Buch 1
Luthers
Lebensende. Eine historische Untersuchung.
Orginal (Alte Schrift)
Von Paul Majunke. Buch aufgelegt 1891
Seite 1-100
Anhang Buch 1
Buch 2 Eine historische
Kritik über Luthers Lebensende.
Orginal (Alte Schrift)
Von Paul Majunke. Buch aufgelegt 1890
Seite 101-208
Buch 3 Ein letztes Wort
an die Luther-Dichter.
Orginal (Alte Schrift)
Von Paul Majunke. Buch aufgelegt 1890
Seite 209-260
Alle 3 Bücher in
einem Pdf:
Orginal (Alte Schrift)
Ergänzungen
unsererseits: Lateinische
Übersetzungen und zusätzliche Erklärungen (Wörter,
Personen) sind in dieser Farbe gehalten.
Buch 2 -
Die
historische Kritik über Luthers Lebensende.
Buch 2
(Seite 101 bis 206 )
Die historische Kritik
über
Luthers Lebensende.
Von
Paul Majunke.
Zweite, unveränderte Auflage.
Mainz,
Druck und Verlag von Florian Kupferberg
Vorbemerkung
Wenn meine Schrift über „Luthers Lebensende“ allerdings
dem äußeren Umstande ihre Entstehung verdankt, dass ich
in der Volks-Ausgabe meiner „Geschichte des
Kulturkampfes“ von Luthers gewaltsamen Ende als
feststehende Tatsache gesprochen und deshalb vielfachen
Interpellationen zu begegnen hatte, so würde ich doch
unredlich sein, wenn ich nicht frei gestehen wollte,
dass mir dieser äußere Anlass ein ganz erwünschter war,
um damit zugleich einem inneren Drange gerecht zu
werden.
Je mehr ich mich nämlich mit dem Gegenstande
beschäftigte, desto mehr wurde mir klar, dass wir es
hier mit einer historischen Tatsache zu tun haben,
welche durch zwei Jahrhunderte hindurch von den
bewährtesten katholischen Schriftstellern festgehalten
wurde und welche, nachdem sie schon in Folge der Wirren
des 30-jährigen Krieges zum Teil verdunkelt, durch den
Hereinbruch des Josephinismus*
und Febronianismus*
und der von ihnen gehandhabten Bücher-Zensur in fast
völlige Vergessenheit geraten war.
*Josephinismus,
abgeleitet von Kaiser Joseph II., bezeichnet die
Unterordnung gesellschaftlicher Angelegenheiten unter
die staatliche Verwaltung Österreichs nach den
Prinzipien des aufgeklärten Absolutismus
(Fürstenherrschaft mit europaweiter Übernahme der Ideen
der Aufklärung) durch das
Maßnahmen-Bündel einer staatlich gelenkten religiösen
Autarkie (Selbstbestimmung).
*
Febronianismus ist eine aufklärerisch
orientierte innerkatholische Reformbewegung des 18.
Jhdts. - ausgelöst durch J. Febronius, die die
päpstliche Jurisdiktion (Vollmacht) zugunsten einer
Nationalkirche mit staatlicher Hilfe zurückzudrängen
versuchte, zur Wiedervereinigung der christlichen
Kirchen auf der Basis der Kirchenverfassung des 1.
Jahrtausends.
Es war darum hohe Zeit, dass jenes Faktum wieder in
Erinnerung gebracht wurde.
Die Konsequenzen, welche sich daraus ergeben, möge sich
jeder selbst ziehen.
Gerade jetzt ist es wieder
zeitgemäß, eine solche demonstratio ad oculos zu liefern
(Veranschaulichung /
Nachweis vor Augen zu führen),
nachdem in den letzten beiden Jahrzehnten die
katholische Kirche in Deutschland – nach dem einmütigen
Geständnis aller ihrer Gegner – den abermaligen Beweis
ihrer Unbesiegbarkeit gegeben hat, während die
protestantische „Kirche“ – wiederum nach dem Zeugnis
ihrer eigenen Bekenner – im Kampfe unterlegen, ja im
Zerfall begriffen ist.
„In
fünfzig Jahren wird ganz Pommern katholisch sein,“ sagte
unlängst ein hervorragender und vielgenannter
pommerischer Reichstag-Abgeordneter zu mir.
Ähnlich sprach sich ein hannoverischer Abgeordneter
bezüglich Hannovers aus.
Ob das eintreffen wird, ob die Rückkehr in den Schoss
der Mutterkirche in Deutschland ebenso wie in England
größere Dimensionen annehmen wird – Gott allein kann es
wissen.
Aber soweit er Menschen zu
Mitwirkenden an seinen Heilswerken bestimmt hat, wollen
und dürfen wir nichts unterlassen, was zur
Verherrlichung der stets bekämpften, aber stets
siegenden Una Sancta Catholica et Apostolica Ecclesia
(die eine heilige
katholische und apostolische Kirche = großes
Glaubensbekenntnis)
beitragen kann.
Zu diesem Zwecke allein sollen auch meine
Lutherschriften geschrieben sein.
Es gibt eine Zeit zu schweigen und eine Zeit zu reden.
Bei der gegenwärtigen kirchenpolitischen Situation zu
schweigen,
würde Verrat an der heiligen Sache sein.
So ergreife ich auch gern noch einmal das Wort,
um den zahlreichen Kritikern Rede zu stehen, welche zum
Teil sehr eingehend meine Lutherbroschüre beurteilt
haben.
Alles aber sine ira et studio !
Alles aber ohne Zorn (Hass) und Eifer !
Hochkirch bei Glogau, 29. März 1890.
Der Verfasser.
Die
Kritiker auf katholischer Seite.
Die erste Auflage von „Luthers Lebensende“ war noch gar
nicht den Sortiments-Buchhändlern zugegangen, als
bereits in der „Kölner Volkszeitung“ (vom 21. Dezember
1889) eine „Rezension“
(lateinisch: recensio = Musterung, Kritik und
schriftliche Bewertung eines Buches)
erschien, welche wörtlich folgendermaßen lautete:
„Luthers
Lebensende. Eine historische Untersuchung von Paul
Majunke. (Mainz, Florian Kupferberg, 1890. Seite 80.) In
der neuesten Auflage (soll heißen: Volksausgabe) seiner
„Geschichte des Kulturkampfes“ schreibt Herr M. Seite 3:
„Luthers geistiger Zustand wird noch immer zu wenig
beachtet; ebenso wenig Beachtung findet die u.a. in den
„Hamburger Briefen“ mitgeteilte Tatsache, dass Luther
durch Selbstmord, durch Erhängen am Bettstollen
(Holz-Pfosten des Bettgestells)
geendet hat.“
Es ist vorab ein großer Irrtum,
wenn M. Gottlieb
(= Pater
Tilmann Pesch / Berliner Zeitung „Germania“)
den Selbstmord Luthers annehmen lässt. Gottlieb
(vergleiche die von M. Seite 79 unvollständig angeführte
Stelle) verwahrt sich gegen die Zumutung, den von
Luthers Freunden gegebenen Bericht über sein Lebensende
„ohne Weiteres als die Darlegung eines wirklichen
Vorganges hinzunehmen“, und fährt dann fort: „Ich
besitze ebenfalls eine Erzählung über Luthers
Hinscheiden, für deren Glaubwürdigkeit ich eine Gewähr
(Sicherheit, Garant, Bürgschaft)
habe, welche mir wenigstens viel
mehr gilt, als die „Augenzeugen“ Jonas und Coelius.“
Folgen zwei kurze Sätze: man habe
Luther am Bettstollen
(Pfosten) erhängt gefunden,
aber den wahren Hergang verheimlicht, dann aber – und
dies fehlt fast unglaublicherweise in M. Zitat: „Was
mich betrifft, so lege ich auf diese Erzählung kein
Gewicht.“ (vergleiche Briefe aus Hamburg, Ausgabe von
1883. Seite 362.)
Wie man sieht, lässt Herr M.
Gottlieb das Gegenteil von dem sagen, was er wirklich
gesagt hat, und ebenso irrig lässt er jetzt im ersten
Satze seiner Vorbemerkung Gottlieb direkt „behaupten,
dass Luther keines natürlichen Todes gestorben sei“.
Soweit ich sehe, spricht M. selbst jetzt nicht mehr von
einer „Tatsache“, aber er findet es (Seite 36) auch aus
inneren Gründen „wahrscheinlich, dass Luther so geendigt
hat, wie es von seinem Famulus
(Hausdiener)
erzählt wurde und wie es als
glaubhaft von hervorragenden Theologen und Historikern
dreier Länder der Nachwelt überliefert ist.“ der von ihm
angetretene Wahrscheinlichkeits-Beweis ist vollständig
gescheitert.
M. hat eine Menge von Zitaten über Luthers Tod
zusammengetragen, aber die erste Notiz über den
Selbstmord ist erst 47 Jahre*
nach dem Tode geschrieben.
In sehr unbestimmter Wendung (Audivi
haud ita pridem compertum testimonio sui familiaris
= Ich habe vor nicht allzu
langer Zeit eine zuverlässige Zeugenaussage seines
Hausdieners gehört / durch das Zeugnis des Famulus
sichere Erkenntnis erlangt)
erwähnt Bozius das Zeugnis eines Dieners Luthers,
derselbe habe sich erhängt.
*
Die Möglichkeit, der
Reformator habe Selbstmord begangen, verbreitete
zuerst Thomas Bozius 20 Jahre später.
Quelle:
http://www.einsicht-aktuell.de/index.php?svar=2&ausgabe_id=114&artikel_id=1226
Wie M. (Seite 19) „diese Mitteilung aus äußeren Gründen
authentisch nennen kann, verstehe ich nicht. 13 Jahre
später (vergleiche den Wortlaut Seite 75) wurde der
schwulstige Wortlaut der angeblichen Erklärung des
Dieners veröffentlicht. Jede Beglaubigung fehlt, nicht
einmal der Name des Dieners*
wird genannt.
*
Rudtfeld
Mit einem solchen Zeugnis ist
einfach nichts anzufangen; mit ihm aber steht und fällt
die ganze Geschichte. Herr Majunke hat Seite 77 eine
lange Reihe von „Äußerungen katholischer Schriftsteller
des 19. Jhdts. über Luthers Tod“ angeführt. Mit einziger
Ausnahme von „Gottlieb“ haben sie samt und sonders die
Selbstmord-Version nicht einmal erwähnt, und wenn
Majunke Seite 27 in Sperrschrift verkündet, die neuesten
Luther-Biographien seien dem Diener Luthers „alle aus
dem Wege gegangen, inklusive
Julius
Köstlin“, so muss er in dieses
Urteil auch die katholischen Historiker inklusive
Johannes
Janssen einschließen. – Der Rest der Schrift liegt
größtenteils neben der Sache – nicht weniger als 34
Seiten werden mit einem Abdruck der Historia
(Historie)
über Luthers Tod und mit der Leichenpredigt des Coelius
gefüllt – und lässt die Elemente der Kritik in
bedauerlicher Weise vermissen. Nebenbei sei bemerkt,
dass der angebliche Ausspruch Luthers:
Nos hic persuasi sumus
- ad papatum decipiendum omnia
licere (Wir sind davon
überzeugt - um das Papsttum zu täuschen / zu
hintergehen, ist alles erlaubt)
ein sehr ungenaues Zitat aus einem
Briefe von 1520 ist, dessen irrige Übersetzung Janssen
(ein zweites Wort an meine Kritiker, 73) längst
zurückgenommen hat. – Majunke hat keine Schrift mit
einem Hinweis auf die Angriffe des „Evangelischen
Bundes“ eingeleitet. Man kann nur bedauern, dass er
demselben eine Waffe in die Hand gedrückt hat. – Ich bin
weit entfernt, die Darstellung, welche Luthers Freunde
von seinem Tode gegeben haben, gläubig als bare Münze
anzunehmen; aber der Versuch, aufgrund eines sehr
späten, gänzlich unbeglaubigten Zeugnisses – das muss
ich wenigstens nach Majunke's eigener Darstellung
annehmen – die Wahrscheinlichkeit eines Selbstmordes zu
konstruieren, wird auch auf katholischer Seite wenig
Anhänger finden.“
Was zunächst den aus der
Volks-Ausgabe meiner „Geschichte des Kulturkampfes“
zitierten Passus
(Textstelle) betrifft, so
sollte damit gesagt sein, dass ich es für eine Tatsache
halte, was „Gottlieb“ über Luthers Selbstmord sagt.
„Gottlieb's“
Darstellung ist eben in diesem Punkte nicht klar. Einmal
sagt er, er habe „eine Gewähr“ für die Richtigkeit der
Nachricht, dass Luther durch Selbstmord geendet, dann
gibt er wieder breiten Zweifeln darüber Raum.
Hätte der Rezensent
(Kritiker / Begutachter)
der „Kölner Volkszeitung“ sich mit der einschlägigen
Literatur vertraut gemacht und hätte er „Gottlieb's“
Ausführungen näher geprüft, so würde er dessen
Unsicherheit bald begriffen haben.
„Gottlieb“
zitiert nämlich als einzigen Gewährsmann für seine
Darstellung Floremund Raemund, von dem ich nachgewiesen
habe, dass er die Quelle, nach welcher er berichtet,
ganz entstellt wiedergegeben und damit schon einzelne
katholische Historiker des vorigen Jahrhunderts in die
Irre geführt hat.
Trotzdem behält „Gottlieb“ das große Verdienst, dass er
die Frage über Luthers Ende in unserer Zeit wieder
aufgeworfen hat. Ohne ihn würde auch ich nicht dem Thema
näher getreten sein.
Ich werde über dieses Thema
ausführlich handeln, wenn ich unten zu meinen
protestantischen Gegnern kommen werde; deren Einwürfe
werden sehr detaillierte Erörterungen nötig machen.
Protestieren muss ich aber dagegen, wenn der Zensor
(amtlich beurteilender Prüfer)
mich in Gegensatz zu
Johannes
Janssen stellt. So wenig ich
den katholischen
Kirchenhistorikern Johann Adam
Möhler oder Johannes
Baptist Alzog einen Vorwurf
mache, dass sie sich nicht näher über Luthers Tod
ausgesprochen haben, so wenig oder noch weniger kann ich
es bei Janssen tun.
Was dann die weitere Behauptung des Rezensenten der
„Kölner Volkszeitung“ betrifft, dass der von mir
angetretene „Wahrscheinlichkeits-Beweis vollständig
gescheitert“ sei, so muss ich zunächst bestreiten, dass
ich einen „Wahrscheinlichkeits-Beweis“ liefern wollte.
Dieser bezog sich höchstens auf die Prüfung der inneren
Gründe, welche den auf unanfechtbaren Quellen beruhenden
äußeren Wahrheits-Beweis zu unterstützen hatten.
Unser hochverehrter und
hochverdienter Herr Prälat
(Würdenträger bzw. höherer Amtsträger der römischen
Kirche mit Jurisdiktion: Aufsicht und Rechtsprechung)
Janssen hatte und hat eine
Aufgabe zu lösen, welche es gar nicht erforderlich
machte, dass er sich eingehender mit dem Drama über
Luthers Tod befasste. Er hat die Geschichte des
deutschen Volkes zu schreiben und würde durch
detaillierte Behandlung von Spezialfragen nur der
Gesamtbehandlung seines Riesenwerkes Eintrag tun. Und in
der Tat, wenn man die Quellen beachtet, welche als
primäre (ursprüngliche)
wie als sekundäre
(zweitrangige)
bei unserem Thema einzusehen sind,
so wird man von den ersteren keine einzige, von den
letzteren noch nicht drei finden, welche in den langen
Quellen-Verzeichnissen bei Janssen angegeben sind.
Endlich wolle man erwägen, dass Janssen den
hauptsächlich über Luther handelnden Band seines
Geschichtswerkes zu einer Zeit veröffentlichte, als der
moderne „Kulturkampf“ auf seiner Höhe stand – zu einer
Zeit, in welcher auch ich nicht mit meiner Lutherschrift
vor die Öffentlichkeit getreten wäre.
Im Übrigen ist die vermeintliche „Zurücknahme“ Janssen's
Sache der subjektiven Auffassung. Viele werden finden,
dass Janssen gar nichts „zurückgenommen“, im Gegenteil
seine Behauptung durch neues Beweismaterial erwiesen
hat.
Es ist ja doch auch mehr als
hinreichend bekannt, dass in Luthers Briefen, soweit
dieselben unverfälscht im Druck erschienen sind,
noch zahlreiche ähnliche Stellen, als diejenige
lautete, bezüglich deren Janssen retraktiert
(darauf eine erwidernde
schriftliche Abhandlung als Antwort gegeben)
haben sollte, sich vorfinden.
Schließlich muss konstatiert
(festgestellt)
werden werden, dass bis auf eine
einzige Ausnahme die Auffassung des Kölner Blattes
innerhalb der katholischen Presse des In- und Auslandes
gänzlich isoliert dasteht1.
1
Zwei katholische Blätter des
Ostens reproduzierten anfänglich den Artikel der „Kölner
Volkszeitung“, verstanden sich aber bald darauf zum
Widerruf. Auch die „Augsburger Postzeitung“ entlehnte
der „Rezension“ einige Stellen, ließ aber gerade die
Hauptsätze derselben weg, wie z.B. den, dass „der
Wahrscheinlichkeits-Beweis vollständig gescheitert“ sei.
Diese einzige Ausnahme bildete die
„Trierische Landeszeitung.“ Kaum war meine Schrift in
Trier angelangt, als auch schon am nächstfolgenden Tage
(Nummer 1 vom 2. Januar) nachstehendes Referat
(Untersuchungs-Bericht)
darüber in der „Trierischen
Landeszeitung“ erschien:
Literarisches.
Paul Majunke, Luthers Lebensende.
Eine historische Untersuchung.
Mainz. Druck und Verlag von Florian Kupferberg. 1890. 80
Seiten.
In der vorliegenden Schrift glaubt der Verfasser als
„Historiker“ „möglichst objektiv und unter absoluter
Fernhaltung einer auf die Volksmassen berechneten
Tendenz“ „historische Kritik geübt“ zu haben. Doch in
Wirklichkeit ist ihm dies durchaus nicht gelungen. Den
Beweis, dass und inwiefern die beiden ältesten Berichte
über Luthers Tod unglaubwürdig seien, hat der Verfasser
nicht geliefert; bei Besprechung beider passiert ihm
noch das doppelte Missgeschick, dass er irrigerweise den
jüngeren und weiteren Bericht als den älteren auffasst,
und dass er eine wichtige Stelle des älteren Berichtes
(Seite 60) ganz missverstehend, dieselbe in freilich
unabsichtlicher, aber
durchaus gefälschter Form mit Anführungszeichen (!)
wiedergibt (Seite 5).
Der Beweis, dass Luther durch
Selbstmord geendet habe, ist ihm ganz und gar misslungen
und musste misslingen, da die desfallsigen
(bezüglich dieses Falles)
Nachrichten alle Kriterien der
späteren Erdichtung und der Unglaubwürdigkeit an den Tag
legen; dabei begeht denn noch der Verfasser die arge
Übereilung, dass er den „Bettstollen“
(Pfosten des Bettgestells),
welchen die lebhafte Phantasie des Verfassers der
„Hamburger Briefe“ in den überlieferten Bericht über den
angeblichen Selbstmord Luthers hineingezaubert hat, und
an welchem Luther nun angeblich sich erhängt haben soll,
allen Ernstes als „Wahrheit“ übernimmt und damit gegen
einen Hamburger Prediger argumentiert (Seite 80)1.
1
Die Zahl der Seiten ist hier wie den meisten
Besprechungen nach der ersten Auflage meiner Schrift
angegeben.
Es kann gar nicht fehlen, dass die
Eiferer des „Evangelischen Bundes“ sich mit innerem
Behagen und zur Schau getragener Entrüstung über die
Schrift hermachen werden und die freilich argen
Schnitzer (Pannen)
ihres Verfassers als
Agitationsmittel
(propagandistisch betriebene Meinungsmache)
gegen die katholische Kirche zu
verwerten versuchen werden. Und so ist es auf Seiten der
katholischen Presse Deutschlands ganz angemessen, jede
Solidarität mit den in der Schrift vertretenen
Behauptungen über Luthers Ende entschieden abzulehnen.
Es ist in der Tat bedauerlich, dass der Verfasser,
dessen Fähigkeit und Leistungen auf einem anderen
Gebiete ja unbestreitbar und unbestritten sind, sich mit
der vorliegenden Schrift auf ein Gebiet begeben hat, für
welches ihm augenscheinlich Veranlagung und Vorbildung
abgehen.
Da im Vorstehenden gar von „Fälschung“ die Rede war, so
glaubte ich mit Rücksicht auf meine ehemaligen
Reichstags-Wähler in Trier ein kurzes Wort der Abwehr an
deren Organ einsenden zu sollen.
Ich schrieb:
„Eine
kürzlich in Ihrem Blatte erschienene Besprechung meiner
Schrift über „Luthers Lebensende“ nötigt mich zu
nachstehender Erwiderung:
Der Herr Rezensent
(schriftlicher Kritiker)
meint zuvörderst
(allen voran), dass mir bei
der Erörterung der „beiden ältesten“ Berichte über
Luthers Tod das doppelte „Missgeschick“ passiert sei,
dass ich „irriger Weise den jüngeren und weiteren
Bericht als den älteren aufgefasst und eine wichtige
Stelle des älteren Berichtes (Seite 60) ganz
missverstehend, dieselbe in freilich unabsichtlicher,
aber durchaus gefälschter Form mit Anführungszeichen
wiedergebe (Seite 5).
Ich bedaure, konstatieren zu
müssen, dass hier dem Herrn Rezensenten ein dreifaches
Missgeschick begegnet ist. Zunächst ist ihm unbekannt,
dass der älteste Bericht über Luthers Tod in einem
Briefe bestand, welchen Justus Jonas sogleich, nachdem
die Wiederbelebungsversuche an Luthers Leichnam
erfolglos blieben, an den Kurfürsten von Sachsen durch
expressen Kurier
(Express-Post-Bote)
absandte.
Dieser Brief ist später im Druck erschienen, da er aber
im Wesentlichen mit der „Historia“ übereinstimmte, deren
Inhalt vielfach bezweifelt wurde, so entstanden auch
darüber Zweifel, ob der Brief im Original so gelautet
habe, wie im Druck. Aus diesem Grunde habe ich von dem
Schriftstück überhaupt keinen Notiz genommen.
Einen ferneren
(weiteren)
Irrtum begeht der Rezensent, wenn er mich die beiden
nächstälteren Berichte – strenggenommen sind diese
wiederum nicht, wie er meint, die Leichenrede des
Coelius und die „Historia“, sondern die Rede des Jonas
und die „Historia“ – dem Alter nach miteinander
verwechseln lässt. Durch Hinweis auf die Seitenzahl 60
gibt der Kritiker zweifellos zu verstehen, dass er die
Rede des Coelius für älter hält, als die „Historia“. Ich
genau ebenso. Ich sage Seite 10 ausdrücklich, dass
Coelius „seine Unvorsichtigkeit bald bereut“ habe, denn
in der „Historia“, die er „mit dem schlaueren Jonas und
dem gewandteren Aurifaber unterzeichnet“, finde sich
nicht die geringste Andeutung mehr von den Gerüchten,
die er in seiner Rede erwähnt. Im Übrigen hatte man auch
die „Historia“ noch vor der Coelius'schen Rede zu
schreiben begonnen, im Druck erschien sie erst später,
und es lässt sich nicht mehr kontrollieren, ob und was
im Manuskript oder im gedruckten Satz daran geändert
worden ist.
Ich habe davon über zwanzig der ältesten Drucke
verglichen, aber nur die Typen zeigten einen
verschiedenen Charakter, der Inhalt war überall
derselbe. Als ihr Hauptverfasser galt Jonas, und Coelius
brauchte am Tage, an welchem er die Rede hielt, noch gar
keine Kenntnis von ihren Einzelheiten zu haben.
Wenn ich endlich bei den Zitaten aus der Coelius'schen
Rede zum besseren Verständnis für den Leser mich dem
modernen Sprachgebrauch nähere, dagegen zuletzt im
Anhange das altdeutsche Original abdrucken lasse, so ist
es wohl nicht gerechtfertigt, mir wegen der Zitate den
Vorwurf der „Fälschung“ zu machen.
Ich setze ja jeden Leser in den
Stand (biete die
Möglichkeit), die
„Fälschung“ zu kontrollieren.
Im
Übrigen führe ich zum Beweise meiner Thesis
(Forschungsarbeit,
These: wissenschaftliche Behauptung)
eine große Anzahl gefeierter katholischer Schriftsteller
der damaligen Zeit an. Der Rezensent erwähnt auch nicht
einen einzigen derselben, dagegen meint er, dass „die
desfallsigen
(diesbezüglichen)
Nachrichten alle Kriterien der späteren Erdichtung und
der Unglaubwürdigkeit an den Tag legen.“
Ich würde zu Dank verbunden sein, wenn mir wenigstens
eins dieser „Kriterien“ bezeichnet würde. Damit würde
die ganze Streitfrage auch allein auf die richtige Basis
gestellt werden. Denn nicht darum handelt es sich, was
ich für eine Ansicht von Luthers Lebensende habe,
sondern darum, was und mit welchem Recht die großen
Theologen und Historiker des 16. und 17. Jhdts. darüber
geurteilt haben.
Hochkirch bei Glogau, 8. Januar 1890.
Dr. Majunke.“
Wie ein mit Sachkenntnis urteilender Leser bemerken
wird, habe ich noch manches übergangen, was zu
Einwendungen Veranlassung gegeben hätte.
Insbesondere hätte ich noch auf
den drastisch wirkenden Gegensatz verweisen können, in
welchen sich das -r- (recto
folio = Titelblatt) der
„Trier'schen Landeszeitung“ zu dem Referate
(Vortrag, Bericht)
der „Kölner Volkszeitung“
bezüglich des Verfassers der „Hamburger Briefe“ stellt.
Während die „Kölner Volkszeitung“ mit übel angebrachtem
Eifer sich und anderen einzureden versuchte,
dass „Gottlieb“ gar nicht die Selbst-Entleibung Luthers
behaupte, hält sich der Gelehrte in Trier über „Gottlieb's“
„lebhafte Phantasie“ auf, mit der er jene Behauptung
aufgestellt habe.
Keiner von beiden „Rezensenten“
hat „Gottlieb“ richtig verstanden, keiner von beiden hat
eine Ahnung davon, dass „Gottlieb“ zu seiner
Stellungnahme durch Floremund Raemund verleitet worden
ist; aber trotz ihrer mangelhaften Kenntnis der in
Betracht kommenden Literatur haben beide sich nicht
gescheut, ein öffentliches Verdikt
(Verurteilung, Verdammungsurteil)
zu fällen – hoffentlich
nicht zum sonderlichen Schaden der Sache, die sie
bekämpfen, und nur zum zeitweiligen Nachteil der Leser,
die sie auf eine falsche Fährte führen.
Trotzdem meine Erwiderung mild in
der Form und inhaltlich rein sachlich gehalten war,
wollte der „Rezensent“ der „Trier'schen Landeszeitung“
dennoch Recht behalten und sandte eine spaltenlange
Duplik (Gegenerklärung auf
eine Replik / Erwiderung)
der „Landeszeitung“ zu.
Auch in dieser wurde keinerlei
tatsächliche Berichtigung beigebracht. Ich sehe deshalb
von einer Reproduktion
(Wiedergabe) derselben ab.
Die Redaktion der „Trier'schen Landeszeitung“ schickte
ihrerseits folgende Bemerkung hinterher:
„Mit
Rücksicht auf die Person des Herrn Verfassers von
„Luthers Lebensende“ haben wir uns veranlasst gesehen,
dieser rein literarischen Frage in unserer Zeitung diese
große Stelle einzuräumen. Wir schließen aber hiermit die
Akten. Sollten Verfasser und Rezensent geneigt sein,
sich weiter über die streitigen Fragen zu verbreiten, so
werden historische Zeitschriften für die weitere
Behandlung derselben wohl gerne ein Plätzchen
einräumen.“
Hieraus ersieht man, dass die
Redaktion nicht mit derselben Leidenschaft und
Parteilichkeit die obschwebende
(vorher erwähnte unentschiedene)
Frage beurteilt, wie ihr
Mitarbeiter.
Letzterem werde ich aber auch nicht in einer
historischen Zeitschrift des Weiteren antworten. Ein
eingehendere Diskussion mit ihm über unser Thema ist
erst dann möglich, nachdem er seine Vorbildung bezüglich
der einschlägigen Fragen von Grund aus erweitert hat.
Überhaupt ist weniger von Interesse, was er sagt, als
vielmehr wie er's sagt.
Die Hast, mit der er gleich dem „Rezensenten“ der
„Kölner Volkszeitung“ zu Felde zog, lässt vermuten, dass
die Absicht bestand, mein Buch noch bevor es zum Leben
kam, tot zu machen.
Wie schon erwähnt, ist dieser Plan gescheitert.
Er fand bei den anderen katholischen Blättern keine
Billigung.
Diese schwiegen entweder in der
Absicht, den Ausgang des Streites abzuwarten, oder
brachten, wie die „Deutsche Reichszeitung“, das
„Märkische Kirchenblatt“ des Luther-Kenners Geistlicher
Rat Müller (Müller Eduard:
katholischer Geistlicher und Politiker)
und andere, objektiv gehaltene
Inhalts-Angaben der Schrift oder ergingen sich (wie es
insbesondere bei österreichischen1, bayrischen, französischen und
englischen Organen
(Fachblättern) der Fall
war) in direkt zustimmenden Erklärungen.
1
Vorzugsweise beschäftigten sich mit der Frage
die wissenschaftlichen katholischen Organe Österreichs.
Gegenüber der Tendenz-Kritik des Kölner Blattes scheint
es mir angemessen, hervorzuheben, dass Professor
Dr. Mathias
Hiptmair in der Linzer
„Quartal-Schrift“ die Broschüre „äußerst objektiv
geschrieben“ nannte.
Nur einigen fanatisch-protestantischen Blättern hatte
insbesondere die „Rezension“ der „Kölner Volkszeitung“
große Freude gemacht. Diese protestantischen Organe
hätten aber daraus lernen sollen, dass katholischerseits
eine viel größere Freiheit und Variation der Diskussion
besteht, als auf ihrer angeblich der „Freiheit“
dienenden Seite !
Die
Kritiker auf protestantischer Seite.
Die Zahl der protestantischen Zeitungen und
Zeitschriften, welche sich mit „Luthers Lebensende“
befassten, belief sich schon vier Wochen nach
Veröffentlichung der Schrift auf mehr als achtzig und
täglich wächst noch die Flut dieser Literatur. Es ist
mir daher kaum möglich, mich mit allen diesbezüglichen
Referaten zu befassen; ich muss mich vielmehr darauf
beschränken, nur die hervorragenderen Organe der
protestantischen Presse hier vorzuführen.
Es mag von ihnen ein jedes
ebenfalls in extenso (im
Erweiterten ausführlich) zu
Wort kommen.
Die erste Ruferin im Streit war
die „Magdeburgische Zeitung“, welche sich unterm 10.
Januar c. (calendario = im
Kalender)
also vernehmen ließ:
Römische Geschichtslügen.
Höchst merkwürdig ist die Art und Weise, wie die soeben
ausgegebene Schrift des bekannten ehemaligen Redakteurs
der „Germania“ und jetzigen Pfarrers von Hochkirch, Paul
Majunke, „Luthers Lebensende“, von der Verlagshandlung
Florian Kupferberg in Mainz, beim literarischen Publikum
eingeführt wird. Selbst die ultramontane
(streng päpstlich gesinnte)
„Kölnische Volkszeitung“ hat sie als geschichtlich
leichtfertig bezeichnet. Es heißt in dem Rundschreiben
der Verlagshandlung vom 27. Dezember v. J.
(vorigen Jahres):
„Die Frage, ob Luther eines natürlichen Todes gestorben
sei, ist aus Anlass des Luther-Jubiläums im Jahre 1883
von Neuem vielfach erörtert worden. Es entspann sich
über dies Thema ein literarischer Streit zwischen dem
Prediger
D.
Hermann
Terlinden zu Duisburg und der dortigen katholischen
„Volkszeitung“: eine Polemik, die zu keinem sicherem
Ergebnis führen konnte, weil man auf beiden streitenden
Teilen die einschlägigen Quellen nicht aufzufinden
vermochte. Majunke fördert nun diese Quellen zu Tage.
Aus denselben ergibt sich in überraschender und
unwiderleglicher (?!) Weise, dass Luther in der Tat ein
überaus trauriges Ende genommen hat.“ – Majunke wärmt
lediglich die niederträchtige Hypothese des den
Protestantismus mit allen Mitteln der Bosheit
bekämpfenden Thomas Bozius auf, die 1593 das Licht der
Welt erblickte, wonach Luther sich nach einer
überreichliche Mahlzeit am Vorabend in der Nacht des 18.
Februar 1546 selbst erhängt haben soll !!! Keinen
anderen Zeugen für diese dem Protestantismus in
frevelhaftester Weise ins Gesicht schlagende Hypothese
kann Majunke Bozius ins Treffen führen, als die
angebliche Aussage eines angeblichen, namenlosen*
Dieners Luthers, „der sich noch in jugendlichem Alter
befand, als sein Herr starb, und nach dessen Tode in die
katholische Kirche zurücktrat“ !
*
Rudtfeld,
dessen Alter sicher nichts über seine Glaubwürdigkeit
aussagt.
So
etwas nennt sich „historische Untersuchung“ und wendet
sich mit Pathos
(Leidenschaft / Nachdruck)
an
die „wissenschaftlichen Kreise“ ! Die von der
Verlagshandlung Florian Kupferberg gewagte Behauptung,
Majunke habe Quellen zu Tage gefördert, die bei der
Duisburger Kontroverse unbekannt geblieben seien, steht
mit der Tatsache im Widerspruch, dass Bozius eben so gut
wie seine dunklen Helfershelfer in dem Verleumdungswerk
wider Luther in der Terlinden'schen Schrift
Berücksichtigung erfahren hat.
Nach dem Vorworte von Majunke ist die vorliegende Frucht
seiner Studien speziell auch an die Adresse des
Evangelischen Bundes gerichtet als Antwort auf die
angeblichen „gehässigen Geschichtslügen“ gegen die
Katholiken.
Es werden als solche lediglich die protestantischen
Behauptungen von „schlechten Päpsten“, vom „römischen
Übermut“, von „römischer Tücke“ angeführt.
Auf diesen Klotz will Majunke den römischen Keil setzen.
Und damit vergleiche man nun die friedfertigen
Auslassungen
(Äußerungen)
des Fuldaer Hirtenbriefes !“
Ich bin mir bewusst, dass meine Schrift manche
protestantische Kritiker in Aufregung versetzen kann.
Ich will darum auch dem Verfasser des Vorstehenden sowie
den meisten der im Nachfolgenden vorzuführenden
Rezensenten manches zugutehalten, umso mehr, als bei
allen die Tatsache in die Augen springt, dass sie durch
einen Schwall von Schimpfreden die Schwäche ihrer
wissenschaftlichen Position zu vertuschen suchen.
Hat wohl der Kriticus
(Kritiker)
der „Magdeburger Zeitung“ auch nur einen einzigen
positiven Beweis gegen meine Darstellung erbringen
können ?
Er hat meine Quellen wohl verdächtigt, aber er hat seine
Verdächtigung nicht bewiesen.
Und wie ungeschickt verfährt er noch in der
Verdächtigung !
Er behauptet, dass Bozius „den Protestantismus mit allen
Mitteln der Bosheit bekämpfe“.
Demgegenüber behaupte ich, dass der Autor noch nicht
eine halbe Zeile von Bozius gelesen hat.
Wenn auch die Tatsachen, welche Bozius als Historiker
nicht verschweigen konnte, manchen unbequem sein
mochten, so trat er doch zugleich als dogmatischer
Polemiker in der Form so milde auf, dass wir an ihm
heute noch die Ruhe und Objektivität bewundern müssen.
Aber nicht einmal die Terlinden'sche Schrift hat der
Kritiker genau gelesen, geschweige denn den Bozius !
Er sagt, Bozius
und seine Helfershelfer hätten in der Schrift des Pastor
Terlinden „Berücksichtigung erfahren“.
Wie verhält sich die Sache ?
Pastor
Hermann
Terlinden hatte in Duisburg im
Jahre 1885 einen Vortrag gehalten, worin er u.a. die
Geschichtslüge für diskutierbar hielt, dass der
Kapuzinermönch Quiroga, der
Beichtvater der spanischen Infantin und Gemahlin
Ferdinand's III., einem von einem Verbrecher ihm
gemachten Plane zugestimmt habe, wonach der
Schwedenkönig Gustav Adolf für den Preis von 30 000
Dukaten ermordet werden sollte.
Hierauf erwiderte die katholische „Duisburger
Volkszeitung“:
„Dass
solches den Katholiken keineswegs gefällt, empfindet der
Herr Pastor vielleicht einigermaßen, wenn wir in Folge
dieser Provokation einer wohl mehr beglaubigten
Erzählung Erwähnung tun, wonach Luther nicht eines
natürlichen Todes gestorben sei, sonder sich selbst
erhängt habe.“
Nachträglich hatte die „Duisburger Volkszeitung“1
– in ihrer Nr. 254 vom 6.
November 1885 – der in den vorstehend angeführten Worten
enthaltenen Mitteilung die nachfolgende nähere
Formulierung respektive (beziehungsweise) Begründung
gegeben:
1
Der Auffassung der „Duisburger Volkszeitung“
traten auch noch andere katholische Blätter in
Rheinland-Westfalen bei.
„Als
Luther am folgenden Morgen – nachdem er nämlich am Abend
vorher „heimlich guter Dinge“ gewesen war – gar zu lange
schlief, schickte der Graf (Luther befand sich, als er
starb, am Hofe des Grafen von Mansfeld) einen Diener, um
zu sehen, warum der Mann Gottes so lange schliefe. Als
der Diener in die Kammer kam, fand er den Luther an der
Bettstatt hängen und erschrak so sehr, dass er
vermeinte, in Ohnmacht zu fallen. Nach erholten Kräften
lief er ganz todbleich hinab und sprach:
Ach, Ihre gräflichen Gnaden, was für ein Elend ist diese
Nacht unserm Haus entstanden, dergleichen sich kein
Mensch eingebildet hätte.
