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Von der Heiligung des Augenblicks
aus der Sicht eines Bischofs
Millionen von Männern und Frauen führen ein
Leben, das ein Leben stiller Verzweiflung
genannt wird. Es sind sorgenvolle, neurotische,
ängstliche und vor allem unerfüllte Seelen.
Dieser Mangel an Erfüllung entspringt einem
Misserfolg — |
entweder einem schon erlebten
oder einem vor ihnen liegenden. Der Mensch kann
unerfüllt bleiben, wenn er das Riesenmass der
vor ihm liegenden Probleme und seine geringen
Mittel vergleicht, sie zu lösen. Dann ist er zu
entmutigt und fürchtet den Misserfolg zu sehr,
um überhaupt eine Lösung zu versuchen. Oder er
bleibt unerfüllt, weil ihm einer fehlt, den er
lieben könnte und der ihn richtig liebt. |
Die erste Art der Unerfülltheit
bringt die Seele in die Lage eines Haushalters,
der angesichts der wachsenden Rechnungen und dem
Ausbleiben des Geldes immer deprimierter wird.
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Die zweite Art der Unerfülltheit
fördert das Gefühl, dass das Leben rasch
vorbeigeht und mit jedem Jahr die Aussichten auf
emotionelle Befriedigung geringer werden. Beide
Formen hängen also mit dem Bewusstsein zusammen,
das ein unglücklicher Mensch vom Ablauf der Zeit
hat. Die unerfüllte Seele fröstelt am ehesten,
wenn sie die alte Warnung auf der Sonnenuhr
liest: «Es ist später, als du denkst.» |
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Zwei
göttliche Heilmittel
Alle
unsere Sorgen sind auf die Zeit bezogen. Der Mensch ist
das einzige Geschöpf, das sich der Zeit bewusst ist. Er
allein kann sich die Vergangenheit in die Erinnerung
zurückrufen, so dass, sie den gegenwärtigen Augenblick
durch die Last ihres angesammelten Erbes bedrückt. Er
allein vermag sich die Zukunft als gegenwärtig
vorzustellen, so dass künftige Ereignisse erscheinen,
als geschähen sie jetzt. Weil der Mensch durch die
Erinnerung die Vergangenheit mit der Gegenwart und durch
die Einbildungskraft die Zukunft mit der Gegenwart
verbinden kann, wird es oft nötig, ihn von seinen Leiden
abzulenken. Wenn kein unmittelbarer Grund zur Klage
vorliegt, entspringt die Unzufriedenheit entweder der
allzu intensiven Beschäftigung mit der Vergangenheit
oder übertriebener Sorge um die Zukunft
(die Hauptprobleme der Psychiatrie
hängen mit der Analyse der Verzweiflung, des
Pessimismus, der Melancholie und der Komplexe, die ein
Erbe des Gewesenen sind, oder der Angst, Sorge und Not,
die aus der Vorstellung des Kommenden entspringen,
zusammen).
Ausser den Fällen echter Geisteskrankheit und -störung
gibt es viele andere, bei denen diese unselige
Beschäftigung mit der Vergangenheit oder der Zukunft
eine moralische Basis hat. Ein Gewissen, das mit der
Schuld früherer Sünden belastet ist, ängstet sich vor
dem Gericht GOTTES. Aber in seiner Barmherzigkeit hat
GOTT uns zwei Heilmittel für diesen unglücklichen
Zustand gegeben: das eine ist das Sakrament der Busse,
welches durch die Nachlassung der Sünde die
Vergangenheit auslöscht und die Zukunft durch die
Hoffnung auf die göttliche Barmherzigkeit erhellt, wenn
wir bei der Reue bleiben und unser Leben bessern. Nach
menschlicher Erfahrung ist nichts so wirksam für die
Heilung der Erinnerung und der Einbildungskraft wie die
hl. Beichte. Sie tilgt unsere Schuld, und wenn wir der
Mahnung des Herrn Folge leisten, werden wir gebeichtete
Sünden uns ganz aus dem Sinne schlagen. «Wer
seine Hand an den Pflug legt und rückwärts schaut, ist
nicht brauchbar für das Reich GOTTES.» (Lk
9, 62) Die hl. Beichte heilt auch die
Einbildungskraft und nimmt die Sorge um die Zukunft
fort. Denn jetzt ruft die Seele mit dem hl. Paulus aus:
«Alles vermag ich in dem, der mich stärkt.»
