an. — Die geographische
Lage dieser Örtlichkeit und die Erwähnung, daß
sie da oben schier alles mit lebendigem Grün
überzogen gesehen, erinnerten zwanzig Jahre
nach der Aufschreibung dieser Mitteilungen einen
Leser derselben an Überlieferungen von einer
ähnlichen Örtlichkeit zum Teil mit einem ähnlichen
Bewohner in den Religionssystemen mehrerer asiatischer
Völker. Der Prophet Elias ist den Muselmanen
unter dem Namen Chiser, das heißt der Grüne,
als ein wunderbares, halbes Engelswesen bekannt,
welches auf dem in vielen religiösen und poetischen
Schriften gefeierten Berge Kaf im Norden wohnt
und dort an der Quelle des Lebens über Geheimnisse
wacht. — Die Indier versetzten ihren heiligen
Berg Meru, die Chinesen ihren Kuenlun, beide
mit Vorstellungen von einem paradiesischen Zustande,
ebenfalls ins hohe Mittelasien, wo die selige
Emmerich den Prophetenberg findet. — Auch die
alten Perser glaubten einen solchen Ort, den
sie als Elbors oder Albordsch verehrten. Die
Babvlonier scheinen (nach Is 14,13) den gleichen
Glaub en gehabt zu haben. Daß sie samt den Persern
und Moslimen den Berg in den Norden setzen,
erklärt sich durch ihr geographisches Verhältnis
zum mittleren Hochasien.
35 Als der
Schreiber die sehr umständliche Erzählung ihres
Verkehrs mit dieser Judith und ihre Beschreibung
der örtlichkeit aufzeichnete, wußte er nur aus
der Richtung ihres Weges, daß sie in Abessinien
war; mehrere J ahre nach ihrem Tode fand er
in den Reisen von Bruce und Salt eine jüdische
Niederlassung auf dem Hochgebirge Samen in Abessinien
erwähnt, deren Oberhaupt sich immer Gideon und
im Falle einer weiblichen Beherrscherin immer
Judith heiße, welchen letzteren Namen die Erzählerin
selbst ausgesprochen.
DIE HEILIGEN DREI KÖNIGE FEIERN MARIÄ EMPFÄNGNIS
Ich sah, daß die zwei der heiligen drei Könige,
welche noch lebten, von heute, dem 8. Dezember,
an ein dreitägiges Fest mit ihrem Stamme feierten.
Sie hatten 15 Jahre v. Chr. Geburt in dieser
Nacht das von Balaam verheißene Gestirn (Num
24,17), auf welches sie und ihre Vorfahren so
lange Zeit in treuer Beobachtung des Himmels
geharrt hatten, zum ersten Male aufgehen gesehen
und in ihm das Bild einer Jungfrau erkannt,
welche in der einen Hand ein Zepter, in der
anderen eine Waage hielt, auf deren einer Schale
eine schöne Weizenähre, auf der anderen eine
Traube im Gleichgewichte lagen. Sie feierten
darum seit ihrer Rückkehr von Bethlehem jährlich
von diesem Tage an durch drei Tage ein Fest
usw.
ABSTELLUNG EINES MENSCHENOPFERS BEI DEN STERNDIENERN
Ich sah aber, daß infolge dieser Erkenntnis
am Tage der Empfängnis Mariä, 15 Jahre v. Chr.
Geburt, unter diesen sterndienenden Männern
ein schrecklicher Religionsbrauch abgestellt
ward, welcher durch miß verstandene und von
bösen Einflüssen getrübte Offenbarungen seit
langen Zeiten unter ihnen geübt worden war,
nämlich ein grausames Kinderopfer. Sie hatten
zu verschiedenen Zeiten Menschen- und auch Kinderopfer
auf verschiedene Weise vollzogen.
Ich sah, daß
sie im Zeitalter vor Mariä Empfängnis folgenden
Gebrauch hatten. Sie nahmen ein Kind der reinsten
und frömmsten Mutter ihrer Religion, welche
sich sehr glücklich schätzte, ihr Kind so zu
opfern. Das Kindlein ward geschunden und mit
Mehl überstreut, um das Blut aufzufangen. Dieses
mit Blut getränkte Mehl aßen sie als heilige
Speise und wiederholten das Ausstreuen des Mehles
und das Essen, bis das Kind ganz verblutet war.
Zuletzt ward das Fleisch des Kindes in kleine
Stücke zerschnitten, verteilt und gegessen
36.
36 Merkwürdig
erscheint in bezug hierauf, daß unter den Schriftstellern
der ersten christlichen Jahrhunderte, welche
die Beschuldigungen der Heiden gegen die Christen
anführen, unter anderem Minutius Felix den Vorwurf
erwähnt: Die Christen legten den in ihre Religion
Einzuweihenden ein ganz mit Mehl überstreutes
Kind vor, um so den Mord, den man ihn begehen
lasse, zu verbergen. Der Neuling müsse nun das
Kind mehrfach mit einem Messer durchstechen.
Hierauf saugten sie das strömende Blut begierig
auf, zerschnitten das Kind in kleine Stücke
und äßen es gänzlic1 auf, und dieses gemeinsame
Verbrechen sei ihnen das gegenseitige Unterpfand
des Stillschweigens und der Bewahrung des Geheimnisses
in betreff anderer schändlicher Ausschweifungen
geworden, mit welchen sie ihre Versammlungen
beschlössen. — Sollte die Entstehung dieser
Beschuldigung vielleicht durch das erwähnte
Kindesopfer jener Sterndiener, welche unter
den ersten Bekennern des Chri tentums waren,
entstanden sein? — Jedenfalls liegt die Vermutung
nahe, daß ähnliche Vorstellungen durch Aberglauben
mißverstandener Heilsverkündigungen, wie wir
sie hier bei den Magiern finden, auch der tiefere
Grund und die innere Veranlassung von Ermo dungen
christlicher Kinder durch Juden seien; und wenn
das ist, so gehören diese dunklen Grausamkeiten
mit zu den vielen Beweggründen, das arme Judentum
eher zu bemitleiden als zu verachten. Es ist
eine verzerrte Sehnsucht nach dem Heiland darin.
Diese so oft wiederkehrende Erscheinung ist
nach unserem Wissen nie gründlich zusammengestellt
und mit voller Unbefangenheit beleuchtet worden.
Man hat sie in neuester Zeit meistens wie alle
historischen Rätsel eines tieferen Ursprunges
sehr bequem von oben herab als Beschuldigungen
des Fanatismus behandelt.
Ich sah sie diese gräßliche Handlung mit der
größten Einfalt und Andacht vollziehen, und
mir ward gesagt, daß sie zu diesem schrecklichen
Gebrauch durch Mißverständnis und Verzerrung
vorbildlicher, prophetischer Andeutungen über
das heilige Abendmahl gekommen seien.
Ich sah diesen schrecklichen Opfergebrauch in
Chaldäa im Lande Mensors, eines der heiligen
drei Könige, und wie er am Tage der Empfängnis
Mariä in einer Vision eine göttliche Erleuchtung
empfing, worauf dieser Greuel abgestellt ward.
Ich sah ihn auf einem pyramidalischen hohen
hölzernen Bau in der Beobachtung der Sterne
begriffen, welche diese Leute nach alten Überlieferungen
Jahrhunderte hindurch fortsetzten. - Ich sah
den König Mensor die Sterne betrachtend in Entzückung
erstarrt liegen; er wußte nichts mehr von sich.
Seine Genossen kamen zu ihm und brachten ihn
zu Sinnen, aber er schien sie anfangs nicht
zu kennen. Er hatte das Sternbild gesehen mit
der Jungfrau, der Waage, der Ähre, der Traube
und eine innere Weisung erhalten, worauf jener
grausame Gottesdienst abgeschafft wurde.
PARALLELBILD DIESES KINDEROPFERS
Als ich nachts im Schlafe das grausame Bild
des gemordeten Kindes zu meiner Rechten gesehen
hatte, wendete ich mich entsetzt auf meinem
Lager um, aber nun sah ich es ebenso zu meiner
Linken. Ich flehte nun herzlich zu Gott, er
möge mich von dem schrecklichen Anblick befreien,
da erwachte ich, hörte die Uhr schlagen, und
es sprach mein himmlischer Bräutigam herumzeigend
zu mir: ,,Da sieh noch Ärgeres, das täglich
von vielen durch die ganze Welt an mir geschieht."
Und da ich weit umherblickte, trat mir wohl
vieles noch gräulicher als jenes Kinderopfer
vor die Seele; indem ich mannigfach durch unwürdige
und sündenvolle Vollbringung des heiligen Geheimnisses
Jesum selbst auf dem Altare grausam geopfert
sah. Ich sah, wie die heilige Hostie von unwürdigen,
ausgearteten Priestern als ein lebendiges Jesuskindlein
auf dem Altare lag, das sie mit der Patene zerschnitten
und entsetzlich zermarterten. Ihr Opfer, obschon
das Geheimnis wirksam vollbringend, erschien
als ein grausames Morden
37.
Die gleiche Grausamkeit ward mir auch gezeigt
in gefühlloser Behandlung der Glieder Christi,
der Bekenner seines Namens, der von Gott an
Kindes Statt Angenommen, denn ich sah hierauf
unzählige gute unglückliche Menschen heutzutage
an vielen Orten drücken, quälen und verfolgen
und sah immer, daß dieses an Jesus geschah.
Es ist eine schreckliche Zeit, nirgends eine
Zuflucht mehr, ein dichter Nebel von Sünde liegt
über der ganzen Welt, und das Gräßlichste sehe
ich die Menschen ganz lau und gleichgültig so
hintun.
Ich sah alles dieses in vielen Anschauungen,
indem meine Seele durch viele Länder über die
ganze Erde geführt ward. Endlich kam ich wieder
in die Anschauung von dem Feste Mariä Empfängnis.
37 Wie das Opfer auf dem Kalvarienberg durch
den grausamen Willen gottvergessener Priester
und durch die blutdürstigen Hände ausgelassener
Schergen vollbracht wurde, so ist das Opfer
auf dem Altare, wenn es unwürdig gefeiert wird,
zwar auch ein wahres Opfer, aber der mit Schuld
unwürdige Vollbringer vertritt dabei die Stelle
der Jesum verdammenden Judenpriester und der
Kriegsknechte zu gleicher Zeit.
ZUR GESCHICHTE DES FESTES DER EMPFÄNGNIS MARIÄ
(FORTSETZUNG)
Ich weiß gar nicht zu sagen, auf welche wunderbare
Weise ich heute Nacht im Traume gereist bin.
Ich war in den verschiedensten Gegenden der
Welt und auch in den verschiedensten Zeitaltern
und sah das Fest der Empfängnis Mariä sehr oft
an den verschiedensten Orten der Welt feiern.
Auch bei Ephesus war ich und sah in dem Hause
der Muttergottes, welches noch als eine Kirche
dort stand, dieses Fest feiern. Es muß in sehr
früher Zeit gewesen sein, denn ich sah den von
Maria selbst errichteten Kreuzweg noch im vollkommenen
Stande, der zweite Kreuzweg entstand in Jerusalem,
der dritte in Rom.
Die Griechen
feierten dieses Fest lange vor ihrer Trennung
von der Kirche. Ich entsinne mich noch einiges,
doch nicht ganz bestimmt von der Veranlassung
hierzu. — Ich sah nämlich einen Heiligen, ich
glaube Sabas, wie er eine Erscheinung hatte,
die sich auf die unbefleckte Empfängnis bezog.
Er sah das Bild der heiligen Jungfrau auf der
Weltkugel, das Haupt der Schlange zertretend,
und erkannte, daß die heilige Jungfrau allein
von der Schlange unverletzt und unbefleckt empfangen
sei
38
. — Ich sah auch, daß eine Kirche der Griechen
oder daß ein griechischer Bischof dieses nicht
annehmen wollte, es sei denn, jenes Bild komme
zu ihnen über das Meer. Ich sah hierauf ihre
Erscheinung zu ihrer Kirche über das Meer heranschweben
und in der Kirche über dem Altare erscheinen,
worauf sie das Fest zu feiern begonnen. — Sie
besaßen in dieser Kirche ein Bild der heiligen
Jungfrau in Lebensgröße, ganz wie sie lebte,
in weißem Kleide und Schleier, von St. Lukas
gemalt. Ich meine dunkel, sie hätten es von
Rom erhalten, wo sie nur ein Brustbild besitzen.
Sie hatten dieses Bild über dem Altar an die
Stelle gesetzt, wo jenes Bild der unbefleckten
Empfängnis erschienen war. Ich meine, es sei
noch in Konstantinopel, oder ich habe es dort
in früherer Zeit verehren sehen.
Auch in England bin ich gewesen und habe das
Fest dort vor alten Zeiten einführen und feiern
gesehen. Ich habe in Bezug hierauf folgendes
Wunder schon vorgestern am St. Nikolausfeste
gesehen. Ich sah einen Abt aus England auf einem
Schiffe im Sturme in großer Gefahr. Sie flehten
gar dringend um den Schutz der Muttergottes,
da sah ich die Erscheinung des heiligen Bischofs
Nikolaus v. Myra über das Meer zu dem Schiffe
schweben, der dem Abt sagte, Maria sende ihn,
ihm zu verkünden, er solle am 8. Dezember das
Fest der unbefleckten Empfängnis in England
feiern lassen, dann werde das Schiff ankommen.
Er habe auch auf die Frage des Abtes, mit welchen
Gebeten es zu feiern sei, diesem geantwortet,
mit denselben wie Mariä Geburt. — Es kam bei
der Einführung des Festes auch der Name Anselmus
39
vor, wovon ich das Nähere vergessen habe. Ich
sah auch die Einführung dieses Festes in Frankreich,
und wie der heilige Bernhardus dagegen schrieb,
weil die Einführung nicht von Rom aus geschah
40.
38 Am 5. Juli
1835 las der Schreiber, nach des Kardinal B.ironius
Noten zum Martyrologium Romanum, 8. Dezember,
befinde sich in der Sforzianischen Bibliothek
ein Codex, Nr. 65, worin eine Rede des Kaisers
Leo, der 886 den Thron bestieg, über dieses
Fest in Konstantinopel enthalten sei, aus welcher
die Feier desselben als viel früher hervorgehe.
Nach Canisius de beatissima virgine Maria Hb.
1. c. 7 und nach Galatinus, de arcams catholicae
veritatis üb. 7, c. 5, ist das Fen in dem Martyrologium
des Johannes Damascenus angeführt. — Sabas,
der Abt, den die Erzählerin erwähnt, ist als
ein Verehrer Maria bekannt, er starb im Jahre
500.
39 Es ist bemerkenswert,
daß sie den Namen Anseimus nicht als den Namen
jenes Abtes, der die Erscheinung gehabt, selbst
erwähnt, da Petr. de Natal, in Catal. Sanct.
Lib. 1, cap. 42 ihn doch als diesen anführt,
wie der Schreiber im Juli 1835 las. F.s scheint
hierdurch die Anführung des Baronius in seinen
Noten zu dem Martyrologium Rotnanum, 4. Dezember,
unterstützt, wo er diese Verkündung nicht an
Anseimus, sondern früher unter ganz ähnlichen
Umständen an den Benediktinerabt F.lsinus oder
Elpinus 1070 ergangen erklärt. Dasselbe soll
J. Carthagena in seinen Homilien de arcanis
Deiparae tom. 1. Lib. 1. Horn. 19 aus einem
Briefe des heiligen Anseimus an die Bischöfe
Englands anführen. Dieser heilige Bischof von
Canterbury führte das Fest zuerst in England
ein.
40. Im Jahre 1245 ward es durch das Domkapitel
zu Lyon eingeführt, an welches Bernhardus dagegen
schrieb.
JAHRESZEIT DES FESTES MARIA EMPFÄNGNIS
(EINE NOTE DES SCHREIBERS)
Das bisher in Beziehung auf den Segen Joachims
und Annas Niedergeschriebene ist aus Anschauungen
und Erinnerungen zusammengestellt, zu welchen
die gottselige Emmerich jährlich während der
Festzeit der unbefleckten Empfängnis Mariä (8.
Dezember) veranlaßt wurde. Sie erklärte indessen
im Jahre 1821 an diesem Festtage, das Zusammentreffen
Joachims und Annas unter der goldenen Pforte
falle nicht in den Dezember, sondern in den
Herbst, auf das Ende des Laubhüttenfestes (welches
vom 15. bis 23. Tisri, d. i. September oder
Oktober dauerte). Sie sah daher Joachim, ehe
er zum Tempel zog. mit seinen Hirten die Laubhütten
bauen (S. 41) und Anna die Verheißung der Fruchtbarkeit
empfangen, da sie unter einem Baume betet, der
eine Laube bildet (S. 39). Da sie aber im vorhergehenden
Jahre 1820 erwähnt hatte, sie erinnere sich,
daß Joachim bei Gelegenheit eines Tempelweihfestes
mit seinen Opfern nach Jerusalem hinaufgezogen
sei, wo er der Anna habe begegnen sollen, so
kann damit nicht das gewöhnliche jüdische Kirchweihfest
im Winter (den 25. Kaslew), sondern es muß darunter
wohl ein Gedenkfest der Tempelweihe Salomonis
verstanden werden, welchem nach den täglichen
Mitteilungen der gottseligen Emmerich aus dem
dreijährigen Lehrwandel Jesu, der Herr in seinem
zweiten Lehrjahr am Schlüsse des Laubhüttenfestes
in Aruma, einige Stunden von Salem, über die
bevorstehende Zerstörung des Tempels lehrend
beiwohnte.
Schweigen zwar unsere gelesensten Werke über
die hebräischen Altertümer von dieser Feier,
so läßt sich das Dasein derselben, auch abgesehen
von den Aufschlüssen der A. K. Emmerich, doch
nicht wohl bezweifeln, wenn man berücksichtigt,
daß Salomo die Einweihung des von ihm erbauten
Tempels in Verbindung mit dem Laubhüttenfest
feierte (3 Kg 8,2.66 und
2Chr7,10) und daß die Masora zu 3 Kg 8,2 und
54 die Erzählung von der Einweihung des Salomonischen
Tempels als Festlektionen für den 2. und 8.
Tag des Laubhüttenfestes anweist. Obschon indessen
A. K. Emmerich das Zusammentreffen Joachims
und Annas im Tempel am Schlüsse des Laubhüttenfestes
und also an zwei Monate früher als die kirchliche
Feier von Mariä Empfängnis (8. Dezember) gesehen,
so wurde sie doch immer durch das Marienfest
im Dezember zu den Mitteilungen über die Empfängnis
der allerseligsten Jungfrau bestimmt und erzählte,
wie an diesem Tage, nicht aber z. Zt. des Laubhüttenfestes
im Herbst, die Erinnerung an dieses gnadenreiche
Ereignis bereits von den heiligen drei Königen
sei gefeiert worden, als Christus nach der Erweckung
des Lazarus sie in Arabien besuchte.
Jene Begegnung unter der goldenen Pforte und
die Überstrahlung mit Licht und Segen von oben
darf uns demnach als eine Art unmittelbarer,
wesentlicher Erneuerung, Heiligung, Weihung,
Bestärkung und Reinigung dieses glückseligen
Ehebundes zu seiner von Gottes Ratschlüssen
bestimmten Aufgabe erscheinen. Durch die Übergabe
eines wesentlichen Segens an Joachim (S. 47)
und durch die (S. 40) erzählte Begnadigung der
heiligen Anna waren beide erst in den Zeitpunkt
der Reife für den heiligen Zweck ihrer Ehe eingetreten.
Wie nun diese Reife durch unmittelbare, wesentliche
Gnade und Kräfte bringendes Einwirken Gottes
gegeben war, so erscheint es angemessen, das
beide auf solche Art vom Himmel ausgerüstet,
auch vom Himmel durch eine gleiche Einwirkung
verbunden wurden.
Bis hierher reichen die erläuternden Beilagen
der A. K. Emmerich zu ihrer Erzählung von der
Empfängnis Mariä; von da wird nun die heilige
Lebensgeschichte wieder fortgesetzt.
MARIÄ BESEELUNG UND GEBURT
DIE BESEELUNG MARIÄ
Ich hatte eine Betrachtung von der Schöpfung
der heiligsten Seele Mariä und deren Vereinigung
mit ihrem reinsten Leibe.
Ich sah in dem
Lichtbilde, unter welchem mir gewöhnlich die
allerheiligste Dreifaltigkeit in meinen Betrachtungen
vorgestellt wird, ein Bewegung gleich einem
großen leuchtenden Berg und doch auch wie die
Gestalt eines Menschen, und ich sah etwas aus
der Mitte dieser Menschengestalt gegen deren
Mund aufsteigen und wie einen Glanz aus diesem
ausgehen. — Diesen Glanz sah ich nun ausgesondert
vor dem Angesichte Gottes stehen und sich drehen
und bilden oder vielmehr gebildet werden, denn,
indem dieser Glanz eine menschliche Gestalt
annahm, sah ich, als werde er durch den Willen
Gottes so unaussprechlich schön gebildet. —
Ich sah auch, daß Gott die Schönheit dieser
Seele den Engeln zeigte, und daß diese eine
unaussprechliche Freude an ihrer Schönheit hatten.
Ich vermag nicht alles, was ich sah und erkannte,
mit Worten zu beschreiben
41.
Als 17 Wochen und zwei Tage nach der Empfängnis
der heiligen Jungfrau verflossen waren, also
in der Mitte der Schwangerschaft Annas weniger
5 Tage, sah ich diese heilige Mutter nachts
auf ihrem Lager in ihrem Hause bei Nazareth
schlafend ruhen
42.
Es kam aber ein Leuchten über sie, und ein Strahl
aus diesem kam auf die Mitte ihrer Seite nieder,
und es ging der Glanz in Gestalt einer kleinen
leuchtenden menschlichen Figur in sie über.
— In demselben Augenblick sah ich die heilige
Mutter Anna von Glanz umgeben, sich auf ihrem
Lager aufrichten. Sie war wie entzückt und sah,
als öffne sich ihr Inneres wie ein Tabernakel,
in welchem sie ein leuchtendes Jungfräulein
erblickte, von der alles Heil der Menschen ausgehen
würde.
Ich sah, daß dieses der Moment war, in welchem
sich das Kindlein Maria zum ersten Male unter
ihrem Herzen bewegte. Anna aber erhob sich von
ihrem Lager, kleidete sich an und verkündete
ihre Freude dem heiligen Joachim, und sie dankten
beide Gott. Ich sah sie unter dem Baume im Garten
beten, wo der Engel die Mutter Anna getröstet
hatte.
Ich ward aber unterrichtet, daß die heilige
Jungfrau 5 Tage früher als andere Kinder beseelt
und 12 Tage eher geboren ward.
41 Damit, daß
hier die neugeschaffene Seele der heiligsten
Jungfrau gerade unter den nämlichen Umständen
in der Zeit erscheint wie oben Seite 54 in der
Ewigkeit, ist nur eine Ausführung ewig vorbestimmter
Wahl, nur eine Vollendung der von Gott im Anbeginn
gefaßten Idee, keineswegs aber eine eigentliche
Schöpfung dieser Seele vor der Zeit ausgesprochen.
-— Für die Gegenwärtigkeit Mariä bei Gott auch
schon vor der Welt, wenngleich nur in der Anschauung
vorausbestimmender Wahl, vergleiche Bernhardin
Sen. serm. 51 de virgin. artic. 2, Cap. 4. Tu
ante omnem creaturam in mente Dei praedestiniata
fuisti, ut Deum ipsum hominem ex tua carne proereares.
— Albertus M. super Missus etc. 182. Mater hominum,
diqnitate, quia ipsa primogenita ante omnem
creaturam. - Hugo a. S. Caro in psal. 23 v.
1. et 3. Praeparavit Deus eum orbem, id est.
B. virginem quasi exemplar. — Salazarius (Soc.
Jes.) in cap. 8, prov. num - 275. Demum mundum
producens Deus Mariam sibi contemp- landam eo
proposuit, quia ex omnibus pure creatis operibus
Dei praestantissimum erat Maria.
42 Die Ansicht,
daß die Seele nicht unmittelbar nach der Empfängnis,
sondern geraume Zeit nachher sich mit dem Leibe
vereinige, hat, obwohl sie nicht die gewöhnliche
ist, ihre Autoritäten. Siehe bei Greg. Nyss.
edit. Morel. Tom. II. p. 25.
MARIÄ GEBURT
Anna hatte schon einige Tage vorher zu Joachim
gesagt, daß die Zeit ihrer Niederkunft herannahe.
Sie sendete Boten nach Sephoris zu ihrer jüngeren
Schwester Maraha, ins Tal Zabulon zu der Witwe
Enue, der Schwester Elisabeths und nach Bethsaida
zu ihrer Nichte Maria Salome, um diese drei
Frauen zu sich zu bescheiden.
Ich sah sie auf der Reise, Enue, die Witwe,
war von einem Knechte, die beiden anderen von
ihren Männern begleitet, welche aber in der
Nähe von Nazareth zurück kehrten.
Ich sah, daß Joachim am Tage vor Annas Niederkunft
seine vielen Knechte zu den Herden hinweg sendete
und so auch von den neuen Mägden Annas nur die
nötigen in dem Hause zurückbehielt. Auch er
selbst ging hinaus nach seinem nächsten Hirtenfeld.
- Ich sah, daß Annas erstgeborene Tochter Maria
Heli das Hauswesen besorgte. Sie war damals
etwa 19 Jahre alt, mit Kleophas, einem Oberhirten
Joachims, verheiratet, von welchem sie ein Töchterchen
Maria Kleophä hatte, welches jetzt etwa 4 Jahre
alt war.
Joachim betete und suchte seine schönsten Lämmer,
Böcklein und Rinder aus und sendete sie durch
Hirten zum Tempel als ein Dankopfer. Er kehrte
erst in der Nacht nach Haus.
Ich sah die drei verwandten Frauen am Abend
im Hause Annas ankommen. Sie begaben sich zu
ihr in ihren Wohnraum hinter dem Herde und umarmten
sie. — Nachdem Anna ihnen die Nähe ihrer Entbindung
angezeigt, stimmte sie mit ihnen stehend einen
Psalm an: „Lobet Gott den Herrn, er hat sich
seines Volkes erbarmt und hat Israel erlöst
und hat wahr gemacht die Verheißung, die er
Adam im Paradiese gegeben, der Same des Weibes
soll der Schlange das Haupt zertreten usw."
Ich kann nicht mehr alles der Reihe nach vorbringen.
Anna war wie im Gebet entzückt, sie sprach alle
Vorbilder Mariä in dem Psalme aus. Sie sagte:
„Der Keim, den Gott dem Abraham gegeben, ist
bei mir gereifet." Sie erwähnte der Verheißung
des Isaak an Sara und sagte: „Die Blüte des
Stabes Aarons ist in mir vollendet." — Dabei
sah ich sie wie von Licht durchdrungen. Ich
sah das Gemach voll von Glanz und die Leiter
Jakobs über ihn erscheinen. Die Frauen waren
alle in freudigem Staunen wie entzückt, und
ich glaube, daß sie die Erscheinung auch sahen.
Erst nach diesem Willkommgebete ward den angekommenen
Frauen eine kleine Erquickung von Broten, Früchten
und Wasser mit Balsam gereicht. Sie aßen und
tranken stehend und legten sich dann bis gegen
Mitternacht nieder, von der Reise zu ruhen.
— Anna blieb auf, betete und weckte um Mitternacht
die Frauen, mit ihr zu beten. Sie folgten ihr
hinter einen Vorhang, wo ihr Betort war.
Anna öffnete die Türen eines kleinen Wandschranks,
welcher ein Heiligtum in einer Büchse enthielt.
Zu beiden Seiten befanden sich Lichter, ich
weiß nicht ob Lampen. Man schob sie aus einem
Behälter in die Höhe und steckte kleine Späne
unter, damit sie nicht niedersanken. Man zündete
die Lichter an. Ein gepolsterter Schemel stand
zu Füßen dieser Art von Altärchen.
— In der Heiligtumsbüchse befanden sich Haare
der Sara, die von Anna sehr verehrt war, Gebeine
von Joseph, die Moses mit aus Ägypten gebracht
hatte, etwas von Tobias, ich glaube eine Kleidungsreliquie
und der kleine weiße schimmernde birnenförmige
Becher, aus welchem Abraham bei dem Segen des
Engels getrunken, und den Joachim aus der Bundeslade
mit dem Segen erhalten hatte. — Ich weiß jetzt,
daß dieser Segen Wein und Brot, eine sakramentalische
Nahrung und Stärkung gewesen ist.
Anna kniete vor dem Schränkchen, zu ihren beiden
Seiten eine der Frauen und die dritte hinter
ihr. Sie sprach wieder einen Psalm, ich meine,
es ward darin des brennenden Dornbusches Mosis
erwähnt. — Ich sah nun ein übernatürliches Licht
die Kammer erfüllen und sich um Anna herum webend,
verdichten. Die Frauen sanken wie betäubt auf
ihr Antlitz. Das Licht bildete sich um Anna
ganz zu jener Gestalt, welche der brennende
Dornbusch Mosis auf Horeb hatte, so daß ich
nichts mehr von ihr sah. Die Flamme strahlte
ganz nach innen, und ich sah nun plötzlich,
daß Anna das leuchtende Kind Maria in ihre Hände
empfing, in ihren Mantel einschlug, an ihr Herz
drückte, dann nackt auf den Schemel vor das
Heiligtum legte und noch fort betete. — Dann
hörte ich das Kind weinen und sah, daß Anna
Tücher hervorzog, die sie unter ihrem großen
Schleier hatte, der sie verhüllte. Sie wickelte
das Kind bis unter die Arme grau und rot darüber
ein, die Brust, die Arme und der Kopf waren
nackt. Nun war die Erscheinung des brennenden
Dornbusches um sie verschwunden.
Die Frauen richteten sich auf und empfingen
zu ihrer großen Verwunderung das neugeborene
Kindlein auf ihre Arme. Sie weinten in großer
Freude. Sie stimmten alle noch einen Lobgesang
an, und Anna hob ihr Kind wie aufopfernd in
die Höhe. ich sah dabei die Kammer wieder voll
Glanz und erblickte mehrere Engel, welche Gloria
und Alleluja sangen. Ich hörte alle Worte. Sie
verkündeten, das Kind solle am 20. Tage Maria
genannt werden.
Anna ging nun in ihren Schlafraum und legte
sich auf ihr Lager. Die Frauen aber wickelten
das Kind auf, badeten es und wickelten es von
neuem, worauf sie es zu seiner Mutter legten,
neben deren Lager vorn oder gegen die Wand oder
zu Füßen, wie man es wollte, ein kleiner geflochtener
Gitterkorb befestigt werden konnte, um dem Kinde
nach Wunsch seine Stelle nahe bei der Mutter
und doch abgesondert zu bereiten.
Nun riefen die Frauen den Vater Joachim. Er
kam zu Annas Lager, kniete nieder und weinte
in Strömen auf das Kind; dann hob er es auf
den Armen empor und sprach einen Lobgesang,
gleich Zacharias bei Johannes' Geburt. Er erwähnte
in diesem Psalm des heiligen Keimes, den Gott
in Abraham gelegt und der in dem durch die Beschneidung
versiegelten Bunde bei dem Volke Gottes fortgelegt,
jetzt aber seine höchste Blüte in diesem Kinde
erreicht habe und nach dem Fleische vollendet
sei. Ich hörte in dem Lobgesange auch sagen,
nun sei das Wort des Propheten erfüllt: „Ein
Reis wird aus der Wurzel Jesse hervorsprossen."
— Auch sagte er in großer Demut und Innigkeit,
daß er nun gerne sterben wollte.
Nachher erst bemerkte ich, daß Maria Heli, die
ältere Tochter Annas, das Kindlein erst später
zu sehen bekam. Wenngleich wohl schon einige
Jahre Mutter der Maria Kleophä, war sie doch
nicht bei Mariä Geburt zugegen, vielleicht weil
sich dieses nach jüdischen Gesetzen nicht von
der Tochter bei der Mutter geziemte.
Am Morgen sah ich die Knechte und Mägde und
viele Leute der Gegend um das Haus versammelt.
Sie wurden partienweise eingelassen, allen wurde
das Kind von den Frauen gezeigt. Viele waren
sehr gerührt, und manche besserten sich. — Die
Benachbarten waren hierzu gekommen, weil sie
nachts einen Glanz über dem Hause gesehen und
weil Annas Niederkunft, als einer lang Unfruchtbaren,
für eine große Gnade des Himmels gehalten wurde.
FREUDE BEI MARIA GEBURT IM HIMMEL
Im Augenblicke, als das neugeborene Kind Maria
auf den Armen der heiligen Mutter Anna ruhte,
sah ich es zugleich im Himmel vor dem Angesichte
der allerheiligsten Dreifaltigkeit dargestellt
und von unbeschreiblicher Freude aller himmlischen
Heerscharen begrüßt. — Da erkannte ich, daß
ihr alle ihre Seligkeiten, Schmerzen und Geschicke
auf eine übernatürliche Weise bekannt gemacht
wurden. Maria ward von unendlichen Geheimnissen
unterrichtet, und doch war und blieb sie ein
Kind. Dieses ihr Wissen können wir nicht verstehen,
weil unser Wissen auf dem Baume der Erkenntnis
gewachsen ist. Sie wußte alles dieses, wie ein
Kind die Brust seiner Mutter weiß, und daß es
an ihr trinken soll. Als mir die Anschauung
verschwand, wie das Kind Maria so durch die
Gnade zum Himmel unterrichtet ward, hörte ich
es zum ersten Male weinen.
Ich sehe oft Bilder dieser Art, aber sie sind
für mich unaussprechlich und für die meisten
Menschen wohl nicht ganz verständlich, weswegen
ich sie nicht mitteile.
VERKÜNDIGUNG DER GEBURT MARIA IN DER VORHÖLLE
Ich sah im Augenblicke der Geburt Mariä diese
den Altvätern in der Vorhölle verkünden und
sah diese alle, besonders Adam und Eva von unaussprechlicher
Freude durchdrungen, daß nun die im Paradiese
gegebene Verheißung erfüllt sei. Ich erkannte
auch, daß die Altväter im Stande ihrer Gnade
vorrückten, daß ihr Aufenthalt sich aufhellte
und erweiterte und sie eine größere Wirkung
auf die Erde erhielten. Es war, als sei alle
Arbeit und Buße und alles Ringen, Schreien und
Sehnen ihres Lebens zu einer befriedigenden
Frucht gereift.
BEWEGUNG IN NATUR UND MENSCHEN BEI MARIA GEBURT
BLICK AUF SIMEON UND HANNA
Ich sah in der Zeit der Geburt Mariä eine große
freudige Bewegung in der Natur, in allen Tieren
und auch in den Herzen aller guten Menschen
und hörte süßen Gesang. In den Sündern aber
war große Angst und Zerknirschung.
Ich sah besonders in der Gegend von Nazareth
und auch im übrigen gelobten Lande viele Besessene
zu dieser Stunde in heftige Raserei ausbrechen.
Sie wurden unter heftigem Geschrei hin und hergeschleudert,
und die Teufel brüllten aus ihnen: „Wir müssen
weichen, wir müssen ausfahren!"
Zu Jerusalem sah ich, wie der alte Priester
Simeon, der am Tempel wohnte, zur Stunde von
Mariä Geburt durch heftiges Geschrei aufgeweckt
ward, welches von Wahnsinnigen und Besessenen
herrührte, deren viele in einer der Straßen
am Tempelberge in einem Gebäude eingesperrt
waren, und über welche dem in der Nähe wohnenden
Simeon ein Teil der Aufsicht oblag. — Ich sah
ihn aber um Mitternacht auf dem Platze vor das
Haus der Besessenen treten und einen, der zunächst
wohnte, um die Ursache des heftigen Geschreis
fragen, womit er alles aus dem Schlafe wecke.
Dieser schrie nun noch heftiger, daß er heraus
müsse. — Simeon öffnete ihm die Türe, der Besessene
stürzte heraus, und der Satan schrie aus ihm:
„Ich muß ausfahren, wir müssen ausfahren! Es
ist eine Jungfrau geboren! Es sind so viele
Engel auf Erden, die uns quälen, wir, die jetzt
ausfahren müssen, dürfen nie wieder einen Menschen
besitzen." Ich sah aber Simeon inbrünstig beten;
der elende Mensch ward schrecklich auf dem Platze
hin- und her geworfen, und ich sah den Teufel
von ihm ausfahren. — Es freute mich sehr, den
alten Simeon zu sehen.
Auch die Prophetin Hanna und Noemi, eine Schwester
der Mutter des Lazarus am Tempel, die später
die Lehrerin Mariä ward, sah ich erwacht und
durch Gesichte von der Geburt eines auserwählten
Kindes unterrichtet. Beide kamen zusammen und
teilten sich ihre Erfahrungen mit. Ich meine,
sie kannten die heilige Mutter Anna.
VERKÜNDIGUNG
DER GEBURT MARIÄ BEI DEN CHALDÄERN
Ich sah in der Geburtsnacht Mariä in einer Stadt
der Chaldäer fünf Sibyllen oder weissagende
Jungfrauen, Gesichte haben, und wie sie zu den
Priestern eilten und diese hierauf an vielen
Orten umher verkündeten, sie hätten gesehen,
eine Jungfrau sei geboren, und viele Götter
seien zur Erde herabgestiegen, sie zu begrüßen,
andere Geister flöhen vor ihr und trauerten.
Ich sah auch die sternbeobachtenden Männer,
welche seit Mariä Empfängnis das Bild einer
Jungfrau, die Wein und Weizen auf gleicher Waage
trug, in einem Sterne sahen, in der Geburtsstunde
Mariä dieses Jungfrauenbild nicht mehr in dem
Sterne erblickten, es war, als sei es herausgetreten.
Es erschien eine Lücke in dem Stern und als
gehe er nach einer gewissen Gegend hin unter.
- Sie ließen nun das große Götzenbild machen
und in ihrem Tempel aufstellen, das ich bei
meinen Betrachtungen vom Lehrwandel Jesu dort
gesehen, und in welchem ein Bezug auf die heilige
Jungfrau war
43
— Später stellten sie auch ein anderes Sinnbild
der heiligen Jungfrau, den beschlossenen Garten,
in ihrem Tempel auf.
43 Sie sah
am 7. Dezember des dritten Lehrjahres den Herrn
in einem Tempel der Chaldäer und erzählte von
diesem: „Sie hatten eine gestufte Pyramide mit
Galerien auf einer Höhe in der Nähe, worauf
sie die Sterne eifrig beobachteten. Sie weissagten
aus dem Laufe der Tiere und deuteten Träume.
Sie opferten Tiere, hatten aber Abscheu vor
dem Blute, das sie immer in die Erde laufen
ließen. Sie hatten ein heiliges Feuer und Wasser,
einen heiligen Saft von einer Pflanze und kleine
geweihte Brote in ihren Religionsgebräuchen.
Ihr eirund gebauter Tempel war voll sehr zierlich
gearbeiteter Metallbilder. Sie hatten viele
Ahnung von einer Mutter Gottes. Der Hauptgegenstand
im Tempel war eine dreieckige Spitzsäule. An
der einen Seite war ein Bild mit vielen Tierfüßen
und Armen, in den Händen hatte es unter anderem
eine Kupel, einen Reif, ein Büschchen Kräuter,
einen großen gerippten Apfel, am Stiele gefaßt,
sein Angesicht war wie eine Sonne mit Strahlen,
es hatte viele Brüste und bezog sich auf natürliche
Erzeugung und Erhaltung, sein Name klang wie
Miter oder Mitras. Auf der anderen Seite der
Säule stand ein Tierbild mit einem Horn, es
war ein Einhorn, und sein Name klang etwas wie
Asphas oder Aspax. Es kämpfte mit seinem Horn
gegen ein anderes böses Tier, das auf der dritten
Seite stand. Dieses hatte einen Kopf wie eine
Eule mit krummem Schnabel, vier Beine mit Krallen,
zwei Flügel und einen Schweif, der wie ein Skorpionschweif
endete. Ich habe seinen Namen vergessen, wie
ich denn überhaupt solche fremde Namen sehr
schwer behalte, leicht verwechsle und nur sagen
kann, daß sie etwa so klangen. Über den beiden
kämpfenden Tieren stand an der Ecke der Säule
ein Bild, welches die Mutter aller Götter darstellen
sollte. Der Name klang wie Frau Aloa oder Aloas.
Sie nannten sie auch eine Kornscheune. Es wuchs
dem Bilde ein Busch dicker Weizenähren aus dem
Leibe; sein Kopf war zwischen den Schultern
gedrängt, vorwärts gebeugt, denn es trug ein
Gefäß auf dem Nacken, worin Wein war, oder in
welches erst Wein hinein sollte. Sie hatten
eine Lehre wie: „Das Korn solle ein Brot, die
Taube ein Wein werden, alle zu erquicken." Über
dem Bilde war eine Art Krone und an der Säule
zwei Buchstaben, die mir wie O und W vorkamen
(vielleicht Alpha und Omega). Vor allem aber
verwunderte mich in dem Tempel auf einem Altartische
von Erz ein rundes, mit Gold übergittertes Gärtchen,
worüber ein Jungfrauenbild. In der Mitte des
Gärtchens stand ein Brunnen von mehreren versiegelten
Brunnenbecken übereinander und vor diesem eine
grüne Weinrebe mit einer schönen roten Traube,
welche in eine dunkelfarbige Kelter hineinhing,
deren Gestalt mich lebhaft an das heilige Kreuz
erinnerte, aber es war eine Kelter. In einem
hohlen Stamme war oben ein weiter Trichter eingesetzt,
an dessen engerem Ende ein Sack hing; gegen
diesen Sack drückten zwei bewegliche Arme als
Hebel, die von beiden Seiten in den hohlen Stamm
reichten, und preßten die darin befindlichen
Trauben aus, so daß der Saft aus dem Stamme
durch tiefer angebrachte Öffnungen hervorlief.
Das runde Gärtchen, von 5—6 Schuh im Durchmesser,
war voll feiner grüner Sträucher, Blumen, Bäumchen
und Früchte, die alle wie die Rebe sehr natürlich
gebildet und von tiefer Bedeutung waren (S.
Hl 4,12).
—
Ich sah in diesem Tempel lebendige Tiere, ich
weiß nicht, ob Hunde Hegen und pflegen, man
fütterte sie mit anderen Tieren. In dem Tempel
der heiligen drei Könige hatte ich bisher immer
nachts eine wunderbare Beleuchtung gesehen.
In die Höhe schauend, sah man wie in einen Sternenhimmel
von mannigfaltig zusammengestellten Gestirnen,
und sie machten nach den Anschauungen, die sie
in den Gestirnen erkannten, Veränderungen an
diesem künstlichen Sternhimmel ihrer Tempel.
Dieses war nun jetzt auch der Fall nach der
Geburt Mariä, und zwar in der Weise, daß nun
die bisherige Beleuchtung von außen nach innen
zu stehen kam.
EREIGNIS IN ÄGYPTEN BEI MARIA GEBURT
Als die heilige Jungfrau geboren ward, sah ich
jenes Bild einer fliegenden Frau, die sich mit
einer Waage in der Hand über ein Kind in einem
Schifflein, das auf einem Bäumchen ruhte, niederbeugte
aus dem Tempel auf einer Flußinsel, worin ich
es lange vor Elias Zeit auf die gezwungene Aussage
eines Götzen errichten gesehen, in das Meer
geschleudert werden. — Das Bäumchen, worauf
das Kind in dem Schiffchen ruhte, blieb stehen.
Es ward später eine Kirche dort errichtet.
Jenes fliegende Frauenbild mit drei Brüsten,
das ich in Ägypten an der Decke eines Tempels
habe befestigen sehen, als ein Bote des Elias,
dessen Weissagung von einer zu erwartenden Jungfrau
verkündet hatte, sah ich im Augenblick der Geburt
Mariä teilweise von der Tempeldecke niederfallen.
Das Angesicht, die drei Brüste, der ganze Unterleib
fielen nieder und zertrümmerten. Die Scheffelkrone
des Hauptes, die Arme mit den Weizenähren, der
Oberleib, die Flügel fielen nicht nieder.
BESUCH BEI DEM NEUGEBORENEN KINDE MARIA
Ich sah am 9. September, den zweiten Tag nach
Mariä Geburt, noch mehrere Verwandte aus der
Gegend in dem Hause. Ich hörte viele Namen und
habe sie wieder vergessen. Auch mehrere Knechte
Joachims von entfernteren Weidefeldern sah ich
angekommen. Allen wurde das neugeborene Kind
gezeigt, alle waren in großer Freude. Es war
eine freudige Mahlzeit im Hause.
Ich sah am 10. und 11. September abermals viele
Leute das Kind Maria besuchen. Unter anderen
waren Verwandte Joachims aus dem Tale Zabulon
zugegen. Das Kind ward bei solcher Gelegenheit
in seinem Wiegenschiffchen in den vorderen Raum
des Hauses getragen und dort auf einem erhöhten
Gestelle, das einem Sägebock glich, dem Anblick
der Leute ausgestellt . — Es war rot und durchsichtig
weiß darüber bis unter die nackten Ärmchen eingeschlagen
und hatte ein durchsichtiges Schleierchen um
den Hals. Das Wiegenschiffchen war rot und weiß
überdeckt.
Ich sah auch Maria Kleophä, das zwei- oder dreijährige
Töchterchen der älteren Tochter Annas und des
Kleophas, mit dem Kinde Maria spielen und liebkosen.
Maria Kleophä war ein dickes, starkes Mädchen
und hatte ein weißes Kleidchen ohne Ärmel an,
an dessen rotem Saum rote Knöpfe wie Äpfelchen
hingen. Um die nackten Ärmchen trug es weiße
Kränzchen wie von Federn, Seide oder Wolle.
DAS KIND EMPFÄNGT DEN NAMEN MARIA
(22.-23. SEPTEMBER)
Ich sah heute ein großes Fest im Hause der heiligen
Mutter Anna. Alles war beiseite geräumt. Vorn
im Hause waren alle die aus Flechtwänden zusammengestellten
Schlafräume weggeschafft und so ein großer Saal
bereitet. — Rings um denselben sah ich an der
Erde eine niedrige lange Tafel mit Tischgeräten
zur Mahlzeit bedeckt. Ich sah mancherlei Speisegerätschaften,
die ich sonst nicht beachtet hatte. Es standen
ganz leichte, oben durchlöcherte Gefäße auf
dem Tische, vielleicht, um Blumen hineinzustellen.
Es schienen Körbe zu sein. Auf einem Nebentische
sah ich viele weiße, von Bein scheinende Stäbchen,
auch Löffel von der Gestalt einer tiefen Muschel,
woran ein Henkel, der sich mit einem Ring endete,
auch gekrümmte Röhrchen, vielleicht, um etwas
Dünnes zu saugen.
In der Mitte des Saales war eine Art Altartisch
rot und weiß gedeckt aufgerichtet, auf welchem
ein muldenförmiges, weiß und rot geflochtenes,
mit himmelblauer Decke belegtes Wiegenkörbchen
stand. Bei dem Altare stand ein bedecktes Lesepult,
worauf pergamentene Gebetsrollen lagen. — Vor
dem Altare befanden sich fünf Priester aus Nazareth,
alle, und einer ausgezeichneter in ihren Amtskleidern;
Joachim stand bei ihnen. — Im Hintergrunde um
den Altar standen mehrere Frauen und Männer
von Annas und Joachims Verwandtschaft, alle
festlich gekleidet. Ich erinnere mich der Schwester
Annas, Maraha von Sephoris und der älteren Tochter
Annas usw. — Die Mutter Anna selbst hatte zwar
ihr Lager verlassen, aber sie befand sich in
ihrer hinter der Feuerstelle gelegenen Kammer
und erschien nicht bei der Zeremonie.
Enue, die Schwester Elisabeths, brachte das
Kindlein Maria in Rot und durchsichtiges Weiß
bis unter die Arme gewickelt heraus und legte
es auf die Arme Joachims. Die Priester traten
vor den Altar um die Gebetsrollen und beteten
laut. Dem Vornehmsten von ihnen hielten zwei
andere die Schleppe. — Hierauf legte Joachim
das Kind dem Oberpriester auf die Hände, der
es aufopfernd unter Gebet in die Höhe hob und
dann in das Wiegenkörbchen auf den Altar legte.
Er nahm hierauf eine Kneipschere, an deren Ende
ein Kästchen war, in welches das Abgeschnittene
wie bei einer Lichtschere hineingedrängt ward
44.
Mit diesem Instrument schnitt er dem Kinde drei
Löckchen Haare an beiden Seiten und in der Mitte
des Kopfes ab und verbrannte sie auf einem Kohlenbecken.
— Dann nahm er eine Büchse mit öl und salbte
dem Kinde die fünf Sinne, er bestrich dem Kinde
mittels des Daumens die Ohren, Augen, Nase,
den Mund und die Herzgrube mit Salbe. Auch schrieb
er den Namen Maria auf ein Pergament und legte
ihn dem Kinde auf die Brust. — Dann empfing
Joachim das Kind zurück, der es der Enue übergab,
welche es wieder zu Anna brachte. — Es wurden
noch Psalmen gesungen, worauf die Mahlzeit begann,
die ich nicht mehr mit angesehen habe.
Veranlassung des Festes Mariä Geburt.
Am Abend des
7. Septembers, dem Vorabend des Festes, war
A. K. Emmerich ungewöhnlich, wie sie sagte,
übernatürlich heiter, wenn sie sich gleich krank
fühlte
45.
Sie war schier mutwillig und von ungemeiner
Innigkeit. Sie sprach von außerordentlicher
Freude in der ganzen Natur wegen der herannahenden
Geburt Mariä und äußerte, es sei ihr zumute,
als stehe ihr morgen eine große Freude bevor,
wenn sich diese nur nicht in Leid verkehre usw.
Sie erzählte:
44 Die Schere
hatte kein Gewerb wie unsere gewöhnlichen Scheren,
sondern sie federte nur wie unsere Feuerzangen
und Schafscheren.
45 Sie hatte
durch eine Erscheinung der heiligen Jungfrau
die Verheißung erhalten, daß sie am folgenden
Tage, den 8. September, welches auch der Geburtstag
der Anna Katharina Emmerich war, die Gnade empfangen
solle, sich während einiger Wochen auf ihrem
Lager aufrichten, das Bett verlassen und einigemal
in der Stube wandeln zu können, was sie während
einem Zeitraum von etwa zehn Jahren nicht vermocht
hatte. Die Erfüllung fieser Verheißung erfolgte
mit allen ihr dabei angemeldeten geistigen und
eiblichen Leiden, wie es an seinem Orte mitgeteilt
werden wird.
„Es
ist ein solcher Jubel in der Natur, ich höre
Vögel singen, ich sehe Lämmer und Böcklein springen,
und die Tauben in der Gegend, wo Annas Haus
gestanden, schwärmen in großen Scharen wie freudetrunken
umher. — Von dem Hause und seiner Umgebung ist
nichts mehr da; es ist jetzt dort eine Wildnis.
— Ich sah einige Pilger, geschürzt mit langen
Stäben, mit Tüchern gleich Mützen um das Haupt
geschlungen durch die Gegend ziehen, gegen den
Berg Karmel hin. Es wohnen hier einige Einsiedler
vom Karmel aus; die Pilger fragten diese verwundert,
was nur diese Freude jetzt hier in der Natur
bedeute? Und sie erhielten die Antwort, so sei
es immer hier am Vorabend von Mariä Geburt.
— Hier in der Gegend habe wahrscheinlich Annas
Haus gestanden. — Ein Pilger, der früher hier
durchgereist, habe ihnen erzählt, wie dieses
zuerst vor langer Zeit von einem frommen Manne
beobachtet und die Feier des Festes dadurch
veranlaßt worden sei.
Ich sah nun diese Veranlassung des Festes selbst.
Zweihundertundfünfzig Jahre nach dem Tode der
heiligen Jungfrau sah ich einen sehr frommen
Mann durch das heilige Land ziehen, alle Orte
und Spuren, welche sich auf den Wandel Jesu
auf Erden bezogen, aufzusuchen und zu verehren.
Ich sah, daß dieser heilige Mann einer höheren
Führung genoß und öfters an einzelnen Orten
mehrere Tage lang durch große innere Süßigkeit
und mancherlei Offenbarungen in Gebet und Betrachtung
aufgehalten ward. — So hatte er auch schon während
mehrerer Jahre in der Nacht vom 7. auf den 8.
September eine große Freude in der Natur gefühlt
und einen lieblichen Gesang in den Lüften vernommen
und ward endlich auf sein dringendes Gebet durch
einen Engel im Traume unterrichtet, es sei dies
die Geburtsnacht der heiligen Jungfrau Maria.
— Er hatte diese Eröffnung auf seiner Reise
nach dem Berge Sinai oder Horeb. Es wurde ihm
zugleich verkündet, daß dort in einer Höhle
des Propheten Elias eine vermauerte Kapelle
zur Ehre der Mutter des Messias sei, und daß
er beides den dort lebenden Einsiedlern berichten
solle. — Ich sah ihn hierauf am Berge Sinai
angekommen. Die Stelle, wo nun das Kloster steht,
war damals schon von zerstreuten Einsiedlern
bewohnt und von der Talseite ebenso steil wie
jetzt, wo man mit einem Zugwerk hinauf gewunden
wird. — Ich sah nun, daß auf seine Verkündung
das Geburtsfest der heiligen Jungfrau hier um
das Jahr 250 am 8. September von den Einsiedlern
zuerst gefeiert ward und später von hier aus
in die allgemeine Kirche überging.
Ich sah auch, wie die Einsiedler mit ihm die
Höhle des Elias und die Kapelle zu Ehren der
heiligen Jungfrau aufsuchten. Diese Orte waren
jedoch schwer unter den vielen Höhlen der Essener
und anderer Einsiedler herauszufinden. Ich sah
viele verwilderte Gärten hie und da mit herrlichen
Fruchtbäumen um diese Höhlen. — Der fromme Mann
erkannte aber auf sein Gebet, daß sie einen
Juden bewegen sollten, mit in diese Höhlen zu
gehen, und jene, in welche er nicht einzugehen
vermöge, sollten sie als die Höhle des Elias
anerkennen. - Ich sah hierauf, wie sie einen
alten Juden in diese Höhle sendeten, und wie
dieser sich aus einer Höhle mit engem Eingange
immer wieder hinaus gestoßen fühlte, so sehr
er sich auch einzudrängen suchte.
Hieraus erkannten sie diese als die Höhle des
Elias. — Sie fanden in derselben eine zweite
vermauerte Höhle, deren Eingang sie wieder eröffneten;
und dies war der Ort, wo Elias zu Ehren der
künftigen Heilandsmutter gebetet hatte. -— Die
großen, schönen, geblümten
Steine, mit welchen sie vermauert gewesen, wurden
später zum Kirchenbau verwendet. Sie fanden
in der Höhle auch viele heilige Gebeine von
Propheten und Altvätern, auch manche geflochtene
Wände und Gerätschaften zum früheren Gottesdienst;
was nun alles der Kirche erhalten wurde.
Ich habe bei dieser Gelegenheit noch vieles
vom Berge Horeb gesehen und wieder vergessen.
Ich erinnere mich noch, daß der Ort, wo Moses
den brennenden Dornbusch gesehen, nach dortiger
Sprachweise auf deutsch der Schatten Gottes
genannt wurde, und daß man ihn nur barfüßig
betreten durfte. Ich sah auch dort einen Berg
ganz von rotem Sand, auf welchem dennoch sehr
schöne Früchte wuchsen usw.
GEBETSWEISE
AN MARIÄ GEBURTSFEST
Ich sah vieles von der heiligen Brigitta, und
es wurden mir viele Erkenntnisse mitgeteilt,
welche dieser Heiligen von Maria über ihre Empfängnis
und Geburt eröffnet worden sind. Ich entsinne
mich noch, daß die heilige Jungfrau sagte: „Wenn
schwangere Frauen den Vorabend ihres Geburtsfestes
mit Fasten und dem frommen Gebete von neun Ave
Maria zu Ehren ihres neunmonatlichen Verweilens
im Mutterleib feierten und diese Andacht öfters
in ihrer Schwangerschaft und am Vorabend ihrer
Niederkunft erneuerten und dabei die heiligen
Sakramente andächtig empfingen, so wolle sie
ihr Gebet vor Gott bringen und ihnen selbst
unter schwierigen Umständen eine glückliche
Niederkunft erflehen."
Mir selbst sagte heute eine Erscheinung der
heiligen Jungfrau, die mir nahte, unter anderem:
Wer heute Nachmittag neun Ave Maria in Andacht
und Liebe zu Ehren ihres neunmonatlichen Verweilens
im Mutterleib und ihrer Geburt bete und diese
Andacht neun Tage lang fortsetze, der gebe den
Engeln täglich neun Blumen zu einem Strauß,
den sie im Himmel empfange und der heiligen
Dreifaltigkeit überreiche, den Betenden eine
Gnade dadurch zu erflehen. — Später fühlte ich
mich wie auf eine Höhe zwischen Himmel und Erde
entrückt. Die Erde lag unten trüb und dunkel,
im Himmel sah ich zwischen den Chören der Engel
und den Ordnungen der Heiligen die heilige Jungfrau
vor dem Throne Gottes. Ich sah ihr zwei Ehrenpforten,
Ehrenthrone, welche endlich zu kirchlichen Palästen,
ja zu ganzen Städten erwuchsen, aus den Andachten
und Gebeten der Erde erbauen. Wunderbar war
es, daß ich diese Gebäude ganz aus Kräutern,
Blumen und Kränzen zusammengestellt sah, in
deren verschiedenen Gattungen sich Art und Wert
der Gebete einzelner Menschen und ganzer Gemeinden
ausdrückten. Alles sah ich von Engeln oder Heiligen
aus den Händen der Betenden abgeholt und hinaufgetragen
usw.
REINIGUNGSOPFER DER HEILIGEN MUTTER ANNA
Mehrere Wochen nach Mariä Geburt sah ich Joachim
und Anna mit dem Kinde zu dem Tempel reisen,
um zu opfern. Sie stellten hier ihr Kind aus
Frömmigkeit und Dank gegen Gott, der die lange
Unfruchtbarkeit von ihnen genommen, im Tempel
dar, wie die heilige Jungfrau später das Kind
Jesus nach dem Gesetz im Tempel darstellte und
auslöste
46.
Am folgenden Tage nach ihrer Ankunft opferten
sie und gelobten sie schon damals, ihr Kind
nach einigen Jahren ganz dem Tempel zu weihen.
Nun reisten sie nach Nazareth mit dem Kinde
zurück.
46 Nach dem
Gesetze Gottes (Lev 12) war eine jüdische Frau
nach der Geburt eines Mägdleins 80 Tage lang
unrein, so daß sie nichts Heiliges berühren
noch in dem Tempel erscheinen und während dieser
Zeit ihr Haus nicht verlassen durfte, bis sie
ein Opfer zu ihrer Reinigung am Tempel gebracht
hatte. Bei einer bemittelten Frau bestand dieses
Opfer aus einem jährigen Lamm zum Brandopfer
und einer jungen Taube oder Turteltaube zum
Sündopfer. Eine unbemittelte Mutter brauchte
nur zwei junge Tauben oder zwei Turteltauben,
die eine zum Brandopfer, die andere zum Sündopfer
zu bringen.
MARIÄ OPFERUNG
47
VORBEREITUNG IM HAUSE ANNAS
Am 28. Oktober 1821 erzählte die gottselige
A. K. Emmerich wachend in sehendem Zustande:
„Das Kind Maria wird wohl bald zum Tempel nach
Jerusalem gebracht werden. —Ich sah schon vor
einigen Tagen einmal, wie Anna in einer Kammer
ihres Hauses bei Nazareth das dreijährige Kind
Maria vor sich stehen hatte und es im Gebet
unterrichtend vorbereitete, weil die Priester
bald kommen sollten, um das Kind zu der Aufnahme
in den Tempel zu prüfen. — Heute aber ist das
Vorbereitungsfest im Hause Annas. Es sind Gäste
da, Verwandte, Männer, Frauen, auch Kinder.
Es sind auch drei Priester zugegen, einer von
Sephoris, ein Brudersohn von Annas Vater, einer
von Nazareth und der dritte aus einem Orte,
der ungefähr vier Stunden von Nazareth auf einem
Berge Hegt. Der Name des Ortes beginnt mit der
Silbe Ma . . . — Diese Priester sind gekommen,
teils um das Kind Maria zu prüfen, ob es fähig
sei, sich zum Tempel zu verloben, und teils,
um an dessen Kleidern einzelnes anzugeben, was
nach einem bestimmten kirchlichen Zuschnitt
sein muß. — Es waren drei Anzüge, jeder aus
einem Leibrock, Bruststücke und Mantel von verschiedenen
Farben bestehend. Dazu gehörten auch zwei offene
Kränze von Seide und Wolle und eine oben mit
Bogen geschlossene Krone. —- Der eine Priester
schnitt selbst einige Teile dieser Kleidung
zu und ordnete alles an, wie es sein mußte.
Einige Tage später, am 2. November, fuhr die
Erzählerin fort: Heute sah ich ein großes Fest
im Hause der Eltern Maria. Ich weiß jedoch nicht,
ob es bestimmt an diesem Tage geschehen ist,
oder ob mir das Bild nur nochmals wiederholt
ward, denn ich sah in den drei letzten Tagen
schon dergleichen, es entfiel mir aber wieder
unter mancherlei Leiden und Störungen.
— Die drei Priester waren noch anwesend und
außerdem mehrere Verwandte und deren Töchterchen,
zum Beispiel Maria Heli und deren siebenjähriges
Töchterchen Maria Kleophä, welches viel derber
und stärker ist als das Kind Maria. — Maria
ist sehr zart und hat rötlich- blonde, schlichte,
am Ende gelockte Haare. Sie kann schon lesen,
und alles staunt über die Weisheit in ihren
Antworten. Maraha, Annas Schwester aus Sephoris,
ist auch mit einem Töchterchen da und außerdem
andere Verwandte mit kleinen Mädchen.
Die teils von den Priestern zugeschnittenen
Kleider Maria waren von Frauen fertig genäht.
Sie wurden dem Kinde bei diesem Feste zu verschiedenen
Zeiten angelegt und dabei mancherlei Fragen
an dasselbe gerichtet. Die ganze Handlung war
feierlich und ernst, und wenn sie gleich von
den alten Priestern mit kindlichem Lächeln vollzogen
wurde, so wurde dieses doch immer durch die
Bewunderung der weisen Antworten Mariä und von
den Freudentränen ihrer Eltern unterbrochen.
47 Die Opferung
Mariä im Tempel und ihr Aufenthalt daselbst
sind mehrfach durch kirchliche Autorität verbürgt.
Am 21. November wird in der Messe und im Breviergebet
das Gedächtnis der Darbringung Mariä allgemein
begangen. Schon aus der apostolischen Zeit haben
wir an dem Bischof Evodius einen Bürgen dieser
Tradition bei Nicephor. H. Eccl. L. c. 3. —
Gregor von Nyssa, Epiphanius, Georg von Nikomedien,
Gregor von Thessalonika, Johannes Damascenus
und andere heilige Väter bezeugen asselbe. Die
griechische Kirche feiert dieses Fest seit wenigstens
elf Jahrhunderten. — Sogar im Alkoran, Sura
Imram v. 31 ff. wird der Aufenthalt Maria im
Tempel ausführlich geschildert.
Die Handlung geschah in einem viereckigen Gemache
neben dem Speiseraum. Das Licht fiel durch eine
offene Luke der Decke herein, welche mit einem
Flor überzogen war. Eine rote Decke war über
den Boden gebreitet, und auf dieser stand ein
rot und weiß darüber bedeckter Altartisch, über
welchem ein gesticktes oder genähtes Bild
48
gleich einem Vorhang eine Art Schränkchen verbarg,
in dem Schrift- und Gebetsrollen lagen. Vor
diesem Altare, auf welchem, außer den drei Festanzügen
Mariä , noch mancherlei andere Stoffe, welche
die Verwandten zur Ausstattung des Kindes geopfert
hatten, lagen, stand auf Stufen erhöht eine
Art von Thrönchen.
— Joachim und Anna und die anderen Verwandten
waren hier versammelt. Die Frauen standen zurück
und die kleinen Mägdlein zur Seite Mariä. —
Die Priester traten mit entblößten Füßen herein.
Es waren fünf Priester anwesend, aber nur drei
waren in ihrer Amtskleidung mit der Zeremonie
beschäftigt. Einer der Priester nahm die Kleidungsstücke
von dem Altare, erklärte ihre Bedeutung und
überreichte sie der Schwester Annas von Sephoris,
welche das Kind damit bekleidete. — Sie legte
ihr zuerst ein gestricktes gelbliches Kleidchen
an und darüber ein buntes auf der Brust mit
Schnüren verziertes Skapulier oder Bruststück.
Es wurde über den Hals geworfen und um den Leib
zusammengezogen. Hierüber kam ein bräunlicher
Mantel mit Armlöchern, welche mit nieder hängenden
Lappen oben bedeckt waren. Der Mantel war oben
ausgeschnitten, unter der Brust aber bis herab
geschlossen. Maria trug braune Sandalen mit
grünen dicken Sohlen. Ihre rötlich-gelben, am
Ende gelockten Haare waren glatt gekämmt. Es
ward ihr ein Kranz von weißer Wolle oder Seide,
der durch gestreifte fingerbreite, einwärts
gebogene Federn unterbrochen war, aufgesetzt.
Ich kenne dort im Lande den Vogel, von dem diese
Federn sind. Es wurde hierauf dem Kinde ein
großes aschgraues, viereckiges Tuch gleich einer
Hülle über den Kopf gehängt, welches unter den
Armen zusammengezogen werden konnte, so daß
diese wie in zwei Schlingen darin ruhten. Es
schien ein Büß-, Bet- oder Reisemantel.
Als Maria so gekleidet stand, richteten die
Priester allerlei Fragen an sie, die sich auf
die Lebensweise der Tempeljungfrauen bezogen.
Sie sagten unter anderem: „Deine Eltern haben,
als sie dich zum Tempel verlobten, das Gelübde
getan, du sollest keinen Wein, keinen Essig,
keine Weinbeeren, keine Feigen genießen; was
willst du noch selber zu diesem Gelübde hinzufügen?
Darauf magst du dich während der Mahlzeit besinnen."
— Die Juden aber und besonders die jüdischen
Mägdlein tranken sehr gerne Essig
49,
und auch Maria liebte ihn. — Nach mehreren ähnlichen
Fragen ward Maria das erste Kleid ausgezogen
und ihr das zweite angelegt. Zuerst ein himmelblauer
Leibrock, ein reicheres Bruststück, ein weißlich-blauer
Mantel, ein weißer wie Seide schimmernder Schleier
mit Falten im Nacken wie ein Nonnenweihel, der
durch ein Kränzchen von bunten, seidenen Blumenknospen
mit grünen Blättchen auf ihrem Kopfe befestigt
war. Hierauf setzten ihr die Priester einen
weißen Gesichtsschleier auf, der wie eine Kappe
oben zusammengezogen war.
48 Es war eines
Mannes, ich glaube des Moses Bild. Er hatte
einen weiten Betmantel um, wie er ihn trug,
wenn er auf den Berg ging, von Gott etwas zu
begehren. In dem Bilde hatte er die Gesetztafeln
nicht in der Hand, sondern an der Seite oder
dem Arm hängen. Moses war sehr groß und breitschulterig.
Er hatte rote Haare. Sein Kopf war sehr hoch
und spitz wie ein Zuckerhut, seine Nase groß
und gebogen. Auf seiner breiten Stirne hatte
er oben zwei Auswölbungen (Erhöhungen/Hervorragungen)
gleich Hörnern, sie waren gegeneinander gekehrt.
Sie waren nicht fest wie Hörner von Tieren,
sie waren weich in der Haut, wie gerippt oder
gestreift, wie zwei bräunliche, runzlige Hügel
ragten sie oben an der Stirne nur wenig hervor.
Er hatte sie schon als Kind als kleine Warzen.
Es gab ihm dieses ein sehr sonderbares Ansehen.
Ich konnte es nie recht leiden, weil es mich
unwillkürlich an Satansbilder erinnerte. Ich
habe mehrmals solche Erhöhungen an den Stirnen
alter Propheten und mancher alten Einsiedler
gesehen. Bei einzelnen auch nur eine Erhöhung
mitten auf der Stirn. — Bei Erzählung der Flucht
von Ägypten erwähnte sie eines ähnlichen Bildvorhanges,
meinte aber, es stelle Melchisedek vor.
49 Num 6, 3
steht, die Gottverlobten mußten sich des Essigs
enthalten.
Er
war von drei Spangen durchzogen, die man auf
den Kopf zurückschlagen und so den Schleier
ein Drittel, zur Hälfte oder ganz von dem Gesichte
entfernen konnte.
— Sie ward in dem Gebrauch dieses Schleiers
unterrichtet, wie er bei dem Essen zu lüften
und wie er niederzulassen sei, wenn sie gefragt
werde und antwortete usw. Auch über allerlei
andere Sittengesetze bei der Mahlzeit, zu welcher
sich jetzt die ganze Versammlung in den angrenzenden
Raum begab, ward sie unterrichtet. — Mariä Stelle
bei der Mahlzeit war zwischen zwei Priestern,
ein dritter saß ihr gegenüber. Die Frauen und
Mägdlein befanden sich an einem Ende des Tisches
von den Männern abgesondert. Während der Mahlzeit
ward das Kind noch mehrfach durch Fragen und
Antworten im Gebrauche des Schleiers geprüft.
— Sie sprachen auch zu ihr: Nun darfst du noch
von allen Speisen genießen" und reichten ihr
Verschiedenes dar, um sie im Abbruch zu versuchen.
Maria aber nahm nur weniges von wenigen Speisen
und setzte sie durch die kindliche Weisheit
ihrer Antworten in großes Erstaunen. Ich sah
während der Mahlzeit und der ganzen Prüfung
Engel an ihrer Seite, welche sie in allem unterstützten
und anleiteten.
Nach der Mahlzeit begaben sich abermals alle
in den Raum vor den Altar, wo man das Kind nochmals
entkleidete und ihm hierauf den festlichen Anzug
anlegte.
Es
war dieser ein violblauer, gelbgeblümter Leibrock,
darüber ein bunt gesticktes Brustkleid oder
Mieder, welches spitz endete und an beiden Seiten
mit dem Rückteile zusammengeheftet, den Leibrock
kraus faßte. Hierüber kam ein violblauer Mantel,
weiter und festlicher als die früheren, er endete
hinten rund und war überhaupt etwas geschweift.
Der Mantel hatte vorn herab an jeder Seite drei
in Silber gestickte Steifen und zwischen denselben
wie ausgestreute goldene Rosenknospen, über
der Brust war er durch ein Querband verbunden,
welches durch einen an dem Bruststücke hervorstehenden
Knopf lief, damit es nicht aufdrückte. Bis unter
dem Brustkleide war der Mantel offen und bildete
zwei Räume an den Seiten, worin die Arme ruhten.
Unter dem Oberleib war der Mantel durch Knöpfe
oder Haken verbunden und zeigte durch die verbundenen
Ränder von da hinab fünf Streifen der Stickerei.
Auch der Saum war gestickt. Die Rückseite des
Mantels fiel in reichlichen Falten nieder, welche
man an beiden Seiten neben den Armen sah. —
Hierauf ward ihr ein großer, schillernder Schleier
übergelegt, der von der einen Seite weiß, von
der anderen violblau ins Auge fiel. — Die Krone,
welche ihr diesmal aufgesetzt ward, bestand
aus einem dünnen breiten Reif, dessen oberer
Rand, weiter als der untere, gezackt und mit
Knöpfen versehen war. Diese Krone war oben durch
fünf sich in einem Knopf vereinigende Spangen
geschlossen
Diese Spangen waren mit Seide übersponnen, der
Reif der Krone aber, der inwendig golden glänzte,
war mit Seidenröschen und fünf Perlen oder Edelsteinen
verziert. — In dieser festlichen Kleidung, deren
Bedeutung ihr auch der Priester einzeln erklärt
hatte, ward Maria auf die gestufte Erhöhung
gebracht und vor den Altar gestellt. Die Mägdlein
standen an ihrer Seite. — Sie erklärte nun,
zu welchen Entsagungen sie sich am Tempel verbindlich
mache. Sie wollte weder Fleisch noch Fische
essen, auch keine Milch trinken, sondern ein
Getränk, aus Wasser und dem Mark eines Schilfes
bestehend, welches arme Leute im gelobten Lande
trinken, so wie hierzulande Reis- oder Gerstenwasser;
dann und wann wollte sie auch ein wenig Terebinthensaft
ins Wasser tun. Es ist dieses wie ein weißes
öl, das sich lang zieht, es ist ganz erquickend,
aber nicht so fein wie Balsam. Sie entsagte
allem Gewürz und wollte keine Früchte essen,
außer einer Art gelber Beeren, die in Träubchen
wachsen. Ich kenne sie wohl, sie werden dort
von Kindern und geringen Leuten gegessen. Sie
wollte auf der bloßen Erde schlafen und dreimal
in der Nacht zum Gebete aufstehen. Die anderen
Jungfrauen standen nur einmal in der Nacht auf.
Die Eltern Mariä waren durch ihre Worte tief
gerührt. Joachim schloß das Kind weinend in
seine Arme und sprach: „O mein liebes Kind!
Das ist zu hart, wenn du so strenge leben willst,
wird dein alter Vater dich nicht wieder sehen."
— Es war dieses alles gar beweglich anzuhören.
Die Priester aber sagten ihr, gleich den anderen
nur einmal in der Nacht zum Gebete aufzustehen
und machten ihr noch andere mildernde Bedingungen,
zum Beispiel sie sollte an hohen Festtagen Fische
essen. — Es war in Jerusalem ein großer Fischmarkt
in einer niedrig gelegenen Gegend der Stadt.
Er empfing auch Wasser von dem Teiche Bethesda.
Als er einmal austrocknete, wollte Herodes der
Große einen Brunnen und eine Wasserleitung bauen
und zu den Unkosten heilige Kleider und Gefäße
vom Tempel verkaufen. Darüber brach schier ein
Aufruhr aus. Es kamen die Essener von allen
Seiten des Landes nach Jerusalem und widersetzten
sich; denn die Essener hatten Aufsicht bei den
Priesterkleidern , das fiel mir jetzt plötzlich
wieder ein.
— Weiter sprachen die Priester zu dem Kinde
Maria: „Viele der anderen Jungfrauen, welche
ohne Ausstattung und Beköstigung an dem Tempel
aufgenommen werden, sind durch die Einwilligung
ihrer Eltern verbindlich, sobald es ihre Kräfte
erlauben, die mit Blut besprengten Priesterkleider
und andere rauhe, wollene Tücher zu waschen.
Es ist dies eine schwere Arbeit und kostet oft
blutige Hände, du hast dieses nicht nötig, weil
deine Eltern dich am Tempel erhalten." — Maria
erklärte hierauf ohne Zögern, auch diese Arbeit
wolle sie gern unternehmen, wenn sie für würdig
dazu gehalten werde. Unter solchen Prüfungen
und Antworten ward das Einkleidungsfest vollbracht.
Ich sah Maria während dieser heiligen Handlung
oft so groß unter den Priestern erscheinen,
daß sie über sie emporragte, wodurch mir ein
Bild ihrer Weisheit und Gnade gegeben ward.
Die Priester waren voll von freudigem Staunen.
Am Schlüsse der Handlung sah ich Maria durch
den ersten Priester segnen. Sie stand auf einem
erhöhten Thrönchen zwischen zwei Priestern,
der segnende stand ihr gegenüber, andere hinter
diesem. Die Priester beteten sich antwortend
aus Rollen, und der erste segnete sie mit über
sie ausgestreckten Händen.
— Es ward mir bei dieser Gelegenheit ein wundervoller
Blick in das Innere des heiligen Kindes Maria
gewährt. Ich sah sie von dem Segen des Priesters
wie ganz durchleuchtet, und unter ihrem Herzen
in einer unaussprechlichen Glorie hatte ich
denselben Anblick, den ich bei Betrachtung des
Heiligsten in der Bundeslade habe. In einem
leuchtenden Umfang von der Form des Kelches
Melchisedeks sah ich unaussprechliche Lichtgestalten
des Segens. Es war gleich Weizen und Wein, gleich
Fleisch und Blut, die eins zu werden streben.
—Ich sah zugleich, wie sich über dieser Erscheinung
ihr Herz gleich der Türe eines Tempels öffnete,
und wie das Geheimnis, um welches sich eine
Art Thronhimmel von vielerlei bedeutungsvollen
Edelsteinen gebildet hatte, in ihr geöffnetes
Herz einzog, und es war, als sehe ich die Bundeslade
in das Allerheiligste des Tempels eingehen.
— Als dieses geschehen, umschloß ihr Herz gleichsam
das höchste Gut, das damals auf Erden war. Ich
sah es nun nicht mehr, ich sah nur das heilige
Kind von einem Glänze glühender Innigkeit durchgossen.
Ich sah sie wie verklärt und über dem Boden
emporschwebend. —
Ich erkannte während dieser Erscheinung, daß
auch einer der Priester
50
eine innere Überzeugung durch göttliche Mahnung
erhalten habe, daß Maria das auserwählte Gefäß
des Geheimnisses des Heils sei, denn ich sah
ihn einen Strahl aus dem Segen empfangen, den
ich figürlich in sie eingehen gesehen.
Die Priester führten nun das gesegnete Kind
in seinem höchsten Festschmuck den gerührten
Eltern zu. Anna hob Maria an ihre Brust empor
und küßte sie mit feierlicher Innigkeit. Joachim
reichte ihr tief bewegt mit Ernst und Ehrfurcht
die Hand. Die ältere Schwester Mariä umarmte
das gesegnete geschmückte Kind viel lebhafter
als Anna, welche in allem ihrem Tun besonnen
und gemäßigt war. — Maria Kleophä, das Nichtchen
des heiligen Kindes, tat wie alle Kinder mit
freudiger Umhalsung. Nachdem alle Anwesenden
das Kind so begrüßt hatten, wurde es seiner
Feierkleider entkleidet und erschien wieder
in seiner gewöhnlichen Kleidung.
Gegen Abend kehrten mehrere der Anwesenden,
worunter auch Priester, in ihre Heimat zurück.
Ich sah sie noch stehend einen Imbiß nehmen,
es standen Brötchen und Früchte auf einem niederen
Tische in Schüsselchen und Schalen. Sie tranken
alle aus einem Becher. Die Frauen aßen abgesondert.
50 Sie glaubte bei der Erzählung im Jahre 1820,
es sei Zacharias gewesen.
ABREISE DES
KINDES MARIA ZUM TEMPEL
Ich trat in das Haus der Eltern Mariä zur Nachtzeit
ein. Ich sah noch mehrere der anwesenden Verwandten
schlafen. Die Familie selbst war mit Anstalten
zur Abreise beschäftigt. Die hängende Lampe
mit mehreren Armen brannte vor der Feuerstelle.
Nach und nach sah ich alle Bewohner des Hauses
in Bewegung.
Joachim hatte schon gestern morgen Knechte mit
Opfertieren nach dem Tempel voraus gesendet;
fünf von jeder Gattung, die schönsten, die er
hatte. Es war eine ganz schöne Herde. Jetzt
sah ich ihn beschäftigt, das Reisegeräte auf
das Lasttier zu packen, welches vor dem Hause
stand. Es wurden die Kleidungsstücke Mariä in
einzelne Päcke wohlgeordnet auf das Tier befestigt
und auch Geschenke für die Priester. Das Lasttier
erhielt eine tüchtige Ladung. Die Mitte seines
Rückens bedeckte ein breiter Pack, der einen
bequemen Sitz bildete. Alles war schon von Anna
und den anderen Frauen in leicht anzubringende
Bündel geordnet. Ich sah aber auch Körbe von
mancherlei Art an beiden Seiten des Esels hängen.
In einem dieser Körbe, der wie die Suppennäpfe
reicher Leute bauchig geformt war und einen
runden, in der Mitte geteilt aufzuschlagenden
Deckel hatte, befanden sich Vögel von der Größe
der Feldhühner. Andere Körbe wie Butten, worin
man Trauben trägt, enthielten allerlei Früchte.
Als der Esel ganz beladen war, ward über alles
eine große Decke gebreitet, an welcher dicke
Quasten hingen.
— Im Hause sah ich alles wie bei einer Abreise
in Bewegung. Ich sah eine junge Frau, die ältere
Schwester Mariä, mit einer Lampe geschäftig
hin und her gehen. Ich sah deren Tochter Maria
Kleophä sich meist an ihrer Seite haltend. Ich
bemerkte noch eine Frauensperson, welche ich
für die Magd hielt. Ich sah auch noch jetzt
zwei der Priester anwesend. Der eine war ein
sehr alter Mann, er hatte eine Kappe auf, welche
eine Spitze auf der Stirne bildete und mit Lappen
über die Ohren herabhing. Sein Oberkleid war
kürzer als das Unterkleid, es hingen Riemen
wie eine Stola daran nieder. Es war derselbe,
welcher sich gestern hauptsächlich mit der Prüfung
Mariä beschäftigt und sie gesegnet hatte. Auch
jetzt noch sah ich mancherlei Belehrendes zu
dem Kinde sprechen. Maria, etwas über drei Jahre
alt, fein und zart, war doch schon so ausgebildet
wie ein Kind von fünf Jahren bei uns. Sie hatte
rötlich-blonde, schlichte, jedoch am Ende gelockte,
längere Haare als das siebenjährige Kind Maria
Kleophä, dessen blonde Haare kurz und kraus
waren.
Die Kinder wie die Erwachsenen hatten meist
alle lange Kleider von bräunlicher ungefärbter
Wolle an.
Unter allen Anwesenden fielen mir besonders
zwei Knaben auf, die gar nicht zu der Familie
zu gehören schienen und auch mit niemanden in
derselben Verkehr hatten. Es war, als ob niemand
sie auch nur sähe. Sie waren aber gar lieblich
und anmutig mit ihren blonden krausen Haaren
und haben mit mir gesprochen. — Sie hatten schon
Bücher, ich glaube zum Lernen. Die kleine Maria
hatte kein Buch, obgleich sie schon lesen konnte.
Es waren dieses aber keine solchen Bücher wie
bei uns, sondern lange, etwa eine halbe Elle
breite Bahnen über einen Stock gerollt, der
an beiden Seiten mit einem Knopfe hervorragte.
— Der größere der beiden Knaben hatte seine
Rolle geöffnet, nahte sich mir und las und erklärte
mir etwas aus der Rolle. Es waren mir ganz fremde
einzelne goldene Buchstaben, verkehrt geschrieben,
und jeder Buchstabe schien ein ganzes Wort zu
bedeuten. Die Sprache lautete mir ganz fremd
aber ich verstand sie doch. Leider habe ich
jetzt vergessen, was er mir erklärte, es war
etwas von Moses; vielleicht wird es mir wieder
einfallen. Der kleinere Knabe trug seine Rolle
wie ein Spielzeug in den Händen, er hüpfte kindisch
hin und wieder und schwenkte seine Rolle spielend
in der Luft. Ich kann gar nicht aussprechen,
wie lieb mir diese Kinder waren; sie waren anders
als alle Anwesenden, und diese schienen sie
gar nicht zu bemerken.
Auf diese Weise sprach die Erzählende mit kindlicher
Vorliebe längere Zeit von diesen Knaben, ohne
genauer bestimmen zu können, wer sie eigentlich
gewesen seien. Nach Tisch aber, als sie einige
Minuten geschlafen hatte, sagte sie sich besinnend:
„Diese Knaben sah ich in geistlicher Bedeutung,
sie waren nicht natürlich damals zugegen gewesen.
Sie waren nur die Sinnbilder von Propheten.
Der größere trug seine Rolle ganz ernsthaft.
Er zeigte mir in ihr die Stelle im 3. Kapitel
des 2. Buches Moses, wo dieser im brennenden
Dornbusch den Herrn sieht, der ihm sagt seine
Schuhe auszuziehen. Er gab mir hiervon die Erklärung,
wie der Dornbusch brenne, ohne zu verbrennen,
so entbrenne nun auch das Feuer des heiligen
Geistes in dem Kinde Maria, und sie trage diese
heilige Flamme ganz kindlich bewußtlos in sich.
Es deutete auch auf die herannahende Vereinigung
der Gottheit mit der Menschheit. Das Feuer bedeutete
Gott, der Dornbusch die Menschen. Auch das Ausziehen
der Schuhe legte der Knabe mir aus, ich entsinne
mich aber der Erklärung nicht mehr genau; ich
glaube, es deutete darauf, daß jetzt die Hülle
abgelegt werde und das Wesen hervortrete, daß
das Gesetz erfüllt, daß hier mehr sei als Moses
und die Propheten.
