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Original Buch
1868

Leben und Werke
der würdigen Marie Lataste,
Laienschwester im Kloster des hl. Herzens
veröffentlicht
von Hochw. Abbe Pascal Darbins.
Mit der
Approbation des hochwürdigsten Bischofs von Aire,
Nach der zweiten französ. Auflage.
1868
Deutsche Approbation.
Augsburg, den
11. Juli 1868.
Das
bischöfliche Ordinariat Augsburg.
Nachdem die
vorliegende, ursprünglich in französischer Sprache
verfasste Schrift: „La vie et les oeuvres de Marie
Lataste, religieuse coadjutrice du sacre coeur,
deuxieme edition, 3 tomes --- Paris 1866'' bereits
die Approbation vom hochwürdigsten Herrn Bischofe
von Aire und Dax unterm 15. April 1866 erhalten, und
die gegenwärtige Übersetzung dieses Werkes in die
deutsche Sprache in getreuer Übereinstimmung mit dem
französischen Originale von uns befunden worden ist,
so nehmen wir keinen Anstand, der gegenwärtigen
deutschen Ausgabe unter dem vom oben genannten
Hochwürdigsten Herrn Bischofe ausdrücklich gesetzten
Vorbehalt die oberhirtliche Gutheißung zu erteilen.
Der
Generalvikar:
Dr. Gratz.
(L. S.) Lense.
Vorrede zur deutschen Ausgabe.
Das Werk,
welches hiermit dem deutschen Publikum vorgelegt
wird, ist die getreue Übersetzung des Lebens und der
Werke der ehrwürdigen Schwester Marie Lataste, ein
Werk, das in seinem Urtexte --- in der französischen
Sprache --- von der obengenannten Schwester aus
Gehorsam geschrieben wurde. Sie war ein
reichbegnadigtes Werkzeug in der Hand Gottes,
dessen Er Sich bediente, um in unserer
glaubensarmen, liebeleeren Zeit den Seelen, die da
ihr Heil wirken wollen, den reichen Schatz
christlicher Wahrheit mitzuteilen. Zwar enthält
dieses Buch nichts anderes, als was die heilige
Kirche uns lehrt und wieder lehrt, allein die
Verfasserin desselben, das demütige Landmädchen,
dessen ganzes menschliches Wissen sich auf Lesen
und mangelhaftes Schreiben beschränkte, schrieb eben
nur nieder, was sie von Jesus gehört hatte, Der
Seine Dienerin Selbst belehren wollte. Es ist dies
kein Glaubensartikel, und müssen auch, wie die
Einleitung zu diesem Buche es klar
auseinandersetzt, die Privatoffenbarungen sehr
vorsichtig ausgenommen werden. Wenn indessen Etwas
für die Wahrheit der Schriften der Marie Lataste
eine Bürgschaft geben könnte, so wäre es eines Teils
die tiefe Demut des einfachen Landmädchens, die uns
fast auf jeder Seite versichert, dass sie aus sich
selbst Nichts vermöchte, und die nur das sagt, was
die Stimme, die zu ihr spricht, und die sie für des
Heilands Stimme hält, sie lehrt; nirgends verharrt
sie auf ihrer Meinung, sondern unterwirft Alles
demütig dem Urteile ihres Seelenführers. Andernteils
sind die Belehrungen trotz ihres reichen, tiefen,
kernigen und salbungsvollen dogmatischen, wie
moralischen und asketischen Inhalts wiederum so
einfach, für Jeden verständlich und sprechen so
sehr den ganzen Menschen – Geist, Herz, Gemüt und
Willen – an, dass die einfach gläubige Seele
unwillkürlich sich denken muss: So hat unser Erlöser
gewiss gesprochen, als Er aus Erden wandelte. Jedem
gebildeten und frommen Katholiken möchte somit
dieses Werk zusagen, wie dies bereits in Frankreich
sich gezeigt, wo es großes Aufsehen gemacht.
Was nun die
Übersetzung anbelangt, so waren wir bemüht, das Werk
aus das treueste wiederzugeben, soweit es die
Eigentümlichkeit der deutschen Sprache gestattete,
und dies besonders deshalb, weil bereits auf die
Korrektheit des Originals so viel Sorgfalt verwendet
worden, und weil es gewiss jedem Leser erwünscht
sein dürfte, die Worte Jesu, der Heiligen Jungfrau
und der Marie Lataste so genau als möglich zu
erfahren. Außerdem waren wir bestrebt, die
Übersetzung noch praktischer und wertvoller zu
machen durch Noten, Erklärungen von schwierigen,
dunkeln Ausdrücken und Sätzen und durch Beifügung
der biblischen Stellen, worauf im Texte Bezug
genommen ist. In Bezug auf die dogmatische und
theologische Korrektheit der Übersetzung sei noch
bemerkt, dass dieselbe nicht nur von einem
katholischen Theologen durchgesehen, sondern
überdies, wie der Urtext, auch der kirchlichen
Obrigkeit zur Approbation unterbreitet worden ist.
Somit hoffen
wir, das Werk werde auch in Deutschland den
weitesten Leserkreis finden, zumal für alle Lagen
des Lebens, für jedes Alter und Geschlecht sich
gewiss etwas Anziehendes und höchst Belehrendes
darin finden wird. Der kleine Kreis derer, die es
unter den Deutschen bereits kennen, äußerte sich
sehr befriedigt darüber. Vorzüglich werden der
zweite Band und einige Briefe des dritten Bandes
ansprechen, so z. B. die Belehrungen über Christus
und Maria, über die Engel, den Priester, den
Christen, die heilige Kommunion und das Herz Jesu,
über Mariä Verkündigung; dann die Briefe über Jesus
am Kreuze, über die Verbindung der Seelenkräfte.
Doch es ist schwer, einzelne schöne Partien aus
einem Werke herauszuheben, das des Schönen so viel
enthält; will man da eine Wahl treffen, so steht man
unschlüssig vor dem so reichen Inhalt, wie das Kind
unschlüssig vor einem mit Blumen geschmückten
Gartenbeete steht, es möchte der Mutter einen Strauß
winden und weiß nicht, welche Blumen es wählen soll,
weil der Reichtum und die Pracht der Blumen ihm die
Wahl erschwert.
Mögen darum
recht Viele an diesem reichen Inhalte sich erquicken
und beleben, in ihrem Glauben sich erwecken und zu
opferwilliger und tatkräftiger Liebe sich entzünden
lassen.
Dillingen am
Feste des heiligen Herzens Jesus l868.
Approbation des hochwürdigsten Bischofs von Aire und
Dax.
Wir Ludwig
Maria Epivent, Bischof von Aire und Dax, haben auf
das Ansuchen, eine neue Auflage der Werke über Marie
Lataste, die bereits einmal mit unserer Approbation
gedruckt erschienen waren, gut zu heißen, befohlen,
dass diese neue Ausgabe genau mit den Manuskripten
verglichen werde, und dass mit Ausnahme der
unumgänglichsten stilistischen Verbesserungen,
dieselben treu wiedergegeben würden, und dass
überdies erläuternde Noten dem Texte beigefügt
würden zur Beleuchtung jener Punkte, die einer
solchen bedürftig erscheinen.
Da diese
Bedingungen dem uns abgestatteten Berichte zu Folge
treulich erfüllt wurden, so erteilen wir dieser
neuen Ausgabe unsere Gutheißung, ohne jedoch damit
über die Wahrheit oder die Natur der Offenbarungen,
welchen diese Schriften ihren Ursprung verdanken,
uns aussprechen zu wollen, indem wir vielmehr
dieselben nur als erbauliche Schriften ansehen,
deren Lehre mit der hl. Schrift und der Lehre der
Kirche übereinstimmt, und die wohl geeignet sind,
die Frömmigkeit jener Seelen zu nähren, welche sie
mit Einfalt und Bescheidenheit lesen.
Gegeben zu Aire
am Sonntag des guten Hirten
den 15. April 1866.
Louis Marie,
Bischof von
Aire und Dax.
Zeugnis
des Herrn Pfarrers von St.-Paul-les-Dax
Ich
Unterzeichneter, Peter Harbins, Pfarrer von
St-Paul.- les-Dax (Departement der Landen),
ehemaliger Seelenführer der Marie Lataste, erkläre
hiermit, dass ich meinem Neffen, dem Priester Pascal
Darbins die eigenhändig geschriebenen Manuscripte
ausgeliefert habe, welche mir das fromme Mädchen,
zur Zeit als ich noch Pfarrer in Mimbaste war,
überlassen und gegeben hat. Diese Manuskripte
stimmen vollkommen mit der von Hrn. Brah
veröffentlichten zweiten Auflage überein, mit
Ausnahme der in der Vorrede zum ersten Bande dieser
zweiten Auflage angegebenen Modifikationen.
Zur
Beglaubigung dessen St.-Paul-les-Dax, den 1. Febr.
1866.
Darbins,
Priester.

Vorrede
Drei Jahre sind
verflossen, seitdem wir zum ersten Male die Werke
von Marie Lataste, dem demütigen und vom Heilande so
reich begnadeten Landmädchen aus unserm Departement
der Landen veröffentlicht haben. Die günstige
Ausnahme, welche diese Schriften gefunden, und der
gute Eindruck, den ihre Lektüre hervorgebracht, die
zahlreichen Beglückwünschungen, die uns deshalb
zugegangen, mit einem Worte Alles legte uns die
Pflicht auf, bei Veranstaltung dieser neuen Ausgabe,
die wir hiermit dem Publikum darbieten, mit der
größten Sorgfalt zu Werke zu gehen. Hierfür haben
wir Nichts vernachlässigt, vielmehr alle Mußestunden
geopfert, welche uns die Geschäfte des hl. Dienstes
noch übrig gelassen. Die Aufgabe wurde uns
andererseits wieder erleichtert durch die wertvollen
Ratschläge, welche verschiedene angesehene, dazu
berechtigte Personen uns zu geben die Güte hatten.
Ihre Bescheidenheit verbietet uns dieselben zu
nennen; aber es wird uns wenigstens erlaubt sein, an
eine bedeutende Arbeit zu erinnern, welche die von
den hochw. Vätern der Gesellschaft Jesu
herausgegebene Revue der Prüfung unserer ersten
Ausgabe gewidmet. Nach einer langen kritischen
Untersuchung über die Schriften von Marle Lataste
endigte der Verfasser damit, dass er uns noch einige
nach seinem Dafürhalten nützliche Verbesserungen
vorschlug.
Wir unsrerseits
machten es uns zur Pflicht, diesen und noch andern
Winken Folge zu leisten.
Vor Allem haben
wir uns denn bemüht, dass die Echtheit dieser
Schriften in den Augen des Publikums vollkommen
gewährleistet sei. Deshalb haben wir, dem von dem
hochw. Bischof von Aire ausgesprochenen Wunsche
gemäß, mit Zustimmung des Hrn. Pfarrers von St.-
Paul-les-Dax, welcher der Seelenführer der Marie
Lataste gewesen, die Manuskripte mehreren Vätern der
Gesellschaft Jesu übergeben, welche dieselben mit
gewissenhafter Sorgfalt untersuchten und mit dem
bereits Gedruckten verglichen. Nach dieser
mühevollen Arbeit konnten sie bezeugen, dass mit
Ausnahme der wenigen, nicht in die Lehre
eingreifenden Änderungen, die wir unten angeben
werden, die gegenwärtige Ausgabe, sowohl was den
Inhalt als auch was den Stil anbelangt, die treue
Wiedergabe des Originaltextes sei. Diese
ernstliche Untersuchung der Manuskripte, welche in
der uns von dem hochw. Bischof von Aire erteilten
Approbation angeführt ist, lässt keinen Zweifel mehr
zu über die Echtheit der Werke von Marie Lataste;
diese Echtheit wird aber überdies noch bestätigt
durch das Zeugnis ihres Seelenführers, das wir der
gegenwärtigen Ausgabe beigefügt haben.
Für die
Abteilung des Stoffes haben wir so ziemlich die
gleiche Ordnung beibehalten, wie in der ersten
Ausgabe. Wie wir bereits damals in der Vorrede zu
dieser ersten Ausgabe gesagt, befolgte Marie Lataste
in ihren Heften durchaus keine Ordnung: sie schrieb
die empfangenen Belehrungen, wie sie sich deren
erinnerte, ohne darauf zu achten, welche Gegenstände
sie betrafen, ohne ein tiefes Studium, dessen wenige
fähig sind. Dieses Durcheinander hätte indessen dem
Guten sehr schaden können. Wir haben deshalb die
verschiedenen in dem Manuskripte zerstreuten Auszüge
nach den Gegenständen von denen sie handeln,
zusammengefügt; die von uns darin gemachten
Modifikationen sind nur einfache Besetzungen. So
haben wir das, was sich auf die Tugenden und die
Gaben des hl. Geistes bezieht, gesondert und in zwei
verschiedenen Büchern aufgeführt, indem wir diese,
nämlich die Gaben des hl. Geistes mit dem
verbanden, was über die Gnade gesagt ist. Nichts
desto weniger müssen wir bemerken, dass nachher
Aussage der Marie Lataste und nach der Andeutung des
Textes selber die Erklärung von den Tugenden der von
den Gaben vorausgegangen ist. Ebenso bilden die
Belehrungen über das Gebet ein für sich bestehendes
Buch. Endlich schienen uns noch einige andere
Versetzungen notwendig, um ein leichteres Erfassen
des Zusammenhangs der in dieser wertvollen Sammlung
enthaltenen Lehren zu ermöglichen.
Die
Einbildungskraft und die Empfindsamkeit haben heut
zu Tage selbst auf die Frömmigkeit einen so großen
Einfluss, dass wir einige Ausdrücke und einige
seltene und überdies nur kurze Sätze auslassen zu
müssen glaubten. Drei oder vier Briefe schienen uns
unnötig, weil sie entweder zu wenig Interesse boten,
oder weil sie weder zu den geschichtlichen, noch zu
den Lehrbriefen geordnet werden konnten.
Diese wenigen
Auslassungen gestatten dafür, das Werk einer
größeren Anzahl von Personen in die Hände zu geben.
In der Absicht, einige Redensarten, die uns nicht
gut Französisch zu sein schienen, zu beseitigen,
hatten wir einige Stellen abgeändert; nach
reiflicherer Überlegung jedoch schien uns der Text
dadurch wiederhergestellt werden zu können, dass wir
nur einige Wiederholungen strichen, welche den
Redefluss hinderten.
Der
wohlwollende gütige Leser möge sich erinnern, dass
die Werke von einem ganz ungelehrten Landmädchen
geschrieben wurden, und dass sie dazu nur die
wenigen Augenblicke benutzte, welche ihr nach
Beendigung ihrer häuslichen Geschäfte blieben. Wenn
man etwas Mangelhaftes darin findet, so wird dies
wenigstens ein neuer Beweis sein, mit welch'
ängstlicher Genauigkeit wir bestrebt waren, den
Originaltext sowohl dem Inhalt als der Form nach
wiederzugeben. Damit indessen unsere worttreue
Wiedergabe der Schriften nicht der Reinheit ihrer
Lehre schaden könne, sind einige erläuternde Noten
unerlässlich geworden.
Auf Befehl des
hochw. Bischofs von Aire hatte der Vorsteher des
Klerikal-Seminars der Diözese bereits mehrere
verfasst, welche am Schluss des ersten Bandes sich
befanden. Die für diese gegenwärtige Ausgabe
verfertigten Noten wurden jedoch auf den
betreffenden Seiten unten angebracht, gleich nach
den Stellen, welche als ungenau erschienen, und
welche, wenn getrennt gelesen, zur Kritik
Veranlassung geben könnten. Jedermann weiß, wie
wichtig es ist, beim Lesen eines jeden Werkes sich
den Zusammenhang ins Gedächtnis zu rufen, um wie
viel notwendiger wird dies bei den Schriften eines
einfachen Landmädchens sein, das die Kunst gut zu
schreiben und gut zu sprechen nicht verstand und
überdies erst 3 Jahre nachher die empfangenen Lehren
niederschrieb.
Was wird man
dazu sagen, wenn wir beteuern, dass man in mehr als
1200 Seiten, welche das Manuskript umfasst, kaum 30
Mal etwas Ausgestrichenes findet?
In einem
Jahrhundert, wo^ die Wunder des übernatürlichen
Lebens so wenig gekannt sind, und wo ihnen so viele
Vorurteile und so viel Unglauben von Seite gewisser
Geister begegnen und Andern wiederum zu
beklagenswerten Irrtümern Veranlassung geben, war es
doppelt notwendig, dem Leser eine Abhandlung
vorzulegen über die Beweggründe, auf welche die
katholische Lehre bei Feststellung der Wirklichkeit
von Privat-Offenbarungen sich stützt; dem Leser
dadurch die Regeln anzugeben, welche die Kirche
aufstellt, um die wahren Offenbarungen von jenen zu
unterscheiden, die keinen Glauben verdienen, und um
endlich zu bestimmen, welches Ansehen man ihnen
zuerkennen und welchen Grad von Vertrauen man ihnen
schenken darf: dies ist der Zweck der Abhandlung,
welche der Vorrede folgt. Der hochw. P. Toulemont
hat versucht, diesen wichtigen und schweren
Gegenstand jeder Fassungsgabe anzupassen, und wir
können ihm nicht genug dafür danken, dass er uns die
Mitwirkung seines Talentes gewähren wollte.
Was das Leben
der Marie Lataste anbelangt, so hielten wir es für
nützlich zu zeigen, wie der Heiland zuerst gesucht
hatte, Alles, was Mangelhaftes in Seiner treuen
Dienerin war, zu verbessern, und ihr erst dann die
Geheimnisse Seiner Wissenschaft und Seiner Weisheit
mitteilte. Dadurch wollten wir dem uns kundgegebenen
Wunsche entsprechen, den fortschreitenden Gang der
Gnade in dieser Seele aufzuzeichnen, wozu wir die
Hilfe ihres Seelenführers in Anspruch nahmen. Bei
Erstrebung dieses Zieles stießen wir indessen auf
unausweichliche Wiederholungen und
Ausführlichkeiten, die wir zu vermeiden wünschten.
Deshalb haben wir uns entschlossen, dieses erste
Leben durch biographische Notizen zu ersetzen, worin
uns das demütige Landmädchen zuerst in ihren äußeren
Beziehungen vorgeführt würde, indem wir es dem Leser
überlassen, ihr inneres Leben oder ihre wunderbaren
Beziehungen zu unserm Herrn nach ihren Briefen
selber zu würdigen.
Da der
Zeitabschnitt, welchen Marie Lataste im Kloster
verlebte, in einer Beziehung der wichtigste wurde,
so glaubten wir, es würde jenen, die mit ihr unter
der gleichen Regel gelebt haben, am leichtesten
werden, ihre eigenen Eindrücke zu schildern. Aus
unsere Bitte war denn auch eine Klosterfrau des hl.
Herzens so gütig, die Biographie zu verfassen, wozu
wir ihr die von Augenzeugen gesammelten Dokumente
zur Verfügung stellten. Die von uns geschichtlich
genannten Briefe, worin die Dienerin Gottes ihrem
Seelenführer von den ihr gewordenen übernatürlichen
Gnaden Rechenschaft gibt, folgen gleich darauf und
bilden gewissermaßen eine Ergänzung derselben. Jene
Briefe aber, welche von einigen besonderen
Lehrpunkten handeln, haben wir an den Schluss des
Buches gesetzt. Marie Lataste scheint selbst diesen
Gedanken nahezulegen, wenn sie sagt: „Wahrscheinlich
hat Er (der Heiland) noch mehrere Belehrungen mir
gegeben, die ich nicht in meinen Heften angeführt
habe. Ich habe versucht, dies durch die Briefe zu
ergänzen, welche ich an meinen Seelenführer
geschrieben habe, und welche nichts Anderes sind,
als eine Fortsetzung der in den Heften enthaltenen
Lehren."
Es erübrigt uns
jetzt nur noch, unsern aufrichtigen Dank all jenen
auszudrücken, die uns ihre wohlwollende Mithilfe zu
Teil werden ließen. Die erklärenden Noten, welche
wir einem gelehrten Jesuiten verdanken, werden durch
Aufhellung einiger dunklen Stellen die
Schwierigkeiten erleichtern, welche diesen
Schriften gegenüber gemacht wurden, und werden
ebenso wie die von uns eben erwähnte Abhandlung sehr
viel zum Erfolg von Marie Latastes Werken beitragen,
ein Erfolg, welcher von Tag zu Tag wächst und damit
in Erfüllung bringt jenes Wort, das unser Herr zu
Seiner treuen Dienerin gesprochen: ,,Meine Tochter,
eine Stimme wird sich in der Wüste vernehmen lassen
und das Echo wird in der Ferne wiederholen, was
diese Stimme ausgesprochen."
Mont-de-Marsau
den 21. Febr. 1866.
Am Geburtstag
der Marie Lataste.
Abbé Pascal Darbins.

Einleitung
Die
Privat-Offenbarungen, Prinzipien und Hauptbegriffe.
I.
In der Ordnung
der Gnade sowohl, als in der Ordnung der Natur
kann man sagen, dass Gott Alles nach Zahl, Gewicht
und Maß gemacht habe. Im wirklichsten und strengsten
Sinne lässt sich behaupten, dass auch die
übernatürliche Welt nach allgemeinen und beständigen
Gesetzen regiert werde. Innerhalb dieser göttlichen
Ökonomie herrscht keine launenhafte
Veränderlichkeit, keine Willkür, kein widerlicher
Missklang; sondern immer Weisheit, Einheit,
Harmonie; eine Harmonie, die wenn auch
verschiedenartiger und einigermaßen geschmeidiger
als jene der physischen Welt, nur umso schöner,
vortrefflicher und vollkommener ist.
Betrachten wir
z. B., wie in der Kirche die geoffenbarte Wahrheit
sich erhält und verteilt. Jesus Christus legt Teils
selbst, Teils durch Seinen Geist Seine Offenbarungen in die Hände des Apostolats nieder, auf
dass dieser sie wiederum unversehrt der Gesamtheit
der Hirten, die da Nachfolger der Apostel sein
sollen, übermittle. Nun ist diese göttliche
Offenbarung festgestellt, ein für alle Mal bestimmt.
Sie wird in Folge der allmählichen Verarbeitung der
Geister eine gewisse Evolution erleiden; die
Menschheit wird sich dieselbe immer mehr aneignen
und im Laufe der Jahrhunderte ein deutlicheres
Bewusstsein, einen bestimmteren und
wissenschaftlicheren Begriff davon gewinnen; aber
die himmlische Hinterlage selber wird keine
Veränderung, keine wesentliche Entwicklung erleiden;
das Dogma in seiner göttlichen Unveränderlichkeit
bleibt und wird immerdar bleiben wesentlich,
identisch: Veritas Domini manet m aeternam (die
Wahrheit des Herrn bleibt in Ewigkeit). Ebenso
werden die von Jesus Christus festgesetzten
regelmäßigen Wege zur Überlieferung der Lehre ewig
unwandelbar bleiben; immer werden die Menschen, um
diese Lehre zu empfangen, sich an die vom
Menschensohne gegründete Autorität wenden müssen,
eine Autorität, deren Fülle dem Oberhaupte der
Kirche innewohnt und durch dieses allen
Rangordnungen der Hierarchie, allen Stufen des
Priestertums, ohne sich zu zerteilen, mitteilt. So
findet sich im Schoße der Kirche die Einheit der
Lehre und des Glaubens verwirklicht, so wird die
göttliche Lehre von den Obern auf die Untergebenen
übertragen, wie der heil. Thomas sagt, und dies
immer durch äußere, menschliche, soziale Mittel, so
dass alle Ringe der katholischen Menschheit, so zu
sagen durch ein Gesetz gegenseitiger Abhängigkeit
miteinander verbunden und aneinander festgeheftet
sind, ähnlich dem Gesetze, welches bewirkt, dass
alle himmlischen Sphären zumal sich bewegen.
Nun aber behält
derjenige, welcher diese wunderbare Ordnung
festgestellt hat, sich auch vor, teilweise davon abzuweichen,
wenn es Ihm gefällt. Und in der Tat dürfen wir
nicht vergessen, dass, wenn Gott die äußere und sichtbare
Kirche zur Vermittlerin zwischen Sich und den Menschen
festgestellt, Er Sich auch Seine direkten und
persönlichen Mitteilungen den Seelen gegenüber vorbehalten
hat.
Ja, genau
betrachtet, ist die sichtbare Gemeinschaft der
Menschen unter einander nur eine Bedingung, eine Art
Einweihung zur präzisen Herstellung dieser innigen
und unaussprechlichen Gemeinschaft der Seelen mit
Gott. Und das ist in der Tat das eigentliche Leben
der Kirche, ihr übernatürliches und göttliches
Element; das Übrige ist so zu sagen nur Schale,
Kleidung, körperliche Hülle. Obwohl nun aber Gott
bei diesen innigen und geheimnisvollen Beziehungen
gewöhnlich eine regelmäßige Handlungsweise befolgt
--- was man den gewöhnlichen Gang der Vorsehung
nennt --- so teilt Er nichts desto weniger, weil
immerdar Herr Seiner Gaben, diese nach Seiner
Weisheit und zuweilen in einem Maße aus, das ganz
ausnahmsweise und recht eigentlich wunderbar wird.
So z. B. erleuchtet Er gewisse Seelen auf wunderbare
Weise, indem Er sie in Seine eigensten, Sich allein
vorbehaltenen Geheimnisse einweiht, indem Er ihnen
den verborgenen Schatz dieser Seiner Geheimnisse
enthüllt und dies tut Er entweder selbst oder durch
Seine Engel ohne sich der Menschen oder Seiner
Kirche zu bedienen, außer um nötigenfalls diese
göttlichen Mitteilungen zu überwachen und zu
beaufsichtigen und deren Wahrheit zu bestätigen,
damit nicht Irrtum oder Täuschung in dieselben sich
einmische. Hier sei beiläufig bemerkt, dass dadurch
diese wunderbaren Abweichungen von der Regel gerade
wie alle außerordentlichen Missionen, welcher Art
sie sein mögen, in einer gewissen Weise doch wieder
an die allgemeinen Gesetze geknüpft und denselben
untergeordnet werden, denn das von uns so oft
wiederholte Wort: die Ausnahme bestätigt die Regel,
findet nirgends eine höhere und auffallendere
Anwendung als in der Harmonie, welche in dem Walten
der Vorsehung herrscht.
Diese
Erleuchtungen, mit denen Einzelne besonders
begnadigt sind, bilden das, was wir Partial- oder
Privatoffenbarungen heißen, um sie dadurch zu
unterscheiden von der großen allgemeinen
Offenbarung, die durch das Organ der lehrenden
Kirche ermittelt wird. Diese ist höchst amtlich
(offiziell und im strengen Sinne rechtsgültig
(authentisch); sie fordert von allen Menschen mit
Autorität Glauben. Jene dagegen sind übergebührlich,
rein ausnahmsweise und haben nur einen
beziehungsweise und offiziösen Charakter, und können
zu keinem Falle katholische Glaubensregel werden.
Nichts ist aber
gewisser, als dass es in der katholischen Kirche
häufig derartige Offenbarungen gegeben hat. Beim
ersten Anblick scheint es sogar, dass in der
apostolischen Zeit die Ausnahme fast die Regel, das
Vorrecht fast allgemeines Recht gewesen sei. Und
wirklich sehen wir, dass die ersten Gläubigen die
Gabe der Weissagung, die Gabe der Sprachen, und
andere dergleichen, so regelmäßig empfingen, als ob
diese eine gewöhnliche Wirkung der Sakramente der
Taufe und der Firmung wären. Man befand sich eben
damals in der Periode des Entstehens. Der himmlische
Gärtner musste, nach dem Gleichnisse des heil.
Augustinus, die noch zarte und schwächliche Pflanze
reichlich begießen, bis sie, groß und kräftig
geworden, sich mit dem Regen des Himmels begnügen
konnte.
Die Ausgießung
der außergewöhnlichen Gaben wurde nach und nach
seltener, ohne indessen jemals ganz aufzuhören. Im
zweiten Jahrhundert bezeugt der hl. Irenäus, dass es
zu seiner Zeit Menschen gab, welche mit himmlischen
Visionen begnadigt waren. Dasselbe Zeugnis legt der
heil. Justinus ab, und er sah in diesen wunderbaren
Gnaden eine so beständige und sicher vorkommende
Tatsache, dass er keinen Anstand nahm, sie den
Heiden als einen Beweis für die Göttlichkeit des
Christentums entgegen zu stellen. Origenes
seinerseits versichert in seinem gegen Celsus
geschriebenen Buche aus das bestimmteste, dass
mehrere Ungläubige in Folge der Erleuchtung durch
göttliche Visionen Christen geworden und aus diesen
Glauben hin aus freien Stücken in den Martertod
gegangen seien. Eine große Anzahl von
Kirchenvätern, wie der heilige Cyprian, der heil.
Ambrosius, der heil. Augustinus, betätigen in nicht
weniger bestimmten Ausdrücken das Dasein der
Privatoffenbarungen und manchmal sogar gestützt
auf ihre persönliche Erfahrung.') .
Übrigens bieten
uns alle Kirchengeschichten in dieser Beziehung die
unverwerflichsten Zeugnisse. Es gibt beinahe keinen
Heiligen, von welchem man nicht erzählt, dass er in
irgend einem Grade oder in einem gewissen
himmlischen Maße Visionen oder Offenbarungen
erhalten habe.
Man erinnere
sich nur an die Akten der Märtyrer, namentlich an
jene der heil. Perpetua, oder an das so
außerordentliche Leben der Väter in der Wüste,
sowie an das Leben der großen Ordensstifter und so
vieler Andern.
Etwas ist
hierbei sehr wohl der Beobachtung wert, nämlich dass
die meisten dieser Privatoffenbarungen und gerade
jene, welche diesen Namen am meisten rechtfertigen,
häufiger Frauen als Männern zu Teil wurden. Man darf
hierin keine Beeinträchtigung der Worte des hl.
Paulus finden, welcher den Frauen verbietet in der
Kirche zu lehren, denn dieses Verbot, wie es durch
die kirchliche Überlieferung seine Bestätigung und
Erklärung gefunden, darf durchaus nur von dem
öffentlichen und mit amtlicher Autorität
bekleideten Unterricht verstanden werden. Was den
Privat- und nur aus Nächstenliebe erteilten
(offiziösen) Unterricht betrifft, so scheint es, als
ob die göttliche Vorsehung, weit entfernt, die
Frauen davon auszuschließen, gerade ihnen speziell
denselben anvertraut hätte. Oder haben wir nicht von
den verehrten Lippen unserer Mütter Alle den ersten
Keim des Glaubens empfangen? Hat nicht der Eifer
einiger frommen Fürstinnen, ja zuweilen einfacher
christlicher Sklavinnen als Werkzeug zur Bekehrung
ganzer
Völker gedient?
Die Privatoffenbarungen gehören, wie wir schon
bemerkt haben, keineswegs zum Lehramt der Kirche. Es
besteht darum kein Hindernis, dass Frauen solche
außerordentliche Gnaden nicht sollten mitgeteilt
werden. Mehrere Gottesgelehrte haben sogar durch
Schicklichkeitsgründe erklärt, wie ein solches
Privilegium ihnen noch reichlicher und gerade ihnen
vorzugsweise erteilt werden könnte.
Welche
Erklärungen oder Gründe wir indessen immer für die
von uns festgestellte Tatsache anführen mögen, die
Wirklichkeit derselben kann nicht in Zweifel gezogen
werden. Es genügt, eine heil. Hildegard, eine hl.
Gertrude, eine hl. Brigitta, eine hl. Katharina von
Siena, eine hl. Franziska Romana, eine hl. Katharina
von Bologna, eine hl. Theresia, eine hl. Rosa von
Lima, eine hl. Magdalena von Pazzi, eine hl.
Katharina von Ricci, und die gottselige Margaretha
Maria zu nennen, ohne von vielen andern aus neuerer
Zeit zu sprechen, deren Offenbarungen, wenn auch
einzeln weniger sicher gestellt und bestätigt,
dennoch in ihrer Gesamtheit unzweideutige Zeichen
eines göttlichen Ursprungs ausweisen.
Wir dürfen also
behaupten, dass es seit den ersten Jahrhunderten
eine ununterbrochene Reihe von PrivatOffenbarungen
gegeben habe. In diesem Punkte stimmen alle
katholischen Gottesgelehrte mit einander überein.
---
Überdies haben dieselben
Schriftsteller aus der Wahrnehmung, dass diese
göttlichen Mitteilungen zu allen Zeiten sich
erneuerten, ohne Zögern den Schluss gezogen,
dieselben müssten sich mehr oder weniger auch in
der Zeit, in welcher sie lebten, wiederholen. Wir
unsrerseits dürfen denselben Schluss wiederum auf
die jetzige Zeit anwenden; denn Gottes Arm ist
niemals verkürzt. Tausend beurkundete Tatsachen,
die in all den verschiedenen Prozessen der
Seligkeitssprechung außer allem Zweifel gesetzt
sind, nachdem sie durch das Sieb der strengsten
Kritik, die es auf der Welt geben kann, der Kritik
der Congregation der Riten gegangen, beweisen mehr
als genug, dass die Wunder auch in unsern Tagen sich
erneuern. Nun aber kann die Ouelle der Privat-
Offenbarungen eben so wenig erschöpft sein, als die
der andern außerordentlichen Gnaden, welche Gott
Seiner Kirche verheißen. Es wäre also ein
unbestreitbar verwegenes Untersangen, eine sehr
tadelnswerte Ausschreitung, wenn man alle
übernatürlichen Mitteilungen dieser Art, die in
letzter Zeit stattgefunden haben, schlechthin
leugnen, in Bausch und Bogen verwerfen wollte. Eine
solche Stimmung würde rationalistische Bestrebungen
bekunden, die sicherlich von dem wahren Geiste des
Christentums sehr weit abweichen.
II.
Da es nun aber
unzweifelhaft ist, dass es Privatoffenbarungen
gibt, die wirklich von Gott kommen, so beeilen wir
uns auch zu sagen, es sei nicht weniger gewiss, dass
es auch viele andere gibt, die rein menschlich oder
teuflisch sind. Jedermann kennt die lange Geschichte
von Lügen oder Täuschungen, die als übernatürliche
Eingebungen ausgegeben wurden von den unechten
(apokryphischen) Apokalypsen und unechten
Evangelien an bis zu den Gaukeleien der Mormonen
oder der gleichzeitigen Spiritisten, wenn er da
durchgeht die unzähligen Sekten der Erleuchteten,
der Geisterseher, der After-Mysitker, der vorgeblich
Entzückten, die man in allen Jahrhunderten überhand
nehmen sah; die Montanus und Priscillen, die
Palamiten oder die Mönche vom Berge Athos, die
Begharden und die Beghinen, um unter Vielen nur
einige anzuführen. Hierin, wie fast in Allem, worin
Menschen beteiligt sind, finden sich Irrtümer,
Nachäffungen, Missbräuche aller Art, Böses unter
allen Formen neben der Wahrheit und dem Guten. Soll
man es sagen, dass man selbst bei jenen Seelen,
welche sich angelegen sein lassen, die höchste
Tugend auszuüben, nicht selten die
beklagenswertesten Täuschungen in Betreff der
übernatürlichen Mitteilungen findet und der hl.
Alphons von Ligouri keinen Anstand genommen hat, zu
sagen, dass die falschen Offenbarungen viel
allgemeiner sind, als die wahren?')
Deshalb schrieb
der Apostel Johannes, der selber Zeuge von den
Missbräuchen und Unordnungen war, welche die
falschen Offenbarungen zu seiner Zeit in der Kirche
hervorriefen, an die Gläubigen: „Glaubet nicht
jedem Geiste, sondern prüfet die Geister, ob sie aus
Gott sind; denn es sind viele falsche Propheten in
die Welt ausgegangen." Der hl. Paulus empfiehlt den
Thessalonichern dasselbe an; denn nachdem er gesagt
hat: „Weissagungen verachtet nicht," fügt er
unmittelbar daraus bei: „Alles aber prüfet, was gut
ist, behaltet," wodurch er sehr klar zu verstehen
gibt, dass alles, was auf außerordentliche Gaben
Bezug hat, der Gegenstand einer strengen
Unterscheidung sein müsse, --- doch wie kann man das
Wahre vom Falschen unterscheiden, das, was Werk
Gottes ist, von dem, was nicht Sein Werk ist? Das
ist eine besonders kitzliche Frage, wenn auch nicht
in den Allgemeinheiten der Theorie, so doch in den
besonderen Anwendungen der Praxis. Doch wir wollen
versuchen, sie soviel wie möglich zu beleuchten,
indem wir die von den Gelehrten und den Lehrern des
geistlichen Lebens gegebenen Regeln auf ihre
einfachsten Ausdrücke zurückführen.
Erstens: Man
muss alle jene vorgeblichen Offenbarungen für
schlechthin falsch halten, welche im Widerspruche
mit dem Glauben stehen, oder die Sittenlehre
verletzen, oder welche irgend einen andern Charakter
an sich tragen, der offenbar die göttliche
Vermittlung ausschließt. Folglich ist es unnötig zu
einer anderweitigen Prüfung fortzuschreiten, sobald
man in denselben klare Dinge erkannt, welche der hl.
Schrift, den von der Kirche entschiedenen Wahrheiten
oder der einstimmigen Lehre der heil. Väter und
Kirchenlehrer widersprechen. Ebenso muss man als
reine Erdichtung Alles das verwerfen, was dahin
zielen würde, Gott Handlungen oder Absichten
zuzuschreiben, die lächerlich und Seiner höchsten
Weisheit unwürdig wären. Ebenso ist kein Zweifel
mehr möglich über die Falschheit der Offenbarungen,
wenn sie die Verletzung der natürlichen und
göttlichen Gesetze eingeben oder anbefehlen; wenn
sie etwas Unanständiges oder gar Fleischliches
enthalten; wenn sie Eigendünkel, Stolz oder etwa
eine gewisse Unruhe verursachen, welche die Seele
entnervt, überdrüssig macht und erschlafft. Alle
diese Zeichen sind unfehlbar, und so oft man nur
Eines von denselben wahrnimmt, darf man mit
Bestimmtheit sagen: Hier ist nicht Gottes Hand! Es
ist kaum nötig noch beizufügen, dass von jenen
Privat-Offenbarungen Nichts zu halten sei, welche
ungeduldige, geschwätzige, lügenhafte oder
eigensinnige Menschen zu ihren Werkzeugen haben;
gerade dies sind genau die charakteristischen Züge,
woran der Betrug erkannt wird.
Zweitens: Man
muss alle Offenbarungen als mehr oder weniger
zweifelhaft und verdächtig ansehen, welche neue,
sonderliche Behauptungen enthalten, und deren
Gegenstand seltsame und unnütze Dinge sind und
endlich solche, welche Personen erteilt werden,
deren Leben, Charakter und Gesinnungen nur
mittelmäßige Gewähr leisten. Wir verstehen hier
unter neu und sonderlich Alles, was weder in der
heil. Schrift, noch in der Erblehre begründet ist,
und Alles das, was von der unter den Kirchenvätern
und Gottesgelehrten allgemein angenommenen Meinung
abweicht. Dasselbe kann man von jeder Behauptung
sagen, welche gewisse streitige Meinungen als
geoffenbarte ausgäbe, wie z. B. die Frage, ob das
Wort Fleisch geworden wäre, unter der
Voraussetzung, dass Adam nicht gesündigt hätte. Was
nun aber auch einige Schriftsteller hierüber gesagt
haben mögen, so dürfen die Privat -Offenbarungen
nicht schlechthin verworfen werden, aus dem einen
Grunde schon, dass sie derartige Sätze enthalten.
Hieße es nicht willkürlich den Kreis der göttlichen
Vermittlung beschränken, wenn man Ihm untersagen
wollte, durch eine besondere Fügung die Lösung
dieser oder jener bisher frei in Streit gezogenen
Frage bekannt zu geben. Wer möchte sich widersetzen,
wenn der Erlöser der Menschen einigen Seelen
offenbart, was Sein Leben oder jenes der
allerseligsten Jungfrau betrifft, gewisse
Einzelheiten und Umstände, die geeignet sind, die
Frömmigkeit anzuregen oder wohl auch andere Dinge,
die den hl. Vätern und Kirchenlehrern durchaus
unbekannt geblieben oder selbst der gewöhnlichen
Meinung entgegen sind? Denn die gewöhnliche Meinung
--- ich sage nicht die einstimmige --- ist deshalb
noch nicht gewiss, und oft kann man wichtige und
achtbare Gründe für das Gegenteil finden. Wir
wiederholen es also, einzig und ausschließlich
deshalb dürfte man noch nicht diese oder jene
Privat-Offenbarungen verwerfen. Übrigens sagen wir
mit Benedikt XIV., dass zu befürchten steht, sie
möchten nicht von aller Beimischung frei sein. Die
Seele, welche sie vom Himmel erhalten zu haben
glaubt, hat vielleicht nur Erinnerungen und
vorgefasste Meinungen miteinander verbunden und
umgestaltet; Mutmaßungen oder mehr oder minder
wahrscheinliche Vernunft-Urteile sich gebildet. In
einem derartigen Falle tut man darum am besten, sein
Urteil sich vorzubehalten, zu zweifeln, wofern nicht
die Verdachtgründe mehr als hinreichend aufgehoben
sind durch entgegengesetzte Gründe von ganz
außerordentlichem Gewicht.
Was die
Offenbarungen betrifft, welche die Befriedigung der
Neugierde zu ihrem Zwecke zu haben scheinen, so ist
klar, dass sie noch verdächtiger sind. Man dürfte
sogar nicht anstehen, dieselben für reine
Erfindungen zu halten, wenn es bewiesen wäre, dass
sie keinen wirklichen Nutzen haben; denn es hieße
Gott beleidigen, wollte man Ihm eine Handlung
zuschreiben, die, wie die Philosophie sagt, ihres
hinreichenden Grundes entbehrt.
Hierbei ist
indessen eine Gefahr zu vermeiden: die Ratschlüsse
und Wege Gottes dürfen nicht nach unsern so
beschränkten Anpassungen gemessen werden. Manche
Offenbarungen könnten sehr wohl uns vollkommen
unnütz erscheinen, ohne ernsten Zweck, und dennoch
den Grund ihres Daseins, wie Bossnet sagt, in den
undurchdringlichen Geheimnissen der „Politik des
Himmels" haben. Gerade deshalb hütet sich Benedikt
XIV., sogleich die scheinbar unnützen und einfach
nur die Neugierde befriedigenden Offenbarungen zu
verwerfen. Er glaubt nur, dass dieses Kennzeichen
sie zweifelhaft und verdächtig mache, und dass man
mit viel mehr Vorsicht verfahren müsse, bevor man
sich über dieselben erkläre. Diese so verständige
und vernünftige Meinung scheint uns die einzige
Regel zu sein, die man allgemein aufstellen kann.
Hinsichtlich
der Personen selbst, die behaupten, mit
Offenbarungen begnadigt zu sein, gibt es auch mehr
oder minder wichtige Verdachtsgründe, wenn nämlich
diese Personen noch Neulinge im geistigen Leben
sind; wenn sie sich innerlich nicht zur Abtötung
angetrieben fühlen; wenn sie gegen die gewöhnlichen
Wege Widerwillen haben und damit eine gewisse
Neugierde verbinden, welche sie zu dem Verlangen
nach außerordentlichen Mitteilungen verleitet, und
vorzüglich, wenn sie diese in der Folge gerne
ausbreiten. Wir wollen bemerken, dass diese
letztgenannten Neigungen manchmal sogar sichere
Anzeichen von Verblendung (Halluzination) oder Lüge
werden. Ebenso werden alle Klugen solchen Personen
sehr stark mistrauen, die ein krankhaftes und
unregelmäßiges (abnormales) Temperament haben, wie
auch jenen, die eine sehr lebhafte Einbildungskraft,
ein sehr ausgebildetes Gefühl besitzen. Es ist
gewiss, dass bei den Täuschungen der berühmtesten
Seher und Erleuchteten die Einbildungskraft die
Hauptrolle spielte. Übrigens zeigt uns die Erfahrung
alle Tage zuweilen sehr sonderbare Wirkungen dieser
launenhaften Fähigkeit.
Großenteils
sehen denn auch übereinstimmend alle Schriftsteller
aus diesem Grunde die Gesichte oder Offenbarungen
der Frauen im Allgemeinen als falsch und verdächtig
an. Dadurch widersprechen sie keineswegs der oben
von uns angeführten Tatsache, dass die wirklich
übernatürlichen Offenbarungen öfter Frauen als
Männern zu Teil wurden; sie beweisen dadurch nur
eine nicht weniger unzweifelhafte Tatsache, nämlich
dass die Frauen hierin auch viel mehr den
Täuschungen und Irrtümern unterworfen sind. Die
Geschichte des mystischen Lebens bezeugt dieses
durch unzählige Beispiele, welche mehr als
hinreichend sind, um in Betreff dieser Personen das
größte Mistrauen anzuempfehlen, da oft sie nicht die
sichersten Bürgschaften bieten.
Drittens: Um
die Wahrheit der PrivatOffenbarungen zu erkennen,
kann man sich im Allgemeinen nicht an ein einzelnes
Zeichen halten, sondern man muss aufmerksam alle die
Umstände betrachten, welche die in Frage stehende
Person betreffen, die Art, wie die Offenbarungen
gegeben worden und die Wirkungen, die sie zur Folge
gehabt haben.
Hier folgt die
Art und Weise, wie der Kardinal Bona in dieser
Beziehung verfährt. Nach ihm kann man zum Vor- und
Musterbilde die Offenbarungen der hl. Theresia
nehmen, welche nach dem Zeugnisse der
glaubwürdigsten Männer mit ganz besonderem Ansehen
bekleidet sind. --- Welches sind nun, fährt der
gelehrte Kardinal fort, die hauptsächlichsten
Kennzeichen, welche uns über den übernatürlichen
Ursprung der, dieser Heiligen zu Teil gewordenen
Offenbarungen und Visionen Sicherheit geben? Sie
fürchtete stets die Täuschungen des Teufels und deshalb begehrte und wünschte sie niemals Visionen,
sondern bat Gott vielmehr, sie aus dem gewöhnlichen
Wege zu führen, indem sie nur Eines wünschte, dass
nämlich Gottes Wille an ihr in Erfüllung gehe. Wie
der Teufel (über das, was er offenbart) den Seelen,
die er täuschen will, Stillschweigen auferlegt, so
wurde die heil. Theresia von dem zu ihr sprechenden
Geiste stets aufgefordert, sich hierüber gelehrten
Männern aufzuschließen, und sie unterwarf sich
wirklich der Untersuchung jener berühmten
Persönlichkeiten, die damals in Spanien in
ausgezeichnetem Rufe der Wissenschaft und Heiligkeit
standen, wie eines heil. Petrus von Alcantara, eines
hl. Franziskus von Borgia, eines Johannes von Avila,
eines Balthasar von Alvarez, eines Dominikus Bannez
und Anderer. --- Ihren Seelenführern gehorchte sie
sehr pünktlich, und nahm in Folge ihrer Visionen in
der Liebe und Demut zu. Sie suchte lieber jene
Personen auf, welche ihr am wenigsten Vertrauen
bewiesen, und liebte vorzugsweise jene, von denen
sie Verfolgung zu erdulden hatte. --- Ihre Seele
empfand tiefe Ruhe und außerordentliche
Befriedigung,
In dem Leben
der heil. Theresia von den Bollandisten kann man die
ihrer Lehre gegebenem ausgestellten einzig lautenden
Zeugnisse nachsehen. belehrte Kritiker verwerfen
indessen die Meinung gewisser Schriftsteller, welche
diese Heilige unter die Wahl der Kirchenväter
aufgenommen wissen wollte. ihr Eifer für das Heil
der Seelen war sehr lebendig; ihre Gedanken sehr
rein; ihre Herzenseinfalt sehr groß und ihr
Verlangen nach Vollkommenheit sehr heiß. --Wenn sie
Unvollkommenheiten und Fehler beging, so wurde sie
immer darüber von Dem bestraft, der innerlich zu ihr
redete. --- Es wurde ihr gesagt, dass sie alles
Gute, was sie von Gott erbitten würde, unzweifelhaft
erhalten solle, und wirklich, so oft sie um Etwas
bat, wurde sie allezeit erhört. Alle Jene, welche
mit ihr verkehrten, fühlten sich durch ihren Umgang
zur Bescheidenheit, Frömmigkeit und Gottesliebe
angetrieben, wenn anders deren böse Stimmung es
nicht verhinderte. Ihre Visionen fanden gewöhnlich
nach langem und inbrünstigem Gebete statt, oder nach
der hl. Kommunion, und dieselben entzündeten in
ihrer Seele ein brennendes Verlangen, für Gott zu
leiden. --- Sie züchtigte ihren Körper durch Fasten,
Geißeln und raue Bußkleider, und streute sich in
Trübsalen, Widerwärtigkeiten und Krankheiten. ---
Sie liebte die Einsamkeit, floh den Umgang mit den
Menschen und riss sich von aller Neigung zu den
irdischen Dingen vollkommen los. --- Sowohl im
Glücke wie im Unglücke bewahrte sie dieselbe
Stimmung und dieselbe Gemütsruhe. --- Endlich haben
die gelehrten Männer in ihren Offenbarungen und in
den sie begleitenden Umständen nie etwas gefunden,
was von den Regeln des Glaubens und der christlichen
Vollkommenheit abwiche, oder was irgendwie
tadelnswert wäre.
Nachdem der
Kardinal Bona alle diese Zeichen aufgezählt hat,
schließt er also: „So oft ähnliche Bedingungen bei
einer Person vereinigt sind, ist es unzweifelhaft,
dass ihre Offenbarungen von Gott kommen." --Und in
der Tat bilden diese Regeln ein dergestalt
zusammengesetztes Ganzes, dass sie selbst die
Möglichkeit einer Täuschung oder eines Irrtums
ausschließen, d. h. einer erheblichen Täuschung oder
eines bedeutenden Irrtums. Wenn dem nicht so wäre,
so könnte es den Anschein gewinnen, als ob die
göttliche Vorsehung ihren Verheißungen untreu
würde. Wenn es vorab gewiss ist, dass den
Offenbarungen die Gesinnungen wahrer und
probehaltiger Demut vorausgehen, sie begleiten und
auf sie folgen, so hat der Zweifel keinen
vernünftigen Grund mehr. ---,,Die Demut, so sagen
die besten Schriftsteller, ist das sicherste
Zeichen, der vorzüglichste Prüfstein, um alle
göttlichen Wirkungen, wie: innerliche Regungen,
Wunder, Offenbarungen, Visionen, Ekstasen oder
Entzückungen zu unterscheiden.
Der heil.
Chrysostomus gibt uns noch einen andern, sehr
wichtigen Grundsatz an die Hand, um die Wahrheit der
Privat-Offenbarungen darzutun, wenn er sagt: „So oft
Etwas geschieht, was über und weit über die Natur
geht, so dass sie durch Schicklichkeit und
Nützlichkeit sich auszeichnet, so ist es klar, dass
es durch göttliche Kraft geschieht." --- So z. B.
wenn jemand Mysterien und Geheimnisse entdeckt, die
augenscheinlich in keinem Verhältnisse mit seiner
erworbenen Wissenschaft und seiner Fassungskraft
stehen, so ist sofort gewiss, dass sie diese
Kenntnisse nur entweder von Gott oder vom Teufel
erlangt haben können. Weiterhin ist es aber ebenso
gewiss, dass sie auch vom Teufel nicht kommen
können, wenn sie in ihrem Gegenstand, in ihren
Umständen und ihren Wirkungen nichts enthalten, was
nicht wahr, untadelig, voll Auserbauung und geeignet
wäre, zur Verherrlichung Gottes und zum Heile der
Seelen zu dienen.
Dieser Beweis
hat einen unbestreitbaren, zuweilen sogar
entscheidenden Wert. Es ist jedoch wohl zu merken,
dass der böse Geist, wenn er eine Seele umso
sicherer verderben will, häufig damit beginnt, dass
er ihr die schönsten und heiligsten Dinge eingibt.
Man würde sich also gröblich täuschen, wollte man
alle frommen Offenbarungen, einzeln für sich
genommen und ohne Rücksicht ans die anderen
Kennzeichen, immer Gott zuschreiben. Deshalb haben
wir gesagt, dass man nicht einem einzelnen Zeichen
trauen dürfe. Ebenso hätte man Unrecht, wenn man
diesem oder jenem Umstand, welcher die zu
beurteilenden Offenbarungen begleitet,
schlechthinigen Wert beilegen würde, als: Ekstasen,
die mit Erhebung des Leibes verbunden sind,
Enthüllungen gewisser Geheimnisse, Prophezeiungen,
die in Erfüllung gegangen, erhabene Visionen,
Regungen außerordentlicher Inbrunst, heldenmütigen
Vorhaben und Entschlüssen. Streng gesprochen kann
dies Alles das Werk des Teufels, einige können sogar
auch nur natürliche Erscheinungen sein.
Endlich ist es
noch höchst wichtig, zu bemerken, dass wie heilig,
demütig und erfahren eine Person sei, man dennoch
beinahe nie sicher schließen kann, dass unter ihren
zuverlässigsten und in ihrem Wesen und im Ganzen
unbestreitbaren Offenbarungen nicht in den
Einzelnheiten mehr oder weniger Täuschung oder
persönliche Erfindung sich eingeschlichen habe.
Dieser Hauptgrundsatz erfordert einige
Auseinandersetzungen. Die ganze Frage über die
Privatoffenbarungen ist darin enthalten.
III.
Obwohl es sehr
schwer zu verstehen und noch schwerer zu erklären
ist, was bei den Entzückungen, Gesichten und
Offenbarungen vorgeht, so bleibt doch Eines sicher,
nämlich dass Gott, wenn Er auch einer Seele
außergewöhnliche Gnaden erteilt, Er ihr deshalb
nicht die Gabe der Unfehlbarkeit verleiht, eben so
wenig den besonderen Beistand, welcher das
Privilegium der vom heiligen Geiste erfüllten
Schriftsteller oder der lehrenden Kirche ist.
Gewöhnlich und besonders vielleicht in mehr oder
minder kurzen oder längeren Zwischenräumen, behält
die, in den erhabensten, übernatürlichen Zustand
erhobene Seele dennoch bis zu einem gewissen Grade
den Gebrauch ihrer Freiheit, ihrer Einbildungs- und
Urteilskraft. --- Daher ist es nicht zweifelhaft,
dass die Seele, selbst ohne ihr Wissen, der
göttlichen Einwirkung einige Wirkungen beimischt,
die ausschließlich von ihrer eigenen Tätigkeit
herrühren, und folglich bis zu einem gewissen Grade
sogar die Natur dieser Wirkungen abändern und
umgestalten.
Übrigens muss
man nicht nur den Augenblick selbst betrachten, in
welchem Gott der Seele eine Mitteilung macht, man
muss auch den unmittelbar darauf folgenden ins Auge
fassen. Die Seele fühlt sich dann noch ganz erhitzt
und wie schaudernd und zitternd in Folge der
empfangenen Berührung. In dieser Übergangsperiode
sind die Täuschungen besonders zu fürchten; denn
nach der Ansicht, welche der hl. Ignatius in seinen
wunderbaren Regeln über die Unterscheidung der
Geister ausspricht, geschieht es häufig, dass die
Seele, sei es aus Gewohnheit, sei es durch
persönlichen Verunsicherung oder eignes Urteil,
Gefühle hat, Beschlüsse fasst, die nicht direkt von
Gott herrühren und welche eine sehr genaue
Untersuchung erfordern, ehe man seine Zustimmung
geben kann. Ferner ist zu bemerken, dass die
Personen, welche göttliche Mitteilungen erhalten
haben, neuen Irrtümern ausgesetzt sind, wenn sie
dieselben mündlich oder schriftlich erzählen. Bald
fehlen ihnen die Ausdrücke, um ihre Gedanken wieder
zu gebend, bald sind auch ihre Erinnerungen nicht
mehr getreu. Und wirklich, wenn wir annehmen, dass
längere oder kürzere Zeit verflossen ist, seitdem
die Offenbarungen stattfanden, so begreift es sich
leicht, dass während dieser Zwischenzeit die
verschiedenen Fähigkeiten, die erhaltenen Eindrücke
oder Begriffe in etwas sich haben abändern können
durch Verminderung derselben und besonders durch
Beifügen fremdartiger Umstände.
Man sieht also,
dass Ungenauigkeiten, Täuschungen aus verschiedene
Weise bei den Privatoffenbarungen sich einschleichen
können. Gott lässt es also zu zur Belehrung der
Seelen, denen diese besonderen Gnaden zuteil
geworden sind. Er will sie lehren, allzeit auf ihrer
Hut zu sein, dass sie den Stolz und Eigendünkel
vermeiden. Ebenso will Gott dadurch alle Christen,
die vielleicht versucht sein könnten, diesen
außergewöhnlichen Mitteilungen über die Maßen zu
trauen, belehren, dass die Kirche allein das
rechtmäßige Organ Seines Wortes, die unfehlbare
Auslegerin Seines Gesetzes und die immer sichere
Führerin unseres Gewissens sei.
Wenn man die
Offenbarungen mehrerer heiliger Personen, selbst
jener, welche die Kirche auf den Altar erhoben hat,
genau untersucht, so findet man in der Tat viel
wenigstens Zweifelhaftes und zuweilen sogar
Falsches.
Es ist auch
wirklich nicht selten, dass diese Offenbarungen sich
gegenseitig widersprechen, und dass sie unerfüllte
Prophezeiungen oder vermiedene Anzeichen von
Verblendung enthalten. Der beherzte Bollandist
Papebroch nimmt, nachdem er verschiedene
Offenbarungen des gottseligen Hermann Joseph
untersucht hat, keinen Anstand, mit Bestimmtheit zu
sagend: „Ich würde lieber alles, was man wollte,
leiven, als solche Dinge für eine himmlische
Mitteilung annehmen." --- In gleicher Weise
verwerfen die Bollandisten viele andere
Offenbarungen, unter andern die der hl. Elisabeth
von Schönau über das Martyrium der hl. Ursula und
ihrer Gefährtinnen. Mehrere gelehrte Kritiker haben
gleichfalls ernste Einwendungen erhoben gegen
einige von der Kirche bis zu einem gewissen Grade
gutgeheißenen Offenbarungen, wie die der hl.
Hildegard, der hl. Brigitta, der hl. Katharina von
Siena.
Man sage auch
nicht, schon die Äußerung eines Zweifels oder einer
ungleichen Meinung in einem derartigen Falle sei
ein Verstoß gegen die dem Andenken dieser heiligen
Seelen schuldige Ehrfurcht. Die Ehrfurcht bleibt
vollkommen unverletzt, so lange man kein Gefühl von
Verachtung beweist und so lange man seine Meinung
nicht verwegen und ohne irgendeinen vernünftigen
Beweggrund ausdrückt. Innerhalb dieser Grenzen
lässt uns die Kirche immer große Freiheit in
Beurteilung der Privatoffenbarungen. ---„Es liegt
ihr wenig daran, sagt Melchior Eanus, ob man die
Visionen der hl. Brigitta und Andrer der Art glaube
oder nicht; diese Dinge beziehen sich durchaus
nicht aus den Glauben."
Die Person,
welcher diese Offenbarungen vom Himmel gegeben
werden, kann und muss mit übernatürlichem Glauben
daran glauben, wenn sie nur, nicht eine einfache
Wahrscheinlichkeit, sondern eine wirkliche
Sicherheit über deren göttlichen Ursprung hat. Was
aber die andern Gläubigen betrifft, so sind sie
sicherlich keineswegs verpflichtet, ihre Beistimmung
dazu zu geben. Wenn die Kirche die Offenbarungen
einiger Heiligen speziell gutheißt, so will sie
damit in keiner Weise uns zum Glauben daran
verpflichten. Sie erklärt nur, dass sie darin
nichts finde, was dem Glauben und den guten Sitten
geradezu widerspreche, und dass man sie, wenigstens
in gewissen Ländern mit Nutzen und ohne Gefahr lesen
könne. Im Übrigen bürgt sie nicht für die Wahrheit
jedes einzelnen Satzes und gestattet vollkommen,
darin zu widersprechen unter der einzigen Bedingung,
dass man die von uns so eben angegebenen Grenzen
nicht überschreite.
Welches ist
also zuletzt das Ansehen der Privat- Offenbarungen?
Ihr Wert
entspricht dem Werte der Personen, die sie
mitteilen, er ist nicht größer und nicht kleiner.
Diese Person ist nie unfehlbar; es ist also
offenbar, dass die von ihnen behaupteten Dinge nie
durchaus sicher sind mit Ausnahme des einzigen
Falles, wenn ein direkt gewirktes Wunder diese
Behauptung bestätigt. Um alles in einem Worte zu
sagen, so haben die Privat-Offenbarungen nur ein
rein menschliches und mögliches Ansehen.
Daraus geht
hervor, dass man im Allgemeinen gesprochen sie nicht
zur Entscheidung einer Streitfrage der
Gottesgelehrtheit, noch weniger zur Lösung eines
Streitpunktes der Philosophie, der Geschichte oder
was immer für einer Wissenschaft anführen könne.
Ebenso wäre es, gewisse, ganz besondere Fälle
ausgenommen, ein Missbrauch, die
Privat-Offenbarungen auf der Kanzel zu erwähnen.
Höchstens darf man sie in Vorträgen an einige fromme
Personen als Nahrung geistlicher Erbauung bieten;
und auch da noch ist um jeden Preis zu vermeiden,
dass diese Personen sich nicht täuschen lassen und
die solchen Offenbarungen schuldige Achtung nicht
übertreiben. Es ist wichtig für die Ehre und die
Würde einer göttlichen Religion, dass ihre Jünger
keine leichtgläubigen Seelen seien, und dass sie
ihren Glauben hoch genug zu schätzen .wissen, um ihn
allezeit unendlich über all das zu stellen, was
nicht zu ihm gehört.
Was die
Seelenführer solcher außerordentlich begnadigten
Personen betrifft, so müssen sie mehr noch als die
andern auf sich die Vorschrift des Apostels
anwenden: „Nolite omni spiritui credere.“ (Glaubet
nicht jedem Geiste.) Wer Gesichte und Offenbarungen
leicht annehmen würde, würde dadurch eine
Unvorsichtigkeit beweisen, die sich nicht mehr
bezeichnen ließe und unfehlbar die traurigsten
Folgen haben müsste. Die einzige Verhaltensregel,
welche der alltäglichste, gesunde Menschenverstand
eingibt, besteht darin, die Dinge lange und von
allen Seiten zu prüfen, sich hinter ein Mißtrauen zu
verschanzen, das niemals zu groß sein kann, wenn es
nur nicht bis zu grundsätzlich durchgeführtem
Unglauben geht. Und gewiss ist diese Vorschrift wohl
gerechtfertigt durch all das, was wir oben
auseinander setzten, da, wo wir einen Abriss der
Regeln gaben für die Unterscheidung der wahren und
falschen Offenbarungen. Denn wenn sich aus diesen
Grundsätzen ein Schluss klar ergibt, so ist es
sicherlich der, dass die Würdigung der
übernatürlichen Tatsachen dieser Art außerordentlich
schwer ist, so schwer, dass sie zuweilen die Kräfte
aller Wissenschaft und alles menschlichen
Scharfsinns übersteigt.
Schließlich
bleibt uns noch ein Wort zu sagen über die Stimmung,
mit welcher man Schriften lesen soll, die Gesichte
oder Privatoffenbarungen enthalten.
Selbstverständlich reden wir nicht von jenen, die
nicht durch dazu befugte Männer geprüft worden, mit
keiner kirchlichen Gutheißung versehen sind; solche
verdienen durchaus kein Vertrauen und die Gläubigen
sollen sich der Lesung derselben enthalten. Es
handelt sich ausschließlich um zwei Arten von
Büchern: erstens, um solche, welche seit langer Zeit
durch die große Heiligkeit ihrer Verfasser und durch
die Gutheißung des hl. Stuhles ausgezeichnet sind;
zweitens um solche, welche von Personen herrühren,
deren Frömmigkeit anerkannt ist und aus Grund
reiflicher Untersuchung verlässiger Männer, die
dargetan, dass die darin enthaltene Lehre gesund und
ersprießlich sei, bereits von einem oder mehreren
Bischöfen gutgeheißen ist.
Wenn nun auch
billig ist, einen großen Unterschied zwischen diesen
beiden Arten von Schriften zu machen, so kann man
dennoch behaupten, dass für beide hinlängliche
Gründe vorliegen, ans welchen die Gläubigen mit
Nutzen sie lesen können. Die Bücher, welche Privat
-Offenbarungen enthalten, zeichnen sich oft durch
einen besonderen Duft von Frömmigkeit aus, durch
Klarheit der Lehre, durch eindringliche Salbung, die
man in gewöhnlichen geistlichen Werken vergebens
suchen würde. Eine gerade und ausrichtige Seele wird
unstreitig darin die kostbarsten Elemente zur
Erbauung finden, wenn sie dieselben im Geiste
bescheidener, verständiger Einfachheit betrachtet,
ohne vorhergefasste Feindseligkeit, ohne
Beanspruchung übertriebener Kritik; wie andrerseits
auch ohne kindische Leichtgläubigkeit, ohne
übertriebene Achtung für die wunderbaren Tatsachen:
zwei Übertreibungen, deren Vermeidung im Punkte der
Privatoffenbarungen gleich wichtig ist.
P. Toulemont

Leben der
würdigen Marie Lataste,
Laienschwester im Orden des heil. Herzens Jesu
von
einer
Klosterfrau desselben Ordens.
Vorrede.
Was wir dem
Leser mit diesem Werke bieten, ist keine eigentliche
Lebensbeschreibung, denn um das Leben der Marie
Lataste zu beschreiben, müsste man den größten Teil
ihrer Schriften anführen; erst in diesen entfaltet
sich so ganz ihr Bild und offenbart sich zugleich
die Güte des Herrn gegen seine Dienerin. Wenn man
ihre Schriften bei Seite lässt, so kann man nur
wenige Einzelheiten sammeln; es bleiben uns dann nur
die Erinnerungen der Klosterfrauen des heil.
Herzens, deren Genossenschaft die auserwählte Seele
drei Jahre lang angehörte.
Aus diesen
Quellen mussten wir also schöpfen und zwar suchten
wir Marie Lataste vorzüglich ans ihren Briefen
kennen zu lernen. Dort erzählt sie die ihrem
Kloster-Eintritt vorhergehenden besonderen Umstände
ihres Lebens, jedoch ohne bestimmte Ordnung, wie
eben die Fragen ihres Beichtvaters sie auf Dieses
oder Jenes hinführten; deshalb wurde es für nötig
befunden, die zerstreuten Tatsachen zu einem Ganzen
zu ordnen. Wir haben diese Sammlung noch durch
Dokumente vervollständigt, welche wir glaubwürdigen
Augenzeugen verdanken, und wir ließen es uns
angelegen sein, Alles dem hochw. Pfarrer von
St.-Paul-les-Dax vorzulegen, dessen Zeugnis uns sehr
kostbar war. Er war mehr als jeder andere im Stande
darüber zu urteilen, da ihm vergönnt war, diese
Seele zu führen und ihre tiefsten Geheimnisse zu
ergründen.
Vielleicht wird
man einwenden, wir hätten zu oft Mariens eigne Worte
angeführt; allein wir glaubten nicht dem Wunsche
entsagen zu sollen, sie durch sich selbst zu
schildern, vorzüglich da wir so viel Anmut und
Herzenseinfalt in ihrer Sprache fanden. Wir vermögen
indes, auch wenn wir, gegen unsern früheren Vorsatz,
weitläufiger wurden, doch nur eine sehr
unvollständige Skizze dieses so kurzen und dennoch
so verdienstlichen Lebens zu entwerfen.
Die folgenden
kurzen Notizen werden nur wenige Tatsachen anführen,
welche die Neugierde wecken und befriedigen; allein
man kann daraus wenigstens abnehmen, wie man durch
Übung der verborgensten Tugenden das Auge Gottes auf
sich zieht, wie man dadurch das Wohlgefallen Gottes
erwirbt, der die Schwachen und Demütigen ganz
besonders liebt, und wie man mit Seiner Gnade zur
höchsten Vollkommenheit gelangen kann.
Ferner glauben
wir noch erwähnen zu müssen, dass wir uns nicht
anmaßen, bezüglich des Ursprungs und Charakters der
im Leben Marie Latastes vorkommenden
außerordentlichen Erscheinungen und Offenbarungen
dem Urteile der katholischen Kirche irgendwie
vorzugreifen, und dass wir alles in diesem Buche
Erzählte so genommen wissen wollen, wie man das
nimmt, was nur aus menschlicher Autorität beruht.
Deshalb zogen wir es vor, bei Erzählung der
genannten Erscheinungen und Offenbarungen stets die
eigenen Worte Mariens zu gebrauchen; es ist dadurch
Jedem überlassen, sich selber ein Urteil zu bilden.
Erstes Kapitel
Mariens Geburt und Erziehung,
ihre erste Kommunion,
ihre innerlichen Kämpfe.
Marie Lataste
wurde den 21. Februar 1822 in Mimbaste, einem
kleinen Dorfe im Departement der Landen geboren.
Mimbaste liegt einige Meilen von Dax und nicht weit
von dem durch die Geburt des hl. Vincentius von Paul
geheiligten Orte.
Dieses Dorf,
oder besser dieser Weiler, besteht nur aus einigen
zerstreut liegenden Häusern. Die Bewohner dieser
höchst malerischen Gegend kommen wenig oder gar
nicht zusammen und sehen sich fast nur in der armen
entlegenen Kirche.
Durch ihre
topographische Lage dem Getriebe der Welt fremd,
wissen die Landleute dieses Departements Nichts von
dem, was sich in den großen Städten zuträgt; Handel
und Industrie sind ihnen unbekannt; deshalb sind sie
noch einfach, fromm und arbeitsam. Sie hören auf die
Stimme ihres Hirten und da die Grundsätze und
Irrtümer des Jahrhunderts nicht in ihre Einsamkeit
zu dringen vermögen, so leben sie dort meist
friedlich und treu im Dienste des
Herrn. .
Marie Latastes
Eltern waren solch' einfache fromme, arbeitsame
Landleute. Der Vater hieß Franziskus Lataste und der
Familienname der Mutter war Elisabeth Pourlet. Beide
besaßen ein kleines Gut, das in der Gegend unter dem
Namen der großen Eiche bekannt war. Der Ertrag
dieses Gutes genügte zum Unterhalt der Familie, und
Vater und Mutter sahen es als ihre erste Pflicht an,
ihre Kinder in der Furcht des Herrn und Seiner
Gebote zu erziehen. Schon in ihrem zehnten Jahr
Waise, hatte die Mutter die Schule verlassen müssen,
um ihr Brot zu verdienen; selbstverständlich erhielt
sie unter diesen Umständen keine vollendete
Erziehung, daher konnte sie später ihre Töchter nur
das Wenige lehren, was sie selbst gelernt, nämlich:
lesen, schreiben, nähen und spinnen. Wenn somit ihre
weltlichen Kenntnisse höchst beschränkt waren, so
verstand es jedoch die fromme Mutter umso besser,
den Keim der Tugend in die Seelen ihrer Kinder zu
pflanzen und deren Herz zu bilden, und zwar weniger
durch Worte als durch das Beispiel, womit sie ihren
Kindern voranleuchtete. Bei ihren beiden ältesten
Töchtern: Margaretha und Quitterie erntete sie bald
die Früchte ihrer Sorgfalt; schwerer wurde ihr diese
Aufgabe bei ihrer dritten Tochter Marie, bei welcher
die gewöhnlichen Fehler der Kinder ausfallender
hervortraten. Hingerissen durch ihre große
Lebhaftigkeit, war sie ungehorsam und eigensinnig;
trotz aller Mühe ihrer Mutter, welche ihr mit
unerschöpflicher Geduld den Katechismus erklärte,
wollte sie denselben nicht lernen. Die ältere
Schwester Margaretha, welche Marie später selbst
ihren guten Engel nannte, widmete sich der jüngeren
Schwester mit dem zärtlichsten Eifer; ihre
Ermahnungen fanden zuweilen ein williges Ohr, waren
aber ebenso schnell wieder vergessen. Obwohl
hierüber tief bekümmert, wankte indessen die Mutter
nicht im Vertrauen auf Gott und war umso eifriger in
ihrem Gebete.
Bereits nach
vollendetem achten Jahre verminderte sich indessen
Mariens allzu lebhafte Ungebundenheit; ja in dem
Maße als ihre Geisteskräfte sich mehr entwickelten,
bemächtigte sich ihrer sogar ein finsterer Ernst.
Noch hatte sie ihr elftes Jahr nicht erreicht, als
eine Art Instinkt die gewöhnliche Frucht des Stolzes
bei gewissen großen, zu Erhabenem bestimmten
Seelen, sie unwillig darüber machte, dass sie in
Folge ihrer niedrigen Stellung verurteilt sei,
vergessen und verachtet zu werden von einer Welt, in
der sie ihr Glück suchte. Dieser Stolz musste erst
in der Schule Christi gebrochen und ihm ein edles,
hohes Ziel gegeben werden. Gott legt in uns gewisse
Neigungen, die seine Güte befriedigen will, und zu
diesem Zwecke hilft Er uns durch Seine Gnade sie zu
heiligen und auf übernatürliche Güter zu richten.
Der Teufel jedoch, dem Menschen seine Glückseligkeit
missgönnend, erniedrigt ihn, indem er strebt, seine
Blicke und Wünsche nach dem Irdischen zu richten. So
wollte er auch Mariens Drang nach Größe und Genuss
benützen, und zeigte ihr die Lockungen der Welt im
schönsten Lichte, um sie an sich zu ziehen.