(Phil. 4,13.)
Das
zweite Heilmittel für die Übel, die uns aus dem Gedanken
an die Zeit erwachsen, ist das, was man die Heiligung
des Augenblicks nennen könnte. Der Herr gab uns eine
Regel: «Seid also nicht ängstlich für den
morgigen Tag besorgt! Der morgige Tag wird für sich
selber sorgen.» (Mt 6,34.)
Das heisst, dass ein jeder Tag die eigenen Prüfungen
hat. Wir brauchen nicht vom nächsten Tage die Sorgen zu
entlehnen; denn auch dieser wird sein Kreuz haben. Wir
sollen die Vergangenheit der göttlichen Gnade überlassen
und die Zukunft, was sie auch für Prüfungen bringen
möge, seiner liebevollen Vorsehung anheimstellen. Ein
jeder Augenblick im Leben hat seine besonderen
Pflichten. Das Jetzt ist der Augenblick des Heils. Eine
jede Klage dagegen ist eine Niederlage; jeder Akt der
Ergebung ist ein Sieg. Immer zeigt uns der Augenblick
den göttlichen Willen an. Auf verschiedene Weise wird
uns angedeutet, wie wir ihm zu Gefallen sein können:
durch die Gebote, durch die Ereignisse seines
fleischgewordenen Lebens in unserem Herrn Jesus
Christus, durch die Stimme seines mystischen Leibes, der
Kirche, durch die Pflichten unseres Standes. In
besonderer Weise gibt sich uns GOTTES Wille in dem Jetzt
mit all seinen begleitenden Umständen kund. Der
Augenblick enthält einiges, das von uns abhängt. Aber er
bringt auch unvermeidliche Schwierigkeiten mit sich,
(z. B. einen Bankrott, eine schlimme Erkältung, Regen am
Ausflugstage, einen unwillkommenen Gast, einen Kuchen,
der einem aus der Hand fällt, eine Klingel, die kaputt
ist, eine Fliege in der Milch und eine Anschwellung an
der Nase am Abend eines Tanzvergnügens).
Wir
wissen nicht immer, warum Krankheit oder Misserfolg uns
beschieden ist, denn unser Geist ist zu winzig, um
GOTTES Plan erfassen zu können. Der Mensch ist wie eine
Maus in einem Klavier, die nicht versteht, warum einer,
der Chopin spielt, sie stören muss und sie zwingt, die
Saiten zu verlassen. Als Hiob zu leiden hatte, stellte
er Fragen an GOTT: warum er geboren sei und warum er zu
leiden hätte? GOTT erschien ihm, aber anstatt dass ER
seine Fragen beantwortete, begann er, ihm einige
umfassendere Fragen über die Welt vorzulegen. Als der
Schöpfer damit aufgehört hatte, den Geist seines
Geschöpfes mit Fragen auszufüllen, erkannte Hiob, dass
die Fragen GOTTES weiser sind als die Antworten der
Menschen. Weil die Wege GOTTES nicht die unseren sind,
weil das Heil einer Seele wichtiger ist als alle
materiellen Werte, weil die göttliche Weisheit aus Bösem
Gutes ziehen kann, darum muss der menschliche Geist die
Annahme des Augenblicks pflegen. Unser Geist kann nicht
immer das bewältigen, was uns geschieht. Ebensowenig
kann der Wille es immer überwinden. Aber stets vermag
der Glaube es hinzunehmen und der Wille sich zu
unterwerfen.
Eine
verbotene Frage
Eine
Frage sollte man nie an die Liebe stellen, und das ist
die Frage: «Warum?» Jenes Wort wird nur
von der Dreiheit des Zweifels, des Truges und des
Teufels gebraucht. Die Glückseligkeit des Paradieses,
die auf vertrauender Liebe aufgebaut war, wurde von der
Frage Satans erschüttert: «Warum hat das GOTT
anbefohlen?» Der wahren Liebe ist ein jeder
Wunsch des Geliebten ein ehrfurchtgebietender Befehl.