Der Graf erschrak hierüber und sprach:
Was ist denn das für ein Elend ?
Der Diener antwortete:
Ihre Gnaden kommen und sehen es selbst !
Also gingen diese beiden zum Zimmer und fanden zu ihrem
größten Herzeleid den teuren Mann ganz schwarz und braun
im Gesicht an der Bettstatt hängen.
Ach, wer will allhier
(eben hier an diesem Ort)
den gewaltigen Schrecken
beschreiben, welcher dem Grafen urplötzlich zum Herzen
schlug, der vor großem Jammer mehr tot als lebendig zu
sein schiene. Er führte auch eine so lebendige Klage,
welche kräftig genug zu sein schiene, den verstorbenen
Luther wieder zum Leben zu erwecken. Nach langem
Leidwesen bat er den Diener wegen der Ehre
des lutherischen Glaubens
und versprach ihm auch eine reiche Belohnung, dass er
den Körper ablösen und zierlich ins Bett legen und bei
den Leuten angeben sollte, dass der Mann selbige
(in derselben)
Nacht eines jähen Todes
verschieden sei;
bedrohte ihn auch hoch und teuer,
dass, wofern (insofern /
falls) er den unglücklichen
Tod offenbaren werde, er ihn hart strafen, ja aus dem
Hause vertreiben wolle.
Der Diener kam allem Gemeldeten getreulich nach und
schwieg auch von dem unseligen Tode des Luther, bis er
zu den Leuten kam.
Alsdann erzählte er etlichen vertrauten Freunden, was
für ein schreckliches Ende Luther genommen und wie er
sich selbst an der Bettstelle erhängt hätte.
Auf diese Weise kam das verborgene Geheimnis an den Tag
und verursachte ein großes Leid und Ärgernis unter
allen, die es hörten.
Der Graf, nachdem der Leichnam gewaschen und sauber ins
Bett gelegt war, ging ganz zerschlagen zu seinen
Hausgenossen und verkündigte ihnen mit sehr betrübten
Worten und Gebärden, dass ihr großer Prophet und neuer
Evangelist selbige Nacht verschieden sei.“
Die „Duisburger Volkszeitung“
berief sich dabei auf einen „alten, halb vermoderten
Codex (Sammlung von
Handschriften), anscheinend
aus dem 16. Jahrhundert, dessen Autor (Verfasser) sage,
dass seine Beschreibung des Todes Luthers herstamme von
Kardinal Stanislaus
Hosius, Joannes
Haren, Laurenz
Surius, Heinrich
Sedulius, Thomas
Bozius und etlichen anderen.“1
1
Auf nähere
Erkundigung wurde mir seitens der „Duisburger
Volkszeitung“ mitgeteilt, dass der „Codex“ ein
„gedrucktes Buch“ sei, bei dem das Titelblatt
herausgerissen sei.
Wie man sieht, war das Duisburger katholische Blatt ganz
auf richtiger Fährte;
aber die eigentlichen Quellen: Bozius, Sedulius usw.
waren ihm ebenso wenig, wie dem Verfasser der „Hamburger
Briefe“ zugänglich.
Da machte sich denn der Prediger Terlinden auf, um den
Bozius und seine „dunklen Helfershelfer“ zu erhaschen.
Aber auch ihm gelang es nicht.
Er berichtet darüber in der eigens von ihm
herausgegebenen Schrift:
„Luthers
Tod“ (Duisburg 1886):
„Wir
haben uns, um die von der „Duisburger Volkszeitung“
angeführten Quellen näher zu untersuchen, mit vier
Universitäts-Professoren – Kirchenhistorikern von gutem
Klang – drei evangelischen und einem katholischen –,
sowie mit einem hauptsächlich die Reformationsgeschichte
bearbeitenden Staatsarchivar
(Betreuer einer staatlichen Dokumentensammlung)
in Verbindung gesetzt. Diese fünf
mit der Literatur des Reformations-Zeitalters
hervorragend vertrauten Herren erklärten
übereinstimmend, dass ihnen die von der „Duisburger
Volkszeitung“ genannten Werke sämtlich
(gänzlich)
unbekannt seien !
Nicht zufrieden damit, recherchierten wir darauf in den
Bibliotheken dreier berühmter deutscher Hochschulen;
auch da war das Ergebnis: nicht vorhanden und unbekannt
!“
Nun vergleiche man mit Vorstehendem, was der Kritiker
der „Magdeburger Zeitung“ sagt !
Nach ihm hätte „Bozius ebenso gut wie seine dunklen
Helfershelfer in der Terlinden'schen Schrift
Berücksichtigung erfahren“ !
Nach der Ansicht des Autors scheint das keine Lüge zu
sein, nach seiner Meinung gibt es ja nur – „Römische
Geschichtslügen“ !
In
dem von ihm redigierten
(verfassten / bearbeiteten)
„Rheinisch-Westfälischen Gustav-Adolf-Blatt“ vom 1.
Februar c. brachte
er über „Luthers Tod“ einen Artikel, an dessen Spitze
zunächst Luthers Portrait prangte.
Wie stellte sich nun aber Herr Terlinden selbst zu
meiner Schrift ?
Dann hieß es wörtlich:
„Mit
dankbarer Freude blickt das deutsche evangelische Volk
wieder und wieder zu dem Manne empor, dessen
vertrauenerweckende, Jung und Alt liebgewordene Züge aus
vorstehendem Bilde uns grüßen. Sollte man es für möglich
halten, dass, nachdem erst die Bischöfe feierlich
erklärt haben: „Deutschland bedarf sowohl wegen seiner
konfessionell gemischten Bevölkerung, wie wegen der
politischen Weltlage mehr als irgendein anderes Land des
konfessionellen Friedens, weshalb jetzt am wenigsten die
Zeit ist zu gehässigen Glaubensstreitigkeiten“, alsbald
schon wieder ein „Simei“ (2. Sam. 16, 5.6) sich findet,
welcher das Andenken des dem evangelischen Deutschland
teueren Gottesmannes Dr. M. Luther mit den Steinen
schmutziger Verdächtigung bewirft ?
Dieser Mann ist der frühere Herausgeber der Berliner
„Germania“, jetzige Pfarrer von Hochkirch in Schlesien,
Paul Majunke. In einer bei Kupferberg in Mainz
herausgegebenen Schrift „Luthers Lebensende“ (1 Mark
20 Pfennig)
wärmt dieser Mann unter dem Vorgeben, er beabsichtige
nur eine „historische Untersuchung“ für
„wissenschaftliche Kreise“ die alte, ebenso alberne wie
frevelhafte Erfindung der Schriftsteller der
Gegenreformation auf, Luther habe sich nach einer
überreichlichen Mahlzeit am Vorabend in der Nacht des
18. Februar 1546 selbst erhängt.
Majunke muss zugeben, dass diese Verleumdung erst 1593 –
volle 47 Jahre nach Luthers seligem Ende ! – und zwar
zuerst bei dem Oratorianer
Thomas Bozius
(Gründer
des Oratoriums – der betenden Priestergemeinschaft - ist
der Heilige Philipp Neri)
aufgetaucht ist, der gar keinen
anderen Gewährsmann hat als einen jungen Burschen, der
bei Luther gedient habe wollte, nach dessen Tode aber
zur katholischen Kirche zurückkehrte !
Mit Behagen gibt Majunke die
unflätigen Berichte der geschworenen Feinde des großen
Reformators wieder, derselbe habe, ehe er sich mittels
eines Handtuchs am Bettstollen erhängt habe, 5 bis 6
Quart (1 Quart ist ca. 1
Liter) starken Weines
getrunken, auch habe die Leiche wegen ihres
„pestilenzialischen Gestankes“ die Träger verscheucht,
Hunderte von Raben aber angezogen !
Die Verlagshandlung nennt in ihrem
buchhändlerischen Rundschreiben solches Gebaren
(Verhalten)
ein Herabsteigen zu den „Quellen“.
Unter anständigen Leuten wird kein Zweifel darüber
bestehen, dass in diesem Falle der Ausdruck „Kloake“
sachgemäßer sein dürfte. Wir möchten nur wissen, da ein
katholischer Priester bei seinen Veröffentlichungen
vermutlich doch der Genehmigung seines Vorgesetzten
bedarf, ob Fürstbischof Dr. Kopp zu einer so unerhörten
Beleidigung des evangelischen Volkes seine Zustimmung
gegeben hat.
Da die Verlagshandlung der
Majunke'schen Schrift dieselbe ausdrücklich in Gegensatz
gegen die vor einigen Jahren erschienene Broschüre des
Herausgebers dieses Blattes gestellt hat, so werden die
Leser es verzeihen, wenn wir ihnen die Verbreitung
unseres Schriftchens
(kurzen Schriftstücks)
unter dem evangelischen Volke aufs Neue dringend ans
Herz legen. Es ist in demselben alles berücksichtigt,
was Majunke ins Feld führt. Man bestelle bei Johann
Ewich in Duisburg:
H. Terlinden, „Luthers Tod“, ein
Schutz- und Trutzwort
(gegenseitiger Schutz und gemeinsame Abwehr von
Angriffen / Trutz = Widerstand)
wider seine Verlästerer., Preis 25
Pfennig.“
Vorab hat sich Herr Terlinden einer Entstellung meiner
Beweisführung dadurch schuldig gemacht, dass er mich die
Mitteilung des Bozius in der Weise darstellen lässt, als
hätte damit der Welt etwas wesentlich Neues – 47 Jahre
nach Luthers „seligem“ Ende – kundgetan werden sollen.
Demgegenüber glaube ich wohl deutlich genug angedeutet
zu haben, welchen Inhalt die sofort nach Luthers Tode
kursierenden Gerüchte hatten, und deutlich genug war
wohl auch die Sprache der Kardinäle Hosius und Bellarmin
von mir wiedergegeben worden.
Die beiden Kardinäle sagten bekanntlich (ebenso wie
Claudius de Sainctes und andere), Luther sei „vom
Teufel“ erwürgt worden.
Kennt denn nun der Prediger Terlinden nicht den Brief
Luthers an Anton Lauterbach vom „Sankt Jakobstag 1542“ ?
Dort schrieb der „Reformator“:
„Was
Ihr mir, mein bester Anton, von des Teufels Gewalt über
jene drei Männer, die sich selbst erhingen
(erhängten),
schreibet, las ich ich nicht ohne Schrecken durch.
Dieses sind wahrlich die Vorboten der herannahenden
Strafgerichte Gottes über uns undankbare Verächter, da
Satan mitten in unserer Gemeinde solche Gräuel verübet.
Was für ein Ende wartet derer, die dem Evangelium nicht
glauben ?
Dergleichen Beispiele sind dem Volke vorzulegen, damit
sie lernen, Gott fürchten und Satans Macht nicht mit
solcher Sorglosigkeit verachten.
Er ist der Fürst der Welt, der höhnend uns vorspiegelt,
diese Männer hätten sich selbst erhänget, da doch er sie
erwürgte, indem er sie in der Täuscherei ihrer heiß
entflammten Phantasie glauben machte, sie hätten sich
selbst erdrosselt.“
Wie sind nun gerade bei dieser lutherischen
Interpretation jenes dreifachen Selbstmordes die
Mitteilungen von Hosius usw. aufzufassen ?
Nicht anders als so:
Lutherus per diabolum extinctus est -- sed per medium
manuum ipsius Lutheri.
Luther ist vom Teufel ausgelöscht worden – aber (auch)
mittels der eigenen Hände von Luther selbst.
Den letzteren Zusatz haben Hosius, Bellarmin, Claudius
de Sainctes usw. gewiss auch für zutreffend gehalten,
aber sie glaubten auch ohne denselben eine hinreichende
Erklärung von Luthers plötzlichen Tod zu geben.
Mit den konkreten Angaben des Augenzeugen trat erst
Bozius, eingehender Sedulius hervor. Aber nicht in der
Art, als hätten sie etwas wesentlich Neues enthüllt.
Auf ihre Mitteilungen war die Welt schon längst nicht
allein durch die Darstellung des Hosius usw., sondern
noch weit mehr und schon viel früher durch die
Leichenrede des Coelius und die von ihr erwähnten
Gerüchte vorbereitet.
Dass aber die Bestätigung der
längst für wahr gehaltenen Gerüchte in diesem Falle noch
immer viel Aufsehen machte, lag lediglich an dem –
leider herostratischen (aus
Ruhmsucht und Geltungssucht irrationale oder
verbrecherische Taten begehenden)
– Ruhme Luthers, der von sich selbst sagte:
„Notus
sum in coelo, in terra et inferno.“ (Seckendorf,
Historia Lutheranismi, librum III. pagina 651.)
„Ich
bin im Himmel, auf der Erde und in der Hölle bekannt
(berühmt-berüchtigt).“
(Ludwig von Seckendorf, Geschichte des Luthertums, Buch
III. Seite 651.)
Wenn ferner Herr Terlinden meint,
die hier in Betracht kommenden Quellen seien richtiger
gesagt (vielmehr)
„Kloaken“ zu nennen, so hat er übersehen, dass die
„Kloake“ ausschließlich auf seinem Terrain gelegen ist.
Der Luther gehört ihm und seinen Freunden, nicht uns;
bei uns war er einst.
Und wenn eine nähere Untersuchung mit Luthers Leben und
Sterben in die Atmosphäre der Kloake führt, so mag
Terlinden dies mit seinem „Heiligen“ selbst ausmachen.
Wir können ihm die Versicherung geben, dass wenn wir uns
mit dem Tode eines unserer Heiligen beschäftigen, uns
ein sehr angenehmer Duft entgegenweht.
Weiß denn überdies der „Geschichtsforscher“ Terlinden
nicht, dass wie der Arzt vor den Giftpflanzen, so auch
der Historiker vor Quellen nicht zurückschrecken darf,
die ihm persönlich zuwider sind ?
Und hat er denn ganz und gar
vergessen, dass er in seiner Schrift über „Luthers Tod“
uns erzählt hat, wie er sich alle Mühe gegeben hat, in
jene von ihm so übel beleumundeten
(in Verruf gebrachten)
Quellen einzudringen, dass er aber
hierzu weder durch seine eigene Gelehrsamkeit noch durch
die von vier Universitätsprofessoren,
„Kirchenhistorikern von gutem Klang, drei evangelischen
und einem katholischen“, sowie eines „hauptsächlich die
Reformationsgeschichte bearbeitenden Staats-Archivars“
und der Bibliothekare „dreier berühmter deutscher
Hochschulen“ – gelangen konnte.
Aber Herr Terlinden weiß sich Rat
(weiß sich zu helfen)
!
Geht’s mit der „Wissenschaft“ nicht, dann gibt es ja
noch Gewaltmittel !
„Wir
möchten nur wissen,“ schreibt er in seinem welschen
(fremdländischen / lateinisch
romanisierten) Deutsch, „da
ein katholischer Priester bei seinen Veröffentlichungen
vermutlich doch der Genehmigung seines Vorgesetzten
bedarf, ob Fürstbischof Dr. Kopp zu einer so unerhörten
Beleidigung des evangelischen Volkes seine Zustimmung
gegeben hat.“
Man beachte zunächst die
Taschenspielerei
(Taschenspieler-Kunststück / Taschenspieler-Trick),
mit der eine historische, für ausschließlich
wissenschaftliche Kreise berechnete Untersuchung über
die Person eines abgefallenen Mönches zu einer
Beleidigung des ganzen evangelischen Volkes in allen
seinen verschiedenen Parteischattierungen
(Lagern / Interessengruppen)
gestempelt wird !
Hat denn Herr Terlinden gar keine
Ahnung davon, was er aus seiner „Kirche“ macht, wenn er
sie so völlig
(gänzlich) mit den
Lehren und dem Leben jenes abgefallenen Mönches
identifiziert ?
Wie ist denn Gustav-Adolph, dessen
Portrait an der Spitze jeder Nummer des Terlinden'schen
Organs (Zeitung)
steht, mit den katholischen
Bischöfen umgegangen ?
Wie haben die Freunde des Herrn Terlinden während des
letzten „Kulturkampfes“ gejubelt, wenn ein Bischof ins
Gefängnis zog !
Wie haben die Herren seit den
Tagen des Syllabus
(päpstliche Auflistung kirchlich verurteilter
religiöser, philosophischer und politischer Lehren)
geschrien über
„hierarchische Anmaßung“, über „Index“
(Index Librorum Prohibitorum, das
Verzeichnis der verbotenen Bücher, auch „Römischer
Index“ genannt , war ein Verzeichnis der römischen
Inquisition seit 1559, das ca. 6000 Bücher auflistete,
deren Lektüre als schwere Sünde galt, bei manchen dieser
Bücher war als kirchliche Strafe die Exkommunikation
vorgesehen, abgeschafft nach dem Zweiten Vatikanischen
Konzil) und „Inquisition“ –
und nun soll der verhöhnte „Krummstab“
(Stab des Hirten / Bischofsstab)
auf einmal der protestantischen „Wissenschaft“ zu Hilfe
kommen, nachdem ihr der Atem ausgegangen ist !
Nein – ihr Herren, im Katholizismus herrscht eine andere
Freiheit, als sie Luther und die „Reformatoren“
eingeführt haben !
Ohne zu befürchten, bei einem
Bischof oder beim Papste anzustoßen, darf jeder
katholische Priester in der ganzen Welt schreiben, was
ihm beliebt, sobald (solange)
er nicht gegen die Glaubens- und Sittenlehre der Kirche
verstößt und nicht das Ansehen der von Gott eingesetzten
Autoritäten verletzt.
Herr Terlinden mag sich nur den
vielberufenen (oft genannten)
Fulda'er Hirtenbrief, vor allem
die letzte Enzyklika Leo's XIII. über die Pflichten des
christlichen Bürgers sorgfältiger durchlesen ! –-
Das Ärgste aber leistet Herr
Terlinden am Schlusse seines Artikels, wo er seine
Schrift nach dem Vorgange der „Magdeburger Zeitung“ mit
dem Bemerken (mit der Bemerkung)
anpreist, dass er in derselben
„alles berücksichtigt“ habe, was in dieser Sache
vorzuführen (anzuführen)
sei.
Also Herr Terlinden, der nach eigenem Geständnis trotz
größter Anstrengung von seiner und fremder Seite die
einschlägigen Quellen nicht hat auffinden können,
behauptet kurzweg, dass er dieselben „berücksichtigt“
habe !
Bei einem solchen
„Geschichtsstudium“ kann man sich allerdings nicht
wundern, wenn Herr Terlinden die beiden ärgsten
Verwüster (Zerstörer - im Sinne von Chaos
schaffend) des deutschen
Vaterlandes, Luther und Gustav-Adolph, als hochverdiente
Heroen (Helden / Halbgötter)
hinstellt !
Doch verlassen wir den armseligen
Pastor und „Geschichtsforscher“ am Rheine, um uns einem
klangvolleren Namen zuzuwenden. Sein Träger ist
Adolf Stöcker.
Da innerhalb des Protestantismus
jeder Pastor eine eigene Kirchenzeitung haben möchte,
weil jeder etwas anderes glaubt, als der einen Kilometer
von ihm entfernte Nachbar, so hat auch Herr Hofprediger
Stöcker in Berlin vor vier Jahren das Bedürfnis gefühlt,
sich ein besonderes Organ
(Zeitungsmagazin) zu
gründen.
Er nennt
dasselbe „Deutsche evangelische Kirchenzeitung“.
„Wochenschrift
zur Pflege evangelischen Gemeindelebens und zur
Förderung kirchlicher Selbstständigkeit“.
Als „verantwortlicher Redakteur“ des Blattes zeichnet
ein Dr. Otto Pohl.
Abgesehen von der Person des Begründers dieser
Zeitschrift konnte man gespannt darauf sein, wie ein
Organ der „kirchlichen Selbstständigkeit“ über „Luthers
Lebensende“ sich auslassen würde.
In der Tat ließ sich auch die „Deutsche evangelische
Kirchenzeitung“ bald – in Nr. 5 vom 1. Februar –
vernehmen.
Aber – oh
Überraschung !
Statt einer „selbständigen“
Rezension brachte sie wortwörtlich den oben mitgeteilten
Artikel der „Magdeburger Zeitung“ ohne jeden Zusatz und
noch obendrein (überdies)
ohne alle Quellen-Angabe !
Es kommt häufig vor, dass politische Tagesblätter
wissenschaftlichen Zeitschriften Artikel über ein
wissenschaftliches Thema entnehmen – selbstverständlich
soll es immer unter Angabe der Quelle geschehen; – dass
aber das umgekehrte Verhältnis stattfindet, gehört zu
den größten Seltenheiten.
Ich weiß nicht, ob im vorliegenden
konkreten Falle Herrn Stöcker oder Herrn Pohl
persönliche Schuld beizumessen ist. Aus anderen
Artikeln aber ersieht man allerdings, dass Herr Stöcker
seinem Organ eine sehr große Aufmerksamkeit schenkt.
Jedenfalls hat Herr Stöcker mir die Sache sehr leicht
gemacht; ich bin mit ihm schon fertig.1
1
In der Sitzung des preußischen
Abgeordnetenhauses vom 18. März kam Herr Stöcker noch
einmal auf die Sache zurück, ohne irgendetwas Sachliches
vorzubringen.
Siehe unten das betreffende Kapitel.)
Wörtlich wie Stöcker respektive
(beziehungsweise)
Pohl hatte auch die „Göttinger Zeitung“ (vom 14. Januar
c.
calendario = im
Kalender)
ihr Referat
(Bericht / Vortrag)
aus der „Magdeburger Zeitung“ abgeschrieben, ebenfalls
ohne Quellenangabe.
Eingehender mit der Sache befasste sich die „Jena'er
Zeitung.“
Dieselbe brachte (am 16. Januar) einen Artikel folgenden
Inhalts:
„Über
Luthers Lebensende“
Die Aufwärmung der aus jesuitischer Quelle geflossenen
Lüge durch den Pfarrer Paul Majunke, Dr. Martin Luther
habe kein natürliches Ende gehabt, hat in allen
evangelischen Kreisen die tiefste Entrüstung erregt. Die
große Lüge ist schon wiederholt als solche
gekennzeichnet worden, trotzdem ist sie jetzt
wiedererstanden und deshalb soll ihr auch wieder mit
geschichtlichem Material entgegengetreten werden.
Solches Material übermittelt uns heute in dankenswerter
Weise ein Leser unserer Zeitung aus den auf
Quellenstudien beruhenden „Müllers Annalen des Kur- und
Fürstlichen Hauses Sachsen“. In diesen Annalen wird über
Luthers letzte Lebenstage das Folgende mitgeteilt:
1546.
17. Januar hielte
(hielt)
D.
Luther zu Wittenberg seine letzte Predigt, und reisete
(reiste)
darauf mit seinen dreyen
(drei)
Söhnen von dar
(von hier weg),
am 23. eiusdem
(desselben Tages)
uff'
(auf)
vorher von dem Grafen zu Mansfeld an denselben
abgelassenes
(erlassenes / eingereichtes)
Ersuch-Schreiben
(schriftliches Ansuchen / Antrag),
nach Eisleben, um denen
(deren)
gütlichen
(einvernehmlichen
/ einträchtigen / friedlichen)
Traktaten
(Vertrags-Abhandlungen),
welche wegen der unter ihnen über der Gräntze
(Grenze)
und dem Bergwerke entstandenen Irrungen
(Uneinigkeiten / Streitfälle)
angestellt waren
(ausgelöst wurden),
mit beizuwohnen, wiewohl
(obwohl)
er
es
sonst nicht gewohnt war, sich in weltliche Händel
(Vorgänge / Geschäfte)
zu mischen
(einzumischen),
weiln
(weil)
es
aber sein Vaterland mit betraff
(betraf),
so übernahm er solchen Auftrag um so viel desto
(umso mehr viel)
willicher
(williger / entschlossener)
über
(auf)
sich, ohnerachtet
(ungeachtet)
er sich über dieses
(dabei)
dazumahl
(dazumal / zu dieser Zeit)
nicht allerdings
(wirklich / völlig)
wohlauff
(wohlauf / bei guter Gesundheit)
befand, indem er mit
(wegen)
Flüssen
(Wasserscheu)
und Schwindel
(Schwindelgefühlen)
sehr beladen
(belastet)
gewesen
war,
sich auch deshalben
(deshalb)
in Fontinell
(mittelalterlicher Kurort mit Brunnenhaus, oder: Ort mit
röm. Heiligtum namens Porta Fontinalis - das „Quelltor“
im Süden des Marsfeldes)
sitzen lassen
(niedergelassen / nach Fontinell hat versetzen lassen).
24. eiusdem
(desselben Tages).
Kam er in Halla (Stadt
Halle) an, kehrte bei D.
Justo Jona (Dr. Justus
Jonas) Superintendenten
daselbst ein, und musste wegen der ergossenen
(hoch wasserführenden / über die
Ufer tretenden) Saale
(Fluss bei Halle) 3. Tage
stille liegen (sich 3 Tage
zur Erholung und Ruhe niederlegen).
26. eiusdem
(desselben Tages).
Dienstags nach Pauli-Bekehrung
(Bekehrung von Saulus zu Paulus)
predigte er zu Halla
(Halle)
in der Frauen-Kirche, aus der Apostel-Geschichte von
Pauli-Bekehrung.
28. eiusdem
(desselben Tages).
Satzte (setzte)
D. Luther seine Reise fort, und
fuhr mit seinen dreyen
(drei) Söhnen, und mit
gedachtem (dem erwähntem)
D. Jona, nicht ohne
augenscheinliche
(offensichtliche / unverkennbare)
Lebens-Gefahr, auf einem Kahn
(Boot)
über die Saale, bey
(bei)
dieser Überfahrt sagte Er zu D. Jonaßen:
„Mein
lieber D. Jonas, wäre das dem Teuffel
(Teufel)
nicht ein feiner Wohlgefalle
(Wohlgefallen),
wann (wenn)
ihr und ich mit meinen dreyen
(drei)
Söhnen itzo
(jetzt)
in dem Wasser ersöffen
(ertrinken würden).“
Auff der Eißlebischen Gräntze
(an der Grenze von
Eisleben) wurde derselbe
mit 113 Pferden angenommen
(von 113 Reitern in Empfang genommen),
befand sich aber, ehe er noch in die Stadt kam, ziemlich
schwach, dass man sich auch
wegen
seines Lebens befahrte
(fürchtete / Sorgen machte),
als er aber in seinem Logirzimmer
(Logierzimmer)
mit warmen Tüchern gerieben wurde,
ward (ging)
es Ihm besser, dass er uffen
(am)
Abend seine Mahlzeit zu sich
nehmen konnte, von welcher Zeit an Er drey ganzer Wochen
(während drei Wochen)
denen
(den)Traktaten alltäglich
mit beygewohnet (beiwohnte),
und nichts destoweniger
(trotzdem) inzwischen
vielmahl (mehrmals)
geprediget
(gepredigt hat),
auch das heilige Abendmahl zweymal
(zweimal)
genossen und einen Priester
ordinirt (ordinierte /
geweiht hat).
17. Februar. Mittwochs nach
Valentini
(Valentinstag)
entschläget (befreite)
Er sich, uff
(auf)
des Grafen Veranlassung hin,
weiln (weil)
Er sich etwas schwach befunden
(befand),
die Handlung (von der
Verhandlung), bleibt in
seinem Studir-Stüblein
(Studier-Stube) halb
angekleidet, und thut
(verrichtet) sein Gebet
gantz ernstlich (ganz
ernsthaft), stellet
(gebar / stellte)
sich auch immer hurtig
(lebhaft beschwingt / fleißig und flink)
und frisch
(munter),
saget (sagte)
aber zu D. Jonaßen
(Doktor Jonas),
und M. Celio (Michael
Cölius), Ich bin hier zu
Eißleben (Eisleben)
geboren und getaufft
(getauft),
werde auch wohl da sterben, des Abends speisete
(speiste)
Er mit in der großen Tafel-Stube
(Speisesaal mit großem Tafeltisch),
wobey (wobei)
er viele
herrliche Sprüche göttlicher
Schrift erklärte, und endlich
(am Ende)
sagte:
Wenn ich zwischen denen
(den)
Grafen, den Herren meines
Vaterlandes, Einigkeit gestiftet habe, will ich nach
Hause, mich in den Sarg legen, und meinen Leib den
Würmern zu verzehren geben, sich darbey frölich erzeiget
(dabei zeigte er sich
fröhlich) und mit unter
gescherzet (scherzte
mitunter). Nach geendigter
Abend-mahlzeit wird Er wiederum sehr schwach, klaget
(klagte)
über Engbrüstigkeit
(Kurzatmigkeit / Atembeschwerden
durch Brustverengung), will
aber keinen Medicum (Arzt)
holen lassen, und begehrt
nur, dass man Ihn mit warmen Tüchern sollte reiben,
darauff (daraufhin)
Er in
(an)
die zweieinhalb Stunden sanfft
(sanft)
geschlaffen
(geschlafen hat).
18. Februar. Donnerstag früh
Morgens um 1 Uhr sagt Er zu D. Jona
(Doktor Jonas), wie übel
wird mir, Ich fühle großes
Hetzbeklemmen
(Schmerzen durch Herzverengung),
Ich werde wohl zu Eißleben sterben, läßet
(lässt)
sich wieder vom Bette in das
Gemach bringen, und da
(während) Er über die
Thür-Schwelle (Türschwelle)
schreitet, spricht Er:
Vater, in deine Hände befehle
ich meinen Geist, du hast mich erlöset
(erlöst),
du treuer Gott. Worauff
(worauf) zwey
(zwei)
Medici
(Ärzte)
in aller Eyl geholet (in
aller Eile geholt wurden),
auch Graff (Graf)
Albrecht mit seiner Gemahlin
gewecket werden (aufgeweckt
wurden), welche eylends
(eilig)
kommen, und ihm Krafft-Wasser
(heilkräftiges Tee-Gebräu)
und andere
Stärck-Artzeneyen
(stärkende Arzneien)
beybringen (ohne sein
Wissen verabreichen / darbringen / herbeischaffen /
darin unterweisen), Er
fähret aber fort, und spricht wieder
(er aber fährt damit fort, wieder
zu sprechen:), Vater in
deine Hände usw., sincket darauff abermahl
(sank darauf abermals)
in eine starke Ohnmacht, und da
Ihm die Gräfin wiederum Krafft-Wasser einflößete
(heilkräftiges Lebenskraft-Wasser
einflößte), auch D. Jonas,
und M. Celius ihm zurufften
(laut zuriefen / ihn anspornten),
und sprachen: Habt Ihr auch Euern HErrn JEsum
(euren Herrn Jesus),
den Sohn Gottes, euern Heyland
(euren Heiland) und
Seligmacher
(seligmachenden) in euern
Hertzen (in eurem Herzen),
und wollet (wollt Ihr)
auf sein Verdienst hin
(zu seinem Ruhm)
sterben ?
Antwortet Er mit lauter Stimme,
Ja, Ja, worauff (worauf)
seine Stirn und das gantze
(ganze)
Gesicht erkaltete,
und ob (als)
sie Ihn wohl sodann schüttelten, auch mit Nahmen, D.
Martin, zurufften (mit
seinem Namen Doktor Martin laut anredeten),
antwortete Er weiter (des
Weiteren) nichts, sondern
gab mit zusammen-gefalteten Händen sanfft
(friedlich / sanftmütig)
und stille
(lautlos still),
und ohne die geringste Regung eines Fingers noch Beines,
gegen Morgen zwischen zwey
(2) und drey
(3)
Uhr, seinen Geist auff
(auf). Nachdem er sein
Alter gebracht auff (auf)
63 Jahre,
3 Monate und 10 Tage.
Der eine Medicus
(Arzt),
Doktor Ratzenberger, hat gemeynet
(meinte),
weil er der selige Mann, Doktor Luther, das nicht gar
lang gehabte Fontinell
(Kurort mit Brunnenhaus) zu
warten (in Stand zu halten
/ zu reparieren) und offen
(geöffnet / zugänglich)
zu halten vergessen hat,
und es zugefallen
(zusammengefallen / verfallen ist),
so sey (sei auf diese
Weise) die schädliche
Materie (Inhalt an
Körpersäften z.B. Eiter / Stoffe / körperliche
Widerstandskraft) auf ihn
zurückgetreten, Ihme (ihm)
in den Leib geschlagen
(eingedrungen / zu Leibe gerückt),
und dadurch der Tod beschleunigt worden
ist.
Den todten
(toten)
Leichnam hat man in einen neuen
Schwebischen (schwäbischen)
langen Sterbe-Kittel
(weites mantelartiges Totenhemd)
gekleidet, und auf dem Stroh so
lange liegen lassen, biß der Sarg gefertiget
(fertig gestellt wurde),
und Er darinn (darin
hinein) gelegt worden
ist.
Inzwischen haben Ihn viele
100 Leute und unter diesen
Fürst Wolff zu Anhalt, Graf Hanß Heinrich zu
(von)
Schwarztburg, die sämmtlichen Graffen zu Manßfeld
(sämtliche Grafen von Mansfeld),
nahmentlich (namentlich
aufgelistet):
Philipp, Johann Georg, Gebrüder,
Hanß und Wolff, auch Gebrüder, Hoyer und Vollrad,
ingleichen (desgleichen
ebenfalls) Gebhardt mit
seinen zweyen (zwei)
Söhnen, Georgen und Christoffen,
wie auch verschiedener
(unterschiedlichen Ranges)
von (vom)
Adel, sowohl uff
(auf)
obberührtem
(obgenanntem)
Stroh, als
auch
nachgehends (danach)
in dem Sarge liegen gesehen
haben,
und männiglich (jedermann)
heiße Thränen
(leidenschaftlich bittereTränen)
über sein Absterben vergossen
hat.
19. Februar. Nachmittag um 2 Uhr wurde die Leiche in
Begleitung obenbenanndter
(oben genannter)
Fürsten, Grafen und Herren, wie
auch vieler von Adel, und einer großen Menge Volcks
(des Volkes),
an Mannes- und Weibes-Personen
(bestehend aus Männern und Frauen)
in die Haupt-Pfarr-Kirche zu Sankt Andreas getragen, und
von Doktor Jona eine Leichpredigt abgelegt
(Leichen-Predigt gehalten).
Nach u.s.w. (und so weiter)
Diese Annalen
(geschichtlichen Aufzeichnungen)
umfassen die Zeit von 1400
bis 1700 und sind herausgegeben von „Johann Sebastian
Müllern, F. S. Geheimm- und Lese-Secretarium
(Fürstentum Sachsen / Geheim- und Lehns-Sekretär /
Verwaltungsbeamter für schriftliche
Lehns-Angelegenheiten ),
auch gemeinschafftlicher Archivarium
(Staats-Archivar / Betreuer der
Dokumenten-Sammlung) zu
Weimar“, im Verlag von Johann Ludwig Gleditsch,
Buchhändlers in Leipzig anno 1701.
Dieser Autor bekundet gleich in seiner Einleitung seine
wissenschaftliche Qualifikation. Schon im ersten Satze
gibt er sich die Blöße, zu behaupten, dass die „Lüge“
über Luthers Ende „aus jesuitischer Quelle“ geflossen
sei.
Bekanntlich figuriert
(angeführt / beziffert) ist
unter den hier in Betracht
kommenden Quellen-Schriftstellern nicht ein einziges
Mitglied des Jesuiten-Ordens.
Was der Verfasser dann aus den
„auf Quellenstudien beruhenden Müller'schen Annalen des
Kur- und Fürstlichen Hauses Sachsen“ vorführt, ist eine
in Form eines Tagebuchs zusammengebrachte, aus der „Historia“
(Historie),
aus Luthers „Tischreden“ und aus eigener Phantasie des
Schreibers entnommene Kompilation
(Zusammenstellung / aus
verschiedenen Werken zusammengeschrieben).
Die von Jonas in der „Historia“ niedergeschriebene Lüge,
dass Luther noch ein paar Minuten vor seinem letzten
Atemzuge auf die Frage, ob er das lutherische Evangelium
anerkenne, mit „Ja“ geantwortet habe, wird hier durch
ein doppeltes „Ja“ verstärkt.
Mit welchem Mangel an Kritik der
Verfasser geschrieben hat,
geht schon daraus hervor, dass er den einen der beiden
Eislebener Ärzte, welche man zu
Wiederbelebungs-Versuchen zu Luthers Leichnam geholt
hat,
den damals gar nicht in Eisleben anwesenden, zu
Wittenberg wohnhaften kurfürstlichen Leibarzt Dr. Ratzenberger
sein lässt.
Und solches unwissenschaftliches
Zeug (unsinniges Machwerk)
wagt sich in der
protestantischen Musenstadt Jena ans Tageslicht !
Zwei Tage nach der „Jena'er Zeitung“, am 18. Januar,
ließ sich die „Augsburger Abendzeitung“ vernehmen.
Dieselbe schrieb:
„Die
Lorbeeren
Johannes
Janssen's haben Herrn
Majunke nicht schlafen lassen.
Der bekannte ehemalige Reichstags-Abgeordnete und
Redakteur der „Germania“, der nun irgendwo Seelsorge
treibt, ist auch unter die Historiker gegangen.
Er hat sich veranlasst gesehen, eine „historische
Untersuchung“ über
„Luthers Lebensende“
anzustellen und dieselbe zu veröffentlichen. Und was
selbst Janssen nicht entdeckt hat, oder vielmehr was ihm
denn doch aus zu verdächtigen und unsauberen Quellen zu
stammen schien, um es zur „historischen Wahrheit“ zu
rechnen, das verkündigt nun Majunke zuversichtlich und
laut als solche.
Er hat nämlich
gefunden und glaubt es „unwiderleglich“
(unwiderlegbar)
bewiesen zu haben,
dass Luther – keines natürlichen Todes gestorben sei,
sondern, nachdem er am Abend reichlich gegessen und
getrunken, in der Nacht sich am Bettstollen erhängt
habe. Aber wie beweist der Mann das ?