Der andere Knabe trug seine Rolle an einem feinen
Stabe wie ein Fähnlein im Winde spielend; dieses
bedeutete, daß Maria nun freudig ihren Weg,
ihren Wandel, ihre Laufbahn antrete, die Mutter
des Erlösers zu werden.
—Dieser Knabe war ganz kindisch und spielte
mit seiner Rolle. Das bedeutete die kindliche
Unschuld Mariä, auf welcher so große Verheißung
ruhte, und die in dieser heiligen Bestimmung
doch wie ein Kind spielte. — Eigentlich erklärten
mir diese Knaben sieben Stellen aus diesen Rollen,
aber in der Störung, in der ich lebe, ist mir
alles entfallen, außer dem Gesagten. — O mein
Gott, rief hier die Erzählende aus, wie schön
und tief, wie einfältig und klar sehe ich alles
und kann es nicht ordentlich erzählen und muß
so vieles vergessen über elenden, abscheulichen
Dingen dieses armen Lebens
51.
51 Man
mag wohl vor der Gewalt erschrecken, mit welcher
das gefallene Leben den Menschen in Besitz nimmt,
wenn man betrachtet, was diese begnadigte Seele,
welche das Irdische nicht liebte, dennoch über
ihm vergessen mußte. — Sie sah jährlich um diese
Zeit dieses Bild der Abreise Maria zum Tempel,
und immer war die Erscheinung der beiden Propheten
als Knaben in die Handlung auf irgendeine Weise
eingeflochten. Sie sieht sie aber als Knaben
und nicht in ihrem wirklichen Alter erscheinen,
weil sie der Handlung nicht persönlich beiwohnten,
sondern ihr nur als Bedeutungen zugeordnet sind.
Wenn wir nun bedenken, daß auch Maler in ihren
historischen Bildern solche Personen, die nur
zur Beleuchtung irgendeiner Wahrheit dienen
sollen, nicht in ihrer wirklichen Gestalt, sondern
als Knaben, Genien, Engel abzubilden pflegen,
so sehen wir, daß diese Darstellungsweise nicht
ihre dichterische Erfindung ist, sondern daß
sie in der Natur aller Erscheinungen liegt;
denn auch die Betrachtende hat diese Erscheinungen
nicht erfunden, sondern sie sind ihr so gezeigt
worden.
Ein Jahr früher, in der Mitte des 20. Novembers
1820, erwähnte die Erzählerin in der Mitteilung
ihrer Betrachtungen von Mariä Opferung auch
der Erscheinung dieser Prophetenknaben unter
folgenden Beziehungen:
„Am 16. November abends war in der Nähe der
schlafenden A. K. Emmerich ein Bußgürtel gebracht
worden, den ein nach Abtötung strebender, aber
näherer geistlicher Führung ganz ermangelnder
Mensch sich selbst aus einem schweren ledernen,
mit Nägeln durchspickten Riemen verfertiget,
jedoch wegen seiner Übertriebenheit kaum eine
Stunde zu tragen vermocht hatte. — Schon in
der Entfernung von etwa zwei Schuhen zog die
schlafende Emmerich ihre Hände von diesem Gürtel
schnell mit den Worten zurück: ,0 das ist ganz
unverständig und unmöglich, auch ich selbst
habe in früheren Jahren lange Zeit nach einer
innerlichen Anmahnung einen solchen Bußgürtel
zur Abtötung und Selbstbesiegung getragen, aber
er bestand aus ganz kurzen, dicht stehenden
Stacheln von Messingdraht. Dieser Gürtel hier
ist ja schier tödlich, der Mensch hat ihn sich
selbst mit großer Mühe gemacht, konnte ihn aber
nur einmal während einiger Minuten tragen. Ohne
die Erlaubnis eines verständigen Seelenführers
soll man so etwas nie tun. Das wußte er freilich
nicht, denn er hatte gar keinen Seelenführer
in seiner Lage. Solche Übertreibung ist mehr
schädlich als nützlich!' "
Am folgenden Morgen, als sie die Betrachtungen
der Nacht in Form eines Reisetraumes erzählte,
der sich dem eingetretenen Bilde der Reise Mariä
zum Tempel nahte, sagte sie nach manchem Andern:
„Ich kam hierauf nach Jerusalem, ich weiß nicht
mehr genau, in welcher Zeit, es war aber ein
Bild aus der Zeit der alten jüdischen Könige.
Ich habe es vergessen.
— Hierauf mußte ich gen Nazareth zum Hause der
heiligen Mutter Anna wandern. Vor Jerusalem
gesellten sich zwei Knaben zu mir. sie zogen
desselben Weges; der eine trug eine Schriftrolle
ganz ernst in seiner Hand; der Jüngere aber
hatte seine Rolle an ein Stäbchen gebunden und
spielte mit ihr wie mit einem Fähnchen fröhlich
im Winde. Sie sprachen freudig mit mir von der
Erfüllung der Zeit in ihren Prophezeiungen,
denn sie waren Prophetenfiguren . Ich hatte
den übertriebenen Bußgürtel jenes Menschen bei
mir, der mir gestern gebracht worden war, und
zeigte ihn, ich weiß nicht aus welcher Anregung,
dem einen dieser Prophetenknaben, welcher Elias
war. Dieser aber sagte mir: „Dieses ist ein
Marterband, das zu tragen nicht erlaubt ist.
Ich habe auf dem Berge Karmel auch einen Gürtel
verfertigt und getragen und allen Kindern meines
Ordens, den Karmeliten, zurückgelassen. Diesen
Gürtel soll jener Mensch tragen, er wird ihm
weit dienlicher sein.
Hierauf zeigte er mir einen handbreiten Gürtel,
in welchen allerlei Buchstaben und Linien gezeichnet
waren, die auf verschiedene Überwindungen und
Kämpfe deuteten, und er zeigte auf verschiedene
Punkte mit den Worten: „Dieses könnte jener
Mensch auf acht Tage, dieses auf einen Tag tragen
usw." — Oh, ich wollte, der gute Mensch wüßte
das!
Als wir dem Hause der heiligen Mutter Anna nahten
und ich hineintreten wollte, vermochte ich es
nicht, und mein Führer, mein Schutzengel, sagte
zu mir: „Du mußt vorher vieles ablegen, du mußt
neun Jahre alt sein." Ich wußte nicht, wie ich
das anstellen sollte, er aber half mir, und
ich weiß nicht mehr wie; drei Jahre aus meinem
Leben mußten jedoch ganz weg, jene drei Jahre,
da ich so eitel auf meine Kleidung war und immer
gern ein so feines Wicht (eine so zierliche
Dirne) sein wollte. — Ich war also auf einmal
neun Jahre als und konnte nun mit den Prophetenknaben
in das Haus eingehen. Da trat mir das dreijährige
Kind Maria entgegen und maß sich mit mir und
war so groß wie ich, wenn sie an mich trat;
oh, sie war so freundlich, so lieb und doch
so ernst.
Gleich darauf stand ich in dem Hause bei den
Prophetenknaben. Man schien uns gar nicht zu
bemerken, wir störten auch niemand. Sie, die
doch schon vor vielen hundert Jahren alte Männer
waren, wunderten sich gar nicht, als junge Knaben
da anwesend zu sein, und ich, die doch schon
eine Klosterjungfrau von etlichen und vierzig
Jahren war, wunderte mich auch gar nicht, nun
ein armes Bauernkind von neun Jahren zu sein.
Man wundert sich über nichts, wenn man bei diesen
heiligen Leuten ist, als über die Blindheit
und Sünde der Menschen usw.
Hierauf erzählte
sie die Vorbereitung zu Mariä Tempelreise wie
alle Jahre um diese Zeit.
—• Daß sie mit dem Gefühl, ein neunjähriges
Kind zu sein, in das Bild eintreten mußte, mag;
darauf beruhen, daß sie ebenso wenig wie die
Propheten wirklich dabei zugegen war und deshalb
in das kindliche Alter versetzt wurde; jene
bedeuteten die Erfüllung der Prophezeiung, sie
die Betrachtung dieser Erfüllung. — Sie fühlte
besonders, die drei Jahre ablegen zu müssen,
in welchen sie etwas eitel auf ihre Kleider
war. — Dieses scheint veranlaßt, weil Maria
in dieser Handlung mit mancherlei Festkleidern
bekleidet wird, und die Beschauende diese mit
gleicher Demut nur nach ihrer geistlichen Bedeutung
anschauen sollte. — Daß sich das Kind Maria
mit ihr mißt, mag bezeichnen: nur in diesem
deinen kindlichen unschuldigen Alter kannst
du diese heilige Handlung einfältig und würdig
betrachten; oder auch: sieh, ich bin drei Jahre
alt und du neun, und dennoch bin ich ebenso
groß wie du, denn ich stehe in meinem Inneren
weit über meinen Jahren usw.
ANTRITT DER REISE
Ich sah sie mit Tagesanbruch die Reise nach
Jerusalem antreten. Das Kind Maria war so begierig
nach dem Tempel, sie eilte aus dem Hause zu
den Lasttieren hin. Die Prophetenknaben und
ich standen an der Türe und sahen ihr nach.
Die Knaben zeigten mir noch Stellen in ihren
Rollen; eine enthielt, wie herrlich der Tempel
sei, wie aber diese noch Herrlicheres umschließe
usw.
Es waren zwei Lasttiere bei dem Zug. Den einen
Esel, der sehr bepackt war, führte ein Knecht
dem Zuge immer eine Strecke voraus. Auf dem
anderen auch bepackten Esel, der vor dem Hause
stand, war ein Sitz bereitet, und Maria ward
darauf gesetzt. Sie hatte das erste gelbliche
Röckchen an und war in das große Schleier- oder
Wettertuch gehüllt, welches um den
Leib zusammengezogen war, so daß die Arme darin
ruhten. Joachim führte den Esel und trug einen
hohen Stab mit einem großen runden Knopf oben
wie einen Pilgerstab. Anna ging mit der kleinen
Maria Kleophä etwas voraus. Eine Magd ging für
die ganze Reise mit. Außerdem gaben ein Stück
Wegs einige Frauen und Kinder das Geleit. Es
waren Verwandte, welche sich trennten, wo der
Weg nach ihrer Heimat ablief. Auch einer der
Priester begleitete den Zug eine Strecke.
Sie hatten zwar eine Leuchte bei sich, aber
ich sah deren Licht für mich ganz vor jenem
Lichte verschwinden, womit ich immer in nächtlichen
Reisebildern der heiligen Familie und auch anderer
Heiligen den Weg um sie her beleuchtet sehe,
ohne doch zu bemerken, daß sie diese Beleuchtung
auch sehen. Anfangs war mir, als ginge ich mit
dem Prophetenknaben hinter dem Kinde Maria her
und später, da sie zu Fuß ging, ihr zur Seite.
Die Knaben hörte ich aber manchmal den 44. Psalm
Eructavit cor meum verbum und den 49. Deus,
deorum dominus, locutus est singen, und ich
erfuhr von ihnen, diese Psalmen würden bei der
Aufnahme des Kindes im Tempel von zwei Chören
gesungen werden. Das werde ich nun hören, wenn
sie hinkommen.
Ich sah den Weg anfangs einen Hügel hinabziehen
und später wieder steigen. Als es schon Morgen
und heller Tag war, sah ich den Zug bei einem
Springquell rasten, aus welchem ein Bach entstand;
es war eine Wiese dort. Die Reisenden ruhten
an einer Balsamstaudenhecke. Es waren solchen
Balsamstauden immer Steinschalen untergestellt,
in denen sich der tröpfelnde Balsam sammelte,
mit welchem sich die Vorübergehenden erquickten,
und den sie in ihre Krüglein füllten. Es waren
auch Hecken mit einzelnen Beeren dort, welche
sie pflückten und aßen. Auch kleine Brote aßen
sie. Hier waren die Prophetenknaben schon verschwunden.
Einer von ihnen war Elias, der andere schien
mir Moses. Das Kind Maria sah sie wohl, sagte
aber nichts davon. Es sah sie auf die Weise,
wie man als Kind oft heilige Kinder und in erwachsenem
Alter heilige Jungfrauen oder Jünglinge bei
sich erscheinen sieht, ohne es anderen zu sagen,
weil man in solchem Zustande ganz still und
innerlich ist.
Später sah ich sie in einem einzeln liegenden
Hause einkehren, wo sie gut empfangen wurden
und Speise zu sich nahmen. Es schienen mir Verwandte
hier zu wohnen. Von hier ward die kleine Maria
Kleophä zurückgesendet. — Ich warf den Tag über
noch mehrere Blicke auf diese Reise, die ziemlich
beschwerlich war. Sie müssen über Berg und Tal.
Oft hegen kalter Nebel und Tau in den Tälern,
doch sah ich auch in einzelnen Lagen Sonnenstellen,
wo es jetzt Blüten treibt.
Ehe sie an das
Nachtlager kamen, überschritten sie ein Flüßchen.
Sie übernachteten in einer Herberge am Fuße
eines Berges, auf welchem eine Stadt lag. —
Leider kann ich den Namen dieses Ortes nicht
mehr bestimmt angeben. Ich sah denselben auch
in Beziehung auf andere Reisen der heiligen
Familie, und ich kann mich dadurch sehr leicht
in dem Namen verirren
52.
Ich kann nur soviel, aber nicht ganz gewiß sagen:
„Sie reisten in der Richtung des Weges, welchen
Jesus im September seines 30 Jahres von Nazareth
nach Bethanien und dann zur Taufe de s Johannes
gegangen; denselben Weg zog auch die heilige
Familie auf der Flucht von Nazareth nach Ägypten.
Die erste Herberge auf dieser Flucht war in
Nazara, einem kleinen Ort, der zwischen Massaloth
und einer hochgelegenen Stadt, und zwar nahe
bei dieser liegt. Ich sehe immer so viele Orte,
deren Namen ich höre, umherliegen, daß ich diese
Namen sehr leicht verwechseln kann. Die hohe
Stadt liegt in mehreren Abteilungen, wenn diese
übrigens alle zu ihr gehören, einen Berg hinan.
Sie haben Wassermangel darin, es muß mit Stricken
hinaufgezogen werden. Es sind alte verfallene
Türme dort. Auf der Spitze des Berges ist ein
Turm wie eine Warte, und es ist ein Bauwerk
mit großen Balken und Stricken dort, um etwas
aus der tiefer liegenden Stadt heraufzuziehen.
Es sieht mit den vielen Stricken fast wie Schiffsmaste
aus. Es ist wohl eine Stunde vom Fuße des Berges
hinauf. Sie kehrten aber unten in einer Herberge
ein. Man kann von diesem Berge sehr weit sehen.
Es wohnten in einem Teile der Stadt heidnische
Leute, welche zu den Juden in einem Sklavenverhältnis
standen und allerlei Frondienste leisten mußten;
so haben sie zum Beispiel am Tempel und anderen
Bauwerken arbeiten müssen usw.
52 Aus der
Lage des Ortes und der Erwähnung dieser teils
heidnischen Bewohner wie auch, daß Jesus in
seinem 30. Jahre in dieser Richtung zur Taufe
gereist sei, dürfen wir vermuten, der Ort sei
Endor gewesen, denn in ihren täglichen Betrachtungen
des Lehrwandels Jesu sah sie ihn in der Mitte
des Septembers des ersten Lehrjahres auf seinem
Wege zur Taufe, unterhalb Endor in einem kleinen
Orte den Sabbat feiern und in dem hochliegenden,
etwas wüsten Endor Kananiten, die seit der Niederlage
Siseras, von dessen Scharen ihre Voreltern gewesen,
sich hier niedergelassen, belehren.
Am 4. November 1821 sagte sie: Heute Abend sah
ich Joachim und Anna mit dem Kinde Maria, einer
Magd und einem Knechte, der oft mit dem stark
bepackten Esel voraus zog, in einer Herberge
12 Stunden von Jerusalem ankommen. Sie trafen
hier mit ihrer voraus gesendeten Opferherde
zusammen, welche aber sogleich wieder weiter
zog. Joachim mußte hier sehr gut bekannt sein;
er war ganz wie in seinem Eigentum. Sein Opfervieh
kehrte immer hier ein. Er ist auch hier gewesen,
als er von seinem verborgenen Leben bei den
Hirten nach Nazareth zurückkehrte. Ich sah hier
das Kind Maria bei seiner Mutter schlafen. —
Ich habe in diesen Tagen so vieles mit den armen
Seelen zu schaffen gehabt, daß ich einiges von
der Reise zum Tempel darüber vergessen zu haben
glaube.
Am 5. November 1821 erzählte sie:
Ich sah heute Abend das Kind Maria mit seinen
Eltern in einer Stadt ankommen, welche zwischen
Mitternacht und Abend kaum sechs Stunden von
Jerusalem liegt. Sie heißt Bethoron und liegt
am Fuße eines Berges. Sie sind auf der Reise
hierher über ein Flüßchen gekommen, das sich
abendwärts in der Gegend (von Joppe), wo Petrus
nach der Sendung des heiligen Geistes lehrte,
ins Meer ergießt. Es sind bei Bethoron große
Schlachten geliefert worden, ich habe sie gesehen
und wieder vergessen ( Josua 10,11. 1 Makk 7,39—49).
— Sie hatten von hier noch etwa zwei Stunden
auf die Stelle einer Landstraße, wo man Jerusalem
sehen konnte. Ich hörte auch den Namen dieser
Landstraße oder Stelle, kann ihn aber nicht
mehr mit Bestimmtheit vorbringen
53.
Bethoron ist ein großer Ort, eine Levitenstadt.
Es wachsen sehr schöne, große Trauben und viel
anderes Obst hier. — Die heilige Familie kehrte
in einem wohlgeordneten Haus bei Freunden ein.
Der Mann war ein Schullehrer. Es war eine Levitenschule,
und es waren noch mehrere Kinder im Hause. Was
mich aber recht wunderte, war, mehrere der verwandten
Frauen Annas mit ihren Töchtern auch hier zu
sehen, von welchen ich geglaubt hatte, sie seien
auf der Reise von ihnen nach ihrer Heimat gezogen.
Sie sind aber auf kürzerem Wege, wie ich nun
sah, hierher vorausgereist, wahrscheinlich,
um die Ankommenden anzukündigen. Es waren die
verwandten Frauen aus Nazareth, Sephoris, Zabulon
und dort umher, die teils schon bei der Prüfung
in Annas Haus gewesen, mit ihren Mägdlein hier
zugegen; zum Beispiel Marias ältere Schwester
und ihr Töchterlein Maria Kleophä und Annas
Schwester aus Serihoris mit ihren Töchtern.
53 Sie erinnerte
sich in dem Namen eines Klanges wie Marion (vielleicht
Marom, das ist die Höhe). Bekanntlich lief eine
Straße von Jerusalem bei Bethoron vorüber nach
Nikopolis und Lydda. Die Erzählerin beschrieb
noch allerlei Einzelheiten von Tälern und Bergen
der Reise bis hierher. Da sie dieses aber mehr
sieht als genau ausspricht und der Standpunkt
der Schauenden nicht bestimmt werden kann, bleibt
es unmöglich, es zu wiederholen.
Man hatte hier
eine rechte Festfreude mit dem Kinde Maria,
man führte sie in Begleitung der anderen Kinder
in einen großen Saal, setzte sie auf einen erhöhten
überdeckten Sitz, es war ihr wie ein Thrönchen
bereitet. Da fragten sie der Schullehrer und
andere Anwesende wieder allerlei und setzten
ihr Kränzchen auf. Alle staunten über die Weisheit
ihrer Antworten. Ich hörte auch von der Klugheit
einer anderen Jungfrau sprechen, welche vor
kurzem aus der Tempelschule wieder heimkehrend
hier durchgereist sei. — Sie hieß Susanna
54
und ist später mit den heiligen Frauen Jesu
gefolgt. Maria kam an ihre Stelle, denn es war
eine bestimmte Anzahl von Stellen für Mägdlein
am Tempel. Susanna war 15 Jahre alt, da sie
den Tempel erließ und also etwa 11 Jahre älter
als Maria. Die Mutter Anna ist auch am Tempel
erzogen worden, aber erst im fünften Jahre hingekommen.
Das hebe Kind Maria war ungemein freudig, dem
Tempel so nahe zu sein, ich sah, daß Joachim,
sie unter Tränen an sein Herz drückend, sprach:
„O mein Kind, ich sehe Dich wohl nicht wieder!"
Es war aber eine Mahlzeit bereitet, und ich
sah, während alle zu Tische lagen, Maria gar
lieblich heiter umhergehen, und wie sie sich
manchmal an die Seite der Mutter Anna anschmiegte
oder hinter ihr stehend die Ärmchen um ihren
Hals schloß.
54
Von der Herkunft Susannas und ihrer Verwandtschaft
mit der heiligen Familie erwähnte die Erzählerin
mehreres am 28. September oder 27. Elul es ersten
Lehrjahres unseres Herrn.
Am 6. November:
Heute sehr früh sah ich den Zug von Bethoron
nach Jerusalem abgehen. Alle Anwesenden, Verwandten
und Kinder und die Herbergsleute zogen mit.
Sie hatten Geschenke an Kleidungsstücken und
Früchten für das Kind bei sich. Es scheint mir
in Jerusalem ein rechtes Fest zu werden. Ich
erfuhr bestimmt, Maria sei drei Jahre und drei
Monate alt, Sie war aber wie hierzulande ein
fünf- bis sechsjähriges Mägdlein. Sie sind auf
ihrem ganzen Zuge weder durch Ussen Scheera
noch Gophna, wo sie doch bekannt waren, gekommen,
aber wohl an deren Gegend vorüber.
ANKUNFT IN
JERUSALEM. DIE STADT, DER TEMPEL
Am 6. November 1821 abends sagte die Erzählende:
„Ich habe heute am Mittag die Ankunft des Kindes
Maria mit dem begleitenden Zug in Jerusalem
gesehen."
Jerusalem ist eine seltsame Stadt. Man muß sich
dieselbe gar nicht mit so vielen Leuten auf
der Straße denken, wie zum Beispiel Paris. In
Jerusalem sind viele steile Täler, die hinter
Stadtmauern herumführen, wo keine Türe, keine
Fenster hinausgehen, und hinter welchen die
hoch liegenden Häuser nach der anderen Seite
gekehrt sind; denn es sind mehrere Stadtteile
nach und nach aneinandergebaut und immer wieder
ein anderer Bergrücken dazu gezogen worden,
die Stadtmauern aber sind dazwischen stehen
geblieben. Oft sind diese Täler durch hohe feste
Steinbrücken überbaut. — Die Häuser haben meistens
ihre bewohnten Zimmer nach innen um die Höfe
gebaut. Gegen die Straße sieht man nur die Türe
oder wohl auch eine Terrasse oben auf der Mauer.
Außer diesem sind die Häuser sehr geschlossen.
Wenn die Einwohner nichts auf den Märkten zu
tun haben oder ihre Wege zum Tempel ziehen,
sind sie meistens im Innern der Höfe und der
Häuser.
Im ganzen ist es ziemlich still auf den Straßen
von Jerusalem, außer in der Gegend der Märkte
und Paläste, wo mehr Gehen und Ziehen von Soldaten
und Reisenden ist; da ist auch mehr Leben und
Verkehr aus den Wohnungen nach den Straßen zu.
— Rom liegt eigentlich viel angenehmer, es ist
nicht so steil und eng und viel belebter auf
den Straßen.
In Zeiten, wo alles im Tempel versammelt ist,
ist die Stadt in vielen Gegenden recht tot.
Wegen der Zurückgezogenheit der Menschen in
den Häusern und wegen der vielen einsamen Talwege
konnte auch Jesus mit den Jüngern oft so ungestört
in der Stadt umhergehen. Wasser ist auch nicht
im Überfluß in der Stadt. Oft sieht man ganze
Gebäude von Bogen, worüber es hin und wieder
geleitet, und Türme, worin es in die Höhe getrieben
oder gepumpt wird. Am Tempel, wo vieles Wasser
zum Waschen und Reinigen der Gefäße gebraucht
wird, ist man sehr sparsam darin. Es wird mit
großen Pumpwerken in die Höhe hinauf gehoben.
— Es gibt sehr viele Handelsleute in der Stadt.
Sie haben meistens auf mit Hallen umbauten Märkten
und öffentlichen Plätzen in leichten Hütten
ihren Standort beisammen. So stehen zum Beispiel
nicht weit vom Schaftore viele Leute, die mit
allerlei Geschmeide, Gold und blinkenden Steinen
handeln. Sie haben leichte runde Hütten, die
ganz braun sind, als wären sie mit Pech oder
Harz bestrichen. Sie sind leicht und doch ganz
fest. Darin haben sie ihre Wirtschaft, und von
einer solchen Hütte zur anderen sind Zelte gespannt,
unter welchen sie ihre Ware auslegen.
— Der Berg, auf welchem der Tempel liegt, ist
an der Seite, wo er sanfter abhängig ist, durch
mehrere Straßen von Wohnungen hinter dicken
Mauern umgeben, sie liegen auf Terrassen übereinander.
Hier wohnten teils Priester, teils auch geringere
Tempeldiener, die niedrige Dienste tun, zum
Beispiel die Graben reinigen, in welcher aller
Unrat von dem geschlachteten Vieh vom Tempel
hinab kommt.
An einer Seite (sie meint gegen Norden) ist
der Tempelberg sehr steil abfallend und dieser
Graben ganz schwarz. Oben um den Tempelberg
ist auch noch ein grüner Rand, wo die Priester
allerlei Gärtchen haben. Es wurde selbst zu
Christi Zeiten noch immer an einzelnen Stellen
des Tempels gebaut. Das ließ nie ab. — In dem
Tempelberge war vieles Erz, das sie bei dem
Bau herausholten und oben verwendeten. Es sind
viele Schmelzereien und Gewölbe unter dem Tempel.
Ich habe nie eine rechte Stelle zum Beten für
mich im Tempel gefunden. Es ist alles so außerordentlich
dick, fest und hoch. Die vielen Höfe sind doch
wieder eng und finster, mit vielen Gerüsten
und Gestühlen verbaut, und wenn das viele Volk
darin ist, macht sich alles ganz schauerlich,
ja selbst eng zwischen den dicken hohen Mauern
und Säulen. Auch ist mir das immerwährende Schlachten
und das viele Blut ganz unheimlich, wenngleich
die Ordnung und Reinlichkeit in allen diesen
Vorrichtungen gar nicht zu beschreiben ist.
— Ich meine, seit lange alle Gebäude, Wege und
Stege nicht so deutlich gesehen zu haben wie
heute. Es ist aber soviel, ich werde es doch
nicht recht vorbringen können.
Die Reisenden mit dem Kinde nahten der Stadt
von der Nordseite, aber sie zogen da nicht hinein,
sondern wo man schon an die Gärten und Paläste
der Stadt kommt, zogen sie um die Stadt herum
bis zur Morgenseite durch einen Teil des Tales
Josaphat und indem sie den Ölberg und den Weg
nach Bethanien zur Linken ließen, zogen sie
durch das Schaftor, welches zu dem Viehmarkte
führt, in die Stadt. Bei dem Tor ist ein Teich,
in welchem die zum Opfer bestimmten Schafe zum
ersten mal aus dem Groben gewaschen werden.
Dieses aber ist nicht der Teich Bethesda.
Der Zug wendete sich nach einiger Zeit in der
Stadt wieder rechts durch Mauern wie in einen
anderen Stadtteil. Auch kamen sie durch ein
langes Tal in der Stadt, an dessen einer Seite
die hoch liegenden Mauern eines höheren Stadtteils
waren. Sie zogen mehr nach der Abendseite der
Stadt zu, in die Gegend des Fischmarktes, wo
sich das väterliche Haus des Zacharias von Hebron
befand. Es war ein sehr alter Mann darin, ich
glaube ein Bruder seines Vaters. Zacharias kehrte
immer hier ein, wenn er den Tempeldienst hatte.
Er war auch jetzt in der Stadt, seine Dienstzeit
war eben vollendet, und er blieb nur noch einige
Tage in Jerusalem, der Einführung Mariä in den
Tempel beizuwohnen. Er war jetzt bei der Ankunft
des Zuges nicht zugegen.
—Es befanden sich hier im Hause noch mehrere
Verwandte aus der Gegend von Bethlehem und Hebron
nebst ihren Kindern, zum Beispiel zwei Schwestertöchter
der Elisabeth, welche nicht selbst zugegen war.
— Diese alle zogen mit vielen jungen Mädchen,
die kleine Kränze und Zweige trugen, dem Zuge
der Ankommenden beinahe eine Viertelstunde weit
schon in dem Talweg entgegen. Sie empfingen
die Ankommenden mit festlicher Freude und führten
den Zug nach dem Familienhause des Zacharias,
wo eine rechte Festfreude war. Man gab ihnen
einen kleinen Imbiß und rüstete dann alles zu,
den ganzen Zug nach einer Festherberge in der
Nähe des Tempels zu führen. Das Opfervieh des
Joachim war schon früher von der Gegend es Viehmarktes
aus nach Ställen in der Nähe dieses Festhauses
gebracht worden. — Zacharias kam auch, den Zug
aus seinem väterlichen Haus in die Festherberge
abzuholen.
Es wurden dem Kinde Maria die zweiten Festkleider
und das himmelblaue Mäntelchen angelegt. Alle
ordneten sich in eine Prozession. Zacharias
ging mit Joachim und Anna voraus. Dann folgte
Maria, umgeben von vier weißgekleideten Mädchen,
den Zug beschlossen die übrigen Kinder und Verwandten.
Sie zogen durch mehrere Straßen am Palaste des
Herodes und dem Hause, worin später Pilatus
wohnte, vorüber. Sie zogen gegen die Ecke des
Tempelberges zwischen Morgen und Mittemacht
und hatten die Burg Antonia im Rücken, ein hohes
und großes Gebäude an der Nordwestseite des
Tempels gelegen. Sie mußten an einer hohen Mauer
auf vielen Stufen hinan steigen. Das Kind Maria
stieg mit freudiger Eilfertigkeit allein hinauf,
man wollte sie führen, aber sie gab es nicht
zu, und alle waren über sie erstaunt.
Das Haus, in welches sie zogen, war eine Festherberge,
nicht weit vom Viehmarkt. Es lagen vier solche
Herbergen um den Tempel herum. Zacharias hatte
diese für sie gemietet. Es war ein großes Gebäude,
vier Gänge um einen großen Hof, in den Gängen
waren Schlafstellen und auch lange niedrige
Tische. Es war auch ein geräumiger Saal da und
ein Kochherd darin. Der Hof, worin Joachims
Opfervieh war, lag ganz in der Nähe.
— An zwei Seiten dieses Gebäudes wohnten Tempeldiener,
welche ein Amt bei dem Opfervieh hatten. — Als
sie hereingezogen, wurden ihnen als Ankömmlinge
die Füße gewaschen, den Männern durch Männer,
den Frauen durch Frauen. Sie gingen dann in
einen Saal, in dessen Mitte eine große, mehrarmige
Lampe von der Decke über einem großen erzenen,
mit Henkeln versehenen Becken voll Wasser niederhing.
An diesem Becken wuschen sie sich Angesicht
und Hände. Nachdem das Lasttier Joachims abgepackt
war, brachte es der Knecht in den Stall. Joachim,
der sich zum Opfer gemeldet hatte, folgte den
Tempeldienern in den nahe gelegenen Hof, wo
sie sein Opfervieh beschauten.
Joachim und Anna begaben sich dann noch mit
dem Kinde Maria in eine höher gelegene Priesterwohnung.
Auch hier eilte das Kind, wie von innerem Geiste
getrieben und gehoben die Stufen mit wunderbarer
Kraft, hinauf. Die zwei Priester hier im Hause,
ein sehr alter und ein jüngerer Mann, bewillkommneten
sie freundlich, sie hatten beide der Prüfung
Mariä in Nazareth beigewohnt und sie erwartet.
— Nachdem sie von der Reise und der bevorstehenden
Opferhandlung gesprochen, ließen sie eine der
Tempelfrauen, eine bejahrte Witwe, welche die
Aufsicht über das Kind haben sollte, heran rufen.
Sie wohnte nebst anderen ähnlichen Frauen in
der Nähe des Tempels, wo sie allerlei weibliche
Arbeiten verrichteten und Mägdlein erzogen.
Ihre Wohnung war etwas entfernter vom Tempel
als die unmittelbar an denselben angebauten
Räume, in welchen auch Betzellen der Frauen
und der im Tempel geweihten Mägdlein angebracht
waren, aus denen man ungesehen in das Heilige
hinabschauen konnte. Die ankommende Matrone
war so ganz in ihr Gewand verhüllt, daß man
nur wenig von ihrem Angesichte sah. Die Priester
und Eltern stellten ihr das Kind Maria als ihren
künftigen Pflegling vor. Sie war feierlich freundlich
und das Kind auf eine ernste Weise demütig und
ehrerbietig. Sie unterrichteten sie von dem
Wesen des Kindes und besprachen manches, dessen
feierliche Übergabe Betreffende, mit ihr. Die
Matrone begleitete sie zu der Festherberge hinab
und empfing einen Pack zu der Ausstattung des
Kindes gehörigen Gerätes, mit welchem sie zurückkehrte,
um alles in der Wohnung des Kindes vorzubereiten.
Die Leute, welche den Zug aus dem Familienhause
des Zacharias begleitet hatten, kehrten dahin
zurück. Nur die Verwandten , welche mit der
heiligen Familie gekommen waren, blieben in
der von Zacharias gemieteten Herberge. Die Frauen
richteten sich nun ein und bereiteten dann alles
zu einer Festmahlzeit auf den folgenden Tag
vor.
Am 7. November erzählte Anna Katharina Emmerich:
Der ganze heutige Tag ging mir unter Betrachtungen
der Vorbereitungen zu Joachims Opfer und zu
Mariä Aufnahme im Tempel vorüber. Joachim und
einige andere Männer trieben das Opfervieh schon
früh zum Tempel, vor welchem es von Priestern
nochmals besichtigt und einiges zurückgewiesen
ward, was man dann gleich zum Viehmarkt in die
Stadt trieb. — Das angenommene Vieh ward in
den Schlachthof geführt, und ich sah da vielerlei
geschehen, was ich nicht mehr der Ordnung nach
weiß. Ich erinnere mich, Joachim legte jedem
Opfertier vor dem Schlachten die Hand auf den
Kopf. Er mußte das Blut mit einem Gefäße und
auch einzelne Teile des Tieres empfangen. Es
waren da allerhand Säulen, Tische und Gefäße,
wo alles zerlegt, geteilt und geordnet ward.
Der Schaum des Blutes ward weggetan, das Fett,
auch Milz und Leber wurden abgesondert. Es wurde
auch alles gesalzen. Die Eingeweide der Lämmer
wurden gereinigt, mit etwas gefüllt und wieder
in das Lamm gelegt, so daß es wie ein ganzes
Lamm war. Die Füße der Tiere waren alle kreuzweise
gebunden. Es wurde manches von dem Fleische
den Tempeljungfrauen nach einem anderen Hofe
gebracht, welche etwas damit zu tun hatten.
Vielleicht mußten sie es für sich oder die Priester
zur Speise bereiten. Alles dieses geschah mit
unbegreiflicher Ordnung. Die Priester und Leviten
gingen und kamen immer zwei und zwei, und bei
der mannigfaltigen, sehr beschwerlichen Arbeit
ging alles wie am Schnürchen. Die zum Opfer
zubereiteten Stücke lagen gesalzen bis zum anderen
Tage, wo sie erst wirklich geopfert wurden.
In der Herberge war heute ein Fest und eine
Mahlzeit; es waren, die Kinder mitgezählt, wohl
an hundert Menschen dabei. Es waren wohl 24
Mägdlein von verschiedenem Alter anwesend; unter
anderen sah ich Seraphia, die nach Jesu Tod
Veronika genannt ward, schon ziemlich erwachsen.
Sie mochte wohl 10—12 Jahre alt sein. Sie bereiteten
Kränze und Blumengewinde für Maria und ihre
Begleiterinnen und schmückten auch sieben Kerzen
oder Fackeln. Diese waren wie zepterförmige
Leuchter ohne Fußgestell, und es brannte oben
eine Flamme, ob von öl oder Wachs oder was sonst,
weiß ich nicht mehr. — Es gingen während dem
Feste mehrere Priester und Leviten in der Herberge
ein und aus. Sie nahmen auch teil an der Mahlzeit.
Als sie sich über die Größe von Joachims Opfer
verwunderten, sagte ihnen dieser, eingedenk
seiner am Tempel erlittenen Schmach, da sein
Opfer nicht angenommen worden sei, und um der
Barmherzigkeit Gottes willen, der sein Flehen
erhört habe, wolle er sich jetzt nach seinen
Kräften dankbar erzeigen. — Ich sah heute das
Kind Maria mit den anderen Mägdlein in der Gegend
des Hauses Spazierengehen . Vieles andere habe
ich vergessen.
EINZUG MARIÄ IN DEN TEMPEL UND OPFERUNG
Am 8. November erzählte sie:
Joachim ging mit Zacharias und den anderen Männern
heute schon früher zu dem Tempel. Dann ward
auch das Kind Maria von der Mutter Anna in einem
festlichen Zuge dahin geführt. — Anna und deren
älteste Tochter Maria Heli mit ihrem Töchterlein
Maria Kleophä schritten voraus, dann folgte
das heilige Kind Maria in seinem himmelblauen
Kleide und Mantel, mit Kränzen um die Arme und
den Hals geschmückt; sie trug die mit Blumen
umwundene Kerze oder Fackel in der Hand. Zu
jeder Seite gingen ihr drei Mägdlein mit ähnlich
geschmückten Fackeln, deren weiße Kleider mit
Gold gestickt waren. Auch sie trugen lichtblaue
Mäntelchen, waren ganz mit Blumenkränzen umwunden
und hatten Kränzchen um Arme und Hals. Dann
folgten die anderen Jungfrauen und Mägdlein,
alle festlich, doch verschieden gekleidet, alle
trugen Mäntelchen. Den Zug beschlossen die anderen
Frauen.
Sie konnten aus der Festherberge nicht gerade
zum Tempel, sondern mußten auf einem Umwege
durch mehrere Straßen ziehen. Alles freute sich
an dem schönen Zuge, dem an mehreren Häusern
Ehre erwiesen wurde. Das Kind Maria hatte etwas
unbeschreiblich Heiliges und Rührendes in seiner
Erscheinung.
Ich sah, da der Zug angekommen, viele Tempeldiener
beschäftigt, ein ungemein großes, schweres,
wie Gold schimmerndes Tor, auf dem allerlei
Köpfe, Weintrauben und Ährenbüsche abgebildet
waren, mit großer Anstrengung aufzutun. Es war
die goldene Pforte. Der Zug ging durch diese
Pforte. Es waren 15 Stufen bis zu ihr zu steigen,
ich weiß nicht mehr, ob mit Unterbrechungen.
Man wollte Maria an der Hand führen, aber sie
nahm es nicht an. Sie eilte in freudiger Begeisterung,
ohne zu straucheln, die Stufen hinan. Alle waren
gerührt darüber.
Unter der Pforte empfingen sie Zacharias, Joachim
und einige Priester und führten sie rechts
unter der Pforte, die ein langer Bogen war,
in einige Hallen oder hohe Säle, in deren einem
eine Mahlzeit zubereitet wurde. — Der Zug sonderte
sich hier ab. Mehrere der Frauen und Kinder
gingen an den Betört der Frauen im Tempel, Joachim
und Zacharias aber zum Opfer. Die Priester legten
in einer der Hallen nochmals dem Kinde Maria
prüfende Fragen vor, und da sie erstaunt über
die Weisheit des Kindes geschieden waren, bekleidete
Anna das heilige Kind mit dem dritten feierlichsten
violblauen Festkleide und dem dazugehörigen
Mantel, Schleier und Krönchen, welche ich bei
der Zeremonie in Annas Haus schon beschrieben
habe
55.
Unterdessen war Joachim mit den Priestern zum
Opfer gegangen. Er empfing Feuer von einem bestimmten
Ort und stand zwischen zwei Priestern in der
Nähe des Altars. — Ich bin jetzt zu krank und
gestört, um den ganzen Hergang des Opfers geordnet
zu erzählen. Was mir noch gegenwärtig, ist folgendes:
Man konnte nur von drei Seiten an den Altar.
Die zubereiteten Opferstücke wurden nicht auf
eine Stelle gelegt, sondern rings auf verschiedene
Stellen. Man konnte an den drei Seiten Platten
herausziehen, um das darauf zu legen, was in
die Mitte sollte geschoben werden; denn es war
zu weit, um mit den Armen dorthin zu reichen.
An den vier Ecken des Altars standen hohle,
metallene Säulchen, und auf denselben ruhten
eine Art Rauchfänge, weite Trichter von dünnem
Kupfer, die sich oben in hornförmig geschwungenen
Röhren nach außen endeten, so daß der Rauch
sich durch dieselben an diesen Stellen über
den Häuptern der opfernden Priester hinweg zog.
Als das Opfer Joachims schon brannte, ging Anna
mit dem geschmückten Kinde Maria und seinen
Begleiterinnen in den Frauenvorhof, wo der Standort
der Weiber in dem Tempel ist. Dieser Ort war
von dem Hofe des Opferaltares durch eine Mauer
getrennt, die oben in einem Gitter endete; in
der Mitte dieser Scheidewand war jedoch ein
Tor. — Der Standort der Frauen steigt von der
Scheidewand nach rückwärts schräg auf, so daß
sie zwar nicht alle, aber doch die Zurückstehenden
zum Opferaltar einigermaßen hinsehen konnten.
Wenn aber das Tor in der Scheidewand geöffnet
war, dann konnte ein Teil der Frauen durch dieses
zum Altare sehen. Maria und die anderen Mägdlein
standen vor Anna und die anderen verwandten
Frauen unfern dieses Tores. An einem abgesonderten
Orte stand eine Schar weißgekleideter Tempelknaben,
welche auf Flöten und Harfen spielten.
Nach dem Opfer ward unter diesem Tore, welches
aus dem Frauenvorhof zu dem Opferhof hinsah,
ein tragbarer, bedeckter Altar oder Opfertisch
56
aufgerichtet und zu ihm aufsteigend einige Stufen.
— Zacharias und Joachim traten aus dem Opferhof
mit einem Priester zu diesem Altar, vor welchem
ein Priester und zwei Leviten mit Rollen und
Schreibgeräten standen, zu welchen Anna das
geschmückte Kind Maria führte. Etwas zurück
standen die Mägdlein, welche Maria begleitet
hatten. — Maria kniete auf den Stufen; Joachim
und Anna legten ihr die Hände auf den Kopf.
Der Priester schnitt ihr einige Haare ab, welche
auf einem Feuerbecken verbrannt wurden. Die
Eltern sprachen auch einige Worte, durch welche
sie ihr Kind opferten, und dieses wurde durch
die beiden Leviten aufgeschrieben. Während diesem
sangen die Mägdlein den 44. Psalm: Eructavit
cor meum verbum bonum und die Priester den 49.
Psalm: Deus, deorum Dominus, loctus est, wozu
die Knaben musizierten.
55 Merkwürdig
ist, daß die Stiftshütte dreierlei festliche
Bekleidungen hatte, wovon die schönste und innerste
blau und rot war. Dazu kam noch ein gröberer
Überzug. So trug auch die allerseligste Jungfrau,
in welcher das Bundeszelt seine Erfüllung erhielt,
außer den Feiergewändern ein Alltagskleid. Man
vergleiche über die dreifache Bekleidung der
Stiftshütte samt der geringeren Decke Exodus
26,1—14.
56 Dieser Opfertisch
wurde unter diesem Tore aufgerichtet, weil die
Frauen nicht weitergehen durften. Unter dem
Bogen dieses Tores war Joachim bei der Zusammenkunft
mit Anna in den unterirdischen Gang hinabgegangen,
Anna aber auf der entgegengesetzten Seite.
Ich sah nun aber
Maria von zwei Priestern an der Hand viele Stufen
hinauf auf eine erhöhte Stelle der Scheidewand
führen, welche den Vorhof des Heiligen von dem
anderen Räume trennte. In der Mitte dieser Scheidewand
stellten sie das Kind in eine Art Nische, so
daß sie in den Tempel hinab sah, in welchem
viele Männer geordnet standen, die mir auch
zum Tempel verlobt schienen. Zwei Priester standen
ihr zur Seite und die Stufen herab noch mehrere,
welche beteten und laut aus Rollen lasen. —
Jenseits der Scheidewand stand so hoch, daß
man ihn halb sehen konnte, ein alter Hoherpriester
bei einem Rauchopferaltar. Ich sah ihn ein Rauchopfer
bringen und die Rauchwolke sich um das Kind
Maria verbreiten.
Während dieser Handlung sah ich ein Bedeutungsbild
um die heilige Jungfrau erscheinen, welches
endlich den ganzen Tempel erfüllte und verdunkelte.
— Ich sah unter dem Herzen Maria eine Glorie
und erkannte, daß diese die Verheißung und den
allerheiligsten Segen Gottes umfasse. Ich sah
diese Glorie wie von der Arche Noe umgeben erscheinen,
so daß der Kopf der heiligen Jungfrau oben über
der Arche hervorragte. Hierauf sah ich die Gestalt
der Arche um diese Glorie in die Gestalt der
Bundeslade übergehen und diese sodann wieder
von der Erscheinung des Tempels umgeben. Dann
sah ich diese Formen verschwinden und aus der
Glorie wie den Kelch des Abendmahls vor der
Brust Mariä hervortreten und über diesem vor
ihrem Munde ein mit einem Kreuze bezeichnetes
Brot erscheinen. — Zu ihren beiden Seiten rankten
vielfache Strahlen hervor, an deren Ende viele
Geheimnisse und Sinnbilder der heiligen Jungfrau
wie zum Beispiel alle die Namen der lauretanischen
Litanei bildlich erschienen. Von ihrer rechten
und linken Schulter legten sich kreuzend zwei
verschiedene Zweige, von Ölbäumen und Zypressen
oder Zedern und Zypressen über einen feinen
Palmbaum, den ich mit einem kleinen Blätterbusche
gerade hinter ihr erscheinen sah. — In den Zwischenräumen
dieser grünen Zweigstellung sah ich alle Leidenswerkzeuge
Jesu erscheinen. — Der heilige Geist, in einer
mit Scheinen geflügelten, mehr menschen- und
taubenartigen Gestalt schwebte über dem Bilde,
und darüber sah ich den Himmel offen und die
Mitte des himmlischen Jerusalems, die Gottesstadt
schwebte über ihr, mit allen Palästen, Gärten
und Räumen der zukünftigen Heiligen, und alle
waren mit Engeln erfüllt wie auch die ganze
Glorie, die nun die heilige Jungfrau umgab,
mit Engelsangesichtern erfüllt war
57.
Wer kann das aussprechen? Alles war so unzählig
mannigfaltig, auseinander hervor wachsend und
sich verwandelnd, daß ich unzählig vieles vergessen
habe. Die ganze Bedeutung der heiligen Jungfrau
im Alten und Neuen Bunde und bis in alle Ewigkeit
war darin ausgesprochen. — Ich kann diese Erscheinung
nur mit jener vergleichen, die ich im Kleinen
unlängst vom heiligen Rosenkranz in seiner ganzen
Herrlichkeit hatte, von welchem viele klug scheinende
Leute noch viel unverständiger sprechen, als
ihn die geringeren armen Leute in ihrer Einfalt
beten, denn diese schmücken ihn doch noch mit
dem Glänze des Gehorsams und der demütigen Andacht,
die auf die Kirche vertraut, welche ihn empfiehlt.
57 Die Kirche
betet in den priesterlichen Tageszeiten der
Muttergottes öfters: Omnium nostrum habitatio
est in te sancta Dei genitrix, was schön mit
der Vorstellung zusammenhängt, daß Maria als
Arche Noes erscheint, in welcher die aus der
Sintflut Geretteten wohnten.
Als ich dies alles sah, schien alle Pracht und
Zierde des Tempels und die schöne geschmückte
Wand hinter der heiligen Jungfrau ganz trüb
und rußig, ja der Tempel selbst schien gar nicht
mehr da, Maria und ihre Glorie erfüllte alles.
Während sich die ganze Bedeutung der heiligen
Jungfrau in diesen Erscheinungen vor meinen
Augen entwickelte, sah ich sie nicht mehr als
das Kind Maria, sondern als die heilige Jungfrau,
groß und schwebend, und sah doch die Priester
und den Opferrauch und alles durch das Büd durch,
und es war, als ob der Priester hinter ihr weissage
und dem Volke verkünde, es solle Gott danken
und beten, es werde etwas Großes aus diesem
Kinde werden. Alle Anwesenden im Tempel aber,
obschon sie das Bild nicht sahen, das ich sah,
waren sehr still und feierlich gerührt. — Es
verschwand aber das Bild ebenso nach und nach
wieder, wie ich es hervortreten gesehen. Zuletzt
sah ich nur noch die Glorie unter dem Herzen
Mariä und den Segen der Verheißung in ihr leuchten,
sodann verschwand auch diese Erscheinung, und
ich sah das dem Tempel geopferte heilige Kind
in seinem Schmucke wieder allein zwischen den
Priestern.
Die Priester nahmen dem Kinde nun die Kränzchen
von den Armen und die Fackel aus der Hand und
reichten diese ihren Begleiterinnen. Sie legten
ihr eine braune Schleierkappe über das Haupt
und führten sie die Stufen hinab durch eine
Türe in eine andere Halle, wo etwa sechs andere,
jedoch erwachsenere Tempeljungfrauen Blumen
vor ihr streuend entgegentraten. Hinter diesen
standen ihre Lehrerinnen Noemi, die Schwester
von Lazari Mutter und die Prophetin Hanna nebst
einer dritten Frau; diesen übergaben die Priester
das Kind Maria und gingen zurück. — Die Eltern
und nahen Verwandten waren auch hinzugetreten,
der Gesang war vollendet, und Maria nahm Abschied
von den Ihrigen. — Joachim war besonders tief
gerührt, er hob Maria empor, drückte sie an
sein Herz und sprach unter Tränen zu ihr:
„Gedenke meiner Seele vor Gott!" Worauf nun
Maria mit den Lehrerinnen und mehreren Mägdlein
in die Wohnung der Frauen an der Mitternachtsseite
des eigentlichen Tempels ging. Sie hatten ihren
Aufenthalt in Gemächern, welche in den dicken
Mauerwerken des Tempels angebracht waren. Sie
konnten durch Gänge und Wendeltreppen hinauf
in kleine Betzellen neben dem Heiligen und Allerheiligsten
gelangen.
Die Eltern und Verwandten Mariä begaben sich
in die Halle an der goldenen Pforte zurück,
wo sie zuerst verweilt waren, und nahmen dort
mit den Priestern ein Mahl ein. Die Frauen aßen
in einer Halle getrennt. — Sehr vieles, was
ich gesehen und gehört, habe ich vergessen,
unter anderem die nähere Ursache, warum das
Fest so reich und feierlich gewesen; doch weiß
ich noch, daß es infolge einer Offenbarung des
göttlichen Willens geschah. Die Eltern Mariä
waren eigentlich wohlhabend, sie lebten nur
arm der Abtötung und des Almosens halber. Ich
weiß nicht mehr, wie lange Anna nur kalte Speise
zu sich nahm. Aber ihr Gesinde hielten sie reichlich
und statteten es aus. — Ich habe auch noch viele
Betende im Tempel gesehen, auch waren viele
Leute dem Zuge bis zum Tore des Tempels gefolgt.
— Es mußten wohl einige der Anwesenden eine
Ahnung von der Bestimmung der heiligen Jungfrau
haben, denn ich entsinne mich einiger Äußerungen,
welche Anna in freudiger Begeisterung gegen
einzelne Frauen tat, und welche ungefähr soviel
aussprachen, als: „Nun zieht die Lade des Bundes,
das Gefäß der Verheißung, in den Tempel ein."
Die Eltern und übrigen Verwandten Mariä zogen
noch heute bis gegen Bethoron zurück.
Ich sah nun auch bei den Tempeljungfrauen ein
Fest. Maria mußte die Lehrerinnen und einzelne
Mägdlein der Reihe nach fragen, ob sie sie unter
sich dulden wollten. Es war dieses so der Gebrauch.
Dann hatten sie eine Mahlzeit und nach dieser
einen Tanz unter sich. Sie standen paarweise
einander gegenüber und tanzten in Kreuzlinien
und allerlei Figuren durcheinander. Sie hüpften
dabei nicht, es war wie ein Menuett. Manchmal
fand eine schaukelnde, schlängelnde Bewegung
des Leibes dabei statt, auf die Art wie die
Bewegungen der Juden bei dem Gebete. Einige
der Mädchen machten Musik dazu mit Flöten, Triangeln
und Schellen.
— Ein Instrument lautete dabei besonders angenehm
und seltsam. Es war ein Kästchen, auf beiden
Seiten schräg abfallend, und hier mit Saiten
bespannt, worauf man klimperte. In der Mitte
des Kastens waren Blasbälge, die auf und nieder
gedrückt mehrere krumme und gerade Pfeifen zwischen
den Harfenklängen ertönen machten. Die Spielenden
hatten das Instrument auf den Knien.
Am Abend sah ich die Lehrerin Noemi die heilige
Jungfrau in ihr Kämmerchen führen, aus welchem
man in den Tempel sehen konnte. Es war nicht
ganz viereckig, und die Wände waren mit dreieckigen
Figuren verschiedenfarbig ausgelegt. Es stand
ein Schemel und ein Tischchen darin, und in
den Winkeln befanden sich Gestelle mit Fächern,
etwas darauf zu legen. Vor diesem Kämmerchen
befanden sich eine Schlafstelle und ein Kleiderraum
wie auch die Kammer der Noemi. Maria sprach
mit dieser noch von dem öfteren Aufstehen in
der Nacht, welches ihr aber Noemi für jetzt
noch nicht gestattete. Die Tempelfrauen trugen
lange, weite, weiße Kleider mit Gürteln und
sehr weiten Ärmeln, welche sie bei der Arbeit
aufschürzten. — Sie waren verschleiert.
Ich erinnere mich, nie gesehen zu haben, daß
Herodes den Tempel ganz neu erbaute. Ich sali
nur unter seiner Regierung allerlei daran verändern.
Jetzt, 11 Jahre vor Christi Geburt, als Maria
in den Tempel kam, ward nichts am eigentlichen
Tempel gebaut, aber wie immer an den äußeren
Umgebungen; das ließ nie ganz ab.
Am 21. November sagte die Erzählende:
Ich hatte heute einen Blick in den Wohnraum
Maria am Tempel. In der Nordseite der Tempelmauer
gegen das Heilige hin befanden sich in der Höhe
mehrere Kammern, welche mit den Wohnungen der
Frauen zusammenhingen. — Die Kammer Mariä war
eine der äußersten gegen das Allerheiligste
zu. Man trat aus dem Gang durch einen Vorhang
in eine Art Vorgemach, welches durch einen Verschlag
in halbrunder oder winkeliger Form von dem eigentlichen
Raum abgetrennt war. In dem Winkel rechts und
links waren Gefache, um Kleider und Gerätschaften
zu bewahren. — Der Türe in diesem Verschlage
gegenüber führten Stufen zu einer in der Höhe
angebrachten mit Flor und einem Teppich verhängten
Öffnung, welche in den Tempel niedersah. Links
an der Wand der Kammer war ein Teppich in einem
Wulst zusammengerollt, der ausgebreitet das
Lager bildete, auf welchem Maria schlafend ruhte.
In einer Nische der Wand war eine Armlampe angebracht,
bei welcher ich heute das Kind auf einem Schemel
stehend in einer Pergamentrolle, woran rote
Stabknäufe, beten sah. Es war dieses gar rührend
anzusehen. Das Kind hatte dabei ein weiß- und
blaustreifiges, mit gelben
Blumen durchwirktes Kleidchen an. Ein rundes,
niederes Tischchen stand in der Kammer. Ich
sah Hanna herein treten, sie stellte eine Schale
mit Früchten, so groß wie Bohnen, und einen
kleinen Krug auf den Tisch.
Maria war über ihr Alter geschickt, ich sah
sie schon an kleinen weißen Tüchern für den
Tempeldienst arbeiten.
Die obigen Betrachtungen teilte Anna Katharina
Emmerich gewöhnlich um die Zeit des Festes Mariä
Opferung mit. Außerdem aber erzählte sie von
dem Aufenthalt Mariä am Tempel während elf Jahren
dann und wann noch Folgendes:
AUS DEM LEBEN DER HEILIGEN JUNGFRAU AM TEMPEL
Ich sah die heilige Jungfrau am Tempel, teils
in der Wohnung der Frauen mit den anderen Mägdlein,
teils einsam in ihrem Kämmerchen in Lehre, Gebet
und Arbeit heranwachsen. Sie webte, wirkte,
strickte schmale Zeugbahnen auf langen Stäben
für den Tempeldienst. Sie wusch die Tücher und
reinigte die Gefäße. —- Ich sah sie oft in Gebet
und Betrachtung. — Ich sah nie, daß sie sich
körperlich kasteite oder abtötete, sie bedurfte
das nicht. — Sie aß wie alle heiligsten Menschen
nur, um zu leben, und keine anderen Speisen
als jene, zu dessen sie sich verlobt hatte.
Außer den vorgeschriebenen Tempelgebeten war
Maria Andacht eine ununterbrochene Sehnsucht
nach der Erlösung, ein stetes inneres Gebet.
— Sie tat das alles still und geheim. Wenn alles
schlief, stand sie vom Lager auf und flehte
zu Gott. — Ich sah sie oft in Tränen zerfließen
und in ihrem Gebete von Glanz umgeben. — Ihr
Gewand, da sie mehr erwachsen, sah ich immer
von bläulich schimmernder Farbe. Sie war im
Gebete verschleiert. Auch war sie verschleiert,
wenn sie mit Priestern redete und hinab in eine
Kammer am Tempel ging, um Arbeit zu empfangen
oder abzuliefern. — Solche Räume waren an drei
Seiten des Tempels. Sie kamen mir immer wie
Sakristeien vor. Es wurden darin allerlei Geräte
bewahrt, welche die Tempeldienerinnen erhalten,
herstellen und vermehren mußten.
Ich sah die heilige Jungfrau am Tempel in einer
steten Gebetshinreißung leben. Sie schien mit
ihrer Seele nicht auf der Erde zu sein und ward
oft himmlischer Tröstungen teilhaftig. — Sie
hatte eine unendliche Sehnsucht nach der Erfüllung
der Verheißung und wagte in ihrer Demut kaum
den Wunsch, die niedrigste Magd der Mutter des
Erlösers werden zu können.
Die Lehrerin und Pflegerin Mariä am Tempel hieß
Noemi, sie war eine Schwester der Mutter des
Lazarus und 50 Jahre alt. Sie und die anderen
Tempeldienerinnen gehörten zu den Essenern.
Maria lernte Stricken bei ihr und ging ihr zur
Hand, wenn sie Geräte und Gefäße vom Opferblut
reinigte oder gewisse Teile des Opferfleisches
als Speise für die Tempeldienerinnen und Priester
zerteilte und zubereitete; denn diese wurden
teils dadurch ernährt. Später nahm Maria noch
tätigeren Anteil an diesen Geschäften. Wenn
Zacharias den Dienst am Tempel hatte, besuchte
er sie, auch Simeon kannte sie.
Die Bedeutung der heiligen Jungfrau kann den
Priestern nicht ganz unbekannt gewesen sein.
Ihr ganzes Wesen, ihre Gnade, ihre Weisheit
war von Kind auf am Tempel so merkwürdig,
alte heilige Priester große Rollen in Bezug
auf sie vollschreiben, und diese Schriften sind
mir, ich weiß nicht mehr zu welcher Zeit, noch
unter alten Schriften liegend gezeigt worden.
------------------------
Wir brechen hier die zerstreuten Mitteilungen
von dem Verweilen der heiligen Jungfrau am
Tempel ab und lassen einiges folgen, was von
der Jugend des heiligen Joseph erzählt ward.
AUS DER JUGEND DES HEILIGEN JOSEPH
(ERZÄHLT AM 18. MÄRZ 1820 UND 18. MÄRZ 1821)
Von vielem, was ich heute aus dem Jugendleben
des heiligen Joseph gesehen, erinnere ich mich
noch des Folgenden:
Joseph, dessen Vater Jakob hieß, war der dritte
von sechs Brüdern. Seine Eltern wohnten in einem
großen Gebäude vor Bethlehem, dem ehemaligen
Stammhause Davids, dessen Vater Jsai oder Jesse
es besessen hatte. Es war jedoch bis auf die
Zeit Josephs nicht mehr vieles, außer den Hauptmauern
von dem alten Gebäude übrig. Es hat eine recht
luftige, wasserreiche Lage. — Ich weiß dort
schier besser Bescheid als in unserem Dörfchen
Flamske.
Vor dem Hause lag, wie vor den Häusern im alten
Rom, ein Vorhof, der von bedeckten Säulengängen
wie von einer Art Laube umgeben war. Ich sah
in diesen Säulengängen Figuren wie Köpfe alter
Männer. — An einer Seite des Hofes befand sich
ein Quellbrunnen unter einem steinernen Brunnenhaus.
Das Wasser sprang aus Tierköpfen. — Am Wohnhause
selbst sah man im unteren Stockwerke keine Fenster,
hoch oben aber runde Öffnungen. Eine Türe sah
ich am Haus. — Rings oben um das Haus lief eine
breite Galerie, an deren vier Ecken sich kleine
Türme, gleich dicken, kurzen Säulen befanden,
die sich in großen Kugeln oder Kuppeln endigten,
auf
welchen Fähnchen angebracht waren. Aus den Öffnungen
dieser Kuppeln, in welche Treppen durch die
Türmchen führten, konnte man alles weit umher
beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Auf
Davids Palast in Jerusalem waren auch solche
Türmchen, und aus der Kuppel eines derselben
beobachtete er das Bad der Bethsabee. Diese
Galerie oben am Hause lief um ein niederes Stockwerk,
auf dessen plattem Dache noch ein Aufsatz mit
einem solchen Türmchen war. — Hier oben wohnten
Joseph und seine Brüder, und in dem obersten
Aufsatz ihr Lehrer, ein alter Jude. Sie schliefen
alle rund um eine Stube herum, in der Mitte
des Stockwerks, um welches die Galerie lief.
Ihre Schlafstellen, aus Teppichen bestehend,
die bei Tag an der Wand aufgerollt wurden, waren
durch Matten getrennt, die man auch wegnehmen
konnte. — Ich habe sie da oben in ihren Räumen
spielen sehen. Sie hatten Spielzeug in Tiergestalten
wie kleine Möpschen (so pflegt sie alle Tierfiguren
und Fratzen zu nennen, die sie nicht kennt).
— Ich sah auch, wie ihr Lehrer ihnen allerlei
seltsamen Unterricht gab, den ich nicht recht
verstand. Ich sah, wie er Stäbe am Boden in
mancherlei Figuren umherlegte und die Knaben
in diese Figuren treten ließ; dann sah ich die
Knaben wieder in andere Figuren treten und die
Stäbe auseinander schieben, anders legen und
einteilen und dabei mancherlei ausmessen. Ich
sah auch die Eltern; sie bekümmerten sich nicht
viel um die Kinder und waren wenig in Berührung
mit ihnen. Sie schienen mir weder gut noch bös.
Joseph, den ich in dieser Betrachtung etwa acht
Jahre alt sah, war in seinem Wesen von seinen
Brüdern sehr verschieden. Er hatte viel Talent
und lernte sehr gut, aber er war einfältig,
still, fromm und ohne Ehrgeiz. Seine Brüder
spielten ihm allerlei Possen und stießen ihn
hin und her. Die Knaben hatten abgeteilte kleine
Gärten, und an deren Eingängen standen an Pfeilern,
jedoch etwas verdeckt (vielleicht in Nischen?),
Figuren gleich Wickelpuppen, wie ich sie oft
und auch auf dem Vorhange sah, der den Gebetsort
der Mutter Anna und auch der heiligen Jungfrau
bezeichnete, nur daß bei Maria diese Figur etwas
im Arm hielt, das an einen Kelch erinnerte,
aus dem sich etwas herausschlängelte. Die Figuren
hier im Hause waren nur gleich Wickelpuppen
mit runden umstrahlten Angesichtern. -— Ich
habe besonders in noch früheren Zeiten viele
Figuren dieser Gestalt in Jerusalem bemerkt.
Auch in Verzierungen im Tempel kamen sie vor.
In Ägypten sah ich sie auch, sie hatten dort
manchmal kleine Mützen auf dem Kopf. Unter den
Figuren, welche Rachel ihrem Vater Laban entführte,
waren auch einige solche, jedoch kleinere, aber
auch mehrere von anderer Gestalt. Ich habe auch
solche Figuren bei den Juden in kleinen Kasten
oder Körben liegen sehen. — Ich meine, sie bedeuteten
vielleicht das Kind Moses, wie es auf dem Nil
schwamm, und das Eingewickelte sollte vielleicht
das feste Gebundensein durch das Gesetz vorstellen.
Ich dachte manchmal, sie hätten wohl dieses
Bildchen so, wie wir das Christkindchen haben.
In den Gärten der Knaben sah ich Kräuter, Büsche
und Bäumchen. Ich sah, wie die Brüder im Gärtchen
Josephs oft heimlich etwas zertraten und ausrissen.
Sie taten ihm viel Kummer an. Ich sah ihn oft
unter den Säulengängen des Vorhofs gegen die
Wand gekehrt, kniend mit ausgebreiteten Armen
beten, und wie seine Brüder heranschlichen und
ihn in den Rücken stießen. — Ich sah einmal,
da er so kniete, daß einer von ihnen ihn mit
dem Fuße auf den Rücken trat und, da er es nicht
zu bemerken schien, diese Mißhandlung so heftig
wiederholte, daß der arme Joseph an den harten
Steinboden hinfiel. Woraus ich erkannte, daß
er nicht in wachem Zustande, sondern im Gebete
entzückt gewesen ist. Als er zu sich kam, zürnte
er nicht, rächte sich nicht, sondern er suchte
sich einen verborgenen Winkel auf, wo er sein
Gebet fortsetzte.
Ich sah an den äußeren Mauern des Hauses kleine
Wohnungen angebracht, in welchen ein paar Frauenspersonen
von mittlerem Alter wohnten. Sie gingen verhüllt
einher, so wie ich öfter dort im Lande Frauen
an Schulen wohnen sehe. — Sie schienen zum Gesinde
des Hauses zu gehören, denn ich sah sie darin
in allerlei Geschäften ein- und ausgehen. Sie
trugen Wasser zu, wuschen und fegten, schlossen
die Fensteröffnungen mit vorgesetzten Gittern,
rollten die Betten an den Wänden zusammen und
stellten geflochtene Schirme davor. — Ich sah
Josephs Brüder manchmal mit diesen Mägden reden
oder ihnen in ihren Arbeiten helfen, auch wohl
mit ihnen scherzen.
Joseph tat das nicht; er hielt sich ernst und
einsam. Es schien mir, als seien auch Töchter
im Hause. — Die Einrichtung der unteren Wohnräume
war ziemlich wie in Annas Haus, jedoch alles
geräumiger.
Die Eltern waren auch nicht recht mit Joseph
zufrieden, sie wollten, er möge bei seinen Talenten
auf irgendein weltliches Amt hinarbeiten, aber
er hatte gar keine Neigung dazu. Er war ihnen
zu einfach und schlicht; beten und still eine
Handarbeit treiben, war sein einziger Trieb.
— Um sich den steten Neckereien seiner Brüder
zu entziehen, sah ich ihn oft, da er etwa schon
12 Jahre alt sein mochte, an der anderen Seite
von Bethlehem, nicht weit von der nachmaligen
Krippenhöhle, bei einigen frommen Frauenspersonen
verweilen, die zu einer kleinen Genossenschaft
von Essenerinnen gehörten, welche an einer ausgebrochenen
Stelle des Hügels, worauf Bethlehem liegt, in
einer Reihe von Felsenkammern wohnten, kleine
Gärten bei ihrer Wohnung bauten und Kinder anderer
Essener unterrichteten. Ich sah oft, wenn sie
bei einer Lampe in ihrer Felsenkammer aus einer
Rolle, die an der Wand hing, beteten, daß der
kleine Joseph sich zu ihnen vor den Neckereien
seiner Brüder flüchtete und mit ihnen betete.
Auch sah ich ihn sich in den Höhlen aufhalten,
deren eine nachher die Geburtsstelle unseres
Herrn ward. Er betete dort ganz einsam oder
machte allerlei kleine Holzarbeiten, denn es
hatte in der Nähe der Essenerinnen ein alter
Zimmermann seine Werkstätte; Joseph hielt sich
viel bei ihm auf, ging ihm in seiner Arbeit
zur Hand und lernte so nach und nach sein Handwerk,
wobei ihm die Meßkunst, welche er bei seinem
Lehrer zu Haus getrieben, sehr zu statten kam.
Die Feindseligkeit seiner Brüder machte es ihm
endlich unmöglich, länger im elterlichen Hause
zu bleiben; ich sah, daß ihm ein Freund aus
Bethlehem, das von seinem Vaterhaus durch einen
kleinen Bach getrennt war, andere Kleider gab,
in welchen verkleidet er sich nachts von Haus
entfernte, um seinen Lebensunterhalt an einem
anderen Orte durch sein Zimmerhandwerk zu verdienen.
Er mochte damals 18—20 Jahre alt sein.
Ich sah ihn zuerst bei einem Zimmermann in Libonah
arbeiten
59
wo er eigentlich sein Handwerk zuerst recht
lernte. Sein Meister wohnte an alten Mauern,
die von der Stadt aus längs einem schmalen Bergrand
hinführten, gleich einer Straße zu einer verfallenen
Burg hinauf. Es wohnten dort mehrere ärmere
Leute in der Mauer. — Hier sah ich Joseph zwischen
hohen Mauern, in welchen oben Lichtöffnungen
waren, an langen Stangen arbeiten. Es waren
Rahmen, in die man Flechtwände einsetzte. Sein
Meister war ein armer Mann und machte meist
nur solche grobe Flechtwände und ähnliche ganz
geringe Arbeit.
Joseph war sehr fromm, gut und einfältig, es
liebte ihn jedermann. Ich sah ihn gar demütig
seinem Meister alle Dienste tun, ich sah ihn
Späne auflesen, Holz sammeln und auf dem Rücken
herbeischleppen. Später ist er einmal mit der
heiligen Jungfrau hier vorübergereist, und wie
ich meine, hat er mit ihr seine ehemalige Arbeitsstätte
besucht.
Seine Eltern hatten anfangs geglaubt, er sei
von Räubern entführt worden. Ich sah aber, daß
er hier endlich durch seine Brüder ausgekundschaftet
und sehr ausgescholten ward, denn sie schämten
sich seiner geringen Lebensweise, die er aber
in seiner Demut darum doch nicht aufgab; nur
verließ er diesen Ort und arbeitete nachher
in Thanath
60
(Thaanach) bei Megiddo an einem Flüßchen (Kison),
das ins Meer fließt. Der Ort liegt nicht weit
von Apheke, der Vaterstadt des Apostels Thomas.
Hier lebte er bei einem wohlhabenden Meister,
sie zimmerten und machten schon bessere Arbeit.
59 Aus mehreren
Mitteilungen der A. K. Emmerich über den Lehrwandel
Jesu geht hervor, daß die Stadt, in welcher
der heilige Joseph zuerst arbeitete, nicht jenes
Libnah war, das im Stamme Juda etliche Stunden
westlich von Bethlehem liegt, sondern Libonah
auf der südlichen Seite des Berges Garizim.
Es wird im Buch der Richter K. 21 V. 19 angeführt,
welcher Stelle zufolge es nördlich von Silo
zu suchen ist.
60 Da Thanath
oder Thaanath ( Jos 16,6) nach Eusebius zehn
Meilen östlich von Nablus ge^en den Jordan hin
liegt, der hier gemeinte Ort aber nach der Versicherung
der Seherin nordwestlich von Nablus liegen muß,
so hat sie ohne Zweifel statt Thanath vielmehr
Thaanach sagen wollen oder auch vielleicht wirklich
gesagt und ward nur von dem Schreiber, der damals
ohne alle geographische Kenntnis von Palästina
und ohne die Hilfsmittel dazu war, mißverstanden,
was um so leichter geschah, da sie in Krankheit
oder ekstatischem Zustande oft in münsterländischem
Plattdeutsch die Namen einigermaßen unklar aussprach
oder verwechselte. Es ist aber um so gewisser,
daß sie hier Thaanach sagen wollte, als sie
in der täglichen ■Mitteilung des Lehrwandels
Jesu im Jahre 1823 das dritte Lehrjahr betrachtend
erzählt, daß Jesus am 25. und 26. Siva in Thaanach,
einer Levirtenstadt bei Megiddo, gelehrt und
die ehemalige Zimmermannsstelle seines Nhrvaters
Joseph dort besucht habe.
Ich sah ihn noch später in Tiberias für einen
Meister arbeiten. Er wohnte allein in einem
Hause am Wasser. Er mochte schon 33 Jahre alt
sein. Seine Eltern in Bethlehem waren schon
längere Zeit gestorben. Zwei Brüder wohnten
noch in Bethlehem, die anderen waren zerstreut.
Das elterliche Haus war in anderen Händen, und
die ganze Familie war schnell herabgekommen.
Joseph war sehr fromm und betete eifrig um die
Ankunft des Messias. Er war soeben damit beschäftigt,
sich einen noch einsameren Raum zum Gebet an
seiner Wohnung zu errichten, als ihm ein Engel
erschien und zu ihm sagte, er solle dieses nicht
tun, denn wie der Patriarch Joseph einstens
um diese Zeit der Verwalter des Getreides in
Ägypten durch Gottes Willen geworden sei, so
solle auch ihm jetzt das Kornhaus des Heiles
anvertraut werden.
Joseph in seiner Demut verstand dies nicht und
begab sich in fortgesetztes Gebet, bis er den
Ruf erhielt, sich nach Jerusalem zum Tempel
zu begeben, wo er durch göttliche Entscheidung
der Gemahl der heiligen Jungfrau ward.
Ich habe ihn nie früher verheiratet gesehen,
er war sehr zurückgezogen und mied das weibliche
Geschlecht.
VON EINEM ÄLTEREN BRUDER JOSEPHS
Wir werden später in den Betrachtungen der A.
K. Emmerich noch mancherlei anderen Notizen
aus der Familiengeschichte Josephs und namentlich
seiner Brüder begegnen, welche aber in dem großen
Umfange der Mitteilungen zu zerstreut und verflochten
sind, als daß sie der Schreiber hier alle ohne
Störung mit Sicherheit zusammenstellen könnte.
Weil sich aber die Veranlassung ungesucht darbietet,
so erwähnen wir eines älteren Bruders Josephs,
welcher in Galiläa wohnte.
Als wir die oben Seite 29 angeführte Verwandtschaft
Josephs mit Joachim in unseren Tagebüchern nachsuchten,
wo diese Verwandtschaft am 24. August 1821 erzählt
ist, indem wir an demselben Tage als dem Feste
des heiligen Bartholomäus eine umständlichere
Betrachtung aus dem Leben dieses Apostels mitgeteilt,
welche sie, durch eine Reliquie desselben in
höherem Grade angeregt, gehabt hatte. — In dieser
Betrachtung ist gesagt, daß der Vater des Bartholomäus
von Gessur längere Zeit das Bad bei Bethulien
gebraucht und sich nachher ganz in der Gegend
niedergelassen habe, und zwar besonders aus
Freundschaft zu einem älteren Bruder des heiligen
Joseph. Sie erzählte:
Er zog in der Nähe von Dabbeseth in ein Tal,
wo Zadok, ein frommer, älterer Bruder Josephs
wohnte, welchen der fromme Vater des Bartholomäus
während seinem Badeaufenthalte sehr lieb gewonnen
hatte. Zadok hatte zwei Söhne und zwei Töchter,
diese Kinder hatten Umgang mit der heiligen
Familie; als der zwölfjährige Jesus am Tempel
zurückbleibend seinen Eltern verloren ging,
suchten sie ihn auch bei dieser Familie. Ich
sah die Söhne auch im Jünglingsalter Jesu unter
seinen Gespielen.
JOHANNES WIRD DEM ZACHARIAS VERHEISSEN
Ich sah Zacharias mit Elisabeth sprechen, wie
er schwermütig sei, es nahe die Zeit, daß er
den Dienst im Tempel zu Jerusalem habe, er gehe
immer mit Betrübnis hin, weil er dort wegen
seiner Unfruchtbarkeit verächtlich angesehen
werde. Zacharias aber hatte zweimal im Jahre
seinen Dienst am Tempel.
Sie wohnten nicht in Hebron selbst, sondern
etwa eine Stunde davon in Jutta. Es lag zwischen
Jutta und Hebron mancherlei Mauerwerk, als hätten
vielleicht einst die beiden Orte zusammengehangen.
Nach den anderen Seiten von Hebron lagen auch
manche zerstreute Gebäude und Häusergruppen
wie Überreste eines größeren Umfangs von Hebron,
denn es war einst wohl ebenso groß wie Jerusalem.
— In Hebron wohnten geringere, in Jutta vornehmere
Priester. Zacharias war wie ein Vorsteher über
dieselben. Er und Elisabeth wurden wegen ihrer
Tugend und reinen Abstammung aus Aaron dort
sehr geehrt.
Ich sah hierauf, wie Zacharias mit mehreren
anderen Priestern der Gegend auf einem kleinen
Gute, das er in der Nähe von Jutta besaß, zusammenkam.
Es war ein Garten mit allerlei Lauben und einem
Häuschen dort. Zacharias betete hier mit den
Versammelten und belehrte sie. Es war eine Art
Vorbereitung auf den bevorstehenden Tempeldienst.
Auch hörte ich ihn von seiner Schwermut sprechen
und wie er ahnte, es stehe ihm irgend etwas
bevor.
Ich sah ihn sodann mit diesen Leuten nach Jerusalem
gehen, und wie er dort noch vier Tage harren
mußte, bis ihn die Reihe des Opfers traf. Er
betete bis dahin vorn im Tempel. — Als ihn nun
die Reihe traf, das Rauchopfer anzuzünden, sah
ich ihn in das Heilige gehen, worin vor dem
Eingang in das Allerheiligste der goldene Rauchaltar
stand. Die Decke ward über demselben eröffnet,
daß man den freien Himmel sehen konnte. Den
opfernden Priester konnte man draußen nicht
sehen, man konnte aber den Rauch aufsteigen
sehen. Als Zacharias hineingegangen, sprach
ein anderer Priester etwas mit ihm und ging
dann hinweg
61.
61 Wahrscheinlich hatte dieser ihm, wie üblich
war, gesagt: Zünde das Rauchopfer an. (Siehe
Mischnah, tract. Tamid 6. § 3. ed. Surenh. p.
305.)
Als Zacharias
nun allein war, sah ich ihn durch einen Vorhang
in einen Ort gehen, wo es dunkel war. Er holte
dort etwas heraus, was er auf den Altar brachte,
und zündete einen Rauch an. — Nun sah ich rechts
vom Altar einen Glanz auf ihn niederkommen und
eine leuchtende Gestalt in demselben zu ihm
nahen und sah, wie er erschreckt und gleichsam
in Entzückung erstarrt gegen die rechte Seite
des Altars hinsank. Der Engel aber richtete
ihn wieder auf, redete lange mit ihm, und Zacharias
antwortete ihm auch. — Ich sah über Zacharias
den Himmel offen und zwei Engel wie auf einer
Leiter zu ihm auf- und niedersteigen. Sein Gürtel
war gelöst und sein Gewand offen, und ich sah,
als nehme einer der Engel etwas von ihm und
der andere gebe ihm wie einen kleinen leuchtenden
Körper in seine Seite. — Es war dieses Ereignis
wie bei Joachim, da dieser den Segen des Engels
zur Empfängnis der heiligen Jungfrau erhielt.
Die Priester pflegten, wenn sie das Rauchopfer
angezündet, sogleich wieder aus dem Heiligen
herauszugehen. Als nun Zacharias so lange nicht
zurückkehrte, ward das draußen betende Volk
ganz unruhig. Er aber war stumm geworden, und
ich sah, daß er auf ein Täfelchen schrieb, ehe
er hinausging.
Als er nun aus dem Tempel in den Vorhof trat,
drängten sich viele mit der Frage zu ihm, warum
er so lange verweilt habe? Er konnte aber nicht
sprechen und winkte mit der Hand, auf den Mund
und das Täfelchen zeigend, das er hierauf sogleich
nach Jutta an Elisabeth sendete, sie von der
barmherzigen Verheißung Gottes und seiner Stummheit
zu unterrichten, bis er selbst nach kurzer Zeit
hinreiste; aber auch Elisabeth hatte eine Offenbarung
gehabt, deren ich mich jedoch nicht mehr erinnere.
------------------------------------------
Hier ward nur mitgeteilt, was die Schwester
Emmerich in ihrer Krankheit flüchtig erzählte.
Damit sich aber der Leser das Gespräch des Engels
mit Zacharias und die Worte Elisabeths vergegenwärtige,
fügen wir dieses Geheimnis nach den Worten des
Evangeliums Lk 1,5-25 bei.
In den Tagen Herodes". des Königs von Judäa,
war ein Priester, mit Namen Zacharias, von der
Priesterklasse des Abias, sein Weib war eine
von den Töchtern Aarons und hieß Elisabeth.
Beide waren gerecht vor Gott und wandelten in
allen Geboten und Satzungen des Herrn tadellos.
Und sie hatten kein Kind; denn Elisabeth war
unfruchtbar, und beide waren in ihren Tagen
schon vorgerückt. Es begab sich aber, als er
nach der Ordnung seiner Priesterklasse vor Gott
das Priesteramt verrichtete, traf ihn nach der
Gewohnheit des Priestertums das Los zu räuchern,
und er ging in den Tempel des Herrn hinein.
Die ganze Menge war draußen und betete zur Zeit
des Räucherns. Da erschien ihm ein Engel des
Herrn, der zur Rechten des Rauchaltars stand;
und Zacharias erschrak, als er ihn sah, und
Furcht überfiel ihn. Der Engel aber sprach zu
ihm; „Fürchte dich nicht, Zacharias! Denn dein
Gebet ist erhört worden, und Elisabeth, dein
Weib, wird dir einen Sohn gebären, den sollst
du Johannes nennen. Du wirst Freude und Wonne
haben, und viele werden sich über seine Geburt
freuen, denn er wird groß sein vor dem Herrn.
Wein und starkes Getränke wird er nicht trinken
und in seiner Mutter Leibe noch mit dem heiligen
Geiste erfüllt werden. Er wird viele von den
Kindern Israels zum Herrn, ihrem Gott, bekehren.
Und er wird vor ihm hergehen im Geist und in
der Kraft des Elias, um die Gesinnungen der
Väter auf die Kinder der Ungläubigen zur Weisheit
der Gerechten zu bringen. Und sieh! Du wirst
stumm sein und nicht reden können bis auf den
Tag, da dies geschehen wird; darum, weil du
meinen Worten nicht geglaubt hast, die zu ihrer
Zeit in Erfüllung gehen werden."
Das Volk aber wartete auf Zacharias, und es
wunderte sich, daß er so lange im Tempel verweilte.
Als er nun herauskam, konnte er nicht zu ihnen
reden. Und sie merkten, daß er ein Gesicht im
Tempel gehabt hatte, und er winkte ihnen und
blieb stumm. Als nun die Tage seines Dienstes
vollbracht waren, ging er in sein Haus. Nach
diesen Tagen aber empfing sein Weib Elisabeth,
und sie verbarg sich fünf Monate, indem sie
sprach: So hat mir der Herr getan zur Zeit,
da er mich angesehen, um meine Schmach vor den
Menschen von mir zu nehmen.
VERMÄHLUNG DER HEILIGEN JUNGFRAU MIT JOSEPH
Es lebte die heilige Jungfrau mit mehreren anderen
Jungfrauen am Tempel unter der Aufsicht von
frommen Matronen. Diese Jungfrauen beschäftigten
sich mit Stickereien und allerlei anderen Zierwerken
an Teppichen und Priesterkleidern, auch mit
Reinigung solcher Kleider und der Tempelgeräte.
Sie hatten kleine Zellen, aus welchen sie in
den Tempel sehen konnten, wo sie beteten und
betrachteten. Wann diese Jungfrauen herangewachsen
waren, wurden sie vermählt. — Ihre Eltern hatten
sie durch die Übergabe an den Tempel ganz Gott
aufgeopfert, und es herrschte dabei unter den
frommen innigeren Israeliten seit langen Zeiten
eine verschwiegene Ahnung, als würde eine solche
Ehe einst zu der Ankunft des verheißenen Messias
beitragen
62.
Als nun die heilige Jungfrau 14 Jahre alt war
und nebst sieben anderen Mägdlein zur Ehe entlassen
werden sollte, sah ich, daß die Mutter Anna
zu ihr an den Tempel zu Besuch gekommen war.