Der Liebende wünscht sogar, die Bitten möchten sich
mehren, damit er immer mehr Gelegenheiten zum Dienst
habe. Diejenigen, welche GOTT lieben, legen keinen
Einspruch ein, was ER auch von ihnen verlangen mag. Sie
zweifeln auch nicht an seiner Güte, wenn ER ihnen eine
schwere Stunde schickt.
Die
Universität des Augenblicks
Ein
jeder Augenblick bringt uns mehr Schätze, als wir
sammeln können. Vom geistlichen Standpunkt aus gesehen
besteht der grosse Wert des Jetzt darin, dass es eine
von GOTT an uns persönlich gerichtete Botschaft bringt.
Bücher, Predigten, Radiosendungen religiöser Natur sehen
alle wie Rundschreiben aus. Sie sind an alle adressiert.
Wenn aber, was manchmal vorkommt, ein so allgemeiner
Anruf persönlich genommen wird, dann wird die Seele
ärgerlich und schreibt einen giftigen Brief, um ihr
schlechtes Gewissen zu beruhigen. Man findet immer einen
Vorwand, um das Gesetz GOTTES ausser acht zu lassen.
Allein wenn auch solche allgemeinen Vorstellungen
moralischer oder geistlicher Natur sich an alle Zuhörer
richten, so ist das bei dem Jetzt nicht der Fall. Keiner
ausser mir ist in genau den gleichen Verhältnissen.
Keiner trägt die gleiche Last. Nichts ist besser auf
unsere geistlichen Bedürfnisse zugeschnitten als das
Jetzt. Daher ist es eine Gelegenheit, ein Wissen zu
erwerben, das keinem anderen zugänglich ist. Dieser
Augenblick ist meine Schule, mein Lehrbuch, meine
Unterrichtsstunde. Nicht einmal der Herr sah sich für zu
gut an, um von seinem Jetzt zu lernen. Als GOTT wusste
ER alles; allein es gab noch eine Art der Erkenntnis,
die ER als Mensch erleben konnte. Der hl. Paulus
beschreibt sie: «Und obwohl ER GOTTES Sohn war,
hat ER in der Schule des Leidens den Gehorsam gelernt.»
(Hebr 5,8.)
Die Hochschule des Augenblicks
ist ausschliesslich für jeden einzelnen von uns
erbaut worden, und im Vergleich mit der
Offenbarung, die GOTT einem jeden darin gibt,
sind alle anderen Lernmethoden langsam und
flach. Diese Weisheit wird aus innerster
Erfahrung gewonnen und vergisst sich nie. Sie
wird ein Teil unseres Charakters, unserer
Verdienste |
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und unserer Ewigkeit.
Diejenigen, welche den Augenblick heiligen und
ihn in Vereinigung mit dem göttlichen Willen
aufopfern, sind nie unerfüllt, sie nörgeln und
klagen nie. Sie überwinden alle Hindernisse,
indem sie sie zur Gelegenheit zum Gebet und zu
Verdiensten machen. So wird eine Hemmung fürs
Wachstum fruchtbar gemacht. Der moderne Heide
ist das Opfer der Verhältnisse und nicht ihr
Herr. Ein solcher Mensch, der keine wirkliche
Erfahrung von GOTT, kein Vertrauen auf seine
Vorsehung und keinen festen Glauben an seine
Liebe hat, ermangelt in schweren Zeiten der
Stütze, die in diesem Glauben, dieser Hoffnung
und dieser Liebe liegt. Sein Geist wird von der
Vergangenheit, die er bedauert oder über die er
sich empört, und der Zukunft, die er, wie er
fürchtet, nicht nach seinem Willen gestalten
kann, wie in einer Zange gehalten. Derjenige,
welcher GOTTES Willen in allem annimmt, entgeht
einem solchen Schicksal, indem er die äussere
Verkleidung des Geschehens durchdringt und
seinen wahren Kern, die Botschaft des GOTTES,
den er liebt, erkennt. Es ist seltsam, wie
anders wir ein Unglück und sogar eine
Beleidigung aufnehmen, wenn wir wissen, von wem
sie kam. Ein Backfisch würde normalerweise sehr