Sehr einfach ! Es
gibt bekanntlich einen Bericht über Luthers Tod, der
alsbald nach demselben von dreien seiner Freunde, die an
seinem Sterbebett gestanden hatten, verabfasst
(verfasst)
wurde.
Dieser Bericht hat
nach Majunke keine Beweiskraft, denn er rührt ja von
Freunden Luthers her. Dagegen hat ein katholischer
Schriftsteller, nachdem schon vorher allerlei Gerüchte
umgelaufen waren
(zirkulierten),
im Jahre 1593 zum erstenmal die obige Darstellung
veröffentlicht, unter der Angabe, dieselbe von einem
früheren Diener Luthers erfahren zu haben, der später
zur katholischen Kirche zurückgetreten sei. Diese
angebliche Aussage eines namenlosen Dieners Luthers, 47
Jahre nach dem Tode des Reformators von einem
fanatischen katholischen Polemiker ans Licht gefördert,
gilt nun im Gegensatz zu jenem authentischen Berichte
der Augenzeugen für Majunke als zuverlässige und
zweifellos sichere Geschichtsquelle.
Man muss es
wirklich selber lesen, um es glaublich zu finden.
Die Sache ist
eigentlich zu ernst, um darüber zu scherzen; aber ich
kann mir nicht helfen, es kommt mir die bekannte
Beweisführung aus der Einleitung zum Märchen von
„Swinegel“
(Der Hase und der Igel –
von Wilhelm Schröder, Grimm-Märchen)
in den Sinn:
„Disse
Geschicht ist lögenhaft to vertellen, Jungens, aber wahr
mutt se doch sien, anners kunn (sonst könnte) man se jo
nich vertellen.“
„Diese
Geschichte ist lügenhaft zu erzählen, Jungens, aber wahr
muss sie doch sein, (denn mein Großvater, von dem ich
sie habe, pflegte immer, wenn er sie mir vorgesponnen
hat, dabei zu sagen: Wahr muss sie doch sein, mein
Junge), sonst könnte man sie ja nicht erzählen.“
Dieser
Grundstock der Schrift ist nun noch mit allerlei
Zierwerk umkleidet. So erfährt man z.B., ohne dass
allerdings eine „historische“ Untersuchung über die
Glaubwürdigkeit der Tatsache angestellt, aber auch ohne
dass dieselbe angezweifelt würde, dass Luthers Leiche
einen „pestilenzialischen Gestank“ verbreitet habe,
durch den Hunderte von Raben angezogen worden seien. Ja,
der Tod Luthers wird – und damit spricht Majunke nicht
bloß die Auffassung eines früheren Berichterstatters,
sondern ausdrücklich seine eigene Meinung aus – direkt
auf den Teufel zurückgeführt, insofern dieser ihn zum
Selbstmord gereizt habe; denn Luther sei
damals ohnedem
(ohnehin)
in äußerst trüber Gemütsstimmung
gewesen und „diesen Moment schien der Feind des
Menschengeschlechts für geeignet gehalten zu haben, um
ihn zur Verzweiflung zu bringen“. – Was soll man dazu
sagen ?
Man kann es
begreiflich, ja sogar entschuldbar finden, dass im 16.
Jahrhundert in der Aufregung des Kampfes allerlei
unsinnige und gehässige Gerüchte verbreitet und geglaubt
wurden. Aber dass in unserer Zeit ein gebildeter Mann,
ein Geistlicher, der sich zu den Führern seines Standes
und seiner Partei zählt, in solchem Kot umherwühlen und
damit das Andenken eines großen Mannes bespritzen kann,
und dass er hoffen darf, damit Erfolg zu erzielen, das
hätte man doch nicht für möglich halten sollen, das ist
doch ein überaus trauriges Symptom. – Dass es
irgendeiner Entschuldigung bedürfe, warum er gerade
jetzt mit solch einer „Nachweisung“
(Nachweis)
komme, das hat auch Herr Majunke
gefühlt. Aber er war nicht verlegen, sie zu finden. Hier
ist sie. In der Vorrede liest man:
„Erst
in der jüngsten Zeit sprachen die Anhänger des
„Evangelischen Bundes“ wieder von den „schlechten
Päpsten“, vom „römischen Übermut“, von „römischer
Tücke“, –
so mögen in specie
(in bar)
den Mitgliedern jenes „Bundes“ im
Nachfolgenden aus der Geschichte ihrer „Kirche“ einige
Blätter gewidmet werden.“
Da sehen wir,
was wir uns noch erlauben dürfen. Wenn wir es wagen, von
„schlechten Päpsten“ zu reden, deren Vorhandensein doch
von den ernstesten und treuesten Gliedern der
katholischen Kirche selbst oft schmerzlich beklagt
wurde, wenn wir es wagen, auch nur über die Politik der
römischen Kurie und ihrer Anhänger, nicht über die
religiösen Gesinnungen unserer katholischen Mitbürger,
ein tadelndes Urteil zu fällen, so wird man uns mit
allem Schmutz bewerfen, den man aus der Vergangenheit
hervorsuchen kann.
Damit soll die Erwartung des
Fuldaer Hirtenbriefes
(Bischofskonferenz in
Fulda)
erfüllt werden, wohl dass es den
Bischöfen gegönnt sein werde, bei ihren Diözesanen
„Zeugen jener christlichen Nächstenliebe zu sein, die
sich nie eine Linie breit von dem heiligen Gesetze
entfernt, das uns der Gottmensch durch Wort und Beispiel
gepredigt
hat,
Böses mit Gutem zu vergelten“. Nun, uns kann's recht
sein. Wer solche Polemik
betreibt,
schadet nur sich selbst. Aber man muss doch die Produkte
derselben etwas niedriger hängen, damit man von der
Sanftmut der vom Evangelischen Bund so schnöde
(verachtenswert /
gemein)
angefallenen Lämmer
die rechte Vorstellung bekommt. Und davon soll uns auch
die heuchlerische Versicherung der Vorrede nicht
abhalten, dass die Schrift nicht fürs Volk, sondern nur
für wissenschaftliche Kreise berechnet sei.
Saubere
„wissenschaftliche Kreise“, für die ein solches Opus
(Werk)
berechnet ist !“
Wie man
sieht, steckt in allen diesen, zum Teil komisch
wirkenden Entrüstungs-Phrasen auch nicht eine Spur von
dokumentarischem Gegenbeweis gegen meine Behauptungen.
Es wird darum genügen, wenn ich diese Leistung ebenfalls
„niedriger hänge“.
Zu noch
größerem Humor regte das Verhalten des Berliner
„Reichsboten“ an.
Die Verlagshandlung von
Florian
Kupferberg hatte dieser, wohl am
meisten von der protestantischen Geistlichkeit gelesenen
täglich erscheinenden theologisch-politischen Zeitung
ein Inserat über die Schrift „Luthers Lebensende“
zugehen
(zukommen)
lassen, welches auch bald unter den übrigen Annoncen
(Anzeigen)
im Druck erschien. Aber schon einige Tage nachher, am
26. Januar, entschuldigte sich dieserhalb
(deshalb)
die Redaktion des Blattes im
„Briefkasten“ mit nachstehenden Worten:
„Professor
Dr. G. Wir haben erst erfahren, dass jenes Inserat über
das Buch Majunke's im „Reichsboten“ stand, als uns ein
Leser darauf aufmerksam machte.
Wir (die Redaktion) sind so mit Arbeit überhäuft, dass
wir unmöglich die Inserate
(Zeitungsanzeigen)
kontrollieren können und die Herren der Expedition
(Versand-Abteilung)
sind Kaufleute, die jenes Inserat ganz unbefangen
aufnahmen.
Wir haben, sobald wir davon
erfuhren, die Sistierung
(Rücknahme /
Aufhebung)
angeordnet. (Die Redaktion)“
Damit der schon
(bereits)
wegen einer bloßen Annonce geängstigte
„wissenschaftliche“ Sinn des Professors noch mehr sich
beruhige, brachte der „Reichsbote“ am 30. Januar
nachstehende Zuschrift:
„In
Nr. 23 entschuldigt sich der „Reichsbote“, dass in dem
Inseraten-Teil die Schrift Paul Majunke's: „Luthers
Lebensende“ angezeigt wurde. Meiner Meinung nach kann
die Verbreitung dieses Machwerks in evangelischen
Kreisen nur angelegentlichst
(nachdrücklich / gelegentlich)
empfohlen werden.
Die Lüge ist
zu plump, um gefährlich zu sein.
Als bereits ein Jahr
vor
Luthers Tode eine ähnliche Lüge
(„Welsche
Lügenschrift“)
über sein Lebensende verbreitet
wurde, ergötzte sich der Reformator darüber und äußerte
sich folgendermaßen:
„Ich
Martinus Lutherus D. bekenne und zeige mit dieser
Schrift, dass ich solches zornige Gedichte vor meinem
Tode empfangen habe und fast gern und fröhlich gelesen,
ausgenommen die Gotteslästerung, da solche Lügen der
hohen göttlichen Majestät wird zugeschrieben: Sonst tut
mir's sanft auf der rechten Kniescheibe und
an der linken Fersen, dass mir der
Teufel und seine Schupen
(Haut-Schuppen),
Papst und Papisten
(Papstanhänger),
so herzlich feind sein, Gott bekehre sie vom Teufel.
Ist's aber beschlossen, dass mein Gebet für die Sünde
zum Tod vergeblich ist, wohlan so gebe Gott, dass sie
ihre Maß voll machen und nicht anders denn solche
Büchlin
(Büchlein)
zu ihrem Trost und
Freuden schreiben.“
Dieselbe
Taktik möchte noch heute zu empfehlen sein.
Ich habe mir
aufgrund des Inserats die „historische Untersuchung“ von
Paul Majunke kommen lassen und bin überzeugt, dass sie
jedem Evangelischen die Augen öffnen kann darüber, wie
man auf gegnerischer Seite „Historie“ macht.
Zum
Ausgangspunkt dient die vorgebliche Aussage eines
ehemaligen Dieners Luthers, die aber, wie Majunke selbst
angibt, im Jahre 1589, d.h. also 43 Jahre nach Luthers
Tode, noch nicht bekannt war. Erwähnt wird sie erst 1593
bei einem katholischen Schriftsteller. Die Berichte der
Augenzeugen, wie sie unmittelbar bei Luthers Tode
veröffentlicht wurden, sind natürlich nach Majunke
lügenhafte Erdichtung. Jene Nachricht aus dem Jahre 1593
ist ihm das erste authentische Zeugnis von Luthers
Lebensende. Er erhärtet dasselbe durch Gründe innerer
Wahrscheinlichkeit und man kann ihm dabei allerdings
nicht jene „vielleicht übertriebene Rücksichtnahme auf
protestantische Zeitgenossen“, wie sie nach Majunke seit
100 Jahren von der katholischen Kirche geübt wird,
vorwerfen.
Zur Ehre der
katholischen Kirche sei erwähnt, dass nach Majunken's
eigenem Zeugnis keiner der neueren katholischen
Schriftsteller jene Lüge über Luthers Ende wieder
hervorgezogen hat mit Ausnahme des Verfassers der
Hamburger Briefe (Berlin 1883). Aber während letzterer
sich wohlweislich
(aus gutem Grund / bewusst)
in Anonymität gehüllt hat, hat Herr Majunke den
anerkennenswerten Mut, jene Geschichtslüge mit seiner
vollen Autorität zu vertreten.
Wie wird erst
unsere evangelische Kirche zittern müssen, wenn dieser
„Historiker“ seine Drohung wahr macht und uns ein ganz
naturgetreues Luther-Bild vor Augen führt ! Man könnte
lachen, wenn nicht der Ekel vor der Gehässigkeit solcher
Geschichtslügen überwöge.“
Wie schon oben bemerkt, betrachten
wir diese Auslegung lediglich vom Standpunkte des
Humors. Dieser scheint allerdings dem „Reichsboten“ und
seinen Freunden ausgegangen
zu
sein, wenn sie es schon für eine
Gefahr für ihre Sache halten, sobald die Schrift über
„Luthers Lebensende“ nur unter den buchhändlerischen
Annoncen steht !
Soweit im
Vorstehenden sachliche Ausführungen enthalten sind,
werden sie mit im Folgenden berücksichtigt werden.
Die
Gegenschrift des Professor Kolde.
Wir zählen gegenwärtig drei Haupt-„Luther-Forscher“:
Gustav
Kawerau, Professor in Kiel,
Theodor Kolde, Professor in
Erlangen, und Julius
Köstlin, Professor in Halle.
Während letzterer mehr für Volkskreise geschrieben hat,
gaben sich die beiden ersteren mehr dem spezifischen
Quellen-Studium hin und haben in dieser Beziehung schon
mehrfache an und für sich recht dankenswerte Arbeiten
geliefert.
So gab Kawerau u. A.
(unter anderem, z.B. Luthers
Lebensende in neuester ultramontaner Beleuchtung)
den urkundlichen Briefwechsel des
Justus Jonas heraus, in welchem sich zahlreiche Stellen
befinden, die wie mit Schwefelsäure den Heiligenschein
entfernen, den Köstlin um die Häupter Luthers und der
übrigen „Reformatoren“ gemalt hat.
Kolde hatte sich schon in seiner Habilitations-Schrift
*,
(die er seinem „lieben Vater“, dem „Geistlichen und
Theologen“, Herrn Karl Adolph Kolde, gewidmet hatte) mit
Luther-Studien beschäftigt.
*
Verfahren an der Universität zum Erwerb
der Venia Legendi (Erlaubnis zu lesen = Berechtigung, an
wissenschaftlichen Hochschulen zu lehren)
Jene Schrift führte den Titel:
„Luthers
Stellung zu Konzil und Kirche bis zum Wormser Reichstag
1521.“
Außerdem schrieb er ein größeres Werk: „Analecta
Lutherana“
(Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Luthers, analecta:
Brocken, im scherzhaften Doppelsinn
Brockensammler, welche die entfallenen Brosamen oder die
entfallenen Verse sammeln sollten),
sodann:
„Friedrich
der Weise und die Anfänge der Reformation“,
„Loci
communes
rerum theologicarum Philipp
Melanchtons“
(Allgemeine Grundbegriffe der Theologie / Gemeinsame
Standpunkte in theologischen Angelegenheiten, von
Melanchton:
Systematische Darstellung der reformatorischen Theologie
bzw. der Dogmatik der evangelischen Kirche. Im
Mittelpunkt der „Loci communes" steht die Frage nach dem
freien Willen, den Melanchthon dem Menschen abspricht,
während für Gott der freie Wille als Geschenk an den
Menschen unantastbar ist.)
usw.
Als ich erfuhr, dass Professor Kolde eine Gegenschrift
zu meiner Publikation bearbeite, erfüllte mich ein
Gefühl lebhafter Befriedigung.
Ich sagte mir: Wenn ein Mann wie
Kolde, der unter seinen Fach- und Glaubensgenossen als
hervorragender Luther-Forscher anerkannt wird – für
unterrichtete katholische Leser hat ja Kolde schon durch
Janssen und durch die quellenmäßige, ihrem demnächstigen
(baldigen)
Ende entgegengehende
Luther-Biographie von Georg
G. Evers sehr an Ansehen
eingebüßt – sich mit meiner Sache befasst, so muss sie
wenigstens für diejenigen spruchreif werden, welche
bisher zögernd und zweifelnd in der aufgeworfenen Frage
sich verhalten haben.
Und spruchreif ist die Angelegenheit nunmehr in der Tat
geworden – wenigstens für diejenigen, welche sehen
wollen.
Denn Kolde vermag 1) auch nicht
einen einzigen Beweis gegen die Glaubwürdigkeit der von
mir vorgeführten Quellen vorzubringen; 2) verdeckt er
die Schwäche seiner Deduktion
(abgeleitetes Wort /
Schlussfolgerung) durch
Scheinmanöver, welche von dem quod erat demonstrandum
(was zu beweisen war)
ablenken, indem er sich dabei
nicht schämt, zu trivialen, in der Tages-Journalistik
niedriger Gattung gebräuchlichen Blendwerken zu greifen;
3) beweist er eine Ignoranz selbst in Dingen, die ihm
nahe liegen, dass man sich die Frage vorlegen muss, wie
ein solcher Mann es wagen konnte, mit seiner Arbeit
überhaupt vor die Öffentlichkeit zu treten.1
1
Der Titel seiner Schrift lautet:
„Luthers
Selbstmord. Eine Geschichtslüge Paul Majunke's,
beleuchtet von Dr. Theodor Kolde, ordinierender
Professor der historischen Theologie in Erlangen.“
Erlangen und Leipzig 1890. Andreas Deichert. – Schon der
Titel verrät zum Mindesten eine – Ungeschicklichkeit.
Ich gebe seine Argumentation hier Punkt für Punkt mit
größtmöglicher Ausführlichkeit wieder.
Zunächst verschwendet er drei volle Seiten mit der
Besprechung des bekannten lutherischen Grundsatzes: „ad
Papatum decipiendum omnia licere“
(um das Papsttum zu täuschen / zu
betrügen / zu hintergehen, ist alles erlaubt).
Er wirft hierbei mir oder vielmehr Janssen und dessen
Vorgängern eine „Fälschung“ des Textes vor.
In einem Briefe an Johannes Lang in Erfurt vom 18.
August 1520 schreibt Luther:
„Nos
hic persuasi sumus, papatum esse veri et germani illius
Antichristi sedem, in cuius deceptionem et nequitiam ob
salutem animarum nobis omnia licere arbitramur.“
„Hier
an dieser Stelle (unter diesen Umständen) sind wir davon
überzeugt, dass das
Papsttum der wahre und leibhaftige Thron jenes
Antichristen ist, und wir glauben wahrlich daran
(vertreten die Meinung), uns wegen (gegen) dessen
Täuschung (Betrug) und Nichtsnutzigkeit (Gemeinheit) zum
Heil der Seelen alles zu erlauben.“
Franz Wilhelm Kampfschulte (Die
Universität Erfurt in ihrem Verhältnisse zu dem
Humanismus und der Reformation,
Trier, 1858), Janssen usw. übersetzten, als wenn
dagestanden hätte: „ad papatum decipiendum omnia licere“
(zur Täuschung des
Papsttums ist alles erlaubt) und
Johannes Baptist Alzog (Handbuch
der allgemeinen
Kirchengeschichte) stellte in dieser lateinischen Form
einen der Grundsätze Luthers hin.1
1
Es ist Kolde natürlich unbekannt, dass in
dieser Form die Stelle bei Alzog, bei
Alzog-Kraus
(Kirchengeschichte - neu bearbeitet von Franz Xaver
Kraus)
usw. wiedergegeben wird. – Von
Georg
Evers behauptet Kolde, derselbe habe „wenigstens den Mut
gehabt, auf Vorhalten
(Vorhaltung / auf den Verweis hin)
sein Versehen (in der Übersetzung) anzuerkennen.“
Da
ich diese „Anerkennung“ nirgends in Evers' Werk über
Luther
(Martin
Luther - Lebens- und Charakterbild, von ihm selbst
gezeichnet in seinen eigenen Schriften und
Korrespondenzen)
entdecken konnte, fragte ich bei ihm an, ob er sein
„Versehen“ etwa anderswo oder privatim
(nicht offiziell / vertraulich)
anerkannt habe. Herr Evers antwortet darauf:
„Ich
habe Band 2 Seite 1 die Übersetzung, welche Janssen und
vor ihm Kampfschulte gegeben, ohne weitere Bemerkungen
fallen lassen. Im Übrigen gebraucht Luther das „in“ mit
dem Akkusativ
(4. Fall: Wen ? den, dich, mich usw.)
zuweilen auch in der Bedeutung: „zu“. Auch gibt es ja
Stellen genug, welche zeigen, dass Luther sowohl zur
Hintergehung als auch zur Vernichtung seiner Gegner,
speziell des Papsttums, alles für erlaubt hielt. – Aber
express
(eigens / nachdrücklich / absichtlich)
„anerkannt“ habe ich jenes „Versehen“ nicht, weder
öffentlich, noch privatim.“
Herr Kolde ereifert sich nun sehr darüber, dass es im
Original nicht „ad“, sondern „in“
(ad / in cuius deceptionem – zur / wegen dessen
Täuschung)
heiße – wobei er gänzlich übersieht, dass es sich
weniger um das „ad“ oder „in“, sondern hauptsächlich um
das „omnia licere“
(alles zu
erlauben)
handle. Dass dieses „omnia licere“ aber im Original
steht, kann Kolde nicht leugnen. Die christliche Moral
wird ihn belehren, dass selbst dem erklärten Feinde
gegenüber non omnia licent
(nicht alle Dinge erlaubt sind).
Denselben unchristlichen Grundsatz
spricht Luther noch viel deutlicher und zynischer aus in
dem Briefe, den er unterm
(am) 28. August 1530 an
Melanchthon gerichtet hatte.
Im Jahre 1530 fand bekanntlich in
Augsburg ein Reichstag statt, auf welchem Luther wegen
der über ihn verhängten Reichsacht
(Reichsächtung, Reichsbann)
nicht erscheinen durfte.*
* Im Jahre 1520 drohte Papst Leo X. dem
Luther mit dem Kirchenbann und deren Folgen.
Darauf reagierte Luther voller Wut, indem er öffentlich
das päpstliche Gesetzbuch verbrannte - das war sein
Bruch mit Rom. Wenige Wochen später wurde der
Kirchenbann über Luther ausgesprochen und im April 1521
musste Luther zum Reichstag nach Worms, um sich vor dem
Kaiser Karl V. zu verantworten und erhielt die
Gelegenheit zu widerrufen. Doch er widerrief nicht und
so wurde die Reichsacht über ihn ausgesprochen. Luthers
Kurfürst Friedrich der Weise ließ Luther auf seiner
Rückreise von Worms überfallen, um ihn auf der Wartburg
in Sicherheit zu bringen.
Aber von dem nahen Coburg
(Residenzstadt der Herzöge von
Sachsen-Coburg)
aus intrigierte er gegen
eine Annäherung zwischen Katholiken und Protestanten und
schrieb dabei unter anderem folgende Worte an
Melanchthon:
„Si vim
evaserimus, pace obtenta, dolos, mendacia ac lapsus
nostros facile emendabimus.“
„Wenn
wir mit Gewalt entkommen sind, werden wir - durch den
erhaltenen Frieden – die Täuschungsmittel / Arglist, die
Lügen und unsere Fehler leicht wiedergutmachen.“
So steht die Stelle wörtlich in
dem bei David
Chyträus*
(Historia Augustanae
Confessionis,
pagina 295, Geschichte des
Augsburger Bekenntnisses - 1530, Seite 295)
im Jahre 1578 erschienenen Abdrucke.
* eigentlich D. Kochhafe, griechisch:
chytra, Kochtopf
In den in den zwanziger Jahren
unseres Jahrhunderts von
Wilhelm Martin Leberecht de
Wette herausgegebenen Briefen Luthers ist das Wort „mendacia“
(Lügen)
bereits zur größeren Ehre des
„Reformators“ (unter Hinweis auf die
Vertuschungsversuche von
Georg Veesenmeyer und
Johann Karl Ludwig
Gieseler) weggelassen.
Das Wort „dolos“
(Täuschungsmittel) kann aber auch
de Wette nicht wegbringen.
Wer das Leben Luthers, von seinem
Zeitgenossen Kaspar
Ulenberg geschildert, nur zum dritten Teile (ein
Drittel) gelesen hat – Professor
Kolde kennt das als
„Lutherforscher“
natürlich wieder nicht – der wird sich freilich über
solche Briefe*
nicht wundern können.
* Beispiel:
Sendbrief an Papst Leo X. vom Jahr 1520
Um indessen
Herrn Professor Kolde und Leuten seines Schlages nicht
weiterhin Gelegenheit zur Silbenstecherei
(Wortklauberei / Haarspalterei) zu
geben, hatte ich schon in der zweiten Auflage meiner
Schrift – die schon vor der
Kolde'schen Sophisterei
(Wortklauberei / Spitzfindigkeit / Haarspalterei)
erschien –
den Satz „ad papatum decipiendum omnia licere“
weggelassen und dafür die Worte geschrieben, dass Luther
„von Intrigen durch und durch zusammengesetzt war.“ –
Sollte dies Herrn Kolde besser gefallen, so steht ihm
die Wahl frei.1
1
Evers nennt Luther einen „aalartigen,
unverbesserlichen, in allen Lügen und Winkelzügen und in
jeder Art von Heuchelei bewanderten Demagogen“. (Evers,
Martin Luther, Mainz 1883 IV, Seite 353.)
Übrigens druckt Kolde
selbst in seinen „Analecta Lutherana“ (Briefe
und Aktenstücke zur Geschichte Luthers)
/Seite 356) das Protokoll in Sachen der Doppelehe
Philipps von Hessen ab, wo Luther den Rat gibt, Philipp
solle „ein lugen thun umb der Christenheit und aller
welt nutz willen“
(Philipp solle
„um
der Christenheit willen und zum Nutzen aller Welt
Lügerei betreiben / Betrug ausführen /
Heuchelei ausüben).
– Selbst dem unmoralischen Philipp war diese Art „Moral“
zuwider und Luther
musste wohl oder übel durch das „Wort Gottes“ ihm das
zweite Weib „zusprechen“.
Nachdem Kolde seinen Lesern auf
diese Weise beigebracht hat,
was für ein schlimmer Fälscher ich sei, geht er endlich
zur Sache selbst über.
Leider aber dokumentiert er dabei gleich in den ersten
Zeilen wieder ein großes, für einen Professor
unverzeihliches Maß von Unwissenheit.
Er schreibt wörtlich:
„Es soll uns
(durch meine Schrift) eine neue Quelle über Luthers Tod
geboten werden, und zwar eine solche, die alles bisher
Überlieferte als Unwahrheit und Trug, ja als bewusste
Täuschung darstellen soll.“ Also Kolde hat keine Ahnung
davon, dass die Quellen, welche er als die allein
zuverlässigen über Luthers Tod hält, von katholischer
Seite stets angefochten worden sind; er ist in seinem
Parteieifer so blind geworden, dass ihm ganz entgangen
ist, wie schon im 16. Jahrhundert katholischerseits
positive Behauptungen dem Mythos des Jonas und Genossen
entgegengestellt wurden !
Meine Schrift soll eine „neue Quelle“ sein, was ich
selbst fast in jeder Zeile ablehne !
Da wird ja der
Professor von der Gelehrsamkeit selbst vieler
protestantischer Zeitungsschreiber übertroffen, welche –
in ihrer Art – ganz richtig sagten, dass ich „lediglich
alten Kohl wieder aufwärme“ !
Aber wenn auch
schließlich die Unwissenheit des Professors bezüglich
der katholischen Literatur nicht überraschen kann, so
sollte man doch bei ihm als einem „Lutherforscher“
– und einem „berühmten“ noch dazu – wenigstens die
Kenntnis der protestantischen Luther-Literatur
voraussetzen.
Kolde hat wieder keinen Schimmer von Kenntnis davon,
dass die protestantischen Luther-Biographen noch bis zum
Jahr 1846 sich sehr lebhaft jener katholischen Literatur
erinnerten. Da zeigt sich doch der Kollege Kolde's,
Professor Kawerau, viel kenntnisreicher.
Er hat noch im Jahr 1883 in Magdeburg einen Vortrag
gehalten, in welchem er von der Existenz jener bis ans
Ende des vorigen Jahrhunderts hineinragenden
katholischen Literatur sprach. (Vergleiche unten das
betreffende Kapitel.)
Gar zu naiv klingt es doch, wenn Kolde (Seite 6)
gesteht:
„Ich
erwartete von Majunke's Schrift eine gewaltige
Rabulisterei
(Haarspalterei) und die
kleinen Fechterkünste
(Fechtkünste), die ich in
meiner Beurteilung Janssen's zur Genüge charakterisiert
habe:1
1
Thelologische Literaturzeitung 1882, Number 22
und 23.
Aber nichts von alledem. Diese „historische
Untersuchung“ enthält die bodenloseste Beweisführung,
die man sich denken kann, und hätte der Verfasser nicht
selber verraten, dass er die Absicht hat, damit die noch
immer nicht mundtot gemachte evangelische Wahrheit zum
Schweigen zu bringen, so wäre sie nicht zu begreifen.
Käme seine Schrift in der Tat nur in „wissenschaftliche
Kreise“, für die sie bestimmt sein soll, so wäre es
wirklich nicht nötig, sich mit ihr zu beschäftigen.
Sie würde sehr bald den Weg des
meisten Papieres
(Altpapier) gehen.
Indessen soll Herr Majunke doch nicht glauben, dass wir
uns vor seinen Drohungen fürchten.“
Also weil ich durch den Titel meiner Schrift nicht in
geschmackloser Weise wie er2 den
Vorhang von der Bühne weggezogen habe, vielleicht auch
weil ich nicht durch ein entsprechendes Titelbild den
Inhalt des Dramas veranschaulicht habe, hat der
Professor nicht gewusst, was er von dem Thema „Luthers
Lebensende“ zu erwarten hatte !
2 Auch in protestantischen Kreisen muss man Kolde den
gewählten Titel:
„Luthers
Selbstmord“ sehr verübeln, trotz des Zusatzes: „Eine
Geschichtslüge“ usw.
So unbekannt ist ihm das von mir betretene Gebiet
gewesen – obgleich es zu seinem Spezialstudium gehörte –
dass er es gar nicht geahnt hat, wie jemand den Beweis
für Luthers gewaltsames Ende überhaupt nur versuchen
könne !
Aber auch hier bewahrheitet sich der alte Satz:
Je größer die Unwissenheit, desto größer die
Dreistigkeit !
Nachdem Kolde durch Vorstehendes
seine Qualifikation bewiesen
hat,
in der Frage nach den Quellen über Luthers Tod
mitzureden, geht er dazu über, mir den Vorwurf zu
machen, dass ich nicht alle Quellen angegeben habe,
welche über das Ableben des „Reformators“ berichten.
Er sagt darüber:
„Der
erste Bericht, den wir über Luthers Tod besitzen, ist
ein ziemlich ausführlicher Brief des Justus Jonas vom
18. Februar an den Kurfürsten, der kaum anderthalb
(eineinhalb)
Stunden nach dem Ableben Luthers
„vier hore frue“ (um 4 Uhr
früh) an den Kurfürsten
abging.
Zugleich mit diesen Berichte gingen zwei Briefchen des
Grafen Albrecht von Mansfeld und des Fürsten Wolfgang zu
Anhalt an den Kurfürsten Johann Friedrich ab, in denen
sie nur kurz von Luthers Abscheiden berichteten, im
Übrigen aber auf den Bericht des Jonas verwiesen, da sie
in ihrem Schmerz und der nötigen Eile wegen nicht mehr
schreiben könnten.1
1
Das Schreiben des Grafen lautete: „Genedister
her
(gnädigster Herr)
!
Mytt betrawbten hertzen
(mit betrübtem Herzen)
geb eur kurf. gn. jch underthenigk
zu erkennen (gebe ich eurer
kurfürstlichen Gnaden untertänig zu erkennen),
dass der almechtigk doctor Leuter
(dass der Allmächtige den Doktor
Luther) von dissem jammer
tal (von diesem Jammertal)
hyndt jn disser nacht
(heute in dieser Nacht)
ungeferlich fast umb drey oren
(ungefähr um fast drei Uhr)
jn gott vorscheyden jst
(in Gott verschieden ist).
(In der Eile verschrieben für
statt „abgerufen hat“.)
Der almechtigk sey unß allen
genedigk (der Allmächtige
sei uns allen gnädig) und
kan jetzt jch nit meher schreyben
(jetzt kann ich nicht mehr
schreiben). am 18.
Februarii jm 46 (am 18.
Februar im Jahr 46).
Albrecht grave zu Mansfelt
(Graf Albrecht von Mansfeld).“
–
Der Brief des Fürsten Wolfgang lautet:
„Genad
und Frid (Gnade und
Frieden) durch Kristum
Jeßum (durch Jesus
Christus) sampt erbitung
meins willigen dinstes
(samt / mit der Erfüllung meines willigen / gehorsamen
Dienstes) zw vorn
hochgeborner Furst genediger her
(zwar vornan hochgeborener Fürst
und gnädiger Herr), ich wyl
e.g. (exempli gratia)
dienstlicher meynung nicht
bergen (will ich
beispielsweise meine amtliche Meinung dazu nicht
verbergen), doch mit
betruptem gemut (doch mit
betrübtem Gemüt),
das doctor Martinus iczunt
zcwischen ij und iij frue seliklich
(dass Doktor Martinus jetzt
zwischen zwei und drei Uhr früh seliglich)
yn beysein doctor Jonas und sonst
eczlicher perschon gancz sanft yn got vorschiden
(im Beisein von Doktor Jonas und sonstiger etlicher
Personen ganz sanft in Gott verschieden ist),
der her wol der selen wy ich dan nicht zcweiffel
genedigt sein (der Herr
wolle / möge der Seele - wie ich, sodann zweifle ich
nicht - gnädig sein) und
der barmherczige got wol uns armen Kristen und
Kristenheit yn sein fetterliche gutte
(und der barmherzige Gott wolle in
seiner väterlichen Güte)
durch Kristum Jeßum befoln sein lassen
(durch Jesus Christus befohlen
sein lassen).
Ich kan e.g. yn eyl iczt nicht
weitter schreiben (ich zum
Beispiel kann jetzt in der Eile nicht weiterschreiben)
aber doctor Jonas wirtz e.g.
weitter vormelden und anzceigen
(aber Doktor Jonas zum Beispiel
wird es weitermelden und ankündigen)
hyr myt thun ich mich e.g.
dinstlich befeln yn ganczer eyle
(hiermit anbefehle ich mich beispielsweise dienstlich in
ganzer Eile).
Datum dornstags umb 4 ore frue
nach Falentin anno 46. W. f. z. A.
(Datum: Donnerstag, um 4 Uhr früh,
nach dem Valentinstag im Jahr 46. Wolfgang, Fürst zu
Anhalt).
Und wy wol sich der doctor gester
frue etwas gen myr der schwachheit halber geklaget
(und wenn auch sich der Doktor
gestern früh mir gegenüber wegen der Schwachheit beklagt
hatte), so ist er doch
nechten gancz gutter dinge gewest
(so ist er doch nachts noch ganz
guter Dinge / fröhlich gewesen)
got helf ym und uns allen
(Gott helfe ihm und uns allen).
Amen.
Man hat vyl fleis bey ym gethan
(man hat sich bei ihm viel Mühe
gegeben) da ist aber kein
menczlich hulf gewest (da
war aber keine menschliche Hilfe mehr möglich)
beßunderen der wille des hern ist
bey ym ergangen (bei ihm
ist der besondere Wille des Herrn ergangen)
und ganz sanft mit gutten spruchen
entschlaffen yn got (und
ganz sanft ist er mit guten Sprüchen entschlafen in
Gott) der hilf uns myt
gnaden hyrnach amen etc.
(der helfe uns mit Gnaden danach - Amen usw).“
Die chronologisch nächste
Nachricht ist viertens ein ebenfalls unmittelbar nach
dem Tode am 18. Februar von Johann Aurifaber
(Jonas, Coelius und Aurifaber sind
die drei Weggefährten Luthers)
an Michael Gutt in Halle
geschriebener Brief:
„Eylents,
Eylents zu eigen handen (in
großer Eile, unverzüglich mit eigenen Händen verfasst).
Ach wie ist mirs so hertzlich leidt
(ach, wie tut mir das so herzlich
leid), das ich Euch mit
betrubten hertzen sol den groszen vnfhal zu erkennen
geben (dass ich euch mit
betrübtem Herzen den großen Unfall / das große Unglück /
das Trauma bekannt geben soll).
das leider gott geklagt, der Ehrwirdigk herr doctor
Martinus Luther alhier zu Eisleben heutt zwischen 2 und
3 in gott Christlichen verschieden
(dass Gott leider klagte, der
ehrwürdige Herr Doktor Martinus Luther ist hier in
Eisleben heute zwischen 2 und 3 Uhr im christlichen Gott
verschieden), nachdem ehr
gestern abents gesse, getrunke, sehr frohlich gewesen
(nachdem er gestern abends
gegessen, getrunken und sehr fröhlich gewesen ist),
aber nach essens Jn die krankheit der Maasz angestoszen
(aber nach dem Essen hat ihn die
Krankheit dermaßen angeschlagen / mitgenommen),
vnd als ihm heutt yhn der nacht vmb eins widder ankham
(und als sie ihn heute in der
Nacht um ein Uhr wieder heimsuchte),
versuchten wir an ihm alle menchliche hulffe
(versuchten wir an ihm
allemögliche menschliche Hilfe anzuwenden),
aber gott hatt Jn also gnediglichen von diesem Jamerthal
nemen wollen (aber Gott hat
ihn also darauf gnädig von diesem Jammertal nehmen
wollen), darbey ist furst
Wolff von anhaldt (dabei
ist: Fürst Wolfgang von Anhalt),
Graff Albrecht von mansfeldt
(Graf Albrecht von Mansfeld),
philips vnd hans Jorg
(Philipp und Hans Jörg),
graff vnd volrath (Graf und
Volrath zu Mansfeld), graff
heinrich von schwarzburgk
(Graf Heinrich von Schwarzburg),
graff albrechts gemahl
(Graf Albrechts Gemahlin),
des von schwarzburgks gemahl
(die Gemahlin von Schwarzburg) Doktor Ludwig vnd Magister
Simon Wilde (Doktor Ludwig
und Magister Simon Wilde).
der her doctor Jonas (der
Herr Doktor Jonas). herr
Michel Celius vnd viel von Adel gewesen
(Herr Michael Coelius und viele
vom Adel sind dagewesen)
ist christlich vnd wohl verschieden
(er ist christlich und
wohlbehalten verschieden). des selen gerugen vnd
vns allen gott der almechtig gnedig vnd barmhertzigk
sein wol (über dessen Seele
geklagt und uns allen Gott der Allmächtige gnädig und
barmherzig sein wolle / möge). Ehr ist ein kindt
der ewigen seligkeit (er ist ein
Kind der ewigen Seligkeit), wie ich euch
gegenwertigk sagen will (wie ich
euch gegenwärtig sagen will). den 18. February
anno 1546 (am 18. Februar, im Jahr
1546).