Joachim lebte nicht mehr, und Anna war auf Befehl
Gottes an einen anderen Mann verheiratet. Als
man der Jungfrau aber verkündigte, daß sie nun
den Tempel verlassen und sich verehelichen sollte,
sah ich die heilige Jungfrau sehr in ihrem Herzen
bewegt den Priestern erklären, sie verlange,
nie den Tempel zu verlassen, sie habe sich Gott
allein verlobt und verlange, sich nicht zu verehelichen.
Es ward ihr aber dann gesagt, daß sie sich vermählen
müsse
63.
Hierauf sah ich die heilige Jungfrau in ihrer
Betzelle heftig zu Gott flehen. Auch erinnere
ich mich, gesehen zu haben, daß Maria im Gebet
ganz von Durst verschmachtet mit ihrem Krüglein
hinab zu einem Brunnen oder Wasserbehälter ging,
um Wasser zu schöpfen, und daß sie dort ohne
sichtbare Erscheinung eine Stimme hörte, worauf
sie eine Offenbarung hatte, welche ihr Trost
und Stärke verlieh, in ihre Verehelichung einzuwilligen.
Es war dieses die Verkündigung nicht, denn diese
sah ich später in Nazareth geschehen. Ich muß
aber doch einmal geglaubt haben, auch hier die
Erscheinung eines Engels gesehen zu haben, denn
in meiner Jugend verwechselte ich manchmal dieses
Bild mit der Verkündigung und glaubte dann diese
im Tempel geschehen
64.
62 So wenig
im ganzen die spätere jüdische Literatur Frauen
oder Jungfrauen beim Tempeldienst beschäftigt
wissen will, finden wir doch teils in der Autorität
der Kirche, welche ein Fest der Darbringung
Maria (den 21. November) feiert, teils in der
Bibel und in alten Nachrichten Grund genug,
uns versichert zu halten, daß dies wirklich
der Fall war. Schon unter Moses (Ex 38,8) und
dann in der letzten Zeit der Richter (1 Sam
2,22) finden wir Frauen oder Jungfrauen beim
Gottesdienst beschäftigt. Bei der Einführung
der Bundeslade auf Sion Ps. 68 zeichnen sich
im Zuge die paukenschlagenden Jungfrauen aus.
Daß nun Jungfrauen am Tempel geopfert und erzogen
wurden, sagt schon der Apostelschüler Evodius,
Nachfolger des heiligen Petrus zu Antiochia
(in seinem freilich erst bei Nicephor. II c.
3 vorkommenden Brief ), welcher zunächst von
der allerseligsten Jungfrau spricht; auch Gregor
von Nyssa; Johannes Damascenus und andere. Der
Rabbi Asarja berichtet in seinem Werke: Imre
Binah K. 60.. daß am Tempel enthaltsame Dienerinnen
Gottes ein jungfräuliches Leben in einer Kommunität
geführt haben. Es läßt sich also auch eine jüdische
Autorität für die Existenz dieser Tempeljungfrauen
anführen.
63 Im Alten
Testamente galt der jungfräuliche Stand wenigstens
im allgemeinen nicht für verdienstlich. Wir
finden unter den unzähligen Arten von Gelübden,
welche nach der Mischnah bei den alten Juden
üblich waren, keine Spur von dem Gelübde der
Keuschheit. Solange noch die Ankunft des Erlösers
erwartet wurde, war ein kinderreicher Ehestand
der Stand der höchsten Glückseligkeit und Gottgefälligkeit
auf Erden. Psalm 126: „Die Geliebten Gottes
erben Kinder von dem Herrn, ihr Lohn ist Leibesfrucht."
Und früh schon hat Gott verheißen: „Gesegnet
wirst du sein unter allen Völkern. Kein Unfruchtbares
beiderlei Geschlechtes wird bei dir sein" (Dt
7 ,14). Daraus läßt sich erklären, warum die
Priester dem Wunsche Mariä nicht entsprachen,
ungeachtet es nicht an jungfräulich Lebenden,
besonders bei den Essenern fehlte.
64 Merkwürdig
ist, daß in dem von der Kirche für unecht erklärten
apokryphischen Protevangelium Jacobi unter anderem
zu lesen ist, Maria sei im Geleit von mehreren
Jungfrauen nach Nazareth gereist. Ihnen seien
vom Tempel aus verschiedene Fäden zum Spinnen
mitgegeben worden und Maria durchs Los der Scharlach
und Purpur zugefallen, und als sie den Krug
genommen, ging sie hinaus Wasser zu schöpfen,
und sieh, eine Stimme sagte ihr: Gegrüßt seist
du Maria usw., und Maria schaute zur Rechten
und Linken, um zu wissen, woher ihr diese Stimme
gekommen, und erschreckt ging sie ins Haus,
stellte den Krug nieder, nahm den Purpur und
setzte sich auf ihren Sitz, um zu arbeiten,
und sieh, der Engel des Herrn stand vor ihrem
Angesicht und spradi: „Fürchte dich nicht, Maria"
usw. — Hier ist also auch eine Stimme beim Wasserholen
erwähnt, aber alles geht in Nazareth vor und
ist mit der Verkündigung verbunden. — Ähnlich
ist dieses Ereignis erzählt in der von Thilo
aus einer lateinischen Handschrift der Pariser
Bibliothek abgedruckten apokryphen Geschichte
von Joachim und Anna und von der Geburt der
seligen Gottesgebärerin und ewigen Jungfrau
Maria und von der Kindheit des Erlösers. Nur
ist hier zwischen der Stimme am Brunnen und
der Erscheinung des Engels im Gruße ein Zeitraum
von drei Tagen angegeben.
Ich sah auch, daß ein sehr alter Priester, der
nicht mehr gehen konnte, es war wohl der Hohepriester,
von anderen auf einem Stuhle vor das Allerheiligste
getragen wurde, und daß er, während man ein
Rauchopfer anzündete, in einer Pergamentrolle
betend las, die vor ihm auf einem Gestelle lag.
Ich sah aber, daß er, im Geiste entzückt, eine
Erscheinung hatte und daß ihm seine Hand mit
dem Zeigefinger auf die Stelle des Propheten
Isaias in der Rolle gelegt ward: „Und es wird
ein Zweig aus der Wurzel Jesse aufgehen, und
eine Blüte wird aus seiner Wurzel aufsteigen"
(Isaias 11,1). — Als der alte Priester wieder
zu sich kam, las er diese Stelle und erkannte
etwas daraus.
Ich sah hierauf, daß man Boten im Lande umher
sendete und alle unverheirateten Männer aus
dem Stamme Davids zum Tempel berief. -— Als
sich viele derselben in feierlichen Kleidern
im Tempel versammelt hatten, ward ihnen die
heilige Jungfrau vorgestellt, und ich sah einen
sehr frommen Jüngling aus der Gegend von Bethlehem
unter ihnen; auch er hatte immer mit großer
Innigkeit um die Erfüllung der Verheißung gebetet,
und ich erkannte in seinem Herzen ein heißes
Verlangen, der Gemahl Mariä zu werden. — Diese
aber zog sich wieder in ihre Zelle zurück, vergoß
heilige Tränen und vermochte nicht zu denken,
daß sie nicht eine Jungfrau bleiben sollte.
Nun sah ich, daß der Hohepriester allen den
anwesenden Männern nach der inneren Unterweisung,
die er erhalten, einzelne Zweige überreichte
und ihnen befahl, jeder solle seinen Zweig mit
seinem Namen bezeichnen und während dem Gebete
und dem Opfer in den Händen halten. — Als sie
dieses getan, wurden die Zweige von ihnen gesammelt
und auf einen Altar vor das Allerheiligste gelegt
und ihnen verkündet, daß jener aus ihnen, dessen
Zweige erblühen würde, von dem Herrn bestimmt
sei mit der Jungfrau Maria von Nazareth vermählt
zu werden.
Während die Zweige vor dem Allerheiligsten lagen,
ward das Opfer und Gebet fortgesetzt, und ich
sah, wie jener Jüngling, dessen Namen mir wohl
wieder einfallen wird
65
unterdessen in einer Halle des Tempels mit ausgebreiteten
Armen heftig zu Gott schrie, und daß er in heiße
Tränen ausbrach, als ihnen allen nach der bestimmten
Zeit ihre Zweige zurückgegeben wurden mit der
Ankündigung, daß keiner derselben erblüht und
also keiner von ihnen der von Gott bestimmte
Bräutigam dieser Jungfrau sei. — Die Männer
wurden nun nach ihrer Heimat entlassen, jener
Jüngling aber begab sich auf den Berg Karmel
zu den dort seit den Zeiten des Elias einsiedlerisch
lebenden Prophetenkindern, wo er von nun an
in stetem Gebete um die Erfüllung der Verheißung
lebte.
Ich sah hierauf, daß die Priester am Tempel
von neuem in den Geschlechtsregistern nachsuchten,
ob nicht noch irgendein Nachkomme Davids da
sei, den man übersehen habe
66.
Da sie nun sechs Brüder von Bethlehem angezeigt
fanden, von welchen einer unbekannt und verschollen
sei, forschten sie dem Aufenthalt Josephs nach
und entdeckten ihn nicht sehr weit von Samaria
in einem Orte, das an einem kleinen Flüßchen
lag, wo er an dem Wasser allein wohnte und für
einen anderen Meister arbeitete.
65 Die Tradition
nennt ihn Agabus und in Raphaels Darstellung
der Vermählung Maria gewöhnlich Sposalizie genannt,
ist er unter der Figur eines Jünglings gemeint,
der seinen Stab über dem Knie zerbricht.
66 Nach der
gewöhnlichen Vorstellung war die Aufbewahrung
der Geschlechtsregister Privatsache der einzelnen
Familien. Daß sich aber die israelitische Priesterobrigkeit
um die Erhaltung und Fortsetzung dieser Urkunden
angenommen habe, geht schon aus dem Umstände
hervor, daß sehr einflußreiche Anordnungen und
Einrichtungen des heiligen Staates auf die Stamm-
und Familieneinteilung gegründet waren. Wir
haben aber auch alte Nachrichten, daß wenigstens
seit dem Babylonischen Exil am Tempel genaue
Stammtafeln gehalten wurden. (S. Light-foot
horae hebr. tom. I. p. 178. ed Carpzov. und
Otho lex. rabbinico-philol. 1625. p. 240.)
Auf den Befehl
des Hohenpriesters kam nun Joseph in seinen
besten Kleidern nach Jerusalem zum Tempel. Auch
er mußte hier unter Gebet und Opfer einen Zweig
in seiner Hand halten, und als er diesen auf
den Altar vor das Allerheiligste hinlegen wollte,
blühte oben eine weiße Blüte gleich einer Lilie
aus ihm hervor, und ich sah eine Lichterscheinung
wie den heiligen Geist über ihn kommen. — Nun
ward Joseph als der von Gott bestimmte Bräutigam
der heiligen Jungfrau erkannt und ihr in Gegenwart
ihrer Mutter von den Priestern vorgestellt.
Maria, ergeben in den Willen Gottes, nahm ihn
als ihren Bräutigam demütig an, denn sie wußte,
daß Gott, der ihr Gelübde, ihm mit Leib und
Seele allein zu gehören, angenommen, alles möglich
sei.
VON DER HOCHZEIT UND DER HOCHZEITLICHEN KLEIDUNG
MARIÄ UND JOSEPHS
(EINLEITUNG)
Die ehrwürdige A. K. Emmerich sah in ihren fortlaufenden
Gesichten des täglichen Lehrwandels unseres
Herrn Montag am 24. September 1821 Jesum, vier
Tage vor seiner Taufe, in der Synagoge in Gophna
lehren und dort in der Familie eines mit Joachim
verwandten Synagogenvorstehers verweilen. Sie
hörte bei dieser Gelegenheit, wie sich zwei
Witwen, die Töchter dieses Mannes, miteinander
der Hochzeit von Jesu Eltern erinnerten, welcher
sie in ihrer Jugend nebst anderen Verwandten
beigewohnt hatten, und teilte folgendes darüber
mit:
Als die beiden Witwen der Hochzeit Mariä und
Josephs in ihrem Gespräch gedachten, sah ich
ein Bild dieser Hochzeit, besonders aber der
schönen hochzeitlichen Kleidung der heiligen
Jungfrau, von welcher die guten Frauen zu sprechen
gar nicht fertig werden konnten. Ich will davon
sagen, was mir noch gegenwärtig ist.
--------------------------
Die Hochzeit Mariä und Josephs, welche sieben
bis acht Tage währte, ward zu Jerusalem am Berge
Sion in einem Hause gehalten, das oft zu solchen
Festen vermietet wurde. Es waren außer den Lehrerinnen
und Mitschülerinnen Mariä von der Tempelschule
viele Verwandte Annas und Joachims zugegen,
unter anderen eine Familie aus Gophna mit zwei
Töchtern. — Die Hochzeit war sehr feierlich
und reichlich. Es wurden viele Lämmer geschlachtet
und geopfert. Besonders aber war die hochzeitliche
Kleidung der heiligen Jungfrau so ausgezeichnet
schön und festlich, daß die anwesenden Frauen
auch noch in ihrem Alter gern davon sprachen.
Ein solches Gespräch wurde mir in der Betrachtung
vorgestellt, und ich vernahm daraus Folgendes:
Ich habe Mariä in ihrem Brautkleide recht deutlich
gesehen. Sie hatte ein wollfarbenes Unterkleid
ohne Ärmel an; die Arme waren mit den Armbinden
des weißwollenen Hemdes umwickelt, denn die
Hemden hatten statt geschlossener Ärmel damals
solche Binden. Nun legte sie über die Brust
bis zum Hals einen mit weißem Geschmeide, Perlen
u. dgl. gestickten Kragen, geformt wie der unterste
Kragen, den ich neulich für den Essener Argos
ausgeschnitten habe (siehe oben S. 19). Hierauf
legte sie einen ganz weiten, vorn offenen Leib
rock an. Er war von oben bis unten weit wie
ein Mantel und hatte weite Ärmel. Dieses Kleid
war blau gegründet und durchaus mit großen roten,
weißen und gelben Rosen und grünen Blättern
dazwischen, wie die Meßgewande alter reicher
Zeit, durchstickt oder durchwirkt. Der untere
Saum endete mit Fransen und Quasten, und der
obere Rand schloß an die weiße Halsbedeckung
an. -—
Über
dieses weiße Kleid, nachdem man es der Länge
nach in senkrechte Falten geordnet hatte, legte
man ihr eine Art Skapulier um, in der Weise,
wie es manche Ordensleute, z. B. die Karmeliter,
tragen. Dieses Kleidungsstück von weißer goldgeblümter
Seide in der Breite einer halben Elle war vor
der Brust mit Perlen und glänzenden Steinen
besetzt und hing als eine einzelne Bahn bis
zum Saume des Kleides nieder, dessen vordere
Öffnung es bedeckte. Unten endete es mit Fransen
und Knöpf en. — Über den Rücken hing eine ähnliche
Bahn nieder und ebenso kürzere und schmälere
über die Schultern und Arme. Diese vier Bahnen
bildeten um die Halsöffnung ausgebreitet ein
Kreuz. — Dies Skapulier war an beiden Seiten
des Oberleibes unter den Armen von dem Bruststück
zu dem Rückenstück mit goldenen Schnüren oder
Kettchen zusammengezogen, wodurch der weite
obere Teil des Leibrocks zusammen gefaßt und
das Bruststück vor dem Oberleibe anliegend wurde,
so daß der geblümte Stoff des Kleides an beiden
Seiten zwischen den Schnüren etwas herausbauschte.
— Die weiten Ärmel, von den Schulterteilen des
Skapuliers überfallen, waren in der Mitte des
Ober- und Unterarms mit Armspangen leicht angeschlossen.
— Diese Armringe, welche etwa zwei Finger breit
und mit Buchstaben bezeichnet waren, hatten
quer gedrehte Ränder und bildeten, die weiten
Ärmel zusammenfassend, Bauschen um die Schultern,
Ellbogen und Hände, an welchen der Ärmel sich
mit einer weißen Krause, ich glaube von Seide
oder Wolle, endigte. — Über alles dieses trug
sie einen langen himmelblauen Mantel, der wie
ein großes Tuch gestaltet war. Außer diesem
trugen die jüdischen Frauen bei gewissen kirchlichen
oder häuslichen Gelegenheiten auch eine Art
von Trauermänteln mit Ärmeln, die in einer herkömmlichen
Form genäht waren. Der Mantel oder die Hülle
Mariä war über der Brust unter dem Halse mit
einem Geschmeide befestigt, über welchem eine
weiße Krause wie von Federn oder Seidenflocken
ihren Hals umgab. Der Mantel fiel über beide
Schultern zurück, legte sich aber an den beiden
Seiten wieder vor und fiel dann in eine spitze
Schleppe zurück. Er war am Rande mit goldenen
Blumen gestickt.
Die
Haare waren unbeschreiblich künstlich verziert.
Sie waren auf der Mitte des Hauptes gescheitelt
und ungeflochten in viele einzelne feine Strahlen
geteilt, die, durch weiße Seide und Perlen kreuzweis
untereinander verbunden, ein großes Netz bildeten,
welches über die Schultern zurückfallend den
Rücken bis über die Mitte des Mantels mit einem
spitz zulaufenden Gewebe bedeckte. Das Ende
der Haare war nach innen gerollt, und es umgab
den ganzen Rand dieses Haarnetzes eine Verzierung
von Fransen und Perlen, welche das Haarnetz
durch ihr Gewicht nieder ziehend in bequemer
Ordnung erhielten.
Auf dem Kopf trug sie unmittelbar auf den Haaren
einen Kranz von weißer roher Seide oder Wolle,
der sich oben durch drei Bänder von demselben
Stoff in einem Busche schloß, und auf diesem
Kranze ruhte eine etwa handbreite, mit Geschmeide
geschmückte Krone, welche durch drei Spangen
sich über dem Scheitel in einem Knopfe verband.
Die Krone war vor der Stirne mit drei Perlen
übereinander und an jeder Seite mit einer Perle
verziert.
In der linken Hand trug sie ein Kränzchen von
weißen und roten Seidenrosen, in der rechten
Hand trug sie gleich einem Zepter einen schönen
übergoldeten Leuchter ohne Fuß. Der in der Mitte
anschwellende Stamm war über und unter der fassenden
Hand mit Knöpfen versehen und endete sich oben
in ein kleines Tellerchen, aus welchem eine
weiße Flamme brannte.
Die Schuhe hatten etwa zwei Finger dicke Sohlen
und waren hinten und vorn durch einen Absatz
erhöht. Diese Sohlen waren ganz von grünem Stoffe,
als stehe der Fuß auf Rasen, und zwei weiße
und goldene Riemen hielten sie über dem Spann
des nackten Fußes fest, dessen Zehen, wie bei
allen besser bekleideten Frauen, von einer kleinen
Klappe bedeckt waren, die mit der Sohle zusammenhing.
Die Jungfrauen am Tempel flochten das künstliche
Haargeflecht Mariä; ich habe es gesehen, es
waren mehrere damit beschäftigt, und es ging
geschwinder, als man denken sollte.
— Anna hatte die schönen Kleider gebracht, und
Maria war so demütig und wollte sie nicht gern
anlegen. — Nach der Trauung wurde ihr das Haargeflecht
um den Kopf aufgeschlagen, die Krone abgenommen,
ein milchweißer Schleier bis auf die Mitte des
Armes übergehängt und die Krone über dem Schleier
aufgesetzt.
Die heilige Jungfrau hatte sehr reichliche,
rötlich gelbe Haare und schwarze, hohe, feine
Augenbrauen, eine sehr hohe Stirn, große niedergeschlagene
Augen mit langen schwarzen Wimpern, eine feine,
gerade längliche Nase, einen sehr edlen, lieblichen
Mund, ein spitzes Kinn, eine mäßige Größe und
schritt sehr zart, züchtig und ernst in ihrem
reichen Putze einher. — Sie legte bei ihrer
Hochzeit hernach ein anderes gestreiftes, weniger
prächtiges Kleid an, von welchem ich ein Stückchen
unter meinen Reliquien besitze. Sie trug dies
gestreifte Kleid auch zu Kana und bei anderen
heiligen Gelegenheiten. Das Hochzeitskleid trug
sie noch einigemal im Tempel. — Sehr reiche
Leute wechselten bei der Hochzeit drei- bis
vier- mal mit Kleidern. In diesen Prachtkleidern
hatte Maria eine ähnliche Form wie geschmückte
Frauen viel späterer Zeit, zum Beispiel die
Kaiserin Helena, ja selbst Kunegundis, so sehr
auch die gewöhnliche verhüllende Kleidung der
jüdischen Frauen, die mehr nach Art der Römerinnen
war, davon abwich. — Auf Sion
in
der Gegend des Coenaculums wohnten sehr viele
Weber, die allerlei schöne Stoffe bereiteten,
was ich bei Gelegenheit dieser Kleider beobachtete.
Joseph hatte einen langen, weiten, müllerblauen
Rock an, von der Brust bis zum Saume nieder
mit Schnüren und Krapfen oder Knöpfen geschlossen.
Die weiten Ärmel waren an den Seiten auch mit
Schnüren geheftet, sie waren weit aufgeschlagen
und inwendig wie mit Taschen versehen. Um den
Hals hatte er wie einen braunen Kragen oder
vielmehr eine breite Stola gelegt, und auf der
Brust hingen ihm zwei weiße Bahnen nieder, so
wie unsere Priester die Bäffchen tragen, nur
daß sie viel länger waren.
Ich habe den Hergang der Vermählung Josephs
und Maria und das hochzeitliche Mahl und alle
Festlichkeit gesehen, ich sah aber zugleich
soviel anderes und bin so krank und mannigfach
gestört, daß ich, aus Furcht, die Erzählung
zu verwirren, mich nicht getraue, mehr davon
mitzuteilen.
VOM TRAURING
MARIÄ
Am 29. Juli 1821 hatte die ehrwürdige A. K.
Emmerich eine Betrachtung von einzelnen Grabtüchern
unseres Herrn Jesus und von Abbildungen des
Herrn, die durch Wunder sich auf Tücher abgedrückt
hatten. Da nun ihre Betrachtung durch mancherlei
Orte geführt ward, an welchen diese Heiligtümer
teils festlich bewahrt, teils auch von den Menschen
vergessen und nur von den Engeln und frommen
Seelen verehrt ruhen, glaubte sie an einem dieser
Orte auch den Trauring der heiligen Jungfrau
bewahrt zu sehen und sagte von ihm folgendes:
Ich sah den Trauring der heiligen Jungfrau,
er ist weder von Silber noch Gold, noch anderem
Metall, er ist von düsterer Farbe und schillert;
er ist kein schmaler dünner Reif, sondern ziemlich
dick und wohl einen Finger breit. Ich sah ihn
glatt und doch, als sei er wie gepflastert mit
kleinen regelmäßigen Dreiecken bezeichnet, worin
Buchstaben standen. An der einen Seite, die
man nach innen der Hand schob, hat er eine platte
Fläche. Es ist der Ring mit etwas bezeichnet.
— Ich sah ihn hinter vielen Schlössern verwahrt
in einer schönen Kirche. Fromme Leute, die sich
verheiraten wollen, lassen ihre Trauringe daran
anrühren.
Am 3. August 1821 sagte sie: Ich habe in den
letzten Tagen vieles von der Geschichte des
Trauringes Mariä gesehen, aber durch Störungen
und Schmerzen vermag ich es nicht mehr zusammenhängend
zu erzählen. Heute sah ich ein Fest in einer
Kirche in Italien, wo sich der Trauring befindet.
Er schien mir wie in einer Monstranz, die über
dem Tabernakel stand, aufgehängt. Es war da
ein großer, prächtig geschmückter Altar, man
sah tief zwischen vielem Silber hinein. Ich
sah viele Ringe an der Monstranz anrühren.
Ich sah während dem Feste zu beiden Seiten des
Ringes Maria und Joseph in ihren hochzeitlichen
Kleidern erscheinen, als stecke Joseph der heiligen
Jungfrau den Ring an den Finger. Ich sah den
Ring hierbei leuchtend und als bewege er sich
67.
Ich sah links und rechts von diesem Altar zwei
andere Altäre, die wahrscheinlich nicht in derselben
Kirche waren, sondern mir nur in Betrachtung
so zusammen gezeigt wurden. - In dem Altar zur
Rechten befand sich ein Ecce-Homo-Bild unseres
Herrn, das ein frommer römischer Ratsherr, ein
Freund des heiligen Petrus, auf wunderbare Weise
empfangen hatte, in dem Altare zur Linken eines
von den Grabtüchern unseres Herrn.
Als die Hochzeitsfeier beendet war, zog Anna
mit ihren Angehörigen nach Nazareth zurück,
und auch Maria zog in Begleitung mehrerer, mit
ihr vom Tempel zugleich entlassenen Gespielinnen
dahin.
Sie zogen in einem festlichen Zuge aus der Stadt
hinaus. Ich weiß nicht, wie weit die Mägdlein
ihr das Geleit gaben. Sie hielten wieder ihr
erstes Nachtlager in der Levitenschule zu Bethoron.
Maria machte die Rückreise zu Fuß.
Joseph war nach
der Hochzeit gen Betlehem gegangen, um dort
noch einige Familienangelegenheiten zu ordnen.
Er ist erst später nach Nazareth gekommen.
67 Als der
Schreiber dies am 4. August 1821 aus dem Munde
der Erzählerin aufschrieb, konnte er sich keine
Veranlassung denken, warum sie gerade am 3.
August dieses Bild gesehen habe. Wie sehr war
er daher überrascht, mehrere Jahre nach dem
Tode der Erzählerin in einer lateinischen Schrift
von dem Trauring der heiligen Jungfrau, der
in Perugia bewahrt wird, zu lesen, daß dieser
am 3. August (III nonas Augusti) dem Volke gezeigt
wurde, wovon wir wahrscheinlich beide nichts
wußten. - Er fand es Seite 59 der Schrift: De
annulo pronubo Deiparae Virginis, qui Perusiae
religiosissime asservatur, J. B. Lauri Pcrusini
Commentarius. 12. 1626. Coloniae Agrippinae
apud J. Kinckium.
VON MARIÄ HEIMKEHR BIS ZUR VERKÜNDIGUNG
Wenngleich die ehrwürdige Emmerich diese Anschauungen
aus der Geschichte der heiligen Familie immer
an den Tagen ihrer kirchlichen Feier empfing,
so sah sie doch die wirklichen Jahrestage einzelner
dieser Begebenheiten hie und da von den kirchlichen
Festtagen abweichend, zum Beispiel sah sie den
eigentlichen historischen Tag der Geburt Christi
um einen ganzen Monat früher, auf den 25. November,
welcher im Geburtsjahr Christi nach ihren Betrachtungen
mit dem 10. Kislew zusammentraf, so daß sie
Joseph 15 Tage nachher das Fest der Tempelweihe
oder der Lichter, welches den 25. Kislew begann,
durch Anzünden von Lichtern in der Krippenhöhle
mehrere Tage hindurch mitfeiern sah. - Hieraus
folgt nun, daß sie das Fest der Verkündigung
auch einen Monat früher, nämlich am 25. Februar,
sah. Es war im Jahr 1821, als die Schwester
Emmerich dieses zuerst mitteilte. Sie war in
diesen Tagen sehr krank und daher ihre Mitteilung
im Anfang etwas fragmentarisch.
Sie hatte früher erzählt, daß Joseph nach der
Vermählung nicht gleich mit nach Nazareth, sondern
nach Bethlehem gereist sei, einige Familiensachen
zu ordnen. - Anna und ihr zweiter Mann und die
heilige Jungfrau mit einigen ihrer Gespielinnen
reisten nach Galiläa auf das Gut Annas zurück,
welches etwa eine Stunde von Nazareth entfernt
war. - Anna richtete für die heilige Familie
das kleine Haus in Nazareth ein, das ihr auch
gehörte, während in der Abwesenheit Josephs
die heilige Jungfrau noch bei ihr wohnte.
Ehe die Schwester Emmerich ihre Betrachtung
von der Verkündigung mitteilte, erzählte sie
zwei Bruchstücke früherer Anschauungen, deren
Bedeutung wir nur mutmaßlich angeben können.
- Sie erzählte, noch sehr schwach von einer
schweren Krankheit, einige Zeit nach der Vermählung
der heiligen Jungfrau mit Joseph:
Ich hatte einen Blick auf ein Fest in dem Hause
Annas. Ich bemerkte ihren zweiten Mann, etwa
sechs Gäste außer den gewöhnlichen Hausgenossen
und einige Kinder nebst Joseph und Maria um
einen Tisch versammelt, auf welchem Becher standen.
Die heilige Jungfrau hatte einen bunten Mantel
an, rot, blau und weiß durchblümt wie alte Meßgewande.
Sie trug einen durchsichtigen und darüber einen
schwarzen Schleier. Es schien dieses Fest noch
zu der Hochzeitsfeier zu gehören.
Weiter erzählte sie nichts hiervon, und man
kann vermuten, es sei diese Mahlzeit gewesen,
als nach Josephs Ankunft die heilige Jungfrau
nun ihre Mutter verließ und mit ihm das Haus
in Nazareth bezog. Am folgenden Tage erzählte
sie:
Ich suchte heute Nacht in meiner Betrachtung
die heilige Jungfrau, mein Führer brachte mich
in das Haus der Mutter Anna, das ich in allen
seinen Teilen wieder kannte. Ich fand Joseph
und Maria nicht mehr darin. Ich sah, wie Anna
sich rüstete, nach dem nahen Nazareth zu gehen,
wo nun die heilige Familie wohnte. Sie hatte
ein Bündel unter dem Arm, um es Maria zu bringen.
Sie ging über eine Ebene und durch ein Gebüsch
nach Nazareth, welches vor einer Höhe liegt.
Ich ging auch dahin. — Das Haus Josephs lag
nicht weit vom Tore, es war nicht so groß wie
Annas Haus. Ein viereckiger Brunnen, zu dem
man einige Stufen niedersteigen mußte, lag in
seiner Nähe, und ein kleiner viereckiger Hofraum
lag vor dem Haus. — Ich sah Anna die heilige
Jungfrau besuchen, der sie das Mitgebrachte
übergab. Ich sah auch, wie Maria sehr weinte
und ihre Mutter, die wieder nach Haus kehrte,
ein Stück Wegs begleitete. Ich bemerkte den
heiligen Joseph vorn im Hause in einem abgesonderten
Raum.
Diese bruchstückliche Mitteilung können wir
folgenderweise mutmaßlich ergänzen: die Mutter
Anna besuchte die heilige Jungfrau zum ersten
Male in Nazareth und überbrachte ihr noch ein
Geschenk. Maria, die nun allein und von ihrer
geliebten Mutter getrennt lebte, vergoß Tränen
der Rührung, als sie wieder wegging und geleitete
sie. Joseph war noch anwesend.
MARIÄ VERKÜNDIGUNG
Am 25. März 1821 sprach die Schwester Emmerich:
Ich habe in der verflossenen Nacht die Verkündigung
als Kirchenfest gesehen und empfing abermals
die bestimmte Erklärung, daß die heilige Jungfrau
nach der Jahreszeit bereits seit vier Wochen
gesegnet sei. Mir war dieses aber ausdrücklich
gesagt, weil ich bereits am 25. Februar die
Verkündigung gesehen habe, das Bild aber verwarf
und darum nicht erzählte. Ich sah hierauf das
ganze Ereignis nach seinen äußeren Umständen
heute wieder.
Ich sah die heilige Jungfrau bald nach ihrer
Vermählung in Josephs Haus zu Nazareth, wohin
mich mein Führer geleitete. Joseph war mit zwei
Eseln über Land gezogen, ich meine, etwas Erbgut
oder seine Handwerksgeräte zu holen. Er schien
mir noch auf dem Heimweg. Annas zweiter Mann
und andere Männer waren am Morgen im Hause gewesen,
aber wieder fortgegangen.
Außer der heiligen Jungfrau und zwei Jungfrauen
ihres Alters, ich glaube von ihren Tempelgespielen,
sah ich die Mutter Anna und jene ihr verwandte
Witwe im Haus, die ihr als Magd diente und später
mit ihr nach Christi Geburt gen Bethlehem reiste.
— Alles war neu in dem Hause durch Anna eingerichtet.
Ich sah die vier Frauen im Hause beschäftigt
hin und wieder gehen und dann im Hofe zusammen
lustwandeln. Gegen Abend sah ich sie in das
Haus zurückkehren und um ein rundes Tischchen
stehend beten und dann Kräuter essen, welche
aufgetragen waren. — Sie trennten sich hierauf.
Anna ging wie eine geschäftige Hausmutter noch
lange im Hause hin und her. Die beiden Jungfrauen
gingen nach ihrem abgesonderten Raum, und auch
Maria ging in ihre Schlafkammer.
Die Kammer der heiligen Jungfrau lag im hinteren
Teile des Hauses in der Nähe der Feuerstelle,
welche sich hier nicht wie in Annas Haus in
der Mitte, sondern mehr an einer Seite des Hauses
befand. Der Eingang war zur Seite des Küchenraums.
Man stieg drei Stufen, welche mehr schräg als
senkrecht abfielen, zu ihr hinauf, denn der
Boden dieses Teils des Hauses lag auf erhöhtem
Felsengrund. — Der Türe gegenüber war die Kammer
rund, und in diesem runden Teile, welcher durch
einen mehr als menschenhohen Schirm von Flechtwerk
abgeschieden war, befand sich das aufgerollte
Lager der heiligen Jungfrau. Die Wände des Gemachs
waren alle bis zu einer gewissen Höhe mit geflochtenem
Stabwerk bekleidet, welches etwas derber war
als die beweglichen leichten Schirmwände. Es
war durch Benutzung verschiedenfarbigen Holzes
ein klein gewürfeltes Muster darauf ausgedrückt.
Die Decke des Gemaches war durch einige zusammenlaufende
Balken gebildet, deren Zwischenräume mit Sternfiguren
verziertes Flechtwerk ausfüllte.
Ich ward von dem leuchtenden Jüngling, der mich
immer begleitet, in diese Kammer gebracht und
sah, was ich so gut erzählen will, als eine
arme elende Person, wie ich, es vermag.
Die heilige Jungfrau herein tretend, legte hinter
dem Schirm ihres Lagers ein langes, wollweißes
Betkleid mit einem breiten Gürtel an und bedeckte
ihr Haupt mit einem weißgelben Schleier. Indessen
trat die Magd mit einem Lämpchen herein, zündete
eine mehrarmige Lampe an, die von der Decke
der Kammer niederhing und entfernte sich wieder.
— Die heilige Jungfrau nahm nun ein kleines
niederes Tischchen von der Wand, wo es zusammengeklappt
lehnte und stellte es mitten in der Stube auf.
An der Wand lehnend, bestand es nur aus einer
beweglichen Platte, welche vor zwei Füßen senkrecht
niederhing. Maria hob die Platte in die horizontale
Lage und schob die Hälfte des einen Tischfußes,
welcher gespalten war, hervor, so daß nun das
Tischchen auf drei Füßen ruhte. Die Seite des
Tischblattes, welche dieser dritte Fuß unterstützte,
war rund. -— Das Tischchen war mit einer blauen
und roten Decke überzogen, die an der nicht
runden Seite des Tischblattes geschürzt und
mit Fransen besetzt niederhing. In die Mitte
der Decke war eine Figur gestickt oder gesteppt,
ich weiß nicht mehr, ob es ein Buchstabe oder
ein Zierrat sein sollte. An der runden Seite
lag eine weiße Decke aufgerollt. Eine Schriftrolle
lag auf dem Tischchen.
Nachdem die heilige Jungfrau dieses Tischchen
zwischen ihrer Schlafstelle und der Türe in
der Mitte der Stube etwas zur Linken, wo ein
Teppich den Fußboden bedeckte, aufgerichtet
und einen kleinen runden Wulst, um darauf zu
knien, davor gelegt hatte, ließ sie sich, mit
ihren beiden Händen auf das Tischchen gestützt,
vor demselben auf die Knie nieder. Die Türe
der Kammer war vor ihr zur Rechten, sie kehrte
ihrer Schlafstelle den Rücken.
Maria ließ den Schleier über ihr Angesicht nieder
und kreuzte die Hände, nicht aber die Finger
vor ihrer Brust. So sah ich sie lange heftig
mit gen Himmel gerichtetem Antlitz beten. Sie
flehte um die Erlösung, um den verheißenen König,
und daß ihr Gebet doch auch einigen Anteil an
seiner Sendung haben möge. Sie kniete lange
so im Gebete entzückt, dann senkte sie das Haupt
auf ihre Brust,
Jetzt aber ergoß sich zu ihrer Rechten in schräger
Linie von der Decke ihrer Kammer eine solche
Masse von Licht nieder, daß ich mich davon gegen
die Wand der Türe zurückgedrängt fühlte, und
ich sah in diesem Lichte einen weißen leuchtenden
Jüngling mit gelben fließenden Haaren vor sie
nieder schweben. Es war der Engel Gabriel. Er
sprach zu ihr, indem er seine Arme an beiden
Seiten des Oberleibes leise von sich bewegte.
Ich
sah die Worte wie leuchtende Buchstaben aus
seinem Munde gehen, ich las sie und hörte sie.
Maria wendete das verschleierte Haupt etwas
nach der rechten Seite hin, jedoch schüchtern
sah sie nicht auf. — Der Engel aber fuhr fort
zu sprechen, und Maria wendete ihr Gesicht wie
auf seinen Befehl etwas zu ihm, hob den Schleier
wenig auf und antwortete. Der Engel sprach abermals,
und Maria hob den Schleier auf, blickte den
Engel an und erwiderte die heiligen Worte: „Sieh,
die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem
Worte."
Die heilige Jungfrau war in tiefer Entzückung.
Licht füllte die Kammer, ich sah den Schein
der brennenden Lampe nicht mehr, ich sah die
Decke der Kammer nicht mehr. Der Himmel schien
offen, eine Lichtbahn ließ mich über den Engel
hinaufschauen, ich sah im Ausgang dieses Lichtstromes
eine Figur der heiligen Dreifaltigkeit wie ein
dreieckiges, sich durchstrahlendes Licht, und
ich erkannte in ihm, was man nur anbeten und
nie aussprechen kann, Gott den Allmächtigen,
den Vater und den Sohn und den hl. Geist und
doch nur Gott den Allmächtigen.
Da aber die heilige Jungfrau gesprochen: „Mir
geschehe nach deinem Worte", sah ich jene geflügelte
Erscheinung des heiligen Geistes, aber nicht
ganz so, wie sie gewöhnlich in Gestalt einer
Taube abgebildet wird. Das Haupt war wie ein
Menschenantlitz, und es breitete sich Licht
gleich Flügeln zur Seite der Gestalt, aus deren
Brust und Händen ich drei Lichtergüsse nieder
zu der rechten Seite der heiligen Jungfrau strömen
und sich mitten in ihr vereinigen sah.
Die heilige Jungfrau ward mit dem Eindringen
dieses Lichtes zu ihrer Rechten, von dieser
Seite aus ganz durchleuchtet und wie durchsichtig,
und es war, als zöge sich die Undurchsichtig
keit wie Nacht von diesem Lichte zurück. Sie
war in diesem Augenblicke so von Licht durchgossen,
daß nichts Finsteres, nichts Verhüllendes mehr
in ihr erschien, sie war leuchtend und durchleuchtet
in ihrer ganzen Gestalt.
Ich sah aber nach dieser Durchleuchtung den
Engel verschwinden, die Lichtbahn, aus der er
hervorgetreten, zog sich zurück; es war, als
werde der Lichtstrom von dem Himmel wieder eingeatmet,
und ich sah, als fielen aus dieser sich zurückziehenden
Lichtbahn viele geschlossene weiße Rosen, jede
mit einem grünen Blättchen auf die heilige Jungfrau
nieder.
Während ich alles dieses in der Kammer Mariä
sah, hatte ich eine eigentümliche persönliche
Empfindung. Ich war in einer steten Angst, als
würde mir nachgestellt, und sah nun auch eine
scheußliche Schlange durch das Haus und die
Stufen herauf bis zur Türe, bei der ich stand,
heran kriechen. Bis das Licht die heilige Jungfrau
durchdrang, war das Scheusal bis zur dritten
Stufe heran gedrungen. Die Schlange, ungefähr
von der Länge eines Knaben, war gegen den Kopf
breit und platt und hatte an der Brust zwei
kurze häutige Pfoten mit Krallen, gleich Fledermausflügeln,
auf welchen sie fortrutschte. Sie war mit allerlei
widerlichen Farben gefleckt und erinnerte an
die Schlange des Paradieses, jedoch mit grausenhafter
Entstellung. — Als der Engel aus der Kammer
der heiligen Jungfrau verschwand, trat er diesem
Scheusal vor der Türe auf den Kopf, und es schrie
so greulich, daß es mich schauderte. Ich sah
aber drei Geister erscheinen, welche dieses
Ungeheuer mit Stößen und Fußtritten hinaus vor
die Türe des Hauses trieben.
Nach dem Verschwinden des Engels sah ich die
heilige Jungfrau in tiefer Entzückung ganz in
sich selbst versunken, und ich sah, daß sie
die Menschwerdung des verheißenen Erlösers in
sich als eine kleine menschliche Lichtgestalt
mit allen Gliedern bis in die Fingerchen ausgebildet
erkannte und anbetete. — Oh, hier in Nazareth
ist es anders als zu Jerusalem, dort müssen
die Frauen im Vorhofe bleiben und dürfen nicht
in den Tempel, ins Heilige dürfen nur die Priester,
hier aber in Nazareth, hier in dieser Kirche
ist eine Jungfrau der Tempel selbst, und das
Allerheiligste ist in ihr, und der Hohepriester
ist in ihr, und sie allein ist bei ihm. Oh,
wie ist das lieb und wunderbar und doch so ganz
einfach und natürlich! Die Worte Davids im 45.
Psalm waren erfüllt:
Der Allerhöchste hat seine Hütte geheiliget,
Gott ist in ihrem Innern, sie wird nicht erschüttert
werden
68
.
68 Sanctificavit
tabernaculum suum altissimus, Deus in medio
ejus, non commovebitur.
Es war um Mitternacht, als ich dieses Geheimnis
sah. Nach einiger Zeit trat Anna mit den anderen
Frauen zu Maria herein. Es hatte sie eine wunderbare
Bewegung in der Natur aus dem Schlafe erweckt.
Eine Lichtwolke war über dem Hause erschienen.
Als sie die heilige Jungfrau in tiefer Gebetsentzückung
unter der Lampe knien sahen, entfernten sie
sich wieder ehrerbietig.
Nach einiger
Zeit sah ich, daß die heilige Jungfrau sich
von den Knien erhob und zu ihrem Betaltärchen
an die Wand trat. Sie ließ das an der Wand aufgerollte
Bild nieder, worauf dieselbe Vorstellung einer
eingehüllten Menschengestalt abgebildet war,
welche ich schon in Annas Haus bei der Vorbereitung
ihrer Reise nach dem Tempel gesehen
69.
Sie zündete die an der Wand befestigte Lampe
an und betete stehend vor derselben. Schriftrollen
lagen vor ihr auf einem höherem Pult. Ich sah
sie hierauf gegen Morgen zu Bett gehen.
69 'Siehe oben
Nun brachte mein
Führer mich hinweg, als ich aber in das Vorhöfchen
des Hauses trat, kam ich in großen Schrecken.
Jene scheußliche Schlange lauerte dort versteckt,
sie drang auf mich zu und wollte sich in die
Falten meines Gewandes verbergen. Ich war in
entsetzlicher Angst. Mein Führer aber riß mich
eilig von dannen, und jene drei Geister erschienen
wieder und schlugen auf das Ungeheuer, dessen
gräßliches Geschrei ich noch immer mit Schauder
zu hören glaube.
Ich hatte, das Geheimnis der Menschwerdung betrachtend,
noch mancherlei Unterweisungen in dieser Nacht.
Anna hatte die Gnade eines innerlichen Mitwissens.
Die heilige Jungfrau wußte, daß sie den Messias,
den Sohn des Höchsten, empfangen habe. Alles
ihr Inneres war ihrem Geistesauge erschlossen.
Aber sie wußte damals noch nicht, daß der Thron
Davids, seines Vaters, den ihm Gott der Herr
geben werde, ein übernatürlicher sei; sie wußte
damals noch nicht, daß das Haus Jakobs, über
welches er nach den Worten Gabriels herrschen
werde in alle Ewigkeit, die Kirche, die Versammlung
der wiedergeborenen Menschheit sei. Sie glaubte,
der Erlöser werde ein heiliger König sein, der
ihr Volk reinigen und siegreich machen werde
gegen die Hölle. Sie wußte damals noch nicht,
daß dieser König, um die Menschen zu erlösen,
eines bitteren Todes sterben werde usw.
Ich ward unterrichtet, warum der Erlöser neun
Monate im Mutterleibe verweilen und als Kind
geboren werden wollte, warum er nicht wie Adam
vollendet auftreten, nicht so schön wie der
neugeschaffene Adam hatte erscheinen wollen.
Aber ich vermag dieses nicht mehr klar mitzuteilen.
Doch soviel ist mir noch bewußt geblieben, daß
er die Empfängnis und die Geburt der Menschen,
welche durch den Sündenfall so sehr erniedrigt
worden waren, wieder heiligen wollte. Maria
aber ward seine Mutter, und er ist nicht früher
gekommen, weil sie allein, und nie ein Geschöpf
vor ihr noch nach ihr, das reine Gefäß der Gnade
war, das Gott den Menschen verheißen hatte,
um Mensch in ihm zu werden, auf daß er die Menschheit
durch sein genugtuendes Leiden von ihrer Schuld
erlöse. Die heilige Jungfrau war die einzige
rein erblühte Blume des menschlichen Geschlechtes,
aufgegangen in der Fülle der Zeit. Alle Kinder
Gottes unter den Menschen von Anbeginn, welche
nach Heiligung gerungen, haben zu ihrer Ankunft
beigetragen. Sie war das einzige reine Gold
der ganzen Erde. — Sie allein war das reine
unbefleckte Fleisch und Blut der ganzen Menschheit,
bereitet und geläutert und gesammelt und geweiht
durch alle Geschlechter ihrer Vorfahren, geleitet,
gehütet und gestärkt durch das Gesetz, bis sie
hervortrat als die Fülle der Gnade. — Sie war
vorgesehen in Ewigkeit und ist als die Mutter
des Ewigen durch die Zeit gewandelt.
(An den Festtagen der Mutter Jesu läßt die Kirche
durch den Mund der göttlichen Weisheit in den
Sprüchen Salomos die heilige Jungfrau von sich
sagen:)
Der Herr hat mich gehabt im Anfang seiner Wege,
ehe, als er etwas gemacht hat, von Anbeginn.
Ich bin eingesetzt von Ewigkeit, von alters
her, ehe die Erde geworden. Die Tiefen waren
noch nicht, und ich war schon empfangen, die
Wasserquellen brachen noch nicht hervor, die
Berge waren noch nicht eingesenkt in ihrer schweren
Last, und vor den Hügeln ward ich geboren. Noch
hatte er die Erde nicht gemacht, nicht die Flüsse,
nicht die Angeln des Erdkreises. Als er die
Himmel bereitete, war ich dabei, als er nach
genauem Gesetze einen Kreis zog um die Tiefen,
als er den Luftraum oben festigte und die Wasserbrunnen
abwog, als er rings um das Meer seine Grenze
setzte und den Wassern ein Gesetz gab, ihre
Grenzen nicht zu überschreiten; da er die Gründe
der Erde legte; da war ich bei ihm und machte
alles und erlustigte mich Tag für Tag und spielte
vor ihm alle Zeit und spielte auf dem Erdkreis,
und meine Lust ist, bei den Menschenkindern
zu sein.
Nun also, ihr Kinder, höret mich: Glückselig
sind, die meine Wege bewahren! Höre die Lehre,
und werdet weise, und verwerfet sie nicht! Glückselig
der Mensch, der mich hört, und der an meinen
Türen wachet, Tag für Tag, und meiner wartet
an der Schwelle meiner Türe. Wer mich findet,
findet das Leben und schöpft das Heil von dem
Herrn.
Die heilige Jungfrau war bei der Menschwerdung
Christi etwas über 14 Jahre alt.—Christus ist
33 Jahre und dreimal sechs Wochen alt geworden.
Ich sage dreimal sechs, weil mir diese Zahl
in diesem Augenblicke dreimal wiederholt gezeigt
wird.
MARIÄ HEIMSUCHUNG
(DIE KIRCHE SPRICHT IM HEILIGEN MESSOPFER DIESES
FESTES MIT DEN WORTEN DES HOHENLIEDES 2,8—14)
„Die Stimme meines
Geliebten! Siehe, er kommt springend über die
Berge und hüpfend über die Hügel. Mein Geliebter
ist gleich einem Reh und jungen Hirschlein!
Sieh, er steht hinter unserer Wand, sieht durchs
Fenster und schaut durchs Gitter. Sieh, mein
Geliebter spricht zu mir: Steh auf! eile, meine
Freundin, meine Taube, meine Schöne, und komm!
Denn schon ist der Winter vorüber, der Regen
hat aufgehört und ist vergangen! Die Blumen
sind erschienen in unserem Lande! Die Zeit des
Schneidens ist gekommen! Die Stimme der Turteltaube
hat man gehört in unserem Lande! Der Feigenbaum
brachte seine Knoten hervor! Die blühenden Weinberge
geben ihren Geruch. Steh auf, meine Freundin,
meine Schöne, und komm. Meine Taube in den Löchern
der Felsen, in der Mauerhöhlung, zeige mir dein
Angesicht, laß deine Stimme in meine Ohren klingen,
denn deine Stimme ist süß und dein Angesicht
schön.
MARIA UND JOSEPH AUF DER REISE ZU ELISABETH
Einige Tage nach der Verkündigung des Engels
an Maria kehrte der heilige Joseph nach Nazareth
zurück und ordnete noch mehreres zu seinem Gewerbe
in dem Haus, denn er war früher noch nicht in
Nazareth ansässig gewesen und kaum ein paar
Tage hier verweilt. Joseph wußte nichts von
der Menschwerdung Gottes in Maria; sie war die
Mutter des Herrn, aber auch die Magd des Herrn
und bewahrte demütig sein Geheimes — Die heilige
Jungfrau empfand, als sie fühlte, daß das Wort
in ihr Fleisch geworden, ein großes Verlangen,
sogleich ihre Base Elisabeth in Jutta bei Hebron
zu besuchen, von welcher ihr der Engel gesagt,
daß sie seit sechs Monaten gesegnet sei. Da
sich nun die Zeit nahte, daß Joseph auf das
Osterfest nach Jerusalem ziehen wollte, wünschte
sie ihn zu begleiten, um Elisabeth in ihrer
Schwangerschaft beizustehen. Joseph trat also
die Reise nach Jutta mit der heiligen Jungfrau
an.
Die Schwester Emmerich erzählte folgende einzelne
Szenen aus der Reise Josephs und Maria zu Elisabeth;
doch müssen wegen ihrer Krankheit und mannigfacher
Störung sehr viele Lücken in ihrer Mitteilung
vorausgesetzt werden. Sie erzählte die Abreise
nicht, sondern an sich folgenden Tagen einzelne
Reisebilder, die wir hier mitteilen.
Die Reise ging Mittagwärts, sie hatten einen
Esel bei sich, auf welchem Maria dann und wann
ritt. Es war einiges Geräte auf ihn gepackt,
unter anderem ein gestreifter, wie mir schien,
gestrickter Sack Josephs, in welchem sich ein
langes, bräunliches Gewand Mariä, woran eine
Art Kapuze, befand. Man band dieses Gewand vorn
mit Bändern zu. Maria legte es an, wenn sie
zum Tempel oder zur Synagoge ging. Auf der Reise
trug sie ein braunes, wollenes Hemd, darüber
ein graues Kleid mit einem Gürtel und eine gelbliche
Kopfhülle.
Sie machten den weiten Weg ziemlich schnell.
— Ich sah sie, nachdem sie die Ebene Esdrelon
südwärts durchzogen hatten, auf einer Höhe in
der Stadt Dothan bei einem Freunde von Josephs
Vater eingekehrt. Es war ein wohlhabender Mann
und stammte von Bethlehem. Sein Vater wurde
von Josephs Vater Bruder genannt, ohne daß er
sein Bruder gewesen wäre; aber er war aus Davids
Stamm durch einen Mann, der auch, glaube ich,
König war und Ela oder Eldoa oder Eldad hieß,
ich weiß es nicht mehr bestimmt
70.
- Der Ort hier hatte vielen Handel.
70 Die
Schwester Emmerich sah Jesum am 2. November
= 12. Marches-wan seines 31. Lebensjahres zu
Dothan in demselben Hause Issachar, den fünfzigjährigen
Ehemann der Tochter dieser Familie, die Salome
hieß, von der Wassersucht heilen. Bei dieser
Gelegenheit sprach Issachar von jener Einkehr
Josephs und Mariä. — Der von der Erzählerin
unbestimmt Eldoa oder Eldad genannte Nachkomme
Davids, durch welchen der Vater jener Salome
mit Joseph verwandt sein sollte, könnte vielleicht
Elioda oder Eliada, ein Sohn Davids, gewesen
sein, der 2 Kg 5,16 und 1 Chr 3,8 erwähnt wird.
So natürlich auch die Verwechslung von mancherlei
Namenklängen bei der Erzählerin erscheinen dürfte,
ist diese Verwechslung doch nicht immer als
notwendig anzunehmen. Die hebräischen Eigennamen
haben durchaus eine bestimmte Bedeutung. Da
aber eine und dieselbe Bedeutung in der Sprache
mehrere Ausdrücke hat, so führen dieselben Personen
oft verschiedene Namen. So finden wir einen
Sohn Davids bald Elischua „Gott hilf ", bald
Elischama „Gott hört" genannt. So kann Eldea
oder Eldaa ebensogut heißen „Gott kommt" als
Eliada. — Die unbestimmt gelassene Erwähnung,
dieser Nachkomme Davids sei auch König gewesen,
darf nicht befremden, indem gar nicht zu bezweifeln
ist, daß Söhne oder Nachkommen Davids in den
Vasallenstaaten die Regierung geführt haben.
Einmal sah ich sie in einem Schoppen übernachten;
dann sah ich sie, von dem Wohnort des Zacharias
noch 12 Stunden entfernt, abends in einem Walde,
in einer von Holz geflochtenen Hütte, welche
von lebendigem Grün mit schönen weißen Blüten
überwachsen und für Reisende bestimmt war, eingekehrt.
Es gibt dort im Lande vielfältig solche offene
Lauben oder auch feste Gebäude an den Landstraßen,
wo Reisende übernachten oder sich kühlen und
die mitgebrachten Lebensmittel für sich bereiten
können. Bei mancher solcher Herberge hat eine
nahe wohnende Familie die Aufsicht und reicht
gegen eine kleine Vergütung mancherlei Bedürfnisse.
-----------------------------
Hier scheint eine Lücke in der Erzählung zu
sein. Wahrscheinlich war die heilige Jungfrau
mit Joseph auf dem Osterfeste zu Jerusalem und
zog von da aus erst zu Elisabeth, da Josephs
Reise zum Fest oben erwähnt ist, weiter unten
aber, Zacharias sei am Tage vor der Heimsuchung
Mariä vom Paschafest nach Haus gekommen.
-----------------------------
Von Jerusalem aus gingen sie nicht gerade nach
Jutta, sondern machten einen Umweg gegen Morgen,
um einsamer zu reisen. — Sie umgingen ein Städtchen
zwei Stunden von Emaus und reisten nun auf Wegen,
welche Jesus in seinen Lehrjahren oft gewandelt.
— Sie hatten dann noch zwei Berge zu überschreiten.
Zwischen diesen zwei Bergen sah ich sie einmal
ausruhend sitzen, Brot essen und sich Tropfen
Balsam, welche sie auf der Reise gesammelt hatten,
in ihr Trinkwasser mischen. -— Es war sehr bergig
hier. Sie kamen bei Felsen vorüber, die oben
breiter als unten waren, auch sah man da große
Höhlen und allerlei seltsame Steine darin. In
den Tälern war es sehr fruchtbar.
Hierauf führte sie ihr Weg noch durch Wald,
Heide, Wiesen und Felder. Gegen das Ende des
Weges bemerkte ich besonders eine Pflanze mit
feinen grünen Blättchen und mit Blumentrauben
von neun blaßroten, verschlossenen Glöckchen
oder Fäßchen. Es befand sich etwas in denselben,
ich hatte etwas damit zu tun, was ich vergessen
habe
71.
71 Vielleicht
hatte die Blume mit ihren neun Glöckchen für
die Seherin eine mystische Beziehung auf das
neunmonatliche Verweilen des Herrn im Mutterleibe,
oder die Schwester Emmerich sah in ihr das Sinnbild
irgendeiner auf das Fest der Heimsuchung bezüglichen
Andacht oder Gebetshandlung. — Übrigens teilte
ein schriftkundiger Freund dem Schreiber folgende
Bemerkung mit: „Die hier angedeutete Blume ist
wahrscheinlich das Cyprusträublein (Lawsonia
spinosa inermis. Linn..), von welchem im Hohenlied
1,14 die Rede ist: „Des Kopherstrauches Blütentraube
ist mir mein Geliebter, wie er in den Weinbergen
Engedis wächst." Mariti in seiner Reise durch
Syrien und Palästina erwähnt diese Staude und
ihre Blüte in der Gegend, wo hier die allerseligste
Jungfrau durchreist. Die Blätter sind nach ihm
kleiner und feiner als Myrtenblätter, die Blüten
rosenrot, die Gestalt des Blumenbüschels traubenförmig,
was der oberflächlichen Angabe der Seherin allerdings
entspricht; wenn sie aussagt, sie habe etwas
mit dem Inhalt der Blumenglöckchen zu tun gehabt,
was sie vergessen, so ist dies vielleicht eine
Betrachtung über das Hohelied 1,14 gewesen;
jetzt, da ihr Geliebter noch unter dem Herzen
seiner jungfräulichen Mutter war, feierte sie
vielleicht, die Fruchtkapseln jener Staude betrachtend,
den Grad der Entwicklung des fleischgewordenen
Wortes, welche Betrachtung um so fruchtbarer
sein konnte, da die süß duftende Cyprusblütentraube
im Hebräischen die Eophertraube, das ist Versöhnungstraube,
heißt und daher einige in den Worten, „mein
Geliebter ist mir eine Cyprustraube", den Sinn
lesen, „mein geliebter hat für mich das Traubenblut
der Versöhnung gegeben." Wie die Morgenländer
einen großen Wert auf diese süß duftenden Blütensträuße
legen und sie für ein höchst angenehmes Geschenk
halten, feierte wohl die Seherin bei dem Vorübergehen
der allerseligsten Jungfrau an diesen Blütentrauben
das Heranreifen des Traubenblutes der Versöhnung
in der gebenedeiten Frucht ihres Leibes. Sie
erwägte etwa im Hohenlied 1,14 den Sinn, die
wahre Kophertraube reift uns unter dem Herzen
Mariä, wie in dem Vers 1,13 „mein Geliebter
ist mir ein Myrrhenbüschlein, das zwischen meinen
Brüsten weilet" sie betrachtet haben mag, wie
Maria später Jesum als Kind am Busen hegte und
dann den Heiland nach der Abnahme vom Kreuz,
da er mit Myrrhen balsamiert wurde, und doch
selbst die eigentliche Myrrhe gegen die Verwesung
war, auf ihren Schoß empfing.
Ankunft
Maria's und Josephs bei Elisabeth und Zacharias.
Vorbemerkung.
Die folgenden Anschauungen teilte Schwester
Emmerich teils zur Zeit des Festes Maria Heimsuchung
im Juli 1820 mit, teils traten sie vor ihre
Seele, da sie in ihrer Betrachtung die Gespräche
Eliuds, eines alten Esseners von Nazareth, vernahm,
welcher mit Jesu, da er ihn im September des
ersten Lehrjahres auf der Reise zur Taufe des
Johannes begleitete, vieles von der Geschichte
seiner Eltern und seiner frühesten Jugend sprach,
denn er war mit der heiligen Familie vertraut.
------------------------
Das Haus des Zacharias lag auf einem einzelnen
Hügel. Andere Häuser lagen in Gruppen umher.
Nicht fern von hier kam ein ziemlich starker
Bach vom Berge herab.
Es schien mir die Zeit, da Zacharias vom Osterfest
aus Jerusalem nach Haus kehrte. Ich sah Elisabeth
von großer Sehnsucht getrieben, eine bedeutende
Strecke aus ihrem Hause auf dem Wege gen Jerusalem
hinwandeln, und wie der heimkehrende Zacharias
ganz erschreckt war, sie in ihren Umständen
so weit vom Hause entfernt auf dem Wege zu finden.
Sie sagte ihm, daß sie in ihrem Herzen so bewegt
sei und immer denken müsse, ihre Base Maria
von Nazareth komme zu ihr. Zacharias suchte
ihr diese Meinung zu benehmen und gab ihr durch
Zeichen und Schreiben auf ein Täfelchen zu verstehen,
wie es unwahrscheinlich sei, daß die Neuvermählte
jetzt eine so weite Reise unternehmen sollte.
Sie kehrten hierauf zusammen nach Haus zurück.
Elisabeth aber vermochte ihre Erwartung nicht
aufzugeben, denn sie hatte im Traume erkannt,
eine ihres Stammes sei die Mutter des verheißenen
Messias geworden. Sie hatte dabei an Maria gedacht,
sich sehr nach ihr gesehnt und sie im Geiste
in der Ferne auf dem Wege zu ihr gesehen.
— Sie hatte in ihrem Hause rechts vom Eingang
ein Stübchen mit Sitzen darin bereitet. Hier
saß sie am folgenden Tage lange harrend und
sah nach der Ankommenden hinaus. Dann stand
sie auf und ging ihr eine Strecke weit entgegen.
Elisabeth war eine große, bejahrte Frau mit
kleinem feinem Angesichte, ihr Kopf war eingehüllt.
Sie kannte die heilige Jungfrau nur dem Rufe
nach. — Maria, sie in der Ferne erblickend,
erkannte sie gleich und eilte vor Joseph, der
sich bescheiden zurückhielt, ihr entgegen. Maria
war schon zwischen den benachbarten Häusern,
deren Bewohner, gerührt von ihrer wunderbaren
Schönheit und erschüttert von einer übernatürlichen
Würde in ihrem ganzen Wesen, sich schüchtern
zurückzogen, als sie mit Elisabeth zusammentraf.
Sie grüßten sich freundlich mit Darreichung
der Hand, und in dem sah ich ein Leuchten in
der heiligen Jungfrau und wie einen Lichtstrahl
von ihr zu Elisabeth übergehen, worauf diese
wunderbar gerührt ward. Sie verweilten aber
nicht vor den Menschen, sondern gingen, sich
im Arm führend, gegen das Haus durch den davorliegenden
Hof, und an der Haustüre hieß Elisabeth nochmals
Maria willkommen, und sie traten ein.
Joseph, der den Esel führend in den Hof gekommen,
übergab das Lasttier einem Knecht und ging zur
Seite des Hauses in eine offene Halle zu Zacharias.
Er begrüßte den alten, ehrwürdigen Priester
sehr demütig, dieser umarmte ihn herzlich und
sprach mit ihm, auf sein Täfelchen schreibend,
denn er war, seit der Engel ihm im Tempel erschienen,
stumm.
Maria und Elisabeth durch die Türe des Hauses
getreten, befanden sich in einer Halle, welche
mir auch die Küche zu sein schien. Hier faßten
sie sich bei beiden Armen, Maria grüßte Elisabeth
sehr freundlich, und sie lehnten ihre Wangen
aneinander. Da sah ich abermals ein Leuchten
aus Maria in Elisabeth hinüberstrahlen, wodurch
diese ganz durchleuchtet, in ihrem Herzen von
heiliger Freude bewegt und ganz innig ward.
Sie trat nun mit erhobener Hand zurück, und
voll Demut, Freude und Begeisterung rief sie
aus:
„Gebenedeit bist du unter den Weibern und gebenedeit
ist die Frucht deines Leibes! Woher kommt mir
das? Daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt,
sieh, als die Stimme deines Grußes in meine
Ohren kam, hüpfte das Kind vor Freude unter
meinem Herzen auf, o selig bist du! Du hast
geglaubt, und es wird erfüllet werden, was dir
vom Herzen gesagt worden ist."
Unter den letzten Worten führte sie Maria in
das zubereitete Kämmerchen, damit sie sich
niedersetzen und von der Reise ruhen möge. Es
waren nur ein paar Schritte dahin. Maria aber
ließ den Arm der Elisabeth, den sie gefaßt hatte,
kreuzte die Hände vor der Brust und sprach den
Lobgesang:
„Meine Seele verherrlicht den Herrn, und mein
Geist frohlocket in Gott, meinem Heiland, weil
er herabgeschaut hat auf die Niedrigkeit seiner
Magd, denn sieh, von nun an werden alle Geschlechter
mich selig preisen, weil Der Großes an mir getan
hat, der mächtig und dessen Name heilig ist,
und dessen Barmherzigkeit von Geschlecht zu
Geschlecht bei denen ist. die ihn fürchten.
Er hat Macht in seinen Arm gelegt, und die Stolzen
in ihres Herzens Sinn hat er zerstreuet, er
hat die Mächtigen von ihrem Sitze abgesetzt
und die Niedrigen erhöhet, die Hungernden hat
er mit Gütern erfüllet, und die Reichen hat
er leer entlassen. Er hat Israel, seinen Diener,
aufgenommen, eingedenk seiner Barmherzigkeit,
wie er gesprochen hat zu unseren Vätern, zu
Abraham und seinem Samen in alle Ewigkeit
72
!"
Ich sah, daß Elisabeth das ganze Magnifikat
in gleicher Begeisterung mitbetete, dann aber
setzten sie sich auf ganz niedrige Sitze, und
es stand auf einem Tischchen, das auch nicht
hoch war, ein kleiner Becher vor ihnen. — Oh,
ich war so selig, ich habe alles mitgebetet
und mich dann auch in die Nähe gesetzt. oh,
ich war so selig! — Die Schwester Emmerich erzählte
an diesem Morgen, als sei es am Tage vorher
geschehen. Am Nachmittag sprach sie im Schlaf:
Joseph und Zacharias sind jetzt auch beieinander
und unterhalten sich über die Nähe des Messias
nach der Erfüllung der Prophezeiungen. — Zacharias
ist ein schöner, großer Greis, priesterlich
gekleidet, er antwortet immer mit Zeichen oder
auf eine Tafel schreibend. Sie sitzen an der
Seite des Hauses in einer offenen Halle, die
in den Garten sieht. — Maria und Elisabeth sitzen
im Garten auf einem Teppich unter einem großen
breiten Raum, hinter welchem ein Brunnen ist,
aus dem Wasser springt, wenn man an einem Zapfen
zieht. Ich sehe Gras und Blumen umher und Bäume
mit kleinen gelben Pflaumen. Sie essen miteinander
kleine Früchte und Brötchen aus der Reisetasche
Josephs; o welche rührende Einfalt und Mäßigkeit!
— Es sind zwei Mägde und zwei Knechte im Hause,
ich sehe sie hin und wieder gehen. Sie bereiten
einen Tisch mit Speise unter einem Baum. Zacharias
und Joseph kommen und essen einiges. Joseph
wollte gleich wieder nach Nazareth zurück; er
wird aber wohl acht Tage bleiben. Er weiß nichts
von dem gesegneten Zustand der heiligen Jungfrau.
Maria und Elisabeth schwiegen davon; sie hatten
beide in ihrem Innern einen tiefen geheimen
Bezug aufeinander.
Mehrmals im Tage, besonders vor Tisch, wenn
sie alle zusammen waren, beteten die heiligen
Frauen eine Art Litanei
73
auch Joseph betete
mit, und ich sah dann mitten zwischen ihnen
ein Kreuz erscheinen, und es war doch damals
noch kein Kreuz, ja es war, als besuchten sich
zwei Kreuze
74.
72 Als der
alte Essener Eliud bei der in der Vorbemerkung
erwähnten Gelegenheit sich mit Jesus über dieses
Ereignis unterhielt, hörte ich ihn diesen ganzen
Lobgesang Mariä auf eine wunderschöne Weise
auslegen. ! Ich fühle mich aber unfähig, diese
Auslegung zu wiederholen.
73 Dieser Name
einer bekannten christlichen Gebetsform darf
uns bei einer Nachricht aus dem Alten Testament
nicht stören; der Form nach waren die Litaneien
längst vor Christi Geburt da. So ist der Psalm
135 (136) eine vollkommene Litanei, zum Teil
auch Psalm 117 (118) und andere.
74 Wir können
nicht mit Bestimmtheit erklären, was die Seherin
mit den Worten „es war, als besuchten sich zwei
Kreuze" sagen wollte. Nach der frommen Gewohnheit
in ihrem altkatholischen Vaterland, daß verschiedene
Gemeinden, welche zu gemeinsamer Andacht in
Prozessionen zusammenziehen, ihre Gnadenbilder
des heiligen Kreuzes oder der heiligen Jungfrau
mit sich zu tragen pflegen, was mit dem Ausdruck,
die Kreuze, die Muttergottesbilder besuchen
sich, bezeichnet wird, wollte sie vielleicht
bei der Erscheinung eines Kreuzes zwischen der
betenden heiligen Jungfrau und Elisabeth sagen,
es war, als besuchten sich der noch unter dem
Herzen seiner Mutter ruhende künftig gekreuzigte
Jesus und sein jetzt noch unter dem Herzen der
Zukunft ruhendes Kreuz unserer Erlösung.
Am 3. Juli erzählte sie: Sie aßen gestern Abend
alle zusammen. Sie saßen bis gegen Mitternacht
bei der Lampe unter dem Baume des Gartens. Hierauf
sah ich noch Joseph und Zacharias allein in
einem Gebetsort. Maria und Elisabeth sah ich
in ihrem Kämmerchen. Sie standen ganz innig
wie entzückt sich einander gegenüber und beteten
das Magnifikat mit einander.
Außer der früher beschriebenen Kleidung hatte
die heilige Jungfrau auch noch einen schwarzen,
durchsichtigen Schleier, den sie nieder senkte,
wenn sie mit Männern sprach.
Heute hat Zacharias den heiligen Joseph in einen
anderen, vom Hause abgelegenen Garten geführt.
— Zacharias ist in allem ordentlich und pünktlich.
— Dieser Garten ist mit schönen Bäumen und mancherlei
Früchten sehr reich bestellt und wohl gehalten.
Durch die Mitte führt ein schattiger Laubengang.
Am Ende des Gartens findet sich ein verborgenes
Lusthäuschen, dessen Türe an der Seite ist.
Oben an diesem Häuschen sind Fensteröffnungen
mit Schiebern geschlossen. Es steht ein geflochtenes
Ruhelager mit Moos oder anderen feinen Kräutern
gepolstert darin; auch sah ich zwei kindergroße
weiße Figuren dort. Ich wußte nicht recht, wie
sie dahin kamen oder was sie bedeuteten, aber
sie schienen mir Zacharias und Elisabeth sehr
ähnlich, nur in weit jüngerem Alter.
Ich sah heute Nachmittag Maria und Elisabeth
zusammen im Hause beschäftigt. Die heilige Jungfrau
nahm teil an allen häuslichen Geschäften. Sie
bereitete allerlei Geräte für das erwartete
Kind. Ich sah sie beide zusammen arbeiten, sie
strickten an einer großen Decke, einem Lagerteppich
für Elisabeth als Wöchnerin. Die jüdischen Wöchnerinnen
bedienten sich solcher Teppiche, in deren Mitte
eine Hülle so befestigt war, daß sich die Wöchnerin
mit ihrem Kinde ganz darin einwickeln konnte.
Sie steckte dann gleichsam wie in einem großen
Schuh oder Schiffchen und war selbst wie ein
Wickelkind eingepuppt. — Von Polstern unterstützt,
konnte sie darin nach Wunsch aufrecht sitzen
oder liegen. — Auf den Rand des Teppichs waren
Blumen und Sprüche genäht. — Maria und Elisabeth
bereiteten auch allerhand Geräte, um die Armen
bei der Geburt des Kindes zu beschenken. — Die
Mutter Anna sehe ich während der Abwesenheit
der heiligen Familie oft ihre Magd in das Haus
nach Nazareth senden, um auf alles zu schauen.
Ich habe sie auch schon einmal selbst dort gesehen.
Am 4. Juli erzählte
sie:
Zacharias ist mit Joseph ins Feld spazieren
gegangen. Sein Haus liegt allein auf einem Hügel,
es ist das beste Haus hier in der Gegend; andere
liegen zerstreut umher. Maria ist etwas müde,
sie ist allein mit Elisabeth zu Hause.
Am 5. Juli sprach sie:
Ich sah Zacharias und Joseph die heutige Nacht
in dem vom Hause entfernt liegenden Garten zubringen.
Teils schliefen sie in dem Gartenhäuschen, teils
beteten sie im Garten unter freiem Himmel. Sie
kehrten mit Tagesanbruch nach Hause zurück.
Elisabeth und die heilige Jungfrau sah ich zu
Hause. Sie beteten jeden Morgen und Abend den
Lobgesang „Magnifikat" zusammen, welchen Maria
auf den Gruß Elisabeths vom heiligen Geist empfangen
hatte.
Mit dem Gruße des Engels ward die heilige Jungfrau
zur Kirche geweiht. Mit den Worten: Sieh, ich
bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach seinem
Worte, zog das Wort, zog Gott, von der Kirche,
von seiner Magd, begrüßt, in sie ein. Nun war
Gott in seinem Tempel, nun war Maria der Tempel
und die Bundeslade des Neuen Testamentes. Der
Gruß Elisabeths, die Bewegung Johannis unter
dem Herzen seiner Mutter, war der erste Gottesdienst
der Gemeinde vor diesem Heiligtume. Als aber
die heilige Jungfrau das Magnifikat sprach,
feierte die Kirche des Neuen Bundes, der neuen
Ehe, zuerst die Erfüllung der göttlichen Verheißungen
des Alten Bundes, der alten Ehe, Dank sagend
mit einem Te Deum laudamus. Ach, wer kann es
ganz aussprechen, wie rührend die Andacht der
Kirche zu ihrem Heiland schon vor seiner Geburt
anzuschauen war.
Ich hatte heute Nacht, während ich die heiligen
Frauen beten sah, viele Anschauungen und Erklärungen
vor dem Magnifikat und dem Herannahen des heiligen
Sakramentes in dem jetzigen Zustande der heiligen
Jungfrau. Mein jetziges, sehr krankes Befinden
und viele Störungen sind schuld, daß ich schier
alles Gesehene wieder vergaß. Von der Stelle
des Magnifikat an: „Du hast Stärke in deinen
Arm gelegt", erschienen mir allerlei Vorbilder
bezüglich auf das heilige Sakrament des Altars
im Alten Testament. Darunter war ein Bild von
Abraham, wie er Isaak opfert, und von Isaias,
wie er einem bösen Könige etwas verkündet, was
dieser verspottet. Ich vergaß es. Ich sah sehr
vieles von Abraham bis auf Isaias und von diesem
bis auf die heilige Jungfrau Maria und sah in
allem immer die Annäherung des heiligen Sakramentes
zu der Kirche Jesu Christi, der selbst noch
unter dem Herzen seiner Mutter ruhte
75.
75 Die
von ihr vergessene Sendung des Isaias ist ohne
Zweifel seine Prophezeiung an den König Achaz
(Is 7,3—25). Seht, eine Jungfrau wird empfangen
usw.
Nachdem die gottselige
Emmerich dieses gesagt, betete sie die Litanei
vom heiligen Geist und den Hymnus Veni Sancte
Spiritus und entschlief lächelnd. Nach einer
Weile sprach sie mit großer Innigkeit: „Ich
soll heute gar nichts mehr tun und niemand zu
mir lassen, dann soll ich alles das Vergessene
wieder sehen. — Wenn ich einmal ganz Ruhe haben
werde, soll ich auch das Heiligtum der Bundeslade,
das heilige Sakrament des Alten Bundes erkennen
und erzählen können. Ich habe jene Zeit der
Ruhe gesehen, es ist eine schöne Zeit. Ich sah
den Schreiber bei mir, ich soll dann vieles
erfahren. — Unter diesen Worten glühte und blühte
ihr Angesicht im Schlafe wie ein Kindesangesicht,
sie zog ihre mit den Wundmalen bezeichneten
Hände unter der Decke hervor und sprach: Es
ist gar warm da bei Maria im gelobten Lande.
Sie gehen jetzt alle in den Hausgarten, zuerst
Zacharias und Joseph und dann Elisabeth und
Maria. Es ist eine Decke wie ein Zelt unter
dem Baume ausgespannt. Es stehen ganz niedere
Sitze mit Lehnen an der einen Seite da.
Persönliches der Erzählenden
Hierauf fuhr sie fort:
Ich soll ruhen und alles Vergessene wieder sehen,
das süße Gebet zum heiligen Geist hat mir geholfen;
oh, es ist so lind und süß! Abends 5 Uhr klagte
sie sich an: Aus Nachgiebigkeit habe ich das
Gebot, niemand zu mir zu lassen, nicht gehalten.
Eine Bekannte hat lange von gehässigen Ereignissen
vor mir gesprochen, ich habe mich daran geärgert
und bin hierauf entschlafen. Der liebe Gott
hat besser Wort gehalten als ich, er hat mir
alles Vergessene wieder gezeigt; es ist mir
jedoch zur Strafe meistens nochmals entfallen.
Sie sagte hierauf folgendes, was mir, wenngleich
einiges sich darin wiederholt, dennoch mitteilen,
weil wir, was sie sagen wollte, nichts weiter
aussprechen können, als sie es selbst vermochte.
— Sie aber sagte: Ich sah wie gewöhnlich die
zwei heiligen gesegneten Frauen einander gegenüberstehend
das Magnifikat beten. In der Mitte des Gebetes
ward mir Abraham gezeigt, welcher den Isaak
opferte. Hierauf folgte eine Reihe auf die Annäherung
des heiligen Sakraments bezüglicher Vorbilder.
Ich glaubte, die heiligsten Geheimnisse des
Alten Bundes noch nie so klar erkannt zu haben.
Am folgenden Tage sprach sie: „Wie mir versprochen
war, hatte ich alles Vergessene wieder erkannt.
Ich war voll Freude, nun so vieles Wunderbare
von den Patriarchen und der Bundeslade erzählen
zu können, aber es muß in meiner Freude darüber
vielleicht ein Mangel an Demut gewesen sein,
denn Gott fügte es, daß ich das Erkannte nicht
mehr klar ordnen und mitteilen kann, denn es
war unbeschreiblich vieles."
Die Veranlassung zu der neu eingetretenen Störung
war ein besonderer Zwischenfall, infolgedessen
das ihren Zustand immer begleitende Passionsmitleiden
eintrat, wodurch sie zu geordneter Mitteilung
noch unfähiger ward. Da sie jedoch seit ihren
Anschauungen von dem wiederholten Gebete des
Magnifikates durch die heiligen Frauen vielfache
Erkenntnisse über den geheimnisvollen Segen
des Alten Testamentes und die Bundeslade bruchstücklich
und ungeordnet hin und wieder mitgeteilt hat,
so versuchte man das Ergebnis dieser Äußerungen,
soviel möglich, nach der Zeit zusammenzustellen
und wird es, um das Leben Mariä nicht zu sehr
zu unterbrechen, als Anhang beifügen oder für
anderen angemessenen Ort aufbewahren.
Donnerstag, den 5. Juli, Sabbat, den 6.
Ich sah gestern am Vorabend, Freitag, den 6.
Juli, Elisabeth und die heilige Jungfrau nach
dem entfernten Garten des Zacharias gehen. Sie
trugen Früchte und kleine Brote in Körbchen
mit sich und wollten die Nacht dort zubringen.
Als Joseph und Zacharias später auch hinkamen,
sah ich die heilige Jungfrau ihnen entgegen
schreiten, Zacharias hatte sein Schreibtäfelchen
bei sich, aber es war zum Schreiben zu dunkel
geworden, und ich sah, daß Maria innerlich vom
heiligen Geiste bewegt zu ihm sagte, er solle
heute Nacht sprechen und daß Zacharias sein
Sehreibtäfelchen weglegte und diese Nacht hindurch
mit Joseph sprechen und beten konnte. Ich sah
dies so, und als ich darüber sehr verwundert
mit dem Kopf schüttelte und es nicht annehmen
wollte, sagte mein Schutzengel' oder geistlicher
Führer, der immer bei mir ist, zu mir, indem
er nach einer anderen Seite hindeutete: ,,Du
glaubst dieses nicht, so sieh denn hierher,
was dieses ist!" — Ich sah aber, wo er hindeutete,
ein ganz anderes Bild aus viel späterer Zeit.
Ich sah den heiligen Einsiedler Goar
76
in einer Gegend, wo Korn geschnitten ward.
76 Sein Fest
war am selben Tag, da die Schwester Emmerich
dieses mitteilte, am 6. Juli, was der Schreiber
nicht wußte. Als er es aber später durch einen
zufälligen Blick in den Kalender vernahm, empfing
er dadurch eine neue Bestätigung jener organischen
Beziehung aller ihrer Anschauungen auf die betrachtende
Feier der Kirche, welche ihn schon so oft auf
die rührendste Weise überrascht und belehrt
hatte. — St. Goar, ein frommer Priester aus
Aquitanien (Gascogne, Guienne), ließ sich im
sechsten Jahrhundert an dem Einfluß des Mochenbaches
in den Rhein (bei dem jetzigen Städtchen St.
Goar) in dem Bistum Trier einsiedlerisch lebend
nieder und brachte viele Heiden, welche reisend
Hospitalität genossen, durch seine Belehrung
zum christlichen Glauben. Als er fälschlich
der Schwelgerei beschuldigt vor den Bischof
Rustikus nach Trier berufen ward, trat dort
das Wunder ein, welches der seligen Emmerich
zur Bestätigung der Macht des einfältigen Glaubens
vorgestellt ward. Rustikus beschuldigte ihn
der Zauberei, ward aber durch ein anderes Wunder,
das er zum Beweise seiner Unschuld von ihm verlangte,
so tief beschämt, daß er zu den Füßen des Heiligen,
seine Schuld bekennend, Abbitte tat. St. Goar,
zu seiner Einsiedelei zurückgekehrt und von
Sigobert, König in Austrasien, wiederholt vergebens
aufgefordert, das Bistum Trier anzunehmen, bat
Gott um seine Auflösung und ward gegen Ende
des sechsten lahrhunderts erhört.
Es sprachen Boten
eines ihm feindlich gesinnten Bischofs mit ihm,
die es auch nicht redlich mit ihm meinten. Als
er nun mit ihnen zu jenem Bischof gereist war,
sah ich, daß er sich nach einem Haken umschaute,
seinen Mantel aufzuhängen, und daß, da er das
Sonnenlicht durch eine Öffnung der Wand dringen
sah, er an diesen Strahl in seinem einfältigen
Glauben seinen Mantel aufhängte, und daß der
Mantel fest in der Luft hängen blieb. Ich staunte
über dieses Wunder des einfältigen Glaubens
und war nun gar nicht mehr durch das Sprechen
des Zacharias verwundert, dem dieses von der
heiligen Jungfrau geschehen, in welcher Gott
selbst wohnte. Mein Führer aber sprach mit mir
über das, was man Wunder heißt, ich erinnere
mich daraus noch deutlich: Ein lebendiges kindliches
Vertrauen auf Gott in Einfalt mache alles wesenhaft,
mache alles zu Substanz (Hebr 11,1). Diese beiden
Ausdrücke gaben mir einen großen, inneren Aufschluß
über alle Wunder, ich vermag es aber nicht vollkommen
wieder auszusprechen
77.
77 Siehe
Anmerkung Nr. 75.
Ich sah nun die vier heiligen Leute die Nacht
in dem Garten zubringen. Sie saßen und aßen
oder gingen zwei und zwei sprechend und betend
hin und wieder und waren auch abwechselnd in
dem kleinen Häuschen, zu ruhen. Ich vernahm
auch, daß nach dem Sabbat Joseph, von Zacharias
ein Stück Wegs begleitet, nach Nazareth zurückreisen
werde. Es war Mondschein und ein klarer Sternenhimmel.
Es war unbeschreiblich schön und still bei den
heiligen Leuten.
Ich sah abermals unter dem Gebete der beiden
heiligen Frauen einen Teil des Geheimnisses,
des Magnifikats, soll auch alles in der Oktav
des Festes vor Sonnabend auf Sonntag nochmals
wiedersehen, wo ich denn wohl einiges werde
mitteilen können; jetzt ist mir nur folgendes
zu sagen vergönnt; Das Magnifikat ist ein Danklied
für die Erfüllung des segnenden Sakraments des
alten Bundes.