darüber empört sein, wenn eine gutgekleidete
Dame ihm zufällig in der Strassenbahn auf den
Fuss träte. Aber wenn der gleiche Backfisch
sähe, dass sein Lieblingsfilmstar ihm wehgetan
hat, würde er sich dessen vor seinen Freundinnen
rühmen. Einem Ansinnen, das einem unverschämt
vorkommen würde, wenn ein Unbekannter es stellt,
wird gerne entsprochen, wenn ein Freund uns um
diesen Dienst bittet. Ebenso können wir uns ohne
zu murren der Zumutung eines jeden Jetzt
anpassen, wenn wir GOTTES Willen und seine
Absichten hinter den Krankheiten, den Schocks
und den Enttäuschungen des
Lebens erkennen. |
Geheimnis der Heiligkeit
Die
Windeln eines Kindes verbargen den Sohn GOTTES in
Bethlehem, und die Gestalten von Brot und Wein verhüllen
die Wirklichkeit Christi, der in der hl. Messe wieder
auf dem Kalvarienberg stirbt. Diese Art, sich zu
verhüllen, behält GOTT uns gegenüber auch bei, indem ER
das Jetzt dazu benutzt, um seinen Willen hinter
alltäglichen Dingen zu verbergen. Unser Leben hängt von
so zufälligen und gewöhnlichen Wohltaten wie Luft und
Wasser ab. So gefällt es dem Herrn, wenn wir ihm zum
Dank die tausenderlei unwichtigen Handlungen und die
unbedeutenden Kleinigkeiten anbieten, aus denen unser
Leben sich zusammensetzt, wenn wir nur, selbst im
Leiden, den Schatten seiner zärtlich ausgestreckten Hand
erkennen. Hier liegt das Geheimnis der Heiligkeit. Diese
Methode ist einem jeden zugänglich und verdient,
besonders von denjenigen beachtet zu werden, die fragen:
«Was kann ich tun?» Denn viele Seelen
hungern danach, für GOTT Grosses zu tun. Sie beklagen
sich darüber, dass sie keine Gelegenheit zu heroischer
Tugend, keine Aussicht auf die Ausübung des Apostolates
haben. Sie möchten gern Märtyrer sein. Aber wenn das
Essen zu spät auf den Tisch kommt, oder ein Autobus
besetzt ist, wenn es im Theater keinen Platz mehr gibt,
wenn das Tanzvergnügen aufgeschoben wird oder der Kaffee
nicht stark genug ist, dann sind sie den ganzen Tag aus
dem Häuschen. Sie verpassen die Gelegenheit, GOTT in den
kleinen Dingen, die ER von ihnen verlangt, zu lieben.
Der Herr hat gesagt: «Wer im Kleinsten treu ist,
ist auch im Grossen treu.»
(Lk 16,10)
Der göttliche Geliebte flüstert der Seele zu; aber weil
die Seele eine Trompete erwartet, entgeht ihr der
Befehl. Wir möchten uns alle selbst unser Kreuz wählen.
Wenige jedoch heissen das Kreuz, das ihnen GOTT schickt,
willkommen. Doch die Heiligen erlangen ihre Krone, indem
sie die kleinen Aufgaben, die ER ihnen stellt,
vollkommen ausführen. Die gewaltigen, welterschütternden
Taten, von denen wir denken, wir möchten sie für GOTT
tun, könnten am Ende nur unseren Egoismus nähren.
Anderseits hat man schon den wichtigsten Schritt zur
Verbesserung der Welt unternommen —die Besserung des
Selbst—, wenn man das Kreuz als von GOTT kommend
annimmt. Man kann die Heiligkeit darauf aufbauen, dass
man das ewige Genörgel seines Mannes, das fast
unerträgliche Zanken seiner Frau, das Schlürfen der
Kinder bei der Suppe, eine unerwartete Krankheit, die
Tatsache, dass man keinen Mann finden kann, und die
Unmöglichkeit, zu Geld zu gelangen, geduldig erträgt.
Dies alles kann in Verdienste umgewandelt, kann zum
Gebet werden, wenn es geduldig um der Liebe dessen
willen, der trotz unserer Unzulänglichkeiten,
Misserfolge und Sünden so geduldig mit uns ist,
ertragen wird.
Was
soll ich tun?