Begabt mit
einem durchdringenden Verstand und einer lebhaften
Einbildungskraft, entwickelte sich frühzeitig ihr
Geist; die mangelhafte Erziehung, der wenige
Unterricht genügten ihr nicht, und sie fühlte eine
gewisse Leere in sich, woraus eine Befangenheit,
eine Verlegenheit entstand, die ihr selbst als
linkisches Wesen erschien. Dies wurde für sie eine
Quelle neuen Kummers: Die liebenswürdigen
Eigenschaften anderer betrübten sie, weil ihr
dieselben mangelten; die Armut ihrer Eltern war ihr
lästig, weil sie dadurch gezwungen war,
zurückgezogen zu leben und die Freuden und
Vergnügungen nicht genießen konnte, die sie mit dem
Reichtum notwendig vereint glaubte. Alles missfiel
ihr und reizte ihren Stolz, selbst ihr kleines,
heimatliches Dorf. Diese bitteren Gedanken waren es,
welche sie finster und schweigsam machten; jedoch
verschloss sie damals Alles in sich und ohne ihr
späteres Geständnis hätte man nie die Ursache dieser
ausfallenden Veränderung bei einem Kinde so zarten
Alters geahnt. Ihr Benehmen befremdete Jedermann,
Margaretha verdoppelte ihre Sorgfalt und die
tiefbetrübte Mutter setzte all ihre Hoffnungen auf
die Hilfe von Oben, und fuhr fort zu beten. Auf Gott
aber übt das mütterliche Gebet, wie so viele
Tatsachen beweisen, eine unwiderstehliche Gewalt
aus, auch Elisabeth empfand dies: sie wurde erhört.
Marie wuchs
heran, sie litt, sich selbst unbewusst, immer mehr
unter dem Einfluss des Feindes der Seelen; aber mit
dem zwölften Jahre begann sie die Wichtigkeit der
ersten Kommunion zu empfinden, zu welcher sie
zugelassen werden sollte, sie fasste deshalb den
Entschluss, sich auf dieselbe mit aller möglichen
Sorgfalt vorzubereiten. Von nun an lernte sie den
Katechismus mit großem Eifer und hörte die Auslegung
desselben aufmerksam an. Bald zeigte sich die
Wirkung dieser Stimmung; sie lernte den Wert dieser
Lehren kennen und die natürliche, glückliche Folge
davon war, dass sie ernstlich daran dachte, ihre
Fehler abzulegen und so konnte man bald wahrnehmen,
dass unter dem belebenden Hauch der göttlichen Gnade
die Keime der in ihr schlummernden Tugend sich
entwickelten. In dem Gebete fand sie bis dahin
ungeahnte Genüsse und es nährte nicht lange, so
offenbarte sich aus ihrer wieder heiter werdenden
Stirne die Veränderung ihres Innern. Als sie unsern
Heiland zum ersten Mal empfing, fühlte sie lebhaft
Seine allerheiligste Gegenwart und äußerte zu
wiederholten Malen ihre kindliche und ruhige Freude
darüber mit den Worten: „Wie süß ist es, Jesus zu
empfangen und Ihn im Herzen zu haben !" --- „Du hast
Recht, Tochter, antwortete ihre Mutter, strebe
danach, von jetzt an immer so brav zu sein und so
zu leben, dass du das Glück verdienst, oft zu
kommunizieren."
Diesen Rat treu
befolgend und durch die göttliche Speise gestärkt,
wich das fromme Kind nie von seinen festen
Entschlüssen ab. Durch Gebet und Wachsamkeit
bereitete sie sich später auf das hl. Sakrament der
Firmung vor, welches bald nachher in der
benachbarten Pfarrkirche von Pouillon durch den
hochwürdigsten Bischof Savy von Aire gespendet
wurde. Sie erschloss ihr Herz gänzlich den
Einsprechungen des hl. Geistes, daher wurden ihre
Fortschritte täglich fühlbarer: ihre Bescheidenheit,
ihre zuvorkommende Aufmerksamkeit für alle, ihr
pünktlicher, rascher Gehorsam, ihre Emsigkeit bei
der Arbeit erbaute Jeden. Besonders aber erstaunte
man über den heiligen Ernst, den sie bei der
Erfüllung ihrer religiösen Pflichten an den Tag
legte; ihr lebendiger Glaube an den im Sakramente
gegenwärtigen Gott spornte sie zu großer Andacht und
Geistessammlung, wenn sie das Glück hatte, ihn
besuchen zu dürfen. .
Ungefähr ein
Jahr nach ihrer ersten Kommunion glaubte sie im
Augenblick der heiligen Wandlung aus dem Altar ein
glänzendes Licht zu bemerken; während ihre Augen es
bewunderten, wurde ihr Herz von Liebe zu dem
eucharistischen Gott entstammt. Je mehr diese Liebe
zunahm, desto glänzender wurde das Licht; es war
dies gleichsam die Morgenröte der Sonne der
Gerechtigkeit, die später ihren Glanz vor ihr
entfalten sollte. Mit folgenden Worten beschrieb sie
die damaligen Unterredungen ihrer Seele mit dem
göttlichen Heilande: „Lange, sagte sie, habe ich mit
ihm geredet; ich sagte ihm nur wenig, ich konnte nur
die Worte hervorbringen: Jesus, ich liebe Dich,
oder: Jesus, ich gebe Dir mein Herz, oder: Herr
Jesus, vermehre meine Liebe zu Dir! --- Dann, als
ich Ihn verließ, sagte ich zum Abschied zu Ihm: Mein
Heiland, segne Deine demütige Magd! --- Der
göttliche,, Erlöser hörte mir lange zu, ohne mich
Seine Stimme auf fühlbare Weise vernehmen zu lassen;
aber ich hörte dennoch eine innere Stimme, die zwar
keine Worte aussprach; allein diese sanfte und süße
Stimme sagte mir: „Meine Tochter, ich liebe dich;
meine Tochter, ich nehme das Opfer deines Herzens
an; meine Tochter, ich segne dich." --- Woraus ich
zufriedengestellt, mich zurückzog." Und in der Tat,
wie hätte dieses Gebet einer reinen und geraden
Seele den göttlichen Meister nicht rühren sollen?
Seine Augen sahen mit Wohlgefallen aus dieses
auserwählte Kind herab, Er fand Gefallen an ihr und
so bestätigte sich bei ihr, was Er ehemals einem
Seiner treuesten Diener durch einen himmlischen
Boten gesagt hatte: „Weil du angenehm vor Gott
warst, musste die Versuchung dich bewähren." ---
Dadurch, dass Gott also die Verdienste Seiner
Auserwählten vermehrt, reinigt Er sie und macht sie
empfänglich für Seine auserlesenen Gnaden; auch
Marie sollte in dem Schmelztiegel der Leiden
geläutert werden, deshalb hatte sie um diese Zeit
die härtesten Prüfungen des geistigen Lebens zu
bestehen. Mit großer Energie kämpfte sie fortwährend
gegen ihren Stolz; dazu gesellten sich nun auch
Gewissensskrupel. Die großen Wahrheiten der Religion
machten auf sie tiefen Eindruck; ihre lebhafte
Einbildungskraft steigerte die aus denselben sich
ergebenden Forderungen und der böse Feind, diese
ihre Stimmung benützend, umdüsterte ihren Verstand
und ließ ihr fast all ihre Handlungen als mit der
Sünde befleckt erscheinen. Trotz dem aufrichtigen
Geständniss ihrer Fehler gelangte sie nicht zur
Ruhe; denn sie glaubte keine Verzeihung derselben zu
erlangen, weil sie keinen fühlbaren Schmerz über
ihre Sünden empfand. In ihrer noch wenig
erleuchteten Frömmigkeit hielt sie die süßen Gefühle
für notwendig; sie glaubte sich von Gott verworfen
und dies betrübte sie auf's Tiefste, da sie Ihn mit
so großem Eifer suchte.
Ihr
Beichtvater, ein gelehrter und weiser Mann,
verfolgte aufmerksam die Wirkungen der Gnade in der
Seele seines Beichtkindes, und da dieses sich mit
unbedingtem Gehorsam seinem Rate unterwarf, fand sie
hierin bald das wirksamste Mittel.
Auf die Skrupel
folgten Versuchungen wider die zarteste aller
Tugenden; dieselben waren heftig und beinahe
ununterbrochen, so dass ihre von Erschöpfung und
Trockenheit ermüdete Seele nirgends Erleichterung
fand; auch ihr Äußeres verriet das innere Leiden,
und Mutter und Schwester, welche die Ursache ihrer
Leiden nicht kannten, suchten vergeblich sie zu
lindern.
In dem Maße
jedoch als die Arglist des Teufels zunahm,
verdoppelte auch das junge Mädchen ihre
Wachsamkeit, um den Schatz zu bewahren, welchen er
ihr rauben wollte: „Gott, schrieb sie, suchte mein
Herz in einem noch zarten Alter durch fürchterliche
Prüfungen zu bilden. Er flößte mir dagegen aber auch
Neigungen ein, die der Welt wenig günstig waren; Er
zeigte mir die Gefahr der nicht beherrschten
Leidenschaften und vermehrte täglich meine Liebe zur
Jungfräulichkeit. Sie übte auf meinen Geist einen
geheimen Zauber aus, der mich immer mehr an sie
fesselte und mich fürchten ließ, sie zu verlieren.“1
Diese Gefühle erregten in ihr den Wunsch, sich durch
das Gelübde der Keuschheit zu binden; ihr
vorsichtiger Beichtvater erlaubte ihr indessen nur
dasselbe immer für die Dauer eines Jahres abzulegen;
sie gehorchte und von dieser Zeit an verringerte
sich allmählich die Unruhe ihrer Seele.
1
Vollständiges Werk 1. Bd. Marie Lataste's Briefe an
ihren Beichtvater.
Gleichwohl
empfand sie im Gebete und im Empfang der hl.
Sakramente nur wenig Trost; ihre monatliche
Kommunion verdoppelte ihre Leiden und ihre
Traurigkeit, und bald hatte sie noch andere Kämpfe
zu bestehen.
Als sie 17
Jahre alt war, waren diese Versuchungen, unter denen
sie so viel gelitten, verschwunden; aber ihrem
eignen Ausdruck zufolge: „alle ihre Leidenschaften
empörten sich und begannen den heftigsten Krieg: Der
Stolz ihrer Kindheit erhob sich stärker und
mächtiger denn je; der Zorn verbitterte ihr Herz, so
dass sie wie betäubt war und fast jeden Augenblick
zu sterben wähnte; ihre Empfindlichkeit stieg auf's
Höchste: ein Wort, ein Blick, eine Bewegung war
hinreichend, um ihr Missfallen gegen Andere
hervorzurufen. Sie wusste nicht was beginnen, wohin
fliehen?
Aber gerade als
die Wut des Satans zu ihrem Verderben entfesselt
schien, warf unser Heiland einen Seiner mitleidigen
und erbarmungsvollen Blicke auf Seine Magd. Der
Tabernakel wurde der vorherrschende Gedanke ihres
Geistes; dort fand ihre Seele die wahre Stütze in
diesem Lande der Verbannung, und wenn der Kampf auch
noch nicht aufhörte, so wusste sie, wo sie Waffen
und Kraft zum Siege suchen musste, und wenn sie auch
noch zu leiden hatte, so liebte sie doch dieses
Leiden und war glücklich, dasselbe Jesu, dem
Opferlamme, darbringen zu können. --- Diese Gnade
rechnete Maria unter die hervorragendsten, die ihr
zu Teil geworden; sie beschreibt deshalb mit großer
Anmut ihre Gefühle für den im allerheiligsten
Sakramente weilenden Gott: „Zu Jesu im Tabernakel
ziehe ich mich am liebsten zurück, dort verberge
ich mich und suche Ruhe. Dort finde ich ein Leben,
das ich nicht zu beschreiben vermöchte, eine Freude,
die ich Niemand begreiflich machen könnte, einen
Frieden, wie wir ihn nur unter dem gastlichen Dach
unseres besten Freundes finden können. Jesus im
Tabernakel schützt mich gegen alle meine Feinde,
gegen den Teufel, gegen die Welt, gegen meine
Leidenschaften und gegen meine ungeordneten
Neigungen; Er ist mir Stütze in meiner Schwäche,
Trost in meinen Schmerzen, Waffe im Kampfe,
Erfrischung in der Hitze, Speise für meine hungernde
Seele, Erholung, wenn ich ermüdet, der Himmel auf
Erden. Jesus im Tabernakel ist mein Reichtum in der
Armut, mein Schatz im Elende, meine Krone im Jammer.
Jesus im Tabernakel ist mein Gott und mein Alles,
mein Jesus und mein Erlöser !"
Von diesem
Zeitpunkt datiert für Marie wie ein neuer
Lebensabschnitt. Die Andacht zur hl. Eucharistie
wurde noch mehr als früher das auszeichnende
Kennzeichen ihrer Frömmigkeit.
Zweites Kapitel.
Außergewöhnliche Gnaden, die
Marie empfängt; der Heiland belehrt sie; Prüfungen,
denen ihr Seelenführer sie unterwirft.
Am Ende des
Jahres 1839 empfand Maria eines Tages einen
unwiderstehlichen, sich ihres ganzen Wesens
bemächtigenden Drang, und demgemäß verfügte sie sich
in die Kirche. Ganz eingenommen von dem einzigen sie
beschäftigenden Gedanken gewahrte sie nichts an
ihrem Wege: Gärten, Felder, Wiesen, Menschen, alles
war ihren Augen entschwunden. Als sie endlich in die
Kirche eintrat, sah sie unsern Heiland auf dem
Altar. Er war von Seinen Engeln umgeben, aber wie
mit einer glänzenden Wolke verschleiert, wodurch sie
verhindert war, Ihn vollkommen zu unterscheiden. Das
fromme Mädchen fühlte sich unaussprechlich
glücklich; sie kam mehrmals wieder und betrachtete
demütig bei Seite stehend den göttlichen Meister,
wagte aber nicht, sich zu nahen. Er selbst nahte
sich ihr und zeigte sich deutlich ihren Augen unter
einer Gestalt voll Sanftmut und Majestät. Seit
diesem Augenblick missfiel dieser von Liebe zu dem
wahren Gute erglühenden Seele die Gesellschaft der
Geschöpfe; sie hätte ziehen, oder sich in die
Einsamkeit, oder noch lieber mit Jesus sich in den
Tabernakel verschließen mögen! Wenn Er verschwand,
oder wenn sie ihren gewöhnlichen Geschäften
nachgehen musste, legte sie, so zu sagen, ihr Herz
im Tabernakel nieder, und wachend und schlafend, bei
der Arbeit und bei der Ruhe blieb sie mit Jesus im
Sakramente der Liebe vereint.
Die Andauer
dieser ausgezeichneten Gnade sollte Marie indessen
durch Opfer und Kämpfe verdienen. Wenige Zeit darauf
sah sie, wenn sie zum Gebete kam, weder den Heiland
noch Sein Licht. Ihr Schmerz darüber war
empfindlich; sie klagte sich an, durch ihre
Gleichgültigkeit und ihre Sünden Veranlassung zu
dieser sie so tief betrübenden Entziehung der Gnade
gegeben zu haben. Schwäche und Mattigkeit
bemächtigten sich ihrer Seele; ihr Herz war voll
Traurigkeit und immerwährender Ungeduld; ihre bösen
Neigungen regten sich und ließen sie befürchten, sie
werde denselben unterliegen. Bald jedoch errötete
sie über ihren Kleinmut und sprach zu sich selbst:
„Wie feig und furchtsam bin ich. Ich warf mich, fügt
sie bei, auf die Knie und rief mit lauter Stimme:
„Herr, dein Wille geschehe! Hab' Erbarmen mit mir!"
Es scheint,
dass der Heiland nur diesen Akt vollkommener
Ergebung erwartet hatte, um Seiner treuen Dienerin
zu Hilfe zu kommen. Schon bei Beginn des Jahres
1840, am Dreikönigsfeste, erschien Er ihr wieder auf
dem Altar, und drei Jahre lang, bis zu Ende 1842
begnadigte Er Marie mit dem Anblicke Seiner hl.
Menschheit, so oft sie der hl. Messe beiwohnte. Im
Augenblick der hl. Wandlung sah sie einen hellen
Schein sich am Altare verbreiten, woraus der
göttliche Erlöser sich ihr zeigte, auf einem Throne
sitzend und strahlend von Glorie und Majestät. Seine
linke Hand ruhte gewöhnlich auf Seinem Herzen.
Scheint es nicht, als ob der Heiland Marien die
Gnadenquelle andeuten wollte, aus welcher ihr die
reichlichsten Gnaden zufließen sollten? Scheint es
nicht, als ob Er sie einladen wollte, aus Seinem hl.
Herzen, dem sie sich einst weihen sollte, zu
schöpfen?
In diesen fast
täglichen Erscheinungen wurde das demütige Mädchen
in die Geheimnisse des übernatürlichen Lebens
eingeweiht und hörte von den Lippen Jesu die
erhabensten Lehren. Es war dies wirklich eine Art
Erziehung, wobei der göttliche Meister auf fühlbare
Weise zeigen wollte, was er jener Seele ist, die Ihn
zu hören versteht und die sich Seiner Führung
überlässt. Statt wie früher von Ruhm und Größe zu
träumen, erkannte sie nun durch ihn die Eitelkeit
der irdischen Dinge, die Torheit Jener, die sich
derselben hingeben und dem gegenüber das Glück, das
man im Dienste Gottes findet und die Notwendigkeit,
sich Ihm ganz zu weihen. Mit unaussprechlicher Güte
ließ sich der Heiland herab, und bediente sich der
einfachsten und vertraulichsten Sprache, um ihr die
Heilswahrheiten zu erklären. Zuweilen sprach Er zu
ihr durch symbolische Erscheinungen, zuweilen in
Parabeln; er befragte sie und wiederholte, wenn es
nötig, dieselben Lehren.
In dem Maße als
das Licht der Gnade diese glückliche Schülerin
durchdrang, offenbarte ihr der Heiland die
erhabensten Wahrheiten der Religion. Er sprach mit
ihr von verschiedenen Geheimnissen, von Seinem
Leiden, von der wunderbaren Verbindung zwischen
Gott, den Engeln und den Menschen. Er machte sie
nicht nur mit den ausgezeichneten Vorrechten der
allerseligsten Jungfrau bekannt, sondern die
göttliche Mutter erschien ihr und sprach mit ihr.
„Ihre Stimme," sagt Marie, „war immer sanft, gütig
und zärtlich, während der Ton Jesu zuweilen streng,
und nicht selten drohend war, was ich bei Maria nie
wahrnahm."
Ist es zu
verwundern, wenn sie in einer solchen Schule
schnelle Fortschritte in der Wissenschaft des Heiles
machte? Nach ihrem eignen Ausdruck entzündete sich
das Licht in ihrer Seele, wie die Flamme aus dem
Herd, auf den man Holz und immer wieder Holz legt,
und die überdies noch von heftigem Winde angefacht
wird.
Doch das Wirken
unseres Heilandes in Marie Lataste beschränkte sich
nicht darauf, ihren Verstand zu erhellen, sondern Er
führte sie, gleich einer zärtlichen und klugen
Mutter, Schritt für Schritt auf dem Pfade der
Vervollkommnung: Er hielt sie aufrecht, wenn sie
strauchelte; Er erhob sie, wenn sie gefallen und
behandelte sie je nach Umständen, bald mit milder
Güte, bald mit unbeugsamer Strenge. Sie selbst gibt
solche Beispiele mit der ihr eigentümlichen Einfalt
an und erzählt die Vorwürfe, welche unser Heiland
ihr einst machte, als sie ihn mit Gleichgültigkeit
und Leichtsinn angehört hatte: „Ich sah, sagt sie,
wie Sein Antlitz strenge wurde; Seine Blicke auf
mich haftend sprach Er mit rügendem Tone: „Wer bist
du, dass du die an dich gerichteten Worte so
nachlässig aufnimmst? Stolzes Mädchen, kennst du
dich selbst? Du bist ein Nichts, nur Sünde und
Verderben und dennoch leihst du meinen Worten kein
Gehör? Glaubst du, ich redete mit dir wegen deines
Verdienstes? Nur aus Barmherzigkeit unterrichte ich
dich, ich schulde dir keine Belehrung. Hüte dich,
dieselbe zu verachten; hüte dich, stolz zu werden;
hüte dich deshalb, über andere dich zu erheben. Mein
Wort allein macht dich nicht selig, du musst
mitwirken. Meine Worte werden dir kein Verdienst
erwerben, sondern nur durch Befolgung derselben
wirst du Verdienst erlangen. Mein Wort kehrt nicht
unnütz zurück. Was ich dir sage, würde hinreichen,
Millionen Heiden zu bekehren. Wehe dir,
Unglückliche, wenn du keinen Nutzen daraus ziehst!
Wisse, dass du dich immer vor mir demütigen musst,
denn du bist nur Staub und Asche, nur Sünde und
Verderben, und Ich bin der allmächtige Gott, der
unendlich vollkommene Gott, der dreimal heilige
Gott, der Heilige der Heiligen, die Heiligkeit
selbst! Ich erwähle die Könige, vor Mir erzittern
die Monarchen und die Mächtigen aus ihren Thronen.
Ich durchforsche die Herzen und Nieren. Nichts, was
unter den Menschen geschieht, entgeht mir; ich kenne
ihre geheimsten Gedanken. Sei also treu und merke
auf meine Worte." --- Also sprach der Heiland auf
strenge Weise zu mir, Seine Worte gingen mir tief zu
Herzen." --- Sie fügt hinzu, dass Er jedesmal also
verfuhr, wenn Er es gut und zu ihrem Heile
zuträglich fand.
Wenn jedoch
Anfangs zuweilen auch fremdartige Empfindungen und
Gedanken diese noch so unerfahrene Seele abzogen,
und sie vom göttlichen Meister gerechte und strenge
Verweise erhielt, so hörte sie dennoch gewöhnlich
mit hl. Begierde, mit
kindlicher Ehrfurcht auf die Stimme Jesu, und wenn
sie schüchtern und furchtsam, verlegen und mutlos
war, so kam der göttliche Heiland ihr mit der Güte,
der Sanftmut und der Zärtlichkeit eines Vaters
entgegen, indem er sprach: „Komm, mein Kind, nahe
dich mir vertrauensvoll, erhebe dich. Ich bin dein
Vater, liebe mich, wie ein Kind. Sprich voll
Vertrauen zu Mir, fürchte Nichts, entdecke Mir deine
Leiden, Ich will sie lindern. Komm zu Mir, Ich will
deine Trübsale in Freuden, deine Seufzer in
Jubelgesänge verwandeln, deine Peinen und Schmerzen
werden vergehen, sie dauern nur kurze Zeit und in
dem Himmel wirst du nur Glück und Seligkeit finden."
--- Und Marie fand Ruhe und Freude; es schien ihr,
als ob sie diese Gefühle aus dem göttlichen Herzen
schöpfe, oder als ob sie den göttlichen Lippen
gleich einem fruchtbaren Tau entströmten und ihr
ganzes Wesen durchdrängen. Im Laufe des ersten
Jahres prüfte der Heiland mehrmals den Gehorsam und
die Liebe Seiner Magd, indem Er ihr für Augenblicke
Seine hl. Gegenwart entzog, oder sich ferne von ihr
hielt. Er fand sie unterwürfig und Seinem hl.
Wohlgefallen ergeben, woraus Er dann Seiner
Freigebigkeit keine Schranken mehr setzte. In
derselben Zeit hatte Er sie beten und betrachten
gelehrt. Er weihte sie nach und nach in die
verschiedenen Stufen des innerlichen Gebetes ein und
lehrte sie das Wesen und die Ausübung aller
Tugenden.
Auch der
Anblick der hl. Engel wurde dieser auserwählten
Seele bewilligt; besonders erschien ihr oft ihr hl.
Schutzengel und half ihr in Augenblicken des Kampfes
ihre Feinde überwinden.
Das willig
aufgenommene Wort Gottes kann nicht unfruchtbar
bleiben; daher kam es, dass Alles, was an der
vielgeliebten Schülerin Jesu noch mangelhaft war,
bald verbessert wurde. Beim Betrachten ihres
göttlichen Meisters, beim Hören Seiner Stimme
empfand sie eine bis dahin unbekannte Kraft und
Stärke. Sie wurde mehr und mehr losgeschält von der
Welt, hatte weniger Eigenliebe, war gefälliger gegen
ihre Mitmenschen, fühlte sich mehr zu Gott
hingezogen, und diese gute Stimmung nahm mit dem
himmlischen, die Finsternisse ihres Verstandes
zerstreuenden Lichte zu. Sie schien sich selbst ein
Fruchtbaum zu sein, dem der Morgenthau und die
Sonne, ohne sein Verdienst, Früchte entlocken.
Trotzdem fand sie Kraft, jeden Tag den heldenmütigen
Akt zu verrichten: „Mein Gott, ich Opfere dir, wenn
es dein hl. Wille ist, Deine süße Gegenwart." --- Im
Anfang hielt das fromme Mädchen, wie sie seitdem
selbst gesagt, sich nicht für besonders begnadigt;
sie glaubte, viele andere genössen dieselben Gnaden;
dennoch sprach sie nur mit ihrem Beichtvater darüber
und dies nur im Allgemeinen. Dieser jedoch, der den
ganzen Umfang ihrer Unschuld und Geradheit kannte,
schien ihr gegenüber wenig Gewicht auf die ihr
erteilten Gnaden zu legen.
Im Jahr 1840
wurde dieser würdige Geistliche auf eine andere
Pfarrei berufen, und Hr. Abbe Pierre Darbins
ersetzte ihn in Mimbaste. Marie fühlte wohl, wieviel
sie der klugen Sorgfalt des Pfarrers verdanke, der
sie seit ihrer Kindheit geleitet hatte und war daher
über seine Abreise tief betrübt. Auch war es ihr
schwer, dem neuen Seelenhirten alles anzuvertrauen,
was in ihr vorging und dessen sie sich für unwürdig
hielt; daher sah er anfänglich in ihr nur ein
Mädchen von geordneten, guten Sitten. Allein durch
die Lehren unseres Heilandes hatte sie einen hohen
Begriff von der Mission des Priesters: sie sah in
ihm den Stellvertreter des göttlichen Meisters, der
uns Seinen hl. Willen verkündigt. Bei dieser
Gelegenheit hatte ihr Jesus auch gezeigt, wie
notwendig es für jede Seele auf dieser Welt sei,
einen Führer aus dem Wege des Heils zu haben. Diese
Notwendigkeit war bei ihr, um sie vor Täuschung zu
bewahren, noch notwendiger und der Heiland befahl
ihr, dem gewählten Führer Nichts zu verbergen.
Eingedenk dieser ihr so hl. Belehrung sah Marie in
ihrem Widerwillen nur einen Fallstrick des Teufels;
sie überwand diese Scheu mit ihrer gewöhnlichen
Hochherzigkeit und entdeckte sich vollständig dem
Abbe Darbins. Dieser war höchlich erstaunt über das,
was er hörte; allein er war keiner dieser
oberflächlichen Geister, die Alles verwerfen oder
annehmen, ohne es zu prüfen. Er war von Natur
nachdenkend und zurückhaltend, daher sprach er sich
nicht über das Wesen dieser Offenbarungen aus, und
entschloss sich, sein Beichtkind durch Gehorsam und
Demütigungen zu prüfen. Er untersagte ihr alle
Abtötungen, die sie sich auferlegt hatte und entzog
ihr die häufige Kommunion; sie jedoch gehorchte ohne
sich je die geringste Bemerkung zu erlauben.
Der würdige
Pfarrer wollte indessen nicht allein handeln und
beratschlagte sich noch mit dem, durch Alter,
Erfahrung und Frömmigkeit erleuchteten Abbe
Dupérier, dem Direktor und Professor der Theologie
am Priesterseminar in Dax, der durch seine
Gelehrsamkeit und Weisheit allgemein bekannt war.
Beide fassten den Entschluss, das junge Mädchen
dahin zu bringen, dass sie Alles niederschreibe,
was sie bis jetzt gesehen und gehört habe, und in
Zukunft hören oder sehen werde; gewiss war dieser
Gedanke ihnen vom hl. Geiste eingegeben, welcher die
einer einzigen Seele mitgeteilten Belehrungen auf
mehrere Seelen ausdehnen wollte. Ein solches
Unternehmen war indessen schwierig; denn wie sollte
es einem einfachen Dorfmädchen, das kaum schreiben
konnte, gelingen, die Worte Gottes über ernste und
erhabene Gegenstände niederzuschreiben? Hätten nicht
selbst Gelehrte daran scheitern können? Wie sollte
ihr, bis dahin so wenig gepflegtes Gedächtnis sie an
Alles das erinnern, was sie seit beinahe zwei
Jahren gehört hatte? Wie sollte sie überdies Zeit zu
einer so langen Arbeit finden, da alle ihre Stunden
durch Beschäftigungen sowohl im Hause als auf dem
Felde ausgefüllt waren? Denn sie teilte sich mit
Mutter und Schwestern alle Arbeiten; endlich, wie
wird es möglich sein, sich allen Blicken zu
entziehen, um ihre Aufgabe zu lösen? --- Man sieht,
an Entschuldigungen würde es nicht gefehlt haben,
wenn sie sich dem ihr gewordenen Befehl hätte
entziehen wollen; allein Gott hatte durch Seinen
Diener gesprochen, und Maria unterwarf sich, indem
sie auf die dem Gehorsam verheißene Hülfe von Oben
hoffte.
Ihre Hoffnung
wurde nicht getäuscht; sie erzählt selbst in ihren
Briefen, auf welche Weise ihr der Heiland zu Hilfe
gekommen, um die Erinnerung an die Vergangenheit in
ihrem Gedächtnisse wieder aufzufrischen. Überdies
stand sie auf Seinen Befehl sehr frühe auf, um sich
mit Aufschreiben zu beschäftigen und verwendete dazu
auch noch einen Teil ihrer Nächte. Des Tages über
bereitete sie sich darauf vor und benützte dazu die
Zeit des Hütens bei der Herde. So gelang es ihr, im
Verlauf von zwei Jahren mit unbegreiflicher
Schnelligkeit die erhabenen Lehren des göttlichen
Meisters niederzuschreiben. Man darf jedoch nicht
glauben, dass ihr dies keine Mühe verursachte, im Gegenteil
empfand sie oft großen Widerwillen, so
dass sie später
gestand, sie hätte viel lieber gegraben oder
Unkraut gejätet. Als gehorsames und vertrauendes
Kind klagte sie sich bei Jesus darüber an, der dann
zuweilen ihren Kleinmut strenge rügte, zuweilen auch
sie freund- lich ermutigte, und dann fand sie ihre
Ausgabe leicht und angenehm.
Damit Niemand
ihr Geheimnis erfahre, verschloss sie sorgfältig
alles, was beendigt war, bis zu dem Augenblicke, wo
sie es ihrem Seelenhirten einhändigen konnte.
Einmal jedoch
bemerkte Margaretha einige dieser Blätter und
durchlas sie; Marie überraschte sie dabei, und auf's
Äußerste bestürzt, bat sie ihre Schwester inständig,
ihr eidlich ein immerwährendes Stillschweigen zu
geloben über alles, was sie gesehen habe und von nun
an Nichts mehr zu lesen, was ihr unter die Hände
kommen könnte. Marie sprach dies mit solchem Ernste
und solcher Kraft, dass ihre Schwester ganz
ergriffen wurde und Alles versprach, was sie auch
stets getreu erfüllte.
In Seinen
Unterredungen mit Seiner treuen Dienerin hatte der
Heiland ihr auch gesagt, dass Er sie zu Seiner Braut
erwähle; Er hatte ihr angekündigt, dass Er sie aus
der Welt führen und ihr einen Platz in der Seinem
hl. Herzen geweihten Gesellschaft anweisen würde.
Glücklich und dankbar über diesen Ruf hätte sie ohne
Aufschub sich dahin begeben mögen; sie hatte auch
nicht unterlassen, ihrem Beichtvater davon zu
sprechen; allein Hr. Darbins wollte vor der
Entscheidung einer so wichtigen Sache, wie es der
Beruf ist, zuerst noch klarer unterscheiden, welcher
Geist seine geistliche Tochter belebe, und
unterstützt durch den Rat des Hrn. Dupérier
unterwarf er sie einer sorgfältigen, zweijährigen
Prüfung. Nicht zufrieden mit dem von ihnen
geforderten Bericht, den sie sich, mit Mariens
Erlaubnis gegenseitig mitteilten, nahmen sie Einer
nach dem Andern mündliche Besprechungen über Alles,
was in ihr vorging, mit ihr vor, und suchten sie
durch spitzfindige und feine Einwürfe zu verwirren;
sie stellten ihr zu wiederholten Malen und aus
verschiedene Weise dieselben Fragen, um sich zu
überzeugen, ob ihre Worte immer das Gepräge der
Wahrheit hätten. Maries Antworten waren stets
einfach, genau, dem Inhalt nach immer vollkommen
gleich. Oft schrieb sie dieselben nieder, entweder
weil sie fürchtete, sich nicht deutlich genug
erklären zu können, oder auch, weil ihr Beichtvater
dieselben schriftlich verlangte, daher kommt es,
dass wir deinen ganzen Band ihrer Briefe sammeln
konnten, welche nach ihren eigenen Worten bestimmt
sind, die in ihren Werken vorkommenden Lücken
auszufüllen. Sie hatte den Befehl erhalten, Alles zu
offenbaren, und der Heiland hatte ihr diesen Befehl
selbst ausdrücklich wiederholt, indem Er sagte:
„Berichte stets getreu sowohl meine Worte, als deine
Gefühle; sei es nun für oder gegen dich, möge es dir
außergewöhnlich oder ungereimt erscheinen, oder
weise und klug, verbirg Nichts, ich befehle es dir."
--- Sie gehorchte und das Gepräge der Offenheit und
Einfalt ihres Stiles beweist klar, dass ihre einzige
Absicht nur dahin ging, Jenem, den sie als ihren
Vater und Führer ansah, die geheimsten Regungen
ihrer Seele zu entdecken, damit er sie beurteilen
und leiten könne. Mochte das, was sie schrieb ihr
zum Tadel oder zum Lobe gereichen, sie gab sich
immer demselben Freimut hin: „Ich teile Ihnen mit,
was ich empfunden habe; Sie können darüber denken,
was Ihnen beliebt . . . Das ist, mit voller Wahrheit
gesagt, was der Herr Jesus mir geoffenbart hat;
denken Sie darüber, wie Sie es für gut halten. . . .
Diese Dinge müssen Sie wenig interessieren; allein
es ist das Leben ihres Kindes. Leiten Sie dasselbe,
zeigen Sie ihm die Wahrheit; ich verlasse mich auf
Sie. ... So lange Sie mir befehlen, werde ich alles
schreiben, wie ich ebenso schnell aufhören und weder
schriftlich noch mündlich mehr Etwas sagen werde,
wenn Sie es mir verbieten." . . . Diese hier und
dort aufgehobenen Sätze, welche alle in
verschiedenen Ausdrücken denselben Sinn enthalten,
beweisen hinlänglich Marie Latastes Losschälung,
ihre Unterwürfigkeit und ihren Glauben. In ihren
Briefen findet man nichts ihrem einzigen Ziele
Fremdartiges, und immer sind sie ehrfurchtsvoll und
demütig geschrieben. Ja, es kam eine Zeit, wo die
Zweifel, die man über ihren Zustand absichtlich
äußerte, sie so ängstlich machten, dass sie nicht
mehr, wie sonst, zu sagen wagte: „Der Heiland hat
also zu mir gesprochen", sondern „die Stimme, die zu
mir spricht" oder: „Jesus sagte mir, denn ich glaube
wohl, dass Er mit mir gesprochen etc."
Drittes
Kapitel.
Mariens Lebensweise, ihr
Charakter, ihre Tugenden, Einfluss den sie auf ihre
Gefährten ausübt. Achtung und Verehrung, die man ihr
zollt.
Herr Abbe
Darbins beobachtete den Lebenswandel seines
Beichtkindes mit großer Sorgfalt und bis in die
geringsten Einzelheiten, konnte aber in demselben
nur Erbauendes finden. In dem Äußeren des jungen
Mädchens nahm man nichts Besonderes und
Außergewöhnliches wahr; nur durch Eines machte sie
sich bemerkbar, durch ihre große Andacht im Hause
des Herrn. Sie selbst gibt uns mit folgenden Worten
Rechenschaft von den Empfindungen, die sie
beseelten, wenn ihr die Gnade zu Teil wurde, den in
der hl. Eucharistie verborgenen Gott zu betrachten:
„Ich liebe den Heiland! Ihn mehr und mehr zu lieben
ist der innigste Wunsch meines Herzens; deshalb
besuche ich Ihn, so oft es mir möglich ist, im
allerheiligsten Sakrament des Altars . . . Seitdem
Er mir gnädigst gestattet, Seine Stimme zu hören,
war es immer an hl. Stätte ... Wenn ich Ihn höre,
sehe ich Ihn auch jedesmal von Angesicht zu
Angesicht. Dann geht in mir eine unbeschreibliche
Veränderung vor. Ich meine dann ganz allein mit
Jesus zu sein; ich sehe nichts Anderes mehr, ich
habe weder Aug' noch Ohr für die mich umgebenden
Gegenstände, ich fühle nichts Anderes. Meine Augen
sehen nur den Erlöser; meine Ohren hören nur den
Erlöser; mein Herz liebt nur den Erlöser; mein
ganzes Wesen hat für nichts Anderes Empfindung als
für den Erlöser." --- An einer anderen Stelle sagt
sie, dass es ihr vorkomme, als ob der Gebrauch ihrer
Sinne und deren ganze Tätigkeit sich in ihrer Seele
konzentrierten. --- Seitdem sie dieser Erscheinungen
gewürdigt wurde, sah man sie in der Kirche immer
auf den Knien, unbeweglich, mit gefalteten Händen
und die Augen gewöhnlich auf den Tabernakel oder den
Altar geheftet. Wenn sie sich in die Kirche zum
Gebet begab, war ihre Freude stets so groß, dass
ihre Züge davon widerstrahlten, und wenn sie, nach
einer ihrer Unterredungen mit dem Erlöser aus der
Kirche trat, fiel allen ihre heitere, strahlende
Miene aus. Eine ihrer Freundinnen machte ihr eines
Tages eine Bemerkung darüber und sagte ihr: „Marie,
du scheinst immer außergewöhnlich glücklich, wenn
du die Kirche betrittst oder verlässt! Ich weiß
nicht, antwortete das fromme Mädchen, ob dies sich
äußerlich kund gibt; allein ich gestehe offen, dass
es in meinem Innern also ist. Die Ursache davon ist
ganz einfach: Die Kirche ist das Haus Gottes, wenn
ich hineintrete, scheint es mir, als ob ich näher
bei Gott, bei unserm Heiland, bei der hl. Jungfrau,
den Engeln und Heiligen sei. Wenn ich hinausgehe,
bin ich glücklich, dass ich mich Gott, unserm
Heiland, der hl. Jungfrau, den Engeln und Heiligen
habe nähern können, und besonders darüber, dass ich
mich einige Augenblicke mit ihnen unterhalten
konnte. Ich weiß ihnen nicht viel zu sagen, aber ich
sage eben, was ich weiß. Hier auf Erden ist die
Lehrlingszeit für den Himmel, dort werden wir besser
zu reden verstehen, als auf Erden. Jetzt kann ich
nur stammeln; aber ich tue es mit großem Vergnügen."
Man sieht, wie
erfinderisch sie war, um die ihr gewordene Gnade zu
verbergen, ja selbst ihre vertrauteste Gefährtin
erfuhr nie Etwas darüber.
Sie hatte sich
eine einfache und ihrer Stellung angemessene
Tagesordnung gemacht, die sie, soviel es die
Umstände erlaubten, pünktlich einhielt. Sie stand
sehr frühe auf und ihr erster Akt war, sich im
Geiste vor das allerheiligste Sakrament zu begeben
und Jesu ihr Herz und alle Handlungen des Tages
aufzuopfern; hierauf verrichtete sie ihr
Morgengebet und machte eine halbstündige
Betrachtung. Ihre übrigen Andachtsübungen waren: die
hl. Messe, wenn sie derselben beiwohnen konnte, der
Rosenkranz, verschiedene Bruderschaftsgebete, eine
geistliche Lesung, das Partikular-Examen um die
Mittagszeit und Abends das Nachtgebet mit
Gewissenserforschung. Sie legte sich nie nieder,
bevor sie Alles im Hause geordnet und ihre Arbeit
beendet hatte, außer wenn sie ein dringendes
Bedürfnis nach Ruhe fühlte. Oft jedoch schlief sie
nur auf dem harten Boden, bis diese Bußübung ihr
untersagt wurde. In der Schule des gekreuzigten
Erlösers hatte sie gelernt, dass, seitdem der Mensch
durch Auflehnung gegen Gott zur Buße verurteilt
ward, jene Buße, die er freiwillig übernimmt,
doppelt verdienstlich ist; ebenso wusste sie auch,
dass die Abtötung eine der mächtigsten Waffen gegen
den Teufel sei.
Am Morgen und
öfters unter Tags vereinigte sie sich durch die
geistliche Kommunion mit unserm Heilande. Jesus
hatte ihr diese Übung selbst gelehrt und angeraten.
Wenn ihr Beichtvater, in der Absicht sie zu prüfen,
ihr nur die monatliche Kommunion gestattete, so
schöpfte sie in der geistlichen Kommunion Trost und
Kraft. Mit Bewilligung ihres Beichtvaters fastete
sie zweimal in der Woche; einmal zu Ehren der
allerseligsten Jungfrau und das andere Mal zu Ehren
des leidenden Herzens Jesu. Der Heiland hatte ihr
gesagt, dass ihm diese letztere Meinung vorzüglich
angenehm sei. Ebenso hatte der Heiland sie auch
darüber belehrt, dass sie sich stets ihren
Standespflichten unterziehen und ihre Gewohnheiten
und ihren Geschmack denselben unterordnen müsse.
Ihr Charakter
war von Natur ernst, wie hätte sie daher Geschmack
an der ausgelassenen Freude finden können, der die
leichtsinnige und unbedachte Jugend nur zu oft sich
überlässt. Ihre Prüfungen und die Lehren Jesu hatten
sie überdies frühzeitig in eine Stimmung versetzt,
die sonst nur dem reiferen Alter eigen ist; sie
selbst beschreibt ihre Gefühle, die ihr die Welt
schon als Kind einflößte: „Die Welt, sagt sie,
verlangt Freiheit im Handeln, und da ich schüchtern
war, so hasste ich die Welt; die Welt verlangt
Reichtum und da ich arm war, so hasste ich die Welt.
Ich hatte Nichts von Allem, was mir die Welt
angenehm gemacht hätte und sprach deshalb zu mir
selbst: „Hasse die Welt, die dich verachtet und dich
mit Füßen tritt.“ Später sah sie aus den schweren
Kämpfen, die sie mit sich selbst und dem Teufel zu
bestehen hatte, welch' große Gefahren der Reichtum
und die Vergnügungen für sie gehabt hätten. Sie
hasste nun die Welt umso mehr; allem ihr Hass
entsprang jetzt einem ganz andern viel edleren
Grunde. Nachdem sie den göttlichen Meister und Seine
Plane hatte kennen lernen, hegte sie den
beständigen Wunsch, die Welt zu fliehen, sie zu
verlassen, um sich Gott ganz zu weihen.
Sie betrachtete
das Leben in dem Lichte, wie es ihr Jener, dessen
Wort die ewige Wahrheit ist, gezeigt hatte, nämlich
als das Ringen eines vernünftigen Wesens, welches
sich dadurch entweder die ewige Glorie oder die
Verdammung verdient ... als eine Verbannung, als
einen Übergangsort, als ein in der Wüste nur für
einen Tag aufgerichtetes Zelt. Daher vermochte
Nichts auf Erden ihren Geist und ihr Herz zu
fesseln. „Jesus allein," sagt sie, „könne ihren
Durst nach Glück und Seligkeit stillen," und bereits
mit 20 Jahren, in jenem Alter der Täuschungen,
schrieb sie: „Um Jesu für immer und sogleich zu
besitzen, würde ich gerne mein Leben dahingeben; ich
würde mit Freuden für Ihn in der Blüte meiner Jahre
sterben, wenn ich dadurch meine ewige, fortwährende
Vereinigung mit diesem treuen Freunde, mit diesem
liebenden Vater, mit diesem zärtlichen Bräutigam,
mit diesem erbarmungsvollen Erlöser, mit diesem so
unendlich heiligen und vollkommenen Gott
beschleunigen könnte.
In Folge ihrer
inneren Leiden war sie überhaupt nur wenig
mitteilsam; ihre Zurückhaltung war manchmal so groß,
dass Hr. Darbins versucht war, sie für Traurigkeit
zu halten, und die Ursache davon wissen wollte. Er
und Hr. Duperrier kamen darin überein, sie noch in
Unkenntnis über den Ursprung ihrer Gnaden zu lassen,
daher kam es, dass sie während ihrer Unterredungen
mit dem Heilande oft fürchtete, der Spielball ihrer
Einbildungskraft oder der List des Teufels zu sein;
sie sprach dann zu sich selbst: „Was geht in mir
vor? Wo komme ich hin? Bin ich in der Hand Gottes?
Oder bin ich ein Opfer von Teufelstrug, der die
Gestalt eines Engels des Lichtes angenommen hat“?
Es gab
Augenblicke, wo sie sich verlassen, schwach und
kraftlos fühlte; sie litt alle erdenklichen
Versuchungen, war von tausend Feinden umgeben; sie
lag im Kampfe mit ihrem eigenen Ich, fühlte sich
gedemütigt durch die sie verfolgenden Täuschungen.
In diesen Verwirrungen nahm sie ihre Zuflucht zu
Jesus; Er beruhigte und tröstete sie wie eine
zärtliche Mutter; daher vermochten auch all diese
Stürme nicht die höheren Kräfte ihrer Seele zu
erschüttern, und wenn ihr Seelenführer sie hierüber
befragte, konnte sie ihm mit voller Wahrheit
antworten: „Ich überlasse mich unbedingt dem Willen
Gottes, meines himmlischen Vaters! Ich weiß, dass
Alles, was mir geschieht, Sein hl. Wille ist, und
dass es so zu Seiner Ehre und zu meinem Heile
gereicht, daher danke ich Ihm dafür! Ein Vater tut
Nichts, was seinem Kinde nachteilig wäre, wenn er
ein wahrer Vater ist, d. h. wenn er ein gutes,
zärtlich liebendes Herz hat. Wie könnte aber je die
Güte eines Vaters mit der Güte Gottes verglichen
werden? Deshalb fürchte ich Nichts, ich bin nicht
unruhig, ich bin voll Vertrauen und meine Seele ist
immer friedlich und mein Herz freudig, wenn es sich
auch äußerlich nicht kund gibt.
Ein besonders
hervorragendes Merkmal ihrer Tugend war eben diese
Unterwürfigkeit und kindliche Hingabe an Gottes hl.
Willen. Ein Gegenstand der besonderen Vorliebe
Jesu, hatte sie empfunden, --- soviel dies einem
Geschöpfe möglich, --- welche Schätze der Erbarmung
und Güte das allerheiligste Herz Jesu enthält; ihre,
den Lehren des göttlichen Meisters folgsame Seele,
hatte sich geläutert und von Allem, was nicht Gott
war, losgeschält, somit war ihr Vertrauen
unerschütterlich. Gleichgültig für die Dinge dieser
Welt, nahm sie Leiden und Widerwärtigkeiten als
Hilfsmittel an, die sie mehr und mehr dem einzigen
Gegenstand ihrer Liebe vereinigen sollten. Bei einer
solchen Stimmung konnte sie weder traurig noch
strenge und herb sein: auf ihrem Antlitze malte sich
Ruhe und Heiterkeit, ein sanftes und bescheidenes
Lächeln schwebte auf ihren Lippen, wenn man mit ihr
sprach; allein mit zärtlichen Beweisen von Liebe war
sie sehr zurückhaltend. In ihrer Familie erwies sie
sich immer emsig und arbeitsam; gegen ihre Eltern
war sie stets voll Rücksichten, Ehrfurcht und
Gehorsam. Da sie jedoch ihren Beruf kannte und
wusste, dass sie ihre Eltern verlassen müsse, so
erlaubte sie sich nie, ihnen in dem Maße ihre
kindliche Zärtlichkeit zu zeigen, wie sie dieselbe
empfand; und zwar lag dieser Handlungsweise die
zarte Rücksicht zu Grunde, ihren teueren Eltern
dadurch den bevorstehenden Abschied und das damit
verbundene Opfer zu erleichtern. Vater und Mutter
wusste sie für die Tage des Alters geborgen, da ihre
Schwester Margaretha mit ihrem reichen Herzen ihnen
verblieb.
Ihre, eine
Viertelstunde von Mimbaste entfernte Wohnung war
nur von wenigen Häusern umgeben; dies, nebst ihrem
Hang zur Einsamkeit, war die Ursache, dass sie wenig
Umgang mit jungen Mädchen ihres Alters hatte.
Demungeachtet war sie ihnen ein Vorbild und eine
Stütze. Auch stimmen alle in der Behauptung überein,
dass sie der Gemeinde stets zur größten Erbauung
war, und dass ihre Tugend, ihre engelgleiche
Sanftmut über Alle eine Gewalt ausübte, der man
nicht widerstehen konnte. Sie verstand es, ihr
Ansehen mit solchem Takt, mit solcher Umsicht, mit
so zarter Liebe und Wohlwollen zu benutzen, dass
Alles, was die „Marie von der großen Eiche" --- so
pflegte man sie zu benennen --- sagte, gut
aufgenommen wurde. Mit ihr musste man durchaus
immer nur von Gott oder von frommen Dingen reden;
allein man tat es stets gerne, so gut verstand sie
es, die Unterhaltung darauf hinzulenken und
dieselbe interessant zu machen; es wurde ihr dies
leicht, weil sie aus ihrem vollen Herzen schöpfte
und andere daran Teil nehmen lassen wollte.
Alle Zeit der
Wochentage war für die Arbeit bestimmt, daher
entschädigte sie sich am Sonntag, den sie größten-
Teils zum Gebete und zum Besuch des Gottesdienstes
verwendete. Den übrigen Teil des Tages vereinigte
sie sich mit ihren Gefährtinnen, und unter diesen
wählte sie vorzugsweise Jene, welche die erste hl.
Kommunion mit ihr gemacht hatten. In diesen Stunden
war es besonders, wo sie die Lehren .des Heilandes
über die Art und Weise die Freundschaftsverbindungen
zu heiligen befolgte, wodurch auch ihre Freundinnen
an dem Segen dieser Lehren Anteil hatten.
Von mehreren
sie genau kennenden Personen sind uns einige Züge
mitgeteilt worden, welche beweisen werden, was wir
so eben aussprachen. Vielleicht findet man, dass wir
zu sehr ins Einzelne eingehen; allein entschleiert
sich nicht der Charakter vorzüglich im Umgange mit
der Familie und den Freunden, und kann man nicht
gerade hierin die Persönlichkeiten am besten
beurteilen? Die Umwandlung, die mit Mariens
Charakter vorgegangen war und die Eigenschaften
ihres Herzens zeigten sich auffallend in den
vertrauten Gesprächen mit Jenen, die sie liebte und
in jenen Handlungen, die, so zu sagen, nur Gott zum
Zeugen haben.
Ein junges
Mädchen, dessen Familie arm war und durch mühsame
Arbeit sich ihr Brot verdienen musste, hatte sich
entschlossen, in Dax in einen Dienst zu treten, um,
wie sie sagte, auf leichtere Art ihren Unterhalt zu
erwerben. Marie Lataste erfuhr davon und --- die
Gefahren befürchtend, welchen das junge, unerfahrene
Mädchen in einer Stadt ausgesetzt wäre, entschloss
sie sich, dieselbe von ihrem Vorhaben abzubringen.
Als sie diesem Mädchen daher zufällig begegnete,
entspann sich folgende Unterhaltung zwischen ihnen:
---
„Meine liebe Freundin, sagte Marie zu ihr, in
einigen Tagen willst du mir also einen großen Kummer
bereiten?"
---
„Wieso, ich liebe dich zu sehr, als dass ich dich
betrüben möchte!"
---
„Ich weiß, dass du mich liebst, und dennoch, ich
wiederhole es, wirst du mir bald großen Kummer
bereiten und zwar nicht nur mir, sondern ebenso
deiner Mutter, die du doch auch liebst."
---
„Um Gotteswillen erkläre dich, sei versichert, dass
ich Nichts tun möchte, was dich oder meine Mutter
betrübt."
---
„Versprichst du mir dies?"
---
„Ich verspreche es dir!"
Hieraus
entdeckte ihr Marie, was sie in Betreff ihrer Pläne
und Entschlüsse gehört habe, stellte ihr vor, wie
notwendig sie ihrer Mutter sei, in welche
Verlegenheiten dieselbe durch ihr Weggehen käme und
endlich wie schmerzlich es dieser guten Mutter
sollen müsse, sich vereinsamt zu sehen; zuletzt wies
sie aus ihren eignen Vorteil hin und fügte bei: „
Glaubst du in Dax glücklicher zu sein, als du .jetzt
bist? Dort wird es noch mehr Arbeit geben als hier;
man wird dir strenge Befehle erteilen; du musst
deinen Kummer in der Stille ertragen, während du
hier deine Mutter und deine Gefährtinnen zum Troste
hast. --Hältst du unsere Freundschaft und die
Genüsse des Familienlebens für Nichts? Glaube mir,
bleibe in Mimbaste; wenn du viel Arbeit hast, und
recht müde bist, so sage es mir; meine Mutter wird
mir gewiss erlauben, dir zu helfen und ich tue es
mit tausend Freuden."
In diesen
Bemerkungen lag so viel Liebe und Zartheit, dass sie
mit vollem Erfolg gekrönt wurden.
An einem
Sonntag trat Marie Lataste Nachmittags eben in die
Kirche ein, um der Vesper beizuwohnen, als zwei
junge Mädchen lachend und plaudernd aus derselben
herauskamen. Dies betrübte sie tief, und als sie,
wenige Tage später einer derselben begegnete, sprach
sie mit jener Sanftmut, die sie durch ihre
Selbstüberwindung erlangt hatte, zu ihr:
,,Du bist mir
teuer, liebe N., und ich gedenke mit Freuden daran,
dass du meine Gefährtin bei der ersten heiligen
Kommunion warst, deshalb möchte ich dir heute einen
Beweis meiner Liebe geben; allein ich getraue mir
nicht!"
--- „Warum
getraust du dir nicht? Ich werde ihn, sei dessen
überzeugt, mit Dank hinnehmen!" --- ---„Ich fürchte
eben, dass der Beweis von Freundschaft, wie ich ihn
verstehe, dir missfällt."
--- ,,Fürchte
das nicht, ich werde alles mit Freuden annehmen."
--- „Da dem so ist, so will ich eine so gute
Gelegenheit nicht verlieren. Erinnerst du dich, was
am letzten Sonntage, einige Augenblicke vor der
Vesper geschehen ist? Das unbedachte Mädchen hatte
es vergessen; bald jedoch gestand sie, mit Hilfe
ihrer Freundin ihren Fehler: „Ich verstehe, was du
sagen willst, ich habe dir ein Ärgernis gegeben, und
ich verdiene sicher die Vorwürfe, die du mir zu
machen gedenkst. Ich habe schon daran gedacht, mich
bei dir zu entschuldigen; aber ich habe bis jetzt
keine Gelegenheit dazu gefunden."
--- „Nein,
antwortete Marie, ich will nicht, dass von Vorwürfen
die Rede sei und da du von Entschuldigung sprichst,
so musst du dieselben nicht mir, sondern dem lieben
Gott vorbringen; die Kirche ist nicht fern, lass uns
gleich hineingehen und Gott um Verzeihung bitten!"
„Gerne, da du mir indessen keine Vorwürfe machen
willst, so wirst du wenigstens für mich beten."
--- „Es sei,
sagte Marie, und wenn ich nicht vernünftig bin,
wirft du für mich das Gleiche tun!
An einem
anderen Sonntag waren mehrere Landmädchen nach der
Vesper bei einander und unterhielten sich mit Marie;
Eine unter ihnen war auffallend vergnügt; man
befragte sie nach der Ursache ihrer Freude und sie
sagte:
--- „O, mein
Vater hatte mit einem benachbarten Hauseigentümer
einen Prozess, wenn er denselben verloren hätte,
wären wir in große Verlegenheiten geraten; allein
glücklicher Weise hat unser gutes Recht gesiegt und
deshalb bin ich heute fröhlicher als gewöhnlich. Ich
habe dem lieben Gott heute von Herzen dafür gedankt
und Ihn gebeten den Unternehmungen meiner Familie
Glück zu verleihen, unsere Ernte zu segnen, und
unsern Wohlstand und unser kleines Vermögen zu
vermehren."
Als Marie
Lataste diesen einfachen Freudenausdruck hörte,
lächelte sie zuerst darüber und da die Andern Nichts
erwiderten, so ergriff sie das Wort und sagte:
--- „Du möchtest
also reich werden, liebe N.?" --Aus die bejahende
Antwort fügte sie bei: „Wenn ich durch Reichtum mehr
zur Ehre Gottes beitragen und besser an meiner
Vervollkommnung arbeiten könnte, so würde mein
Wunsch mit dem deinigen übereinstimmen, allein, also
ist es nicht immer der Fall und wir könnten oft die
Worte unseres Heilandes im heutigen Evangelium auf
uns anwenden: „Ihr wisst nicht, um was ihr bittet.
Ich gestehe Euch offen, es gab eine Zeit, und sie
ist noch nicht ferne --- ich nenne sie die Zeit
meiner Täuschungen und unvernünftigen Träume --- wo
auch ich wünschte, reich, verständig, gut
unterrichtet, fein gebildet zu sein; ich hätte mir
mehr Thaler gewünscht, als ich je Sous besitzen
werde, und hätte ein reineres, besseres Französisch
sprechen mögen, als ich jetzt gascognisch rede. Mein
Wunsch steigerte sich so, dass ich Schlaf und
Appetit darüber verlor, und dass ich nie Jemand
gegenüber stehen wollte, der vornehmer als ich war.
Ich wusste wirklich nicht, was ich wünschte, doch --
Gott sei Dank! dieser Zustand hat nicht lange
gedauert; jetzt wünsche ich nur Eines: nämlich
immer eine gute Christin und hier in Eurer
Einsamkeit Eure Freundin zu sein. In acht Tagen
wird N. eben so denken, nicht wahr?"
Mariens
Gefährtin errötete; allein die soeben erhaltene
Lehre war mit so großer Güte gegeben worden, dass
dieselbe sogleich die gewünschte Wirkung hervorrief.
--- „In acht
Tagen? rief das junge Mädchen aus, das wäre zu spät;
ich denke schon jetzt so, und ich sehe jetzt
vollkommen ein, dass ich auch nicht wusste, um was
ich gebetet habe; ich bete nie mehr darum. --- Ich
will Schlaf und Appetit nicht einbüßen und noch
weniger Eure Freundschaft, dadurch, dass ich ein
vornehmes Fräulein werde.“ -- Marie hätte, als sie
auf diese stolzen Träume von ehemals zurückkam,
beifügen können, was sie später schrieb: „Noch immer
liebe ich Größe, Hoheit, Ruhm; aber ich liebe die
Größe Gottes, die Hoheit Gottes, den Ruhm Gottes.
Ich verlange nicht nach Reichtum, Gott allein genügt
mir; ich verlange nicht nach Berühmtheit, mein Ruhm
besteht darin, unbekannt und verborgen im
liebenswürdigen Herzen Jesu zu wohnen! Ein Thron,
eine Krone vermögen mich nicht zu reizen, ich ziehe
die Armut Jesu, das Kreuz Jesu, die Dornenkrone
Jesu, den Dienst Jesu allen irdischen Dingen vor!
--- Doch diese Gefühle waren ihr Geheimnis! --- Ihr
göttlicher Meister und Sein Stellvertreter konnten
es allein ergründen; allen Andern zeigte sie sich
als ganz einfach und gar nicht außergewöhnlich.
Eine ihrer
angenehmsten Zerstreuungen war es, die keine Schule
besuchenden Kinder und solche, die nicht lesen
konnten, um sich zu versammeln und sie in den
Hauptwahrheiten der heil. Religion zu unterrichten.
Sie lockte sie Abends zu sich und suchte ihrem
Gedächtnisse den kleinen Diözesan-Katechismus
einzuprägen. Unter diesen Kindern war ein Knabe,
der, trotz der eifrigen Lehrerin nach Verlauf eines
Jahres noch nicht mehr wusste, als in den erstem
Tagen; kaum hatte er „Vater Unser und Gegrüßt seist
Du, Maria" behalten können; daher sagte Elisabeth
eines Tages zu ihrer Tochter „Wirklich du hast
ungeheuer viel Geduld vonnöten, wenn du fortfährst,
dieses arme Kind zu unterrichten!“ --- --- O mein
Gott, antwortete Marie, Sie liebe Mutter mussten
nicht viel weniger Geduld mit mir haben! Und ich bin
froh, dass ich durch ein wenig Ausdauer für dieses
arme Kind deinen damaligen bösen Willen gutmachen
kann. Sie werden sehen, dass er mit Gottes Gnade
nach und nach das durchaus Notwendige lernen wird,
und wenn er zur erst zur hl. Kommunion geht, wird er
sicherlich für uns beten --So verstand sie es,
allen alles allen zu sein, und die Seelen Jesu zu
gewinnen. Ihr Herz gut und gefühlvoll, und schon
seit ihrer Kindheit hatte sie stets großes Mitleid
für die Armen gezeigt. Man erzählt einen Zug, der
bis in jene Tage zurückgeht, wo sie anfing, sich zu
überwinden. Um sie zu ermutigen, gaben ihre Eltern
und deren Freunde ihr zuweilen etwas Geld, das sie
dann sorgsam aufbewahrte.
Als Elisabeth
eines Tages mit ihrer Tochter aus der hl. Messe kam,
begegneten sie einem Armen, der sie um Almosen
ansprach. Sie hatte Nichts bei sich und wollte sich
eben darüber, betrübt, entfernen, als Marie ihren
kleinen Schatz aus der Tasche hervorholte und ihrer
Mutter mit den Worten gab: „Sie haben Nichts,
Mutter, da, geben Sie für mich“
Die Mutter
nimmt den Beutel und öffnet ihn „Aber, Tochter, sagt
sie, er ist ja gar kein kleines Geld darin." „Das
tut Nichts, antwortet das Kind, geben Sie ihm ein
größeres Stück; ich will es durch mein Betragen
bald wieder verdienen.“ „Nun wohlan, so gib es ihm
selbst; es wird deiner, allerdings sehr
wünschenswerten Besserung Glück bringen."
Marie ließ sich
dies nicht zweimal sagen, schnell nahm sie einen
halben Franken und ließ ihn in die Hand des Bettlers
gleiten, indem sie zu ihm sagte: „Beten Sie für
mich, damit Gott mich bräver werden lässt!" und ohne
des Bettlers Antwort abzuwarten, eilte sie ihrer
Mutter nach und rief freudig: „O gewiss, Mutter, ich
will mich bessern; der liebe Gott wird mir meine
kleine Münze reichlich vergelten!“ Und wirklich, es
dauerte nicht lange bis Elisabeth bemerkte, wie
reichlich diese rührende und frühzeitige Großmut
belohnt wurde. Diese glücklichen Anlagen wuchsen
und entfalteten sich in dem Maße als die göttliche
Liebe ihr Herz erfüllte; die leidenden Glieder Jesu
Christi wurden der besondere Gegenstand ihrer
Vorliebe und nie entging ihr eine Gelegenheit,
dieselben zu unterstützen.
Einst führte
sie die Ochsen ihres Vaters nach Hause zurück; es
war schon etwas spät geworden, und sie be- gegnete
einem Bettler, welcher kaum zu gehen vermochte.
„Woher kommt ihr denn, mein armer Mann," sagte sie.
„Ich komme von Elermont .. einem kleinen
benachbarten Dorf.“ ---
--- Habt Ihr zu
Mittag gegessen?
Ach nein, ich
habe heute Früh nur ein wenig Maisbrot gegessen;
allein ich hoffe, dass irgend eine gute Seele in
Mimbaste mir ein wenig Suppe geben wird.
--- Ja gewiss,
man wird Euch welche geben; kommt mit mir, ich will
Euch zu essen geben."
Der Arme
gehorchte und man kam bald bei der großen Eiche an;
als die Ochsen im Stalle waren, ging das junge
Mädchen zu ihrer Mutter und sagte, ob sie nicht ein
wenig Suppe oder Fleischbrühe habe.
---,,Du weißt
wohl, sagte Elisabeth zu ihr, dass ich stets
sorgfältig deinen Anteil aufbewahre, wenn du nicht
bei unserm Essen bist; er steht beim Feuer."
Ich richte
diese Bitte nicht wegen meiner an dich, sondern
wegen eines Armen, der vor der Türe steht und heute
noch Nichts als ein wenig Maisbrot gegessen hat. Nun
so fange nur immer mit dem Essen an; ich will ihm
mit der übrigen Fleischbrühe eine gute Suppe kochen.
--Nein, nein, Mutter, ich habe ihn eingeladen, ich
muss ihn also auch bedienen. --Mit diesen Worten
legte sie Hand ans Werk, bereitete die Suppe und
legte noch obendrein das für sie aufbewahrte
Fleisch bei, was der Bettler dann mit großem Appetit
und herzlichem Dank verzehrte. Nachdem derselbe fort
war, aß Marie ihre Suppe und war bald mit ihrer
Mahlzeit zu Ende. Ihre Mutter bemerkte dies und
fragte sie:
---,,Warum isst
du nicht dein beim Feuer stehendes Fleisch?"
,,Es ist nicht
mehr dort, Mutter, antwortete Marie, der Arme hat es
statt meiner gegessen. Der Unglückliche hat nie
etwas Anderes als Suppe und Maisbrot; ich hatte
Mitleid mit ihm und habe ihm meine Portion Fleisch
überlassen, das tut ihm gut und mir schadet es
nicht. Ein gutes Stück Brot und ein Apfel, den ich
mir im Garten holen will, sind hinreichend, um bis
zum Nachtessen warten zu können.“ --- Elisabeth
billigte es vollkommen und freute sich darüber, dass
ihre Tochter es verstand, mit so viel Einfalt und
Wohlwollen sich für Andere Entbehrungen auszulegen.
Dieselbe Liebe
machte sie erfinderisch, die Fehler anderer zu
entschuldigen. In einem benachbarten Dorfe war ein
40-jähriger Mann bedenklich erkrankt. Seit vielen
Jahren hatte derselbe die hl. Sakramente nicht mehr
empfangen und man fürchtete, er werde unbußfertig
dahinsterben. Zwei oder drei, Marien befreundete
junge Mädchen sprachen eines Tages davon und eine
derselben sagte mit verächtlichem Ton:
---,,Es ist ein gottloser Mensch,
der sterben wird, wie er gelebt hat.
---,,O!
erwiderte Marie, wir sollten ihn lieber beklagen,
als ihn verachten. Wenn er vielleicht nur einen Teil
jener Gnaden gehabt hätte, die wir missbrauchten, so
wäre er wahrscheinlich ein großer Heiliger. Wer
weiß? Vielleicht ist er nicht gut über seine
Pflichten unterrichtet; vielleicht hatte er große
Versuchungen zu bekämpfen, und ist in den Augen
Gottes nicht so strafbar, wie in den Augen der
Menschen. Wir täten besser daran, für ihn zu beten
und Gott um seine Bekehrung anzurufen. Vielleicht
wartet Gott nur auf die Gebete einiger frommen
Seelen, um die seinige zu retten; verweigern wir ihm
dies nicht, und beten wir wenigstens alle Abend das
„Gedenken zur hl. Jungfrau." --- Der Vorschlag wurde
angenommen, und der Kranke gab bald Anzeichen von
aufrichtiger Reue und empfing mit vollem
Bewusstsein und großer Andacht die hl.
Sterbesakramente.
Nachdem, was
wir bis jetzt vorgebracht haben, ist es nicht mehr
zu verwundern, dass das fromme Mädchen allen,
welche ihr nahten, Verehrung einflößte. Schon ihre
Gegenwart erweckte Ehrfurcht, und noch ist das
Andenken daran lebendig unter den Bewohnern von
Mimbaste. Sie haben noch nicht vergessen, mit
welcher Höflichkeit Marie jedesmal aufgenommen
wurde, so oft sie, im Namen ihrer Eltern die Steuern
bezahlte. Die guten Landbewohner, die wenig an
dergleichen Rücksichten gewohnt sind, sagten: „Die
Beamten erhoben sich und nahmen den Hut vor ihr ab."
--- .
Ein Freund des
Steuereinnehmers, Zeuge dieser Tatsache, drückte
seine Verwunderung darüber aus, und wollte nach
Mariens Weggehen die Ursache der ihr erwiesenen
Ehrfurcht erfahren. „Ich weiß nicht, antwortete der
Beamte, wie mir geschieht, wenn dies Mädchen bei
mir eintritt, allein ich kann sie nicht ansehen,
ohne mich besser zu fühlen. . . Ein gar naiver Zug
aus ihrem Leben lässt ebenso die beinahe
patriarchalische Einfalt der Sitten, wie die
Achtung erkennen, welche man der Dienerin Gottes
zollte. --Angeregt durch ihre Tugenden hatte ein
junger Mann aus einer der besten Familien des Landes
den heimlichen Wunsch, sie zur Lebensgefährtin zu
erhalten. Er begegnete ihr, redete sie mit einer
gewissen Verlegenheit an und teilte ihr ohne lange
Umschweife seinen Wunsch mit. „Hier ist ein
Hindernis, sagte sie ihm; ich habe einen ganz
entgegengesetzten Entschluss gefasst.“ ---„Was, rief
der Fragende betrübt ans, Ihr wollt also immer wie
ein Engel leben?"
„Ja, ja,
antwortete Marie, sich entfernend, Ihr habt es
erraten, das ist es, wie ein Engel möchte ich
leben." --Ein Greis aus demselben Dorfe legt
folgendes Zeugnis ab: „Es gibt wohl kein junges
Mädchen, über das mit Recht oder Unrecht nicht
gesprochen wird; aber Niemand wird hier anders als
lobend über Marie Lataste sich äußern können, und
dies zwar von ihren frühesten Jahren an."
Ein
Geistlicher, aus der Umgegend von Dax, befand sich
eines Tages bei dem Pfarrer von Mimbaste. Er las
eben in den Schriften des tugendhaften Bauermädchens
die Stelle, worin sie über die Würde des geistlichen
Standes sich ausgesprochen, und war voll
Bewunderung dafür. Plötzlich klopft es an der Türe
des Pfarrhofs; es war M. Lataste selbst. Der
Geistliche bat Hr. Darbins sie eintreten zu lassen.
Nachdem sie den Pfarrer und seinen Kollegen
ehrfurchtsvoll begrüßt, ersuchte sie den Ersteren
gütigst, einen Kranken besuchen zu wollen, dessen
Namen sie angab. Hieraus beantwortete sie mit
bewunderungswürdiger Einfalt alle Fragen, die ihr
Beichtvater an sie richtete und zog sich dann
grüßend zurück. --- Später äußerte sich der bei
dieser Unterhaltung gegenwärtige Geistliche
folgendermaßen: „Nie habe ich vergessen, was ich
damals sah und empfand. Ich sah, wie dieses junge
Mädchen alle Vorschriften, welche ihr der Heiland in
Betreff ihres Verhaltens gegen die Priester gegeben
hatte, gewissenhaft erfüllte, was aus mich einen
umso tieferen Eindruck machte, als ich soeben ihre
eigenen Worte darüber gelesen. Ich sah in ihr eine
glaubensvolle Ehrfurcht für den Geistlichen, der mit
ihr sprach. --- Ich darf sagen, dass ich einen
ziemlich klaren Begriff über ihre Unterredungen mit
dem Heilande bekam, als ich hörte, wie sie ihrem
Beichtvater antwortete. Seit diesem Ereignis ist
lange Zeit verflossen; ich habe Marie nie
wiedergesehen; allein ihr von engelgleicher
Sanftmut strahlendes Gesicht ist mir noch ebenso in
der Erinnerung, als ob sie vor mir stünde."
Viertes
Kapitel
Parabel vom Ölbaum; neue
Prüfungen. Marie wird des Anblickes des Heilandes
beraubt, und hört seine Stimme nicht mehr. Ihre
Fortschritte in der Losschälung und im Gebete. Ihr
Seelenführer beruhigt sie in Betreff ihrer Visionen.
Das
untadelhafte Betragen der Dienerin Gottes und ihre
Tugenden mussten, so sollte man glauben, jeden
Schatten von Zweifel hinsichtlich des Geistes, der
sie leitete, entfernen. Dennoch wollte Hr. Dupérier
noch einen Versuch machen sie zu prüfen. Ehe wir uns
über die Art und Weise desselben aussprechen,
scheint es uns notwendig wenigstens teilweise
mitzuteilen, was die Veranlassung dazu gab.
Im Monat
Februar 1843 glaubte Marie nach der hl. Kommunion
aus dem Munde des Heilandes eine Parabel zu hören,
deren Hauptinhalt folgender ist: „Ein König
durchreiste seine Staaten und fand in einer Wüste
eine Pflanze, die er für einen Ölbaum vorzüglicher
Art erkannte. Er ließ sie in seinen Garten
verpflanzen und übergab sie der Sorge eines seiner
Diener. Dieser pflegte die Pflanze sorgfältig,
entfernte das Unkraut, welches ihr hätte schaden
können, düngte sie gut und begoss sie mit klarem
Wasser. Die anderen Diener verspotteten ihn, indem
sie ihm versicherten, er irre sich in Betreff der
Art der Pflanze; er jedoch als treuer Diener
gehorchte dem Befehl seines Herrn, dessen Ansicht
überdies auch die seinige war. Auf den Befehl des
Herrn versetzte er die Pflanze abermals und zwar
diesmal in noch fruchtbareres Gartenland, umgab sie
mit einem goldenen Käfig, damit Niemand ihrer
Schönheit durch Berührung schaden könne. ---
Indessen mehrere Personen näherten sich ihr in
unvorsichtiger Weise, wurden aber durch ihren Glanz
geblendet und durch die Stärke ihres Geruchs fast
betäubt; der Tod war die Folge ihrer Verwegenheit.
Der Ölbaum wuchs und erstarkte; seine Blüten
verbreiteten einen lieblichen, köstlichen
Wohlgeruch; seine Früchte gaben ein auserlesenes Öl,
und seine sich im ganzen Garten ausbreitenden
Wurzeln schienen die andern Blumen zu nähren und zu
veredeln.