Ich sah während dem Gebete Maria in fortlaufender
Reihe alle ihre Voreltern. Es sind im Verlaufe
der Zeiten dreimal vierzehn aufeinander folgende
Ehen, in welchen der Vater stets der Sohn der
vorhergehenden Ehe ist, und aus jeder dieser
Ehen sah ich einen Lichtstrahl ausgehen auf
Mariä, wie sie jetzt betend stand. Indem aber
die ganze Vorstellung wie ein Stammbaum von
Lichtzweigen, die sich immer mehr veredelten,
vor meinen Augen aufwuchs, sah ich endlich an
einer bestimmteren Stelle dieses Lichtstammbaums
das unbefleckte und heilige Fleisch und Blut
Mariä, aus welchem Gott Mensch werden sollte,
leuchtender deutlich beginnen und betete ihm
mit sehnsüchtiger Hoffnung freudig entgegen,
gleich einem Kinde, das den Weihnachtsbaum vor
sich aufwachsen sieht. Das Ganze war ein Bild
der Herannäherung Jesu Christi nach dem Fleische
und seines heiligsten Sakramentes. — Ach, es
war, als sähe ich das Getreide reifen zu dem
Brote des Lebens, nach dem ich hungere. — Es
ist unaussprechlich, ich kann keine Worte finden,
um zu sagen, wie das Fleisch geworden ist, in
welchem das Wort Fleisch geworden ist. — Wie
kann dieses ein armer Mensch aussprechen, der
selbst noch in jenem Fleische ist, von welchem
der Sohn Gottes und Maria gesagt haben, das
Fleisch sei nichts wert, der Geist mache lebendig;
derselbe, der gesprochen hat, nur jene, welche
sein Fleisch und Blut genössen, würden das ewige
Leben haben und von ihm am Jüngsten Tage aufgeweckt
werden. Nur sein Fleisch und sein Blut seien
die rechte Speise, nur jene, welche diese Speise
genössen, blieben in ihm und er in ihnen.
Es ist unaussprechlich,
wie ich von Anbeginn die Annäherung der Menschwerdung
Gottes und mit ihr die Annäherung des heiligen
Sakraments des Altars von Geschlecht zu Geschlecht
sah und dann eine Reihe der Patriarchen, Darsteller
des lebendigen Gottes unter den Menschen als
Opfer und Speise bis zu seiner Wiederkunft am
Jüngsten Tage, in der Einsetzung des Priestertums,
welches der Gott und Mensch, der neue sühnende
Adam, seinen Aposteln und diese durch Handauflegung
der nächsten Priesterfolge, zur gleichen ununterbrochenen
Fortpflanzung von Priestergeschlecht zu Priestergeschlecht
übergeben haben. — Bei allen diesem habe ich
wohl erkannt, wie das Absingen der Geschlechtsregister
unseres Herrn vor dem heiligen Sakrament am
Fronleichnamsfeste ein tiefes, großes Geheimnis
in sich enthält. Ich habe auch dabei erkannt,
daß, wie unter den Voreltern Christi nach dem
Fleische manche nicht Heilige, ja auch Sünder
waren, ohne darum aufzuhören, Sprossen der Leiter
Jakobs zu sein, auf welchen Gott zu der Menschheit
herabstieg, ebenso auch in unwürdigen Bischöfen
jene Kraft bleibt, das heilige Sakrament zu
konsekrieren und die priesterliche Weihe, nebst
allen sie begleitenden Kräften, zu erteilen.
— Wenn man das sieht, dann versteht man wohl
deutlich, warum das Alte Testament sonst in
alten, deutschen, geistlichen Büchern der Alte
Bund oder die alte Ehe, das Neue Testament aber
der Neue Bund, die neue Ehe genannt wurden.
Die höchste Blüte der alten Ehe war die Jungfrau
aller Jungfrauen, die Braut des heiligen Geistes,
die keuscheste Mutter des Erlösers, das geistliche,
ehrwürdige, ausgezeichnete Gefäß der Andacht
78
welchem das Wort Fleisch geworden. Mit diesem
Geheimnis fängt die neue Ehe, der Neue Bund
an. Er ist jungfräulich im Priestertum und in
allen, welche dem Lamme folgen, und die Ehe
ist in ihm ein großes Sakrament, nämlich in
Christo und seiner Braut, der Kirche (Eph 5.
6. 32v).
78 Diese
Benennungen sind teils aus der lauretanischen
Litanei, in welcher die heilige Jungfrau auch
unter dem Namen Bundeslade verehrt wird.
Um aber so deutlich, als ich vermag, mitzuteilen,
wie mir die Herannahung der Menschwerdung Gottes
und mit ihr das Herannahen des heiligen Altarssakramentes
erklärt wurde, kann ich nicht anders als nochmals
wiederholen, in welcher Weise mir alles in einer
weiten, bildlichen Vorstellung vor Augen gestellt
worden ist, ohne daß es mir doch bei meinem
jetzigen Befinden und den vielen äußerlichen
Störungen möglich wäre, das Geschehene bis in
das einzelne verständlich zusammenzubringen.
Ich kann nur im allgemeinen sagen: Zuerst sah
ich den Segen der Verheißung, den Gott den ersten
Menschen im Paradiese gab und aus diesem Segen
einen Strahl bis auf die heilige Jungfrau hin,
wie sie jetzt das Magnifikat betend der heiligen
Elisabeth gegenüberstand. Dann sah ich Abraham,
der diesen Segen von Gott empfangen hatte und
aus ihm einen Strahl zu der heiligen Jungfrau
hin, dann die übrigen patriarchalischen Besitzer
und Träger des Heiligtums und aus jedem den
Lichtstrahl auf Maria und sofort den Übergang
dieses Segens bis auf Joachim, der aus dem Innersten
des Tempels mit dem höchsten Segen begnadigt
der Vater der ohne Erbsünde empfangenen allerheiligsten
Jungfrau Maria zu werden vermochte; in dieser
aber ist, empfangen von dem heiligen Geist,
das Wort Fleisch geworden und hat in ihr, als
in der Bundeslade des Neuen Testamentes, neun
Monate verhüllt unter uns gewohnt, bis wir in
der Fülle der Zeit seine Herrlichkeit, geboren
aus Maria der Jungfrau, gesehen haben, eine
Herrlichkeit wie des Eingeborenen vom Vater,
voll Gnade und Wahrheit.
Am 7 Juli erzählte sie:
Ich sah heute Nacht die heilige Jungfrau in
Elisabeths Haus in ihrem Kämmerchen auf der
Seite ausgestreckt, den Kopf auf dem Arm ruhend
schlafen.
Sie
war in einer Bahn weißliches Zeug über den Kopf
bis zu den Füßen hinab eingewickelt. Ich sah
unter ihrem Herzen eine Lichtglorie von birnförmiger
Gestalt hervorstrahlen, welche ein unbeschreiblich
helles Lichtflämmchen umgab. Aus Elisabeth sah
ich eine weniger helle Glorie, jedoch von größerem
und runderem Umfange hervorschimmern; das Licht
in derselben war weniger hell.
Samstag, den 8. Juli, erzählte sie:
Als gestern am Freitagabend der Sabbat begann,
sah ich in einem Raum von Zacharias' Haus, den
ich noch nicht kannte, die Lampe anstecken und
den Sabbat feiern: Zacharias, Joseph und etwa
noch sechs Männer, wahrscheinlich aus der Gegend,
beteten unter der Lampe, um einen Kasten stehend,
auf dem Schriftrollen lagen. Sie hatten Tücher
über den Kopf hängen, machten aber bei dem Gebet
nicht so viele verdrehte Leibesbewegungen wie
die jetzigen Juden, wenn sie gleich manchmal
das Haupt senkten und die Arme emporhoben. Maria,
Elisabeth und noch ein paar andere Frauen standen
getrennt in einem vergitterten Verschlag, aus
dem sie in den Betört schauten. Sie waren alle
mit Betmänteln über dem Kopf verhüllt.
Nach dem Sabbatmahl sah ich die heilige Jungfrau
in ihrem Kämmerchen mit Elisabeth, das Magnifikat
betend, stehen. Die Hände vor der Brust gekreuzt
und ihre schwarzen Schleier über das Angesicht
herabgesenkt, standen sie wie im Chor betend
einander gegenüber an den Wänden. — Ich betete
das Magnifikat mit ihnen und hatte abermals
bei dem zweiten Teile desselben, der sich auf
die Verheißungen Gottes bezieht, mancherlei
Blicke in die Nähe und Ferne auf einzelne Voreltern
Mariä, von welchen Lichtfäden auf sie, die betend
vor mir stand, ausgingen. — Diese Lichtfäden
oder Strahlen sah ich immer bei männlichen Vorfahren
aus dem Munde, bei weiblichen aber unter dem
Herzen ausgehen und auf die Glorie in Maria
endigen.
Abraham muß, als sein Segen auf die Zukunft
der heiligen Jungfrau wirkte, nahe der Gegend
gelebt haben, wo sie jetzt das Magnifikat betete,
denn ich sah den Lichtstrahl von ihm ganz aus
der Nähe auf sie hinströmen, während ich die
Strahlen von Personen, welche ihr der Zeit nach
viel näher standen, aus viel größerer Entfernung
kommen sah.
Nachdem sie das Magnifikat, welches ich sie
seit der Heimsuchung immer morgens und abends
beten sehe, vollendet hatten, zog sich Elisabeth
zurück, und ich sah, wie die heilige Jungfrau
sich zur Ruhe begab. — Sie legte Gürtel und
Oberkleid ab und hatte nun allein noch das lange
bräunliche Hemd an. Sie nahm eine Rolle Zeug,
die, zu Häupten des niedrigen Lagers liegend,
ich sonst für ein Kopfpolster gehalten, jetzt
aber sah ich, daß es eine zusammengerollte Bahn
fast ellenbreiten Wollenzeugs war, dessen eines
Ende sie in der Achselgrube fest unter den Arm
schloß, und welches sie nun vom Kopf bis zu
den Füßen nieder und wieder herauf um sich schlang,
so daß sie, ganz eingehüllt, nur kleine Schritte
machen konnte. — Die halben Arme blieben frei,
und die Verschleierung öffnete sich vor dem
Angesicht gegen die Brust. Sie hüllte sich dicht
vor ihrem Lager so ein, welches zu Häupten eine
kleine Erhöhung hatte, und legte sich dann gerade
auf die Seite ausgestreckt, die Hand unter die
Wange legend, nieder. — Ich sah die Männer nicht
so eingewickelt schlafen.
Sonntag, den 9. Juli, erzählte sie:
Gestern, Samstag, den ganzen Sabbat, sah ich
Zacharias im nämlichen Kleid, das er mit Sabbats
Anfang anlegte. Er hatte ein langes, weißes
Gewand mit nicht allzuweiten Ärmeln an. Er war
mit einem breiten Gürtel mehrmals umwunden,
welcher mit Buchstaben beschrieben war, und
an welchem Riemen niederhingen. An diesem Gewande
war hinten eine Kappe befestigt, welche in Falten
vom Kopfe auf den Rücken niederhing wie ein
hinten gefältelter Schleier. — Wenn er über
Tag am Sonnabend etwas tat oder wohin ging,
so schlug er dies Gewand über die eine Schulter
mitsamt dem Gürtel empor und steckte dieses
Geschürzte an der anderen Seite unter dem Arm
in den Gürtel. Er hatte nun die beiden Beine
getrennt, weit, wie eine Art Hose umwickelt,
und diese Umwindung ward von den Riemen gefaßt,
mit welchen die Sohlen an die nackten Füße befestigt
waren. — Er zeigte heute auch Joseph seinen
Priestermantel, welcher sehr schön war. — Es
war ein weiter, schwerer Mantel, weiß und Purpur
durcheinander blitzend, und war auf der Brust
mit drei Geschmeideschlössern geschlossen. Er
hatte keine Ärmel.
Am Sonntagabend, als der Sabbat aus war, sah
ich sie zuerst wieder essen. Sie aßen zusammen
im Garten bei dem Hause unter dem Baum. Sie
aßen grüne Blätter, die sie eintauchten, und
saugten eingetunkte grüne Bäuschchen aus, auch
waren Schüsselchen mit kleinen Früchten und
andere Schüsseln auf dem Tisch, woraus sie etwas
mit durchsichtigen braunen Spateln aßen, ich
glaube, es war Honig gewesen, den sie mit hornenen
Spateln aßen, auch kleine Brote sah ich auftragen,
welche sie aßen.
Hierauf bei Mondschein in einer stillen Nacht
voll Sternen trat Joseph, von Zacharias begleitet,
seine Rückreise an. Sie beteten vorher alle
getrennt. Joseph hatte wieder sein Bündelchen
bei sich, worin Brötchen und ein kleines Krüglein,
und seinen Stab, der oben krumm war. Zacharias
hatte einen langen Stab oben mit einem Knopf.
Sie hatten beide Reisemäntel über den Kopf geschleiert.
— Ehe sie gingen, umarmten sie Maria und Elisabeth
wechselseitig, indem sie dieselben ans Herz
drückten, küssen sah ich damals nicht. Sie schieden
ganz heiter und ruhig, und die beiden Frauen
begleiteten sie noch ein Stückchen, dann wandelten
sie allein durch die unbeschreiblich liebliche
Nacht.
Maria und Elisabeth gingen nun ins Haus zurück,
in die Kammer Mariens. Es brannte in dieser
eine Lampe auf einem Arm aus der Wand wie immer,
wenn sie betete und schlafen ging. Die beiden
Frauen standen sich wieder verschleiert gegenüber
und beteten das Magnifikat.
Bei dieser Gelegenheit
ward mir die verheißene Anschauung wiederholt,
welche ich neulich vergaß. Ich habe aber heute
Nacht so vieles gesehen, daß ich auch jetzt
nur weniges davon werde sagen können usw. Ich
habe nur die Überlieferung des Segens bis auf
den ägyptischen Joseph gesehen
79.
79 Die
Fragmente, die sie von allem diesem erzählte,
werden später zusammengestellt mitgeteilt werden.
Dienstag, den 11. Juli, sprach sie:
Ich hatte diese Nacht eine Anschauung von Maria
und Elisabeth, wovon ich nur noch weiß, daß
sie die ganze Nacht beteten. Ich weiß die Ursache
nicht mehr. — Am Tage sah ich Maria allerlei
Arbeit tun, zum Beispiel Decken flechten. —
Joseph und Zacharias sah ich noch unterwegs,
sie brachten in einem Schoppen die Nacht zu.
Sie hatten große Umwege gemacht, und wie ich
glaube, allerlei Leute besucht. Ich glaube,
sie brauchten drei Tage zu ihrer Reise. Ich
habe das meiste außer diesem vergessen.
Donnerstag, den 13. Juli, erzählte sie:
Joseph sah ich gestern, Mittwoch, den 12., wieder
in Nazareth in seinem Haus. Joseph scheint nicht
nach Jerusalem, sondern grad nach Haus gegangen
zu sein. Annas Magd besorgt ihm alles und ging
ab und zu von Anna. Außerdem war Joseph allein.
Zacharias sah ich auch wieder zu Hause angekommen.
— Ich sah Maria und Elisabeth wie immer das
Magnifikat beten und allerlei arbeiten. — Gegen
Abend wandelten sie im Garten, wo ein Brunnen
war, was dort nicht häufig ist, weswegen sie
auch immer ein Krüglein mit Saft bei sich hatten.
Sie gingen auch meist gegen Abend, wenn es kühl
ward, in der Umgegend spazieren, denn Zacharias'
Haus lag einzeln und von Fluren umgeben. — Gewöhnlich
legten sie sich um neun Uhr zu Bett, standen
aber immer wieder vor Sonnenaufgang auf.
---------------------
Das ist alles, was die gottselige Emmerich von
ihren Betrachtungen des Besuchs der heiligen
Jungfrau bei Elisabeth mit teilte. Es ist dabei
zu bemerken, daß sie dieses Ereignis bei Gelegenheit
des Festtags Mariä Heimsuchung am Anfang des
Juli erzählte, daß der Besuch Mariä selbst aber
wahrscheinlich im März geschehen ist, weil sie
die Botschaft der Menschwerdung Christi bereits
am 25. Februar an die heilige Jungfrau ergehen,
bald darauf aber sie die Reise zu Elisabeth
antreten sieht, und zwar, da Joseph zum Osterfeste
zieht, das am 14. Nisan eintrat, welcher Monat
unserem März entspricht.
GEBURT DES JOHANNES - MARIA KEHRT NACH NAZARETH
- JOSEPH VON EINEM ENGEL BERUHIGT
Am 9. Juni 1821 entdeckte die gottselige Emmerich
eine Reliquie des Jüngers Christi Parmenas in
ihrer Nähe und teilte unter anderen sich auf
diesen Heiligen beziehenden Anschauungen folgendes
hierher Gehörige mit:
Ich habe nach der Heimkehr von Jutah nach Nazareth
die heilige Jungfrau einige Tage im Hause der
Eltern des nachmaligen Jüngers Parmenas daselbst
gesehen, der aber damals noch nicht geboren
war. Ich meine, ich sah dieses um die nämliche
Jahreszeit, als es geschah. Ich hatte die Empfindung
hiervon während der Betrachtung.
Es wäre also die Geburt Johannes' des Täufers
am Ende des Mais oder Anfang des Juni geschehen.
Maria blieb drei Monate lang bis nach der Geburt
des Johannes bei Elisabeth, wohnte aber dem
Beschneidungsfeste nicht bei.
Die selige Emmerich erzählte durch Störung nichts
Weiteres von Johannes' Geburt noch Beschneidung,
und wir setzen zur Ergänzung die Worte des Evangeliums
hierher:
,,Bei Elisabeth kam die Zeit, da sie gebären
sollte, und sie gebar einen Sohn. Da ihre Nachbarn
und Verwandten hörten, daß der Herr große Barmherzigkeit
an ihr bewiesen habe, so freuten sie sich mit
ihr. Und am achten Tage kamen sie, das Kind
zu beschneiden. Und sie nannten es nach dem
Namen seines Vaters Zacharias. Aber seine Mutter
nahm das Wort und sprach: Nein, sondern Johannes
soll er heißen. Sie erwiderten ihr: Niemand
ist in deiner Verwandtschaft, der diesen Namen
trägt. Da winkten sie seinem Vater, wie er ihn
wollte nennen lassen. Dieser verlangte ein Täfelchen,
schrieb und sprach: Johannes ist sein Name.
Darüber verwunderten sich alle; denn augenblicklich
ward sein Mund geöffnet und seine Zunge gelöst.
Er redete und lobte Gott. Und Furcht überfiel
alle, die umher wohnten, und auf dem ganzen
Gebirge von Judäa wurden alle diese Dinge ausgebreitet.
Alle, die davon hörten, nahmen es zu Herzen
und sagten: Was wird wohl aus diesem Kinde werden?
Denn die Hand des Herrn war mit ihm. Und Zacharias,
sein Vater, war voll des heiligen Geistes und
sprach: Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels,
denn er hat sein Volk heimgesucht und ihm Erlösung
verschafft. Ein Horn des Heils hat er aufgerichtet
in dem Hause Davids, seines Knechtes, wie er
es durch den Mund seiner heiligen Propheten
von alters her verheißen hat, uns zu erlösen
von unsern Feinden, und aus der Hand aller,
die uns hassen; Barmherzigkeit an unsern Vätern
zu beweisen und seines heiligen Bundes eingedenk
zu sein, des Eides, den er unsern Vater Abraham
geschworen hat, uns zu verleihen, daß wir aus
der Hand unserer Feinde erlöset, furchtlos ihm
dienen in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinem
Angesichte unser Leben lang. Und du Kind wirst
ein Prophet des Höchsten heißen; denn du wirst
hergehen vor dem Angesichte des Herrn, ihm seine
Wege zu bereiten, um Erkenntnis des Heils seinem
Volke mitzuteilen, zur Vergebung seiner Sünden
durch die innigen Erbarmungen unseres Gottes,
durch welche uns der Aufgang aus der Höhe besucht
hat, um denen zu leuchten, die in Finsternis
und Todesschatten sitzen, damit unsere Füße
auf den Weg des Friedens geleitet werden. Das
Kind wuchs, ward stark am Geiste und blieb in
der Wüste bis zum Tage, da er vor Israel auftrat."
Die heilige Jungfrau reiste nach der Geburt
des Johannes und noch vor dessen Beschneidung
nach Nazareth zurück. Joseph kam ihr die Hälfte
des Weges entgegen.
Die gottselige Emmerich war so krank und gestört,
daß sie nicht erzählte, wer die heilige Jungfrau
bis dahin zurück begleitete, auch bestimmte
sie den Ort nicht, wo sie mit Joseph zusammentraf;
vielleicht geschah es in jenem Dothan, wo sie
auf der Reise zu Elisabeth bei dem Freunde von
Josephs Vater eingekehrt waren. Wahrscheinlich
ward sie von Verwandten des Zacharias bis dahin
begleitet oder von Freunden aus Nazareth, die
gerade auf dieser Reise begriffen waren, welch
letztere Vermutung sich aus dem folgenden einigermaßen
rechtfertigen dürfte.
Als Joseph mit der heiligen Jungfrau die Hälfte
des Weges von Jutah nach Nazareth zurückreiste,
bemerkte er an ihrer Gestalt, daß sie gesegneten
Leibes war und befand sich dadurch von Sorgen
und Zweifeln angefochten, denn er kannte die
Verkündigung des Engels bei der heiligen Jungfrau
nicht. Joseph war gleich nach seiner Vermählung
nach Bethlehem gegangen, einige Erbsachen zu
ordnen, Maria war indessen mit ihren Eltern
und einigen Gespielinnen nach Nazareth gezogen.
Der englische Gruß geschah, ehe Joseph nach
Nazareth zurückkehrte. Maria aber hatte in schüchterner
Demut das Geheimnis Gottes für sich bewahrt.
Joseph nun durch seine Wahrnehmung beunruhigt,
äußerte sich nicht, sondern kämpfte schweigend
mit seinen Zweifeln. Die heilige Jungfrau, welche
dieses vorausbesorgt hatte, ward dadurch ernst
und nachdenklich, und dieses vermehrte noch
die Unruhe des heiligen Joseph.
Als sie in Nazareth angekommen waren, sah ich
die heilige Jungfrau nicht gleich mit in das
Haus Josephs ziehen, sondern sie verweilte ein
paar Tage bei einer verwandten Familie. Es waren
dieses die Eltern des später als Jesus geborenen
Jüngers Parmenas, der einer von den sieben Diakonen
in der ersten Gemeinde der Christen zu Jerusalem
geworden ist.
Diese Leute waren mit der heiligen Familie verwandt,
die Mutter war eine Schwester des dritten Mannes
der Maria Kleophä, des Vaters Simeons, Bischofs
von Jerusalem. Sie hatten ein Haus und einen
Gewürzgarten in Nazareth. Auch von Elisabeths
Seite her waren sie mit der heiligen Familie
verwandt.
Bei diesen Leuten sah ich die heilige Jungfrau
einige Tage verweilen, ehe sie in das Haus Josephs
kehrte. Die Beunruhigung Josephs aber stieg
dermaßen, daß, als Maria nun zu ihm in das Haus
zurückkehren wollte, er den Entschluß faßte,
sie zu verlassen und heimlich zu entfliehen.
Als er mit diesen Gedanken umging, erschien
ihm ein Engel im Traum und tröstete ihn.
ADVENT
CHRISTI GEBURT IM NOVEMBER. - DIE VOLKSZÄHLUNG
UND STEUER DES KAISERS AUGUSTUS IM OKTOBER VERKÜNDET.
- VORBEREITUNGEN DER HEILIGEN JUNGFRAU ZU CHRISTI
GEBURT.
Die wirkliche Jahreszeit von Christi Geburt,
wie ich sie immer sehe, ist vier Wochen früher,
als die Kirche sie feiert; sie muß auf St.-Katharinä-Fest
treffen. Ich sehe Mariä Verkündigung immer am
Ende des Februars.
Schon am Ende des Oktobers sah ich im gelobten
Lande eine Volkszählung und Steuerzahlung, welche
der Kaiser befohlen hatte, bekanntmachen. Seitdem
sah ich viele Leute im Lande hin und wieder
reisen.
ANNAS HAUS BEI
NAZARETH - VORBEREITUNGEN ZU CHRISTI GEBURT
Sonntag, den 11. November 1821.
Schon seit einer Reihe von Tagen sehe ich die
heilige Jungfrau bei ihrer Mutter Anna, deren
Haus etwa eine Stunde weit von Nazareth im Tale
Zabulon liegt. In ihrer Wohnung zu Nazareth
ist nur ihre Magd zurückgeblieben, welche für
den heiligen Joseph sorgt, wenn Maria bei Anna
ist. Sie hatten überhaupt, solange Anna lebte,
keine entschieden getrennte Haushaltung, sondern
empfingen immer ihre Lebensmittel von dieser.
lch habe jetzt schon seit ein paar Wochen die
heilige Jungfrau mit Vorbereitungen zu der Geburt
Christi beschäftigt. Sie näht und stickt an
Teppichen, Binden und Tüchern. Es ist alles
überflüssig bereitet.
Der Vater Joachim lebt nicht mehr da, ich sehe
einen anderen Mann im Hause. Anna hat wieder
geheiratet. Ihr Mann hatte ein Amt am Tempel
in Bezug auf Opfervieh. Ich sah, daß Anna ihm
Speise hinaus zu den Herden sendete, kleine
Brote und Fische in einem ledernen Sacke, der
in mehrere Fächer geteilt war. — Es ist ein
ziemlich erwachsenes Mägdlein von etwa sieben
Jahren im Hause, welches der heiligen Jungfrau
zur Hand geht und von ihr belehrt wird. Ich
meine, es ist vielleicht ein Töchterchen der
Maria Kleophä. Es hieß auch Maria. — Joseph
ist nicht in Nazareth, er muß aber bald kommen,
er ist auf dem Rückwege von Jerusalem, wohin
er Opfervieh gebracht hat.
Ich sah die heilige Jungfrau in dem Haus. Sie
war hohen Leibes und saß mit mehreren anderen
Frauen in einer Stube arbeitend. Sie bereiteten
mancherlei Geräte und Decken zur Niederkunft
Mariä. — Anna war eine ganz wohlhabende Herden-
und Weidebesitzerin. Sie stattete die heilige
Jungfrau mit allem, was die Gewohnheit ihres
Standes erforderte, reichlich aus. Da sie glaubte,
Maria würde bei ihr ihre Niederkunft halten,
und alle Verwandten würden sie dort heimsuchen,
so bereitete sie alles zur Geburt des Kindes
der Verheißung auf das köstlichste; dazu gehörten
auch besonders schöne Decken und Teppiche.
Ich habe eine solche Decke auch bei der Geburt
Johannes' im Hause der Elisabeth gesehen. Sie
war mit allerlei Sinnbildern und Sprüchen durchnäht,
und in ihrer Mitte war eine Art von Hülle befestigt,
in welche die Wöchnerin sich einhüllen konnte,
so daß sie, wenn die einzelnen Teile dieser
Hülle gehörig mit Schlingen und Knöpfen um sie
befestigt waren, wie in einem Schiffchen oder
wie ein Wickelkind in seine Hülle eingepaßt,
bequem zwischen Polstern aufrecht sitzen konnte,
wenn sie von Freundinnen besucht ward, die auf
dem Rande des Teppichs um sie her saßen.
Solche Geräte wurden, außer mancherlei Binden
und Windeln für das Kind selbst, auch hier in
Annas Haus bereitet. Ich sah selbst Gold- und
Silberfäden hie und da eingenäht. — Nicht alle
die Decken und Geräte waren für den eigenen
Gebrauch, vieles war zu Geschenken für die Armen
bestimmt, welche bei so freudigen Ereignissen
immer bedacht wurden.
Ich sah aber die heilige Jungfrau und andere
Frauen an der Erde um einen großen Kasten herum
sitzen und vermittelst zweier Stäbchen, worauf
bunte Fäden gewickelt waren, an einer solchen
großen Decke stricken oder wirken, welche zwischen
ihnen in dem Kasten ruhte. — Die Mutter Anna
war sehr geschäftig; sie ging hin und wieder,
Wolle zu holen und auszuteilen und den Mägden
ihre Arbeiten zu bestimmen.
JOSEPH ERMAHNT, MIT MARIA NACH BETHLEHEM ZU
REISEN
Montag, den 12. November.
Joseph wird heute wieder in Nazareth ankommen.
Er war in Jerusalem, wohin er Opfervieh getrieben.
Er hat es in jener kleinen Herberge, eine Viertelstunde
vor Jerusalem gen Bethlehem zu, eingestellt.
Ein paar alte, fromme, kinderlose Eheleute hielten
da Haus. Es war so eine Einkehr für stille,
vertraute Leute. — Joseph ist von da nach Bethlehem
gegangen, hat aber seine Verwandte dort nicht
besucht. Er wollte sich nur dort wegen einer
Volkszählung und Steuer erkundigen, derenthalben
jedermann in seinen Geburtsort reisen mußte.
Er ließ sich aber noch nicht aufschreiben, denn
er war Sinnes, nach den Tagen der Reinigung
Mariä mit ihr von Nazareth zum Tempel nach Jerusalem
zu reisen und von da nach Bethlehem zu ziehen,
um sich dort häuslich niederzulassen. Ich weiß
jetzt nicht bestimmt, welcher Vorteile wegen,
aber er war nicht gern in Nazareth. Er sah sich
deshalb die Gelegenheit in Bethlehem an und
erkundigte sich um Steine und Zimmerholz, denn
er hatte im Sinn, sich dort eine Wohnung zu
bauen. Als er sich erkundigt hatte, kehrte er
in die Herberge vor Jerusalem zurück, brachte
sein Opfer am Tempel und eilte in seine Heimat.
Als er heute um die Mitternachtsstunde über
das Feld Ehimki, sechs Stunden von Nazareth,
wanderte, erschien ihm ein Engel und ermahnte
ihn, sogleich mit Maria nach Bethlehem zu ziehen,
denn dort solle sie ihr Kind gebären. — Er bestimmte
ihm auch alles, was sie zum Gebrauch mit sich
nehmen sollte, und zwar nur weniges und geringes
Geräte und namentlich keine gestickten Decken.
— Auch solle er außer dem Esel, worauf Maria
sitze, eine einjährige Eselin mitnehmen, welche
noch nicht geworfen habe. Diese solle er frei
mitlaufen lassen und immer den Wegen folgen,
welche sie einschlagen werde.
Heute Abend ging Anna mit der heiligen Jungfrau
nach Nazareth, sie wußten wohl, daß Joseph ankommen
werde. Sie scheinen jedoch nicht zu wissen,
daß Maria nach Bethlehem von Annas Gut aus reisen
werde; sie glaubten wohl, Maria werde ihr Kindlein
in ihrem Hause zu Nazareth zur Welt bringen,
denn ich sah, daß man ihnen mehreres der bereiteten
Geräte, in Taschen verpackt, dahin trug. Ich
sah unter anderem mehrere Hüllen von blauem
Zeug darunter, woran sich Kapuzen befanden.
Ich glaube, sie waren bestimmt, das Kindlein
darin einzuschlagen. — Joseph kam abends auch
in Nazareth an.
NAZARETH - JOSEPH VERKÜNDET MARIA DAS GEBOT
DES ENGELS.
- ABREISE DER HEILIGEN FAMILIE GEN BETHLEHEM
Dienstag, den 13. November.
Heute sah ich die heilige Jungfrau und die Mutter
Anna im Hause zu Nazareth, wo Joseph ihnen eröffnete,
was ihm in der vorigen Nacht verkündet worden
war. — Sie kehrten hierauf nach Annas Wohnhaus
zurück, und ich sah, daß sie sich zu schneller
Abreise rüsteten. — Anna war bekümmert darüber.
— Die heilige Jungfrau hatte wohl gewußt, daß
sie ihr Kind in Bethlehem gebären solle, sie
hatte aber aus Demut geschwiegen.
Sie wußte es aus den Schriften der Propheten
über die Geburt des Messias, die sie alle in
ihrem Schränkchen zu Nazareth aufbewahrte. Sie
hatte sie von ihren Lehrerinnen am Tempel empfangen
und sich von diesen heiligen Frauen darin unterrichten
lassen. Sie las sehr oft darin und flehte um
die Erfüllung derselben. Immer rief ihr sehnsüchtiges
Gebet nach der Ankunft des Messias, immer pries
sie diejenige zum voraus selig, welche das heilige
Kind gebären sollte und wünschte nur, ihr als
die ärmste Magd dienen zu dürfen, nie gedachte
sie in ihrer Demut, daß sie es selbst sein könne.
— Da sie nun aus jenen Prophetenstellen wußte,
daß der Heiland in Bethlehem geboren werden
sollte, fügte sie sich um so freudiger dem göttlichen
Willen und trat die Reise an, welche für sie
in dieser Jahreszeit beschwerlich war, denn
es war bereits in den Tälern zwischen den Gebirgen
oft empfindlich kühl.
Ich sah heute Abend Joseph und die heilige Jungfrau,
begleitet von Anna, Maria Kleophä und einigen
Knechten, vom Hause Annas abreisen. Maria saß
auf dem bequemen Quersattel eines Esels, der
auch noch ihr Gepäck trug. Joseph führte den
Esel. Es wurde ein zweiter Esel mitgeführt,
auf welchem Anna zurückkehren wollte. Ihr Mann
war bei der Abreise auf dem Feld.
FELD GINIM. - AUF ANNAS WEIDE WIRD
DEN REISENDEN DIE JUNGE ESELIN GEGEBEN. ANNA
UND MARIA KLEOPHÄ KEHREN ZURÜCK. DIE HEILIGE
FAMILIE KEHRT AUF EINEM GUTE DES LAZARUS BEI
DER STADT GINIM EIN.
Der Verwalter ist ihnen vertraut
Mittwoch, den 14. November.
Heute morgen sah ich die heiligen Reisenden
auf dem Gefilde, Ginim
80
genannt, sechs Stunden von Nazareth angelangt,
wo der Engel dem heiligen Joseph vorgestern
erschienen war. Axma hatte hier ein Weidefeld,
und die Knechte mußten hier die einjährige Eselin
holen, welche Joseph mitnehmen sollte. Sie lief
bald vor, bald neben dem Zuge. — Anna und Maria
Kleophä nahmen hier einen rührenden Abschied
von den heiligen Reisenden und kehrten mit den
Knechten wieder nach Haus.
Die heilige Familie sah ich weiter ziehen, und
zwar gegen das Gebirge Gilboa aufsteigend. Sie
zogen durch keine Stadt und folgten der jungen
Eselin, welche immer einsame Seitenpfade einschlug.
— So sah ich sie in einem hochgelegenen Gute
des Lazarus, nicht weit von der Stadt Ginim
81,
gen Samaria zu einkehren. Der Verwalter nahm
sie freundlich auf. Er kannte sie von anderen
Reisen her. Ihre Familie war mit Lazarus vertraut.
— Es sind schöne Obstgärten und Alleen hier.
Es liegt so hoch, daß man vom Dache eine sehr
weite Aussicht hat. Lazarus hat es von seinem
Vater geerbt; unser Herr Jesus ist in seinem
Lehrwandel öfters dort verweilt und hat in der
Gegend gelehrt. — Der Verwalter und seine Frau
unterhielten sich ganz freundlich mit der heiligen
Jungfrau und wunderten sich, wie sie in ihrer
Lage die weite Reise habe unternehmen mögen,
da sie doch zu Hause bei der Mutter Anna alles
so bequem hätte haben können.
80 Sie sagt,
dieses Gefild Ginim ist mehrere Stunden groß
und hat eine birnenförmige Gestalt. Ein anderes
Feld Gimmi liegt näher bei Nazareth bei einem
hochgelegenen Hirtenorte Gimmi oder Gimchi,
wo Jesus vom 7. bis 9. September vor seiner
Taufe bei Hirten gelehrt hat, die Aussätzige
bei sich versteckt hatten. Er hat auch dort
seine wassersüchtige Wirtin geheilt und ist
von den Pharisäern verhöhnt worden. Von diesem
Orte noch mehr nach der anderen Seite entfernt,
liegt südwestlich von Nazareth, jenseits des
Kison-Flüßchens, ein Aufenthalt der Aussätzigen,
zerstreute Hütten um einen Teich, der durch
einen Ausfluß des Kisons gebildet wird. Hier
heilte Jesus am 30. September vor der Taufe.
Das Feld Ginim, wodurch die heilige Familie
heute gezogen, ist von obigem Feld Gimmi durch
ein Flüßchen oder Flußbett getrennt. Die Namen
sind so ähnlich, ich kann sie leicht verwechselt
haben.
81 Von diesem
Ort scheint heutzutage noch eine Spur im Gimäa,
welches diese Lage hat und bei den Reisenden
Ginin, Ginim, Gilin, Genin, Jenin, Schenan,
Chilin oder auch Dschenin genannt wird. Es liegt
am Fuße des Gebirges Gilboa, vier deutsche Meilen
nordöstlich von Samaria, nach anderen eine halbe
Tagesreise von Sichern, nach Brochart sieben
deutsche Meilen vom Jordan.
NACHTREISE. - RAST AN DER TEREBINTHE
ABRAHAMS. - MARIA FRIERT.
- FALSCHE HOFFNUNGEN JOSEPHS. -
WIE DIE ESELIN DEN WEG ZEIGT.
Donnerstagnacht auf Freitag, den 15.—16. November.
Ich sah die heilige Familie einige Stunden weiter,
als der vorige Ort, in der Nacht durch ein sehr
kaltes Tal gegen einen Berg zu ziehen. Es war,
als habe es gereift. Die heilige Jungfrau hatte
empfindlich kalt und sprach zu Joseph: „Wir
müssen ruhen, ich kann nicht weiter ziehen."
— Kaum hatte sie dieses gesagt, so stand auch
die mitlaufende Eselin unter einem nahe stehenden
großen und alten Terebinthenbaume still, in
dessen Nähe sich ein Brunnen befand. — Unter
diesem Baume hielten sie an; Joseph breitete
von Decken einen Sitz für die heilige Jungfrau,
der er von dem Lasttiere herab half, und die
sich an dem Baume niedersetzte, an dessen untere
Zweige Joseph ein Licht in einer Leuchte hängte,
welche er bei sich führte. Ich sah dieses oft
von nächtlichen Reisenden dort im Lande so machen.
Die heilige Jungfrau flehte innig zu Gott, er
möge sie doch nicht durch die Kälte Schaden
leiden lassen. Da durchdrang sie auf einmal
eine so große Wärme, daß sie dem heiligen Joseph
ihre Hände darreichte, die seinigen daran zu
erwärmen. Sie erquickten sich hier etwas mit
kleinen Brötchen und Früchten, die sie bei sich
hatten, und tranken von dem Wasser des nahen
Brunnens mit Balsam gemischt, den Joseph in
einem Krüglein mit sich führte. — Joseph sprach
gar tröstlich mit der heiligen Jungfrau, er
ist so gut, es tut ihm so leid, daß die Reise
so beschwerlich ist. — Als sie über Kälte klagte,
sagte er ihr von der guten Unterkunft, die er
in Bethlehem für sie zu finden hoffe. Er wisse
ein Haus bei sehr guten Leuten, wo sie um geringe
Vergütung bequemen Raum finden würden. Es sei
besser, etwas zu zahlen, als umsonst zu wohnen.
Er lobte ihr Bethlehem überhaupt und tröstete
sie auf alle Weise. — Mich beunruhigte das,
weil ich wohl wußte, es würde ganz anders kommen.
So war denn auch bei diesem heiligen Manne menschliche
Hoffnung.
Sie sind auf ihrer Reise bis jetzt über zwei
kleine Flüßchen gekommen, das eine überschritten
sie auf einem hohen Steg, und die beiden Esel
wateten hindurch. Die junge, frei mitlaufende
Eselin lief ganz seltsam um die Reisenden her.
Auf geschlossenen Wegen, etwa zwischen Bergen,
wo man nicht irren konnte, lief die Eselin bald
hinter ihnen her, bald weit voraus. Wo sich
aber der Weg teilte, erschien sie immer wieder
und schlug den rechten Weg ein, und wo sie rasten
sollten, stand sie stille, so wie hier an der
Terebinthe. — Ich weiß jetzt nicht, ob sie die
Nacht unter dem Baume zugebracht oder noch eine
andere Herberge erreicht haben.
Diese Terebinthe war ein sehr alter heiliger
Baum des Haines Moreh bei Sichem; Abraham, in
das Land Kanaan ziehend, hatte hier eine Erscheinung
des Herrn, der ihm dieses Land für seine
Nachkommen verhieß. Da baute er hier unter der
Terebinthe einen Altar. —Ehe Jakob nach Bethel
zog, dem Herrn zu opfern, begrub er unter dieser
Terebinthe alle fremden Götzenbilder Labans
und die Geschmeide, welche seine Familie bei
sich führte. — Josua errichtete unter dieser
Terebinthe die Stiftshütte, worin die Bundeslade,
und ließ das darum versammelte Volk den Götzen
entsagen. — Hier ward Abimelich, der Sohn Gideons,
von den Sichemiten als König begrüßt.
Zwei Stunden
Südlich von der Terebinthe. - In
einem Bauernhofe abgewiesen, kehren sie in einem
offenen Schoppen ein. - Örtlichkeit.
- Die Frau des Bauern bringt Speise.
- Nach
einer Stunde bergan kommen sie zum Sabbath in
eine grosse Herberge,
- Örtlichkeit.
- Sie wohnen in einem Schoppen, wo Joseph
den Sabbat hält.
Freitag, den 16. November.
Heute sah ich die heilige Familie an einem großen
Bauernhofe ankommen, etwa zwei Stunden südlicher
als der vorige Baum. — Die Hausfrau war abwesend,
und der Mann wies den heiligen Joseph ab, er
könne wohl noch weiter kommen. Als sie nun noch
eine Strecke fortgezogen waren, fanden sie die
Eselin in einem leeren Hirtenschoppen gelaufen,
wo sie nun auch einkehrten. — Einige Hirten,
welche dort mit Ausräumen beschäftigt waren,
erwiesen sich sehr freundlich gegen sie und
gaben ihnen Stroh, kleine Schilf- und Reiserbündel,
um Feuer zu machen. Diese Hirten gingen auch
nach dem Hause, wo sie abgewiesen worden waren,
und da sie der heimkehrenden Frau des Hauses
erzählten, was für ein liebreicher, frommer
Mann Joseph, und wie schön und wunderbar heilig
sein Weib sei, verwies sie es ihrem Manne, daß
er so gute Leute abgewiesen habe. — Ich sah
auch, daß die Frau sich gleich dem Aufenthaltsorte
der heiligen Familie nahte, aber blöde hinein
zu treten wieder heimkehrte, um etwas Speise
zu holen.
Der Ort, wo sie jetzt waren, lag an der Nordseite
eines Berges, ungefähr zwischen Samaria und
Thebez. Beinahe gegen Morgen von hier, jenseits
des Jordans, liegt Succoth und etwas mittäglicher
auch jenseits Ainon, diesseits aber Salim. Es
mag hier wohl 12 Stunden von Nazareth sein.
Nach einer Weile kam die Frau nebst zwei Kindern
zu der heiligen Familie mit einigen Nahrungsmitteln.
Sie entschuldigte sich freundlich und war gerührt,
und nachdem sie sich erquickt und geruht hatten,
kam auch der Mann und bat Joseph um Vergebung,
daß er ihn abgewiesen. — Er riet ihm auch, noch
eine Stunde weiter bergan zu ziehen, wo er noch
vor Eintritt des Sabbats in eine gute Herberge
kommen und dort den Sabbat bleiben könne. Nun
reisten sie ab.
Nachdem sie nun noch etwa eine Stunde Weges
ansteigend zurückgelegt hatten, kamen sie zu
einer ziemlich ansehnlichen Herberge, die aus
mehreren Gebäuden, von Lustgärten und Bäumen
umgeben, bestand. Es waren auch Balsamstauden
an Spalieren daselbst. Doch lag die Herberge
noch an der Nordseite.
Die heilige Jungfrau war abgestiegen, Joseph
führte den Esel; sie nahten sich dem Hause,
Joseph bat den heraustretenden Wirt um Herberge,
dieser aber entschuldigte sich, weil sein Haus
voll von Menschen sei. — Die Frau des Wirtes
trat auch herzu, und als nun die heilige Jungfrau
dieser nahte und so demütig und innig um Herberge
bat, ward die Frau von tiefer Rührung ergriffen,
und auch der Wirt konnte nicht widerstehen.
Er machte ihnen in einem nahe liegenden Schoppen
einen bequemen Raum und stellte ihr Lasttier
in einen Stall. — Die Eselin war hier nicht
zugegen, sie lief in der Gegend frei umher;
wo sie keinen Weg zu zeigen hatte, war sie immer
abwesend.
Joseph bereitete hier seine Sabbatlampe und
hielt unter derselben betend mit der heiligen
Jungfrau den Sabbat gar rührend und fromm, sie
aßen auch noch einige Bissen und ruhten dann
auf ausgebreiteten Matten.
Vorige Herberge. - Sabbatfeier.
- Die heilige Jungfrau lehrt die Kinder
des Wirtes.
- Joseph geht mit ihm spazieren.
Sabbat, den 17. November.
Heute den ganzen Tag sah ich die heilige Familie
hier verweilen. Sie beteten zusammen.
Ich sah die Frau des Hauses mit ihren drei Kindern
bei der heiligen Jungfrau, und auch die Frau
des vorigen Wirtes kam mit ihren zwei Kindern
hierher und besuchte sie. Sie saßen recht traulich
zusammen und waren von der Zucht und Weisheit
Mariä sehr gerührt und hörten ihr mit großer
Rührung zu, als sie sich viel mit den Kindern
unterhielt und sie lehrte.
Die Kinder hatten kleine Pergamentrollen, daraus
ließ Maria sie lesen und sprach so lieblich
mit ihnen darüber, daß die Kinder ihre Augen
gar nicht von ihr wenden konnten. Das war so
süß zu sehen und noch süßer zu hören.
Den heiligen Joseph aber sah ich mit dem Wirte
nach Mittag in der Gegend umherwandeln und die
Gärten und Felder besehen und erbaulich reden.
Wie ich das immer von frommen Leuten des Landes
am Sabbat sehe. Sie blieben auch die folgende
Nacht hier.
WEITERREISE SÜDÖSTLICH. - ANBLICK
DES TEMPELS AUF GARIZIM. - ABENDS.
- EINKEHR IN EINEM GROSSEN HIRTENHAUS
EINE STUNDE SÜDÖSTLICH VON SICHEM. -
ÖRTLICHKEIT. - WAS KÜNFTIG DURCH
JESUM HIER GESCHAH.
Sonntag, den 18. November.
Die guten Herbergsleute hier haben die heilige
Jungfrau ungemein lieb gewonnen und haben ein
zärtliches Mitleid mit ihr in ihrer Lage gehabt.
Sie baten sie freundlich, hier zu bleiben und
ihre Niederkunft hier zu erwarten. Sie zeigten
ihr auch eine bequeme Stube, welche sie ihr
einräumen wollten. Die Frau bot ihr von ganzem
Herzen alle Pflege und Liebe an.
Sie traten aber früh ihre Reise wieder an und
zogen an der Südostseite des Gebirges in einem
Bergtale hinab. Sie entfernten sich nunmehr
von Samaria, auf welches ihre frühere Reise
hinzulenken schien. — Wie sie hinab zogen, konnten
sie den Tempel auf dem Berge Garizim sehen.
Man sieht ihn weit aus der Ferne. Es sind viele
Figuren von Löwen oder anderen Tieren auf dem
Dach, welche in der Sonne weiß blinken.
Ich sah sie nun heute etwa sechs Stunden weit
reisen und gegen Abend, ungefähr eine Stunde
weit zwischen Mittag und Morgen von Sichern,
in dem Felde in einem ansehnlichen Hirtenhause
einkehren, wo sie gut aufgenommen wurden.
Der Mann des Hauses war ein Aufseher über Baumgärten
und Felder, die zu einer nahe liegenden Stadt
gehörten. Das Haus lag noch nicht ganz in der
Ebene, sondern an einem Abhang.
— Hier war alles in besserem, fruchtbarerem
Stande als in der früheren Reisegegend, denn
hier war die Sonnenseite, was in dem gelobten
Lande in dieser Jahreszeit einen bedeutenden
Unterschied macht. — Es lagen viele ähnliche
Hirtenwohnungen von hier bis Bethlehem in den
verschlungenen Tälern zerstreut.
Diese Leute hier gehörten zu jenen Hirten, mit
deren Töchtern sich mehrere vom Zuge der heiligen
drei Könige zurückgebliebenen Knechte verheirateten,
und aus solcher Verbindung war ein Knabe, welchen
unser Herr in seinem zweiten Lehrjahre, am 31.
Juli = 7 Ab, nach dem Gespräche mit der Samariterin
hier in dem Hause, auf Fürbitte der heiligen
Jungfrau, geheilt hat. — Jesus nahm ihn nebst
zwei anderen Jünglingen zum Begleiter auf seiner
Reise nach Arabien, nach Lazari Erweckung, und
er ward später ein Jünger. — Jesus hat sich
oft hier aufgehalten und gelehrt. Es waren Kinder
hier im Hause. Joseph segnete sie vor seiner
Abreise.
FORTSETZUNG DER REISE. - ÜBER DIE
ART ZU REISEN. - SECHS STUNDEN SÜDLICHER
VON EINEM BAUERN GROB ABGEWIESEN, RUHEN SIE
IN EINEM OFFENEN SCHOPPEN. - ÜBER
DEN WEG BIS HIERHER.
Montag, den 19. November.
Heute sah ich sie mehr auf ebenem Wege ziehen.
Die heilige Jungfrau geht manchmal zu Fuß. öfter
rasten sie an bequemen Stellen und erquicken
sich. Sie haben kleine Brote bei sich und ein
kühlendes und zugleich stärkendes Getränk, in
kleinen, ganz zierlichen Krügen, die
zwei Ohren haben und wie Erz bräunlich glänzen.
Es ist Balsam, sie mischen ihn ms Wasser. Sie
sammeln auch öfters Beeren und Früchte, welche
an manchen sonnigen Stellen noch an den Bäumen
und Sträuchern hängen.
Der Sitz Mariä auf dem Esel hat rechts und links
eine Schwelle, auf welcher die Füße unterschlagen
ruhen, so daß sie nicht herabhängen, wie man
bei uns zulande reitet. Die Bewegung ist höchst
ruhig und ehrbar. Sie sitzt abwechselnd zur
linken und rechten Seite des Lasttieres.
Das erste, was Joseph bei jeder Ruhestelle und
jeder Einkehr tut, ist der heiligen Jungfrau
eine bequeme Sitz- und Ruhestelle zu bereiten.
Er wäscht sich oft die Füße, auch Maria wäscht
sich oft die Füße. Sie waschen sich überhaupt
öfter.
Es war bereits dunkel, als sie an einem einzeln
liegenden Hause ankamen. Joseph pochte und bat
um Herberge. Der Mann des Hauses aber wollte
nicht öffnen, und als Joseph die Lage Mariä
vorstellte, welche nicht weiter ziehen könne,
und daß er ja auch die Herberge nicht umsonst
verlange, erwiderte der harte Mann unwillig,
hier sei keine Herberge, er wolle ungestört
sein und das Gepoche nicht leiden, er möge seiner
Wege ziehen. Der unerbittliche Mann öffnete
nicht einmal die Türe, sondern schrie durch
die verschlossene Türe seine harten Reden durch.
So zogen sie nun eine kleine Strecke Wegs weiter
und kehrten in einem Schoppen ein, bei welchem
sie die Eselin stehen fanden. — Joseph machte
Licht und bereitete ein Lager für die heilige
Jungfrau, wozu sie mithalf. Er führte auch den
Esel herein, für welchen er Streu und Futter
fand. Sie beteten, erquickten sich und schliefen
einige Stunden.
Von der letzten Herberge bis hierher mögen ungefähr
sechs Stunden Wegs sein. Sie sind jetzt wohl
26 Stunden von Nazareth und zehn von Jerusalem
entfernt. Sie sind bisher auf keiner großen
Landstraße gereist, haben aber mehrere Handelsstraßen
durchschnitten, welche, vom Jordan her nach
Samaria und in die Heerstraßen laufen, die aus
Syrien nach Ägypten führen. Die Seitenwege,
auf welchen sie zogen, sind sehr schmal und
besonders im Gebirge oft so eng, daß schon ein
Mensch geschickt sein muß, ohne Straucheln darauf
fort zu kommen. Die Esel gehen aber mit großer
Sicherheit darauf. — Die Herberge hier lag eben.
GRENZE VON SAMARIEN UND JUDÄA. -
FEIGENBAUM NORDÖSTLICH VON BETHANIEN, DER KEINE
FRUCHT HAT. - HERBERGE, WO DER MANN
IHRER SPOTTET, DIE FRAU SIE AUFNIMMT.
- HERBERGE BEI REICHEN BAUERN, LAUER EMPFANG.
- WIE JESUS NACH SEINER TAUFE DIESE HÄUSER
BESUCHT. - RICHTUNG DES WEGES, WARUM
SO VIELE EINKEHREN.
Dienstag, den 20. November.
Sie verließen diesen Aufenthalt noch vor Tagesanbruch.
Der Weg ging jetzt wieder etwas
aufsteigend. Ich meine, sie berührten den Weg,
der von Gabara nach Jerusalem führt, und es
war hier die Grenze zwischen Samaria und Judäa.
— Sie wurden an einem anderen Haus nochmals
grob abgewiesen.
Es geschah, als sie mehrere Stunden nordöstlich
von Bethanien waren, daß Maria sehr nach Erquickung
und Ruhe verlangte, da lenkte Joseph wohl eine
halbe Stunde vom Wege ab, wo er einen schönen
Feigenbaum wußte, der sonst immer voll von Früchten
war. Der Baum war von Ruhebänken umgeben. Joseph
kannte ihn von einer früheren Reise. Als sie
aber hinkamen, hatte der Baum gar keine Frucht,
worüber sie sehr betrübt waren. — Mit diesem
Baume ist, wie ich mich dunkel erinnere, später
etwas durch Jesus geschehen. Er trug keine Frucht
mehr, war aber grün; ich meine, der Herr verfluchte
ihn auf einer Reise, da er von Jerusalem geflohen,
und er verdorrte
82.
82 Die Erzählerin
war am 19.—21. so sehr krank, daß sie dies am
22. nachträglich erzählte Ereignis nicht genau
nach seiner Örtlichkeit mitteilen konnte, aber
sie stellte es ungefähr in diese Gegend des
Weges. Es ist übrigens der verfluchte Feigenbaum
des Evangeliums nicht.
Darauf nahten sie einem Hause, wo der Mann anfangs
sehr rauh gegen Joseph war, der demütig Herberge
von ihm begehrte. Er leuchtete der heiligen
Jungfrau ins Angesicht und spottete Josephs,
daß er eine so junge Frau mit sich umher führe,
er möge wohl eifersüchtig sein. Es nahte aber
die Hausfrau und hatte Mitleid mit der heiligen
Jungfrau und wies ihnen mit vieler Freundlichkeit
einen Raum in einem Seitengebäude an und brachte
ihnen auch kleine Brote zur Erquickung. Auch
der Mann bereute seine Unart und ward sehr freundlich
gegen die heiligen Reisenden.
Sie zogen hierauf noch in ein drittes Haus,
es war von jungen Leuten bewohnt, und einen
Greis sah ich an einem Stabe darin umhergehen.
Hier wurden sie leidlich, doch eben auch nicht
besonders freundlich aufgenommen. Man bekümmerte
sich nicht viel um sie. Diese Leute waren keine
recht einfältigen Hirten, sondern wie hierzulande
die reichen Bauern etwas mit der Welt, dem Handel
und dergleichen verwickelt.
Eines dieser Häuser hat Jesus nach seiner Taufe
am 20. Oktober = 1 Tisri besucht und die Ruhestelle
seiner Eltern zu einem Betört ausgeschmückt
gefunden. Ich weiß nicht ganz gewiß, ob es nicht
jenes war, wo der Mann anfangs Joseph verspottete.
Ich erinnere mich dunkel, als hätten die Leute
dies gleich nach den Wundern bei seiner Geburt
so eingerichtet.
Joseph machte jetzt gegen Ende des Weges viele
Einkehren, denn die Reise ward der heiligen
Jungfrau immer beschwerlicher. Sie folgten dem
Weg, den die Eselin einschlug, und machten wohl
einen Umweg von anderthalb Tagen ostwärts von
Jerusalem. — Josephs Vater hatte hier umher
Weidefelder gehabt, und er kannte die Gegend
sehr gut. Wären sie die Wüste hinter Bethanien
durchschneidend gerade mittäglich gezogen, so
hätten sie Bethlehem wohl in sechs Stunden erreicht,
aber dieser Weg war bergig und in dieser Zeit
sehr unbequem; so zogen sie dann der Eselin
durch die Täler nach und näherten sich mehr
dem Jordan.
EINKEHR IM GROSSEN HIRTENHAUS ZWISCHEN JERICHO
UND BETHLEHEM.
- DER HERR DES HAUSES EMPFÄNGT SIE FREUNDLICH,
DIE HAUSFRAU IST VERKEHRT UND KOMMT NICHT ZUM
VORSCHEIN. - JESUS HEILT SIE DREISSIG
JAHRE NACHHER.
Mittwoch, den 21. November.
Heute sah ich die heiligen Reisenden bei vollem
Tage in einem großen Hirtenhause einkehren,
welches etwa drei Stunden von dem Taufplatz
Johannes' am Jordan und etwa sieben von Bethlehem
entfernt sein mag. — Es ist dasselbe Haus, in
welchem nach 30 Jahren Jesus am 11. Oktober
vor dem Morgen, da er zum ersten Male nach seiner
Taufe bei dem Täufer vorüberging, übernachtet
hat. — Neben dem Hause befand sich eine abgesonderte
Scheune, in welcher die Acker- und Hirtengerätschaften
bewahrt wurden. — Es befand sich ein Brunnen
im Hofe, von Bädern umgeben, welche ihr Wasser
durch Röhren des Brunnens empfingen. — Der Hausherr
mußte viel Feld haben, es war eine große Wirtschaft
hier. Ich sah viele Knechte kommen und gehen,
welche hier aßen.
Der Mann des Hauses empfing die Reisenden sehr
freundlich und war sehr dienstwillig. Sie wurden
in einen bequemen Raum geführt, und ihr Esel
wurde gut besorgt. Ein Knecht mußte Joseph an
dem Brunnen die Füße waschen und ihm andere
Kleider anlegen, bis er ihm die seinigen von
Staub gereinigt und glatt gestrichen hatte.
Der heiligen Jungfrau erwies eine Magd dieselben
Dienste. Sie aßen und schliefen hier.
Die Hausfrau war von etwas verkehrter Gemütsart.
Sie wohnte abgesondert und hielt sich zurück.
Sie hatte die Reisenden verstohlen angesehen,
und da sie selbst jung und eitel war, hatte
sie sich an der Schönheit der heiligen Jungfrau
geärgert; dazu kam noch, daß sie fürchtete,
Maria möge sie ansprechen, hier bleiben und
ihre Niederkunft halten zu dürfen, und so hielt
sie sich unfreundlich zurück und beförderte
am folgenden Tage ihre Abreise. — Es ist dieselbe
Frau, die Jesus 30 Jahre nachher am 11. Oktober
nach seiner Taufe hier im Hause blind und zusammen
gekrümmt fand, und nachdem er sie über ihre
Ungastlichkeit und Eitelkeit ermahnt hatte,
geheilt hat. — Es waren auch Kinder in dem Hause.
Die heilige Familie übernachtete hier.
LETZTE HERBERGE ÖSTLICH VON BETHLEHEM, EINEM
ORTE, WORIN JOSEPH VERWANDTE HAT. -
IN DER HERBERGE IST EIN LEICHENFEST. -
SIE SIND GUT BEWIRTET.
Donnerstag, den 22. November.
Heute gegen Mittag sah ich die heilige Familie
von dem gestrigen Herbergshause wieder abreisen.
Einige Bewohner des Hauses begleiteten sie noch
ein Stück Wegs.
Sie kamen nach einer kurzen Reise von etwa zwei
Stunden abendwärts in einen Ort, der in zwei
langen Reihen von Häusern mit Gärten und Vorhöfen
nicht ganz dicht an beiden Seiten einer großen
Landstraße lag. — Joseph hatte hier Verwandte
wohnen. Es waren solche wie Söhne aus Wiederverheiratung
eines Stiefvaters oder einer Stiefmutter. Ich
sah das Haus wohl liegen, es war ganz ansehnlich.
Sie zogen jedoch durch den ganzen Ort durch
und dann wohl eine halbe Stunde rechts, nach
der Richtung von Jerusalem, in ein großes Herbergshaus,
in dessen Hof sich ein großer Springbrunnen
mit vielen Röhren befand. — Es waren viele Menschen
hier versammelt, man feierte ein Leichenfest.
Das Innere des Hauses, in dessen Mitte sich
die Feuerstelle mit einem Rauchfang befand,
war durch Hinweglassung der beweglichen niederen
Holzwände, welche sonst mehrere abgeschlossene
Kammern bildeten, in einen großen Raum verwandelt.
— Hinter dem Herde hingen schwarze Decken nieder,
und vor demselben stand etwas schwarz Verhülltes,
gleich einem Sarge. — Es waren viele Männer
betend darum her versammelt. Sie trugen lange
schwarze Kleider und kürzere weiße darüber,
und einige hatten an einem Arm schwarze gefranste
Manipel niederhängen. — In einem anderen Räume
saßen die Frauen ganz eingehüllt am Boden in
niederen Kasten und trauerten.
Die Herbergsleute selbst, welche mit der Trauer
beschäftigt waren, empfingen sie nur aus der
Ferne. Die Diener des Hauses aber empfingen
sie sehr freundlich und erwiesen ihnen alle
Pflege. Es ward ihnen auch ein abgesonderter
Aufenthaltsraum durch Niederlassen von Matten
zubereitet, welche in die Höhe gerollt waren,
so daß sie sich wie in einem Gezelte befanden.
— Es waren in diesem Hause viele Betten an den
Wänden aufgerollt und konnten durch Niederlassen
von Matten viele abgesonderte Zellen bereitet
werden.
Ich sah später die Hausleute die heilige Familie
besuchen und sich freundlich mit ihr unterhalten.
Sie hatten die weißen Überwürfe nicht mehr über
die schwarzen Kleider an. — Nachdem Joseph und
Maria sich erquickt und wenig Speise zu sich
genommen, beteten sie zusammen und begaben sich
zur Ruhe.
LETZTE WEGSTRECKE GEGEN BETHLEHEM. -
GUTER WILLE DER HERBERGSLEUTE.
- FALSCHE HOFFNUNG JOSEPHS VON BETHLEHEM.
Freitag, den 23. November.
Heute gegen Mittag reisten Joseph und Maria
von hier nach Bethlehem, wohin etwa noch drei
Stunden Wegs waren, ab. — Die Hausfrau forderte
sie auf, doch hier zu bleiben. Maria scheine
ja stündlich ihre Niederkunft zu erwarten. Maria
antwortete aber mit niedergelassenem Schleier,
sie habe noch 36 Stunden Zeit. Ich weiß nicht
bestimmt, ob sie nicht 38 sagte.
— Die Frau wollte sie zwar gern behalten, aber
doch nicht im Haus selbst, sondern in einem
anderen Gebäude.
Ich sah bei der Abreise, wie Joseph noch mit
dem Wirte von seinen Eseln sprach. Er lobte
diese Tiere sehr und sagte, er habe die Eselin
noch mitgenommen, um sie im Fall der Not zu
verpfänden.
Als die Wirtsleute noch von der Schwierigkeit
sprachen, Herberge in Bethlehem zu finden, sagte
Joseph, er habe Freunde dort und werde gewiß
gut aufgenommen werden. — Es tut mir immer so
leid, daß er so sicher von guter Aufnahme spricht.
Auch mit Maria sprach er wieder unterwegs davon.
Da sieht man, daß auch so heilige Leute sich
irren können.
BETHLEHEM. - ANKUNFT DER HEILIGEN
FAMILIE. - DIE RÖMISCHE SCHÄTZUNG
IN JOSEPHS VATERHAUS. - JOSEPH WIRD
GESCHÄTZT. - ÜBER DIESE STEUER,
DIE IN DREI FRISTEN BEZAHLT WIRD.
Freitag, den 23. November.
Der Weg von der letzten Herberge bis nach Bethlehem
mochte etwa drei Stunden betragen. Sie zogen
um die Nordseite von Bethlehem herum und nahten
der Stadt von der Abendseite. Sie machten seitab
des Wegs unter einem Baume halt. Maria stieg
von dem Esel und ordnete ihre Kleidung.
Dann ging Joseph nach einem großen Gebäude mit
ihr, welches, von anderen kleinen Gebäuden und
Höfen umgeben, einige Minuten vor Bethlehem
lag. Es standen auch Bäume davor, und es lagerte
vielerlei Volk unter Zelten umher. — Es war
dieses das alte Stammhaus Davids und das ehemalige
väterliche Haus Josephs. Es wohnten auch noch
Verwandte oder Bekannte Josephs darin, aber
sie taten fremd gegen ihn und wollten ihn nicht
recht kennen. Jetzt war hier das Einnahmehaus
der römischen Schätzung.
Joseph zog gleich mit der heiligen Jungfrau,
den Esel am Zaum führend, zu dem Hause, denn
jeder Ankommende mußte sich hier melden, wo
er einen Zettel empfing, ohne welchen er nicht
in Bethlehem eingelassen wurde.
Nach verschiedenen Pausen sagte jetzt die Erzählende
anschauend folgendes: Die junge freilaufende
Eselin geht hier nicht mit ihnen, sie läuft
mittäglich um die Stadt herum, es ist dort etwas
eben, ein Talweg. — Joseph ist in das Haus gegangen.
— Maria ist in einem kleinen Hause am Hof bei
Frauen; sie sind ihr ganz freundlich und geben
ihr Speise . . . Diese Frauen kochen für
die Soldaten ... Es sind römische Soldaten,
sie haben solche Riemen um die Lenden hängen
... Es ist hier recht liebliches Wetter und
gar nicht kalt. Die Sonne scheint auf den Berg
zwischen Jerusalem und Bethanien, man sieht
es recht schön von hier . . . Joseph ist
in einer großen Stube, sie ist nicht ebener
Erde. Sie fragen ihn, wer er sei und sehen auf
langen Rollen nach, deren eine große Menge an
den Wänden hängt. Sie rollen sie ab und lesen
ihm sein Geschlecht vor, auch die Stammlinie
Mariä, er schien nicht zu wissen, daß sie von
Joachim her auch so gerade von David abstammt;
denn er selbst war aus einem früheren Sproß
Davids . . . Der Mann fragte ihn: „Wo hast du
dein Weib? . . ."
Sieben Jahre sind es nun, daß die Leute hier
im Lande wegen allerlei Verwirrungen nicht ordentlich
geschätzt worden sind. Ich sehe die Zahl V.
und II., das macht ja sieben. (Sie bildet diese
Zahl mit den Fingern ab.) Diese Steuer ist schon
ein paar Monate im Gang. Es wurde zwar in den
sieben Jahren hie und da etwas bezahlt, aber
nicht ordentlich. Die Leute müssen noch zweimal
zahlen. Sie bleiben teils drei Monate hier liegen.
Joseph kam etwas spät zur Steuer. Er wurde aber
ganz freundlich behandelt. Er hatte heute noch
nicht gezahlt, aber seine Vermögensumstände
wurden ihm abgefragt, und er erklärte, daß er
keine liegenden Gründe habe und von seinem Handwerk
und der Unterstützung seiner Schwiegermutter
lebe.
Es sind eine große Menge von Schreibern und
vornehmen Beamten im Hause in mehreren Sälen.
Oben sind Römer und auch viele Soldaten. Es
sind Pharisäer und Sadduzäer, Priester, Älteste
und allerlei Art solcher Beamten und Schreiber
da, von jüdischer und römischer Seite. — In
Jerusalem ist keine solche Kommission, aber
an mehreren anderen Orten des Landes, zum Beispiel
in Magdalum am galiläischen See, wohin Leute
aus Galiläa bezahlen müssen und auch Leute von
Sidon, ich meine teils wegen Handelsgeschäften.
Nur jene Leute, welche nicht ansässig sind und
nicht nach ihren liegenden Gründen geschätzt
werden können, müssen nach ihrem Geburtsort
ziehen.
Es wird die Steuer von nun an in drei Monaten
in drei Teilen entrichtet. Jede dieser drei
Zahlung en betrifft einen anderen Zweck. — An
der ersten Zahlung hat der Kaiser Augustus,
Herodes und noch ein König teil, der in der
Nähe von Ägypten wohnt. Er hat etwas im Kriege
getan und hat ein Recht oben im Lande an eine
Gegend, weswegen sie ihm etwas abgeben müssen.
— Die zweite Zahlung hat auf Tempelbau Bezug,
es ist so, als würde eine vorgeschossene Schuld
damit getilgt. — Die dritte Zahlung soll für
die Witwen und Armen sein, die lange nichts
erhalten haben, aber es kommt von allen diesem,
wie auch heutzutage, wenig an den rechten Mann.
Es sind lauter rechte Ursachen und bleibt doch
in den Händen der Großen hängen. Es ist ein
entsetzliches Geschreibe und Getue, ganz wie
ein ...... sches Wesen.
Joseph wurde nun oben entlassen, und als er
hinab kam, ward die heilige Jungfrau auch in
einem Gang vor die Schreiber gerufen, sie lasen
ihr aber nichts vor. Sie sagten auch Joseph,
es sei nicht nötig gewesen, daß er sein Weib
mit sich geführt habe und schienen ihn wegen
ihrer Jugend zu necken. Joseph schämte sich
vor Maria, er fürchtete, sie möge denken, man
achte ihn in seinem Geburtsorte nicht.
HERBERGE IN BETHLEHEM. - BETHLEHEM.
- JOSEPH SUCHT VERGEBLICH HERBERGE.
- MARIA SITZT HARREND UNTER EINEM BAUM.
- SIE ZIEHEN NACH DER KRIPPENHÖHLE VOR
BETHLEHEM.
Sie zogen nun nach Bethlehem hinein, das weit
auseinander liegend gebaut war. Der Eingang
war zwischen zerbrochenem Mauerwerk wie auch
ein zerstörtes Tor. — Maria hielt bei dem Esel
gleich am Anfang der Straße still, und Joseph
suchte schon in den ersten Häusern vergeblich
ein Unterkommen, denn es waren sehr viele Fremdlinge
in Bethlehem, und alles lief hin und her. Joseph
kehrte zurück und sagte Maria, wie hier keine
Herberge zu finden sei, sie wollten weiter in
die Stadt ziehen. Er führte den Esel am Zaume
vorwärts, und die heilige Jungfrau ging neben
ihm her. — Wenn sie an den Eingang einer anderen
Straße kamen, hielt Maria wieder bei dem Lasttier
still, und Joseph forschte abermals vergeblich
von Haus zu Haus nach einem Unterkommen und
kehrte abermals betrübt zurück. Dieses wiederholte
sich mehrmals, und die heilige Jungfrau mußte
oft lange harren. — Überall war es voll Menschen,
überall wurde er abgewiesen, und er sagte nun
zu Maria, sie wollten nach einer anderen Seite
von Bethlehem ziehen, da würden sie gewiß Herberge
finden. So zogen sie dann ein Stück Wegs in
der Richtung, in welcher sie gekommen waren,
zurück und dann mittagwärts.
Sie zogen ganz schüchtern durch die Straße,
welche mehr einem Landweg glich, denn die
Häuser lagen an Hügeln hinangebaut. Auch hier
war sein Suchen vergebens.
Auf der anderen Seite von Bethlehem, wo die
Häuser schon zerstreuter lagen, kamen sie an
einen tieferliegenden freien Platz, er war wie
ein Feld. Es war hier etwas einsamer. Es stand
hier eine Art Schoppen und nicht weit davon
ein großer ausgebreiteter Baum, welcher gleich
einer breiten Linde Schatten darbot. Der Stamm
war glatt, und die Äste breiteten sich wie ein
Dach umher.
Zu diesem Baume führte Joseph die heilige Jungfrau
und bereitete ihr unten an dem Stamme einen
bequemen Sitz von den Reisebündeln, damit sie
da ruhen könne, während er noch in den Häusern
umher Herberge suchte. — Der Esel stand mit
dem Kopfe gegen den Baum gekehrt.
Maria lehnte sich anfangs aufrechtstehend an
den Baum. Ihr wollweißes weites Kleid war gürtellos
und hing faltig um sie her. Ihr Haupt war weiß
verschleiert. Viele Menschen gingen vorüber,
schauten nach ihr hin und wußten nicht, daß
ihnen der Erlöser so nahe war. Sie war so geduldig,
so erwartungsvoll und demütig. Ach, sie mußte
gar lange warten und setzte sich mit unterschlagenen
Füßen auf die Decke nieder. So sitzend, hatte
sie die Hände unter der Brust gekreuzt, und
ihr Haupt "war gesenkt.
Joseph kehrte betrübt zu ihr, er hatte keine
Herberge gefunden. Seine Freunde, von welchen
er zu der heiligen Jungfrau gesprochen, wollten
ihn kaum kennen. Er weinte, und Maria tröstete
ihn. Er suchte nochmals von Haus zu Haus; da
er aber überall die nahe Entbindung seiner Frau
als einen Hauptbeweggrund seiner Bitte anführte,
wiesen sie ihn noch entschiedener ab.
Die Gegend war zwar einsam, aber zuletzt standen
dort Vorübergehende still und schauten neugierig
aus der Entfernung nach ihr hin, wie man das
wohl zu tun pflegt, wenn man jemand lange in
der Dämmerung stehen sieht. Ich meine, es redeten
sie sogar einige an und fragten, wer sie sei.
Endlich kehrte Joseph wieder, er war so betrübt,
daß er sich zögernd nahte. Er sagte, es sei
vergebens, aber er wisse vor der Stadt noch
einen Aufenthaltsort, welcher den Hirten gehöre,
und wo sie öfters einzustellen pflegten, wenn
sie mit Vieh zur Stadt kämen. Dort würden sie
in jedem Falle ein Obdach finden. Er kenne den
Ort von seiner Jugend her, wenn seine Brüder
ihn gequält hätten, habe er sich öfters dorthin
zum Gebete zurückgezogen und vor ihnen versteckt.
Wenn auch die Hirten dorthin kommen würden,
so werde er sich leicht mit ihnen abfinden.
Jedoch hielten sie sich in dieser Jahreszeit
nicht viel dort auf. Wenn sie erst in Ruhe sei,
wolle er sich nochmals weiter umsehen.
Sie zogen nun nach der östlichen Seite vor Bethlehem
hinaus auf einem einsamen Fußpfade, der sich
links wendete. Es war so ein Weg, als wenn man
längs den verfallenen Mauern, Gräben und Wällen
einer kleinen Stadt hinzieht. Der Weg stieg
anfangs etwas an, sie kamen auch über einen
Hügel hinab, und an der Morgenseite von Bethlehem,
etwa einige Minuten vor dem Orte an einen Hügel
oder alten Wall, vor welchem auf einem angenehmen
Platz verschiedene Bäume standen. Es war Nadelholz
(Terebinthen oder Zedern), andere Bäume hatten
keine Blätter wie Buchsbaum bei uns. Die Gegend
war derart wie an dem äußersten Ende verfallener
Wälle einer kleinen Stadt.
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Wir wollen nun
so viel wie möglich die Umgebung des Hügels
und die innere Beschaffenheit der Krippenhöhle
nach den wiederholten Angaben der Erzählerin
beschreiben, um die Erzählung späterhin nicht
immer unterbrechen zu müssen.
BESCHREIBUNG DER KRIPPENHÖHLE UND IHRER UMGEBUNG
Neben verschiedenen anderen Höhlen oder Kellergewölben
befand sich in dem südlichen Ende dieses Hügels,
um welches der Weg in das Tal der Hirten sich
wendete, das Gewölbe, wo Joseph Herberge für
die heilige Jungfrau suchte. Von der Abendseite
führte die Tür durch einen schmaleren Gang in
einen sich halb rund, halb dreieckig erweiternden
Raum, welcher morgenwärts in dem Hügel lag.
Die Höhle war natürlicher Fels, und nur an der
Mittagsseite, wo der Weg zu dem Tale der Hirten
herum zog, war einiges mit rohem Mauerwerke
ergänzt.
An dieser Mittagsseite befand sich noch ein
Eingang in die Höhle. Er war aber gewöhnlich
zugesetzt und wurde erst von Joseph wieder zu
seinem Gebrauche geöffnet. Aus dieser Türe heraustretend
und sich links wendend, fand man den breiteren
Eingang in ein tiefer liegendes enges, unbequemes
Gewölbe, welches sich unter die Krippenhöhle
hinzog. Von dem gewöhnlichen Eingang der Krippenhöhle
aus, der gegen Abend sah, konnte man nur einzelne
Dächer und Türme Bethlehems erblicken. Wenn
man sich, aus dieser Türe tretend, rechts wendete,
gelangte man an den Eingang einer tiefer liegenden
dunkleren Höhle, in welcher die heilige Jungfrau
auch einmal verborgen war.
Es war vor dem östlichen Eingang ein leichtes,
auf Pfählen gestütztes Binsendach angebaut,
welches sich auch an der Mittagsseite der Höhle
über den dortigen Eingang hinzog, so daß man
vor der Höhle im Schatten verweilen konnte.
An der mittäglichen Seite hatte die Höhle oben
etwa drei ummauerte vergitterte Licht- und Luftlöcher,
und eine ähnliche Öffnung war in der Decke des
Felsens, die, mit Rasen bedeckt, das Ende der
Anhöhe bildete, auf welcher Bethlehem liegt.
Das Innere der Höhle hatte nach den wiederholten
Beschreibungen der Erzählerin ungefähr folgende
Beschaffenheit. Von der Abendseite trat man
durch die Türe von leichtem Flechtwerk in einen
Gang von mäßiger Breite, der in einem halb eckigen,
halb runden, unregelmäßigen Gewölbe endigte,
welches sich besonders nach der Mittagsseite
hin erweiterte, so daß der Grundriß der ganzen
Höhle einem auf seinem Halse ruhenden Kopfe
verglichen werden kann.
Wenn man aus dem Halse der Höhle, der nicht
so hoch war, in die höhere, von Natur höhlenartig
zugewölbte Grotte trat, kam man auf dem sich
abstufenden (senkenden) Boden tiefer zu stehen;
jedoch war der Boden der ganzen Grotte rings
längs den Wänden erhöht und so gleichsam mit
einer niederen Steinbank von verschiedener Breite
umgeben. Die Wände der Höhle waren, wo sie die
Natur gebildet, wenngleich nicht ganz glatt,
doch angenehm und reinlich und hatten etwas
Anmutiges für mich. Sie gefielen mir besser
als die Ergänzung von rohem und plumpem Mauerwerk,
wie dieses zum Beispiel am oberen Teil der südlichen
Wand des Einganges der Fall war, weil dort etwa
drei Licht- und Luftlöcher hereingebrochen waren.
Oben in der Mitte der Grotte war auch eine Öffnung,
und wenn ich mich recht erinnere, habe ich außerdem
drei schräg einfallende Löcher über der halben
Höhe des Gewölbes von dessen Mittags- bis Morgenseite
verteilt angebracht gesehen.
In der Nordseite des Ganges öffnete sich der
Eingang in eine kleinere Seitenhöhle. An diesem
Eingang vorübergehend traf man auf die Stelle,
wo Joseph sein Feuer anmachte, weiter dann wendete
sich diese Wand nordöstlich in die höhere und
weitere Grotte, und hier auf der breiteren,
den Boden der Grotte umgebenden Steinbank war
der Ort, wo nachher das Lasttier Josephs stand.
Hinter demselben nördlich in den Felsen einspringend,
befand sich noch ein Kellerwinkel ungefähr groß
genug, den Esel aufzunehmen. Es befand sich
Futter in demselben.
Es lenkte sich nun die Wand der Grotte nach
Südost und kreiste dann den Raum erweiternd
nach Süd und kehrte endlich nördlich in den
Eingang der Höhle zurück.
In dem östlichen Punkte dieser Grotte, dem Eingang
in die Höhle gerade gegenüber, befand sich die
heilige Jungfrau, als das Licht der Welt aus
ihr hervorging. — In der mittäglichen Erweiterung
der Grotte stand an deren Abendseite die Krippe,
in welche das Jesuskind gebettet wurde. — Die
Krippe bestand aus einem an der Erde liegenden,
muldenförmig ausgehöhlten Steintrog, der zum
Tränken der Tiere diente, und über demselben
stand ein länglich viereckiger, unten schmälerer,
oben breiterer Behälter, aus Gittern von Holzstäben
bestehend, so auf vier Stollen erhöht, daß die
Tiere bequem das in ihm ruhende Gras oder Heu
fressen und den Kopf senkend das unter ihnen
im Steintrog befindliche Wasser trinken konnten.
Der Krippe gegenüber an der Morgenseite dieses
Teiles der Grotte saß die heilige Jungfrau mit
dem Jesuskinde, als die heiligen drei Könige
ihre Gaben opferten. — Wendet man sich von der
Krippenstelle aus der Grotte westlich wieder
in den sogenannten Hals der Höhle, so kommt
man an der mittäglichen Wand zuerst an dem oben
erwähnten, später von Joseph
wiedereröffneten mittäglichen Eingang vorüber
und trifft dann auf die Kammer des heiligen
Joseph, welche er sich später an der Südseite
durch leichte Flechtwände in diesen Gang abgeschlagen
hat. Es war an dieser Seite eine Vertiefung
in der Wand, in welche er allerlei Geräte beiseite
stellte.
Nach der obigen Beschreibung kann man sich den
Raum der Krippenhöhle etwa in folgendem Grundriss
vorstellen. Die heilige Jungfrau neben der Krippe
sitzend, stellt die dahin bezügliche Skizze
dar.
1. Eingang der Höhle.
2. Abgeschlagener Schlafraum des heiligen Josephs.
3. Eine Seitenhöhle.
4. Feuerstelle.
5. Seiteneingang.
6. Standort des Esels.
7. Futterwinkel.
8. Geburtsort unseres Erlösers.
9. Wo die heiligen drei Könige anbeteten.
10. Standort der Krippe.
11. Eingang in eine tieferliegende Höhle.
12. Eine andere Höhle.
13.Aussen umherlaufendes, auf Pfählen gestütztes
Binsendach.
Längs der Südseite der Krippenhöhle hin lief
der Weg zum Tale der Hirten. Es standen dort
hie und da auf Hügeln kleine Häuser, auch im
Felde zerstreut Schoppen mit Binsendächern auf
vier, sechs oder acht Pfählen, mit Flechtwänden
umstellt. — Gegen Morgen der Höhle senkte sich
der Hügel in ein Sacktal ab, das nördlich geschlossen
und etwa eine halbe Viertelstunde breit war.
Hier waren am Abhang Büsche, Bäume und Gärten,
und wenn man das reiche hohe Gras der Wiese,
in der ein Quell floß, und die reihenweise gepflanzten
Bäume durchschritt und zu der östlichen Höhe
dieses Tales hinging, gelangte man auf diesem
gar anmutigen Weg in südöstlicher Richtung von
der Krippenhöhle in einen vorspringenden Hügel
der Anhöhe zu der Grabhöhle der Maraha, der
Amme Abrahams, auch die Milch- oder Säughöhle
genannt, in welcher die heilige Jungfrau bei
verschiedenen Gelegenheiten mit dem Jesuskinde
verweilte. Über dieser Höhle stand ein großer
Baum, in dem Sitze angebracht waren, und man
konnte von dort die Lage von Bethlehem besser
betrachten als von der Krippe aus.
Ich habe manches vernommen, was im Alten Testament
Vorbedeutendes in der Krippenhöhle geschehen,
wovon mir noch gegenwärtig ist: Seth, das Kind
der Verheißung, ward hier nach siebenjähriger
Buße von Eva empfangen und geboren.
Hier sagte ihr ein Engel, diesen Samen habe
ihr Gott für den Abel gegeben. Auch war Seth
hier und in der Grabhöhle Marahas verborgen
und gesäugt, denn seine Brüder stellten ihm
nach wie Jakobs Söhne dem Joseph. — Da ich oft
in den Höhlen, worin in früheren Zeiten Menschen
wohnten, gesehen habe, daß sie in die Steine
Vertiefungen machten, worin sie und ihre Kinder
auf Tierfellen oder Gras bequem schlafen konnten,
so kann vielleicht die Aushöhlung in der Steinbank
unter der Krippe eine solche Lagerstelle Seths
oder späterer Bewohner gewesen sein. — Doch
weiß ich es im Augenblick nicht gewiß.
Auch erinnere ich mich aus meinen Betrachtungen
der Lehrjahre Jesu, daß der Herr am 6. Oktober
nach seiner Taufe, da er in der von den Hirten
bereits in einen Gebetsort veränderten Krippenhöhle
den Sabbat hielt, den Hirten sagte, sein himmlischer
Vater habe diesen Ort bereits, als Maria empfangen
worden, vorausbestimmt.