E. W. Johannes Aurifaber.
(Am Rande). Ach
das Gott erbarm Jm hohen himel
(ach, auf dass sich Gott im hohen Himmel erbarme),
das ich so ein traurig Bottschaft euch anzeigen sol
(dass ich euch eine so eine
traurige Botschaft mitteilen soll / muss)“.
Der fünfte
Brief, der von Luthers Tode noch an demselben Tage
berichtet, ist von dem in dem vorigen Briefe als
Augenzeugen genannten Grafen Hans Georg von Mansfeld an
den Herzog Moritz von Sachsen geschrieben. Es heißt
darin nach Mitteilungen über Luthers fruchtbare
Tätigkeit bei den Ausgleichsverhandlungen zwischen ihm
und seinen Brüdern: „Als ime aber dise negst vergangne
nacht (als ihm aber diese nächst /
zuletzt vergangene Nacht) plötzlichen durch
schickung des Allmächtigen ein krangkheit zugefallen
(plötzlich durch die Schickung / Vorsehung des
Allmächtigen eine Krankheit zugefallen war), das
es inen vmb die brust heftig getrugket
(sodass es ihm um die Brust herum
/ im Brustbereich heftig gedrückt hat), ist er
diselbige nacht vmb zwo vhr christlich, seliglich vnd
wol verschieden (ist er in
derselben Nacht um 2 Uhr christlich, selig und wohl /
angenehm / wie es sein soll verschieden)
vnd hat
also sein leben beschlossen (und
hat also damit sein Leben beschlossen).“
Hieran schließt
sich ein sechster noch am Todestage Luthers
geschriebener Brief des Eislebener Ratsherrn Johann
Friedrich an seinen Onkel, den bekannten Johann
Agricola, damals in Berlin. Derselbe war nicht beim Tode
persönlich zugegen und erzählt nur, was er von der
nächsten Umgebung Luthers gehört
hat;
seine
Mitteilungen sind aber insofern wertvoll, als er zuerst
über die Meinung der Ärzte, was als Todesursache
anzunehmen sei, berichtet.
Demnach wäre er
an einem Schlagflusse
(Schlaganfall), der sich aufs Herz geworfen
hat, gestorben, was man
damit in Verbindung brachte, dass die langjährige
Schenkelwunde (die man künstlich offen zu erhalten
suchte) geheilt war.
Und an Vorboten
hatte es nicht gefehlt. Noch ehe er Eisleben betrat, war
er kurz vor der Stadt von einer schweren Ohnmacht
befallen worden.
Er schob es auf
sein Alter ab, „jetzt bin
ich wieder wohl,“ schrieb er an Melanchthon, „aber wie
lange, weiß ich nicht, denn dem Greisenalter ist nicht
zu trauen.“
Man wusste, dass
man einen kranken und schwachen Mann in die Stadt
brachte, weshalb der Kurfürst nicht mit Unrecht in dem
Briefe an den Grafen Albrecht von Mansfeld, in welchem
er die Überführung der Leiche nach Wittenberg erbittet,
sagt, dass Luther „als ein alter abgearbeiteter Mann
besser mit jener Reise nach Mansfeld verschont geblieben
wäre.“
Am 20. Februar
hielt dann Michael Coelius die erste Leichenrede über
Luther.
Sie enthält auch
die Sterbens-Geschichte Luthers und
es wird als bei seinem Ende
gegenwärtig darin neben den übrigen noch die Frau seines
Wirtes Albrecht erwähnt. Dazu kommt dann endlich die auf
Erfordern (auf Verlangen)
des Kurfürsten von Justus Jonas und Michael Coelius
zusammengestellte „Historia“
(Historie) oder „Bericht vom christlichen
Abschied Luthers,“ welche Luthers letzte Lebenstage von
seiner Abreise von Wittenberg bis zu seiner Beisetzung
in schlichten, einfachen Worten erzählt. Daraus erfahren
wir unter anderem, dass bei dem ersten Anfall Luthers am
Abend mit seinem Herren, dem Grafen Albrecht, auch noch
einer seiner Räte, Konrad von Wolframsdorf, bei dem
kranken Luther war und ihm Arznei eingab, und dass, wie
begreiflich, gegen Morgen, als die Todesnachricht
bekannter wurde, eine Menge Leute seine Leiche
besichtigte.“
Nunmehr fährt
Kolde pathetisch – mit gesperrtem Druck – fort:
„Sieht man auch
von den sekundären (zweitrangigen
/ späteren) Quellen ab, so wird man sagen dürfen,
dass wir über wenige Ereignisse so viele und von so
vielen glaubwürdigen Personen bezeugte Berichte haben,
als über die Einzelheiten von Luthers frommen Abscheiden
(Hinscheiden / Tod).
Aber was macht
Herr Majunke daraus ?
Die sämtlichen
von mir aufgezählten Briefe, die uns über Luthers Tod
berichten, werden unterschlagen.
Unter
ausdrücklichem Hinweis auf Köstlin, der in seiner,
Luther-Biographie jene erwähnten Berichte nicht nur
verarbeitet, sondern deutlich zitiert, was dem
gewissenhaften Historiker doch nicht entgangen sein
kann, hat er die Stirn, zu behaupten, dass die zuletzt
erwähnte „Historia“ sämtlichen protestantischen
Luther-Biographen bis auf den heutigen Tag als einzige
Geschichts-Quelle über Luthers Tod gedient hat. Und
diese Quelle, die, wie Köstlin mit Recht bemerkt, bisher
in ihrer Glaubwürdigkeit noch nicht in Zweifel gezogen
ist, wenigstens nicht von solchen, die etwas von
Quellen-Kritik und Geschichte verstehen, und jedem
Historiker genügen würde, ist nach Majunke keine
Geschichts-Quelle, sondern eine Fiktion.“
So wörtlich Herr
Kolde.
Also nicht
weniger als sechs primäre „Quellen“ soll ich
„unterschlagen“ haben.
Sehen wir zu,
wie es sich damit verhält.
Was zunächst den
Brief des Justus Jonas vom 18. Februar „vier hore frue“
(vier Uhr früh) anlangt, so hatte ich denselben
in späteren Auflagen meiner Schrift kurz erwähnt; nicht
aber deshalb, weil er eine „neue Quelle“ wäre, sondern
weil in ihm von mehreren Dienern Luthers, nicht nur von
Ambrosius, den die „Historia“ erwähnt, die Rede war.
(Vergleiche auch oben meine Antwort auf das Referat der
„Trier'schen Landeszeitung.“)
Da in dem Briefe
eben im Wesentlichen dasselbe steht, wie in der von
seinem Absender verfassten weit ausführlicheren
„Historia“ – deren Wortlaut ich ja mitgeteilt habe – so
war das Schriftstück schon deshalb nicht der
Reproduktion (Wiedergabe)
hier wert. Bestanden zudem
schon bezüglich der Angaben der „Historia“ Zweifel, so
mussten bei dem in Rede stehenden Briefe noch Zweifel
darüber entstehen, ob er wirklich so im Original
gelautet hatte, wie er später im Druck veröffentlicht
wurde.
Aber nehmen wir
mit Ludwig von
Seckendorf,
Lothar
Kreyssig und
Gustav
Kawerau an, dass das
Schreiben wirklich so gelautet hat, wie es gedruckt war,
wozu brauchte ich, nachdem ich auf 14 Druckseiten die
„Historia“ wiedergegeben habe,
noch einen eineinhalb-seitigen Auszug derselben
mitzuteilen ?
Seckendorf teilt
das Dokument mit, „unterschlägt“ aber den Wortlaut der
„Historia“.
Müller im
„Lutherus Defensus“
(Verteidigungsrede für Luther)
druckt die
„Historia“ zum großen Teile ab, „unterschlägt“ aber den
Brief des Jonas. Die neueren Luther-Biographen haben das
Aktenstück erst recht „unterschlagen“.
Aber Herrn Kolde
muss ich fragen:
Warum
unterschlägt er das genaue Datum dieses Briefes ?
Er gibt dasselbe
vom 18. Februar „vier hore frue“
(vier Uhr früh) an. Weiß er denn nicht, dass in
dem Original, wie es von Lothar Kreyssig und Gustav
Kawerau mitgeteilt wird, statt „vier“ Uhr zuerst „fünf“
gestanden hatte und dass das Wort „fünf“ später
ausgestrichen und und durch „vier“ ersetzt wurde1
?
1
Kawerau, Geschichtsquellen der Provinz Sachsen,
Briefwechsel des Justus Jonas, Halle 1884, Band II.
Seite 180.
Zur Fabel des
Jonas passte eben die „vier“ besser als die „fünf“.
Mit dieser
„Quelle“ hätte also Professor Kolde nicht nur nichts
ausgerichtet, sondern er hat sich damit noch selbst eine
Grube gegraben.
Sehen wir uns
nun nach den anderen „unterschlagenen“ Quellen um !
In den beiden
„Briefchen“ des Grafen Albrecht von Mansfeld und des
Fürsten Wolfgang zu Anhalt wird von den Absendern
ausdrücklich gesagt, dass sie jetzt mehr nicht schreiben
können usw. Der Fürst Wolfgang – nicht auch Graf
Albrecht, wie Kolde wieder irrtümlich behauptet – beruft
sich dabei auf die Mitteilungen des Jonas.
Es hat also
zwischen ihm und Jonas eine Verabredung stattgefunden.
Damit wird ein Beweis mehr für meine Behauptung
geliefert, dass der Brief des Jonas respektive
(beziehungsweise)
die
„Historia“ ein verabredetes Aktenstück war.
Was ist aber
inhaltlich in den beiden „Briefchen“, wie sie Kolde
selber nennt, enthalten, was nicht in der „Historia“
mitgeteilt wäre ?
Absolut nichts,
weshalb sie wiederum sowohl von den älteren als
auch neueren
Lutherbiographien ignoriert wurden.
Dasselbe gilt
von dem Briefe Aurifabers, einer der drei Mitarbeiter an
der „Historia“.
(Kolde macht
wiederum nur Jonas und Coelius zu Verfassern respektive
Mitarbeitern der „Historia“.)
Auch aus dem
einen von Kolde mitgeteilten Satze des fünften Briefes
(des Grafen Hans Georg von Mansfeld) ist nichts von
Bedeutung zu entnehmen und der sechste Brief rührt von
keinem „Augenzeugen“ her.1
1
Die Behauptung Kolde's von der von mir begangenen
„Unterschlagung“ erweiterte der Privatdozent Dr. Kneuker
zu Heidelberg in einem öffentlichen Vortrage bereits
dahingehend,
ich hätte „die ältesten und wichtigsten Quellen
unterschlagen“ !
Dass aber die
„Augenzeugen“, nachdem Luther angeblich schon in den
Tagen vorher zum Tode krank war, so überrascht waren,
dass sie in solcher Eile schrieben, dass sie sich
wiederholt verschrieben und einer auf den anderen sich
beriefen, kann für die Unbefangenheit ihrer Aussagen
kein Zeugnis ablegen. Da enthält die später zu Protokoll
gegebene Erklärung eines der Diener Luthers doch eine
viel bessere Explikation
(Erklärung / Darlegung)
der Verwirrung, welche
der unvermutet hereingebrochene Tod des „Reformators“
unter den „Augenzeugen“ hervorgerufen hatte.2
2
Man beachte auch die Ungenauigkeit und den
Widerspruch der Angaben über die Todesstunde Luthers.
Graf Albrecht von Mansfeld schreibt, derselbe sei
„ungeferlich fast umb drey oren“
(ungefähr um fast drei
Uhr) gestorben; Graf Hans Georg
dagegen sagt, es sei „umb zwo vhr“
(um 2 Uhr)
geschehen. – Bei Sterbenden pflegen
Augenzeugen sogar die Minute des Ablebens anzugeben.
Auch die Verfasser der „Historia“ hatten Luthers
Todesstunde anzugeben „vergessen“, obschon
(obwohl)
sie sonst sehr genau selbst mit „Viertelstunden“
rechneten.
Die lutherischen
Prediger und Adeligen hatten natürlich mehr als einen
Grund, dem Volk über das Ableben Luthers Sand in die
Augen zu streuen !
Johannes
Dantiscus, der
Bischof von Ermland (und des
Bistums Kulm, Diplomat und Dichter, vom Kaiser in den
Adelsstand gehoben), meldet uns in einem Berichte
über eine Reise, die er 1523 durch die – von der Elbe
weithin überschwemmte – Umgegend von Wittenberg machte,
dass schon damals das Volk auf Luther und seine
Neuerungen sehr aufgebracht gewesen
war.
„Ich hörte,“
sagt der Bischof, „auf dem Wege von den Landleuten viele
Schmähworte und Verwünschungen gegen Luther und seine
Mitschuldigen. Denn man glaubte allgemein, weil die
meisten die ganze Fastenzeit hindurch Fleisch gegessen
haben, darum suche jetzt
Gott die ganze Provinz dafür heim1.“
1
Franz
Hipler, Nikolaus Kopernikus und Martin Luther,
Verlag Braunsberg 1868.
Seite 54.
Die
Überschwemmung durch die Elbe hatte insbesondere den
Saaten großen Schaden zugefügt.
Gerade der Fürst
Wolfgang von Anhalt und die Grafen von Mansfeld, deren
„Briefchen“ von Kolde als Haupt-Geschichtsquellen
laudiert (gelobt)
werden,
hatten einen dermaßen frechen Diebstahl an Kirchengütern
getrieben, dass der Erzbischof von Mainz, der sonst so
vieles durchgehen ließ, Beschwerde darüber bis beim
Papste führen musste2.
2
Georg G.
Evers I c. V, 625.
(Band I, Kapitel 5, Seite
625, Martin Luther - Lebens- und Charakterbild von ihm
selbst gezeichnet in seinen eigenen Schriften und
Korrespondenzen, Verlag von Franz Kirchheim, 1887)
Sie mussten
lügen über Luthers Tod, wenn anders sie noch drei Tage
im Besitze ihres schimpflichen Raubes bleiben wollten !
Aber selbst wenn
die Aussagen solcher Personen wie der meineidigen
Priester Jonas usw. (und
dergleichen) glaubwürdig wären, hätte Kolde ein
Recht, von „Unterschlagungen“ zu reden, wo selbst die
sonst in alle Details eingehenden protestantischen
Luther-Biographen diese „Quellen“ für zu unbedeutend
halten, um sie auch nur zu erwähnen, während für sie
alle – wie ich behauptet hatte – die „Historia“ die
„einzige Geschichtsquelle“ bleibt ?
Seckendorf z.B.
in seiner großen „Historia Lutheranismi“(Geschichte
des Lutheranismus - Reformations-Geschichte)
hatte dem Kapitel über Luthers Tod 19 (neunzehn)
Folioseiten (das ganze Blatt
Papier wird anstelle der Seiten mit der Vorder- und
Rückseite gezählt, also 19 x 2 = 38 Seiten, Papiergröße
in Din A 3) gewidmet. Davon hatte er von den oben
als „unterschlagen“ bezeichneten sechs „Quellen“ trotz
seiner Parteinahme für den „Reformator“ vier
„unterschlagen“.
Von den beiden
von ihm mitgeteilten Dokumenten hat er obendrein nur das
eine, den Brief des Jonas, in extenso
(sehr ausführlich)
reproduziert
(wiedergegeben),
von dem anderen (dem Briefe
des Fürsten von Anhalt) ganze drei Zeilen drucken lassen
!
–
Er trägt sonst
wohl eine Anzahl sekündärer
(zweitrangiger) „Quellen“ zusammen, fußt aber
natürlich immer allein auf der „Historia“, von der er
indessen, wie schon
bemerkt, den Wortlaut nicht wiedergibt.
Ist aber das
keine „Unterschlagung“, wenn Kolde seinen Lesern
verschweigt, dass ich nicht nur die „Historia“, sondern
auch die Leichenrede des Coelius, beide in ihrem vollen Umfange,
die „Historia“ auf vierzehn, die Rede des Coelius auf
zwanzig Seiten mitgeteilt habe ? ---
Schließlich
dokumentiert Kolde auch bei diesem Kapitel wieder eine
grobe Unwissenheit und ein arges Versehen.
Er sagt: „Am 20.
Februar hielt Coelius die erste Leichenrede über
Luther.“ – Der Erlanger „Luther-Forscher“ weiß also
nicht einmal, dass die erste Leichenrede über Luther
bereits am 19. Februar von Jonas gehalten worden war.
Sodann sagt
Kolde, Köstlin habe in seiner Luther-Biographie jene von
mir „unterlassenen“ Berichte „nicht nur verarbeitet,
sondern deutlich zitiert“. – Infolgedessen habe ich noch
einmal ganz genau Köstlin's Bericht über Luthers Ableben
kontrolliert. Ich finde, dass er lediglich nach der
„Historia“ gearbeitet hat und dass er die Briefe, welche
er nach Kolde „deutlich zitiert“ haben soll, nicht im
Einzelnen zitiert, sie überhaupt gar nicht besonders
erwähnt – weder in der ersten, noch in der späteren
Auflage ! Ich kann nicht wissen, was hier Herrn Kolde
vor den Augen geflimmert haben mag.
Die
Terlinden'sche Schrift , in welcher, wie oben dargetan,
auch nicht eine Spur von Wissenschaftlichkeit sich
findet, nennt Kolde eine „treffliche“ Schrift !
Im Übrigen
scheint ihm in der Kawerau'schen Briefsammlung eine sehr
wichtige Stelle entgangen zu sein, über welche
Aufklärung dringend notwendig ist.
Nämlich am
Begräbnistage Luthers, am 22. Februar 1546, berichtet
Luthers Tischgenosse Hieronymus Besold zu Wittenberg
(ehemaliger Mitbewohner Luthers an
der Universität Wittenberg) an seinen Freund Veit
Dietrich zu Nürnberg (Vertrauter
Luthers) unter anderem Folgendes:
„Nuncius a
principe electore missus est qui literas ad d. Pomeranum
et d. Philippum attulit quibus epistola d. Jonae
adiuncta fuit. Mox igitur conjugi indicata res est
postea eadem hora, qua enarraturus erat d. Philippus
epistolam Pauli ad Romanos, publice in collegio mortem
d. Lutheri significavit toti auditorio, et ne falsae
fabulae spargerentur aut crederentur, recitavit ex
litteris d. Jonae dictas ante mortem precationes et
placidi exitus historiam1.“
1
Kawerau 1. c.
(Kapitel) II. Seite 183.
„Der
Bote wurde vom Kurfürsten gesendet, welcher das
Sendschreiben an Doktor Pomeranus und Doktor Philipp
Melanchthon überbracht hat, durch welche der
(vorangehende) Brief des Doktor Jonas (an den
Kurfürsten) beigefügt wurde. Bald darauf wurde die Sache
hernach in derselben Stunde der Gemahlin (Luthers)
bekannt gemacht, in welcher Philipp (Melanchthon) gerade
im Begriff war, den Brief des (heiligen) Paulus an die
Römer auszulegen, hat er (Philipp) den Tod des Doktor
Luther an der Schule dem gesamten Hörsaal öffentlich
verkündet, und auch damit nicht falsche Fabeln
verbreitet oder geglaubt würden, hat er aus dem Brief
des Doktor Jonas vor dem Tod gesprochene Gebete und die
Geschichte des sanften Hinscheidens vorgelesen.“
Der Kurfürst
befand sich in Torgau, als ihm Jonas die Nachricht von
Luthers Ableben zusandte. Diesen Brief oder eine Kopie
desselben schickte der Kurfürst nach Wittenberg und
sogleich wird – nachdem der Gattin Luthers Anzeige
gemacht wurde – das
Schreiben durch Melanchthon den Studierenden bekannt
gegeben, vor allem werden die rührenden Gebete
mitgeteilt, welche Luther in seinen letzten Augenblicken
gesprochen haben sollte, „damit nicht falsche Fabeln
verbreitet oder geglaubt würden.“
Hier muss man
fragen: Warum diese Sorge vor „falschen Fabeln“ ?
Wo in aller Welt
ist es jemals vorgekommen, dass man beim Tode eines
wahren Dieners Christi, eines echten christlichen
Bekenners, wie es Martin Luther nach der Aussage seiner
Freunde gewesen sein sollte, Vorsorge hätte treffen
müssen, dass nicht Gerüchte „verbreitet oder geglaubt“
würden, welche ein unchristliches Ende des Bekenners
behaupteten ?
Hier stellen uns
die Luther-Dichter vor ein neues Rätsel.
Die Lösung
desselben ist aber nicht sehr schwierig.
Es haben die
meineidigen Priester und gottesräuberischen Fürsten,
welche an Luthers Leiche standen, gefürchtet, dass bald
schlimme Gerüchte sich in Eisleben verbreiten – nach dem
Zeugnis des Coelius war ja das auch sofort eingetroffen
– und ihren Weg nach Wittenberg nehmen würden.
Darum sorgte
Jonas in einem an den Kurfürsten gerichteten, aber in
usum publici (für den öffentlichen
Gebrauch) bestimmten Briefe dafür, dass diese
Gerüchte bald zerstreut würden. (Vielleicht ging ein
geheimes Schreiben, in welchem die Wahrheit berichtet
wurde, nebenher.)
Andererseits
waren die meineidigen Priester zu Wittenberg und ihr
gottesräuberischer Fürst schon längst auf ein
gewaltsames Ende Luthers vorbereitet1,
sodass sie für alle Fälle gerüstet waren.
1
Luthers Lebensende, 1. Auflage Seite 35. In 2. Auflage
Seite 37, 3. Seite 41, 4. Seite 52.
Sie würden auch
ohne den Brief des Jonas den Studierenden und dem Volke
die schönen Sprüche hergesagt haben, welche der
„heiligmäßige Mann“ vor seinem „seligen“ Ende rezitiert
haben sollte. Hatten sie doch – falls es nicht Luther in
seiner obsessio (Besetztsein,
Blockade, Zwangsvorstellung)
selbst getan
hat – schon im Jahre vorher das
„italienische“ Falsifikat
(Fälschung eines angeblichen Briefes aus Rom)
über Luthers Tod zur Täuschung des Publikums erfunden2,
2
Um die Echtheit, d.h. die italienische Provenienz
(Herkunft) dieses Falsums
(Betrug, Fälschung)
zu erweisen, meint Kolde nebst anderen, es lägen noch
die Schreiben derer vor, welche die Schrift aus Italien
übermittelt hätten. -- Diese grundgelehrten
(gründlich, von Grund auf
gelehrten) Leute !
Wissen sie denn
gar nicht, wie Friedrich II. sogar päpstliche Breven
(päpstliche Erlasse oder
Schreiben) in Berlin erdichtete und seine
Dichtungen den Marquis d' Argens ins Lateinische
übersetzen ließ ? Wissen sie nicht, wie während des
letzten „Kulturkampfes“ Reptile
(franz.: Kriechtiere, Schleichen) in der
katholischen Presse Unterschlupf fanden und ihre
Giftpillen gerade bei arglosen italienischen
katholischen Blättern unterbrachten ! – Luther aber
übertraf alle diese Intriganten noch bedeutend an
Verschlagenheit und Rührigkeit
(Unternehmungsgeist, Lebhaftigkeit).
Nachdem z.B.
„seine“ Rosina, die als „pudens virgincula“
(schüchternes Mädchen)
in
sein Haus gekommen war,
daselbst (an diesem Ort)
schlecht geworden, meint er, „die Papisten“
(Papstanhänger)
hätten sie
ihm „zugefügt“(untergeschoben).
(Wilhelm
Martin Leberecht de Wette, V,
Seite
395 und 625.)
Vergleiche unten Seite 70.
um, wenn einmal
die traurige Wahrheit über sein gefürchtetes wirkliches
Hinscheiden sich verbreiten sollte, sagen zu können,
dass wie früher, so auch jetzt Unwahrheiten über Luthers
Tod verbreitet würden1.
1
Nach dem Corp. Ref.
(Corpus Reformatorum - Schriften-Sammlung der
Reformatoren, Halle / Saale, 1834)
VI, 8, leitete
Philipp
Melanchthon auf der Universität seine
Mitteilung über den „erbaulichen“ Tod Luthers mit
folgenden Worten ein:
„Optimi
adolescentes, Scitis nos suscepisse enarrare grammaticam
explicationem epistolae ad Romanos, in qua continetur
vera doctrina de filio dei, quam Deus singulari beneficio hoc tempore
nobis per
Reverendum Patrem et Praeceptorem nostrum amantissimum,
Doctorem Martinum Lutherum
patefecit.
Verum hodierno die tam tristia huc
sunt scripta, quae ita auxerunt dolorem meum, ut nesciam
an possim posthac in hisce scholasticalibus pergere.
Haec autem consilio aliorum Dominorum
ideo volo vobis commemorare, ut
sciatis, quo modo res vere se habeat, ne vel ipsi falsa de hoc casu
spargatis, neve aliis fabellis hinc inde, ut solet
fieri, sparsis fidem habeatis.“
„Hochgeschätzte
junge Herren, Sie wissen, dass wir (damit) begonnen
haben, die sprachwissenschaftliche Erläuterung
(Erklärung) des Briefes an die Römer auszulegen (zu
beschreiben), in welchem die wahre Lehre vom Sohn Gottes
enthalten ist, welche Gott mit einer einzigartigen Gnade
uns in dieser Zeit durch den ehrwürdigen Vater
(Hochwürden) und unseren liebreichsten Lehrer, Doktor
Martin Luther, offenbart hat (ans Licht gebracht hat).
Wahrlich jedoch (allerdings) sind am heutigen Tag hierzu
so traurige (schmerzliche / unglückliche) Ereignisse
geschrieben worden, welche meinen Schmerz so sehr
vergrößern (verstärken), sodass ich nicht weiß, ob ich
hier in diesen scholastischen Studien (schulischen
Angelegenheiten) hernach (in Zukunft) fortfahren kann.
Diese Dinge jedoch möchte ich euch durch die
Ratsversammlung (durch den Ratsbeschluss) der anderen
Herren deswegen in Erinnerung rufen (erwähnen), damit
ihr versteht, auf welche Weise sich die Sache
tatsächlich (in Wahrheit) verhält, und auch damit ihr
selbst über diesen Fall nicht Unwahrheiten verbreiten
würdet und damit ihr von nun an auch nicht anderen
verbreiteten Geschichten (gestreuten Fabeln) daraus
(hier und dort), wie es zu geschehen pflegt (wie es
üblich ist), Glauben schenkt.“
Das „ut
solet fieri“
(wie es
üblich ist)
ist
natürlich eine ebensolche Lüge wie die, dass Gott erst
durch Luther die wahre doctrina de filio dei
(Lehre
vom Sohn Gottes)
geoffenbart haben sollte, nachdem er die Menschheit
durch 15 Jahrhunderte hierüber
(darüber)
im Irrtum
belassen
hat.
– Die „allii Domini“,
(die
anderen Herren)
auf deren
Rat hin Melanchthon den „fabellis“
(Fabeln)
vorbeugen
wollte, konnten sowohl die in Wittenberg, als
auch
die in Eisleben weilenden Freunde Luthers gewesen sein.
Veit Dietrich
hatte übrigens ebenfalls einen Brief von Jonas (vom 9.
März 1546) erhalten, worin dieser betreffs des
Leichenzuges aus Halle mitteilt:
„Monachi et
papistae finxerunt in feretro Lutheri evanuisse corpus,
vacuum huc nos advexisse feretrum. Senatus etiam severe
animadvertit in quosdam.“
„Die
Mönche und Papstanhänger haben erfunden (erdichtet),
dass der Leichnam Luthers auf der Totenbahre
verschwunden ist, die leere Bahre uns hierher gebracht
(hergetragen) wurde. Auch (sogar) der Senat
(Ältestenrat) hat das bei einigen gewissenhaft
beobachtet (ernstlich wahrgenommen).“
(Kawerau I. c.
= 1. Kapitel
Seite 186).
Wenn wirklich
diese Version verbreitet wurde, so würde sie nur eine
Bestätigung dafür sein, dass auch das Gerücht verbreitet
war, „Lutherum a Cacodaemone sublatum fuisse .“
(Luther sei von einem bösen Geist
/ Dämon beseitigt worden.)
Die „Monachi et
papistae“ (die Mönche und
Papstanhänger) zu Halle werden wohl aber die
Ansicht des Hallenser Mönches Helmesius gehabt haben,
der uns die Tatsache verbürgte, dass der Leiche Luthers
eine Unzahl Raben gefolgt waren, welche gewiss nicht
hinter einem leeren Sarge hergeflogen wären.
(Näheres darüber
in der zweiten und den folgenden Auflagen von „Luthers
Lebensende“.)
Herr Kolde würde
also der historischen Wissenschaft einen besseren Dienst
erwiesen haben, wenn er statt vier Seiten lang über „in“
(auf / nach / bei)
oder
„ad“
(zu
/ nach / bei)
zu streiten, oder statt der
„Briefchen“ von Leuten, die vor Schreck nicht schreiben
konnten, die beiden von Kawerau mitgeteilten Briefe
kommentiert hätte, welche Veit Dietrich über Luthers Tod
und Begräbnis von Hieronymus
Besold und Justus
Jonas
erhalten hatte1.
1
Kolde erwähnt nur mit einem
kurzen „Witz“ das Schreiben des Jonas aus Halle. Der
Brief Besolds und die Erklärung Melanchthons vor den
Studierenden (Studenten) sind ihm entweder unbekannt,
oder er geht ihnen aus dem Wege.
Auch noch auf
ein weiteres Fechter-Kunststückchen des Herrn Kolde
möchte ich bei dieser Gelegenheit aufmerksam machen.
Ich hatte unter
Anderem darauf hingewiesen, dass noch im Todesjahr
Luthers Christophorus Longolius eine „Oratio ad
Lutheranos“ (Rede an die
Lutheraner) publiziert habe, in welcher es hieß:
„Nostis hominem
altero crure claudum, humero strumosum, oculo captum, ac
morbo tum comitiali, tum eo, qui libidinem eius
obscoenis pustulis indicet, foede misereque confectum.“
„Ihr
habt den Menschen gekannt, an einem Bein lahm, an der
Schulter geschwollen (skrofulös / entzündet), am Auge
blind, und außerdem sowohl von der Krankheit der
Epilepsie behaftet (durch einen epileptischen Anfall)
als auch (noch dazu) durch diese - welche die Wollust
(Leidenschaft) dessen durch Bläschen an den Genitalien
(Syphilis / Hautausschlag im Intimbereich) anzeigen soll
- grauenhaft (entsetzlich) und auch bemitleidenswert
(erbärmlich) gänzlich erschöpft (am Boden zerstört).
Meiner
Gewohnheit gemäß hatte ich die Stelle nicht übersetzt,
sondern bemerkt, dass „hier die verschiedenen
körperlichen Gebrechen, an denen Luther bei Lebzeiten,
insbesondere in Folge seiner Leidenschaften litt, kurz
aufgezählt“ seien.
Ich kann
versichern, dass ich mir unter den „Leidenschaften“
keine andere gedacht hatte, als die doppelte Unmäßigkeit
im Essen und Trinken. So erklärte ich mir auch die
„obscoenae pustulae“ (Syphilis /
Hautausschlag im Intimbereich)
genügend aus den
fünf Quart (ca. 5 Liter)
Wein, deren der „feiste Doktor“ – wie der „Gottesmann“
sich selber nannte – bei jeder Mahlzeit bedurfte.
Nicht so Herr
Kolde. Er meint, die „obscoenae pustulae“
(Genitalien-Bläschen)
müssten sich auf etwas anderes beziehen und bezeichnet
dabei eine Krankheit, die nach dem Rate des heiligen
Paulus unter Christen nicht genannt werden soll.
Und dann fährt
er fort:
„Ich weiß nicht,
ob man jemals
etwas
Gemeineres gelesen hat.“
Hier bedaure ich
aufrichtig, Herrn Kolde sagen zu müssen, dass die
„Gemeinheit“
ausschließlich
auf seiner Seite liegt, dass er mir einen Gedanken
imputiert (anrechnet / andichtet),
den ich nicht im Ernstesten gehegt
habe, der aber entweder seinem protestantischen
Ideenkreise näher liegen oder dessen Applikation
(Anwendung)
an die Person
Luthers ihm angebracht erscheinen muss. In jedem Falle
hat er Recht:
„Etwas
Gemeineres“ als er niedergeschrieben hat, kann man nicht
lesen !
Nach all diesen
Proben (Stücken)
wird man
sich nicht wundern können, wenn Kolde auch mit den
Berichten des Bozius und Sedulius in seiner Art fertig
wird.
Ich will ihm
auch hierbei in alle Einzelheiten folgen.
Er schreibt
bezüglich des Bozius:
„In seinen
großen polemischen Werken De signis ecclesiae
(Über die Merkmale der Kirche)
will Thomas Bozius
in lib. XXIII. Cap. III. (Buch 23,
Kapitel 3) an dem üblen Ausgang des Häresiarchen
(Anführer der Ketzer)
dartun (deutlich machen),
wie sich der Satz bewahrheite, dass sich an dem Tode
erkennen lasse, ob jemand zur Kirche Gottes oder zur
Kirche derer gehöre, welche Gott hasse.
Zu dem Ende wird
von dem entsetzlichen Tode des Simon Magus
(Simon der Magier, Simon von
Samarien, Simon von Gitta; † 65 in Rom, gilt als erster
Häretiker der Kirche) an die ganze
Kirchengeschichte durchgegangen
(durchgehend berichtet), wobei jeder
Kirchenhistoriker einen Schatz neuer Nachrichten finden
wird.
Dann wendet sich
der Autor zu seiner Zeit hin,
um das schreckliche Ende Luthers,
Johannes Oecolampads
(Oecolampadius), Martin
Bucers, Johannes
Calvins
(eigentlich Jean Cauvin)
und Ulrich (Huldreich)
Zwingli's zu schildern.
Oecolampad wurde
stranguliert (erwürgt),
Calvin starb nach längeren Leiden an den verschiedensten
Krankheiten, letztendlich
an der Läusesucht (massenhafter
Befall durch Läuse oder Krätzmilben, größere Beulen auf
der Haut mit starkem Brennen und Juckreiz; auch Philipp
II. von Spanien, Herodes und der Römer Sulla sollen
daran gestorben sein, wobei die Insekten das Fleisch
Sullas zerfraßen).
Ganz arg soll es
Bucer ergangen sein, an dessen Totenbette ein
schrecklicher Teufel stand, der alle Dabeistehenden zum
Tode erschreckte und der ihn dann, um seine Seele zu
holen, niederschlug, so dass er, indem seine Eingeweide
im Schlafzimmer allenthalben sich hierhin und dorthin
ergossen, unter schrecklichen Qualen seinen Geist
aufgab.
Von Luther aber
berichtet Bozius, er habe, nachdem er des Abends
herrlich gespeist und sich fröhlich schlafen gelegt
hat, in derselben Nacht
seinen Tod durch Erstickung gefunden. Indessen fügt er
hinzu, dass er vor kurzem durch das Zeugnis eines
Vertrauten Luthers, der als Knabe sein Diener gewesen
war, vor längerer Zeit
(superioribus annis = in den
letzten / älteren Jahren) sich aber zur
katholischen Seite gewendet hat,
in Erfahrung gebracht, dass Luther sich durch Erhängen
getötet habe, aber allen Dienern, die um die Sache
gewusst haben, ein Eid
auferlegt worden wäre, es nicht zu verraten.“
Nach diesem
Referate (Bericht / Vortrag)
aus Bozius schreibt Kolde mit gesperrter Schrift:
„Von allen
diesen schönen Dingen teilt nun Majunke seinen Lesern
wohlweislich bloß die Stelle
über Luther mit, und dass Bozius selbst deutlich
unterscheidet zwischen seinem positiven Bericht
(suffocatus interiit = er ist
erwürgt zugrunde gegangen / erstickt umgekommen)
und dem, was er weiter gehört hat, bleibt unbeachtet.
Diese
Mitteilung, deren Form die eigene Unsicherheit des
Berichterstatters deutlich erkennen lässt, und die sich
schon durch den Zusammenhang, in dem sie sich findet,
als tendenziöse (politisch oder
religiös beeinflusste / nicht objektive)
Erfindung verrät, ist für Majunke aus äußeren Gründen
authentisch (glaubwürdig),
aus inneren nicht unwahrscheinlich.“
Zunächst ist zu
konstatieren (bemerken /
festzustellen), dass Kolde sich zwei grobe
Übersetzungsfehler hat zu Schulden kommen lassen.
Schon als
Gymnasiast (Schüler)
hätte
er wissen müssen, dass das Wort „puer“ nicht nur Knabe,
sondern auch Jüngling (junger
Mann) heißt, dass Cicero speziell so den
19-jährigen Octavius nennt (Cic. Fam. 12, 25
- Cicero, epistulae ad familiares
= Briefe an Familienmitglieder und Freunde), dass
das Wort aber auch häufig im Sinne von „Diener“
(franz. Page, Knappe)
bei
den Römern gebräuchlich war.
Und als
Theologe, wenn auch als protestantischer, hätte Kolde
wissen sollen, dass in der letzterwähnten Bedeutung
„puer“ in der Vulgata
(Umgangssprache und allgemein übliche Textfassung /
Bibeltext-Übersetzung) fast allgemein gebraucht
wird und dass Bozius sich hier dem Sprachgebrauch der
Vulgata anschließt.
Der „Knabe“ kann
also sehr wohl schon seine 20 Jahre gezählt haben, als
er Luthers Leichnam liegen sah. Man liest auch nirgends,
dass Luther sich hätte von Knaben im gewöhnlichen Sinne
des Wortes, also von Schulknaben, bedienen lassen.
Bozius nennt
auch den „puer“ („Bub“)
ausdrücklich „familiaris“, d.h. einen zum Hauswesen
Luthers gehörigen Diener.