Als Marie ihrem
geistlichen Vater diese Erzählung vortrug, schloss
sie mit den Worten: „Sie mögen hierüber denken, was
Ihnen gefällt; ich bin für dies, wie für alles
andere vollkommen gleichgültig. Ich verlange nur
nach Gott; ich halte mich nur an Gott, ich will
Nichts als Ihn!" ---
- Im Juni
desselben Jahres schrieb nun Hr. Dupérier an den
Pfarrer von Mimbaste einen Brief mit der Bitte,
seinem Beichtkinde denselben mitzuteilen und genau
den Eindruck zu beobachten, welchen derselbe auf
sie machen werde. Er schreibt, wie folgt: „,Nachdem
ich reiflich über alles, was Sie mir von Marie
Lataste sagen, nachgedacht habe, nachdem ich ihre
Schriften gelesen und mich zwei bis dreimal mit ihr
unterhalten habe, kann ich nicht mehr zweifeln, dass
sie eine Geisterseherin, eine Träumerin ist, die
weiter durchaus keiner Beachtung wert ist; oder
auch, dass sie eine Person ist, die uns zu täuschen
sucht. Sie wünschen meine Meinung über sie zu
kennen und Marie Lataste möchte es auch wissen; Sie
finden dieselbe in obigen Worten ausgesprochen; ich
bitte, ihr diesen Brief mitzuteilen. Und zwar gründe
ich meine Ansicht auf die in ihren Schriften
enthaltenen kleinlichen Einzelheiten, aus der
Parabel vom König, seinem Diener und vom Ölbaum;
diese Parabel scheint mir von ihr nach Belieben
erfunden; dann auf die Falschheit ihrer
Prophezeiungen über Paris; auf ihren angeblichen
Beruf, dem nur ihre, durch lange Nachtwachen
gereizte Einbildungskraft zu Grunde liegt; auf ihre
beabsichtigte Abreise und ihre vorgebliche Aufnahme
im Sacre- Coeur, was ganz unausführbare Dinge sind."
Hr. Abbe
Darbins las Marie diesen Brief vor. Als sie die, den
ersten Teil schließenden Worte hörte, zeigte sich
ein Ausdruck tiefen Schmerzes auf ihrem Antlitze und
Tränen entströmten ihren Augen.
---„Warum
weinen Sie, meine Tochter?" fragte ihr Beichtvater.
„Ich weine,
hochwürdiger Herr, weil ich weinen muss, Sie wissen,
dass ich nicht leicht weine; aber was vermöchte
meine Tränen in diesem Augenblick zurückzuhalten?"
Und als der
Pfarrer sie gütig ermutigte sich zu äußern, fuhr sie
fort:
,,Ach, Herr
Pfarrer, Sie sind nicht die Ursache meiner
Betrübnis, es ist auch nicht das über mich gefällte
Urteil, das mir Tränen entlockt. Wenn ich weine, so
weine ich über mich selbst. Ich muss wahrhaftig eine
große Sünderin sein, wenn man mich für eine solche
Betrügerin hält, dass ich fähig wäre zwei Priester,
die mir stets so großes Wohlwollen bewiesen, und
mich immer mit so viel Liebe behandelt haben, zu
betrügen. Wenn Herr Dupérier mich so beurteilt, so
muss ich es also verdient haben; nicht durch Lügen
und Betrug; denn ich versichere Sie, ich wollte nie
lügen und betrügen, wohl aber durch meine Sünden,
wodurch ich Gott erzürnt habe. Ich bin eine große
Sünderin, deshalb weine ich!"
„Beruhigen Sie
sich, sagte Hr. Darbins zu ihr, Gott kennt die
Neigungen Ihres Herzens; Er wird Sie gütig
ausnehmen, seien Sie ruhig und fahren Sie fort sich
dem Willen Gottes zu unterwerfen."
Im Laufe der
nächstfolgenden Woche riet er ihr den ihr
mitgeteilten Brief zu beantworten.
Gleich am
nächsten Morgen, nachdem das fromme Mädchen tags
zuvor Hrn. Dupériers Urteil gehört hatte, war sie zu
den Füßen Jesus geeilt, um vor Jesu, ihrer
gewöhnlichen Zuflucht, ihr Herz auszugießen; sie
sagte Ihm: „Herr ich weiß nicht, wie die Dinge gehen
werden; aber es mag geschehen, was da will, ich
setze mein ganzes Vertrauen auf dich; ich
unterwerfe mich Allem, und bin zu Allem bereit, was
du von mir verlangen wirst.
Jesus kündigte
ihr hierauf au, dass sie noch andere, viel schwerere
Prüfungen werde zu bestehen haben, versicherte ihr
jedoch, dass Er ihr immer beistehen werde, damit
sie siegreich aus denselben hervorgehen könne. Dann
widerlegte Er alle gegen sie erhobenen Bedenken
eines nach dem Andern, so dass sie nur die Worte
ihres göttlichen Meisters ausführen durfte, um den
von ihrem Beichtvater gewünschten Brief zu
schreiben.
Es würde uns
für den Umfang dieses Werkes zu weit führen, wollten
wir diesen Brief vollständig mitteilen; er findet
sich im 1. Band ihrer Schriften unter Nummer 17; wir
wollen hier nur die Hauptstellen anführen, welche
Jenen genügen, die ihre Schriften nicht gelesen
haben. Auf die erste Einwendung erwiderte der
Heiland: „Wo Gottes Hauch weht, ist Nichts klein
oder unbedeutend; Er weht, wo es Ihm gefällt und
eine scheinbar ganz und gar unbedeutende Sache hat
oft die wichtigsten Folgen." Jesus erklärte ihr die
Parabel folgendermaßen: „Derjenige, welcher ein
Urteil über dich gefällt, hat dieselbe teilweise
richtig aufgefasst, d. h. er hat richtig gefolgert,
dass du durch den König Gott, durch den Diener
deinen Seelenführer und durch den Ölbaum dich selbst
bezeichnen wolltest. Er hat sich aber darin
getäuscht, dass er glaubte, du selbst habest diese
Parabel verfasst. Diejenigen, welche des Königs
treuen Diener verspotteten, und den Ölbaum für
einen Weinstock ansahen, sind Jene, welche von dir
und deinen Schriften gehört haben, und wissen, dass
dein Beichtvater dieselben für wahr hält, die ihn
aber deshalb tadeln oder seinen Eifer und seine dir
erwiesene christliche Liebe ins Lächerliche ziehen.
Jene aber, welche durch den Geruch der Pflanze
vergiftet werden, find solche, die zu dir und deinen
Schriften ihre Zuflucht nehmen; aber Nichts von dem
ausüben, was du ihnen durch deine Worte und in
deinen Briefen sagst." ---
„Das neue
Gartenland, in das ich dich versetzen will, ist das
Herz Jesu Sacre-Coeur, wo du nach meinem Ratschlusse
dich veredlen wirst. Der goldene Käfig, in welchen
du gestellt wirst, bedeutet meinen Schutz, der dich
immer behüten wird."
In Bezug aus
den neunten Brief des ersten Bandes, der als eine
nicht eingetroffene Prophezeiung bezeichnet wird,
sagt der Heiland: Ist dies denn eine Prophezeiung?
Und wenn es eine wäre; weiß man nicht, dass es
Prophezeiungen gibt, deren Eintreffen an Bedingungen
geknüpft ist, besonders, wenn diese Prophezeiungen
sich auf Gottes Gerechtigkeit beziehen?" Hierauf
beruhigt sie der Heiland noch in Betreff ihrer
Aufnahme ins Sacre Coeur und versicherte neuerdings
die Wahrheit alles dessen, was sie hörte; dann fügte
Er noch bei:
„Fürchte
Nichts, die Kraft wird sich in deiner Schwäche
offenbaren, die Weisheit in deiner Torheit und die
Wahrheit in deinen Visionen.“
„Die Worte,
welche du hörst, sind nicht deine Worte, es sind die
Meinigen, du schreibst sie nur nieder; du bist
Nichts, du kannst Nichts durch dich selbst, allein
Ich bin Alles, ich kann Alles, Ich ordne Alles, Ich
trage Sorge für Alles und die größten wie die
kleinsten Dinge dienen meinen Absichten und dem
Walten meiner Weisheit, meiner Vorsehung und meiner
Erbarmung." ---,,Allein man versuche nicht die
Absicht meiner Vorsehung zu ergründen, dies wird
nie gelingen!"
Nachdem Marie
all dieses wieder erzählt hatte, fügte sie bei: „Er
schwieg und hatte Seine Rede beendet: ich aber sagte
sogleich zu Ihm: „Mein Heiland, die Stimmung meines
Geistes ist in dieser Stunde vollkommen gleichgültig
für Alles, was man mir vorgeworfen hat, es kann also
nicht meine Einbildungskraft sein, die mir das
eingegeben hat, was ich ans Deinem Munde gehört
habe." ---
„Nein, meine
Tochter, Ich bin es, Der diese Worte an dich
richtet. Gehe hin in Frieden und bewahre dieselben
sorgfältig in deinem Herzen!"
„Dies,
hochwürdiger Herr, habe ich gehört und wie es mir
scheint, hat es mir der Heiland gesagt. Aus mir
selbst und ohne Ihren Befehl hätte ich mich nie
unterstanden, also zu schreiben, ich hätte es auch
nicht gekonnt.
Ich versichere
Ihnen, dass ich mein eignes Ich Gott ganz zum Opfer
gebracht habe. In welcher Lage ich auch sei, welche
Prüfung mich auch treffen, welche Betrübnis mich
auch niederbeugen möge, so fehlt mir Nichts, und ich
bin glücklich, wenn ich Jesus habe, wenn ich mit
Jesus vereinigt bin, wenn ich Ihn lieben, wenn ich
zu den Füßen Seines Kreuzes knien, wenn ich Teil
nehmen kann an Seiner Erniedrigung und Demütigung!"
--Diese wenigen Bruchstücke aus jenem Briefe zeigen
uns, wie sehr die treue Schülerin des Heilandes in
der wahren Liebe wuchs und wie sie auch mitten im
Leiden in Ihm Kraft und Frieden fand.
Durch
Entbehrungen war diese Seele gekräftigt worden;
denn gegen das Ende des Jahres 1842 hatte Jesus ihr
die Gnade Seiner fühlbaren Gegenwart entzogen. Er
hatte sie darauf vorbereitet, indem Er ihr gesagt,
dass Er sie von nun an nicht mehr als Kind behandeln
und ihr nicht mehr wie bisher Milch, sondern
kräftigere Nahrung reichen werde. Bei dieser
Nachricht vergoss Maria reichliche Tränen: der
göttliche Heiland tröstete sie, indem Er ihr
versprach, dass Er immer, wenn auch aus unsichtbare
Weise, bei ihr bleiben wolle, und dass sie von nun
an noch kostbarere Gnaden als bisher empfangen, und
endlich, dass sie Seine Stimme noch für einige Zeit
hören werde. Nach kurzer Zeit der Entbehrung, werde
sie Ihn abermals sehen und hören. Dann streckte Er
seine Hand segnend über sie aus; sie aber fühlte wie
die Gnade und ein ungewohntes Glück gleichsam in
Strömen sich über sie ergoss; sie fühlte sich von
aller Sorge und Unruhe befreit, und ihre Seele war
voll Kraft und Energie.
Sie selbst
spricht über diesen herrlichen, in ihrem Leben
Epoche machenden Augenblick und gesteht, dass sie
zuerst ganz erstaunt und so zu sagen fremd aus
diesem neuen Wege war: „Ich hatte nicht den Anblick
Jesu; aber ich hörte dennoch Seine Stimme, ich
genoss nicht mehr Seine wirkliche Gegenwart, wohl
aber empfand ich die Süßigkeit Seiner Gnade!"
--Jesu Wort tröstete sie, stärkte und schützte sie;
er war ihr eine Leuchte nicht nur für sie selbst,
sondern auch für andere; denn oft machte Jesus sie
mit den geheimsten Gedanken verschiedener Personen
bekannt, und wie man oben gesehen, gab Er ihr die
Antworten ein, die sie auf die Einwürfe und Zweifel
anderer Personen geben solle. Gleich den Aposteln
nach der Himmelfahrt des Heilandes verlor auch sie
Nichts durch das ihr auferlegte Opfer; sie hatte im
Gegenteil mehr Kraft, Muth und Erleuchtung; sie
erhob ihre Seele mit mehr Ruhe, Freiheit und Eifer
zu Gott, und vertiefte sich mit Entzücken in Seine
Unendlichkeit: „Selbst wenn man mir, sagte sie,
jeden Trost, jede Befriedigung, jede Glückseligkeit
raubt, so wünsche und verlange ich Nichts; denn mein
Glück und meine Seligkeit bestehen darin, kein
anderes Glück zu kennen als nur allein den Besitz
Gottes." Ihre Fortschritte in der Losschälung und
der gänzlichen Hingabe an Gottes heil. Willen waren
denn auch augenscheinlich.
Wenige Zeit
nach der von uns mitgeteilten Prüfung, schrieb sie
an Herrn Darbins: „Seit 5–6 Monaten habe ich die
Erscheinungen nicht mehr vor Augen, von denen ich
Ihnen so oft gesprochen habe. Wenn sie vom Teufel
kamen, so danke ich dem Herrn, weil Er nicht länger
zulässt, dass ich betrogen werde; wenn sie von
meiner Einbildungskraft herrührten, so danke ich Ihm
für meine Ruhe, und kamen sie von Ihm, so danke ich
Ihm abermals, und weit entfernt dieselben von Neuem
zu wünschen, erkenne ich mich derselben unwürdig und
verlange Nichts als mehr und mehr Ihm anzugehören!"
„Ich wünsche Nichts. Ich sehe Nichts mehr; allein
ich höre die an mich gerichteten Worte mit
Misstrauen. Dennoch bleibe ich ruhig; dem Willen
Gottes mich überlassend, wünsche ich nur Ihn zu
lieben: Er wird täglich mehr und mehr mein Alles in
diesem Lande der Verbannung. Ach Herr, Du allein
kannst mein Herz befriedigen!"
Hat der Geist
der Finsternis je solche Früchte hervorgebracht?
und führt er eine solche Sprache? Muss man nicht in
der gänzlichen Verleugnung seiner selbst fest
begründet sein, um also zu fühlen und also sich
auszudrücken?
Marie war nicht
weniger rasch auf dem Wege des innerlichen Gebetes
vorangeschritten. In Seinen ersten Unterweisungen
hatte unser Heiland sie gelehrt die verschiedenen
Umstände Seines Lebens und Todes zu erwägen, und
dieses Sein Leben wie ein Bild zu betrachten, das
sie ihrem Alter und ihrem Stande gemäß darzustellen
suchen müsse. Später zeigte Er ihr eine noch voll-
kommenere Art, wobei sie gleichsam Zuschauerin der
Szenen Seines heil. Leidens wurde. Endlich, nachdem
die Liebe in ihrem Herzen und das Licht in ihrem
Geiste zugenommen hatten, vereinte sie sich noch
inniger mit Jesus und erhob sich bis in Gottes
Schoß. Sie sagt, dass sie damals durch eine
unaussprechliche, ihre ganze Seele erfüllende
Süßigkeit wie verzückt war, was sie am Lesen und
Beten verhinderte; es war dies gleichsam wie ein
Ruhepunkt, worin Gottes Anblick und Seine Liebe sie
versetzte, ein Vorgeschmack des Zustandes der
Seligen im Himmel.
Wie sich aus
Mariens Bericht über ihr inneres Leben ergibt, hörte
sie seit dem August 1843 keine Worte mehr; dafür
aber erleuchtete ein lebhaftes überirdisches Licht
Ihren Verstand, so dass sie die erhabensten
Wahrheiten verstehen und gleichsam verdauen konnte;
besonders war sie in das Geheimnis des Kreuzes
eingeweiht. Sie nennt diese Gnadenergüsse einen
Unterricht ohne Worte; daher kam es, dass, als ihr
Beichtvater von ihr verlangte sich hierüber
auszusprechen, sie eingestand, dass ihre Feder
stille stehe, dass die Ausdrücke ihr fehlten und
ihre Zunge wie gelähmt sei, obwohl sie den
ernstlichen Willen hätte zu gehorchen; sie fügt bei:
„Man kann nicht eine im Glanze des Lichtes aus dem
Kreuze hervorgegangene Lehre durch jene von den
Menschen erfundenen angenommenen Zeichen, durch
Sprache und Worte ausdrücken."
Das jedoch, was
ihr zu schreiben erlaubt wurde, reicht hin uns einen
Blick zu gestatten, welche Stufe der Erhebung zu
Gott und der Vereinigung mit ihrem Schöpfer sie
bereits erreicht hatte, und mit welch heil.
Leidenschaft ihr Herz Jesum und Sein Kreuz liebte.
Neben diesen erhabenen Stellen, welche der Gehorsam
ihr so zu sagen entlockt hatte, finden wir jedoch
stets ruhige und nüchterne Einfalt, ohne
irgendwelche Anmaßung oder den Wunsch sich geltend
zu machen, diese Hauptmerkmale einer vom heil.
Geiste geleiteten Seele. Im November desselben
Jahres drückt sie sich folgendermaßen in Betreff
ihrer Betrachtung aus: “Meine Betrachtung ist nur
eine einfache Erhebung des Geistes zu Gott, ohne
Überlegen, ohne Nachdenken, ohne Entschluss ... Ich
erhebe meinen Geist zu Gott, ich vereinige mich mit
Ihm; Er ist mein Anfang und mein Ende. All mein
Streben geht dahin mich einfach und schlicht mit Ihm
zu vereinigen, friedlich in Seiner Unendlichkeit zu
ruhen und die verschiedenen Wirkungen Seiner Gnade
zu empfangen. Indessen endige ich nie meine
Betrachtung ohne mich selbst Gott zu opfern, ohne
Ihm meine Nebenmenschen im Allgemeinen und im
Besondern zu empfehlen, und für sie und für mich
Gottes Gnade und Segen zu erflehen." ---,,Jeden
Morgen, fügt sie bei, ergreife ich meine Maßregeln,
um die mich allenfalls im Laufe des Tages treffenden
Versuchungen und Prüfungen zu überwinden.
Treu den
Ermahnungen des göttlichen Meisters überließ sie
sich bei ihren Betrachtungen dem Zuge der Gnade;
bemühte sich aber den Fallstrick des Teufels zu
entgehen; deshalb unterließ sie nie die mündlichen
Gebete, obwohl dieselben sie oft ermüdeten. Sie
vergaß nicht die Worte des Heilandes: „Bewaffne dich
stets mit Wachsamkeit und Demut; denn sonst würde
es mit dir rückwärts statt vorwärts gehen, und du
würdest jenen Seelen gleichen, welche, nachdem sie
sich gleich dem Adler in die Lust erhoben haben, zur
Erde zurückfallen und mit den gemeinsten Tieren
verglichen werden können." --So ergriff unser
Heiland jede Gelegenheit, um sie in der Demut zu
bestärken. Sie erzählt uns Seine Worte mit voller
Aufrichtigkeit.
Während das
junge Mädchen also festen Schrittes auf dem Wege der
Vollkommenheit voraneilte, setzten Herr Abbe Darbins
und Herr Dupérier die ausmerksame Durchlesung ihrer
Schriften fort, wobei ihre Bewunderung immer
zunahm; aber in dem Maße als sie in denselben ein
wunderbares Ganzes von dogmatischer, moralischer
und mystischer Theologie fanden, erblickten sie in
denselben auch die Hand Gottes. Andrerseits konnten
sie in Marie Latastes ganzem Benehmen und Wesen kein
Zeichen von Täuschung entdecken. Die
Offenherzigkeit, Geradheit und Einfalt, mit welcher
sie über alles, was in ihrer Seele vorgegangen war,
Rechenschaft ablegte, die demütige und unbedingte
Beobachtung der geringsten Vorschriften ihrer
Seelenführer, die gänzliche Unterwerfung in den
göttlichen Willen ließen zu deutlich erkennen, von
welchen Beweggründen sie bei ihren Handlungen
geleitet wurde, als dass man sich hätte täuschen
können, deshalb beruhigten sie denn jetzt auch
unsere Marie.
In derselben
Zeit verlangte Herr Darbins von seinem Beichtkinde,
ihm zu sagen, was sie selbst von ihren Schriften
dächte: sie tat es mit einer heil. Freiheit, da sie
nicht mehr durch die Furcht zurückgehalten war,
ihrem Seelenführer zu widersprechen. Wollte sie sich
--- so sagt sie selbst --- die erhaltenen
Belehrungen klar machen, so erwog sie dieselben in
ihrem Ursprung, in ihrem Endziel und in sich
selbst.
--Wenn sie
sich bestrebte, Gott, über dessen Wesen sie schon
als Kind belehrt worden war, zu erkennen, Ihn zu
lieben und Ihm zu dienen, so empfand sie Alles das,
was ihre Schriften enthielten. Sie hätte sich von
Gott trennen müssen, um anders zu fühlen: also war
Gott der Ursprung derselben.
Sie erkannte
ferner deutlich, dass dieselben dahin zielten, die
Ehre Gottes und sowohl ihr eignes als auch das
Seelenheil Anderer zu befördern; daraus zog sie den
Schluss, dass der Teufel nach keinem solchen Ziele
streben könne.
Endlich fand
sie in denselben nur Gutes, Reines und Vollkommenes.
Es schien ihr, der böse Geist könne so Etwas nicht
vollbringen; denn den Baum erkennt man an seinen
Früchten, und ihr richtiges Urteil führte sie dahin,
wenn es nötig sein sollte, offen zu erklären, dass
somit Gott allein durch sie habe sprechen können.
Als jedoch derjenige, der zu ihrem Richter bestimmt
war, Zweifel ausgestellt und gezögert hatte, sich
auszusprechen, hatte sie sich bemüht, trotz Leiden
und Qualen auf ihre eigene Überzeugung zu
verzichten. Auf diese Weise war sie stets
unterwürfig geblieben, wie es der Herr von ihr
verlangte; dafür wurde sie aber auch jetzt durch
eine Entscheidung ihrer Seelenführer belohnt, die
sie vollkommen beruhigte.
Bis dahin hatte
der Pfarrer von Mimbaste die ihm anvertrauten Hefte
Niemanden mitgeteilt, als Herrn Dupérier. Jetzt
glaubte er sie auch seinem Bischof Lanneluc vorlegen
zu müssen, der zur Zeit seiner Pastoral-Reisen seine
Residenz gewöhnlich im Seminar in Dax aufschlug. Der
hochwürdigste Bischof verwendete all seine freie
Zeit zum Lesen dieser Aufzeichnungen, die auf ihn
den günstigsten Eindruck machten. Er beantragte
Herrn Dupérier und mehrere andere Professoren, die
Schriften zu prüfen; sämtliche Geistliche
bestätigten in ihrer Erwiderung: „dass die Werke
Nichts gegen den Glauben enthielten, und dass sie
geeignet seien, viel Gutes in den Seelen zu wirken."
Es wurde der Vorschlag gemacht, dieselben zu
veröffentlichen; man vereinigte sich jedoch dahin,
damit noch zuzuwarten.
Diese
Untersuchungen hatten in Dax den Namen des demütigen
Landmädchens bekannt gemacht, und wie es bei
dergleichen Gelegenheiten gewöhnlich der Fall ist,
hatte dies verschiedene Ansichten hervorgerufen.
Ihre Schriften wurden mit mehr oder weniger
Wohlwollen beurteilt, ihre Worte nicht stets genau
wiedergegeben und einige Personen erklärten sich
gegen Marie. Andere hingegen und unter diesen
ausgezeichnete Priester wendeten sich an das fromme
Mädchen, um sich über Gewissensfälle oder auch über
ihr eigenes Seelenheil zu beraten. Marie holte sich
zu den Füßen Jesu die Antworten auf diese Fragen,
und beauftragte Herrn Darbins mit der Mitteilung
derselben. In ihren Briefen finden sich mehrere
dieser Antworten; dieselben sind klar, genau und
immer voll Demut. In einigen derselben finden wir
die geringe Meinung, die sie von sich selbst hatte,
und ihre hohe Verehrung für die Diener Jesu Christi.
Da sie einmal Einem derselben große Lobsprüche
erteilte, so wurde dies als Schmeichelei bezeichnet.
Sei dem nun wie immer, wir finden darin nur eine
Bestätigung dessen, was wir schon angeführt haben,
nämlich ihre Gabe, die Gesinnungen und Handlungen
Anderer zu kennen. Wenn uns nicht zarte Rücksichten
abhielten, wären wir im Stande, mehrere Beispiele
der Art anzuführen.
Diese neue
Begünstigung beunruhigte Marie; sie fürchtete
voreilig zu urteilen und wie immer, so befragte sie
auch hierin ihren göttlichen Meister: „Herr Jesu,
sagte sie, würdige Dich, ich bitte Dich, mich zu
erleuchten und zu lehren, auf welche Weise ich mich
benehmen soll und wie ich die Kenntnisse und
Erleuchtungen hinnehmen muss, die mein Geist über
gewisse Personen und die Handlungen ihres Lebens
erhält.
„Mein Herz ist
von dem Verlangen nach Deiner Ehre erfüllt und meine
Seele brennt vor Liebe zu Dir und zu den Nächsten.
Herr, wie soll ich mich benehmen bei diesen
Empfindungen? Du hast die Gnade gehabt, mich bis
jetzt zu unterrichten, lass mich nicht in
Unwissenheit über diesen Punkt; ich will Dir meinen
Dank dafür durch größere Liebe und noch
vollständigeren Gehorsam beweisen." --Jesus gab ihr
hieraus Verhaltungsregeln; Er empfahl ihr den
Ursprung und die Wirkungen dieser Offenbarungen zu
prüfen; dieselben zu verwerfen, wenn sie von der
Eigenliebe oder irgend einem Vorteil herrührten,
oder wenn die Nächstenliebe dadurch in ihr
geschwächt werde; jedoch solle sie dieselben für
wahr halten, so oft sie im Gegenteil für den
Nächsten Mitleid fühle und der Wunsch, Gottes Ehre
zu bewirken, sich damit verbinde. Überdies empfahl
Er ihr tiefes Stillschweigen über diese
Mitteilungen, ausgenommen wenn Er ihr das Gegenteil
befehlen würde; und wirklich vertraute der Heiland
ihr zuweilen zarte und schwere Missionen an; für sie
war dies umso schwerer, da sie im Voraus wusste,
welche Beschämung für sie daraus erwachsen werde;
indessen gehorchte sie nichts desto weniger, indem
sie immer die Vorschriften ihres göttlichen Meisters
befolgte.
Fünftes Kapitel
Belehrung des Heilandes über den
Beruf. Hindernisse, die Mariens Beruf
entgegengesetzt werden. Betrachtungen über die
Offenbarungen im Allgemeinen. Marie gibt ihrem
Beichtvater ihre Manuskripte. Abreise nach Paris;
ihr Eintritt ins Kloster des heiligen Herzens.
Je mehr man
sich mit Marie Lataste beschäftigte, je mehr ihr Ruf
sich verbreitete, desto größeres Bedürfnis empfand
sie nach Einsamkeit. Sie hatte nicht vergessen, was
Jesus ihr öfters und zu verschiedenen Zeiten über
den Beruf gesagt hatte. Eines Tages unter anderem,
nach einer dieser Visionen, wo es schien, als ob Er
ihren Gehorsam und ihre Liebe prüfen wollte, hatte
Er ihr die Würde, das Glück und den Vorteil erklärt,
den Herrn des Himmels und der Erde zum Bräutigam zu
haben und beigefügt: „Ich verleihe diese Gnade
inniger Vereinigung mit mir nach meinem
Wohlgefallen. Wenn ich meine Blicke auf eine Seele
geworfen habe, und sie an mich ziehen will, so flöße
ich ihrem Herzen einen Gedanken ein, welcher
Gedanke sich dann gleich einem geheimnisvollen Keim
mehr entfaltet und bestimmter wird, bis jene Seele
diesen Gedanken kund gibt, und sagt: „Ich will eine
Braut des Herrn sein.“ --- Sie hat meine Stimme
gehört und beantwortet dieselbe. Glücklich die
Seelen, die meinem Rufe folgen; wehe aber Jenen, die
sie von mir abwendig machen, sie aushalten oder den
ihnen verliehenen Beruf ersticken wollen!" --
Nachdem der Heiland sich noch mehr über diesen Punkt
verbreitet hatte, zeigte Er Seiner treuen Schülerin,
wie Er durch die verschiedensten Neigungen und
Mittel die Seelen an Sich zieht; wie Er die Einen in
der Welt lässt, um dort tapfer für ihn zu kämpfen;
wie Er die
andern in die
Einsamkeit ruft, um dort im Geheimen und vertraut
mit ihnen zu sprechen .... um sie beständig durch
Seine Gnade, Seine Worte und Seine Blicke zu
beleben.
Es gebe Einige,
sprach der Heiland zu ihr, welche Er einzig und
allein durch Liebe an sich zöge, und die Ihm
folgten, um Ihn durch ein vollkommenes Leben mehr zu
verherrlichen; Andere folgen dem Rufe Gottes beim
Anblick der ihnen in der Welt drohenden Kämpfe und
Gefahren, und aus Furcht auf ewig von Gott getrennt
zu sein: diese letzteren Beweggründe seien zwar
weniger rein, als die ersteren; aber sie seien zu
einem guten Beruf hinreichend. „Indessen, fügte der
Heiland noch bei, muss man sich wohl hüten, den Ruf
von Oben durch Eigenwillen ersetzen zu wollen, indem
man sich einer falschen Frömmigkeit hingibt, oder
Widerwillen empfindet gegen die von Gott angewiesene
Lebensstellung, welche man nicht länger ertragen
will; denn dadurch würde man sich der Gefahr
aussetzen, sich selbst und andern im Klosterleben
zu schaden. Endlich nachdem der Heiland noch von der
Notwendigkeit gesprochen hatte, sich durch große
Reinheit des Herzens, durch hochherziges Streben und
durch vollkommenen Gehorsam gegenüber den
Vorschriften des geistlichen Führers auf den, als
wahr erkannten Beruf vorzubereiten, gab Er Marie
drei Waffen an, durch welche die von ihm
auserwählten Seelen die Welt, den Teufel und die
Hoffart des Lebens überwinden können, nämlich durch
die Gelübde des Gehorsams, der Armut und der
Keuschheit. Die Wichtigkeit dieser Gelübde und die
Notwendigkeit, dieselben nicht leichtsinnig
abzulegen, hob er besonders hervor; hieraus pries Er
jene selig, die wirklich berufen diese ihre
Verpflichtungen getreu erfüllen und schloss mit den
Worten: „Ich werde in der Ewigkeit ihr Reichtum
sein; ich werde in der Ewigkeit ihr Ruhm sein; in
Mir werden sie ihre Seligkeit finden. Unsere
Vereinigung hat in der Zeit begonnen und wird
fortdauern durch Jahrhunderte der Jahrhunderte.
Vertraue, meine Tochter, du wirst Alles überwinden.
Ich werde dich gleich einer Taube in die Spalten des
Felsens verbergen." --Damals war es, dass der
Heiland ihr angegeben hatte, in welchen geistlichen
Orden sie treten solle, um sich dort ganz Ihm zu
weihen. Voll dieser Gedanken und durch diese
tröstlichen Versprechungen ermutigt, hatte Marie
dieselben zur Richtschnur ihrer Handlungen gemacht,
und ihre Neigung zum heil. Herzen wurde
unwiderstehlich. Seit ihrem 19. Jahre wusste sie
überdies, dass ihr Leben nur von kurzer Dauer sein
würde; der Heiland hatte ihr selbst gesagt, dass sie
das Ende ihres 26. Jahres nicht erleben werde. Sie
verlangte deshalb nach ihren eigenen Worten
unbekannt und verborgen in dem liebenswürdigen
Herzen Jesu zu leben."
Von allen
Seiten schienen sich indessen Hindernisse zu
erheben; wir haben oben gehört, dass Herr Dupérier
selbst ihren Beruf zum Sacre-Coeur als unausführbar
erklärte.
Schon hatte die
Familie Lataste sich große Opfer auferlegt, um
Mariens Schwester Quitterie eine Aussteuer zu geben,
da dieselbe bereits seit 14 Jahren barmherzige
Schwester war. Nun war man in der ganzen Gegend
irrtümlicher Weise der Meinung, dass auch im
Sacre-Coeur eine Aussteuer, und zwar eine
bedeutende, unumgänglich notwendig sei. Auch Marie
hatte dieser Gedanke anfänglich viel beschäftigt;
denn sie fühlte, dass sie ihre Eltern durch die
Forderung einer solchen Aussteuer in große
Verlegenheit setzen würde; allein schon im Monat
Juni hatte der Heiland sie beruhigt und ihr gesagt,
dass sie nicht aus Interesse, sondern aus
christlicher Liebe aufgenommen werde. Sie beruhigte
daher auch ihre Mutter, als dieselbe in sie drang,
eine für die Lage ihrer Eltern beträchtliche Summe
anzunehmen, welche die gute Mutter hingeben wollte,
weil sie fürchtete, ihre Tochter würde sonst nur als
Magd auf- genommen. Doch die Tochter befürchtete
dies nicht, da sie nach Nichts strebte, als nach
Erfüllung des göttlichen Willens. Nur ein Gedanke
beunruhigte sie: sie kannte die zärtliche Liebe
ihrer Eltern und fühlte lebhaft den Schmerz, welchen
ihr Weggehen ihnen bereiten musste, daher fürchtete
sie, es möchte die Losschälung, welche der Heiland
von Seiner Braut fordert, ihr noch fehlen. Doch der
gütige Erlöser selbst beruhigte sie darüber, indem
Er ihr sagte, dass diese Gefühle Ihm sogar
wohlgefällig seien, da sie ihre Unterwürfigkeit in
den göttlichen Willen nicht beeinträchtigten: Man
kann, setzte Er hinzu, Gott und die Seinigen
zugleich lieben, nur darf uns die Liebe zur Familie
nicht vergessen lassen, was wir Gott schulden.
Und in der Tat,
der klösterliche Beruf macht uns nicht gefühllos,
und schließt diese Liebe, die Gott ja selbst
befohlen hat, nicht aus; aber er läutert und
veredelt dieselbe, indem er die Eigenliebe
entfernt, welche uns so häufig täuscht und uns
glauben macht, wir liebten die Unsrigen, während wir
nur Gegenliebe und Genuss suchen. Marie Lataste
erfasste dies, und so zog sie durch ihr großmütiges
Opfer gewiss große Segnungen auf die Ihrigen herab.
Zu den soeben
von uns beschriebenen Hindernissen gesellten sich
noch die Schwierigkeiten einer Reise nach Paris,
wohin Marie sich begeben musste. Der Verkehr war
damals weder so leicht, noch so rasch, wie er
heutigen Tages ist; verbot daher nicht selbst die
Klugheit, dass Marie mit 22 Jahren, unerfahren wie
sie war, einen solch weiten Weg zurücklegte? Dann
durch wen würde sie im Sacre-Coeur eingeführt, durch
wen empfohlen werden, da der hochwürdigste Bischof
von Aire sich weigerte, einen solchen Schritt zu
unterstützen? Endlich, gesetzt den Fall, man
versagte ihr die Aufnahme, was sollte sie in dieser
großen, so viele Gefahren bergenden Stadt beginnen?
Diese Gedanken, und viele ähnliche beschäftigten
alle Personen, die für Marie sich interessierten,
oder die sie leiteten; sie forderten sie auf, lieber
in eines der Klöster ihrer Diözese einzutreten, und
so kam es, dass die Erteilung der Erlaubnis zur
Abreise immer verschoben wurde.
Die treue
Dienerin Gottes musste also sehen, wie ein Monat
nach dem andern vorüberging; allein ihr Hoffen war
auf Jenen gerichtet, welcher sie seit ihrer Kindheit
so zu sagen an der Hand geführt und ihr Seine Hilfe
bis zum Ende versprochen hatte. Eines Tages, als sie
mehr als gewöhnlich niedergebeugt war, legte sie
ihre Leiden in das heilige Herz Jesu nieder; besser,
als wir es vermöchten, drücken ihre eigenen Worte
die Ergüsse ihrer Seele aus; sie zeigen uns ihre
Beängstigungen sowohl, als ihre Unterwerfung bei
diesen letzten Kämpfen; wir lassen deshalb hier ihre
eigenen Worte folgen: „O Jesus, mein süßer Erlöser,
erbarme Dich meiner! O mein zärtlicher Vater,
gestatte, dass ich mein Herz mit dem Vertrauen und
der Einfalt eines Kindes in den Schoß Deiner
Barmherzigkeit ergieße. Du allein, o mein Gott,
kennst Alles, was ich fühle und empfinde. Der
Kummer, die Trübsal, die Angst meiner Seele sind
groß, doch Du wirst meine Seele trösten, stärken und
beschützen. Tausendfältiger Dank sei Dir dafür in
Ewigkeit, o Du unendlich gütiger und großmütiger
Gott!
„Herr, sieh
das, was ich Dir sagen will, nicht als Murren der
Empörung gegen Dich an, sondern als die Klage eines
Kindes, das voll Liebe seine Zuflucht zu Dir nimmt.
Warum, süßer Erlöser, lässt Du mich all dieses
erleiden, was ich erleide; meine Leiden sind oft so
außergewöhnlich und so befremdend, dass sie für
mich die Quelle fürchterlicher Prüfungen und der
verschiedensten Demütigungen werden. Um Dir zu
gefallen und Dir zu gehorchen, habe ich stets Alles
aufgeopfert; ich bin aus Liebe zu Dir gerne in den
Augen der Menschen als eine Närrin und Törin
erschienen, und habe mich nie beleidigt gefühlt
über die Art, mit welcher sie das, was ich ihnen
sagte, aufnahmen. Aber, Herr, wie lange noch willst
Du mich in dieser Lage lassen? Ich lebe nicht mehr,
und dennoch finde ich keinen Tod in meinem Leben!
Ich schmachte dahin, wie eine Pflanze, die
vertrocknet, aber sich dennoch erhält. Wann, o Herr,
werde ich die Erfüllung Deiner Vesprechungen
erleben? Wann wirst Du zeigen, dass Du mein Gott,
mein Beschützer und Verteidiger bist? Ach! lass
nicht zu, dass ich in meinen auf Dich gesetzten
Hoffnungen getäuscht werde. Ja, mein Gott und
Heiland, ich hoffe auf Dich, ich hoffe auf Deine
Barmherzigkeit, ich hoffe auf Deine Liebe und Milde,
ich hoffe auf Deine Vorsehung, ich hoffe auf Deine
Kraft und Deine Stütze, ich hoffe auf Deine Worte
und Deine Versprechungen, ich hoffe, weil Du mir
gesagt und befohlen hast, auf Dich zu hoffen. Mein
Hoffen kann nur auf Dich gerichtet sein; denn Du
bist mein Gott, Du bist mein Erlöser, Du bist der
Freund der Schwachen, der Tröster der Betrübten, das
Leben der Sterbenden, die Seligkeit der dich
Liebenden. Ja, ich hoffe aus Dich und mein Hoffen
wird nicht getäuscht werden. Mag aber dem ungeachtet
geschehen, was da will, so werde ich stets sagen:
„Herr Jesus, Dein Wille geschehe und nicht der
meine." --Solche Worte bedürfen keiner weiteren
Auslegung. Wie hätte das so liebevolle, mitleidige
Herz Jesu nicht davon gerührt werden sollen? Jesus
erhörte Seine treue Schülerin; Er erleuchtete sie in
ihren Zweifeln und erfüllte sie mit neuer Kraft.
Deshalb vermochte nun auch Nichts mehr sie
auszuhalten: auf alle ihr gemachten Einwendungen
erwiderte sie, dass Jesus es also entschieden habe,
dass Er ihr bis auf die geringsten Umstände
eingegeben habe, wie sie sich bei den verschiedenen
Veranlagungen und Gelegenheiten zu benehmen habe.
Es möchte
vielleicht hier am Platze sein, eine kurze
Betrachtung beizufügen, in Betreff einiger Stellen,
die sich in Marie Latastes Werken finden, worin sie
mitteilt, was sie von ihrem göttlichen Meister zu
hören glaubte. Diese Stellen sind in der ersten
Ausgabe ihrer Werke und waren mehr als Einem Leser
anstößig. Die Offenbarungen einzelner Personen sind
verschieden von den allgemeinen Offenbarungen; die
letzteren sollen und müssen von Allen geglaubt und
angenommen werden; sie setzen deshalb außer der
göttlichen Eingebung noch eine ganz besondere Hilf
des heiligen Geistes voraus, vermöge welcher das
von Gott hierzu auserwählte Werkzeug vor jedem
Irrtum bewahrt ist, so war es z. B. der Fall mit den
Evangelisten.
Die ersteren
Offenbarungen, d. h. die besonderen, haben nur das
Wohl oder den Nutzen dessen zum Ziel, welchem sie zu
Teil werden, beziehen sich daher nur nebenbei auf
Andere. Die mit denselben begünstigte Seele bedarf
keiner besonderen Beihilfe, und wäre es auch nur, um
sie in der Demut zu erhalten, so schützt Gott sie
nicht immer vor der Gefahr, zu irren. Er erleuchtet
diese Seele; Er legt ihr so zu sagen einige
Wahrheiten vor, die sie dann mit den verschiedenen
Fähigkeiten ihrer Seele gleichsam. verarbeiten muss.
Mau darf annehmen, dass auch die sichersten
himmlischen Eingebungen gewöhnlich das Spiel der
natürlichen Fähigkeiten nicht ausschließen;
besonders ist dies bei den Visionen der Fall; die
menschliche Einbildungskraft kann immer daran Teil
haben und Etwas zu dem, was von Gott kommt,
beifügen, und wirklich geschieht dies sehr häufig.
Wenn wir uns so ausdrücken dürfen, so ist dies
gleichsam ein menschliches Werk, das am göttlichen
Werke fortwirkt, und ohne den besonderen Schutz, von
dem wir oben gesprochen, ist es zuweilen sehr schwer
zu unterscheiden, wo das ursprüngliche Werk Gottes
aufhört, wo also das Werk des Geschöpfes beginnt,
und bis zu welchem Grade das Geschöpf dabei
mitwirkt.
Übrigens ist
kein Mensch, wie begnadigt er auch sein möge,
immerwährend unter dem Einfluss außergewöhnlicher
Eingebungen des heiligen Geistes; und der Teufel, so
erfinderisch, die Gestalt eines Engels des Lichtes
anzunehmen, unterlässt nicht, so oft als möglich
seine Einflüsterungen selbst in die heiligsten Dinge
zu mischen. Die Seele ist also der Gefahr
ausgesetzt, ihre eigenen Gedanken, ja selbst die
Einflüsterungen des Teufels für Eingebungen Gottes
zu halten. Deshalb nahm der Papst Benediktus XIV.
auch keinen Anstand, die Frage, ob die Heiligen
falsche Offenbarungen haben können, die sie für wahr
halten, bejahend zu beantworten.
Nachdem wir
dies vorausgesetzt und angenommen haben, wird man
begreifen, dass ihre Seele sich über alle Maßen mit
den sich ihrem Berufe entgegensetzenden
Schwierigkeiten beschäftigte, was umso natürlicher
wird, wenn man bedenkt, wie diese Schwierigkeiten
ihr als unüberwindliche Hindernisse hingestellt
wurden; welche Schwierigkeit man namentlich ihrer
Aufnahme ins Sacre-Coeur bereitete; wie groß ihre
gänzliche Unerfahrenheit in dergleichen Dingen,
aber auch wie fest sie entschlossen war, dem Rufe
des Herrn zu folgen. Ist es bei einem solchen
Zustande der Aufgeregtheit nicht denkbar, dass sie
die Pläne und Entwürfe ihrer Einbildungskraft für
Pläne Gottes angesehen habe? Sie war, wie wir bis
jetzt gesehen, stets gewohnt, in allen ihren
Anliegen vertrauensvoll sich dem Heilande zu nahen;
sie hielt deshalb die Pläne, die sie entwarf, auch
jetzt für Eingebungen Gottes, und täuschte sich
diesmal; ihre Einbildungskraft war die einzige
Ouelle dieser Entwürfe, und wir finden den besten
Beweis für diese unsere Behauptung darin, dass diese
Pläne sie nicht zum Ziele führten, während bei ihren
wirklichen Eingebungen wir jedesmal einen andern
Erfolg sehen.
Anders ließe
sich die Schrift nicht erklären, die sie verfasste,
um sich im Kloster einzuführen: dieselbe enthält
geheime Vorbehalte, die mit dem Geiste der Wahrheit
sich nicht vereinbaren lassen; ebenso auch zu
unrichtige, auf das Klosterleben bezügliche Dinge,
als dass Gott der Urheber derselben sein könnte! So
z. B. bestimmt nicht das Vermögen die verschiedenen
Rangstufen und Klassen in einer Klostergemeinde.
Nach der Anordnung der göttlichen Vorsehung müssen
dieselben überall bestehen: im Sacre-Coeur z. B.
bilden Erziehung und Unterricht eine
Unterscheidungslinie zwischen den Chorfrauen und den
Laienschwestern; jedoch sind Letztere keine Mägde
und Jene nehmen oft Anteil an den Arbeiten dieser.
Wie hätte der Heiland in einem anderen Sinne
sprechen können? Der Erz- Bischof von Paris hatte
bei der Aufnahme Nichts zu vermitteln, aus welchem
Grunde hätte also die Postulantin ihm anempfohlen
werden müssen? Trotz alldem können wir jedoch keinen
Schatten von Verdacht aus Mariens Absichten werfen,
ebenso wenig können wir voraussetzen, dass Stolz sie
antrieb, wenn sie sich vorteilhaft über sich selbst
äußerte; denn die Demut besteht nicht darin, das in
uns befindliche Gute nicht zu kennen, sondern darin,
dass wir Alles auf Gott, als dessen einzigen Urheber
beziehen. Was wir bis jetzt von diesem frommen
Mädchen mitgeteilt haben, würde schon hinreichend
sein, solche Gedanken auszuschließen und ihr
späteres demütiges und verborgenes Klosterleben, das
gleich Anfangs höchst vollkommen war, wird jedem
vorurteilsfreien Geiste auch den leisesten Schatten
von Misstrauen in dieser Beziehung benehmen, selbst
dann, wenn die Schriften dieser Magd des Herrn nicht
so sichtlich und so klar das Gepräge eines guten
Geistes trügen.
Überdies darf
man nicht vergessen, dass sie den ausdrücklichen
Befehl erhalten hatte, alles zu offenbaren, was sie
empfände: sie gehorchte deshalb und überließ denen,
welchen dies zukam, den Ursprung ihrer Gestühle zu
untersuchen. Wir folgten in dieser von uns
angeführten kurzen Abhandlung nur dem Urteil dazu
befugter Personen; aus uns selbst würden wir uns
nicht anmaßen, ein Urteil zu fällen. Was Marie Lataste selbst anbelangt, so fand sie in allen
Mitteln, die ihr einfielen, um zu ihrem Ziele zu
gelangen, nur einen neuen Liebesbeweis ihres
göttlichen Meisters; daher kannte sie auch keine
Furcht und Angst in Betreff ihrer Aufnahme ins
Sacre-Coeur und verfolgte eifrig das Projekt einer
baldigen Abreise.
Der Pfarrer
von Mimbaste wollte, dass sie ihm
auseinandersetzte, was sie selbst über ihren Beruf
dächte: „Mein Beruf, sagte sie, ist, Nonne in dem
Kloster des heiligen Herzens zu werden. Dieser Beruf
kommt nicht von mir, sonst wäre es kein Beruf. Es
ist Derjenige, Der so sanft, so süß, so heilig mit
mir sprach, Der mich in diese zu Ehren Seines
heiligen Herzens errichtete geistliche
Genossenschaft berufen hat. Ich bin dazu bestimmt,
und habe auch einen entschiedenen Hang zu dieser
Lebensart. Ich kenne dieses Kloster zwar weder im
Ganzen, noch im Einzelnen; allein es genügt mir, zu
wissen, dass es die Ordensgesellschaft des heiligen
Herzens ist. Ich will in ihr meinem Gott und meinem
Erlöser leben, um Ihn immer vollkommener und immer
inniger zu lieben. Das ist der Beweggrund, weshalb
der Heiland mich berufen hat. Es ist also weder
Eitelkeit, noch Ehrgeiz, noch Verlangen nach einem
angenehmen, bequemen Leben, nein, hochwürdiger Herr,
Gott kennt meine Gefühle; sie sind frei von jedem
persönlichen Interesse. Prüfungen erwarten mich dort
wie hier. Ich werde viel leiden, das weiß ich; denn
Jesus hat es mir gesagt; allein ich fürchte weder
Arbeit, noch Demütigungen, noch Widerwärtigkeiten,
noch Kummer, noch Prüfungen, welcher Art sie auch
seien; ich fürchte weder Gefängnis, noch Ketten,
noch den Tod!" Hierauf zählte Marie alle ihr
entgegengehaltenen Bedenken aus, widerlegte
dieselben und folgerte daraus die Notwendigkeit,
ohne längeres Zögern dem ihr so klaren göttlichen
Willen zu folgen. Schließlich fügte sie noch bei:
„Erlauben Sie mir nun, Sie nochmals flehentlich zu
bitten, mir um Gotteswillen zu sagen, ob sie meine
Abreise gutheißen. O, wie werde ich glücklich sein,
Ihre Einwilligung nebst der meines Jesu zu haben!
O, sprechen Sie, mein Vater, und möge Ihr Wort ein
Wort des Segens und gleichlautend mit Jesu Wort
sein!" --Herr Darbins fand es nun an der Zeit, sich
nicht länger einem Vorhaben zu widersetzen, das so
reinen Absichten entstammte und so gänzlich frei
von menschlichen Rücksichten war. Er gab also seine
Einwilligung; dies geschah im Januar 1844.
Sobald Marie
durch ihren geistlichen Vater über die
ausgezeichnete Gnade, deren sie teilhaftig wurde,
beruhigt war, bat sie den Heiland, ihr Seinen
göttlichen Willen in Betreff der Schriften, worin
ihre Offenbarungen und Belehrungen enthalten, kund
zu tun. Der Heiland willfahrte ihren Bitten und
sagte ihr, dass dieselben nebst ihren Briefen einst
gedruckt würden, um viele Seelen zu belehren.
Mehrmals hatte Jesus ihr angegeben, wie viel Gutes
dieselben bewirken würden; diese Versprechungen sind
in ihren Schriften angeführt; wir wollen nur eine
einzige daraus bezügliche Stelle anführen:
,,Alles, was
ich dir gesagt habe, wird in der Welt verbreitet
werden, und wird Vielen zum Nutzen gereichen. Jene,
welche Kummer haben, werden in Meinen, von dir
wiedergegebenen Worten Frieden finden; die Lauen
werden Kraft und Stärke darin finden; die
Ungläubigen den Glauben, die Verzweiflungsvollen
Bestätigung der Wahrheit, endlich Jene, welche tot
sind, das Leben . ." Und weiter: „Ich werde deinen
Namen unter denen, die das Sakrament Meiner Liebe
andächtig verehren, berühmt machen; ich werde ihnen
zeigen, auf welche Weise Mein Erbarmen gegen dich
sich offenbarte, und sie werden Gott für die dir
erwiesene Gnade danken." Und endlich fügte Jesus
noch bei: „Bleibe immer in der Demut und in der
Furcht des Herrn, auf dass du nicht, nachdem ich
dich mit den auserlesensten Gnaden überhäuft habe,
zur ewigen Verdammnis gelangst."
So sorgte der
göttliche Meister durch strenge und ernste
Ermahnungen dafür, Seine vielgeliebte Schülerin vor
eitler, vom Stolze eingeflößter Selbstgefälligkeit
zu bewahren. Getreu Seinen Lehren beobachtete sie
dieselbe Losschälung in Betreff ihrer, diese Lehren
enthaltenden Schriften und sagte deshalb noch am
selben Tage zu ihrem Seelenführer: „Sie mögen
beurteilen, wie, auf welche Weise und wann Sie meine
Schriften benutzen, um Gutes damit zu bewirken, oder
ob es nicht besser fei, sie zu verbrennen." Vier
Monate später, als sie auf dem Punkte stand, ihren
teuersten Wunsch in Erfüllung gehen zu sehen, gab
sie ihre Schriften dem Abbé Darbins als Zeichen
ihrer Dankbarkeit: „Ich gebe sie Ihnen nicht nur zum
Aufbewahren, sondern ich überlasse Ihnen dieselben,
damit Sie als Herr und Eigentümer mit ihnen
verfahren können. Benutzen Sie dieselben nach
Gutdünken wie eine Ihnen ungehörige Sache, die man
Ihnen nicht nur anvertraut, sondern ganz und gar
überlassen hat." --Das demütige Mädchen besaß sonst
Nichts, hätte sie diesen kostbaren Schatz nicht
gebrauchen können, um sich ein Ansehen vor
denjenigen zu geben, vor welchen sie bald mit leeren
Händen und ohne irgend eine Empfehlung erscheinen
sollte? Sieht man nicht in diesem Akt ein
unbestreitbares Zeichen des sie leitenden Geistes?
Am 15. April
schrieb sie ihrem Pfarrer, dass die Abreise auf den
21. festgesetzt sei. Sie dankte ihm für alle ihr
bewiesene christliche Liebe und bat ihn flehentlich,
ihr doch alles zu verzeihen, wodurch sie ihn
vielleicht beleidigt haben könnte. Sie fügte noch
die Bitte bei, Hrn. Dupérier dieselben Gefühle
auszudrücken, und sie seinem Gebete zu empfehlen.
Doch vor ihrer Abreise wollte sie noch einmal die
Ermahnungen ihres Beichtvaters hören, deshalb suchte
sie ihn auf und wiederholte nochmals mündlich die
Bitte, ihr zu verzeihen und sie zu segnen.
Am 20. nahm sie
von ihrem schon im Alter vorgerückten Vater, von
ihrer kränkelnden Mutter und ihrer zärtlich
geliebten Schwester Abschied. Alle hatten ihr
Möglichstes getan, um ihr die Reise zu erleichtern.
Elisabeth verlangte durchaus, dass ihre Tochter das
beste Leinenzeug des Hauses mitnehme, und ihr Vater
nötigte sie, für die Kosten der Reise und ihres
Aufenthaltes in Paris die Summe von 500 Francs von
ihm anzunehmen. Dem vom Heiland selbst erteilten
Rat zufolge hatte sie ihr Vorhaben nur wenigen
Personen mitgeteilt. Ihr Vater und ihre Schwester
begleiteten sie eine Strecke weit, Viktoria B., eine
ihrer vertrautesten Freundinnen gesellte sich zu
ihnen. Der Augenblick der Trennung war schmerzlich;
als Marie das Schluchzen ihres alten Vaters hörte,
und die Tränen ihrer Schwester sah, konnte auch sie
ihren lebhaften Schmerz nicht zurückhalten. Doch
alle schöpften in ihrem lebendigen Glauben Kraft.
Viktoria
begleitete sie noch eine Strecke weiter, doch bald
musste auch sie Marie verlassen, die sich jetzt ganz
allein befand. „Von diesem Augenblick an, sagte sie,
betrachtete ich mich als ein Fremdling auf dieser
Welt; ich warf mich voll Vertrauen in die Arme
Gottes." --- Ihre Reife, deren Einzelheiten sie in
einem Briefe an Hrn. Darbins mitteilt, bot nichts
Bemerkenswertes dar: sie hatte ihr ganzes Vertrauen
auf den Schutz des Himmels gesetzt, der ihr denn
auch nicht fehlte, und ihr Herz genoss tiefen
Frieden.
Nach ihrem
bisherigen Leben hätte man voraussetzen müssen, dass
sie mit der Welt und ihren Forderungen gänzlich
unbekannt wäre; allein ihr göttlicher Lehrmeister
hatte sie auch hierüber belehrt. Durch ihr
bescheidenes und zurückhaltendes Benehmen flößte sie
Achtung ein, und vermied so die Gefahren, die ihrer
Unerfahrenheit hätten drohen können.
Am 25. April
kam sie in Paris an, und begab sich alsbald in das
Spital der Findelkinder, in welchem ihre älteste
Schwester wirkte. Quitterie bewies, als würdige
Tochter des hl. Vincenz von Paul, die Wahrheit
dessen, was der Heiland Seiner Schülerin über den
Beruf gesagt hatte. Er hatte sie erwählt, um Ihm in
Seinem öffentlichen Leben nachzufolgen, um die
körperlichen Leiden der Menschen zu erleichtern und
sie in ihren geistigen Bedürfnissen zu unterstützen.
Die fromme Schwester erfüllte mit heiligem Eifer
diese doppelte Mission, und entfaltete besonders in
der Folge große Tugend und auffallende Fähigkeit zu
den Pflichten ihres Berufs.
1
Als Quitterie
das elterliche Haus verlassen hatte, war Marie noch
Kind. Deshalb wusste Quitterie nichts von den in der
Seele ihrer Schwester gewirkten Wundern der Gnade;
seit einigen Tagen nur war ihr die bevorstehende
Ankunft Mariens angezeigt worden, und sie glaubte
daher ihrer Schwester einige Vorwürfe machen zu
müssen. Ihre Sorge vermehrte sich noch, als sie
deren Absicht erfuhr, ins Sacre-Coeur eintreten zu
wollen; vielleicht hegte auch sie einige der im
Lande verbreiteten Vorurteile, und die ihr
eigentümliche Sorglichkeit ließ sie befürchten, die
Reise und das Vorhaben ihrer Schwester möchten nur
die Wirkung einer tadelnswerten überreizten
Einbildungskraft sein. Demungeachtet bewies sie ihr
die liebevollste Sorgfalt und ebenso bewiesen ihr
alle Hausbewohner die herzlichste Liebe. Die Oberin
versicherte ihr sogar, dass der hl. Vincenz sie in
sein Haus aufnehmen würde, wenn sie im Sacre-Coeur
nicht zugelassen würde. Marie dankte ihr auf
demütige Weise, fügte jedoch bei: Ich werde nicht
zur Familie des hl. Vincenz gehören, so sehr ich
auch tu und seine Töchter verehre, und durch Ihre
Güte mich angezogen fühle; allein Gott will mich in
der Genossenschaft Seines hl. Herzens, und ich werde
nicht zurückgewiesen." --- Durch ihre Überzeugung
gestärkt, verlor Marie keinen Augenblick und tat
sogleich die zur Erreichung des Zieles nötigen
Schritte.
1Schwester
Quitterie starb im Jahr 1863 sehr erbaulich. Sie
wurde 52 Jahre alt und hat 33 Jahre ihres Lebens als
barmherzige Schwester Gott gedient. Wir haben so
viel Ähnlichkeit in dem Wesen der beiden Schwestern
gefunden, dass wir einige Züge aus authentischen
Quellen gesammelt haben, die wir am Ende dieses
Werkes beifügen. Sie werden nochmals die Wahrheit
der Offenbarungen Mariens zeigen, sowie die Vorliebe
des Heilandes für diese Familie.
Der Pfarrer von
Mimbaste und Hr. Dupérier hatten ihr
Empfehlungsbriefe an den Abbé Dupanloup gegeben.
Sie kannten
niemand in Paris; allein der Ruf des liebevollen
und eifrigen Direktors des Knabenseminars von St.
Nicolaus war bis zu ihnen gelangt und sie
versprachen sich Gutes für Marie von seinem Schutz.
Zweimal ging Marie hin und bat um eine Audienz;
allein seiner zahllosen Beschäftigungen wegen konnte
sie nicht bis zu ihm gelangen; daraus schloss sie,
dass der liebe Heiland ihre einzige Stütze sein
wollte, und sie begab sich daher unverzüglich ins
Kloster des hl. Herzens in der Straße Varennes.
Die ehrwürdige
Mutter E. v. Grammont, damals Oberin daselbst, kam
nicht selbst, sondern ihre Assistentin, die
ehrwürdige Mutter A. du Boisbaudry. Die Postulantin
wurde auf eine Weise ausgenommen, die derjenigen,
die man ihr vorausgesagt hatte, ganz entgegengefetzt
war. Ermutigt durch das liebevolle Wohlwollen,
beantwortete sie die an sie gestellten Fragen mit
Einfalt, erzählte in Kürze ihr Leben und gab an, in
welcher Lage sie sei. Die ehrw. Mutter du Boisbaudry
setzte voraus, Marie wolle Chorfrau werden, und da
sie von ihr gehört hatte, dass ihre Erziehung und
ihr Unterricht nur sehr oberflächlich gewesen seien,
so bemerkte sie ihr nur, dass es ihr in ihrem Alter
schwer sein würde, sich noch solche Kenntnisse
anzueignen, wodurch sie fähig wäre, die der
Genossenschaft anvertrauten jungen Mädchen zu
bilden; sie würde deshalb besser tun, einen Orden zu
wählen, wo man sich nicht mit der Erziehung
beschäftigte. Eine gewisse Würde in Mariens Wesen
und ihre Kleidung, welche einen gewissen Wohlstand
bewies, drängten den Gedanken zurück, ihr
anzubieten, Laienschwester zu werden. Marie jedoch,
der unser Heiland keinen andern Befehl gegeben
hatte, als ins Sacre-Coeur einzutreten, rief
sogleich aus: „Ach, Madame, ich will lieber
Schwester oder Magd in Ihrem Hause sein, als
Chorfrau in einem andern Kloster."
Gerührt über
diese Ausdauer, gab ihr die Mutter Assistentin einen
allgemeinen Überblick über die Organisation der
Gesellschaft des hl. Herzens. Obwohl die Mitglieder
aus zwei verschiedenen Klassen bestehen, wovon die
Eine sich mit Erziehung und Unterricht, und die
andere mit Hausarbeiten beschäftigt, so sind dennoch
die Mitglieder beider Klassen wirkliche Nonnen. Mit
Gott und mit der Gesellschaft durch die Gelübde der
Armut, des Gehorsams und der Keuschheit verbunden,
denselben Regeln unterworfen, haben sie an den
geistlichen Gütern auch gleichen Anteil und streben
nach Einem Ziele, nämlich die Ehre des heiligen
Herzens und das Heil der Seelen zu befördern.
Die also
belehrte Postulantin flehte um die Gnade, als
Laienschwester aufgenommen zu werden. Aber man
wusste nichts von ihr, als was sie selbst gesagt,
deshalb war die schriftliche Bestätigung des
Pfarrers von Mimbaste unerlässlich. Marie beeilte
sich deshalb in einem Briefe darum zu bitten.
Bis dahin hielt
die ehrwürdige Mutter du Boisbaudry es für ratsam,
die Postulantin aufzufordern, sich an einen Pater
der Gesellschaft Jesu zu wenden; sie nannte ihr
mehrere, unter andern den außerordentlichen
Beichtvater des Klosters, - dieser hochwürdige Pater
war nicht der gewöhnliche Beichtvater und Aumonier
des Klosters, wie Marie Lataste glaubte und in ihren
Schriften sagt; die Jesuitenpatres übernahmen nie
ein derartiges Amt. Da derselbe mit allem bekannt
war und Mariens Wunsch besser als sonst jemand
unterstützen könnte, wenn er sie berufen glaube. Die
Mutter Assistentin fand es auch ratsam, dass Marie
durch einen erfahrenen und unterrichteten Ordensmann
geprüft werde, da die Wege, aus denen sie geführt
worden, ganz außerordentlicher Art waren.
Marie
unterwarf sich allem, und ins Spital
zurückgekommen, teilte sie ihrer Schwester ihre
Hoffnungen mit; diese jedoch billigte ihren Schritt
nicht; es wäre ihr lieber gewesen, wenn ihre
Schwester nochmals versucht hätte, die Stütze des
Hrn. Abbe Dupanloupe zu erlangen. Das junge Mädchen
hörte ihr stillschweigend zu; allein ihr Vertrauen
auf den göttlichen Schutz gab sie nicht auf.
Sie schrieb an
den ihr von Mutter du Boisbaudry bezeichenten hochw.
Pater und hatte hieraus zwei Unterredungen mit
ihm. Die Einfalt und die Klarheit ihrer Antworten
auf die Fragen des frommen Paters überzeugten
denselben, dass sie wirklich vom Heiland besonders
begnadigt sei, und er fasste deshalb den
Entschluss, mit all seinem Ansehen ihre Aufnahme zu
befördern. Er ging einige Tage darauf nach Conflans,
wo sich die GeneralOberin eben befand und sprach
mit ihr über die Postulantin. Auf sein Zeugnis hin,
das mit dem Briefe des Pfarrers übereinstimmte,
entschloss sich die ehrw. Mutter Barat jene in ihre
Gesellschaft aufzunehmen, welche das Herz Jesu auf
so merkwürdige Weise ihr zugeführt hatte. Marie war
in der Zwischenzeit zweimal im Kloster zu Paris
gewesen und beantwortete alle Fragen der Mutter
Assistentin auf das offenherzigste, erhielt auch die
Versicherung, dass die Oberin ihrer Ausnahme kein
Hindernis entgegensetze. Ihre Freude stieg aufs
Höchste, als sie am 10. Mai auch die günstige
Antwort der General-Oberin erhielt. Sie entschloss
sich, dem Pfarrer von Mimbaste dies mitzuteilen, sie
schrieb ihm: „Preisen Sie, ich bitte, die göttliche
Vorsehung, die mich so sichtlich beschützt. Ich habe
mich mit kindlichem Vertrauen in die Arme der
Vorsehung geworfen, die mir die Güte und
Zärtlichkeit einer Mutter beweist; sie hat mich
gleichsam an der Hand geführt; sie hat für mich
gewirkt, dadurch, dass sie die Einen erleuchtete und
die Herzen der Andern mir zuwendete. Beten Sie für
mich, damit ich stets an Gottes Willen festhalte
und dass Er mir die Gnade gebe, denselben so treu
als möglich auszuüben."
Aus obiger
Erzählung ersieht man, dass Marie Latastes Aufnahme
so einfach war, wie es sein soll; es erhoben sich
keine andern Umstände gegen ihre Aufnahme, als jene,
die notwendig waren, um sie kennen zu lernen; denn
der außerordentliche Weg, auf welchem sie bisher
gewandelt, erheischte dringend einige Vorsicht.
Während ihres
Aufenthaltes bei den barmherzigen Schwestern hatte
sie allen Schwestern zur Erbauung gedient. Sie
versuchte ihren Dank für die ihr gewährte,
großmütige Gastfreundschaft dadurch zu beweisen,
dass sie sich nützlich machte; sie nahm Teil an der
Verpflegung der Kinder und bekümmerte sich wenig
darum, Merkwürdigkeiten von Paris zu sehen. Nur
Eines beschäftigte sie: ihr Beruf, und außer den
Ausgängen, zu welchen dieses ihr Anliegen sie
veranlasste, ging sie nur in einige Kirchen; alles
andere war ihr ziemlich gleichgültig. Den guten
Schwestern fiel besonders ihre Bescheidenheit und
ihre beständige Geistessammlung aus. Sahen sie aber
Marie vor dem allerheiligsten Sakramente, so
erbauten sie sich doppelt durch ihr sichtliches
Durchdrungensein von der Gegenwart Gottes. Jeden
freien Augenblick verwendete sie zu einem Besuche
des hl. Sakramentes, und mehrere der Schwestern, die
sie damals kennen lernten, erinnern sich noch
lebhaft ihres heiligen Eifers.
Am 15. Mai
endlich 1844, am Vorabend des Himmelfahrtsfestes,
nahm sie Abschied von den Schwestern und verließ sie
mit innigem Danke für die ihr bewiesene Liebe; ihre
Schwester begleitete sie nach der Straße Varennes,
wo das Kloster und Pensionat des heil. Herzens sich
befindet und übergab sie daselbst ihrer neuen
Familie.
Sechtes
Kapitel
Mariens Aufenthalt in der Straße
Varennes; sie wird nach Conflans geschickt; ihr
Postulat, ihre Einkleidung; Abreise nach Rennes.
Mariens
teuerster, liebster Wunsch war nun erfüllt; sie
sollte jetzt, wie sie selbst sagte, unter den Augen
Gottes durch die Ausübung der einfachsten Tugenden
an ihrer Heiligung arbeiten. Der himmlische König
hatte Seine vielgeliebte Pflanze in eines Seiner
Gartenbeete versetzt; sie sollte indessen dort nur
für Ihn leben, deswegen lag es in den Plänen Seiner
geheimnisvollen Vorsehung, dass nur wenige
Einzelheiten über das von nun an ganz verborgene
Leben gesammelt werden konnten.
Mehrere
Oberinnen leiteten und beobachteten Marie im Laufe
der drei Jahre, die sie im Sacre-Coeur verlebte;
allein einige von ihnen sind gestorben, so dass nur
zwei uns Mitteilungen über sie machen konnten. Was
die anderen Klosterfrauen und die Laienschwestern
betrifft, die sie gekannt und mit ihr im Verkehr
waren, so wurde es diesen nicht schwer, sich Marie
ins Gedächtnis zurückzurufen. Dennoch darf man nicht
erwarten, bemerkenswerte Tatsachen in dem
beschränkten Kreis zu finden, in welchem das Leben
einer Novizin sich bewegt, obgleich gerade in der
beständigen, treuen Beobachtung der Regeln, die so
zu sagen das ganze Wesen des Menschen umwandeln und
in den nur Gott bekannten kleinen Opfern die
gänzliche, unbeschränkte Hingabe seiner selbst
besteht, welche die hl. Väter das Martyrium des
Klosterlebens nennen.
Wie schwer
musste es ihr nicht werden, sich so zu sagen
gänzlich vergessen zu sehen, nachdem ihr so
auserlesene Gnaden zu Teil geworden; nach den großen
Verheißungen, die Jesus ihr gemacht; nachdem sie
bis jetzt so viel Achtung, Vertrauen und Ehrfurcht
genossen; nachdem sie so viel Einfluss ausgeübt
hatte? Wie schwer müsste es ihr werden, ihre Zeit,
ihre Kräfte und den sie beseelenden Eifer zu den
niedrigsten und gemeinsten Arbeiten zu verwenden;
in diesen Arbeiten so zu sagen allen Geist, alle
Erleuchtung und alle in der Schule Jesu erlangten
Kenntnisse zu vergraben und zu vernichten? Dieses
verborgene und unbekannte Leben war für ihre Natur
sicherlich ein langsames, schweres Martyrium.
Oberflächliche Geister, oder solche, welche das
Wunderbare lieben, wird ein solches Ende befremden;
allein wir sehen darin nur eine Bestätigung und
Vollendung des göttlichen Werkes. -- Diese unsere
Meinung wird gewiss von Jedem geteilt, der in das
geistige Leben eingeweiht ist; und man wird uns
Recht geben, wenn wir behaupten, dass diese
auserwählte Seele großer Willenskraft und einer
festen Tugend bedurfte, um so ganz und dauernd den
Weg der Selbstüberwindung und Selbstverleugnung zu
betreten, auf welchem wir sie von nun an wandeln
sehen.
Vom ersten Tage
ihres Eintrittes an bemühte sich Marie, die Regeln
und Gebräuche des Klosters gut kennen zu lernen, um
ihr Benehmen danach einzurichten. Eine andere
Novizenschwester wurde beauftragt, ihr in den ihr
zugewiesenen Arbeiten Anleitung zu geben; dieselbe
fand stets rücksichtsvollen Gehorsam für ihre
geringsten Belehrungen; diese gute Schwester war
ganz beschämt darüber; denn sie glaubte, Marie sei
von besserer Familie, weil ihre ganze Haltung und
Kleidung das Gepräge einer sorgfältigen Erziehung
trugen. Dieses Äußere war indessen nur die Wirkung
der Unterweisungen des Heilandes und der
immerwährenden Achtsamkeit dieser Seele, sich in der
Gegenwart Gottes zu erhalten. Alle mit ihr
verkehrenden Nonnen machten dieselbe Bemerkung und
obwohl der Aufenthalt Mariens in der Straße
Varennes nur von kurzer Dauer war, so blieb die
Erinnerung an ihre Tugend dort in regem Andenken.
Schon nach 20
Tagen wurde Marie nach Conflans geschickt, woselbst
das bedeutendste Noviziat der Gesellschaft ist. Die
ehrwürdige Mutter Mathilde Garabis beschreibt mit
folgenden Worten den Eindruck, welchen die junge
Postulantin auf sie machte: „Ihr friedlicher,
einfacher und bescheidener Ausdruck fiel mir
sogleich aus. Ihre Gesichtszüge trugen indessen
Spuren von tiefen, aber mutig ertragenen Leiden; man
hätte sie für 30 Jahre gehalten, obwohl sie erst 22
alt war. In ihrem ganzen Wesen und Benehmen lag
Etwas, was weit über ihre Stellung ging. Da ich für
unsere guten Laienschwestern zu sorgen hatte, so sah
ich sie einzeln alle acht Tage; Marie Lataste
eröffnete mir ihr Inneres mit unbeschränktem
Vertrauen. Ich bewunderte die Absichten der
Vorsehung; allein mir bangte davor, eine Seele zu
leiten, die auf ungewöhnlichen Wegen, wo die
Grenzen zwischen Täuschung und Wirklichkeit so
schwer zu finden sind, geführt wurde. Unsere
ehrwürdige General-Oberin hatte die Güte, mir einige
Anweisungen zu erteilen, wodurch meine Ausgabe
erleichtert wurde. Alles, was Marie mir über die
Unterredungen, deren der Heiland sie würdigte,
mitteilte, trug das Gepräge eines guten Geistes;
gewöhnlich beschränkte ich mich darauf, ihr
stillschweigend zuzuhören, wobei ich den Takt und
die Zartheit bewunderte, womit sie mir ihr Inneres
erschloss. Wenn ich an dem, was sie mir erzählte, zu
zweifeln schien, oder wie dies in den ersten Tagen
häufig geschah, es missbilligte, so unterwarf sie
sich demütig, ohne auf ihrer Meinung zu beharren,
wenn ihr dieselbe auch noch so teuer war."
Ihre Sanftmut,
die Gleichförmigkeit ihres Charakters und ihre
herzliche Liebe gewannen ihr bald die Herzen ihrer
neuen Schwestern, und die Heiligkeit, von welcher
ihr ganzes Wesen strahlte, flößte Jedermann
Ehrfurcht ein. Bei der den Laienschwestern
gehaltenen geistlichen Lesung, der stets eine
General - Assistentin der Gesellschaft beiwohnte,
examinierte dieselbe zuweilen Marie; sie antwortete
dann stets mit solcher Leichtigkeit und auf so
praktische Weise, dass es auf Alle tiefen Eindruck
machte. Oft, am Schlusse der Lesung, fragten sie
einander, wer wohl diese Postulantin sein müsse,
deren Worte eine so große Frömmigkeit bekundeten?
und hatten deshalb einen hohen Begriff von ihrer
Tugend. Mehrere von ihnen wähnten, Marie müsse schon
in einer anderen geistlichen Genossenschaft gelebt
haben, indem sie meinten, dass sie auf keine andere
Art eine solche Kenntnis des Klosterlebens hätte
erlangen können.