DIE GRABHÖHLE MARAHAS, DER AMME ABRAHAMS, AUCH
DIE HÖHLE DER SÄUGENDEN GENANNT.
Abraham hatte eine Amme, Maraha, die er sehr
verehrte; sie erreichte ein hohes Alter, und
er führte sie immer auf seinen Zügen auf einem
Kamele mit sich. In Sukkoth hat sie längere
Zeit bei ihm gelebt. Nachher auch in ihren letzten
Tagen hier im Tal der Hirten, wo er seine Zelte
in der Gegend dieser Höhle hatte. Da sie mehr
als hundertjährig ihrem Tode nahte, verlangte
sie von Abraham in dieser Höhle begraben zu
werden, von der sie Prophetisches aussprach,
und der sie den Namen Milchhöhle oder Höhle
der Säugenden gab.
Es geschah hier etwas Wunderbares, das ich vergessen
habe, und die Quelle entsprang dort. Die Höhle
war damals ein schmaler hoher Gang von weißer,
nicht harter Masse. An der einen Seite verengte
sich ein Lager dieser Masse, welches nicht bis
zur Decke reichte. Wenn man auf dieses Lager
kletterte, konnte man in die Eingänge anderer
höher liegenden Höhlen gelangen. Auch liefen
mehrere tiefe Hohlgänge unterhalb der Höhle
in die Anhöhe.
Die Höhle wurde später dadurch erweitert, daß
Abraham aus der zur Seite liegenden Masse das
Grab Marahas ausarbeitete. Unten lag ein dicker
Steinblock, und darauf ruhte wie ein schwerer
Steintrog auf kurzen dicken Füßen, der oben
wie mit Zacken endete. Man konnte zwischen dem
oberen Kasten und dem unteren Block hineinsehen,
und ich wunderte mich jetzt, zu Jesu Zeit nichts
darin zu sehen.
Diese Höhle mit dem Grabe der Amme hat eine
vorbildliche Beziehung auf die in der Verfolgung
säugende Mutter des Heilandes; denn in der Jugendgeschichte
Abrahams kommt auch eine vorbildliche Verfolgung
vor, und die Amme hat ihm das Leben in einer
Höhle gerettet. — Was ich mich davon noch im
allgemeinen erinnere, ist folgendes: „Dem König
in Abrahams Vaterlande träumte oder ward prophezeit
von einem Kinde, das geboren und ihm gefährlich
werden sollte. Der König traf Maßregeln dagegen.
Die Schwangerschaft der Mutter Abrahams blieb
verborgen; sie gebar ihn heimlich in einer Höhle.
Maraha, die Amme, säugte ihn heimlich. Sie lebte
als eine arme Sklavin arbeitend in einer Wildnis
bei einer Höhle, in welcher sie das Kind Abraham
säugte. Die Eltern nahmen ihn nachher zu sich,
und er galt wegen seiner ungemeinen Größe für
ein vor jener Prophezeiung geborenes Kind. Er
kam aber nachher als Knabe wegen einiger wunderbaren
Äußerungen doch in Gefahr, und die Amme flüchtete
ihn wieder in ein Versteck. Ich sah, wie sie
ihn, unter ihrem weiten Mantel um den Leib gebunden,
heimlich fortbrachte. Es wurden damals viele
Kinder seiner Größe ermordet.
Diese Höhle war schon seit Abrahams Zeiten ein
Ort der Andacht, besonders der Mütter und Säugenden
und dieses in prophetischer Weise; denn man
verehrte in Abrahams Amme vorbildlich ebenso
die heilige Jungfrau, wie Elias dieselbe in
der regenbringenden Wolke gesehen und ihr einen
Ort des Gebetes auf dem Karmel errichtet hat.
— Maraha hat durch ihre Milch zur Ankunft des
Messias beigetragen, indem sie den Stammvater
der heiligen Jungfrau säugte. Sieh, ich kann
es nicht recht aussprechen, aber es war wie
ein tiefer Brunnen durch alles Leben hindurch,
und es wurde immer hineingeschöpft, bis das
klare Wasser Mariä emporstieg. — (So drückte
sich die Erzählerin in ekstatischem Schlafe
hierüber aus.)
Der Baum, der über dieser Höhle stand, war ein
gleich einer großen Linde breiter Schattenbaum,
oben spitz und unten breit. Es war aber eine
Terebinthe. Er trug weiße Körner, die ölig waren,
man konnte sie essen. — Abraham ist unter diesem
Baum schon mit Melchisedek zusammen gewesen.
Ich weiß nicht mehr bei welcher Gelegenheit.
— Joseph hat die Höhle noch mehr erweitert und
die tieferen Fortgänge in ihr geschlossen.
Der Baum steht auf dem Hügel, unten führt eine
schräg liegende Türe in einen Gang oder eine
Art Vorhalle bis zu einer gerade stehenden Türe,
die in das Grab selbst führt, dessen innerer
Raum jetzt mehr rund als viereckig war. In dem
Vorraum hielten sich die Hirten oft auf.
Dieser große alte Baum breitete weiten Schatten.
Er war den Hirten und Leuten umher und auch
frommen Reisenden heilig. Man pflegte dort zu
ruhen und zu beten. Ich weiß die Geschichte
des Baumes jetzt nicht, er hat Bezug auf Abraham,
vielleicht hat er ihn gepflanzt. Es befand sich
eine Feuerstelle dabei, die man verdecken konnte,
auch war ein Brunnen vor dem Baum, aus welchem
die Hirten zu gewissen Zeiten Wasser, als besonders
heilsam, holten. Zu beiden Seiten des Baumes
befanden sich offene Hütten, um darin zu schlafen.
Alles dieses war mit einer Einzäunung umgeben.
Da die Erzählende dieses mitteilte, war sie
in großen Schmerzen, und als der Schreiber zu
ihr sagte: Dieses war also eine Terebinthe?
erwiderte sie in plötzlicher Geistesabwesenheit:
Tenebrae, nicht Terebinthe, unter dem Schatten
deiner Flügel, das ist ein Flügel —- Tenebrae
—, unter deinem Schatten will ich frohlocken.
Der Schreiber verstand die Beziehung dieser
Worte nicht, vielleicht bezog sie die Stelle
eines Psalms auf den Baum, sie schien sich mit
diesen Worten zu trösten. Sie sprach sie mit
großer Innigkeit.
St. Helena hat eine Kirche hier erbaut, es ist
auch Messe hier gelesen worden, ich meine als
in einer dem heiligen Nikolaus geweihten Kapelle.
DIE HEILIGE FAMILIE ZIEHT IN DIE KRIPPENHÖHLE.
- JOSEPH RÄUMT AUF, ZÜNDET DIE LAMPE AN,
SORGT FÜR WASSER UND FEUER, BEREITET SPEISE.
- ER RÜSTET EINE SCHLAFSTELLE FÜR MARIA
UND EINE KAMMER FÜR SICH. - ER GEHT
ZUR STADT, KEHRT SPÄT.
Freitag, den 23. November.
Die Sonne stand schon tief, als sie vor dem
Eingang der Höhle anlangten. Die junge mitlaufende
Eselin, welche gleich schon bei Josephs Vaterhaus
außerhalb der Stadt herum hierher gelaufen war,
kam ihnen gleich bei ihrer Ankunft hier entgegen
und sprang und spielte freudig um sie her; da
sprach die heilige Jungfrau zu Joseph: „Sieh,
es ist gewiß der Wille Gottes, daß wir hier
einkehren."
Joseph aber war sehr betrübt und stille beschämt,
weil er so oft von der guten Aufnahme in Bethlehem
gesprochen hatte. Er stellte das Lasttier unter
das Obdach vor dem Eingang der Höhle und bereitete
der heiligen Jungfrau einen Ruhesitz daselbst,
worauf sie sich niederließ, während er Licht
machte, die leichte Flechttüre der Höhle öffnete
und in dieselbe hineinging. — Der Eingang zur
Höhle war eng, denn es standen viele Bündel
Stroh, gleich Binsen an den Wänden, worüber
braune Matten hingen. Auch hinten in dem eigentlichen
Gewölbe waren mancherlei hindernde Gegenstände.
Joseph räumte soviel als nötig heraus, um der
heiligen Jungfrau eine bequeme Ruhestelle am
östlichen Punkte der Höhle zu bereiten. — Hierauf
heftete er eine brennende Lampe an die Wand
der düsteren Höhle und führte die heilige Jungfrau
hinein, welche sich auf das von Decken und den
Reisebündeln bereitete Lager niederließ. Er
entschuldigte sich gar demütig wegen der schlechten
Herberge; Maria aber war in großer Innigkeit
freudig und zufrieden.
Als sie nun ruhte, eilte Joseph mit einem Schlauche
von Leder, den er bei sich führte, hinter den
Hügel in das Wiesental zu einem sehr schmalen
Bächlein und heftete den Schlauch mit zwei Pflöcken
so in die Quelle, daß er sich mit Wasser füllen
mußte, und brachte dieses zur Krippenhöhle zurück.
— Hierauf ging er zur Stadt, holte kleine Schüsseln,
einige Früchte und Reiserbündelchen.
Der Sabbat nahte, und wegen der vielen Fremden
in der Stadt, die mancherlei ganz Unentbehrliches
bedurften, waren an den Straßenecken Tische
mit den unentbehrlichsten Lebensbedürfnissen
aufgerichtet. Der Wert wurde dabei niedergelegt.
Ich meine, es standen Knechte dabei oder Leute,
die keine Juden waren. Ich weiß es nicht mehr
genau.
Joseph kehrte zurück und brachte in einer Art
verschlossener Gitterkapsel, woran unten ein
Stiel war, glühende Kohlen, die er im Eingang
der Höhle an der nördlichen Wand ausgoß und
ein Feuerchen machte. Diese Feuerkapsel hatte
er wie anderes kleines Geräte auf der Reise
bei sich. Das Holzbündelchen bestand aus dünnen
Knüppeln, welche mit breiten Binsen schön zusammengebunden
waren.
Joseph bereitete nun etwas Speise, die aus einem
Mus von gelben Körnern und einer dicken gekochten
Frucht bestand, welche zum Essen auseinandergeteilt
viele Kerne enthält; auch kleine platte Brote
waren dabei. Nachdem sie gegessen und noch gebetet
hatten, bereitete Joseph der heiligen Jungfrau
ein Lager. Er breitete über eine Streu von Binsen
eine solche Decke, wie ich sie oben als in dem
Hause der Mutter Anna bereitet beschrieben habe,
und legte eine zusammengerollte Decke zu Häupten.
— Nachdem er nun den Esel hereingeführt und
angebunden hatte, wo er nicht hinderte, verstopfte
er die Öffnungen des Gewölbes gegen Zugluft
und richtete sich nun seine eigene Ruhestätte
im Eingang der Höhle ein.
Da nun der Sabbat
eingetreten war, stand er mit der heiligen Jungfrau
unter der Lampe und betete die Sabbatgebete
mit ihr, und dann nahmen sie ihre kleine Mahlzeit
gar auferbaulich zu sich. — Joseph verließ nun
die Höhle und ging zur Stadt. Maria aber hüllte
sich ein, um sich zur Ruhe zu legen. — Während
Josephs Abwesenheit sah ich zum ersten Male
die heilige Jungfrau kniend beten. Sie kniete
auf ihrem Lager und legte sich hierauf auf die
Seite gekehrt auf der Decke nieder. Ihr Haupt
ruhte auf ihrem Arme, der auf dem Wulste lag.
— Joseph kehrte erst spät zurück. Er war betrübt,
ich glaube, er weinte. Er betete noch und legte
sich dann demütig auf sein Lager im Eingang
der Höhle.
MARIA BRINGT DEN SABBATSCHLUSS IN DER GRABHÖHLE
DER MARAHA ZU.
- JOSEPH KAUFT NACH DEM SABBAT GERÄTSCHAFTEN
IN BETHLEHEM.
- ER FÜHRT MARIA IN DIE KRIPPENHÖHLE ZURÜCK,
TRIFFT MEHRERE ANORDNUNGEN UND WIRFT, DA DIE
GEBURT JESU NAHT, SICH IN SEINER ZELLE BETEND
AUF DAS ANGESICHT.
Samstag, den 24. November.
Heute war die Erzählerin sehr krank und konnte
nur weniges mitteilen, dieses aber ist folgendes:
Die heilige Jungfrau brachte den Sabbat in der
Krippenhöhle mit Gebet und Betrachtung in großer
Innigkeit zu. Joseph ging verschiedene Male
aus, wahrscheinlich zur Synagoge in Bethlehem.
Ich sah sie gemeinschaftlich von der am vorigen
Tage bereiteten Speise essen und auch zusammen
beten.
Nachmittag, um welche Zeit die Juden am Sabbat
immer zu lustwandeln pflegen, führte Joseph
die heilige Jungfrau durch das Tal hinter der
Krippenhöhle in die Grabhöhle Marahas, der Amme
Abrahams. — Sie verweilten teils in dieser Höhle,
die geräumiger war als die Krippenhöhle und
wo ihr Joseph einen Sitz bereitete, teils unter
dem bei derselben stehenden heiligen Baum in
Gebet und Betrachtung bis einige Zeit nach dem
Schlüsse des Sabbats, wo Joseph sie wieder abholte.
Maria hatte dem heiligen Joseph gesagt, daß
heute Nacht um Mitternacht die Geburtsstunde
ihres Kindes eintrete, denn dann seien die neun
Monate erfüllt, vor welchen der Engel Gottes
sie begrüßt habe. — Sie hatte ihn gebeten, er
möge doch von seiner Seite alles mögliche tun,
damit sie das von Gott verheißene, übernatürlich
empfangene Kind so gut bei seinem Eintritt in
die Welt ehrten, als sie es vermöchten, auch
möge er doch sein Gebet mit dem ihrigen für
die Hartherzigen vereinigen, die ihnen keine
Herberge hätten gewähren wollen. — Joseph bot
der heiligen Jungfrau an, er wolle ihr ein paar
fromme Frauen, die er in Bethlehem kenne, zum
Beistand rufen. Sie lehnte es aber ab und sagte,
sie bedürfe keines Menschen Hilfe.
Joseph ging vor Schluß des Sabbats nach Bethlehem,
und, sobald die Sonne untergegangen, kaufte
er schnell einige Bedürfnisse, einen Schemel,
ein kleines niedriges Tischchen, einige Schüsselchen,
auch getrocknete Früchte und Trauben und eilte
damit zur Krippenhöhle zurück, worauf er zu
dem Grabe der Maraha lief und die heilige Jungfrau
in die Krippenhöhle zurückführte, wo sie sich
in dem morgendlichsten Winkel auf dem Ruheteppich
niederließ.
Joseph bereitete noch Speisen, sie aßen und
beteten zusammen. Dann aber sonderte er seine
Schlafzelle ganz von dem übrigen Raum dadurch
ab, daß er sie mit einigen Stangen umgab, welche
er mit den Matten überhängte, die er in der
Höhle gefunden hatte. — Er fütterte auch noch
den Esel, der vom Eingange aus links an der
Wand der Krippenhöhle stand. Dann füllte er
den Gitterkorb der Krippe mit Binsen und feinen
Gräsern oder Moos und breitete eine Decke darüber,
die über dem Rand niederhing.
Als nun die heilige Jungfrau zu ihm sprach,
es nahe ihre Zeit, er möge sich zum Gebete in
seiner Kammer absondern, hängte er noch mehrere
brennende Lampen in dem Gewölbe auf und ging,
da er Geräusch vor der Höhle vernahm, hinaus.
— Hier fand er die junge Eselin, die bis jetzt
frei im Tale der Hirten herumgelaufen war. Sie
war voll Freude heran gesprungen und und spielte
um ihn her. Er band sie unter dem Obdach vor
der Höhle an und streute ihr Futter.
Als Joseph nun in die Höhle zurückkehrte und
am Eingang seines Schlafraumes nach der heiligen
Jungfrau hinblickte, sah er sie mit dem Angesicht
gegen Morgen gewendet, ihm den Rücken kehrend,
auf ihrem Lager kniend beten. — Er sah sie wie
von Flammen umgeben, die ganze Höhle war wie
von übernatürlichem Lichte erfüllt. Er sah hin
wie Moses, der in den brennenden Dornbusch schaute;
da trat er mit heiliger Scheu in seine Zelle
und warf sich betend auf sein Angesicht nieder.
Christi Geburt
Ich sah den Glanz um die heilige Jungfrau immer
größer werden, das Licht der Lampe, welches
Joseph angezündet hatte, war nicht mehr sichtbar.
Sie kniete in einem weiten, gürtellos um sie
her ausgebreiteten Gewande, das Angesicht gegen
Morgen gewendet, auf ihrem Ruheteppich.
In der zwölften Stunde der Nacht ward sie im
Gebete entzückt. Ich sah sie von der Erde emporgehoben,
so daß ich den Boden unter ihr sah. Sie hatte
die Hände auf der Brust gekreuzt. Der Glanz
um sie her mehrte sich, alles, selbst das Leblose,
war in freudiger innerer Bewegung, das Gestein
der Decke, der Wände, des Bodens der Höhle ward
wie lebendig in dem Lichte. — Nim aber sah ich
die Decke des Gewölbes nicht mehr, eine Bahn
von Licht öffnete sich über Maria bis in den
höchsten Himmel mit steigendem Glanze.
In dieser Lichtbahn war eine wunderbare Bewegung
von Glorien, die sich durchdringend und nähernd
deutlicher in der Form himmlischer Geisterchöre
erschienen. — Die heilige Jungfrau aber in Entzückung
empor getragen, betete nun zur Erde niederschauend
ihren Gott an, dessen Mutter sie geworden war,
der als ihr neugeborenes hilfloses Kind vor
ihr an der Erde lag.
Ich sah unseren Erlöser als ein leuchtendes,
ganz kleines Kind, das mit seinem Lichte allen
umgebenden Glanz überstrahlte, auf dem Teppich
vor den Knien der heiligen Jungfrau liegen.
Es war mir, als sei es ganz klein und werde
vor meinen Augen größer. Alles dieses aber war
nur eine Bewegung von so großem Glänze, daß
ich nicht bestimmt sagen kann, wie ich es gesehen.
Die heilige Jungfrau war noch eine Zeitlang
so entzückt, und ich sah, wie sie ein Tuch über
das Kind legte, aber sie faßte es noch nicht
an und nahm es noch nicht auf. Nach einer geraumen
Zeit sah ich das Jesuskind sich regen und hörte
es weinen, da war es, als komme Maria zu sich,
und sie nahm das Kindlein, welches sie mit dem
darüber gedeckten Tuche einhüllte, von dem Teppich
auf und hielt es in den Armen an ihre Brust.
Sie saß nun und verhüllte sich ganz mit dem
Kinde in ihrem Schleier, und ich glaube, Maria
säugte den Erlöser. Da sah ich um sie her ganz
menschlich gestaltete Engel vor dem Kinde anbetend
auf dem Angesicht liegen.
Es mochte wohl eine Stunde nach der Geburt sein,
als Maria den heiligen Joseph rief, der
noch im Gebete lag. Als er sich ihr nahte, warf
er sich in Andacht, Freude und Demut auf sein
Angesicht nieder, und erst, als Maria ihn nochmals
gebeten, er solle das heilige Geschenk des höchsten
Gottes freudig dankend an sein Herz schließen,
richtete er sich auf, empfing das Jesuskind
in seine Arme und lobte Gott mit Freudentränen.
Die heilige Jungfrau wickelte nun das Jesuskind
ein. Die Windungen der Tücher sind mir in diesem
Augenblicke nicht genau gegenwärtig, ich weiß
nur, daß es in eine rote und über diese in eine
weiße Hülle bis unter die Ärmchen eingeschlagen
und oben bis zu dem Köpfchen noch mit einem
anderen Tüchlein verhüllt war. Maria hat nur
vier Windeln bei sich.
Da sah ich nun Maria und Joseph nebeneinander
auf der platten Erde mit untergeschlagenen Beinen
sitzen. Sie sprachen nicht und schienen beide
in Betrachtung versunken. Vor Maria auf dem
Teppich lag eingewickelt wie ein kleines Kind
der neugeborene Jesus, schön und strahlend wie
ein Blitz. Ach! dachte ich, dieser Ort umfaßt
das Heil der ganzen Welt, und niemand ahnt es.
Sie legten das Kind hierauf in die Krippe, sie
war mit Binsen und feinen Kräutern gefüllt,
und mit einer an den Seiten niederhängenden
Decke überspreitet und stand über dem an der
Erde liegenden Steintrog rechts vom Eingang
in der Höhle, wo sie einen weiten Ausbug gegen
Mittag machte. — Dieser Teil der Höhle lag mit
stufig abgeschelfertem Boden tiefer als die
Geburtsstelle. — Als sie das Kind in die Krippe
gelegt hatten, standen sie beide in Freudentränen
lobsingend zur Seite der Krippe.
Joseph
aber ordnete nun das Ruhelager und den Sitz
der heiligen Jungfrau an der Seite der Krippe.
Ich sah sie vor und nach der Geburt Jesu, ganz
weiß gekleidet und verhüllt. — Ich sah sie in
den ersten Tagen dort sitzen, knien, stehen
und auch auf der Seite eingehüllt schlummern,
aber auf keine Weise krank und erschöpft. Wenn
Leute zu ihr kamen, saß sie dichter eingehüllt
und aufrecht auf der Geburtsdecke.
GLORIA IN
EXCELSIS.
- FREUDE
IN DER NATUR.
- QUELLEN
ENTSPRINGEN.
- DER
HÜGEL, DER TURM, DER HIRTEN.
- HIRTENWOHNUNGEN UMHER. -
ERSCHEINUNGEN DER ENGEL AN MEHREREN ORTEN VERKÜNDEN
DEN HIRTEN DIE GEBURT CHRISTI.
Ich sah zwar in diesen Bildern von Christi Geburt,
welche ich als historisches Ereignis und nicht
als kirchliche Festfreude sehe, keine solche
schimmernde Freude und trunkene Seligkeit in
der Natur, wie ich dies in der Weihnachtsnacht,
wo diese Erscheinung eine innere Bedeutung ausspricht,
gesehen, dennoch sah ich auch heute eine ungewohnte
Freude und an vielen Orten bis in die fernsten
Gegenden der Welt eine außerordentliche Bewegung
in dieser Mitternacht.
Ich sah die Herzen vieler guter Menschen mit
freudiger Sehnsucht und aller bösen mit großer
Angst erfüllt. — Viele Tiere sah ich freudig
bewegt, an manchen Orten sah ich sich Blumen
erheben, Kräuter und Stauden und Bäume Erquickung
schöpfen und Düfte verbreiten.
Ich sah viele Quellen entspringen und anschwellen.
So entsprang in der Geburtsstunde des Heilands
in der Höhle, welche mitternächtlich der Krippenhöhle
in dem Hügel war, eine reiche Quelle, welche
der heilige Joseph am folgenden Morgen faßte
und ihr einen Abfluß bereitete.
Über Bethlehem war es trüb, der Himmel hatte
einen trüben rötlichen Schimmer; über der Krippenhöhle
aber und im Tale bei der Grabhöhle Marahas,
der Amme Abrahams, und über dem Tale der Hirten
lag ein glänzender Taunebel.
Im Tal der Hirten lag etwa anderthalb Stunden
von der Krippenhöhle ein Hügel am Anfang der
Weinberge, welche sich von hier aus gen Gaza
zu ziehen; an diesem Hügel standen die Hütten
dreier Hirten, welche ebenso die Vorsteher der
umherwohnenden Hirtenfamilien waren wie die
heiligen drei Könige die der ihnen zugehörigen
Stämme.
Ungefähr
noch einmal soweit von der Krippenhöhle stand
der sogenannte Turm der Hirten. Er bestand aus
einem sehr hohen pyramidalischen Gerüste von
Balkenwerk, zwischen lebendigen grünenden Bäumen,
auf einer Unterlage von großen Feldsteinen,
auf einem Hügel mitten im Felde gebaut. Er war
mit Treppen und Galerien, und hie und da bedeckten
kleinen Standorten, gleich Wachttürmchen, umgeben,
und alles war mit Matten behängt. Er hatte eine
Ähnlichkeit mit jenen Turmgerüsten, auf welchen
man im Lande der heiligen drei Könige nachts
die Sterne beobachtete, und machte aus der Ferne
den Eindruck eines hohen vielbemasteten, mit
Segeln bespannten Seeschiffes. — Von diesem
Turme aus konnte man die ganze Gegend weit umher
überschauen; man sah Jerusalem und auch den
Berg der Versuchung in der Wüste von Jericho.
— Die Hirten hielten Wächter oben, um den Zug
der Herden zu überschauen und sie durch Hörnerruf
bei Gefahr von Räubern oder ziehenden Kriegsvölkern,
die man da oben in der Ferne sehen konnte, zu
warnen.
Die einzelnen Familien der Hirten wohnten in
einem Umkreis von wohl fünf Stunden um die Gegend
des Turmes her, in einzelnen mit Gärten und
Feld umgebenen Höfen. — Bei dem Turme war ihr
allgemeiner Sammelplatz und auch die Vereinigung
der Hütenden, welche ihre Gerätschaften hier
bewahrten und ihre Speise von hier empfingen.
Es waren längs dem Hügel des Turmes Hütten gebaut
und abgesondert von diesen ein größerer, vielfach
geteilter Schoppen, in welchem die Frauen der
Hütenden wohnten und ihnen Speise bereiteten.
Hier bei dem Turme sah ich die Herden heute
Nacht noch teilweise unter freiem Himmel, bei
dem Hügel der drei Hirten aber sah ich die Herde
unter einem Schoppen.
Als Jesus geboren war, sah ich die drei Hirten
bewegt von der wunderbaren Nacht beisammen vor
ihrer Hütte stehen, sie schauten umher und erblickten
mit Staunen einen wundervollen Glanz über der
Gegend der Krippenhöhle. Auch die Hirten bei
dem entfernteren Turme sah ich in voller Bewegung,
ich sah sie teils auf das Turmgerüste gestiegen
und nach dem seltsamen Leuchten über der Krippenhöhle
hinschauen.
Wie nun die drei Hirten so zu dem Himmel emporschauten,
sah ich sich eine Lichtwolke zu ihnen niedersenken.
Indem diese sich näherte, bemerkte ich in ihr
eine Bewegung, ein Verwandeln und Übergehen
in Formen und Gestalten und hörte einen wachsenden,
süßen, leisen und doch freudig klaren Gesang.
— Die Hirten erschraken anfangs, aber alsbald
stand ein Engel vor ihnen und redete sie an:
„Fürchtet euch nicht, denn sehet, ich verkünde
euch eine große Freude, welche dem ganzen Volke
widerfahren wird, denn heute ist euch der Erlöser
in der Stadt Davids geboren, welcher ist Christus
der Herr. Es sei euch das Zeichen, ihn zu erkennen,
daß ihr ihn als ein Kind in Windeln gewickelt
in der Krippe liegend finden werdet." — Während
der Engel dieses verkündete, wuchs der Glanz
um ihn her, und ich sah jetzt fünf oder sieben
große anmutige leuchtende Engelsgestalten vor
den Hirten stehen, sie hielten wie ein Band
einen langen Zettel
83
in den Händen, worauf etwas mit wohl handhohen
Buchstaben geschrieben war, und ich hörte sie
Gott loben und singen: „Ehre sei Gott in der
Höhe und auf Erden Friede den Menschen, die
eines guten Willens sind."
Die Hirten am Turme hatten dieselbe Erscheinung,
nur etwas später. — Ebenso erschienen sie einem
dritten Hirtenhaufen bei einem Brunnen drei
Stunden von Bethlehem, östlich vom Turm der
Hirten.
Ich sah die Hirten nicht augenblicklich zu der
Krippenhöhle eilen, wohin die drei Hirten wohl
anderthalb Stunden Wegs und die vom Turme wohl
noch einmal so weit hatten; aber ich sah, wie
sie sich sogleich berieten, was sie dem neugeborenen
Kinde zum Geschenke mitbringen sollten, und
wie sie so schnell als möglich ihre Gaben zusammen
suchten. Sie kamen erst frühmorgens zur Krippe.
83 Die
Erwähnung eines Zettels in den Händen der Engel
könnte auf die Vermutung führen, die Erzählende
habe sich desselben aus irgendeiner bildlichen
Vorstellung erinnert und mit ihrer inneren Anschauung
vermischt, man darf aber dennoch fragen, wer
hat zuerst solche Zettel in die Hände dieser
Engel gemalt, wer hat überhaupt zuerst Zettel,
worauf Reden geschrieben sind, in den Mund oder
die Hände der Vorstellung sprechender Figuren
gegeben? Wir halten dies für keine Erfindung
der Maler, sondern für eine Tradition, welche
ihnen aus früheren Zeiten zugekommen ist, und
zwar durch Bilder, welche betrachtende Menschen
von ihren eigenen Betrachtungen gemalt haben,
und so bleibt es dann noch immer möglich, daß
auch die Hirten einen solchen Zettel in den
Händen der Engel gesehen haben.
ANKÜNDIGUNGEN
DER GEBURT CHRISTI AN VERSCHIEDENEN ORTEN
Meine Seele machte in der Geburtsstunde des
Jesuskindes unzählige Wege nach allen Richtungen
der Welt, um wunderbare Anzeigen der Geburt
unseres Heiles zu schauen. Da ich aber sehr
krank und ermüdet war, so schien es mir oft,
als kämen die Bilder zu mir. Ich habe unzählige
Ereignisse gesehen, aber ich habe das meiste
durch mancherlei Störungen und Leiden vergessen;
was mir noch bruchstücklich gegenwärtig, ist
folgendes:
ANZEIGEN DER GEBURT CHRISTI BEI VERWANDTEN UND
FREUNDEN DER HEILIGEN JUNGFRAU.
Ich sah heute Nacht, wie Noemi, die Lehrerin
der heiligen Jungfrau, und die Prophetin Hanna
und der alte Simeon am Tempel und die Mutter
Anna in Nazareth und Elisabeth in Juta Gesichte
und Eröffnungen über die Geburt des Heilandes
hatten. Ich sah das Kind Johannes bei Elisabeth
ganz wunderbar freudig bewegt. Alle sahen und
erkannten zwar Maria in diesen Gesichten, aber
sie wußten nicht, wo das Wunder geschehen war,
selbst Elisabeth wußte nichts davon, Anna allein
wußte, daß Bethlehem der Ort des Heiles war.
ANZEIGEN DER GEBURT CHRISTI IN JERUSALEM
Im Tempel sah
ich heute Nacht ein wunderbares Ereignis. Alle
Schriftrollen der Sadduzäer wurden mehrmals
aus ihren Behältern herausgeschleudert und umhergestreut.
Es entstand ein großes Erschrecken darüber,
sie schrieben es der Zauberei zu und zahlten
vieles Gold, damit es verschwiegen bliebe. —
(Sie erzählt hier noch etwas Unklares von zwei
Söhnen des Herodes, die Sadduzäer gewesen, und
die er beim Tempel angestellt habe, und wie
er teilweise immer Streit mit den Pharisäern
habe und sich immer mehr Recht am Tempel zu
erschleichen suche.)
ANZEIGEN DER GEBURT CHRISTI IN ROM
Ich habe in Rom in dieser Nacht sehr vieles
gesehen und über vielen anderen Bildern vieles
davon vergessen, es kann darum leicht sein,
daß ich hie und da einiges verwechsle. Ich erzähle,
wie ich mich jetzt erinnere:
Ich sah, als Jesus geboren ward, daß in Rom
über dem Fluß in einer Gegend, wo viele Juden
wohnten (hier beschrieb sie etwas undeutlich
einen Platz gleich einem von Wasser umgebenen
Hügel, der eine Art Halbinsel bildete), eine
Quelle wie von öl entsprang, und daß alles höchst
verwundert darüber war.
Es zerbrach auch ein prächtiges Götzenbild des
Jupiter in einem Tempel, dessen ganzes Dach
zusammenstürzte, und in großem Schrecken opferten
sie und fragten ein anderes Götzenbild, ich
meine die Venus, was dieses bedeute, und es
mußte der Teufel aus diesem Bilde sprechen:
„Es geschah dieses, weil eine Jungfrau ohne
Mann einen Sohn empfangen und nun geboren hat."
— Dieses Bild sprach auch von dem entsprungenen
Ölbrunnen. Wo er entsprungen, steht jetzt eine
Mutter-Gottes-Kirche.
Ich sah aber die bestürzten Götzenpriester nachschlagen.
— Vor 70 Jahren, als man jenes Götzenbild sehr
prächtig mit Gold und Edelsteinen verzierte
und ihm mit großer Festlichkeit Opfer brachte,
lebte in Rom eine ganz gute fromme Frau, ich
weiß nicht mehr recht bestimmt, ob sie nicht
eine Jüdin war, ihr Name klang wie Serena oder
Cyrena. Sie lebte von ihrem Vermögen, hatte
Gesichte und mußte weissagen. Sie sagte auch
wohl manchmal Leuten die Ursache ihrer Unfruchtbarkeit,
ich habe gar vieles von ihr vergessen. — Diese
Frau hatte sich öffentlich verlauten lassen,
sie sollten dem Götzen keine so kostspielige
Ehre erzeigen, er werde einst mitten auseinander
bersten. Die Priester stellten sie wegen dieser
Aussage zur Rede, sie solle sagen, wann dieses
geschehen werde, und da sie dieses nicht gleich
vermochte, sperrte man sie ein und quälte sie
so lange, bis sie von Gott die Antwort erflehte,
das Bild werde zerbrechen, wenn eine reine Jungfrau
einen Sohn gebären werde. — Auf diese ihre Aussage
verlachte man sie und entließ sie als eine Närrin.
— Jetzt, da der zusammenstürzende Tempel den
Abgott wirklich zerschmetterte, erkannten sie,
daß sie wahrgesagt hatte, und waren nur über
die Zeitbestimmung des Ereignisses erstaunt,
weil sie von der Geburt Christi durch die heilige
Jungfrau freilich nichts wußten.
Ich sah auch, daß die Bürgermeister von Rom,
deren einer Lentulus hieß und ein Vorfahre des
Märtyrerpriesters Moses und jener Lentulus war,
mit dem der heilige Petrus Freundschaft in Rom
hatte, daß, sage ich, die beiden Bürgermeister
von Rom sich von diesem Ereignisse und der Erscheinung
der Ölquelle unterrichten ließen.
Ich sah auch noch etwas von dem Kaiser Augustus,
erinnere mich desselben jedoch nicht mehr ganz
genau. Ich sah den Kaiser mit anderen Männern
auf einem Berge in Rom. an dessen anderer Seite
der eingestürzte Tempel lag, es führten Treppen
zu dem Berg hinan und befand sich ein goldenes
Tor auf demselben. Sie machten dort immer Geschäfte
aus. — Als der Kaiser herabging, sah er rechts
über der Mitte des Berges eine Erscheinung am
Himmel. Es war das Bild einer Jungfrau auf einem
Regenbogen, ein Kind schwebte aus ihr hervor
84.
Ich glaube, er sah es allein. Er ließ über die
Bedeutung dieser Erscheinung ein Orakel befragen,
das verstummt war, und es gab einen Ausspruch
von einem neugeborenen Kind, vor welchem sie
alle weichen müßten.
— Er ließ hierauf einen Altar auf der Stelle
des Berges errichten, über welcher er die Erscheinung
gesehen hatte, und ließ ihn unter vielen Opfern
dem Erstgeborenen Gottes weihen. — Ich habe
vieles von allen diesem vergessen.
84 Wahrscheinlich dieselbe Erscheinung, welche
die heiligen drei Könige in der Geburtsstunde
Jesus sahen und die weiter unten abgebildet
ist.
ANZEIGE DER GEBURT CHRISTI IN ÄGYPTEN
Ich sah auch in Ägypten ein ankündendes Ereignis
bei der Geburt Christi. — Weit hinter Matarea,
Heliopolis und Memphis war ein großer Götze,
der sonst allerlei Orakelsprüche getan, plötzlich
verstummt. Da befahl der König im ganzen Lande
große Opfer zu tun, auf daß der Götze sagen
möge, warum er schweige. Der Götze aber ward
von Gott gezwungen zu sagen, er schweige und
müsse weichen, weil der Sohn von der Jungfrau
geboren sei, und diesem werde hier ein Tempel
errichtet werden. Der König des Landes wollte
auf die Aussage ihm einen Tempel neben dem des
Götzen errichten.
Ich entsinne mich des Herganges nicht mehr genau,
aber doch so viel, daß das Götzenbild hinwegkam
und ein Tempel der Jungfrau mit dem Kinde, welche
er verkündet hatte, hier errichtet und sie sodann
auf heidnische Weise verehrt ward.
ANZEIGE DER GEBURT CHRISTI BEI DEN HEILIGEN
DREI KÖNIGEN
Ich sah zur Geburtsstunde des Jesuskindes eine
wunderbare Erscheinung, welche die heiligen
drei Könige sahen. Sie waren Sterndiener und
hatten einen pyramidalischen gestuften Turm,
teils von Holzwerk, auf einem Berge, wo sich
immer einer von ihnen mit mehreren Priestern
aufhielt, die Sterne zu beobachten. Sie schrieben
immer das Geschehene auf und meldeten es sich
untereinander. In dieser Nacht glaube ich zwei
der Könige auf diesem Turme gesehen zu haben.
Der dritte, welcher gen Morgen des Kaspischen
Meeres wohnte, war nicht bei ihnen. — Es war
ein bestimmtes Gestirn, welches sie immer beobachteten,
bei dessen Anblick sie mancherlei Veränderungen
sahen und Gesichte am Himmel erhielten.
Heute Nacht sah ich das Bild, das sie erkannten,
es war in verschiedenen Veränderungen. Es war
nicht ein Stern, in welchem sie es erkannten,
sondern in eine? aus mehreren Sternen zusammengestellten
Figur, und es war eine Bewegung in denselben.
Sie sahen aber einen schönen Regenbogen über
dem Monde, der in einem Viertel war. Auf dem
Regenbogen saß eine Jungfrau. Sie hatte das
linke Bein in sitzender Stellung, das rechte
hing mehr gerade herunter und stand auf dem
Monde. Auf der linken Seite der Jungfrau erschien
auf dem Regenbogen ein Weinstock, auf der rechten
ein Busch Weizenähren.
Ich sah vor der Jungfrau die Figur eines Kelches,
gestaltet wie jener bei der Einsetzung des heiligen
Sakramentes, erscheinen oder aufsteigen oder
heller aus ihrem Glänze hervortreten. — Aus
diesem Kelche hervorsteigend sah ich ein Kindchen
erscheinen und über dem Kindchen eine helle
Scheibe, gleich einer leeren Monstranz, aus
welcher Strahlen gleich Ähren ausgingen. Ich
hatte den Begriff des heiligen Sakramentes dabei.
Aus
der rechten Seite des aus dem Kelche emporsteigenden
Kindleins wuchs ein Zweig hervor, auf welchem
gleich einer Blume eine achteckige Kirche erblühte,
die ein großes goldenes Tor und zwei kleine
Seitentüren hatte. Die Jungfrau bewegte mit
ihrer rechten Hand Kelch, Kind und Hostie vor
sich auflenkend, in die Kirche, in welche ich
hineinsah, und die in diesem Hineinschauen mir
ganz groß erschien. Ich sah eine Erscheinung
der heiligen Dreifaltigkeit hinten in der Kirche,
und es stieg der Turm der Kirche über ihr auf,
die sich endlich in eine ganz schimmernde Stadt
ausbildete, so wie man das himmlische Jerusalem
sieht.
Ich sah in diesem Bilde gar vieles auseinander
hervorgehen, indem ich in diese Kirche hineinschaute,
ich entsinne mich jedoch der Folge nicht mehr,
auch ist mir jetzt nicht gegenwärtig, auf welche
Weise die Könige unterrichtet wurden, daß das
Kind in Judäa geboren sei. Der dritte, entfernter
wohnende König sah dasselbe Bild zur selben
Stunde in seiner Heimat.
Die Könige waren darüber in unaussprechlicher
Freude, nahmen alsbald ihre Schätze und Geschenke
zusammen und traten ihren Zug an. — Erst nach
einigen Tagen trafen sie alle drei zusammen.
— Schon in den letzten Tagen vor Christi Geburt
habe ich beobachtet, wie sie in großer Tätigkeit
auf ihrem Sternturm waren und allerlei Gesichte
sahen.
Welche Barmherzigkeit hat Gott mit den Heiden
gehabt. Weiß du wohl, woher den Königen die
Prophezeiung gekommen ist? Ich will dir jetzt
nur ein kurzes Endchen der Zeit erzählen, denn
das Ganze ist mir im Augenblick nicht gegenwärtig.
-— Schon seit 500 Jahren vor Christi Geburt
lebten die Voreltern der drei Könige, aus welchen
sie in reiner, ununterbrochener Linie von Vater
auf Sohn abstammen. (Elias lebte wohl 800 Jahre
vor Christus). — Ihre Stammeltern waren reicher
und mächtiger als sie, denn sie hatten all ihr
Gut mehr beisammen, und ihr Erbe war noch nicht
so sehr verteilt.
Auch schon damals lebten sie nur in Zeltstädten,
außer jenem Stammvater gegen Morgen des Kaspischen
Meeres, dessen Stadt ich jetzt sehe; sie hat
Grundlagen von Stein, und die Zeltdächer sind
oben darauf gerüstet, denn sie liegt am Meere,
welches oft austritt. — Es ist hier auf dem
Gebirge so hoch, ich sehe ein Meer zu meiner
Rechten und eines zur Linken, man sieht hinein
wie in ein schwarzes Loch.
Diese Stammhäupter waren damals schon Sterndiener;
aber es war da auch noch ein gar böser Gottesdienst
im Brauch, sie opferten alte Männer und krüppelhafte
Menschen und schlachteten auch Kinder. Das grausamste
war, daß sie Kinder in weißen Kleidchen in Kessel
gestellt und lebendig gesotten haben. Aber dies
ward zuletzt doch alles gebessert, und Gott
hat dennoch diesen blinden Heiden die Geburt
des Erlösers so lange vorausgesagt.
Es lebten damals drei Töchter dieser Stammkönige
zugleich, die waren in der Sternkunde erfahren
und empfingen alle drei zugleich einen prophetischen
Geist und sahen zu gleicher Zeit im Gesichte,
es werde ein Stern aus Jakob aufgehen, und eine
Jungfrau werde ohne Mann den Heiland gebären.
— Sie hatten lange Mäntel an und zogen im ganzen
Lande umher und predigten Besserung des Lebens
und verkündeten, die Boten des Erlösers würden
einst bis zu ihnen kommen und auch zu ihnen
den rechten Gottesdienst bringen. Sie sagten
noch vieles voraus, selbst Dinge bis auf unsere
und noch fernere Zeiten.
Hierauf bauten die Väter dieser drei Jungfrauen
der künftigen Gottesmutter einen Tempel gegen
Mittag des Meeres, wo sich ihre drei Länder
berührten, und opferten ihr teils auf jene grausame
Weise, wie ich vorher gesagt habe. — Die Weissagung
der drei Jungfrauen enthielt aber etwas Bestimmtes
von einem Sternbild und verschiedenen Veränderungen
in demselben, und so begannen sie von damals
an die Beobachtung dieses Sternbildes auf einem
Hügel bei jenem Tempel der künftigen Mutter
Gottes und bemerkten alles und machten nach
ihren Beobachtungen fortgesetzt verschiedene
Veränderungen an und in ihren Tempeln, in Dienst
und Zierde. — Das Zeltdach des Tempels wechselten
sie bald mit blauer, bald mit roter, bald mit
gelber oder anderer Farbe. — Ihren wöchentlichen
Feiertag, was mir merkwürdig war, verlegten
sie nun auf den Sabbat. Früher war es der Donnerstag,
ich weiß auch noch seinen Namen —; hier stammelte
sie etwas, was wie Tanna oder Tanada klang,
aber nicht deutlich zu vernehmen war
85.
85 Hier trat
eine so eigentümliche plötzliche Unterbrechung
ihrer Rede ein, daß wir dieselbe als charakteristisch
für ihren Zustand hier mitteilen. Es war am
27. November 1821 abends, etwa um 6 Uhr, als
sie obige Worte im Schlummer sprach. Man bedenke,
daß sie seit vielen Jahren an den Füßen gelähmt,
nicht gehen und sich kaum mühselig in sitzender
Stellung aufrichten konnte und daher wie immer
auf ihrem Lager ausgestreckt ruhte. Die Türe
ihrer Kammer stand nach ihrer Vorstube hin offen,
in welcher gerade ihr Beichtvater bei der Lampe
das Brevier betend saß. Sie hatte das Obige
mit solcher Wahrheit des Ausdrucks gesprochen,
daß es unmöglich war zu denken, sie sehe es
nicht vor ihren Augen vor sich gehen. — Kaum
hatte sie aber das Wort Tannada herausgestammelt,
als die Todschwache, Lahme, Schlummernde plötzlich
mit Blitzesschnelle von ihrem Lager aufsprang,
in die Vorstube hineilte, mit Händen und Füßen
wie streitend und abwehrend sich heftig gegen
das Fenster hinbewegte, worauf sie zu ihrem
Beichtvater gewendet sprach: „Das war ein Kerl,
ein großer, aber ich habe ihn mit meinem Fußtritt
weggestoßen." — Nach diesen Worten sank sie
ohnmächtig nieder und ruhte gerade ausgestreckt
in höchst ernster und anständiger Lage quer
vor dem Fenster am Boden der Stube.—Der betende
Priester, wenngleich wie der Schreiber dieses
durch den höchst überraschenden Auftritt erschüttert,
hatte, ohne weiter ein Wort zu verlieren, kaum
die Worte zu ihr gesprochen: „Bei Gehorsam,
Jungfer Emmerich, kehr sie zu ihrem Lager zurück",
als sie sich sogleich aufrichtete, zu ihrer
Kammer zurückkehrte und sich wieder auf ihr
Lager hinstreckte. Hierauf vom Schreiber dieses
gefragt: „Was war denn das für ein seltsamer
Handel?" erzählte sie wachend und bei vollkommenem
Bewußtsein und wenngleich ermüdet, doch mit
dem fröhlichen Mut einer Person, die einen Sieg
davongetragen hat, folgendes: „Ja, das war wohl
kurios, als ich da so weit, weit weg im Lande
der drei Könige auf dem hohen Gebirge zwischen
den zwei Meeren stand und in ihre Zeltstädte
hinabschaute, wie man aus dem Fenster in den
Hühnerhof schaut, fühlte ich mich plötzlich
durch meinen Schutzengel nach Haus gerufen,
ich wandte mich um und sah hier in Dülmen vor
unserem Häuschen eine mir bekannte arme alte
Frau aus einem Kramladen kommend vorübergehen.
Sie war ganz verkehrt und bösartig und fluchte
und murrte ganz abscheulich vor sich hin, da
sah ich, daß ihr Schutzengel von ihr wich und
eine große finstere Teufelsgestalt sich ihr
im Dunkeln quer in den Weg legte, damit sie
über ihn hinstürzend den Hals breche und so
in Sünden sterbe. — Da ich dies sah, ließ ich
drei Könige drei Könige sein, betete heftig
zu Gott um Hilfe für die arme Frau und war wieder
hier in meiner Kammer. Da sah ich aber, wie
der Teufel, entsetzlich ergrimmt, gegen das
Fenster stürmte und in die Stube hereinbrechen
wollte; ich sah, daß er ein ganzes Bündel von
Schlingen und verwickelten Stricken in den Klauen
hatte. Denn er wollte aus allen miteinander
einen großen verwickelten Unfrieden und Verdruß
aus Rache hier anzetteln, da eilte ich hin und
gab ihm mit dem Fuß einen Tritt, daß er zurücktaumelte.
Er wird daran denken, und ich legte mich dann
quer in den Weg vor das Fenster, daß er nicht
herein konnte." -Es ist freilich seltsam genug,
während sie vom Kaukasus herabschauend Dinge
sieht und erzählt, die 500 Jahre vor Christi
Geburt geschahen, als gingen sie vor ihren Augen
vor, sieht sie zugleich die Gefahr eines armen
alten Mütterchens in ihrer Heimat dicht vor
ihrer Wohnung und eilt ihr tatig zu Hilfe. —
Es war ein erschütternder Anblick, sie stürzte
wie ein schwebendes Geripp herein und wehrte
sich lebhaft, und wachend vermag sie sich, seit
dem letzten 8. September erst, kaum ein paar
Schritte an den Krücken fortzubewegen, ohne
ohnmächtig zu werden.
BRUCHSTÜCKLICHE ZEITBESTIMMUNG DER GEBURT CHRISTI
Die Erzählende hat vieles zur näheren Zeitbestimmung
der Geburt Christi in der Weihnacht selbst gesehen,
aber Krankheit und Störung durch Besuch am folgenden
Tage, ihrem Namensfest, Katharina, hatten ihr
manches vergessen machen. Kurz nachher sprach
sie jedoch abends im ekstatischen Zustande folgende
Trümmer jener Anschauungen wiederholt aus, wobei
zu bemerken, daß sie alle Zeitbestimmung immer
in römischen Zahlen mit Buchstaben geschrieben
sieht und diese oft schwer liest, meist aber
dadurch erklärt, daß sie die Folge der Buchstaben
mehrmals hintereinander hersagt oder mit den
Fingern hinzeichnet. Heute sprach sie die Zahlen
aber auch aus. Sie sagte:
„Da kannst du es lesen, sieh nur, da steht es:
Christus ist geboren, als das Jahr der Welt
3997 noch nicht ganz voll war. Die nicht ganz
vollen vier Jahre von seiner Geburt bis zum
Schlüsse des Jahres 4000 hat man nachher ganz
vergessen und dann vier Jahre später unsere
neue Jahreszahl angefangen. — Christus ist also
nicht ganz volle acht Jahre früher als unsere
Zeitrechnung geboren.
Der eine Konsul in Rom hieß damals Lentulus,
er war ein Vorfahre des Märtyrers und Priesters
Moses, dessen Reliquie hier bei mir ist, und
der zur Zeit des heiligen Cyprians lebte; von
ihm stammte auch jener Lentulus in Rom, der
dort ein Freund des heiligen Petrus war.
Christus ist im 45. Jahre des Kaisers Augustus
geboren. —. Herodes hat überhaupt bis zu seinem
Tode 40 Jahre regiert. Sieben Jahre war er zwar
noch abhängig, aber quälte das Land schon sehr
und übte viele Grausamkeiten aus. Er ist ungefähr
im sechsten Lebensjahre Christi gestorben. Ich
meine, sein Tod ist eine Zeitlang verheimlicht
worden
86
— Er ist gräßlich gestorben und hat in seiner
letzten Zeit noch mancherlei Mord und Elend
veranlaßt. Ich sah ihn in einer großen, mit
Kissen ausgepolsterten Stube herumkriechen.
Er hatte einen Spieß bei sich und wollte nach
den Menschen, die ihm nahten, stechen. Jesus
wird ungefähr in seinem 34. Regierungsjahre
geboren sein.
86 Oder
war dies der Tod des folgenden Herodes, von
dem sie ähnliches äußerte, und den sie manchmal
mit diesem zu verwechseln scheint.
Zwei Jahre vor dem Eintritt Mariä in den Tempel,
gerade 17 Jahre vor Christi Geburt, hat Herodes
am Tempel bauen lassen. Es war kein neuer Tempelbau,
es wurde nur hie und da einiges verändert und
verschönert. — Die Flucht war, als Christus
dreiviertel Jahre alt war, und der Mord der
unschuldigen Kinder in seinem zweiten Jahre.
Sie erwähnte außerdem noch vielerlei Verhältnisse,
Züge und Reisen aus dem Leben des Herodes, welche
bewiesen, wie deutlich sie alles gesehen, aber
es war unmöglich, die Masse des Mitgeteilten,
wovon sie teils Trümmer erzählte, aufzufassen
und zu ordnen.
Die Geburt Christi geschah in einem Jahre, in
welchem die Juden 13 Monate zählten. Es war
dieses wohl so eine Einrichtung wie mit unseren
Schaltjahren. Ich meine auch etwas vergessen
zu haben, wie die Juden zweimal im Jahre Monate
von 21 und 22 Tagen hatten, ich hörte etwas
von Festtagen dabei, entsinne mich aber des
Ganzen nur noch dunkel. Ich sah auch, wie verschiedene
Male einiges an ihrem Kalender geändert worden
ist. Es war nach dem Ausgange einer Gefangenschaft,
als man auch am Tempel baute. Ich habe den Mann,
der den Kalender änderte, gesehen und seinen
Namen gewußt. — Hier besann sie sich und sagte
dann mit scherzhafter Ungeduld in ihrer plattdeutschen
Mundart: „Ick waet nit meh, wu be Keerl het."
— (Ich weiß nicht mehr, wie der Kerl heißt.)
Ich glaube, Christus ist im Monat Casleu geboren,
daß es aber gerade einen Monat früher geschah,
als es in der Kirche gefeiert wird, das kommt,
weil einmal bei einer Kalenderveränderung einige
Zeiten und Tage ganz ausgelassen worden sind.
Ich habe das sehr gut gesehen, kann es aber
nicht mehr ordentlich wiederbringen.
ANBETUNG DER
HIRTEN. — DIE DREI VORSTEHER DER
HIRTEN VOM HÜGEL DER HIRTEN BETEN DAS NEUGEBORENE
KIND JESU AN UND BRINGEN IHM IHRE GESCHENKE
DAR.
Sonntag, den 25. November morgens.
In der Morgendämmerung nach der Geburt Christi
kamen die drei Vorsteher der Hirten von dem
Hügel mit ihren Geschenken, welche sie vorher
zusammengeholt hatten, zu der Krippenhöhle.
Ihre Geschenke bestanden in kleinen Tieren,
die eine Ähnlichkeit mit Rehböcken hatten. Wenn
es Ziegenböckchen waren, so sehen sie dort verschieden
von denen hierzulande aus. Sie hatten lange
Hälse, sehr klare, schöne Augen und waren sehr
fein und schnell. Die Hirten führten sie, an
langen, feinen Fäden gebunden, neben und hinter
sich. — Die Hirten hatten außerdem Bündel von
geschlachteten Vögeln über den Schultern hängen
und trugen größere lebendige Vögel unter dem
Arm.
Als sie schüchtern an der Tür der Krippenhöhle
gepocht, trat ihnen der heilige Joseph freundlich
entgegen. Sie sagten ihm, was ihnen die Engel
in der Nacht verkündiget und wie sie kämen,
das Kind der Verheißung zu verehren und mit
ihren armen Gaben zu beschenken.
— Joseph nahm ihre Geschenke mit demütigem Dank
an und ließ sie die Tiere in den Kellerraum
bringen, dessen Eingang
87
neben der südlichen Türe der Krippenhöhle ist,
wohin er sie begleitete.
Hierauf führte er die drei Hirten zu der heiligen
Jungfrau, die neben der Krippe an der Erde auf
der Decke saß und das Jesuskind vor sieb auf
dem Schoß hielt. — Die Hirten warfen sich, ihre
Stäbe im Arm haltend, demütig vor Jesus auf
die Knie, sie weinten vor Freude und blieben
lange in großer Süßigkeit ohne Worte, dann sangen
sie den Lobgesang der Engel dieser Nacht und
einen Psalm, den ich vergessen habe. — Als sie
nun Abschied nehmen wollten, gab ihnen die heilige
Jungfrau noch das kleine Jesulein nach der Reihe
auf ihre Arme, und sie gaben es ihr unter Tränen
zurück und verließen die Höhle.
87 Siehe oben
den Grundriß der Höhle.
PERSÖNLICHE MILDTÄTIGKEIT DER EKSTATISCHEN.
— SIE SINGT DIE FÜNFTE STIMME EINES LIEDES
DER HIRTEN.
— GABEN UND GESANG DIESER HIRTEN
Sonntag, den 25. November abends.
Die Erzählerin war heute den ganzen Tag in großen
Körper- und Gemütsleiden gewesen und fand sich,
am Abend kaum entschlafen, sogleich in das gelobte
Land entrückt. — Da sie nun in diesem Jahre
auch das erste Lehrjahr Christi, und zwar jetzt
sein 40tägiges Fasten betrachtete, sprach sie
mit kindlicher Verwunderung: „Wie rührend ist
das! Da sehe ich auf der einen Seite Jesum als
dreißigjährigen Mann in der Höhle der Wüste
fastend und versucht, und auf der anderen Seite
sehe ich ihn als ein neugeborenes Kind in der
Krippenhöhle, durch die Hirten vom Turm der
Hirten angebetet."
Nach diesen Worten erhob sich die Ekstatische
mit überraschender Schnelligkeit von ihrem Lager,
eilte an die offene Tür ihrer Kammer und rief
in die Vorstube dort sich befindlichen Freunden
freudetrunken zu: „Kommt geschwind, geschwind,
das Kindlein anzubeten, es ist bei mir." — Sie
kehrte ebenso schnell zu ihrem Lager und begann,
schimmernd von Andacht und Begeisterung, das
Magnifikat, Gloria und einige unbekannte einfache,
tiefsinnige, teils gereimte Lobgesänge mit heller,
unaussprechlich rührender Stimme zu singen.
Von einem Gesänge aber sang sie die Quinte.
— Sie war ungemein rührend und freudig bewegt
und erzählte am folgenden Morgen:
„Gestern Abend sind mehrere Hirten und Hirtinnen
und auch Kinder vom Turme der Hirten, der an
vier Stunden von der Krippe entfernt ist, mit
Geschenken zur Krippe gekommen. Sie brachten
Vögel, Eier, Honig, auch Gespinst von verschiedenen
Farben und Bündchen, welche wie rohe Seide aussahen
und Büsche von einer binsenartigen Staude mit
großen Blättern. Diese Pflanze trug Ähren voll
dicker Körner.
Nachdem sie dem heiligen Joseph ihre Geschenke
überreicht hatten, nahten sie sich demütig der
Krippe, bei welcher die heilige Jungfrau saß.
Sie begrüßten sie und das Kind und sangen dann
umherkniend sehr liebliche Psalmen, das Gloria
und einige kurze Verse. Ich sang mit ihnen,
sie sangen mehrstimmig. Von einem Lied sang
ich die Quinte. Ich erinnere mich noch ungefähr
der Worte: „Oh, Kindlein, wie bist du so rosenrot,
gleich einem Herold trittst du hervor." — Da
sie Abschied nahmen, beugten sie sich über die
Krippe, als küßten sie das Jesuskindlein.
DIE DREI HIRTEN HELFEN DEM HEILIGEN JOSEPH.
ESSENERINNEN LEISTEN DER HEILIGEN JUNGFRAU DIENSTE.
Montag, den 26. November.
Ich sah heute, wie die drei Hirten abwechselnd
dem heiligen Joseph zur Hand gingen, mancherlei
in der Krippenhöhle und umher und in den Seitengewölben
bequemer einzurichten.
Auch sah ich mehrere fromme Frauen bei der heiligen
Jungfrau, welche ihr Dienste erwiesen. Sie waren
Essenerinnen und wohnten nicht weit von der
Krippenhöhle, wenn man östlich des Hügels herumging,
in dem Talbusen, etwas hoch in kleinen Felsenkammern,
nebeneinander, an einer ausgebrochenen Stelle
des Berges. Sie hatten kleine Gärtchen bei ihrer
Wohnung und unterrichteten Kinder ihrer Sekte.
— Der heilige Joseph hatte sie gerufen, er kannte
diese Genossenschaft schon von Jugend auf, denn
wenn er als Jüngling sich vor seinen Brüdern
in der Krippenhöhle verbarg, hatte er auch manchmal
diese frommen Frauen an der Felsenwand besucht.
— Sie kamen nun abwechselnd zu der heiligen
Jungfrau, trugen kleine Bedürfnisse und Holzbündelchen
zu und kochten und wuschen für die heilige Familie.
DER ESEL BEWEGT SICH VOR DEM JESUSKIND.
DIE MAGD ANNAS VON NAZARETH KOMMT ZU MARIA
Dienstag, den 27. November.
Ich sah heute ein sehr rührendes Bild in der
Krippenhöhle. Joseph und Maria standen bei der
Krippe und schauten das Jesuskind mit großer
Innigkeit an; da warf sich der Esel plötzlich
auf die Knie und drückte den Kopf ganz dicht
an den Boden nieder. Maria und Joseph weinten.
Am
Abend kam Botschaft von der heiligen Mutter
Anna. Ein bejahrter Mann und die Magd Annas,
eine ihr verwandte Witwe, kamen von Nazareth.
Sie brachten allerlei kleine Bedürfnisse für
Maria mit. Sie waren ungemein gerührt, das Kindlein
zu sehen der alte Knecht weinte Freudentränen.
Er machte sich bald wieder auf den Weg, der
heiligen Anna Nachricht zu bringen. Die Magd
blieb bei der heiligen Jungfrau.
DIE HEILIGE JUNGFRAU VERBIRGT SICH VOR KUNDSCHAFTERN
DES HERODES. - JETZIGER ZUSTAND
VON BETHLEHEM.
- Eine Gewalttat Herodes.
Mittwoch, den 28. November.
Heute sah ich die heilige Jungfrau mit dem Jesuskind
und der Magd auf einige Stunden die Krippenhöhle
verlassen
88.
Ich sah, daß sie aus der Türe heraustretend
sich rechts unter dem vorgebauten Schilfdach
hinwendete und nach einigen Schritten in der
Seitenhöhle verbarg, in welcher bei Christi
Geburt die Quelle entsprungen war, die Joseph
gefaßt hatte. Sie verweilte an vier Stunden
in dieser Höhle, in welcher sie später ein paar
Tage gewohnt. — Joseph hatte ihr dort schon
bei Tagesanbruch einige Bequemlichkeit eingerichtet.
88
Hiermit stimmt überein ihre Erzählung vom 29./30.
Dezember 1820. (Siehe 28. November 1821.) Krippe.
Heute sah ich Maria mit dem Jesuskinde in einem
anderen Gewölbe, das ich früher nicht bemerkt
hatte, seine Tür war in dem Eingange links,
nächst der Feuerstelle Josephs. Man stieg durch
eine enge Öffnung beschwerlich etwas hinab.
Es fiel Licht durch Löcher von oben hinein.
Maria saß neben dem Kinde Jesus, das vor ihr
auf einer Decke lag. Sie hatte sich dahin vor
Besuch zurückgezogen. Ich sah heute viele Leute
an der Krippe. Joseph sprach mit ihnen.
Sie gingen auf eine innere Mahnung dahin, denn
es kamen heute einige Männer aus Bethlehem,
ich glaube Kundschafter von Herodes, zur Krippenhöhle,
weil durch das Gerede der Hirten das Gerücht
erschollen war, es sei dort ein Wunder mit einem
Kinde geschehen. — Ich sah, daß diese Männer
einige Reden mit dem heiligen Joseph wechselten,
welchen sie vor der Krippenhöhle mit den Hirten
gehend antrafen, und daß sie ihn, da sie seine
Armut und Einfalt bemerkten, mit vornehmem Hohnlächeln
verließen. — Die heilige Jungfrau blieb mit
dem Jesuskind ungefähr vier Stunden in der Seitenhöhle
und kehrte dann zu der Krippe zurück.
Die Krippenhöhle liegt eigentlich sehr angenehm
und ruhig. Es kommt niemand aus Bethlehem hierher,
nur die Hirten haben hier ihren Verkehr. Man
bekümmert sich überhaupt jetzt gar nicht in
Bethlehem darum, was hier draußen geschieht,
denn es ist dort wegen der vielen Fremden ein
großes Gedränge und Getreibe. Es wird dort sehr
vieles Vieh verkauft und geschlachtet, weil
viele der Anwesenden ihre Steuer mit Vieh beizahlen;
auch sind viele Heiden dort, die als Knechte
dienen.
Heute am Abend sagte die Erzählerin plötzlich
im Schlaf: „Herodes hat einen frommen Mann,
der eine vornehme Stelle am Tempel hatte, ermorden
lassen. Er ließ ihn ganz freundlich zu sich
nach Jericho einladen und unterwegs ermorden.
Er war den Anmaßungen des Herodes am Tempel
entgegen. Herodes wird zwar deswegen verklagt,
aber er bekommt noch mehr Gewalt am Tempel."
— Sie behauptete abermals, Herodes habe zwei
uneheliche Söhne von sich am Tempel zu hohen
Stellen gebracht, sie seien Sadduzäer gewesen,
und durch sie sei ihm alles verraten worden,
was dort vorgehe.
DER BESITZER DER LETZTEN HERBERGE VON BETHLEHEM
BESUCHT DIE HEILIGE FAMILIE. DAS GERÜCHT VON
DER ERSCHEINUNG DER ENGEL BEI DEN HIRTEN VERBREITET
SICH
Donnerstag, den 29. November.
Heute früh sendete der freundliche Wirt aus
der letzten Herberge, in der die heilige Familie
vom 22. auf den 23. November übernachtet hatte,
einen Knecht mit Geschenken zur Krippenhöhle
und kam während des Tages selbst, das Kind zu
verehren.
Durch die Erscheinung der Engel in der Geburtsstunde
Jesu bei den Hirten ist die Rede von dem wunderbaren
Kinde der Verheißung jetzt schon bei allen guten
Leuten hier in den Tälern bekannt geworden,
und diese Leute kommen nun heran, um das Kind
zu verehren, das sie unbekannt bewirtet haben.
VIELE GUTE LEUTE, ZUM SABBAT GEHEND, BESUCHEN
DAS JESUSKIND, AUCH DIE FRAU AUS DER HERBERGE
VOM 20. NOVEMBER.
- EIN VERWANDTER JOSEPHS BESUCHT DIE HEILIGE
FAMILIE, JOSEPH VERPFÄNDET IHM DIE JUNGE ESELIN.
- DIE HEILIGE FAMILIE FEIERT DEN SABBAT
IN DER KRIPPENHÖHLE.
- VORBEREITUNGEN ZU DEM BESCHNEIDUNGSMAHL.
- MANCHES VON EINER SCHILFARTIGEN PFLANZE
Freitag, den 20. November.
Heute kamen mehrere Hirten und andere guten
Leute zur Krippenhöhle und verehrten das Jesuskind
mit großer Rührung. Sie waren in ihren Feierkleidern
und zogen nach Bethlehem zum Sabbat.
Unter diesen Leuten sah ich auch die gute Frau
des groben Hirten, welche am 20. November der
heiligen Familie Herberge gegeben hatte. Sie
hätte zwar von ihrer Wohnung näher nach Jerusalem
zum Sabbat gehen können, aber sie machte den
Umweg nach Bethlehem, um das heilige Kind und
seine lieben Eltern zu verehren. Die gute Frau
fühlte sich gar glücklich, ihnen Liebe erwiesen
zu haben.
Ich sah heute nach Mittag auch die Verwandten
des heiligen Joseph, bei dessen Wohnort die
heilige Familie am 22. November übernachtet
hatte, zu der Krippenhöhle kommen und das Kind
begrüßen. — Es war der Vater des Jonadabs, welcher
Jesu bei der Kreuzigung ein Tuch zur Verhüllung
seiner Blöße gebracht hat. Er hat durch den
Wirt seines Ortes von Josephs Durchreise und
dem Wunder bei der Geburt des Kindes gehört
und war, zum Sabbat nach Bethlehem gehend, hierher
gekommen, ihn zu beschenken. — Er begrüßte Maria
und verehrte das Jesuskind. — Joseph war ganz
freundlich mit ihm, nahm aber nichts von ihm
an, sondern verpfändete ihm nur die junge Eselin
89
die frei mitgelaufen war unter der Bedingung,
sie gegen Rückgabe des Geldes wieder einlösen
zu können, Joseph bedurfte das Geld zur Bestreitung
der Geschenke und Mahlzeit bei dem Beschneidungsfeste.
Als Joseph dieses Geschäft vollendet hatte und
alle Leute nach Bethlehem zur Synagoge gegangen
waren, rüstete er die Sabbathlampe mit sieben
Dochten in der Krippenhöhle, zündete sie an
und stellte ein rot und weiss bedecktes Tischlein
darunter, auf welchem die Gebetsrollen lagen.
Hier unter der Lampe feierte er vorbetend mit
der heiligen Jungfrau und der Magd den Sabbath.
Zwei Hirten standen etwas mehr zurück im Eingang
der Höhle. Auch die Essenerfrauen waren zugegen.
Sie bereiteten nachher die Mahlzeit.
89 Als
ich über diese Verpfändung der jungen Eselin
zur Bestreitung des Beschneidungsmahles und
darüber nachdachte, daß Sonntag, den 2. September,
da das Beschneidungsfest sein wird, das Evangelium
des Palmsonntags vom Einzug Jesu auf dem Esel
in Jerusalem gelesen würde, sah ich folgendes
Bild, weiß aber nicht mehr, wo ich es sah, auch
kann ich mir die Bedeutung des Bildes nicht
mehr erklären. — Ich sah unter einem Palmbaum
zwei von Engeln gehaltene Tafeln stehen. Auf
der einen sah ich allerlei Martyrgeräte und
in der Mitte eine Säule abgebildet, auf welcher
ein Mörser mit zwei Ohren stand, auf der anderen
Tafel befanden sich Buchstaben, ich meine, es
waren Zahlen, Jahr und Zeitrechnungen der Kirche.
— Auf dem Palmbaume kniete wie daraus hervorgewachsen
eine Jungfrau. Ihr Gewand schwebte um sie her,
und über ihrem Kopfe war dieser fliegende Mantel
ohne Schleier wie in einen Zipfel geknüpft.
— Diese Jungfrau hielt unter ihre Brust in ihren
Händen ein Gefäß von der Gestalt des Abendmahlkelches,
aus welchem ich die Gestalt eines leuchtenden
kleinen Kindes hervorgeschwebt sah. — Hierauf
sah ich, wie die gewöhnliche Erscheinung Gott
des Vaters in Wolken sich dem Palmenbaume näherte,
von ihm einen schweren Zweig, der ein Kreuz
bildete, brach und dem Kindchen auflegte. Sodann
sah ich das Kind, wie an dieses Palmkreuz geheftet,
und sah, daß die Jungfrau denselben Zweig mit
dem daran gekreuzigten Kinde Gott dem Vater
hinreichte und das leere Kelchgefäß, das mir
auch wohl wie ihr leibliches Herz erschien,
in der anderen Hand behielt. — Als ich die Worte
der Tafel unter dem Palmbaum lesen wollte, wurde
ich durch Besuch aufgeweckt. Ich weiß nicht,
ob ich dies Bild in der Krippenhöhle oder wo
sonst sah. — Bemerkung: Es wird erläuternd sein,
die Figur zu betrachten, welche die Könige in
der Geburtsstunde Jesu in den Sternen sahen,
und die Erscheinungen wieder nachzulesen, welche
bei der Präsentation des Kindes Marias im Tempel
mitgeteilt sind.
Heute vor Sabbath bereiteten die Essenerfrauen
und die Magd schon mancherlei Speisen vor. Ich
habe gesehen, dass die gerupften und ausgeweideten
Vögel an einem Spiesse über der Glut gebraten
wurden. Sie wälzten sie unter dem Braten abwechselnd
in einer Art Mehl, das aus Körnern gestoßen
wurde, die in Ähren eines schilfartigen Gewächses
wuchsen. Diese Pflanze wächst nur an feuchten,
sumpfigen Stellen des Landes an der Sonnenseite
wild. An manchen Stellen wird sie gepflanzt.
Bei Bethlehem und Hebron wächst sie häufig wild,
bei Nazareth sah ich sie nicht. Die Hirten vom
Turme der Hirten hatten Joseph davon gebracht.
Ich sah sie aus den Körnern auch einen dicken,
weißglänzenden Schleim kochen, auch Kuchen aus
dem Mehle backen. Unter der Feuerstelle bemerkte
ich heiße, reine Löcher, worin sie die Kuchen
und auch Vögel backen usw.
Von den vielen Eßwaren, welche die Hirten dem
heiligen Joseph geschenkt, gebrauchten sie
nur sehr weniges
für sich. Das meiste diente zu Geschenken und
zur Bewirtung anderer und besonders für die
Armen. — Morgen Abend, bei der Mahlzeit des
Beschneidungsfestes, wird recht ausgeteilt werden.
VORBEREITUNG ZUM BESCHNEIDUNGSFEST JESU.
- JOSEPH HOLT DIE PRIESTER AUS BETHLEHEM.
- DIE GERÄTSCHAFTEN ZU DIESER HEILIGEN
HANDLUNG.
- EINRICHTUNGEN IN DER KRIPPENHÖHLE.
- MAHLZEIT AM SCHLUSS DES SABBATS
Samstag, den 1. Dezember.
Ich sah heute nach Mittag noch mehrere Sabbatleute
zur Krippenhöhle kommen, und am Abend nach dem
Schlüsse des Sabbats sah ich die Essenerfrauen
und die Magd Marias eine Mahlzeit in einer Laubhütte
vor dem Eingang der Höhle zurüsten. Joseph hatte
dieses Laubgezelt mit den Hirten dort schon
vor mehreren Tagen aufzurichten begonnen. Auch
hatte er seine abgeschlagene Kammer im Eingang
der Höhle hinweggeräumt, den Boden mit Decken
belegt und alles nach seiner Armut festlich
geschmückt. Dieses hatte er alles schon vor
dem Eintritt des Sabbats so geordnet, denn morgen
mit Tagesanbruch war der achte Tag nach der
Geburt Christi, da das Kindlein nach dem Gebote
Gottes beschnitten werden mußte.
Joseph war gegen Abend nach Bethlehem gegangen
und mit drei Priestern, einem bejahrten Manne
und einer Frau zurückgekehrt, welche eine Art
Wartfrau bei dieser heiligen Handlung zu sein
schien. — Sie trug einen hierbei gebräuchlichen
Stuhl und eine achteckige dicke Steinplatte,
in welcher die notwendigen Bedürfnisse enthalten
waren, mit sich. Diese Gegenstände wurden an
die Stelle der Handlung im Eingang der Höhle,
nicht weit von dem Krippengewölbe, zwischen
dem weggeräumten Verschlag Josephs und der Feuerstelle
auf die ausgebreiteten Matten niedergesetzt.
— Der Stuhl war ein Kasten, der, auseinandergezogen,
eine Art niederes Ruhebett mit einer Lehne an
einer Seite bildete. Er wurde rot bedeckt. Man
lag mehr darauf, als daß man auf unsere Weise
darauf gesessen hätte. — Der achteckige Stein
hatte wohl über zwei Fuß im Durchmesser. In
seiner Mitte war eine achteckige, mit einer
Metallplatte bedeckte Vertiefung, welche drei
Büchsen und ein steinernes Messer in getrennten
Räumen enthielt. — Dieser Stein ward zur Seite
des Stuhles auf ein dreifüßiges Schemelchen
gelegt, welches bis jetzt immer mit einer Decke
bedeckt auf der Geburtsstelle unseres Herrn
in der Krippenhöhle gestanden.
Nach diesen Anordnungen begrüßten die Priester
die heilige Jungfrau und das Jesuskind. Sie
sprachen freundlich mit ihr und nahmen auch
das Kind mit Rührung auf ihre Arme. — Dann ward
die Mahlzeit in der Laubhütte vor dem Eingang
gehalten und eine Menge armer Leute, welche,
wie das immer bei solcher Gelegenheit geschieht,
den Priestern gefolgt waren, umgaben den Tisch
und empfingen während der ganzen Mahlzeit Gaben
von Joseph und den Priestern, so daß bald alles
ausgeteilt war.
Ich sah die Sonne untergehen, ihre Scheibe schien
größer als hierzulande, ich sah sie ganz tief
stehen und durch die offene Türe in die Krippenhöhle
hereinsehen.
DIE BESCHNEIDUNG
CHRISTI. DER NAME JESUS.
ZUDRINGLICHE BETTLER AN DER HÖHLE
Sonntag, den 2. Dezember.
Sie erwähnt nicht, ob die Priester nach dem
gestrigen Mahle nochmals zur Stadt gekehrt und
erst gegen Morgen wiedergekommen sind, auch
vergaß sie zu bestimmen, ob sie an der Krippenhöhle
oder in der Nähe geruht, sondern sie sagte nur:
Es waren Lampen in der Höhle angezündet, und
ich sah sie in der Nacht noch viel beten und
singen. Die Beschneidung geschah mit Tagesanbruch,
acht Tage nach der Geburt des Herrn.
— Die heilige Jungfrau war betrübt und bang.
Sie hatte die Tüchlein, das Blut zu empfangen
und das Kind zu verbinden, selbst bereitet und
in einer Falte ihres Mantels vor der Brust bewahrt.
— Der achteckige Stein wurde von den Priestern
unter Gebeten und Zeremonien rot und weiß darüber
bedeckt, und als nun der eine Priester in dem
Stuhle mehr lehnte als saß, reichte die heilige
Jungfrau, welche verschleiert im Hintergrund
der Höhle das Jesuskind auf den Armen hatte,
dieses der Magd nebst den Verbandtüchlein. Von
der Magd empfing es der heilige Joseph und übergab
es der Wartfrau, die mit den Priestern gekommen
war. Diese legte das mit einem Schleier bedeckte
Jesulein auf die Decke des achteckigen Steines.
Es ward noch gebetet, dann wickelte die Frau
das Kind auf und gab es dem sitzenden Priester
in den Schoß. Der heilige Joseph beugte sich
über die Schultern des Priesters nieder und
hielt den Oberleib des Kindes. Zwei Priester
knieten links und rechts, jeder ein Füßchen
des Kindes haltend, der, welcher die heilige
Handlung verrichtete, kniete vor dem Kinde.
Die Platte war von dem achteckigen Stein losgedeckt,
die drei Büchsen mit Wundwassern und Salbe standen
zur Hand. Der Stiel und die Klinge des Messers
waren von Stein. Der braune glatte Stiel hatte
eine Falze, in welche die Klinge sich einlegen
ließ; diese von der gelblichen Farbe roher Seide
schien mir nicht scharf. "— Der Schnitt geschah
mit der hakenförmigen Spitze des Messers, welches
geöffnet wohl eine starke Spanne lang war. Der
Priester verwundete das Kind auch noch mit dem
scharfen Nagel seines Fingers, saugte die Wunde
aus und betupfte sie mit Wundwassern und irgendeinem
Linderungsmittel aus den Büchsen. — Das Abgetrennte
legte er zwischen zwei rötlichbraun glänzende
runde Plättchen, die in der Mitte etwas ausgehöhlt
waren. Es war wie eine ganz flache Büchse von
einem kostbaren Stoff und wurde der heiligen
Jungfrau übergeben.
Die Wartefrau empfing nun das Kind, verband
es und wickelte es wieder in seine Hüllen. Es
war rot und weiß darüber bis unter die Ärmchen
gewickelt gewesen, jetzt wurden ihm auch die
Ärmchen eingebunden, und der Schleier, der über
sein Köpfchen gedeckt war, wurde als eine Hülle
um dasselbe gewickelt. So wurde es wieder auf
den bedeckten achteckigen Stein gelegt und noch
über es gebetet.
Ob ich gleich weiß, daß der Engel zu Joseph
gesagt hatte, das Kind solle Jesus heißen, so
habe ich doch die Erinnerung, daß der Priester
diesen Namen nicht gleich billigte und deswegen
betete. — Da sah ich einen leuchtenden Engel
vor dem Priester erscheinen und ihm den Namen
Jesus auf einer Tafel, gleich jener über dem
Kreuze, vorhalten. — Ich weiß nicht, ob er oder
ein anderer Priester diesen Engel, so wie ich
sah, aber ich sah, daß er in großer Erschütterung
diesen Namen aus göttlicher Eingebung auf ein
Pergament schrieb.
Das Jesuskind weinte laut nach der heiligen
Handlung, und ich sah nun, daß es der heilige
Joseph zurückerhielt und der heiligen Jungfrau,
die im Hintergrund der Krippenhöhle mit zwei
Frauen gestanden, in die Arme legte. Sie nahm
es unter Tränen, zog sich in den Winkel der
Krippe zurück, setzte sich verschleiert nieder
und beruhigte das weinende Jesuskind, indem
sie ihm die Brust gab. — Auch die mit Blut befleckten
Tüchlein reichte ihr Joseph, die Wartefrau bewahrte
die blutigen Fasern. Es ward noch gebetet und
gesungen, die Lampe brannte noch, es brach nun
der Tag an.
Nach einer Weile trat die heilige Jungfrau selbst
mit dem Kinde hervor und legte es auf den achteckigen
Stein nieder, und die Priester reichten ihr
über dem Kinde gekreuzt die Hände, worauf sie
sich mit demselben zurückzog.
Ehe die Priester sich mit dem Geräte fortbegaben,
nahmen sie noch mit Joseph und ein paar Hirten,
die im Eingang der Höhle gestanden, einen Imbiß
in der Laube ein. Ich habe auch erkannt, daß
alle, welche bei der heiligen Handlung gewesen,
gute Leute waren, und daß die Priester später
erleuchtet zum Heile gekommen sind. Es wurde
noch während dem ganzen Morgen an Arme, die
zur Türe kamen, reichlich ausgeteilt. — Der
Esel ist während dieser Feierlichkeit weiter
zurückgebunden gestanden.
Es zog heute noch viel schmutziges braunes Bettelgesindel
mit Bündeln, vom Tale der Hirten herkommend,
an der Krippenhöhle vorbei. Sie schienen nach
Jerusalem auf ein Fest zu wollen. Sie begehrten
so ungestüm und fluchten und schimpften so greulich
an der Krippe, weil ihnen die Gabe Josephs nicht
genügte. Ich weiß nicht, was es mit diesen Leuten
war, sie waren mir sehr zuwider.
Heute, während des Tages, kam die Verbinderin
nochmals zu der heiligen Jungfrau und verband
das Jesuskind. In der folgenden Nacht sah ich
das Kindlein oft unruhig vor Schmerz, es weinte
viel. Maria und Joseph nahmen es abwechselnd
auf die Arme und trugen es tröstend umher.
ELISABETH KOMMT ZUR KRIPPE. WIEGENGESTELL
DES JESUSKINDES
MONTAG, DEN 3. DEZEMBER.
Heute Abend sah ich Elisabeth auf einem Esel,
den ein alter Knecht führte, von Juta, an der
Krippenhöhle, ankommen. Joseph empfing sie sehr
freundlich, und ihre und Marias Freude, als
sie sich umarmten, war ungemein groß. Sie drückte
das Jesuskind unter Tränen an ihr Herz. Ihr
Lager wurde ihr neben Jesu Geburtsstelle zugerüstet.
Vor dieser Stelle stand jetzt manchmal ein höheres
Gestell, wie eine Art Sägebock, auf dem ein
Kästchen ruhte, in welches sie das Jesuskind
öfters legten und liebkosend und betend umherstanden.
Es muß das bei Kindern so üblich gewesen sein,
denn ich habe auch schon bei Mutter Anna das
Kind Maria auf einem ähnlichen Gestelle ruhen
sehen. Elisabeth und Maria unterhielten sich
in süßer Vertraulichkeit.
VERTRAULICHKEIT
ZWISCHEN DER HEILIGEN JUNGFRAU UND ELISABETH.
- DIE
HEILIGE JUNGFRAU TEILT IHR IHRE SCHMERZEN UND
FREUDEN MIT.
- MARIA
VERBIRGT SICH WIEDER VOR DEM BESUCH.
Dienstag, den 4. Dezember.
Gestern Abend schon und heute unter Tags sah
ich Maria und Elisabeth in süßem Gespräche beisammensitzen,
und ich fühlte mich auch bei ihnen und hörte
allen ihren Reden mit inniger Freude zu. -—
Die heilige Jungfrau erzählte ihr alles, was
ihr bis jetzt begegnet war, und da sie ihre
Not um ein Unterkommen in Bethlehem mitteilte,
weinte Elisabeth herzlich.
Sie erzählte ihr auch vieles, was sich auf die
Geburt des Jesuskindes bezog, und ich erinnere
mich noch einiges davon. Sie sagte, in der Stunde
der Verkündigung sei sie 10 Minuten abwesenden
Geistes in dem Gefühle gewesen, als verdopple
sich ihr Herz und als sei sie mit unaussprechlichem
Heile erfüllt. In der Stunde der Geburt sei
sie voll von unendlicher Sehnsucht in dem Gefühle
entzückt gewesen, als werde sie kniend von Engeln
emporgetragen, da habe sie gefühlt, als trenne
sich ihr Herz auseinander und dessen eine Hälfte
scheide von ihr. Zehn Minuten sei sie so bewußtlos
gewesen und dann mit dem Gefühle innerer Leerheit
und einer großen Sehnsucht nach einem unendlichen
Heile außer ihr, das sie sonst immer in sich
selbst empfunden, habe sie einen Glanz vor sich
erblickt und als wachse in demselben die Gestalt
ihres Kindes vor ihren Augen. Nun habe sie seine
Bewegung gesehen, sein Weinen gehört und habe
es, sich besinnend, von der Decke auf an ihre
Brust genommen, denn anfangs habe sie wie im
Traum gezagt, das von Glanz umleuchtete Kindlein
aufzufassen.