Es ist
nicht schwer, sich mit den Schwächen der anderen
abzufinden, wenn man erkannt hat, wieviel GOTT bei uns
zu entschuldigen hat. Eine Legende erzählt, wie Abraham
eines Tages in der Wüste von einem Araber besucht wurde,
der sich laut über das Essen, die Wohnung, das Bett und
den Wein beklagte, die ihm sein freigebiger Wirt
angeboten hatte. Schliesslich wurde das Abraham zuviel,
und er wollte ihn hinaussetzen. In dem Augenblick
erschien Gott und sagte: «Abraham, ich habe
diesen Menschen 40 Jahre ertragen; kannst du ihn nicht
einen Tag aushalten?»
Wenn man
um GOTTESwillen die Pflicht des Augenblicks annimmt,
dann berührt man die Ewigkeit und entgeht der Zeit. Die
Gewohnheit, das Jetzt zu erfassen und GOTT durch das,
was ER verlangt, zu verherrlichen, ist eine Tat des
liebenden Willens. Um GOTTES Plan anzunehmen, bedarf es
keiner verstandesmässigen Kenntnis von GOTTES Plan. Als
Paulus sich bekehrte, fragte er nur: «Herr, was
willst du, dass ich tun soll?» Man kann sich am
Feuer wärmen, ohne das Feuer chemisch erklären zu
können, und man kann sich durch eine Medizin heilen
lassen, ohne ihre Zusammensetzung zu kennen. Der
göttliche Wille, der sich in die Seele eines einfachen,
in sein Leiden ergebenen Krüppels ergiesst, wird in
diesem ein tieferes Verständnis der Theologie bewirken,
als ein Professor aus dem lebenslangen theoretischen
Interesse für eine Religion ziehen kann, die er nicht
ausübt. Der gute und der schlechte Missetäter am Kreuz
machten die gleiche Krise der Angst und des Leidens
durch. Der eine beklagte sich und verlor den Himmel; der
andere hob den kurzen Augenblick des Leidens auf die
geistliche Ebene. Manche Seelen ziehen Frieden und
Heiligkeit aus den gleichen Prüfungen, die andere zu
Aufrührern und Neurotikern werden lassen. Unsere
Entscheidung, ob wir GOTT den Willen ergeben wollen, ist
vollkommen frei. Wenn wir es ohne Vorbehalte tun, so
wird ER Grosses in uns wirken. Wie ein Meissel in der
Hand von Michelangelo eine vollkommenere Statue
hervorbringen kann als in der Hand eines Kindes, so wird
der menschliche Wille mächtiger, wenn er zum Vasallen
GOTTES wird, als wenn wir versuchen, auf eigene Faust zu
regieren. Aus eigener Kraft mag sich der Wille um vieles
bekümmern, aber am Ende wird es zu nichts. Mit Hilfe der
Kraft GOTTES wird das Nichts unseres Willens weit über
unsere Erwartung hinaus mächtig.
Man kann
jeden Augenblick mit den Worten heiligen: «Dein
Wille geschehe». Mit dem FIAT unseres Heilandes
in Gethsemane wurde unsere Erlösung eingeleitet. Das
FIAT U. L. Frau ermöglichte die Menschwerdung. Dieses
Wort zerschneidet alle Bande, mit denen wir an die
vertrauten, engen Dinge gefesselt sind. Es öffnet den
Möglichkeiten des Augenblicks alle Türen und bringt uns
zu dem von GOTT gewünschten Ziel. Wenn man Dein Wille
geschehe sagt und es wirklich meint, so hört alles
Klagen auf. Denn was uns der Augenblick bringen mag,
stets trägt es das Zeichen des göttlichen Willens.
Ein solcher Akt der Ergebung in den göttlichen Willen
bringt auch subjektive Vorteile mit sich. Der erste ist,
dass wir dem Einfluss der Zufälle des Lebens entzogen
sind. Die Zufälle im Leben sind Geschehnisse, die unser
geregeltes Dasein unterbrechen und unsere Pläne
zunichtemachen — Unglücksfälle, wie eine Krankheit, die
uns zwingt, eine Reise
aufzuschieben, oder nur ein telephonischer Anruf, wenn
wir unser Lieblingsprogramm im Radio eingeschaltet
haben. Es ist eine in der Medizin bekannte Tatsache,
dass verkrampfte Menschen mehr Unfälle mit
Knochenbrüchen haben als diejenigen, welche ein gutes
Gewissen und ein göttliches Lebensziel haben. Manche
Männer und Frauen beklagen sich, dass sie nie ausspannen
können, dass alle Welt gegen sie ist, dass sie Pechvögel
sind. Wer sich GOTTES heiligem Willen ergeben hat,
spricht keine derartigen Klagen aus. Was auch immer
kommen mag, wird von ihm begrüsst. Die schlecht
organisierte und egozentrische Seele versucht, der Welt
ihren Willen aufzuzwingen, und hat nie damit Erfolg.