In den Worten:
„Audivi testimonio sui familiaris, qui tum puer illi
serviebat, et superioribus annis ad nostros se recepit“
(Ich habe durch das Zeugnis seines
Hausdieners vernommen, welcher jenem damals als junger
Mann diente und sich in den letzten Jahren zu den
Unsrigen zurück begab . . .)
soll also
ausgedrückt werden, dass der betreffende Diener in
jüngeren Jahren zu Luthers Hauswesen gehörte, in älteren
Jahren (superioribus annis) dagegen zur katholischen
Kirche zurückgekehrt war.
Die genaue
Übersetzung jenes Satzes muss somit lauten:
„Ich habe
erfahren durch das Zeugnis eines Dieners Luthers, der
damals im jugendlichen Alter ihm diente, in seinen
späteren Jahren aber zu den Unsrigen sich zurückzog.“
Daraus macht nun Kolde, Bozius habe durch das Zeugnis
eines „Vertrauten“ Luthers, der als „Knabe“ sein Diener
gewesen ist, „vor längerer
Zeit“ sich aber zur katholischen Kirche gewendet
hat, in Erfahrung gebracht
usw.
In den Worten
„Vertrauten“ und „Knabe“ stecken zwei kleinere, in den
Worten „vor längerer Zeit“ steckt aber ein sehr grober
Übersetzungsfehler. Der Zusammenhang zeigt deutlich,
dass unter den „superioribus annis“ die späteren
Lebensjahre von Luthers Diener zu verstehen sind im
Gegensatz zu „puer“ respektive
(beziehungsweise) „tum“
(damals), nicht aber wie Kolde annimmt, die Jahre
des allgemeinen Zeitalters.
Durch die Worte
„superioribus annis“ bezeichnete Bozius einen ihm näher
gelegenen Zeitpunkt, Kolde dagegen macht einen
entfernter gelegenen – „vor längerer Zeit“ – daraus.
Dabei besitzt Kolde noch die Naivität, bei seiner
falschen Übersetzung: „vor längerer Zeit“, den
lateinischen Text „superioribus annis“ hinzuzufügen ! –
Und dieser Mann will sich über die Übersetzungen anderer
lustig machen !
Gelegentlich
spottet er auch einmal über den „römischen Doktorhut“. –
Ich kann ihm die Versicherung geben, dass er mit seinen
lateinischen Kenntnissen niemals in Rom das Doktorexamen
bestanden haben würde ! Für einen deutschen
„Universitätsprofessor“ scheint aber Kolde noch zu
verwerten zu sein !
Weiter:
Kolde
beschuldigt mich, dass ich „von allen diesen schönen
Dingen“ – nämlich von dem, was Bozius über das Ende auch
anderer Irrlehrer sagt – „wohlweislich bloß die stelle
über Luther“ mitteile.
Hier wurde mir
eine „Weisheit“ imputiert
(angerechnet / untergeschoben), auf die ich
keinen Anspruch erheben kann.
Die Stelle aus
Bozius wurde von mir mit den Worten eingeleitet:
„Bozius
berichtet in dem Kapitel, welches über das traurige Ende
aller Häresiarchen handelt: Lutherus cum vespere laute
coenasset“ (als Luther am Abend
herrlich gespeist hätte) usw.
Nun folgte
wörtlich der Passus (die
Textstelle) über Luther. Von dem, was Bozius über
Oecolampadius und die folgenden sagt, habe ich nichts
mehr mitgeteilt.
Kolde meint nun,
ich hätte auch dies wiedergeben sollen.
Wir wollen
sehen, ob das nötig war.
In dem von Kolde
gewünschten Umfang würde das Zitat aus Bozius wie folgt
lauten:
„Veniamus ad
auctores haeresum nostri temporis. Lutherus cum vespere
laute coenasset, ac laetus somno se dedisset, ea nocte
suffocatus interiit. Audivi haud ita pridem compertum
testimonio sui familiaris, qui tum puer illi
serviebat et superioribus annis ad nostros se
recepit, Lutherum sibimet ipsi laqueo iniecto necem
miserrimam attulisse; sed datum protinus cunctis
domesticis rei consciis iusiurandum, ne factum
divulgarent, ob honorem adiecere Evangelii.
Oecolampadius
ante Lutheri interitum nocte dum dormiret, improvisa
morte est strangulatus. Id cum percepisset Lutherus,
Oecolampadio infensissimus, quod ab ipso discessisset,
haeresimque novam protulisset, editis scriptis
exclamabat sibi esse exploratissimum, Oecolampadium
ignesis diaboli telis confossum.
Eundem casum
subiit Carolostadius, ut affirmat minister quidam
Lutheranus in epistola typis excusa. Bucero dicunt
animam pene (= paene)
agenti astitisse daemona horrendum, qui cunctos astantes
timore exanimarit, a quo ut aninam aveheret secum,
fuerit perculsus: nam lecto deturbatus effusis per
cubiculum passim huc illuc visceribus multisque
cruciatibus exanimatus exspiravit.
Iam Calvinus
totos quatuor annos novem morbis dirissimis (id Beza
discipulus eius primarius ac studiosissimus scriptum
reliquit) miserrime excruciatus interiit:
cholica, dolore
articulorum, calculo, haemorroidibus, febri, asthmate,
hemicranio, pituita, vomitione, demum pediculis undique
scatentibus, ut testatur, qui ipsius vitam Gallico
sermone scripsit, exesus, infelicissime ac turpissime
obiit.“
Zu deutsch:
„Lasst
und zu den Urhebern (Gründern) der Ketzerei (der
Irrlehren) unserer Zeit übergehen. Als Luther am Abend
vortrefflich gespeist hätte und sich darauf gut gelaunt
zur Ruhe begeben hätte, ist er in dieser Nacht erwürgt
zugrunde gegangen.
Ich habe vor nicht allzu langer Zeit durch die
zuverlässige Zeugenaussage seines Hausdieners vernommen,
welcher jenem damals als junger Mann (Bursche) diente
und sich in den späteren (seinen letzten) Jahren zu den
Unsrigen begab (zurückgezogen hat), dass Luther sich
durch einen sich selbst angelegten Strick einen
unglücklichen gewaltsamen Tod beigebracht haben soll;
indessen wurde jedoch von allen in die Angelegenheit
eingeweihten Hausbewohnern (zum Haus gehörigen
Mitwissern) sogleich (unverzüglich) ein eidliches
Versprechen gegeben (ein Schwur geleistet), dass sie die
Tatsache keinesfalls veröffentlichen sollten, zur Ehre
des Evangeliums, haben sie hinzugefügt.
(Johannes) Oecolampad ist (lange) vor dem Umkommen
Luthers - währenddessen er in der Nacht schliefe - durch
einen unerwarteten Tod erdrosselt worden.
Als Luther das wahrgenommen hätte, durch Oecolampad
völlig aufgebracht (verbittert / verfeindet), weil er
von selbst auseinandergegangen (weggegangen) wäre und
eine neue Irrlehre hervorgebracht hätte, schrie er wegen
der veröffentlichten Schriftstücke aus voller Brust
laut, sich sehr sicher zu sein, dass Oecolampad durch
die feurigen (glühenden) Geschosse des Teufels
durchbohrt worden ist.
Auf denselben Unglücksfall ist Carolostadius (Andreas
Karlstadt) gefolgt, wie ein
Diener, ein gewisser Lutheraner, in einem schriftlich
ausgearbeiteten Brief anhand von Bildern (Figuren)
bestätigt (bekräftigt / behauptet). Mit Rinderhörnern -
sagt man (= sagen sie) - sei bei dem fast (so gut wie)
ausgehauchten Leben (in den letzten Atemzügen Liegenden)
ein Dämon zum Fürchten dabeigestanden (hinzugetreten),
der alle Dabeistehenden durch Angst des Atems beraubt
hätte, von welchem er (Carolostadius) – damit er (der
Teufel) die Seele mit sich fortschaffen kann -
erschüttert worden sei (wohl erschüttert worden ist): Er
hat nämlich - ins Krankenbett
geworfen (als ins Bett Gestürzter) - durch die überall
im Schlafzimmer nach allen Seiten hin (hierhin und
dorthin) zerstreuten (hervorgequollenen) Gedärme und
durch die vielen Qualen als des Lebens Beraubter (als
Halbtoter) den Geist aufgegeben (das Leben ausgehaucht).
Ferner ist Johannes Calvin (= Jean Cauvin) sogar ganze
vier Jahre lang an neun besonders grauenvollen
Krankheiten (darüber hat Theodor Beza – dessen Schüler -
als einer der ersten / ansehnlich und außerdem sehr
sorgfältig ein Schriftstück hinterlassen) jämmerlich
(elendig) gemartert (gequält) umgekommen:
An
Koliken (krampfartige Schmerzen) / Cholica passio =
Gallenbrechruhr (bakterieller Brechdurchfall) = Cholera,
Dolore articulorum = Gicht-Schmerzen, Calculus =
Blasenstein (Steinleiden), Hämorrhoiden (Blutfluss /
Darmblutungen), Fieberanfälle, Asthma (Brustkrampf /
Engbrüstigkeit / Atemnot), Hemicrania = Migräne
(Kopfschmerz durch Durchblutungsstörung), Pituita = Hypophyse-ACTH-Hypersekretion
(eitrige Verschleimung der Atemwege) / Nasenkatarrh /
Schnupfen / und an Erbrechen (bakterieller Brechreiz),
schließlich an haufenweise von überall (aus Kalvins
Körper) hervorkommenden Läusen*,
wie er bezeugt (versichert), welcher seinen Lebenslauf
aufgrund eines Gesprächs mit einem Gallikaner (Anhänger
des Gallikanismus) niedergeschrieben hat, von innen
heraus zerfressen (ausgehöhlt), äußerst unglücklich
(besonders unselig) und auch wirklich schändlich
(entstellt) verschieden (gestorben) ist.“
*
Läusesucht = massenhafter Befall durch Insekten
Ich will nun
getrost jeden Historiker fragen, ob es für mein Thema
nötig war, dass ich mehr aus dem Vorstehenden angab, als
ich zitiert hatte, nämlich den Passus
(Textabschnitt)
über
Luther, zumal ich in der Einleitung zu meinem Zitat den
Inhalt des ganzen Bozius'schen Kapitels angegebene
hatte.
Oder findet sich
etwa in den Sätzen von „Oecolampadius“
(Johannes Oecolampad)
an
eine Stelle, welche mein Zitat irgendwie einschränkt ?
Wäre Letzteres der Fall gewesen, so hätte ich allerdings
eine Unehrlichkeit begangen, wenn ich nicht auch
wenigstens die einschränkende Stelle mitgeteilt hätte.
Nun sieht aber
jedermann, dass das weitere Zitat eher das, was über
Luther gesagt ist, zu bestätigen geeignet ist, zumal
Bozius bei allen einzelnen Fällen die Belege angibt.
Ein gerader,
ehrlicher Sinn, der nicht wie Kolde an alle möglichen
Schliche und Kniffe denkt, wird auch begreifen, warum
ich mich nur auf Luther beschränkt und die meiner
Beweisführung günstigen weiteren Ausführungen des Bozius
weggelassen habe. Ich wollte eben nicht zu viele
Scandala (Skandale)
dem
Leser bieten; es war und ist doch mit Luther gerade des
Skandals genug !
Einer weiteren
„Weisheit“ rühme ich mich in diesem Punkte nicht.
Auch so weit
reicht meine Weisheit nicht, dass ich gleich Kolde
„beachtet“ hätte, wie Bozius „deutlich unterscheidet
zwischen seinem positiven Bericht (suffocatus interiit
=
erwürgt umgekommen, Tod durch Fremdverschulden)
und dem, was er weiter gehört hat.“ Jedermann, der des
Lateinischen mächtig ist, sieht doch, dass Bozius durch
die Anführung dessen, was er gehört hat, den Beweis von
dem geben will, was er positiv behauptet hatte. Eine
„Unterscheidung“ wird hierbei dem Autor nur von Kolde
imputiert (angerechnet /
vorgeworfen), der, weil er mit einer
ungekünstelten Auslegung nicht zum Ziele kommen kann,
etwas unterlegen muss.
Dass die
Historiker des zeitungslosen 16. Jahrhunderts eine von
ihnen zuerst an die Öffentlichkeit gebrachte Nachricht
allgemein mit „Audivi“ (ich habe
gehört) einleiteten, weiß natürlich Kolde wieder
nicht.
Dass er naiver
Weise bemerkt, Bozius habe „einen Schatz neuer“
Nachrichten (außer der auf Luther bezüglichen
Mitteilung) enthüllt, daran ist natürlich nur seine
Unwissenheit, oder sagen wir, da es sich hier um die
Kenntnis der gegnerischen Literatur handelt, seine
Einseitigkeit schuld.
Irgendeinen
positiven Beweis gegen die Glaubwürdigkeit des
Bozius'schen Berichtes vermag Kolde mit keiner Silbe
vorzubringen !
Aber die
geradezu erstaunlichen Verrenkungs-Versuche, die er am
Zitat des Bozius erprobte, sind wieder einmal ein Beweis
dafür, was die Geschichtsquellen unter den Händen solch'
„frei forschender Geister“ sich gefallen lassen müssen.
Was würde wohl
aus dem „Worte Gottes“ werden, wenn Kolde den
zukünftigen Seelenhirten „dogmatische Theologie“
(Glaubenswahrheiten der
katholischen Kirche, Teilgebiet der Systematischen
Theologie) vorzutragen hätte ?!
Sehen wir nun,
wie er sich mit Heinrich
Sedulius abzufinden sucht.
Die Erklärung
von Luthers Diener nennt er eine „schwülstige“ – was man
ja zugeben kann – und meint dazu:
„Dieses jeder
Beglaubigung entbehrende, von einem Unbekannten zu
unbekannter Zeit „zur Ehre Christi und zur Erbauung der
ganzen christlichen Kirche“ abgelegte Bekenntnis,
welches Sedulius von einem gleichfalls nicht genannten
Manne erhalten hat, soll die 60 Jahre nach Luther
bekannt gewordene authentische Nachricht von Luthers
scheußlichen Tode sein, mit der Majunke die Aussagen der
oben namhaft gemachten zahlreichen Augenzeugen einfach
werfen will.“
Nun schweift
Kolde von der Sache ab, erzählt des Langen und Breiten
die Rabengeschichte, von der
Heinrich Sedulius nach
Tilmann Bredenbach berichtet und frägt, warum ich
nicht desgleichen getan habe.
Es freut mich,
ihm sagen zu können, dass sein Wunsch längst erfüllt
ist. Von der zweiten Auflage meiner Schrift an – ich
musste erst den Bericht des Helmesius haben, den ich
nicht eher erhielt – findet er die Rabengeschichte mit
allem, was dazugehört, ausführlich erörtert.
Aber lassen wir
uns nicht Sand in die Augen streuen, sondern beachten
wir, was Kolde über das von
Heinrich Sedulius veröffentlichte Dokument sagt.
Er legt zunächst
großen Wert darauf, dass der Name
Rudtfeld
des Dieners nicht genannt ist.
Als ob er dem
Aktenstücke mehr Glauben beimessen würde, wenn der Name
Schulze oder Müller darunter stände !
Als Professor,
zumal (insbesondere)
als
Geschichts-Professor, wird Kolde wohl wissen, dass es in
solchen Fällen weniger auf die Persönlichkeit desjenigen
ankommt, welcher solche Erklärungen zu Protokoll gibt,
als vielmehr auf die Glaubwürdigkeit desjenigen
Schriftstellers, welcher derartige Aussagen in die
Öffentlickeit bringt. Dessen Sache ist es zu eruieren,
ob die betreffende Enunziation
(Aussage / Erklärung) so viel Garantien der
Zuverlässigkeit bietet, dass er sie auf seine Autorität
hin der Nachwelt verbürgen kann. Aufgrund einer
derartigen Prozedur sind bekanntlich hunderte und
tausende von Vorgängen in die Tafeln der Geschichte
eingegraben worden und bis auf den heutigen Tag in
unbestrittener Geltung geblieben, sowohl in der
weltlichen
Profan- wie in
der Kirchengeschichte.
Nun ist aber
Sedulius ein Autor, dem ebenso wie dem Bozius auch von
protestantischer Seite das Lob eines gewissenhaften und
dabei vielerfahrenen Schriftstellers zuteil wird.
(Vergleiche den Artikel „Sedulius“ im Universallexikon
von Zedler, Leipzig 1733.) Sedulius war, wie kein
zweiter Schriftsteller seiner Zeit weit in Deutschland
herumgekommen, weil er an vielen Orten
(Franziskaner-)Guardian (wörtlich:
Wächter / Vorsteher der Klostergemeinschaft)
war.
Ihm war darum die ausgiebige Gelegenheit zu gründlichen
Recherchen (Nachforschungen)
auch in unserer Frage geboten. Nun meint aber
Kolde, die betreffende Nachricht sei erst „60 Jahre nach
Luther bekannt“ geworden.
Das ist aber nur
richtig, soweit es sich um den Wortlaut der Erklärung
handelt.
In der Sache
selbst war die Aussage des Dieners schon dem Bozius
bekannt, dessen Buch 1593 erschien. Dieser konnte aber
seine Kenntnis schon viel früher erlangt haben; 1593
hatte er sie erst durch den Druck bekannt gegeben.
Und das große
Werk, welches er drucken ließ, konnte nicht in einem
Jahr fertiggestellt werden.
Ebenso konnte
der Wortlaut der Erklärung des Dieners schon längst
handschriftlich vervielfältigt gewesen sein, als ihn
Sedulius im Jahre 1606 durch den Druck ins Publikum
brachte. Wahrscheinlich war er auch schon vor der
Publikation des Bozius vorhanden.
Kolde vermag
denn auch hier wiederum nicht mit positiven
Beweismitteln anzukämpfen. Er muss sich schließlich
hinter die Phrase (nichtssagende
Aussage / Schlagwort) verschanzen:
„Es nicht nötig,
an diesem Bericht (des Sedulius) noch irgendwelche
Kritik zu üben,
selbst unter
Majunke's Gesinnungsgenossen sind schon Stimmen laut
geworden, dass „mit einem solchen Zeugnis einfach nichts
anzufangen sei1.“
1 Kolde beruft
sich hierbei auf die „Augsburger Volkszeitung“, welche
jenen Satz der „Kölner Volkszeitung“ nachgeschrieben
hatte – bekanntlich unter Wegstreichung anderer Stellen
des Kölner Blattes.
„Oder sollte es
wirklich“, fährt er fort, „auch abgesehen von allen
übrigen Berichten und dem völligen Mangel der
äußerlichen Beglaubigung jemand für wahrscheinlich
halten, dass man
von einem
unter diesen Umständen erfolgten Selbstmord Luthers, von
dessen Leiche seine Diener in ihrer Bestürzung
forteilen, um den verschiedenen in Eisleben versammelten
Fürsten die Schreckenskunde zu bringen, über 40 Jahre
(oben sprach Kolde vorher
von 60 Jahren) kein Sterbenswörtchen verlauten konnte ?
Im Nu, noch ehe
die Diener zurück waren, noch ehe die Fürsten sich
überhaupt besannen, wie die Sache zu vertuschen
wäre, hätte die Geschichte
bekannt sein müssen.“
Nun, das ist ja
gerade der große Irrtum Kolde's und seiner
Gesinnungsgenossen, dass sie fortwährend voraussetzen,
es habe vor Bozius und vor Sedulius niemand „ein
Sterbenswörtchen“ über Luthers wahres Lebensende
verlauten lassen.
Das ist eben
ganz und gar nicht der Fall gewesen. Gerade das
Gegenteil war wahr.
„Er ist nicht
mehr denn einen Tag tot gewest
(gewesen),“ sagte der Prediger Coelius
(Schlossprediger von Mansfeld und
einer der drei treuesten Gefährten Luthers)
in
der Leichenrede vom 20. Februar 1546, „und schon fanden
sich Leute, die, durch den bösen Geist getrieben,
ausgebracht (vorgebracht)
haben sollen, als habe
man
ihn tot im Bette gefunden. Ja, ich trage nicht Zweifel,
dass der, so von Anbeginn ein Lügner ist, noch
mancherlei mehr und schlimmere Dinge erfinden wird.“
Aus den
Diener-Kreisen heraus verbreiteten sich sofort die
schlimmsten Gerüchte und wenn zwar auch keiner der
Diener in Bezug auf die Hauptsache eine positive
Äußerung fallen ließ, so erkannte doch das Publikum aus
der allgemeinen Bestürzung und Verwirrung, zu welcher
sich die bedenkliche Geheimtuerei der Beteiligten
mengte, zur Genüge, was vorgefallen sein musste.
Einzelne ins Publikum gedrungene Nachrichten über
Nebenumstände, z.B. dass die Ärzte erst nach dem Tode
Luthers hinzugekommen
waren,
dass die Wiederbelebungsversuche vorgenommen
wurden,
dass man die Leiche außerhalb des Federbettes gefunden
hatte
– das Bekanntwerden aller dieser Nebenumstände, welche
die „Historia“ vergeblich teils zu leugnen, teils
harmlos zu deuten suchte, musste natürlich die Aufregung
im Publikum noch mehr befördern.
Schon am nächsten Tage suchte man in Wittenberg den
schlimmen Gerüchten vorzubeugen und so setzt sich der
Dementierungs-Eifer
(das gewissenhafte Abstreiten)
der Lutheraner fort bis nach Königsberg1
!
1
In
der schon erwähnten Schrift
Dr. Franz
Hiplers: „Nicolaus Kopernikus und Martin Luther“,
Braunsberg 1868, wird
auf
Seite 59 mitgeteilt, dass der Herzog Albrecht von
Preußen an den Bischof
Johannes
Dantiscus
(eigentlich: Flachsbinder) vom Bistum Kulm und
von
Ermland die
„Historia“ über Luthers Tod gesendet
hat,
damit der Empfänger „der Unwahrheit so vyl
(viel)
weniger sich zu besorgen habe.
In eine
Druckschrift durfte sich im Sachsenlande bei der
eisernen Zensur die Wahrheit nicht wagen, aber noch im
Todesjahr Luthers lässt Christophorus Longolius in Köln
die Worte drucken:
„Nostis hominem
foede misereque confectum !“
„Ihr
habt den Menschen (Mann) gekannt, grauenhaft und auch
bemitleidenswert
gänzlich erschöpft (am Boden zerstört) !“
Trotzdem dann
unmittelbar nach Luthers Tode der Schmalkadische Krieg
(1546 bis 1547, Kaiser Karl V.
siegte gegen den Schmalkaldischen Bund, ein Bündnis
protestantischer Landesfürsten und Städte unter der
Führung von Kursachsen und Hessen)
begann und die
innere Zerrüttung Deutschlands größere Dimensionen
annahm, behielt man katholischerseits Luthers Ende im
Auge und die Kardinäle Hosius und Bellarmin, sowie
Claudius de Sainctes ergingen sich darüber in
Andeutungen, die bei dem Mangel eines öffentlich
vorzubringenden Augenzeugen bestimmt genug auftraten.
Unter diesen
Umständen zu behaupten, dass man
vor der bei Sedulius erschienenen Erklärung „kein
Sterbenswörtchen“ über Luthers wirkliches Ende verlautet
hätte, kann wohl auch nur einem Kolde möglich sein.
Das von
Heinrich
Sedulius
publizierte Dokument würde sowohl bei der Mitwelt wie
bei der Nachwelt wenig Eindruck gemacht haben, wenn
nicht eben dadurch eine Bestätigung dessen erfolgt wäre,
was die Gegner Luthers seit 60 Jahren behauptet und
seine Freunde bestritten hatten.
Aber selbst wenn
auch durch jenes Dokument etwas absolut Neues bekannt
geworden wäre – ist denn etwas so Seltenes, dass eine
Tatsache erst 40 – 60 Jahre, nachdem sie sich zugetragen
hat, in der Öffentlichkeit
bekannt wird ?
Sind nicht in
unserem Zeitalter durch die Geschichtswissenschaft
Geheimnisse entschleiert worden, die Jahrhunderte,
Jahrtausende alt waren ?
Sind nicht die
römischen Katakomben vom 12. Jahrhundert bis 1578 der
Welt gänzlich unbekannt geblieben ?
Weiß denn Kolde
nicht, dass die Staats-Archive, soweit sie Aktenstücke
zur Geschichte der Gegenwart enthalten, in der Regel
erst nach 50 Jahren geöffnet werden ?
Und gerade der
Chronist der Gegenwart findet die Geschichte der
nächsten Vergangenheit fast durch täglich ihm
zuströmende neue Nachrichten bereichert.
Ich für meine
Person habe bereits zweimal die „Geschichte des
Kulturkampfes“ geschrieben, aber ich habe in den letzten
Wochen wieder so viel neues und interessantes Material
von noch am Leben befindlichen Persönlichkeiten zu
diesem Thema erfahren, dass ich sogleich zum dritten
Male meine Aufgabe ab ovo (vom Ei
an = von Anfang an)
aufnehmen könnte.1
1 Schon ein Vergleich zwischen meiner 1886 und 1887
erschienenen ersten und umfangreicheren Ausgabe der
„Geschichte des Kulturkampfes“ mit der 1890 erschienenen
Volks-Ausgabe beweist, dass in letzterer eine große
Anzahl neuer Mitteilungen enthalten ist. – In der
(unvollendet gebliebenen) 1881 herausgekommenen
„Geschichte des Kulturkampfes“ von
Franz
Xaver
Schulte sind z.B. gar nicht einmal die berühmten
Poschinger'schen Enthüllungen erwähnt, weil sie eben
damals noch nicht bekannt waren.
Ich will ein
hierher gehöriges Beispiel ähnlicher Art kurz erzählen.
In Nr. 48 der
Berliner Zeitschrift „Gegenwart“ (vom 30. November 1889)
findet sich ein Artikel des bekannten „Heine-Forschers“
Gustav Karpeles, in welchem derselbe mitteilt, dass es
im Jahr 1848 zum Bruch
zwischen Heinrich
Heine und
Ferdinand
Lasalle
wegen dem Hatzfeldt-Prozess
gekommen sei.
„Es ist dies,“
bemerkt dazu der Verfasser, „bis jetzt noch nicht
bekannt geworden, aber ich habe authentische Beweise
dafür.“ Als solche führt der Autor an einige Briefe und
eine noch lebende Person. Bis zu dem Tage, an welchem er
dieses schrieb, hatte Karpeles sechs verschiedene
Schriften (von 1868 bis 1888) über Heine verfasst. In
allen diesen war das obige Faktum
(Tatsachen-Material) nicht erwähnt worden, sei es
absichtlich, sei es unabsichtlich; auch andere
Heine-Biographen haben nichts davon mitgeteilt; aber ist
die Enthüllung deshalb minder
(weniger) wahr, weil die ihr zugrunde liegende
Tatsache erst 41Jahre, nachdem sie sich vollzogen
hat, in der Öffentlichkeit
bekannt wurde1?
1 Dabei blieb
der Bruch zwischen Heine und Lasalle ein dauernder.
Am 30. April
1850 schrieb Heine an den Vater Ferdinand Lasalle's die
auch in anderer Hinsicht sehr charakteristischen Worte:
„Von Ihrem Sohne habe ich keine Nachricht und bin sehr
begierig, etwas von ihm zu erfahren. Ich möchte sein
Gesicht sehen, wenn ihm zu Ohren kommt, dass ich, aller
atheistischen Philosophie satt, wieder zu dem demütigen
Gottesglauben des gemeinen Mannes zurückgekehrt bin. Es
ist in der Tat wahr, was das Gerücht, obgleich mit
Übertreibung, von mir verbreitet hat. Hat Ferdinand noch
etwas innere Geistesruhe, so dürfte auch bei ihm diese
Nachricht ein heilsames Nachdenken hervorbringen.“
Ich eile nunmehr
zum Schlusskapitel Kolde's, in welchem er abermals
Proben von einem für einen „Lutherforscher“ bedenklichen
Mangel an Orientierung an den Tag legt.
Hier gleich die
erste davon.
In der ersten
Auflage meiner Schrift war infolge eines Druckfehlers
die Seitenanzahl von der Stelle, in welcher Luther
gesteht, dass er es „wohl erfahren habe, wie es zugehe,
dass man zu Morgen die Leuthe im Bette Tod find
(tot auffindet)“ falsch
angegeben worden. Es musste statt fol.
(Folio-Blatt Nr.) 479 heißen fol. 444.
Das hatte sofort
zur Folge, dass Professor Kolde die Stelle nicht
auffinden konnte.
Er bemerkt
darüber:
„Dass Luther oft
und vielmals über Anfechtungen des Teufels geklagt und
wohl auch des Glaubens sein konnte, dass der Teufel
jemanden plötzlich töten könne – denn das ist doch wohl
an jener Stelle gemeint – ist bekannt. Wo und wann
Luther jenen Ausspruch getan, ist nicht zu ersehen, denn
an der von Majunke zitierten Stelle (Wittenberger
Ausgabe Tomus = Band
VII
folio = Blatt
479) findet
sie sich nicht.“
Der Herr
Professor möge einmal loc. cit. fol. 444
(loco citato = an schon zitierter
Stelle, Blatt 444) aufschlagen: dort wird er das
Gesuchte finden ! – Der „Lutherforscher“ kennt also aus
sich heraus nicht einmal jene signifikante Stelle aus
der jedem katholischen Primaner
(Schüler der obersten Klasse eines Gymnasiums)
bekannten Schrift Luthers über die „Winkelmesse“
(Privatmesse) !
Ähnlich lässt
sich der „gelehrte“ Professor durch einen Schreibfehler
in die Irre führen. Ich hatte aus der Schrift des Prager
Jesuiten-Paters Johann(es)
Krause die Stelle zitiert, in welcher mitgeteilt wird,
dass Luthers Freunde in den letzten Jahren seines Lebens
einen besonderen Bedienten bei ihm angestellt
hatten, „der diesfalls
(damit er sich kein Leid zufüge) auff ihn Hutt haben
sollen“(der für diesen Fall auf
ihn Acht geben – ihn hüten – solle).
Krause schrieb
nach dem Muster seines Ordens-Genossen Conrad (Vetter,
1622 verstorben) über den „wundertätigen“, „wunderbaren“
usw. Luther.
Bis zum Tode
Luthers war Conrad (Vetter) nicht gekommen, wohl aber
ein Jahrhundert später Johann
Krause und so ist ihm die obige Stelle zu danken.
Ich hatte nun
für jenen Passus (Textabschnitt)
die Quelle also angegeben:
„Conrad
(Vetter), der wundertätige Luther, 1716, Seite 74.“
Vollständig
hätte aber der Titel heißen sollen:
„Krause, alias
(auch genannt bzw. eigentlich als)
Conrad (Vetter) redivivus
(wiedererstanden = an dessen Werk anknüpfend),
der wundertätige Luther,
Prag 1716, Seite
74.“
Was macht nun
Kolde daraus ? – Er sagt:
„Dass dies
(nämlich dass man Luther einen besonderen Bedienten zu
bewusstem Zweck gegeben hat)
einfach erlogen ist, ergibt schon Majunke's Quelle
Conrad (Vetter), der wundertätige Luther, 1716, Seite
74. Der Autor dieser (leider weder hier noch in München
oder Würzburg noch in einem bibliographischen Verzeichnis aufzufindenden) Schrift muss der 1622
verstorbene Ingolstädter Jesuit Conrad Vetter sein, der,
um mit seinen Schmähungen Luthers Glauben zu finden, bis
zu der Lüge fortschritt, sich im Titel mehrerer
Schriften, als den Bruder des bekannten Lutheraners
Jacob Andreae (auch Schmiedjakob,
Schmiedlein, Faber Fribricius, Vulcanus genannt),
M. (Magister)
Conradum
Andreae, Jacobi Andreae seligen Gedächtnis leiblichen
Bruder (!!) auszugeben. Vergleiche Zedler s.v.
(sub verbo = unter diesem
Stichwort).“
Wenn der Pater
Conrad (Vetter) „bis zu der Lüge fortschritt, dass er
sich als den Bruder Jacob Andreae's ausgab“, so hatte er
nur Andreae's, sowie anderer „Reformatoren“
Kämpfermethode nachgeahmt; im Übrigen jedem Kundigen
seine „Lüge“ sofort zu erkennen gegeben
hat. Trotzdem wurde sein
Verfahren nicht von allen seinen katholischen
Zeitgenossen gebilligt und noch neuerdings von
Johannes
Janssen (Kapitel
V.
Seite 405 ff. = und folgende
Blätter) getadelt. Aber seine Methode fand im
Volke einen solchen Anklang, dass ein Jahrhundert später
sein Ordensgenosse Johann
Krause dieselbe wiederholte und auch die früheren Titel
beibehielt.
Das sind alles
Dinge, die wiederum einem Luther-Forscher hätten bekannt
sein müssen und selbst wenn Kolde auch Krause's
Schriften niemals zu Gesicht bekommen hätte, so musste
ihm der Inhalt derselben wenigstens zum Teil bekannt
sein aus dem protestantischen
„Curieusen-Geschichts-Kalender“
(merkwürdige Ereignisse), Leipzig 1717, der
hauptsächlich gegen Krause zu Felde zieht.1
1 Bezeichnend ist es wieder, dass dieser
„Geschichts-Kalender“ alle Lappalien
(nebensächliche
Bedeutungslosigkeiten),
welche
Krause gegen Luther vorbringt, aufgreift; dagegen die
Nachricht vom „Erhencken“ (Erhängen) einfach zitiert, ohne sie zu widerlegen
und die Mitteilung über den mehrmals erwähnten eigens bestellten Diener ganz ignoriert.
Aber Kolde macht
es hier, wie Terlinden mit Bozius, Sedulius usw.
Weil Terlinden
der letzteren Schriften auf keiner Bibliothek erlangen
konnte, so sollte alles unwahr sein, was andere daraus
zitierten. Weil Kolde den Krause nicht selbst eingesehen
hat, darum ist „einfach erlogen“, was dieser vorbringt.
„Quod non est in
meis actis, non est in mundo !“
„Was
nicht in meinen schriftlichen Akten steht, existiert
auch nicht in der Welt !“
Was nicht zu den Akten gelangt ist, wird bei der
Beurteilung nicht berücksichtigt, weil der
Schriftlichkeitsgrundsatz einen Gegensatz zum
Mündlichkeitsprinzip darstellt.
Will er aber vielleicht auch die
Stelle aus den „Tischreden“
Luthers
für „erlogen“ erklären, wo Luther auf die Bemerkung des
Pfarrers von Guben
(polnisch: Gubin),
dass er, wenn er ein Messer in die Hand genommen
hat,
versucht worden sei, sich zu erstechen, oder wenn er
Zwirnsfäden gesehen
hat, diese hätte zu
einem Stricke zusammendrehen wollen, um sich zu erhängen
– wo Luther erwiderte:
„Das
ist mir auch offt begegnet
(passiert),
das, wenn ich ein Messer habe in die Hand genomen, so
sind mir dergleichen böse Gedanken eingefallen ?“
(Tischreden,
Eisleben 1569, Blatt 277 a.)
Gehen wir nun
zur letzten Blöße über, die sich Kolde gegeben hat.
Ich hatte behauptet, dass Luther,
nachdem ihm fast alles, was er im Leben unternommen
hat,
misslungen
ist,
so dass er in den letzten Jahren seines Lebens unstet
umhergewandert
ist,
zuletzt dadurch – bei seinem mangelnden Gottvertrauen –
zur Verzweiflung getrieben worden sei, dass ihm das
Einigungswerk, zu dessen Zustandekommen er nach Eisleben
gereist
ist, fehlgeschlagen
sei.
Das soll nach
Kolde alles unwahr und das Gegenteil wahr sein.
Um zunächst
Luthers „Gottvertrauen“ zu beweisen, zitiert er folgende
Stelle aus Luther Briefen an seine „Frau“:
„Meiner
lieben Hausfrauen Katherina
Lutherin
(Frau Luthers),
Selbstmärtyrin
(Märtyrerin)
zu Wittenberg, meiner gnädigen Frauen zu Henden
(Händen)
und zu Füssen, Gnade
und Friede
im Herrn. Liese, du liebe Kethe den Johannem
(das Johannes-Evangelium)
und den kleinen Catechismum
(Katechismus),
davon du zu dem Mal sagetest
(von dem du einmal gesagt hast),
Es ist doch alles in dem Buch von mir gesagt. Denn du
willst sorgen für Deinen Gott
(anstelle deines Gottes),
gerade als wäre er nicht allmächtig, der da könnte zehen
(10)
Doktor Martinus schaffen, wo
(wenn / falls)
der einige alte ersoffe
(der eine Alte ertrinke)
in der Saale
oder im Ofenloch
(Kamin-Öffnung)
oder auf Wolfes Vogelheerd1
umkäme.
Lass mich in Frieden mit Deiner Sorge,
ich habe einen besseren Sorger
(Fürsorger),
denn
(als)
du und alle Engel sind.
Der liegt in der Krippen und hänget an einer Jungfrau
Zitzen
(Brust);
aber sitzet gleichwohl
(dennoch)
zur rechten Hand Gottes, des allmächtigen Vaters.
Darumb
(darum)
sei in Frieden
(zufrieden).
Amen.“
1 Anspielung auf einen Vogelherd
(Vogelfangplatz mit Fallen),
den einer von Luthers Dienern, namens Wolf, eingerichtet
hatte.
Und drei Tage
später am 10. Februar schreibt er wieder der allzu
besorgten Gattin:
„Ich
sorge, wo du nicht aufhörest zu sorgen, es möchte uns
zuletzt die Erde verschlingen, und alle Elemente (Naturgewalten, 4 Elemente als stoffliche Urkörper
mythologisch personifiziert, Wesen oder Gläubiger) uns
verfolgen. Lehrest du
also den Katechismus und den Glauben ? Bete du, und lass
Gott sorgen, es heißt:
Wirf dein Anliegen auf den Herrn, der
sorget für dich. Psalm
55.
Am 14.