— Auch sagte sie, daß sie sich nicht bewußt
sei, das Kindlein von sich getrennt zu haben.
Elisabeth sagte zu ihr: „Du hast begnadigter
geboren als andere Frauen, die Geburt Johannes
war auch süß, aber sie war anders als die deinige."
— Das ist, was ich mich noch von ihrem Reden
entsinne.
Ich sah heute noch mancherlei Leute, die heilige
Jungfrau und das Christkind besuchen. Auch sah
ich noch mehrmals solch unartiges Gesindel vorüberziehend
an der Türe begehrend ansprechen, schimpfen
und fluchen. Joseph reichte ihnen keine Gabe
mehr.
Gegen Abend verbarg sich Maria mit dem Jesuskinde
und Elisabeth abermals in der Seitenhöhle neben
der Krippe, und ich meine, sie blieben die ganze
Nacht dort. Es geschah dieses, weil allerlei
neugierige vornehme Leute sich aus Bethlehem
zur Krippe drängten. Sie wollte sich nicht von
ihnen sehen lassen.
KRIPPE
Ich sah heute
die heilige Jungfrau mit dem Jesuskinde aus
der Krippenhöhle heraus und in eine andere rechtsgelegene
Höhle gehen. Der Eingang war sehr eng, und vierzehn
abhängende Stufen führten erst in einen kleinen
Vorkeller und dann in ein geräumigeres Gewölbe
als die Krippenhöhle. Den zur Seite des Eingangs
halbrunden Raum schnitt Joseph durch eine niederhängende
Decke ab, so daß ein viereckiger Raum übrig
blieb. Das Licht fiel nicht von oben, sondern
durch Seitenöffnungen herein, welche tief durch
den Felsen durchgingen. Ich habe schon in den
letzten Tagen gesehen, daß ein alter Mann viele
Reiser, Stroh oder Schilfbündel, wie sich deren
Joseph zur Feuerung bediente, aus dieser Höhle
ausräumte. Es war wohl ein Hirte, der diese
Hilfe leistete. Diese Höhle war heller und geräumiger
als die Krippe. Der Esel stand nicht hier. Ich
sah das Jesuskind hier in einer ausgehöhlten
Mulde an der Erde liegen. Ich habe in den letzten
Tagen oft gesehen, wie Maria ihr mit einem Schleier
bedecktes Kindlein, bis auf eine Binde um den
Leib, ganz nackt einzelnen Besuchenden zeigte.
Andere Male sah ich das Kindlein wieder ganz
eingewickelt. Die Verbinderin sehe ich das Kindlein
öfters besuchen, Maria teilte ihr reichlich
von den Geschenken der Besuchenden mit, die
sie wieder den Bedürftigen in Bethlehem austeilte.
REISE DER HEILIGEN DREI KÖNIGE NACH BETHLEHEM
MITGETEILT 1821
Vorbemerkung. Schon in den Jahren 1819 und 1820
teilte die gottselige Schwester Emmerich eine
Reihe von Anschauungen aus der Reise der heiligen
drei Könige nach Bethlehem mit; weil sie jedoch
damals nach der kirchenfestlichen Bestimmung
der Tage betrachtete, so war der Zeitraum von
dreizehn Tagen, vom Christfest bis zum Dreikönigsfeste,
für die Länge der Reise zu kurz, und sie teilte
nur eine Auswahl einzelner Stationen aus derselben
mit. Da sie aber im Jahre 1821 den historischen
Tag der Geburt Christi einen Monat früher, also
am 25. November, bestimmte und an demselben
die Abreise der Könige nach Judäa sah, so blieb
der Zeitraum von etwa einem Monat für die Reise,
denn sie sagte, die Länge der Reise bestimmend:
„Ich sah immer die Könige gen Bethlehem kommen,
wenn ich im Kloster das Krippchen aufrichtete",
also gegen den 25. Dezember.
Auf diese Weise wird es viel wahrscheinlicher,
daß Herodes nach der Abreise der Könige das
Kind nicht mehr in Bethlehem fand, indem alsdann
die Abreise der heiligen Familie bereits kann
stattgefunden haben.
DIE KÖNIGE SEHEN DEN STERN UND REISEN AB
Den 25. November.
Ich habe schon am Christtag erzählt, wie ich
in der Weihnacht den Königen die Geburt Christi
verkünden sah. — Ich sah Mensor und den braunen
Sair im Lande des ersteren auf dem Felde nach
den Sternen sehen. All ihr Geräte war zur Abreise
gerüstet. Sie sahen auf einem pyramidenförmigen
Turm durch lange Rohre nach dem Sterne Jakobs;
es war ein Schweif an diesem Sterne. Der Stern
tat sich für ihre Augen auseinander, und ich
sah, wie ihnen eine große glänzende Jungfrau
darin erschien, vor deren Mitte ein leuchtendes
Kind schwebte, aus dessen rechter Seite ein
Zweig hervorwuchs, auf dem gleich einer Blume
ein Türmchen
mit mehreren Eingängen erblühte, das sich endlich
in eine Stadt ausbildete. Ich weiß das Bild
nicht mehr ganz.
Gleich nach diesem Bilde reisten die beiden
ab. Theokeno, der dritte, wohnte ein paar Tagreisen
östlicher. Er sah dasselbe Sternbild in derselben
Stunde und reiste auch gleich mit großer Eile
ab, um seine beiden Freunde bald einzuholen,
was auch geschah.
DIE BETRACHTENDE ZIEHT DEN HEILIGEN DREI KÖNIGEN
ENTGEGEN. - SIE BESUCHT
BETHLEHEM. - WEITERE REISE GEN MORGEN.
- GEGEND, WOHNUNGEN, BAUMWOLLSPINNENDE
MENSCHEN, IHRE KLEIDUNG, GÖTZENBILDER.
- GEGEND, WO MENSOR UND SAIR AUSZOGEN.
- DIE ZURÜCKGELASSENEN HERDEN WERDEN GEORDNET.
- THEOKENO, DER DRITTE KÖNIG, ZIEHT IHNEN
NACHEILEND DURCH.
Den 26. November.
Ich entschlummerte in einer großen Sehnsucht,
bei der Mutter Gottes in der Krippenhöhle zu
sein und das Jesuskindlein von ihr ein wenig
auf meine Arme zu erhalten und es an mein Herz
zu drücken. Ich kam auch dahin, es war Nacht.
Joseph schlief, auf den rechten Arm gelehnt,
hinter seinem Verschlag rechts neben dem Eingang.
Maria saß wachend an ihrer gewöhnlichen Stelle
neben der Krippe und hatte unter ihrem Schleier
das Jesulein an ihrer Brust. Wenn sie bei Tag
wachend saß, so war ein Teil ihrer Ruhedecke
zu einem Wulste hinter ihrem Rücken aufgerollt
und diente ihr als eine Anlehne, jetzt war ihr
Lager zu Haupten etwas niederer. — Ich lag auf
meinen Knien und betete an mit großer Sehnsucht,
das Kindlein ein wenig zu haben. Ach, sie wußte
es wohl, sie weiß alles und nimmt alles so liebevoll
rührend mitleidig an, wenn man recht glaubend
betet, aber sie war so stille, so innig und
ehrerbietig, mutterselig anbetend und gab mir
das Kindlein nicht, ich glaube wohl, weil sie
es säugte. Ich hätte es auch nicht getan.
Meine Sehnsucht aber wuchs fortwährend und strömte
mit allen Seelen zusammen, die sich nach dem
Kinde Jesus sehnten. Dieses heiße Verlangen
nach dem Heile war aber nirgends so rein, unschuldig,
kindlich und treu wie in dem Herzen der lieben
heiligen Könige aus Morgenland, die Jahrhunderte
hindurch in allen ihren Voreltern, glaubend,
hoffend und liebend ihm entgegengeharrt hatten.
So zog mich dann meine Sehnsucht zu ihnen hin,
und als ich meine Anbetung vollendet, schlich
ich leise ganz ehrerbietig, um nicht zu stören,
aus der Krippenhöhle hinaus und wurde auf einer
weiten Reise, dem Zuge der heiligen drei Könige,
geführt.
Ich habe auf diesem Wege sehr vielerlei gesehen
an Landesart, Wohnungen und mancherlei Volk,
ihren Kleidungen, ihren Sitten und Gebräuchen,
auch von mancherlei Götzendienst, den sie trieben,
habe aber das meiste wieder vergessen. Was mir
noch deutlich im Gedächtnisse geblieben ist,
will ich so gut erzählen, wie ich vermag.
Ich ward morgenwärts nach einer Gegend geführt,
in welcher ich noch nie gewesen. Es war hier
meistens Sand und unfruchtbar. An einigen Hügeln
wohnten Haufen von Menschen wie einzelne Familien
von fünf bis acht Personen in Hütten von Reisern
gebaut.
Das Reiserdach lehnte sich an den Hügel an,
in welchem die Wohnräume ausgehöhlt waren. Eingetreten,
sah ich zu beiden Seiten der Türen Abteilungen
des Raums bis in den Hintergrund, die vorderen
und hinteren Gemächer waren größer, die mittleren
kleiner. Es wuchs da in der Gegend schier nichts
als niedrige Sträucher und hie und da ein kleiner
Baum, der einige Knöpfe trug, aus welchen die
Leute weiße Wolle herauszogen. Außerdem sah
ich einige größere Bäume, unter welchen sie
ihre Götzenbilder stehen hatten. Diese Menschen
waren wohl noch sehr wild, denn sie schienen
mir meistens Fleisch, und zwar rohe Vögel zu
essen und teils auch vom Raube zu leben. Sie
waren schier kupferfarbig und hatten fuchsgelbe
Haare. Sie waren klein, untersetzt, beinah fettlich,
aber sehr geschickt, behend und tätig. Ich bemerkte
keine Haustiere noch Herden bei ihnen.
Ich sah sie nicht ganz bekleidet. Die Männer
hatten den Unterleib vorn und rückwärts unterhalb
des Gürtels mit kurzen faltigen Schürzen und
die Mitte der Brust bis zum Gürtel mit einem
quergerippten schmalen Skapulier bedeckt, welches
über die Schultern um den Hals schloß. Diese
schmale Brustbedeckung schien mir elastisch,
man konnte sie länger ziehen. Der ganze Rücken
war, außer von diesem Halsriemen durchschnitten,
bis zum Gürtel unbedeckt. — Auf dem Kopfe trugen
sie Kappen mit einer Binde umbunden und vor
der Stirne wie eine Rose oder Schleife darauf.
— Die Weiber trugen kurze gefaltene Röcke bis
auf die halbe Lende. Brust und Unterleib hatten
sie wie mit dem Vorderteil einer Jacke bedeckt,
deren Spitze mit dem Gürtel zusammenhing. Um
den Hals schloß dies Kleidungsstück mit einem
Band wie eine Stola breit, um die Schultern
war es ausgezackt, vor der Brust aber glatt.
Ihr Haupt war mit einer Mütze bedeckt, welche
oben einen abgestumpften becherförmigen Knopf
hatte, sich spitz in die Stirne zog und vor
den Ohren an die Wangen schloß. Hinter den Ohren
und am Hinterkopf hatte die Mütze getrennte
fliegende Lappen, zwischen welchen die Haare
in einem Wulst hervortraten. Die Brustbedeckung
der Frauen war bunt,
mit
vielen gelben und grünen Verzierungen gesteppt
oder ausgenäht, vorn über der Mitte war sie
wie mit Knöpfen geschmückt und auf den Schultern
ausgezackt. Die Stickerei war roh wie auf alten
Meßgewanden. Die Oberarme hatten sie mit Ringen
umgeben.
Diese Leute machten eine Art Decken aus weißer
Wolle, welche sie aus den Knöpfen eines kleinen
Baumes nahmen. Zwei banden sich einen Wulst
dieser Wolle um den Leib, und jeder spann vom
Leibe des anderen aus zurückgehend einen etwa
fingerdicken, sehr langen Strick. Diese Stricke
flochten sie hierauf zu breiten Zeugbahnen zusammen.
Wenn sie viel davon fertig hatten, so zogen
sie truppenweise, große Rollen dieser Decken
auf dem Kopfe tragend, nach einer Stadt, um
sie zu verkaufen.
Hie und da in der Gegend sah ich auch unter
großen Bäumen ihre Götzenbilder, welche gehörnte
Ochsenköpfe mit weitem Maul, runde Löcher im
Leib und auch tiefer unten eine weitere Öffnung
hatten, worin Feuer gemacht wurde, um die in
die kleineren Öffnungen gelegten Opfer zu verbrennen.
Um jeden solchen Götzenbaum herum standen auf
Steinsäulchen verschiedene andere kleine Tierbilder.
Vögel, Drachen und eine Figur mit drei Hundsköpfen
und einem zusammengewundenen Schlangenschweif.
Im Anfang meiner Reise hatte ich das Gefühl,
als sei ein großes Wasser zu meiner Rechten,
von welchem ich mich jedoch immer mehr entfernte.
Nachdem ich die Gegend dieser Leute verlassen
hatte, stieg mein Weg immer höher an, und ich
mußte über einen Bergrücken von weißem Sand,
worin allerlei zerbrochene schwarze Steinchen,
wie zerbrochene Töpfchen und Schalen gestaltet,
häufig umher lagen. Jenseits kam ich talwärts
in eine Gegend, welche viele, beinahe reihenweise
wachsende Bäume bedeckten. Es befanden sich
Bäume mit geschuppten Stämmen und ungeheuer
großen Blättern, auch pyramidenförmige mit sehr
großen schönen Blumen; dieser letzte Baum hatte
gelbgrüne Blätter und auch Zweige mit Knospen.
Auch sah ich Bäume da mit ganz glatten herzförmigen
Blättern.
Hierauf kam ich in eine Gegend, welche aus großen,
unabsehbaren Triften zwischen Anhöhen bestand,
alles wimmelte da von mannigfaltigen Herden.
Um die Höhen wuchs Wein, und er ward gepflegt,
denn er stand in Reihen auf Terrassen, von kleinen
geflochtenen Zäunen geschützt. Die Besitzer
dieser Herden wohnten unter flachgedeckten Zelten,
deren Eingang eine leichte, geflochtene Türe
schloß. Diese Zelte waren von dem weißen wollenen
Zeug bereitet, welches die wilden Leute machten,
bei denen ich vorübergereist war. Sie waren
aber oben noch mit bräunlichen Placken schuppenartig
belegt, welche am Rande zottig herabhingen.
Diese Placken waren haarig, als bestünden sie
aus Moos oder Tierfellen. Ein großes Zelt stand
in der Mitte und im weiten Umkreise viele kleinere.
— Die Herden gingen, nach jeder Tierart getrennt,
auf den weiten Triften, die in der Ferne hie
und da von ausgedehnten Gebüschen, wie von niedrigen
Wäldern, unterbrochen waren. Ich unterschied
da Herden von sehr verschiedener Art. Ich sah
Schafe mit langen gedrillten Wollzöpfen und
langen wolligen Schwänzen, dann sehr flüchtige
Tiere mit Hörnern wie Böcke, sie waren so groß
wie Kälber, andere von der Größe der hierzulande
wildlaufenden Heidepferde. Auch sah ich Scharen
von Kamelen und ähnlichen Tieren mit zwei Höckern.
An einer Stelle sah ich in einer Umzäunung einige
Elefanten, weiße und gefleckte, sie waren ganz
zahm und bloß zum häuslichen Gebrauch.
Ich ward in dieser Anschauung dreimal von Betrachtungen
nach anderen Seiten hin unterbrochen und kehrte
immer wieder in einer anderen Tagzeit zu diesem
Herdenwirtschaftsbilde zurück. Diese Herden
und Triften schienen mir einem der abgereisten
Könige, ich glaube, dem Mensor und seiner Familie,
zu gehören. Sie wurden von Unterhirten geweidet,
welche bis auf die Knie reichende Jacken, ungefähr
von der Form unserer Bauernröcke, trugen, nur
daß sie eng um den Leib schlossen. Ich glaube,
es wurden jetzt nach der Abreise des Oberhauptes
für längere Zeit alle die Herden von Aufsehern
beschaut und gezählt, und die Unterhirten mußten
Rechnung ablegen, denn ich sah von Zeit zu Zeit
vornehmere Leute in langen Mänteln herankommen,
die alles in Augenschein nahmen. Sie gingen
in das große Mittelzelt, und dann wurden die
Herden zwischen diesem und den kleinen Zelten
durchgetrieben, gezählt und betrachtet; jene,
welche Rechnung abnahmen, hatten Flächen, ich
weiß nicht, von welchem Stoff in der Hand, worauf
sie etwas schrieben. Ich dachte dabei noch:
O möchten doch unsere Bischöfe ihre Herden unter
den Unterhirten auch so fleißig untersuchen.
Als ich nach der letzten Unterbrechung abermals
in die Weidegegend zurückkehrte, war es Nacht.
Es ruhte eine tiefe Stille über der Gegend.
Die meisten Hirten schliefen unter den kleinen
Zelten, nur einzelne schlichen hin und wieder
wachend um die schlummernden Herden hin, welche
nach ihren Gattungen auf getrennten, verschiedenartig
umzäunten großen Plätzen, mehr oder weniger
zusammengedrängt, ruhend lagen. Mir aber war
es vor allem ein tief rührender und frommer
Anblick, über diesem großen Weidefeld voll friedlicher
schlummernder Herden, welche den Menschen dienen,
die unermeßliche tiefblaue Himmelsweide ausgespannt
zu sehen, wimmelnd von unzähligen Gestirnen,
hervorgetreten auf den Ruf ihres allmächtigen
Schöpfers, dessen Hirtenstimme sie gleich treuen
Herden gehorsamer folgen als die Schäflein der
Erde ihren sterblichen Hirten. Und als ich die
hie und da umwandelnden wachenden Hirten mehr
noch zu den Sternherden des Himmels aufblicken
sah als zu den Herden hin, die ihrer Hut vertraut
waren, da konnte ich wohl betrachten: Mit Recht
schauen sie staunend und dankend hinauf, wohin
seit Jahrhunderten ihre Voreltern mit Sehnsucht
und Gebet harrend geblickt haben. Denn gleich
nach dem guten Hirten, der das verirrte Schäflein
aufsuchet und nicht ruhet, bis er es wieder
gefunden und heimgetragen, so tat auch jetzt
der Vater im Himmel, der treue Hirt aller dieser
unzähligen Sternherden im unermeßlichen Raum;
als der Mensch, dem er die Erde unterworfen,
gesündigt, und er sie ihm zur Strafe verflucht,
suchte er den gefallenen Menschen und die Erde,
seinen Aufenthalt, wie das verlorene Schäflein
wieder, ja er sendete seinen eingeborenen Sohn
hinab, Mensch zu werden, das verlorene Schäflein
heimzuführen und als das Lamm Gottes die Sünden
auf sieb zu nehmen und der göttlichen Gerechtigkeit
dafür sterbend genugzutun. — Und diese Ankunft
des verheißenen Erlösers war jetzt eingetreten,
ihre Könige, von einem Sterne geleitet, waren
in der vorigen Nacht aufgebrochen, dem neugeborenen
Erlöser zu huldigen; darum schauten die Herdenwächter
wohl staunend und anbetend zu den himmlischen
Triften hinauf, denn der Hirte der Hirten ist
von dort niedergekommen und zuerst den Hirten
verkündigt worden.
Indem ich so auf dem weiten Herdenfelde betrachtete,
vernahm ich die Stille der Nacht durch nahenden
eilenden Hufschlag, einer Schar auf Kamelen
reitender Männer, unterbrochen. Der Zug eilte
schnell den schlummernden Herden entlang, gegen
das Hauptzelt des Hirtenlagers zu. Hie und da
durch das Geräusch erweckt, erhoben sich die
ruhenden Kamele aus dem Schlaf und wendeten
die langen Hälse nach dem Zug hin; man hörte
das Geblök erwachter Lämmer, einige der Ankömmlinge
sprangen von ihren Lasttieren und weckten die
schlafenden Hirten in den Zelten, und die näheren
der Herdenwächter traten auch zu dem Zuge heran.
Bald war alles lebendig um den angekommenen
Zug versammelt, man sprach hin und wieder, sah
und deutete nach den Sternen. Sie unterhielten
sich von einem Gestirn oder einer Erscheinung
am Himmel, die wohl schon vorüber war, denn
ich selbst sah diese Erscheinung nicht.
Es war dieses aber der Zug des Theokeno, des
dritten am fernsten wohnenden Königs, er hatte
das gleiche Sternbild in seiner Heimat gesehen
und war sogleich hierher aufgebrochen. Nun fragt
er, wie weit Mensor und Sair schon voraus sein
möchten, und ob man wohl den Stern noch sehen
könne, dessen Leitung sie gefolgt seien. — Nachdem
sie den nötigen Bescheid empfangen, setzte der
Zug ohne irgendeine Verzögerung schnell seinen
Weg fort. Es war hier die Gegend, wo sich die
drei getrennt wohnenden Könige gewöhnlich zur
Beobachtung der Sterne zu versammeln pflegten
und war auch der pyramidalische Turm, worauf
sie durch lange Rohre die Sterne beobachteten,
in der Nähe. Theokeno wohnte am weitesten von
den anderen, und zwar jenseits der Gegend, in
der Abraham zuerst gelebt hatte, um welche Gegend
sie alle herum wohnten.
ZWISCHENBILDER WÄHREND DER VORIGEN BETRACHTUNG.
EIN BLICK AUF HAGAR UND ISMAEL IN DER WÜSTE.
SIE BEZEICHNET IHN MIT EINEM ZEICHEN
In den Unterbrechungen
zwischen den Anschauungen der drei Tageszeiten,
in welchen ich die Vorgänge auf dem obigen weiten
Herdenfelde gesehen, wurde mir mancherlei von
Gegenden, in denen Abraham gelebt, gezeigt,
wovon ich das meiste vergessen habe. Einmal
sah ich die Höhe, auf welcher Abraham den Isaak
opfern wollte, weit seitwärts liegen. Ein anderes
Mal ward mir das Ereignis von Hagar und Ismael
in der Wüste, obschon dies weit von hier geschah,
sehr deutlich gezeigt. Ich weiß den Zusammenhang
nicht mehr. — Die erste Wohngegend Abrahams
lag höher, und die Länder der drei Könige lagen
tiefer darum herum. Ich will hier das Bild von
Ismael und Hagar erzählen.
HAGAR UND ISMAEL
IN DER WÜSTE
Seitwärts von
Abrahams Berg, mehr nach dem Talgrund hin, sah
ich Hagar mit ihrem Knaben im Gebüsch irren;
sie war ganz wie verstandlos. Der Knabe war
einige Jahre alt und hatte ein langes Röckchen
an. Sie selbst war in einen langen Mantel gehüllt,
der auch das Haupt bedeckte, unter diesem hatte
sie einen kurzen Rock, ihr Oberleib war eng
und fest bekleidet, und ihre Arme waren eng
bewickelt. Sie legte den Knaben an einen Hügel
unter einen Baum und machte ihm ein Zeichen
die Stirne, in die Mitte des rechten Oberarms,
der Brust und des linken Oberarms. Das Zeichen
an der Stirne sah ich nicht, als sie wegging,
die anderen Zeichen aber, welche auf die Kleider
gezeichnet waren, blieben wie mit rotbrauner
Farbe geschrieben sichtbar. — Diese Bezeichnung
bildet sich kreuzförmig, ohne jedoch ein gewöhnlich
Kreuz zu sein. Sie glich einem Malteserkreuz,
wenn man es vier Dreiecke mit den Spitzen um
einen Ring kreuzförmig herumlegen würde. In
die vier Dreiecke schrieb sie Zeichen oder Buchstaben
wie Haken, deren Bedeutung ich nicht genau behalten
konnte; in die Mitte in den Ring sah ich sie
zwei oder drei Buchstaben schreiben. Sie zeichnete
dieses sehr schnell mit roter Farbe, die sie
in der Hand zu haben schien (wenn es nicht Blut
war). Sie hatte den Daumen und den Zeigefinger
bei dieser Handlung zusammengeschlossen. Hierauf
wendete sie sich, blickte gegen Himmel und sah
sich nicht mehr um nach ihrem Sohn. Sie ging
etwa einen Büchsenschuß weit und setzte sich
unter einen Baum, da hörte sie eine Stimme vom
Himmel, stand auf und ging weiter, da hörte
sie nochmals die Stimme, da sah sie unter dem
Laub eine Quelle, füllte ihren ledernen Wasserbehälter
und ging zu dem Sohne zurück, gab ihm zu trinken,
führte ihn zu der Quelle, wo sie ihm ein anderes
Gewand über das bezeichnete Kleid anlegte.
Das ist, was ich mich von dieser Anschauung
erinnere. Ich meine, schon in früherer Zeit
die Hagar in der Wüste zweimal gesehen zu haben.
Einmal vor der Geburt ihres Sohnes und dann
wie jetzt mit dem Jüngling Ismael.
THEOKENO HOLT
DEN ZUG MENSORS UND SAIRS IN EINER TWISTEN STADT
VOLL SÄULEN EIN. - ARME EINWOHNER
FOLGEN DEM ZUGE. - SPÄTER LEHREN
DIE JÜNGER SATURNIN UND JONADAH HIER DAS EVANGELIUM.
- VON DER WOHNGEGEND UND DER LÄNGE DER
REISE DER KÖNIGE UND VON IHREN NAMEN, UND WIE
DIE ZWEI NOCH LEBENDEN NACH JESU TOD VOM APOSTEL
THOMAS GETAUFT WORDEN.
Nacht vom 27.—28.
November.
Vorbemerkungen. Als die selige Schwester Emmerich
im Jahre 1821 diese Betrachtungen vom Zuge der
heiligen drei Könige mitteilte, hatte sie bereits
den ganzen Lehrwandel Jesu auf Erden erzählt
und unter anderem auch betrachtet, wie er nach
der Erweckung des Lazarus, welche sie am 7.
September des dritten Lehrjahres geschehen sah,
sich über den Jordan zurückzog und während einer
Abwesenheit von 16 Wochen die drei Könige besuchte,
welche nach der Rückkehr von ihrem Zuge nach
Bethlehem sich alle vereint, mit ihren Angehörigen
näher bei dem gelobten Lande niedergelassen
hatten. Nur Mensor und Theokeno lebten damals
noch, den braunen König Sair fand Jesus im Grabe.
— Es schien nötig, die Leser von diesen dreiunddreißig
Jahre später geschehenen, aber früher erzählten
Ereignissen zu unterrichten, damit einiges darauf
Bezügliche in Folgendem ihnen verständlich sein
möge.
------------------------
In der Nacht vom 27.—28. November sah ich, als
der Tag zu grauen begann, den nacheilenden Zug
des Theokeno, die Züge Mensors und Sairs in
einer verwüsteten Stadt einholen — In dieser
Stadt standen große Reihen von freistehenden
hohen Säulen. An den Toren, welche viereckige
zerfallene Türme waren und an manchen anderen
Orten standen viele große, schöne Bildsäulen;
diese waren nicht so steif wie jene in Ägypten,
sondern hatten schöne lebendige Stellungen.
Die Gegend war dort sandig und viele Steinberge.
In den Ruinen dieser wüsten Stadt hatten sich
Leute angesiedelt, welche ein wildes Raubgesindel
schienen. Sie hatten nichts als ein Tierfell
umhängen und führten Spieße. Sie waren von bräunlicher
Farbe, kurz und stämmig, aber ungemein behend.
Es ist mir, als sei ich schon einmal an dem
Orte gewesen, vielleicht auf jenen Reisen, die
ich zu dem Prophetenberg und an den Ganges zu
machen träumte. Als die Züge nun alle drei hier
beisammen waren, verließen sie bei Tagesanbruch
diese Stadt in eiliger Fortsetzung ihres Wegs,
und viele von dem armen Gesindel, das hier wohnt,
schlossen sich dem Zuge wegen der Freigebigkeit
der Könige an. Sie zogen noch eine halbe Tagreise
weiter, wo sie einen Rasttag machen werden.
In diese verwüstete Stadt sind nach Christi
Tod von dem Apostel Johannes die beiden Jünger
Saturnin
90
und Jonadab, der Halbbruder Petri, gesendet
worden, das Evangelium zu verkünden.
90 Sie sah
den Zug der Könige durch diese Stadt am Fest
des heiligen Saturninus, von dem sie eine Reliquie
besitzt, darum bemerkte sie seinen Bezug auf
diesen Ort. Später las der Schreiber in der
Legende dieses Heiligen in Fleurs des vies des
Saints, daß Saturnin in Asien bis gen Medien
hin das Evangelium verkündigt habe.
GESICHTSFARBE
UND NAMEN DER HEILIGEN DREI KÖNIGE
Ich sah nun die
heiligen drei Könige beisammen. Der letzte hier
hinzugekommene war der entfernteste, Theokeno,
von schöner gelblicher Gesichtsfarbe; ich erkannte
ihn als jenen wieder, der krank in seinem Zelt
lag, als zweiunddreißig Jahre später Jesus die
Könige in ihrer Niederlassung, näher bei dem
gelobten Lande, besuchte. — Jeder der drei Könige
hat vier nahe Verwandte oder Freunde seiner
Familie bei sich, so daß mit den Königen überhaupt
fünfzehn vornehmere bei dem Zuge sind, welchem
eine Menge von Kameltreibern und Knechten folgen.
Unter mehreren Jünglingen des Gefolges, welche
bis zum Gürtel schier ganz nackt sind und ungemein
flink springen und laufen können, erkenne ich
jenen Eleasar als Jüngling, der später ein Märtyrer
geworden und von welchem ich eine Reliquie besitze.
Am Nachmittage nochmals von ihrem Beichtvater
um die Namen der heiligen drei Könige gefragt,
antwortete sie: „Mensor, der bräunliche, empfing
nach Christi Tod in der Taufe von dem heiligen
Thomas den Namen Leander, Theokeno, der gelbliche,
alte, welcher bei Jesu im Lager Mensors in Arabien
krank war, wurde vom heiligen Thomas Leo getauft.
Der Braune, der bei Jesu Besuch schon gestorben
war, hieß Seir oder Sair." -—
Ihr Beichtvater
fragte sie: „Wie ist dann dieser getauft worden?"
— Sie ließ sich aber nicht irremachen und sprach
lächelnd: „Er war ja bereits tot und hatte die
Taufe der Begierde."
— Der Beichtvater sagte nun: „leb habe aber
diesen Namen mein Lebtag nicht gehört, wie kommen
sie denn zu den Namen: Kaspar, Melchior, Balthasar?"
—
Da erwiderte
sie: „Ja, sie haben sie so genannt, weil sich
das so zu ihrem Wesen reimt; denn diese Namen
heißen: „
1. Er geht mit Liebe.
2. Er schweift drum her, er geht mit Schmeicheln,
er geht so sanft nähernd dazu.
3. Er greift mit seinem Willen schnell zu, er
greift mit seinem Willen in Gottes Willen schnell
zu."
Sie sagte dieses mit großer Freundlichkeit und
drückte den Inhalt der drei Namen mit der
Bewegung ihrer Hand vor sich auf der Bettdecke
pantomimisch aus.
Inwiefern in jenen drei Worten dergleichen verstanden
werden kann, bleibt der Forschung der Sprachkundigen
auszumitteln.
DER ZUG DER HEILIGEN
DREI KÖNIGE RASTET AN EINEM BRUNNEN. -
ORDNUNG DES ZUGES. - FÜTTERN UND
TRÄNKEN DER LASTTIERE. - SPEISEBEREITUNG.
- GEFÄSSE. - VON DEM STERN,
DER SIE FÜHRT. - WEITE IHRER REISE.
- VON IHRER HEIMAT. - SIE
SETZEN IHREN WEG FORT.
Den 28. November.
Eine halbe Tagreise nach der verwüsteten Stadt,
worin die vielen Säulen und Steinfiguren standen,
glaubte ich mit dem Zuge der heiligen drei Könige
erst recht zusammenzutreffen. Es war in einer
etwas fruchtbaren Gegend. Man sah hie und da
Hirtenwohnungen, von schwarzen und weißen Steinen
gemauert, liegen. — Der Zug nahte in der Ebene
einem Brunnen, in dessen Nähe sieb mehrere geräumige,
an der Seite offene Schoppen befanden. Drei
standen in der Mitte und mehrere um diese her.
Es schien dieses ein gewöhnlicher Ruheplatz
für ähnliche Züge.
Ich sah den ganzen Zug in drei Scharen bestehen;
bei jeder dieser Schar befanden sich fünf Vornehmere,
unter denen einer das Haupt oder der König war,
der wie ein Hausvater auch alles besorgte, befahl
und verteilte. Jeder dieser drei Haufen bestand
aus Menschen von einer verschiedenen Gesichtsfarbe.
Der Stamm Mensor war von angenehm bräunlicher
Farbe. Der Stamm Sairs war braun, jener Theokenos
aber von schimmernder gelblicher Farbe. Von
glänzendem Schwarz sah ich keine, außer einigen
Sklaven, deren sie alle hatten.
Die Vornehmen saßen auf ihren hochbepackten
Tieren zwischen Bündeln, welche mit Teppichen
überdeckt waren. Sie hatten Stäbe in der Hand.
Ihnen folgten andere Tiere, fast wie Pferde
so groß, worauf Diener und Sklaven zwischen
Gepäck ritten. — Angekommen, stiegen sie ab,
packten die Tiere ganz ab und gaben ihnen an
dem Brunnen zu trinken. Der Brunnen war mit
einem kleinen Wall, worauf eine Mauer mit drei
offenen Eingängen, umgeben. In diesem Raum war
der Wasserbehälter, der etwas niedriger lag
und einen Brunnenstock mit drei durch Zapfen
geschlossenen Wasserröhren hatte. Der Behälter
war mit einem Deckel geschlossen. Es war ein
Mann aus der wüsten Stadt mitgegangen, welcher
den Wasserbehälter gegen eine Abgabe aufschloß.
Sie hatten lederne Gefäße, die man ganz platt
zusammenlegen konnte, in vier Fächer geteilt,
welche sie mit Wasser füllten und woraus immer
vier Kamele zugleich tranken. Sie waren auch
mit dem Wasser so vorsichtig, daß kein Tropfen
verloren gehen durfte. Dann wurden die Tiere
in eingezäunte unbedeckte Räume, die dem Brunnen
zunächst lagen, eingestellt, und der Stand eines
jeden war vom anderen durch eine Trennung geschieden.
Sie hatten steinerne Tröge vor sich, in welche
ihnen ein Futter geschüttet wurde, welches sie
bei sich führten. Es bestand aus Körnern so
groß wie Eicheln (vielleicht Bohnen). Unter
dem Abgepackten befanden sich auch große viereckige
Vogelkörbe, schmal und hoch, welche unter den
breiteren Packen an den Seiten der Tiere hingen;
darin saßen einzeln und paarweise nach verschiedener
Größe Vögel, ungefähr wie Tauben oder Hühner
groß. Sie brauchten sie zur Nahrung unterwegs,
sie saßen in getrennten Räumen. In ledernen
Kisten hatten sie Brote von gleicher Größe wie
einzelne Tafeln dicht nebeneinander gepackt,
da brachen sie immer so viel heraus, wie sie
brauchten. Sie hatten sehr kostbare Gefäße bei
sich von gelbem Metall und auch mit Zierraten
von Edelsteinen besetzt, fast ganz in der Gestalt
unserer Kirchengefäße wie Kelche, Schiffchen
und Schalen, aus denen sie tranken und auf welchen
sie die Speise herumreichten. Die Ränder dieser
Gefäße waren meist mit roten Edelsteinen besetzt.
Die Stämme waren etwas verschieden in ihrer
Kleidung. Theokeno, der Gelbliche, und seine
Familie, ebenso Mensor, der Bräunliche, trugen
eine hohe buntgestickte Kappe mit einer weißen
Binde dick umwunden auf dem Kopf. Ihre Jacken
gingen bis über die Waden, sehr einfach, mit
wenigen Knöpfen und Verzierungen auf der Brust.
Sie waren in leichte, weite und sehr lange Mäntel
gehüllt, welche hinten nachschleppten. -— Sair,
der Braune, und seine Familie trugen Mützen
mit kleinem weißen Wulst und runder, buntgestickter
Kappe, worauf noch ein andersfarbiger Batzen.
Sie hatten kürzere Mäntel, jedoch hinten etwas
länger als vorn und Jacken darunter, bis auf
die Knie ganz zugeknöpft,
auf
der Brust mit Schnüren, Flittern und vielen
blinkenden Knöpfen, Knopf an Knopf verziert.
Auf der einen Seite der Brust hatten sie ein
blinkendes Schildchen gleich einem Stern. Alle
hatten sie nackte Füße mit Schnüren umflochten,
mit welchen die Sohlen anschlossen. Die Vornehmeren
hatten kurze Säbel oder große Messer in ihren
Gürteln und auch manche Beutel und Büchsen anhängen.
Es waren unter den Königen und ihren Verwandten
Männer, etwa von fünfzig, vierzig, dreißig und
zwanzig Jahren. Einige hatten längere, andere
nur kurze männliche Bärte. Die Knechte und Kameltreiber
waren viel einfacher gekleidet und manche nur
mit einem Stück Zeug oder einer alten Decke.
Als die Tiere befriedigt und eingepfercht waren
und sie selbst getrunken hatten, machten sie
ein Feuer in der Mitte des Schoppens, unter
dem sie sich gelagert hatten. Das Holz dazu
bestand aus etwa zweieinhalb Schuh langen Splittern,
welche die armen Leute aus der Gegend in sehr
ordentlichen Bündeln herbeigebracht, als hätten
sie dergleichen schon vorrätig für Reisende.
Die Könige machten einen dreieckigen Scheiterhaufen
und legten rings um ihn Splitter in die Höhe,
auf der einen Seite war eine Öffnung zum Luftzug
gelassen, es war sehr geschickt gelegt. Wie
sie aber Feuer machten, weiß ich nicht recht,
ich sah, daß einer ein Holz in einem anderen,
wie in einer Büchse, eine kleine Zeit drehte
und daß er es dann brennend herauszog. So zündeten
sie ein Feuer an, und ich sah sie nun einige
Vögel schlachten und braten.
Die drei Könige und Ältesten taten jeder in
seinem Stamm wie ein Hausvater, sie zerteilten
die Speise und legten vor. Sie legten die zerschnittenen
Vögel und kleinen Brote auf kleine Schalen oder
Teller, welche auf einem niederen Fuß standen,
und reichten sie umher; ebenso füllten sie die
Becher und gaben jedem zu trinken. — Die niederen
Knechte, unter welchen Mohren sind, liegen an
einer Seite des Mahles auf einer Decke auf der
Erde und warten ganz geduldig und bekommen auch
ihr richtiges Maß. Ich meine, es sind Sklaven.
Oh, wie rührend ist die Gutmütigkeit und kindliche
Einfalt dieser lieben Könige! Sie geben den
Leuten, die ihnen zugelaufen sind, von allem,
was sie haben, ja sie halten ihnen die goldenen
Gefäße an den Mund und lassen sie daraus trinken
wie die Kinder.
VON DER HEIMATSLAGE
UND DER REISELÄNGE DER HEILIGEN DREI KÖNIGE
Ich erfuhr heute
vieles von den heiligen Königen, auch die Namen
ihrer Länder und Städte, aber in meiner gestörten
Lage und Hilflosigkeit habe ich schier alles
wieder vergessen. — leb will sagen, was ich
weiß. — Mensor, der Bräunliche, war ein Chaldäer,
seine Stadt hieß ungefähr wie Acajaja
91
sie lag, von einem Fluß umgeben, wie auf einer
Insel. Er war aber immer auf dem Felde bei seinen
Herden. Seir, der Braune, war um Christnacht
schon ganz zum Zuge gerüstet bei ihm. Ich erinnere
mich bei seinem Ländernamen des Klanges Partherme.
(Vielleicht verstümmelt Parthiene oder Parthomaspe.)
Etwas höher über ihm lag ein See. Nur er und
sein Stamm waren so braun, aber mit roten Lippen,
die übrigen Leute umher waren weiß. Es war nur
ein Fleck, etwa so groß wie Münster.
91 Der Schreiber
fand im Jahre 1839, also achtzehn Jahre, nachdem
obiges Acajaja ausgesprochen worden, in Funkes
Realschulwörterbuch angeführt „Achajacula, ein
Kastell auf den Inseln des Euphrats in Mesopotamien
(Ammian 24,2)." Wir wünschen, daß sich eine
richtige Kombination damit verbinden lasse.
Theokeno, der Weiße, war aus einem höher hinauf
liegenden Lande, Medien; es lag so wie ein Stück
zwischen zwei Meeren hinein, er wohnte in seiner
Stadt, deren Namen ich vergessen, sie bestand
aus Zeltgebäuden, die auf einer Grundlage von
Steinen errichtet waren. Ich meine immer, Theokeno,
der am meisten von den Dreien verließ, er war
der reichste, hätte einen geraderen Weg gehabt
nach Bethlehem und habe, um mit den anderen
vereint zu ziehen, einen Umweg machen müssen,
ich glaube fast, er hat bei Babylon vorbei gemußt,
um zu ihnen zu kommen.
Von dem Lager Mensors, des Bräunlichen, wohnte
Seir, der Braune, drei Tagreisen, jede zu 12
Stunden gerechnet, und Theokeno fünf solche
Tagreisen entfernt. Mensor und Seir waren im
Lager des ersteren beisammen gewesen, als sie
das Sterngesicht von der Geburt Jesu sahen,
und waren am folgenden Tage mit ihrem Zuge aufgebrochen.
Theokeno, der Weiße, sah dasselbe Gesicht zu
Hause und eilte ihnen mit großer Schnelligkeit
nach und traf in der zertrümmerten Stadt mit
den beiden anderen zusammen. Ich habe die Größe
ihrer Reise bis Bethlehem gewußt, aber teils
wieder vergessen, was ich mich ungefähr erinnere,
ist: Ihr Weg war etwa 700 und noch eine Zahl
Stunden, worin sechs vorkommt, lang. Sie hatten
etwa 60 Tagreisen Wegs, jede zu 12 Stunden gerechnet,
aber sie legten sie in 33 Tagen bei der großen
Schnelligkeit ihrer Lasttiere zurück, indem
sie oft Tag und Nacht reisten.
Der Stern, der sie führte, war eigentlich wie
ein runder Ball; und es strömte Licht aus ihm
nieder wie aus einem Munde (dieser Ausdruck
mag ihr naheliegen, weil sie so oft Licht aus
dem Munde des Herrn und der Heiligen strömen
sieht). — Es war mir immer, als werde dieser
Ball, wie an einem Lichtfaden schwebend, von
der Hand einer Erscheinung geführt. Bei Tag
sah ich einen Lichtkörper heller als der Tag
vor ihnen wandeln. Wenn ich die Ferne des Weges
betrachte, scheint die Schnelligkeit des Zuges
erstaunlich, es haben aber auch diese Tiere
einen so leichten und gleichen Schritt, daß
ich ihren Zug so geordnet, schnell und gleichmäßig
wie den Flug der Zugvögel hinziehen sehe. Die
Lage der Heimat der drei Könige bildete ein
Dreieck zueinander. Mensor, der Bräunliche,
und Sair, der Braune, wohnten näher beisammen,
Theokeno, der weißeste, wohnte am fernsten.
Durch Chaldar, wo ich einmal den beschlossenen
Garten im Tempel gesehen, sind sie, glaube ich,
schon durchgezogen. Die ferne Stadt des Theokeno
ist nur am Boden von Steinen erbaut, oben drauf
ist alles von Gezeiten. Es ist auch Wasser umher.
Sie scheint mir wohl so groß wie Münster.
Als der Zug bis gegen Abend hier gerastet hatte,
halfen ihnen die Leute, die sich an sie geschlossen
hatten, ihr Gepäck wieder auf die Lasttiere
verteilen und schleppten dann allerlei, was
sie zurückließen, mit sich nach Hause. — Es
war gegen Abend, als sie aufbrachen. — Der Stern
war sichtbar und hatte heute eine rötliche Farbe
wie der Mond bei windigem Wetter.
Der Lichtschweif war bleich und lang. Sie gingen
noch eine Strecke neben ihren Tieren zu Fuß
mit imbedecktem Kopf und beteten. Der Weg war
hier so, daß man nicht geschwind fort konnte;
hernach, wo es eben wurde, stiegen sie auf die
Tiere, welche einen sehr schnellen Gang hatten.
Manchmal gingen sie langsam, und dann sangen
sie alle ungemein rührend durch die Nacht.
NACHTZUG DER
KÖNIGE. - KURZE RAST. -
SIE KOMMEN IN DIE GEGEND DER BAUMWOLLSPINNENDEN.
- ANKUNFT BEI DEM KÖNIG VON CAUSUR, DREIUNDSECHZIG
STUNDEN VOR DER ZERTRÜMMERTEN STADT. -
SIE ERZÄHLEN DIE VERANLASSUNG IHRES ZUGES, ER
VERSPRICHT ANTEIL BEI IHRER RÜCKKEHR.
- MEHRERES VON DEN VORFAHREN DER DREI
KÖNIGE UND IHRER ERWARTUNG DES STERNES AUS JAKOB.
- BALAAM. - SIBYLLEN.
- LEITER JAKOBS. - GÖTZENDIENST.
- MENSCHENOPFER. - HEILIGES
UND UNHEILIGES STERNSEHEN.
29. November
bis 2. Dezember.
Vom 29. auf den 30. November, in der Nacht des
Donnerstags auf den Freitag, war ich wieder
bei dem Zuge der Könige; ich kann nicht genug
sagen, wie mich die Ordnung, die andächtige
Gemütserhebung und Freude alles ihres Tuns erbaut.
Wir ziehen durch die Nacht immer dem Sterne
nach, der dort mit einem langen Schweif bis
an die Erde rührt. Die guten Männer schauen
immer so still und freudig nach ihm hin und
reden zusammen von ihren Tieren herab. Zuweilen
singen sie auch abwechselnd kurze Sprüche. Die
Weise ist gar langsam und rührend, bald sehr
hoch, bald tief. Es klingt so beweglich in der
stillen Nacht, und ich fühle alles, was sie
singen. Und in welch schöner Ordnung geht der
Zug: immer ein großes Kamel mit Kasten auf beiden
Seiten des Buckels, worüber große Teppiche gebreitet
sind, und obendrauf sitzt einer der Anführer
mit einem Spieße, und ein Sack liegt ihm zur
Seite. Dann folgen kleinere Tiere, wie Pferde
oder große Esel, und zwischen Päckchen die Männer
drauf, welche zu diesem Anführer gehören. Hierauf
kommt wieder einer der Vornehmen auf einem Kamel
usw. — Diese Tiere schreiten so leise mit großen
Schritten und setzen die Füße, als wollten sie
nichts zertreten. Ihr Leib ist so ruhig, als
würde er wie tot von den Füßen nur so hingetragen,
und den Kopf auf dem langen Hals tragen sie
so ruhig still ergeben. Auch die Leute tun alles
so vor sich hin, als dächten sie gar nicht nach.
Es geschieht alles so still und süß hin, alles
wie ein ruhiger Traum.
Da muß ich wieder eine gar schöne Betrachtung
machen. Diese guten Leute kennen den Herrn noch
nicht und ziehen so ordentlich, friedlich und
anmutig zu ihm, und wir, die er erlöst und mit
allen Gnaden überhäuft hat, wie tun wir so verwirrt,
wüst und unehrerbietig in unseren Prozessionen!
Ich meine die Gegend, durch welche sie heute
Nacht zogen, könne wohl die Gegend zwischen
Atom, dem Wohnplatz des Azarias und dem Schlosse
jenes Götzendieners sein, wo ich Jesum am Ende
seines dritten Lehrjahres auf der Reise durch
Arabien nach Ägypten gesehen habe.
Freitag, den 30. November, sah ich den Zug nachts
auf dem Felde an einem Brunnen halten. Ein Mann
aus einer Hütte, deren mehrere in der Nähe waren,
schloß ihnen den Brunnen auf.
Sie tränkten die Lasttiere und erquickten sich,
ohne abzupacken, durch eine kurze Rast.
Samstag, den 1. Dezember, sah ich den Zug der
Könige, deren Weg gestern ansteigend ging, nun
auf einer höheren Fläche. Zu ihrer Rechten war
Gebirge, und es schien mir, als näherten sie
sich, wo der Weg sich wieder senkt, einer Gegend,
in welcher öfters Wohnungen, Bäume und Brunnen
zwischen denselben am Wege lagen. Es schien
mir die Gegend jenör Leute zu sein, welche ich
voriges Jahr und neulich Baumwolle spinnen und
weben sah. Sie hatten die Fäden zwischen den
Bäumen ausgespannt und flochten breite Decken
daraus. — Sie beteten Ochsenbilder an und reichten
dem vielen Gesindel, das dem Zuge der Könige
folgte, freigebig Speise, aber brauchten die
Schüsseln nicht mehr, aus denen jene gegessen
hatten, worüber ich mich wunderte.
Sonntag, den 2. Dezember, sah ich die heiligen
drei Könige in der Nähe einer Stadt, deren Name
mir mit dem Klange Causur erinnerlich ist und
die aus Zelten auf Steinfundamenten erbaut war,
bei einem anderen Könige rasten, dem diese Stadt
gehörte, und dessen Zeltschloß in kleiner Entfernung
vor ihr lag. Sie hatten seit ihrem Zusammentreffen
in jener zertrümmerten Stadt 53 oder 63 Stunden
Wegs bis hierher zurückgelegt. Sie erzählten
dem Könige von Causur alles, was sie in den
Sternen gesehen. Er war sehr verwundert und
schaute durch ein Rohr nach dem Sterne, der
sie führte, und sah ein Kindchen mit einem Kreuze
darin.
Er bat sie hierauf, sie möchten ihm bei ihrer
Rückkehr alles berichten, so wolle er dem Kinde
auch Altäre aufrichten und ihm opfern. Ich bin
nun begierig, wenn sie wiederkommen, ob er auch
Wort halten wird. Ich hörte sie im Gespräche
mit ihm die Entstehung ihrer Sternbeobachtung
erzählen und erinnere mich noch folgendes davon.
VON DEN VORFAHREN
DER HEILIGEN DREI KÖNIGE UND DEREN BEOBACHTUNG
DER GESTIRNE USW. - LEITER JAKOBS
UND VORBILDER DARAUF.
Die Ureltern
der Könige stammten von Hiob ab, der damals
auf dem Kaukasus lebte und auch noch andere
Landstriche in der Ferne besaß. Ungefähr 1500
Jahre vor Christi Geburt war nur noch ein Stamm
von ihnen da. Der Prophet Balaam war dort aus
der Gegend, und einer aus seinen Schülern verbreitete
daselbst dessen Prophezeiung: Es werde ein Stern
aus Jakob aufgehen, und lehrte darüber. Diese
Lehre fand dort eine große Aufnahme; sie bauten
einen hohen Turm auf einem Berg, und viele weise
Männer und Sternkündiger wohnten abwechselnd
dort. Ich habe den Turm gesehen, er war selbst
wie ein Berg, unten breit und oben spitz. Ich
sah auch die Löcher darin, wo sie wohnten. Alles,
was sie in den Sternen erkannten, wurde aufgemerkt
und von Mund zu Mund gelehrt. Mehrmals kam doch
diese Beobachtung durch allerlei Ereignisse
in Verfall. Nachher kamen sie in den abgöttischen
Gräuel, daß sie Kinder opferten, auf daß das
verheißene Kind doch bald kommen möge.
Ungefähr 500 Jahre vor jetzt, das heißt vor
Christi Geburt, war die Beobachtung auch im
Verfall. Es bestand aber damals dieses Geschlecht
in drei Stämmen durch drei Brüder, diese wohnten
getrennt mit ihren Geschlechtern, und sie hatten
drei Töchter, welchen Gott einen prophetischen
Geist gab, so daß sie zugleich in langen Mänteln
im Lande umher wandelten und von dem Stern und
Kinde aus Jakob weissagten und lehrten. Da ward
die Beobachtung der Sterne und das Verlangen
nach dem Kinde bei den drei Stämmen wieder lebhaft
erneuert. Von diesen drei Brüdern stammten die
heiligen drei Könige ungefähr seit 500 Jahren
durch 15 Geschlechter in gerader Linie ab, sie
sind aber durch Vermischung mit anderen Menschenstämmen
jetzt verschiedenfarbig geworden.
Seit 500 Jahren nun bis jetzt waren immer einzelne
dieser Voreltern der Könige auf einem gemeinschaftlichen
Gebäude zur Beobachtung der Sterne versammelt,
und nach verschiedenen Erkenntnissen, die sie
erhielten, ward manches in ihrem Tempel- und
Gottesdienst verändert. Leider währte das Menschen-
und Kinderopfer noch lange bei ihnen. Alle merkwürdigen
und auf die Annäherung des Messias bezüglichen
Zeiten wurden ihnen durch wunderbare Gesichte
beim Anblick der Gestirne bezeichnet. Ich sah
viele derselben während ihrer Erzählung, vermag
sie aber nicht klar wiederzuerzählen. Seit der
Empfängnis Mariä, seit also 15 Jahren, waren
diese Bilder immer bestimmter auf die Annäherung
des Kindes zeigend geworden. Zuletzt hatten
sie selbst manches gesehen, was auf die Leiden
Jesu deutete.
Sie konnten die Ankunft des Sternes aus Jakob,
den Balaam prophezeit hatte (Num 24,17), gar
gut berechnen, denn sie hatten die Leiter Jakobs
gesehen, und nach der Anzahl der Stufen und
der Folge der auf denselben erscheinenden Bilder
konnten sie, wie an einem Kalender, die Nähe
des Heils genau berechnen. Denn das Ende der
Leiter führte zu diesem Stern, oder er war das
äußerste Bild auf derselben. Sie sahen die Leiter
Jakobs als einen Stamm, in welchen rings drei
Reihen von Sprossen eingezapft waren,
auf
welchen sich eine Folge von Bildern zeigte,
die sie bei ihrer Erfüllung in dem Sterne erscheinen
sahen. So aber wußten sie genau, was nun immer
für ein Bild folgen mußte, und erkannten auch
nach den Zwischenräumen, wie lange zu warten
sei.
Sie hatten zur Zeit von Mariä Empfängnis die
Jungfrau mit Zepter und gleichstehender Waage
gesehen, worin Weizen und Trauben. Etwas unter
ihr sahen sie die Jungfrau mit dem Kinde. Bethlehem
sahen sie als ein schönes Schloß, ein Haus,
worin viel Segen gesammelt und ausgeteilt ward.
Hierin sahen sie die Jungfrau mit dem Kinde
von großem Glänze umgeben und wie viele Könige
sich vor ihm beugten und ihm opferten. — Sie
sahen auch das himmlische Jerusalem und zwischen
jenem Hause und diesem eine finstere Straße,
voll Dornen, Kampf und Blut.
Sie hielten dieses alles für wirklich. Sie meinten,
der König sei in solcher Pracht geboren, und
es beugten sich alle Völker vor ihm; darum kamen
sie auch mit ihren Gaben gezogen. Sie hielten
das himmlische Jerusalem für sein Reich auf
Erden und glaubten, dahin zu kommen. Den finsteren
Weg hielten sie für ihre Reise dahin, oder dem
Könige drohe ein Krieg; sie wußten nicht, daß
dieses seinen Leidensweg bedeutete. —Unten auf
der Leiter sahen sie (und so auch ich) einen
künstlichen Turm auf die Art, wie ich die Türme
auf dem Prophetenberg sehe und wie sich in diesem
Turme, der viele Eingänge hatte, einmal die
Jungfrau in einem Sturm unter einen Vorbau flüchtete,
ich weiß nicht mehr, was es bedeutete. (Vielleicht
die Flucht nach Ägypten.) Es war eine große
Folge von Bildern auf dieser Leiter Jakobs,
unter anderen viele Vorbilder auf die heilige
Jungfrau, auch manche, die in der lauretanischen
Litanei vorkommen, und auch der versiegelte
Brunnen, der verschlossene Garten, auch Königsbilder,
die sich den Zepter, und andere, die sich Zweige
zureichten.
Alle diese Bilder sahen sie der Reihe nach in
den Sternen eintreten bei ihrer Erfüllung. In
den letzten drei Nächten sahen sie diese Bilder
fortwährend. Da sendete der vornehmste von ihnen
Boten an die anderen, und als sie das Bild sahen,
wie die Könige dem neugeborenen Kinde opferten,
machten sie sich mit ihren reichen Gaben auf
den Weg und meinten, sie wollten nicht die letzten
sein. — Alle Stämme der Sterndiener hatten den
Stern gesehen, diese aber allein folgten ihm;
der Stern, der vor ihnen ging, war nicht der
Komet, sondern ein leuchtender Schein, den ein
Engel trug. Bei Tage folgten sie dem Engel.
Wegen allem diesem zogen sie mit so vieler Erwartung
hin und erstaunten nachher, von allen dem gar
nichts zu finden. Wie bestürzt waren sie über
Herodes' Empfang und die Unwissenheit aller
Menschen von diesen Dingen. Als sie aber nach
Bethlehem kamen und statt dem herrlichen Schloß,
das sie in dem Sterne gesehen, einen wüsten
Keller sahen, befiel sie großer Zweifel; aber
sie blieben treu bei ihrem Glauben und erkannten
beim Anblick Jesu alles, was sie in den Sternen
gesehen, erfüllt.
Es waren diese ihre Sternbeobachtungen mit Fasten,
Gebet, Gottesdienst und allerlei Enthaltungen
und Reinigungen verbunden. Die Gesichte erfolgten
nicht durch das Anschauen eines einzelnen Sternes,
sondern bei einer Zusammenstellung gewisser
Sterne. Dieser Sterndienst übte auch böse Einflüsse
auf Leute aus, welche einen Bezug zum Bösen
hatten. Solche Leute fielen in ihren Anschauungen
in heftige Konvulsionen, und durch solche sind
auch die betrübten Kinderopfer aufgekommen,
andere aber, zum Beispiel die heiligen drei
Könige, sahen die Bilder klar und ruhig in einer
süßen Innigkeit und wurden immer besser und
frommer.
VERSTÄRKUNG DES ZUGES DER KÖNIGE IN CAUSUR.
- SIE ZIEHEN ÜBER FELD. RASTEN AM BRUNNEN.
- IHR GESANG VON DER STIMME DER BETRACHTENDEN
BEGLEITET
Montag, den 3. bis Mittwoch, den 5. Dezember.
Als die Könige Causur verließen, sah ich, daß
sich ein bedeutender Zug von vornehmen Reisenden,
welche desselben Weges zogen, an sie anschloß.
Am 3. und 4. Dezember sah ich den Zug über weites
Feld hinziehen.
Am 5. rasteten sie an einem Brunnen, ohne jedoch
abzupacken. Sie tränkten und fütterten ihre
Lasttiere und bereiteten sich Speise.
Persönliches. In diesen letzten Tagen sang die
gottselige Emmerich abends im Schlaf öfters
mehrere kurze Reime in höchst rührenden, fremden
Weisen, und um die Veranlassung gefragt, antwortete
sie: Ich singe mit den lieben Königen, sie singen
so süß mancherlei kurze Sprüche; zum Beispiel:
„Wir wollen über die Berge ziehen
Und vor dem neuen König knien."
Sie erfinden und singen diese Verse abwechselnd,
einer fängt an, und alle anderen wiederholen
den von ihm gesungenen Vers; hierauf stimmt
ein anderer einen anderen Vers an, und so fahren
sie immer unter dem Reiten fort, gar süß und
innig zu singen.
In dem Kern des Sterns oder vielmehr der Lichtkugel,
welche vor ihnen den Weg zeigend herzog, sah
ich die Erscheinung eines Kindes mit einem Kreuze.
Diese Lichtkugel war, als sie die Erscheinung
der Jungfrau bei Jesu Geburt in den Sternen
gesehen hatten, über diesem Bilde hervorgetreten
und hatte sich plötzlich leise fortbewegt.
Die Betrachtung wechselt zwischen den Ereignissen
in der Krippenhöhle zu Bethlehem und dem Zuge
der heiligen drei Könige ab.
BETHLEHEM. - DIE HEILIGE JUNGFRAU
AHNET DIE ANNÄHERUNG DER HEILIGEN DREI KÖNIGE.
- ELISABETH KEHRET NACH JUTA. -
VON DER MAGD MARIAS. - EINTRITT
DES TEMPELWEIHFESTES, 25. CASLEU. -
CHRISTI GEBURT WAR AM 12. CASLEU. -
SABBATFEIER IN DER KRIPPENHÖHLE.
Mittwoch, den 5., bis Samstag, den 8. Dezember.
Mittwoch, den 5. Dezember. Maria hatte von der
Annäherung der heiligen drei Könige ein
Gesicht gehabt, während sie bei dem Könige in
Causur rasteten. Sie sah auch, daß dieser ihrem
Kinde einen Altar errichten wollte. Sie erzählte
dieses dem heiligen Joseph und Elisabeth und
sagte, daß sie die Krippenhöhle ausräumen und
alles zum Empfange der Könige zur gehörigen
Zeit zubereiten wollten.
Die Leute, vor welchen Maria sich gestern in
die andere Höhle zurückzog, waren neugieriger
Besuch, der in den letzten Tagen häufiger kam.
— Heute reiste Elisabeth, von einem Diener abgeholt,
wieder nach Juta.
Donnerstag, den 6.-—8. Dezember. Es war in diesen
Tagen ruhiger in der Krippenhöhle. Die heilige
Familie war meist allein. Nur die Magd Marias,
eine rüstige, sehr ernste demütige Person von
etwa dreißig Jahren, war zugegen. Sie war eine
kinderlose Witwe, mit Anna verwandt, die ihr
eine Zuflucht bei ihr gegeben Ihr verstorbener
Mann war sehr hart gegen sie gewesen, weil sie
so oft zu den Essenern ging; denn sie war sehr
fromm und hoffte auf das Heil Israels. Darüber
zürnte er, wie böse Männer heutzutage zürnen,
denen ihre Frauen zu viel in die Kirche gehen.
Er hat sie verlassen und ist gestorben.
Das zudringliche Gesindel, welches an der Krippenhöhle
begehrend so geschimpft und geflucht hatte,
kam in den letzten Tagen nicht mehr. Es waren
Bettler, welche nach Jerusalem auf das Tempelweihfest
der Makkabäer zogen. Dieses Fest fängt eigentlich
am 25. Casleu an, da dieser aber im Geburtsjahr
Jesu am Freitagabend, dem 7. Dezember, mit dem
Sabbat eintrat, so ward es auf den Samstagabend,
den 8. Dezember, oder 26. Casleu, verschoben.
Es dauert acht Tage.
(Es wäre also am sechsten Tage nach der Beschneidung
der 25. Casleu gewesen, diese also am 19. Casleu
geschehen, und also wäre der 12. Casleu der
Geburtstag Jesu.)
Joseph feiert mit Maria und der Magd den Sabbat
unter der Lampe in der Krippenhöhle. — Samstagabend
aber begann die Feier des Tempelweihfestes.
Joseph hatte an drei Orten der Höhle Leuchter
befestigt, auf deren jedem er sieben Lämpchen
anzündete. — Es ist jetzt ruhig, der viele Besuch
kam von Reisenden zum Fest. — Die Verbinderin
kam bis jetzt täglich zu Maria. — Anna sendet
manchmal Boten mit Gaben und erhält Nachricht.
— Die jüdischen Frauen säugen ihre Kinder nicht
lange ohne andere Nahrung, auch das Jesuskind
empfing schon nach den ersten Tagen einen Brei
aus dem Mark einer Schilfpflanze, welches leicht,
süß und nahrhaft ist. — Bei Tage ist der Esel
meistens draußen auf der Weide und steht nur
nachts in der Höhle.
BETHLEHEM. - JOSEPH FEIERT DAS TEMPELWEIHFEST.
- EIN KNECHT BRINGT GESCHENKE DER MUTTER
ANNA. STOFF ZU EINEM GÜRTEL. FRÜCHTE UND BLUMEN.
ZUG DER KÖNIGE ÜBER BERGE, WORAUF SCHALENFÖRMIGE
STEINE. - GEGEND IHRER ZUKÜNFTIGEN
NIEDERLASSUNG.
Sonntag, den 9., Montag, den 10. Dezember.
Gestern, am Sonntag, dem 9., sah ich die Verbinderin
nicht mehr zu der Krippe kommen.
— Joseph steckt immer abends und morgens seine
Kirchweihlichtchen an. Seit das Fest in
Jerusalem begonnen, ist es recht ruhig hier.
Montag, den 10. Heute kam ein Knecht von Mutter
Anna. Er brachte der heiligen Jungfrau außer
anderem Geräte weibliche Arbeit zu einem Gürtel
und ein wunderschönes Körbchen voll Früchte,
oben mit lebendigen Rosen geschlossen, welche
in die Früchte eingesteckt und ganz frisch waren.
Das Körbchen war schlank und hoch, die Rosen
waren nicht von unserer Rosen färbe, sondern
bleicher, schier fleischfarbig, auch gelbe und
weiße, groß und gefüllt, auch Knospen waren
daran. Maria schien sich sehr darüber zu freuen
und stellte das Körbchen neben sich.
Zug der Könige.
Ich habe in den letzten Tagen die Könige öfters
in ihrem Zuge gesehen, ihr Weg war gebirgiger,
sie kamen über jene Berge, wo oft kleine Steinschalen
gleich zerbrochenen Töpfen hegen. Ich möchte
immer so gerne davon haben, sie sind so schön
glatt. Auch sind Berge da, wo viele weiße, durchsichtige
Steine gleich Vogeleiern liegen, auch vieler
weißer Sand. — Ich sah sie jetzt in der Gegend,
in welcher sie nachmals wohnten, da Jesus sie
in seinem dritten Lehrjahre besuchte. Sie waren
nicht in jener Zeltstadt selbst, denn die existierte
damals noch nicht.
BETHLEHEM. - JOSEPH MÖCHTE SICH
IN BETHLEHEM NIEDERLASSEN. - ANNAS
BESUCH NAHT. SIE VERTEILT IHRE HERDEN.
- ES NAHT EIN NEUES FEST. -
EIN PRIESTER BEI JOSEPH.
Dienstag, den
11., Donnerstag, den 13. Dezember.
Es ist mir, als habe Joseph Lust nach Maria
Reinigung mit ihr in Bethlehem wohnen bleiben
zu wollen. Ich meine, er hat sich nach einer
Wohnung umgesehen. Vor etwa drei Tagen waren
ziemlich vornehme Leute aus Bethlehem in der
Krippenhöhle, sie möchten sie jetzt schon gerne
in ihr Haus nehmen. Maria verbarg sich vor ihnen
in die Seitenhöhle, und Joseph lehnte das Anerbieten
ab. .Anna wird bald die heilige Jungfrau besuchen.
Ich sah sie in der letzten Zeit so beschäftigt,
sie teilte ihre Herden wieder mit den Armen
und dem Tempel. Die heilige Familie teilte auch
immer alles gleich aus. Das Kirchweihfest ward
noch immer abends und morgens gefeiert. Es muß
aber am 13. ein neues Fest hinzugekommen sein.
Ich sah auch in Jerusalem allerlei am Fest verändern.
In vielen Häusern sah ich die Fenster zumachen
und verhängen. Ich sah auch einen Priester mit
einer Rolle bei Joseph in der Höhle. Sie beteten
zusammen an einem rot und weiß behängten Tischchen.
Es war, als wolle er sehen, ob Joseph das Fest
halte, oder als künde er ihm ein neues Fest
an. (Es kam ihr wie ein Festtag vor, doch meinte
sie auch, das Neumondfest müsse jetzt eingetreten
sein. Sie wußte es nicht recht bestimmt.) Die
Krippe war still und unbesucht in den letzten
Tagen.
BETHLEHEM. - SCHLUSS DES TEMPELWEIHFESTES.
- ZUDRANG ZUR KRIPPE. - ANNA
SENDET NAHRUNGSMITTEL. - JOSEPH
ORDNET MANCHES WEGEN DEM BESUCH ANNAS UND DER
KÖNIGE. - ZUG DER KÖNIGE. SIE GELANGEN
IM GELOHTEN LANDE IN EINER STADT AN, GEHEN ÜBER
DEN ARNON.
Freitag, den 14., bis Dienstag, den 18. Dezember.
Mit dem Sabbat war das Fest der Tempelweihe
geschlossen. Joseph steckte die kleinen Lichter
nicht mehr an. Sonntag, den 16., und Montag,
den 17., kamen wieder mehrere Leute aus der
Gegend zu der Krippe. Auch ließen sich die ungestümen
Bettler an dem Eingang spüren. Es war, weil
die Leute jetzt vom Feste zurückkehrten.
Am 17. kamen zwei Leute von Anna mit Nahrungsmitteln
und Geräte. Maria ist aber mit Austeilen noch
viel schneller als ich. Es ward bald alles wieder
weggeschenkt. — Ich sehe auch, daß Joseph anfängt,
mancherlei in der Krippenhöhle, den Seitenhöhlen
und auch in der Grabhöhle Marahas zu ordnen
und zu räumen. Er hat Vorräte dahin gebracht.
Sie erwarteten Annas Besuch und nach der Anschauung
Marias die Ankunft der Könige bald.
Zug der Könige.
Montag, den 17. Dezember. — Ich sah den Zug
der Könige heute spät abends in einer kleinen,
zerstreut liegenden Stadt ankommen. Viele der
Häuser waren mit hohen, geschlossenen Zäunen
umgeben, es schien mir dies der erste jüdische
Ort. Sie waren hier eigentlich in gerader Linie
mit Bethlehem, aber sie nahmen ihren Weg doch
rechts ab, vermutlich, weil die Straße nicht
anders ging. Als sie in diesen Ort kamen, sangen
sie besonders schön und laut und waren ganz
freudig, denn der Stern schien hier ungemein
hell, und es war hier wie Mondschein, so daß
man deutlich die Schatten sehen konnte. Jedoch
schienen die Einwohner entweder den Stern nicht
zu sehen oder keinen besonderen Anteil daran
zu nehmen.
Die Leute waren sonst gut und ungemein dienstfertig.
Einige der Reisenden waren abgestiegen, und
die Einwohner waren ihnen behilflich, die Tiere
zu tränken. Ich dachte hier noch an Abrahams
Zeiten, wie da alle Menschen so gut und hilfreich
waren. Viele Einwohner führten den Zug, Zweige
tragend, durch die Stadt und gingen ein Stück
Wegs mit ihnen. Ich sah den Stern nicht immer
leuchtend vor ihnen, manchmal ganz dunkel, es
war, als scheine er heller, wo gute Leute lebten
und wann die Reisenden ihn irgendwo recht hell
sahen, so wurden sie besonders bewegt und glaubten,
da müsse vielleicht der Messias sein.
Zug der Könige.
Dienstag, den 18. Dezember. Heute morgen zogen
sie, ohne anzuhalten, um eine dunkle nebelige
Stadt und eine Strecke davon über einen Fluß,
der sich ins Tote Meer ergießt. (Arnon?) In
den zwei letzten Orten blieben viele des angehängten
Gesindels zurück. Von einem der beiden letzten
Orte hatte ich die nähere Bestimmung, als sei
bei einem Streite vor Salomons Regierung jemand
dahin geflohen. Über den Fluß zogen sie heute
morgen und kamen nun auf eine gute Straße.
ZUG DER KÖNIGE. - ANKUNFT IN MANATHEA
(?). - LÄNGE DER VERHEISSUNG DES
STERNS. - IHRE VORFAHREN AUCH IN ÄGYPTEN.
- WEITE IHRER REISE. ÜBLE GESINNUNG DER
EINWOHNER HIER. - SIE BLEIBEN ZWEI
TAGE HIER.
Mittwoch, den 19., bis Freitag, den 21. Dezember.
Mittwoch, den 19. Heute Abend sah ich den Zug
der Könige wohl an 200 Menschen stark, so viel
nachziehendes Gesindel hatte ihre Freigebigkeit
herbeigelockt, diesseits des überschrittenen
Flusses sich von Osten her jener Stadt nahen,
bis zu deren Westseite Jesu in seinem zweiten
Lehrjahre am 31. Juli gewandelt ist, ohne jedoch
hineinzugehen. Der Name der Stadt klang wie
Manathea, Metanea, Medana oder Madian
92
— Es wohnten hier Heiden und Juden gemischt,
die Leute waren bös, wenngleich eine Landstraße
durch den Ort führte, so wollten sie den Zug
doch nicht durchlassen. Sie führten den Zug
gleich vor der Ostseite der Stadt in einen Mauerumfang,
wo Schoppen und Ställe waren. Hier schlugen
die Könige sich Zelte auf und ließen ihre Tiere
tränken und füttern und bereiteten sich Speise.
92 Hieronymus
erwähnt ein Methane bei Arnon, daher die Methaniten.
(1. Chronik 11,43.)
Donnerstag, den
20., Freitag, den 21., sah ich die Könige hier
rasten, aber sie waren sehr betrübt, weil hier,
wie auch in der vorigen Stadt, niemand etwas
von dem neugeborenen König wissen wollte, dennoch
hörte ich, wie sie den Einwohnern mit großer
Freundlichkeit vieles von der Ursache ihres
Zuges und der Weite des Wegs und allen ihren
Umständen erzählten; was ich mich davon entsinne,
ist folgendes:
Die Verkündigung des neugeborenen Königs hatten
sie schon sehr lang. Ich meine, es muß nicht
lange nach Hiob und ehe Abraham nach Ägypten
zog, gewesen sein, da war eine Schar von etwa
3000 medischen Leuten aus dem Lande Hiobs (sie
lebten aber auch in anderen Gegenden) auf einem
Kriegszug nach Ägypten bis in die Gegend von
Heliopolis gekommen. Ich weiß nicht mehr bestimmt,
warum sie so weit vorgedrungen waren, aber es
war ein Kriegszug, ich glaube, sie kamen, jemand
zu helfen; jedoch war ihr Zug nicht gut, er
ging gegen etwas Heiliges, ob gegen heilige
Menschen oder gegen ein Religionsgeheimnis,
das zur Erfüllung der Verheißung gehörte, weiß
ich nicht mehr.
In der Gegend von Heliopolis nun hatten mehrere
ihrer Anführer zu gleicher Zeit eine Offenbarung
durch die Erscheinung eines Engels, der sie
weiter zu ziehen verhinderte. Er verkündete
ihnen von einem Heiland, der aus einer Jungfrau
sollte geboren und von ihren Nachkommen verehrt
werden. Ich weiß nicht mehr, wie es damit zusammenhing,
daß sie nicht weiter vordringen, sondern nach
Hause ziehen und die Sterne beobachten sollten.
Ich sah sie hierauf in Ägypten Freudenfeste
anstellen, sie bauten Triumphbogen und Altäre,
schmückten sie mit Blumen und zogen dann wieder
nach Haus. Sie waren Sterndiener und medische
Leute, ungemein groß, fast wie eine Art Riesen,
von sehr edler Statur und einer schönen, gelblich
braunen Farbe. Sie zogen mit ihren Herden von
einem Orte zum anderen und herrschten, wo sie
wollten, durch ihre große Gewalt. Ich habe den
Namen des Hauptpropheten unter ihnen vergessen.
Sie hatten viele Weissagungen und allerlei Zeichen
durch Tiere. Oft legten sich ihnen auf ihren
Zügen plötzlich Tiere in den Weg und streckten
die Beine weit von sich und ließen sich eher
totschlagen, als daß sie weggegangen wären.
Das war ihnen ein Zeichen, und sie wichen von
diesen Wegen.
Diese Medier, aus Ägypten kehrend, erzählten
die Könige, haben zuerst die Prophezeiung gebracht,
und nun begann die Beobachtung der Sterne, und
als sie verfallen, ward sie durch einen Schüler
Bileams und 1000 Jahre nach diesem durch die
drei prophetischen Töchter der drei Stammkönige
abermals erneuert; 500 Jahre nach diesem nun,
nämlich jetzt, sei der Stern gekommen, dem sie
jetzt folgten, den neugeborenen König anzubeten.
Alles dieses erzählten sie den neugierigen Zuhörern
mit großer Kindlichkeit und Aufrichtigkeit und
waren betrübt, daß diese gar nicht zu glauben
schienen, worauf ihre Vorfahren schon seit 2000
Jahren so geduldig geharrt.
Der Stern war abends von Nebel bedeckt, als
er aber in der Nacht ganz klar und groß zwischen
ziehenden Wolken wieder erschien, als stehe
er der Erde sehr nahe, liefen sie sogleich aus
dem Lager und weckten die umwohnenden Einwohner
und zeigten ihnen den Stern. Die Leute gafften
ganz verwundert und teils mit Rührung gegen
den Himmel, viele aber ärgerten sich an den
Königen, und die meisten suchten nur auf alle
Weise von ihrer Freigebigkeit Nutzen zu ziehen.
Ich hörte sie erzählen, wie weit sie bis hierher
von ihrem Sammelplatz gereist seien. Sie rechneten
mit Tagreisen zu Fuß, welche sie zu 12 Stunden
annahmen. Sie legten aber auf ihren Tieren,
welche Dromedare waren und schneller als Pferde
liefen, Tag vor Tag, die Nacht und die Ruhestunden
mit eingerechnet, 36 Stunden zurück. So konnte
der entfernteste König seine fünfmal 12 Stunden
bis zum Sammelplatz in zwei Tagen und die minder
entfernten ihre dreimal 12 Stunden in einem
Tage und einer Nacht zurücklegen. Von diesem
Sammelplatz bis hierher hatten sie 672 Stunden,
und dazu hatten sie von Christi Geburt bis jetzt,
die Rasttage eingerechnet, etwa 25 Tage und
Nächte gebraucht.
Donnerstag, den 20., und Freitag, den 21. Dezember.
Diese beiden Tage rastete der Zug der Könige
hier, und ich hörte in diesen Tagen ihre Mitteilungen.
Am Freitagabend dem 21., als der hier wohnenden
Juden Sabbath begonnen und diese auf einer Brücke
über ein Wasser westlich nach der Synagoge eines
kleinen Judenörtchens gezogen waren, rüsteten
die Könige sich zum Aufbruch und beurlaubten
sich. — Wenn ich gleich beobachtete, daß die
Einwohner manchmal den Stern betrachteten, der
die Könige führte, wenn er sichtbar war, und
große Verwunderung dabei äußerten, so wurden
sie darum doch nicht ehrerbietiger. Diese unverschämten,
zudringlichen Menschen bedrängten die Könige
mit ihren Forderungen wie Wespenschwärme, und
diese teilten immer geduldig dreieckige gelbe
Stückchen wie Goldbleche und auch dunklere Körner
unter sie aus. Sie mußten doch sehr reich sein.
Sie zogen hierauf, von den Einwohnern geführt,
außen um die Mauer der Stadt, in welcher ich
Götzenbilder auf Tempeln stehen sah, überschritten
dann die Brücke des Flusses und zogen durch
das jüdische Örtchen. So zogen sie eilends fort
auf guter Straße gegen den Jordan zu. Sie hatten
von hier wohl noch 24 Stunden bis nach Jerusalem.
BETHLEHEM. - ANNA AUF DER REISE.
- JOSEPH HAT DIE ZWEITE STEUER BEZAHLT.
- ANNAS ANKUNFT. - FREUDE.
- IHRE MAGD. - ANNAS GESCHENKE.
- FREIGEBIGKEIT DER HEILIGEN FAMILIE.
- ANNA GEHT NACH DEM SABBAT AUF EINIGE
TAGE ZU EINER JÜNGEREN SCHWESTER IN BENJAMIN
Mittwoch, den 19., bis Samstag, den 22. Dezember.
Abends am 19. sah ich Anna mit ihrem zweiten
Mann, Maria Heli und einer Magd und einem Knecht
nebst zwei Eseln unweit von Bethanien auf der
Reise nach Bethlehem übernachten. Joseph ist
bereits mit seinen Anordnungen in der Krippe
und den Seitenhöhlen fertig, teils, um seine
Gäste von Nazareth zu beherbergen, teils, die
Könige zu empfangen, deren Ankunft Maria neulich,
als sie in Causur waren, vorausgesehen. Joseph
und Maria waren mit dem Jesuskindlein in die
andere Höhle gezogen. Die Krippenhöhle war ganz
ausgeräumt. Ich sah den Esel allein darin zurückgelassen.
Selbst die Feuerstelle, die Zurichtung zur Speisebereitung,
war heraus.
Joseph hat, wie ich mich erinnere, schon vor
einiger Zeit die zweite Steuer bezahlt. Es waren
schon wieder viele Neugierige von Bethlehem
bei Maria, das Kind zu sehen. Von einigen ließ
es sich ruhig nehmen, von anderen wendete es
sich weinend ab.
Ich sah die heilige Jungfrau sehr ruhig in der
neuen Wohnung, die nun recht bequem eingerichtet
war. Ihr Lager war an der Wand. Das Jesuskind
lag neben ihr in einem länglichen, von breitem
Bast geflochtenen Korbe, der ein Verdeck über
dem Kopfe hatte und auf einem Gestelle in Gabeln
ruhte. Ihr Lager nebst dem Wiegenkorbe Jesu
war von dem übrigen Raum durch eine Flechtwand
abgesondert. Bei Tage, wenn sie nicht allein
sein wollte, saß sie vor dieser Abscheidung
und hatte das Kind neben sich. Die Ruhestelle
Josephs war an einer entfernten Seite der Höhle
ebenso abgesondert. Auf einer Stange, die aus
der Wand reichte, stand ein Topf, worin eine
Lampe brannte, solcher Höhe, daß das Licht über
beide Scheidewände leuchtete. Ich sah, daß Joseph
ihr etwas Speise in einer Schale, ein Krüglein
und Wasser brachte.
Donnerstag, den 20. Dezember. Heute Abend trat
ein Fasttag ein, alle Speise war auf den folgenden
Tag bereitet, das Feuer war bedeckt, die Öffnungen
verhängt und alles Geräte beiseite geräumt
93.
Anna ist mit ihrem zweiten Manne und Marias
älterer Schwester und einer Magd zur Krippe
gekommen. Ich sah schon in den letzten Tagen
Anna auf der Reise. Dieser Besuch sollte in
der Krippenhöhle schlafen, darum ist die heilige
Familie wohl in die Seitenhöhle gezogen, der
Esel ist jedoch zurückgeblieben. Ich habe heute
gesehen, wie Maria ihrer Mutter das Kindlein
in die Arme legte, sie war tief gerührt. Anna
hatte Decken, Tücher und Eßwaren mitgebracht.
93 Am
8. und 16. Schebet sind jüdische Fasttage.
Die
Magd Annas war seltsam gekleidet. Ihre Haarflechten
hingen ihr in einem Netze bis zum Gürtel nieder,
ihr kurzer Rode ging nur bis zu den Knien. Ihr
Mieder schloß anliegend schnack mit einer Spitze
um die Hüften und war hoch um die Brust fest,
doch so, als könne man etwas dahinter verbergen.
Sie hatte einen Korb anhängen. Der alte Mann
war sehr scheu und demütig. Anna schlief, wo
Elisabeth geschlafen, und Maria erzählte ihr,
wie jener, alles mit großer Innigkeit. Anna
weinte mit der heiligen Jungfrau, und dies alles
ward von Liebkosungen des Jesuskindes unterbrochen.
Freitag, den 21. Dezember. Ich sah die heilige
Jungfrau heute wieder in der Krippenhöhle und
das Jesulein wieder in der Krippe liegen. Wenn
Joseph und Maria allein bei dem Kindlein sind,
sehe ich oft, wie sie es verehren; so sah ich
auch jetzt die Mutter Anna mit der heiligen
Jungfrau fromm gebückt bei der Krippe stehen
und das Jesulein mit großer Andacht und Innigkeit
anschauen. Ich weiß jetzt nicht recht bestimmt,
ob die Begleiter der heiligen Anna in der anderen
Höhle schliefen oder wieder fort waren, ich
meine fast, sie sind fort
94.
— Ich sah heute, daß Anna der Mutter und dem
Kinde mancherlei mitgebracht hat, Decken und
Binden. Maria hat, seit sie hier ist, schon
vieles empfangen; es bleibt aber doch alles
ganz ärmlich um sie her, weil sie alles, was
irgend entbehrlich ist, gleich wieder weggibt.
Ich hörte sie auch Anna erzählen, daß die Könige
aus dem Orient bald kommen und große Geschenke
bringen würden, und wie dieses Aufsehen erregen
könne. — Ich glaube, Anna wird, während die
Könige hierher kommen, drei Stunden von hier
zu ihrer Schwester gehen und später wiederkommen.
94 Dieses
Nichtwissen und die mögliche Täuschung in der
Vermutung zeugen für die Wahrheit ihres Schauens
und stellen ihr Verhältnis zu diesen Bildern
als ein solches dar, wie es der Mensch zu Ereignissen
hat, die von ihm unabhängig sind.