Aber das Leben ist etwas Grösseres, als der Egoist
annimmt. Man kann es nicht so einzwängen, dass es in ein
Menschenhirn hineingeht. Der Mensch kann nicht einmal
ein System beim Roulettespiel ausdenken, in dem alle
Möglichkeiten eines sich drehenden Rades vorausgesehen
werden.
GOTT
kennt keinen Zufall
Wo ist der
Unterschied zwischen Menschen, die niemals
ausspannen können, und jenen, die jedes Jetzt
zum Danken nutzen? Die letzteren leben in einem
Reich der Liebe, die grösser ist als ihr Wunsch,
sich durchzusetzen. Nicht allen Geschöpfen zeigt
sich
GOTT in gleicher Weise. |
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Allein ER zeigt allen, wie sie
alles in Freude umwandeln können. Das soll nicht
heissen, dass Gott ungerecht ist, sondern nur,
dass es ihm unmöglich gemacht wird, sich einem
Herzen unter gewissen Bedingungen zu zeigen. Das
Sonnenlicht hat keine Lieblinge, aber es kann
nicht so gut auf einen staubigen wie auf einen
blanken Spiegel scheinen. In der göttlichen
Weltordnung gibt es keinen Zufall. Nirgends
findet man den Zusammenprall blinder Gewalten,
die uns aufs Geratewohl wehtun. Statt dessen
gibt es die Begegnung des göttlichen mit einem
menschlichen Willen, der das feste Vertrauen
hat, dass ihm letztlich nur Gutes zugedacht ist,
auch wenn er das Wie erst in der Ewigkeit
einsieht. In Wirklichkeit ist ein jeder Mensch
wie ein kleines Kind im Arme einer liebevollen
Mutter, die ihm manchmal Medizin gibt. GOTT
schickt uns alle Geschehnisse des täglichen
Lebens als Einladungen, uns in seinem Dienst zu
vollenden. Das Kind schreit, der Egoist
protestiert, aber der Heilige im Arme GOTTES ist
zufrieden, weiss er doch, dass GOTT nur das
Beste mit ihm vorhat. So wird Bitteres und
Süsses, Freud und Leid eines jeden Augenblickes
als Rohmaterial der Heiligkeit angesehen. «Wir
wissen aber, dass denen, die GOTT
lieben, alles zum
Besten gereicht, jenen, die gemäss der
Vorherbestimmung zu Heiligen berufen sind.»
(Röm 8,28!) |
Das
alltäglichste Geschehen wird zum Geheimnis, weil es
der Träger des göttlichen
Willens ist. Nichts ist unbedeutend oder langweilig,
alles kann geheiligt werden, genau wie Ziegen und
Schafe, Fische und Weizen, Trauben und Nadelöhre als
Gleichnisse des Gottesreiches ihre Würde empfingen. Was
ein Weltmensch zertreten würde, wird für den Heiligen
zur köstlichen Perle, denn er sieht «im Steine
eine Predigt und in allem etwas Gutes». Er
erkennt selbst die schwersten Strafen im Leben als
künftige Freuden, als kostbare geistliche Schätze, trotz
des rauhen, hässlichen Äusseren. Zu Anfang liebt man
GOTT nur um seiner Gaben willen, um der Gefühle willen,
die ER uns schickt. Da behandelt ER uns wie ein junges
Mädchen, um das einer freit. Wenn nach einer echten
Eheschliessung die Gaben nicht mehr so reichlich sind,
so heisst das nicht, dass die Liebe des Mannes geringer
geworden ist; vielmehr ist sie stärker geworden.
Lichtstrahl
des göttlichen Willens
Nun
schenkt er sich selbst. Die Gattin liebt nicht die
Geschenke des Gatten, nicht seine Komplimente, nicht
einmal die Freude, dass er bei ihr ist. Sie liebt ihn.