Die demütige
Schwester ahnte indessen nicht, welche Gefühle sie
einflößte; ihr vortrefflicher Geist und die niedrige
Meinung, die sie von sich selbst hegte, offenbarten
sich in einem, zwei Monate nach ihrem Eintritt in
Conflans, an den Pfarrer von Mimbaste gerichteten
Brief; sie schrieb: „Ich bin glücklich und
zufrieden; diese Worte enthalten Alles, was ich
Ihnen zu sagen wüsste. Ich bin beschämt über die
Güte, die man mir beweist, und über die Liebe, mit
welcher man meine fortwährenden, obwohl
unfreiwilligen Fehler gegen die hl. Regeln erträgt.
Ach, Hochwürden! ich will unterwürfig und Gehorsam
sein und Gott und meinen Oberinnen meinen Dank durch
gänzliche Hingebung beweisen. Ich will meinen
Willen ganz dem göttlichen unterwerfen; Er wird tun
mit mir, wie es Ihm gefällt; Er ist mein Vater und
mein Meister und ich bitte Ihn, mich als eine Ihm
angehörige Sache zu behandeln." „Ich hoffe, mehr und
mehr von dem Geiste des erhabenen und heiligen
Standes, den ich ergreifen will, durchdrungen zu
werden, damit ich alle Pflichten desselben erfüllen
kann. Beten Sie für mich, damit ich eine dem hl.
Herzen Jesu angenehme Klosterfrau werde."
Die Fehler,
welche sie sich vorwarf, kamen nur von ihrer
Unkenntnis der Regel, und nie war es nötig, sie
zweimal zu mahnen. So z. B. bemerkte eine Schwester,
dass sie im Anfange ihres Noviziats Abends bei dem
Zeichen der Glocke knien blieb, statt sich zu Bette
zu begeben. Sie fragte deshalb Marie, ob sie die
Erlaubnis dazu erhalten habe, und sagte ihr, dass
sie außerdem ihre fromme Übung nicht fortsetzen
dürfe. Die Ermahnung wurde mit Dank angenommen und
pünktlich beobachtet.
Marie sprach
über die von Gott erhaltenen Gnaden nur mit der
ehrw. Mutter Garabis, der ihre Leitung anvertraut
war. Nichts desto weniger beobachteten sie auch die
andern Oberinnen aufmerksam, da auch sie im
Allgemeinen von den außergewöhnlichen Wegen
wussten, welche sie bis dahin gewandelt war.
Wachsamkeit und Vorsicht machten ihnen dies zur
Pflicht; sie erkannten jedoch gleich in den ersten
Monaten ihre solide und schon geprüfte Tugend und
beschlossen deshalb, sie einzukleiden. --- Die
Festlichkeit fand am 27. Dez. statt, und so wurde
der Lieblingsjünger Jesu ein besonderer Schutzpatron
für jene, welche der Gegenstand der besonderen
Vorliebe des heiligen Herzens war.
Ein Übermaß
himmlischer Freude erfüllte an diesem Tage die junge
Novizin; ihr Herz, sagte sie, konnte diese hl.
Freude kaum fassen, und das sie belebende wonnevolle
Gefühl der Gegenwart ihres göttlichen Meisters
zeigte sich auch im Äußern durch eine mehr als
gewöhnlich friedliche und gesammelte Miene, die man
an ihr wahrnahm.
Durchdrungen
von Dank gegen den Heiland, der so treu in seinen
Versprechungen gewesen, und gegen ihre Oberinnen,
welche für sie das Werkzeug der göttlichen
Barmherzigkeit waren, fasste sie den Vorsatz, mit
festem und raschem Schritte in der klösterlichen
Vollkommenheit voranzuschreiten. Die Stimmung ihrer
Seele ist in einem Schreiben ausgedrückt, worin sie
sich dahin ausspricht, dass sie nach der höchsten
Heiligkeit streben wolle, ohne sich je Etwas zu
erlauben, was gegen das gemeinschaftliche Leben
sei. Es endigte mit den Worten: „Mein Gott, ich will
also handeln, nicht aus Furcht vor den Strafen der
Hölle oder des Fegfeuers; auch nicht um meinen
Vorteil dabei zu suchen, sondern einzig und allein
aus Liebe zu Dir, zu Deiner Ehre!"
Verschiedene
Ämter wurden ihr nacheinander anvertraut. Als sie
für das Resektorium zu sorgen hatte, zeichnete sie
sich durch ihre Pünktlichkeit für die geringsten
Aufträge aus; denn Nichts war klein in ihren Augen;
ihr lebendiger Glaube ließ sie den Willen des
himmlischen Vaters in dem Willen Aller über ihr
stehenden Personen erkennen. So verwendete sie z.
B. die größte Sorgfalt darauf, alles genau aus
seinen bestimmten Platz zu stellen, und wenn es
vorkam, dass irgend Etwas in Unordnung geraten war,
so beeilte sie sich, es wieder zu ordnen, ohne
darüber verstimmt zu sein. Eine Schwester drückte
ihr gegenüber zuweilen ihr Erstaunen über ihre
außerordentliche Pünktlichkeit aus; allein sie
antwortete dann einfach, indem sie auf die gute
Belehrung hinwies, die sie erhalten habe. Mit
gänzlicher Hingebung übernahm sie die ihr
angewiesenen Arbeiten, welche die Novizen gewöhnlich
zu verrichten haben; allein diese Arbeiten
beeinträchtigten keineswegs ihre Vereinigung mit
Gott: „Ich sehe sie noch, sagte uns eine Schwester,
wie sie den Vorplatz vor der Kirche putzte; ihre
andächtige Miene dabei fiel mir auf; ich blieb
stehen und verbarg mich, um sie zu betrachten, was
übrigens unnötig war; denn sie war so in Gott
versenkt, dass sie mich nicht gesehen hatte. O ! ich
werde nie ihren Ausdruck vergessen; er hatte etwas
Seraphisches.
Auf das Amt im
Refektorium folgte eine Beschäftigung, wodurch sie
fast den ganzen Tag allein war. Auf die Frage einer
Schwester, ob es ihr nicht langweilig sei, sich so
vereinzelt zu sehen, erwiderte sie: „Ich bin nie
glücklicher, als wenn ich mich durch die Einsamkeit
in Gesellschaft unseres Heilandes befinde." ^
In Conflans
konnte man sie, wie ehemals in Mimbaste in tiefer,
ehrfurchtsvoller, andächtiger Stellung vor. dem
heil. Sakramente sehen; immer auf den Knien, mit
gefalteten Händen und regungslos, ohne sich zu
stützen; sie schien ganz in Betrachtung der
Gottheit vertieft. Die Stunden verstrichen ihr so
rasch, und wenn nicht ein besonderes Zeichen ihr
verkündete, dass es Zeit war die Kirche zu
verlassen, so geschah es zuweilen, dass sie es
vergaß. Mehrmals erhielt sie einen Verweis darüber,
denn sowohl um sie in der Tugend zu üben, als auch
um sie zu prüfen, musste man aufmerksam jede
Gelegenheit benutzen. „Es war schwer, sagte die
ehrw. Mutter Gara- bis, etwas Tadelnswertes an einem
so tugendhaften Wesen zu finden. Unbedeutende
Vergesslichkeiten oder kleine Ungeschicklichkeiten,
die sie übertrieb oder ihrer Eigenliebe zuschrieb,
waren fortwährend ein Gegenstand der Anklage für
sie." --- Sie demütigte sich sogleich über ihre
Fehler, es lässt sich daraus schließen, mit welcher
Unterwürfigkeit sie die Vorwürfe und Ermahnungen
hinnahm, die man ihr zu erteilen für nötig fand.
Gleich im
Beginn ihres klösterlichen Lebens hatte sie auch
dessen Wichtigkeit und Pflichten erkannt. „Ich bin
immer glücklich und zufrieden, schrieb sie an Hr.
Darbins im Januar 1845, ich liebe meinen Beruf immer
mehr, je mehr ich ihn kennen lerne. Ich bin noch
eine junge Novizin; allein ich strebe durch die
aufrichtigsten Wünsche meines Herzens nach der
Vollkommenheit einer Braut Christi; ich bin noch
weit davon entfernt; doch, was liegt daran; mit
Gottes Gnade verzweifle ich nicht, noch dahin zu
kommen, und der Heiland wird mir diese Gnade gewiss
nicht entziehen. Und wirklich, Er hat mich nicht
hierhergeführt, um mich mit einem Schleier und einem
Mantel zu bedecken, sondern damit ich hier die
Tugend vollkommener ausübe."
Früher hatte
sie alle innerlichen Leiden kennen gelernt, der
göttliche Meister wollte sie Sich noch gleicharmiger
machen, indem Er nun auch ihren Körper mit dem
Kreuze bezeichnete. Ihre Gesundheit wankte und in
den ersten Monaten des Jahres 1846 riet der Arzt
eine Luftveränderung und ein tätigeres Leben an; er
hoffte dadurch die allgemeine Schwäche, die sich in
ihrer Konstitution zeigte, zu entfernen.
Die
Gesellschaft des hl. Herzens stand auf dem Punkt,
ein Haus in Rennes, der Hauptstadt der Provinz
Bretagne zu gründen; Marie Lataste wurde dahin
bestimmt. Sie nahm diese Entscheidung als Ausdruck
des göttlichen Willens auf und unterwarf sich mit
Freuden, trotz ihrer herzlichen Zuneigung für das
Noviziat, für ihre Mütter und Schwestern, die sie
verlassen musste.
Im Mai reiste
die kleine Kolonie, welche die Kenntnis und die
Liebe des hl. Herzens Jesu verbreiten sollte, nach
Rennes ab, unter der Anführung der ehrwürdigen
Mutter von Charbonnel, General-Assistentin des
Ordens und eines der ältesten Mitglieder desselben;
sie hatte einige Jahre vorher ein Haus in Laval
gegründet, daher hielt sie sich dort mit ihren
Gefährtinnen auf der Durchreise zwei Tage auf und
machte diese zwei Tage zu den angenehmsten für den
ganzen Konvent durch die interessanten Erzählungen
verschiedener Zufälle, woran der Aufenthalt sie
erinnerte. Alle beeilten sich, zu diesen fröhlichen
Zusammenkünften zu kommen. Schwester Marie jedoch
verstand es, dabei zu verschwinden ohne etwas
Besonderes zu suchen oder gleichgültig zu
erscheinen. Ihre Schwäche diente ihr als Vorwand,
allein ihre eigentliche Absicht war, den andern
Schwestern Gelegenheit zu geben, an diesen
außergewöhnlichen Erholungen Teil zu nehmen; denn
Marie war nicht zu schwach dazu, den Schwestern bei
ihren Arbeiten zu helfen! Die ehrw. Mutter von
Letemps, damals Oberin in Laval, sagte uns: „Ich
beobachtete sie von ihr unbeachtet; sie benutzte
jeden freien Augenblick, um in die Kapelle zu gehen,
wo sie mir wie ein das allerhl. Sakrament anbetender
Engel vorkam. Ihre Bescheidenheit, ihre Andacht und
der Friede, welcher auf ihren sanften,
jungfräulichen Zügen thronte, fielen mir auf, sie
hatte etwas so Geistreiches und Würdevolles, dass
ich voraussetzte, ihre Demut habe sie zur Wahl des
verborgensten und unbekanntesten Lebens veranlasst.
Ich gestehe, ich wäre glücklich gewesen, wenn ich
sie hätte in Laval behalten können; jedoch sprach
ich diesen Wunsch nicht aus, da ich das neu zu
gründende Haus nicht dieses Schatzes berauben
wollte. Eine Schwester, die in diesen Tagen mit
Marie in einige Verbindung kam, hat gleichfalls den
auf sie gemachten erbaulichen Eindruck nicht
vergessen. Sie sprach mit ihr über das soeben
gebrachte Opfer, nämlich von Conflans wegberufen
worden zu sein, worauf die Novizin erwiderte: „Der
Heiland hat viel größere Opfer für mich gebracht;
ich vereinige mein Opfer mit dem Seinigen." Diese
rasche, fromme Erwiderung entsprang einem mit dem
gekreuzigten Heiland innig verbundenen und von Liebe
zu Ihm durchdrungenen Herzen; deshalb brachten sie
auch eine Wirkung hervor, an welcher die Zeit Nichts
schwächte.
Samstag, am 9.
Mai, kamen die Reisenden unter dem Schutze der hl.
Jungfrau in Rennes an, und nahmen das Haus in
Besitz, das sie von nun an bewohnen sollten;
dasselbe lag in kleiner Entfernung von der Stadt und
bot daher alle Annehmlichkeiten des Landlebens: hohe
Linden umgaben das Haus, und machten es nebst dem
mit Platanen, beinahe hundertjährigen
Kastanienbäumen und schattigen Laubgängen gezierten
Garten und einer großen Wiese sehr angenehm; aber
die Mauern des Hauses fielen in Trümmer und das
Haus selbst war klein und baufällig, ja der untere
Stock nicht einmal gepflastert. Die dringendsten
Ausbesserungen waren vorgenommen worden; dennoch
musste man noch immer zahlreiche Arbeitsleute
beschäftigen, und noch mehrere Monate hindurch
störte das Geräusch ihrer Arbeit die Ruhe dieser
friedlichen Einsamkeit. Marie empfand große Freude
über diese ländliche Gegend, die sie an ihre Heimat
erinnerte, besonders erfreute es sie auch, bei den
guten Bewohnern der Bretagne den Glauben ihrer
Landsleute zu finden, wie sie dies ihrem geistlichen
Vater schrieb.
Hier in Rennes
fand Marie jedoch nicht die Ruhe des Noviziats,
sondern zahlreiche Beschäftigungen folgten einander,
welche leicht zerstreuend auf sie hätten einwirken
können, wenn sie nicht so viel Gewalt über sich
selbst gehabt, nicht gewohnt gewesen wäre,
beständig in Gottes Gegenwart zu wandeln.
Die
Klostergemeinde bestand anfänglich nur aus 7
Personen, unter diesen 4 Laienschwestern, welche
beinahe alle häuslichen Arbeiten zu verrichten
hatten; denn man hatte dem Eifer der Eltern
entsprochen und schon einige Zöglinge aufgenommen,
bei denen sich die Chorfrauen beständig aufhalten
mussten. Das Amt einer Jeden war noch durch die, mit
der Gründung eines neuen Hauses unvermeidlichen
Verlegenheiten erschwert; denn hier muss alles erst
angeschafft werden.
Schwester
Lataste musste für das Refektorium, für die Kranken
und für die Beleuchtung sorgen; dazu war sie noch
Pförtnerin. Freudig unterzog sie sich allem und fand
in ihrer Hingebung nicht nur die Kraft, alles zu
verrichten, sondern sie leistete sogar oft noch den
andern Schwestern eifrige Hilfe.
Es ist indessen
jetzt an der Zeit, die Tugenden dieser Novizin
kennen zu lernen, welche gleich Anfangs den
Vollkommensten als Beispiel dienen konnte. Wir
werden hier nicht von den, jedem Christen
notwendigen Tugenden sprechen; denn wir haben
bereits gesehen, in welchem Grade diese auserlesene
Seele dieselben besaß; wir werden uns vorzüglich mit
jenen Tugenden beschäftigen, die zum Wesen des
klösterlichen Lebens gehören.
Siebentes Kapitel
Mariens österliche Tugenden:
ihr Gehorsam, ihre Demut, ihre Liebe zur Armut, ihre
Sittsamkeit und Geistessammlung, ihre Pünktlichkeit
in Beobachtung des Stillschweigens, ihr Eifer für
das Heil der Seelen, ihre Santmut, Geduld, Liebe und
Abtötung. Schwester Latastes Krankheit
Ihr Gehorsam.
Wir haben gesehen, wie Schwester Marte gleich nach
ihrem Eintritt den Gehorsam ausübte, und zwar einer
jungen Schwester gegenüber, die ihr zur Anweisung in
den Arbeiten beigegeben wurde. Sie fragte sie nach
den kleinsten Sachen; aber immer mit wenig Worten
und leiser Stimme, weil ihnen Stillschweigen
auferlegt war. Ihre Gefährtin suchte sie auch außer
dieser Zeit zu sehen, um sich an ihr zu erbauen, und
zur Erholungszeit hätte sie gewünscht, Persönliches
von ihr zu erfahren, um inne zu werden, wer sie sei;
aber sie ihrerseits getraute sich nicht, sie
auszufragen, und andernteils beobachtete Marie zu
pünktlich die vorgeschriebene Regel, welche
verlangt, dass man an der allgemeinen Unterhaltung
Teil nimmt, sie vermied daher sich mit ihrer näheren
Umgebung zu unterhalten.
Im Jahr 1844
hatte die Gesellschaft des hl. Herzens drei
abgesonderte Anstalten in Conflans, nämlich: das
Noviziat, das Pensionat und eine Anstalt für die
Waisenkinder. Im Innern verkehrten sie miteinander,
und bei gewissen Arbeiten, wie z. B. bei der Wäsche
halfen die Laienschwestern und die Novizen der
Chorfrauen sich gegenseitig. Bei einer dieser
Gelegenheiten traf Marie mit der Schwester zusammen,
die sie in die Gebräuche des Hauses eingeführt
hatte; diese näherte sich ihr sogleich, um sich nach
ihrem Wohlbefinden zu erkundigen, Marie empfing sie
mit anmutigem Lächeln und mit einem Ausdruck, der
ihre Freude bezeugte; allein sie sprach kein Wort,
da sie keine Erlaubnis dazu hatte.
Ein anderes Mal
hatten mehrere ältere Schwestern sich nach
jahrelanger Trennung wieder gefunden und benutzten
auf die fröhlichste Weise die ihnen verliehene
Freiheit, sich einige Augenblicke zusammen zu
unterhalten. Marie ging mehrmals mit
niedergeschlagenen Augen an ihnen vorüber, ohne sich
aufzuhalten und ohne sich nach der, diese
außergewöhnliche Erholung veranlassenden Ursache zu
erkundigen. Alle erbauten sich daran, weil sie
begriffen, dass nur der Gehorsam sie verhinderte an
ihrer Freude Teil zu nehmen.
In Rennes sah
man ebenso Marie mit derselben Pünktlichkeit den
geringsten Anordnungen der Vorgesetzten nachkommen.
Die Oberin hatte befohlen, sich mit guter
Fußbekleidung zu versehen, so oft man über den, die
Küche vom Refektorium trennenden feuchten Hof
schreite; Schwester Marie, die ihr Geschäft
unaufhörlich aus diesen Weg führte, unterließ nie,
grobe und schwere Holzschuhe anzuziehen; obgleich
diese Vorsicht bei ihrer Schwäche und den
Gegenständen, die sie zu tragen hatte, ihr oft
lästig und zeitraubend war.
Aus ihrem
lebendigen Glauben entsprang eine tiefe und
kindliche Ehrfurcht vor den ehrw. Müttern, welche in
ihren Augen für sie die Verkünderinnen des
göttlichen Willens waren; deshalb nahm sie alle
Handlungen und Entscheidungen derselben stets mit
zuvorkommender Freundschaft aus und brachte auch
andere zu denselben Gesinnungen.
Eine junge
Novizenschwester sagte uns: Als Schwester Marie aus
Befehl der Ärzte vollständige Ruhe angeordnet
wurde, beauftragte man mich, sie in einem ihrer
Ämter zu ersetzen. Da ich keinen Begriff von dieser
Art Arbeit hatte, so suchte ich sie in ihrem Zimmer
auf, um mir die nötigen Belehrungen zu holen. Sie
erklärte mir alles mit unerschütterlicher Sanftmut
und Geduld, obwohl sie schon sehr leidend war, und
da ich mich zuweilen durch die Schwierigkeiten
einschüchtern ließ, so sagte sie mir mit der ihr
eigenen Ruhe und Güte, die ihren Worten so viel
Kraft verliehen: „Seien Sie überzeugt, Schwester,
man kann alles, was die Oberinnen befehlen." Diese
Worte offenbaren uns auf das Augenscheinlichste,
welcher Geist den aufopfernden Gehorsam und die
Unterwürfigkeit der Schwester Lataste hervorrief.
Überhaupt tadelte sie nie die Worte und Handlungen
anderer; wenn eine unpassende Äußerung vor ihr
gemacht wurde, so fand die Strafbare eine heilsame
Lehre in Mariens Stillschweigen und Zurückhaltung. .
Sie verstand es
indessen nicht nur, ihr äußeres Benehmen dem
Gehorsam zu unterwerfen, sondern sie opferte auch
ihre teuersten Empfindungen demselben auf. „Sie
hatte den höchsten Grad der Betrachtung erreicht,
sagte die ehrw. Mutter Garabis von ihr, dennoch
hörte sie mit der größten Aufmerksamkeit den
Unterricht an, den man den Novizen hierin erteilte,
und bemühte sich, wenn auch ohne Erfolg, täglich die
angegebenen Punkte für die Betrachtung einzuhalten.
Der Heiland entschädigte sie für diese Kämpfe
dadurch, dass sie mitten in ihren Beschäftigungen
auf fühlbare Weise Seine göttliche Gegenwart
wahrnahm.
Es ist nicht
notwendig zu sagen, dass sie fortwährend das
Beispiel der genauesten Beobachtung der Ordensregel
gab: sie fand viel Geschmack an den über dieselben
den Schwestern gemachten Erklärungen. „Bei dieser
Gelegenheit, sagte die Mutter Garabis, sprach ich
absichtlich besonders über den Geist der Demut und
der Einfalt, welchen die Regel von uns verlangt,
sowie über die Gefahren, die uns auf
außergewöhnlichen Wegen drohen. Hierauf suchte sie
mich auf und versprach mir, wie ein gehorsames Kind,
alle Mittel anzuwenden, um den ihr gezeigten Weg zu
betreten." Und wirklich war sie immer eine der
ersten bei den gemeinschaftlichen Übungen, selbst
bei der Betrachtung des Morgens um 5 Uhr, und zwar
noch zu der Zeit, als ihre schon geschwächte
Gesundheit ihr leicht Veranlassung hätte geben
können sich eine Dispens zu erwirken. Wenn Etwas sie
äußerlich vor Andern ausgezeichnete, so war es eben
wiederum nur die vollkommene Art, mit welcher sie
die kleinsten Vorschriften beobachtete. Daher sagte
eine der mit ihr in Conflans lebenden Schwestern auf
naive Weife: „Schwester Lataste tat alles, wie
jedermann, aber niemand tut etwas wie sie!" Diese
Worte enthalten ein sehr ausdrucksvolles Lob,
dasselbe wurde uns oft wiederholt und die Tragweite
desselben wird auch dem Leser nicht entgehen. Eben
durchs eine solche sich auf alle Augenblicke
ausdehnende Treue wird die Natur unterworfen und
vollständig hingeschlachtet. Marie erfuhr dies an
sich selbst; denn im Nov. 1846 schrieb sie an Herrn
Dupérier: „Die Ordensregel ist im Sacre-Coeur nicht
sehr strenge, denn man bedarf seiner Kräfte um zur
Ehre Gottes zu arbeiten; aber nichts destoweniger
lässt sie die Natur durch Kreuzigung der Eigenliebe
ersterben, wenn man sorgfältig alle Vorschriften
derselben erfüllt."
Später wird man
noch sehen, bis zu welchem Punkte sie sich andern
unterwarf und von deren Willen abhängig war in
Betreff ihrer Gesundheit; sie hatte so gänzlich aus
ihren eigenen Willen verzichtet, dass sie keinen
andern Willen mehr zu haben schien, als jenen ihres
göttlichen Meisters, und dass sie denselben ohne
Weiteres ausnahm, durch wen immer er ihr verkündet
wurde. Ihre Demut war nicht weniger bemerkenswert.
Diese Tugend schien ihr zur zweiten Natur geworden
zu sein, und dennoch wird man sich erinnern, welcher
Stolz schon in den Tagen der Kindheit sich bei ihr
zeigte. Durchdrungen wie sie war von tiefer
Verachtung gegen sich selbst, hätte sie gewünscht,
dass ihre Oberinnen und ihre Mitschwestern dieselbe
Meinung von ihr hegten. Wenn man sie hörte, so war
nur sie die Schuldige, wenn im Allgemeinen über
Verstöße gegen die Ordnung und die Regel geklagt
wurde. Eine Klosterfrau, die durch ihr Amt
veranlasst war, die Arbeit Mariens zu untersuchen,
fand dieselbe eines Tages mangelhaft und machte sie
mit großer Schonung darauf aufmerksam, worauf Marie
ihr antwortete: „Fürchten Sie nicht, mir die
verdienten Vorwürfe zu machen, ich bitte Sie
inständigst, mich nicht zu schonen." Als die
betreffende Klosterfrau uns diesen Zug mitgeteilt,
fügte sie bei: „Man sieht, sie lechzt nach
Demütigungen." --Wenige Tage nach ihrer Ankunft in
Conflans trat sie in ein Zimmer ein, in welches die
Postulantinnen gewöhnlich nicht zugelassen wurden.
Mehrere glauben sich zu erinnern, dass nach ihrem
eignen Geständnis sie auf besondere Eingebung
hineingegangen war. Sei dem, wie ihm wolle, ihr
Zweck war, sich über eine bei Verrichtung ihres
Amtes begangene Ungeschicklichkeit anzuklagen,
worin sie einen Fehler gegen die heil. Armut
erblickte. Die Oberin drückte ihr ihre
Unzufriedenheit darüber aus, ohne Erlaubnis
eingetreten zu sein, worauf Marie um Verzeihung bat
und zwar so, dass die ganze Klostergemeinde von
Bewunderung ergriffen war über solche Demut und
Einfalt. Bei der nächsten Erholungszeit schien sie
noch ruhiger und fröhlicher als gewöhnlich.
,,O wie süß ist
es, Demütigungen zu verkosten, schrieb sie während
ihres Aufenthaltes im Noviziate, wie köstlich ist
der Genuss derselben! Ohne sie zu wünschen, ohne sie
zu suchen, treffen mich viele, Gott sei Dank! sie
sind noch köstlicher als die freiwilligen!"
Und wirklich
wurden sie ihr auch nicht erspart, denn Nichts ist
mehr geeignet, die wahre Frömmigkeit von der
falschen zu unterscheiden. Gott wollte ohne Zweifel
die Tugend Seiner treuen Dienerin mehr hervorheben,
deshalb ließ er es geschehen, dass sie
hintereinander unter die Leitung von 5 oder 6
Oberinnen kam, welche alle sie prüfen mussten, um
sie kennen zu lernen. Jene, die noch neu und
unerfahren im geistlichen Leben waren, verwunderten
sich oft darüber, wenn sie sahen, mit welcher
Strenge ihr Verweise erteilt wurden; Marie aber
sprach nie ein Wort der Entschuldigung oder der
Klage aus. Erst auf ihrem Sterbebette gestand sie
einer Klosterfrau, wie viel sie gelitten habe, als
sie von den Händen jener Oberin, die sie empfangen
und der sie ihr ganzes Vertrauen geschenkt hatte,
andern Händen übergeben wurde, die Nichts
unterließen, um ihre Tugend auf die Probe zu
stellen; schmerzlich bewegt, sagte sie: „Man hat
mich für stolz gehalten, ich hatte deshalb recht
schwere Stunden; allein der Herr hat es so
zugelassen, und meine Oberin tat es nur zu meinem
Besten." --Es möchte notwendig sein hier
beizufügen, dass diese selbe Oberin, die Marie
Lataste so strenge behandelte, ihren Wert wohl
erkannte; denn später führte sie immer Marie als
Beispiel an. Sie wollte sich durch ihr Verfahren
eben nur überzeugen, dass Alles, was in Marie
vorging, von Gott und nicht von einer durch die
Eigenliebe aufgeregten Phantasie kam.
Dasselbe war
auch der Fall mit dem Beichtvater des Klosters in
Rennes: er führte diese Seele auf dem Wege des
nüchternen Glaubens, welcher der Natur gewöhnlich so
herbe scheint; daher sagte Marie öfters zu ihren
Mitschwestern: „Suchet nur Gott im Beichtstuhl, denn
anderes findet man hier nicht."
Und dennoch
hatte dieser Priester einen so hohen Begriff von
dem vollkommenen Leben seines Beichtkindes, dass er
sie nach ihrem Tode den Schwestern zum Vorbild
aufstellte mit den Worten: „Bestrebet Euch,
Schwester Lataste nachzuahmen, das war eine
Heilige!"
Jedoch die ihr
im Sacre-Coeur auferlegten Prüfungen waren nicht
die ersten dieser Art. Im Anfange ihres Noviziats
schrieb sie der Mutter Garabis: „Drei Jahre der
Prüfungen haben mich besser in Allem unterrichtet
als 10 Jahre Studium. Ich habe verstehen gelernt,
was der Mensch und was Gott ist. Ach! Wie gelehrt,
wie heiligmäßig ein Mensch auch sein möge, er bleibt
immer Mensch; Du aber, mein Gott, bist immer Gott,
und unendlich erhaben über Alles, was es Großes
gibt!" --Die Oberin, welche nach der ehrwürdigen
Mutter Charbonnel die Führung des Hauses in Rennes
übernahm, wusste, dass Marie besondere und
übernatürliche Gnaden empfangen hatte; allein ebenso
wusste sie auch, dass dieselbe unbekannt zu bleiben
wünschte; denn Marie hatte ihr gesagt: „Ich bitte
Gott täglich nach meinem Tod und auch im Leben den
Menschen unbekannt zu bleiben. Die Mutter Kerouartz
unterstützte diesen Wunsch, indem sie Marie ganz auf
gleiche Stufe mit den andern Schwestern stellte und
ihr nie Gelegenheit gab, auf die Vergangenheit
zurückzukommen. Aus einem von uns schon angeführten
Briefe lernen wir die Gefühle der guten Schwester
über diesen Punkt kennen; sie schrieb: „Meine Seele
ist an einem Ort der Ruhe und des Friedens; in dem
Herzen des Erlösers; Er führt mich auf einem Weg,
den Er selbst mir gezeigt hat, und welchen ich
hoffentlich nie verlassen werde. Es ist mir
bestimmt, ein demütiges verborgenes, unbekanntes
Leben zu führen und für Gott in Jesu zu leben; das
ist auch Alles, was ich verlange. Kummer und Leiden
gibt es überall; Gott aber hat meinen guten Willen
gesehen und hat voll Güte die Dornen in Blumen
verwandelt." --- Würde eine Seele, welche der
Spielball der Einbildung gewesen wäre, also
gesprochen haben? Und offenbaren diese Worte nicht
die vollkommenste Demut und Losschälung?
Dieses
verborgene, unbekannte Leben war nach ihrem
Geschmack. Niemals verriet sie ihren Mitschwestern
gegenüber die auserlesenen Gnaden, deren sie
teilhaftig geworden; nur die sie leitende Oberin
wusste darum; ebenso gab sie nie andern zu der
leisesten Vermutung Anlass, dass sie noch immer ein
Gegenstand der Vorliebe des Erlösers war; gleichwohl
bestätigen viele Tatsachen, dass Er nicht aufhörte
auf fühlbare Weise ihr Mitteilungen zu machen. Die
ehrw. Mutter Garabis berichtet uns: „Die Kenntnis
der Zukunft, oder solcher Dinge, die sie auf
natürlichen Wege nicht wissen konnte, wurde ihr
häufig verliehen; allein sie sprach mit mir hierüber
nur auf ausdrücklichen Befehl des Heilandes. So
eröffnete sie mir Verschiedenes auf unsere Häuser
oder auf Mitglieder unserer Gesellschaft
Bezügliches, und die Ereignisse bewiesen die
Wahrheit ihrer Voraussage." Unter Anderem sagte sie
derselben Klosterfrau voraus, dass ihr die Bürde
einer Oberin aufbewahrt sei; und dass sie ins
Ausland geschickt werde, um dort ein neues Kloster
des heil. Herzens zu gründen, das bestimmt sei,
reichliche Früchte zur Ehre Gottes und zum Heil der
Seelen zu tragen; dass das allerheil. Sakrament dort
ganz besonders verehrt werde. Zehn Jahre später
waren beide Ereignisse in Erfüllung gegangen.
Weiter erzählt
uns noch die ehrw. Mutter Garabis: „Gegen das Ende
des Jahres 1844 verließ uns unsere ehrw.
General-Oberin, damals 65 Jahre alt, um nach Rom zu
reisen; unterwegs erkrankte sie in Aix, und die uns
mitgeteilten Nachrichten waren höchst beunruhigend.
Unsere Oberin empfahl uns dringend für deren
Genesung zu beten. Eines Tages kam Marie beim
Herausgehen aus der Kapelle, wo sie eben das
allerheil. Sakrament besucht hatte, zu mir, und
sagte mir, der Heiland habe ihr befohlen zu sagen,
ich solle mich nicht länger ängstigen, denn unsere
ehrwürdigste Mutter müsse noch lange Jahre zur Ehre
des göttlichen Herzens arbeiten. „O, erwiderte ich,
Sie verstehen unter vielen Jahren fünf bis sechs
Jahre? --- Nein, ehrw. Mutter, antwortete sie, Sie
können auf einige zwanzig Jahre rechnen. Als ich
diese Worte hörte, war es mir nicht länger möglich
zu zweifeln." Erst vor drei Jahren wurde uns diese
Unterredung bis ins Einzelne mitgeteilt, wir hatten
sie in unser Manuskript niedergeschrieben, damit man
nicht Argwohn schöpfen könne, dies sei erst nach dem
Ereignis vervollständigt worden. Anfangs Mai 1865
sprach man davon, eine zweite Auflage von Marie
Latastes Werken zu veranstalten, und wir
beratschlagten unter einander, ob wir diese Stelle
drucken lassen sollten. Wir befürchteten die
Wirkung, die es in unsrer Gesellschaft hervorbringen
könnte; denn wenn der Ausdruck „einige zwanzig
Jahre" eine weitere Auslegung zuließ, so konnte er
doch jetzt in Anbetracht des Zeitpunktes, wo er
ausgesprochen worden war, Veranlassung zu
schmerzlicher Besorgnis für ein uns allen so teures
Leben werden. Kein Anzeichen deutete indes auf eine
baldige Erfüllung des Ausspruchs hin. Nach langem
Leiden hatte die ehrw. Mutter Barat einen Teil ihrer
Kräfte wieder erlangt und mit staunenswerter
Tätigkeit ihre gewöhnlichen Beschäftigungen wieder
aufgenommen, als sie Montags den 22. Mai gegen 8.30
Uhr morgens, da sie eben aus der hl. Messe kam, eine
schlagartige Betäubung erlitt, deren schnellen
Fortschritt Nichts zu hemmen vermochte. Donnerstag
den 25. Mai, am Feste der Himmelfahrt starb sie,
ruhig und friedlich, wie eine Heilige. Als somit
Gott diese unsere Mutter der Gesellschaft, die sie
gegründet und 63 Jahre lang mit solcher Einsicht und
Weisheit geleitet hatte, entriss, bestätigte Er
wiederum die Wahrheit dessen, was die treue
Schülerin des Heilandes gesagt hatte.
Wir könnten
noch andere Tatsachen anführen, sowie mehrere
Aufträge, welche der Heiland ihr öfters an unsere
Mütter gab, die alle ein besonderes ihr verliehenes
Licht kundgeben; allein dieselben sind zu zarter
Natur, als dass wir uns erlauben dürften sie zu
veröffentlichen. Wir können jedoch eine sehr
merkwürdige Erscheinung nicht verschweigen, deren
Mitteilung wir auch der Mutter Garabis verdanken:
sie schreibt: „Marie Lataste war noch Postulantin,
als ihr eine Seele in Gestalt einer Klosterfrau des
heil. Herzens erschien. Ich gab mir den Anschein an
der Wahrheit dieses Ereignisses zu zweifeln und
sagte, ihre Einbildungskraft habe sie vermutlich
getäuscht. Sie schwieg und suchte nicht mehr mich zu
überzeugen. Ich fügte noch bei:
„Wie war denn
Jene, die Sie zu sehen glaubten?" Sie beschrieb mir
mit solcher Genauigkeit ihre Züge, ihre Haltung
und ihr Äußeres, dass ich vollkommen eine der
unsrigen erkannte, welche ein höchst erbauliches
Leben geführt und wenige Wochen vor Marie Latastes
Eintritt im Geruch der Heiligkeit gestorben war. Ich
nannte sie indessen nicht und sagte nur: ---„Hat
diese Seele vielleicht Bitten an Sie gestellt?"
---„Ich vernahm, antwortete sie mir, folgende Worte:
„Ich bin Jene, die unter Euch die Mutter E. v. B.
genannt wird --- es war dieselbe, die ich an
der Beschreibung erkannt hatte --- Gott schickt mich
in Seiner Güte zu dir, Maria, du kannst durch deine
Gebete meine Leiden vermindern und abkürzen. Ich
genieße die ewige Seligkeit noch nicht: 1) wegen
gewisser Nachlässigkeiten in der Übung der Liebe
Gottes, was ein großer Fehler, besonders für eine
Klosterfrau ist, und 2. wegen meiner Steifheit und
Trockenheit im Umgange mit einigen meiner
Untergebenen, wodurch ich die christliche Liebe
verletzte." (Des letzten Grundes, sagte Mutter
Garabis, erinnere ich mich nicht mehr so genau, um
ihn hier angeben zu können.) --- Das Leiden, das
diese Seele verzehrte, war beinahe ausschließlich
durch ihren unaufhörlichen Wunsch sich mit Gort zu
vereinigen, hervorgerufen." Marie Lataste fügte noch
bei: „Ich erkannte, dass der heil. Michael sie aufs
kräftigste unterstützte, und es wurde mir gesagt,
dass die hohe Stufe, welche sie im Himmel einnehmen
solle, so zu sagen eine noch vollkommenere
Läuterung erfordere.“
Es wird hier am
Platze sein beizufügen, dass wir in den von M. E. v.
B. hinterlassenen Schriften eine Beteuerung in Form
eines Gelübdes gefunden haben, wodurch sie sich
verpflichtete, in allen Dingen nach der höchsten
Vollkommenheit zu streben, beständig in Gottes
Gegenwart zu wandeln und immer nur aus reinster
Liebe zu Gott zu handeln. Dieses Gelöbnis, welches
zu gleicher Zeit die Hochherzigkeit jener Seele
beweist, sowie die erhabene Heiligkeit, zu welcher
Gott sie berufen hatte, erklärt uns die strenge
Sühne, sonst möchte es uns beinahe zu hart für so
kleine Nachlässigkeiten erscheinen; denn, wenn das
Gelübde das Verdienst der Tugendakte erhöht, so
erschwert es ebenso auch die gegen diese Tugenden
begangenen Fehler.
Marie, fährt M.
Garabis fort, bat mich im Namen der Mutter von B.,
unsern Schwestern 10 Tage lang gänzliches
Stillschweigen und Liebesakte aufzuerlegen. Ich
empfahl dies auch den Schwestern, ohne einen
Beweggrund anzugeben. Nach Verlauf weniger Tage
zeigte sich die Verstorbene der guten Schwester
abermals bei der heil. Kommunion; diesmal jedoch mit
Glorie umgeben, sie dankte Marie, die mir seitdem
öfters wiederholte: „O, wie wird diese Seele von
Gott geliebt! Wie erhaben ist der ihr im Himmel
bestimmte Platz!"
Es ist nicht zu
verwundern, dass der göttliche Meister, ehemals so
freigebig gegen seine Dienerin, ihr auch jetzt noch
außerordentliche Gnaden erwies, da sie, um Ihm
wohlgefälliger zu werden, sich gleichsam begraben
und dem Vergessen aller Geschöpfe preisgegeben
hatte. Die Sorgfalt jedoch, welche die demütige
Schwester darauf verwendete, ihrer Umgebung Nichts
davon merken zu lassen, scheint uns wahrhaft groß
und liefert uns den sichern Beweis, dass ihre
Erscheinungen von Gott kamen.
Ihre Liebe zur
Armut. Wenn Marie in ihrer Kindheit den Reichtum
gewünscht und geschätzt, so hatte die Betrachtung
der Lehren und Beispiele des Heilandes ihr eine
aufrichtige Liebe zur heil. Armut eingeflößt.
Dieselbe wuchs noch durch die geringe Meinung,
welche sie von sich selbst hatte, daher konnte man
gleich bei ihrer Ankunft ihre Losschälung von allem
beobachten. Nachdem sie ins Kloster eingetreten
war, hatte sie der mit der Besorgung des Linnenzeugs
beauftragten Schwester alles übergeben, was sie an
Linnenzeug und Kleidung besaß, indem sie ihr die
Bestimmung jedes Stückes angab; einige Tage darauf
bat die Schwester, da sie sich zu irren fürchtete,
noch um einige Aufklärungen darüber, worauf die
Postulantin ihr zur Antwort gab: „Machen Sie damit
was Sie wollen !" Schon damals wollte Marie kein
Eigentum mehr haben. --- .
Die Kleider,
die sie am Tage ihrer Einkleidung erhielt, waren
dem Gebrauche gemäß neu. Alle bemerkten, dass sie
mit Wohlgefallen die Kleidung derjenigen Schwester
betrachtete, welche für den Hühnerhof zu sorgen
hatte, und deren Kleider daher mehr abgenützt, somit
mehr das Gepräge der Armut trugen. Als eine
derselben lächelnd bemerkte, sie sei ja so vertieft
in diese Kleidung, dass sie ihre Arbeit darüber fast
vergesse, zitierte sie eine Stelle der Ordensregel,
welche man im Refektorium vorgelesen hatte: „Jede
muss mit heil. Freude im Herrn sehen, wenn bei der
Verteilung des Notwenigen sie das Hässlichste und
Gröbste erhält." --- Der Ausdruck ihrer Züge bewies,
dass sie das Glück der Schwester beneidete, bei
welcher diese Worte wirklich ausgeführt waren und
immer hatte sie eine Art Vorliebe für dieselbe wegen
ihres untergeordneten Amtes.
Später konnte
man sie glücklich und dankbar sehen, wenn sie etwas
Abgetragenes bekam, auch fand sie oft Mittel, andern
das zuzuwenden, was sie für sich nicht nötig hielt.
Aus demselben Geiste der Armut entsprang ihre große
Sorgfalt, nichts von all dem zu verderben, was man
ihr anvertraut hatte, und mit großer Demut suchte
sie die geringsten derartigen Fehler wieder gut zu
machen. Als sie Conflans verließ, wollte man ihr,
wie dies bei den Novizen gebräuchlich ist, ihre
ganze Aussteuer mitgeben, umso mehr, da dieselbe
bedeutend und sehr gut war; sie aber bat flehentlich
nur das Schlechtere mitnehmen zu dürfen; die mit der
Wäsche beauftragte Schwester glaubte zuerst, eine
baldige Rückkehr oder sonst ein ähnlicher Grund
veranlasse sie zu dieser Bitte; allein Marie hatte
keine andere Absicht als den Wunsch, die Ärmste
unter den Mägden Christi zu sein.
Ihre
Sittsamkeit. Die engelgleiche Sittsamkeit, welche
Marie Lataste von zarter Jugend an ausgezeichnet
hatte, war auch noch unter jenen, deren schönstes
Kleid und reichster Schmuck sie sein muss,
bemerkenswert. Ihr ganzes Äußeres war vollkommen
geordnet, doch ohne Zwang. Die ehrw. M. Kerouartz
sagte, als sie in Marie Latastes Schriften über die
Tugend der Bescheidenheit gelesen, habe sie geglaubt
Maries Porträt zu sehen, so treu stimmte ihr ganzes
Benehmen damit überein. Diese Worte gleichen
übrigens beinahe buchstäblich jenen Worten, welche
die Regeln der Gesellschaft des heil. Herzens in
Betreff der Bescheidenheit geben, so dass Marie in
diesem Punkte nichts au ihren Gewohnheiten zu ändern
hatte.
Am Tage ihres
Eintritts im Kloster in der Straße Varennes
begleiteten die Oberin, die Assistentin und die eben
anwesende Novizenmeisterin von Conflans sie in die
Kapelle; eine Schwester, die sie vorübergehen sah,
und der ihre jungfräuliche und gesammelte Miene
auffiel, blieb stehen, um sie zu betrachten, später
sagte sie, dass noch nie Etwas auf so fühlbare Weise
sie an das Bild der heil. Jungfrau erinnert habe.
Wenige Tage nachher führte die M. du Boisbaudry
Marie zu derselben Schwester, um ihr bei einer
dringenden Näh-Arbeit zu helfen. Der Ort, wo die
Letztere sich aushielt war ein Gang, auf welchem nur
für eine Person Raum war; vergeblich suchte die
Schwester zu rücken, um ihrer neuen Gefährtin Platz
zu machen; Marie litt es nicht, sie nahm einen
Stuhl und setzte sich auf den Treppen-Absatz, und
nachdem sie ihre Arbeit in Empfang genommen hatte,
beschäftigte sie sich mehrere Stunden damit, ohne
dass irgend Etwas sie veranlagte die Augen zu
erheben. Man durfte sie bei dieser Gelegenheit nur
ansehen, um zu verstehen, dass es nicht die, mit
Eifer und Ausdauer verrichtete Arbeit war, welche
ihre Gedanken so ganz einnahm.
Eine andere
Gelegenheit hatte schon die Bescheidenheit und die
Geistessammlung der Postulantin augenscheinlich
bewiesen: am Tage nach ihrem Eintritt, am Feste der
Himmelfahrt, empfingen einige Zöglinge die erste
heil. Kommunion; abends begab sich die
Klostergemeinde und das Pensionat in Prozession zu
der in dem Garten gelegenen Kapelle der heil.
Jungfrau. Weder die feierliche Zeremonie, noch die
ihr neuen Orte vermochten auch nur auf Augenblicke
sie zu zerstreuen. Mehrere sie beobachtende
Schwestern sahen sie beständig mit
niedergeschlagenen Augen in tiefer Andacht. Als man
bei der Kapelle angekommen war, beeilten sich Alle
in dieselbe einzutreten, um die dem Weihegebet der
ersten Kommunikanten vorausgehende Anrede zu hören.
Man gab Marie zu verstehen, das Gleiche zu tun; aber
ihre Bescheidenheit hatte sie bald entdecken lassen,
dass nicht Platz für Alle sei, sie dankte deshalb
und blieb der Türe gegenüber in der Linden-Allee
stehen. Eine Klosterfrau bemerkte uns hierüber: „Ich
sah sie dort stehen, unbeweglich, mit strahlenden
Zügen, den sanften Blick nach der Kapelle gewendet;
sie erschien mir da ganz in Gott entzückt. Dies
machte mir einen so lebhaften Eindruck, dass mich
noch lange nachher, so oft ich an dem Baume vorüber
kam, wo ich sie hatte stehen sehen, ein
unbeschreibliches Gefühl erfasste.
Eine andere
Schwester, welche sich ein wenig zurückgezogen
hatte, um sie besser betrachten zu können, machte
dieselbe Bemerkung; Beide ahnten nicht, dass in
diesem Augenblick der Heiland sich Seiner treuen
Schülerin zeigte und sie mit Licht und Trost
erfüllte. Später hat sie es ihrer Oberin und einem
hochw. Pater der Gesellschaft Jesu anvertraut, der
es uns nach ihrem Tode mitteilte; derselbe befand
sich eben kurze Zeit vor Marie Latastes Abreise
nach Rennes in Conflans, und man hätte sie zu ihm
geschickt, um in einem Augenblicke innerlicher
Leiden seinen trostvollen Rat zu erhalten. Der
hochw. Pater hotte sie gefragt, ob der Heiland ihr,
seitdem sie im Sacre-Coeur sei, erschienen wäre,
worauf Marie ihm die eben erwähnte Erscheinung
erzählte. Er war erstaunt über die Offenheit und
Einfalt, mit welcher sie ihm den Zustand ihrer
Seele offenbarte und auf seine Fragen antwortete;
man hätte glauben können, sie spräche von jemand
andern, und man sah wohl, dass es ihr nur darum zu
tun war, durch die Worte des Dieners Gottes
erleuchtet zu werden.
Im Noviziat
zeigte Marie eine musterhafte Bescheidenheit und
alle stimmen überein, dass sie nie die Farbe ihrer
Augen entdecken konnten, so sehr hatte sie die
Gewohnheit dieselben zu senken. Auch in Rennes
mitten unter ihren zahlreichen und oft zerstreuenden
Beschäftigungen bewahrte sie diese Ruhe und
denselben himmlischen und jungfräulichen Ausdruck,
welcher ein Abglanz ihrer reinen Seele war. Alles
bewies eben, dass die Gnade vollkommen sie
beherrschte und die Natur in ihr erstorben war,
daher kam es, dass man sich zu dieser guten
Schwester unwiderstehlich hingezogen fühlte und
durchs sie zu Gott.
Auch die
Weltleute suchten sich ihr zu nähern, und mehrere
gebrauchten zuweilen eine List, indem sie Fragen an
sie stellten, auf welche, wie sie im Voraus wussten,
Marie nicht eingehen würde; nur in der Absicht, um
mit ihr sprechen zu können; sie wollten sich erbauen
und einige von ihren sanften und liebreichen Worten
hören, mit welchen die Pförtnerin eine abschlägige
Antwort begleitete.
Die Oberin
wurde öfters von einer ihrer Nichten besucht: Diese,
jetzt auch Klosterfrau des heil. Herzens, gesteht
unumwunden, dass ihre häufigen Besuche zwar ihrer
Tante galten, allein häufig auch durch den Wunsch
veranlasst waren, Schwester Lataste zu begegnen,
deren friedliches Äußere sie entzückte. Wenn sie
dann nach Hause zurückkam, sagte sie fröhlich zu den
Ihrigen: „Ich habe im Sacre-Coeur eine Schwester
gesehen, die so aussieht, wie ich mir die
Jungfrauen im Himmel vorstelle.
Ein anderes
Kind, dem Gott auch später die Gnade des Berufs gab,
bestätigt, dass sie sich hauptsächlich durch die
Bescheidenheit und Heiligkeit Schwester Latastes zu
dem Hause habe hingezogen gefühlt.
Diese
Bescheidenheit war die Wirkung der immerwährenden
Vereinigung ihrer Seele mit Gott. Nichts vermochte
sie von dem Gedanken an die Gegenwart Gottes
abzuziehen; wenn daher auch ihre
Beschäftigungen ihr nicht
gestatteten der Betrachtung und andern frommen
Übungen mehr Zeit zu widmen, als die Regel
vorschreibt, so wurde doch ihr lebendiger Glaube und
ihr Eifer dadurch nicht beeinträchtigt. In Rennes
begünstigte ein besonderer Umstand ihre Andacht zum
hl. Sakramente. Die provi- sorische Kapelle stieß an
das Zimmer, in welchem sich gewöhnlich die
Pförtnerinnen aufhielten; sobald nun Schwester
Marie einen freien Augenblick hatte, kniete sie an
der sie von der Kapelle trennenden Mauer nieder und
verrichtete ihre demütige Anbetung. Eine Schwester,
hierauf Bezug nehmend, sagte einst zu ihr: „Der
liebe Heiland hat Sie recht verwöhnt, denn sie
verlassen beinahe nie das allerheiligste Sakrament."
---„Ich nehme, was man mir gibt, lautete Maries
einfache Antwort. --Und wirklich sprach sie nie
einen Wunsch aus, bat nie um eine Vergünstigung;
aber sie wusste alles zu ihrem geistigen Fortschritt
zu benutzen.
Ihre
Pünktlichkeit im Stillschweigen. Wirksamkeit ihrer
Worte. Die Beobachtung des Stillschweigens konnte
einer an vertraute Unterredungen mit Jesu gewöhnten
Seele nicht schwer werden; nie hat sie sich dagegen
verfehlt. Dennoch war sie weder düster, noch
verschlossen; an den Erholungen nahm sie mit
ruhiger Heiterkeit Teil und wusste ihren
Unterhaltungen immer etwas Erbauliches beizufügen.
Außer dieser Zeit jedoch konnte nur die Liebe sie
veranlassen, vom Buchstaben der Regel, deren
Bedeutung sie vollkommen erfasste, abzugehen. Wenn
sie trösten oder aufmuntern wollte, so geschah dies
durch kurze, belehrende Worte, aber dieselben waren
so salbungsvoll und atmeten so den Geist inniger
Liebe, dass sie Kraft verliehen und Balsam auf die
Wunde gossen. ---„Wenn man Kummer hatte, sagte eine
Schwester, und ihr denselben mitteilte, so pflegte
sie zu antworten: „Legen Sie alles zu den Füßen des
Kreuzes nieder." Man fühlte, dass sie selbst also
handelte und man war augenblicklich gestärkt". ---
Eine andere
ihrer Mitschwestern, deren schlechte Gesundheit sie
oft mit Marie, damals Krankenschwester, in
Verbindung brachte, gestand erst vor Kurzem, dass
das Zusammentreffen mit Marie für sie, bei ihren
großen Schmerzen, jedesmal eine Erleichterung war.
Wenn Marie den Blick zum Himmel warf und die Worte
aussprach: „Alles für Gott, Schwesterchen," und dies
mit dem ihr eigenen frommen Ausdruck, so sah die
Kranke, dass man ihre Schmerzen mitfühlte und wurde
mit frischem Mut und neuer Kraft belebt, dadurch,
dass sie Herz und Geist zu Dem erhob, der Nichts
unbelohnt lässt.
Die ehrw.
Mutter Garabis empfand eines Tages selbst den
himmlischen Eindruck, den Maries Worte machten. Sie
zeigte ihr ein ziemlich hübsches Bild unseres
Heilandes auf Leinwand gemalt mit der Inschrift:
Wahre Abbildung Jesu Christi, indem sie zu ihr
sagte: „Da ist die wahrhaste Abbildung des
Heilandes; da Sie Jesus sehen, so müssen Sie finden,
dass es Ihm gleich sieht." --- Schwester Lataste
betrachtete dieses Bild ohne zu antworten, und ich
verstand, dass sie sich nicht getraute, mir zu
sagen, dass das Bild nicht Dem ähnlich sei, das sich
ihr zeigte. Diese Stille genügte mir nicht und ich
bat sie, mir unsern Herrn zu schildern. Sie sprach
jedoch Nichts über Seine Züge; allein das, was sie
mir sagte, machte mir einen solchen Eindruck, dass
meine Seele ganz davon durchdrungen war. Ich hätte
den ganzen noch übrigen Tag und die Nacht vor dem
Tabernakel knien mögen, wo ich die Gegenwart Jesu im
allerheiligsten Sakrament auf vollkommenere Art
empfand.
Die Assistentin
in Rennes, welche im geistigen Leben sehr
vorgeschritten war, behandelte zuweilen bei ihren,
den Schwestern erteilten Belehrungen, Gegenstände,
die nicht Alle fassen konnten; sie nahm dann ihre
Zuflucht zu Marie Lataste, wenn eine Andere ihr
nicht antworten konnte und nie wurde sie in ihrer
Erwartung getäuscht; worin auch immer sie befragt
wurde, so fand die Schwester eine Erklärung und
sprach dabei mit solcher Frömmigkeit, dass alle sich
erbauten und sich zum Guten angetrieben fühlten. Ihr
Eifer. Der Eifer, für die Ehre Gottes zu wirken, der
Marie belebte, konnte nicht untätig bleiben. Nachdem
sie ins Sacre-Coeur eingetreten war, war es für sie
jetzt doppelte Pflicht, denn die Ehre Gottes ist ja
das einzige Ziel, welches die Gesellschaft verfolgt.
Sie übte diesen heiligen Eifer vor allem durch ihr
Beispiel, dessen heilsamer Einfluss sich auf ihre
ganze Umgebung erstreckte. Lange noch, nachdem sie
Conflans verlassen hatte, sprach die Schwester,
welche mit ihr zugleich Pförtnerin war, zu Mariens
Nachfolgerin ihr Bedauern aus, dass diese Marie
Lataste nicht gekannt hätte, und fügte öfters bei:
„In ihrem ganzen Wesen war Etwas, wovon ich keine
Rechenschaft ablegen kann, das aber zu Gott
hinführte. Schon ihr Anblick war hinreichend, den
Wunsch zu erregen, besser zu werden." --Bald nach
ihrer Entkleidung jedoch musste sie sich dem Befehl
des Heilandes zufolge diesem heiligen Eifer noch
mehr widmen, indem Er ihr verschiedene Seelen
zeigte, für die sie leiden und beten sollte, um
ihnen die Gnade des Heils zu erwirken. Einmal unter
anderem fühlte sie sich angetrieben, sich als Opfer
darzubieten für eine berühmte Persönlichkeit, auf
welche, wie ihr gezeigt wurde, die strafende
göttliche Gerechtigkeit hereinbrechen sollte. Sie
bat ihre Oberin um die Erlaubnis dazu, und nachdem
man es ihr einige Tage verweigert hatte, wurde es
ihr unter der Bedingung gestattet, Nichts in ihrer
Tagesordnung und ihren Beschäftigungen zu ändern. Es
ist unmöglich zu sagen, wie die gute Schwester nun
die Beute eines namenlosen Schmerzes wurde; sie
bezeichnete selbst ihre Leiden als Folge des
gerechten Zornes Gottes. Drei Wochen lang konnte ihr
Magen nicht die geringste kräftige Nahrung
ertragen; einige Gläser Wasser waren die einzige
Linderung für das sie verzehrende innere Feuer,
dennoch verrichtete sie mit gewohnter Sorgfalt alle
ihre Geschäfte. Ihre Oberin, welche sah, dass sie
unter einenden Peinen des Fegfeuers ähnlichen Qual
litt, befahl ihr, um das Aufhören derselben zu
beten; Marie gehorchte und im Augenblick erlangte
sie ihre gewöhnlichen Kräfte wieder; ihre verstörten
Züge erhielten ihre frühere Heiterkeit, und der
Heiland, der sie mit innerem Entzücken erfüllte,
versprach ihr, dass der Sünder nicht im Stande der
Ungnade sterben würde. An ihm selbst ging jedoch
mehrere Jahre darauf in Erfüllung, was Marie gezeigt
worden war, und zwar unter solchen Umständen, die
keine Täuschung zuließen. Man kann aber hoffen,
dass die Trübsale und Leiden ihm nicht unnütz waren,
und dass, als der Diener Gottes zu seinen letzten
Augenblicken herbeigerufen wurde, sein Herz der Reue
zugänglich war, wodurch er die Barmherzigkeit des
himmlischen Vaters erlangte.
Wie früher, so
hatte Schwester Marie auch jetzt Offenbarungen über
die geistigen Bedürfnisse einiger ihrer
Mitschwestern; sie teilte dies jedoch nur der mit
ihrer Leitung betrauten ehrw. Mutter mit, und dies
geschah jedesmal mit staunenswerter Genauigkeit und
mit zarter Liebe, wobei sie jedesmal Sorge trug, die
guten Eigenschaften jener hervorzuheben, von welcher
der Heiland ein Opfer oder Besserung erwartete.
In Rennes boten
ihr die öftern Beziehungen mit den Zöglingen als
Krankenschwester, sowie mit den Weltleuten als
Pförtnerin tausend Gelegenheiten, dem Nächsten
nützlich zu sein und die Ehre des heiligen Herzens
Jesu zu befördern; sie benutzte diese Gelegenheit
mit seltenem Takt und seltener Vorsicht und die
Verehrung, die sie genoss, verlieh ihren Worten die
größte Wirksamkeit. Man darf jedoch nicht glauben,
dass sie sich hervorzutun suchte; sie hatte
vollkommen erfasst, auf welche Weise man, ohne
direkt mit der Leitung der Seelen betraut zu sein,
ein stummes Apostolat an ihnen ausüben könne. „Jene
unter uns, schrieb sie, vermag dies am besten,
welche das Herz des göttlichen Meisters am meisten
liebt, welche ein heiliges Leben führt, und welche
am eifrigsten nach dem einzig wahren Ziel ihres
Berufes strebt.
Ihre Sanftmut,
Geduld und Liebe, welche sie gegen jedermann ohne
Unterschied ausübte, erwarben ihr eine
unwiderstehliche Gewalt über alle. Oft hörte man sie
sagen; „O, wie schön ist die christliche Liebe!"
Dies bewies sie auch in ihrem ganzen Benehmen, indem
sie sich stets selbst vergaß, dagegen für andere
voll Aufmerksamkeit, Sorgfalt und Zuvorkommenheit
war. Die geringsten ihr geleisteten Dienste wusste
sie hervorzuheben und ihre Selbstverleugnung für
Nichts rechnend, sagte sie zu einer Schwester, die
mit ihr dieselbe Arbeit teilte: „Sie lassen mir
Nichts zu tun übrig!" während doch sie es war,
welche die Hauptarbeit verrichtete.
Da sie stets
bereit war, andere zu entschuldigen, so gab ihre
Liebe ihr die geistreichsten Erwiderungen ein, um
deren Fehler zu beschönigen. Die Klosterfrau, welche
die Oberaufsicht über das Krankenzimmer führte,
beklagte sich einmal vor ihr über die
Unregelmäßigkeit, mit welcher eine der Schwestern
kam, um ihre verordnete Arznei einzunehmen, woraus
Marie plötzlich ausrief: „O, wie erbaut es mich,
dass sie sich so vergisst! was mich anbelangt, so
denke ich nur zu sehr an das, was ich bedarf!" ---
Es ist wahr, sie dachte an sich, allein nur um sich
abzutöten und um zu gehorchen; daher unterließ sie
nie eine Verordnung des Arztes, trotz des großen
Abscheus, den sie von Natur aus dagegen empfand. In
dem Innern einer Gemeinde und besonders bei der
Gründung eines Klosters, wo oft noch Vieles fehlt,
entstehen durch das Zusammengreifen verschiedener
Verrichtungen oft Anforderungen, welche schwer zu
vereinen sind. „Ich kann versichern, sagte eine
Schwester, welche häufig in Verkehr mit ihr war, nie
sah ich ihre Tugend oder ihre Geduld im Mindesten
erschüttert!" --Eine andere Schwester teilt uns
Folgendes mit: „Es war damals noch keine eigentliche
Küche in dem Hause, die Speisen wurden an einem
Kamin zubereitet, und die Krankenschwester musste,
wenn sie für die Kranken Tee oder dergleichen zu
machen hatte, denselben Herd benutzen. Hier verstand
es Schwester Marie zu warten, und dennoch alles zur
rechten Zeit zu bereiten, ohne dass sie je die
christliche Liebe durch ein Wort oder auch nur durch
eine ungeduldige Bewegung verletzt hätte. Die
Ökonomin des Hauses war in Folge einer Irrung in
ihrer Rechnung auf die Meinung gekommen, der Bäcker
der Anstalt halte nicht immer das festgesetzte
Gewicht ein. Schwester Lataste betrübte der gegen
diesen Mann gehegte Argwohn und sie unternahm es,
seine Unschuld zu beweisen. Sie erhielt die
Erlaubnis, ihm, von einer Schwester unterstützt,
nachzuwiegen: man hatte indessen noch keine Waage
und die Art und Weise, wie man verfuhr, um sie zu
ersetzen, war schwer und mühsam. Nichts desto
weniger wurde die Aufgabe freudig unternommen und
einen Monat lang fortgesetzt, und der ehrliche
Lieferant verdankte es Schwester Lataste, dass er
vollständig gerechtfertigt wurde.
Eines Tages gab
sie, wie dies gewöhnlich geschah, einem an der
Pforte erscheinenden Bettler einen Sou; dieser
empfing das Almosen murrend und sagte barsch und
drohend: „Was ist das? --- Alsbald begibt sich die
gefällige Pförtnerin zur Oberin, die ihr erlaubt,
das Almosen zu verdoppeln; der Unbekannte nimmt es
mit derselben Klage. Ohne sich durch die Anmaßung
dieses Mannes aus der Fassung bringen zu lassen,
wiederholt Marie 7- 8 Mal denselben Gang, obwohl sie
jedesmal eine Stiege steigen musste, was ihr bei
ihrer schwachen Gesundheit sehr beschwerlich fiel.
Hierauf sagte sie in sanftmütiger Weise zum Bettler:
„Nun, sind Sie jetzt zufrieden ?" --- „Soviel
Gänge, antwortete dieser barsch, wären gar nicht
nötig gewesen; Sie hätten es mir gleich geben
können." Die demütige Schwester erwiderte solche
Grobheit nur mit Lächeln und freundlichen Worten.
Die Zöglinge
bewunderten ihre Güte und sahen es als eine große
Begünstigung an, wenn sie Gelegenheit hatten, mit
ihr in irgend eine Berührung zu kommen; die
Aufopferung und große Sorgfalt, die ihnen Marie bei
ihren Krankheiten oder Unwohlsein bewies, machte sie
sehr beliebt bei ihnen und ihre Tugend flößte ihnen
Achtung und Ehrfurcht ein. Ihr Anblick allein war
hinreichend, sie zum Guten aufzumuntern und ihre
Frömmigkeit zu beleben; oft hörte man sie sagen: „O,
wie gut, wie sanft ist Schwester Lataste! Wir find
so gerne bei ihr, das ist eine Heilige!"
Da das Personal
des Klosters noch sehr klein war, so hatte die
ehrwürdige M. Charbonnel ein weltliches Mädchen als
Köchin angenommen, obwohl dieselbe noch nicht die
Absicht hatte, im Sacre-Coeur zu bleiben. Später
wurde sie jedoch noch Laienschwester und äußerte
sich folgendermaßen über Marie Lataste: „Ich habe
vier Monate mit dieser guten Schwester verlebt,
unsere Beziehungen waren mehr äußerlich als
innerlich; denn ich wurde zu den gemeinschaftlichen
Übungen nicht zugelassen. Ich war Ausgeherin und
Köchin, Schwester Lataste war Pförtnerin,
Krankenschwester und besorgte das Refektorium; wir
trafen daher oft zusammen; indessen fand zwischen
uns nie die geringste Unannehmlichkeit statt,
während ich jeder andern leicht dazu hätte
Veranlassung geben können; denn ich war noch
weltlich und kannte die Gebräuche des Klosters
durchaus nicht. Nach den vielen durch die
Kommissionen verursachten Ausgängen hatte ich
zuweilen ein Bedürfnis nach Ruhe, und ich erklärte,
dass es mir schwer sei, noch an den Herd zu gehen,
um die Mahlzeit zu bereiten. Schwester Lataste
erwiderte mir dann lächelnd: „Arbeiten wir, so lange
wir leben, in der Ewigkeit können wir ausruhen." ---
Ich sagte einst zu ihr, dass ich vor hätte, mir
einen Dienst zu suchen, indem ich weder Lust noch
Mut in mir fühlte, ein Leben des Opfers und der
Selbstverleugnung zu führen, wie es im Sacre-Coeur
verlangt wird, worauf sie mir erwiderte: „Gehen Sie
nur, Sie gleichen den Zugvögeln; Sie werden auf
kurze Zeit fortfliegen, allein doch wieder ins
Sacre-Coeur zurückkommen.“ --- Diese Voraussage hat
sich bewahrheitet; denn der Anblick dieser
tugendhaften Schwester zerstreute nach und nach
meine Abneigung und mein Herz neigte sich allmählich
zu diesem Berufe hin, der mich anfänglich
erschreckte." Mariens wohlwollende Sanftmut, ihre
unerschütterliche Geduld, die ihr gar keine
Überwindung mehr zu kosten schienen, waren, dies
dürfen wir nicht vergessen, die Frucht ihrer langen
und energischen Kämpfe; sie hatte diese Tugenden im
Herzen Jesu kennen gelernt, auch ihre
unerschöpfliche, sich bei der geringsten
Veranlassung offenbarende Liebe hatte sie aus diesem
Urquell der Liebe geschöpft. Wenn sie in ihrer neuen
Familie allen teuer war, so lohnte sie reichlich
Allen durch Gegenliebe; diese Gefühle spricht sie in
einem an Herrn Dupérier im Jahre 1846 gerichteten
Briefe aus. Derselbe hatte einige Fragen über die
Gesellschaft des Herzens Jesu an sie gestellt.
Nachdem sie ihm mit wenig Worten erklärt hat, was
die Chorfrauen und die Schwestern sind, fügt sie
bei: „Dieser Unterschied zwischen uns ist nur
äußerlich; wir sind alle Schwestern im
heiligen Herzen Jesu und bilden alle nur ein Herz
und eine Seele in diesem heiligen Herzen. Das Herz
Jesu ist ein Körper; jedem Gliede ist eine besondere
Tätigkeit angewiesen, um dadurch nach dem gleichen
Ziele zu streben, nämlich: Die Ehre des heiligen
Herzens, die Ausbreitung Seiner Verehrung und das
Heil der Seelen; es ist ein gut eingeschulter Chor,
dessen einzelne Stimmen ein melodisches Konzert
aufführen. Marie vergaß im Kloster jedoch weder ihre
Familie, noch ihre Freunde, besonders auch jene
nicht, welchen sie durch die Bande der Dankbarkeit
und des Glaubens verbunden gewesen war. Sie bewies
dies durch ihre, zwar nicht häufigen Briefe, in
denen aber ein seltener Takt, tiefes Gefühl und
Frömmigkeit sich äußerten. So schrieb sie zwei
Briefe an den Pfarrer von Mimbaste, in denen sie
ihre Dankbarkeit stets wiederholt, und sie ihm auch
aus vollem Herzen, jedoch ohne Exaltation das Glück
ausdrückt, dessen sie in dem von ihr gewählten
Stande genoss. Nichts bekundet darin ein Streben,
ihrerseits sich bemerkbar zu machen; im Gegenteil
kann man daraus ersehen, dass sie wenig Wert darauf
legte, ob andere ihrer gedächten oder nicht; wir
finden hierfür einen Beweis, dass sie so wenige
Briefe schrieb. Herr Dupérier schrieb ihr zuerst; in
den zwei ihm gegebenen Antworten bemerkt man ihre
Demut, ihr Selbstvergessen, und zu gleicher Zeit
findet man darin, wie wir oben gesehen, ein zartes
Streben, alles anzuführen, wodurch sie die
Genossenschaft, der sie sich angeschlossen, in ein
besseres Licht bringen könnte. Ihrem alten Vater
gibt sie einige äußerliche Einzelheiten über ihr
Leben, die geeignet sind, ihn, wie auch ihre Mutter
zu interessieren und über ihre Lage zu beruhigen.
Ihrer Schwester Margaretha, die sie so zärtlich
geliebt hatte, schreibt sie sanfte und zärtliche,
ganz von Andacht zum heiligen Herzen durchdrungene
Worte. Marie hatte wohl gefühlt, wie vereinzelt ihre
Schwester sich nach ihrer Abreise fühlen musste; sie
schreibt ihr unter anderem: „Ich bin sicher, dass Du
in Deinen Mühseligkeiten glücklich bist, oft den
göttlichen Trost an seiner Quelle zu suchen; Du
kennst diese Quelle, die Weltleute leider nicht. Man
hält uns für unglücklich, wenn wir mit Gott allein
sind! Ist denn nicht Gott allein unsere Seligkeit,
die einzige Freude unserer Seele? Vereinen wir uns
daher, meine liebe Schwester, Du in der Welt und ich
im Kloster, um das anbetungswürdige Herz Jesu mehr
und mehr zu preisen und zu lieben. Es ist so wenig
gekannt und so wenig geliebt! Welches Glück, mit
diesem Herzen vereinigt zu sein, mit diesem
Heiligtum aller Tugenden, mit diesem Herzen, welches
das Glück der Seligen im Himmel ausmacht und welches
die Zuflucht, die Stütze, die Kraft und der Trost
der Seelen aus dieser Welt ist!"
Kurze Zeit vor
ihrem Tode schrieb sie an ihre Schwester Quitterie;
diese jedoch konnte ihr nicht antworten, da sie ein
Leiden an der Hand hatte, welches so bedeutend war,
dass man glaubte, eine Amputation vornehmen zu
müssen. Gott selbst heilte indessen Seine
hochherzige Dienerin auf wunderbare Weise, so dass
sie ihre gewöhnlichen Beschäftigungen wieder
aufnehmen konnte. Wir bedauern, nicht im Stande zu
sein, etwas von den gegenseitigen Gefühlen dieser
beiden heldenmütigen Seelen anzuführen; sie liebten
und verstanden sich so vollkommen.
Viktoria B.
erhielt, als Jugendfreundin, auch ihren Anteil: sie
macht sie zuerst mit dem Glücke bekannt, dessen sie
im Noviziat genießt, wünscht, sie möge dasselbe mit
ihr teilen und endigt mit einer Herzensergießung, in
welcher sich ihr tiefes Gefühl offenbart, sie
schreibt: „Jetzt haben meine geistigen Leiden
aufgehört; Ruhe und Friede sind in meinem Herzen;
ich bin glücklich, dir dies sagen zu können. Mut und
Vertrauen, liebe Freundin, hoffen wir auf den
Erlöser Jesus." --Wie man sieht, zerreißt die im
Kloster für Gott lebende Seele dadurch nicht die
Bande, die Er selbst geschaffen hat; Marie Lataste
gibt uns dafür einen um sogewichtigeren Beweis, da
eben sie so gänzlich von allem Natürlichen
losgeschält war.
Ihre Abtötung.
Es wäre schwer, die Abtötung in der ganzen Bedeutung
des Wortes weiter zu führen, größeres Missfallen an
sich selbst zu finden, als Marie Lataste es tat. Sie
hatte zu eifrig das Leiden Jesu betrachtet, um
nicht zu wünschen, es an sich selbst zu
veranschaulichen. Im Anfange ihres Noviziats gab sie
der ehrw. Mutter Garabis von ihrer inneren Stimmung
mit folgenden Worten Rechenschaft: „Ich kann dem
großen Verlangen, mich für meinen Gott hinzuopfern,
nicht genugtun. Muss man denn all die große Liebe,
welche Er Seinem schwachen Geschöpfe zu bezeugen
sich würdigt, so schlecht erwidern? Ach! wenn man
all die Güter kennete, welche einer Seele aus der
Liebe zum Kreuz und der Demütigung erwachsen! Unser
Heiland hat es mir gnädigst gezeigt, aber ach! wie
wenig habe ich Seine göttlichen Belehrungen
benutzt!"