Samstag, den 22. Dezember. — Heute Abend, nach
dem Schluß des Sabbats, sah ich Anna mit ihrer
Begleitung auf eine Zeitlang von der heiligen
Jungfrau hinwegreisen. Sie begab sich drei Stunden
weit von hier, in den Stamm Benjamin, zu einer
jüngeren, dort verheirateten Schwester. Ich
weiß den Namen des Örtchens jetzt nicht, der
nur aus mehreren Häusern und einem Felde besteht.
Er liegt aber eine halbe Stunde von dem letzten
Herbergsorte der heiligen Familie auf der Reise
gen Bethlehem, wo die Verwandten Josephs wohnten.
— Sie übernachteten dort vom 22. auf den 23.
November.
ZUG DER KÖNIGE. - SIE ZIEHEN ÜBER
DEN JORDAN. - ANKUNFT VOR JERUSALEM.
- AUFNAHME IN DER STADT. -
ANMELDUNG BEI HERODES, DER EIN FEST HAT.
- HERODES BERATSCHLAGT MIT DEN SCHRIFTGELEHRTEN.
Samstag, den 22. Dezember.
Der Zug der Könige eilte von Mathanea aus auf
gebahntem Weg durch die Nacht. Sie zogen durch
keine Stadt mehr, aber längs allen den kleinen
Orten, in welchen Jesus am Ende des Juli seines
dritten Lehrjahres geheilt, gelehrt und die
Kinder gesegnet hat, zum Beispiel Bethabara,
wo sie frühmorgens zu der Überfuhrstelle an
den Jordan kamen. — Da heute Sabbat war, begegneten
sie nur selten einigen Leuten auf dem Wege.
Zug über den Jordan.
— Heute früh um
7 Uhr sah ich den Zug der Könige den Jordan
überschreiten. Gewöhnlich fuhr man auf einem
Rost von Balken über den Fluß, für große schwere
Züge aber wurde eine Art von Brücke geschlagen.
Dieses pflegten am Ufer wohnende Fährleute gegen
Zahlung zu tun, weil diese aber heute am Sabbat
nicht arbeiten durften, so besorgten die Reisenden
die Überschiffung selbst, und es taten ihnen
nur einige heidnische Knechte der Fährleute
Handreichung, die auch die Bezahlung empfingen.
Der Jordan war gerade nicht breit und voll von
Sandbänken. Es wurden Bretter über den Balkenrost
gelegt, auf welchem man gewöhnlich überfuhr,
und die Kamele darauf gestellt. Auch sah ich,
daß man den Teil dieser Art Brücke, den der
Zug schon überschritten, wieder vor den Zug
hervor lenkte usw., bis er das westliche Ufer
erreichte. Es dauerte eine geraume Zeit, bis
sie alle glücklich herüber waren.
Abends halb 6 Uhr sagte sie: Jericho haben sie
rechts liegen lassen, sie sind in gerader Richtung
gen Bethlehem, aber sie wenden sich mehr rechts
gegen Jerusalem. Es ziehen wohl an hundert Menschen
mit ihnen. Ich sehe dort in der Feme ein Städtchen,
das mir bekannt ist, an einem Flüßchen liegen,
welches von Jerusalem her von Abend gen Morgen
fließt. Durch das Städtchen müssen sie doch
wohl gewiß durchziehen. Sie ziehen eine Strecke,
das Flüßchen zur Linken habend. Ich sah auf
ihrem Wege bald Jerusalem, bald verschwand es
wieder, nachdem der Weg stieg oder sank. — Später
sagte sie: sie haben das Städtchen doch liegen
lassen, sie kamen nicht durch, sie wendeten
sich rechts nach Jerusalem.
Der Zug der Könige vor Jerusalem.
— Heute, Samstagabend, den 22. Dezember, nach
Sabbatschluß sah ich den Zug der heiligen drei
Könige vor Jerusalem ankommen. Ich sah die Stadt
hoch gegen den Himmel aufgetürmt liegen. Der
sie führende Stern war hier schier ganz verschwunden,
er schimmerte nur noch klein hinter der Stadt.
Die Reisenden waren, je näher sie nach Jerusalem
gekommen, je kleinmütiger geworden, denn der
Stern war bei weitem nicht mehr so hell vor
ihnen, und in Judäa sahen sie ihn nur sehr selten.
Sie glaubten auch, in allen Orten alles in großer
Freude und Herrlichkeit über das neugeborene
Heil zu finden, weswegen sie so weit gereist
waren. Da sie aber auch nirgends die geringste
Spur von Bewegung deswegen fanden, wurden sie
betrübt und unsicher und glaubten, sie hätten
sich vielleicht ganz geirrt.
Der Zug von wohl mehr als 200 Menschen war etwa
eine Viertelstunde lang. Schon in Causur hatte
sich ein Zug vornehmer Leute, und später hatten
sich andere angeschlossen. Die drei Könige saßen
auf drei Dromedaren, Kamelen mit zwei Höckern,
zwischen allerlei Gepäcken, drei andere Dromedare
waren mit Gepäck belastet, und es saßen Führer
auf ihnen. Jeder König hatte Biere seines Stammes
bei sich; ich bemerkte den Mann der Cuppes und
den Azzarias von Atom als Jünglinge darunter,
welche ich später als Familienväter bei der
Reise Jesu nach Arabien gesehen habe, außer
auf ähnlichen Dromedaren saßen die meisten anderen
des Zuges auf sehr schnellen gelblichen Tieren
mit feinen Köpfen, ich weiß nicht, ob Pferden
oder Eseln, sie sahen ganz anders als unsere
Pferde aus. Diese Tiere waren bei den Vornehmeren
sehr schön gedeckt und aufgezäumt und mit allerlei
goldenen Kettchen und Sternchen behängt. Einige
ihres Gefolges gingen zu dem Tore und kehrten
mit Aufsehern und Soldaten zurück. Ihre Ankunft
mit so großem Zuge war zu dieser Zeit, da kein
Fest war und sie kein Handelsgeschäfte herführten
und auch auf dieser Straße her, ganz ungewöhnlich.
Sie erzählten den Fragenden, warum sie kämen.
Sie sprachen von dem Sterne und dem neugeborenen
Kind. Kein Mensch wollte hier etwas davon verstehen.
— Sie wurden dadurch ganz niedergeschlagen und
meinten nun gewiß, sie hätten sich geirrt, denn
sie fanden da keinen Menschen, der so aussah,
als wisse er etwas vom Heil der Welt, denn alle
Leute schauten sie ganz verwundert an und konnten
nicht begreifen, was sie wollten.
Als die Türhüter aber sahen, wie freundlich
sie andringenden Bettlern bedeutendes Almosen
gaben, und gehört hatten, daß sie um Herberge
ansuchten und alles reichlich bezahlen wollten,
auch daß sie mit dem König Herodes zu sprechen
verlangten, begaben sich einige derselben in
die Stadt zurück, worauf dann noch verschiedene
Meldungen, Hin- und Hersendungen, Erkundigungen
und Erklärungen von und an die Könige eintraten.
Unterdessen sprachen die Könige mit allerlei
Leuten, welche sich um sie her gesammelt hatten.
Einige wußten ein Gerücht von einem Kinde, das
zu Bethlehem geboren sein solle, aber damit
könne es nichts sein, seine Eltern seien arme,
gemeine Leute; andere verlachten sie, und da
sie aus den halben Äußerungen der Leute vernahmen,
daß Herodes gar nichts von einem neugeborenen
Kinde wisse und daß sie überhaupt nicht viel
auf Herodes hielten, wurden sie noch kleinmütiger,
denn es bekümmerte sie, wie sie sich in ihrer
Angelegenheit gegen Herodes aussprechen sollten.
In ihrer Betrübnis aber wurden sie still und
beteten, da wuchs ihnen ihr Mut wieder, und
sie sprachen zueinander: Der uns durch den Stern
so schnell hat herführen lassen, wird uns auch
wieder glücklich nach Haus bringen.
Der Zug der Könige in Jerusalem.
— Als endlich die Aufseher zurückgekehrt waren,
führte man den Zug der Könige noch ein Stück
Wegs um die Stadt herum und durch ein Tor in
der Nähe des Kalvarienberges hinein. Nicht weit
vom Fischmarkt wurden sie mit ihren Lasttieren
in ein rundes Gehöfte gebracht, welches mit
Ställen und Wohnungen umgeben war und an dessen
Eingängen Wachen standen. Die Lasttiere kamen
in die Ställe. Sie selbst begaben sich unter
Schoppen in die Nähe eines Brunnens in der Mitte
des Hofes, wo auch ihre Lasttiere getränkt wurden.
— Dieser runde Hof lag an einer Seite an einem
Berg an, auf den beiden anderen Seiten war er
frei, und Bäume standen vor demselben. — Es
kamen nun noch Beamte zwei und zwei mit Fackeln
und sahen das an, was die Könige in ihrem Gepäcke
hatten. Ich meine, dies waren Zöllner.
THEOKENO INS SCHLOSS DES HERODES BESCHIEDEN.
- EIN FEST.
- HERODES BERUFT SCHRIFT GELEHRTE
Das Schloß des Herodes lag höher, nicht weit
von diesem Gebäude, und ich sah den Weg hin
mit Fackeln und Feuerkörben auf Stangen beleuchtet.
Er sendete aber einen Diener herab und ließ
den ältesten König Theokeno heimlich in das
Schloß bringen. Es war nach 10 Uhr in der Nacht.
Er ward unten in einem Saale von einem Hofherrn
des Herodes empfangen und über die Absicht ihrer
Ankunft ausgeforscht. Er berichtete alles ganz
kindlich und bat ihn, den Herodes zu fragen,
wo der neugeborene König der Juden sei, dessen
Stern sie gesehen und nachgefolgt seien, um
ihn anzubeten.
Als der Hofdiener dieses dem Herodes gemeldet
hatte, ward dieser sehr bestürzt, verstellte
sich jedoch und ließ erwidern: er wolle darüber
nachforschen lassen, sie möchten jetzt nur ausruhen,
morgen früh wolle er sie alle selbst sprechen
und ihnen melden, was er darüber erfahren habe.
Als Theokeno zu seinen Reisegefährten zurückkam,
konnte er ihnen eben keinen besonderen Trost
bringen. Sie trafen auch keine Anstalten zur
Ruhe und ließen manches Abgepackte wieder aufpacken.
Ich sah sie in dieser Nacht nicht schlafen,
sondern wie einzelne von ihnen mit Führern in
der Stadt umhergingen und nach dem Himmel schauten,
als suchten sie nach ihrem Stern. In Jerusalem
selbst war es still, aber bei der Wache vor
dem Hof war viel Gelaufe und Gefrage. Den Königen
war immer zumute, als könne Herodes wohl alles
wissen, wolle es aber vor ihnen verheimlichen.
Es war ein Fest bei Herodes, als Theokeno im
Schlosse war; die Säle waren erleuchtet, es
waren allerlei Weltleute und auch frech aufgeputzte
Weiber bei ihm. Die Fragen Theokenos nach einem
neugeborenen König bestürzten ihn sehr, und
er ließ sogleich alle Hohenpriester und Schriftgelehrten
zu sich berufen. Ich sah sie vor Mitternacht
mit Schriftrollen zu ihm kommen. Sie hatten
ihre Priesterkleider und Brustschilder und Gürtel
mit Buchstaben an. Ich sah wohl an zwanzig um
ihn. Er fragte sie, wo Christus geboren werden
soll; und ich sah, wie sie ihm ihre Rollen vorlegten
und mit den Fingern darauf deutend antworteten:
zu Bethlehem in Juda; denn, so schreibt der
Prophet Michäas: „Du Bethlehem, im Lande Juda,
bist nicht die geringste unter den Fürsten in
Juda; denn von dir wird der Herrscher ausgehen,
welcher mein Volk Israel regieren soll." — Ich
sah hierauf, daß Herodes noch mit einigen von
ihnen auf dem Dache des Schlosses herumwandelte
und vergeblich nach dem Stern forschte, von
dem Theokeno gesprochen. Er war in einer eigentümlichen
Unruhe, die gelehrten Priester suchten ihn aber
auf alle Weise zu beschwätzen, auf das Gerede
dieser Könige sei nichts zu halten, denn dieses
abenteuerliche Volk sei immer voll Phantastereien
mit seinen Sternen; wenn etwas Solches stattgefunden,
müßte Herodes und sie am Tempel und in der heiligen
Stadt es doch eher wissen.
DIE HEILIGEN DREI KÖNIGE VOR HERODES.
- VOM STERNBILD, DAS SIE GESEHEN.
- HERODES' GEMÜTSZUSTAND. -
EIN MORD, AUFSTAND GEGEN IHN. -
GERÜCHTE VON JESU GEBURT USW. -
ZUG DER KÖNIGE NACH BETHLEHEM. -
RASTEN AUF DEM WEG. - ANKUNFT AM
HAUS DER STEUER. - LAGER AM GRAB
DER MARAHA. - ANBETUNG DES JESUSKINDES
UND OPFER. - NÄCHTLICHER STERNDIENST
BEI DER TEREBINTHE.
Sonntag, den 23. Dezember.
Heute morgen sehr früh ließ Herodes die drei
Könige in der Stille zu sich in sein Schloß
führen. Sie wurden unter einem Bogen empfangen
und in einen Saal gebracht, wo ich zur Bewillkommnung
grüne Zweige und Büsche in Gefäßen und einige
Erquickungen aufgestellt sah. -— Sie standen
eine Weile, bis Herodes kam, vor dem sie sich
verbeugten und den sie abermals nach dem neugeborenen
Könige der Juden fragten. Herodes versteckte
seine Beunruhigung, so gut er vermochte, und
heuchelte sogar eine große Freude. Es waren
noch einige Schriftgelehrte bei ihm. Er forschte
sie wegen dem aus, was sie gesehen, und Mensor
erzählte ihm das letzte Bild, daß sie vor ihrer
Abreise in den Sternen gesehen. Es sei dieses
eine Jungfrau gewesen und vor ihr ein Kind;
aus dessen rechter Seite sei ein Lichtzweig
hervor gewachsen und auf diesem ein Turm mit
mehreren Toren erschienen. Dieser Turm habe
sich zu einer großen Stadt erweitert, das Kind
sei hierauf mit Krone, Schwert und Zepter als
ein König über dieser Stadt erschienen, und
nun hätten sie sich selbst und die Könige der
ganzen Welt kommen, sich beugen und das Kind
anbeten gesehen, denn es habe ein Reich, welches
alle anderen Reiche überwinden werde und dergleichen.
Herodes sprach zu ihnen, von Bethlehem Ephrata
existiere allerdings eine dahin bezügliche Weissagung,
sie möchten nur sogleich ganz still hinziehen,
und wenn sie das Kind gefunden und angebetet
hätten, möchten sie zurückkehrend ihm Bericht
abstatten, damit auch er hingehe und es anbete.
Die Könige, welche nichts von den aufgestellten
Speisen genossen hatten, gingen nun wieder hinab,
und es war sehr früh, denn ich sah die Fackeln
noch vor dem Schlosse brennen. Herodes tat heimlich
mit ihnen wegen dem Gerede in der Stadt. Der
Tag war aber nun angebrochen, und sie rüsteten
alles zum Aufbruche. Die Nachzügler, welche
sie bis Jerusalem begleitet, hatten sich schon
gestern in der Stadt zerstreut.
HERODES' DAMALIGER GEMÜTSZUSTAND. -
EIN MORD. - STREITIGKEIT AM TEMPEL.
- GERÜCHTE VON CHRISTI GEBURT. -
URSACHE SEINES VERFAHRENS.
Herodes war in diesen Tagen voll Unmut und Ärger.
Er war in der Zeit der Geburt Christi noch in
seinem Schlosse bei Jericho gewesen und hatte
einen bösen Mord begangen. Er hatte Leute seiner
Partei in die höheren Stellen am Tempel eingedrängt,
die ihm alles, was dort vorging, auslisteten
und ihm jeden verrieten, der dort seinen Absichten
entgangen war; dazu aber gehörte besonders ein
höherer Beamter am Tempel, ein sehr guter und
gerechter Mann. Diesen ließ er ganz freundlich
zu sich gen Jericho einladen, ihn aber in der
Wüste überfallen und morden, als sei es von
Räubern geschehen.
Einige Tage nachher kam er nach Jerusalem, um
das Tempelweihfest am 25. Casleu mit zu feiern,
und geriet dort in einen sehr verdrießlichen
Handel. — Er wollte den Juden auf seine Weise
eine Freude machen und Ehre antun. Er hatte
die goldene Figur eines Lammes oder vielmehr
eines Böckleins machen lassen; denn es hatte
Hörner, und dieses sollte zum Fest über dem
Tor aufgestellt werden, welches aus dem Vorhof
der Weiber in den Opferhof führte. Er wollte
dieses ganz eigenwillig tun und noch schön dafür
gedankt haben. Die Priester widersetzten sich,
er drohte mit Geldstrafe; da erklärten sie,
die Strafe würden sie bezahlen, aber nach dem
Gesetze das Bild niemals annehmen. — Herodes
hierüber erbittert, wollte das Bild heimlich
aufstellen lassen; als es aber gebracht wurde,
ergriff es ein eifriger Vorgesetzter und warf
es an den Boden, so daß es mitten entzweibrach.
Es entstand ein Tumult dadurch, und Herodes
ließ jenen Mann einkerkern.
Dieser Handel hatte ihn so geärgert, daß es
ihn reute, zu dem Feste gekommen zu sein. Seine
Hofleute aber suchten ihn mit allerlei Lustbarkeiten
zu zerstreuen.
Zu dieser Stimmung kamen nun noch die Gerüchte
von Christi Geburt hinzu. Im jüdischen Lande
war seit längerer Zeit bei einzelnen frommen
Leuten die Erwartung des Messias als nahe sehr
lebhaft. Die Ereignisse bei Jesu Geburt waren
durch die Hirten vielfach verbreitet; vornehme
Leute hielten jedoch alles dieses für Geschwätz
und Fabelei. Herodes hatte auch davon gehört
und ganz in der Stille deswegen in Bethlehem
nachforschen lassen. Seine Späher waren drei
Tage nach Christi Geburt an der Krippe gewesen
95
und als sie mit dem armen heiligen Joseph gesprochen
hatten, berichteten sie, wie solche hoffärtige
Leute zu tun pflegen, diese Sache sei gar nichts;
es sei eine arme Familie in einer elenden Höhle
dort und das Ganze nicht der Rede wert. Ja,
sie waren schon gleich anfangs viel zu hoffärtig,
um nur zu recht mit Joseph zu reden, um so mehr,
da sie den Befehl hatten, jedes Aufsehen zu
vermeiden.
95 Siehe oben 28. November.
— Nun aber kam dem Herodes plötzlich der große
Zug der drei Könige auf den Leib und versetzte
ihn in große Angst und Bestürzung, denn diese
kamen zu weit her und waren mehr als ein Gerede.
Er heuchelte aber, da sie so bestimmt nach dem
neugeborenen Könige fragten, eine Begierde,
ihn auch zu verehren, und sie freuten sieb darüber.
— Die hoffärtige Blindheit der Schriftgelehrten
konnte ihn nicht beruhigen, und sein Interesse,
dies Ereignis so still als möglich zu halten,
bestimmte sein Betragen. Er widersprach der
Erklärung der Könige nicht sogleich, er legte
nicht sogleich Hand an Jesum, um vor dem ohnehin
schwierigen Volke die Aussage der Könige nicht
als wahr und folgenreich für ihn selbst erscheinen
zu machen. Er gedachte darum, die Sache durch
die Könige selbst genauer zu erfahren und dann
seine Maßregeln zu ergreifen. — Da aber die
Könige, von Gott gewarnt, nicht zu ihm zurückkehrten,
ließ er ihre Flucht als Folge ihrer Täuschung
oder Lüge bekanntmachen. Er ließ ausstreuen,
sie hätten sich geschämt und gefürchtet zurückzukehren
als Leute, welche sich und andere so grob getäuscht,
denn welche andere Ursache hätten sie zu ihrer
heimlichen Flucht haben können, da sie so freundlich
empfangen worden seien.
So ließ er später das ganze Gerede einschlafen
und nur in Bethlehem verkünden, man solle sich
mit jener Familie nicht einlassen und keinen
verführenden Gerüchten und Einbildungen Raum
geben. Als aber die heilige Familie fünfzehn
Tage später nach Nazareth kehrte, erlosch im
allgemeinen bald das Gerede von diesem der Menge
nicht klar gewordenen Ereignis, und die Frommen,
welche hofften, schwiegen.
Als nun alles
wieder ruhig geworden, gedachte Herodes, Jesum
beiseite zu schaffen; aber er vernahm, daß die
Familie mit dem Kinde Nazareth verlassen hatte.
Er ließ dem Kinde lange nachspüren, und als
seine Hoffnung, es zu finden, vergebens ward
und seine Angst um so mehr wuchs, ergriff er
die verzweifelte Maßregel des Kindermordes,
und zwar mit solcher Behutsamkeit, daß er vorher
schon allerlei Truppenverlegungen machte, jedem
Aufstande vorzubeugen. — Ich meine, die Kinder
seien an sieben Orten ermordet worden.
DIE HEILIGEN DREI KÖNIGE ZIEHEN VON JERUSALEM
NACH BETHLEHEM. - SIE RASTEN AN
EINEM QUELL.
Ich sah den Zug der Könige zu einem Tore mittagwärts
hinausziehen. Es folgte ihnen ein Trupp Menschen
bis zu einem Bach vor der Stadt und kehrte dann
zurück. Als sie über dem Bach waren, machten
sie einen kleinen Halt und sahen sich nach ihrem
Sterne um, und da sie ihn erblickten, brachen
sie in ein Freudengeschrei aus und zogen mit
süßem Gesänge weiter. Der Stern aber führte
sie nicht auf dem geraden Weg nach Bethlehem,
sondern auf einem Umwege in mehr abendlicher
Richtung.
Sie zogen an einem Städtchen vorüber, das mir
wohl bekannt ist, und hinter demselben sah ich
sie gegen Mittag an einem lustigen Orte bei
einem Dörfchen halten und beten. Da entsprang
eine Quelle vor ihnen, und sie waren voll Freude,
stiegen ab, gruben der Quelle ein Becken und
umgaben es mit reinem Sand, Steinen und Rasen.
Sie lagerten nun hier mehrere Stunden, tränkten
und fütterten ihre Tiere und erquickten sich
selbst mit Speise, denn in Jerusalem hatten
sie durch Störung und Sorge keine Ruhe gehabt.
— Ich habe an diesem Brunnen später unseren
Herrn mit den Jüngern mehrmals lehrend verweilen
gesehen.
Der Stern, der bei Nacht wie eine Feuerkugel
leuchtete, sah jetzt wie der Mond bei Tage aus,
er schien nicht scharf rund, sondern wie gezackt,
oft sah ich ihn von Wolken versteckt.
Auf der geraden Straße von Bethlehem nach Jerusalem
wimmelte es von Reisenden mit Gepäck und Eseln,
wahrscheinlich Leuten, die aus Bethlehem von
der Zählung wieder heimzogen oder nach Jerusalem
zum Markte oder zum Tempel gingen. Auf dem Wege
der Könige war es ganz still, und Gott führte
sie gewiß hierher, damit sie, ohne großes Aufsehen,
erst am Abend gen Bethlehem kämen.
Ich sah sie aber, als die Sonne schon tief stand,
wieder aufbrechen. Sie zogen in der Ordnung,
wie sie zusammen gekommen waren. Mensor, der
bräunliche und jüngste, zog voraus, dann folgte
Seir, der braune, und dann Theokeno, der weiße
und älteste.
ANKUNFT DER HEILIGEN DREI KÖNIGE VOR BETHLEHEM
AM HAUS DER STEUER. - IHR LAGER
BEI DEM GRABE DER MARAHA. - DER
STERN ZEIGT IHNEN DIE KRIPPENHÖHLE. -
ANBETUNG DES KINDES UND OPFER. -
IHR NÄCHTLICHER STERNDIENST BEI DER TEREBINTHE
Heute Sonntag, den 23. Dezember, in der Abenddämmerung
sah ich den Zug der heiligen drei Könige vor
Bethlehem an demselben Gebäude ankommen, wo
Joseph und Maria sich hatten aufschreiben lassen.
Es war das ehemalige Stammhaus Davids, von dem
noch einiges Mauerwerk bestand; auch Josephs
Eltern hatten es besessen. Es war ein größeres
Haus mit mehreren kleinen umher, ein geschlossener
Hof lag davor und vor diesem ein mit Bäumen
bepflanzter Platz mit einem Brunnen. Ich sah
auf diesem Platze römische Soldaten wegen dem
in dem Hause befindlichen Schätzungsamt.
Als der Zug hier ankam, entstand ein ziemliches
Gedränge von Neugierigen um sie. Der Stern war
ihnen verschwunden, sie waren etwas beunruhigt.
Es nahten ihnen Männer und fragten sie aus.
Sie stiegen ab, und es kamen ihnen Vorgesetzte
aus dem Hause mit Zweigen entgegen und boten
ihnen eine kleine Erquickung von Früchten, Brötchen
und Getränk an. Es war dieses ein gewöhnlicher
Willkomm gegen solche Fremdlinge. Währenddem
sah ich ihre Tiere unter den Bäumen an dem Brunnen
tränken. Ich dachte noch: mit diesen sind sie
höflicher als mit dem armen Joseph, weil sie
so kleine Goldstückchen austeilten. — Man nannte
ihnen das Tal der Hirten als einen guten Lagerplatz,
Sie verweilten noch längere Zeit unentschieden;
ich hörte sie nicht nach dem neugeborenen König
der Juden fragen; sie wußten, daß der Ort hier
sei nach der Prophezeiung, fürchteten aber durch
die Reden des Herodes alles Aufsehen.
Als sie aber seitwärts Bethlehems ein Leuchten
am Himmel, so als wenn der Mond aufgeht, schimmern
sahen, setzten sie sich wieder auf ihre Tiere
und zogen längs einem Graben und verfallenen
Mauern um die Mittagsseite von Bethlehem herum
gen dessen Morgenseite und nahten der Gegend
der Krippenhöhle von der Seite des Feldes, wo
die Engel den Hirten erschienen waren.
Als nun ihr Zug in das Tal hinter der Krippenhöhle
bei dem Grabe Marahas gelangt war, stiegen sie
von ihren Tieren, und ihre Leute packten vieles
ab und schlugen ein großes Gezelt auf, das sie
bei sich führten, und trafen andere Einrichtungen
zu einem Lagerplatz mit Hilfe einiger Hirten,
welche ihnen die Stellen anwiesen.
Es war schon ein Teil des Lagers geordnet, als
die Könige den Stern hell und klar über dem
Krippenhügel erscheinen und den aus ihm strömenden
Lichterguß senkrecht darauf niedersteigen sahen.
Er schien sich vergrößernd zu nahen und wuchs
zu einer Lichtmasse, daß er mir wie ein Leilacken
groß schien. Ich sah aber, wie sie anfangs sehr
verwundert schauten. Es war schon düster, sie
sahen kein Haus, sondern nur die Form eines
Hügels, gleich einem Walle; plötzlich aber ergriff
sie eine große Freude, denn sie sahen in dem
Glänze die leuchtende Gestalt eines Kindes,
wie sie dieselbe früher in dem Sterne gesehen
hatten, da entblößten sie alle ihre Häupter
und bezeugten ihre Verehrung, und die drei Könige
schritten zu dem Hügel und fanden die Türe der
Höhle. Mensor öffnete die Türe und sah die Höhle
voll von himmlischem Lichte und im Hintergrund
die Jungfrau mit dem Kinde gerade so sitzen,
wie sie dieselbe in ihren Gesichten gesehen
hatten.
Sogleich trat er zurück und sagte dies seinen
Gefährten; indem trat Joseph mit einem alten
Hirten ihnen aus der Höhle entgegen, und sie
sagten ihm einfältig, wie sie kämen, den neugeborenen
König der Juden, dessen Stern sie gesehen, anzubeten
und ihm Geschenke zu bringen. Joseph hieß sie
freundlich willkommen, und der alte Hirte begleitete
sie zu ihrer Schar und war ihnen bei ihren Einrichtungen
behilflich; es räumten ihnen einige dort befindliche
Hirten Schoppen ein.
Sie selbst rüsteten sich zu der feierlichen
Handlung, die sie vorhatten. Ich sah sie große
weiße Mäntel, welche eine lange Schleppe hatten,
umlegen, sie waren gelblich schimmernd wie von
roher Seide, und ungemein fein und leicht wehten
sie um sie her. Es waren dies immer ihre Mäntel
bei religiösen Feierlichkeiten. Sie hatten alle
drei um die Mitte ihres Leibes an ihren Gürteln
allerlei Beutel und goldene Büchsen, gleich
Zuckerdosen mit Knöpfen darauf, an Kettchen
hängen und gingen deshalb ganz breit in ihren
Mänteln einher. Jedem der Könige folgten die
vier Begleiter aus seiner Familie. Außer diesen
waren einige Diener Mensors dabei, welche eine
kleine Tafel gleich einem Präsentierteller und
einem Teppich mit Quasten und einige andere
leichte Zeugbahnen trugen.
Als sie dem heiligen Joseph in schöner Ordnung
unter das Obdach vor der Türe der Krippe gefolgt
waren, bedeckten sie die Tafel mit dem Quastenteppich,
und ein jeder der drei Könige stellte einige
der goldenen Büchsen und Gefäße darauf, die
er von seinem Gürtel löste, und dieses waren
ihre gemeinschaftlichen Geschenke. Mensor und
alle anderen aber lösten die Sandalen von ihren
Füßen ab. Joseph öffnete die Türe der Höhle.
Zwei Jünglinge von Mensors Gefolge gingen vor
diesem her und breiteten eine Zeugbahn vor seinen
Schritten auf den Boden der Höhle und gingen
zurück, ihm folgten dicht zwei andere mit der
Tafel der Geschenke, die er ihnen, vor der heiligen
Jungfrau angekommen, abnahm und, auf ein Knie
niederfallend, zu ihren Füßen auf ein anderes
Gestell ehrerbietig hinsetzte. Die Träger gingen
zurück. Hinter Mensor standen die vier Begleiter
aus seiner Familie, demütig vorgebeugt. Seir
und Theokeno standen mit den Ihrigen zurück
in dem Eingang bis unter das Obdach vor der
Türe. Als sie eintraten, waren sie alle ganz
trunken vor Andacht und Rührung und wie durchleuchtet
von dem Lichte, welches den Raum erfüllte, und
doch war kein anderes Licht zugegen als das
Licht der Welt. Maria lag mehr, auf einen Arm
gestützt, als sie saß, auf einem Teppich zur
Linken des Jesuskindes, welches dem Eingang
gegenüber auf der Stelle der Geburt in einer
mit einem Teppich bedeckten Mulde lag, die auf
einem Gestelle etwas erhöht stand. Im Augenblick
ihres Eintritts aber richtete sich die heilige
Jungfrau in sitzender Stellung auf, verschleierte
sich und nahm das Jesuskind in ihren weiten
Schleier vor sich auf den Schoß. Als Mensor
kniete und die Geschenke niedersetzend rührende
Worte der Huldigung sprach, indem er das unbedeckte
Haupt demütig beugte und die Hände vor der Brust
kreuzte, hatte Maria dem Kinde, welches rot
und weiß darüber eingewickelt war, den Oberleib
entblößt, und es sah lieblich schimmernd zwischen
ihrem Schleier hervor. Sie stützte ihm mit der
einen Hand das Köpfchen und hatte es mit der
anderen umfaßt. Es hatte seine Händchen vor
der Brust, als bete es und leuchtete vor Freundlichkeit,
und manchmal griff es auch lieblich um sich
her.
O wie selig still beten die lieben Männer aus
dem Morgenlande an. Da ich dieses sah, sprach
ich zu mir selbst: O wie sind diese Herzen so
klar und ungetrübt, voll Güte und Unschuld
wie fromme Kinderherzen. Nichts Heftiges ist
in ihnen, und doch sind sie ganz Feuer und Liebe!
Ich bin tot, ich bin ein Geist, sonst könnte
ich das nicht sehen, denn dieses ist doch nicht
jetzt und ist dennoch jetzt. Das ist aber nicht
in der Zeit, in Gott ist keine Zeit, in Gott
ist alles gegenwärtig, ich bin tot, ich bin
ein Geist. Als ich so seltsam dachte, hörte
ich zu mir sprechen: „Was kümmert dich das,
sieh und lobe den Herrn, der ewig ist und alles
in ihm."
Ich sah aber nun, daß Mensor aus einem Beutel,
der an seinem Gürtel hing, eine Handvoll fingerlanger,
dicker, schwerer Stäbchen, oben spitz und in
der Mitte goldfarbig gekörnt, blinkend hervorzog
und der heiligen Jungfrau als seine Gabe demütig
neben das Jesuskind auf den Schoß legte. Sie
nahm das Gold liebevoll dankend an und bedeckte
es mit einem Zipfel ihres Mantels. Mensor gab
diese gewachsenen Goldstängchen, weil er voll
Treue und Liebe war und mit unerschütterlicher,
angestrengter Andacht nach der heiligen Wahrheit
forschte.
Nun aber zog sich Mensor mit seinen vier Begleitern
zurück, und Sair, der Braune, trat mit den Seinigen
heran und ließ sich auf beide Knie mit großer
Demut nieder und bot mit rührenden Worten sein
Geschenk dar, indem er ein goldenes Weihrauchschiffchen
voll kleiner grünlicher Harzkörner auf die Tafel
vor das Jesuskind niedersetzte. Er gab den Weihrauch,
denn er war der, welcher sich willig und ehrerbietig
anschmiegte und liebreich dem Willen Gottes
folgte. Er kniete lange in großer Innigkeit
da, ehe er sich zurückbegab.
Nach ihm nahte Theokeno, der weiße und älteste,
er war sehr alt und dick und vermochte nicht
niederzuknien; aber er stand tief gebeugt und
stellte ein goldenes Gefäß mit einem feinen
grünen Kraut auf die Tafel nieder. Es schien
noch auf der Wurzel zu wachsen, es war ein ganz
feines, grünes, aufrechtstehendes Bäumchen mit
krausem Büschchen, worauf feine weiße Blümchen.
Es war Myrrhe. Er opferte aber Myrrhe, weil
sie auf Abtötung und überwundene Leidenschaften
deutet; denn dieser gute Mann hatte ungemeine
Anfechtungen zum Götzendienst, zur Vielweiberei
und Heftigkeit bekämpft. Er blieb sehr lange
in großer Rührung mit seinen Begleitern vor
dem Jesuskinde stehen, so daß mir um die anderen
Diener vor der Krippe leid ward, daß sie so
lange harren mußten, das Kindlein zu sehen.
Die Anreden der Könige und aller Nachfolgenden
waren ungemein rührend und kindlich; indem sie
sich niederließen und die Geschenke darreichten,
sagten sie ungefähr: „Wir haben seinen Stern
gesehen und daß er der König über alle Könige
und kommen, ihn anzubeten und ihm mit Geschenken
zu huldigen usw." Sie waren ganz wie entzückt
und empfahlen dem Jesuskinde in einem kindlichen,
liebetrunkenen Gebet sich, die Ihrigen, ihre
Lande und Leute, ihr Hab und Gut und alles,
was ihnen auf Erden einen Wert hatte; der neugeborene
König möge doch ihre Herzen, ihre Seelen und
alles ihr Denken und Tim hinnehmen; er solle
sie erleuchten, ihnen alle Tugend und der Erde
Glück, Friede und Liebe schenken. Dabei glühten
sie in Demut und Liebe, und die Freudentränen
rollten ihnen über Wange und Bart. Sie waren
ganz selig, sie glaubten, in dem Sterne nun
selbst angekommen zu sein, nach welchem ihre
Vorfahren seit Jahrtausenden mit so treuer Sehnsucht
seufzend geschaut hatten. Alle Freude der nach
vielen Jahrhunderten erfüllten Verheißung war
in ihnen.
Die Mutter Gottes nahm alles ganz demütig dankend
an, sie sprach anfangs nicht, eine einfache
Bewegung unter ihrem Schleier aber drückte ihre
rührende, andächtige Freude aus. Das nackte
Leibchen des Kindes, das sie mit in den Schleier
gefaßt hatte, sah zwischen dem Mantel so leuchtend
hervor. Am Schlüsse sprach sie jedoch einige
freundliche, demütige Worte des Dankes zu jedem
und schlug dabei ihren Schleier ein wenig zurück.
— Oh, da habe ich wohl wieder etwas gelernt,
ich sprach zu mir selbst: Oh, wie süß und lieblich
dankend nimmt sie jede Gabe an; sie, die nichts
braucht, die Jesum hat, nimmt jede Gabe der
Liebe mit Demut an, da kann ich wohl lernen,
wie man die Gaben der Liebe empfangen muß, auch
ich will künftig jede milde Gabe mit Dank in
aller Demut annehmen; und ach! wie gütig sind
Maria und Joseph; für sich behielten sie schier
gar nichts, sie teilten alles wieder den Armen
aus.
Als die Könige mit ihren Begleitern die Höhle
verlassen und zu ihrem Gezelt gegangen waren,
traten nun endlich ihre Diener herein, sie hatten
das Zelt gerüstet, die Tiere abgepackt und alles
geordnet und ganz demütig, geduldig vor der
Türe geharrt. Es mochten ihrer wohl über dreißig
sein, es war auch eine Schar von Knaben bei
ihnen, welche nur um die Lenden verhüllt waren
und ein kleines Mäntelchen umhatten. Die Diener
traten immer zu fünf herein, und einer der Vornehmeren,
zu dem sie gehörten, geleitete sie. Sie knieten
um das Kind und verehrten es still. Zuletzt
aber traten die Knaben alle zusammen herein,
knieten umher und beteten in kindlicher Unschuld
und Freude Jesum an. Die Diener verweilten nicht
lange in der Krippenhöhle, denn die Könige kamen
nun wieder mit Feierlichkeit hereingetreten,
sie hatten wieder andere, leichte, fliegende
Mäntel umgelegt, welche breit um sie herschwebten,
und sie trugen Rauchfässer in ihren Händen und
beräucherten mit großer Ehrerbietung das Kindlein
und die heilige Jungfrau und Joseph und die
ganze Krippenhöhle und zogen sich dann mit tiefer
Verbeugung zurück. Es war dieses ein Gebrauch
der Anbetung bei diesem Volke.
Bei allem diesem waren Maria und Joseph in so
süßer Freude, als ich sie jemals gesehen; ja
oft rannen ihnen Tränen der Freude über die
Wangen nieder. Die Anerkennung und feierliche
Verehrung des Jesuskindes, das sie so arm beherbergen
mußten und dessen höchste Würde in der Demut
ihrer Herzen verschwiegen ruhte, erquickte sie
unendlich. Sie sahen dem Kinde der Verheißung
durch Gottes allmächtige Vorsorge, trotz aller
menschlichen Blindheit, was sie selbst ihm nicht
geben konnten, vor Jahrhunderten vorbereitet
und nun aus weiter Ferne gesendet, die ihm gebührende
Anbetung der Mächtigen mit heiliger Pracht.
Ach! sie beteten mit den Königen Jesum an, seine
Ehre beseligte sie.
In dem Tale hinter der Krippenhöhle bis zu der
Grabhöhle Marahas war das Lager gerüstet und
die Tiere in Reihen an Pfählen zwischen Stricken
aufgestellt. Bei dem großen Gezelt, das nahe
am Hügel der Krippe war, befand sich auch ein
mit Matten bedeckter Raum, worin ein Teil des
Gepäckes bewahrt ward. Das meiste jedoch brachten
sie in der Grabhöhle Marahas selbst unter. Als
alle die Krippe verlassen hatten, waren die
Sterne aufgegangen, und sie versammelten sich
in einem Kreise bei dem alten Terebinthenbaum,
der über der Grabhöhle Marahas stand, und hielten
dort mit feierlichem Gesang ihren Gottesdienst
zu den Sternen. Es ist nicht auszusprechen,
wie rührend ihr Singen über das stille Tal hinschallte.
So viele Jahrhunderte hatten ihre Voreltern
zu den Sternen geschaut, gebetet, gesungen,
heute war all ihre Sehnsucht erfüllt. Sie sangen
von Dank und Freude berauscht.
JOSEPH BEWIRTET DIE HEILIGEN DREI KÖNIGE.
- WIE DIE HEILIGE FAMILIE DIE GESCHENKE
ANSIEHT. - LAUERNDE JUDEN BEI DER
KRIPPENHÖHLE. - HERODES FORSCHT
NOCH MIT DEN SCHRIFTGELEHRTEN.
Indessen hatte Joseph mit ein paar der alten
Hirten ein kleines Mahl in dem Zelt der Könige
gerüstet. Sie trugen Tellerchen mit Broten,
Früchten, Honigwaben und Schüsselchen mit Kräutern
und Flaschen mit Balsam hin und ordneten das
alles auf niederer Tafel auf einem Teppich.
Alles dieses hatte er schon am Morgen zur Bewirtung
der Könige zusammengetragen, deren Ankunft ihm
die heilige Jungfrau voraus verkündet.
Als die Könige mit ihren Verwandten von ihrem
Abendgesang zum Zelte gekehrt, sah ich Joseph
sie freundlich empfangen, er bat sie, als seine
Gäste das kleine Mahl anzunehmen, und lag mitten
unter ihnen um die niedere Tafel, und so aßen
sie. Er war gar nicht blöde, er war so fröhlich,
daß er Freudentränen weinte.
Als ich dieses sah, dachte ich an meinen seligen
Vater, den armen Landmann, wie er bei meiner
Einkleidung im Kloster unter so vielen vornehmen
Leuten zu Tische sitzen mußte; er hatte sich
in seiner Einfalt und Demut so sehr davor gefürchtet
und ward hernach so fröhlich, daß er vor Freuden
weinte. Er ward, ohne es zu wollen, der Allererste
bei dem Feste. Nach diesem kleinen Mahle verließ
sie Joseph. Einige der Vornehmeren des Zuges
begaben sich in eine Herberge zu Bethlehem,
die anderen legten sich auf ihren Lagern, welche
rings in dem großen Zelte bereitet waren, zur
Ruhe.
Als Joseph zur Krippe gekehrt, stellte er alle
die Geschenke zur Rechten der Krippe in einen
Wandwinkel, den er mit einer Stellwand verdeckt
hatte, so daß man nicht sah, was da aufbewahrt
wurde. Die Magd Annas, welche zur Bedienung
der heiligen Jungfrau zurückgeblieben war, hatte
sich während der ganzen Handlung in dem kleinen
Seitengewölbe aufgehalten, dessen Türe in dem
Eingang der Krippenhöhle war. Sie war erst hervorgetreten,
als alle die Krippe verlassen hatten. Sie war
sehr ernst und bescheiden. Ich sah weder die
heilige Familie noch diese Magd die Gaben der
Könige mit weltlichem Wohlgefallen betrachten.
Alles ward mit Dank demütig angenommen und mit
Milde wieder ausgespendet.
In Bethlehem sah ich bei der Ankunft des Zuges
an dem Hause der Schätzung heute Abend einiges
Getümmel und dann einiges Gelaufe in der Stadt.
Die Leute, welche dem Zuge zum Tale der Hirten
gefolgt, waren bald wieder zurückgekehrt. —
Später, während die Könige so innig und selig
ganz von andächtiger Freude durchschimmert in
der Krippenhöhle anbeteten und opferten, sah
ich in der Gegend umher einige in der Ferne
lauernde und murrende Juden, welche in Bethlehem
nachher hin und wieder gingen und allerlei Berichte
brachten. —- Ich mußte bitterlich über diese
unglückseligen Menschen weinen. Ach, mir taten
diese bösen Leute so leid, die damals und auch
jetzt, wenn das Heilige sich den Menschen naht,
so tückisch murrend und lauernd umherstehen
und dann in ihrem Grimm Lügen verbreiten. Oh,
wie muß ich über diese elenden Menschen weinen,
sie haben das Heil so nahe und stoßen es von
sich; diese guten Könige aber sind, auf Treu
und Glauben der Verheißung, so weit hergezogen
und haben das Heil gefunden. — Oh, wie bedauere
ich die harten, blinden Menschen!
In Jerusalem sah ich heute während des Tages
den Herodes noch mit mehreren Schriftgelehrten
in Rollen lesen und über die Aussage der Könige
sprechen. Nachher ward alles still, als wolle
man die ganze Sache fallen lassen.
DIE KÖNIGE BESUCHEN NOCHMALS DIE HEILIGE FAMILIE.
- IHRE FREIGEBIGKEIT GEGEN DIE HIRTEN.
- ABENDGESANG BEI DEM GRABE MARAHAS. -
HERODES STELLT IHNEN NACH. - EIN ENGEL
WARNT SIE. - SIE NEHMEN ABSCHIED
UND FLIEHEN.
Montag, den 24. Dezember.
Heute schon sehr früh sah ich die Könige und
mehrere ihres Gefolges einzeln das Jesuskind
und die heilige Jungfrau besuchen. Außerdem
sah ich sie während des ganzen Tages bei ihrem
Lager und ihren Lasttieren mit allerlei Austeilungen
beschäftigt. Sie waren voll Freude und Seligkeit
und teilten viele Gaben aus. Das habe ich aber
damals immer bei freudigen Ereignissen geschehen
sehen. Die Hirten, welche dem Gefolge der Könige
alle Dienste leisteten, erhielten sehr viele
Gaben. Auch viele Arme sah ich sie beschenken.
Ich sah, daß sie armen alten Mütterchen, die
ganz gebeugt heranschlichen, Decken über die
Schultern hängten. Es waren aber mehrere von
dem dienenden Gefolge der Könige, welchen es
gar wohl in dem Tale bei den Hirten gefiel und
die hier bleiben und sich mit diesen Hirten
verbinden wollten. Sie brachten dieses Anliegen
den Königen vor und erhielten ihre Entlassung
mit reichlichen Geschenken. Sie erhielten Decken,
Geräte, Goldkörner und auch die Esel, auf denen
sie geritten hatten. Als ich die Könige auch
vieles Brot austeilen sah, dachte ich anfangs,
wo haben sie nur die vielen Brote her? Dann
erinnerte ich mich aber, daß ich mehrmals gesehen,
wie sie von Zeit zu Zeit an ihren Lagerplätzen
in eisernen Formen, welche sie bei sich führten,
aus ihrem Mehlvorrat kleine platte Brote wie
Zwieback bereiteten, die sie in leichten Lederkisten
dicht verpackt an den Lasttieren hängen hatten.
Es kamen heute auch viele Leute aus Bethlehem
zu den Königen und drängten sie um allerlei
Geschenke, einige durchsuchten ihnen ihr Gepäck
und zogen unter allerlei habsüchtigen Vorwänden
Abgaben von ihnen.
Sie hatten aber in Jerusalem und auch hier durch
die Größe ihres Zuges und das Aufsehen, welches
sie erregten, allerlei Quälerei erlitten, und
wie sie in einem Triumphzug angekommen waren,
weil sie glaubten, alles in lautem Jubel über
den neugeborenen König zu finden, so fühlten
sie sich jetzt nach ihren Erfahrungen bewogen,
in kleinerer Schar ohne Aufsehen und dadurch
schneller ihre Rückreise anzutreten; daher entließen
sie schon heute viele aus ihrem Gefolge, welche
teils sich im Tale der Hirten bleibend zerstreuten,
teils nach bestimmten Vereinigungspunkten voraus
zogen. — Ich wunderte mich, am Abend die Zahl
des Zuges schon um vieles vermindert zu sehen.
Die Könige dachten wohl, morgen nach Jerusalem
zu reisen und dem Herodes zu sagen, wie sie
das Kind gefunden hätten, aber sie wollten mehr
in der Stille kommen und ließen viele voraus
ziehen, welchen dadurch die Reise leichter ward.
Sie selbst konnten auf den Dromedaren sie bald
wieder einholen.
Am Abend gingen sie zur Krippe, um Abschied
zu nehmen. Mensor ging zuerst allein hinein.
Maria gab ihm das Jesuskind in seine Arme, er
weinte und leuchtete ganz vor Freude. Nach ihm
kamen die beiden anderen und nahmen unter Tränen
Abschied. Sie brachten noch viele Geschenke,
viele Stücke von verschiedenen Stoffen, teils
gleich ungefärbter Seide, teils rot und teils
blumige Zeuge, auch viele, ganz feine Decken;
auch ihre weiten feinen Mäntel ließen sie zurück,
sie waren blaßgelb wie von ganz feiner Wolle,
sehr leicht, jedes Lüftchen bewegte sie. Sie
brachten auch viele Schalen, welche übereinander
standen, und mehrere Büchsen voll von Körnern
und in einem Korb Töpfe, worin feine, grüne
Kräuterbüschchen mit feinen weißen Blümchen.
Es standen deren etwa drei in der Mitte des
Topfes, doch so, daß man auf den Rand des Topfes
wieder einen anderen Topf aufstellen konnte.
So waren die Töpfe in dem Korbe übereinander
gebaut. Es war Myrrhe. Sie gaben auch dem Joseph
schmale lange Körbe mit Vögeln, deren sie mehrere
zum Schlachten an den Dromedaren hängen hatten.
Sie weinten alle ganz ungemein, als sie das
Kind und Maria verließen. Ich sah die heilige
Jungfrau bei ihnen aufrecht stehend, als sie
Abschied nahmen. Sie hatte das Jesuskind auf
dem Arm in ihren Schleier gehüllt und ging mit
den Königen einige Schritte gegen die Türe der
Höhle; da stand sie still und löste, um den
guten Männern ein Andenken zu geben, den großen
Schleier von dünnem gelben Stoff, der das Jesuskind
mit ihr verhüllte, von ihrem Haupt und reichte
ihn dem Mensor. Mit tiefer Verbeugung empfingen
sie diese Gabe, und ihre Herzen wallten vor
Dank und Ehrfurcht über, als sie die heilige
Jungfrau mit dem Jesuskindlein unverschleiert
vor sich stehen sahen. O wie weinten sie so
süße Tränen, als sie die Höhle verließen. Der
Schleier war ihnen von nun an das höchste Heiligtum,
das sie besaßen.
Die Art, mit welcher die heilige Jungfrau die
Geschenke annahm, war ohne Freude an den Sachen
und doch ungemein rührend demütig und wahrhaftig
dankend gegen den Geber. Ich habe keine Empfindung
von Eigennutz bei diesem wunderbaren Besuche
in ihr gesehen, außer, daß sie anfangs aus Liebe
zu dem Jesuskinde und aus Mitleid mit dem heiligen
Joseph sich in Einfalt der freudigen Hoffnung
hingab, nun würden sie vielleicht Schutz in
Bethlehem genießen und nicht mehr so verächtlich
wie bei ihrer .Ankunft behandelt werden, denn
die Betrübnis und Beschämung Josephs hierüber
hatten ihr sehr leid getan.
Als die Könige Abschied nahmen, brannte schon
die Lampe in der Höhle, es war düster, und sie
begaben sich hierauf sogleich mit den Ihrigen
unter die alte große Terebinthe über dem Grabe
Marahas, ihren Gottesdienst wie gestern Abend
dort zu halten. Es brannte eine Lampe unter
dem Baum; als sich die Sterne blicken ließen,
beteten sie und sangen süß. Die Stimmen der
Knaben klangen ungemein lieblich durch den Chor.
— Hierauf gingen sie in ihr Gezelt, wo Joseph
ihnen abermals ein kleines Mahl bereitet hatte,
nach welchem wieder einige zur Herberge nach
Bethlehem kehrten und die anderen sich in dem
Zelte zur Ruhe legten.
Abreise der Könige.
Um Mitternacht sah ich plötzlich ein Bild; ich
sah die Könige in ihrem Zelte rings auf ausgebreiteten
Decken schlafen und sah die Erscheinung eines
leuchtenden Jünglings zwischen ihnen, ihre Lampe
war angesteckt, sie richteten sich im Schlafe
auf, es war ein Engel, der sie weckte und ihnen
sagte, sogleich eilig fortzuziehen und nicht
über Jerusalem, sondern um das Tote Meer durch
die Wüste ihren Weg zu nehmen. Schnell sprangen
sie von ihrem Lager. Einige eilten zu ihrem
Gefolge, einer zur Krippe und weckte den heiligen
Joseph, der den Weg nach Bethlehem eilte, die
dort in der Herberge Befindlichen zu rufen.
Diese aber kamen ihm schon nach einer kurzen
Strecke entgegen, sie hatten dieselbe Erscheinung
gehabt. Mit einer wunderbaren Schnelligkeit
war das Gezelt abgeschlagen, aufgepackt und
der Rest des Lagers aufgehoben. Während die
Könige noch von Joseph vor der Krippe einen
rührenden Abschied nahmen, eilte ihr Gefolge
schon in getrennten Zügen, um schneller vorwärts
zu kommen, gegen Mittag durch die Wüste Engaddi,
dem Toten Meere entlang.
Die Könige flehten, die heilige Familie möge
mit ihnen fliehen, es stehe gewiß Gefahr bevor,
und baten dann, Maria möge sich doch mit dem
Kinde verbergen, damit sie nicht wegen ihnen
belästigt werde. Sie weinten wie die Kinder,
umarmten Joseph und redeten gar rührend, bestiegen
dann ihre Dromedare wenig bepackt und eilten
flüchtig durch die Wüste hin. Ich sah den Engel
draußen auf dem Felde bei ihnen, er zeigte ihnen
die Richtungen des Weges, sie waren plötzlich
wie verschwunden. Sie zogen auf getrennten Wegen,
jeder etwa eine Viertelstunde seitwärts von
dem anderen, zuerst ungefähr eine Stunde lang
gegen Morgen und hierauf mittagwärts in die
Wüste. Ihr Heimweg ging durch die Gegend, durch
welche Jesus in seinem dritten Lehrjahre aus
Ägypten zurückkehrte.
MASSREGELN DER OBRIGKEIT IN BETHLEHEM GEGEN
DIE KÖNIGE. - JOSEPH WIRD ZUR REDE
GESTELLT, ER MACHT GESCHENKE. -
POLIZEIMANDAT. DIE WEGE ZUR KRIPPENHÖHLE VERBOTEN.
ZACHARIAS VON JUTA BESUCHT DIE HEILIGE FAMILIE.
Dienstag, den 25. Dezember.
Der Engel hatte die Könige zur rechten Zeit
gewarnt, denn die Obrigkeit in Bethlehem hatte
vor, ich weiß nicht, ob auf einen geheimen Befehl
des Herodes, meine aber, aus eigenem Diensteifer,
die Könige, welche in der Herberge zu Bethlehem
schliefen, heute gefangen zu nehmen, unter der
Synagoge, wo tiefe Keller waren, einzusperren
und sie bei Herodes als Unruhestifter zu verklagen.
Heute früh aber, als man ihren Abzug in Bethlehem
erfuhr, waren sie schon bei Engaddi, und das
Tal, wo sie gelagert, war bis auf einige Zeltpfähle
und die Spuren des niedergetretenen Grases ganz
wie sonst und alles ruhig und einsam. Indessen
hatte die Erscheinung des Zuges in Bethlehem
doch vieles Aufsehen gemacht, manche Leute bereuten,
Joseph nicht beherbergt zu haben, andere schwätzten
von den Königen als wunderbaren abenteuerlichen
Schwärmern, andere verbanden ihre Ankunft mit
dem Gerede von der Erscheinung bei den Hirten,
darum glaubten die Vorsteher des Ortes, ich
weiß nicht, ob vielleicht durch eine Mahnung
von Herodes, Vorkehrungen treffen zu müssen,
und ich sah nun mitten in Bethlehem auf einem
freien Platz, worauf ein von Bäumen umgebener
Brunnen war, bei der Synagoge ein großes Haus,
zu welchem Treppen hinanführten, und sah, wie
alle Einwohner auf dem Platze vor dem Hause
zusammenberufen wurden, und wie man ihnen von
der Treppe herab eine Warnung oder einen Befehl
verkündete, man solle alle verkehrten Urteile
und abergläubischen Gerüchte und von nun an
alles Geläufe nach der Wohnung der Leute vor
der Stadt einstellen, welche zu dergleichen
Reden Veranlassung gegeben.
Nachdem das versammelte Volk auseinander gegangen,
sah ich den heiligen Joseph durch zwei Männer
in dasselbe Haus berufen und dort von alten
Juden verhören. Ich sah ihn zur Krippe zurückkehren
und nochmals in das Gerichtshaus gehen. Als
er das zweite Mal hinging, nahm er einiges Gold
von den Geschenken der Könige mit und gab es
ihnen, worauf sie
ihn beruhigt entließen. Das ganze Verhör schien
mir zum Teil auf eine Prellerei hinauszulaufen.
— Ich sah auch, daß die Obrigkeit einen Weg,
der nicht durch das Tor, sondern von dem Platze
aus, wo Maria bei der Ankunft in Bethlehem unter
dem großen Baum geharrt, über einen Hügel oder
Wall zur Gegend der Krippe führte, durch einen
gefällten Baum versperrte. Ja, sie errichteten
eine Wachhütte bei dem Baum und spannten Fäden
über den Weg, welche mit einer Klingel in der
Wachhütte endeten, um die anzuhalten, welche
diesen Weg etwa einschlugen. — Am Nachmittag
sah ich eine Schar von 16 Soldaten des Herodes
bei Joseph, mit dem sie sprachen; sie waren
wahrscheinlich wegen der Könige gesendet, die
man der Unruhestiftung beschuldigt hatte, da
sie aber alles einsam und stille und die arme
Familie in der Höhle fanden und den Auftrag
hatten, mit dieser gar kein Aufsehen zu machen,
so kehrten sie ruhig zurück und zeigten an,
was sie gefunden. Joseph hatte alles, die Geschenke
der Könige und was sie sonst noch zurückgelassen,
teils in der Grabhöhle Marahas, teils in einigen
verborgenen Höhlen des Krippenhügels versteckt,
welche er noch von seiner Jugend her kannte,
da er oft sich hier vor seinen Brüdern verborgen.
Diese einzelnen Gruben rührten noch von dem
Patriarchen Jakob her. Er hat einmal, da an
der Stelle von Bethlehem noch nichts als ein
paar Hütten gestanden, eine Zeitlang seine Gezelte
hier auf dem Krippenhügel aufgeschlagen.
Heute Abend sah ich Zacharias von Hebron zum
erstenmal zu der heiligen Familie kommen. Maria
war noch in der Höhle. Er weinte vor Freuden,
hatte das Jesuskind in den Armen und sprach
zum Teil oder etwas verändert den Lobgesang,
welchen er bei der Beschneidung Johannis gesprochen
hatte.
ANNA KEHRT MIT DEN IHRIGEN ZURÜCK. -
ELIUD ANNAS ZWEITER MANN. - PFLEGE
DES JESUSKINDES. - ANNA WAR BEI
MARA, DER NICHTE DER ELISABETH UND MUTTER DES
BRÄUTIGAMS VON KANA. - ANNA SENDET
EINEN TEIL DER GESCHENKE MIT ELIUD HINWEG.
- BEAMTE DES HERODES FORSCHEN NACH EINEM
NEUGEBORENEN KÖNIGSOHN. - JOSEPH
VERBIRGT DIE HEILIGE JUNGFRAU MIT DEM KINDE
IN DER GRABHÖHLE DER MARAHA.
Mittwoch, den 26. Dezember.
Heute reiste Zacharias wieder hinweg, Anna aber
mit ihrer ältesten Tochter, ihrem zweiten Manne
und der Magd kehrten zu der heiligen Familie
zurück. Die älteste Tochter Annas ist größer
und sieht schier älter als ihre Mutter aus.
Annas zweiter Mann ist größer und älter, als
Joachim war, er heißt Eliud und hatte am Tempel
ein Amt bei der Aufsicht über die Opfertiere.
Anna hatte eine Tochter, die auch Maria hieß,
von ihm. Sie mochte bei Christi Geburt schon
6-8 Jahre alt sein. — Dieser Eliud starb bald,
und Anna mußte nach Gottes Willen zum drittenmal
heiraten, aus welcher Ehe sie einen Sohn gebar,
welcher auch Christi Bruder genannt ward.
Die Magd, welche Anna vor acht Tagen von Nazareth
mitbrachte, ist noch bei der heiligen Jungfrau.
Da sie noch die Krippenhöhle bewohnte, hielt
sie sich in dem kleinen Gewölbe zur Seite auf,
jetzt aber, da Maria in der Höhle neben der
Krippenhöhle wohnte, schläft die Magd
unter einem Obdach, das ihr Joseph vor der Höhle
errichtet hat. Anna und ihre Begleitung schlafen
in der Krippenhöhle.
Bei der heiligen Familie ist jetzt eine reiche
Freude. Anna ist so selig. Maria legt ihr gar
oft das Jesuskindlein in die Arme und läßt es
von ihr pflegen. Ich sah das noch von niemand
anderem geschehen. Ich sah, was mich sehr rührte,
daß das Haar des Kindleins, welches gelb und
kraus ist, sich in lauter feine Lichtstrahlen
endete, welche durcheinander schimmerten. Ich
glaube, sie machen ihm die Haare kraus, denn
ich sehe, sie reiben ihm das Köpfchen beim Waschen,
wobei sie ihm ein Mäntelchen umhängen. Ich sehe
immer bei der heiligen Familie eine rührende
andächtige Verehrung des Jesuskindes, aber es
ist alles ganz einfältig und menschlich, wie
es bei heiligen auserwählten Menschen ist. Das
Kind hat eine Liebe, ein Hinwenden zu seiner
Mutter, wie ich dies nie bei so jungen Kindern
gesehen.
Maria erzählte ihrer Mutter alles von dem Besuch
der heiligen drei Könige, und Anna war ungemein
gerührt, daß Gott der Herr diese Leute so weit
zur Erkenntnis des Kindes der Verheißung herberufen.
Sie sah die Geschenke der Könige, die hier in
einem geflochtenen Kasten in einer verdeckten
Vertiefung der Wand verborgen waren, gleich
Worten der Anbetung mit großer Demut und Rührung
an und half noch vieles verschenken und anderes
ordnen und verpacken.
Es ist jetzt ruhig in der Gegend, die Wege hierher,
welche nicht durchs Stadttor führen, sind von
der Obrigkeit gesperrt. Joseph holte seine Bedürfnisse
nicht mehr aus Bethlehem, die Hirten bringen
ihm das Nötige. Die Verwandte, bei welcher Anna
in Benjamin gewesen, ist Mara
96,
die Tochter von Elisabeths Schwester Rhode.
Sie ist arm und hatte später mehrere Söhne,
welche Jünger wurden. Einer davon hieß Nathanael
97
und ist später der Bräutigam von Kana geworden.
Diese Mara ist auch bei dem Tode der heiligen
Jungfrau in Ephesus gewesen.
Schon heute sendete Anna ihren Mann Eliud mit
einem beladenen Esel und die ihr verwandte Magd
mit einem großen Pack hinweg. Sie trug einen
Pack auf dem Rücken und einen auf der Brust.
Es war dies ein Teil der Geschenke der Könige,
allerlei Stoffe und goldene Gefäße, die später
bei dem ersten Gottesdienst der Christen verwendet
worden sind. Sie schaffen jetzt alles heimlich
fort, denn es ist immer einige Nachspürerei
hier herum. Es scheint, daß sie diese Sachen
nur an einen anderen Ort auf dem Wege nach Nazareth
bringen, wo sie wohl von Knechten abgeholt werden,
denn ich sah in früheren Jahren Eliud bei der
Abreise Annas, die auch bald sein wird, wieder
in Bethlehem.
96 Manchmal
verwechselte sie in der Erzählung diese Mara
mit einer jüngeren Schwester oder Schwestertochter
Annas, die sie Enue nannte. Wie ihr dann öfter
nähere Verwandte unter dem Begriff von Brüdern
und Schwestern erschienen.
97 Es ist dies
nicht jener Nathanael, den Jesus unter dem Feigenbaum
gesehen. — Nathanael, der Sohn der Mara, war
als Knabe bei dem Kinderfest, welches Anna dem
zwölfjährigen Jesus gab, als er nach seiner
ersten Lehre im Tempel heimkehrte. Der Knabe
Jesus erzählte bei diesem Feste eine Parabel
von einer Hochzeit, wo Wasser in Wein, und von
einer Hochzeit, wo Wein in Blut werde verwandelt
werden. Er sagte auch wie im Scherze zu dem
Knaben Nathanael, daß er einst auf seiner Hochzeit
sein werde. — Seine Braut in Kana stammte aus
Bethlehem, aus dem Geschlechte Josephs. Nach
dem Wunder zu Kana gelobte er nebst seiner Frau
Enthaltung. Er ward sogleich ein Jünger und
empfing in der Taufe den Namen Amator. Er ist
später Bischof geworden und war in Edessa, auch
ist er auf der Insel Kreta bei Carpus gewesen.
Hierauf kam er nach Armenien und wurde wegen
vieler Bekehrung gefangen und ins Elend ans
Schwarze Meer geschickt. Er ward wieder frei
und kam in das Land Mensors, da er dort ein
Wunder an einer Frau getan, welches ich vergessen,
und sich so viele Leute von ihm taufen ließen,
ward er in der Stadt Acajacuh auf einer Insel
im Euphrat umgebracht.
Anna war nun allein bei Maria in der Seitenhöhle.
Ich sah, daß sie zusammen an einer groben Decke
flochten oder strickten. In der Krippenhöhle
ist jetzt ausgeräumt. Der Esel Josephs steht
hinter Flechtwänden verborgen.
Es waren heute abermals Beamte des Herodes in
Bethlehem und forschten in mehreren
Häusern nach einem neugeborenen Kinde.
Die heilige Familie verbirgt sich in der Grabhöhle
der Maraha.
Es waren heute Soldaten in Bethlehem und forschten
in mehreren Häusern nach einem neugeborenen
Königssohn. Sie fielen besonders einer vornehmen
Jüdin, welche vor kurzem einen Knaben geboren,
mit ihren Fragen beschwerlich. Sie kamen gar
nicht zur Krippenhöhle; weil sie schon früher
nichts als eine arme Familie dort gefunden,
so setzten sie voraus, daß von dieser keine
Rede sein könne.
Zwei alte Männer, ich meine von den Hirten,
welche zuerst anbeteten, kamen zu Joseph und
warnten ihn vor diesen Nachforschungen. Darum
sah ich die heilige Familie und Anna mit dem
Jesuskind in die Grabhöhle Marahas flüchten.
In der Krippenhöhle war nichts mehr, was ein
Bewohntsein verriet, es sah verlassen drin aus.
Ich sah sie in der Nacht mit einem bedeckten
Lichte durch das Tal hinziehen. Anna trug das
Jesuskind vor sich in den Armen, Maria und Joseph
gingen ihr zur Seite, die Hirten geleiteten
sie und trugen die Decken und andere Gerätschaften
zum Ruhen für die heiligen Frauen und das Jesuskind.
Ich hatte dabei ein Gesicht und weiß nicht,
ob es die heilige Familie auch sah. Ich sah
um das Jesuskind vor der Brust der Mutter Anna
eine Glorie von sieben verschlungenen, über
einander liegenden Engelgestalten, es erschienen
noch viele andere Gestalten in dieser Glorie,
und zur Seite Annas, Josephs und Marias sah
ich auch noch Lichtgestalten, als führten sie
dieselben unter den Armen. Als sie in die Vorhalle
getreten, schlössen sie die Türe und gingen
dann ganz in die Grabhöhle, wo sie sich alles
zum Ruhen einrichteten.
DIE HEILIGE FAMILIE IN DER GRABHÖHLE DER MARAHA.
- JOSEPH TRENNT WEGEN GEFAHR DAS JESUSKIND
WÄHREND EINIGEN STUNDEN VON MARIA. -
DIE GEÄNGSTIGTE MUTTER DRÜCKT DIE MILCH AUS
IHRER BRUST. - URSPRUNG EINES WUNDERS,
WELCHES BIS IN UNSERE ZEIT ERWÄHNT WIRD.
- FEIER DES VERMÄHLUNGSTAGES JOSEPHS UND
MARIAS.
Donnerstag, den 27. Dezember.
Vorbemerkung. Die ehrwürdige Emmerich erzählte
in verschiedenen Jahren folgende zwei Ereignisse
als in den Tagen, da die heilige Jungfrau in
der Grabhöhle der Maraha verborgen war, eingetreten.
Weil sie dieselben aber jedesmal, durch Krankheit
oder Besuch gestört, nicht am Tage selbst, da
sie geschehen, sondern nachträglich als etwas
Vergessenes mitteilte, lassen wir sie beisammenstehen,
und es bleibt dem Leser überlassen, sich dieselben
nach seinem Gutdünken anders zu ordnen.
---------------------------
Die heilige Jungfrau erzählte der Mutter Anna
alles von den heiligen drei Könige n, und sie
betrachteten auch alles, was sie hier in der
Grabhöhle Marahas zurückgelassen.
Ich sah zwei Hirten zu der heiligen Jungfrau
kommen, welche sie warnten, als kämen Leute
von der Obrigkeit, welche nach ihrem Kindlein
forschten. Maria war in großer Sorge darum,
und ich sah bald darauf den heiligen Joseph
hereintreten, der das Jesuskind aus ihren Armen
nahm, es in einen Mantel einschlug und es hinwegtrug.
Ich erinnere mich nicht mehr, wohin er sich
mit ihm begab.
Ich sah nun die heilige Jungfrau wohl einen
halben Tag lang in der Höhle allein, ohne das
Jesuskind, in großer mütterlicher Angst und
Sorge verweilen. Als aber die Stunde nahte,
da sie gerufen werden sollte, um das Kindlein
an ihrer Brust zu nähren, tat sie, wie treue
Mütter nach Schrecken oder anderen erschütternden
Gemütsbewegungen zu tun pflegen. Sie drückte
die geängstigte Milch vorher aus ihrer Brust,
ehe sie das Kind säugte, in ein Grübchen der
weißen Steinbank der Höhle. Sie sagte dieses
einem frommen ernsten Mann von den Hirten, der
zu ihr kam (wahrscheinlich, um sie zu dem Kinde
zu führen), und dieser Hirt, voll tiefer Erkenntnis
der Heiligkeit der Mutter des Erlösers, schöpfte
nachher die jungfräuliche Milch, welche in dem
weißen Steingrübchen wie aufgewallt war, mit
einer Art Löffel sorgsam auf und brachte sie
in glaubender Einfalt seinem säugenden Weibe,
welche ihr Kind nicht zu stillen vermochte.
Die gute Frau genoß diese heilige Nahrung mit
ehrfürchtigem Vertrauen, und alsobald ward ihr
Glaube so gesegnet, daß sie ihr Kind reichlich
nähren konnte. Seit diesem Ereignisse empfing
der weiße Stein dieser Höhle eine gleiche Heilkraft,
und ich habe gesehen, daß bis in unsere Zeit
selbst ungläubige Mohammedaner sich desselben
als Heilmittel in diesem und anderen körperlichen
Leiden bedienen
98.
98 Diese Höhle
und die Tradition jenes Wunders werden in vielen
alten und neuen Beschreibungen von Palästina
mit verschiedenen Abweichungen erzählt. Die
gewöhnliche Tradition meint, die heilige Familie
habe auf der Flucht nach Ägypten, bei Bethlehem
vorüberkommend, in dieser Höhle verborgen geruht,
und einige Tropfen Milch, aus der Brust der
Mutter Gottes überfließend, hätten dem Stein
der Höhle diese Heilkraft gegeben. Daß diese
Höhle das Grab von Abrahams Amme sei und daher
schon die Höhle der Säugenden geheißen wie auch,
daß die Gnade der Heilkraft der Höhle durch
die mütterliche Sorge der Mutter des Herrn veranlaßt
worden, ist durch die Anschauungen der gottseligen
Emmerich zuerst gesagt worden. Der gelehrte
Minorit Fr. Quaresmius, Vorsteher und Apostolischer
Kommissarius des heiligen Landes im 17. Jahrhundert,
sagt in seiner historica Terrae Sancta eluci-
datio Antverpiae 1632 Tom. II. pag. 678 von
dieser Höhle unter anderem: „Nicht weit von
der Geburtshöhle und der Kirche der heiligen
Jungfrau zu Bethlehem gegen Morgen (nach anderen
Bestimmungen 200 Schritte entfernt) liegt ein
unterirdischer Ort, in welchem drei Höhlen ausgehauen
sind, in deren mittelster manchmal zum Gedächtnis
des hier geschehenen Wunders das heilige Meßopfer
verrichtet wird. Der Ort wird gewöhnlich die
Höhle, die Grotte der Jungfrau oder auch die
St. Nikolauskirche genannt. Eine Bulle von Papst
Gregor XI. ( f 1378) erwähnt diese Kapelle des
heiligen Nikolaus bei Bethlehem und erlaubt
den Franziskanern, sich dabei eine Niederlassung
mit Glockenturm und Kirchhof zu erbauen."
— In einem alten lateinischen
Manuskript von den Orten des heiligen Landes
heißt es: „item die Kirche des heiligen Nikolaus,
worin die Höhle, in der sich nach der Sage die
heilige Jungfrau mit dem Jesuskinde verborgen
hat." — Nachdem Quaresmius die gewöhnliche Sage
von dieser Höhle mitgeteilt, sagt er, die Erde
der Höhle sei von Natur rot, aber zu Staub gestoßen,
gewaschen und an der Sonne getrocknet, werde
sie schneeweiß und gleich mit Wasser vermischt,
vollkommen der Milch ähnlich. Die so bereitete
Erde wird Milch Marias genannt und im Getränk
gemischt von Frauen, welche nicht säugen können,
oder gegen andere Krankheiten mit großem Heilerfolge
eingenommen. Selbst türkische und arabische
Frauen nehmen die rohe Erde zu gleichem Gebrauch
in solcher Menge aus der Höhle, daß dieselbe,
welche vor Zeiten nur eine Höhle war, sich jetzt
zu dreien erweitert hat. Die Reliquien, welche
an mehreren Wallfahrtsorten als lac Beatae Virginis
einen Gegenstand der Verwunderung und des Spottes
abgeben, sind zunächst nichts als Erde aus jener
Grotte bei Bethlehem, von der die Seherin spricht.
Quaresmius deutet auf das Wunder, welches Baronius
bei dem Jahre 158 von der Insel Malta anführt,
daß nämlich, seit Paulus dort die Viper von
seiner Hand geschleudert (Apg 29), auf dieser
Insel keine giftigen Schlangen und Tiere mehr
seien, ja daß die Erde von Malta selbst ein
Gegengift geworden sei und sagt: „Ward dieser
Erde um Paulus willen solche Gnade verliehen,
warum sollten wir nicht glauben, daß Gott um
der jungfräulichen Gottesgebärerin willen der
Erde dieser, durch die Gegenwart Jesu und seiner
Mutter und deren geheiligte Milch benedeiten
Höhle, eine ähnliche, ja noch weit größere Tugend
verliehen habe." Castro im Leben Marias, Grotonus
im Leben Josephs erwähnen dieselbe Tradition
aus einer alten Schrift der Armenier.
Diese Erde ward von je durch die Pfleger des
heiligen Landes gereinigt und in kleine Formen
gepreßt, als eine erinnernde Andachtsgabe in
der Christenheit versendet, und das sind jene
Reliquien, welche überschrieben sind: „de lacte
sanctissimae Virginis Mariae, von der Milch
der heiligsten Jungfrau Maria."
GEDÄCHTNISFEIER DER VERMÄHLUNG MARIAS
Joseph blieb nicht in der Grabhöhle Marahas
verborgen. Ich sah ihn mit den zwei alten Hirten
allerlei Einrichtungen in der Krippenhöhle treffen.
Ich sah die Hirten mancherlei Laub- und Blumenkränze,
ich wußte anfangs nicht zu welchem Zweck, hineintragen;
dann aber sah ich, daß es die Zubereitungen
zu einem rührenden Feste waren. — Ich sah Eliud,
den zweiten Mann Annas, und auch die Magd wieder
anwesend. Sie hatten zwei Esel mitgebracht.
Wahrscheinlich waren sie den Knechten Annas,
welche etwa von Nazareth mit diesen Lasttieren
kamen, nur eine Strecke Wegs entgegengegangen,
hatten diese mit ihrem Gepäcke nach Nazareth
zurückgesendet und die Lasttiere selbst nach
Bethlehem geführt. Als ich sie wieder hierher
ziehen sah, meinte ich eine Zeitlang, es seien
Leute aus einer Herberge vor Jerusalem, wo ich
die heilige Familie später eingekehrt sah.
Joseph hatte die Abwesenheit der heiligen Jungfrau
in der Grabhöhle Marahas benutzt, um die Krippenhöhle
mit den Hirten zur Feier des Gedächtnistages
seiner Vermählung auszuschmücken.
Als alles geordnet war, holte er die heilige
Jungfrau mit dem Jesuskinde und der Mutter Anna
ab und führte sie in die geschmückte Krippenhöhle,
wo bereits Eliud und die Magd und die drei alten
Hirten versammelt waren. O wie rührend war die
Freude aller, als die heilige Jungfrau das Jesuskindlein
in die Krippenhöhle hineintrug. Die Decke und
Wände der Höhle hingen voll von Blumenkränzen.
In der Mitte war eine Tafel zur Mahlzeit gerüstet.
Einige schöne Decken der heiligen drei Könige
waren auf den Boden, an den Wänden und über
die Tafel gebreitet, auf welcher eine Pyramide
von Laubwerk und Blumen bis zu einer Öffnung
in der Decke hinaus errichtet war, in der äußersten
Spitze saß auf einem Zweige eine Taube, welche,
wie ich glaube, auch gemacht war. Ich sah die
ganze Höhle voll Lichter und Glanz. Sie hatten
das Jesuskind in seinem Wiegenkörbchen in aufrecht
sitzender Stellung auf ein Stühlchen gestellt,
Maria und Joseph, mit Kränzen geschmückt, standen
ihm zur Seite und tranken aus einem Becher.
Außer den Verwandten waren die alten Hirten
zugegen, man sang Psalmen und hatte ein kleines
fröhliches Mahl. Ich sah Engelchöre und allerlei
himmlische Einflüsse in der Höhle erscheinen.
Alle waren sehr innig und gerührt.
Nach dieser Feier begab sich die heilige Jungfrau
nebst dem Jesuskind und der Mutter Anna wieder
zur Grabhöhle der Maraha.
VORBEREITUNGEN ZUR ABREISE DER HEILIGEN FAMILIE.
- MARIA TRÄGT DAS JESUSKIND ZWEIMAL NACHTS
IN DIE KRIPPENHÖHLE UND BETET DORT. -
NACH DEM SABBAT ABREISE DER MUTTER ANNA.
- PERSÖNLICHES, ERKENNEN VON STOFFRELIQUIEN
AUS DEM BESITZ DER HEILIGEN DREI KÖNIGE.
Freitag, den 28., bis Sonntag, den 30. Dezember.
Ich sah in den letzten Tagen und auch heute
den heiligen Joseph mancherlei tun, was auf
die baldige Abreise der heiligen Familie von
Bethlehem zielte. Joseph verminderte täglich
seinen Hausrat. Er gibt den Hirten alle die
leichten geflochtenen Wände und Schirme und
andere Einrichtungen, durch welche er die Krippenhöhle
bequem gemacht hatte, und sie tragen alles hinweg.
Heute nach Mittag waren wieder viele Leute,
welche nach Bethlehem zum Sabbat zogen, an der
Krippenhöhle, da sie diese aber verlassen fanden,
zogen sie bald wieder weiter. Anna wird nach
dem Sabbat wieder gen Nazareth reisen; sie ordnen
und packen heute noch alles. Sie nimmt auf zwei
Eseln vieles von den Gaben der heiligen drei
Könige mit, besonders Teppiche, Decken und Stoffe.
Heute Abend hielten sie den Sabbat in der Höhle
der Maraha.
Samstag, den 29. Dezember, setzten sie die Sabbatfeier
fort, und es war ruhig in der Gegend. Am Schlüsse
des Sabbats aber ward alles zur Abreise Annas
und Eliuds und ihres Gesindes nach Nazareth
zubereitet.
Bereits einmal und heute Nacht zum zweiten Male
sah ich die heilige Jungfrau im Dunkeln aus
der Grabhöhle Marahas das Jesuskind in die Krippenhöhle
tragen. Sie legte es dann auf einen Teppich
an die Stelle seiner Geburt und kniete betend
bei ihm nieder. Ich sah dabei die ganze Höhle
wie bei der Geburtsstunde des Herrn von himmlischem
Lichte erfüllt. Ich meine, die liebe Mutter
Gottes muß das doch auch wohl gesehen haben.
Sonntag, den 30. Dezember, am frühesten Morgen
sah ich die Mutter Anna mit ihrem Mann und Gesinde
nach einem zärtlichen Abschied von der heiligen
Familie und den drei alten Hirten gen Nazareth
abreisen; die Magd Annas zog auch mit ihnen,
ich wunderte mich wieder über ihre seltsame
Mütze, die fast wie ein Kuckuckskorb aussah.
So nennen die Bauerskinder bei mir zu Hause
eine spitze Mütze, welche sie sich zum Spiel
aus Binsen flechten.
— Daß ich eine Zeitlang geglaubt hatte, die
mit den beiden Eseln nach Bethlehem gekehrten
Angehörigen der Mutter Anna seien Leute aus
dem Herbergshause vor Jerusalem, mochte daher
rühren, weil ich sie in dieser Herberge hatte
übernachten und mit den Bewohnern verkehren
sehen. — Sie nahmen alles Überflüssige, was
von den Gaben der Könige noch da war, auf ihren
Lasttieren mit, und indem sie aufpackten, ward
ich ganz verwundert, daß sie ein Päckchen mitnahmen,
welches mir gehörte, ich fühlte, daß es dabei
war, und konnte gar nicht begreifen, wie nur
die Mutter Anna darauf komme, mir mein Eigentum
mit fort zu nehmen.
Diese ihre Empfindung, als nehme die Mutter
Anna etwas mit aus Bethlehem hinweg, was ihr,
der Erzählenden, angehörte, erklärte sich aus
folgenden Erfahrungen.
Persönliches
Die gottselige Emmerich erkennt in ihrer
Nähe und ihrem Besitz mehrere Reliquien von
Stoffen, welche die heiligen drei Könige der
heiligen Familie geschenkt hatten.
Bald nach dieser Befremdung, daß Anna etwas
von Bethlehem mitnehme, was ihr, der Schwester
Emmerich, gehöre, fand zwischen dieser, welche
sich in einem erhöhten sehenden Zustande befand,
und dem Schreiber folgende Mitteilung statt.
Schwester Emmerich: „Anna hat vieles von den
Geschenken, besonders von Stoffen der Könige,
da sie abreiste, mitgenommen, es ist davon mancherlei
in der ersten Kirche verwendet worden, und es
sind Reste bis zu unserer Zeit übrig. Ein Stückchen
von der Bedeckung des Geschenktischchens der
Könige und auch von einem ihrer Mäntel ist unter
meinen Reliquien
99.
99 Bei diesem
ihrem Ausdruck „meine Reliquien" fügen wir hinzu:
Viele begnadigte Glieder der katholischen Kirche
aus allen Zeiten hatten die Gabe, durch die
Gebeine der Heiligen und alles Geweihte und
Geheiligte wohltätig angeregt zu werden. Wahrscheinlich
aber ist diese Gabe nie in einem Menschen in
solchem Umfang und stets gegenwärtig erschienen
als in der Person der gottseligen A. K. Emmerich.
Nicht nur das allerheiligste Sakrament, sondern
auch alles, was von der Kirche durch sakramentliche
und sakramentalische Akte geweiht und geheiligt
war wie auch vorzüglich die Gebeine der Heiligen
und alles, was die Kirche unter dem Begriff
der Reliquien versteht, sah sie von allen anderen,
wenn auch natürlich gleichartigen Substanzen,
wesentlich durch Licht und in diesem auch durch
Färbung unterschieden. Sie vermochte auch bei
den Gebeinen der Heiligen und Stoffen, welche
diesen angehört, die Namen der Heiligen und
oft deren Geschichte bis in das kleinste Detail
mitzuteilen, wovon ihre nähere Umgebung in täglichen
Erfahrungen nach allen Seiten hin so überzeugende
Beweise hatte, daß ihrer Person nicht unbillig
der Name eines Sakrometers von einem ihrer Freunde
gegeben ward. Der Schreiber dieses wird in ihrer
ausführlichen Lebensgeschichte eine große Anzahl
dieser Erfahrungen mitteilen. Warum die geistliche
Obrigkeit der A. K. Emmerich, so viel uns bekannt,
nie eine erschöpfende, mit allen Beweisen bewaffnete
Notiz von dieser für geistliches Leben so folgenreichen
Erscheinung genommen hat, wissen wir nicht,
aber wir sind fest überzeugt, daß diese ihre
Gnadengabe merkwürdiger und beachtenswerter
als alle anderen Erscheinungen an ihr war.