Sobald der Geliebte um seiner selbst geliebt wird, kommt
es nicht mehr auf die Art der Gabe an. Ebenso entzieht
uns GOTT alle fühlbaren Gaben, alles natürliche Glück
einzig darum, weil ER wünscht, dass seine Vereinigung
mit der Seele persönlicher und weniger abhängig von
seiner Freigebigkeit werde. Allein GOTT nimmt uns nie
eine natürliche Gabe, ohne sie durch eine übernatürliche
zu ersetzen. Am Anfang versteht die Seele das nicht
immer, denn da sind alle Wertungen materieller Natur.
Erst später sieht sie ein, dass die Leere, die sie beim
Verlust einer geschätzten Form des Glückes erlebte,
durch eine vertiefte geistliche Einsicht erfüllt wurde.
Dem Weltmenschen mag das seltsam
vorkommen, aber selbst unsere Feinde, selbst
diejenigen, die uns betrügen und verleumden,
können als Gelegenheit benutzt werden, um in der
Vereinigung mit GOTT voranzukommen. Diejenigen,
die ihr Vertrauen auf GOTT gesetzt haben, können
alle Widerwärtigkeiten in etwas Gutes
verwandeln. Da sie die Prüfung als von der Hand
GOTTES kommend ansehen, brauchen sie sich nie zu
fragen, wie sie sich dabei zu verhalten haben
oder warum ihnen solches zustiess. Sie brauchen
sich auch nicht zu verteidigen. Eine jede
Prüfung ist eine Gelegenheit, sich im Glauben
und in der Tugend zu üben. |
Wenn man einmal in der höheren
Dimension der göttlichen Liebe lebt, weiss man
wie ein Kind in einer liebevollen Familie, dass
selbst, wo man nichts versteht, doch alles aus
Liebe und zum Besten geschieht. Schliesslich
kommt eine Zeit der Vereinigung mit GOTT, da
alles ausser der Liebe GOTTES unwirklich
erscheint. |
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Inmitten von Prüfungen und
Schmerzen wird die Seele wie ein Flugzeug, sie
folgt durch Dunst und Nebel dem Lichtstrahl des
göttlichen Willens. |
Jeder von
uns hat sich darüber zu entscheiden, worauf er
hinarbeiten will, welch einen Lohn er erstrebt. Denn ein
jeder hat irgend eine Belohnung im Sinn: wenn er an
ewigem Verdienst kein Interesse hat, dann liegt ihm an
dem Beifall der Menschen. Der Bankier arbeitet fleissig,
um sein Vermögen zu vermehren, damit die Geschäftswelt
ihn achtet. Der Student büffelt, um ein summa cum laude
zu erlangen... Der Herr wusste, dass die meisten von uns
nur am Beifall der Welt ein Interesse haben, als ER
sagte: «Habt acht, dass ihr eure Gerechtigkeit
nicht vor den Menschen übt, um von ihnen gesehen zu
werden; sonst habt ihr bei eurem Vater im Himmel keinen
Lohn» (Mt 6,1).
Wenn wir anderen Gutes tun, weil wir sie auf der
menschlichen Ebene lieben, so bekommen wir in ihrer
Liebe einen natürlichen, aber keinen göttlichen,
übernatürlichen Lohn. «Wenn ihr nur die liebt,
die euch lieben, was könnt ihr da für einen Dank
erwarten? Lieben doch auch die Sünder ihre Freunde...
Nein, liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht, wo ihr
nichts hoffen könnt! Dann wird euer Lohn gross sein, und
ihr werdet des Allerhöchsten Kinder sein; denn auch er
ist gütig gegen die Undankbaren und die Bösen.»
(Lk 6,32f).
Der Herr
macht eine Liste von trivialen guten Handlungen, wie z.
B., dass man einem Fremden einen Trunk kalten Wassers
gibt, und versichert uns, dass ein übernatürlicher Lohn
unser wartet, wenn wir sie um seinetwillen ausführen,
aus Liebe zu ihm. Wenn wir diesen übernatürlichen Lohn
suchen, müssen wir die Bedingungen erfüllen. Diese sind
den Bedingungen zur Erlangung der Tüchtigkeit auf der
natürlichen Ebene nicht unähnlich. Angenommen, ein
Mensch möchte ein guter Läufer werden. Dazu sind drei
Voraussetzungen wesentlich:
1.