Februar
kündigt er seine baldige Heimkehr an, „ob Gott
will, Gott hat große Gnade hier erzeigt
(gezeigt).“ Der Vergleich
(ausgleichende Vertrag)
unter den Mansfeldischen Grafen, um dessentwillen er
(weswegen er denen zuliebe)
nach Eisleben gekommen war,
sei beinahe fertig. „Also muss man
danach greifen (es annehmen
/ ergreifen / begreifen), dass Gott ist exauditor
precum (Erhörer der Gebete).“
Dass hier ein
wahrhaft christliches Gottvertrauen sich ausspricht,
muss man zunächst bezweifeln. Jedenfalls fehlt dasselbe
gänzlich in dem Briefe, den der „Reformator“ im Juli des
vorangehenden Jahres (am 28.Juli
von Zeitz aus) an seine „Frau“ gerichtet hatte,
als er ihr auf und davongelaufen war.
Caspar Cruciger der Ältere (= Kreutzer), der nach
Wittenberg zurückkehrte, nahm folgenden Brief an
Katharina mit:
Er schreibt da
auf einer unsteten Reise an sie:
„G. u. F.
(Gnädigste und Frau)
Liebe
Käthe, wie unsere
Reise ist
gegangen, wird dir Hans
(unser Sohn Johannes) alles wohl sagen
(erzählen); wiewohl
(obwohl) ich noch nicht
gewiss bin, ob er bei mir bleiben solle, so werdens
(werden das)
doch D.
(Doktor)
Caspar Creuziger
und Ferdinandus wohl sagen. Ernst von Schönfeld hat uns
zu (in)
Lobnitz schon
(schön) gehalten, noch viel schoner
(schöner)
Heinz Scherle zu
Leipzig. Ich wollts (wollte es)
gerne so machen, dass ich nicht durft wieder gen
(nach)
Wittemberg komen
(kommen). Mein Herz ist
erkaltet, sodass ich nicht
gern mehr da (hier)
bin,
wollte
auch, dass du
verkauftest Garten und Hufe, Haus und Hof; so wollte
ich M.G.H. (meinem gnädigen Herrn)
das große Haus wieder schenken, und
es wäre dein Bestes, dass
du dich gen Zulsdorf setzest (in
Zulsdorf niederlässt), weil
(während) ich noch lebe, und kunnte
(könnte)
dir mit dem Solde
(Entgelt)
wohl helfen, das
Gutlin (Gütlein / kleiner
Landbesitz) zu verbessern,
denn ich hoffe, M.G.H. (mein
gnädiger Herr) soll (möge)
mir den Sold verabfolgen
(zukommen)
lassen, zum
wenigsten ein Jahr meins letzten Lebens
(wenigstens für mein letztes
Lebensjahr).
Nach meinem Tode
werden dich die vier Elemente
(Martin Luthers Gläubiger)
zu Wittemberg doch nicht wohl leiden, darumb
(darum) es besser bey
meinem Leben gethan (wäre es bei
meinem Leben besser getan), was denn doch zu
thuen (tun / gemacht)
sein
will. Vielleicht wird Wittemberg, wie sichs anlässt
(wie es sich gehört), mit
seinem Musik-Regiment nicht
den S.
Veits Tanz
(Sankt Veits-Tanz:
auf Rat der Ärzte beteten die Kranken
während des Tanzes unaufhörlich den Heiligen St. Veit
an, er möge sie vor dem schwarzen Tod retten / Tanzwut -
bis Schaum aus dem Mund quoll und die Kranken tot
umfielen),
noch den S. Johannis Tanz
(Sankt
Johannis-Tanz am Johannistag =
Mittsommerfest zur Sommersonnenwende: die Tanzwut hatte,
ähnlich dem italienischen Tarantel-Tanz, eine gewisse
Ventilfunktion, wurde aber darauf als Ketzerei, später
als Krankheit unterdrückt),
sondern den
Bettler-Tanz
(Also
ist der Rausch eben ganz, sich soll bald heben der
Bettlertanz.
Sprichwort: Da erhebet
sich der Bettlertanz – Theatrum Diabolorum)
oder Belzebubs-Tanz
(Beelzebub: „Herrscher der Dämonen“. Beinamen des Gottes
Baal. Baal Zebub wird übersetzt mit Herr der Fliegen)
kriegen (bekommen wollen),
wie sie angefangen haben,
die Frauen und Jungfrauen zu bloßen hinten und vornen
(hinten und vorne zu entblößen),
und niemand ist da, der da
strafe oder sich dagegen
wehre, und auch
wird Gottes
Wort dazu gespottet
(verspottet). Nur weg und
aus dieser Stadt
Sodoma
raus !
(Das)
Ist Leck's
Bachscheiße (Kanal-Gülle / im
Mittelalter wurde der Bach als Toilette benutzt),
unsere
andere
Rosina1 und Deceptor
(Satan, der Betrüger), noch
nicht eingesetzt (eingekerkert),
so hilf was du kannst, dass der Bosewicht
(Bösewicht) sich
selbst bescheissen musse
(muss).
1
Hiernach
(demnach)
musste sich Luther schon wieder über eine „Rosina“
ärgern.
Die erste diente
bei ihm als Hausmädchen.
Über diese
schrieb er am 9. November 1542 an Anton Lauterbach,
Pastor (Hirte)
in Pirna:
„Von der
garstigen . . . . Rosina, die mein Haus mit jeder
Schande besudelte, glaub ich werdet Ihr schon gehört
haben (ich glaube, dass ihr von
ihr schon gehört habt). Weder geht sie in sich,
sondern zieht herum bei den Predigern, lügt und betrügt
und stiehlt, wie sie's bey mir that
(wie sie es auch bei mir getan
hat). Aber ich Beklagenswürdiger ! Ich wusste
nicht, dass die Metze (Mädchen
geringeren Standes / Schlampe / Prostituierte)
auch einen Sohn gebar, und sich
auch noch mit ihrer Schande brüstet. Wäre
ich nicht ein Diener des Wortes, ich hätte sie schon
lange (längst) in den Sack stecken (überwältigen
und nach Willkür behandeln) lassen.
Verbreitete Foltermethode, Hexen
in einen Sack zu stecken, der aufgehängt und ins
Schwingen gebracht wurde. Noch bin ich
unentschlossen, ob ich's thun soll
(ob ich das machen soll), so sehr brennt mich
dieser Schimpf Satans (so sehr
belastet mich diese Schande Satans als dringendes
Anliegen).“ (Dr. Gottfried
Schütze, Luthers bisher ungedruckte Briefe. Deutsch bei
Christian Friedrich
Wappler
in Leipzig. 1783, Seite 117.)
Die Rosina muss
den „Gottesmann“ auch in der Stadt Wittenberg arg
ausgetragen (ausgerichtet /
ausgeplaudert) haben, denn, wie
Johann Christoph
Pannichs
„Katechismus zur Warnung aller Verführten“, Prag 1781,
Seite 148, erzählt, kam „die Sache unter die
Wittenberger Studenten, welche deswegen Luther mit
allerley (allerlei)
spitzigen (spitzzüngigen /
versteckt höhnischen) Gratulationen
(doppeldeutigen Anspielungen)
beehrten, auch öffentlich allerley schändliche
Lieder über ihn absangen.“ – Darin wird wohl mit ein
Grund gelegen haben, dass Luther Wittenberg wiederholt
verließ. Dabei hatte er die unqualifizierbare
(unverschämte)
Frechheit,
das Mädchen, welches unschuldig in sein Haus gekommen
war, den „Papisten“
(Papstanhängern)
in die
Schuhe zu schieben. Vergleiche oben Seite 52.
Der entsprechende Absatz von Seite 52: Um die Echtheit,
d.h. die italienische Provenienz (Herkunft) dieses
Falsums (Betrug, Fälschung) zu erweisen, meint Kolde
nebst anderen, es lägen noch die Schreiben derer vor,
welche die Schrift aus Italien übermittelt hätten. --
Diese grundgelehrten (gründlich, von Grund auf
gelehrten) Leute !
Wissen sie denn gar nicht, wie Friedrich II. sogar
päpstliche Breven (päpstliche Erlasse oder Schreiben) in
Berlin erdichtete und seine Dichtungen den Marquis d'
Argens ins Lateinische übersetzen ließ ? Wissen sie
nicht, wie während des letzten „Kulturkampfes“ Reptile
(franz.: Kriechtiere, Schleichen) in der katholischen
Presse Unterschlupf fanden und ihre Giftpillen gerade
bei arglosen italienischen katholischen Blättern
unterbrachten ! – Luther aber übertraf alle diese
Intriganten noch bedeutend an Verschlagenheit und
Rührigkeit (Unternehmungsgeist, Lebhaftigkeit).
Nachdem z.B. „seine“ Rosina, die als „pudens virgincula“
(schüchternes Mädchen) in sein Haus gekommen war,
daselbst (an diesem Ort) schlecht geworden, meint er,
„die Papisten“ (Papstanhänger) hätten sie ihm
„zugefügt“(untergeschoben). (Wilhelm Martin Leberecht de
Wette, V, S. 395 und 625.)
Ich habe auf dem
Lande mehr gehört, als ich zu Wittemberg erfahren
habe, darumb (daher)
ich der Stadt mude (müde)
bin und nicht wieder hierher
kommen will (zurückkommen
will), da mir Gott zu helfe
(wozu mir Gott helfe).
Übermorgen werde
ich gen (nach)
Merseburg
fahren, denn Fürst George hat mich sehr darumb lassen
bitten (darum bitten lassen).
Will also umbherschweifen
(umherschweifen) und ehe
(lieber / eher) das Bettelbrod
(Bettelbrot)
essen, ehe ich
meine
armen
alten
letzten
Tage mit dem unordigen
(unordentlichen) Wesen zu Wittemberg martern und
verunrugigen (mich beunruhigen)
will, mit dem
Verlust meiner sauren theuren Erbeit
(Arbeit). Magst
(mögest du)
solches (wo du
willst) Doktor
Pomeranus
und Mag. Philipps Melanchthon
wissen lassen, und ob D. Pomeranus
wollt hiermit
Wittemberg von meinenwegen gesegenen
(meinetwegen möge segnen);
denn ich kann des Zorns und Unlust
(den Zorn und die Unlust) nicht länger leiden
(ertragen).
Hiemit Gott
befohlen, Amen. Dienstag Knoblochstag
*
(Pantaleonistag am 28. Juli), 1545.
Martinus Luther."
Aus der Weimarer Ausgabe - Briefe 11, 4139.
*
Knoblochstag =
Knoblauchs-Tag:
A: Fest des Schutzheiligen St. David mit
Lauch-Verzierungen am 1. März in London.
Die Kirche setzte den Davidstag auf den 30. Dezember.
B: Der Knoblauchstag bezieht sich auf Hermann von
Luxemburg, Graf von Salm, dem sogenannten Knoblochskönig, der 1082 in Eisleben zum Gegenkönig
erwählt wurde, gefeiert am Mittwoch nach Pfingsten.
C: Maria Himmelfahrt am 15. August.
D: Dieser Brief vom 28. Juli fällt wahrscheinlich eher
mit dem Pantaleonistag am 28. Juli - in Thüringen am 27.
- zusammen, Sankt Pantaleon ist einer der 14 Heiligen
Nothelfer.
Wo verlässt ein
auf Gott vertrauender guter Hirte
seine Schafe ? – Wo liegt das Gottvertrauen, wenn Luther
bei anderen Gelegenheiten
erklärt, er könne nicht beten, ohne zu fluchen ?
In völlig
unrichtiger Weise behauptet sodann Kolde, dass Luthers
Tätigkeit behufs (zwecks)
Schlichtung der Streitigkeiten zu Eisleben eine
erfolgreiche gewesen sei.
„Der Vergleich
(Vertrag durch Verhandlungen)
unter den Mansfeldischen Grafen1,
um dessentwillen er (weswegen er
denen zuliebe) nach Eisleben gekommen
war,“ sei „am 16. Februar
zustande gekommen“.
1 Es ist vielfach bestritten worden, dass auch Luthers
Anverwandte in dem Streit beteiligt gewesen seien.
Julius Leopold
Pasig, Luthers letzte Lebenstage
(Tod und
Begräbnis),
Verlag von Friedrich
Wilhelm Grunow - Leipzig 1846,
Seite 1 gibt das indessen
ausdrücklich zu und nennt speziell die Verwandten,
Luthers Schwager Paul, Mackenrodt, kurfürstlicher
Beamter zu (in)
Niederroßla bei Weimar und Luthers jüngere Schwester
Dorothea Luder.
Luther habe sich, wie Pasig weiter erzählt, wiederholt
für diese bei den Mansfelder Grafen schon früher
verwendet, aber stets vergeblich.
Martins Luthers zweite Schwester Margarethe war mit
Heinz Kaufmann (Hüttenmeister) verheiratet und die
dritte Tochter mit dem Hüttenmeister Klaus Polner
(Kupfer-Mine Mansfeld).
Vater Hans Luder (Luther) finanzierte das Studium seines
Sohnes M. Luther durch das Kupfer (darauf viele Hütten
im Raum Mansfelder Schlossberg und Eisleber Berg).
Laut H. Freydank sagt Mathesius (Tischgenosse und
Biograph Luthers):
„Sein
lieber Vater, Hans Luder, hat ihm auch von seinem
ehrlichen Berggute und dem Ertrage zweier Feueröfen zu
Erfurt studieren lassen".
1501 bezog Luther die Universität (Juristen-Fakultät),
1505 ging er bereits ins Kloster.
Luther und der Bergbau: Dr. Rudolf Mirsch, 1996 / Dr.
Hans Freydank: Martin Luther und der Bergbau.
Es ist wirklich
interessant, dass ich hier wieder dem „Lutherforscher“
sagen muss, dass es sich in dem von ihm erwähnten Falle
nur um einen Teil des Vergleichs
(Vertrags) gehandelt hat,
und zwar um ein römisches
Patronats-Verhältnis (ein auf
Gegenseitigkeit beruhender Gehorsam gegenüber dem
Patron, d.h. der Schutzherr steht im Verhältnis zu den
bedürftigen Klienten) der Grafen über ein
Kirchen- und Schulsystem; dass aber der Hauptpunkt des
Streites, betreffend die Besitzverhältnisse bei den
Bergwerken und deren Ausnutzung gänzlich unerledigt
blieb.
Luther, der
überhaupt nirgends mehr Ruhe hatte, war schon anfangs
Februar, als er die Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen
erkannte, bereit, unverrichteter Sache nach Wittenberg
zurückzukehren.
Hinter dem
Rücken der Grafen schrieb er dem
Philipp Melanchthon am 6. Februar, er möge ihm
beim Kurfürsten ein Schreiben auswirken
(bewirken), in welchem er „propter necessarias
causas“ (wegen dringender
Angelegenheiten / aus zwingenden Gründen)
nach
Hause zurückberufen würde (Wilhelm
Martin Leberecht De Wette V.
Seite
785)1 und der Kurfürst, den er so wieder zur Intrige
und Lüge verleitete, ging auf den Plan ein, so dass
Luther unterm (vor dem)
14.
Februar an Melanchthon schreiben konnte:
„Accepi
gratissimas literas hodie Principis vocantis me domum,
mi Philippe, et festino abire, satur plus quam satis
istarum rerum.“ (De Wette V. 791.)
„Ich
habe heute einen überaus angenehmen Brief vom Fürsten
erhalten, der mich nach Hause (zurück) gerufen hat, mein
(lieber) Philipp, und ich beeile mich wegzugehen, (all)
dieser Angelegenheiten mehr als genug satt."
Wenn er „satur
plus quam satis istarum rerum“
(all dieser Angelegenheiten überdrüssig)
nicht
sofort abreiste, so war es eben nur die Regelung jener
Patronats-Angelegenheit
(Schutzherr-Sache), die ihn noch abhielt.
1 Er motivierte
(begründete) seinen Wunsch mit den
Worten: „Hic sedemus et iacemus otiosi et negotiosi, mi
Philippe: otiosi, dum nihil efficimus, negotiosi, dum
infinita patimur, exercente nos nequitia Satanae. Inter
tot vias tandem pervenimus ad viam, quae spem ostendit:
hanc rursus impedivit Satan. Aliam subinde ingressi, ubi
iam confecta omnia putavimus: hanc rursus impedivit
Satan. Tertia coepta est, quae videtur certissima et non
posse fallere, sed exitus acta probavit.
Vellem et oro
te, ut cum Doctore Pontano agas apud Principem, ut me
literis revocet domum propter necessarias causas, si
forte hoc modo queam extorquere, ut maturent concordiam.
Sentio enim, eos non posse ferre abitum meum, infectis
rebus. Dabo illis adhuc hanc hebdomadam;
post minari eis
volo literis Principis.“
d.d.
(lateinisch: de dato = vom Tag des
Datums an) 6. Februar 1546, De Wette V.,
Seite 785.
Zu Deutsch übersetzt:
„Hier
sitzen wir (herum) und liegen (träge) darnieder –
untätig und tätig, mein (lieber) Philipp: untätig,
währenddessen wir nichts bewirken, tätig, indem wir
endlos leiden, durch die (an) uns verübte Gemeinheit
Satans. Auf so vielen Wegen gelangen wir letztendlich
auf den Pfad, welcher Hoffnung weckt: (doch) diesen hat
wiederum Satan behindert. Unmittelbar darauf einen
anderen (Weg) beschritten, wo wir bereits geglaubt
haben, dass alles vollendet (geschafft) ist: hat diesen
Satan abermals verhindert. Wenn der dritte (Weg)
begonnen ist, welcher als der sicherste und (auch) nicht
täuschen zu können scheint, jedoch der Ausgang (das Ende
dieser Geschichte) bestätigt die (vorangegangenen)
Taten.
Ich würde mir wünschen und ich bitte dich, dass du bei
dem Fürsten (zusammen) mit Doktor Pontano zustande
bringst, dass er mich durch einen Brief wegen dringender
Angelegenheiten nach Hause zurückberufen möge, falls ich
vielleicht auf diese Weise (es) herauszudrehen (zu
erzwingen) vermag, auf dass sie (die zerstrittenen
Grafen) die Eintracht (untereinander) beschleunigen
könnten.
Denn ich denke, dass diese nicht imstande sind, meinen
Weggang - unverrichteter Dinge - zu ertragen. Ich werde
jenen bis dahin eine Woche (Zeit) geben;
darauf will ich diesen (den Grafen) mit dem Brief des
Fürsten drohen.“
Dass aber in der
Hauptsache nichts erreicht war, sollte doch Kolde aus
Ratzeberger wissen, der mitteilt, dass die „vorwirreten
Grafen noch heutiges tages“ (dass
die verworrenen Grafen noch heutigen Tages)
d.h.
mehrere Jahre nach dem Tode Luthers „nicht eins
(einig)
sind und daruber
(wegen dem)
von tage zu
tage abnehmen und vorderben
(verderben)“.
Und wenn dies
Kolde nicht bei Medicus
Ratzeberger (Leibarzt des
sächsischen Kurfürsten, Lutherbiograph)
gelesen
hat, so musste es ihm aus
Seckendorf bekannt sein, der darüber (lib. III, 133
/ Buch 3, Seite 133)
schreibt:
„De negotio,
quod una cum Wolffgango Principe Anhaltino, Johanne
Henrico, Comite Schwarzburgensi, et Consiliariis
Comitum, per dies viginti, magno quidem, sed irrito
cum labore tractavit dicere nihil attinet.
Iureconsultis imputabat, quod transactio non
sequeretur; quapropter, ut Razebergius annotavit, P.
(Professor)
Melchiorem
Klingium, Professorem tunc Wittenbergensem, qui
Comitibus a Consiliis erat, et Islebiam eo tempore
venerat, statim permovit, ut abiret.
De uno
tamen litigiorum capite, de iure scilicet patronatus,
opera Lutheri et Jonae conventum fuit, ut refert Michael
Emmerlingus, Superintendens Mansfeldensis, in
dissertatione alibi allegata qui et instrumentum
transactionis d. (die) 17.
Febr. 1546 subscriptum adhuc pro norma servare dicit.“
Zu Deutsch übersetzt:
„In
Hinsicht auf das Staatsgeschäft (Verhandlung), welches
zusammen mit dem Fürsten Wolfgang von Anhalt, mit Johann
Heinrich, Graf von Schwarzburg und mit den Beratern der
Grafen-Gefolgschaft, 20 Tage lang hindurch, gewiss mit
großer, aber auch mit vergeblicher Mühe
verhandelt wurde, ist es ohne Belang (darüber) zu
sprechen. Er hat den Rechtsgelehrten die Schuld gegeben,
dass die Geschäfts-Abwicklung (der Verhandlung)
nicht erfolgen würde, weshalb er - wie Ratzeberger
schriftlich vermerkte - den (Juristen) P. Melchior
Kling, zu dieser Zeit Professor an der Universität
Wittenberg (und Schüler Philipp
Melanchthons), welcher durch die Grafen unter den
Ratgebern war und zu dieser Zeit nach Eisleben gekommen
war, unverzüglich auf der Stelle dazu veranlasst hat,
dass er weggehen würde.
Trotz der Zänkereien hat es in einem Hauptpunkt
(wichtigen Streitpunkt), nämlich dem Patronatsrecht
(über die Rechts-Gewalt des Patrons, des Schirmherrn =
von Rechts wegen das Patronat), durch die Hilfe (Mühe)
Luthers und des Jonas eine Übereinkunft gegeben, wie
Michael Emmerling berichtet, Superintendent von Mansfeld
- in der (schriftlichen) Erklärung an anderer Stelle
angeführt -
welcher versichert, auch weiterhin auf das
aufgeschriebene (aufgenommene) Beweismittel (= den
urkundlichen Beleg) der Verhandlung am Tag des 17.
Februar 1546 gemäß der Vorschrift Acht zu geben.“
Auch Dr. Gottfried
Schütze erklärt in der Einleitung
zu seinen „bisher ungedruckten Briefen Luthers“
(von der Stadtbibliothek Hamburg - aus dem Latein
übersetzt), dass dieser in der
Hauptsache in Eisleben nichts ausgerichtet hat.
Das alles aber
ist dem „Lutherforscher“ Kolde unbekannt !
Ich will hier
nicht noch einmal die psychologischen Momente
zusammenstellen, welche die düsterste Stimmung des
„Reformators“ gerade in Eisleben hervorrufen mussten,
aber die Tatsache wird jetzt niemand mehr leugnen
können, dass derselbe „satur plus quam satis“
(all dessen mehr als satt)
nicht nur der dortigen Händel
wegen (Auseinandersetzungen / Zankereien),
sondern auch – des Lebens satt
war.
Kolde übrigens
scheint selbst die Schwäche seiner gesamten
Beweisführung gefühlt zu haben, denn er schreibt am
Schlusse seiner Schrift:
„Unser
evangelischer Glaube beruht, was die Gegner doch endlich
wissen sollten, auf dem Leben und Sterben Christi; nicht
Luthers.“
Leider ist auch
das nicht ganz richtig. Der „evangelische Glaube“ beruht
für eine sehr große Anzahl von Protestanten auf einem
derartigen „Leben und Sterben Christi“, wie es Luther
geschildert und ausgelegt hat.
Auch der
katholische Glaube beruht auf dem Leben und Sterben
Christi, aber auf einem solchen, wie es die Kirche
Jesu Christi schildert und
auslegt.
Und so sehr auch
der Subjektivismus*
im
Protestantismus um sich greifen mag, so ist doch noch
für die Mehrzahl der protestantischen Bevölkerung Luther
das, was für den Katholiken die Kirche ist.
*
Erkenntnistheoretische Positionen, nach denen alle
Begriffe, Urteile und Erkenntnisse wesentlich durch den
einzelnen Mensch bestimmt werden. Seit der Aufklärung
hat sich der Mensch zum Maß allen Seins und aller Dinge
erhoben und so seine Subjektivität (Ich-Bezogenheit
jeder Wahrnehmung) an die Stelle von Gottes Offenbarung
gesetzt. Zitat
Lutz von Padberg.
„Der
Mensch ist das Maß aller Dinge“, sagt Protagoras schon
vor Sokrates. Vertreter dessen: Kant und Descartes. Kann
die individuelle Wahrnehmung die Wahrheit ersetzen ?
Antwort: Pferde sehen angeblich alles in Schwarz-Weiß.
Die Mehrzahl der Protestanten hält den „Reformator“
tatsächlich für unfehlbar, feiert seine Feste, verehrt
seine Reliquien
(seine sterblichen Überreste)
und setzt ihm Denkmäler in Stein und Erz
(Metall).
Das alles aber würde man unterlassen, wenn man den
Luther der Geschichte, nicht den Luther der Dichtung
kennen würde. Die Kunst dieser Dichtung besteht zunächst
darin, alles aus den Schriften des „Reformators“
wegzustreichen, was den um sein Haupt gemalten
Heiligenschein1
erblassen lassen könnte, und dasjenige, was man stehen
lassen musste, so zu deuten, dass auch der größte
Gestank2
zum lieblichsten Geruche wird.
1 Das ist auch
buchstäblich zu nehmen. Nach Luthers Tode hat man
zahlreiche Bilder von ihm mit Heiligenschein verbreitet.
2 Auch das ist
wieder wörtlich zu nehmen. Luther verhöhnte im Voraus
seine Anbeter:
„Adorabunt
stercora nostra“
(Sie werden unseren Kot anbeten / unserem Mist huldigen)
sagte er von ihnen. – Andererseits lobte z.B.
Johannes
Mathesius geradezu die unbeschreibbar unsauberen Bilder,
welche Luther zur Verhöhnung des Papsttums verbreiten
ließ.
Einer der größten Luther-Dichter ist Professor Kolde.
Neben einer ungemessenen
(unermesslichen)
Verehrung für sein Idol besitzt er den nötigen Grad von
Unwissenheit, um wenigstens subjektiv nicht mit den
Forderungen der Moral in Zwiespalt zu geraten.
Aber mit seiner neuesten Mohrenwäsche
(Reinwaschen eines offensichtlich Schuldigen durch
Scheinbeweise)
hat er seiner Sache einen schlechten Dienst erwiesen. Es
ist gar nicht möglich, dass seine Freunde darüber
Genugtuung empfinden können, trotz der an sich nicht
ungeschickten Kulissen-Malerei, mit der er die Augen des
Publikums von dem Drama, um welches allein es sich
handelte, abzuziehen
(abzulenken) versuchte.
Ich meinerseits bin ihm im Interesse der katholischen
Sache gern dankbar für seine Leistung. Er hat wesentlich
dazu beigetragen, dass diejenigen Katholiken, welche
bisher noch abwartend in ihrer Stellungnahme zur Frage
über Luthers Lebensende sich verhielten, nunmehr
(von jetzt an),
nachdem sie das Debüt
(erste öffentliche Auftreten)
eines so berühmten Lutherforschers gesehen
haben,
ihre Reserve
(Zurückhaltung / distanziertes Verhalten)
aufgeben und die alte katholische Tradition in dieser
Angelegenheit nicht mehr unterbrechen werden.
Ich scheide von
Herrn Kolde, indem ich ihm für seine späteren Kämpfe das
Wort des Cochläus an Luther zurufe:
„Si
vir es, armis pugna non conviciis. Gladium sume Spiritus
sancti, quod est verbum Dei. Muliebre est, rem tantam
conviciis, ludis, scenis, scommatibus imaginibusve
fictis agere; viros arma decent1
!“
„Wenn
du ein Mann bist, (dann) kämpfe mit Waffen, nicht mit
Spottrufen / Lästerungen. Zieh (doch) das Schwert des
Heiligen Geistes, welches das Wort Gottes ist. Es ist
weibisch, eine so bedeutend große Sache (das Wort
Gottes) mit Schimpfreden, Schaukämpfen / Kinderspielen,
Maskeraden, mit Witzen oder mit erlogenen (erheuchelten)
Bildern zu betreiben; (wahren) Männern stehen Waffen
wohl an !“
1
Welche Grundanschauung Kolde vom Katholizismus hegt, hat
er offen ausgesprochen in seiner Schrift: „Der
Methodismus*
und seine Bekämpfung“, Erlangen 1886.
*
Teil der evangelischen Kirchenbünde und religiöse
Erweckungsbewegung, die aus der anglikanischen Kirche
hervorgegangen ist. 1729 durch eine Gruppe von Studenten
an der Universität von Oxford entstanden. Ziel ist es,
sich dem gemeinsamen Gottesdienst, dem Studium und der
Nächstenliebe zu widmen.
Merkmale: Bibelfrömmigkeit, Betonung der persönlichen
Glaubensbindung und auch Laienmitarbeit.
Er
sagt daselbst (Seite 8): „Das Urteil aller
Unparteiischen geht dahin, dass der Segen und die
Bedeutung des Methodismus für England und Amerika sich
nicht ausreden lässt; er ist ein
unermesslicher
(überaus groß / uferlos).
Nach menschlichem Urteil wäre ohne ihn und die von ihm
ausgegangene Bewegung das englische Staats-Kirchentum
einer vollständigen Ethnisierung
(Personen werden wegen ihrer Herkunft, ihres Aussehens
oder ihrer Lebensgewohnheiten einer vermeintlich
gleichartigen Gruppe zugeordnet)
oder, was nach meiner Auffassung keinen großen
Unterschied macht, schon längst dem Romanismus
(Römertum - Bezeichnung für die „Befangenheit“ und
Anhänglichkeit an die Römisch Katholische Kirche, auch:
Papismus oder Ultramontanismus, d.h. die einzige
Zentrale ist jenseits der Berge nur in Rom)
verfallen.“ – Bekanntlich lehrt die katholische Kirche,
dass jeder von einem gläubigen Christen, gleichviel
(gleichgültig)
ob dieser Katholik oder Protestant ist, getaufte Mensch
dem Heidentum entrissen und dem Christenbunde eingereiht
wird, gleichviel
(gleichgültig)
ob er dem katholischen oder einem der protestantischen
Bekenntnisse sich angliedert
(anschließt).
Anders der Erlanger „Luther-Forscher“. Nach ihm macht es
„keinen großen“, also wohl keinen wesentlichen
„Unterschied“, ob jemand ein Heide oder ein Katholik
ist. Und dieser Mann, der sonst nicht wenig über die
„Unduldsamkeit“
(Intoleranz / Unnachgiebigkeit)
der Katholiken sich ereifert, will ein Erzieher von
Predigern sein ! Hoffentlich verleugnen diese alle ihren
Meister und tragen nicht seine Grundsätze auf ihren
Kanzeln vor – sonst wäre nicht abzusehen, wo wir in
Deutschland mit dem konfessionellen Frieden
(Friede unter den Gläubigen des Katholizismus und
Protestantismus)
hinaus sollten !
Die Stellung
Kawerau's.
Viel männlicher,
als Kolde, hat sich in der schwebenden Streitfrage auch
Professor Gustav
Kawerau
nicht erwiesen.
Derselbe, früher
Inspektor „am Kloster U. L. Fr.“
(Unser lieben Frauen) zu Magdeburg, jetzt
Professor in Kiel, veröffentlichte über die Schrift
„Luthers Lebensende“ in der „Magdeburgischen Zeitung“
vom 18. Februar c. (calendario =
im Kalender) einen längeren Artikel, welcher
folgenden Wortlaut hatte:
Luthers
Lebensende.
Eine wieder
ausgegrabene Geschichtslüge
Vor sieben
Jahren hatte ich die Ehre, im städtischen Verein zu
Magdeburg mit einem Vortrag über katholische
Luther-Polemik weitere Kreise unserer Bürgerschaft auf
das damals bevorstehende Luther-Jubiläum aufmerksam
machen zu können.
Ich wies damals
darauf hin, dass das katholische Deutschland, namentlich
aus dem 17. Jhdt., eine
meist von Konvertiten (aus dem
evangelischen Lager) oder von Jesuiten verfasste
Luther-Literatur besitze, deren man sich
glücklicherweise heutigen Tages wegen des Schmutzes und
der Verlogenheit, die in dieser sich breit machen,
ziemlich allgemein schäme und die man gern verdienter
Vergessenheit überlasse.
Als Probe führte
ich u.a. auch an, dass jene Lügenschriften kein Bedenken
tragen, Luther zum Stricke greifen und sich selbst ins
Jenseits befördern zu lassen.
Beim Abdruck
jenes Vortrages in der „Magdeburger Zeitung“ unterließ
ich nicht, auch den literarischen Nachweis für dieses
Pröbchen (Versuch)
jesuitischer Dreistigkeit zu liefern. In der Tat, man
durfte hoffen, dass jene Schandliteratur des 17. Jhdts.
nur noch ein kulturhistorisches Interesse in Anspruch
nehmen werde. Freilich tauchten damals bereits
Schriftsteller, wie der Konvertit
Georg G. Evers (Buch:
„Martin Luther, Lebens- und Charakterbild, von ihm
selbst gezeichnet“) und der Hamburger „Gottlieb“
(= Pater Tilmann Pesch)
der
Berliner
Zeitung „Germania“ auf,
welche dem Kundigen nur zu deutlich verrieten, dass sie
bei jenen sauberen Pamphletisten
(Verfasser von Schmähschriften)
des 17. Jhdts. in
die Schule gegangen waren.
Und nun steht
Paul Majunke da und bringt siegesgewiss die wieder
ausgegrabene Lüge von Luthers Selbstmord zu Markte; sein
Buchhändler posaunt die „unwiderlegliche“
(unwiderlegbare), aus
sicheren „Quellen“ geschöpfte Entdeckung in die Welt
hinaus, und in wenigen Tagen sind zwei Auflagen dieser
Schmähschrift vergriffen ! Herr Majunke gibt sich noch
dazu das vornehme Air (Aussehen /
Anschein), nur eine „wissenschaftliche“ Schrift
für die Kreise der Fachleute geschrieben zu haben; aber
er hat dafür gesorgt, dass die, welche von „Quellen“ und
deren Wert und wissenschaftlicher Benutzung nichts
verstehen, deutlich genug die hassglühende und
religiösen Fanatismus aufstachelnde Sprache seiner
Brandschrift verstehen können, und je weniger sie die
gelehrte Ausstaffierung
(Ausschmückung) seines Pamphlets in ihrer
Windigkeit (Haltlosigkeit)
und Fadenscheinigkeit durchschauen können, umso größeren
Respekt vor der „gelehrten“ und „quellenmäßigen“
Beweisführung erhalten werden.
Mundus vult
decipi, ergo decipiatur (Die Welt
will betrogen / getäuscht werden, also soll sie betrogen
werden, Luther-Zitat) – das ist das einfache
Rezept, nach dem hier gearbeitet wird. Denn um nichts
anderes als um eine Täuschung der Menge handelt es sich
hier – das hat mit dankeswerter Schnelligkeit der
Antwort und mit erfreulicher Klarheit und Deutlichkeit
soeben der Erlanger Kirchenhistoriker Professor Dr.
Kolde in seiner Gegenschrift: „Luthers Selbstmord. Eine
Geschichtslüge P. Majunkes“, Erlangen und Leipzig, 1890,
nachgewiesen.
Er beginnt
damit, Herrn Majunke mit aller Evidenz
(unwiderlegbare Beweiskraft)
zunächst eine – harmlose Urkunden-Fälschung
nachzuweisen. Die Sache ist es
wert, weitesten Kreisen bekannt gemacht zu werden. Am
18. August 1520 verteidigte Luther in einem Briefe an
einen Freund die Schärfe der Polemik
(Feindseligkeit)
in seiner
Schrift „An den christlichen Adel“ mit dem Ausspruch: er
sei überzeugt, dass das Papsttum der Sitz des
Antichristen sei, „gegen (wegen)
dessen Trügerei (Täuschung)
und Nichtswürdigkeit (in cuius deceptionem et nequitiam)
uns meiner Meinung nach um des Heiles der Seelen willen
alles (nämlich auch der schärfste Ton der Polemik)
erlaubt ist.“ Der ehrenwerte katholische Historiker
Franz Wilhelm Kampfschulte
hatte einst in schwacher Stunde sein Latein so weit
vergessen, dass er bona fide übersetzte: „zu dessen
Hintergehung und Verderben uns alles erlaubt ist.“
Jannsen eignete sich begierig diese Übersetzung an, und
nun wurde sie eiligst von einem um den anderen
herum nachgeschrieben, und
lauter Jubel im ganzen Lager !
War doch nun
erwiesen, dass nicht der Jesuitenorden, sondern Luther
den Satz gemünzt hatte, dass der Zweck die Mittel, auch
Lug und Trug, heilige !
Nun kamen
freilich die bösen Protestanten und erinnerten daran,
dass schon ein Tertianer (Schüler
der 4. oder 5. Klasse eines
Gymnasiums) diese Worte richtig werde zu
übersetzen wissen. In der Tat gab auch Janssen als der
Kluge nach und änderte die Stelle in späteren Auflagen;
nur einer der Triarier (Elite der
römischen Legion) der ultramontanen
(jenseits der Alpen = in Rom = streng päpstlich)
Literaten-Gesellschaft verlangte pathetisch
(feierlich / hochtrabend) einen
Philologen-Kongress
(Sprachwissenschaftler-Versammlung), der diese
Tertianerfrage entscheiden sollte1!
1 Gemeint ist
der Passauer Domherr Dr. Johann
Baptist Röhm, der in seiner Schrift:
„Konfessionelle Lehrgegensätze“ (Hildesheim 1883) I.
Seite 1 die Ansicht aussprach, dass man erst noch
abwarten müsste, ob die Übersetzung Janssens respektive
(beziehungsweise)
Kampfschulte's vor dem „unparteiischen Richterstuhl der
Philologen“ für falsch erklärt werden würde.
Was macht aber
nun Herr Majunke ?
Er ändert,
gottesfürchtig und dreist, den lateinischen Wortlaut und
zitiert jetzt:
ad Papatum
decipiendum (um das Papsttum zu
täuschen) !
Wie nennt man
das ? Urkunden-Fälschung ?
„O was ist die
deutsche
Sprache
für eine
arme
Sprache
! für ein plumpe
Sprache
!