Dies war ihre
Überzeugung; denn je mehr man den gekreuzigten
Heiland zu kennen und zu verstehen sucht, desto mehr
erkennt man seine eigene Unvollkommenheit. Dieser
heilige Feuerherd hatte sie so mit Licht erfüllt,
dass sie die geringsten Flecken gewahrte und voll
Scham darüber war. Daher entsprang das Bedürfnis
sich durch Leiden zu reinigen und ihre Treue, mit
der sie keine Gelegenheit zu verlieren strebte, um
ihren Geschmack, ihre Anhänglichkeit an die
erlaubtesten Genüsse aufzuopfern, damit sie dem
himmlischen, ihr stets vor Augen schwebenden
Vorbild ähnlicher werde. Sie hätte ihr Blut als
Beweis ihrer Liebe und ihres Glaubens vergießen
mögen, und oft hatte unser Heiland diese frommen
Wünsche ihres Herzens aufrechterhalten, indem Er ihr
das Martyrium ankündigte. „Ich habe Hunger und Durst
nach Leiden und Mühseligkeiten, schrieb sie schon im
Jahre 1842. Werden sie kommen? Ich weiß es nicht.
Wenn ich keine Leiden habe, so soll mein Leiden
darin bestehen, kein Leiden zu haben, und meine
Marter darin, dass ich nicht gemartert werde!"
Ihr Martyrium,
obwohl langsam und geheim, war deswegen nicht
weniger wirklich und vielleicht war es eben durch
seine lange Andauer nur umso verdienstlicher. Bei
solchen Gefühlen ist es begreiflich, dass der
Gedanke irgend einer Entbehrung sie erfreute.
„Welches Glück!" sagte sie sogleich zu einer ihr
begegnenden Schwester, als diese über eine kleine
Beschwerde sich aussprach, wenn man dem Herrn ein
Opfer darbringen kann!"
Da sie ohne
Erlaubnis die Strengheiten, zu denen ihr Verlangen
nach Abtötung sie veranlasst hätte, nicht ausüben
konnte, so war sie erfinderisch, Mittel zu suchen,
um sich dafür zu entschädigen. So konnte man in
Conflans, als sie das Refektorium zu besorgen hatte,
öfters sehen, dass sie die unappetitlichsten
Überreste der Mahlzeit für sich aufbewahrte. Durch
ihre große Aufmerksamkeit, alle derartigen Akte den
Augen anderer zu entziehen, sind uns gewiss viele
derselben entgangen; indessen die Art und Weise, wie
sie ihre schwache, gestörte Gesundheit ertrug,
zeigte vorzüglich, wie sie sich selbst abgestorben
war.
Die
Luftveränderung, sowie die Veränderung ihrer
Lebensart hatten nicht den gewünschten Erfolg: die
Ärzte fanden zuerst in ihrem Zustand nur eine
allgemeine Schwäche, welche durch kräftige Nahrung,
verbunden mit gemäßigter Bewegung leicht besiegt
werden würde, und Marie unterwarf sich auf das
Gewissenhafteste ihren Anordnungen. Sie überwand
ihren großen Widerwillen für jede Nahrung und sagte
oft mit sanfter Heiterkeit: „Ich tue es für Gott."
--- Sie musste drei- bis viermal am Tage kaltes
Fleisch essen; die Köchin hatte ihr angeboten,
dasselbe auf verschiedene Art zuzubereiten; allein
sie weigerte sich dessen, indem sie antwortete: „Der
Arzt hat es so angeordnet, man darf an seinen
Vorschriften nichts ändern."
Das Leiden
trübte indessen durchaus nicht die Ruhe und
Heiterkeit dieser tugendhaften Schwester; ein aus
der Kreuzesliebe geschöpfter Mut hielt sie aufrecht
mitten unter ihren Beschäftigungen, welche sie in
gänzlicher Selbstvergessenheit noch beibehielt,
weil die Klostergemeinde sehr wenig zahlreich und in
Folge dessen mit Geschäften überladen war. ---„Ich
befand mich," sagt eine Klosterfrau, „in diesem Jahr
in Rennes und bin Monate lang mit der schon sehr
kranken Schwester Lataste Pförtnerin gewesen; ich
kann nicht sagen, welchen heiligmäßigen Eindruck sie
machte. Alles in ihr atmete Liebe zu unserm Heiland,
und ihre Demut erhöhte in meinen Augen noch ihre
Vollkommenheit. Mehr als einmal staunte ich über
die Tiefe ihrer Betrachtung göttlicher Dinge, und
mir selbst unbewusst fühlte ich mich zu ihr
hingezogen. Meine Seele fand Ruhe und Erbauung, wenn
sie mir von dem Wert der Leiden sprach, die sie so
gut kannte. An ihrem schwachen Körper zeigten sich
die Spuren mehrerer Krankheiten, demungeachtet
schwebte stets ein Lächeln des Friedens auf ihren
Lippen. Ich sah es als eine große Gunst an, mich mit
dieser trefflichen Schwester unterhalten zu dürfen;
sie schien nur mehr ein übernatürliches Leben zu
führen und sich und ihre Leiden gänzlich zu
vergessen. Ich verließ sie gestärkt und von dem
Wunsche beseelt, sie nachahmen zu können!"
Das sich
täglich verschlimmernde Übel nahm plötzlich im Laufe
der Fasten 1847 einen ernsten, drohenden Charakter
an: eine allgemeine Geschwulst des ganzen Körpers
ließ eine beginnende Wassersucht befürchten. Ruhe
und Diät wurden Marie Lataste auferlegt; sie
unterwarf sich auch hierin mit demselben Gleichmut
und derselben Sanftmut, wie den bisher ganz
entgegengesetzten Vorschriften, und erst in ihren
letzten Augenblicken wurde die Oberin inne, wie viel
sie darunter gelitten hatte; bis dahin hatte ihre
gänzliche Selbstverleugnung es nicht ahnen lassen.
Auf diese verschiedenen Verordnungen anspielend,
sagte sie mit Einfalt und ohne Bitterkeit, dass zur
Zeit, als sie einen ausgesprochenen Widerwillen für
jede Nahrung gehabt, sie der Arzt täglich vier- bis
fünfmal hätte essen lassen, und als sie großes
Bedürfnis nach Nahrung gehabt, habe er sie fast
verhungern lassen. Sie erkannte übrigens hierin eine
ganz besondere Zulassung Gottes, und in demselben
Sinne gestand sie auch, dass alles, wodurch ihre
Oberinnen ihr das Leiden hätten erleichtern wollen,
ihr nur größere Schmerzen verursacht hätte. Der
göttliche Meister wollte diese hochherzige und
Seinem Wohlgefallen so treu alles opfernde Seele
bald zu sich nehmen, sie bald belohnen, und setzte
daher ihrer Verbannung ein frühes Ziel. Die ihr
gewidmete Sorgfalt schien anfänglich den
gewünschten Erfolg zu haben denn nach Ostern glaubte
man sie in der Genesung begriffen. Sie ging von Zeit
zu Zeit in den Garten, wo sie die Blumen mit
Vorliebe betrachtete. Die Zöglinge, glücklich, sie
wieder zu sehen, beeilten sich, ihr Blumen zu
bringen und sich ihrem Gebete zu empfehlen; die
wenigen Worte, mit welchen sie die Blumen hinnahm,
waren so von Frömmigkeit und Dank gegen den Urheber
so vieler Pracht durchhaucht, dass die Kinder davon
durchdrungen wurden und ihr Glaube sich neu belebte.
Dies war das einzige Gefühl, was in Marie Lataste
durch die Schönheiten der Natur hervorgebracht
wurde. Das letzte Mal, als sie spazieren gehen
konnte, machte eine junge Postulantin, die sie im
Gehen unterstützte, auf die Frische und Reinheit der
Luft aufmerksam, und sagte, wie angenehm es sei, den
süßen Wohlgeruch einzuatmen: „Das ist Sinnlichkeit,"
antwortete die Schwester, dadurch beweisend, wie
weit entfernt sie sei, das zu suchen, was den
Sinnen schmeichelte. Immer dem Willen ihres
anbetungswürdigen Erlösers ergeben, wünschte sie
weder das Leben noch den Tod. Als eine Schwester in
sie drang, ihre Genesung zu erflehen, antwortete
sie: „Alles, wie Gott will, und Nichts als das, was
Er will; bei unserm Tode werden wir glücklich sein,
etwas für Ihn gelitten zu haben." --- Im Laufe des
Aprils schrieb Herr Dupérier an sie, um ihr Bitten
verschiedener Personen mitzuteilen, welche durch
ihre Vermittlung Belehrung und Rat wünschten. Die
demütige Schwester war beunruhigt bei dem Gedanken,
die ihr so teure Verborgenheit und Dunkelheit
verlassen zu sollen. Sie brachte diesen Brief ihrer
Oberin und bat flehentlich um die Erlaubnis, ihn
zerreißen und keine Antwort geben zu dürfen: sie
sprach ihre Befürchtungen mit so viel Kraft und
Lebendigkeit aus, dass die ehrw. M. Kerouartz ganz
erstaunt darüber war; sie glaubte sie auffordern zu
müssen, einfach den Brief zu beantworten und darin
ihre Absichten anzugeben. Marie unterwarf sich wie
immer. Ihre vom 30. desselben Monats datierte
Antwort ist voll Takt und endet wie folgt: „Unser
Heiland hat Seine Güte gegen mich nicht geändert,
obwohl Sein Verfahren ein anderes ist. In meiner
Vereinigung mit Ihm herrscht nichts Zweifelhaftes
und nichts Fühlbares. Er führt mich auf einem
einfachen und gewöhnlichen Wege, auf welchem ich
den tiefsten Frieden genieße." Andere Mitteilungen
über ihren damaligen inneren Zustand kennt man nicht
und der letzte Brief, den sie bald darauf an ihre
Schwester Margaretha schrieb, ist nicht
wiedergefunden worden. Als sie denselben der Oberin
übergab, bat sie, ihn nach ihrem Tode abzuschicken,
was auch pünktlich beobachtet wurde.
Achtes
Kapitel
Letzter Krankheits-Anfall;
Schwester Marie legt ihr Gelübde ab, empfängt die
hl. Wegzehrung und die letzte Ölung; ihr Tod; die
Hinscheidende wird mehr bewundert als betrauert.
Eine Bekehrung an ihrem Totenbette.
Indessen nahte
der Augenblick heran, wo das lange, schwere
Martyrium der treuen Dienerin Gottes durch die
letzten großen Schmerzen sein Ende finden so!lte.
Bald sollte sie von neuem die Stimme ihres Geliebten
hören und Ihn von Angesicht zu Angesicht sehen.
Sonntag den 9.
Mai war sie ziemlich wohl, so dass sie in der
Konventmesse kommunizieren, und selbst der Messe um
9 Uhr beiwohnen konnte. Den Rest des Vormittags
verbrachte sie im Garten, in der Nähe der Kapelle
sitzend, und hoffte auch nachmittags die Vesper
anhören zu können. Ihre Züge trugen noch mehr als
gewöhnlich den Ausdruck von Andacht und Friede; die
Zöglinge suchten unter allerlei Vorwänden ihr zu
nahen; mehrere brachten ihr in dieser Absicht
Blumen; sie wechselte dann, indem sie mit sanften
Worten die Blumen annahm, einige freundliche,
liebevolle durch ihre Vereinigung mit Gott belebte
Worte mit ihnen.
Um halb ein Uhr
ging sie in ein kleines Zimmer ebener Erde, um dort
zu Mittag zu essen, und treu und gehorsam bis zum
Ende versuchte sie es, ihren Widerwillen zu
überwinden und etwas Nahrung zu nehmen; es gelang
ihr kaum, und mit dem Ausdrucke voller Ergebung
blickte sie die eben gegenwärtige Oberin an und
sagte: „Ehrwürdige Mutter, ich kann nicht!" --- Die
ehrw. M. Kerouartz beruhigte sie, indem sie sie
aufforderte, sich nicht Gewalt anzutun, worauf sie
die Kranke verließ, um bei der Erholung der Nonnen
gegenwärtig zu sein. Schwester Marie drang in das
junge Mädchen, das mit ihrer Verpflegung beauftragt
war, auch dahin zu gehen und sagte ihr: „Sie sind
lange nicht dabei gewesen, Louise, es wird ihnen gut
tun, und ich kann recht gut allein bleiben." ---
Glücklicherweise willigte Louise nicht ein, denn es
dauerte nicht lange, so stellten sich bei der
Kranken heftige Leibschmerzen ein, welche sie in
wenig Stunden ihrem Ende nahe brachten. Sie stieg
mit großer Beschwerde in ihr Zimmer hinauf und dort
bekam sie einen so heftigen Anfall, dass ihre
Gefährtin glaubte, es sei ihr Ende nahe. Und dennoch
beschäftigte sich Marie, mitten unter ihren
furchtbaren Schmerzen mit der Mühe, die sie ihrer
Pflegerin verursachte. Sobald Mutter Kerouartz
benachrichtigt werden konnte, eilte sie herbei, und
die sogleich gerufenen Ärzte erklärten den Zustand
als höchst gefährlich.
Bei einer so
reinen und von allem Irdischen losgeschälten Seele
war die Vorbereitung zum Tode leicht, daher konnte
ihr auch die Oberin ohne Besorgnis sagen, dass sie
die heiligen Sterbesakramente empfangen, um ihre
Gelübde ablegen werde.
Seit mehreren
Monaten schon hatte Schwester Lataste die für das
Noviziat vorgeschriebene Zeit überschritten; allein
man hatte die Gelübde-Ablegung verschoben, weil man
hoffte, sie werde noch dahin gelangen, die vor
dieser Feier vorgeschriebenen geistlichen Übungen
machen zu können. Ihrerseits hatte sie lebhaft
gewünscht, sich mit ihrem göttlichen Bräutigam zu
vereinigen; allein sie hielt sich einer solchen
Gnade unwürdig, und ergab sich hierin wie in allem
Andern; daher stiegen ihre Freude und ihr Dank auf's
Höchste, als sie das ihr zu Teil werdende Glück
erfuhr.
Die Zelle der
Sterbenden war 7 Fuß lang und 5 1/2 breit, es war
die anständigste im Hause, weshalb man sie ihr
gegeben hatte; dorthin wurde also der Heiland ihr
als letzte Wegzehrung gebracht. Es wäre unmöglich,
die Seligkeit der Sterbenden zu beschreiben, als
Jesus im hl. Sakramente zu ihr kam; ihre Schwäche
war aber so groß, dass man fürchtete, sie werde die
Gelübde nicht aussprechen können und mau überlegte
sogar, ob man ihr nicht zuerst die letzte Ölung
geben solle. Allein Marie nahm mit großer Energie
ihre letzten Kräfte zusammen und nahm selbst die
Kerze in die Hand. Hierauf bat sie den ganzen
Convent um Verzeihung über das schlechte Beispiel,
das sie gegeben habe, und fügte bei: „Ich habe viele
Fehler begangen; aber ich habe immer alles getan,
was ich tun konnte." Dann sprach sie mit klarer und
deutlicher Stimme ihre heiligen Gelübde und empfing
die heilige Kommunion. Nun ließ sie den Gefühlen
ihres von Liebe überfließenden Herzens freien Lauf,
indem sie dieselben durch kurze Ausrufe voll Liebe
und Andachtsglut ausdrückte und sie mit Stellen aus
den Psalmen und andern frommen Werken vermischte:
„Gibt es, rief sie aus, ein Glück, das dem meinigen
gleicht? Ich gehöre Jesus ganz an und für immer! Ich
habe immer nur Ihn geliebt! O! alte und immer neue
Schönheit!" --- Sie wiederholte diese Worte des
heil. Augustinus noch mehrmals, ohne jedoch die
Worte beizufügen, mit welchen er fortfährt und die
nicht auf sie passten. Der Aumonier, Herr Abbé
Lemot, fürchtete, dieses Entzücken möge sie ermüden
und forderte sie deshalb aus, sich zu mäßigen. Sie
schwieg augenblicklich, um einen Akt des Gehorsams
zu verrichten, aber bald begann sie wieder mit
Lebhaftigkeit: „Nein, nein, fürchten Sie Nichts, das
ermüdet mich nicht, denn nicht ich spreche, sondern
Gott spricht in mir, und ich kann nicht schweigen."
--- So setzte sie denn ihr lautes Gebet fort. Einige
Augenblicke schien sie wie in Gott vertieft und
versenkt, sie erhob die Augen und sprach langsam
und mit kleinen Pausen: „O Gottheit, o
Dreieinigkeit, o Einheit, o Jesus!" --- Drei
Schwestern glaubten noch die Worte zu hören: „ich
sehe Dich!" was in ihnen den Gedanken hervorrief,
dass sie in diesem Augenblicke in etwas das tiefe
Geheimnis der allerheiligsten
Dreieinigkeit ergründet habe.
Ihr ganzes Danksagungsgebet war übrigens nur ein
Entzücken der Liebe: „O, sagte sie, wie glücklich ist
man, wenn man Gott von Jugend aus geliebt hat! Ich
gehöre ganz Dein, o Jesus! Ja, mein Gott, ich bin Dein
Eigentum! O! welches Glück, zu sterben als Dein
Eigentum! O! welches Glück, als Braut des heiligen
Herzens zu sterben! Welche Gnade! ich verdiente sie
nicht . . . Doch Du, mein Gott, weißt, dass ich immer in
Allem nach Deinem Willen verlangt habe. Ja, ich gehöre
Dir, o Jesus, Dir ganz allein!" Sie wiederholte diese
Worte mit unbeschreiblichem Ausdruck, und fügte dann
noch bei: „O immer alte und neue Schönheit! Wie der
Hirsch nach der Wasserquelle schmachtet, so sehnt sich
meine Seele nach Dir, o Jesus! O komm und nimm meine
Seele in Empfang ! Das ist schon der Vorgeschmack des
Himmels! ..." --- Ihr Antlitz strahlte, ihre Kraft
konnte nur eine übernatürliche und aus der sie
verzehrenden Liebe geschöpft sein. Die Zeugen dieses
glückseligen Todes sagen: „Wir hatten nicht nur ein
wunderbares und rührendes Schauspiel vor Augen, sondern
ein heiliger Schauer ergriff uns beim Anblick einer
Seele, die schon jetzt Gottes Anschauung zu genießen
schien." --Wir sind nicht im Stande, genau Alles
wiederzugeben, was in diesem Augenblick dem Herzen der
Schwester Lataste entschlüpfte, das gleich einer
sprudelnden Ouelle sich von ihren Lippen ergoss und sie
so zu sagen der Natur entriss. Bis jetzt hatte man sie
immer so ruhig gesehen, so aufmerksam darauf bedacht,
nichts Besonderes nach außen erscheinen zu lassen, daher
verursachte ihr Herzenserguss tiefes Erstaunen. Nach den
Worten der M. Kerouartz waren es vorzüglich ihr Ausdruck
und ihr Blick, wie sich nicht beschreiben lassen, alles
war so sprechend an ihr. Es ist begreiflich, dass alle
trachteten, im Laufe des Nachmittags und des Abends
wenigstens bis zur Tür der engen Zelle vorzudringen, um
die teuere Sterbende noch einmal zu sehen und zu hören.
Der Herr ließ es zu, dass dieser verborgene Schatz sich
klar offenbarte in dem Augenblick, wo er der Erde
entrückt werden sollte!
Die Zerstörung des
Körpers schritt indessen rasch voran, nach der Aussage
der Ärzte waren die Schmerzen so schauderhafter Art,
dass sie gewöhnlich nach 5 – 6 Stunden töteten; daher
kam es, dass Marie mehreren Nonnen zu verschiedenen
Malen die Bitte aussprach, für sie zu beten, damit sie
die Geduld nicht verliere. In den schwersten
Augenblicken bestanden ihre Klagen nur in den Worten:
„O ehrwürdige Mutter, wie leide ich! . . ." oder: „Ach,
wie viel muss man leiden, um zu sterben!" --Wenn sie in
Schwäche verfiel, so ließ man sie kölnisches Wasser
riechen und rieb ihr die Schläfe damit; sie bat einige
mal darum, fügte aber dann bei: „Wie sinnlich bin ich!
ich muss mich noch recht abtöten, um es abzubüßen."
Man fragte sie, ob
sie keinen Kummer darüber habe, sterben zu müssen:
„Leben oder Sterben! das ist mir gleich," antwortete
sie.
Die Anfälle kamen
immer häufiger; sie verlor dann die Besinnung, aber
gleich darauf hatte sie wieder ihre volle
Geistesgegenwart und sprach ruhig, ja mit Heiterkeit. So
sagte sie lächelnd: „Jetzt, wo ich meine Gelübde
abgelegt habe, kommt mir der Gedanke, ich würde noch
nicht sterben; nun, sie sind dennoch abgelegt, und wenn
ich wieder besser werde, bin ich eine eingeschmuggelte
Klosterfrau." Einmal rief sie ihre Oberin zu sich und
sagte erschreckt zu ihr: „Ehrwürdige Mutter, wird der
Heiland mir vielleicht gar einen Streich spielen? ---
Und welchen?
--- Den, dass ich
nicht sterbe." --- Nach einem andern Anfall sagte sie zu
derselben: „Ich habe Ihnen großen Schrecken gemacht, Sie
glaubten, ich würde sterben . . .
Doch nein! Er wi!l
mich noch nicht!" --- Sich an die M. Keronartz wendend,
sagte sie: „Nicht wahr, Sie verhindern den Teufel, mir
zu nahen?" --- Jedoch empfand sie weder Furcht noch die
leiseste Verwirrung, so bewahrheiteten sich die Worte,
die sie ihren Schutzengel hatte sagen hören, als der
Teufel sie als Beute verlangte: „Ihr Tod wird Dich
vertreiben." Da gegen 10 Uhr ihre Leiden sich ein wenig
vermindert hatten, zog der Herr Abbé sich zurück, indem
er glaubte, die gute Schwester werde die Nacht noch
überstehen. Dieser würdige Priester, der zum ersten Male
am Sterbebette einer der Unsrigen stand, war von
Bewunderung ergriffen und wiederholte öfters: „O es ist
schön, es ist tröstlich, solchen Tod zu sehen. Wenn man
im Sacre- Coeur so stirbt, so lohnt es sich wohl der
Mühe, darin zu leben!" --Die Ruhe war nicht von langer
Dauer, die Anfälle erneuten sich und man erwartete jeden
Augenblick ihr Ende. Die grausamen Foltern, welche die
Kranke erlitt, zeigten sich zuweilen in ihren verstörten
Zügen; allein kaum war ein Anfall überstanden, so
erschien wieder der ihr eigne Ausdruck wunderbarer
Sanftmut und ruhiger Heiterkeit; ihre Geduld
verleugnete sich nicht einen Augenblick. Nach den
empfindlichsten Schmerzen sagte sie sogar zuweilen: „O,
wie süß ist der Tod! Mein Herz vergeht vor Liebe!" ---
In ihren Zügen zeigte sich dann ein unendlich seliger
Ausdruck. Einmal, als sie vor Schmerzen stöhnte,
fürchtete die Oberin, die Zöglinge, deren Schlafsaal
nahe bei der Zelle war, möchten es hören; zugleich
erinnerte sie sich, welche Gewalt der Gehorsam stets
über die Sterbende gehabt habe, sie sagte daher zu ihr:
„Schreien Sie nicht, liebes Schwesterchen, Sie würden
sonst die Kleinen unsers Heilandes, die jetzt schlafen,
aufwecken!"
Obwohl Marie kein
Lebenszeichen von sich gab, so schwieg sie
augenblicklich, und stieß keine weitere Klage aus. Eine
der sie pflegenden Klosterfrauen war einige Minuten mit
ihr allein und beeilte sich, Marie ihre Aufträge für den
Himmel zu geben, worauf ihr die Sterbende mit großer
Klarheit antwortete. In dieser vertrauten Unterredung
war es, dass Marie jene Eröffnungen über ihre inneren
Leiden machte, von denen wir weiter oben gesprochen
haben. Alle Jene, denen die Erlaubnis erteilt wurde,
bei der teueren Schwester zu wachen, betrachteten dieses
Vorrecht als eine der größten Gnaden, die man ihnen
hätte bewilligen können, und noch nach 17 Jahren ist die
Erinnerung daran ihrem Gedächtnisse ebenso vollkommen
geblieben, wie ihren Herzen die in ihnen erweckten
Gefühle; daher konnten sie uns auch genau alle Umstände
angeben, die wir übrigens auch schon in dem
Jahresberichte von Rennes im Jahre 1847 finden.
Wir glauben die
Erzählung ihres Todes nicht besser beendigen zu können,
als durch die Worte, welche die ehrw. M. Kerouartz am
10. Mai 1864 an uns richtete: „Heute am Jahrestag des
Todes von Marie Lataste hat mich ihr Andenken noch nicht
verlassen: jeder Augenblick führt mich im Geiste zu
ihr; ich wähnte wiederum bei diesen rührenden und
tröstenden Stunden ihrer Todesangst zugegen zu sein.
Gefühle, wie ich sie bei diesem Todesbette empfunden
habe, hatte ich nie mehr, obwohl ich seitdem mehrere
unserer Klosterfrauen auf sehr erbauliche Art habe
sterben sehen. Was im Jahr 1847 darüber geschrieben
wurde, gibt einen genauen Begriff von dem, was sich
zugetragen hat; die Herzensergüsse unsrer lieben
Sterbenden sind mitgeteilt worden; man darf jedoch nicht
vergessen, dass sie ihr Leben durch einen heftigen Tod
endete, dessen schreckliche Anfälle viel länger dauerten
als die dazwischen fallende Ruhezeit, wodurch indessen
ihre große Gewalt über sich selbst nur noch mehr
hervorleuchtete. Ich war lebhaft bewegt von der
Heiligkeit dieser Seele, deren heldenmütige Tugend mir
jetzt so klar war; daher fühlte ich mich angetrieben,
sie um Verzeihung zu bitten, wenn ich ihr vielleicht
Leiden verursacht hätte; ebenso bat ich dringend um ihr
Gebet für unsere ehrw. Generaloberin, für unsere
Gesellschaft und für mich. Meine ersten Worte
beantwortete Marie mit einem ausdrucksvollen Blick,
worin sich Erstaunen ausprägte; sie schien mir in ihrer
tiefen Demut sagen zu wollen: „Warum sagen Sie mir
das?" Hierauf versprach sie mir, dass sie mich nicht
vergessen würde, dass sie im Himmel all Jener gedenken
werde, die sie ans Erden so mit Wohltaten überhäuft
hätten. In dem Maße, als sie sich dem Ende nahte,
gelangte Marie Lataste allmählich wieder in die ihr zur
zweiten Natur gewordene tiefe Sammlung. Wir sprachen
mit ihr von dem Himmel, aus den sie loszusteuern schien;
wir hielten es indessen nicht für nötig, ihr wie andern
Sterbenden jene Anrufungen Gottes anzugeben, wodurch ihr
Mut, ihr Vertrauen und ihr Glaube belebt wird. Wie
hätten wir sie zur Geduld ermahnen können, da sie uns
hierin das erhabenste Beispiel gab. Ihre Vereinigung mit
dem Heiland war sichtlich, und ihre Liebe zu Ihm hatte
sich ja aus jede Art geoffenbart.
Gegen 4 Uhr des
Morgens schienen ihre Augen mit einem Ausdruck, der
meinem Geiste noch gegenwärtig ist, Etwas zu suchen; sie
sprach nicht, allein alles in ihr atmete Gottes
Gegenwart. Ich bemühte mich, ihren Gedanken zu erraten
... Um das, was in diesem Augenblick geschah, zu
verstehen, ist es gut, beizufügen, dass das Zimmer der
Kranken mit großen Bäumen umgeben war und daran zu
erinnern, dass in dieser frühen Morgenstunde, besonders
im Frühjahr das Erwachen der Natur einen gewissen Zauber
hat, der uns zum Schöpfer aller Dinge erhebt. Eine große
Menge Vögel der verschiedensten Art ließen die Lust von
ihrem Gesang erschallen und bildeten ein melodisches,
entzückendes Konzert. Mir fiel ein, was wir über das
Glück gesprochen hatten, den Herrn in Ewigkeit zu loben,
und mir kam der Gedanke, zu der guten Schwester zu
sagen: „Sie hören den Vögeln zu, die Gottes Lob singen?"
--- Ein anmutiges Lächeln war ihre Antwort, etwas
Unaussprechliches lag in ihrem Blick --- ich hatte sie
verstanden. Wenn wir diesen an sich kleinen Umstand
angeben, so geschieht es, weil er uns ein neuer Beweis
der Reinheit und der Einfalt dieser auserwählten Seele
war; ihre süße Gewohnheit, ihren göttliche Meister
überall zu sehen, in der Blume wie in der ganzen Natur,
verließ sie auch nicht bei dem Übergang der Zeit in die
Ewigkeit, als sie so zu sagen der Erde kaum mehr
angehörte.
Und wirklich,
beinahe gleichzeitig, küsste sie ihr Kruzifix und
entschlief der Himmel öffnete sich um sie aufzunehmen,
das ist unsere innigste Überzeugung. Sie tauschte die
Bitterkeiten der Verbannung gegen die Freuden des
Vaterlandes, es war der 10. Mai 1847. --Herr Abbé Lemot
war zwar sehr frühzeitig gekommen; allein dennoch zu
spät um Zeuge dieses bewunderungswürdigen Todes zu
sein, worüber er untröstlich war; er ging in die kleine
Zelle und fand Louise dort. --- Man hatte ihr nicht
erlaubt die Nacht dort zuzubringen; allein jetzt war sie
herbeigeeilt und rief die Dahingeschiedene um ihre
Fürbitte an, so tief war der Eindruck, den ihr Beispiel
auf sie gemacht. Der würdige Priester war selbst so
ergriffen, dass er sich nicht enthalten konnte, die
Postulantin an dies heilige Leben zu erinnern, indem er
sie ermahnte, dieser Seele nachzuahmen, um auch eines
Tages ihre Seligkeit zu teilen. Himmlische Ruhe und
himmlischer Friede verbreiteten sich über unser Haus,
fährt M. Kerouartz fort. Jede von uns ließ sowohl der
Bewunderung, womit Mariens Tugend uns erfüllte, als
auch der Trauer, die teuere Schwester nun verloren zu
haben, freien Lauf. Alle eilten soviel wie möglich in
das Sterbezimmer, um sie zu betrachten. Die Spuren der
großen Schmerzen, welche sie erduldet, waren von ihrem
Antlitze verschwunden; sie hatte nicht die gewöhnliche
Blässe des Todes und ihre Züge schienen fast belebt;
eine engelgleiche Unschuld lag aus ihrer Stirn und es
schien als ob sie friedlich schliefe. Diejenigen, welche
ihr die letzten Liebesdienste erwiesen, haben sogar
versichert, dass ihre Glieder ihre Beweglichkeit
beibehalten hatten.
„Wegen unsers
kleinen Lokals hatte ich den Einfall, unsere teure
Verstorbene in mein eigenes Zimmer bringen zu lassen,
da der Zutritt zu demselben bequemer war. Ich habe bei
ähnlichen Gelegenheiten immer eine unangenehme
Empfindung und eine Art Schauer bei den Leichen gehabt,
und dieser Eindruck blieb mir dann jedesmal einige Zeit;
diesmal jedoch fühlte ich keine Angst und überließ mich
den meinem Amt obliegenden Beschäftigungen, während ich
nur durch eine spanische Wand von der Leiche getrennt
war. Von Zeit zu Zeit unterbrach ich meine Arbeit, um zu
Schwester Marie zu gehen, mir war als schliefe sie nur,
ja ich selbst ruhte sogar einige Stunden auf meinem,
ihrem Paradebett gegenüberstehenden Lager."
So weit gehen die
Berichte von M. Keronartz, Andere versicherten uns
gleichfalls, dass ihre Furcht gänzlich verschwunden war,
dass sie vielmehr gleichsam die Seligkeit fühlten,
welche die treue Braut des gekreuzigten Jesus jetzt
genoss.
Auch die Zöglinge
teilten dieses Gefühl mit den Klostersfrauen; das Lob
der Schwester Marie bildete den Gegenstand all ihrer
Unterhaltungen und öfters wiederholten sie, dass sie nun
bei Gott eine neue und mächtige Fürbitterin hätten. Weit
davon entfernt den ihrem Alter so natürlichen Schauer zu
empfinden bei dem Gedanken, dass eine Leiche im Hause
sei, beeiferten sie sich, die Erlaubnis zu erhalten, die
Tote zu besuchen und einige Augenblicke vor diesen
gesegneten Überresten, aus welchen himmlischer Friede
ruhte, zu beten. An einer aus ihnen geschah ein Wunder
der Gnade; wir finden es schon in dem oben erwähnten
Rundschreiben vom Jahr 1847 aus Rennes angeführt.
Fräulein A., sechszehn Jahre alt, hatte bisher aller für
sie verwendeten Sorgfalt nicht entsprochen. Der sanfte
Einfluss der Frömmigkeit hatte die Fehler ihres
Charakters noch nicht überwunden und man hatte alle
Ursache, Schlimmes für ihre Zukunft zu befürchten. Sie
hatte Marie Lataste kennen und schätzen gelernt; wir
werden ihre eigenen Worte anführen und daraus entnehmen,
wie sie selbst über Marie Lataste urteilte; ebenso
erzählt sie auch selbst den obengenannten Umstand.
Jetzt ist sie verheiratet und schreibt im Juli 1862 an
die hochw. M. Kerouartz einen Brief, dem wir folgende
Stelle entnehmen:
„Während der nur zu
kurzen Zeit, die ich im Sacre- Coeur mit dieser Heiligen
verlebte, fand ich in ihr ein Beispiel aller Tugenden,
unter welchen mir indessen besonders auffielen: ihre
große Demut, ihre zärtliche Andacht zum Herzen Jesu,
ihre außerordentliche Sanftmut und engelgleiche
Herzenseinfalt. Ich hegte für diese Schwester
aufrichtige Liebe und noch größere Verehrung; ich war
ihr wohl Dank schuldig, da sie mir so viel Sorgfalt
gewidmet hatte.
„Seit langer Zeit
war sie leidend, dennoch zeigte sie sich immer ebenso
geduldig und ergeben. Ich begegnete ihr eines Tages und
sagte zu ihr: „Gute Schwester, Sie leiden viel?"
---„Doch nicht, Fräulein, ich bin glücklich darüber, zu
leiden, was ich leide. Bald, so hoffe ich, werde ich zu
meinem Jesus kommen. Es ist sehr süß zu sterben, wenn
man Alles für Gott verlassen hat und Ihn allein liebt!"
--- Diese Worte machten mir einen tiefen Eindruck, und
veranlassen mich zu ernstem Nachdenken; auch ich hätte,
wie diese heil. Schwester, ganz Gott angehören mögen.
--Diese Unterredung war die letzte, die ich mit ihr
hatte, ich sah sie erst als Leiche wieder. Es würde mir
schwer sein auszudrücken, was ich damals empfand; das
sind Dinge, die man fühlen aber nicht beschreiben kann.
Auf mein dringendes Bitten erlaubten Sie mir, ehrw. Frau
und gute Mutter, die vielgeliebte Schwester noch einmal
zu sehen; mich zog ein unbestimmtes Etwas zu ihr. ---
Ich meine sie noch vor mir aus dem Totenbette zu sehen,
mit Blumen umgeben, mit gefalteten Händen und dem
Ausdruck himmlischer Freude auf ihren Zügen. In diesem
Augenblick hatte ich so zu sagen einen Vorgeschmack des
Glückes, das uns im Himmel zuteilwird; ich sah sie im
Geiste vor ihrem Jesus in verklärter Liebe, Fürbitte
für mich einlegend, während ich sie als Heilige anrief.
Ich hing an Nichts mehr auf dieser Welt und war geneigt
zu jedem Opfer; fühlte mich auch voll guten Willens und
voll Muth, um dies in Ausführung zu bringen. Sie werden
sich erinnern, dass ich von diesem Tage af ernstlich an
der Besserung meines Charakters arbeitete und auf
Fürbitte dieser teuren Schwester habe ich auch Kraft und
Gnade dazu erlangt. Ihr verdanke ich meine Bekehrung."
Es wird nicht
unnütz sein beizufügen, dass dieses junge Mädchen große
Furcht vor den Toten hatte; sie trat zuerst zitternd
und mit geschlossenen Augen ein; nach einem kurzen Gebet
warf sie einen Blick auf die Verstorbene, und nun blieb
sie unbeweglich lange Zeit in andächtige Betrachtung
versenkt, nicht mehr auf das achtend, was um sie
vorging. Den empfangenen guten Eindrücken getreu,
beendigte sie den Monat Mariens mit rührender Andacht,
gab demütige und aufrichtige Beweise ihrer Reue und
wurde bald ein Beispiel für andere. Ihre über die
plötzliche Änderung erstaunten und erbauten Gefährtinnen
gaben ihr einstimmig die Auszeichnung des blauen Bandes.
Diese gänzliche Besserung war eine dauernde. --- Später
führte die M. Keronartz diese Tatsache einmal an, um zu
beweisen, welch glücklichen Einfluss die Tugend auf
junge Gemüter habe. Eine junge, erst später nach Rennes
gekommene Klosterfrau gestand, dass nur das für ihre
Oberin gehegte Vertrauen sie zu dem Glauben habe
bestimmen können, dass die Pensionärin, die sie als so
fromm, so bescheiden, so höflich, so aufopfernd kannte,
jemals so schwierig zu behandeln gewesen sei, wie man es
ihr schilderte: „Ich erinnere mich, dass ich sie
Tugendakte habe ausüben sehen, zu denen mir, obwohl
schon Novizin, der Mut gefehlt hätte!"
Neuntes
Kapitel.
Aussagen über Marie Latastes Tugend
und Heiligkeit. Die ihr vom Heiland gemachten
Versprechungen beginnen sich zu erfüllen. Schluss.
Wie sehr auch Maria
stets besorgt gewesen war, verborgen zu bleiben, die
Vollkommenheit ihrer Handlungen verriet sie. Schon als
sie das Haus in der Straße Varennes verließ, hatte die
M. du Boisbaudry gesagt: „Da geht eine Heilige ins
Noviziat." Als dieselbe Mutter später nach Conflans als
Novizenmeisterin berufen wurde, sagte sie zu einer
Schwester, indem sie ihr Marie Lataste zeigte: „Sehen
Sie, diese junge Novizin, sie wird einst eine große
Heilige sein." --Als die Mutter von Gramont sich nach
Conflans begab, fragte sie die Mutter Garabis nach der
von ihr geschickten Postulantin und sagte mit dem Tone
inniger Überzeugung: „Was mich anbelangt, so halte ich
sie für eine Heilige." Wer aber die M. v. Gramont
gekannt hat, ihre Erfahrung, ihr ruhiges Urteil, ihre
kluge Behutsamkeit, wenn es sich um Außergewöhnliches
handelte, weiß, was dieses einfache, von ihr
ausgesprochene Lob bedeutet. Es hat von ihren Lippen
umso mehr Wert, als diese Schwester ihr im Austrage des
Heilandes, betrübende Mitteilungen machen und ihr
schmerzliche Prüfungen ankündigen musste.
Die ehrw. Mutter v.
Charbonnel, General-Assistentin der Gesellschaft, welche
Marie zur Gründung des Hauses in Rennes mitgenommen
hatte, behielt sie im erbaulichsten Andenken. Wenn sie
zuweilen ihre Befürchtungen aussprach über die
Ereignisse, die über die Kirche und über Frankreich
hereinzubrechen drohten, und die auch im Jahre 1848
eintrafen, so sagte sie jedesmal mit Nachdruck, dass sie
dieselben von Marie Lataste habe voraussagen hören und
gab dann jedesmal ihre Verehrung für die Tugend dieser
Schwester, sowie ihr unbedingtes Vertrauen in deren
Worte zu erkennen.
Als man daran war,
die Werke Mariens herauszugeben, wurden alle Nonnen,
die sie gekannt hatten, über Schwester Lataste befragt;
Aller Aussagen gingen übereinstimmend dahin, dass Marie
eine Heilige gewesen sei. Wir haben alle diese Aussagen
getreulich im Laufe dieser Lebensbeschreibung
wiedergegeben, wenn auch nicht immer wörtlich, um eine
zu große Weitläufigkeit zu vermeiden. Obwohl die Nonnen
in den verschiedenen Gegenden zerstreut waren, wo die
Gesellschaft Klöster besitzt, obwohl sie sich also nicht
mit einander besprechen konnten, so hatten dennoch alle
nur eine Stimme, um nach mehr als 15 Jahren von der
großen Erbauung zu sprechen, welche ihr Verkehr mit
Marie Lataste ihnen gewährt hatte. Dieser allgemeine
Eindruck ist ein Beweis ihrer Heiligkeit.
Was die
Klostergemeinde in Rennes betrifft, so war die
Erinnerung an Marie Lataste noch lebhaft, als selbst
ihre sterblichen Überreste schon lange dem Schoß der
Erde anvertraut waren. Oft wurden die Worte wiederholt:
„Ich will eine Schwester Lataste werden!" und allgemein
fühlte man sich zur Ausübung der klösterlichen Tugenden
angeregt und mit Mut erfüllt. Eine noch sehr junge
Schwester, die schon lange ernstleidend war, war einst
sehr fröhlich und heiter; man schrieb diese Heiterkeit
einer in ihrem Gesundheitszustand eingetretenen
Besserung zu; sie aber erwiderte: „Sie irren sich, wenn
man aber eine Schwester Lataste werden will, so muss mau
sein Kreuz mit Freuden tragen. O! wenn ich so wie sie
sterben könnte!" . . .
Man las den
Laienschwestern zuweilen die Vorsätze der Verstorbenen
vor, von denen wir schon gesprochen, um dieselben
anzuregen sich zu erneuen oder in ihrem heil. Beruf
auszuharren; sie fanden darin eine vollendete
Heiligkeit, wie man sie in dem Leben des heil. Aloysius
und anderer Heiligen beschrieben findet, welche früh
vollendet gleichwohl viele Jahre erreicht haben. Die
Schwächsten fragten sich zuweilen, ob es ihnen möglich
sein werde, ein so vollkommenes Vorbild zu erreichen.
Alle sprachen gerne von ihr und wetteiferten, sich an
die Beispiele, deren Zeugen sie gewesen, zu erinnern.
Diese Beispiele mussten sehr auffallend sein, denn im
ersten Jahre der Gründung in Rennes waren so wenige
Nonnen daselbst, der Arbeit aber gab es so viele, und
zwar eine Körper und Geist beschäftigende Arbeit, dass
sie sich kaum Etwas mitteilen konnten, sich kaum sahen,
ja man möchte sagen, kaum kennen lernen konnten.
Eine Klosterfrau,
die drei Jahre nach dem Tode Marie Latastes nach Rennes
geschickt wurde, sagte: „Ich hörte in den Erholungen
immer und immer wieder von Lataste reden, besonders die
Erzählung ihrer letzten Stunden; ich gestehe, dass ich
dies einer frommen Begeisterung zuschrieb, welche durch
die Zeit geschwächt würde. Geraume Zeit ist indessen
verflossen, der Eindruck jedoch ist nicht schwächer
geworden, im Gegenteil bestätigte sich der Ausspruch der
heil. Schrift: „Das Andenken des Gerechten besteht in
Ewigkeit."
Am 19. Mai hatte
der Abbe Dupérier Marinus Tod erfahren; er schrieb
darauf an die M. Kerouartz einen Brief, dessen
Haupt-Inhalt wir hier wieder geben wollen, da er uns
würdig schien, als Zeugnis für die Heiligkeit derjenigen
zu gelten, die derselbe Priester einst als Träumerin und
Geisterseherin behandelt hatte: Madame!
Ich habe die
Nachricht von dem Tode einer Ihrer Schwestern, der Marie
Lataste erhalten. Ich weiß nicht, soll ich Ihnen bei
dieser Gelegenheit kondolieren oder gratulieren, da Sie
nun eine Beschützerin mehr im Himmel haben; denn ich
habe die feste Überzeugung, dass Schwester Marie eine
Heilige war.
Ich lernte dieses
Mädchen zwei bis drei Jahre vor ihrem Eintritt ins
Noviziat des heil. Herzens kennen. In ihrer Pfarrei war
sie stets das Muster der Tugend. Obwohl sie nie
Unterricht erhielt, und nie in die Schule ging, nur
einiges von ihrer Mutter lernte, die selbst nicht viel
wusste, hat sie dennoch in klarer, genauer und
wunderbarer Weise sehr Vieles über Religion, über die
Frömmigkeit und das mystische Leben geschrieben. Ihre
Schriften wurden meiner Prüfung unterworfen; auch ließ
ich sie noch durch Andere beurteilen; Alle, welche
dieselben lasen, fanden sie wunderbar. Sie enthalten
einige Prophezeiungen, unter anderen Eine, die ihren
nahen Tod anzukünden scheint. .... Ich würde Ihnen sehr
verbunden sein, Madame, wenn Sie die Güte hätten, mir
einige Mitteilungen zukommen zu lassen über den frühen
Tod dieser jungen Schwester sowohl, als auch über das
Urteil, das über sie im Noviziate und in Rennes gefällt
wird. Ich werde diese Mitteilungen nur nach Ihrem
Wunsche gebrauchen, vielleicht können dieselben jedoch
eines Tages zur Förderung der Ehre Gottes und zum Heile
der Seelen dienen. Ich bin mit der tiefsten Ehrfurcht
c.. Dupérier, Professor der Theologie in Dax.
So war das Leben
und der Tod dieser demütigen Schwester; ihre Schriften
werden diese unsere Skizze vervollständigen. Es ist
erlaubt zu glauben, dass, wenn bis jetzt Gott in Seinen
undurchdringlichen Absichten das Gebet Seiner treuen
Dienerin erhörte, indem Er sie unbekannt ließ, dennoch
jetzt der Augenblick gekommen sei, wo die
Versprechungen, die sie aus Seinem Munde hörte, in
Erfüllung gehen werden: „Ich werde deinen Namen unter
den Verehrern meines heil. Sakramentes berühmt machen!"
---„Alles, was ich dir gesagt, wird in der Welt
verbreitet werden, und dies wird Vielen zum Heile
dienen !" --Diese Worte sollten indessen nicht während
ihres kurzen Lebens in Erfüllung gehen; das Licht
musste unter den Scheffel gestellt werden, um später
seinen Glanz noch mehr leuchten zu lassen. Und wirklich,
wäre Marie gleich anfänglich besser gekannt und als
Chorfrau angenommen worden, und hätte sie das ihren
Kenntnissen mangelnde noch durch Studium ersetzt, was
ihren seltenen Geistesgaben ein Leichtes gewesen wäre,
so wäre sie eines der ausgezeichnetsten und
hervorragendsten Mitglieder der Gesellschaft geworden;
dann aber hätte man sicher nicht ermangelt ihre Werke
ihren natürlichen Kenntnissen zuzuschreiben; man hätte
wenigstens behauptet, dass sie dieselben nach ihrem
Eintritt durchgearbeitet und verbessert habe, während
man jetzt gezwungen ist Gottes Hand darin zu finden.
Beim Lesen dieser
Schriften haben schon Personen aller Länder und jeden
Standes sich in dem Streben nach Lebensbesserung
gekräftigt; sie fassten den Entschluss denjenigen mehr
zu lieben, dessen Herz sich mit solcher Güte Seiner
treuen Dienerin offenbarte, den Entschluss, Ihm
hingebender zu dienen. Andere, die vom Wege der Pflicht
abgeirrt waren, sind dem Rufe der Gnade gefolgt; Einige
sogar haben in Folge davon zur Ausübung der
evangelischen Räte sich entschlossen. Wären nicht
gewisse Rücksichten zu beobachten, so könnten wir mehr
als ein Beispiel anführen; allein wir finden ein, von
Herrn Darbins in der ersten Ausgabe ausgezeichnetes
Beispiel, das wir hier niederschreiben wollen. Der Herr
Pfarrer hatte Marie Latastes erste Hefte einer in der
Stadt Dax wohnenden Magistratsperson mitgeteilt, der ihm
seinen Dank dafür ausdrückte und folgende Worte
beifügte:
,,Das Lesen dieser
Schriften hat mir großes, ganz unaussprechliches
Vergnügen gemacht; einen schwachen Begriff dieses
Eindruckes kann ich Ihnen indessen geben: Gott hat mir
meine an schwerer, lebensgefährlicher Krankheit
daniederliegende Tochter wieder geschenkt; hätte ich sie
jedoch verloren, so glaube ich kaum, dass ich den
Schmerz damals überlebt hätte. Doch jetzt, nachdem ich
dies gelesen, bin ich zu jedem Kampfe bereit; ich
glaube den Mut zu haben alles zu ertragen, und dabei zu
sagen: „Herr, Dein Wille geschehe!" Mit Freuden würde
ich sogar mein Leben opfern und gerne sterben."
--Ebenso können wir die Versicherung geben, dass viele
Personen sich angezogen fühlten, das demütige
Landmädchen von Mimbaste, welches die Braut des Königs
der Könige geworden, anzurufen, und ganz besondere
Gnaden auf ihre Fürbitte erlangt haben.
Unglücklicherweise kennt man bis auf den heutigen Tag
den Platz ihres Begrabnisses nicht. Wenige Tage nach
ihrem Tode erkundigte sich die Oberin, ob man auf ihr
Grab ein Kreuz, mit der in der Gesellschaft üblichen
Aufschrift gepflanzt habe; da dies nicht geschehen war,
so wollte sie ohne Zögern diese Nachlässigkeit gut
machen, und ließ den Aufseher des Kirchhofes bitten das
Grab zu bezeichnen. Dieser antwortete jedoch, dass es
unmöglich sei eine genaue Angabe des Grabes zu machen,
da an diesem Tage mehrere Begräbnisse stattgesunden
hätten. Die Mutter Kerouartz erinnerte sich nun daran,
wie oft die gute Schwester ihr wiederholt hatte, dass
sie Gott bitte nach ihrem Tode ebenso unbekannt bleiben
zu dürfen, wie sie es im Leben gewesen war; sie glaubte
in diesem Umstande eine besondere Zulassung von Oben zu
erblicken, und verzichtete darauf, weitere Schritte zu
tun, welche damals leicht zum Ziele geführt hätten.
Diese Unachtsamkeit ist bei einem Begräbnis unerklärlich
und wir können uns darüber nur durch den Gedanken
trösten, dass die Vorsehung es so gewollt, sowie durch
die Hoffnung, dass der göttliche Heiland dereinst in
Seinem unerforschlichen Ratschlüssen vielleicht noch
Seine Macht offenbaren wird und die flehentlichen, von
so Vielen an Ihn gerichteten Bitten um Auffindung der
sterblichen Überreste Seiner treuen Dienerin erhören
wird.
In Erwartung des
Augenblicks, wo das heil. Herz die einstimmigen Bitten
erhören wird, wurde die kleine Zelle, wo diese reine und
heldenmütige Seele ihr Opfer vollendete, in ein
bescheidenes, dem heil. Herzen Jesu geweihtes Oratorium
verwandelt. Geistliche und Weltliche bitten oft um
Zutritt zu diesem Heiligtum, und die Mitglieder der
Gesellschaft beten und betrachten oft daselbst und
gedenken der frommen sich an diesen Ort knüpfenden
Erinnerungen, indem sie Gott danken, ihnen ein solches
Vorbild gegeben zu haben, und sich bestreben, den
Fußstapfen jener zu folgen, die Er in Seiner Liebe ihnen
auf Erden zur Schwester gegeben und deren mächtige
Fürsprache im Himmel sie schon mehr als einmal erfahren
haben. Voll Dankes hatten sie die Wahrheit der Worte des
Heilandes erfahren, mit denen Er die Seiner Dienerin
mitgeteilte Parabel schloss: .
,,Glücklich wird
das Gartenland sein, wohin der König die Pflanze der
Wüste versetzen wird."
Zehntes Kapitel.
Allgemeiner Üeberblick über Marie
Latastes Schrlsten, Meinungen mehrerer Personen in
Anbetracht derselben.
Nachdem wir bis
jetzt gezeigt haben, wie dieses demütige und einfache,
von unserm Heilande so reich begnadigte Landmädchen
gelebt hat, halten wir es für passend, dem Leser einen
allgemeinen Überblick über ihre hinterlassenen Schriften
zu geben, in welchen die Belehrungen ausgezeichnet sind,
die sie zur Richtschnur ihres Lebens gemacht hatte. Wir
beschränken uns darauf, in Kürze mitzuteilen, was
Geistliche darüber sagen, die befähigt sind darüber ein
maßgebendes Urteil zu fällen.
Marie Latastes
Werke, wie sie von Herrn Abbe Pascal Darbins, Neffen des
ehemaligen Pfarrers von Mimbaste veröffentlicht wurden,
bilden zwei für sich selbst bestehende Teile. Ein Teil
enthält ihre Briefe, welche mit Ausnahme von sieben vor
ihrem Eintritt ins Sacre-Coeur geschrieben wurden. Sie
beantwortet in denselben mehrere Fragen ihres
Seelenführers über ihr Leben und über die von unserm
Heilande empfangenen Gnaden. Sie spricht in denselben
auch über verschiedene Gegenstände der Dogmatik, der
Moral, oder des frommen Lebens; entweder um Etwas, über
das sie schon geschrieben zu ergänzen, wie sie selbst
sagt, oder auch um Rechenschaft zu geben über neue ihr
erst mitgeteilte Offenbarungen. Mehrere dieser Briefe
wurden besonders merkwürdig gefunden. Unter andern
zitiert man den 1., 2. und 3. des dritten Bandes, die
sich auf die Notwendigkeit einen Seelenführer zu haben
beziehen und auf die Art, wie man sich ihm gegenüber zu
verhalten hat, und welche Eigenschaften der
Seelenführer haben muss; ferner die Briefe aus
demselben Bande, welche von der Vereinigung des Körpers
mit der Seele handeln, von den Fähigkeiten der Seele,
und der Aufgabe, die jeder einzelnen Fähigkeit zukommt;
dann der 13. Brief, welcher Jesus am Kreuze zum
Gegenstande hat. Übrigens haben wir im Laufe unsrer
Lebensbeschreibung ziemlich viel Stellen aus den
Briefen angeführt, so dass der Leser einen Begriff
davon haben wird. Der andere, viel wichtigere Teil der
Schriften enthält die Reihenfolge aller Belehrungen,
welche Marie Lataste vom Heilande empfangen hatte. Diese
Belehrungen umfassen in ihren Hauptumrissen die ganze
katholische Lehre: Dogmatik und Moral. Hier folgen die
darin entwickelten Hauptlehren:
| |
Gott und die
Schöpfung. |
| |
|
| |
Allgemeine
Beziehungen Gottes zu den Menschen. Jesus Christus, Sein
Wirken in der göttlichen Heilsordnung. |
| |
|
| |
Die
hauptsächlichsten Geheimnisse Seines Lebens. |
| |
|
| |
Die heil. Jungfrau,
ihr Mittleramt, ihre Geheimnisse. Die heil. Engel; die
Teufel und ihr Verhältnis zu den Menschen. Das
priesterliche Amt.
|
| |
|
| |
Der Christ und
seine Pflichten. |
| |
|
| |
Die Religion im
Allgemeinen und die großen Handlungen in derselben. |
| |
Die Kommunion, die
Beichte und das Gebet. |
| |
|
| |
Die Pflicht der
Selbstverleugnung und der Abtötung. Die Gnade, ihre
Einteilung, ihre Wirkungen. |
| |
|
| |
Die theologischen
und Haupttugenden. Die Gaben des heil. Geistes. |
| |
|
| |
Die Sünden, ihre
Ursachen, ihre Arten. |
| |
|
| |
Die vermiedenen
Beziehungen der Menschen zu einander, oder die
Pflichten der vermiedenen Stände. Der Klosterberuf. |
| |
|
| |
Die letzten Dinge
des Menschen. |
| |
|
| |
Die Vergangenheit,
ein Bild der Zukunft oder allegorische Erklärung
einiger Tatsachen des Alten Testamentes. |
Diese Gegenstände
sind zwar in vielen Werken abgehandelt; indessen
befindet sich vielleicht darunter nicht Eines, welches
in einem so engen Raume ein reicheres und
vollständigeres Ganzes der Religionswahrheiten enthält.
Man findet darin eine weitläufige Darstellung aller
dogmatischen Wahrheiten, mit den verschiedensten
moralischen Anwendungen, sowie die ersten Grundsätze
des geistlichen Lebens.
Dieses Buch hat das
seltene Verdienst, Reichtum des Inhalts mit Bestimmtheit
und Klarheit im Ausdruck zu verbinden. Trotz der
außerordentlichen Anhäufung von Gegenständen ist der
Stil desselben leicht, klar und fließend. Die
erhabensten Geheimnisse sind in demselben mit großer
Kühnheit des Ausdrucks und beinahe immer mit besonders
glücklich gewählten Worten gegeben. Die Worte sind klar,
bestimmt, treffend und zuweilen staunenswert genau.
Diese letzte Eigenschaft bemerkt man auch vorzüglich an
jenen Bildern und Beschreibungen, welche man geneigt
sein könnte für Wirkungen der Einbildung zu halten;
Alles ist in einem maßvollen und ruhigen Tone
geschrieben; keine Spur von Überschwenglichkeit oder
Exaltation; im Gegenteil trägt jede Seite das Gepräge
eines didaktischen, ich möchte sagen eines in seiner
Denk- und Redeweise positiven Geistes. Der Stil wird
zwar zuweilen ziemlich erhaben, und hat eine
außergewöhnliche Kraft, demungeachtet ist die
Einfachheit und zwar eine edle, leichte, salbungsvolle
Einfachheit die hervorragendste Eigentümlichkeit
desselben.
Einige kurze
Stellen aus diesen Schriften werden nicht überflüssig
sein, um obige Aussprüche zu rechtfertigen. Hier folgt
zuerst eine Stelle über die christliche Seelenlehre:
„Wenn der Verstand
über eine Sache geurteilt hat, so stellt er dies dem
Willen als dem König und dem Obern der andern
Fähigkeiten vor. Wenn das, was dem Willen vorgeschlagen
ist, ihm gefällt, so genehmigt er es; wenn es dem
Willen nicht gefällt, oder wenn er misstrauisch ist, so
verlangt er von dem Verstande eine wiederholte
Untersuchung. Der Verstand forscht von Neuem mit Hilfe
des Gedächtnisses und der Phantasie, und sucht das, was
sich darbietet dem Willen genehm zu machen. --Der
Teufel beeilt sich indessen jedesmal an den Beratungen
der Seelenkräfte Teil zu nehmen; er sucht seine
Finsternisse zu verbreiten und einen den von ihm
vorgebrachten Gründen und seiner Absicht entsprechenden
Erfolg zu erzielen. Der Wille indessen hat einen
scharfen Beurteiler, einen Zeugen seiner Handlungen,
eine Stimme, die ihm sagt, ob dieselben gut oder
schlecht sind, ob er das ihm Vorgeschlagene genehmigen
oder verwerfen soll, nämlich das Gewissen. Wenn der
Wille gegen das Gefühl des Gewissens handelt, so erhebt
er seine Stimme, und dies ist die Stimme Gottes und
diese Stimme ist voll bitterer und unaufhörlicher
Vorwürfe. Wenn der Wille indessen nach den Eingebungen
des Gewissens handelt, so bleiben die Seelenkräfte in
guter Harmonie und im Frieden, weil sie ihrem Zwecke
gemäß geordnet sind. Die Vernunft ist die Leuchte des
Willens, das Gewissen aber die Stimme, die ihm sagt,
diesem Licht gemäß zu wandeln."
(3. B.)
Was kann rührender
sein, als folgende Worte. „Meine Seele strömt über vor
Freude, wenn Jesus mit mir über Sich selbst spricht,
oder wenn Er sich mir zeigt, und meine Freude ist nicht
geringer, wenn Er von Seiner Mutter redet, oder wenn sie
meinen Augen sich zeigt, oder selbst zu mir spricht.
Wenn Jesus mir von Maria spricht, so spricht Er von sich
selbst; wenn ich Maria sehe, so sehe ich Jesus; wenn
Maria sich mit mir unterhält, und mich ihre Stimme hören
lässt, so scheint es, als ob Jesus zu mir spräche. Ich
mache keinen Unterschied zwischen den Stimmen Jesu und
Marias. Wenn die Augen meiner Seele oder meines Körpers
geschlossen wären, und ich Jesus und Maria hören würde,
ohne sie zu sehen, so könnte ich die Stimmen nicht
unterscheiden. Ich habe indessen bemerkt, dass Marias
Stimme immer voll Sanftmut, Güte und Zärtlichkeit ist;
die Stimme Jefu ist aber zuweilen strenge und hat einen
gerechten, drohenden Klang, den ich bei Maria nie hörte.
Die Stimme Marias ist immer dieselbe, voll
unbeschreiblicher Sanftmut gegen die Gerechten, wie
gegen die Sünder. Warum wohl das? Ich weiß es nicht; was
ich aber weiß, ist, dass Maria die Mutter des am Kreuze
gestorbenen Sohnes Gottes, und dass sie unsere Mutter
ist. O Maria! Mutter Jesu und meine Mutter, ich liebe
Dich, ich preise Dich, ich lobe Dich, ich gebe mich Dir
ganz hin." (2. Band.)
Endlich welche
Kraft in der Schilderung der Qualen der Verworfenen:
„O mein Gott!
Welcher Hass gegen Dich herrscht in ihren Seelen,
welcher Hass gegen sich selbst, welcher Hass gegen jene,
die sie zur Sünde fortgerissen haben! Entströmen nicht
gleichsam aus der tiefsten Seele dieser Unglücklichen
Verwünschungen, Flüche, Beleidigungen und Drohungen,
welche die Hölle durchfurchen und die Flammen derselben
von Neuem aus ewig beleben!" --Wir haben diese Stellen
angeführt ohne lang auszuwählen; viele andere nicht
weniger bemerkenswert, boten sich uns dar.
Schließlich glauben
wir in voller Wahrheit und ohne von übertriebener
Begeisterung hingerissen zu sein, sagen zu dürfen, dass
M. Latastes Schriften einen großen Wert haben, sowohl
durch den Reichtum des Inhaltes, als auch durch die
Eigenschaften der äußeren Form.
Herr Darbins und
Andere nach ihm nehmen keinen Anstand zu sagen, dass der
Stil dieses Werkes an den Stil der Bibel erinnert. Es
ist sicher, wenn man diese Arbeit auch nur in Bezug aus
den literarischen Wert betrachtet, so wäre dieselbe für
ein Landmädchen mit ihren natürlichen Fähigkeiten ganz
unmöglich. Die geistige Ausbildung des Verstandes aber,
welche Marie durch ihre Mutter erhielt, konnte
unmöglich den Grund zu einem solchen Stile legen; eben
so wenig konnte sie denselben durch Lesen sich erwerben;
denn sie hatte nur sehr wenig Werke und meistens ganz
gewöhnliche in Händen. Bedenkt man überdies, dass ihre
gewöhnliche Sprache den Gascogner Dialekt hatte, so kann
man sich solche Schriften unmöglich ihre besondere
übernatürliche Hilfe erklären! --Was wird man aber erst
sagen, wenn man den Reichtum des Inhaltes betrachtet?
Marie Lataste gibt in ihren Werken die heilsamsten und
erhabensten Lehren in Bezug auf Gott. Wie erhaben sind
die Gedanken über die Allmacht, die Weisheit, die
Barmherzigkeit, die Gerechtigkeit, die Heiligkeit,
endlich über alle göttlichen Vollkommenheiten! Sie
spricht über die Geheimnisse der Dreieinigkeit, der
Menschwerdung und der Erlösung mit einer Tiefe der
Anschauung und mit einer Kenntnis, die der Art und Weise
gleich kommt, in welcher die größten Gelehrten in der
Kirche gesprochen haben. Sie wirft die schwersten Fragen
auf, z. B. jene der Vorherbestimmung und löst dieselben
mit solcher Klarheit und Einfachheit, dass sie den
wenigstbegabtesten Geistern verständlich werden. Auf
wenigen Seiten hat sie vereinigt, was die besten
Theologen Wichtiges über die Gnade, über die Tugend und
über die Sünde geschrieben haben. Alles ist mit der
eines Gelehrten würdigen Ordnung, Methode und Klarheit
dargestellt.
Indessen ist es
wahr, dass man in dem dogmatischen Teil dieser Schriften
einige nicht ganz genaue Ausdrücke findet, in welchen
gewisse Kritiker eine Ketzerei haben entdecken wollen.
Mit Rückficht darauf befinden sich in der zweiten
Auflage Notizen, welche wir ausgezeichneten Theologen
verdanken, in welchen diese Stellen hervorgehoben,
verbessert oder aus andern Texten ihrer Schriften
erklärt werden. Der größte Teil dieser Widerlegungen
befand sich überdies schon in der von dem P. Toulemont
redigierten Zeitschrift: „La Révue périodique“. Die
Abhandlung darin über Marie Latastes Schriften schließt
mit den Worten: „Die kleine Anzahl mangelhafter Texte
ist in einer großen Sammlung von Lehren zerstreut,
welche alle korrekt und genau sind; ja die meisten
dieser scheinbaren Irrungen verschwinden, wenn man die
Lehren im Ganzen studiert. Es ist daher, fügt er bei,
keine Verwegenheit zu sagen, dass Marie Latastes
Gedanke niemals irrig ist: es ist nur der Ausdruck, dem
es, wie der hochw. Bischof von Aire sagt, zuweilen an
Genauigkeit fehlt."
„Es ist klar, sagt
wiederum derselbe P., dass diese Worte nicht von unserm
Heilande angegeben wurden; allein Marie Lataste ist
gleich im Anfange ihrer Werke sorgfältig darauf bedacht
zu erklären, dass sie nicht Alles so ausdrücken könne,
wie sie es gehört habe. An einer anderen Stelle sagt
sie: „Ich habe nicht so gesprochen wie der Heiland,
sondern so, wie ich konnte, und wie Er es mir erlaubte;"
weiter fügt sie bei, dass sie Jesus nicht immer hört,
wenn Er spricht; aber dass sie ihn durch Seinen Blick,
durch Seine Haltung versteht, dass sie deshalb keinen
Ausdruck findet für das, was ihr ohne Worte gezeigt
wurde ....
Ist es daher zu
verwundern, wenn ihr die richtigen Ausdrücke zuweilen
gefehlt haben? Ist es endlich überraschend, dass ein
armes Landmädchen nicht immer die strenge, theologische
Sprache führt, wenn sie nach zwei Jahren Zwischenzeit
eine Sammlung von Lehren niederschreibt, welche mehr
als einen Band umfassen und die zartesten und
schwierigsten Fragen behandeln?
Wir verweisen
unsere Leser auf die Grundsätze, die wir, dem Urteile
ausgezeichneter Theologen folgend, in unserm Werke schon
ausgesprochen haben, nämlich über die besonderen
Offenbarungen einzelner Personen. Wenn der Leser das
dort Gesagte hier anwendet, so wird er nicht mehr
staunen, dass eine Person, welche Gott nicht zu Seinem
authentischen Werkzeug machen wollte, zuweilen-im
Ausdrucke gefehlt habe, wie dies bei mehreren Heiligen
in ihren Schriften über dieselben Gegenstände der Fall
ist. Der moralische Teil der Werke ist nicht weniger
empfehlenswert, als der dogmatische: die Moral ist nur
das in Anwendung gebrachte Dogma, sie ist die
unvermeidliche Folgerung desselben.
Nachdem Marie die
Wahrheit offen dargelegt, weiß sie Liebe zu derselben
einzuflößen: sie erfasst so zu sagen die Seele und
stellt sie auf den einzig guten und wahren Weg. Sie
reißt dieselbe fort, trotz der von der gefallenen Natur
entgegengesetzten Hindernisse; denn ihr Wort ist so
überzeugend, sie verbindet mit großer Kraft eine solche
Salbung, dass es fast unmöglich ist, ihr zu widerstehen.
Sie wendet sich nicht nur an fromme, gläubige Seelen, um
sie mit den Tugenden und Pflichten des geistigen Lebens
mehr vertraut zu machen, sondern sie scheint sogar die
Hauptwunden unseres Jahrhunderts erkannt zu haben, und
gibt die Mittel an, um dieselben zu heilen; sie zeigt
die heut zu Tage verbreiteten lügnerischen Grundsätze
und gibt an, was vor den schlimmen Folgen derselben
schützen kann. Ist dies, menschlich gesprochen, nicht
unerklärlich von einem in der größten Zurückgezogenheit
lebenden jungen Mädchen?
So z. B. würde es
schwer sein, die traurigen Folgen der religiösen
Gleichgültigkeit oder den Undank der ihren
Leidenschaften sich überlassenden Menschen, das Unglück
in den Familien, in den Städten, in den Staaten, welche
sich von Gott entfernen, mit ergreifenderen Zügen zu
zeichnen; sie ruft Alle mit sanften und überzeugenden
Worten zur Pflicht zurück.
Der ungeordneten
Leidenschaft unsrer Tage für Wissenschaft und Kunst,
wodurch nur zu oft die einzig notwendige Wissenschaft
vergessen wird, setzt sie die Notwendigkeit entgegen,
Gott, Seinen Willen, Seine Gebote und endlich die Mittel
zu kennen, welche uns zum einzigen und wahren Gute
führen. Sie bekämpft den unersättlichen Durst nach
Reichtum und Genuss, den daraus entspringenden Luxus,
des Ehrgeiz, den man zuweilen sogar bei dem größten
Elend findet; für den Reichen, wie für den Armen hat sie
Belehrung und Aufmunterung. --Marie Lataste hat sogar
Worte für Jene, denen gesagt wurde: „Gehet hin und
lehret alle Völker." Sie stellt die Größe und Würde des
Priestertums dar, die erhabene Mission derjenigen, die
damit bekleidet sind; sie legt besonderen Nachdruck
darauf, dass ihnen Ehrfurcht und Dank gebührt, wofür
ihnen nur zu häufig Undank und Verachtung zu Teil wird.
Ferner findet man
in ihren Schriften mehr als einen Beweis von der dieser
auserwählten Seele verliehenen Kenntnis der inneren
Stimmung anderer Menschen sowohl, als auch gewisser
Ereignisse, die sie auf natürlichem Wege nicht wissen
konnte. Wir weisen nur auf die Stelle hin, wo sie davon
spricht, dass die Lehre von der unbefleckten Empfängnis
der allerseligsten Jungfrau zum Dogma erhoben werde (2.
Bd.), obwohl sie vor 1844 schrieb, als unser hl. Vater
Pius lX. noch nicht auf dem päpstlichen Stuhle saß.
Eine vollständige
Übersicht all dessen zu geben, was dieses vortreffliche
Werk enthält, würde uns zu weit führen; es ist kein
Stand, keine Lage, für welche nicht Verhaltensmaßregeln
gegeben wären: die Jugend und das reife Alter, der
Priester und der Laie, der Familienvater und die
Familienmutter für das schwere und so wichtige Werk der
Kindererziehung, die zum Klosterleben berufenen Seelen,
die Witwen sogar, mit einem Worte alle finden in diesen
Schriften Belehrung, Trost und Aufmunterung zum Guten.
Welche Belehrung z. B. können die mit der Führung andrer
Seelen Betrauten in der Art finden, wie der Heiland
Seine demütige Schülerin leitete. Und jene, welche sich
der Erziehung widmen, welche Erfahrung können sie nicht
dadurch erlangen! Wenn sie diese Belehrungen betrachten
und in Ausführung bringen, so werden sie reichliche
Früchte von ihren Arbeiten und Mühen ernten. Endlich
mögen die dem inneren Leben sich widmenden Seelen an
Marie Lataste lernen, was sie ihren göttlichen Meister
gegenüber sein sollen, und sie werden begreifen, dass
Sein göttliches Herz Gnade und Erleuchtung für jene hat,
die sich Ihm hingeben und überlassen.
Was wir hier
behaupten ist kein frommer Traum der Phantasie. Der
hochw. Bischof von Aire sagt in der den Schriften
erteilten Approbation, dass wenn dieselben in einem
bescheidenen und frommen Geiste gelesen werden, sie den
Seelen sehr nützlich sein und gesegnete Früchte
hervorbringen würden. Beispiele beweisen uns bereits,
dass mehrere Personen das erfahren haben. Wir wollen nun
auch noch die Meinungen verschiedener Personen bezüglich
dieser Schriften anführen.
Einer der
hervorragendsten Priester der Diözese von Aire, welchen
der hochw. Bischof mit der Untersuchung ihrer Werke
beantragte, schrieb an den Herrn Abbe Darbins: „Ich kann
nicht ausdrücken, was meine Seele bei dem wiederholten
Lesen des mir geschickten ersten Heftes empfunden hat.
Ich schätze es als eine große, mir von Gott erwiesene
Gnade, dass mir dieselben vorgelegt wurden. Wenn man
ganz absieht von dem wunderbaren Verkehr des Heilandes
mit dem demütigen Mädchen von Mimbaste, so weht in ihren
Schriften ein solcher Hauch göttlicher Eingebung, ein
solcher Friede, eine so zarte Einfalt, eine so tiefe
Salbung, dass sie meines Erachtens aus die Seele den
Eindruck machen, man entdecke Gott und Seinen hl. Geist
darin."
Am 21. Febr. 1862
schrieb derselbe Priester wieder: „Der bei mir durch
Marie Latastes Schriften hervorgebrachte Eindruck wird
immer wirksamer.. Wenn ich diese große Menge von
Wahrheiten sehe, die alle gleich erhaben sind, so staune
und bewundere ich, und ich kann nicht anders, als auf
jeder Seite Gottes Eingebung erkennen."
--- Später fügt er
noch bei: „Je öfter man diese schönen Stellen liest,
desto mehr bewundert man sie. Es weht daraus eine
vollständige Erziehung der Seele durch den göttlichen
Meister. Ich betrachtete diese Schriften und mein Geist
wie mein Körper findet Ruhe darin." --Ein anderer
Theologe drückt seine Meinung folgendermaßen aus: „Ich
kenne heut zu Tage keinen Mann, wie gelehrt er auch in
der Theologie sein möge, der fähig wäre, in vielen
Jahren ein solches Werk zu schreiben, während dieses
Landmädchen dasselbe in nicht ganz drei Jahren
vollendete, und dazu nur einige dem Schlafe und den
häuslichen Arbeiten entzogene Stunden verwendete!"