— Zur Prüfung dieser
ihrer Erkenntnis der Reliquien und anderer geweihten
Dinge waren durch Vermittlung ihrer Freunde
und namentlich des Schreibers eine große Menge
von dergleichen Gegenständen in die Nähe der
guten Emmerich gekommen, denn sowohl durch die
Zerstörung so vieler Kirchen und Klöster in
unserer Zeit als auch durch die Ermattung, ja
leider hie und da gänzliche Ersterbung eines
tieferen treuen Sinnes für das Heilige und durch
treue Überlieferung als heilig oder ehrwürdig
an uns Vererbte waren Schätze, über welche einst
vielleicht große Kirchen erbaut worden waren,
auf eine höchst betrübende, ja der tieferen
Einsicht Schauder erregenden Weise verunehrt
und in Privatbesitz bis in die Trödelbuden verschleudert
worden. Viele dieser heiligen Gebeine gab sie
selbst an, und man verschaffte ihr dieselben.
Zwei bedeutende Gefäße aber, voll von Reliquien
aus der ersten Zeit, welche in einer alten zerstörten
Kirche gefunden worden, empfing sie durch die
Güte des hochwürdigen Regens Overberg, welcher
ihr außerordentlicher Gewissensführer war.
Da ein Teil dieser Reliquien sich neben dem
Bette der Kranken in einem Schränkchen, ein
anderer Teil aber in der Wohnung des Schreibers
befand, fragte dieser: „Ist diese Stoffreliquie
hier in der Nähe?" — Sie: „Nein, dort in dem
Hause." •— Der Schreiber: „Bei mir?" — „Nein,
bei jenem Mann, bei dem Pilger (so nannte sie
gewöhnlich den Schreiber), sie befindet sich
in einem kleinen Bäuschchen, das Stückchen von
dem Mantel ist fahl. — Aber man wird es nicht
glauben, und dennoch ist es wahr, und ich sehe
es vor meinen Augen. Ein naher Angehöriger des
Pilgers glaubt es gewiß nie, der möchte alles
vernichten, was er schreibt, aber sein Schwager
A., der mich besucht, der hat ein Herz wie der
braune König Seir, er ist so mild und schmiegsam
und so treu, er ist ein rechtes christliches
Herz, ach, wenn dieser Mann in der Kirche wäre,
er hätte den Himmel auf Erden."
Als der Schreiber ihr aus den bei ihm bewahrten
Reliquien jene, welche man ein Bäuschchen nennen
konnte, gebracht, eröffnete sie eines dieser
Bäuschchen sogleich und erkannte ein darin befindliches,
gelbwollenes und ein dunkelrotseidenes kleines
Stoffrestchen als von den Zeugen der Könige
an, doch ohne noch genauere Erklärung darüber
zu geben. — Hierauf sagte sie: „Ich selbst muß
noch ein anderes Stückchen Stoff von den Königen
haben. Sie besaßen mehrere Mäntel, einen starken
dicken im Wetter, einen gelben und einen roten
von feiner leichter Wolle. Diese Mäntel wehten,
wenn sie zogen, im Winde. Bei Feierlichkeiten
aber trugen sie Mäntel von ungefärbter Seide,
sie glänzten, waren am Rand mit Gold gestickt
und hatten eine lange Schleppe, die getragen
wurde. Ich meine, von einem solchen Mantel muß
etwas in meiner Nähe sein, wodurch ich schon
früher und auch heute Nacht wieder in Bildern
von Seidenzucht und Weberei bei den Königen
war, wovon ich mich noch erinnere.
In einer Gegend morgendlich zwischen dem Lande
Theokenos und Sairs hatte man Bäume voll von
Würmern, und um jeden Baum war ein kleiner Wassergraben
gezogen, damit die Würmer nicht fort konnten;
ich sah manchmal Blätter unter die Bäume streuen,
ich sah Kästchen an den Bäumen hängen, und wie
sie mehr als fingerlange rundliche Dinge herausnahmen,
meinte zuerst, es seien seltsame Vogeleier,
sah aber bald, daß es die Hülsen der Würmer
waren, die sich eingesponnen hatten, als die
Leute einen Faden fein wie Spinnweb davon abwickelten;
und daß sie von diesem eine Menge vor der Brust
befestigten und einen feinen Faden daraus spannen
und auch etwas aufrollten, das sie in der Hand
hielten. Ich sah auch ihre Weberei zwischen
Bäumen, der Webstuhl sah sehr weiß aus, er war
ganz einfach, der Stoff war wohl so breit wie
mein Bettuch." (Hier beschrieb sie einen sehr
einfachen Webstuhl; aber wegen Zeitmangel zur
Mitteilung nicht hinreichend genau.)
Nach einigen Tagen sagte sie: „Mein Arzt fragte
mich öfter über ein Stückchen sehr kurios gewebte
Seide. Ich sah auch in der letzten Zeit ein
solches bei mir und weiß jetzt nicht, wo es
hingekommen ist. Ich habe mich aber darauf besonnen
und habe erkannt, daß ich bei dieser Gelegenheit
das Bild von den Seideweberinnen hatte, es war
morgendlicher als die drei Königsländer, in
dem Lande, wo der heilige Thomas auch war. Ich
habe es irrtümlich erzählt, es gehört nicht
zu den Stoffen der heiligen Könige, das muß
der Pilger wegstreichen. Es wurde mir durch
eine unverständige Probiererei gegeben, ohne
daß man sich darum bekümmerte, womit ich mich
gerade innerlich beschäftigte, dadurch können
dann Verwechslungen kommen, und das ist betrübt.
Ich habe aber die Zeugreliquien wieder gesehen
und weiss jetzt, wo sie sind. Ein Päckchen,
wie ein Knopf zusammengenäht, habe ich vor mehreren
Jahren meiner Schwägerin, die in Flamske wohnt,
vor ihrer letzten Niederkunft gegeben. Sie bat
mich um irgendein Heiligtum zur Stärkung; da
gab ich ihr das Bäuschchen, welches ich leuchtend
und als einst mit der Mutter Gottes in Berührung
gewesen sah. Ich erinnere mich jetzt nicht,
ob ich damals den ganzen Inhalt genau betrachtet
habe, die fromme Frau hatte aber vielen Trost
dadurch. Heute Nacht habe ich es wieder gesehen,
sie hat es noch, es ist fest vernäht. Es ist
ein dunkelrotes Stückchen Teppich und zwei Stückchen
dünnes Gewebe wie Flor, von der Farbe der rohen
Seide darin und etwas wie grüner Kattun, auch
ein Stückchen Holz und ein paar weiße Steinsplitterchen.
— Ich habe der Schwägerin sagen lassen, es mir
wieder zu bringen."
Nach einigen Tagen besuchte sie die Schwägerin
und brachte das Päckchen. Der Schreiber öffnete
zu Haus den etwa nußgroßen Knopf behutsam und
trennte die darin zusammengedrehten Stoffreste
voneinander, nezte sie und preßte sie in einem
Buche glatt. Es war der Inhalt ein etwa zwei
Quadratzoll großes, dunkelrotbraunes, verrottetes,
blumigfein gewebtes und auf einigen Stellen
dunkelviolettrot scheinendes, dickes Wollenzeug
und zwei Finger lange und breite Streifen von
losem, leichtem, mousselinartigem Gewebe, von
der Farbe der rohen Seide, weiter ein Stückchen
Holz und ein paar Steinsplitterchen. Die Stoffstückchen,
in Papierbriefchen gehüllt, hielt er ihr abends
vor Augen. Sie konnte nicht wissen, was es sei,
sagte zuerst: „Was soll ich mit den Briefchen?"
Und sodann augenblicklich, indem sie die geschlossenen
Briefchen einzeln in die Hand nahm: „Du mußt
das gut aufheben und auch kein Fäserchen davon
verlieren, das dicke, jetzt braun aussehende
Zeug war sonst ganz tief rot, eine Decke ungefähr
so groß wie meine Stube, die Diener der Könige
breiteten sie in die Krippen höhle, und Maria
saß mit dem Jesuskinde darauf, als sie räucherten.
Sie hat sie nachher immer in der Höhle gehabt
und auch auf dem Esel mit nach Jerusalem zur
Opferung genommen. Das leichte florartige Gewebe
ist von einem kurzen Mantel, der aus drei getrennten
Bahnen bestand, die sie, an einen Kragen befestigt,
über dem Rücken und den Schultern wehend und
fliegend wie eine Stola bei Zeremonien trugen.
Es waren Fransen und Troddeln am Rande. — Das
Holzspänchen und die Steinchen sind in neuerer
Zeit aus dem gelobten Lande gebracht.
Sie sah in diesen Tagen in ihren fortgesetzten
Anschauungen des Lehrwandels Jesu den 27. Januar
des letzten Vierteljahres seines Lebens. Sie
sah den Herrn auf der Reise nach Bethanien in
einer Herberge bei Bethoron mit 17 Jüngern:
,,Er lehrte sie über ihren Beruf. Er hielt Sabbat
mit ihnen, die Lampe brannte den ganzen Tag.
Es ist aber einer unter den Jüngern, der neu
aus Sichar mitgegangen ist. Ich sah ihn so deutlich,
es muß von seinem Gebeine unter meinen Reliquien
sein, ein weißes, dünnes Schelferchen. sein
Name klingt wie Silan oder Vilan, diese Buchstaben
sind drin." Zuletzt sagte sie Silvanus. — Nach
einer Weile sagte sie:
„Ich habe die Stückchen Zeuge wieder gesehen,
welche ich von den drei Königen besitze. Es
muß auch ein Bäuschchen da sein, worin unter
anderem etwas von einem Mantel des Königs Mensor,
ein Stückchen von einer rotseidenen Decke, welche
in älterer Zeit bei dem heiligen Grab gelegen,
ein Stückchen von der weiß und roten Stola eines
Heiligen. Ich sehe auch das Splitterchen von
dem Jünger Silvanus darin." —
Nach einer Pause von Geistesabwendung sagte
sie: „Ich sehe jetzt, wo jenes Päckchen ist,
ich habe es vor anderthalb Jahren hier einer
Frau zum Anhängen gegeben, sie trägt es noch.
Ich will sie um Rückgabe bitten lassen. Ich
gab es ihr bei meiner Gefangennehmung als einen
Trost anzuhängen, sie nahm so viel Anteil an
mir. Ich wußte damals den Inhalt nicht genau,
ich sah nur, daß es leuchtete, daß es Heiligtum
und mit der Mutter Gottes in Berührung gewesen
war. Jetzt, als ich alles von den heiligen drei
Königen so genau sah, erkannte ich alles, was
auf sie Bezug hatte, in meiner Nähe und so auch
diese Stoffreliquien. Ich vergaß aber über den
vielen Dingen immer wieder, wo sich alles befand."
Nach einigen Tagen, als ich das Bäuschchen wieder
erhielt, gab sie es, weil sie selbst krank war,
dem Schreiber zu eröffnen. Er öffnete das alte,
vor langer Zeit stark vernähte Päckchen in der
Vorstube und fand folgende, fest umeinander
gewickelte Gegenstände darin:
1. |
Ein schmales Streifchen (gleich einem
gerollten Saum) naturfarbigen Gewebes
von zartester tierischer Wolle, welches
bei dem Versuche, es auszubreiten, höchst
gebrechlich und dünn erschien. |
2. |
Zwei Stückchen nankinfarbiges, locker
gewebtes, doch ziemlich starkes Baumwollenzeug,
ungefähr einen Finger lang und halb
so breit. |
3. |
Ein Quadratzoll gemusterten carmoisinfarbigen
Seidenstoffes. |
4. |
Ein Viertel Quadratzoll Ornatseidenstoff,
gelb und weiß. |
5. |
Ein kleines Muster grün und braunen
Seidenstoffes. |
6. |
In der Mitte von allen diesem ein zusammengedrücktes
Papier, in welchem ein erbsengroßes,
weißes Steinchen. |
Der Schreiber sonderte alle diese Gegenstände
in einzelne Papiere, außer Nr. 6, welches er
in dem alten Papier ließ. Als er der Kranken
nahte, schien sie nicht in sehendem Zustande,
sie hustete und klagte wachend über heftige
Schmerzen, sagte aber alsbald: „Was hast du
da für Briefe, das ist leuchtend, welche Schätze
besitzen wir, sie sind mehr wert als ein Königreich."
Nun nahm sie die einzeln verschlossenen Briefchen,
deren Inhalt sie nicht wissen konnte, nacheinander
prüfend in die Hand, schwieg einige Augenblicke,
wie innerlich schauend, und sagte, sie einzeln
zurückgebend, folgendes über ihren Inhalt, ohne
auch nur bei einem einzigen zu irren, denn der
Schreiber überzeugte sich sogleich durch Eröffnung
der ganz gleichförmigen Briefchen.
1. |
Dieses ist von einem Rocke des Mensor,
es ist ganz feine Wolle. Er hatte nur
Armlöcher ohne Ärmel. Von den Schultern
bis zum halben Arm hing ein Lappen,
gleich einem aufgeschnittenen halben
Ärmel, herab. Hierauf beschrieb sie
Gestalt, Stoff und Farbe der Reliquie
genau. |
2. |
Dieses ist von einem Mantel, welchen
die Könige auch zurückgelassen haben.
Sie beschrieb abermals die Beschaffenheit
der Reliquie. |
3. |
Dieses ist ein Stückchen von einer dicken,
roten, seidenen Decke, welche im heiligen
Grab zur Zeit, da die Christen noch
Jerusalem besaßen, auf den Boden gebreitet
war. Als die Türken Jerusalem eroberten,
war sie wie noch ganz neu und wurde,
als die Ritter alles teilten, zerschnitten,
und jeder erhielt ein Stückchen zum
Andenken. |
4. |
Dieses ist von der Stola eines sehr
heiligen Priesters, Alexius, er war,
glaube ich, ein Kapuziner. Er betete
immer am heiligen Grabe. Die Türken
haben ihn sehr mißhandelt. Sie stellten
Pferde in die Kirche und setzten ihm
ein altes türkisches Weib vor das heilige
Grab, wo er betete. Er ließ sich nicht
stören. Endlich mauerten sie ihn dabei
ein, und das Weib mußte ihm Wasser und
Brot durch ein Loch reichen. Dieses
weiß ich jetzt noch aus vielem, was
ich neulich dabei gesehen, als ich das
Päckchen und seinen Inhalt sah, ohne
recht zu wissen, wo es sich befand. |
5. |
Dieses ist kein Heiligtum, aber doch
ehrwürdig, es ist von Sitzen und Bänken
abgezogen, worauf die Fürsten und Ritter
rings in der heiligen Grabkirche saßen.
Sie haben es auch verteilt. |
6. |
Hierin ist ein Steinchen von der Kapelle
über dem heiligen Grabe, und da ist
auch das
Splitterchen von dem Jünger Silvanus
aus Sichar. |
Als der Schreiber
sagte, es sei kein Knochensplitterchen darin,
erwiderte sie: „Gehe hin und suche." — Er ging
sogleich in die Vorstube zum Lichte, öffnete
das zusammengedrückte Papier behutsam und fand
in einer Falte ein weißes feines Knochensplitterchen
von der Dicke eines Fingernagels, von unregelmäßiger
Gestalt und der Größe eines halben Silberkreuzers.
— Genau, wie sie es beschrieben hatte. Sie erkannte
es sogleich. — Alles dieses geschah abends in
ihrer dunklen Kammer, das Licht brannte in der
Vorstube.
MARIA REINIGUNG
Nachdem sich nun die Erfüllung der Tage näherte,
daß die heilige Jungfrau ihren Erstgeborenen
im Tempel nach dem Gesetze darstellen und auslösen
sollte, war alles bereit, daß die heilige Familie
vorerst zum Tempel und hierauf nach Nazareth
in ihre Heimat ziehen könne.
Schon sonntags am Abend des 30. Dezembers hatten
die Hirten alles erhalten, was die Dienstleute
der Mutter Anna noch zurückgelassen. Die Krippenhöhle,
die Nebenhöhle und die Grabhöhle Marahas waren
nun ganz ausgeräumt und auch ausgefegt. Joseph
ließ sie ganz rein zurück.
In der Nacht des Sonntags auf Montag, den 31.
Dezember, sah ich Joseph und Maria abermals
mit dem Kindlein die Krippenhöhle besuchen und
von dem heiligen Orte Abschied nehmen. Sie breiteten
den Teppich der Könige zuerst an die Geburtsstelle
Jesu, legten das Kindlein darauf und beteten
dabei, und zuletzt legten sie es an die Stelle
der Beschneidung und beteten auch hier kniend.
Montags, den 31. Dezember, bei Tagesanbruch
sah ich die heilige Jungfrau sich auf den Esel
setzen, welchen die alten Hirten schon ganz
zur Reise gerüstet vor die Höhle geführt hatten.
Joseph hielt ihr das Kindlein, bis sie sich
bequem gesetzt hatte, und gab es ihr dann auf
den Schoß. Sie saß quer auf einem Sitze und
hatte die Füße auf einem Fußbrette etwas erhöht
stehen. Die Füße standen gegen das Hinterteil
des Esels zu. Sie hielt das Kindlein in ihrem
weiten Schleier auf dem Schöße verhüllt und
sah selig darauf nieder. Sie hatten nur ein
paar Decken und Bündelchen auf dem Esel bei
sich. Maria saß dazwischen.
Die Hirten nahmen einen rührenden Abschied und
geleiteten sie auf den Weg. Sie zogen nicht
den Weg, den sie gekommen, sondern zwischen
dem Krippenhügel und der Grabhöhle Marahas,
an der Morgenseite von Bethlehem herum. — Niemand
bemerkte sie.
30. Januar. — Heute am Tag sah ich sie auf dem
kurzen Weg von Bethlehem nach Jerusalem gar
langsam ziehen, sie müssen oft verweilt haben.
Am Mittag sah ich sie auf Bänken ruhen, welche
einen mit einem Dach überbauten Brunnen umgaben.
Ich sah ein paar Frauen zur heiligen Jungfrau
kommen. Sie brachten ihr kleine Krüge mit Balsam
und kleine Brote.
Das Opfer der heiligen Jungfrau für den Tempel
hing in einem Korbe an dem Esel. Der Korb hatte
drei Gefächer, zwei derselben waren inwendig
mit etwas überzogen. Es lagen Früchte darin.
Das dritte war ein offenes Gitter, und man sah
ein paar Täubchen darin.
Ich sah sie gegen Abend vor Jerusalem, etwa
eine Viertelstunde vor der Stadt, neben einer
größeren Herberge in einem kleinen Hause einkehren,
worin ein paar alte kinderlose Eheleute wirtschafteten,
von denen sie mit ungemeiner Liebe empfangen
wurden. — Ich weiß nun auch, warum ich gestern
die Dienstleute Annas für Herbergsleute von
Jerusalem hielt. Ich habe sie nämlich auf der
Hinreise auch hier bei diesen alten guten Leuten
eingekehrt gesehen, und sie haben da auch wohl
die Herberge für die heilige Jungfrau bestellt.
Es waren Essener Leute, mit Johanna Chusa verwandt.
Der Mann betrieb Gärtnerei, schnitt die Hecken
und hatte irgendein Geschäft an dem Wege zu
besorgen.
1. Februar. — Ich sah heute den ganzen Tag die
heilige Familie bei den alten Herbergsleuten
vor Jerusalem. Die heilige Jungfrau war meistens
in einer Kammer mit dem Kinde allein, welches
auf einem niedrigen Mauervorsprung auf einem
Teppiche lag. Sie war immer im Gebet und schien
sich zu dem Opfer vorzubereiten. Ich hatte dabei
innere Weissagungen, wie man sich zu dem heiligen
Sakramente vorbereiten solle. — Ich sah die
Erscheinung vieler heiliger Engel in ihrer Kammer,
welche das Jesuskind verehrten. Ich weiß nicht,
ob die heilige Jungfrau diese Engel auch sah,
aber ich glaube doch, denn ich sah sie in großer
Innerlichkeit. — Die guten Herbergsleute taten
der heiligen Jungfrau alles zuliebe, sie mußten
eine Ahnung von der Heiligkeit des Jesuskindleins
haben.
Abends, gegen sieben Uhr, hatte ich eine Anschauung
von dem alten Simeon. Er war ein hagerer, sehr
alter Mann, mit kurzem Barte. Er war ein gewöhnlicher
Priester, hatte eine Frau und drei erwachsene
Söhne, deren jüngster jetzt schon 20 Jahre alt
sein mochte. — Ich sah auch Simeon, der dicht
am Tempel wohnte, durch einen engen, dunklen
Gang in den Mauern des Tempels in eine kleine
gewölbte Zelle gehen, die in die dicken Tempelmauern
angebracht war. Ich sah nichts in diesem Räume
als eine Öffnung, durch welche man in den Tempel
hinabsehen konnte. — Ich sah den alten Simeon
hier knien und im Gebet entzückt. Da trat die
Erscheinung eines Engels vor ihn, welcher ihn
ermahnte, morgen früh auf das Knäblein zu achten,
welches zuerst werde geopfert werden, denn es
sei der Messias, nach welchem er sich so lange
gesehnt habe. Nachdem er ihn gesehen, werde
er bald sterben. — Ich sah das so schön, der
Raum war ganz hell, und der alte heilige Mann
leuchtete vor Freude.
Ich sah hierauf, wie er nach seiner Wohnung
kehrte und in großer Freude seiner Frau erzählte,
was ihm verkündet worden sei. Als seine Frau
zur Ruhe gegangen war, sah ich Simeon wieder
sich ins Gebet begeben.
Ich habe nie gesehen, daß die frommen Israeliten
und ihre Priester sich so übertrieben beim
Gebete bewegten wie die Juden heutzutage. Ich
sah aber wohl, daß sie sich geißelten.
Ich sah auch, wie die Prophetin Hanna in ihrer
Zelle am Tempel betete und ein Gesicht hatte,
die Darstellung des Kindes Jesu im Tempel betreffend.
2. Februar. — Heute morgen, es war noch dunkel,
sah ich die heilige Familie, von den Herbergsleuten
begleitet, mit den Opferkörbchen und dem zur
Reise bepackten Esel die Herberge verlassen
und nach Jerusalem zum Tempel ziehen. — Sie
gingen am Tempel in einen ummauerten Hof. —
Indessen hier Joseph und sein Wirt den Esel
in einen Schoppen einstellten, ward die heilige
Jungfrau mit ihrem Kindlein von einer betagten
Frau freundlich empfangen und in einem bedeckten
Gange weiter zum Tempel geführt. Sie hatten
eine Leuchte, denn es war noch dunkel. Gleich
in diesem Gange kam der alte Priester Simeon
der heiligen Jungfrau voll Erwartung entgegengetreten.
Er redete wenige freudige Worte mit ihr, nahm
dann das Jesuskind und drückte es an sein Herz,
worauf er nach einer anderen Seite in den Tempel
zurückeilte. — Er war durch die gestrige Ankündigung
des Engels so sehnsüchtig, das Kind der Verheißung
zu sehen, nach dem er so lange geseufzt, daß
er hier schon der Ankunft der Frauen harrte.
— Er hatte lange Kleider an wie die Priester
außer dem Gottesdienste. Ich habe ihn schon
oft im Tempel gesehen und immer als einen alten
Priester von keinem höheren Rang. Nur seine
große Frömmigkeit, Einfalt und Erleuchtung zeichneten
ihn aus.
Die heilige Jungfrau ward von ihrer Führerin
bis in die Vorhöfe des Tempels gebracht, in
welchen die Opferung geschah, und hier ward
sie von Hanna und Noemi, ihrer ehemaligen Lehrerin,
welche beide an dieser Seite des Tempels wohnten,
empfangen. — Simeon, der nun wieder der heiligen
Jungfrau aus dem Tempel entgegenkam, führte
sie, die das Kind auf den Armen hatte, nun an
die Stelle, wo die Auslösung der Erstgeborenen
zu geschehen pflegte, und Hanna, welche Joseph
den Korb mit dem Opfer gab, folgte ihr nebst
Noemi. Die Tauben waren unten in dem Korb und
oben darüber ein Gefach mit Früchten. — Joseph
ging zu einer anderen Türe hinein, an den Ort
der Männer.
Man wußte wohl im Tempel, daß mehrere Frauen
zur Opferung kamen, denn es war alles
zugerüstet. Der Raum, worin die Handlung geschah,
war so groß wie die Stadtkirche hier in Dülmen.
— Rings an den Wänden brannten viele Lampen,
welche immer eine Pyramide bildeten. Die Flämmchen
kommen am Ende eines gebogenen Rohres aus einer
goldenen Scheibe, die fast so hell wie das Lichtchen
blinkt. An der Scheibe hängt, durch ein Gewerb
verbunden, ein Löschhörnchen herab, welches,
in die Höhe geklappt, das Licht ohne Gestank
auslöscht und beim Anzünden wieder herabgestoßen
wird.
Es hatten mehrere Priester vor einer Art Altar,
an dessen Ecken wie Hörner herausgingen, einen
länglich viereckigen Kasten herangetragen, dessen
Türen, geöffnet und nochmals herausgeschlagen,
das Gestell eines ziemlich geräumigen Tisches
bildeten, auf welches eine große Platte gelegt
ward. Diese überdeckten sie hierauf mit einer
roten und dann mit einer weißen durchsichtigen
Decke, die rings bis zum Boden niederhing. —
Auf die vier Ecken dieses Tisches wurden mehrarmige,
brennende Lampen gestellt, in der Mitte standen
um ein längliches Wiegenschiffchen zwei ovale
Schüsselchen mit zwei Körbchen. — Alle diese
Dinge hatten sie aus Fächern des Kastens selbst
hervorgeholt wie auch Priesterkleider, welche
auf den anderen feststehenden Altar gelegt wurden.
Der aufgestellte Opfertisch war von einem Gitter
umgeben. — An beiden Seiten dieses Tempelraumes
standen Gestühle, eines höher als das andere,
in welchem sich betende Priester befanden.
Es nahte nun Simeon der heiligen Jungfrau, welche
das Jesuskind, in einer himmelblauen Hülle eingeschlagen,
auf den Armen ruhen hatte, und führte sie durch
das Gitter an den Opfertisch, wo sie das Kindlein
in ein Wiegenkörbchen legte, und von diesem
Augenblicke an sah ich ein unaussprechliches
Licht den Tempel erfüllen. Ich sah, daß Gott
in demselben war, und über dem Kinde sah ich
den Himmel offen bis in den Thron der heiligen
Dreifaltigkeit hinein. — Dann führte Simeon
die heilige Jungfrau wieder zurück in einen
vergitterten Ort der Frauen. — Maria trug ein
leise himmelblaues Kleid, einen weißlichen Schleier
und war ganz in einen langen gelblichen Mantel
eingehüllt.
Simeon ging hierauf an den feststehenden Altar,
auf welchen die Priesterkleider gelegt worden
waren, und er und drei andere Priester kleideten
sich einander zur Feierlichkeit an. Auf dem
Arme hatten sie eine Art von kleinem Schild,
und ihr Haupt war mit einer gespaltenen Mütze
bedeckt. Einer trat hinter und einer vor den
Opfertisch, zwei andere standen zu dessen schmalen
Seiten und beteten über das Kind.
Nun trat Hanna zu Maria und reichte ihr den
Opferkorb, welcher aus zwei übereinander stehenden
Körbchen, Früchte und Tauben enthielt, und führte
sie bis an das Gitter vor dem Opfertisch, wo
sie stehen blieben. — Simeon, der vor dem Tische
stand, öffnete das Gitter und führte Maria vor
den Tisch und setzte ihr Opfer darauf. In eines
der ovalen Tellerchen wurden Früchte, in das
andere Münzen gelegt, die Täubchen blieben in
dem Korbe
100.
Simeon blieb mit Maria vor dem Opfertisch stehen,
und der hinter demselben stehende Priester nahm
nun das Jesuskind aus dem Wiegenkörbchen auf
seine Hände, hob es empor und nach verschiedenen
Seiten des Tempels und betete lang. Hierauf
gab er das Kind dem Simeon, der es auf die Arme
Marias zurücklegte, und aus einer Rolle, die
neben ihm auf einem Gestelle hing, über sie
und das Kind betete.
100 Als sie
1823 in der Erzählung des dritten Lehrjahrs
Jesu dessen Aufenthalt in Hebron, etwa zehn
Tage nach dem Tode des Täufers, erzählt, sieht
sie, da Jesus am Freitag (29. Thebet = 17. Januar)
über die Sabbatlektion Ex 10—13,17 von der ägyptischen
Finsternis ... und Auslösung der Erstgeburt
lehrt, in Bezug auf letztere abermals den ganzen
Hergang der Opferung Christi im Tempel und erzählt
auch folgendes, was hier wahrscheinlich vergessen
worden. „Die heilige Jungfrau opferte das Jesuskind
erst am dreiundvierzigsten Tage nach seiner
Geburt. Sie harrte wegen eines Festes drei Tage
in der Herberge bei den guten Leuten vor dem
Bethlehemstore. Außer dem gewöhnlichen Taubenopfer
opferte sie fünf dreieckige Goldplättchen von
den Gaben der Könige und schenkte mehrere Stücke
feinen Stoffes zu Stickereien an den Tempel.
— Joseph verkaufte, ehe er Bethlehem verließ,
seinem Vetter die junge Eselin, die er ihm am
30. November verpfändet hatte. Ich meine immer,
die Eselin, auf welcher Jesus am Palmsonntag
nach Jerusalem einritt, stamme von diesem Tiere
ab.
Simeon geleitete die heilige Jungfrau hierauf
wieder vor das Geländer, von wo sie durch die
dort harrende Hanna an den vergitterten Standort
der Frauen zurückgeführt ward, in welchem sich
indessen noch etwa 20 Frauen mit erstgeborenen
Knäblein zum Opfer eingefunden hatten. — Joseph
und andere Männer standen weiter zurück, am
Ort der Männer.
Nun begannen die Priester oben vor dem festen
Altar einen Gottesdienst mit Räuchern und Beten,
und die in den Gestühlen Befindlichen taten
dieses mit einigen Bewegungen, doch nicht so
heftig wie die Juden heutzutage. — Als diese
Feierlichkeit zu Ende war, kam Simeon zu dem
Standorte Marias, empfing das Jesuskind von
ihr auf seine Arme und sprach, ganz in Freuden
entzückt, lang und laut über dasselbe. Er lobte
Gott, daß er die Verheißung erfüllt habe, und
sagte unter anderem auch: „Herr! Nun läßt du
nach deinem Worte deinen Diener in Frieden scheiden,
denn meine Augen haben dein Heil gesehen, das
du im Angesichte aller Völker bereitet hast,
das Licht zur Erleuchtung der Heiden und die
Glorie deines Volkes Israel."
Joseph aber war nach der Opferung näher herangetreten
und hörte mit Maria voll Ehrfurcht die begeisterten
Worte Simeons, der sie beide segnete und zu
Maria sprach: „Siehe, dieser ist vielen in Israel
zum Falle, vielen zur Auferstehung gesetzt und
zu einem Zeichen, dem man widersprechen wird.
Deine eigene Seele aber wird ein Schwert durchdringen,
auf daß die Herzen vieler dadurch offenbar werden."
Als Simeons Rede zu Ende war, ward auch die
Prophetin Hanna begeistert und sprach lange
und laut über das Kindlein Jesus und pries seine
Mutter selig.
Ich sah, daß die Anwesenden alles dieses mit
Rührung anhörten, doch ohne daß dadurch irgendeine
Störung entstanden wäre, selbst die Priester
schienen einiges davon zu hören. Es war, als
sei so lautes begeistertes Beten nichts ganz
Ungewöhnliches, als geschehe dergleichen öfters
und müsse alles so sein. Dennoch sah ich alle
Anwesenden in ihrem Herzen sehr bewegt. Alle
erwiesen dem Kinde und der Mutter große Ehrerbietung.
Maria aber leuchtete auch wie eine himmlische
Rose!
Die heilige Familie hatte äußerlich das ärmste
Opfer dargebracht, Joseph gab aber heimlich
dem alten Simeon und der Hanna viele gelbe,
dreieckige Stückchen, um sie besonders für arme
Jungfrauen zu verwenden, welche am Tempel erzogen
wurden und die Kosten nicht aufbringen konnten.
Hierauf sah ich die heilige Jungfrau mit dem
Kindlein von Hanna und Noemi wieder hinaus nach
dem Hofe geleiten, wo sie dieselbe abgeholt
hatten, und nun nahmen sie Abschied voneinander.
— Joseph war schon hier mit den beiden Herbergsleuten,
er hatte den Esel herbeigeführt, den, welchen
Maria mit dem Kinde bestieg; und so reisten
sie sogleich vom Tempel durch Jerusalem gen
Nazareth zu.
Das Opfer der übrigen heut anwesenden Erstgeborenen
habe ich nicht gesehen, doch fühle ich, daß
allen eine besondere Gnade zugeflossen und daß
viele von ihnen mit den Unschuldigen Kindern
gestorben sind.
Das Opfer mochte heute morgen um 9 Uhr vollendet
sein, um welche Zeit ich die Abreise der heiligen
Familie gesehen habe. Sie reisten an diesem
Tage noch bis Bethoron, und sie übernachteten
in demselben Hause, wo die letzte Herberge der
heiligen Jungfrau gewesen, als sie vor dreizehn
Jahren nach dem Tempel gebracht worden. Der
Bewohner des Hauses schien mir ein Schullehrer
zu sein. — Es erwarteten sie hier Leute, von
Anna gesendet, um sie abzuholen. — Sie reisten
in viel geraderer Richtung nach Nazareth, als
sie von dort nach Bethlehem gezogen waren, wo
sie, alle Orte vermeidend, nur in einzeln liegenden
Häusern eingekehrt waren.
Joseph hatte die junge Eselin, die ihm auf der
Reise nach Bethlehem den Weg gezeigt, bei seinen
Verwandten verpfändet gelassen, denn er dachte
noch immer, nach Bethlehem zurückzukehren und
sich im Tal der Hirten eine Wohnung zu zimmern.
Er hatte auch mit den Hirten davon gesprochen
und ihnen gesagt, er wolle Maria nur eine Zeitlang
zu ihrer Mutter bringen, damit sie sich von
der beschwerlichen Herberge recht erholen könne,
und darum hatte er auch mancherlei bei den Hirten
zurückgelassen.
Joseph hatte eine seltsame Art von Geld bei
sich, ich meine, er hat es von den drei Königen
erhalten. Er hatte in seinem Gewand nach innen
eine Art Tasche, in welcher er eine Anzahl ganz
dünner, glänzender, gelber Blättchen übereinander
gerollt trug. Sie waren etwa von der Gestalt
eines Osterzettels mit abgerundeten Ecken. Es
war etwas darauf eingekratzt. — Die Silberlinge
des Judas waren dicker, zungenförmig; die ganzen
an beiden Enden, die halben an einem Ende gerundet.
BLICK AUF DIE HEIMREISE DER HEILIGEN DREI KÖNIGE
Ich sah die heiligen drei Könige in diesen Tagen
jenseits eines Flusses alle zusammengetroffen.
Sie hielten einen Rasttag und feierten ein Fest.
— Der Ort bestand aus einem großen und mehreren
kleineren Häusern. — Die Könige ziehen zwischen
dem Wege, auf welchem sie herumgereist, und
der Richtung, in welcher Jesus nach seinem dritten
Lehrjahre aus Ägypten kam, wieder zur Heimat.
— Anfangs reisten sie sehr schnell, von dem
jetzigen Rastort aber zogen sie viel langsamer,
als sie herausgezogen. — Ich sah immer, als
gehe ein leuchtender Jüngling vor ihrem Zuge
her, der manchmal auch zu ihnen redete. — Sie
lassen Ur (?) rechts liegen.
SIMEONS TOD
3. Januar. — Simeon hatte eine Frau und drei
Söhne, deren ältester wohl jetzt vierzig und
deren jüngster etwa zwanzig Jahre alt sein mochte.
Sie dienten alle drei am Tempel und sind in
ihren späteren Jahren immer heimliche Freunde
Jesu und seiner Angehörigen gewesen. Sie wurden
auch teils vor Jesu Tod, teils nach dessen Himmelfahrt
Jünger des Herrn. Bei dem
letzten Pascha bereitete einer von ihnen das
Osterlamm für Jesus und die Apostel. Ich weiß
jedoch jetzt nicht genau, ob diese alle nicht
vielleicht Enkel Simeons waren. Diese Söhne
Simeons haben zur Zeit der ersten Verfolgungen
nach Jesu Himmelfahrt sehr vieles für Freunde
des Herrn getan. — Simeon war mit Seraphia,
welche den Namen Veronika erhielt, und durch
deren Vater mit Zacharias verwandt.
Ich sah, daß Simeon, als er gestern nach seiner
Prophezeiung bei Jesu Opferung nach Hause kam,
gleich krank wurde. Aber er sprach noch in großer
Freude mit seiner Frau und seinen Söhnen. —
Heute Nacht sah ich nun, daß heut sein Sterbetag
sei. Von vielem, was ich hierüber gesehen, ist
mir noch folgendes gegenwärtig:
Simeon ermahnte, auf seinem Lager ruhend, seine
Frau und seine Kinder, er sprach ihnen von dem
Heil, das zu Israel gekommen sei, und von allem,
was ihm der Engel verkündet hatte, mit großem
Ernst und einer rührenden Freude. —- Ich sah
ihn dann ruhig sterben und die stille Weheklage
seiner Familie. Es waren nun viele andere alte
Priester und Juden um ihn, welche beteten.
Ich sah hierauf, daß sie seinen Körper in eine
andere Stube trugen. Hier wurde er auf ein durchlöchertes
Brett gelegt, auf welchem sie ihn mit Schwämmen
unter einer übergehaltenen Decke wuschen, so
daß er vor ihren Augen auf keine Weise entblößt
war. Das Wasser lief durch das Brett in ein
untergestelltes kupfernes Becken. Sie legten
dann große, grüne Blätter über ihn, umgaben
ihn mit vielen feinen Kräuterbüscheln und hüllten
ihn in ein großes Tuch, in welchem er mit langen
Binden wie ein Wickelkind eingeschlungen ward.
Sein Leib war nun so gerade und unbeweglich,
daß ich schier glaubte, er sei auf seinem Brette
fest gewickelt.
Am Abend ward Simeon begraben. Es trugen ihn
sechs Männer mit Leuchten auf einem Brett, welches
einigermaßen die Form eines Leichnams, an allen
vier Seiten aber einen aufrechtstehenden niederen
Bogenrand hatte, etwa so, daß der Rand an der
Mitte der vier Seiten des Brettes höher und
an deren vier Ecken niederer war. Auf diesem
Brette ruhte der eingewickelte Leichnam ohne
andere Überdeckung. — Die Träger und das Gefolge
gingen schneller als bei unseren Begräbnissen.
Das Grab war auf einem Hügel, nicht sehr weit
von der Gegend des Tempels. Die Grabhöhle bildete
von außen ein Hügelchen, an welchem die Tür
schräg anlag, von innen war sie auf eine eigene
Art ausgemauert. Es war jene Art Arbeit, jedoch
roher, welche ich den heiligen Benediktus
101
in seinem ersten Kloster habe ausüben sehen.
101
In
einer Anschauung des Lebens des heiligen Benediktus,
10. Februar 1820, sah sie unter anderem, daß
er als Knabe von seinem Lehrer unterrichtet
wird, aus bunten Steinen allerlei Verzierungen
und Arabesken im Sande des Gartens in der Art
der antiken Fußböden einzulegen. Später sah
sie ihn als Einsiedler, in der Decke seiner
Zelle oder Höhle, eine Vision vom Jüngsten Gericht
in roher Mosaik abbilden. Sie sah spätere Jünger
Benedikts dieser Bildnerei nachfolgen und sie
erweitern. In einer Betrachtung aber, wie sich
die ganze Geschichte der Orden aus dem Wesen
ihrer Stifter bis in ihre kleinsten Einzelheiten
entwickelte, sagte sie: Da der Geist in den
Benediktinern weniger lebendig ward als die
Schale, sah ich ihre Kirchen und Klöster allzuviel
verziert und geschmückt werden, und wenn ich
die vielen Bilder und Zierraten an den Decken
der Kirchen sah, dachte ich, das kommt von jenem
Bildwerk Benedikkts in seiner Zelle, das ist
so ins Kraut geschossen, wenn diese Überladung
einmal niederfällt, schlägt sie vieles zusammen.
Es waren die
Wände wie in der Zelle der heiligen Jungfrau
am Tempel durch verschiedenfarbige Steine, mit
allerlei Mustern von Sternen und Blumen verziert.
Die kleine Höhle, in deren Mitte sie die Leiche
niedersetzten, bot nur so viel Raum, daß man
um den Leib hergehen konnte. Es waren noch einige
Gebräuche bei der Bestattung, sie legten allerlei
zu den Toten, Münzen, Steinchen, und ich glaube
auch Speise. Ich weiß es nicht mehr genau.
ANKUNFT DER HEILIGEN FAMILIE BEI ANNA
Ich sah abends die heilige Familie im Wohnhause
Annas, etwa eine halbe Stunde von Nazareth gegen
das Tal Zabulon zu, angekommen. Es wurde ein
kleines Familienfest in der Art wie bei Marias
Abreise zum Tempel gefeiert. Es brannte die
Lampe über dem Tisch. Joachim lebte nicht mehr,
ich sah Annas zweiten Mann als Hausherrn. Annas
älteste Tochter, Maria Heli, war zu Besuch anwesend.
Der Esel ward abgepackt, sie wollten eine Zeitlang
hier verweilen. Sie hatten alle sehr viel Freude
mit dem Jesuskind. Aber ihre Freude war still
und innig. Ich habe nie viele Leidenschaft bei
allen diesen Leuten gesehen; es waren auch alte
Priester zugegen. Sie hatten eine kleine Mahlzeit,
die Frauen aßen auch hier, wie immer bei Mahlzeiten,
von den Männern getrennt.
EINIGE TAGE SPÄTER
Ich sah die heilige Familie noch bei Anna. Es
sind verschiedene Frauen dort, die älteste Tochter
Annas, Maria Heli, nebst ihrer Tochter Maria
Kleophä, weiter eine Frau aus dem Orte Elisabeths
und die Magd, die bei Maria in Bethlehem gewesen
ist. Diese Magd wollte nach dem Tode ihres Mannes,
der nicht gut gewesen war, nicht wieder heiraten
und kam nach Juta zu Elisabeth, wo die heilige
Jungfrau sie kennen lernte, als sie Elisabeth
vor Johannes' Geburt besuchte. Von dort ist
diese Witwe zu Anna gekommen. — Ich sah heute,
daß Joseph vieles bei Anna auf Esel packte,
und vor den Eseln, deren es zwei oder drei waren,
hergehend, mit der Magd gen Nazareth zog.
GEBETSTÄTIGKEIT
Ich erinnere mich alles dessen, was ich heute
im Hause der heiligen Anna sah, nicht mehr im
einzelnen, aber ich muß mich recht lebhaft dort
gefühlt haben, denn ich war dort in einer Gebetstätigkeit,
die ich vielleicht jetzt nicht mehr ganz verstehe.
Ehe ich zu Anna kam, war ich im Geiste bei einem
Paar junger Eheleute gewesen, welche ihre alte
Mutter ernähren, und nun beide zum Tode krank
sind, und wenn sie nicht wieder genesen, muß
die Mutter ganz verkommen. Ich kenne diese arme
Familie, habe aber lange nichts mehr von ihr
gehört. -— In verzweifelten Notfällen rufe ich
aber immer die heilige Mutter an, und als ich
nun heute in dem Bilde in ihrem Hause war, sah
ich in ihrem Garten, trotz der Jahreszeit, an
den Bäumen, wenngleich die Blätter gefallen
waren, noch viele Birnen, Pflaumen und andere
Früchte hängen. Diese durfte ich bei dem Weggehen
abbrechen, und ich brachte die Birnen den kranken
Eheleuten, welche wieder dadurch gesund wurden.
Nachher mußte ich auch noch vielen armen Seelen
davon geben, Bekannten und Unbekannten, welche
dadurch erquickt wurden.
— Wahrscheinlich bedeuten diese Früchte Gnaden
durch die Fürbitte der heiligen Anna. Ich fürchte,
es bedeuten mir diese Früchte wieder viele Schmerzen
und Leiden, ich erfahre das immer bei solchen
Bildern, in denen ich Früchte in Gärten der
Heiligen breche, denn es muß immer dafür bezahlt
werden. — Warum ich diese Früchte im Garten
der heiligen Anna brach, weiß ich nicht recht
bestimmt. — Vielleicht sind diese Menschen und
Seelen Schutzkinder der heiligen Mutter Anna,
so daß ihnen Gnadenfrüchte aus deren Garten
verdient werden sollen, oder geschah es, weil
sie eine Schutzheilige in verzweifelten Umständen
ist, wie ich dann dieses immer so erkannt habe.
ÜBER DIE WITTERUNG IM GELOBTEN LANDE
Auf die Frage, wie sie dann in dieser Jahreszeit
die Witterung in Palästina sehe, erwiderte sie:
„Ich vergesse das immer zu sagen, weil mir alles
so natürlich vorkommt, daß ich stets meine,
es wisse das schon jedermann. Oft sehe ich Regen
und Nebel, auch manchmal ein wenig Schnee, der
aber gleich wieder schmilzt. Ich sehe oft Bäume
ohne Blätter, woran noch Früchte hängen. Ich
sehe mehrere Ernten im Jahr, ich sehe schon
in unserem Frühling ernten. Jetzt im Winter
sehe ich die Leute auf dem Wege eingehüllt,
sie haben den Mantel über dem Kopf.
Am 6. — Heute nach Mittag sah ich die heilige
Jungfrau, von ihrer Mutter, welche das Jesuskindlein
trug, begleitet, aus Annas Haus nach Nazareth
in Josephs Haus gehen. Der Weg geht recht angenehm
zwischen Hügel und Gärten hin und ist etwa eine
halbe Stunde lang.
Anna sendet Joseph und Maria ihre Nahrungsmittel
aus ihrer Wohnung nach Nazareth. — Oh! wie rührend
ist es bei der heiligen Familie. Maria ist wie
eine Mutter und zugleich wie die untertänigste
Magd des heiligen Kindleins und auch eine Dienerin
Josephs. Joseph ist gegen sie wie der treueste
Freund und der demütigste Diener. Wenn die heilige
Jungfrau das Jesuskindlein wie ein hilfloses
Kindlein so dreht und wendet, oh! das ist so
rührend! wenn ich dann sehe, daß es der barmherzige
Gott ist, der die Welt geschaffen hat, und sich
aus Liebe so drehen und wenden läßt, — oh, wie
entsetzlich kommt einem das harte, eigensinnige
Gemüt kalter, heimlicher, versteckter Menschen
vor!
MARIÄ REINIGUNG. LICHTMESSE. - KIRCHENFESTBILD
Das Mariä-Lichtmeß-Fest ward mir in einer großen,
aber schwer zu erklärenden Vorstellung gezeigt,
die ich nicht ganz wieder zu erzählen vermag,
was ich aber noch davon weiß, habe ich doch
in dem Bilde vergehen gesehen.
Ich sah ein Fest in jener durchsichtigen, über
der Erde schwebenden Kirche, wie mir die katholische
Kirche überhaupt gezeigt wird, wenn ich nicht
etwas aus dieser oder jener örtlichen Kirche,
sondern aus der Kirche als Kirche betrachten
soll. Ich sah aber die Kirche voll von Engelchören,
welche die allerheiligste Dreifaltigkeit umgaben.
Da ich aber nun die zweite Person der heiligsten
Dreieinigkeit als das menschgewordene Kind Jesus
im Tempel sollte geopfert und ausgelöst sehen,
der aber doch auch in der allerheiligsten Dreieinigkeit
gegenwärtig ist, so war es mir wie neulich,
als ich glaubte, das Jesuskind sitze bei mir
und tröste mich, während ich zugleich ein Bild
der heiligen Dreifaltigkeit sah. Ich sah nämlich
die Erscheinung des Mensch gewordenen Wortes,
das Jesuskind nämlich neben mir wie durch eine
Lichtbahn mit dem Bilde der Dreieinigkeit zusammenhängend
und kann nicht sagen, es sei nicht dort, indem
es neben mir war, kann aber doch auch nicht
sagen, daß es nicht neben mir gewesen, weil
es dort war, und dennoch sah ich im Augenblick,
da ich das Jesuskind lebhaft neben mir fühlte,
die Figürlichkeit, unter welcher mir die allerheiligste
Dreifaltigkeit gezeigt ward, anders als dann,
wenn sie mir gewöhnlich als Bild der Gottheit
allein vorgestellt wird.
Ich sah aber in der Mitte der Kirche einen Altar
erscheinen. Er war nicht so wie ein Altar von
heutzutage in unseren Kirchen, sondern ein Altar
überhaupt. — Auf diesem Altar sah ich einen
kleinen Baum mit breiten niederhängenden Blättern
stehen, von der Gattung des Baumes des Sündenfalles
im Paradiese.
Ich sah hierauf die heilige Jungfrau mit dem
Jesuskinde auf den Armen vor dem Altar wie aus
der Erde hervorsteigen und den Baum auf dem
Altar sich vor ihr niederbeugen und verwelken.
Und ich sah einen großen, priesterlich gekleideten
Engel, der nur einen Ring um das Haupt hatte,
sich Maria nahen. Sie gaben ihm das Kind, das
er auf den Altar setzte, und in demselben Augenblicke
sah ich das geopferte Kind in das Bild der heiligen
Dreifaltigkeit übergehen, welches Bild ich nun
wieder in gewöhnlicher Form sah.
Ich sah aber, daß der Engel der Mutter Gottes
eine kleine, helle Kugel gab, auf welcher eine
Figur wie ein gewickeltes Kind war, und daß
Maria mit dieser Gabe auf den Altar schwebte.
— Von allen Seiten sah ich nun viele Arme mit
Lichtem zu ihr kommen, und alle diese Lichter
reichte sie dem Kinde auf der Kugel, in welches
sie gleichsam eingingen. — Und ich sah aus allen
diesen Lichtem ein Licht und einen Glanz über
Maria und dem Kinde werden, der alles erleuchtete.
Maria hatte einen weiten Mantel über die ganze
Erde gespannt. Nun ging das Bild in einer
Feierlichkeit über.
Ich glaube, daß das Verwelken des Baumes der
Erkenntnis bei der Erscheinung Marias und das
Übergehen des auf dem Altar geopferten Kindes
in die heilige Dreifaltigkeit ein Bild der Wiedervereinigung
der Menschen mit Gott sein sollte, darum sah
ich auch alle die zerstreuten Eigenlichter der
Mutter Gottes überreicht und von dieser dem
Kinde Jesus übergehen,
welches war das Licht, das alle Menschen erleuchtet,
in welchem nur alle die zerstreuten Lichter
wieder ein Licht wurden, das die ganze Welt
erleuchtet, welche wohl durch die Kugel wie
durch einen Reichsapfel bedeutet wurde. — Die
dargereichten Lichter bezeichneten die Lichterweihe
am heutigen Fest.
DIE FLUCHT NACH ÄGYPTEN
Einleitung.
Samstag, den 10. Februar 1821, war die Kranke
zeitlicher Sorge wegen einer Wohnung angefochten,
und als sie darüber entschlafen, erwachte sie
bald wieder, und zwar ganz getröstet. Sie sagte,
daß ihr vor kurzem verstorbener treuer Freund
(ein alter frommer Priester) bei ihr gewesen
sei und sie getröstet habe.
„O wie klug ist der kluge Mann nun, jetzt kann
er reden! Er sagte zu mir: Sorge um keine Wohnung
für dich, sorge nur, daß dein Inneres rein und
ausgeschmückt sei, wo du den Herrn Jesum empfängst,
wenn er bei dir einkehrt. Als Joseph nach Bethlehem
kam, suchte er keine Wohnung für sich, sondern
für Jesum und fegte die Krippenhöhle schön rein
aus."
Sie teilte noch mehrere ähnliche, sehr tiefe
Betrachtungen mit, welche ihr jener Freund gesagt
habe, und welche alle einem Manne angemessen
waren, dem ihr Wesen genau bekannt war. Sie
erwähnte auch, daß er ihr gesagt: „Als der Engel
dem heiligen Joseph gebot, mit Jesus und Maria
nach Ägypten zu fliehen, hat er gar nicht um
eine Wohnung gesorgt, sondern ist gehorsam fortgezogen."
—
Hierauf vermutete der Schreiber, weil sie voriges
Jahr um diese Zeit einiges von der Flucht nach
Ägypten gesehen, es sei dieses jetzt wieder
der Fall, und er fragte: „Ist Joseph denn heute
nach Ägypten geflohen?" Worauf sie ganz klar
und bestimmt erwiderte: „Nein, der Tag, an dem
er damals floh, fällt jetzt auf den 29. Februar."
ALTER DES JESUSKINDES BEI DER FLUCHT NACH ÄGYPTEN
Leider fand sich
keine Gelegenheit, dieses genau von ihr auszumitteln,
da sie während dieser Mitteilungen sehr krank
war. Einmal sagte sie: „Das Kind kann wohl über
ein Jahr alt sein, ich sah es auf einer Ruhestelle
der Reise an einer Balsamstaude herumspielen,
auch führten es die Eltern manchmal eine kleine
Strecke." — Ein anderes Mal glaubte sie zu vernehmen,
Jesus sei dreiviertel Jahre alt gewesen. — Es
muß nun dem Leser überlassen bleiben, aus anderen
in der Erzählung eintretenden Umständen und
besonders aus dem Verhältnis zu dem Alter des
kleinen Johannes sich das Alter Jesu zu bestimmen,
wodurch dann die Annahme des Alters von dreiviertel
Jahren sich allerdings bewährt.
NAZARETH. - WOHNHAUS DER HEILIGEN
FAMILIE. - MARIA STRICKT KINDERRÖCKCHEN.
- JOSEPH MACHT FLECHTARBEIT
Sonntag, den 25. Februar.
Ich sah die heilige Jungfrau Röckchen stricken
oder häkeln. Sie hat an der rechten Seite an
der Hüfte eine Rolle mit Wolle befestigt und
hat zwei, ich glaube, beinerne Stäbchen, woran
oben kleine Haken, in den Händen. Das eine ist
wohl eine halbe Elle lang, das andere kürzer.
Es ist über den Haken noch eine Fortsetzung
an dem Stäbchen, über welche bei der Arbeit
der Faden geschlungen und die Masche gebildet
wird. Das fertig Gewirkte hängt zwischen den
zwei Stäbchen nieder. So arbeitete sie stehend
oder auch sitzend neben dem Jesuskind, das in
einem Körbchen lag.
Den heiligen Joseph sah ich aus langen, gelben,
braunen und grünen Baststreifen Schirme, große
Flächen und Decken oben an den Gemächern flechten.
Er hatte einen Vorrat solcher geflochtenen Tafeln
in einem Schoppen neben dem Hause aufeinander
liegen. Er flocht allerlei Sterne, Herzen und
andere Muster hinein. Ich dachte noch ganz mitleidig,
wie er doch sogar nicht ahnet, daß er bald fort
nach Ägypten fliehen muß.
Die Mutter Anna kommt schier täglich von ihrem
beinahe eine Stunde entlegenen Hause zu Besuch.
JERUSALEM. - HERODES' VORBEREITUNGEN
ZUM KINDERMORD.
- HERODES HEBT SOLDATEN AUS.
Sonntag, den
25. Februar.
Ich hatte einen Blick nach Jerusalem hin. Ich
sah, wie Herodes viele Männer zusammenrufen
ließ. Es war so, wie wann bei uns Soldaten ausgehoben
werden. Die Männer wurden in einen großen Hof
geführt und erhielten Kleider und Waffen. Sie
trugen an dem einen Arm wie einen halben Mond
(etwa einen Schild?). Sie hatten Spieße und
breite kurze Säbel, gleich Hackmessern. Sie
hatten Helme auf, und viele waren um die Beine
geschnürt. Es muß dieses Bezug auf den Kindermord
haben; Herodes war in seinem Gemüte sehr unruhig.
JERUSALEM. - HERODES' VORBEREITUNGEN
ZUM KINDERMORD
Montag, den 26. Februar.
Ich sehe Herodes noch immer in großer Unruhe.
Er war ganz wie damals, da ihm die drei Könige
um den neugeborenen König der Juden fragten.
Ich sah, wie er sich mit verschiedenen alten
Schriftgelehrten beriet. Sie brachten sehr lange,
an Stäben befestigte Pergamentrollen und lasen
darin. — Ich sah auch, daß die Soldaten, welche
vorgestern neu gekleidet wurden, an verschiedene
Orte um Jerusalem und auch nach Bethlehem gesendet
wurden. Ich glaube, es geschah, um jene Orte
zu besetzen, woher später die Mütter ihre Kinder
nach Jerusalem bringen mußten, ohne zu wissen,
daß sie ermordet werden sollten, damit auf die
Gerüchte jener Grausamkeit keine Aufstände entstehen
möchten.
JERUSALEM. - HERODES LEGT SOLDATEN
AN VERSCHIEDENE ORTE DER UMGEGEND.
Dienstag, den
27. Februar.
Ich sah heute die Soldaten des Herodes, die
gestern von Jerusalem gezogen, an drei Orten
ankommen. Sie kamen nach Hebron, nach Bethlehem
und in einen dritten Ort, der zwischen beiden
gegen das Tote Meer hin lag. Ich habe den Namen
vergessen. Die Einwohner, welche gar nicht wußten,
warum diese Soldaten zu ihnen kamen, waren darüber
in einiger Bestürzung. Herodes aber war schlau,
er ließ sich noch nichts merken und forschte
in der Stille nach Jesus. Die Soldaten lagen
längere Zeit in diesen Orten, als er das in
Bethlehem geborene Kind nirgends ausmitteln
konnte, ließ er alle Kinder bis zu zwei Jahren
ermorden.
PERSÖNLICHES. - EINE AUF DIE JAHRESZEIT
DES MORDES DER UNSCHULDIGEN KINDLEIN BEZÜGLICHE
GEBETSTÄTIGKEIT
Dienstag, den 27. Februar.
Heute Abend in der Dämmerung entschlummerte
die Kranke und sagte nach einigen Minuten, ohne
alle äußere Anregung, mit großer Freude: „Gott
sei tausendmal gedankt, oh, da bin ich recht
gekommen, o wie gut, daß ich da gewesen bin!
Das arme Kind ist gerettet, ich betete, daß
sie es segnen und küssen mußte, da konnte sie
es nicht mehr in den Sumpf werfen."
Der Schreiber fragte auf diese plötzliche Äußerung:
„Wer?" — und sie fuhr fort: „Ein verführtes
Mädchen, sie wollte ihr neugeborenes Kind ertränken.
Es ist nicht sehr weit. Ich habe in diesen Tagen
so dringend zu Gott gefleht, daß doch kein armes,
unschuldiges Kind ohne Taufe und Segen sterben
möge. Ich betete so, weil sich jetzt die Jahreszeit
der Marter der Unschuldigen Kindlein naht. Ich
beschwor den lieben Gott bei dem Blut dieser
seiner ersten Blutzeugen. Oh, man muß von der
Zeit Nutzen ziehen, und wenn die Röslein im
Garten der Himmelskirche jährlich blühen, muß
man sie auf Erden brechen. Gott hat mich erhört,
und ich habe immer der Mutter und ihrem Kinde
helfen können. Vielleicht werde ich dieses Kind
noch einst sehen."
Dieses war ihre Äußerung unmittelbar nach dem
Gesichte, oder richtiger zu sprechen, nach ihrer
Handlung im Geiste. Am folgenden Morgen erzählte
sie:
„Ich wurde schnell
von meinem Führer nach M. geführt. Ich sah ein
verführtes Mädchen, ich meine vor M. Die Gegend
scheint mir links vom T. weg gegen K. zu. Ihr
Kind war hinter einem Gebüsche zur Welt gekommen,
und sie nahte sich mit ihm einem tiefen Sumpf,
auf welchem so grünes Zeug schwamm. Sie wollte
ihr Kind ins Wasser werfen, sie trug es in der
Schürze. — Ich sah eine große, dunkle Gestalt
bei ihr, welche dennoch eine Art widerliches
Licht von sich warf. Ich meine, es war der böse
Feind. Ich drang zu ihr hin und betete von ganzem
Herzen und sah, daß die dunkle Gestalt wich,
da nahm sie ihr Kind, segnete es und küßte es
noch einmal. Als sie dies aber getan hatte,
vermochte sie es nicht mehr zu ertränken. Sie
setzte sich nieder und weinte ganz entsetzlich
und wußte sich gar nicht zu helfen. — Ich tröstete
sie und gab ihr den Gedanken ein, zu ihrem Beichtvater
zu gehen und ihn um Hilfe anzuflehen. Sie sah
mich nicht, aber ihr Schutzengel sagte es ihr.
Sie hat, wie ich meine, ihre Eltern nicht dort
und scheint vom Mittelstande.
NAZARETH. - ANNA UND IHRE MAGD TRAGEN
DER HEILIGEN FAMILIE NAHRUNGSMITTEL ZU.
Dienstag, den 27. Februar.
Ich sah heute die heilige Mutter Anna mit jener
ihr verwandten Magd, welche sie nach Christi
Geburt bei der heiligen Jungfrau in Bethlehem
zurückgelassen hatte, aus ihrer Wohnung nach
Nazareth gehen. Die Magd hatte ein Bündel an
der Seite hängen und trug einen Korb auf dem
Kopfe und einen in der Hand. Es waren runde
Körbe, wovon der eine durchsichtig. Es waren
Vögel darin. -— Sie brachten Speise zu Maria,
denn sie hatte keine Haushaltung und ward von
Anna versorgt.
NAZARETH. - BLICK IN DAS HÄUSLICHE
LEBEN DER HEILIGEN FRAUEN.
- GEMEINSAMES GEBET
Mittwoch, den 28. Februar.
Ich sah heute gegen Abend die heilige Mutter
Anna und ihre ältere Tochter bei der heiligen
Jungfrau. Maria Heli hatte einen starken vier-
bis fünfjährigen Knaben bei sich, ihren Enkel,
den ältesten Sohn ihrer Tochter Maria Kleophä.
Joseph war nach dem Hause der Anna gegangen.
Ich dachte noch: die Frauen sind doch immer
dieselben; als ich sie so sah, wie sie vertraulich
redend zusammen saßen und mit dem Jesuskindlein
spielten und es ans Herz drückten und den kleinen
Knaben in die Arme legten. Es war alles ganz
wie heut zu Tage.
Maria Heli wohnte etwa drei S hm den gen Morgen
von Nazareth in einem kleinen Örtchen. Ihr Haus
war fast so gut wie das Haus der Mutter Anna,
es hatte einen ummauerten Hof mit einer Brunnenpumpe,
wenn man unten auf etwas trat, spritzte oben
das Wasser heraus in ein steinernes Becken.
Ihr Mann hieß Kleophas, und ihre Tochter Maria
Kleophä wohnte, mit Alphäus verheiratet, am
anderen Ende des Dorfes.
Am Abend sah ich die Frauen beten. Sie standen
vor einem rot und weiß bedeckten Tischchen an
der Wand. Es lag eine Rolle darauf, welche die
heilige Jungfrau in die Höhe rollte und oben
an der Wand befestigte. Es war mit bleichen
Farben eine Figur darauf gestickt. Sie war wie
ein Toter in einen langen, weißlichen Mantel,
gleich einer Wickelpuppe, gewickelt. Der Mantel
war über den Kopf gezogen. Die Figur hatte etwas
im Arm. Um die Arme war der Mantel weiter. Ich
habe diese Figur bei der Feierlichkeit in Annas
Haus, da Maria zum Tempel gebracht wurde, schon
gesehen. Damals erinnerte sie mich an Melchisedech,
es war, als habe sie einen Kelch in dem Arm,
ein anderes Mal, meinte ich, sie stelle Moses
vor. — Es brannte eine Lampe bei dem Gebet.
Maria stand vor Anna und die Schwester neben
ihr. Sie kreuzten die Hände über der Brust,
falteten sie und breiteten sie aus. Maria las
in einer vor ihr liegenden Rolle, die sie von
Zeit zu Zeit weiter aufrollte. Sie beteten in
einem gewissen Ton und Takt, der mich an den
Chorgesang im Kloster erinnerte.
NAZARETH. - DER ENGEL WECKT JOSEPH ZUR
FLUCHT. - ZURÜSTUNG ZUR ABREISE.
- ABSCHIED DER HEILIGEN FRAUEN.
- ANTRITT DER FLUCHT NACH ÄGYPTEN
Donnerstagnacht, den 1. März, bis Freitagmorgen,
den 2. März.
Sie sind fort, ich habe sie fortreisen sehen.
Joseph war gestern, Donnerstag, früh aus Annas
Haus wiedergekommen. Anna und ihre älteste Tochter
waren noch hier in Nazareth. — Sie waren alle
kaum schlafen gegangen, als der Engel Joseph
mahnte. Maria mit dem Jesuskinde hatte ihre
Schlafkammer rechts von der Feuerstelle, Anna
links, die älteste Tochter zwischen ihrer und
Josephs Kammer. — Die Stuben waren nur wie von
geflochtenen Wänden zusammengesetzte Kammern,
oben teils auch mit Flechtwerk bedeckt. Marias
Lager war noch durch einen Vorhang oder Schirm
von der Stube getrennt. Zu ihren Füßen lag das
Jesuskind auf einem Teppich, wenn sie sich aufrichtete,
konnte sie es nehmen.
Ich sah Joseph in seiner Kammer mit dem Kopf
auf dem Arme auf der Seite liegend schlafen.
Ich sah einen leuchtenden Jüngling zu seinem
Lager treten und mit ihm sprechen. Joseph richtete
sich auf, aber er war schlaftrunken und legte
sich wieder zurück. Der Jüngling faßte ihn nun
bei der Hand und zog ihn empor; da besann sich
Joseph und stand auf. Der Jüngling aber verschwand.
— Joseph ging jetzt zu der in der Mitte des
Hauses vor der Feuerstelle brennenden Lampe
und zündete seine Lampe an. Nun pochte er an
der Kammer der heiligen Jungfrau und fragte,
ob er nahen dürfe. Ich sah ihn hineintreten
und mit Maria sprechen, welche den Schirm vor
ihrem Lager nicht öffnete; dann sah ich ihn
in den Stall zu seinem Esel und hierauf in eine
Kammer gehen, in welcher allerlei Geräte bewahrt
wurde. Er ordnete alles zur Abreise.
Als Joseph die heilige Jungfrau verlassen hatte,
erhob sie sich sogleich und kleidete sich zur
Reise an. Dann ging sie zur Mutter Anna und
verkündete ihr den Befehl Gottes, da stand auch
Anna auf, und auch Maria Heli und ihr Knabe
verließen ihr Lager. Das Jesuskindlein ließen
sie noch ruhen. — Der Wille Gottes ging den
frommen Leuten über alles, so traurig ihre Herzen
auch waren, rüsteten sie doch gleich alles zur
Reise, ehe sie sich der Betrübnis des Abschiedes
überließen. Anna und Maria Heli halfen, das
Nötige zur Abreise ordnen. — Maria nahm bei
weitem nicht so viel mit sich, als sie von Bethlehem
gebracht hatte. Sie packten nur ein mäßiges
Bündelchen und einige Decken zusammen, was zu
Joseph hinaus zum Aufpacken gebracht wurde.
Alles ging ruhig und sehr schnell vor sich,
gleichwie bei einer heimlichen Abreise, zu welcher
man geweckt wird.
Nun aber holte Maria ihr Kindlein, und ihre
Eile war so groß, daß ich sie es nicht einmal
frisch wickeln sah. Ach, nun war der Abschied
da, und ich kann nicht genug sagen, wie rührend
die Betrübnis Annas und der älteren Schwester
war. Alle schlössen das Jesuskindlein unter
Tränen an ihr Herz, auch der Knabe durfte es
umarmen. Anna umarmte die heilige Jungfrau mehrmals,
so bitterlich weinend, als solle sie dieselbe
nie wiedersehen. Maria Heli warf sich platt
auf die Erde und weinte.
Es war noch vor Mitternacht, als sie das Haus
verließen. Anna und die Schwester begleiteten
die heilige Jungfrau eine kleine Strecke Wegs
vor Nazareth hinaus zu Fuß. Joseph kam mit
dem Esel nach. Es war die Richtung gegen Annas
Haus, nur etwas mehr links. Maria trug das Jesulein
wie ein Wickelkind eingeschlagen vor sich in
einer Binde, die ihr über die Schultern um den
Nacken befestigt war. Sie trug einen langen
Mantel, der sie und das Kind verhüllte, und
einen großen viereckigen Schleier, der hinten
nur den Kopf umspannte, an den Seiten des Gesichtes
aber vorn lang niederhing. — Sie waren eine
kleine Strecke gegangen, als Joseph mit dem
Esel nahte, an welchem ein Schlauch mit Wasser
und ein Korb mit mehreren Gefächern befestigt
war, worin kleine Brote und auch lebendige Vögel
und Krüglein.
Der Reisebündel und einige Decken waren um den
Quersitz gepackt, der ein Fußbrett hatte. Nun
umarmten sie sich nochmals unter Tränen, und
Anna segnete die heilige Jungfrau, und sie setzte
sich auf das Lasttier, das Joseph führte, und
reiste fort.
Während die Erzählerin von der Trauer Annas
und der Maria Heli sprach, weinte sie herzlich
und sagte, daß sie auch in der Nacht, da sie
dieses Bild sah, so sehr habe weinen müssen.
'NAZARETH.
- DIE HEILIGEN FRAUEN ORDNEN UND VERLASSEN
DAS HAUS JOSEPHS. - DIE HEILIGE
FAMILIE KOMMT VOR SABBAT IN NAZARA AN
Freitag, den 2. März.
Maria Heli sah ich am frühen Morgen mit ihrem
Knaben nach Annas Haus gehen und den Hausvater
nebst einem Knecht nach Nazareth senden, worauf
sie selbst nach ihrer Heimat zog. Anna aber
sah ich in Josephs Haus alles ordnen und vieles
zusammenpacken. — Es kamen morgens zwei Männer
von Annas Haus, der eine hatte nur ein Schaffell
um und trug grobe Sohlen mit Riemen um die Beine
befestigt, der andere hatte ein längeres Gewand
an. Es schien mir Annas damaliger Eheherr. Sie
halfen alles in Josephs Haus ordnen und das
bewegliche Geräte zusammenpacken und nach Annas
Haus übertragen.
Ich sah die heilige Familie in der Nacht ihrer
Flucht durch mehrere Orte ziehen und sie gegen
Morgen unter einem Schoppen ruhen.
Gegen Abend sah ich die heilige Familie, da
sie nicht weiter konnten, in einem Örtchen,
Nazara, bei abgesonderten, etwas verachteten
Leuten einkehren. Es waren keine rechten Juden,
sie hatten auch Heidnisches in ihrer Religion,
sie hatten ihre Anbetung in dem Tempel auf dem
Berge Garizim bei Samaria, wohin sie einige
Meilen auf einem schweren Gebirgsweg zu gehen
hatten. Sie waren durch manche schwere Lasten
bedrückt und mußten wie Sklaven im Frondienst
am Tempel in Jerusalem und an anderen öffentlichen
Bauten arbeiten.
Diese Leute nahmen die heilige Familie sehr
freundlich auf, sie blieben auch den ganzen
folgenden Tag dort. Bei der Rückkehr aus Ägypten
hat die heilige Familie diese guten Leute wieder
besucht, auch nachher, als Jesus in seinem zwölften
Jahr zum Tempel und von da nach Nazareth kehrte
102
. — Diese ganze Familie hat sich später bei
Johannes taufen lassen und ist zur Gemeinde
Jesu gekommen.
102 Den Aufenthalt
der heiligen Familie in diesem Orte hatte sie
bei der ersten Erzählung der Flucht nach Ägypten
zu erwähnen vergessen. Sie erzählte ihn in einem
anderen Jahr bei Gelegenheit der Reise des Kindes
Maria zum Tempel, wo dieser Ort auch berühmt
ward. — Als fünfzehn Jahre nach dem Tode der
Erzählerin die Flucht nach Ägypten zusammengestellt
ward, fiel es dem Schreiber auf, warum die heilige
Familie einen ganzen Tag hier verweilt haben
sollte, und jetzt erst entdeckte er, daß mit
dem Abend des 2. Märzes 1821 der Sabbat eintrat,
und daß die heilige Familie also hier im Verborgenen
den Sabbat feierte, wovon sie damals gar nichts
erwähnte. Dieses Zusammentreffen zeugt für die
Bestimmtheit ihrer Gesichte, dort nämlich, wo
sie bestimmt erzählt, was freilich nicht immer
der Fall ist.
— Dieser Ort
hier liegt nicht sehr weit von einer wunderlichen,
hochgelegenen Stadt, deren Namen ich nicht mit
voller Gewißheit mehr nennen kann, denn ich
habe so vielerlei Städte in der Gegend umher
gesehen und nennen gehört, unter denen auch
Legio und Massaloth, zwischen welchen, glaube
ich, Nazara liegt. Ich glaube schier, daß die
Stadt, deren Lage mich so wunderte, Legio heißt,
aber auch einen anderen Namen hat.
HAIN MOREH. - TEREBINTHE ABRAHAMS.
- DIE HEILIGE FAMILIE RUHT HIER EINEN
TAG VERBORGEN
Sonntag, den
4. März.
Gestern, Samstagabend, am Schluß des Sabbats,
reiste die heilige Familie von Nazara die Nacht
hindurch weiter, und ich sah sie den ganzen
Sonntag und die Nacht auf den Montag sich bei
jener großen, alten Terebinthe verborgen halten,
bei welcher sie im Advent auf der Reise nach
Bethlehem verweilt waren, da die heilige Jungfrau
so kalt hatte. — Es war die Terebinthe Abrahams,
bei dem Hain Moreh, nicht weit von Sichem, Thenat,
Siloh und Arumah. Die Verfolgung Herodes' war
hier umher bekannt, und es war unsicher für
sie. — Bei diesem Baume begrub Jakob die Götzen
Labans. — Josua versammelte das Volk bei dieser
Terebinthe, unter welcher er die Stiftshütte,
worin die Bundeslade war, errichtet hatte, und
ließ das Volk den Götzen entsagen. — Abimelech,
der Sohn Gideons, ward hier von den Sichemiten
als König begrüßt.
DIE HEILIGE FAMILIE RUHT AN EINER QUELLE BEI
EINEM BALSAMSTRAUCH
Sonntag, den
4. März.
Heute, am Morgen früh, sah ich die heilige Familie
in einer fruchtbaren Gegend bei einem Wässerchen
an einem Balsamstrauch ruhend sich erquicken.
Das Jesuskind lag mit bloßen Füßchen im Schöße
der heiligen Jungfrau. An den Balsamstauden,
welche rote Beeren hatten, waren hie und da
Einschnitte in die Zweige gemacht, aus welchen
eine Flüssigkeit in kleine angehängte Töpfchen
träufelte. Ich wunderte mich, daß diese nicht
gestohlen wurden. Joseph füllte von dem Saft
in die kleinen Krüge, die sie bei sich hatten.
Sie aßen kleine Brote und Beeren, welche er
von Stauden in der Nähe sammelte. Der Esel trank
und weidete in der Nähe. Ich sah zu ihrer Linken
in der Ferne Jerusalem hoch liegen. Es war ein
ungemein rührendes Bild.
JUTA. - ELISABETH FLÜCHTET MIT DEM
KLEINEN JOHANNES IN DIE WÜSTE. -
ZACHARIAS REIST NACH NAZARETH
Dienstag, den 6. März.
Zacharias und Elisabeth haben auch eine Botschaft
von der drohenden Gefahr erhalten. Ich glaube,
die heilige Familie hat ihnen selbst einen vertrauten
Boten gesendet. — Ich sah nun, daß Elisabeth
den kleinen Johannes an einen sehr versteckten
Ort in der Wüste, ein paar Stunden von Hebron,
brachte. — Zacharias begleitete sie nur eine
Strecke Wegs, bis, wo sie auf einem Balkenrost
über ein kleines Wasser setzten. Da trennte
sich Zacharias von ihnen und reiste gen Nazareth
auf dem Weg, den Maria bei ihrer Heimsuchung
Elisabeths gekommen war. Ich sah ihn heute am
6. auf der Reise, wahrscheinlich will er sich
bei Anna näher erkundigen. Mehrere Freunde der
heiligen Familie sind dort wegen ihrer Abreise
sehr betrübt.
— Der kleine Johannes hatte nichts als ein Lammfellchen
um und konnte, wenngleich kaum eineinhalb Jahr
alt, schon ganz sicher laufen und springen.
Er hatte schon damals ein kleines weißes Stäbchen
in der Hand, mit welchem er nach Kinderart umherspielte.
Man muß sich hier unter der Wüste kein weites
ödes Sandland denken, sondern vielmehr eine
Wildnis mit vielen Felsen, Schluchten und Höhlen,
von allerlei Gebüschen und auch wilden Früchten
und Beeren durchwachsen.
Elisabeth brachte den kleinen Johannes in eine
Höhle, in welcher nach Jesu Tod Magdalena eine
Zeitlang verweilt hat. Wie lange Elisabeth diesmal
mit dem noch so jungen Kinde Johannes hier verborgen
war, ist mir jetzt nicht gegenwärtig, wahrscheinlich
aber nur so lange, bis die Besorgnis einer Verfolgung
durch Herodes wieder mehr beruhigt worden, da
sie mit dem Knaben in das etwa zwei Stunden
entfernte Juta zurückgekehrt; denn ich habe
sie gegen die Zeit, da Herodes die Mütter mit
ihren Knäblein bis zum Alter von zwei Jahren
einberufen, welches erst schier ein Jahr nachher
geschehen, nochmals den kleinen Johannes in
die Wüste flüchten sehen.
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Nachdem die Erzählerin
die Bilder der Flucht bis hier täglich mitgeteilt
hatte, entstand durch Krankheit und Störung
eine Unterbrechung, und da sie nach mehreren
Tagen den Faden ihrer Erzählung wieder auffaßte,
sprach sie: „Ich kann nun die Tage nicht mehr
so genau bestimmen, will aber die einzelnen
Bilder der Flucht nach Ägypten ungefähr in der
Folge erzählen, in welcher ich mich erinnere,
sie gesehen zu haben."
HEPHRAIM (?)
BEI DEM HAIN MAMBRE. - SECHSTE REISESTATION
DER HEILIGEN FAMILIE IN EINER HÖHLE. -
TROST UND ERQUICKUNG. - SAMUEL UND
DAVID, AUCH JESUS IN SEINEM LEHRWANDEL VERWEILTEN
HIER. - TRADITION DIESER ÖRTLICHKEIT
NOCH HEUTZUTAGE
Nachdem die heilige Familie über einige Höhen
des Ölberges gezogen, sah ich sie etwas weiter
als Bethlehem, gegen Hebron zu, etwa eine Meile
vom Wald Mambre, in einer geräumigen Höhle,
in der wilden Schlucht eines Berges einkehren,
auf welchem ein Ort lag, dessen Namen wie Hephraim
klang. Ich glaube, es war dieses die sechste
Station ihrer Reise.
Ich sah die heilige Familie hier sehr erschöpft
und schwermütig ankommen. Maria war sehr traurig
und weinte. Sie litten Mangel an allem, denn
sie flohen auf Umwegen, alle Städte und öffentlichen
Herbergen vermeidend. Sie ruhten hier einen
ganzen Tag aus. Es geschahen mehrere Gnaden
zu ihrer Erquickung. Es entsprang eine Quelle
auf das Gebet der heiligen Jungfrau in der Höhle,
und eine wilde Ziege kam zu ihnen und ließ sich
melken. Auch erschien ihnen ein Engel, der sie
tröstete.
In dieser Höhle betete oft ein Prophet; Samuel,
meine ich, hielt sich einigemal hier auf. David
hütete hier umher seines Vaters Schafe, betete
hier und empfing Befehle durch einen Engel,
zum Beispiel die Mahnung, den Kampf gegen Goliath
zu bestehen
103.
103 Sie vergaß
dieser Fluchtherberge der heiligen Familie in
der sehr allgemeinen Erzählung der Flucht nach
Ägypten zu erwähnen, aber sie erzählte das Obige
in der täglichen Mitteilung des Lehrwandels
Jesu Christi, als der Herr nach seiner Taufe
mit einigen Jüngern in der Gegend von Bethlehem
alle Orte besucht, wo seine Mutter mit ihm verweilte.
Sie sah Jesum nach seiner Taufe durch Johannes,
die sie am Freitag, dem 28. September 1821,
erzählte, in dieser Höhle mit den Jüngern vom
8.—9. Oktober verweilen und hörte ihn von den
Gnaden dieses Ortes und überhaupt von der Mühseligkeit
der Flucht nach Ägypten sprechen. Er segnete
diese Höhle und deutete auch an, es werde einst
eine Kirche über diese Höhle erbaut werden.
Am 18. Oktober sagte sie hierüber: Diese Fluchthöhle
der heiligen Familie ward später der Aufenthaltsort
Marias geheißen und von den Pilgern besucht,
ohne daß man die Geschichte genau wußte. Es
wohnte später nur armes Gesindel dort. Sie beschrieb
auch die Lage des Ortes genau, und zu seinem
großen Erstaunen fand der Schreiber längere
Zeit nachher in der Jerusalemischen Reise des
Minoriten Anton Gonzalez (Antwerpen 1679, erster
Teil, Seite 556) eine kleine Meile von Hebron
gen Bethlehem zu, links vom Wege sei et in einem
Dorfe Marias gewesen, wo sie auf der Flucht
geherbergt. Es liege auf einer Höhe und stehe
noch eine ganze Kirche mit drei Bogen und drei
Türen dort. Maria auf dem Esel mit dem Kind
und Joseph, der sie führet, seien auf der "Wand
abgebildet. Unter dem Berge, worauf Dorf und
Kirche, sei ein schöner Brunnen, der Brunnen
Marias, genannt. Alles trifft mit der von ihr
beschriebenen Lokalität zusammen. Arvieux im
2. Band seiner Memoiren (Leipzig 1783) sagt:
„Zwischen Hebron und Bethlehem kamen wir durch
das Dorf der heiligen Jungfrau, die hier auf
ihrer Flucht soll geruht haben."
IN DER WÜSTE SÜDLICH VON HEBRON. -
DAS KNÄBLEIN JOHANNES SENDET DEM DÜRSTENDEN
JESUSKINDE EINE QUELLE. - MARIA
ZEIGT DEM JESUSKINDLEIN DAS KNÄBLEIN JOHANNES
IN DER FERNE.
Von dieser Höhle zogen sie, das Tote Meer immer
zur Linken habend, sieben Stunden südlich und
betraten zwei Stunden weiter als Hebron die
Wüste, in welcher sich damals der kleine Johannes
befand. Ihr Weg führte sie einen Pfeilschuß
weit von dessen Höhle vorüber. — Ich sah die
heilige Familie einsam, mühselig und schmachtend
durch eine Sandwüste ziehen. Der Wasserschlauch
und auch die Balsamkrüglein waren leer; die
heilige Jungfrau war sehr betrübt, sie dürstete,
Jesus dürstete. — Da zogen sie etwas von dem
Wege seitwärts, wo ein tiefer hegender Grund,
Gebüsche und etwas dürrer Rasen war. Die heilige
Jungfrau stieg von dem Esel ab, saß ein wenig
nieder. Sie hatte ihr Kindlein vor sich, war
betrübt und betete. — Während die heilige Jungfrau
so um Wasser wie Hagar in der Wüste flehte,
wurden meine Augen zum Anblick eines ungemein
rührenden Ereignisses gewendet. — Die Höhle,
in welche Elisabeth das Knäblein Johannes geflüchtet
hatte, lag hier ganz nahe auf einer erhöhten
Felsenwildnis, und ich sah den kleinen Johannes
wie sehnsüchtig harrend und sorgend unfern der
Höhle zwischen den Büschen und dem Gestein umherirren.
Elisabeth sah ich in dieser Anschauung nicht.
Der Anblick des kleinen, sicher wandelnden und
laufenden Knaben in der Wildnis machte einen
ganz eigenen, rührenden und bedeutsamen Eindruck.
So wie er schon unter dem Herzen seiner Mutter
seinem Herrn entgegengehüpft war, bewegte ihn
auch jetzt die Nähe seines durstenden Erlösers.
Ich sah den Knaben, er hatte ein Lammfell quer
über die Schulter und um die Mitte des Leibes
gegürtet, in der Hand trug er sein Stäbchen,
an welchem nun ein Wimpel von Bast wehte. —
Er fühlte, daß Jesus vorüberzog, daß er dürstete,
er warf sich auf die Knie und schrie zu Gott
mit ausgebreiteten Armen; — dann sprang er auf,
lief, vom Geiste getrieben, zu einem hohen Rande
des Felsens und stieß mit seinem Stäbchen in
den Boden, da drang eine reichliche Quelle hervor.
Johannes lief eilend ihrem Laufe voraus bis
zu dem Rande, |