Corriger
l'histoire, l'enchaîner sous ces doigts, être sûr de son
fait (die Geschichte korrigieren,
die Kette unter den Fingern = sie fortsetzen, sich
seiner Sache auch sicher sein), das nennen
die Deutschen
Urkunden-Fälschung ?“
Herr Majunke
„korrigiert“ denn nun die Geschichte in der
unglaublichsten Weise weiter. Der amtliche urkundliche
Bericht über Luthers Lebensende, der sich auf eine ganze
Schar von Augenzeugen beruft, von drei Augenzeugen
verfasst ist, ist für ihn das abgefeimte
(raffiniert durchtriebene)
Lügengewebe protestantischer Theologen, die Wahrheit
enthält allein ein Bericht, den in den letzten Jahren
des 16. Jhdts. ein italienischer Mönch und bald danach
im 17. Jhdt. ein belgischer Mönch uns überliefert haben.
Denn man höre und staune ! auf wen berufen sich diese
ehrenwerten Mönche ? Auf einen Diener Luthers, dessen
Namen (Rudtfeld)
sie klüglich
(wohlweislich aus Vernunft)
verschweigen; der hat ein
Bekenntnis abgelegt vor einem katholischen Herrn, dessen
Name wiederum
in Dunkel gehüllt wird, und zwar
an einem Ort und zu einer Zeit, über welche diese
verschwiegene Art von Historikern gleichfalls ein
bedeutsames Schweigen beobachten. Was soll man zu der
Dreistigkeit sagen, solch ein Machwerk von „Zeugnis“
gegen das Zeugnis von Männern, die mit offenem Visier
dastehen, auszuspielen ? Was soll man zu dem Verfahren
dieses trefflichen Historikers sagen, der an Luthers
Leichnam noch gern Heldentaten verüben möchte, und dabei
ganz vergisst oder verschweigt, dass wir von Luthers
Sterbetage, ja sogar noch aus der Nacht seines Todes
eine ganze Reihe von Briefen aus Eisleben besitzen, die
uns alle die Richtigkeit des später abgefassten
offiziellen Berichtes verbürgen ? Ebenso wenig offenbart
Herr Majunke seinen Lesern, aus was für einer
einfältigen und mit Geschichtslügen angefüllten „Quelle“
er jenes Dokument über Luthers Selbstmord gezogen hat.
Kolde erinnert ihn mit Recht daran, was für weitere,
tolle Spukgeschichten im engsten Zusammenhange mit dem
Bericht über den famosen
(glorreichen / hervorragenden)
Selbstmord und mit dem gleichen
Ernste, als handle es sich um sicher beglaubigte
Geschichte, dort vorgetragen werden. Diese
Teufels-Geschichten – denn das ganze höllische Heer
spielt nach dem mönchischen „Zeugen“ eine große Rolle
bei Luthers Tode – sind denn doch Herrn Majunke als zu
grobe Lügen erschienen, um sie seinem gläubigen Publikum
aufs Neue aufbinden zu können; aber aalglatt windet er
sich durch diese fatalen Nebenumstände hindurch – wer
wird denn auch so altfränkisch
(altmodisch) sein, und
selber die Quellen nachschlagen, die der gelehrte
„Historiker“ zitiert hat und sich davon überzeugen
wollen, ob auch gewissenhaft zitiert und referiert
(berichtet)
und geprüft sei ? O, es ist ein
erbauliches Pröbchen
(Schauspiel / Versuch)
von dem Aufschwung, den die
neukatholische historische Schule jetzt unter der Ägide
(Führung / Schutzherrschaft)
des Friedenspapstes
(Papst Leo XIII., später: Benedikt XV. und XVI.)
in Deutschland nimmt. Wir werden, wenn's so weitergeht,
bald noch Besseres in dieser Art erleben. Doch – man
muss es ja extra als eine erfreuliche Erscheinung
registrieren – eine ultramontane Zeitung hat
wirklich
schon den Mut gefunden, den Kopf zu diesem neuesten
Ergebnis der nach dem Dogma die Geschichte verbessernden
Geschichtsschreibung zu schütteln.
Hoffen wir,
dass bald andere nachfolgen und den Mut gewinnen, diese
Art von Helfern und Hetzern energisch von sich
abzuschütteln. – Gewiss, als Historiker ist Herr Majunke
nicht ernst zu nehmen, beansprucht es auch wohl vor sich
selber gar nicht einmal – aber als Symptom für die
schriftstellerische Verrohung des deutschen
Ultramontanismus ist sein Pamphlet sehr ernst zu nehmen
!
Majunke
richtet seine Arbeit direkt gegen den „Evangelischen
Bund“.
Er droht
diesem, man werde jetzt „Repressalien“ gegen dessen
Aktion ergreifen und dem erstaunten Deutschland den
echten Luther zeigen, wie ihn dasselbe seit 200 Jahren
nicht mehr geschaut habe. Wohlan, er rufe die
Lügengeister des 17. Jhdts. wieder wach ! Vielleicht
hilft er dann dazu, dass ihrer immer mehrere erkennen,
dass ein Zusammenschluss aller evangelischen Männer zum
Schutz unseres Erbes und zur Verteidigung unserer
Heiligtümer notwendig ist.
Ich bitte alle, welche ein Urteil über die Zeichen der
Zeit gewinnen wollen, Koldes kräftigen Kommentar zu
diesem Kriegs-Manifest
(Kriegs-Erklärung) des wiederauflebenden
Lügengeistes des 17. Jhdts. zu lesen. Man vergesse aber
auch nicht, dass dieser Geist es gewesen ist, der den
blutigen Fanatismus des 30-jährigen Krieges herangezogen
hat – „unsers Herrgotts Kanzlei“ weiß ein Lied davon zu
singen.
Kiel.
G. Kawerau.
Ich gestehe
offen, dass ich von Kawerau mehr erwartet hätte.
Seine
einzige selbstständige Leistung, durch die er allerdings
vorteilhaft vor der mangelnden Kenntnis Kolde's sich
auszeichnet, besteht in dem eingangs gemachten Hinweise,
dass ich mit meiner Schrift keineswegs etwas Neues in
die Welt gebracht habe. Ich will ihm deshalb gern die
Inkorrektheit zugutehalten, dass die frühere ähnliche
Literatur „meist von Konvertiten oder Jesuiten“ verfasst
sei und dass man sich heutzutage dieser Literatur
„ziemlich allgemein schäme“.
Sonst
begibt sich Kawerau vollständig in den Bann Koldes. Ja
er übertrifft diesen sogar in Unterstellungen und
Inkriminationen (Anschuldigungen)
bezüglich der Stelle:
„in
cuius deceptionem et nequitiam“
(wegen dessen Trügerei und Nichtswürdigkeit).
Dass er in
dem „omnia licere“ (es ist alles
erlaubt) das „omnia“
(alles) interpretiert: „nämlich auch der
schärfste Ton der Polemik“, dass er also von „dolos et
mendacia“
(Listen und
Lügen), die Luther an einer
anderen Stelle den „Papisten“ (Papstanhängern)
gegenüber für erlaubt hielt,
nichts weiß oder nichts wissen will, ist wieder einmal
ein Beweis dafür, was die Luther-Dichter aus dem
geschichtlichen Luther zu machen verstehen.
Dass Bozius ein „italienischer
Mönch“ war, ist an sich richtig; aber Kawerau übersieht,
dass Bozius Verbindungen mit Deutschland unterhielt, wie
er denn auch in Köln drucken ließ und dort seine Bücher
mit kaiserlich deutschem Privileg (Vorrecht)
erschienen. Übrigens war man schon damals in Rom über
manche Vorgänge in Deutschland besser unterrichtet, als
an vielen Orten Deutschlands selbst. – Dass aber
Sedulius ein „belgischer Mönch“ gewesen sei,
ist ganz unrichtig. Derselbe stammte aus der urdeutschen
Stadt Cleve (= Kleve) und
hat in Antwerpen, wo er sich damals aufhielt, die
bewusste Erklärung drucken lassen, nachdem er dieselbe,
wie er ausdrücklich sagt, zu Freiburg im Breisgau
eingesehen hat.
Über die Verschweigung des Namens
des Dieners sowie seines Vermittlers ist oben bereits
das Nötige gesagt worden, sowie über die „Verschweigung“
– Kolde sagte „Unterschlagung“ – „einer ganzen Reihe von
Briefen aus Eisleben“. Auch habe ich schon bezüglich der
Raben-Geschichte erklärt, dass ich sie von der zweiten
Auflage an, nachdem ich das Zeugnis des Helmesius
aufgefunden hatte,
ausführlich mitgeteilt habe. Wäre sie mir, wie mir
Kawerau imputiert (unterstellt),
als „zu grobe Lüge“ erschienen, so hätte ich sie für die
erste Auflage ganz ignoriert; ich habe sie dort aber
schon zweimal kurz erwähnt, ohne sie irgendwie in
Zweifel zu ziehen.
Der „Friedenspapst“ (Leo
XIII.) steht mir zu hoch, als dass
ich ihn hier in die Polemik hineinziehen sollte.
Das Lob,
welches Kawerau „der einen ultramontanen Zeitung“, der
„Kölner Volkszeitung“ wegen bewiesenen „Mutes“ erteilt,
wird dieser schwerlich angenehm sein.
Ich selbst
habe mir während des „Kulturkampfes“ den genügenden Grad
von Gleichmut (Selbstbeherrschung
/ Gelassenheit) angeschafft und bin nicht nervös
geworden, auch
wenn ich
noch schlimmer als „roh“ von meinen Gegnern gescholten
wurde, sobald ich ihnen einen Spiegel vor ihre Augen
hielt.
Im Übrigen
kann ich Herrn Prof. Kawerau nur dankbar dafür sein,
dass er mir die Antwort so leicht gemacht hat.
Da er auch
nicht ein einziges sachliches Moment
(ausschlaggebender Umstand /
Gesichtspunkt) gegen die Glaubwürdigkeit meiner
Argumente vorzuführen vermag, so kann ich auch von
diesem „Lutherforscher“ scheiden
(weggehen), indem ich zu konstatieren
(bemerken)
habe, dass er
nur gesprochen hat, ut
aliquid dixisse videatur (damit es
so erscheine - um es so aussehen zu lassen, dass etwas
gesagt worden sei).
Naturgemäß
blieb Kawerau's Artikel ein Monolog1.
1 Soeben
hat Prof. Kawerau noch eine besondere Gegenschrift
erscheinen lassen. Dieselbe ist aber nichts weiter als
eine Umschreibung des vorstehenden
(vorhergehenden) Artikels, d.h. eine Anlehnung an
die Kolde'schen Schein-Argumente unter Weglassung der
gröbsten Kolde'schen Absurditäten.
Die
protestantischen Zeitungen und Zeitschriften, welche
nach ihm sich mit unserem Thema befassten, schöpften
lediglich aus der Kolde'schen Quelle. Das taten sogar
die „Deutsch-evangelischen Blätter“ des Hallenser
Professor Willibald
Beyschlag, der wahrscheinlich auch für seinen Kollegen
und Mitarbeiter Köstlin gesprochen hat.
Da eben das
Organ (Zeitung)
der Herren
Beyschlag und Köstlin nichts vorgebracht hat, was nicht
eingehender schon in der Kolde'schen Schrift gesagt
worden wäre, so kann ich mich der näheren
Berücksichtigung dieser Zeitschrift ebenso wie aller
übrigen Nachsprecher Kolde's enthalten.
Synoden und
Versammlungen.
Am 26. Februar
c. (im Kalender)
wurde in
Darmstadt die 4. Sitzung der ordentlichen evangelischen
(hessischen) Landes-Synode
(Versammlung von Laien und Geistlichen)
abgehalten, in welcher ein Bericht des Großherzoglichen
Ober-Konsistoriums (evangelisches
Kirchengericht bzw. Behörde) über die Zustände
der evangelischen Landeskirche in de Jahren 1885 – 1890
verlesen wurde.
In diesem
Berichte findet sich u.a. folgende Stelle:
„Die maßlosen
Verunglimpfungen der Person Martin Luthers haben
wesentlich dazu beigetragen, das Interesse an der
Vorführung seiner geschichtlichen Person zu steigern,
die in künstlerischer Form mit durchschlagendem Erfolg
in der Darstellung des Herrig'schen Luther-Festspiels in
Gießen und Darmstadt versucht wurde.
Der gehässigen
und tendenziösen (parteiisch
voreingenommen) Ausbeutung zugestandener
Schwächen und Missgriffe reformatorischer
Persönlichkeiten zur Verunglimpfung der evangelischen
Kirche überhaupt sind wir, soweit es mit der Würde einer
evangelischen Kirchenbehörde verträglich ist, die nicht
nur vor dem Forum der Journalistik
(wissenschaftlicher Journalismus), sondern vor
dem Gewissen der auf die Bibel sich gründenden
evangelischen Christenheit ihre Sache führt,
berichtigend entgegenzutreten.“
Ein Synodale
(Teilnehmer der Synode), der Abgeordnete Brand,
gab hierzu nachstehenden Kommentar:
„Diese
mannhaften Worte des Kirchen-Regiments, glaube ich,
werden im Herzen der evangelischen
Bevölkerung des Großherzogtums freudigen Widerhall
finden. Die maßlosen Angriffe, welche seit dem Jubiläum
des Geburtstags Dr. Martin Luthers teils in den
ultramontanen Journalen, teils in besonderen Broschüren
gegen die evangelische Kirche erschienen sind, können
und dürfen nicht unwidersprochen bleiben, wenn auch
weder das Kirchen-Regiment noch die Landessynode die
richtigen Faktoren sind, um derartige tendenziöse Lügen,
welche, indem sie gegen die Person Luthers gerichtet
sind, indirekt die evangelische Kirche selbst treffen,
in ihrer Unwahrheit zu kennzeichnen. Wie das
Oberkonsistorium, wie der Bericht ganz richtig bemerkt,
nicht vor das Forum
(Versammlungs-Platz) der Journalistik treten
darf, ebenso wenig darf die Landessynode in die Arena
der Zeitungs- und literarischen Polemik sich begeben;
doch glaube ich, dass es am Platze sei, wenn wenigstens
im Anschluss an den verlesenen Bericht über die
Kampfes-Weise der Gegner und ihre eventuelle Abwehr hier
einiges Wenige gesagt werde.
Das
Oberkonsistorium ist einmal genötigt gewesen, gegen das
„Mainzer Journal“, welches innerhalb des Großherzogtums
erscheint, aufzutreten, da es mehrere Angriffe gegen
Luther und seine Beziehungen zur Ehe enthalten hat. Die
maßvolle Entgegnung, welche im Auftrag und unter dem
Namen des Oberkonsistoriums damals veröffentlicht worden
war, hat den bekannten
katholischen Schriftsteller, den Sammelmann für alles
Gewöhnliche und Niedrige, was geschrieben wird,
„Gottlieb“ (= Pater Tilmann Pesch),
nicht abgehalten, darauf eine für 10 Pfennig käufliche
Broschüre zu veröffentlichen, die in der bekannten
Manier gegen das Oberkonsistorium Front macht. Der
Inhalt dieses Schriftchens
(kleinen Schriftstücks) ist entsprechend dem
Geldwerte, um den es zu kaufen ist, nämlich so gut wie
nichts, und ich freue mich, dass das Oberkonsistorium
sich nicht veranlasst gesehen hatte, auf eine derartige
Beschimpfung zu reagieren.
Außer dem
genannten Werkchen soll noch ein anderes kürzlich
erschienenes Büchlein Erwähnung finden, welches an
Schamlosigkeit alles übertrifft, was in neuerer Zeit
gegen Luther erschienen ist, nämlich das von Paul
Majunke verfasste Schriftchen: „Luthers Lebensende, eine
historische Untersuchung“.
Wer sich die
Mühe nimmt, dieses Werk zu lesen, bekommt sofort eine
wahre Scheu vor der Art und Weise, wie diese Sorte von
Leuten die Geschichtsforschung oder vielmehr
Nicht-Geschichtsforschung auffasst. In der Schrift ist
die schamlose Behauptung aufgestellt, Luther habe sich
in einem Zustande nicht vollständiger Nüchternheit wegen
des Misserfolges seiner neuen Lehre, mit sich und der
Welt zerfallen, am Bettstollen erhängt. Majunke tut so,
als sei die Geschichte etwas ganz Neues. Merkwürdiger
Weise kann ihm aber authentisch nachgewiesen werden,
dass dieses Märchen noch bei Lebzeiten Luthers erfunden,
in italienischer Sprache erschienen und von Luther
selbst unter dem Titel:
„Ein Wellische
(welsche) Lügenschrift von Doctoris Martini Luthers
Todt, zu Rom ausgegangen“ veröffentlicht worden ist. Auf
diese Schrift begründet Majunke seine ganze
Beweisführung. Diejenigen, welche sich für das Nähere
der Sache interessieren, verweise ich auf ein von
Professor Kolde in Erlangen erschienenes
Gegenschriftchen, welches mit wahren Keulenschlägen den
Pseudohistoriker
(Möchtegern-Historiker) zu Boden schmettert.
Gegen das Märchen von Luthers Selbstmord wendet sich
auch das Schriftchen von Pastor Terlinden in Duisburg.
Auch in der
katholischen Presse, in der, wie ich hier mit Freuden
konstatiere (feststelle),
doch auch noch anständige Leute tätig sind, hat das
zitierte Werk Majunkes eine scharfe Kritik erfahren. So
schreibt die „Kölnische Volkszeitung“ am 21. Dezember
1889 über diesen Gegenstand unter anderem folgendes:
(Folgt
Mitteilung der Hauptstellen aus der „Kölnischen
Volkszeitung“)
Eine
vernichtendere Kritik hätte selbst der beste Protestant
nicht schreiben können.
Ich habe mich
veranlasst gesehen, die Sache hier ausführlicher zur
Sprache zu bringen, da in den Angriffen Methode
bemerkbar ist. Man geht den Reformatoren zu Leibe, um
die evangelische Kirche zu schädigen. Daher müssen die
evangelischen Männer zusammenstehen, um die Beschimpfung
ihrer Reformatoren nicht zu dulden und nicht das große
Werk des 16. Jhdts., das nicht allein für die
evangelische, sondern auch für die katholische Kirche,
ja für die ganze Welt eine Kulturtat ist, schmähen zu
lassen. Ich glaube, im Sinne der Anwesenden zu reden,
wenn ich sage:
Wir werden trotz
dieser Angriffe, vielmehr durch diese Angriffe in der
Verteidigung der teueren evangelischen Kirche, und der
übrigen Errungenschaften der Reformation immer mehr
gekräftigt, und wenn Luther in seinem großen Liede sagt:
„Das Wort sie
sollen lassen stahn !“ = Sie
sollen das Wort (Gottes) stehen lassen !
so sagen wir in
Anwendung dieses Verses:
„Den Mann sie
sollen lassen stahn !“ = Sie
sollen den Mann (Luther) stehen lassen !
Die
Evangelischen beanspruchen für ihre Reformatoren,
speziell für Luther, nicht die Unfehlbarkeit. Luther ist
in Wandel und in Lehre ein Mensch gewesen wie alle
anderen, aber doch wird sein Glanz strahlen, solange es
denkende und gebildete Männer gibt. Dafür zu sorgen,
dass sein Bild rein und unverfälscht der Nachwelt
erhalten bleibe, ist mit (dazu)
die Pflicht einer Landessynode. Ich freue mich,
aussprechen zu können, dass die Synode dem
Kirchen-Regiment treu zur Seite stehen wird, wenn es
gilt, die höchsten und ersten Güter zu verteidigen.“
(Lebhafter
Beifall.)
Ich würde diesem
Bericht (der „Darmstädter Zeitung“) misstraut haben,
wenn nicht in den „Neuen Hessischen Volksblättern“ ein
ähnliches Referat enthalten gewesen wäre.
Also der
Synodale Herr
Brand lässt
mich wirklich „so tun“, als sei „die Geschichte etwas
ganz Neues“. Nach ihm ist in dem 1545 erschienenen
„italienischen“ Falsifikat
(schriftliche Fälschung) „Luthers Selbstmord“
berichtet gewesen – und ich soll darauf meine „ganze
Beweisführung gründen“.
Wahrscheinlich
glaubt der Synodale Herr
Brand mit diesen seinen Bemerkungen mich zum zweiten
Male zu töten, nachdem ich schon durch die
„Keulenschläge“ Koldes „zu Boden geschmettert“ bin.
Es wird niemand
erwarten, dass ich diesem Herkules Rede stehe und die
„Kölnische Volkszeitung“, welche sich von demselben
sagen lassen muss, dass sie die Rolle des „besten
Protestanten“ gespielt hat,
mag sich mit ihm allein abfinden.
Von den
verschiedenen Gustav-Adolph-Vereins-Versammlungen,
welche sich mit „Luthers Lebensende“ beschäftigten, mag
nur über eine kuriose Versammlung, welche in Görlitz
stattgefunden hat, nach dortigen Blättern berichtet
werden:
„Luthers
Lebensende“, die Schrift des Pfarrers P. Majunke, welche
in evangelischen Kreisen so viel Staub aufgewirbelt
hat, gab auch dem hiesigen
Gustav-Adolph-Verein
Veranlassung,
Stellung gegen dieselbe zu nehmen, und zwar hielt
gestern Abend (23. Februar) im Saale des Vereinshauses
Herr Superintendent Siegmund
Schultze einen Vortrag, in welchem er die
Behauptung von dem unnatürlichen Tode des großen
Reformators widerlegte. Der Lehrer-Gesangsverein leitete
den Vortrag mit dem Gesange des Chorals „Eine feste Burg
ist unser Gott“
(Luther-Lied) ein. Herr Superintendent Schultze
motiviert in der Einleitung die Berechtigung des
Gustav-Adolph-Vereins, welcher oft schon gegen
Unduldsamkeiten des Katholizismus Front gemacht
hat, auch gegen die Schrift
Majunke's Widerspruch zu erheben, in der ausgesprochen
sei, dass Dr. Martin Luther sich am Bettstollen erhängt
habe. Der evangelische Glauben, meint
der Redner, beruht nicht im
Leben und Sterben Luthers, sondern im Leben und Sterben
des Heilandes, aber es darf nicht geschehen und geduldet
werden, dass man das Andenken des Stifters der
evangelischen Kirche beschimpfe.
Der Redner weist an der Hand
(anhand)
von 6 Berichten
von Augen- und Ohrenzeugen, von Dokumenten, welche über
den Tod Luthers Kunde geben und heute noch erhalten
sind, nach, dass der Reformator in der Nacht zum 18.
Februar 1546 gegen 2 Uhr selig entschlafen ist und die
Behauptung des P. Majunke, der sich auf eine
hinterlassene Schrift von Sedulius in Antwerpen stützt,
das Luther durch Selbstmord geendet, falsch sei. In
seinem interessanten Vortrage führt
der Redner noch eine
Rezension (Beurteilung)
der
Majunke'schen Schrift aus der ultramontanen Augsburger
Volkszeitung an, welche u.a. sich dahingehend
ausspricht:
„Jede
Beglaubigung fehlt. Mit solchem Zeugnis ist nichts
anzufangen.“
Herr
Superintendent Schultze schließt mit der Aufforderung,
fest zu stehen in diesem Verteidigungskampfe. Nach dem
vom Lehrer-Gesangsverein vorgetragenen Liede „Wie selig
sind die Toten“ macht Redner auf die Bestrebungen des
Gustav-Adolph-Vereins aufmerksam und fordert zum
Beitritt in denselben auf.“
Aus dem Referat
(Vortrag) ist zu ersehen,
dass der Superintendent Schultze die „Keule“ Kolde's
geschwungen hat. Der Lehrer-Gesangsverein hat Musik dazu
gemacht. Mit dem Liede: „Wie selig sind die Toten“ ist
schließlich die ganze Aktion eingeschlummert.
Selbstverständlich mussten sich auch Mitglieder des
„Evangelischen Bundes“ mit der Affäre befassen. Es wurde
zu diesem Zwecke in Berlin für den 4. März eine „große
protestantische Volksversammlung“ einberufen, zu
welcher, wie die Zeitungen meldeten, auch der
Kultusminister Gustav
von
Goßler erschienen war.
Es ist möglich,
dass das Interesse des Ministers mehr durch den ersten
Gegenstand des Versammlungs-Programms: Bericht einer
Speyer'schen Deputation
(politische Gesandtschaft) über den Stand der
Protestkirchen-Frage, angeregt wurde, da jene Deputation
am nächsten Tage auch eine Audienz bei Ihren Majestäten
dem Kaiser und der Kaiserin hatte.
Über den Verlauf
der Versammlung berichtete das „Berliner Tagesblatt“ vom
6. März:
„Der
Evangelischen Bund hatte am Dienstag in der Tonhalle
eine Volksversammlung veranstaltet. Gymnasialprofessor
Ludwig Gümbel, der erste Schriftführer des Vereins zur
Erbauung der Gedächtniskirche der Protestation von 1529
zu Speyer, wies sodann in längerem Vortrag auf die
Ehrenpflicht hin, das Werk des genannten Vereins zu
fördern. Die Protestation zu Speyer sei der Akt der
Konstituierung (Gründung)
des Protestantismus gewesen, wäre er nicht geschehen, so
wäre das Licht, welches Luthers starke Hand unter dem
Scheffel*
hervorgeholt
hat, wieder erloschen.
*Scheffel = schaufelförmiger
Getreidemaß-Behälter aus Mt 5, 14-16:
Matthäus bezieht dieses Bild auf die guten Taten eines
Menschen.
Der Redner
berichtete zugleich über den bisherigen Fortgang des
1868 zuerst angeregten Werkes. Bisher sind für den
Kirchenbau 700 000 Mark zusammengebracht, darunter 100
000 Mark aus der Pfalz, mehr als noch einmal so viel ist
noch erforderlich, um die Kirche zu einem würdigen Bau
im gotischen Stil zu gestalten. Die Versammlung
beschloss folgende Resolution
(schriftliche Erklärung):
„Die heute in
der Tonhalle versammelten evangelischen Bürger Berlins
erklären es für eine Ehrensache des evangelischen
Deutschlands und der Reichshauptstadt der Protestation
zu Speyer, jener heldenmütigen Glaubenstat unserer
Väter, durch welche die Glaubens- und Gewissensfreiheit
für die Nachwelt gerettet ist, ein würdiges Denkmal zu
setzen. Sie werden daher nach Kräften für den Bau einer
Gedächtnis-Kirche der Protestation zu Speyer eintreten.“
– In einem zweiten Vortrag wandte sich Professor Scholz
gegen das Majunke'sche „Pamphlet“, in dem Luthers Tod
als ein unnatürlicher dargestellt ist. Wie Redner
ausführte, würde das Schweigen zu einer solchen
Darstellung von Rom als Zugeben und als Zeichen eines
schlechten Gewissens betrachtet werden, und daher müsse
man sich eingehender, als es sonst vielleicht erwünscht
sei, mit der Sache beschäftigen, obgleich die
Majunke'sche Behauptung auf überaus schwachen Füssen
stehe.
Die darüber
vorhandenen unbeglaubigten Schriften und Aktenstücke
seien erst 47, bzw. 60 Jahre nach Luthers Tode
aufgetaucht, die historisch feststehenden Tatsachen aus
der Zeit unmittelbar vor dem Tode Luthers; namentlich
die beiden letzten Briefe an seine Frau bezeugen dagegen
klar, dass Luther nichts weniger wie Selbstmordgedanken
hegte. Unter Beifall erklärte sodann Superintendent
Wegener, dass die Resolution
(Stellungnahme) auf das
Pamphlet einfach „Pfui“ laute.
Aus der
Versammlung heraus wurde dann noch der Vorschlag laut,
die Quellen der Majunke'schen Schrift durch eine
Kommission auf ihren historischen Wert prüfen zu lassen,
ein Vorschlag, der aber nicht weitere Beachtung fand.“
Über den
zweiten Verhandlungs-Gegenstand berichtete noch
ausführlicher das „Deutsche Tagesblatt“ (vom 6. März).
Dasselbe meldete:
„An
zweiter Stelle1
sprach Professor Scholz über „Luthers Tod und die
neueste ultramontane Geschichtsschreibung“. Während die
katholische Tagespresse an unsterblicher Langeweile
gestorben sei, habe die katholische Literatur zur
Bekämpfung der evangelischen Kirche sich mächtig
entfaltet. Da sei zuerst
Johannes
Janssen zu
nennen, dem folgten Baumgarten und Brunner
(Verleger). Und zu ihnen
habe sich jetzt Herr Paul Majunke gesellt, der eine
Schrift herausgegeben habe: „Luthers Lebensende, eine
historische Phantasie“.
Redner bespricht
nun dieses Buch, das voller Lügen ist. Alles, auch die
einfachsten
Dinge werden in
den Schmutz gezogen; selbst die Barmherzigkeit der Frau
Ursula Cotta
(Patrizierfamilie, Frau des
Ratsherrn Konrad Cotta), die sich Luthers in
seiner Kindheit erbarmte, wird begeifert
(gehässig beschimpft)2.
1 Während der
Pause wurde ein vom Vorstande des „Evangelischen Bundes“
herausgegebener „Offener Brief an die
römisch-katholischen Erzbischöfe und Bischöfe im
deutschen Reich“ verteilt. Von diesem Schriftstück meint
der Berichterstatter des „Deutschen Tagesblattes“, dass
dasselbe „die evangelische Antwort bringt auf den
bekannten Fuldaer Hirtenbrief, der die evangelische
Kirche als den Wolf bezeichnet, der das katholische
„Lamm“ nicht in Frieden lasse.“
2 Dass die Frau
Cotta dadurch, dass sie den heranwachsenden Jüngling
Luther in ihr Haus aufnahm, eine wesentliche Mitschuld
an dessen Falle trägt, ist allerdings meine Überzeugung, ich erinnere
mich aber nicht, dieser irgendwo Ausdruck geliehen zu
haben.
Ein Mann
freilich, der so gelebt hat wie Luther, der einen
solchen Charakter hatte wie er u.s.w., der kann nach
Herrn Majunke keines natürlichen Todes gestorben sein.
Und so
bestreitet er denn mit mehr als Kühnheit die historisch
wahrlich genug beglaubigten Mitteilungen über Luthers
Tod, wie sie allgemein bekannt sind.
Bald vier
Jahrhunderte haben jene Mitteilungen unangefochten
bestanden, bis Herr Majunke kam. In echt jesuitischer
Weise versteht er die Wahrheit zu verdrehen, dabei aus
einem Quellenmaterial schöpfend, wie es nicht dunkler
sein kann.
Denn 47 Jahre
nach Luthers Tod, 1593, schreib zuerst der katholische
Priester Bozius, Luther sei am Bettstollen erhängt
gefunden worden. Und erst 13 Jahre später, 1606,
erklärte der Katholik Sedulius, er besitze das von einem
Unbekannten erhaltene Aktenstück, nach welchem Luther in
der Nacht zum 18. Februar 1546, seiner Todesnacht,
betrunken zu Bette gegangen und dann erhängt gefunden
worden sei. Gegen solche Geschichtsschreibung, wie sie
Majunke betreibe, der sich auch noch auf die Gerüchte
bald nach Luthers Tod stützt, die sich als solche nur zu
klar herausstellen, müsse protestiert werden; denn das
Stillschweigen der Evangelischen gegen solche
Behauptungen würden als Zugeständnis, als böses Gewissen
ausgelegt werden. Es sei
nicht angenehm, in solche Bücher zu steigen, aber es
müsse geschehen, um einen Blick in die Rezepte
(Mittel)
zu tun, nach
welchem jesuitische Geschichts-Schreiber Geschichte
machen. Zuletzt stütze sich Majunke auf Luthers innere
Kämpfe kurz vor seinem Tode, die ihn dazu getrieben
hätten, seine Gattin zu verlassen. Wie es damit stehe,
das beweise am besten, wie Luther kurz vor seinem Tod an
seine Frau geschrieben habe. In Rom gebe es einen Index
(Liste)
verbotener Bücher.
Setze Rom dieses Majunke'sche Buch auf den Index, dann
wolle man an Roms Friedensliebe glauben. Solange dieses
nicht geschehe, müssten die Evangelischen immer auf dem
Plan sein und angesichts der großen Erfolge, die die
Römischen wieder bei den Wahlen erfochten
haben,
umso fester zusammenstehen.
Der evangelische
Bund sei eine dringend notwendige Macht. Wäre er noch
nicht da, dann wäre es jetzt höchste Zeit, ihn ins Leben
zu rufen. (Lebhafter Beifall.)
Superintendent
Wegener bemerkt, es sei leicht, gegenüber dem
Majunke'schen Buch eine Resolution
(Beschluss) zu fassen. Sie heiße: Pfui ! (Laute
Zustimmung.)
Nachdem noch
Oberlehrer Schmidt zum Eintritt in den Bund aufgefordert
hat, wurde die Versammlung
mit dem Gesang des letzten Verses aus:
„Eine feste Burg
ist unser Gott“ geschlossen.“
Nach der
katholischen „Märkischen Volkszeitung“ ist in der
Versammlung noch der Antrag gestellt worden: „ein
Komitee (Ausschuss)
wissenschaftlicher Männer zu bilden, das an der Hand
(anhand)
der Psychiatrie
untersuchen und feststellen sollte, ob Dr. Martinus
Luther wirklich ein normal angelegter Mensch oder ob er
wahnsinnig gewesen sei. Dem Laien sei es schwer, sich
darüber ein Urteil zu bilden.“ – „Der zeitgemäße Antrag
wurde aber von den Männern der „freien Forschung“
abgelehnt“ – bemerkt das katholische Blatt dazu.
Überall scheine
ich es hier mit Leuten zu tun zu haben, welche meine
Schritte gar nicht vor Augen gehabt
haben, sondern höchstens
die Kolde'sche Anti-Kritik
(griechisch: anti = gegen) durchblättert haben.
Es wäre sonst
unmöglich, dass Behauptungen aufgestellt werden konnten,
wie die:
„Bald vier
Jahrhunderte haben jene Mitteilungen (die „Historia“
der drei Weggefährten Luthers:
Jonas, Coelius, Aurifaber) unangefochten
bestanden, bis Herr Majunke kam.“
Dass mein Buch
nicht auf den Index (röm.
Verzeichnis verbotener Ketzerei-Bücher) kommen
wird, kann ich den Herren mit Bestimmtheit versichern,
selbst auf die Gefahr hin, dadurch mich fernerhin
(weiterhin)
den
„Keulenschlägen“ der „Evangelischen Bundesbrüder“
auszusetzen.
Bedauern kann
ich es nur, dass man auf den von der „Märkischen
Volkszeitung“ erwähnten Antrag nicht eingegangen und man
dem Thema über Luthers psychischen Zustand und seine
dämonischen Kundgebungen nicht näher getreten ist. Durch
eine gründliche und ohne Vorurteil geführte Untersuchung
dieser Frage im Lichte der von der Kirche tradierten
Dogmatik (altüberlieferten
unabänderlichen Glaubenswahrheiten)
würden alle
scheinbaren im Leben und Sterben des Bedauernswerten
sofort gelöst, nicht minder
(weniger) aber zahllosen Deutschen ein
untrüglicher Glaube im Leben und eine unerschütterliche
Hoffnung im Sterben wieder genährt werden !
Das
preußische Abgeordnetenhaus.
Ich übergebe
alle Zuschriften – meist schmähenden Inhalts – die mir
privatim (nicht öffentlich -
vertraulich)
von protestantischer Seite
zugestellt wurden1, und wende
mich zu den Verhandlungen, welche im preußischen
Abgeordnetenhause am 18. März c.
(im Kalender) gelegentlich
wegen der Beratungen über den Kultus-Etat
(Kultur-Haushalt)
stattgefunden hatten.
1 Auch Herr Pastor Thümmel hat mir eine Aufmerksamkeit
erwiesen. Er sandte mir seinen im vorigen Jahre
erschienenen „Offenen Brief an den Herrn Erzbischof
Philippus Krementz“ – unter
Streifband
(herumgelegter Post-Papierstreifen)
und ohne weitere Bemerkung – zu.
Die Adresse
lautete: „An den römischen Priester“ usw.
Der Abgeordnete
Peter Reichensperger hatte u.a. Beschwerde geführt über
die konfessionellen Verhetzungen, welche in neuerer Zeit
in den Versammlungen des „Evangelischen Bundes“ durch
F. Wilhelm
Thümmel und
Genossen verübt worden waren.
Obgleich nicht
selbst Mitglied dieses Bundes glaubte doch als Anwalt
desselben gegenüber der katholischen Kirche sich
gerieren (aufführen)
zu
sollen der Abgeordnete
Hofprediger Adolf
Stöcker,
welcher in einer längeren Replik
(Gegenrede) dem Abgeordneten
P. Reichensperger
antwortete und darin nach den bei ihm üblichen Ausfällen
(abfälligen Bemerkungen) auf Papst und Bischöfe
u.a. bemerkte:
„Ich will nicht
auf Einzelheiten eingehen; ich will nur an eine
Broschüre (kurze Druckschrift)
erinnern, die ein früheres Mitglied des
Abgeordnetenhauses, Herr Majunke, kürzlich
veröffentlicht hat. Was kann den Katholiken daran
liegen, die verruchte Lüge wieder zu erneuern, dass
Luther ein Selbstmörder gewesen sei ? Und doch ist das
etwas, was uns von der anderen Seite in der heftigsten
und beleidigendsten Weise immer wieder
entgegengeschleudert wird.“
So Herr
Adolf Stöcker.
Von Seiten eines
katholischen Volksvertreters wäre hierauf etwa Folgendes
zu erwidern gewesen:
„Wenn der
Abgeordnete Stöcker es für gut befunden hat, dieses
Thema hier zur Sprache zu bringen, so muss ihm bemerkt
werden, dass es sich dabei um eine rein
wissenschaftliche Angelegenheit handelt, die zu erörtern
das Abgeordnetenhaus nicht kompetent
(sachverständig)
sein kann.
Wenn übrigens die Diskussion der Frage über Luthers
Lebensende für die Protestanten „beleidigend“ sein soll,
so würde es für sie ebenso beleidigend sein, wenn man
eine Anzahl gewisser Stellen aus Luthers Briefen und
Tischreden dem Original-Wortlaute nach publizieren
(veröffentlichen)
wollte.“
Mit diesen
Worten hätte man sich nach keiner Seite hin engagiert
(betätigt); aber auch der
katholischen Sache wäre damit nichts vergeben worden.