Ein Anderer sagt,
nachdem er die Schriften gelesen und untersucht hatte,
dass sie den hervorragendsten und der Frömmigkeit
nützlichsten Schriften der Art zur Seite gestellt werden
dürfen! --Die Karmeliterinnen von Aire, welche unter
den Ersteren waren, die die Werke lasen, waren ganz
durchdrungen davon und die Oberin schrieb an Herrn
Darbins ihre Gedanken und Empfindungen darüber; sie
schloss mit den Worten: „O! wie wunderbar ist Gott! Er
hat sich dieses armseligen Geschöpfes, in welchem Er
allein tätig sein konnte, bedient, um durch sie über die
großen Wahrheiten der Religion zu sprechen, und dadurch
gleichsam alles zu bestätigen, was unsere hl. und
gelehrten Kirchenväter gesagt haben, deren erhabene
Gedanken man indessen ihrem Genie oder ihrem
persönlichen Scharfsinn zuschreiben könnte. Hier kann
man nichts Anderes sehen als Gottes Geist. Das Lesen
dieser Werke kann nur die beste Wirkung haben."
In der Gesellschaft
des hl. Herzens sind diese Schriften erst nach ihrer
Veröffentlichung bekannt worden; der Eindruck, welchen
sie allenthalben in derselben hervorriefen, sowohl in
Frankreich als in andern Ländern, kann in folgenden
Worten zusammengefasst werden: „In diesen wunderbaren
Werken sind die Wahrheiten mit solcher Kraft, solcher
Erhabenheit und solcher Klarheit ausgedrückt, dass der
Geist ganz davon ergriffen und der Glauben umso
lebendiger wird. Die salbungsvolle Frömmigkeit dieser
Werke geht zum Herzen und erregt den Wunsch, Gott, der
sich gegen Seine demütige Magd so freigebig gezeigt,
besser zu dienen, und Ihm eine reinere Liebe zu weihen.
Es zieht sich durch die Schriften ein süßer Wohlgeruch,
den man, mit Ausnahme der hl. Schrift, vergeblich
anderswo suchen würde. Auch wird man nicht müde sie zu
lesen; man kehrt immer wieder zu ihnen zurück und kann
sich nicht losreißen. Es ist eine reichhaltige Mine, wo
man immer wieder neue Schätze entdeckt. Die Seele nährt
sich voll Wonne damit und schöpft daraus tiefere
Kenntnis des Heilandes; denn diese Kundgebung Seiner
unendlichen Güte bringt Ihn so zu sagen Seinem
Geschöpfe näher und ladet dasselbe ein, sich rückhaltlos
Seinem hl. Herzen, der Quelle so vieler Gnaden zu nahen.
Es ist unmöglich diese Werke zu lesen ohne von ihnen
eingenommen zu werden und ohne die Einwirkung Gottes
dabei wahrzunehmen; und zudem sind nicht schon die
Eindrücke, die sie hervorgerufen, und die Früchte der
Buße, die sie bewirkt, unverwerfliche Zeugnisse ihres
übernatürlichen und göttlichen Ursprungs?
Wir haben auch noch
mehrere Briefe vor uns liegen, in welchen hochgestellte
Geistliche oder solche, die durch ihre Wissenschaft und
Frömmigkeit bekannt sind, uns ihr Urteil über diese
Schriften gütigst mitgeteilt haben; es sind dies
Generalvikare, Vorstände und Professoren von Seminarien,
hervorragende Theologen und erfahrene Ordensmänner. Wir
würden die uns vorgeschriebenen Grenzen überschreiten,
wenn wir Alles hier anführen wollten.
Das Urteil der
Meisten stimmt indessen mit dem des hochw. P. Tonlemont
überein, weshalb wir das letztere ausführlicher
mitteilten. Wir wollen dennoch einige Urteile anführen,
sei es in einzelnen Stellen oder im Ganzen.
„Die Werke von
Marie Lataste, schrieb der Anmonier eines der Klöster
vom hl. Herzen, haben mir sowohl der Form als dem Inhalt
nach wunderbar geschienen. Dieses Buch mit seinen
energischen Warnungen und fürchterlichen Drohungen gegen
die Sünder ist frei von jeder Übertreibung. Es spornt
zur Liebe der Tugend an durch ergreifende frische
Bilder, und ebenso erzeugt es Hass gegen das Laster
durch wahrheitsgetreue Schilderungen. Mag es nun zum
Sünder oder zur frommen Seele sprechen, immer atmet
Salbung, Weisheit und Sanftmut darin, diese
unterscheidenden Merkmale der von Gott gebilligten oder
eingegebenen Schriften. Ich halte das Werk für sehr
geeignet, die besten Wirkungen in jenen Seelen
hervorzubringen, welche so glücklich sind den Glauben
selbst bei ihren Verirrungen sich erhalten zu haben;
ebenso wird es auch treue und eifrige Christen zum Guten
anspornen.
Dieses Buch ist
besonders wunderbar, wenn man es in theologjscher
Beziehung betrachtet. Man kann ihm zwar einige
Ungenauigkeit in den Ausdrücken vorwerfen, allein diese
Ungenauigkeiten sind immer wieder durch wunderbare
Auseinandersetzungen ausgeglichen. Marie Lataste spricht
von der Vorherbestimmung wie ein hl. Augustinus, über
die Tugenden, über die Gnade, über die Gaben des hl.
Geistes wie ein hl. Thomas. Wenn man dieses Werk in die
Hände eines in der Theologie gut bewanderten Mannes
legen würde, ohne ihm den Namen der Verfasserin zu
nennen, so würde er, wie ich glaube, das Urteil fällen:
„Dieses Werkest die Frucht vollendeter Wissenschaft.“
Ein ehemaliger
Vorsteher des Seminars in Rennes hat uns einen Brief
geschrieben, dem wir folgende Stellen entnehmen, indem
wir aber jene auslassen, die nur eine Wiederholung der
vorhergehenden Urteile wären: „Marie Latastes Buch ist
einzig in seiner Art. Es gleicht keinem von Menschen
geschriebenen Buch; wenigstens beschäftigte mich dieser
Gedanke immerwährend, so oft ich es öffnete, und so
lange ich dasselbe las; was meiner Meinung nach dieses
Buch charakterisiert, ist, dass man es liest, ohne jener
zu gedenken, die es geschrieben, so sehr fühlt man die
Eingebung Gottes, weil die göttlichen Geheimnisse und
die göttlichen Werke so vorzüglich darin abgehandelt
sind. Jeder Absatz, ich möchte sagen jede Zeile bereitet
neue Überraschungen; es sind gleichsam Strahlen eines
leb- haften und sanften Lichtes, welche den Verstand
unterjochen und entzücken; es ist ein neuer Zauber,
welcher das Herz rührt und fesselt.
Man darf sich nicht
täuschen, das Buch des demütigen Mädchens von Mimbaste
ist eine Abhandlung über die Religion in ihrem ganzen
Umfange. Alles wird darin besprochen: das Dogma mit
seinen erhabenen Geheimnissen, die evangelische Moral
in ihrer wichtigsten und praktischen Anwendung, das
geistliche Leben mit seinen Grundregeln, und dazu welche
Kraft, welche Fülle, welche Einfachheit und welche
Heiterkeit sogar ist darin enthalten!
Wo kann man in so
wenig Seiten eine reichhaltigere und vollständigere
Darstellung erhabener und praktischer Lehren finden? Was
soll ich von ihren Unterredungen mit dem Heilande und
den Belehrungen sagen, deren Er sie würdigte? Wie
erfüllten sich hier in rührender Weise die den Kleinen
und Demütigen gegebenen Versprechungen! Welche
entzückende Innigkeit! Glaubt man nicht mit ihr zu
sehen, mit ihr zu hören, mit ihr sich an der Liebe Jesu
zu erquicken? Wer kann solche Briefe schreiben, wie
Marie Lataste? Welche Einfachheit und dabei welcher
Adel! welche Höflichkeit und welches seine Gefühl für
Schicklichkeit! Überall wird diese auserlesene Seele
durch Sanftmut, Liebe und Ehrfurcht geleitet und wird
dadurch liebenswürdig." Nachdem der hochw. Priester
noch an die, von dem hochw. Bischof von Aire verliehene
Approbation erinnert hat, fährt er fort: „Ja, Gott wird
dieses Seinem Sohne wohlgefällige Buch mehr und mehr
segnen; es wird den einfachen und geraden Seelen auf
ihrer irdischen Pilgerfahrt zur Nahrung dienen.
--Herr Honet,
Kanonikus in Rennes, hat gütigst unserem Verlangen
entsprochen, uns schriftlich sein Urteil über Marie
Latastes Schriften geben zu wollen:
„Wenn ich auch
jetzt, sagt er, die Schriften und Werke von Marie
Lataste nicht vor Augen habe ich habe sie gleich nach
ihrer ersten Veröffentlichung gelesen --- so ist mir
dennoch der überaus vorteilhafte Eindruck, den sie aus
mich gemacht, geblieben. Ich habe die der Kritik am
meisten ausgesetzten Punkte bemerkt, und sie sind mir
gut im Gedächtis; indessen scheint mir keiner dieser
Punkte von der Art zu sein, dass man dadurch die dieser
auserwählten Seele gemachten Mitteilungen verdächtigen
könnte. Wenn man ihr hl. Leben voraussetzt und die
Echtheit ihrer Schriften --- was Beides für mich eine
unbestreitbare Tatsache ist --- so sehe ich keinen Grund
ein, welcher uns veranlassen sollte, an ihren
Offenbarungen zu zweifeln: weder der Wert, welchen sie
aus ihre Schriften legt, noch die Lobeserhebungen der
Gesellschaft des hl. Herzens, noch die ganze Anlage
ihrer oft sonderbaren Visionen, noch die, übrigens sehr
seltenen Unrichtigkeiten der Sprache, noch endlich ein
oder zwei, man könnte sagen nahezu förmliche Irrtümer,
obwohl es nicht unmöglich wäre, dieselben dennoch in
Übereinstimmung mit den Lehren der Theologie zu bringen,
wie man es bei zwei Stellen in den Offenbarungen der hl.
Brigitta und mit andern ebenfalls approbierten
Offenbarungen getan.
Wenn mehrere
bestimmte Beweggründe mich veranlassten Marie Latastes
Offenbarungen für wahr zu halten, so waren es vorzüglich
folgende Momente, die mir besonders auffielen:
1) Die
Vorhersagungen in Betreff der Festsetzung des Dogmas der
unbefleckten Empfängnis in der ungewöhnlichen Form, in
welcher sie geschah, und mit ihren, alle Befürchtungen
zu Schande machenden Folgen;
2) die so buchstäblich
eingetroffene Vorhersagung ihres eignen Todes;
3) ihr
hohes Verständnis der christlichen Lehre, selbst in den
erhabensten Dogmen;
4) die hl. Moral und die Heiligkeit
der von ihr aufgestellten Regeln.
Doch, ich ende aus
Mangel an Zeit." P. S. Herr Guilton, (Generalvikar,
ehemaliger Professor der Theologie) mit dem ich viel
über die genannten Schriften gesprochen, der mir
dieselben auch zuerst verschafft hat, Urteilt nicht
weniger günstig darüber und beauftragt mich es Ihnen zu
sagen. Für ihn indessen, wie für mich wird das
entscheidende Merkmal die Erfüllung jener Prophezeiung
sein, welche sich aus den Triumph des jetzigen Papstes
und die glückliche Befreiung Roms bezieht." --Wir
zitieren noch in Folgendem die Zustimmung eines andern
General-Vikars von Rennes: „Was mir in Schwester
Latastes Werken besonders auffällt, ist ihre Wahrheit,
ihre Aufrichtigkeit und Einfachheit; sie erzählt demütig
ohne Furcht und ohne Umschweif die vom Himmel
erhaltenen Lehren und Unterweisungen; sie spricht ohne
irgendwelche Anmaßung, ohne schöne Worte zu suchen.
Dieses Werk trägt ein solches Gepräge von Wahrheit, dass
es schwer ist, davon nicht ergriffen zu werden, wenn man
es ohne Vorurteil liest; deshalb finden auch alle
einfachen Herzen Gedanken darin, die ihren Verstand
ansprechen und ihrem Herzen wohltun. Das Werk erfüllt
sie mit Wonne und ihre Andacht weiß daraus eine kräftige
Nahrung zu ziehen, wie aus der hl. Schrift, oder eine
süße und eindringliche Nahrung wie aus der Nachfolge
Christi. Ich muss noch beifügen, dass Solche, welche mit
den höchsten Fakten der Theologie vertraut sind, über
die Genauigkeit erstaunen, mit welcher sie die
erhabensten und schwierigsten Dogmen behandelt, wie z.
B. die Gnade, die Prädestination und alle die
verschiedenen Geheimnisse Gottes, unseres Heilandes und
der allerseligsten Jungfrau. Die vollendetsten Theologen
hätten nur schüchtern diese Fragen berührt, nach ernsten
Studien und langen Entwickelungen hätten sie sich erst
zugetraut, ihre Gedanken auszusprechen. Aber dieses
junge Mädchen, deren Erziehung nach den Ansichten der
Welt keine glänzende war, ohne Wissenschaft und ohne
Ausbildung, deren einzige Erzieherin ihre fromme und
wachsame Mutter war, spielt gleichsam mit diesen
Schwierigkeiten und entscheidet die schwierigsten Punkte
mit einer ihr nur sehr selten fehlenden Genauigkeit und
mit der ihr eigentümlichen Ausdrucksweise. Indessen ist
ihr so gedrängter Stil zuweilen erhaben in seiner
Einfachheit, immer klar und treffend, wie nur die
Wahrheit sprechen kann.
Wird sie nicht
erhaben, wenn sie das Bild des Todes entwirft, woran
Nichts fehlt, weder der fließende Stil, noch der reiche
Ausdruck: „Der Tod rückt an und zerstört alle Freuden
des Lebens, Reichtum, Ehre, Lebenskraft; er lässt vom
Menschen nur einen Leichnam zurück, nur eine Nahrung für
die Würmer lässt er von ihm übrig." --Wir hatten dem
Generalvikar der Diözese Amiens den Wunsch
ausgesprochen, schriftlich sein Urteil zu besitzen; er
hat uns gütigst folgenden Brief gesendet, indem er uns
auch zugleich erlaubte, davon Gebrauch zu machen: „Ich
habe eben erst die Werke von Marie Lataste und einige
ihrer Briefe gelesen. Noch ist der in mir dadurch
hervorgerufene Eindruck mächtig, und ich frage mich
erstaunt, wie ein armes Mädchen, dem man nie etwas
Anderes als Lesen, Schreiben, Spinnen und Nähen gelernt
hat, sich bis zu so hohen Gedanken erschwingen konnte,
und auch zuweilen zu einem so erhabenen Stile, dass man
denselben bei den größten Dichtern bewundern würde.
Marie Lataste mag wohl mit großen natürlichen
Fähigkeiten begabt gewesen sein, und ich gebe auch zu,
dass sie bei ihrer südlichen Einbildungskraft die ihr
auffallenden Gegenstände sich lebhaft vorzustellen
vermochte; aber selbst dieses vorausgesetzt, bin ich
dennoch höchlich erstaunt, sie die erhabensten und
schwierigsten Punkte der dogmatischen, moralischen und
mystischen Theologie berühren zu sehen; dabei ihre
erhabenen Ansichten, ihre richtige Sprache, ihre
nüchternen Ausdrücke, ihr Anstand, ihr richtiges
Maßhalten und bei all dem ihre Klarheit, die nichts zu
wünschen übrig lässt! Ich staune darüber, dass unter so
vielen Sätzen, die von einer ungeübten Feder herrühren,
nur einige Ungenauigkeiten zu finden waren, welche
überdies, wie mir scheint, beinahe immer auf einen
orthodoxen Gedanken zurückgeführt werden können, und
gewiss ihre Erklärung und Entschuldigung durch das,
gleich im Anfang ihrer Schriften abgelegte demütige
Geständnis der Schreiberin finden: „Ich muss gleich hier
im Anfang bemerken, dass ich nicht alles sagen kann, was
Er mir gesagt, alles, was Ihm gefiel mir zu zeigen,
alles, was Er mich wollte empfinden lassen." --Bei
dieser Beschränkung ist es wunderbar, ein Landmädchen
mit solcher Einfachheit und Sicherheit von der
Prädestination, von dem übernatürlichen Leben, von dem
Reiche Jesu Christi, von der Größe der hl. Jungfrau, von
dem christlichen Leben und der christlichen
Vollkommenheit, von der Versuchung und den Skrupeln,
von dem Gebete und den andern Heilsmitteln, von dem
Priesterstande, von dem Klosterleben und den
verschiedenen Ständen der Weltleute reden zu hören.
Und, da ich vom Priesterstand rede, so muss ich Ihnen
sagen, dass ich nie etwas über meinen Stand gelesen
habe, was mir mehr Trost verliehen hätte. Als einer
meiner Kollegen die Stelle, auf die ich anspiele,
gelesen, konnte er nicht genug seine Bewunderung
ausdrücken; und erst vor einigen Tagen sagte mir eine
hervorragende Persönlichkeit einer Klostergemeinde aber
kein Mitglied des Sacre-Coeur: „Ich lese in diesem
Augenblick die Werke Marie Latastes, o! wie ist die
Stelle so schön, wo sie von den Priestern spricht.
Gewiss, ich verehrte immer die Priester; aber es scheint
mir jetzt, dass ich seitdem eine noch höhere Achtung und
tiefere Verehrung für ihre Würde habe!"
Was mich in ihrer
kühnen und zuverlässigen, so erhabenen und doch so
praktischen Lehre besonders anspricht, ist die
vollkommene Einfachheit und tiefe Demut der Schreiberin.
Sie ist nie mit sich selbst beschäftigt, noch weniger
von sich eingenommen. Als sie im Gehorsam schrieb, hatte
sie keinen andern Wunsch als den Willen Gottes zu
erfüllen, und so viel es von ihr abhinge, dadurch die
Ehre und das Lob Jesu Christi im allerheiligsten
Sakramente zu vermehren.
Sie wissen
übrigens, Madame, besser als ich, wie auf das demütige
und verborgene Leben von Marie Lataste in ihrem
heimatlichen Dorfe ein noch demütigeres und
verborgeneres Leben in jener Gesellschaft folgte, der
sie so glücklich war anzugehören, und wie es ihr gelang
selbst dort sich zu verbergen und unter den Schwestern
zu verschwinden. Ich habe großes Vertrauen in die
Heiligkeit jener Seelen, die in der Demut ihre Freude
finden, ich liebe vorzugsweife die Kleinen der Erde,
welchen der Herr sich offenbart, und ich höre ihnen
gerne zu, denn ihre Worte erleuchten die Seele und
erfüllen dieselben mit Wonne." --Ein ehrwürdiger
Klostergeistlicher, der erst vor einem Jahre im Geruch
der Heiligkeit starb, drückte seine Ansicht über Marie
Latastes Schriften in Folgendem aus: „Diese Bände
enthalten wirklich eine wunderbare Lehre; man erkennt
in jeder Zeile derselben wir möchten sagen den Griffel
des fleischgewordenen Wortes, und fühlt, wie das
Geschöpf, das nur empfangen hat um zu geben, so ganz
dabei zurücktritt. Es bleibt zu wünschen, dass dieses
Werk viel verbreitet und gelesen werde, denn es ist
nicht nur für eine einzige Klasse der Gesellschaft
geschrieben, sondern für alle; beim Lesen desselben
wird man von dieser Wahrheit überzeugt. Ich hoffe, dass
man das Hindernis des hohen Preises beseitigen wird;
denn noch ist der Preis zu hoch, als dass es unter alle
Klassen der Gesellschaft kommen könnte. Möchten recht
Viele die Hand nach diesem Baume ausstrecken, nach
diesem in das Paradies des hl. Herzens gepflanzten Baum
des Lebens." --Noch viele andere Zeugnisse könnten wir
anführen, allein wir haben schon genug über diesen
Gegenstand gesprochen. Es erübrigt uns nur noch
beizufügen, dass die handschriftlichen Aufzeichnungen
der Dienerin Gottes sorgsam von ihrem ehemaligen
Seelenführer, dem jetzigen Pfarrer von St. Paul in Dax,
der als einer der würdigsten Geistlichen der Diözese
Aire bekannt ist, aufbewahrt werden.
Ende von Marie
Latastes Leben.

Anhang.
Kurzer Abriss über das
Klosterleben der Schwester Quitterie Lataste.
(
Der Name der hl. Quitteria, Jungfrau
und Martyrin in Spanien findet sich im römischen
Marthrologium am 22. Mai.)
Am Ende des Jahres 1844, wenige
Monate nach Marie Latastes Eintritt ins
Sacre-Coeur, wurde ihre Schwester von ihren
Obern nach Turin geschickt. Dort hatte sie
heftige Stürme zu bestehen; allein sie verstand
es, die Augen nach dem Kalvarienberg gerichtet,
aufrecht beim Kreuze zu stehen, ohne sich je von
ihm zu trennen. Schwere und vielseitige Sorgen
begleiteten sie nach Genua, wo sie ein neues
Kloster gründen sollte, sie übte dort unzählige
Akte tiefer Demut aus, und die ihr Verdienst
anerkennenden Verwalter sagten von ihr: „Wir
haben noch keine Frau solchen Schlags gekannt."
--- Im Jahr 1859 war sie Oberin im Spital von
Perugia, und die Klosterfrauen des Herzens Jesu,
welche daselbst ein Pensionat hatten, hörten oft
von der Achtung sprechen, die sie genoss, sowie
von dem Ansehen, in dem sie stand, ja wir müssen
sagen von der Gewalt, welche ihre heldenmütige
Tugend und ihr Ruf von Heiligkeit ihr über die
Herzen verlieh. Diejenigen, welche der Kirche
und Allem, was einen religiösen Charakter hatte,
feindlich gesinnt waren, erfuhren gegen ihren
Willen diesen Einfluss, ja mehrere von ihnen
konnten ihr weder Ehrfurcht noch Bewunderung
versagen, als sie nach der Einnahme der Stadt
genötigt waren ihre sorgende Pflege in Anspruch
zu nehmen. Sie pflegten von ihr zu sagen: „Sie
hat nichts in die Augen Fallendes, und dennoch
erregt sie Wohlgefallen; alle ihre Worte sind
gerecht und was sie sagt, ist gut." --Jene,
welche damals die Gewalt an sich gerissen, und
die Stelle der päpstlichen Regierung eingenommen
hatten, hätten gerne alle frommen Anstalten
säkularisiert. Von einem Augenzeugen haben wir
gehört, dass man alle Mittel versuchte, Fehler
bei den guten Schwestern zu finden, indem man
hoffte, durch Nachforschungen und Quälereien
aller Art irgend etwas zu entdecken, wodurch es
möglich wäre, ihnen eine Schuld aufzuhalsen und
demgemäß zu verabschieden; dies war jedoch
vergeblich, denn die Oberin verstand es mit
seltener Geistesgegenwart, von allem, was ihr
anvertraut war, Rechenschaft abzulegen, so dass
selbst die durch ihren Unglauben sich vorzüglich
auszeichnenden Männer beschämt wurden und sich
zu dem Bekenntnisse gezwungen sahen, dass diese
Schwester eine große Frau sei.
Sogar die angesehensten Damen der Stadt
misstrauten zu dieser Zeit den barmherzigen
Schwestern und fürchteten, dieselben möchten die
verwundeten Piemontesen weniger gut pflegen. Ihr
frommer Eifer trieb sie daher selbst in die
Spitäler, um die Verwundeten zu pflegen; als sie
jedoch Schwester Latastes Handlungsweise und
Anordnungen sahen, erkannten sie ihren Irrtum
und beruhigten sich vollkommen. Jede Einzelne
von ihnen bewarb sich um die Ehre mit ihr zu
verkehren. Alsbald hörte denn auch alles
Geschrei gegen die ehrw. Schwestern auf und
niemand dachte mehr daran sie zu vertreiben.
Schwester Quitterie zeichnete sich auch
vorzüglich durch ihre große Andacht zum allerhl.
Sakrament aus: wenn sie vor demselben betete, so
glich sie einer Statue; nichts zerstreute sie
und ihr Antlitz hatte jedesmal, so oft sie das
Heiligtum verließ etwas Seraphisches. Zu
wiederholten Malen suchten die Schwestern zu
ergründen, was in ihrem Herzen vorginge, wenn
sie so in Andacht versenkt vor dem Altare
kniete; sie beantwortete alle dahinzielenden
Fragen nur durch ein demütiges und bescheidenes
Lächeln. Nur einmal entschlüpften ihr die Worte:
„Jesus und ich, wir verstehen uns."
Ihre Pünktlichkeit und ihre tiefe Ehrfurcht für
alles, was den Dienst Gottes betraf, ließen
nicht minder ihren lebhaften Glauben erkennen;
ihre zarte Gewissenhaftigkeit erschien andern
zuweilen als skrupulös, denn sie war untröstlich
darüber, wenn sie etwas vergaß, oder sich die
unbedeutendste Nachlässigkeit hatte zu Schulden
kommen lassen. Aus Ehrfurcht und Liebe zu dem
hl. Sakramente ließ sie es sich auch nicht
nehmen, selbst die Ordnung und Reinigung der
Kapelle zu besorgen; dies war ihr
Lieblingsgeschäft, und sie verrichtete dasselbe
mit solcher Sorgfalt und Frömmigkeit, dass man
ein Bild der hl. Jungfrau in dem Hause zu
Nazareth zu sehen meinte.
Schon in den ersten Jahren ihres Eintrittes ins
Kloster hatte Schwester Quitterie sich durch
ihre Liebe zum Gehorsam ausgezeichnet, sowie
auch durch ihren Hang zum innerlichen Leben und
durch ihre Demut. Diese letzte Tugend trat
besonders hervor, als sie Oberin wurde. Sie
benutzte ihre Vorrechte nur dazu, um für sich
selbst die schwersten und abstoßendsten Arbeiten
zu wählen. Immer war sie bereit, sich als
schuldig zu bekennen und sich vor ihren
Untergebenen zu erniedrigen oder sogar deren
Fehler wieder gut zu machen. Einer der Beamten,
dem sie statt einer Schwester ihre
Entschuldigung ausdrückte, sagte, als er diesen
Zug erzählte: „Ich hegte immer schon große
Hochachtung vor der Oberin; aber jetzt erkenne
ich in ihr eine Heilige." Man sah sie bei
verschiedenen Gelegenheiten mehreren Personen zu
Füßen fallen, bald um solche, die mit einander
Streit hatten, flehentlich zu bitten, Gott doch
nicht länger zu beleidigen und sich mit einander
zu versöhnen, bald um einen 60-jährigen Kranken
zu beruhigen, den eine andere Schwester geärgert
hatte. Als Magd eines demütigen Gottes, glaubte
sie nie genug zu tun, um ihren göttlichen
Meister in Seiner Demut nachzufolgen. Nie
strebte sie nach der Achtung der Welt, im
Gegenteil war sie stets daraus bedacht, sich zu
verbergen und gleichsam zu verschwinden; so kann
man es z. B. nur diesem Beweggrunde zuschreiben,
dass sie nie über ihre Schwester Marie sprach,
selbst zu der Zeit nicht, als bereits deren
Leben und Werke veröffentlicht wurden. Man
fragte sich gegenseitig, ob sie verwandt mit
einander seien, und nachdem man Gewissheit über
den Grad der Verwandtschaft erlangt hatte,
erkannte man nur umso mehr die tiefe Demut der
guten Schwester, da man dann wohl den Grund
ihres Stillschweigens begriff.
Ein Priester, der Schwester Quitterie genau
kannte und wohl fähig war sie zu beurteilen,
sagte von ihr, dass er wenig Seelen gefunden
habe, die einen solchen Grad von Vollkommenheit
erlangt hätten, wie sie; er fügt bei, dass sie
in beständiger Vereinigung mit ihrem göttlichen
Bräutigam gewesen und keine andern Fehler
begangen habe, als solche, welche bei der
menschlichen Schwäche unvermeidlich sind:
„Selbst der Gerechte, sagt der hl. Geist, fällt
des Tages siebenmal.
Ganz durchdrungen von Gott und von den
Geheimnissen Seiner Liebe sprach sie mit
seltener Salbung hierüber. In der Erholungszeit
waren ihr erbauliche Unterhaltungen die
liebsten; Unbedachtsamkeit und Zerstreuung war
aus denselben verbannt und wurde als unwürdig
für eine Versammlung Gott geweihter Jungfrauen
angesehen; sie verstand es, diese Augenblicke
den Schwestern nützlich und kostbar zu machen,
indem sie dieselben mit heiterer Miene belehrte,
deren Fragen beantwortete und sie so mit Liebe
und Güte zu den Werken ihres Berufes
heranbildete. Ihr Eifer belebte Alle und riss
zum Guten hin. Die Gefühle, die sie kundgab,
ihre Kenntnisse und ihre Sprache hatten übrigens
nichts Ausfallendes mehr, wenn man ihre
Handlungen betrachtete; sie war stets
gleichmütig, friedlich und stille und ließ sich
durch kein natürliches Gefühl beherrschen; ihr
Äußeres war ebenso geordnet wie ihr Inneres; nie
hörte man sie mit erhöhter Stimme reden, ihr
stets gemäßigter Ton erinnerte an die Gegenwart
des göttlichen Bräutigams, den sie immer sah und
hörte.
Wenn man sich in ihrer Nähe befand, so glaubte
man, es sei nun die Zeit des Stillschweigens, so
wenig und so leise sprach sie, besonders aus den
Gängen und nahe bei der Kapelle. Ihre Hinneigung
zur Geistessammlung, ihr Streben nach
himmlischen Dingen entsprang ihrer innigen
Vereinigung mit Gott und eben durch diese
Vereinigung liebte sie all' ihre Pflichten. Sie
wollte und suchte nichts anderes und wies die
Schwestern in allem aus Gott allein hin und aus
die Liebe zum Opfer, wodurch wir unserm Heiland
näher kommen. Die Betrachtung des Erlösers war
Nahrung für ihre Seele; sie kräftigte sich durch
das Andenken an Seine Geheimnisse; aus Seinem
Herzen schöpfte sie jenen Geist der
Standhaftigkeit, der sie in ihrem Kummer
ausrecht erhielt; jenen für das Heil der Seelen
sie verzehrenden Eifer und die heilige Weisheit,
die es versteht, zur rechten Zeit heilsame
Ermahnungen und gutem Rat zu geben. Sie hatte
ein so richtiges Urteil, eine so gerade und
offene Handlungsweise, dass man sich glücklich
schätzte, unter ihrer Leitung zu stehen. Nach
den Worten einer Schwester, welche dieses Glück
genoss, sprach Schwester Quitterie wenig Worte,
aber dafür gab sie ein leuchtendes Beispiel der
Demut, der Liebe und aller Tugenden, welche die
Töchter des hl. Vincenz auszeichnen sollen.
Ihre Liebe zu dem anbetungswürdigen, göttlichen
Willen bewirkte ihre vollkommene Ergebung bei
den unangenehmsten und ärgerlichsten
Gelegenheiten, und oft sagte sie: „Alles ist
Zulassung von Oben.“ --- Bei allem, was ihr
Unangenehmes oder Schweres begegnete, schwieg
sie, nahm es ruhig hin, und unterwarf sich,
indem sie mit tiefer und frommer Verdemütigung
die verborgenen Absichten der Vorsehung
anbetete.
Schwester Quitterie wäre keine barmherzige
Schwester gewesen, wenn sie sich nicht durch
ihre Liebe zu den Armen ausgezeichnet hätte. Ihr
lebendiger Glaube ließ sie ihren Jesus in
denselben erblicken und daher war sie ihnen mit
inniger Liebe zugetan. Die Unglücklichen kannten
ihre Gefühle wohl, sie waren glücklich, wenn sie
die gute Schwester sahen und ein freundliches
Wort von ihr erhielten; oft setzten sie sich
deshalb aus die Stufen^ der Treppe, um sie zu
erwarten, indem sie sagten: „Wenn wir unsere
Mutter gesehen haben, dann gehen wir". Wurde
ihnen bemerkt, es sei jetzt nicht möglich sie zu
sehen, so antworteten sie: „Nun so wollen wir
geduldig warten, bis sie vorüber kommt." Für die
Schwester selbst war es ein süßer Trost, unter
den Armen und Unglücklichen zu weilen, und an
den Arbeiten, die ihre Bedienung erheischten,
Teil zu nehmen. Sie flickte ihre elenden Lumpen,
trat zu ihren Betten und widmete ihnen die
mütterlichste Sorgfalt, und dies mit derselben
Aufopferung und Ehrfurcht, als ob sie Jesum
selbst verpflegte. Dann half sie den Schwestern
beim Reinigen der Säle und gab sich dieser
Beschäftigung mit solcher Selbstverleugnung hin,
dass ihre müden Füße oft kaum mehr die Schuhe zu
tragen vermochten.
Trotz der zahlreichen Sorgen ihres Amtes wusste
sie noch Zeit zu finden, um die niedrigsten und
schwersten Arbeiten zu verrichten. Wenn man sie
am Samstagnachmittag suchte, so war man sicher,
sie entweder in dem Steinkohlenkeller oder aus
den großen Speichern der Gebäude zu finden. Wenn
sie diese Orte wieder verließ, so war sie oft so
mit Staub und Spinnengeweben bedeckt, dass man
sie kaum mehr kannte, und so von Ermüdung
erschöpft, dass sie nicht aufrecht zu stehen
vermochte. Sie unterließ diese anstrengenden
Arbeiten erst, als das Übermaß ihrer Leiden sie
zwang das Bett zu hüten; bis dahin waren alle
Vorstellungen der Schwestern vergeblich, und
wenn diese ihr zu beweisen suchten, sie müsse
ihre schon erschöpften Kräfte für wichtigere
Dinge aufbewahren, so antwortete sie, dass die
barmherzigen Schwestern nicht bedient werden
dürften, und dass die Erste unter ihnen auch das
Vorrecht genießen müsse, mehr als die andern zu
dienen. Von diesem Vorrechte machte sie
besonders Gebrauch, um die armen Kranken zu
bedienen; es gab kein Opfer, keine Ermüdung, die
sie nicht für sie erduldete. Sie unterließ nie,
ihre geistigen Töchter immer und immer wieder zu
ermahnen, die Armen eifrig im Geiste des
Glaubens zu bedienen, und forderte von ihnen die
pünktlichste Genauigkeit bis ins Kleinste und
dies bei allem; was zur Austeilung unter die
Armen und Kranken bereitet wurde.
Bis zu den letzten Tagen ihres Lebens, als sie
schon die größten Schmerzen erduldete, prägte
sie allen, die ihr nahten, Liebe zu den Armen
ein, indem sie ihnen versicherte, dass sie
dadurch eines sanften und seligen Todes sterben
würden. ---„Nein, nein," hörte man sie auf ihrem
Schmerzenslager ausrufen, „Gott wird mich nicht
verstoßen, denn ich habe Ihn in meinem Leben nie
von mir gestoßen, und ich suchte nur Ihn und die
Armen."
Die Mitschwestern dieser tugendhaften Frau
hatten einen reichlichen Teil der Liebe, von
welcher ihre Seele überfloss. Sie bemühte sich
dieselben zu unterrichten, sie über ihre
Pflichten zu belehren, sie zur Ausübung der
Tugend anzueifern und all' ihre Neigungen und
Wünsche aus den Himmel zu richten.
Wenn aber auch die Erde und ihre eitlen
Vorurteile ihr nur als Dunst und Nichts
erschienen, so beeinträchtigte diese gänzliche
Losschälung die Empfindungen ihres zarten und
gefühlvollen Herzens nicht im Mindesten. Sie kam
den geringsten Bedürfnissen der Schwestern
zuvor, pflegte sie mit Liebe und Güte in ihren
Krankheiten, hatte Geduld mit ihren Schwächen,
und wusste immer, auch unter den schwierigsten
Umständen, trotz der angehäuftesten Arbeit jenen
Ruhe zu verschaffen, die ohne ihre zarte
Wachsamkeit vielleicht unterlegen wären.
Viele physische und moralische Leiden hatten die
Geduld und die hochherzige Treue Schwester
Quitteries schon auf die Probe gestellt, dennoch
blieb sie stets erfinderisch, um jede
Gelegenheit zur Abtötung zu ergreifen. Bei den
Arbeiten ihres heiligen Berufes wählte sie für
sich stets Dasjenige, was der Natur am
widerwärtigsten war. Nachdem sie sich bei den
Kranken ermüdet hatte, zog sie sich auf die
Speicher zurück, wo sie zu ihrer Erholung die
schmutzigen Kompressen der Kranken
zusammensuchte, die dort aufbewahrt wurden. Die
Ausdünstung war an diesem Orte wegen der dort
angehäuften großen Menge von Wäsche, die zum
Verbinden aller Arten von Wunden gedient hatte,
der Art, dass man nicht lange daselbst bleiben
konnte. Ein junges Mädchen aus dem Hause ging
einmal dort vorüber und war ganz betroffen, ihre
Oberin an einem solchen Orte mit solcher Arbeit
beschäftigt zu sehen. Trotz ihres großen
Widerwillens dagegen bot sie sich sogleich an,
ihr zu helfen; allein die eifrige Schwester
untersagte es ihr, indem sie behauptete, diese
Arbeit sei jungen Leuten nicht zuträglich,
während sie ihr durchaus nicht schädlich sei.
Sie war in der Beherrschung der natürlichen
Abneignug bis zu dem Punkte gelangt, dass sie
sich allem, und wenn es ihr noch so schwer war,
mit Leichtigkeit unterzog. Im Spital war eine
Kranke, die bereits von den Ärzten aufgegeben
war; der Krebs verzehrte ihren ganzen Körper, so
dass die Schulterknochen und die Knochen des
Rückgrats und der Ellenbogen bloßgelegt waren;
die Unglückliche roch so stark, dass die
Krankenwärterinnen sie nicht mehr bedienen
wollten. Schwester Quitterie nahm das Amt auf
sich, und widmete der Kranken länger als einen
Monat ihre Sorgfalt. Jede Verbindung kostete ihr
mehr als eine Stunde, und während die mit der
armen Unglücklichen in demselben Saale
Befindlichen laut forderten, sie zu entfernen,
da sie die Ausdünstung nicht länger ertragen
könnten, so schien die tugendhafte Schwester
ihre Wonne darin zu finden, die Elende mit
tausend zarten Aufmerksamkeiten zu überhäufen,
indem sie sich bemühte den Andern glauben zu
machen, dass sie gar nicht darunter litte.
Ein anderes Mal blieb sie eine ganze Nacht
aufrecht stehen, ohne ihre Stellung zu wechseln,
weil der Zustand eines Kranken fortwährenden
Beistand verlangte. Obwohl sie gewöhnlich
schwach und leidend war und voraus wusste, dass
sie sich am folgenden Tage keine Ruhe werde
gestatten können, so hatte sie doch diese
schweren Stunden aus sich genommen, um ihre
Mitschwestern zu schonen.
Indess glänzte ihre heldenmütige Tugend und ihre
Selbstbeherrschung vorzüglich bei dem Leiden,
wodurch sie ihr tätiges Leben enden sollte. Ihre
Leiden waren lang, schwer und unerklärlich; sie
aber folgte ihrem Heilande mutig nach Golgatha.
Wie wir schon gesagt haben, sprach sie wenig
über sich selbst, nur ihr Benehmen offenbarte
ihre innige Vereinigung mit dem göttlichen
Heilande. Dennoch ließ Gott es zu, dass sie in
ihrer letzten Krankheit ihrem Beichtvater
folgendes Geständnis machte: „Unser Heiland
wollte, dass ich Ihm in meinem Leben durch Werke
der Barmherzigkeit gegen den Nächsten nachahmen
sollte, und jetzt, am Ende meines Lebens, will
Er, dass ich Ihm in Seinem Leiden nachfolge."
--- Dann fügte sie bei: Ich sehe meinen süßen
Jesus hier gegenwärtig, il mio caro Iesu, der
mich erwartet; Seine hl. Schultern mit dem
Kreuze beladen, fordert Er mich auf Ihm zu
folgen, ich sehe Ihn hier vor meinen Augen." ---
Diese Worte sind eine Bestätigung dessen, was
ihre Schwester Marie mehrere Jahre vorher
geschrieben hatte, und was auch in ihren Werken
sich findet - allein Schwester Quitterie hatte
diese Werke nie in Händen und konnte sich nur
durch eine übernatürliche Anregung also
ausdrücken.
Die guten Töchter des hl. Vincenz sparten
nichts, um ein ihnen so teures Leben zu
erhalten; man versuchte daher eine
Luftveränderung, wodurch eine kurze Besserung
bewirkt wurde. Schwester Quitterie konnte in
ihre geliebte Familie zurückkehren und ihrem
Eifer neuen Aufschwung geben; jedoch die Ruhe
währte nicht lange, und da jetzt jede Hoffnung
auf Genesung aufgegeben werden musste, so wurde
die Kranke aus dem allgemeinen Krankenhaus in
das Militärspital gebracht. Dort wurde sie wie
eine Segnung des Himmels aufgenommen; die schöne
Lage dieser Anstalt gefiel ihr; allein sie
erkannte vollkommen die Gefahr ihres Zustandes
und wollte, wie sie sagte, sich nur noch damit
beschäftigen, sich gut daraus vorzubereiten, vor
Gott zu erscheinen." Die Anfälle wurden häufig
und sehr schmerzlich, und entlockten ihr
zuweilen herzzerreißende Klagelaute, die sie
indessen öfters unterdrückte, indem sie sich den
Mund mit einem Tuche verstopfte. Dieser
schmerzliche Zustand dauerte 14 Tage beinahe
ohne Unterbrechung; die Ärzte waren äußerst
betroffen darüber, da sie der Kranken keine
Linderung zu verschaffen vermochten, und sie
teilten die allgemeine Bewunderung, wenn sie sie
mitten unter ihren Qualen sagen hörten: „Herr,
da Du willst, dass ich diese Übel erdulde, so
vermehre meine Geduld, denn ich fürchte Dich zu
beleidigen". --- Hierauf küsste sie zärtlich ihr
Kruzifix, das sie gewöhnlich in Händen hielt.
Obwohl sie nach jedem Anfalle wie gebrochen und
ganz vernichtet war, so hatte sie dennoch einen
sanften Blick, liebevollen Rat und Dankesworte
für die ihr geleistete Sorgfalt. Ihre
Mitschwestern beeilten sich alle an dieses
Schmerzenslager zu kommen, und mit hl. Begierde
bis zum Ende dieses hl. Beispiel zu beobachten.
Wenn sie zu ihrer Erleichterung ihre Lage ändern
wollten, so erwiderte sie ihnen, dass der
Heiland am Kreuze aller Änderung beraubt gewesen
sei, und dass auch sie so bleiben müsse. Wenn
man sie zuweilen fragte, wie es ihr ginge, so
gab sie zur Antwort: „Ich erwarte die Stunde
meiner Befreiung." --Die damals Perugia
beherrschenden Behörden gestatteten keinem
anderen Priester, als dem von ihnen ernannten
Pfarrer des Spitals den Zutritt zu letzterem;
die Sterbende weigerte sich aber mit ihm zu
verkehren, und als die Schwestern ihr ihren
Kummer darüber äußerten, sie in ihrer letzten
Stunde des Beistandes jenes Missionars beraubt
zu sehen, der ihr Vertrauen genoss, beruhigte
sie dieselben durch die Worte: „Der Herr hat es
so zugelassen, Ihr könnt mir beistehen und der
Heiland selbst wird, so hoffe ich, mir
beistehen." --Nichts störte ihren Frieden und
ihre innige Vereinigung mit dem Heiland; auf
ihren Lippen schwebten nur Anrufungen Gottes und
der hl. Jungfrau; ihre fast immerwährend
geschlossenen Augen schienen zu sagen, dass sie
dieser Welt nicht mehr angehöre; auch öffnete
sie dieselben nur, um sie auf das Bild des
gekreuzigten Heilandes zu heften. Als sie ihre
letzten Augenblicke herannahen fühlte, verlangte
sie die Sterbegebete. Die Schwestern beteten sie
mehrmals und Schwester Quitterie folgte ihnen
ruhig, indem sie ihr Leiden mit dem des
Heilandes vereinigte. Als man die Worte an sie
richtete: „Schwester, setze Dein Vertrauen auf
Gott, so erwiderte sie: „Ich bin in Seinen
Händen!" Bald darauf trat die Agonie ein, wenn
man die ihrem letzten Atemzuge vorangehenden,
ruhigen drei Stunden also nennen darf; denn
eigentlich glichen sie mehr einem sanften
Schlaf, während dessen die Seele ihre Bande
brach und ihren Aufschwung zum Himmel nahm. Die
Augenzeugen dieses seligen Todes sagten: „Sie
starb wie eine Auserwählte, nachdem sie wie eine
Heilige gelebt hatte!"
Wir können diese kurzen Notizen nicht besser
schließen, als durch Anführung einer Stelle aus
dem Briefe, welchen der obenerwähnte Missionar
an jene Schwestern schrieb, welche so glücklich
gewesen waren unter der Leitung der Schwester
Quitterie zu stehen:
„Diese hl. Seele hat, so hoffe ich, ihr Fegfeuer
beendet, und genießt jetzt im Schoße Gottes den
Lohn für ihre Liebe und ihr vollkommenes
Opferleben. Ihr seid glücklich, meine lieben
Schwestern, ihre Beispiele gesehen und ihren
Unterricht gehört zu haben. Ach! seid
versichert, dass sie alle, Euch erteilten Lehren
aus den Wunden des Gekreuzigten, den sie allein
liebte, geschöpft habe. O! wenn Ihr wüsstet, was
sie alles zu den Füßen Jesu gelernt! Wenn Ihr
einige Augenblicke in ihr Inneres hättet
eindringen können, wie würde Eure Hochachtung
und Verehrung sich gesteigert haben! In der
letzten Unterredung, die wir mit einander
hatten, erkannte ich besser als je diese reich
begabte Seele, sowie mir auch klar wurde, dass
der Heiland in Seiner Liebe sie auserwählt und
als Seine Braut geschmückt hat." Wir glauben
genug gesagt zu haben, um das uns vorgesteckte
Ziel zu erreichen; wir wollten zeigen, mit
welcher Treue Schwester Quitterie die ihr vom
Heilande auferlegte Mission erfüllte, was er
auch Seinem vielgeliebten Kinde Marie Lataste
geoffenbart hat.
Die würdigen Töchter des hl. Vincenz werden uns
nicht zürnen, dass uns daran lag, diese beiden
Seelen hier zusammenzustellen, die, wie sie
bestimmt waren, aus Erden mit einander verbunden
zu sein, wohl auch im Himmel für ewig vereinigt
sind.
Ende des Anhangs
.
Briefwechsel.
I. Brief.
Marie Lataste
gibt ihrem Seelenführer Nachrichten über ihre
Familie, ihre Kindheit, ihre erste Kommunion und
die Gnaden, die sie vom Heilande Jesus
empfangen. Sie gibt ihre Tagesordnung an.
Herr Pfarrer!
Da ich Sie als
den Seelenhirten dieser Pfarrei anerkenne, als
meinen Vater in Jesus Christus, als den Führer
meiner Seele auf dem Wege des Heils, so will ich
Ihnen vor Allem die Gefühle der Ehrfurcht, der
Unterwürfigkeit und des Dankes, den ich Ihnen
schulde und den Sie mit Recht von mir erwarten
dürfen, ausdrücken.
In dieser
Eigenschaft als ihr Kind und als eine ihrer
Sorge anvertraute Seele eröffne ich Ihnen, Ihrem
Wunsche gemäß, mein Herz und mache Sie mit den
verborgensten Geheimnissen desselben bekannt.
Möge es Gott
gefallen, dass dies zu Seiner größeren Ehre und
zum Heile meiner Seele geschehe! Dadurch wird es
Ihnen leichter sein, mich auf dem Wege des Guten
zu führen, mir Ihren weisen Rat zu geben, mir
Ihre väterliche Meinung zu sagen; ich werde also
mit der Einfalt eines armen Mädchens und ohne
Verstellung zu Ihnen sprechen. .
Ich bin geboren
zu Mimbaste, in der Pfarrei, wohin der Wille des
Himmels Sie seit Kurzem berufen hat.
Meine Familie ist
nicht reich an Gütern dieser Welt; aber sie
liebt Gott, übt die Pflichten der Religion und
arbeitet für ihren Lebensunterhalt. Meine
Erziehung ist nicht glänzend gewesen; ich habe
nie eine andere Lehrerin gehabt als meine
Mutter, die nur wenig wusste und mir auch nur
wenig lehren konnte. Ich kann lesen und
schreiben, das ist alles. Da es notwendig war,
dass ich meinen Eltern nach Kräften half für
meinen Unterhalt zu sorgen, so lehrte meine
Mutter mich auch spinnen und nähen, um mich zu
beschäftigen und damit ich nicht müßig sei. Sie
versäumte nicht, mich in den Hauptwahrheiten des
Heils zu unterrichten, sie tat die mit
staunenswerter Geduld, die mir jetzt deutlich
zeigt, dass ihr Wunsch mehr dahin ging, ich
möchte eine gute Christin, eine treue Dienerin
Gottes sein. Arme Mutter, wie viel Mühe habe ich
dir verursacht, da ich mich oft weigerte
zuzuhören oder das erste Buch, das ich zu meiner
Verfügung hatte, den Katechismus, zu lernen und
zu studieren!
Zur Zeit meiner
ersten Kommunion wurde ich gehorsamer und
fleißiger. Als ich das Glück hatte, zum ersten
Male mich Jesu zu nahen, wusste ich den ganzen
Katechismus. Ich war 12 Jahre alt, und ich wurde
einige Zeit nachher in der Kirche von Pouillon
geformt. Als ich gegen dreizehn und ein halbes
Jahr alt war, wurde ich sehr ängstlich. Ich
erfuhr sehr heftige und beinahe beständige
Versuchungen gegen die Keuschheit. Meine Seele
war überhäuft mit Kummer, Ermüdung und
Trockenheit. Ich fand nirgends Trost: weder bei
Gott, noch bei meiner Mutter, die wegen meines
Leidens litt, das sie nicht begreifen konnte,
aber doch wohl bemerkte. Nur meine Schwester
Margaretha war mir ein tröstender Engel, den der
Himmel an meine Seite gestellt hatte; doch, da
sie nicht wusste, was in mir vorging, wie hätte
sie mir trotz ihrer Liebe die nötige Stütze sein
können?
Gott suchte mein
Herz durch so schreckliche Prüfungen schon im
zarten Alter zu bilden. Er flößte mir Neigung
gen ein, die mich wenig zur Welt hinzogen und
lehrte mich, wie gefährlich es sei, wenn man
sich seinen Leidenschaften überlasse und machte,
dass ich mehr und mehr die Jungfräulichkeit
liebte.
Die
Jungfräulichkeit übte auf meinen Geist einen
geheimen Zauber aus, der mich immer mehr an sie
fesselte und mich fürchten ließ, sie zu
verlieren. Dieser Kampf gegen meine
Leidenschaften, diese Furcht und Verwirrung
haben lange fortgedauert. Meine Sorge, den
kostbaren Schatz der Reinigkeit mir zu bewahren,
nahm beständig zu, und Gott half mir bis zu dem
Tage, an welchem mein Seelenführer Hr. Abbe F.
mir erlaubte, das Gelübde der Keuschheit auf ein
Jahr abzulegen. Mit seiner Erlaubnis erneuerte
ich dieses Gelübde jedes Jahr.
Von da an
verringerte sich die Verwirrung und die Unruhe
meiner Seele um Vieles. Aber ich fand wenig
Trost in dem Gebet und in dem Empfang der hl.
Sakramente. Ich kommunizierte alle Monate und
jedesmal fühlte ich mich von einem
außerordentlichen Leide darniedergedrückt.
Ich erfuhr zwar
keine Versuchungen mehr gegen die Reinigkeit;
allein der Kampf hörte deswegen doch nicht auf.
Im Jahre 1839 war ich 17 Jahre alt; ich fühlte,
dass alle andern Leidenschaften der Seele wider
mich sich erhoben und mich zu einem Kampfe auf
Leben und Tod herausforderten. Der Stolz meiner
Kindheit schien stärker und mächtiger denn je
sich zu erheben; der Zorn drang in mein Herz wie
Galle, der es aufkochen ließ und jeden
Augenblick dem Tode nahe brachte. Meine
Reizbarkeit und Empfindlichkeit stiegen aufs
Höchste: ein Wort, ein Blick, eine Bewegung,
eine Kleinigkeit, Alles missfiel mir an andern
und reizte mich zur Ungeduld. Was war das für
ein Leiden! Was war das für ein Leben! Damals,
wo ich nicht wusste, was ich tun, wohin ich
gehen sollte!
Doch, o Vorsehung
und Erbarmen Gottes! der liebe Vater im Himmel
warf einen mitleidigen Blick auf mich; Er hatte
Erbarmen mit meinem Elende; Er zog mein Herz in
die Nähe des göttlichen Altarssakramentes; Er
nahm es mir, um es so stark an dieses hl.
Sakrament zu fesseln, dass es mir nicht leicht
wurde mich davon zu entfernen, nämlich geistiger
Weise. Ob ich schlief oder nicht, ob ich
arbeitete oder nicht, ob ich allein oder in
Gesellschaft war, ob ich mit Gott oder mit den
Menschen sprach, immer blieb mein Geist und mein
Herz bei Jesus. Ich hätte mich für verloren
gehalten, wenn ich sie auch nur einen Augenblick
von Ihm abgewendet hätte. Und wie viel Qual und
Pein, wie viel Trübsal und Leiden aller Art habe
ich selbst damals empfunden! Aber ich war bei
Jesus und es war für meine Seele ein Glück, bei
Ihm zu leiden, mich Ihm als Opfer anzubieten,
wenn ich Ihn in der hl. Eucharistie sah, als
Opfer Seiner Liebe zu mir.
Ich darf Ihnen
gestehen, der Heiland hat mich in diesem hl.
Sakramente mit den ausgezeichnetsten Gnadengaben
überhäuft. Er hat sich mir in der Wirklichkeit
Seines göttlichen Leibes gezeigt; Er ließ mich
zu Seinen Füßen knien; manchmal aber durfte ich
Ihm auch wieder nicht nahen. So machte Er Seine
Gnaden selbst zu einer Prüfung für meine Seele.
Dieser Verkehr mit Ihm diente mir am meisten
dazu, dass ich von meinen inneren Feinden frei
wurde und über sie herrschte. Was hätte ich
sonst getan? Denn neue Feinde erhoben sich wider
mich und zwar von außen.
Diese neuen
Feinde waren die Welt und die Gefahren, die sich
bei jedem Schritt einfinden und die Fallstricke,
welche sie den Seelen legt; die Welt und die
Reize, welche sie uns durch unsere äußeren Sinne
vorhält.
Mein Leben,
hochwürdiger Herr, ist, wie ich voraussetze, wie
das Leben aller Seelen, ein beständiger Kampf,
eine tägliche Arbeit. Ich klage nicht über mein
Schicksal; denn Gott hat mir vielleicht mehr
Gnaden erwiesen, als jedem andern, Er hat mich
bis zu diesem Tage mit ganz väterlicher Liebe
geführt und geleitet, selbst in der größten
Trübsal und Gefahr. Was mir am schmerzlichsten
fällt ist, dass ich mich zuweilen ganz allein
befinde, beinahe verlassen von Gott, ohne Kraft,
Mut, Hoffnung und Gefühl mitten unter meinen
inneren und äußeren Feinden, die mich mit umso
größerer Kühnheit angreifen, je mehr ich ihnen
voll Schwäche und zum Widerstand unfähig
erscheine. Dann bin ich in tiefer Betrübnis:
Alles erschreckt mich, beugt mich nieder, ekelt
mich an, macht mir das Leben langweilig,
unerträglich, weil ich in der beständigen Furcht
bin, Gott, den gütigsten Vater zu beleidigen,
und Jesus, den ich von ganzem Herzen liebe und
immer lieben möchte, zu missfallen.
Jesus ist das
Glück meines Lebens in meiner Betrübnis und in
meiner Trostlosigkeit; ich sage es, und es ist
die Wahrheit. Wie sollte Er in der Tat mich
nicht glücklich machen? Denn in dem Augenblick,
wo ich versucht wäre, Alles für verloren zu
halten, kommt Er zu mir und zeigt Sich meinen
Feinden, welche dann entfliehen gleich Kindern,
die davonlaufen vor einem Riefen, der ihnen
droht.
Jesus ist das
Glück meines Lebens in meiner Betrübnis und in
meiner Trostlosigkeit, ich sage es, und es ist
die Wahrheit. Wie sollte Er mich nicht glücklich
machen? Denn, wenn Er sieht, wie meine Seele
betrübt, trostlos, bestürzt ist, niedergebeugt
von Versuchung, von meinen Feinden bis zum
Erliegen verfolgt, gequält von den Vorwürfen
meines Gewissens, das mir vorwirft, was. ich
Böses getan, was ich Gutes unterlassen, wie
viele Gnaden, die Er mir verliehen, ich
missbraucht oder unbenützt gelassen, und es
begegnet mir dieses oft ohne hinreichenden Grund
in Folge meiner Skrupel d. h. in Folge der
Finsternisse, mit welchen der Teufel mich
umgibt, und die mich hindern, die Wahrheit und
ihre Erfüllung zu schauen : dann sehe ich Ihn,
wie Er in mein ganzes Wesen Friede, Stille und
Ruhe bringt.
Jesus ist das
Glück meines Lebens in meiner Betrübnis und in
meiner Trostlosigkeit; ich sage es und es ist
die Wahrheit. Wie sollte Er in der Tat mich
nicht glücklich machen? Da Er mir als das einzig
wahre Gut erscheint, dessen Besitz der Treue
verheißen ist, als das einzige Wesen, das die
Unendlichkeit meiner Wünsche und meines
unersättlichen Durstes nach Glück und Seligkeit
erfüllen kann. Glück und Seligkeit sind nur in
Jesus. Um Jesus auf ewig und sogleich zu
besitzen, würde ich gerne mein Leben hingeben,
würde ich gerne es in seinem Frühling welken,
vertrocknen und enden sehen, um dadurch meine
ewige Vereinigung mit diesem so ergebenen
Freunde, mit diesem so liebreichen Vater, mit
diesem so zärtlichen Bräutigam, mit diesem so
mitleidigen Erlöser, mit diesem so heiligen und
vollkommenen Gotte zu beschleunigen! Sterben und
Jesus besitzen, sterben und das stürmische Meer
des Lebens verlassen, um in den Hafen
einzulaufen, sterben und von diesem traurigen
Orte der Verbannung in das wahre Vaterland, in
den Himmel gehen; sterben und Gott sehen;
sterben und Gott erkennen; sterben und Gott
lieben eine ganze Ewigkeit hindurch, das, Euer
Hochwürden, ist mein höchstes Verlangen zu
dieser Stunde, das ist der innigste Wunsch
meines Herzens. O! wer wird mir geben, dass ich
sehe diesen glücklichen und beglückten Tag, an
dem meine Seele sich von meinem Leibe trennt,
und sich mit meinem Jesus vereint!
Dann werde ich
versenkt sein in die unendliche Liebe meines
Gottes; hier auf Erden fühle ich mich versenkt
in die Unendlichkeit meines Stolzes und meiner
Eigenliebe. Der Stolz ist in meiner Seele, er
sucht, sie zu beherrschen, sie zu fesseln, über
sie Herr zu werden. Wer bin ich denn? Ich,
Stolze! wer bin ich, um mich für Etwas zu
halten? Sollte ich mich nicht jeden Augenblick
erinnern, dass ich Alles von Jesu habe, von
Seiner Barmherzigkeit, von Seiner Güte und
Seiner Liebe? Wie schwer ist es, den Stolz zu
unterdrücken, diesen Todfeind meiner Seele,
meiner Ruhe und meines Friedens!
Hier folgt nun
meine Tagesordnung: des Morgens beim Aufstehen
versetze ich mich im Geiste vor das
allerheiligste Sakrament; ich opfere Jesu mein
Herz und alle Handlungen meines Tages. Für mein
Aufstehen und Niederliegen habe ich keine
festgesetzte Stunde. Ich stehe morgens zu
gleicher Zeit mit meinen Eltern auf, oder wenn
ich aufwache. Ich lege mich nieder, wenn alles
in dem Hause gut bestellt ist, wenn es nichts
mehr zu tun gibt, und ich das Bedürfnis fühle,
mich dem Schlafe zu überlassen, um mich von
meiner Ermüdung zu erholen. Nach dem Aufstehen
mache ich jeden Tag, wenn ich die Zeit dazu
habe, eine halbe Stunde Betrachtung, zu der ich
mich durch mündliches Gebet vorbereite.
Untertags nehme ich eine fromme Lesung vor, bete
den Rosenkranz und spreche dreimal des Tags
sieben: „Ehre sei Gott dem Vater“. Als Mitglied
der Bruderschaft zu Ehren der allerhl.
Dreifaltigkeit, und dann einige Gebete zur hl.
Jungfrau als Mitglied der Skapulierbruderschaft.
Diese verschiedenen Gebete und Übungen verrichte
ich zur ersten freien Zeit im Laufe des Tags.
Abends bete ich mein Nachtgebet, mache meine
Gewissenserforschung und die geistliche
Kommunion, um mich mit Jesu zu vereinigen. Die
geistliche Kommunion nehme ich auch am Morgen
vor, und einige Mal im Laufe des Tages werfe ich
einen Blick auf den Vormittag, um mich bis zum
Abend noch inniger mit Gott zu verbinden, um Ihn
nicht zu beleidigen und Ihn aus dem innersten
Grunde meines Herzens zu lieben.
Ich faste zweimal
in der Woche, das erste Mal zu Ehren Mariens,
und das zweite Mal zu Ehren des leidenden
Herzens Jesu. Ich tue es jedoch nur mit
Erlaubnis meines Seelenführers.
Hier folgt, wie
ich meine Betrachtung anstelle. Ich versetze
mich in die Gegenwart Gottes, indem ich mich im
Geiste zu den Füßen des Altars verfüge. Bei
irgendeinem Umstande des Leidens Christi halte
ich mich auf. Nach einigem Nachdenken und
einigen Anmutungen, höre ich Jesu Wort;
gewöhnlich höre ich Ihm mit Vergnügen und Lust
zu; ich sage gewöhnlich, denn meine
Nachlässigkeit ist so groß, dass ich Ihm nicht
immer meine Aufmerksamkeit schenke.
Seit ungefähr
zwei Jahren lässt Er mich Seine Stimme hören,
und zeigt mir die Eitelkeit der irdischen Dinge,
die Torheit und das Unglück jener, die sich an
dieselben hängen, hinwiederum die Beständigkeit
der ewigen Güter, was für ein Glück es sei, Gott
zu dienen, und wie notwendig es sei, dass wir
uns ganz Ihm weihen. Er hat mit mir gesprochen:
von der Einheit der drei göttlichen Personen,
von der Größe, Allmacht, Heiligkeit,
Barmherzigkeit und höchsten Vollkommenheit
Gottes. Er hat mich, soviel es mir möglich war,
die Heftigkeit der Schmerzen Seiner Leiden
begreifen lassen; Er hat mir die verschiedenen
Geheimnisse derselben erklärt. Er hat mich einen
Blick werfen lassen in die innige Verbindung,
die zwischen den Geheimnissen Seines Lebens und
den Geheimnissen des Lebens der hl. Jungfrau
besteht, so wie in die wunderbaren Beziehungen
zwischen Gott, den Engeln und den Menschen. Er
hat mir die Hauptwahrheiten des Heils und der
Religion erklärt, Er hat mir die verschiedenen
Mittel gezeigt, die Er uns verleiht, um uns zu
erlösen und so oft Er Seinen hl. Mund öffnet, um
mit mir zu sprechen, findet meine Seele darin
eine neue Nahrung, die sie auf ihrem Wege zur
Wahrheit aufrecht erhält. Wie viel guten Rat,
wie viele liebevolle Anweisungen gibt Er mir!
Mit welcher Güte und Zärtlichkeit tröstet Er
mich, mit welcher Ausdauer lehrt Er mich bei
jeder Gelegenheit mein Kreuz tragen, mit welcher
Sanftmut macht Er mir Vorwürfe, mit welcher
Festigkeit bessert Er, was an mir mangelhaft
ist, mit welch überzeugenden Worten fordert Er
mich auf, meinem Willen zu entsagen, meinen
Neigungen abzusterben, meine Sinne zu bekämpfen,
alles zu tun, um Gott zu gefallen, nichts für
die Welt zu tun, alles im Gegenteil zu wirken
aus Liebe zu Seinem Vater, der da herrscht im
Himmel.
Wenn Er mir eine
Lebensregel meines Verhaltens vorgezeichnet hat,
so fürchte ich immer, ich möchte sie übertreten.
Und wirklich übertrete ich sie auch zuweilen,
alsbald aber hält Er mir es vor und verlangt von
mir, dass ich künftig getreuer sei.
Seit einiger Zeit
macht Er mir keine Vorwürfe mehr, Er behandelt
mich mit Sanftmut, Liebe und Vertraulichkeit. Er
fährt fort, mich zu unterrichten und zu
belehren, und dann beruhigt Er mich, besänftigt
meine Aufregung, zerstreut alles, was meinen
Frieden stören könnte, sagt es mir im Voraus,
wenn der Teufel mich zu verwirren sucht und
verbietet mir seine Stimme zu hören. Er legt mir
die Verpflichtung auf, mich Seiner Vorsehung zu
überlassen, mich mit dem Vertrauen eines Kindes
in Seine Arme zu werfen, all meinen Kummer, all
meine Betrübnis in Sein Herz niederzulegen; dann
spricht Er zu mir über die schönsten Tugenden:
Er lässt mich deren Wesen und Wirkung erkennen;
Er fordert mich auf, dieselben in meiner Seele
zu bewahren, wenn Gott sie daselbst niedergelegt
habe und sie durch größeren Eifer zu verdienen,
wenn sie ihr noch abgehen. Aber auch mitten in
diesem süßen Verkehre mit dem Heilande bin ich
nicht ohne Furcht und ohne Besorgnis, und oft
frage ich mich, ob nicht alles eine Wirkung
meiner Einbildungskraft oder des Teufels sei, ob
ich ihm Glauben beimessen dürfe, oder nicht.
Alsdann benimmt
Er mir meinen Irrtum und versichert mir, dass es
keine Täuschung sei; Er trägt mir auf, alles
meinem Seelenführer zu sagen, und mich auf
denselben zu verlassen. Ich habe dies oft getan
ohne mich jedoch in viele Einzelheiten
einzulassen. Seitdem Sie unter uns weilen,
fordert Er mich noch stärker dazu auf, Sie mit
Allem bekannt zu machen, und zu tun, was Sie mir
befehlen.
Sie haben von mir
verlangt, dass ich Sie mit meinem vergangenen
Leben bekannt mache. Da haben Sie es, wie es
ungefähr ist, soweit ich es erkenne.
Ich vergaß noch,
Ihnen mitzuteilen, dass der Heiland mir öfters
gesagt hat, Er bestimme mich zum Klosterleben
und Er habe mit mir Dinge vor, die noch
verborgen seien. Sein Wille geschehe! Ich will
bestrebt sein, Ihm dabei kein Hindernis in den
Weg zu legen.
Ich muss Ihnen
noch zu wissen machen, dass ich seit ungefähr
einem Jahr alle 14 Tage kommuniziere. Ich hatte
das Verlangen mich dem allerheiligsten
Sakramente häufiger zu nahen, ich habe es aber
sehr oft unterdrückt, weil ich dachte, es käme
dieses Verlangen vielleicht aus meiner
Eigenliebe. Dieses Verlangen wurde indessen so
heftig, dass ich vor 4 oder 5 Monaten den
Heiland bat, Er möge mir das Wahre an der Sache
erkennen lassen; Er antwortete mir: „Meine
Tochter, ich wünsche nicht nur, sondern ich
befehle dir, dass du alle acht Tage
kommunizierst. Ich berufe dich zu einem
vollkommeneren Leben, und nur durch meine
Sakramente wirst du diese Vollkommenheit
erreichen." Seit diesem Augenblicke verschwand
dieser Wunsch. Jesus sprach noch öfters mit mir
auf dieselbe Weise, indem Er mich aufforderte,
meinem damaligen Seelenführer Seinen Willen kund
zu geben und dann zu tun, was er mir befehlen
würde. Er gab mir große Verheißungen, wenn ich
mein Herz meinem damaligen Seelenführer eröffnen
würde und drohte mir ernstlich für den Fall,
dass ich Seine Gnade missbrauchen oder durch
eigne Schuld unbenützt lassen würde.
Ich redete
darüber mit meinem Beichtvater, der mir im Sinne
der Worte Jesu, des Erlösers, antwortete,
nämlich, dass er glaube, in mir die
Seelenstimmung zu finden, welche zur
wöchentlichen Kommunion bei einer Beichte von 14
zu 14 Tagen notwendig oder hinreichend wäre.
So weit war ich
gekommen, als die Vorsehung meinen ersten Hirten
aus der Pfarrei wegnahm und Sie an dessen Stelle
zu setzen. Seitdem habe ich meine wöchentliche
Kommunion fortgesetzt.
Ach! hochwürdiger
Herr, ich weiß es, meine Eigenschaft als
Christin legt mir die Verpflichtung auf, ein
vollkommenes Leben zu führen: aber ich will es
Ihnen nicht verbergen, ich bin noch sehr ferne
von dieser Vollkommenheit. Meine Schwäche ist
sehr groß, meine Feinde sind mächtig, über
ungeheure Gefahren wandeln meine Schritte hin;
ich zittere für mein Heil, wenn nur Gott nicht
ganz spezielle und ganz besondere Gnaden gibt.
Ich beschwöre
Sie, Hochwürden, und ich bitte Sie demütig, mir
doch diese notwendigen Gnaden von Gott zu
erflehen; Sie werden es sicher tun, da Gott Sie
zu meinem geistlichen Vater bestellt hat. Was
mich betrifft, mein Herr, so werde ich als Ihr
Kind in der Demut meiner Seele Gott bitten, Er
wolle die Fülle Seiner Segnungen auf den
ergießen, der sie durch seinen erhabenen Dienst
jeden Tag über die ganze Pfarrei herabzieht.
Gott segne die Herde und den Hirten, und der
Hirt erbarme sich meiner, des elendesten
Schäfleins seiner Herde. Verzeihen Sie, hochw.
Herr, den Mangel an Zusammenhang in meinem
Briefe; ich habe nie eine andere Erziehung
gehabt, als die meiner Mutter, einer armen
Waise, die, wie sie mir oft sagt, schon in einem
Alter von 10 Jahren die Schule für immer
verlassen hatte. Ich hoffe, Ihre Nachsicht werde
groß genug sein, um die Einfalt, mit der ich
Ihnen schreibe, gütig aufzunehmen. Ich habe
diesen Brief heute Nacht geschrieben, in der
Eile und so gut ich konnte, um von niemanden
gesehen zu werden. Genehmigen Sie, Herr Pfarrer,
die Versicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung, mit welcher ich die Ehre habe zu
sein,
Ihre
demütigste und
ehrfurchtvollste Dienerin
Marie Lataste.
Mimbaste den 13.
Februar 1842.
II. Brief.
Verschiedene Gnaden, die Jesus der Marie Lataste
gewährt. Sie sieht Ihn zum ersten Male. Die drei
Arten des Gebetes, welche sie von dem Erlöser
gelernt hat.
Herr Pfarrer!
Ich habe nichts,
was vor Ihnen verborgen wäre,
Sie sind mein
Seelenführer und müssen also auch der Herr
meiner Seele sein. Ich möchte in einer Art auf
den Besitz meiner Seele verzichten können, um
dieselbe Ihnen zu überlassen. Ich weiß nicht,
wie ich sie führen soll; Sie aber wissen es.
Ach! dass ich meine Seele nehmen und Ihnen sagen
könnte: Ich lasse sie in Ihren Händen, tun Sie
damit, was Ihnen gefällt; befehlen Sie ihr, sie
wird Ihnen gehorchen; verfügen Sie über
dieselbe, wie über Ihre eigene Seele; ich will,
dass sie Nichts tue, außer was Sie wollen, weil
Sie immer nur das wollen können, was Gottes
Wille ist.
Wenn ich Ihren
Befehlen folge und Ihre Verordnungen
vollstrecke, so werde ich mich niemals irren;
aber was soll aus mir werden, wenn ich mir
selbst überlassen bin? Was geht dann in mir vor?
Wo gehe ich hin?
Bin ich in Gottes
Hand oder ich bin ein Opfer der Arglist des
Teufels, der sich in einen Engel des Lichtes
verwandelt? Sie allein können mich aufklären,
Sie allein können mich führen, Sie allein können
mich auf dem guten Wege erhalten, wenn ich aus
demselben bin und mich vom bösen Wege wieder
zurückbringen, wenn ich dem Abgrunde zulaufe.
Sie sind mein Vater, Sie sind der sichtbare
Engel meiner Seele; seien Sie also mein
Beschützer und mein Führer, ich überlasse mich
Ihnen. Ich bleibe in mir, aber nur um nach Ihren
Wünschen zu wandeln, um nach Ihrem Willen zu
handeln.
Ich habe Ihnen
von den Gnaden gesprochen, die ich von dem
Heilande Jesus erhalten zu haben glaube. Nun
rechne ich unter die größten, die mir geworden,
die Gnade, dass mein Geist und mein Herz zum
allerhl. Sakrament des Altars hingezogen wird.
Der Tabernakel Jesu ist der Ort, wohin ich mich
am liebsten zurückziehe, verberge und ausruhe.
Da finde ich ein Leben, das ich nicht zu
beschreiben vermöchte, eine Freude, die ich
niemand begreiflich machen kann, einen Frieden,
wie man ihn auch unter dem gastlichen Dache der
besten Freunde nicht findet. Der Tabernakel Jesu
ist ein Schutzdach wider alle meine Feinde,
wider den Teufel, wider die Welt, wider meine
Leidenschaften, wider meine ungeordneten
Neigungen; Jesus ist eine Stütze meiner
Schwäche, ein Trost im Schmerze, eine Waffe im
Kampfe, eine Erfrischung in der Hitze, eine
Nahrung im Hunger, eine Erholung in der
Müdigkeit, ein Himmel auf Erden. Der Tabernakel
Jesu ist mein Reichtum in meiner Armut, mein
Schatz in meiner Dürftigkeit, mein Kleid in
meiner Nacktheit, meine Krone in meinem Elende;
der Tabernakel Jesu ist mein Gott und mein
alles, mein Jesus und mein Erlöser ! O
Tabernakel meines Gottes, o mein Gott im
Tabernakel des Altars! O Altar mit dem
Tabernakel meines Gottes!