Er muss ein geborener
Läufer sein (es gibt
gewisse Fähigkeiten und Gaben, eine gewisse Struktur der
Muskeln und Knochen..., die man nie erwerben kann. Sie
sind geschenkt).
2.
Er muss sich frei dazu entscheiden. Wer nur auf Zwang am
Wettkampf teilnimmt, wird nie Erfolg haben.
3.
Vorausgesetzt 1
und 2,
müssen alle Handlungen des Burschen sich auf das eine
Ziel richten (Übermäßiges
Rauchen oder Trinken, Faulheit oder Nichtachtung der
richtigen Technik kann jede erfolgreiche Ausübung seines
Talentes gefährden).
Das
Motiv macht den Menschen zum Heiligen
Man wende
diese Überlegungen auf die Seele an, die den Wettlauf um
die ewige Seligkeit, die unvergängliche Krone
unternimmt. Wieder sind drei Bedingungen:
1.
Sie muss durch die Taufe in die übernatürliche Ordnung
hineingeboren sein; sie muss den Stand der Gnade
betreten, der ihr die Fähigkeit, die Gabe, das Geschick
zu einem übernatürlichen Leben verleiht. Um von Menschen
einen Lohn zu erhalten, arbeiten wir auf der natürlichen
Ebene. Um von GOTT einen Lohn zu empfangen, müssen wir
Kinder GOTTES werden - die Reben müssen mit dem
Weinstock verbunden sein. Durch die Barmherzigkeit
GOTTES verdienen alle guten Taten eines Menschen im
Stande der Gnade das Heil; denn Gott ist die
Hauptursache des Verdienstes. »Durch Gnade GOTTES
aber bin ich, was ich bin, und seine Gnade gegen mich
ist nicht unwirksam gewesen, nein, ich habe mich mehr
abgemüht als alle, aber nicht ich, vielmehr die Gnade
GOTTES mit mir» (1
Kor 15,10).
2.
Die Seele muss frei sein. Es liegt kein Verdienst vor,
wenn man dazu gezwungen ist, die Tugend zu üben, oder
sie aus Notwendigkeit anstrebt. Wenn unser menschlicher
Wille mit der göttlichen Wirksamkeit übereinstimmt, so
steht er als Ursache des Verdienstes an zweiter Stelle
nach der Gnade; aber obwohl er nur sekundär ist, ist
unser Beitrag durchaus ernst zu nehmen. GOTT und der
Mensch wirken zusammen.
3.
Was die Seele auch tun mag, stets sollte es eine
moralisch gute Handlung sein, die von Natur aus einen
übernatürlichen Lohn verdient. Im Stande der Gnade gibt
es keine neutralen Handlungen; eine Tat ist entweder
verdienstvoll oder nicht.
Angenommen, dass unsere Handlungen an sich moralisch
gut sind, dann ist eine jede Aufgabe oder Pflicht
ein Blankoscheck, dessen Wert von der Unterschrift
abhängt, ob man die Tat um GOTTES oder um des Selbst
willen getan hat. Das Motiv macht einen Menschen zum
Heiligen. Die Heiligung hängt nicht von der
Geographie, der Arbeit oder den Umständen ab. Manche
Leute stellen sich vor, dass sie, wenn sie an einem
anderen Ort wären oder einen anderen geheiratet
hätten oder eine andere Arbeit hätten, GOTTES
Aufgaben umso besser lösen könnten. In Wirklichkeit
macht es gar keinen Unterschied, wo sie sind. Es
kommt nur darauf an, ob sie GOTTES Willen aus Liebe
zu ihm erfüllen. Wir möchten alle gern das eigene
Kreuz anfertigen. Aber da der Herr das seine nicht
gemacht hat, machen wir auch nicht das unsere. Wir
können alles, was ER uns gibt, annehmen und es, so
gut wie möglich, fürs übernatürliche Leben
ausnutzen. Die Stenotypistin, die jeden Tag die
gleiche Art von Briefen schreibt, der Strassenfeger,
der Bauer, der Arzt, der Student, die Kranken, der
Lehrer in seinem Unterricht, die Mutter, welche die
Kinder ankleidet - sie alle können ihre Arbeit, ihre
Pflicht dadurch, dass sie sie in GOTTES Namen
ausführen, adeln und vergeistigen.
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