Nun höre man, in
welcher Weise der Abgeordnete Julius Bachem, Advokat und
Journalist, dem Hofprediger Stöcker antwortete. Er
sagte:
„Wenn der
Abgeordnete Stöcker Beschwerde erhoben hat über eine
Publikation aus letzterer Zeit, die von einem früheren
Mitgliede dieses Hauses ausgegangen ist, so muss ich
darauf aufmerksam machen, dass gerade hervorragende
Organe (Zeitschriften)
der
katholischen Presse zuerst Kritik und zwar eine sehr
entschiedene Kritik geübt haben. Ich sollte meinen, wenn
diese Tatsache vorliegt, die doch Herrn Stöcker nicht
unbekannt sein kann, so hätte er keine Veranlassung
gehabt, seinerseits diese Publikation, mit der wir uns
doch nicht solidarisch erklärt haben, zu Rekriminationen
(Anschuldigungen)
gegen uns
zu benutzen.“
Die hier
erwähnten „hervorragenden Organe“ der katholischen
Presse reduzieren sich auf die einzige „Kölnische
Volkszeitung“, ein Blatt, an welchem Herr Julius Bachem
Mitarbeiter ist, und welches seinem Vetter Josef Peter
Bachem gehört.
Dass ein paar
katholische Blätter, welche anfänglich der „Kölnischen
Volkszeitung“ beipflichteten, bald nachher widerriefen,
sowie dass die „Augsburger Volkszeitung“ bei der
Reproduktion (beim Druck)
des Referates (Berichtes)
aus dem Kölner Blatte gerade die Hauptstellen
weggestrichen hat, dass
auch die Redaktion der „Trierschen Landeszeitung“ eine
andere Stellung einnahm, als ihr Rezensent
(Verfasser), ist oben
bereits mitgeteilt worden. Es bleibt also die „Kölnische
Volkszeitung“ tota sola (ganz
allein übrig), welche in dieser Sache als der
„beste Protestant“ sich geriert
(gezeigt)
hat1.
1 Nachträglich hat sich noch ein zweites rheinisches
Blatt gefunden, welches meine Publikation bedauerte und
zwar hauptsächlich deshalb, weil dadurch der
„konfessionelle Frieden“
(zwischen Protestanten
und Katholiken) beeinträchtigt
würde. Wenn wir auf den „konfessionellen Frieden“ bei
Behandlung kirchengeschichtlicher Fragen Rücksicht
nehmen wollten, so würde dies bei uns zum
Kirchhofs-Frieden, bei den Protestanten zu weiterer
Ausbildung des Geschichts-Monopols führen.
Die Protestanten können nicht einmal auf
kirchengeschichtlichem Gebiete den konfessionellen
Frieden wahren, ja nicht einmal im praktischen Leben.
Sie drohen mit einem neuen „Kulturkampfe“, wenn der
Staat den Katholiken
auch
nur volle Parität
(Gleichstellung)
gewährt, und sie
fahren fort, selbst in Städten aufzuführen, die zu einem
Drittel Katholiken zählen. Diese Friedensstörer können
allein zur Mäßigung gebracht werden durch den Hinweis
auf – Luthers Lebensende.
Nach dem Bericht
der Zeitung „Germania“ hat
der Abgeordnete Bachem sogar gesagt, dass der
Abgeordnete Stöcker „nicht mit Unrecht“ Beschwerde
erhoben habe über eine Publikation usw.
In dem oben
mitgeteilten „stenographischen“ Bericht
(in Kurzschrift)
finden
sich die Worte: „nicht mit Unrecht“ nicht mehr. Herr
Bachem hat sie also bei der Korrektur des Stenogramms
ausgestrichen – ein Beweis für die Sicherheit, mit der
er sich in dieser Frage bewegt.
Woher er das
Recht nimmt, das pathetische
(übertrieben feierliche) „wir“ zu gebrauchen und
anscheinend im Namen der ganzen Zentrumsfraktion
(katholische Zentrumspartei)
zu reden, will ich nicht weiter untersuchen. Ich
meinerseits kann ihm die Versicherung geben, dass
nachdem er in den letzten Jahren seine Urteilskraft an
einigen Artikeln der „Historisch-politischen Blätter“,
gegen die er wiederholt eine durch und durch unreife
Polemik (Feindseligkeit)
vom Zaune brach, das
vor
aller Welt bekundet hat, ich Bedenken tragen würde, in
einer wissenschaftlichen Frage mich mit ihm
„solidarisch“ zu wissen.
Ich zweifle auch
sehr, dass der Mangel an Wissenschaftlichkeit und der –
einem Volksvertreter doppelt unziemliche
(nicht gehörige)
– Mangel
an Mut, mit welchem er vor dem Fanatiker Stöcker den
Rückzug antrat, von seinen katholischen Wählern –
Geistlichen wie gebildeten Laien – gebilligt werden
wird.
Dass man
jedenfalls in der Zentrumsfraktion mit seinem Vorgehen
nicht durchweg (ausnahmslos)
einverstanden war, beweisen die Worte des
Abgeordneten Ludwig
Windthorst, der sich bei der Erklärung des Herrn Bachem
nicht beruhigte, sondern als späterer Redner noch einmal
auf die Sache zurückkam.
Er bemerkte:
„Über die von
Herrn Stöcker erwähnte neue literarische Produktion
(„Luthers Lebensende“) habe ich mich nicht gefreut.
Inzwischen, man kann sich
der Wissenschaft nicht wehren, wenn sie sich überall zu
betätigen sucht, und davon bin ich überzeugt, dass der
Verfasser dieser von mir nicht gewünschten Schrift
sicherlich wissenschaftliche Interessen dabei gehabt
hat.“
Im weiteren
Verlaufe seines Vortrages äußerte dann noch der Redner:
„Lesen
Sie die Schriften Luthers, hören Sie seine Tischreden
und extrahieren
(herausziehen)
Sie alle die schönen Epitheta
(schmückenden Beiwörter),
die der Papst, die Kirche usw. von ihm bekommen.
Ich wage nicht,
in dieser Gesellschaft diese Epitheta zu wiederholen.“
Nunmehr entschuldigte sich Herr Stöcker, dass er um
seiner „Freunde“ willen so wie er es getan, dem
Abgeordneten Reichensperger hätte antworten müssen. Zu
diesem Rückzuge hätte schon Herr Bachem
den
Herrn Stöcker bringen sollen, statt vor ihm die Waffen
zu strecken !
Im
Übrigen war die ganze Diskussion von keinem besonderen
Belang. Die Schwalbe Julius Bachem macht noch keinen
febronianischen*
Sommer.
*
Febronianismus: durch „J. Febronius“ aufklärerisch
orientierte innerkatholische Reformbewegung im 18.
Jahrhundert = Frontalangriff auf die Institution des
Papsttums und seinen Anspruch auf den
Jurisdiktions-Primat (vorrangige, höchste und universale
Gewalt des Papstes als alleiniger Stellvertreter Jesu)
zugunsten der Bischöfe = Episkopalismus
Sogar Herr
Ernst
von Eynern, der auf historischem Gebiet schon
Entdeckungen gemacht
hat,
wie sie noch keinem Gelehrten gelungen waren, – er hat
ja einen „geweihten Degen“ für den Marschall Daun*
entdeckt und den „Erasmus von Amsterdam“ studiert –
ließ, obschon er in derselben Sitzung dreimal das Wort
ergriff und allerlei Klagen über „Gottlieb“ usw.
vorzubringen hatte, die günstige Gelegenheit
vorübergehen, um der Welt zu offenbaren, was die
„Amsterdamer“ Archive über Luthers Lebensende zu
enthüllen haben.
*
Graf von Daun erhielt vom Papst einen geweihten Hut und
Degen
Schlusswort.
Dem Leser ist in
den vorstehenden Kapiteln das gesamte zur Beurteilung
unserer Frage erforderliche Material unterbreitet
worden.
Ich habe die
Gegner meiner Auffassung überall in extenso
(ausführlich bzw. weitestgehend)
zu Wort kommen lassen; bei Kolde, dessen ganze
Schrift abdrucken zu lassen, mir das Pressegesetz
verbot, sind wenigstens die Hauptquellen wörtlich
mitgeteilt.
So hat nun ein
jeder das Pro und Contra (Für und
Wider) vor Augen und ich bin nicht zweifelhaft,
auf welche Seite der vorurteilsfreie Leser sich neigen
wird.
Wie schon
gelegentlich hervorgehoben wurde, besteht das
Charakteristische der aufgeworfenen Frage darin, dass
man protestantischerseits von derselben stets und bis in
die unmittelbarste Gegenwart hinein Kenntnis gehabt
hat – bemerkte doch Herr
Stöcker eben noch am 18. März c.
(im Kalender) im Abgeordnetenhause, dass diese
Frage „immer wieder“ auftauche – während man
katholischerseits von ihr selbst als „Frage“ seit mehr
als hundert Jahren nichts mehr wusste.
Der letzte
katholische Schriftsteller, welcher sich mit ihr
befasste, war der Prager Jesuitenpater
Johannes
Krause, der seinen
Conrad redivivus (der
wiederauferstandene Conradus*)
im Jahre 1716
erscheinen ließ.
*
A: Abt von Mondsee (Monscanus) im Salzburgischen,
wurde im Jahre 1145 wegen standhafter Verteidigung der
Rechte seines Klosters von seinen Bauern ermordet.
B: Bischof von Utrecht, der bei einigen den Titel heilig
und Märtyrer hat.
C: Stifter des Gotteshauses Engelberg in der Schweiz und
Märtyrer
D. erwählter Erzbischof von Trier und Märtyrer
Von da an
herrscht in der katholischen Literatur Stillschweigen
bis zum Luther-Jubiläum von 1883, wo „Gottlieb“ in der
„Germania“ das alte Thema wieder aufnahm.
In der
protestantischen Literatur aber behielt man, wie gesagt,
den fraglichen Punkt lebhaft im Auge, wenn man auch –
nach dem Vorgange Seckendorfs – jeder näheren
Untersuchung scheu aus dem Wege ging.
So
auch
D. Carl Gottlob
Hofmann im Jahre 1746, so Keil
anno 17641.
1 Beide
Schriften eingehend besprochen in der 3. und den
folgenden Auflagen von „Luthers Lebensende“.
Als dann
Dr. Gottfried
Schütze im
Jahre 1780 seine, „noch ungedruckten Briefe Luthers“
herausgab, schilderte er (Seite 3) die Ausstellungen,
welche katholischerseits seinem Heros
(heldenhaften Idol)
gemacht
würden, wie folgt:
„Luther ist in
Gestalt eines Wechselbalges (einer
Wöchnerin - von Dämonen oder Trollen - untergeschobenes
hässliches, missgestaltetes Kind)
vom Teufel
gezeuget und von einer Bademagd
(spärlich bekleidete Hilfskraft des Baders in einer
mittelalterlichen Badestube)*
geboren worden; den
Teufel hat er zum Lehrmeister gehabt und auf dessen
Eingeben hat er alle Ketzereien des Altertums erneuert.
Er ist ein
aufrührerischer Rumor-Geist
(Unruhestifter) und dabei der Völlerei und dem
Saufen ergeben gewesen; als ein Meineidiger
(unter falschem Eid) hat er sein Gelübde
gebrochen, als ein Weichling hat er mit einer
entlaufenen Nonne (Katharina von
Bora) Unzucht getrieben; als ein Idiot
(Ärger machender törichter Mensch)
hat er allen hohen Schulen und Wissenschaften Spott
gesprochen und als ein zweiter Judas Iskarioth hat er
sich zuletzt selbst erhencket und die höllischen
Poltergeister haben über seinem Grabe erschrecklich
getobet.“
*
Wormser Edikt 1521: „Der böse Feind in
Gestalt eines Menschen mit angenommener Mönchskutte.“
1533: Laut dem Dominikaner Petrus Sylvius ist er ein „diabolus
incarnatus“ (fleischgewordener Teufel), denn eine
gottesfürchtige Zeugin berichtete: Luthers Mutter wurde
als Bademagd in Eisleben (Badehaus Möhra) mehrmals von
einem wunderschönen Jüngling in roten Kleidern
(Gewand-Farbe des Teufels) besucht.
1577: Dasselbe sagt der Franziskaner und spätere
Kapuziner Noel Taillepied in „Vies de Luther“ (das Leben
Luthers).
1535: Cochläus schwächt das ab, indem er sagt, dass
dieser zumindest mit dem Teufel einen Pakt auf der
Wartburg hatte. Luther ist das Ende aller Sakramente,
die Vernichtung aller sakralen Rituale, der schlimmste
aller Häretiker, dieser lässt selbst den Arius, den
König der Häretiker, verblassen:
Er ist die Summe aller alten und die Ursache aller neuen
Häresien, um nicht zuletzt als ein den Aufstand
predigender „Barrabas“ bäuerliche Unruhen anzufachen.
So im Jahre 1780
der Protestant Schütze über die Vorwürfe, welche von
Seiten der Katholiken der Person Luthers gemacht würden.
Er bemerkt dazu, dass dies „alles feine Verleumdungen“
seien, „die man erst nach vorhergegangenen näheren
Prüfungen, obgleich mit leichter Mühe entkräften kann“.
– Aber auch er hat sich der „leichten Mühe“ nicht
unterzogen.
Im Jahre 1846
meinten bereits die Lutherbiographen
Julius Leopold
Pasig und
Moritz
Meurer2, dass jene Vorwürfe teils sich
„von selbst“ widerlegten, teils seien sie schon
„widerlegt“, so dass es verlorene Mühe sei, sich weiter
damit zu befassen.
2 Erwähnt in
der 4. und den folgenden Auflagen von „Luthers
Lebensende“.
Es steht somit
fest, dass außer dem verunglückten Versuch, den
Johannes
Müller im Jahre
1635 im „Lutherus Defensus“
(Luther-Verteidigungsrede) zur Widerlegung der
katholischerseits verbreiteten Behauptungen unternommen
hat, niemand mehr unter den Protestanten
auch nur einen Anlauf dazu genommen hat, den
„Reformator“ wegen seines Abschiedes von dieser Welt zu
rechtfertigen. Nur das böse Gewissen blieb im
Protestantismus wach und erinnerte sich seiner Schuld
und Unterlassung.
Die Gründe,
weshalb man katholischerseits seit der Mitte des vorigen
Jahrhunderts nicht mehr auf die Sache zurückkam, habe
ich früher schon angedeutet, es dürfte aber gut sein,
sie noch einmal im Zusammenhange zu erörtern.
Die Hauptursache
lag in dem auf Vertuschung aller konfessionellen
Gegensätze hinarbeitenden Josephinismus*
und Febronianismus.
*Josephinismus,
abgeleitet von Kaiser Joseph II., bezeichnet die
Unterordnung gesellschaftlicher Angelegenheiten unter
die staatliche Verwaltung Österreichs nach den
Prinzipien des aufgeklärten Absolutismus
(Fürstenherrschaft mit europaweiter Übernahme der Ideen
der Aufklärung) durch das Maßnahmen-Bündel einer
staatlich gelenkten religiösen Autarkie
(Selbstbestimmung).
*
Febronianismus ist eine aufklärerisch
orientierte innerkatholische Reformbewegung des 18.
Jhdts. - ausgelöst durch J. Febronius, die die
päpstliche Jurisdiktion (Vollmacht) zugunsten einer
Nationalkirche mit staatlicher Hilfe zurückzudrängen
versuchte, zur Wiedervereinigung der christlichen
Kirchen auf der Basis der Kirchenverfassung des 1.
Jahrtausends.
Der Hof-Bücher-Zensor
(amtlicher
Prüfer) Kaiser Josephs
und K. K.
(kaiserlich-königlicher)
Ober-Kirchenhistoriker
Matthias
Dannenmayer würde z.B. ein Buch, welches die
vielerwähnten Stellen aus Bozius und Sedulius hätte
reproduzieren wollen, gar nicht erst in die
Öffentlichkeit haben gelangen lassen1.
1 Zur Beurteilung der Grundsätze,
nach denen Dannemayer seine Kirchengeschichte schrieb,
genügt es, seine Charakteristik Pallavicini's und
Paolo
Sarpi's zu lesen. „Pallavicini“, sagte er, „war Jesuit,
Kardinal und schrieb auf Rom's Befehl, in der Absicht,
die Sarpi'sche Geschichte (des Konzils von Trient) zu
widerlegen – Gründe genug, die ihn verdächtig machen.“
(Leitfaden in
der Kirchengeschichte nach Matthias Dannenmayer's
lateinischem Lehrbuch. Zweite verbesserte Auflage,
Rotweil 1827, Seite 93)
Bevor Dannenmayer als Professor der
Kirchengeschichte von Joseph II. nach Wien gerufen
wurde, diente daselbst die Kirchengeschichte des
Protestanten
Johann Matthias
Schröckh als Grundlage für die Behandlung dieser
Wissenschaft. Mehr zugunsten des Lutheranismus, als es
bisweilen Dannenmayer getan
hat,
hätte auch „der beste Protestant“ nicht wirken können.
Wie in Wien so verfuhren auch die
Zensoren der romfeindlichen Erzbischöfe und Kurfürsten
in den westlichen und südlichen Ländern Deutschlands.
In Preußen wurde die Zensur
(Informationskontrolle)
noch rigoroser
(strenger) gehandhabt.
Friedrich II.
hielt jedes Mittel zum Angriff gegen dem Katholizismus
für erlaubt, gestattete aber nicht die geringste
Freiheit zur Verteidigung desselben.
Unter Friedrich
Wilhelm III. wurde die Sache nicht viel besser.
Noch am 3. April 1821 wurde an die
Zensoren folgende Kabinetts-Ordre (Order = Anordnung)
betreffend die Umänderung des Namens „Protestanten“ in
„Evangelische“ erlassen:
„Die
Benennung: Protestanten, protestantische Religion, für
die Bekenner und das Bekenntnis der evangelischen Lehre
ist mit stets anstößig gewesen; sie gehört der Zeit an,
in welcher sie aufkam. Das evangelische
Glaubensbekenntnis gründet sich lediglich auf die
Heilige Schrift. Der Name muss also davon ausgehen. Im
gemeinen
(gewöhnlichen)
Leben lässt sich eine altgewordene
Benennung schwer vertilgen;
im Geschäftsstil aber, bei der Zensur
von Druckschriften und der öffentlichen Blätter soll
darauf gehalten
(geachtet)
werden, die Benennung evangelisch
statt protestantisch, Evangelische statt Protestanten zu
gebrauchen, weil eben dadurch der alte unpassende Name
nach und nach verschwinden wird.
Das Staatsministerium hat demgemäß,
jeder Departements-Minister
(Abteilungsminister)
in
seinem Ressort
(Bereich),
diese Anweisung zu befolgen und befolgen zu lassen,
hauptsächlich aber die Zensoren der Druckschriften und
der öffentlichen Blätter danach zu instruieren.“
Am 16. Mai 1827 erschien sogar eine
Verfügung, welche selbst die dogmatischen
(christlichen
Grundwahrheiten betreffenden)
und historischen Kontrovers-Predigten
(Gegen-Predigten) der
Geistlichen beider Bekenntnisse verbot.
Erst die in Folge der
(revolutionären
und demokratischen)
1848-er Bewegung entstandenen konstitutionellen
Verfassungen
(= Staatsform der konstitutionellen
Monarchie)
hoben die
Zensur auf
1.
1 Wie streng in Österreich die
Zensur noch Ende der
1850-er
Jahre gegenüber den aus dem Auslande kommenden Büchern
gehandhabt wurde, geht u.a. aus folgender Mitteilung
hervor, welche die „Historischen politischen Blätter“
(Band 105, Seite 242) in einem dem verstorbenen
Ignaz von
Döllinger gewidmeten Nekrologe (Nachuf)
machten. Dr.
Josef
Edmund
Jörg, der ehemalige Amanuensis
(Schreibgehilfe eines Gelehrten)
Döllingers, berichtet
dort:
„Döllinger
kehrte (im Jahre 1857) mit einem Verdruss von der
italienischen Reise zurück.
Überallhin hat
er die Sorge für seine auserlesene Bibliothek
mitgenommen, überall waren die großen
Antiquariats-Handlungen (Geschäfte
mit alten Büchern) sein häufigster Besuch. So
hatte er von der Nationalversammlung in Frankfurt große
Kisten voll Bücher, zur Bestürzung seines
Finanzverwalters in München, Major Seyfried, nach Hause
geschickt und auch jetzt wieder hatte er zwei
Schäffelsäcke (Getreide-Säcke)
voll alter
Bücher von Florenz aus mit auf die Reise genommen. Als
er an die österreichische Grenze kam, erfolgte die
zollamtliche Erklärung, dass die zwei Büchersäcke erst
die Zensur in Wien passieren müssten. Seine ohnehin
nicht sehr warmen Sympathien für Österreich sanken um
mehrere Grade.“
In Preußen wurde
noch im Jahre 1855 die katholische Zeitung „Deutsche
Volkshalle“ zu Köln durch einfachen Machtanspruch der
Verwaltung trotz der Verfassung unterdrückt – ein
Vorkommnis, dessen Wiederholung zum Teil erst durch die
Gewerbeordnung von 1869, gänzlich erst durch das
Reichs-Pressegesetz von
1874 unmöglich gemacht wurde.
Während die in
katholischen Ländern ans Staatsruder gelangten
Josephinisten und Febronianer den Protestanten halfen,
jede dieser feindlichen Regung in der Presse mittelst
der Zensur zu unterdrücken, so zwar, dass die
Protestanten von selbst das Geschichts-Monopol
erhielten, trieb man protestantischerseits die
Rigorosität (unerbitterliche
Härte) so weit, dass man jede Spur von
katholischer Literatur zu vernichten suchte.
Schon Luther
unterhielt zu diesem Zweck ein umfassendes
Spionier-System (Spionage)
und übte mittelst des weltlichen Armes, der ihm hierbei
zu Gebote (zur Verfügung)
stand, eine eiserne Strenge aus.
Wo immer ein
Fürst, ein Graf, ein Gutsherr das Evangelium der
„Freiheit“ angenommen hatte, da war es aus mit der
Freiheit der Presse, und wenn je einmal ein katholisches
Buch von jenseits der Grenze sich in den von der
„Freiheit“ interdizierten
(entmündigten) Raum gewagt hatte, so wurde es
sofort von Luthers Spionen zum Flammentode verurteilt.
Als nach dem
Tode des Herzogs Georg zu Sachsen und durch die
Thronfolge seines Bruders des Herzogs Heinrich in
Leipzig die „Reformation“ eingeführt wurde, ließ
daselbst der vom Protestantismus zum katholischen
Glauben zurückgekehrte Gelehrte Georg Wizel gerade seine
Postille (Sammlung von Predigten)
drucken.
Der Verfasser
musste sofort sich in ein anderes Land flüchten, seinem
Verleger wurde untersagt, das begonnene Werk weiter
drucken zu lassen und als er diesem Verbote
zuwiderhandelte, wurde er ins Gefängnis gesetzt, die
vorhandenen Exemplare konfisziert
(beschlagnahmt)
und bis auf das letzte Blatt dem
Feuer überantwortet1.
1 Auf Betreiben
des Luther-Spions Jonas wurde sogar das Manuskript
vernichtet, damit Wizel dasselbe nicht in einem anderen
Lande drucken lassen konnte.
Ähnlich scheint
man es auch mit einer Schrift gemacht zu haben, die
Wizel später über Luthers Lebensende geschrieben hatte.
Allerdings muss diese Schrift außerhalb des Bereiches
des Protestantismus erschienen sein – in Mainz oder Köln
– ; aber da heute nirgends mehr eine Spur
derselben zu finden ist, scheint sie bei dem späteren
Umsichgreifen des Protestantismus aufgetaucht und gleich
der Leipziger Postille vernichtet worden zu sein.
In
Melchior
Adami: Vitae
germanorum theologorum, Francofurti 1633 pagina 261
(Lebensläufe deutscher Theologen,
Frankfurt 1633, Seite 261 wird in der Biographie
des Justus Jonas erwähnt, dass letzterer eine besondere
Schrift:
„De morte
Lutheri“ (Über den Tod Luthers)
gegen Wizel verfasst habe.
Diese Schrift
des Jonas wird auch bei Heinrich
Wilhelm Rotermund, Geschichte der Augsburgischen
Konfession, Hannover 1829, Seite 415 als im Jahre 1546
zu Wittenberg in Quartformat (4
Blätter-Papier) erschienen aufgeführt, aber
selbst Kawerau, der die Geschichte des Jonas am
eingehendsten studiert hat, bemerkt, dass er das Buch
nicht nachzuweisen vermag.
(Briefwechsel
des Justus Jonas, II. Einleitung Seite XLVIII
= 48).
Wahrscheinlich
hat man also mit der Wizel'schen Schrift über Luthers
Lebensende die Gegenschrift des Jonas zugleich
exstirpiert (entfernt)
–
vielleicht weil die Widerlegung nicht recht gelungen
erschien und man fürchtete, damit erst recht Öl ins
Feuer zu gießen.
Ebenso scheint
eine Schrift von Christophorus Walther über Luthers Tod
samt einer Gegenschrift von Aurifaber gänzlich
verschwunden zu sein1.
1 Bei Beginn des letzten „Kulturkampfes“ haben die
National-Liberalen in ähnlicher Weise die
Selbstbiographie eines ihrer Koryphäen
(Fachgrößen) – der in naiver Weise
erzählt hatte, dass er beim Freien dreimal den Korb
bekommen hat (beim
Werben um Frauen abgewiesen wurde) – aufgekauft und vernichtet.
Ganz sicher ist
auf diese Weise vernichtet worden das Buch des
Jesuitenpaters Karl von Kreutzen, welches gegen Müllers
„Lutherus Defensus“ (der
verteidigte Luther) gerichtet war.
Dieses Buch ist
auf keiner öffentlichen preußischen Bibliothek mehr zu
haben, nicht einmal mehr an dem Orte, an welchem es
(1635) erschienen war, in Braunsberg.
Übereinstimmend
wurde mir auch von zwei Universitäts-Bibliothekaren des
Auslandes versichert, dass es von den Protestanten
völlig aus der Welt geschafft sei.
Bei der sehr
großen Seltenheit des Sedulius scheint es diesem Werke
ähnlich ergangen zu sein – kurz, was der 30-jährige
Krieg nicht vernichtete, was die Schweden nicht raubten
und versengten, das wurde,
sobald es für den Protestantismus unheilvoll werden
konnte, im Frieden den Furien (den
wütenden Frauen, der Rachegöttin)
geweiht.
Da kann es
allerdings nicht Wunder nehmen, wenn die Katholiken nach
dem 30-jährigen Kriege zu einer im Auslande erschienenen
dogmatisch-historischen Apologetik
(logische rationale Rechtfertigung des Glaubens),
nach dem Werke des Franzosen Floremund Raemund griffen,
so dass dann dessen ungenaue Berichte über Luthers Tod
zu der Vergessenheit, in welche das Ereignis nach und
nach sinken musste, noch die Verwirrung hinzufügten.
In der Tat, wenn
wir uns alle die Hemmnisse vergegenwärtigen, welche sich
der Verbreitung wahrheitsgemäßer Nachrichten über
Luthers Tod entgegenstellten: auf protestantischer Seite
der Terrorismus der Machthaber, die
Bücher-Scheiterhaufen, zuletzt das einseitige
Geschichts-Monopol; auf katholischer Seite die
Machtlosigkeit auf dem Gebiete der Literatur, dann die
Irreleitung durch Floremund Raemund und zuletzt noch der
Josephinismus und
Febronianismus mit seiner bis in das gegenwärtige
Jahrhundert hineinragenden drakonischen
(sehr strengen und
rücksichtslosen) Bücher-Zensur – wenn man alle
diese Momente in Erwägung zieht, so wird man gewiss noch
sich darüber verwundern müssen, dass es noch möglich
gewesen war, die Wahrheit über Luthers Ende in ein
Zeitalter hinüberzuretten, in welchem man sie nicht mehr
durch Feuer und Schwert unterdrücken kann.
Si magnis parva
componere licet (Wenn es erlaubt
ist, kleine Dinge mit großen Dingen zu vergleichen),
so ist es in Deutschland ähnlich mit der Frage der
lehramtlichen Infallibilität
(Unfehlbarkeit = Irrtumslosigkeit, Fehlerlosigkeit,
Perfektion im Handeln) des Papstes gegangen.
Die
„Reformatoren“ kämpften gegen diesen Lehrsatz ganz
besonders an, weil er damals von den deutschen
Katholiken allgemein für wahr gehalten wurde.
Noch im 17.
Jhdt. traten für ihn die katholischen Apologeten
(Verteidiger)
ein;
aber die
Josephiner des 18. Jhdts. und die Febronianer des 18.
und 19. Jhdts. leugneten ihn, und da sie mit der Zeit
wie für die historische, so auch für die dogmatische
Richtung des katholisch gebliebenen Deutschlands
maßgebend wurden, so vergaßen die deutschen Katholiken
immer mehr auf jenen Satz, bis sie im Jahre 1870 die
Geschichte der Theologie in ihrem Vaterlande genauer
studierten und zu ihrem Erstaunen bemerkten, dass man in
Deutschland seit den Zeiten des Heiligen Bonifacius*
an die lehramtliche Infallibilität des Papstes
(Stellvertreter Jesu auf Erden)
geglaubt hatte, während zugleich die Verhandlungen des
Vatikanischen Konzils offen darlegten, dass man in der
katholischen Welt von jeher sich zu dem so viel
bestrittenen Satze bekannt hatte.
*
anno 754: Der Legende nach soll der Hl.
Bonifatius - „der gutes Geschick Verheißende" - bei
seiner Ermordung (zusammen mit 52 Gefährten) zum Schutz
sein Evangelienbuch über den Kopf gehalten haben. Als
Christen den Leichnam fanden, sahen sie auch das Buch,
durch das das Schwert gedrungen war:
Es war dabei jedoch kein Wort der Heiligen Schrift
zerstört worden.
Nicht anders
verhielt es sich in Deutschland mit der Frage nach
Luthers Lebensende. Bald nach des „Reformators“ Tode war
jedem Katholiken die Wahrheit darüber bekannt.
Anfänglich war sie durch mündliche Überlieferung, später
durch die Schrift verbreitet worden. Da trat eine
Verdunkelung ein. Sie währte beinahe ebenso lange, wie
die Verdunkelung der Infallibilitäts-Frage.
Aber wenn auch
lange Zeit der Himmel sich verfinstern kann –
die Sonne
bringt doch wieder einmal Alles an den Tag !
Kurzbiographie Paul Majunke
Paul Majunke
(* 14. Juli 1842 in Groß-Schmograu bei Wohlau;
† 21. Mai 1899 in Hochkirch bei Glogau) war
ein deutscher katholischer Priester, Publizist
und Politiker der Zentrumspartei.
Majunke studierte von 1861 bis 1866 Theologie
und Rechtswissenschaften in Breslau und
promovierte zum Dr. theol. in Rom.
Anschließend unternahm er Reisen durch Europa.
Im Jahr 1867 wurde Majunke zum Priester
geweiht. Danach war er als Kaplan in Neusalz
an der Oder und in Breslau tätig. Später war
er Redakteur der Kölnischen Volkszeitung von
Julius Bachem. Im Jahr 1870 wurde er
entlassen, weil sein Schreibstil als zu scharf
erschien. Anschließend war er vorübergehend
Pfarrer in Glogau.
Seit 1871 war er der erste Chefredakteur der
neu gegründeten Zeitung Germania. Dieses Blatt
stand der Zentrumspartei sehr nah. Unter der
Leitung von Majunke wurde die Germania zu
einer der führenden katholischen
Tageszeitungen. Im Kulturkampf schrieb Majunke
zahlreiche scharfe Artikel zur Verteidigung
der katholischen Sache gegenüber der
preußischen Regierung.
Seit 1874 bis 1884 war Majunke Abgeordneter
der Zentrumspartei im Reichstag und von 1878
bis 1884 Mitglied des preußischen
Abgeordnetenhauses.
Majunke war Pfarrer in Hochkirch bei Glogau
(polnisch Wysoka / Niederschlesien).
Der Ort ist ein besonderer >
DIE
WALLFAHRTSKIRCHE ZU HOCHKIRCH (bei Glogau) UND
IHR MARIENBILD
Hochkirch, drei
Viertelmeilen südöstlich von Glogau, ward in
früheren Jahrhunderten, wo es zum benachbarten
Gräditz gehörte, Hohenkirchen offen Berge genannt.
Es hat eine Wallfahrtskirche mit dem 1856
neugebautem Turme und ein wunderbares Marienbild auf
dem Hochaltare, zu dem von weit her aus Schlesien
und Polen gewallfahrtet wird. Die größten
Wallfahrten finden statt am Sonntage Trinitatis
(Dreifaltigkeitsfest), wo auch eine Prozession von
der Probstei Seitsch aus dem Guhrauschen ankommt,
und dann am Feste Maria Geburt.
An die
Kirche und das darin befindliche Muttergottesbild
knüpft sich folgende Geschichte:
Als die Kirche vor
uralten Zeiten erbaut werden sollte, hatte der
Gutsherr eine andere Anhöhe in der Nähe derjenigen,
auf der heute die Kirche steht, als Platz dazu
bestimmt. Fromme Spenden waren zu ihrer Erbauung
reichlich eingegangen, und der Gutsherr lieferte das
Bauholz. Er ließ dieses auf die von ihm ausersehene
Anhöhe schaffen. Die Geistlichen des Sprengeis
wünschten sie zwar dort nicht, aber sie fügten sich,
als der Gutsherr außer dem Bauholze noch reiche
Gaben versprach. Dennoch kam es anders, denn es trat
ein seltsames Ereignis ein.
Am andern Morgen
nämlich war das Holz von der Anhöhe verschwunden.
Erst dachte man an einen Raubfrevel, aber man fand
das gesamte Holz in bester Vollständigkeit und
Ordnung auf einem benachbarten Hügel. Der Gutsherr
hielt dies für einen mutwilligen Streich und ließ
das Holz auf den früheren Platz zurückschaffen und
noch mehr dazubringen. Am andern Morgen war es
wieder fort und lag wieder auf jenem ändern Hügel.
Das brachte eine große Bewegung in der Gemeinde
hervor, und viele gingen zum Gutsherrn und
erklärten, das gehe nicht mit richtigen Dingen zu
und sei ein Wunder, das etwas zu bedeuten habe. Aber
der Gutsherr ließ sich von seinem Vorhaben nicht
abbringen, er wolle doch sehen, meinte er, ob das
Holz zum dritten Male seinen Platz verändern werde.
Der Herr ließ von seinen Leuten das Holz wieder
zurückschaffen. Für die Nacht stellte er zwei
Wächter daneben auf. Doch wieder lag es am nächsten
Morgen auf dem ändern Berge. Die Wächter hatten
nichts bemerkt und sagten aus, ein unwiderstehlicher
Schlaf habe sie befallen. Nun stürmten alle auf den
Gutsherrn ein, er möge doch gestatten, daß die
Kirche dort gebaut werde, wohin schon in dreien
Nächten das Bauholz von unsichtbaren Händen
geschafft worden sei; es sei sicher Gottes Wille so.
Da sagte der Gutsherr: „Nun in Gottes Namen, baut
dorthin die Kirche zu seiner Ehre." Mit Jubel ward
diese Entscheidung aufgenommen, und der Bau ward
behende in Angriff genommen, schien es doch allen
ein heilig Werk. Die Teilnahme für das Gotteshaus
wuchs weit über den Sprengel hinaus. Die Kirche war
fertig, auch die innere Ausschmückung war fast
vollendet. Aber noch fehlte ein würdiges Bild für
den Hauptaltar. Da griff wiederum eine wunderbare
Macht ein.
In einer Nacht,
als alle Einwohner Hochkirchs längst schliefen, rief
der Wächter eben die Mitternachtsstunde aus.
Zufällig schweifte sein Blick nach der Höhe hinauf,
wo die Kirche stand. Wunderbar! Das Innere des
Gotteshauses strahlte in hellem Lichterglanz. Es war
keine Feuersbrunst, aber dennoch rief er die
Bewohner aus ihrem Schlafe. Staunend scharte sich
die ganze Gemeinde zusammen und wie zur ersten
Wallfahrt geordnet schritt sie dem neuen Gotteshause
entgegen. Schon war die Menge bis zum Fuße der
Anhöhe gelangt, da ereignete sich ein zweites
Wunder. Herrliche Töne erklangen aus der Kirche,
bald schmelzend und bald brausend wie im vollen
Chor, Posaunen und Orgelton und Priestergesang
dazwischen, über dem ganzen schwebend aber ein Klang
wie von Engelsharmonien. Wer waren die nächtlichen
Musiker dort oben? Die Gemeinde sank am Fuße des
Hügels auf ihre Knie und wohnte dem Gottesdienste
dort oben in andächtiger Ferne bei. Das war das
erste Hochamt, ehe noch das Gotteshaus die
kirchliche Weihe erhalten hatte. Plötzlich erloschen
Licht und Gesang; stumm und finster lag das Gebäude
wieder auf seiner einsamen Höhe. Tief ergriffen aber
kehrten die Leute zurück; was sich da oben
zugetragen hatte, war ihnen ein unerklärliches
Rätsel. Als aber der Morgen anbrach, sendete der
Gutsherr den Gemeindevorstand in die Kirche, um den
Ursachen des nächtlichen Geschehnisses nachzuspüren.
Ganze Scharen von Menschen schlössen sich an, und
als die Türe der Kirche geöffnet wurde und die
Blicke auf den Hochaltar fielen, da prangte dort ein
Bild der Mutter Gottes in schönster Farbenpracht.
Das Staunen löste sich in ein stilles Gebet auf, das
der wunderbaren Macht den heißen Dank der Gemeinde
aussprach für die herrliche Gabe.
Quelle: Sagen aus Schlesien,
Herausgegeben von Oskar Kobel, Nr. 23
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