Wie groß war mein
Glück an jenem Tage, wo ich meine Seele mit
einem innerlichen Licht erleuchtet und mein
ganzes Wesen zu dem allerhl. Sakramente des
Altars hingezogen fühlte! Ich konnte diesem Zuge
nicht widerstehen. Meine Füße trugen mich so zu
sagen von selber und ohne Anstrengung hin. Ich
bemerkte nichts auf meinem Wege; ich sah weder
Gärten, noch Felder, noch Wiesen, noch Männer,
noch Frauen; ich sah nur den Tabernakel an allen
Orten, überall. Ich wandelte hin und glaubte vor
dem Tabernakel zu sein. Ich sah Ihn nicht mit
den Augen des Leibes, wohl aber mit denen der
Seele. Endlich trat ich in die Kirche ein. O
Freude! o Glück! O Seligkeit! Ich erblickte
Jesus auf dem Altare von Seinen Engeln umgeben.
Ich sah Ihn jedoch nur auf unvollkommene Weise.
Es schien mir, als ob eine unmerkliche Wolke
mich hinderte Ihn zu sehen, wie Er wirklich war.
So kam ich wieder zu Ihm. Mein Herz heftete sich
mehr und mehr an Ihn, und auch meine Augen sahen
Ihn immer klarer. Ich hielt mich bescheiden in
einem Winkel der Kirche, indem ich Jesus
betrachtete, aber nicht wagte Ihm zu nahen. Da
näherte Er sich mir, rief mich voll Güte zu sich
und segnete mich. Alsdann sah ich Ihn deutlich.
Ein glänzenderes Licht erschien vor meinen
Augen. Ich erblickte Jesus unter der Gestalt
eines Mannes voll Majestät und Milde. Er flößte
mir Liebe, Güte und Zärtlichkeit ein. Seit
diesem Augenblicke missfällt mir die
Gesellschaft der Menschen unaufhörlich; ich
möchte sie auf immer fliehen und mich mit Ihm in
den Tabernakel verschließen. Ich hätte immer bei
Ihm bleiben mögen; allein, wenn Er vor meinen
Blicken verschwand, wenn ich Sein Licht nicht
mehr sah, so nahm ich mein Herz, verschloss es
in den Tabernakel und zog mich zurück.
Eines Tages
erschien mir Jesus nach Seiner Gewohnheit, Er
rief mich in Seinen Tabernakel; dann verschwand
plötzlich der Glanz Seines Lichtes und ich hörte
Seine Stimme zu mir sagen: „Meine Tochter, ziehe
dich zurück." Ich zog mich zurück, die Seele
erfüllt mit Kummer und Schmerz.
Ich kam mehrere
Tage hintereinander wieder und sah Ihn nicht
mehr. Wie schwer fiel mir dieser Verlust des
Anblickes Jesu! Ich sagte zu mir selbst: Deine
Sünden sind es, welche den Verlust dieser Gnade
verschuldet, und ich demütigte mich vor dem
Herrn, indem ich als Sühne für meine Sünden und
Missetaten meine vollkommene Unterwerfung unter
Seine Wünsche Ihm darbrachte. Doch einige Zeit
darauf bemerkte ich Jesus auf dem Altare. Der
Priester feierte die hl. Messe und nach der
Kommunion sagte mir der Heiland: „Meine Tochter,
bleibe bei dem Geländer; du wirst nie weiter
vordringen, wenn ich dir nicht das Recht dazu
gebe." ---„Herr“, sagte ich zu Ihm, „ich werde
dies immer nach Deinem Willen tun." --Um mich zu
prüfen, jagte Er mich sogleich aus der Kirche;
ich blieb außerhalb auf den Knien, indem ich
wartete, ob Er mir nicht von neuem öffnen wolle.
Nach einem langen Augenblick rief Er mich und
erlaubte mir, mich vor Ihm niederzuwerfen und
Seine Füße zu umfangen.
Ungefähr ein Jahr
lang war mein Platz am Geländer. Ich hatte nicht
das Recht, weiter vorzudringen. Nur manchmal
zeigte sich Jesus mir in meinem Herzen, welches
dann wie ein prächtiger Tempel war, wozu der
Eintritt mir nie untersagt war. Ich sah Ihn dann
wirklich wie in einer Kirche und ich brachte Ihm
meine Huldigung und schuldige Anbetung dar. In
meinem Herzen war ein Altar, ein Tabernakel, ein
Thron, ein Geländer. Der Altar war von Gold der
Tabernakel von Gold, der Thron von Gold, das
Geländer von Gold. Auch eine prachtvolle Lampe
war darin, deren Licht glänzender als die Sonne
war. Mein Schutzengel zündete dieselbe an, bevor
Jesus in mein Herz eintrat.
In diesem ersten
Jahre, wo Jesus mich entweder zu Sich rief, oder
mich von Sich fern hielt, wo Er sich mir zeigte
oder Sich vor meinen Blicken verhüllte, lernte
ich meine Betrachtung machen.
Er selbst hat mir
das Betrachten gelehrt; er lehrte es mich auf
dreierlei Arten in drei verschiedenen Zeiten und
an drei verschiedenen Orten. Anfangs, oder
vielmehr damals, als Er mir befahl bei dem
Geländer zu bleiben, lehrte mir der Heiland, wie
wenn Er mich dafür entschädigen wollte, dass ich
Ihm nicht mehr nahen durfte die erste Art der
Betrachtung: „Meine Tochter", sagte Er zu mir,
„Ich habe zuerst den Menschen ein Beispiel
gegeben, damit sie handeln, wie ich gehandelt
habe. Ich diene dir, wie allen andern Menschen
als Musterbild. Sieh Mich an und folge Meinen
Fußstapfen. Denke an Mein demütiges und
verborgenes Leben in Nazareth, an Mein
öffentliches Leben in Judäa und Galiläa, an Mein
Leiden, an Meinen Tod. Betrachte Mein Leben wie
ein Gemälde und bilde dieses Gemälde in dir nach
durch das Verlangen deines Herzens und deiner
Seele.
So habe ich
angefangen, das Betrachten zu lernen. Ich
betrachtete das Leben Jesu und bat Gott, Er möge
mir die Gnade geben, es so vollkommen als
möglich nach meinem Alter und Stand nachzuahmen.
Einige Zeit
nachher verlor ich diese Art der Betrachtung
gänzlich aus den Augen und ich war vor dem
Heiland wie ein Wesen ohne Vernunft und
Verstand. Ich, bat Jesu, Er möge mir zu Hilfe
kommen, mich unterstützen, mir das Betrachten
lehren. Durch diese Worte Jesu kam wieder Licht
in meinen Geist, Er lehrte mir eine noch
vollkommenere Art des inneren Gebetes.
Seit dieser Zeit
habe ich auf folgende Weise betrachtet. Ich
begann damit, dass ich mich in Gedanken an die
Stufen des Altars versetzte und daselbst mich
vorbereitete. Ich entfernte jeden fremdartigen
Gedanken und erfüllte mich mit dem Gedanken an
die Gegenwart Gottes und mit dem Gegenstande
meiner Betrachtung.
Gewöhnlich wählte
ich einen Umstand aus dem Leiden Jesu, und wenn
ich Alles gesehen hatte, wie wenn ich zugegen
gewesen wäre, kehrte ich zu Jesus im Altare
zurück, um meine Anmutungen zu machen und sie
Ihm darzubringen. Dann bat ich Ihn, Er möge
Seine Gnaden über meine Seele ergießen, und
endete meine Betrachtung. Ich vergaß, zu sagen,
dass ich mich dabei immer im Geiste entweder in
den Ölgarten, oder in dem Vorhof, oder an den
Kalvarienberg, oder an das in den Felsen
gehauene Grab versetzte.
Diese Art zu
betrachten, habe ich ungefähr ein Jahr lang
geübt. Der Heiland lehrte mich dieselbe eines
Tages, als Er mir erlaubte vor das Geländer und
bis zum Altare zu gehen, wo Er aus einem Throne
saß.
Eines Tages nun
fand ich den Erlöser in meinem Herzen. Er
erschien mir lächelnd. Ich warf mich auf die
Knie und sagte zu Ihm: „Ich liebe Dich, Herr,
erbarme Dich Deiner demütigen Dienerin." In
diesem Augenblick lehrte Er mich eine neue Art
der Betrachtung, sie scheint mir die
vollkommenste von diesen drei Arten zu sein und
ich habe sie seitdem immer geübt.
Nach diesen neuen
Belehrungen meines Erlösers mache ich meine
Betrachtung auf folgende Art. Ich beginne damit,
dass ich mich in die Gegenwart Gottes versetze
durch Übungen des Glaubens und der Anbetung: ich
erwecke in mir Gesinnungen der Demut und der
Reue. Ich vereinige mich mit Jesus durch die
brennendste Liebe meines Herzens.
Nachdem ich so
meinen Geist mit dem Heilande vereinigt, erhebe
ich ihn zu Gott dem Vater, indem ich Ihn bitte,
dass Er mir zu meiner Betrachtung Seinen hl.
Geist senden möge. Hierauf unterhalte ich mich
mit Jesus über igrendeinen Umstand Seines
Lebens, Seines Leidens oder Seines Sterbens. Ich
höre Seine Worte; ich empfange die Eingebungen,
welche die Gnade Gottes mir zugehen lässt; ich
ergreife mein Herz und opfere es Ihm auf zum
Danke für all das, was Er für mich getan. Ich
schließe meine Betrachtung damit, dass ich Gott
allen Kummer, allen Widerspruch, alle Leiden
meines Lebens in Vereinigung mit denen des
Lebens Jesu aufopfere; ich stelle Ihm alle
Verdienste Jesu vor zur Sühne für meine Sünden;
ich beschwöre Ihn, mit mir Erbarmen zu haben,
mir Seine Gnade zu gewähren, mich als Sein Kind
anzunehmen, alle meine Handlungen, alle
Augenblicke meines Lebens zu segnen. Endlich
falle ich nieder zu den Füßen Jesu, übergebe
mich Ihm von neuem und bitte Ihn, Er wolle mich
segnen und über mich wachen. Alle meine
Betrachtungen sind nicht gleich fruchtbringend.
Ich fühle mich
nicht immer auf dieselbe Weise zu Jesus
hingezogen. Ich bin oft ohne Gefühl, ohne Liebe
zu Ihm. Meine Gleichgültigkeit geht über jeden
Ausdruck. Wie bin ich elend, undankbar und
sündhaft! Wie viel Ursache habe ich mich zu
verdemütigen!
Beten Sie für
mich, Herr Pfarrer, haben Sie Mitleid mit Ihrem
Kinde. Sie kennen mein Elend und mein Nichts.
Helfen Sie mir, halten Sie mich aufrecht,
unterstützen Sie mich, führen Sie mich, stärken
Sie mich, retten Sie mich, ich übergebe mich in
Ihre Hände und ich erneuere Ihnen die
Versicherung der tiefsten Ergebung, mit welcher
ich verbleibe
Ihre
demütige Dienerin
Marie Lataste.
Mimbaste den 10.
März 1842.
III. Brief.
Marie wählt zwischen Jesus und Satan
Herr
Pfarrer!
An einem Sonntag
vor der hl. Messe habe ich Folgendes erfahren.
Der Heiland hatte
vor dem Anfang des hl. Messopfers Seine Stimme
den Gläubigen vernehmen lassen;
Er hatte ihnen
die Eitelkeit der irdischen Dinge und die
Nichtigkeit der weltlichen Vergnügungen gezeigt.
Nicht Eines Seiner Worte ist mir entgangen.
Plötzlich wendete Sich Jesus zu mir und sagte in
ernstem Tone und mit großer Festigkeit:
Welcher Partei
willst du angehören, der Welt und dem Teufel,
oder deinem Erlöser und deinem Gotte? Wenn du
die Partei der Welt und des Teufels ergreifst,
so erwartet dich ewiges Unglück, aber dagegen
wirst du diesem entgehen, wenn du Meine Partei
ergreifst. Unter Meiner Fahne wirst du alle
Arten von Kummer, Trübsalen und Kämpfen zu
erdulden haben; allein das Kreuz wird dich zum
Himmel führen; wähle also"! --- In diesem
Augenblicke war ich mir selbst überlassen; Gott
ließ mich allein und vollkommen frei über meinen
Willen verfügen. Ich blieb einen Augenblick wie
jemand, der nachdenkt und überlegt; dann führte
mich ein sanfter Zug zu Gott hin. Ich konnte
diesem Zuge nicht widerstehen, und mein Wille
fühlte sich glücklich, sich für die Partei Jesu
aussprechen zu dürfen.
Der Erlöser sagte
mir hierauf: „Meine Tochter, es ist noch nicht
genug, dass du Meine Partei ergriffen hast; du
musst dieselbe auch niemals aufgeben und musst
Mir immer treu bleiben. Versprich Mir, dass du
niemals freiwillig und vorsätzlich eine Sünde
begehen und alle Gelegenheiten zur Sünde
vermeiden wollest." ---
Ich war in diesem
Augenblick in der Nähe des Altars, weil der
Heiland mich zu Sich gerufen hatte. Ich fühlte
nicht die Kraft, dieses Versprechen zu machen.
Alsdann machte Jesus statt meiner dieses
Versprechen: „Ich verspreche, die Sünde zu
vermeiden, selbst die kleinste, und von nun an
wird nichts im Stande sein, mich zu einer
vorsätzlichen Sünde zu verleiten. Ich
verspreche, Gott treu zu sein. Ich nehme zum
Zeugen für mein Versprechen den Altarstein, auf
welchem Sich Jesus Christus täglich zur Tilgung
der Sünden der Welt opfert. Dieser Altar sei
somit das sichtbare Zeichen meines Versprechens,
und er möge mich jedesmal daran erinnern, so oft
meine Augen ihn erblicken." Ich gab dieses
Versprechen ab, nachdem ich es aus dem Munde
Jesu gehört. ---„Endlich, meine Tochter“, sagte
Er zu mir, „versprich noch, Du wollest dich
niemals schämen, Mir anzugehören." ---„Herr",
sagte ich sogleich, „mit Deiner Gnade verspreche
ich es von ganzem Herzen." ---„Da dem also ist,"
fuhr Er fort, „so trage Mein Kreuz immer frei
und offen, zum Beweise für die Aufrichtigkeit
deines Versprechens." --Seit diesem Augenblick
habe ich neue Kraft und Stärke in mir gefühlt;
seit diesem Augenblick habe ich mich Gott
aufrichtig hingegeben. Diese Ausopferung meiner
selbst habe ich durch Jesus vollbracht; und
durch Ihn dauert sie auch immerdar fort.
--Könnte ich Etwas aus mir selbst? Nein, nein,
ich weiß es und Sie wissen es auch, mein Herr,
aber ich setze mein Vertrauen auf Jesus und
überlasse mich Ihm.
Wachen Sie über
meine Seele, wachen Sie über das Leben Ihres
Kindes, mein verehrter Vater; durch Sie bleibe
ich in Jesus, durch Jesus bleibe ich in Gott.
Ich bitte für Sie
bei Gott, um die Gnaden, die Ihnen notwendig
sind zur Leitung der Seelen überhaupt und zur
Leitung meiner Seele insbesondere; ich bitte
ihn, dass er Sie segne, beten Sie auch viel für
eine arme Sünderin, wie ich eine bin.
Ich bringe Ihnen,
Herr Pfarrer, den Ausdruck meiner ergebensten
Gesinnungen dar,
Ihre
demütige Dienerin
Marie Lataste
Mimbaste den 23.
März 1842.
IV. Brief
Die dreifache Einsamkeit der Marie Lataste.
Herr
Pfarrer!
Derjenige,
welcher zu mir spricht, sprach als die
Einsamkeit: „Meine Tochter, ich habe drei Arten
von Einsamkeit für dich ausgewählt; ich habe
dich mit denselben bekannt gemacht, indem ich
dich dort einführte. Die erste ist die Wohnung
deiner Familie, welche in einem kleinen Dorfe,
fern von dem Geräusche der großen Städte liegt,
und folglich eine wahre, wirkliche Einsamkeit,
weil sie dort einsam und unter den Augen Gottes
leben. Die zweite ist die Kirche deiner Pfarrei,
in welche du kommst, um dich von Allem zu
trennen, was nicht Gott ist, um Gott anzubeten,
Ihn um Seine Gnaden und Gaben zu bitten. Die
dritte ist dein Herz, eine innere Einsamkeit, zu
der nie Jemand Zutritt erhält, wenn du dasselbe
ganz deinem Heilande aufbewahrst, der allein
Herr und Meister desselben sein will.
Die andern Arten
der Einsamkeit sind äußerlich, diese ist
innerlich, verborgen, allen Blicken verhüllt;
sie ist auch vollkommener als die beiden andern.
Man kann die Einsamkeit des Herzens genießen,
ohne in der ersten Einsamkeit zu leben, ohne in
einer Wüste eingeschlossen oder an einem
entlegenen Orte zu sein. Man kann die Einsamkeit
des Herzens genießen, ohne vor dem geweihten
Heiligtum sich zu befinden; aber man wird die
beiden ersten Arten der Einsamkeit nicht
genießen, wenn man nicht die Einsamkeit des
Herzens besitzt.
„Und wirklich,
meine Tochter, vergeblich würdest du dich Tag
und Nacht in meine Tempel einschließen, wenn du
nicht die Einsamkeit des Herzens besäßest, so
wärest du durchaus nicht einsam; vergeblich
würdest du dich tief in eine Wüste zurückziehen,
fern von den Menschen und von der ganzen Welt,
wenn du nicht die Einsamkeit des Herzens
besäßest, d. h. wenn dein Herz nicht losgerissen
wäre von dem, was in der Welt zugeht, von den
Festen, von den Vergnügungen und Torheiten der
Welt, wenn dein Herz von den irdischen Dingen,
welche so schnell vergehen und verschwinden,
ganz eingenommen wäre, so würdest du durchaus
nicht einsam sein. „Wenn du andrerseits in der
Welt und mit der Welt verkehrtest, wenn du mit
dem Verkehre der Welt in Verbindung ständest, so
könntest und würdest du auch wahrhaft einsam
sein, wenn dein Herz in der Welt wäre, als wäre
es nicht darin, weil es dann vollständig
losgerissen von allem und innig verbunden mit
Gott sein würde. „Die wahre Einsamkeit besteht
also in der Entfernung von allem, was irdisch
ist, in der Entfernung von der Wett, von den
Menschen, und in der Annäherung zum Himmel und
zu Gott."
„Du kannst die
Herzenseinsamkeit nicht aus dir selbst erwerben.
Sie ist eine Gabe Gottes, um indessen sie zu
haben und zu besitzen, genügt es, Gott darum zu
bitten mit einem großen Verlangen nach ihrem
Besitze. Gott verweigert sie niemals; denn Er
wünscht sehnlichst, dass Alle ihr Leben in der
Einsamkeit des Herzens zubringen möchten."
„Die äußerlichen
Arten der Einsamkeit, die Klöster, die Einöden,
die hl. Stätte sind so zu sagen nur der Weg zur
Einsamkeit des Herzens. Wie viele Seelen hätten
niemals diese Herzenseinsamkeit gefunden, wenn
sie dieselbe nicht in der äußerlichen Einsamkeit
gesucht hätten. Wenn man indessen, wie es
wirklich vorkommen kann, nicht in der Lage ist,
die Einsamkeit des Herzens durch äußere
Einsamkeit zu suchen, so verweigert sie Gott
auch jenen nicht, die sich in solchen
Verhältnissen befinden.
„Die Einsamkeit
des Herzens ist eine Gabe Gottes. Gott lässt sie
zukommen, so wie es Ihm gefällt, und durch die
Mittel, die ihm als die wirksamsten erscheinen,
als: großes Verlangen nach dieser Einsamkeit,
beharrliche Anstrengungen der Seele, in dieser
Einsamkeit zu leben, Losreißung von den Gütern
und dem Geräusche der Welt, eifriges und
beständiges Gebet."
„Ich habe dir die
drei Arten der Einsamkeit angegeben; die erste
hat dich zur zweiten geführt. Wenn man die Welt
nicht kennt; wenn man ihre Worte nicht hört;
wenn man durch ihre Feste und Vergnügungen nicht
gestört wird: so kennt man Gott; so hört man
Sein Wort und lebt friedlich in Seinem Dienste.
Man kennt Gott und um Ihn noch mehr kennen zu
lernen, naht man Seinem Tempel, Seinem Altare,
man kommt in die Einsamkeit, die Ich dir an
zweiter Stelle geoffenbart und angegeben habe,
nämlich an die hl. Stätte. Dort lernt man durch
die Ehrfurcht, die man der göttlichen Majestät
schuldet, sich von Allem zu trennen, nur an die
göttliche Majestät selber zu denken, und wenn
dieser Gedanke allein in der Seele wohnt, so ist
sie wahrhaft einsam. Diese zeitweilige
augenblickliche Einsamkeit des Herzens führt zu
der fortgesetzten, immerwährenden Einsamkeit,
weil die Seele sehr schnell begreift, dass, wenn
auch die Kirche der Tempel Gottes und die Stätte
ist, wo man besonders Ihn verehren und Seine
Gegenwart anbeten soll, doch auch das Weltall
ein prächtiger Tempel Gottes sei, den Er sich
mit Seinen eigenen Händen erbaut hat, und der
überall Seine Allmacht und Seine Ehre verkündet.
Deshalb denkt die Seele, die sich von allen
Seiten von Gott umgeben sieht, nur mehr an Ihn
und lebt vollständig einsam in ihrem Herzen.
Hast du nicht selber dies erfahren, meine
Tochter? ---,,Eine einsame Seele hat beständig
das Auge auf sich selbst, auf ihre Feinde und
auf Gott gerichtet."
,,Sie hat das
Auge auf sich selbst gerichtet, sie untersucht
immer, ob ihr Leben ein entschiedenes Hinwandeln
zu Gott ist; ob sie mit den Gaben Gottes
entsprechend mitwirke, ob ihr Eifer sich mehre
oder erschlaffe; sie sieht die Ursachen und die
Beweggründe davon, und ist darauf bedacht, sie
zu entfernen.
„Sie hat das Auge
auf ihre Feinde gerichtet; sie überraschen sie
niemals. Die Einsamkeit ist für diese Seele ein
erhöhter Ort, von wo aus sie alle umliegenden
Gegenden beherrscht. Die Einsamkeit ist für
diese Seele ein geschickter Kundschafter, der
ihr alle Bewegungen, alle hinterlistigen
Nachstellungen, alle Vorbereitungen des Teufels,
der Welt und der Leidenschaften angibt. Darum
ist auch für eine solche Seele der Sieg nicht
schwer. Da ihre Feinde sich entdeckt wissen, so
suchen sie häufig nicht zu kämpfen und fliehen
beschämt und verwirrt davon.
„Sie hat das Auge
auf Gott gerichtet, um Seinen Willen bis ins
Kleinste zu erfüllen. Gott spricht zu ihr, und
weil sie einsam ist, so hört sie Seine Stimme,
welche ihr Herz durchdringt. Gott gibt ihr Seine
Gnaden und weil sie einsam ist, so ist sie stets
bereit, dieselben zu empfangen, sie zu benützen,
und Dem zu danken, Der ihr dieselben gibt. Gott
naht ihr, sie nimmt Ihn eifrig und ohne Zögern
auf, und zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpfe
entsteht eine innige Vertraulichkeit, welche das
Glück der Seele bildet und das Herz Gottes,
ihres Vaters, erfreut."
All die großen
Heiligen im Himmel haben in dieser Einsamkeit
des Herzens gelebt. Diese Einsamkeit war ihre
Wonne; sie fanden in ihr Kraft und Mut in den
Kämpfen des Lebens, Trost in ihren Leiden und
Trübsalen, Licht in ihren Arbeiten und in ihrem
apostolischen Wirken, Schutz gegen alle
Gefahren, eine sichere und gewisse Auffahrt zur
ewigen Seligkeit.
„Die Einsamkeit
des Herzens gefällt Mir und Ich liebe sie vor
Allem. Die ganze Ewigkeit hindurch habe Ich in
dem Schoße meines Vaters geruht, Ich ruhe noch
darin, und werde ewig darin ruhen, getrennt von
allem, um nur das Leben Meines Vaters zu leben
und kein anderes Leben zu haben, als das
Seinige. Die Einsamkeit des Herzens in dem Leben
der Seelen ist das Abbild von der ewigen
Einsamkeit, die Ich in dem Schoße Gottes finde,
weil Ich Sein Wort bin, und das ist der Grund,
warum Ich die Herzenseinsamkeit so sehr liebe.
Als Fleisch
gewordenes Wort Gottes hatte Ich, wie du, Meine
Tochter, eine dreifache Einsamkeit: Die
Einsamkeit Meiner Wohnung in Nazareth, die
Einsamkeit in der Welt, die da war der Tempel,
in welchem Ich Gott Meinen Vater anbetete; die
Einsamkeit Meines Herzens, in welcher Ich von
dem Beginne Meines Lebens an bis zu Meinem
letzten Seufzer am Kreuze Ihm das Opfer der
Versöhnung für die Sünde des Menschen
darbrachte.
„Mein ganzes
Leben war ein Leben in der Einsamkeit. Ich bin
einsam gewesen, d. h. getrennt von den Menschen,
schon bei Meiner Geburt. Ich bin einsam gewesen,
d. h. getrennt und zurückgestoßen von den
Menschen bei Meiner Flucht nach Ägypten. Ich bin
einsam gewesen, d. h. ungekannt von den
Menschen, losgeschält von den Dingen der Welt,
während Meines verborgenen Lebens zu Nazareth.
Ich bin einsam gewesen, mitten unter Meinen
Aposteln, welche Gottes Sache nicht begriffen,
und die Mich im Angesichte Meiner Feinde
verließen."
Ich habe 40 Tage
lang in der Einsamkeit der Wüste gelebt. Ich zog
mich oft in die Einsamkeit zurück, um Gott,
Meinem Vater, die Ihm gebührende Huldigung
darzubringen. Wenn Ich die Menschheit mit
Verbrechen belastet und die Empörung gegen
Meinen Vater sah, so fand Ich Mich einsam, d. h.
allein im Stande, der göttlichen Gerechtigkeit
hinreichende Genugtuung zu geben.
„Die ganze Welt
war eine ungeheure Einsamkeit; Ich war, wie der
Prophet sagt, der Pelikan in dieser Einsamkeit.
„Meine Tochter,
liebe die Einsamkeit des Herzens, lass dich
durch Meine Gnade in die Einsamkeit führen;
verschönere dieselbe durch all meine Tugenden,
mache sie dadurch mehr und mehrwürdig, Mich
aufzunehmen. Dorthin in diese Herzenseinsamkeit,
will Ich kommen, um dich zu unterrichten, dir
die Wahrheit zu zeigen, dich Gott kennen zu
lernen und das, was von Ihm kommt; dort will Ich
dich mit den Wohltaten Meiner Liebe und
Zärtlichkeit überhäufen; dort will Ich dich
einen Bick werfen lassen in die Seligkeit des
Himmels und einen Vorgeschmack davon dir geben.
„Die Einsamkeit
des Herzens wird für dich die wunderbare Arche
Noahs sein, in welche Ich will, dass du
eintrittst, um dich aus dem stürmenden Meere der
Welt zu retten. Ich werde diese Arche führen,
und sie wird nicht auf dem Berge des Fluches und
der Furcht ankommen, sondern auf dem Berge des
Segens und der Liebe."
Dieses, Hr.
Pfarrer, habe ich gehört. Ich bitte Sie jedoch
zu glauben, dass ich durchaus nicht auf meiner
Meinung bestehe. Es scheint mir, dass Jesus
diese Worte an mich gerichtet habe, wenigstens
ist es jemand, der in Seinem Namen spricht. Es
wird Ihnen leicht sein, zu sehen und zu
unterscheiden, wer derjenige ist, der so zu mir
redet. Ich werde mich in allem und überall Ihrer
Entscheidung und Ihrem Willen unterwerfen.
Wollen Sie
gütigst fortfahren, Herr Pfarrer, Ihre
wohlwollende Sorgfalt mir allezeit zuzuwenden,
und mich durch Ihre Belehrungen und liebevollen
Rat zu unterstützen, dass ich Gott immerdar
liebe und niemals von Ihm mich trenne.
Empfangen Sie die
Versicherung meiner tiefsten Erkenntlichkeit und
ehrfurchtsvollsten Gesinnungen, mit welchen ich
verbleibe,
Herr Pfarrer,
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste den 3.
April 1842.
V. Brief.
Wirkungen, welche der leibliche Anblick Jesu auf
Marie Lataste hervorbrachte. Ihre Gefühle dabei.
Herr Pfarrer!
Sie haben mir
anbefohlen, Sie von allem dem in Kenntnis zu
setzen, was in mir vorgeht, seitdem ich Jesus
Christus äußerlich wahrnehmbar vor meinen Augen
gegenwärtig hatte und Ihm meine Huldigung
darbringen durfte. Ich werde Ihnen Nichts
verbergen von dem Zustande, in welchem ich mich
befinde. Ich werde Sie zu gleicher Zeit mit den
Neigungen meiner Seele bekannt machen. Verzeihen
Sie mir, wenn ich in meiner Erzählung zu
weitschweifig bin; vielleicht werde ich, ohne es
zu wollen, Unnützes sagen; ich will nur Eines,
ich will Sie mit Allem bekannt machen, und Ihnen
Alles enthüllen, was in mir vorgeht.
Bis zu dem Tage, wo es
mir gegönnt war, Jesus Christus leibhaftig
gegenwärtig vor mir zu haben und Ihn anzubeten,
habe ich nur das Leben eines Kindes gelebt. Als
der Heiland Jesus mir zum ersten Male erschien,
fühlte ich plötzlich mehr Festigkeit, mehr Kraft
und mehr Mut in mir; ich fühlte mich mehr zu
Gott hingetrieben und mehr von der Welt
losgerissen, mir selber mehr Feind, nachgiebiger
gegen den Nächsten und strenger gegen mich
selbst, und dieses fast ohne die geringste
Anstrengung von meiner Seite. Diese Gesinnungen
meiner Seele nehmen täglich zu in dem Maße, als
meine Augen mehr und mehr den Heiland
betrachteten und meine Ohren Seine Stimme
hörten, und die Finsternisse meines Geistes sich
zerstreuten. Ich betrachtete mich wie einen
Obstbaum, den der Morgentau und die Tagessonne
befruchten, ohne dass er es verdient, und gerne
würde ich tausend Jahre auf diese Weise leben.
Gott aber denkt nicht, wie wir arme Geschöpfe,
die wir nicht wissen, was uns gut tut und was
uns das Zuträglichste ist. Er entzog mir Seine
leibliche Gegenwart und ich fiel in Schwäche,
Mattigkeit und Schlaffheit. Ich fühlte eine sehr
starke Müdigkeit und konnte nirgends Ruhe
finden; mein Herz war voll Kummer, Traurigkeit
und beständiger Ungeduld. Bald wäre ich mutlos
geworden. Ich fühlte, wie in mir meine
Leidenschaften und verkehrten Neigungen ihre
Stimme erhoben; ich fürchtete, zu Grunde zu
gehen und das traurige Opfer der Sünde zu
werden.
Eines Tages jedoch
überwand ich mich und sagte zu mir selbst: „Wie
feig und furchtsam bin ich! O, Gott wird mich
gewiss nicht verlassen! Ich warf mich auf die
Knie und rief mit lauter Stimme zum Himmel:
„Herr, Dein Wille geschehe! und erbarme Dich
meiner!" Jesus, der Heiland wartete
wahrscheinlich nur auf diesen Beweis meiner
vollkommenen Ergebung, denn Er zögerte nicht
lange mehr, bis Er Sich von Neuem meinen Augen
zeigte. Welch sanftes Licht umfloss Seinen Thron
und Ihn selber! Wie glücklich war ich wieder in
diesem Augenblicke! Das Licht fiel auf mich,
durchdrang mich, erleuchtete mich, stärkte mich
und entzündete mich mit Liebe zu Gott. Dennoch
hatte ich, hochwürdiger Herr Pfarrer, täglich so
viel Kraft, um zu Jesus sagen zu können: Herr,
wenn es Dir gefällt, so bringe ich Dir auch die
Süßigkeit Deiner Gegenwart zum Opfer." --- Bis
jetzt fährt Er zwar noch fort mir zu erscheinen;
bald aber werde ich Ihn nicht mehr sehen; schon
hat Er es mir angekündigt! Sein Wille geschehe!
Ich will Sie auch mit
meinen natürlichen Gefühlen bekannt machen. Seit
meiner Kindheit fühlte ich mich immer zu Großem
und Hohem hingezogen, weit über das, was ich
beanspruchen durfte. Ich glaubte nicht, dass ich
dazu erschaffen sei, ein verborgenes Leben in
einem so kleinen Dorfe, wie Mimbaste, zu führen.
Wie oft habe ich gewünscht einer reichen und
vornehmen Familie anzugehören, die mir eine
glänzende Erziehung hätte geben, und so mir den
Weg zur Auszeichnung hätte erleichtern können.
Ich verbarg jedoch dieses Alles im Grunde meines
Herzens, und teilte meine Gedanken niemandem
mit. Ich unterhielt diese geheimen Vorstellungen
in meiner Seele und litt darunter, dass ich sie
nicht verwirklichen konnte. Ich sage es Ihnen
ohne Hehl, so groß war der Stolz meiner Seele!
Wie notwendig war es,
dass mit meinem Innern eine Umänderung vorgehe!
Ich weiß nicht, ob Jesus, der Heiland, durch
Seine Gnade all das, was in mir Mangelhaftes
war, vollständig umgearbeitet habe. Ich weiß
nicht, ob ich hoffen darf, dass ich immer nach
der Vollkommenheit streben werde; aber es
scheint mir doch, dass Jesu Werk in mir nicht
vergeblich gewesen sei. Ich liebe noch die
Größe, die Erhabenheit, den Ruhm, die Ehre; aber
Gottes Größe, Gottes Erhabenheit, Gottes Ruhm,
Gottes Ehre. Ehemals liebte ich nur mich selbst,
nur meine Person, nur alles, was mir gehörte.
Jetzt möchte ich nur lieben, und liebe auch, wie
mir scheint, nur Gott allein. Ich wünsche keinen
Reichtum, Gott genügt mir. Ich wünsche nicht
berühmt zu sein; mein Ruhm besteht darin,
unbekannt und verborgen in dem liebenswürdigen
Herzen Jesu zu wohnen. Ein Thron, eine Krone
würden mich nicht reizen, ich ziehe die Armut
Jesu, das Kreuz Jesu, die Dornenkrone Jesu, den
Dienst Jesu all diesen Dingen auf Erden vor.
Niemals, Herr Pfarrer,
war mein Herz, mein Geist und meine Seele
inniger mit Gott verbunden und Ihm mehr ergeben,
als in diesem Augenblick; nie liebte ich die
Tugenden mehr, welche der Heiland mir gelehrt,
nie liebte ich meinen Beruf mehr, nie hasste ich
die Welt mehr. Diese Welt habe ich gehasst und
zwar von ganzem Herzen beinahe mein Leben lang.
Im Anfang hasste ich
jedoch die Welt, weil ich sie nicht lieben
konnte; hätte ich aber gehabt, was zur Liebe der
Welt notwendig gewesen wäre, so muss ich zu
meiner Schande gestehen, dass ich Unglückliche
sie geliebt hätte, weil ich sie nicht kannte.
Ich hasste sie also, weil sie meine Eigenliebe
kränkte. Die Welt verlangt Freiheit im Handeln,
und weil ich schüchtern war, so hasste ich die
Welt; die Welt liebt Geist und Verstand, und
weil ich unwissend und dumm war, so hasste ich
die Welt; die Welt will Reichtum, und weil ich
arm war, so hasste ich die Welt. Ich hatte
Nichts von dem, was mir für die Welt nötig
gewesen wäre, und ich sagte deshalb zu mir
selbst: „Hasse die Welt, die dich verachtet und
mit Füssen tritt. Dieser Hass war nicht gut;
denn er hatte keinen andern Grund als meine
Eigenliebe.
Später habe ich die
Welt gehasst und habe Widerwillen gegen sie
empfunden, wegen der vielen Hindernisse, die ich
beim Wirken meines Heiles fand, und wegen der
vielen Gefahren, denen man in ihr bei jedem
Schritt begegnet, und ich wünschte mich von ihr
zu trennen, um inniger mit Gott vereint zu leben
und leichter mein Heil zu wirken.
Wenn ich jetzt aber
ins Kloster gehen will, so geschieht es nicht
aus Furcht vor dem ewigen Verderben; denn ich
glaube, dass Gottes Gnade immer mit mir sein
werde, sondern bloß deshalb, um mich von allem
loszumachen, um mich ganz Gott hinzugeben und
Ihn unaufhörlich und auf ewig zu lieben.
Welches wird meine
Zukunft sein? Ich weiß es nicht. Ich fühle in
mir unbekannte Kräfte, die ich nicht verstehe
und nicht erklären kann. Gott möge Mitleid mit
mir haben. Ich bitte Ihn, aus mir zu machen, was
Ihm gefällt; ich überlasse mich Seiner
Vorsehung, möge Er nach Seinem Willen verfügen.
Ich habe nur den einen Wunsch, Ihn zu lieben und
Ihn immer zu lieben und Seinen heiligen Willen
so vollständig und vollkommen zu befolgen und zu
erfüllen, als es mir nur immer möglich ist. Ich
fühle mich in der Verfassung, Alles zu tun, was
Ihm gefällt und was Er, sei es persönlich oder
durch Sie, Herr Pfarrer, Seinen Diener und
Stellvertreter von mir verlangen wird. Ich weiß
indessen, dass ich aus mir selber nichts vermag,
wohl aber alles durch Seine Gnade, welche mich
stärken und mir nichts versagen wird.
Ich weiß, dass Sie für
mich beten; beten Sie fort, beten Sie ohne
Unterlass für Ihr Kind! Ich werde Ihnen meine
Erkenntlichkeit für Ihre Güte nicht bezeugen
können, aber der Herr, der meine Stütze und mein
Reichtum ist, wird Sie reichlich belohnen; ich
bitte Ihn alle Tage darum.
Empfangen Sie, Herr
Pfarrer, den Ausdruck meiner tiefsten Ehrfurcht
und die Versicherung meiner größten Hochachtung!
Ihre
demütigste, dankbarste
und gehorsame
Marie
Mimbaste, den 12.
April 1842.
VI. Brief.
Die Art und Weise, wie
Jesus mit Marie verfuhr.
Herr Pfarrer!
Sie wünschen zu
wissen, auf welche Art und Weise der Heiland bei
Seinem Verkehr mit mir verfährt. Ich will ihre
Frage so einfach beantworten, als ich es vermag,
indem ich alles ohne Hehl sage, damit Sie
urteilen und mir angeben können, was ich zu tun
habe, um nicht in der Täuschung, sondern in der
Wahrheit zu wandeln.
Jesus, der Heiland,
ist voll Güte gegen mich; Er hat mir gegeben und
gibt mir noch oft Beweise Seiner Liebe, deren
ich mich für unwürdig erkenne, die aber zu
verdienen ich aufrichtigst bestrebt sein möchte.
Und so scheint mir, dass Er mich in der
gegenwärtigen Verfassung meines Herzens
unterstütze, indem Er mich nach den Bedürfnissen
meiner Seele behandelt und demgemäß mit mir
verfährt. Bald wendet Er eine außerordentliche
Sanftmut an, um mich an Sich zu ziehen, und bald
eine Festigkeit, die wohl notwendig ist, damit
ich mich nach dem Beispiel richte, das Er mir
während Seines Lebens gegeben, und nach den
Worten, die Er in Seinen Unterredungen zu mir
gesprochen.
Zuweilen wendet Er
auch Strenge an, die ich noch öfter verdienen
würde. Als eines Tages mein Geist zerstreut,
mein Herz vollkommen gleichgültig war, hörte ich
die Worte Jesu ohne die ihnen gebührende
Ehrfurcht an.
Da sah ich, wie Sein
Angesicht ernst wurde und Seine Augen mich fest
anblickten. Er hielt inne und sagte in erzürntem
Tone: „Wer bist du, dass du mit solcher
Nachlässigkeit die Worte aufnimmst, die Ich an
dich richte? Stolzes Mädchen, kennst du dich
selbst? Du bist nur ein Nichts, nur Sünde und
Verderben, und dennoch leihst du Meiner Stimme
solches Gehör? Glaubst du, dass ich um deiner
Verdienste willen komme, um Mich mit dir zu
unterreden? Nur aus Barmherzigkeit komme Ich,
dich zu unterrichten. Ich schulde dir keineswegs
solche Belehrung. Hüte dich dieselbe zu
verachten, hüte dich darauf stolz zu werden und
dich über Andere deshalb zu erheben. Mein Wort
allein macht dich nicht selig, es ist auch deine
Mitwirkung notwendig. Mein Wort wird dir kein
Verdienst verleihen; dein Verdienst wird es nur
sein, wenn du das befolgst, was Mein Wort dir
sagt. Mein Wort soll nicht unnütz zu Mir
zurückkehren. Was Ich dir sage, würde
hinreichen, um Millionen von Heiden zu bekehren.
Wehe dir, wenn du keinen Nutzen daraus ziehst.
Wisse, dass du dich immer vor Mir demütigen
musst, denn du bist nur Staub und Asche, nur
Sünde und Verderben; und Jesus ist der
allmächtige Gott, der unendlich vollkommene
Gott, der dreimal heilige Gott, der Heilige der
Heiligen, die Heiligkeit selbst. Ich setze die
Könige ein. Ich mache, dass die Herrscher und
die Machthaber auf ihren Thronen vor mir
erzittern. Ich durchforsche Herzen und Nieren;
Nichts, was unter den Menschen geschieht,
entgeht Mir; Ich kenne die geheimsten Gedanken.
Sei also treu und merke auf Mich."
Also sprach zu mir der
Heiland in gestrengem Tone, der mir bis in das
Innerste meines Herzens drang. Und so spricht Er
jedesmal zu mir, so oft Er es für gut und zu
meinem Heile zuträglich findet.
Manchmal wiederum wage
ich nicht mich Ihm zu nahen; Verwirrung, Furcht,
Kummer, Entmutigung und Traurigkeit bedrücken
mein Herz. Da kommt Jesus der Heiland mit der
Güte, Milde und Zärtlichkeit eines Vaters, und
spricht zu mir: „Komm, Mein Kind, komm
vertrauensvoll zu Mir, erhebe dich. Ich bin dein
Vater, liebe Mich als Mein Kind. Sprich mit
Vertrauen zu Mir, fürchte Nichts, entdecke Mir
deine Sorgen, Ich werde sie hinwegnehmen. Komm
zu Mir, Ich will Deinen Kummer in Freude, dein
Seufzen und Stöhnen in Jubelgesänge verwandeln.
Deine Leiden und Trübsale werden vorüber gehen,
sie dauern nur kurze Zeit und im Himmel wirst du
nur Glück und Seligkeit finden." --Alsdann kommt
die Freude wieder in mein Herz zurück; es
scheint mir, dass ich sie in reichlichem Maße
aus dem Herzen Jesu schöpfe, oder dass sie
Seinen Lippen entströme gleich einem fruchtbaren
Tau, der meinen Durst stillt und mein ganzes
Wesen durchdringt.
So, Herr Pfarrer,
verfährt Jesus, der Erlöser, mit mir, indem Er
bessert, was mangelhaft in mir ist, mich meine
schlechten Neigungen erkennen lässt, und mir die
Mittel angibt, sie zu bekämpfen.
Also tröstet Er mich
in der Traurigkeit, hält mich aufrecht in der
Schwäche und verleiht mir Seine Hilfe in der
Not. Also überhäuft Er mich mit Seinen
ausgezeichnetsten Gnadengaben, unterrichtet
mich, und lehrt mich in die heil.
Heilswahrheiten eindringen. Wie dankbar sollte
ich für alle Seine Gnaden sein und doch bin ich
es so wenig! Ach! Herr Pfarrer, danken Sie dem
Erlöser für mich, leihen Sie mir den Beistand
Ihres Herzens, weil das meinige sehr undankbar
ist. Danken Sie Jesus an meiner statt, und sagen
Sie Ihm, dass ich Ihn stets lieben will.
Ich bin in tiefster
Ehrfurcht Herr Pfarrer!
Ihre
demütige Dienerin
Marie Lataste
Mimbaste den 24. April
1842.
VII. Brief.
Der
Heiland lässt Marie mit dem roten Gewande
bekleiden und lässt sie einigermaßen erkennen,
wie viel sie noch zu leiden haben werde. Ihre
Leiden werden ein wahres Martertum sein.
Herr Pfarrer!
Ich will Ihnen ganz
sonderbare Dinge mitteilen, woran ich mich in
diesem Augenblicke erinnere, Sie mögen darüber
denken, was Sie wollen.
An einem Sonntage bei
dem Beginne der heil. Messe ließ Jesus, der
Heiland, mich das Confiteor hersagen und Reue
und Leid erwecken. Alsdann erteilte Er mir die
Lossprechung von allen meinen Sünden und sagte
hierauf: „Man bringe ein in einer Schale Meines
Blutes gefärbtes Gewand, einen in das Wasser der
Gottheit getauchten Schleier, eine von den
Händen des heiligen Geistes gemachte Krone; Ich
will, dass sie heute gekleidet sei nach dem
Stande der himmlischen Fürstinnen." --Man
gehorchte Seiner Rede. Man brachte ein rotes
Kleid, einen blendend hellen (weißen) Schleier
und einen Kranz von weißen Blumen, wie ich
solche derartige niemals gesehen habe. Als man
mich hiermit bekleidet hatte, wurde mein
Gesicht, meine Hände und Füße ganz weiß und
Jesus ließ mich auf einen kleinen Stuhl neben
sich sitzen. Um die Hüften hatte ich einen
goldenen Gürtel. Ich war überaus zufrieden. Bei
der Auswandlung hörte ich wie der Heiland einige
Worte an die Gläubigen richtete, und wie Er
ihnen sagte, dass Er aus Liebe zu ihnen vom
Himmel herabgestiegen sei, um auf dem Altare und
in dem Tabernakel zu verweilen.
Nach der Kommunion
öffnete ich die kleine Türe meines Herzens, das
einem kleinen sehr schönen und sehr gefälligen
Zimmer glich, Jesus trat hinein, nahm Platz auf
Seinem Throne, von dem ich schon gesprochen
habe. Ich blieb da bei Jesus mit meinem
Schutzengel und der heiligen Jungfrau, die mit
uns eingetreten waren.
Also geschmückt blieb
ich den ganzen Tag über und lebte in dem Inneren
meines Herzens.
An einem andern Tage
wurde ich von einer heftigen Versuchung gegen
die Reinigkeit befallen. Ich wusste nicht, wohin
ich gehen sollte, um vor deren Ringen geschützt
zu sein. Ich versetzte mich im Geiste in den
Saal, wo Jesus mit Dornen gekrönt wurde, ich sah
Ihn also mit einem Rohre in der Hand und als ein
Gegenstand des Spottes von Seite der Soldaten.
Während ich Jesus aufmerksam betrachtete,
verschwand die Versuchung. Da
wendeten sich die
Soldaten zu mir, nahmen aus Jesu
Händen das Rohr und
reichten es mir, damit ich Ihn
ebenso schlüge, wie
sie. Ich weigerte mich ihren Willen zu tun,
worauf sie alsbald anfingen, Gott zu lästern und
mich zu beschimpfen, weil ich Jesus als Gott
anerkannte: „Törin, sagten sie zu mir, wer hat
dir solche Albernheiten gelehrt? Dein Leben ist
in unseren Händen, schlage Ihn oder du wirst
sterben." ---„Macht mit mir,
was Ihr wollt", sprach
ich zu ihnen, „ich werde euch
nicht gehorchen.
Alsbald ließen sie
mich bei einem Statthalter anzeigen; sie
fesselten mich, jedoch ohne große Härte, und
führten mich in ein finsteres und tiefes
Gefängnis. Meine Hände und meine Füße ließen sie
zwar frei, aber um meinen Gürtel legten sie eine
lange Kette und befestigten dieselbe an einem
Pfahle. Eine fast erloschene Lampe hing am
Gewölbe. Bald wurde die Türe geschlossen, und
ich blieb allein. Ich warf mich auf die Knie, um
zu beten. Als Unterhalt für den Tag ließ man mir
ein Stück Brot und ein wenig Wasser zukommen.
Wie ich befreit worden bin, weiß ich nicht.
Ein anderes Mal hatte
ich auch das Glück zu kommunizieren. Mein Herz
war so, wie ich es geschildert habe; ich hatte
mich mit Jesus dem Erlöser und meinem
Schutzengel in dasselbe zurückgezogen. Bald
bemerkte ich um mein Herz herum einen tiefen und
finstern Graben, obwohl sonst alles blieb, wie
ich es angegeben habe. Dies machte mich traurig,
der Heiland sagte zu mir: „Du bist durch diesen
Anblick betrübt, meine Tochter. Das, was du
siehst, hat folgende Bedeutung: Ein Jahr lang
wirst du, wie in einem Gefängnis eingesperrt
sein, woselbst du viele Verhöre zu bestehen
haben wirst, man wird Drohungen und
Versprechungen anwenden, um Dich zu erschüttern,
beruhige dich jedoch, deine Leiden und Trübsale
werden durch die Süßigkeit und die Macht Meiner
Gnade versüßet werden." Eines Tages endlich sah
ich bei der Betrachtung Jesus ganz voll Freude,
während Er zu mir sprach; ich schien darüber
erstaunt: „lch, wenn du wüsstest, was Mich in
diesem Augenblicke beschäftigt!" ---„Was denn
Herr?" sagte ich. „Meine Tochter, es ist dein
Martertum, du wirst dein Blut mit dem Meinigen
vermischen. Wie verlange ich danach, meine
Tochter, diese Verbindung mit dir einzugehen.“
Nun aber war ich in
diesem Augenblicke in meinem Herzen mit Jesus
und meinem Schutzengel. Ich fühlte mich
angetrieben durch den tiefen und dunklen Graben
zu schreiten und ich folgte diesem Antrieb. Ich
verirrte mich und rief mehrmals: „Wo bin ich,
Herr?" Endlich erreichte ich den Grund und sah
eine Person, welche schrieb; ich sah Soldaten,
die zu ihr sagten: „Was bedeutet diese Schrift?"
--- Sie antwortete nichts, sie faltete einen
Brief zusammen und übergab ihn einer anderen
neben ihr stehenden Person, damit diese ihn an
seine Adresse gelangen lasse. Die Soldaten
nahmen diese mit sich und führten sie in einen
großen Saal. Sie betete unterwegs. Ich folgte
ihr. Als sie vor einem Richter angekommen war,
fragte sie dieser, wer sie wäre. ---„Ich bin
eine Christin!" antwortete sie. ---„Woher bist
du? ---„Ich bin eine Christin." --- Entsage
deiner Religion, welche das Gesetz verurteilt."
---„Ich bin eine Christin und zwar auf immer.
---„Ich werde dich enthaupten lassen." ---„Was
liegt denn daran, Jesus ist meine Stärke!"
---„Ich werde dich a!le möglichen Qualen
erdulden lassen." ---„Jesus ist meine Stärke."
---„Ich werde dich lebendig verbrennen lassen."
---„Jesus ist meine Stärke." ---„Entsage deiner
Religion und du wirst reich und glücklich sein.
---„Jesus ist all mein Gut." --- Alsdann sprach
der Richter das Urteil mit folgenden Worten:
„Wir verurteilen Marie zum Tode, weil sie nicht
hat entsagen wollen einer Religion, welche durch
das Gesetz verboten ist." --- Die Soldaten
ergriffen sie und führten sie auf den
Richtplatz. Ich folgte ihr mit zufriedenem
Herzen. Sieh da, sagte ich zu mir selbst, siehe
da, was auf mich wartet. Sie starb, allein ich
sah nicht, was für einen Todes. Ich sah ihren
Körper leblos auf der Erde. Diese Person war als
Klosterfrau gekleidet. Hieraus kam ich zu Jesus
in mein Herz zurück; Er schien zufrieden zu
sein; ich war es auch. Ich hatte mehrmals äußere
Anzeichen und wie Vorhersagungen von schweren
Leiden, die mich während meines Lebens auf Erden
erwarteten. Was werden dieses für Leiden sein?
Wie wird mein Martertum beschaffen sein? Es
liegt wenig daran. Ich weiß, dass der Erlöser
durch Sein Leiden und durch Seinen schmerzlichen
Tod aus dem Kalvarienberge die Welt erkauft hat
und so in Seine Herrlichkeit eingegangen ist;
ich wusste, dass, wer Sein Schüler sein will,
Ihm nachfolgen muss und nicht zurückweisen darf,
was Jener freiwillig angenommen hat. Und der
Anblick meines Erlösers wird mich aufrecht
erhalten, wird mich stärken, wird mich die
Trübsale, die Leiden und die Tränen lieben
lernen. Ich werde nicht selber den Kelch der
Bitterkeiten zurückweisen, sondern werde
inmitten meiner Qualen sprechen: „Mein süßer
Jesus, Dein Wille geschehe und nicht der meine.
Du bietest mir diesen Kelch dar, ich nehme ihn
an, um Dir zu gefallen und Dir zu bezeugen, wie
sehr ich Dich liebe.“
Verzeihen Sie, Herr
Pfarrer, diese Dinge müssen Sie nur wenig
interessieren; allein sie gehören zum Leben
Ihres Kindes, führen Sie es, zeigen Sie ihm die
Wahrheit. Ich verlasse mich auf Sie.
Ihre
ehrfurchtsvolle
Dienerin
Marie.
Mimbaste den 30. April
1842.
VIII. Brief.
Ein Engel verkündet
Marie ihre Leiden, Jesus bestätigt die Worte des
Engels und tröstet Marie. Verlangen nach Leiden.
Herr Pfarrer!
Ich will mit Ihnen
heute von den Leiden reden, die mich erwarten,
die mir angekündigt worden find. Sie werden
darüber entscheiden, ob ich denselben Glauben
beimessen soll, oder nicht. Folgendes habe ich
erfahren: Eines Tages war ich in der Kirche und
betete vor dem Marien-Altare. Es schien mir,
dass sich eine Person mir nähere. Ich wollte
nicht darauf achten, da ich dachte, es könne
eine Täuschung sein. Ich bat den Herrn, Er möge
nicht erlauben, dass ich getäuscht würde,
bekannte mich vor Ihm, wie Er mir dies gelehrt
hatte, aller Gnaden und Gaben unwürdig und
beschwor Ihn, Er wolle doch wenigstens mit mir
Mitleid haben und mir Barmherzigkeit erweisen.
Statt sich zu entfernen, näherte sich diese
Person mir und überreichte mir ein weißes
Papier. Ich redete sie mit folgenden Worten an:
„Dürfte ich dich fragen, wer du bist?"
---„Lies", sagte die Person zu mir, „das Papier,
das ich dir gegeben und dann gib es mir wieder
zurück." --- Ich las die Worte: „Ich bin der
Engel des Herrn, und ich vollstrecke Seinen
Willen. Er hat mich zu dir gesendet, um dir
mitzuteilen, dass du harte Prüfungen und große
Leiden zu erdulden haben wirst, vielleicht
dauert es nicht mehr lange."
--- Ich überreichte
hierauf das Papier demjenigen, der es mir
gegeben hatte und sagte zu ihm: „Kannst du mir
angeben, wann meine Prüfungen und Leiden
beginnen müssen? --- Ich bestimme dir die Zeit
nicht, sondern ich sage es dir voraus, damit du
dich vorbereiten kannst und deine Leiden, wenn
sie kommen, leichter seien, weil du dich dagegen
bereits gekräftigt hast. Um dir zu helfen, dass
du dieselben mit noch mehr Geduld ertragest,
will ich dich versichern, dass dir diese Leiden
Gnade und Barmherzigkeit vor Gott erlangen
werden.
Dann kniete der Engel
vor dem Marien-Altare nieder. Sein Gesicht
schien ganz erglüht von Andacht und einige
Augenblicke später sah ich ihn nicht mehr.
Einige Tage nachher
befand ich mich in tiefer Betrübnis. Der Heiland
fragte mich in meinem Herzen: „Was hast du,
Meine Tochter?" --- Ich antwortete Ihm: „Herr,
ich bin unzufrieden und betrübt und weiß nicht
warum." ---„Meine Tochter", sagte Er zu mir,
„wisse, dass das menschliche Herz auf dieser
Erde nicht zufrieden und glücklich sein kann.
Erst im Himmel wird es wahre Seligkeit finden.
Wahrlich, Ich sage dir, du wirst nicht glücklich
sein, so lange du auf der Erde bleibst. Du wirst
Vieles leiden. Ich sage es dir voraus, bereite
dich darauf vor. Umfange mutig Mein Kreuz, sei
eine treue Liebhaberin des Kreuzes. Könntest du
dich weigern zu leiden, nachdem Ich selber für
dich so viel gelitten habe? Könntest du dich
weigern zu leiden, wenn du siehst, wie Meine
Mutter so betrübt war, als sie Mich am Kreuze
sterben sah? Du bist eine Tochter Adams, du hast
gesündigt, du musst leiden. Das Leiden ist die
Strafe für die Sünde. Nimm es also im Geiste der
Abtötung, im Geiste der Buße an, sei in allem
Gott unterwürfig. Sein Wille wird dir durch
deinen Seelenführer geoffenbart werden. Tue
alles, was er dir sagen wird, wie mühsam und
beschwerlich es für dich auch sein möge. Tue
alles nur auf feinen Befehl und mit seiner
Erlaubnis. Kommuniziere nur so oft, als er es
dir erlaubt. Bleibe in der Welt, wenn er es dir
befiehlt; mache dich zur Abreise bereit, wenn er
es dir erlaubt. Überlasse dich ganz Gott; Gott
wird alles zu Seiner größeren Ehre und zu deinem
Heile ordnen. Überlasse dich deinem
Seelenführer; Ich werde dir Meinen Willen durch
den seinigen kundgeben. Achte nicht auf dich
selbst, auf deine Gedanken und dein Urteil;
Opfere alles, um Mir zu folgen, opfere alles, um
Mir zu gefallen, opfere alles Meinem Willen. Du
wirft stets Meinen Willen erfüllen, Mir
wohlgefällig sein und Mir nachfolgen, wenn du
auf deinen Seelenhirten hörst.
„Er ist dir
gegenüber das Werkzeug, dessen Ich Mich bediene,
um dich zu leiten, dich zu prüfen, um dich
leiden zu lassen, wenn Ich es so will, um deine
Verdienste zu vermehren und deinen Willen
gänzlich zu brechen.
Ich sage dir, was Ich
einem Meiner Schüler sagte, der, ehe er Mir
nachfolgen wollte, Mich erst bat, Ich möchte ihm
gestatten, dass er zuerst hingehe und seinen
Vater begrabe: Lass die Toten ihre Toten
begraben. Ich bin das Leben, komm zu Mir und du
wirst die Finsternis fliehen. Komm zu Mir und
Ich werde dich trösten, Ich werde dir Meinen
Engel schicken, um dich zu unterstützen. Liebe
die Leiden, suche sie, schätze dich glücklich
sie zu finden; vereinige deine Leiden mit den
Meinigen. Dein Leben sei, wie das Meinige, ein
immerwährendes Opfer für Meinen Vater. Bisher
hast du wenig gelitten, nun aber werden die Tage
der Trübsale kommen! Ja, sie sind schon da,
weise sie nicht zurück!" An einem andern Tage
kam Er auch, um meine Tränen zu trocknen und mir
zu sagen: „Fasse Mut, Meine Tochter, der Himmel
wird sich für dich mit Wolken der Trübsal und
des Leidens bedecken. Du bist noch nicht in dem
Zustande, in welchem Ich dich haben will, um
dich in die Gesellschaft Meiner auserwählten
Seelen zu ziehen. Ich will dich durch den
Schmelztiegel der Leiden gehen lassen. Folge
stets dem Rate deines Seelenführers; er wird dir
sagen, wie du dich benehmen sollst. Wenn du den
Kelch Meiner Bitterkeit an deine Lippen gesetzt
hast, so musst du ihn bis aus die Hefe trinken.
Das Martertum, Meine Tochter, erwartet auch
dich. Du wirst fern von deiner Heimat sterben.
Dein Tod wird grausam und nichts desto weniger
voll Süßigkeit sein. Er wird schrecklich sein,
und dennoch wird dein Herz ruhig und friedlich
bleiben. Ich sage dir nicht, welchen Todes du
sterben werdest, noch von welcher Art dein
Martertum sein werde. Aber wahrlich, Ich sage
dir, es wird ein wirkliches Martertum sein.
„Lerne von heute an
deinen Willen zu opfern, und du wirst den Tod
leicht ertragen lernen.“ Diese Worte des Engels
und des Heilandes treten oft vor meinen Geist,
und zuweilen erschrecke ich, wenn ich denke an
die Gräuel des Gefängnisses, die ich werde
erdulden müssen und an die Qualen meiner
Hinrichtung.
Der Gedanke an meine
Hinrichtung ist mir aber wirklich sehr nützlich,
weil er mich dahin bringt, mich von aller
irdischen Anhänglichkeit loszumachen, um nur
Gott zu lieben und nach Ihm allein zu verlangen.
Eines Tages befand ich
mich nach meiner Kommunion in dem Kämmerlein
meines Herzens bei Jesus und überhäuft mit
Tröstungen. Doch bald fand ich, dass ich mich
ganz verloren; ich sah nichts; ich war aus
meinem Herzen verjagt und konnte mich nirgends
aushalten. Nach einigen Augenblicken glaubte
ich, an einem unbewohnten Orte zu sein. Ich
bemerkte einen kleinen Fußweg. Ich verfolgte
denselben mit großer Vorsicht, denn von beiden
Seiten zeigte sich nur ein Abgrund. Auf diesem
Wege fortwandelnd, gelangte ich an ein
schönes Haus. Zwei
Personen, welche auf der Türschwelle standen,
luden mich ein, dass ich bei ihnen ausruhe.
„Nein", sagte ich zu ihnen, ich trete nicht ein
und ich setzte meinen Weg fort.
Der Fußweg war nicht
mehr gefährlich, aber er war wild, er führte
mich zu einem neuen Hause, in welchem mehrere
Personen ein goldenes Kalb anbeteten: Sie luden
mich ein, bei ihnen auszuruhen: „Nein, sagte ich
wieder zu ihnen, ich trete nicht ein", und ich
verfolgte meinen Weg.
Der Weg wurde breiter
und bequemer; er führte mich zu einem sehr
geräumigen Platze, in dessen Mitte ich den
gekreuzigten Heiland sah.
Sobald Er mich
bemerkte, rief Er mir und sprach: „Komm Marie
und sieh in welchen Zustand Mich versetzt hat
die Liebe zu dir. Sieh, wie Ich leide, und du
wolltest nichts für Mich leiden, Meine Tochter?
Ach, Herr Pfarrer, ich
kann Ihnen nicht sagen, was ich in diesem
Augenblicke empfand, alle Qualen Jesu hätte ich
zu meinem Leibe und in meiner Seele erdulden
mögen. Ich warf mich Ihm zu Füßen und sprach zu
Ihm: „Herr, ich umfange Dein Kreuz, ich hefte
mich an dasselbe; ich verlange nur nach ihm;
lass mich alles leiden, was Dir gefällt. Das
Leiden sei die Hülle meines Lebens; der Schmerz
das Ruhekissen meines Hauptes und die Trübsal
mein Kleid."
„Willst du also,
Meine Tochter, für Mich leben?"
---„Ja, Herr, für
immer!" ---„Wirst du immer Zeugnis für Mich
ablegen?" ---„Ja, Herr, selbst ein blutiges
Zeugnis, wenn Du es verlangst." „Hoffst du denn
dieses alles mit deiner Kraft zu ertragen?"
---„Nein, Herr, ich kann Nichts ohne Dich; aber
mit Dir trotze ich der Wut aller bösen Geister
in der Hölle, mit Dir mache ich die
Unmenschlichkeit der wildesten und grausamsten
Henker zu Schanden."
Dies, Herr Pfarrer,
ist es, was ich glaube, gesehen, erfahren und
vernommen zu haben.
In diesem Augenblick
scheint es mir, ich wäre zu Allem bereit und
fürchtete Nichts. Ich hungere und durste nach
Leiden und Trübsalen. Werden sie kommen? Ich
weiß es nicht. Wenn ich keine habe, so wird mein
Leiden darin bestehen, dass ich nicht leide, und
meine Marter darin, dass ich nicht gemartert
werde. In Allem und immer geschehe der Wille
Gottes.
Dieser Brief ist sehr
lang; ich raube Ihnen, Herr Pfarrer, kostbare
Augenblicke. Verzeihen Sie mir und glauben Sie
an meine Dankbarkeit für all die Teilnahme, die
Sie meinem Seelenheile schenken.
Ich wäre sehr
undankbar, wenn ich Ihnen nicht meine Führung
und Leitung dadurch erleichterte, dass ich Sie
in mein Herz blicken lasse, und Ihnen alles bloß
lege, was in dem Innersten meiner Seele vorgeht.
Beten Sie für meine
Seele, beten Sie für Ihr Kind; bitten Sie, der
Sie mein Vater sind, bitten Sie Gott, dass Er
Sich meiner erbarme und mich durch treue
Erfüllung Seines Willens schon hier auf Erden
mit Sich vereinige, damit ich Ihn sehe, besitze
und liebe im Himmel.
Ich bleibe am Fuße des
Kreuzes, an welchem mein Heiland gehangen, um
Ihnen in der Wahrheit und aufrichtigst meines
Herzens die Gefühle meiner tiefen Verehrung zu
erneuern.
Ich verbleibe
Herr Pfarrer,
Ihre
demütige Dienerin
Marie.
Mimbaste den 16. Juni
1842.
IX. Brief.
Der Würgengel.
Herr Pfarrer!
Während ich eines
Tages arbeitete, fühlte ich in meinem Herzen
einen lebhaften unwiderstehlichen Zug; denn ich
fand keinen Ort, um auszuruhen. Ich überließ
mich diesem Zug und glaubte mich nun auf einem
großen Platze in Paris zu befinden. Mitten auf
dem Platze sah ich einen Jüngling auf einer
kleinen Säule. Er war mit einem roten Kleide
angetan; auf seinem Haupte trug er ein Diadem,
sein Schwert hatte er in der Scheide und in
seinen Händen trug er einen Bogen. Seine Blicke
blitzten und sein Mund war bereit Drohungen zu
schleudern. Über seinem Haupte sah ich mit
feurigen Buchstaben geschrieben: Der Würgengel.
---Bei diesem Anblicke wurde ich von
unaussprechlichen Gefühlen der Furcht, des
Schmerzes und des Mitleidens ergriffen und ich
rief mehrmals aus: „Herr, erhalte Paris, rette
den König!"--- Also blieb ich lange
niedergeworfen vor Gott und ließ Nichts von mir
hören, als mein Seufzen und Flehen.
Dies, Herr Pfarrer,
sah ich, da ich dem Zuge gefolgt und also habe
ich gehandelt. Ich habe die Ehre zu sein, Herr
Pfarrer, mit der tiefsten Ehrfurcht
Ihre demütige Dienerin
Marie
Mimbaste den 21. Juni
1842.
X. Brief.
Marie fürchtet, sie
möchte getäuscht werden und aus Eitelkeit
sündigen.
Herr Pfarrer!
Zwei Dinge machen mich
traurig und betrüben mich gar sehr: erstens die
Furcht getäuscht zu werden; zweitens die
Versuchung stolz zu werden über das, was ich
erfahre und was in mir vorgeht.
Dennoch werde ich
mitten in meinem Kummer und meiner Betrübnis
aufrecht gehalten durch eine unsichtbare Kraft,
die ich nicht zu erklären vermag, und die ich
nicht anders benennen kann, als mit dem Namen
Jesu, des Erlösers.
Und wirklich, wenn ich
in der Furcht bin, getäuscht zu werden, dünkt
mich der Heiland komme und spreche zu mir:
„Meine Tochter, übergib dich ganz deinem Gotte.
Lass Ihn aus dir machen, was Ihm gefällt, du
wirst nicht getäuscht, nicht hintergangen
werden, wenn du deine Hoffnung auf Ihn setzest."
--Ein anderes Mal fügt er bei: „Wenn du dich
weder auf Mich, noch auf dein Urteil verlassen
willst, so befrage deinen Seelenführer, er hat
eine besondere Gnade, dich zu belehren." ---
Endlich lehrt Er mich die Art und Weise, wie ich
urteilen soll: „Meine Tochter, wenn der böse
Geist dich täuschte, wenn er zu dir käme, um
dich zu verführen, so würde er dir verbieten,
seine Worte jemandem zu wiederholen, während Ich
dir befehle, sie deinem Seelenführer
mitzuteilen. Der böse Geist würde dir nur
Falschheit und Lüge lehren, und um dich sicherer
an sich zu ziehen und deine Enttäuschung zu
verhindern, dich zum Stillschweigen auffordern.
Dagegen ist Mein Wort ein Wort der Wahrheit;
deshalb befehle ich dir, es deinem Seelenführer
mitzuteilen, damit dieser dich beruhigen und
befestigen könne in der Wahrheit, die Ich dir
lehre. Nichtsdestoweniger würde der böse Geist
dich vielleicht auffordern, von den wunderbaren
Dingen, die du siehst, und die in dir bewirkt
werden, zu sprechen, weil sein größtes Verlangen
dahin geht, die Seele mit Stolz zu erfüllen,
während Ich dir befehle, nur mit deinem
Seelenführer davon zu sprechen, um dich in der
größten Demut zu erhalten. Wie kannst du
fürchten, du möchtest getäuscht werden? Man
erkennt den Baum an seinen Früchten, sind diese
schlecht, so ist der Baum auch schlecht. Satan
wird dir nur Böses und Ich nur Gutes eingeben."
Wenn ich Versuchungen
zur Eitelkeit und zum Stolze erfahre, wenn sie
so heftig sind, dass ich am Morgen glaube, nicht
den Abend zu erreichen, ohne zu unterliegen, und
wenn ich dann flüchte zu dem Fuße des
Tabernakels Jesu, so scheint es mir, ich höre
Sein Wort also zu mir sprechen: „Meine Tochter,
worauf willst du stolz sein? Du bist aus dir
selbst nur Sünde und Nichts; das Übrige, was du
besitzest, kommt nicht von dir, sondern von
Gott. Wenn du ein Nichts bist, kannst du auf
dein Nichts stolz werden? Wenn du nur Sünde
bist, auf deine Sünde? Wisse, dass du als Nichts
und Sünde nichts anderes verdienst, als dass du
von jedermann gehasst und verabscheut werdest."
--- Zuweilen sagte Er mir: „Betrachte dich,
Meine Tochter, als das letzte aller Geschöpfe,
als die Dienerin aller, als eine solche, der
jedermann befehlen darf. Betrachte Gott als
deinen höchsten Herrn." --- Oder er spricht etwa
auf folgende Weise zu mir: „Gesetzt, Meine
Tochter, du wärest sehr reich, besäßest
ungeheurere Schätze. Ein Armer kommt und klopft
an deine Tür und in Folge deiner Güte gibst du
ihm eine beträchtliche Summe, die ihn dem Elend
entreißt. Ein anderer kommt hinzu, und du gibst
ihm nur ein gewöhnliches Almosen, er setzt daher
sein Bettlerleben fort. Keiner der beiden Armen
hatte mehr als der andere verdient; du hast
gegeben, was du wolltest und wem du wolltest.
Hätte der, welchem du eine große Summe gegeben,
Ursache stolz zu sein auf diese Gabe, als ob er
sie verdient hätte? Nein, Meine Tochter. Gott
tut dasselbe, Er gibt wem Er will, Alle sind arm
vor Ihm; Er allein ist wahrhaft reich, und
Keiner darf stolz auf das sein, was Gott ihm
gegeben."
Bei einer andern
Gelegenheit sprach Er zu mir: Ich setze den
Fall, es schenkte dir jemand ein prächtiges
Buch. Wärest du nicht töricht, wenn du auf den
Besitz dieses Buches stolz sein würdest, als ob
du es selbst gemacht hättest, da du es doch nur
aus der Hand eines andern bekommen hast? Größer
noch wäre deine Torheit, wenn du stolz sein
wolltest auf die Gnaden, die Ich dir gewähre, du
verdienst sie nicht. Ich gebe sie dir, weil es
Mir so gefällt und ohne ein Verdienst von deiner
Seite.
Zum Schlusse, Herr
Pfarrer, folgt hier noch, was mir eines Tages
nach der heil. Kommunion begegnete. Ich bat Gott
um Demut und hatte großes Verlangen sie zu
erhalten. Ich ging in mein Herz und fand Jesus
darin auf Seinem Throne sitzend.
Ich habe Ihnen schon
mündlich und schriftlich von einem Abgrund
gesprochen, den ich oft in meinem Herzen sehe;
er erschien mir in diesem Augenblicke viel
schrecklicher als jemals. Jesus ergriff mich bei
der Hand und führte mich an den Rand desselben.
Ich sah um diesen Abgrund herum Stufen, die bis
aus den Grund hinabgingen. Diese Stufen waren
von einander so weit entfernt, wie die Stufen
einer Treppe; sie waren weder von Stein noch von
Holz; sie waren nur durch eine Eisenstange
gebildet, welche einen Zoll breit und dick war,
alles andere war leerer Raum, so dass man
notwendig in den Abgrund fiel, wenn man seinen
Fuß nicht auf die Eisenstange setzte. Es war
auch kein Geländer daran. Der Herr sagte zu mir:
„Steig hinab, Meine Tochter.“ Ich wollte nicht
ungehorsam gegen Ihn sein; aber ich sah klar
ein, dass ich fallen würde. Deshalb ergriff ich
Jesu Hand, um mich zu halten und stieg ohne
Furcht hinab. Als ich so einige Stufen
fortgegangen war, glitten meine beiden Füße
zugleich aus. Wie groß war mein Schrecken! Ich
hielt mich mit beiden Händen aus allen Kräften
an Jesus fest, indem ich sagte: „Herr, halte
mich, halte mich, Herr!" ---,,Was würde aus dir
werden, Meinem Tochter, wenn Ich dich losließe
---„Ach, Herr, ich würde in den schrecklichen
Abgrund fallen." --Hierauf sprach der Heiland zu
mir: „Wir wollen zurück, Meine Tochter, sieh nun
ein, dass du Nichts ohne mich vermagst, dass du
ohne Meine Hilfe jeden Augenblick in den Abgrund
stürzen würdest. Du vermagst Nichts ohne Mich,
worauf könntest du also stolz sein?"
Dieses empfinde ich,
dieses fühle ich, dies höre ich. Es ist ein
großer Trost für mich. Sie werden mich auch Ihr
Wort vernehmen lassen, wenn Sie einmal Alles
beurteilt haben, und ich will mich darauf
verlassen, als auf ein Wort der Wahrheit. Ich
kann mich täuschen; ich kann mich irren in dem,
was ich empfinde, in dem, was ich fühle, in dem,
was ich höre. Für Sie ist die Täuschung
unmöglich, Sie können ein gesundes Urteil fällen
über das, was ich Ihnen mitteile. Sie haben die
dazu notwendige Gnade wegen Ihres Amtes. Helfen
Sie mir, erleuchten Sie mich, zeigen Sie mir die
Wahrheit, zeigen Sie mir den rechten Weg, zeigen
Sie mir das einzig wahre Leben; ich will dieses
Leben lieben, auf diesem Wege wandeln und diese
Wahrheit umfassen. Ich will mich an der Wahrheit
festhalten und sie niemals verlassen; ich will
auf dem Wege bleiben, der zu Gott
führt und ihn niemals
verlassen; ich will bewahren das Leben, das
Jesus, der Erlöser, mir durch Seine Verdienste
auf dem Kalvarienberg gegeben und will es
niemals verlassen. O Leben, ohne das es kein
Leben gibt, sei mein
Leben! O Weg, außer
dem es keinen gibt, der zu Gott
führt, sei mein Weg! O
Wahrheit, die du einzig und unteilbar bist, sei
meine Ruhe für Zeit und Ewigkeit.
Ich bin Ihnen, Herr
Pfarrer, ganz ergeben und ich habe die tiefste
Ehrfurcht vor Ihnen. Beten Sie für Ihr Kind und
Ihre
demütige Dienerin
Marie Lataste
Mimbaste den 25. Juni
1824.
XI. Brief.
Ermahnung an einen
Geistlichen.
Herr Pfarrer!
Folgendes sind die
Worte, welche der Heiland an den Ihnen bekannten
Geistlichen gerichtet hat:
„Mein Sohn, Ich bin
mit deiner Unterwürfigkeit zufrieden, mit
welcher du Meine Gesetze und Meinen Willen
vollbringst, deine Demut gefällt mir und deine
Liebe ehret Mich. Schreite mehr und mehr vor,
mein Sohn, in dieser deiner kindlichen Liebe zu
dem besten der Väter und verdopple in dir diese
Gesinnung brennender Liebe. Fasse Mut und stärke
dich, um die Leiden und Betrübnisse zu ertragen,
die im Laufe deines Lebens dich treffen werden.
Die Prüfungen dauern nur kurze Zeit und sie
erwerben ungemeines Maß von Glorie dem, der sie
mit Geduld erträgt. Lass dich nicht beunruhigen
durch den Rauch, der aus dem Herzen der Bösen
sich erhebt. Ich werde Mich gegen sie erheben
und ein leiser Hauch wird hinreichen, sie zu
zerstreuen.
„Hange dich nicht an
irdische Größe. Was ist sie im Vergleich mit der
Größe desjenigen, der Mir angehört, und im
Vergleiche mit der Süßigkeit Meiner Liebe?
Gleicht Meine Liebe nicht dem auserlesensten
Honig, der das Herz desjenigen erfreut, der ihn
genießt? Das Menschenwort gleicht einer leichten
Feder, die der Wind mit sich fortweht; aber Mein
Wille bleibt beständig und fest in dem Herzen
dessen, der mich fürchtet. Mein Sohn, erhöhe,
befestige, vervollkommne das geistige Gebäude
deiner Heiligung, damit derjenige, der den Grund
dazu gelegt hat, es vollenden und krönen könne.
Mein Sohn, ziere,
schmücke und beräuchere dein Haus, denn Ich bin
entschlossen, ewig darin zu wohnen.
Mein Sohn, wie sind
deine Gedanken, deine Wünsche, deine
Anhänglichkeiten? Habe Vertrauen, Ich werde dich
nicht verlassen. Ich weiß alles, was in dir
vorgeht, sowohl deine Gefühle als die Wünsche,
die du an Mich richtest, finden Mich nicht
gleichgültig.
Mein Sohn, obwohl du
noch auf Erden bist, versetze dich mit allen
Gefühlen deines Herzens in den Himmel. Mein
Sohn, es ist ein Zeichen Meiner Liebe zu dir,
dass es Mir gefällt, diese Worte heute an dich
zu richten. Ich schließe mit den Worten, welche
ich ehemals an Meine Jünger richtete: „Wachet
und betet, damit ihr nicht in Versuchung
fallet)!"
Sie können diese Worte
dem betreffenden Geistlichen mitteilen, wenn Sie
es für passend halten. Wenigstens werden Sie so
gütig sein, mich seinem frommen Gebete zu
empfehlen.
Was Sie anbelangt,
Herr Pfarrer, so will ich mich begnügen, Sie
daran zu erinnern, wie sehr ich des Beistandes
des Herrn bedarf, weil ich weiß, wie sehr Ihnen
das Heil meiner Seele am Herzen liegt. Empfangen
Sie, ich bitte Sie, Herr Pfarrer, die
Versicherung meiner ausgezeichnetsten
Hochachtung, mit welcher ich die Ehre habe zu
sein in tiefster Ehrfurcht und innigster
Dankbarkeit
Ihre
demütige Dienerin
Marie
Mimbaste den 13. Nov.
1842.
XII. Brief.
Der Heiland erklärt
ein Gesicht, welches Marie Lataste soeben in
ihrem Herzen gehabt.
Herr Pfarrer !
Ich unterbreite Ihnen
heute, was mir an einem Sonntage vor der
Kommunion begegnet ist.
Ich sah mein Herz in
Form eines großen Saales; ich stand an der Türe
und wartete aus die Ankunft Jesu. Die Engel
schmückten den Ort, wo Er ruhen sollte. Sie
stellten von der Türe bis zum Throne des
Erlösers in zwei Reihen Blumensträuße und
brennende Kerzen auf. Die Blumen und die Kerzen
waren ebenmäßig und so aufgestellt, dass nach
jedem Blumenstrauße eine Kerze angebracht war.
Jesu Thron war höher
als gewöhnlich; ich zählte, wenn ich mich recht
erinnere, vier oder fünf Stufen. Die Kerzen und
die Blumen bildeten eine Art von lebendigem Zaun
und bezeichneten den Weg, der zu Jesus führte.
Die Engel hatten alles für den Augenblick der
Kommunion hergerichtet, und Jesus stieg mit
Herrlichkeit und Licht bekleidet in mein Herz
hinab. Ich blieb immer an der Türe stehen, da
ich seit dem Vorabend mit Scham und Verwirrung
erfüllt war. Jesus rief mir; ich stieg zu Seinem
Throne empor, warf mich zu Seinen Füßen und
verblieb in dieser Haltung beinahe in dem
Erlöser verloren, ohne irgendwelche Art von
Gefühl, beinahe ohnmächtig. Einige Zeit darauf
kam ich wieder zu mir und setzte mich zu den
Stufen des Thrones nieder. Seine Gegenwart
verbreitete in meinem Herzen, dessen Tür Er
schließen ließ, ein Licht, das durch seinen
Glanz jedes andere Licht übertraf. Ich heftete
meine Augen auf Ihn, und bald richteten sich
dieselben mit den Augen Jesu, der für mich zu
beten schien, zum Himmel. Ich sah alsbald, wie
Wasser in reichlichem Maße über mich ergossen
werde, welches dann über meine Hände und meine
Kleider floss und in einen unter mir stehenden
Behälter fiel. Viele Personen näherten sich
diesem Behälter und schöpften Wasser daraus; die
Einen um es zu trinken, die Andern um sich damit
zu waschen. Nachdem sie davon getrunken oder
sich damit gewaschen hatten, warfen sie sich
sogleich vor einem großen Kruzifix nieder,
welches hinter dem Throne Jesu stand. Dort
falteten sie die Hände, blickten zum Himmel und
beteten voll Inbrunst; endlich zogen sie sich
zurück.
Sie wurden durch eine
so große Anzahl von Engeln ersetzt, dass man die
Blumen und Kerzen wegnehmen musste, um ihnen
Platz zu machen. Zwei der Engel, schöner als die
andern, stellten sich neben mich und warfen sich
vor dem Heilande auf die Knie nieder. Dann
erhoben sie sich und stellten sich einer zur
Rechten, der andere zur Linken Jesu; ich erhob
mich auch und stellte mich wieder zu den Füßen
Jesu, die ich liebreich umfasste. Die beiden
Engel ergriffen mich einige Zeit darauf bei der
Hand und wollten mich mit sich fortnehmen.
Ich wusste nicht, ob
ich ihnen folgen sollte oder nicht. Ich überließ
mich ihrem Wunsche; allein vergeblich. Eine
geheime Kraft, die meine Kräfte und die der
Engel übertraf, hielt mich an der Stelle zurück.
Deshalb ließen sie mich stehen und verschwanden.
Ich warf mich alsdann von Neuem zu den Füßen
Jesu: „Meine Tochter", sprach Er zu mir, „Ich
will dir das Gesicht, das du so eben hattest,
erklären. Die Kerzen und die Blumen sind die
Tugenden und die Tugendhandlungen, welche dich
auf dem Wege wandeln lassen, der zu Mir führt.
Die Kerzen und Blumen sind von den Engeln
hingestellt worden; sie sind es auch in
Wahrheit, welche über alle Christen wachen,
damit sie mit ihrem Herzen an keiner Sünde
anstoßen und die Tugend ausüben. Ich habe die
Türe deines Herzens geschlossen, um dir zu
zeigen, dass nichts Eitles und Unnützes in
dasselbe eingehen dürfe. Das hinter Meinem Thron
stehende Kruzifix zeigt dir an, dass das
Andenken an Mein Leiden deinem Herzen tief
eingegraben sein muss und die Personen, die von
dem über dich ergossenen Wasser getrunken oder
sich damit gewaschen haben, sind das Bild der
Seelen, die da verzehrt von dem Verlangen Gott
zu dienen, kommen werden, dieses bei dir zu
lernen, und die da gerührt werden durch die
Holdseligkeit und Salbung deiner Worte sich in
dem Sakramente der Buße von ihren Sünden waschen
werden. --- Endlich, hast du gesehen, wie sie
sich zu den Füßen des Kruzifixes zurückzogen,
sich sammelten, die Hände falteten und mit
Inbrunst beteten; dies bedeutet, dass sie für
die ihnen von Gott bewiesene Gnade dankbar sein
werden. So, Meine Tochter, werde Ich durch dich
verherrlicht werden, wenn du Mir treu bist.
„Ich erkläre dir
nicht alles Übrige des Gesichtes, wisse nur,
dass Ich dir deine Sünden vergebe; dass Ich in
Meiner Vielgeliebten weder Runzeln noch Makeln
will, sondern vielmehr, dass sie schön sei, wie
die Morgenröte, rein wie ein Engel und heilig,
wie Gott. Du bist Meine Vielgeliebte, und Ich
liebe dich, Ich liebe dich mehr, als du es je
begreifen kannst; preise und verherrliche immer
Meine Barmherzigkeit und Meine Güte gegen dich!"
- Das, Herr Pfarrer, glaube ich gesehen und
gehört zu haben; Sie werden darüber urteilen, ob
es von der Einbildung, oder vom Geist der
Finsternis, oder von Gott komme. Ich überlasse
es Ihnen, indem ich mich Ihrem Gebete empfehle
und Sie meiner vollen Dankbarkeit und Verehrung
versichere.
Ich bin mit der
tiefsten Verehrung,
Herr Pfarrer!
Ihre
demütige Dienerin
Marie
Mimbaste den 18. Dez.
1842.
XIII. Brief.
Wie Marie verfährt, um
das niederzuschreiben, was sie zwei bis drei
Jahre vorher gehört hat.
Herr Pfarrer!
Ich habe bis jetzt
noch nie daran gedacht, Ihnen zu sagen, wie ich
die von Ihnen verlangten Schriften schreibe, und
Ihnen zu erklären, wie mein Gedächtnis nach so
langer Zeit sich an die Reden und Worte des
Heilands erinnert, und zwar so getreu, als ob Er
dieselben erst eben jetzt an mich gerichtet
hätte. Hier folgt dies.
Eines Tages, vor
ungefähr zwei Jahren, erschien mir Jesus und
sagte zu mir: „Meine Tochter, komme zu Mir," ich
näherte mich Ihm. Er hielt ein Buch und eine
Schachtel in Seiner Hand und reichte mir dies
dar mit den Worten: „Ich will, Meine Tochter,
dass du die Erinnerung an Mein Wort und ebenso
die heilsame Wirkung der tugendhaften Regungen,
die Ich deinem Herzen einflößen werde,
sorgfältig aufbewahrest. Dieses Buch enthält
alle Worte, die Ich an dich richten werde. Ich
verbiete dir, es jemals ohne Meine Erlaubnis zu
öffnen. Öffne es nun!" --- Ich öffnete es: es
war von der ersten bis zur letzten Seite
beschrieben; ich schloss es sogleich wieder.
---„Diese Schachtel schließt in sich den
Wohlgeruch, der ausgehen wird von den Worten,
welche Ich an dich richten werde; öffne sie
meine Tochter." --- Ich öffnete sie und
erblickte die schönsten Blumen, die ich je
gesehen habe. Sie verbreiteten in der Tat einen
lieblichen und tröstlichen Wohlgeruch.
„Meine Tochter,"
sagte alsdann der Erlöser zu mir, „nimm dieses
Buch der Wissenschaft und der Weisheit und diese
Schachtel; verbirg sie in deinem Herzen, später
wirst du sie ausmachen müssen, und sie werden
dir von großem Nutzen sein." --Das ist wahr,
hochwürdiger Herr, zu diesem Buche und zu dieser
Schachtel nehme ich seit zwei Jahren meine
Zuflucht, wenn ich das, was ich Ihnen in meinen
Heften oder in meinen Briefen mitteile,
schreiben will. Ich öffne das Buch aufs
Geratewohl, und ich lese und schreibe. Zuweilen
will Jesus mir nicht erlauben, das Buch zu
öffnen; ich ergreife dann die Schachtel, atme
den Wohlgeruch ihrer Blumen ein und schreibe
dann, was mir in den Sinn kommt. Ich habe nun
bemerkt, dass das Buch die verschiedenen
Belehrungen enthält, welche der Heiland mir
gegeben hat, für mich sowohl als für jene, die
Kenntnis davon erlangen werden, und dass die
Schachtel nichts anderes enthält und mir nichts
anderes eingab, als was mich allein betraf.
Kaum vor einigen Tagen
hat der Herr zu mir gesagt: „Das Buch und die
Schachtel, die Ich dir gegeben, sind reichlich
gefüllte Speicher, die dir zur Zeit der
Hungersnot dienen sollen, d. h. für den Fall der
Vergesslichkeit oder der Unzulänglichkeit des
Gedächtnisses.
„Auch deine
Schriften und Tugenden werden zwei reichlich
gefüllte Speicher sein, woraus die Ägypter, d.
h. die Sünder und die trauernden Seelen reichen
Vorrat schöpfen werden.
„Versäume also
Nichts, nimm Mein Wort auf, und bewahre es in
deinem Herzen. Das Buch und die Schachtel,
welche ich dir gegeben, werden dir nur insoweit
dienen, als du es durch Achtsamkeit auf Mein
Wort verdient hast." Wenn ich mich nicht mehr
erinnere, was ich sagen soll, so nehme ich meine
Zuflucht zu meinen reichlich gefüllten
Speichern.
Ach! Herr Pfarrer,
zuweilen finde ich die Türe dieser Speicher
verschlossen. Ich fühle es wohl, es ist dann ein
Fehler an mir, ich habe das Wort des Heilandes
nicht immer gut angehört. Möge Er gnädigst
Erbarmen mit mir haben und mir verzeihen.
Ich sage Ihnen
nichtsdestoweniger immer das, woran ich mich
erinnere, Alles, was sich meinem Geiste
vorstellt, in dem aufrichtigen Wunsche meiner
Seele, Ihnen Nichts zu verbergen und Ihnen die
volle Wahrheit zu sagen. Denken Sie dann
hierüber, wie es Ihnen beliebt; ich sage Ihnen
Alles, was in mir vorgeht. Bitten Sie,
hochwürdiger Herr und verehrter Vater meiner
Seele, beim Heiland Jesus Christus für mich,
damit ich mich heiligen und all den guten
Unterweisungen, all den herrlichen Ratschlägen,
die Sie mir geben werden, stets entsprechen
möge.
Ich bin mit
vollkommener Ergebenheit und tiefer Hochachtung
Ihre
untertänigste Dienerin
Marie Lataste
Mimbaste, den 28.
Dez.1842.
XIV. Brief.
Von der nach
Vollkommenheit strebenden Seele, von der
Jubiläumsgnade, die Marie gewonnen.
Herr Pfarrer!
Eines Tages nach der
heil. Kommunion glaubte ich, mich an einem Orte
zu befinden, der sich ziemlich schwer
beschreiben lässt; er war mit einer ungeheueren
Mauer umgeben, die auf sehr festem Grunde stand.
Diese Mauer erhob sich und je höher sie sich
erhob, desto schmäler wurde sie. Ihr Anblick war
sonderbar, ich wollte sie nach allen Seiten
untersuchen.
Ich erstieg sie auf
einer Seite, die mir von Gold zu sein schien;
das Emporsteigen war ziemlich schwer, dennoch
brachte ich es leicht zu Stande. Ich kam an eine
kleine Tür; denn oben auf der Mauer war ein
kleines Zimmer ohne Dach.
Ich klopfte an der Tür
und ein ehrwürdiger Greis kam, um mir zu öffnen,
und sprach voll Güte zu mir: „Guten Tag, mein
Kind, tritt ein." --- Ich wusste nicht, wer es
wäre, und ich sah wohl, dass es nicht der Herr
war. Ich war erstaunt und fragte ihn also: „Mein
Vater, wie sind Sie hierhergekommen? --- Und du,
mein Kind, erwiderte er mir, wie bist du
hierhergekommen? --- Ich bin, antwortete ich
ihm, hierhergekommen, weil ich dem Zuge folgte,
den ich in mir empfunden. Sie aber, mein Vater,
werden Sie mir nun sagen, wer Sie sind?"
---„Meine Tochter,"
versetzte der Greis, ich will deine Frage
beantworten: Ich bin ein geiziger Mann. Als ich
jung war, war ich sehr arm, hatte aber in meinem
Herzen ein ungeheures Verlangen nach
Reichtümern. Mein Ehrgeiz war grenzenlos. Ich
sprach mit dem Könige über diesen brennenden
Durst nach Vermögen, der meine Seele erfüllte.
Der König billigte mein Verlangen; er versprach
mir große Reichtümer und eine Stelle bei Hof,
vorher jedoch wollte er, dass ich einige Zeit an
diesem hochgelegenen Orte eingeschlossen bliebe,
von wo aus ich leicht meine Blicke über den
ganzen Umfang seiner Staaten werfen könnte,
nämlich zum Himmel, wo Gottes Thron ist.“
„Es ist das für
mich, der ich getrennt bin von den übrigen
Menschen, ein sonderbarer Anblick, die
verschiedenen Bewegungen der Menschen zu sehen.
Wie viel Torheiten, wie viel Niedrigkeit, wie
viel Betrug, wie viel Lügen, wie viel
Nichtswürdigkeit! Welcher Hang zur Erde, welch'
Vergessen des Himmels durch Gedanken an das
Zeitliche! Nein, meine Tochter, ich strebe nur
nach Einem, und die Hoffnung meines künftigen
Glückes ist die Stütze meines Lebens. --- Aber,
mein Vater, sagte ich ihm, wie können Sie an
diesem Orte leben? --- Meine Tochter, fügte er
bei, ich erhalte mein Leben weniger durch die
stoffliche Ernährung meines Leibes als durch die
geistige Nahrung meiner Seele oder durch die
Gnadengaben und Eingebungen von Oben. ---„Da Sie
so zu Mir sprechen, mein Vater, so begreife ich,
dass Sie den Herrn lieben, deshalb bitte ich
Sie, richten Sie einige Worte an mich zum Heile
meiner Seele. --- Meine Tochter, ich habe dir
beinahe genug gesagt; fasse meine Worte in dem
Sinne auf, den ich dir angeben will. Ich bin
weder ein Mann, noch ein Greis, ich bin für dich
das Bild der Seele, und das was du siehst, ist
das Bild dessen, was jede Seele sein soll.
Dieser hochgelegene Ort stellt die
Vollkommenheit vor. Sieh', wie fest, breit und
tief die Grundlagen sind. Die Mauern, die sich
erheben und immer dünner werden, bis sie endlich
diese Wohnung bilden und abschließen, zeigen dir
an, dass du dich durch die Reinheit deiner
Absichten, die alles in einem und demselben
Ziele in Gott vereinigen, erheben musst. Lebe
einsam in deiner Seele, wie du mich an diesem
kleinen, abgesonderten Orte siehst, verbanne
selbst eitle und unnütze Gedanken und
beschäftige dich mit der Betrachtung der ewigen
Wahrheiten." --Nachdem er diese Worte an mich
gerichtet hatte, lud er mich zum Gebete ein.
Während des Gebetes fand ich mich vor ein großes
Haus versetzt, das sehr fest gebaut zu sein
schien; ich schellte an der Glocke, welche sich
an der Türe befand. Man öffnete. Ich trat ein
und ging auf einem kleinen Weg weiter, der mich
zu einer andern Türe führte; sie war
geschlossen; ich schellte abermals und sie ward
geöffnet. Ich trat in ein Gemach ein, das kotig
und feucht sein musste, denn ich vermochte nur
dadurch dasselbe zu durchschreiten, dass ich
meine Füße auf kleine Pfähle setzte, die in
kleinen Entfernungen von einander sich dort
befanden. So ging ich durch zwei oder drei
Gemächer, welche wie Abgründe aussahen. Endlich
nach dem letzten bemerkte ich zwei Personen; ich
stürzte mich eiligst auf eine derselben, denn
der Weg wurde immer schwerer, weil er so glatt
war.
Hierauf bemerkte ich
einen Teich, über welchen ich setzen sollte. Man
gab mir einen kleinen Kahn, den ich, mühsam
rudernd, führte. Ich kam an das andere Ufer,
woselbst ich zwei Engel mit großen Flügeln fand.
Ihr Anblick regte zur Frömmigkeit an, so sehr
waren sie selbst davon durchdrungen. Sie fassten
meine beiden Hände und während sie mich hielten,
fühlte ich mich ganz umgewandelt.
Ich wurde ganz weiß
und strahlend von Klarheit; ich sah mich mit
einem weißen Kleide bekleidet, ein weißer, sehr
feiner Schleier umhüllte mein Haupt und eine
schöne Krone umschloss meine Stirne. Dann
führten mich die beiden Engel in ein Gemach, das
einem Sprechzimmer glich.
Bald sah ich eine
schöne Person und eine schöne Frau kommen. Ich
kannte sie nicht recht. Es schien mir dennoch,
dass es Jesus und Maria wären; aber ich war
dessen nicht gewiss. Es dauerte indessen nicht
lange, bis ich Maria erkannte, durch die
Anziehung, die mich zu ihr trieb. Der Mann,
welcher bei ihr war, stieß einen tiefen Seufzer
aus, indem er mich anblickte; alsbald erkannte
ich in Ihm Jesus und ich fühlte eine glühende
Liebe zu Ihm.
Maria warf sich vor
Jesus nieder; ich tat dergleichen; einen
Augenblick darauf erhoben wir uns wieder. Jesus
gab mir ein kleines Buch; ich öffnete es und
sah, dass es beinahe ganz weiß war; dennoch
bemerkte ich einige geschriebene Zeilen darin.
Das machte mir kein Vergnügen und ich übergab
das Buch Maria, welche es nahm und Jesu mit den
Worten gab: „Mein Sohn, tue nach dem Wunsche
deiner kleinen Dienerin Marie."
--- Jesus nahm das
Buch und gab mir hierauf ein weißes Blatt
Papier. Ich nahm es, untersuchte es aufmerksam
und bemerkte abermals in der Ecke dieses Blattes
einige geschriebene Zeilen. Ich gab es wiederum
Maria, die es Jesus überreichte und von Neuem zu
Ihm sagte: „Mein Sohn, erhöre die Bitten deiner
kleinen Dienerin Marie." --Alsdann sagte Jesus
zu mir: „Meine Tochter, Mein Wort wird die
Stelle des weißen Blattes vertreten, das Ich dir
gegeben hatte. Alle deine Sünden sind dir
erlassen, aufgrund Meiner Verdienste, durch die
Barmherzigkeit Gottes und aus Rücksicht auf
Meine Mutter." Ich warf mich zu den Füßen Jesu
und bat um Seinen Segen. Der Heiland machte das
Zeichen des Kreuzes auf meine Stirne, auf meinen
Mund, auf mein Herz und segnete mich.
Ich warf mich vor
Maria nieder und bat auch um ihren Segen, und
Maria segnete mich. Als ich den Segen Jesu
empfing, fühlte ich meine Seele mit Gnade
erfüllt; als ich Mariens Segen empfing, fühlte
ich meine Seele überfließen von Süßigkeit und
himmlischer Anmut.
Dieser Tag war ein
Tag, wo ich den Jubiläumsablass gewann. Wie
glücklich war ich an diesem Tage! Wie sehr bin
ich es jedesmal, so oft ich das Glück habe, den
zu empfangen, der die Ruhe und der Mittelpunkt
meines Herzens ist: der einzige Gegenstand
meiner Neigung und meiner Liebe; Derjenige, Den
ich Allem vorziehe, selbst den ausgezeichneten
Gaben und Gütern; Derjenige, welcher Alles für
mich ist und mir Alles ersetzt; Derjenige,
welcher der einzige Trost meiner Seele ist, ihr
Reichtum, ihr Glück, ihr Leben und ihre Freude!
Ergriffen von Seiner Schönheit, bezaubert von
Seiner Gnade, die Lieblichkeit Seiner Gegenwart
mit Wonne genießend, wie glücklich ist meine
Seele, wenn sie Jesus besitzt! Gibt es Etwas,
was diesem Besitze zu vergleichen wäre, der
schon auf Erden den Himmel besitzen lässt? Wie
reich ist man, wenn man Seine Liebe hat! Ja, ich
bin glücklich, und mein Glück übersteigt jeden
Ausdruck. Ich bin glücklich und würde mein Glück
nicht vertauschen gegen alle Güter, alle
Vergnügungen, alle Genüsse der Erde. Ich bin
glücklich, weil Jesus mir genügt und weil ich
mit Ihm nichts anderes mehr begehre.
Lob und Dank sei auf
ewig dargebracht dem Herrn, dem Gotte meiner
Seele!
Empfangen Sie gütigst,
Herr Pfarrer, den Ausdruck meiner tiefsten
Verehrung und meines vollkommenen Gehorsams,
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste den 29. Dez.
1842.
XV. Brief.
Der Heiland zeigt
Marie, dass sie ihre Gefährtinnen in Mimbaste
erbauen soll. Früchte dieser Erbauung.
Herr Pfarrer!
Ich unterwerfe immer
mit vollem Vertrauen Ihrem Urteile alles, was in
mir vorgeht.
Eines Tages war Jesus
in mein Herz eingetreten. Er saß auf Seinem
Throne, und ich genoss Seiner Gegenwart. Ich
fühlte einen lebhaften Zug, der mich mächtig von
Ihm fortriss, und ich konnte mich dennoch nicht
entschließen, Ihn zu verlassen. Endlich folgte
ich diesem Zuge und erhob mich nach und nach und
das Gewölbe meines Herzens schien mir viel
höher. Als ich eine gewisse Höhe erreicht hatte,
setzte ich mich auf einen Lehnstuhl, den ich an
die Mauer meines Herzens angelehnt fand; man
setzte mir eine Krone auf das Haupt. Dann erhob
ich mich von Neuem, und ich sah mehrere
unbekannte Personen vor mir erscheinen, die
jedoch wieder verschwanden. Ich stieg noch höher
und befand mich endlich in einer ungeheueren
Wüste. Ich kniete auf dem Sande nieder, um ein
Gebet zu verrichten und erhob mich hierauf.
Ich wollte den Ort
betrachten, von dem ich mich erhoben hatte, da
ich jedoch zu fallen fürchtete, so entfernte ich
mich. Dann näherte sich aber mir, ich weiß nicht
wer, und befestigte an meinen Gürtel ein Band,
dessen Enden bis zum Himmel reichten. Dann sah
ich ohne Furcht hin. Ich sah auf dem Grunde
mehrere Personen, welche die Arme nach mir
auszustrecken schienen, damit ich sie zu mir
heranzöge. Ich bückte mich so sehr ich konnte,
und hielt mich an dem Bande, das bis zum Himmel
reichte, und wirklich gelang es mir, einige
heraufzuziehen, aber da sie sehr schwer waren,
so kostete es
mich sehr große
Anstrengung. Ich konnte sie nicht mehr mit den
Händen heraufziehen. Alsdann gab mir der,
welcher das Band an meinen Gürtel befestigt
hatte, eine Kette, die ich in den Abgrund warf,
während ich das eine Ende derselben festhielt.
Auf diese Art gelang es mir, noch eine große
Menge derselben heraufzuziehen. Bald bedurfte
ich selbst der Kette nicht mehr. Es schien mir,
dass eine unbekannte Kraft sie aus dem Abgrund
zog, und ich nahm deren gleich drei oder vier
auf einmal heraus. Endlich sah ich eine
Abteilung aus einen Lehnstuhl steigen; ich
empfing sie und streckte ihnen die Arme
entgegen, um sie freundschaftlich zu umarmen.
Wir schritten dann in der Wüste voran; wir
trafen eine Tür, die ich mit Leichtigkeit
öffnete, und setzte mich zur Rechten, während
jene, die ich umarmt hatte, zu meiner Linken
Platz nahmen, und alle andern Personen vorwärts
gingen. Dieser Türe gegenüber war eine andere;
um aber dahin zu gelangen, musste man durch ein
kleines Gitter von sehr dünnem Eisen gehen. Ich
wagte mich durch dasselbe mit meiner Gefährtin
durch; ich öffnete die Türe und setzte mich
wieder rechts, sie links und ich sagte zu den
Andern: „Gehet durch oder ziehet Euch zurück."
--Sie wagten nicht durchzugehen, weil unter dem
Gitter ein tiefer Abgrund war. Indessen einige
gingen durch, die Andern folgten mit Ausnahme
einer einzigen, die sehr schwer war. „Vorwärts,
meine Schwester, Mut!" sprach ich gütig zu ihr,
„komm, wenn du willst." --- Sie schritt bis zur
Mitte vor und blieb stehen: „Komm doch," sagte
ich abermals, „oder ziehe dich zurück." Ein
neuer Eifer zeigte sich auf ihrem Gesichte, sie
war bald bei mir. Wir schritten durch einen
ungeheuer großen Gang, an dessen Ende ich ein
Kruzifix fand. Am Fuße des Kruzifixes hing ein
Schlüssel, mit welchem ich einen neuen Saal
öffnete, der mir die Kirche von Mimbaste zu sein
schien. Sie sagte: „Erbauet Euch gegenseitig,
unterstützet Euch durch Ausübung der
Frömmigkeit; du hast für sie gebeten, Maria, ich
habe dich erhört. Ich befehle dir, ihnen allen
ein gutes Beispiel zu geben und sie in der
Ausübung der Tugend aufrecht zu halten. Diese
werden deinem Beispiele treu sein. Die andern
Personen, die du vor dir gehen sahest, werden
von deiner Lebensweise nicht ergriffen werden;
du aber wirft nichtsdestoweniger die Krone
erhalten, auf dem Throne, der dir im Himmel
vorbehalten ist, wenn du auf dem Wege durch die
Wüste dieses Lebens jene rettest, welche deinen
Fußtapfen folgen und die Tugend ausüben wollen.
Alle riefen zu gleicher Zeit: „Ja, Herr, wir
wollen es." --- Was mich betraf, so konnte ich
nur die Worte sagen: „Herr, erbarme Dich meiner,
ich bin eine arme Sünderin.
Ist es Täuschung, ist
es Wahrheit? Ist's Betrug vom Geiste der
Finsternis? Sie, mein Herr, mögen darüber
urteilen, ich erzähle treulich, was ich erfahren
und zu erfahren glaubte.
Beten Sie für mich,
mein vielgeliebter Vater in Jesus Christus und
halten Sie Sich meiner ehrfurchtsvollen Gefühle
versichert,
Ihre
demütige Dienerin
Marie
Mimbaste den 3. Jan.
1843.
XVI. Brief.
Antwort auf zwei, von
Herrn Dupérier gestellte Fragen: hat Marie
Lataste die Heilige Schrift studiert? Was
empfand sie körperlich vor und nach ihren
Gesichten?
Herr Pfarrer!
Ich habe in Dax eine
Unterredung mit dem ehrwürdigen Priester gehabt,
an den Sie mich gewiesen haben. Ich habe seine
an mich gerichteten Fragen so gut beantwortet,
als es mir möglich war. Sie wissen aber, dass es
mir immer schwer wird zu sprechen und dass ich
eigentlich nur mit Ihnen über das reden kann,
was ich empfinde. Sie haben geglaubt, zu meinem
Besten mich veranlassen zu sollen, dass ich auch
Herrn Dupérier zu Rate zöge. Ich habe es mit der
Hingebung getan, die ich stets für Ihren Rat
gehabt habe und immer haben werde; ich gestehe,
ich habe auch nicht Ursache es zu bereuen.
Nichtsdestoweniger habe ich mich vielleicht
nicht klar und deutlich genug über zwei Fragen,
die er an mich richtete, ausgesprochen, nämlich
darüber: Lehrt mir der Heiland die Stellen der
heil. Schrift, die in meinen Schriften
vorkommen? Was empfinde ich körperlich, wenn Er
mit mir spricht, oder wenn ich Ihn von Angesicht
zu Angesicht sehe?
Ich möchte, wenn Sie
es erlauben, dies heute gut machen und mit der
größten Genauigkeit, deren ich fähig bin,
beantworten.
Was die erste Frage
anbelangt, so will ich zuerst daran erinnern,
dass ich die ganze Bibel gelesen habe, mit
Ausnahme gewisser Stellen, von deren Lesung mein
erster Seelenführer und Sie mir abrieten. Ich
erkläre ferner, dass es Stellen gibt, die ich
nicht kannte, oder die ich gänzlich vergessen
hatte, und endlich andere, an die ich mich noch
erinnerte. Wenn ich sie nicht kannte, so befahl
Jesus mir die Bibel oder mein Messbuch
aufzuschlagen und Er legte mir dann den Vers
oder die Stelle aus, die mir eben in die Augen
gefallen war. Wenn ich es vergessen hatte, so
erinnerte mich Jesus daran, und dann gab Er mir
die Erklärung davon. Endlich, wenn ich es noch
wusste, so legte es Jesus nur einfach aus, ohne
auf die Stelle Nachdruck zu legen, um sie
dadurch meinem Geiste einzuprägen.
Ich habe in Betreff
der Stellen, die ich nicht kannte, und welche
der Heiland zum Gegenstand Seiner Belehrungen
machen wollte, nur eine Bemerkung zu machen.
Sehr oft richtete ich meine Augen auf den Vers
selber, ein anderes Mal musste ich deren mehrere
lesen. Ich habe immer den erkannt, welcher den
Gegenstand der Unterredung bilden sollte, an dem
ganz eigentümlichen Reize, wodurch er meinem
Geiste sich einprägte, während die andern keinen
Eindruck auf mich machten.
Anderes habe ich auf
diese erste Frage nichts mehr zu antworten.
Hier folgt meine
Antwort auf die andere Frage; sie wird sehr
einfach sein. Ich empfinde weder in dem
Augenblick, wo Jesus mit mir spricht, noch
vorher, noch nachher etwas Peinliches in meinem
Körper. Mein Körper ist weder tätig, noch
leidend; ich vermag nicht zu sagen, wie er ist.
Es scheint mir, dass er unbeweglich ist und dass
er nicht den Gebrauch seiner Sinne hat, und dass
alle Tätigkeit in meiner Seele ist. Wenn Jesus
mit mir sprechen oder Sich mir zeigen will, so
fühle ich mich zu Ihm, zu Seinem Tabernakel
hingezogen und ich gehe leiblich oder geistig
dahin. Wenn ich mich in die Kirche begeben kann,
so knie ich mich dort auf den Boden oder auf
einen Stuhl; ich denke an Jesus, ich bete Ihn
an, ich weihe Ihm mein Herz, ich richte meine
Augen zum Tabernakel; dann verschwindet alles:
Kirche, Altar, Tabernakel; ich sehe nur mehr
Jesus und den Priester, wenn es während der
heil. Messe ist. Es ist eine ganz neue Welt. Ich
gehe, ich knie nieder, ich gehe zu Jesus. Ich
stelle mich an Seinen Thron, ich höre Sein Wort
an, und wenn Jesus zu sprechen aufgehört und ich
selber nicht mehr mit Ihm spreche, so fühle ich
mich angetrieben, Ihm zu danken; und finde mich
in derselben Stellung wieder, auf dem Boden oder
auf einem Stuhle kniend, wie in dem Augenblicke,
wo ich mich vor Ihm niedergeworfen habe.
All dieses geschieht
ohne irgendwelche körperliche Anstrengung; mein
Körper empfindet nur eine gewisse Lieblichkeit,
welche durch die vertrauten Beziehungen meiner
Seele zu Jesus hervorgebracht sein muss.
Wenn ich allein zu
Hause in meinem Zimmer bin und Jesus im Gebet
mit mir redet, so bin ich noch nie von jemandem
gesehen worden; allein oft wurde ich in dem
Augenblick überrascht, wo Jesus zu sprechen
aufgehört hatte. Nur dann bin ich zuweilen ein
wenig unangenehm berührt gewesen. Doch jetzt,
dem göttlichen Erlöser fei Dank dafür gesagt,
habe ich gelernt, diese Empfindlichkeit zu
beherrschen.
Ich muss indessen
gestehen, dass ich nach diesen mit dem Heiland
verlebten Augenblicken zum Arbeiten weniger
aufgelegt bin. Ich denke noch lange an Jesus,
nachdem ich Ihn gehört habe; ich möchte noch bei
Ihm sein; ich möchte mich nur mit Jesus
beschäftigen; diesen Hang finde ich in meinem
Geiste; allein mein Körper verfällt in eine
Niedergeschlagenheit, die mir die Arbeit
schwerer und mühevoller macht. Weiteres habe ich
auf diese zweite Frage nichts beizufügen.
Ich habe Ihnen soeben
ohne Hehl und mit gänzlichem Vertrauen alles
gesagt, was nach meinem Dafürhalten zur
vollkommenen Beantwortung jener beiden Fragen
dient, welche Herr Dupérier an mich gestellt
hat.
Sie können von meinem
Briefe nach Ihrem Belieben Gebrauch machen. Sie
haben über mich und über Alles, was mich angeht,
volle Gewalt. Wenn Sie glauben, denselben Hrn.
Dupérier mitteilen zu sollen, so können Sie es
ohne Bedenken tun.
Empfangen Sie, ich
bitte Sie, Herr Pfarrer, die Versicherung meiner
höchsten Verehrung und meiner innigsten
Dankbarkeit, womit ich die Ehre habe zu sein
Ihre
demütigste Dienerin
Marie.
Mimbaste, den 3.
Januar 1843
XVII. Brief.
Absichten Gottes
hinsichtlich der Familie Marie Lataste.
Herr Pfarrer!
Ich war eines Tages
bei Jesus, dem Erlöser in dem Tabernakel Seiner
Liebe. Ich dachte an den Ruf, den ich aus Seinem
Munde hatte ergehen hören; ich dachte an meine
Familie, die ich mit Margaretha allein lassen
sollte; ich dachte an meine Schwester Quitteria,
die uns schon lange verlassen hatte und sagte
zum Erlöser: „Ich werde dir überall hin folgen,
wohin du mich führen willst. Sprich, mein Gott,
zu der von dir bestimmten Stunde, werde ich
Alles verlassen, um Dir allein anzuhängen.
Der Heiland ließ mich
dann Seine sanfte Stimme hören: „Meine Tochter,"
sagte Er zu mir, „Ich habe auf Erden auf drei
verschiedene Arten gelebt; Mein öffentliches
Leben mit den Menschen, da ich lehrte und ihre
Krankheiten heilte; Mein verborgenes Leben in
Nazareth mit Meiner Mutter und dem heil. Joseph,
denen Ich untertan war, und mein geheimes Leben
mit Meinem himmlischen Vater. Ich habe nun Meine
Augen auf deine Schwester Quitteria geworfen,
dass sie Mich in Meinem öffentlichen Leben
nachahme. Sie soll den Menschen die ihnen in
ihren körperlichen und geistigen Gebrechen
notwendige Hilfe bringen.
„Deine Schwester
Margaretha habe Ich auserwählt zur Nachahmung
Meines verborgenen Lebens zu Nazareth; sie soll
bei deinen Eltern bleiben, um über sie zu
wachen, sie zu pflegen und ihnen zu gehorchen.
Dich habe Ich auserwählt und bestimmt zur
Nachahmung Meines geheimen Lebens mit Meinem
Vater im Himmel. Ich habe immer nur Einen Willen
gehabt, den Willen Meines Vaters. Ich habe immer
das getan, was Meinem Vater das Angenehmste war;
Ich habe nie meine Ehre gesucht,. sondern die
Meines Vaters; Ich habe Mich in jedem
Augenblicke Meines Lebens hingeopfert zur
Erkaufung und Erlösung der Menschen von ihren
Sünden; Ich habe in nichts der von Meinem Vater
bestimmten Stunde vorgegriffen. Endlich habe Ich
Ihn der Welt zu erkennen gegeben, und Er hat
Meinen Namen über alle Namen erhoben, und sowohl
im Himmel als aus der Erde beugt sich jedes Knie
vor Meinem Namen.
„Meine Tochter, der
Gedanke an Gott war Mir immer gegenwärtig; Ich
hörte Sein Wort, und Ich beurteilte alles nach
dem Worte Meines Vaters, und tat es, nur eins
mit Meinem Vater.
„Habe stets Mein
geheimes Leben mit Meinem himmlischen Vater vor
Augen, habe keinen andern Willen, kein anderes
Verlangen, als den Willen und das Verlangen
Meines Vaters. Suche immer in allem Seine Ehre.
Opfere dich jeden Augenblick vor Ihm, sowohl um
deine Sünden zu tilgen, als auch um für Andere
Barmherzigkeit zu erflehen. Greife Seiner Stunde
nie vor, erwarte sie unterwürfig und Er wird
auch dich im Himmel verherrlichen.
„Der Gedanke an Ihn
sei deinem Geiste stets gegenwärtig; höre Sein
Wort, das Mein Wort ist; lebe aus Ihm, in Ihm
und für Ihn, bleibe immer mit Ihm vereinigt.
Nimm auf in dich die Ergießung Seines Lebens
mittels der Gnade. Wenn du also handelst, so
werde ich dir die allen andern unbekannten
Geheimnisse enthüllen, wie Mein Vater Mir die
ewigen Geheimnisse Seines göttlichen Lebens
enthüllt hat; durch diese Mitteilungen wird
unsere Vereinigung immer zunehmen und sich mehr
entwickeln.
„Jetzt, da Ich dir
Meine Absichten in Bezug auf dich kundgegeben
habe, verbleibe Meinem Willen noch mehr ergeben.
Lebe in größter Demut und fürchte dich Meiner
Wohltaten unwürdig zu machen." --Ach, hochw.
Herr, ich weiß wohl, dass ich Jesu
Gunstbezeugungen nicht verdiene; ich weiß, dass
Er alles aus Barmherzigkeit für mich tut. O !
könnte ich ihn ewig lieben und mich Seinem
heiligen Willen überlassen!
Beten Sie für mich,
bitten Sie den Heiland, dass Er mich von allen
Feinden meiner Seele befreie und mich unter
Seinem Schutze bewahre.
Genehmigen Sie gütigst,
Herr Pfarrer, die Gefühle meiner tiefen
Verehrung und meiner vollen Ehrfurcht,
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste den 17.
Januar 1843.
XVIII. Brief.
Unser Heiland erzählt
Marie die Parabel vom König,
vom Knappen und vom
Ölbaum.
Herr Pfarrer!
Ich will Ihnen etwas
unterbreiten, was ich empfunden habe, Sie werden
nach Ihrem Gutdünken darüber denken und
urteilen. Eines Tages nach der Kommunion sagte
Jesus zu mir --- denn es war wohl, wie ich
glaube, Seine Stimme, die zu Mir gesprochen.
„Ich werde Meine Stimme erheben und sprechen:
Freue dich, Haus Juda, weil große Ehre dich
erwartet.“
„Freuet Euch, Ihr,
zu denen Ich gesagt habe :
„Wer Euch aufnimmt,
nimmt Mich auf. Wer Euch hört, hört Mich, wer
Euch verachtet, verachtet Mich".
„Freuet Euch, ihr
Nachfolger derer, zu denen Ich gesagt habe:
Gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie
im Namen des Vaters und des Sohnes und des hl.
Geistes“.
„Freuet Euch Ihr,
denen Ich Meinen Augapfel anvertraut habe.
„Freue dich,
Jerusalem, weil du in deinem Schoße empfangen
wirst eine Braut des Bräutigams, eine Tochter
des Vaters, geschmückt mit der Gnade ihres
Bräutigams und bereichert mit den Schätzen des
Vaters." --Dann fügte Er bei: „Als ein König
seine Staaten bereiste, fand er in der Wüste
eine Pflanze. Sie gefiel ihm sehr; er pflückte
sie und sprach: Diese Pflanze ist ein köstlicher
Ölbaum, den ich in meinen Garten verpflanzen
will; sie wird mir Öl geben zur Bereitung
köstlicher Speisen, die ich meinen Dienern
vorstellen werde. Er vertraute sie seinem
Lieblings-Knappen an und sagte zu ihm: Gib wohl
Acht auf diese Pflanze."
,,Der Knappe
betrachtete diese Pflanze und erkannte in ihr
wirklich einen Ölbaum, vortrefflicher Gattung.
Er pflegte sie
sorgfältig, riss das nebenan treibende Unkraut
aus, düngte sie von Zeit zu Zeit und bewässerte
sie mit dem reinsten Wasser, das er aus des
Königs Brunnen schöpfte.
Die andern Knappen
verspotteten ihn und sagten: Tor, der du einer
Weinrebe, die unser König in seinen Garten
verpflanzt hat, und deren Flüssigkeit den
Verstand rauben wird, so viele Sorgfalt widmest.
Was uns anbelangt, wir werden uns wohl vor der
scheinbaren Süße dieser Flüssigkeit hüten.
Die Spöttereien
konnten wohl den König und die Pflanze, die er
bebauen ließ, berühren; der Knappe wurde aber
dadurch wenig aufgeregt; weit davon entfernt,
betrachtete er die Pflanze nur noch genauer, und
so oft er sich derselben nahte, atmete er einen
so lieblichen Ölbaumsduft ein, dass er voll
Überzeugung ausrief: Das ist kein Weinstock, dem
ich meine Sorge widme, diese Pflanze ist ein
Ölbaum, der meinem Herrn Öl zu köstlichen
Speisen geben wird."
,,Als der König die
andern Knappen so reden hörte, war er
aufgebracht und sagte ihnen: Ihr Toren, für wen
haltet Ihr mich, dass Ihr meint, ich pflanze
einen Weinstock in mein Gartenbeet, um dadurch
den andern . Blumen zu schaden ? Nein, das ist
kein Weinstock, es ist ein sehr kostbarer
Ölbaum. Sodann wandte er sich zu dem treuen
Knappen und sagte zu ihm: Reiß die Pflanze aus
und versetze sie in ein anderes Gartenbeet, das
ich dir angeben werde, und dessen Boden noch
fruchtbarer ist. Der König selbst machte ein
goldenes Gehäuse, in Form eines Käfigs in
welches er die Pflanze tun ließ, damit nichts
ihrem frischen Grüne schade; und zu noch
größerer Vorsicht befahl er seinem Knappen, dass
dieser den goldenen Käfig mit einem Schleier
bedecke, damit Niemand auch nur den Glanz der
Pflanze betrachten könne. Der Knappe sagte zum
König: „Warum soll ich darüber diesen Schleier
breiten, die Pflanze kann ja keinen Schaden
nehmen?"
„Bedecke sie mit
einem Schleier, erwiderte der König, der alle
Eigentümlichkeiten der Pflanze kannte, weil die
Schönheit dieser Pflanze und der von ihr
ausgehende liebliche Geruch, einigen meiner
Untertanen, die in guter Gesundheit sich
befinden, schaden könnte. Sie würden meine
Pflanze beneiden und würden dadurch meine
Gewogenheit verlieren, denn ich will die Pflanze
für mich allein haben."
Aber der Knappe sprach
zu sich selbst: „Wenn ich die Pflanze zudecke,
so würde ich einem Schmuggler gleichen, und wenn
man mich nötigt die Pflanze zu zeigen, so käme
ich in Verlegenheit; ich werde den Schleier
nicht darüber breiten, der goldene Käfig sichert
die Pflanze des Königs vor jedem Schaden, desto
schlimmer für jene; die den Geruch der Pflanze
zu sehr einatmen und den König darum beneiden“.
Er riss die Pflanze
aus, setzte sie in das goldene Gehäuse; aber
ohne sie mit einem Schleier zu bedecken, und er
verpflanzte sie in das neue Gartenbeet. Wirklich
atmeten einige, die eine gute Gesundheit, aber
ein schwaches Temperament hatten, den Wohlgeruch
der Pflanze ein und wurden davon so entzückt,
dass sie wenigstens ein Blatt derselben hätten
berühren mögen. Der goldene Käfig hinderte sie
daran. Indem sie sich nun der Pflanze mehr und
mehr näherten, wurden sie von der Schönheit
derselben geblendet und durch deren Geruch
vergiftet; ehe sie starben, riefen sie aus:
Verflucht sei der Tag unserer Geburt, der unser
Unglück verursacht hat; verflucht sei der Tag,
wo wir diese Pflanze gesehen haben, die uns den
Tod bringt."
Die Pflanze wuchs und
wurde in dem neuen Gartenbeet des Königs groß,
sie trug Früchte und gab ein Öl von
vortrefflichem Geschmacke.
Alsdann verspottete
der treue Knappe die andern Knappen und sagte:
„Ich wusste wohl, dass ich nicht einen
Weinstock, sondern einen Ölbaum pflegte. Welch
einen lieblichen Wohlgeruch verbreiten seine
Blüten, wie reichlich sind seine Früchte und wie
köstlich sein Öl! Sehet,
scheint es nicht, dass
die Pflanze durch ihre Wurzeln, die
sich in dem ganzen
Gartenbeet ausbreiteten, die andern
Blumen gedüngt und
ihre Natur veredelt habe!"
Also freute sich der
Knappe darüber, die Pflanze des Königs gut
gepflegt zu haben. Eines Tages beschied ihn der
König zu sich und überreichte ihm eine große
Belohnung.“
„Meine Tochter,
wahrlich Ich sage dir, glücklich ist das
Gartenbeet, wohin der König die Pflanze aus der
Wüste verpflanzt!“
Sie mögen,
hochwürdiger Herr, hiervon denken, was Ihnen
gefällig ist; ich bin für dies, wie für alles
andere vollkommen gleichgültig. Ich verlange nur
nach Gott; ich hänge mich nur an Ihn; ich will
nur Ihn. Ich sage es in voller Aufrichtigkeit
meines Herzens und Gott, der meine Gefühle sieht
und kennt, wird am Tage der Wahrheit hierfür
Zeugnis ablegen, ich wünsche nichts anderes.
Empfangen Sie, Herr
Pfarrer, die Versicherung meiner Hochachtung und
der innigsten Dankbarkeit, von der ich gegen Sie
durchdrungen bin und mit welcher ich mich zu
nennen wage
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste, den 23.
Februar 1843.
XIX. Brief.
Gegenstand der
Betrübnis Mariens.
Herr Pfarrer!
Ihre Güte und Liebe,
all die Rücksichten, die Sie auf mich nehmen und
die ungemein große Teilnahme, die Sie mir für
mein Seelenheil bezeigen, erfüllt mich mit
Beschämung und Verwirrung. Wie soll ich Ihnen
meine Dankbarkeit beweisen? Gott allein sieht,
wie groß und aufrichtig sie ist. Genehmigen Sie
gütigst den Ausdruck und die Versicherung dieser
meiner Dankbarkeit, die ich Ihnen nun wieder
schriftlich erneuere.
Um Ihnen zu zeigen,
welch volles Vertrauen ich auf Sie habe, will
ich Ihnen heute alles sagen, was ich im
Innersten meines Herzens entdecke in Hinsicht
auf die Traurigkeit, die Sie in mir wahrzunehmen
vermeinten, und welche nur sehr wenige hätten
bemerken dürfen. Wenn ich Ihnen hiervon nie
Etwas gesagt habe, so will ich Ihnen aufrichtig
gestehen, es war kein Mangel an Vertrauen auf
Sie. Ich habe Ihnen mehr als einmal beweisen
müssen, wie vollständig ich mich ans Sie
verlasse.
Es wäre sogar eine
große Erleichterung für meinen Geist gewesen,
mit Ihnen zu sprechen bei Gelegenheit der
verschiedenen Prüfungen, die aufeinander folgen;
allein ich sah ein, dass meine zahlreichen
Leiden von meiner geringen Tugend herrührten und
ich befliss mich deshalb, lieber Tugendakte
auszuüben, als mir Tröstungen zu verschaffen.
Sie wünschen den
Gegenstand und die Natur meiner Traurigkeit zu
kennen, ich will es Ihnen in einigen Worten
mitteilen. Die Traurigkeit, die Sie in meinem
Äußern bemerkt haben, ist verschieden von der
schwermütigen, niederdrückenden Traurigkeit, die
zu allem unfähig macht. Dennoch bin ich zuweilen
ganz niedergeschlagen und kraftlos; wenn ich
aber dann mein Herz in den Schoß der
Barmherzigkeit Gottes ergieße, würdiget Er Sich,
dasselbe zu trösten und zu stärken, und es
bleibt dann zufrieden, trotz allem, was es
Schweres und Unangenehmes treffen mag.
Die Traurigkeit,
welche Sie in mir wahrzunehmen glauben, ist
weniger Traurigkeit als Charakter.
Als ich ein Kind von
10 bis 13 Jahren war, war mein ernster, düsterer
Charakter, der das Gepräge der Dummheit hatte,
ein Gegenstand großer Abtötungen für mich. Wenn
ich Wesen sah, die mit angenehmen, von der Welt
geliebten und geachteten Gaben ausgestattet
waren, so hätte ich wie sie sein mögen, und da
ich es nicht konnte, ohne Traurigkeit zu
empfinden, so war ich natürlich ernst, um zu
versuchen ebenso zu werden. Vergebliche Mühe, es
gelang mir nicht.
Da ist der Heiland
gekommen mich zu unterrichten und ich verlor
diesen Wunsch nach natürlichen Eigenschaften,
weil nach Seinem Urteil und Rat es besser sei,
die Demut und Einfalt der List dem Talente und
dem Weltgeiste vorzuziehen.
Ich habe jedoch weder
diese Demut, noch diese Einfalt, aber ich
verlange von ganzem Herzen nach ihr, ich suche
sie und bis ich sie gefunden habe, glaube ich in
mir diese Voreingenommenheit zu finden, die
nicht verboten und nicht Traurigkeit ist.
Meine Mutter war
bekümmert und betrübt, wenn sie mich stille sah,
wo ich mit ihr hätte sprechen können und sollen.
Es schmerzte mich selbst innig; aber ich weiß
nicht, woher es kommt, so oft ich mich mit
meiner Mutter und Schwester zusammenfinde, kann
ich mich nicht leicht ausdrücken, habe viel Mühe
Worte zu finden. Wenn ich allein bei fremden
Leuten bin und die Unterhaltung führen muss, so
habe ich mehr Mut und Leichtigkeit. Wenn ich
aber von Religion sprecht kann und darf, wenn
ich z. B. den Katechismus lehre, so tue ich es
leicht und finde Überfluss an Worten. Es ist mir
behaglich und ich bin keineswegs verlegen.
Heute bin ich in Bezug
auf Worte weniger als je verlegen, es scheint
mir, dass ich darin noch mehr Leichtigkeit
erlangen werde.
Sie bemerken jedoch
noch etwas in mir, was Sie Traurigkeit nennen,
es ist keine; das was Sie an mir wahrnehmen, und
was sich Ihnen auf meinem Antlitze in deutlichen
Zügen zeigt, ist der Wunsch, mich mehr und mehr
mit Gott zu vereinigen. Ich fühle, dass ich
nicht an meinem Platze bin. Gott hat mir einen
Beruf gegeben, und ich möchte schon im Stande
sein, ihn erfüllen zu können.
Indessen habe ich, ich
sage es Ihnen in voller Aufrichtigkeit, keinen
Wunsch, außer den, Gottes Willen zu erfüllen.
Ich erwarte Seine Stunde. In der Welt gefällt
mir nichts und missfällt mir nichts. Ich suche
ihren bösen Geist mit Demut zu ertragen und
strenge alle meine Kräfte an, um darauf bedacht
zu sein, dass ich nicht in ihre Schlingen falle.
Was mich vielleicht
auch so in mich selbst gekehrt und gesammelt
macht, ist etwas, was ich schon seit langer Zeit
empfinde, und was ich still im Herzen bewahre,
ohne es jemanden zu entdecken. Ich möchte davon
sprechen und kann es nicht; Ihnen jedoch kann
ich alles sagen und ich tue es ohne
Schwierigkeit. Ich verstehe nichts von den
natürlichen Wissenschaften; niemals hat mir
jemand davon Etwas gelehrt, und wenn mein Geist
bei der Betrachtung des Weltalls sich aufhält,
so bekenne ich meine Unwissenheit, ohne mich
äußerlich zu schämen und freue mich vielmehr in
dem Innersten meiner Seele bei der Erinnerung an
das Wort der ewigen Wahrheit: Selig sind die
Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.
Jesus, der Heiland,
unterrichtet mich in der übernatürlichen
Ordnung; Alles, was ich weiß, hat Er mir auf
vollkommene Art gelehrt. Da ist es meinem Geiste
und Herzen wohl, und sie wünschen nichts weiter.
Wenn Jesus mit mir spricht, so scheint es mir,
dass ich unbeweglich bin, wenigstens dann, wenn
ich nicht so unglücklich bin, unachtsam auf Sein
Wort zu sein.
Was mich ferner in
mich selbst gekehrt und gesammelt macht, ist,
dass ich mich zuweilen verlassen, hilflos,
schwach, matt finde, allen Arten von
Versuchungen ausgesetzt, von tausend Feinden
umgeben und im Kampfe mit mir selbst; dann auch
die Demütigungen, die ich empfinde, aus Furcht,
ich möchte getäuscht werden. Nichts desto
weniger, Euer Hochwürden, rauben alle diese
Dinge, ich versichere Sie, mir weder den
Frieden, noch die Ruhe meiner höheren
Seelenkräfte. Die Gnade, welche der Heiland mir
erweist, die Lieblichkeit Seines Wortes oder
Seiner Gegenwart bewahren mich innerlich ruhig
und stille.
Ich ergebe mich ohne
Unruhe in den Willen Gottes, meines himmlischen
Vaters. Ich weiß, dass Er Alles, was mir
begegnet, will, sowohl zu Seiner Ehre, als zu
meinem Heile, und ich danke Ihm dafür. Ein Vater
tut nichts, was dem Nutzen seines Kindes
entgegen ist, wenn er wahrhaft Vater ist, d. h.
wenn er ein gutes, zärtliches und liebevolle
Herz hat; aber niemals wird seine Güte der Güte
Gottes gleich kommen. Auch fürchte ich nichts,
ich bin nicht unruhig, ich bin voll Vertrauen,
ich bewahre die Ruhe meiner Seele und Freude in
meinem Herzen, wenn sich auch äußerlich nichts
davon offenbart. Was Sie in mir wahrgenommen
haben, ist also keine eigentliche Traurigkeit.
Auch liegt darin nichts, was meine Mutter und
Familie beunruhigen könnte. Man ist nicht
überrascht mich so ernst und zurückhaltend zu
sehen, wenn nur ein Lächeln über meine Lippen
kommt, wenn ich spreche oder wenn man mit mir
spricht. Ich habe nie jemanden daran gewöhnt, in
mir solche Äußerungen der Freude zu finden, wie
man es bei andern findet. Ich begnüge mich, ein
wenig zu lächeln, ohne Ziererei, ohne etwas
Gesuchtes und jedermann ein freundliches, gutes
Gesicht zu zeigen. Ich hüte mich auch meinen
Eltern zuviel Liebe zu zeigen, um nicht ihr Herz
an mich anhänglich zu machen. Ich umarme meine
Mutter alle Tage, damit sie nicht an meiner
Liebe zweifelt; aber ich bin nicht sklavisch an
sie gebunden. Später, wie jetzt, würde ich zu
sehr beengt sein. Dennoch würde ich,
hochwürdiger Herr, wenn meine Schwester nicht
bei meiner Mutter wäre, ihr alle meine Sorgen
widmen; allein Sie erinnern sich, was der
Heiland mir darüber gesagt hat. Empfangen Sie,
Herr Pfarrer, die Versicherung meiner höchsten
Verehrung, mit welcher ich die Ehre habe zu sein
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste, den 5. März
1843.
XX. Brief.
Marie ist über ihren
Beruf beruhigt. Unser Herr spricht ihr Sein Lob
aus.
Herr Pfarrer!
Ich muss Ihnen
gestehen, dass ich mich in einer ziemlich
schweren Lage befinde. Mein Herz wird von zwei
Seiten heftig angezogen. Die Vorstellungen und
die Bedenklichkeiten, die man mir macht, erregen
tausend Ängste in mir und dennoch empfinde ich
einen solchen Hang, dass ich ihm nicht zu
widerstehen vermag.
Soll ich mich durch
diese Vorstellungen und Bedenklichkeiten
aushalten lassen? Soll ich mich blindlings ihnen
unterwerfen? Ohne Zweifel darf und muss ich nur
gehorchen. Aber wie soll ich diesem Hang
widerstehen, der mich fortreißt, der mich
beherrscht, der Herr über mich wird? Welche
traurige Verwirrung! Einesteils will ich
gehorchen und mich unterwerfen; andererseits
scheint es, dass der Gehorsam mir unmöglich ist,
und dass ich notwendigerweise dem Antriebe oder
der Stimme folgen muss, die mich zu einem andern
Leben beruft. Deshalb, Herr Pfarrer, habe ich in
dieser peinlichen und schwierigen Lage
neuerdings in der Gegenwart Gottes, in der
Einfalt und Aufrichtigkeit meiner Seele mein
Herz untersucht und meine Gefühle geprüft. ---
Wenn nun aber mein Gewissen nicht vollständig
blind und eingeschlafen ist, so wirft es mir
nicht vor, dass mein Widerstand gegen meine
Obern hierin eine Wirkung stolzen Eigensinnes
sei. Ich habe mehr und mehr die Kraft und Stärke
des Zuges, der mich zum Eintritt in die
Gesellschaft des hl. Herzens treibt, erkannt,
und ich sehe, dass es mir unmöglich ist, diesem
Zuge zu widerstehen, welcher mein Herz
unumschränkt beherrscht. Um nun nicht länger
mehr zu zweifeln, um mich gänzlich zu beruhigen,
habe ich mich an Jesus, den Heiland, gewendet
und habe zu Ihm gesagt: „Herr Jesus, ist es Dein
unbeschränkter Wille und berufest Du mich
wirklich dazu, dass ich Klosterfrau des
heiligsten Herzens werde?" Jesus, der Heiland
hat mir geantwortet: „Meine Tochter, höre
aufmerksam Meine Worte an. Ich will sie an
deinen Seelenführer richten, teile sie ihm
pünktlich mit:
„Mein Sohn, die
Teilnahme, mit der du dich der Maria annimmst,
gefällt mir. Ich sehe, wie es im Evangelium
berichtet wird, das, was du ihr tust, so an, als
ob es Mir getan wäre. Ich liebe die Art und
Weise, wie du sie behandelst, und wenn Ich für
einen Trunk Wasser, den man den Armen gereicht,
eine ewige Belohnung verleihe, um wieviel mehr
werde ich das belohnen, was du für Marie tust.
„Widme Marie stets
deine Sorgfalt, du weißt nicht wem du sie
widmest. Marie wird eines Tages die geistige
Mutter der armen Sünder sein, Marie wird die
Trösterin der
Betrübten und das Licht der Unwissenden
sein. Mariens Stimme
wird gleich der Stimme eines
großen Kirchenlehrers
wiederhallen und ihre Stimme wird die Feinde
Meiner hl. Religion bekämpfen. Marie wird wie
ein glänzender Stern aus der Wolkenhülle
hervorgehen, und ihrem Vaterland und den fernen
Gegenden als Schauspiel dienen. Die Einwohner
des Himmels werden sie betrachten, und von ihrer
Schönheit geblendet sein. Marie wird der
Schrecken der bösen Geister und ein Gegenstand
des Hasses und der Beschämung für die Feinde
Meiner Lehre sein. Marie wird verfolgt werden,
sie wird alle Arten von Widerwärtigkeiten
empfinden, alles aber wird zu ihrer Heiligung
dienen. Sie ist am Vorabend ihres Eintritts in
die tiefe Abgeschiedenheit, die ich ihr
bestimme. Erlaube ihr abzureisen und du wirst
mir angenehm sein." Das, Herr Pfarrer, ist in
aller Einfalt, was der Heiland mir gesagt hat.
Sie mögen darüber denken, was Ihnen passend
scheint.
Genehmigen Sie die
Versicherung meiner tiefsten Ehrfurcht, mit
welcher ich die Ehre habe zu sein
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste den 29. März
1843.
XXI. Brief.
Der Heiland kündigt
Marie an, dass sie am Montag in der ersten Woche
des Monats erkranken werde und am vierten Tage
genesen werde. Wie dieses Wort seine Erfüllung
fand.
Herr Pfarrer!
Ich weiß, Sie
wünschen, dass ich Ihnen nichts verberge und
Ihnen in aller Aufrichtigkeit sage, was ich
empfunden habe. Hier folgt nun, was Jesus, der
Heiland, eines Tages zu mir gesagt: „Meine
Tochter, du wirst am Montag der ersten Woche des
Monats Mai erkranken um 8 Uhr morgens. Du wirst
häufiges Erbrechen haben als Vorbote eines
starken Fiebers. Ein geschickter Arzt wird
kommen, er wird alle Art von Mitteln anwenden,
jedoch erfolglos. Man wird sehr in Sorgen über
dich sein, aber sei ruhig, du wirst erst zu der
Zeit sterben, von der ich dir gesprochen. Du
wirst in dieser Krankheit viel leiden, die
ungelegene Liebe deiner Mutter wird für dich
eine große Betrübnis sein. Hüte dich jedoch, sie
oder die, welche dich besuchen werden,
zurückzuweisen. Sei geduldig, entsage deinem
Willen, beklage dich nie, am vierten Tage nach
deiner Erkrankung wirst du genesen; aber die
Genesung wird langsam gehen.
Ich erwartete mit
Ungeduld den mir bestimmten Tag. Gott will dich
da, sprach ich innerlich, versichern, dass du
dich nicht getäuscht hast, dass nicht der böse
Feind mit dir spricht und dich zum Besten hat,
sondern Jesus. Wenn du an dem festgesetzten Tage
zur bestimmten Stunde erkrankst, so hast du die
Gewissheit, dass du nicht getäuscht worden bist;
wenn du aber gesund bleibst, wirst du sehr klar
sehen, dass du vom bösen Geiste hintergangen
bist. Ich gestehe es, ich zweifelte sehr, ich
fürchtete, betrogen zu sein. Dennoch wollte ich
mich darauf vorbereiten, diese Prüfung mutig zu
ertragen, im Falle ich vom Geiste der Finsternis
betrogen wäre. Ich bat Gott, Er möge mich in
dieser Prüfung, wenn ich nicht erkrankte,
unterstützen und mir den Frieden und die Ruhe
bewahren. Ich bat ihn auch, Er möge mir, wenn
die Krankheit mich befiele, Kraft geben,
dieselbe geduldig und auf die Art und Weise, wie
Er es mir gesagt hatte, zu ertragen. Endlich
brach der bezeichnen Tag an. Ich stand auf, und
sagte mir: Das ist der Tag, an welchem du
erkranken sollst. Ich ging in den Garten, um zu
betrachten. Ich hörte 8 Uhr schlagen, und befand
mich vollkommen wohl. Ich verließ alsbald den
Garten, indem ich mir selber sagte: „Wozu länger
warten, ich bin betrogen, ich brauche nicht
mehr, daran zu zweifeln. Aber, was liegt daran?
Ich will mich an Satan rächen, Ich will ihm
nicht einmal das Vergnügen machen, mich in
Verwirrung und Aufregung zu sehen. Von heute an,
schwöre ich ihm ewig Hass. Ich werde
sorgfältiger als je jede Art der Sünde vermeiden
und suchen, in der Tugend immer mehr zu wachsen,
wie an Jahren. Hierauf ging ich in mein Zimmer
zurück und weinte nicht über das, was mir
begegnet war, sondern über meinen Tod, der jetzt
vielleicht auch nicht in meine Jugendzeit fallen
würde. Denn, wenn ich hinsichtlich meiner
Krankheit getäuscht bin, warum sollte ich es
nicht auch hinsichtlich der Zeit meines
Hinscheidens sein?
Alsbald glaubte ich,
Jesu Stimme zu hören, die zu mir sagte: „Gott
allein kennt den Tag und die Stunde deines
Todes. Was dich anbetrifft, du kennst sie nicht,
lebe jeden Tag so, als ob es der letzte deines
Lebens wäre, und so wirst du alle Tage sterben."
Er fügte bei: „Nimm alle Prüfungen mit voller
und gänzlicher Unterwerfung unter Gottes Willen
an." Wiederum sagte Er mir: „Hoffe auf Gott,
deine Hoffnung wird nicht getäuscht werden.
--Was geschah in den folgenden Tagen? Ach!
hochwürdiger Herr, ich kann es Ihnen nicht
sagen! Welch ein Ringen, welch ein Kämpfen,
welch ein Leiden! Ich gehörte mir nicht mehr
selbst an. Ich wusste nicht, was ich tun, was
aus mir werden sollte. Dennoch trotz allem dem
behielt ich zu meiner Verwunderung und
Überraschung einen tiefen Frieden in meiner
Seele. Ich liebte Gott von ganzem Herzen; in
hätte Ihn noch mehr lieben, mich Ihm ganz
hingeben, aus Ihm, für Ihn ewig leben mögen!
trösten wollte; aber
Seine Worte waren verhüllte Worte; es waren
Bilder und Gleichnisse.
All dieses kam mir
höchst verdächtig vor; umso mehr, da, wenn
gleich mein Geist, durch Jesu Einfluss sich
leicht zu Gott erhob, er sich noch leichter von
Gott losriss und zuweilen sogar das Andenken an
Seine Gegenwart ganz verlor. Es dauerte nicht
lange bis ich mich wieder besann und mich vor
Gott demütigte, dabei aber vieles litt. Zuweilen
war die Finsternis meines Geistes so groß, dass
ich nichts mehr sah, und nicht wusste, woran ich
mich halten, woraus ich bestehen sollte. Ich
begriff nicht, was das für eine Stimme sein
könnte, die zu mir sprach. Ich war versucht, den
Mut zu verlieren, meinem inneren Leben zu
entsagen, um ein ganz äußeres Leben zu führen.
Alles erschien mir als Täuschung, und ich litt
eine unaussprechliche Marter.
Da zeigte sich aber in
meiner Seele ein Lichtstrahl und alsbald
urteilte ich anders. Ich sagte zu mir selbst:
Ich will warten und ich wartete. Der Friede in
meinem Innern war noch nicht angegriffen; ich
blieb fest und dennoch war ich äußerlich so
aufgeregt, dass ich ganz abgeschlagen wurde.
Kaum konnte ich mich fortschleppen. Am vierten
Tage fand ich mich merkwürdiger Weise gänzlich
befreit. Mein Erstaunen darüber war groß und
tausend verschiedene Gedanken gingen mir im
Kopfe herum; es dauerte nicht lange und in
meinem Geiste wurde es heller und glänzender.
Mein Leib war in
Wirklichkeit nicht krank gewesen, aber meine
Seele hatte ein wirkliches Fieber gehabt, sobald
darum dieses Licht in meinem Innern erglänzte,
urteilte ich also: Die Krankheit, von welcher
der Heiland mir gesprochen, ist keine leibliche,
sondern eine Seelenkrankheit. Diese Seine Worte
dürfen nicht leiblich, sondern müssen geistig
verstanden werden. Was bedeutet in der Tat
dieser Hass gegen den Teufel und dieser feste
Entschluss, mit ihm auf immer zu brechen, wenn
nicht das Erbrechen, wovon der Heiland mir
gesprochen? Was bedeutet dieses heftige Fieber,
das folgen sollte, wenn es nicht der Zustand
ist, in welchem ich mich vier Tage lang befunden
habe. Wer ist dieser geschickte Arzt und die
Mutter, die da gekommen, um an mir vergeblich
ihre Mittel und Sorgfalt anzuwenden, wenn nicht
der Heiland selbst und Seine Worte und
Tröstungen, die auf meine Seele keinen großen
Eindruck machten und mich nicht zu heilen
vermochten? Endlich bedeutete nicht die
Langsamkeit meiner Genesung all die Leiden, all
die Schmerzen, die ich bis zum Ende meines
Lebens ertragen soll?
Dies, Herr Pfarrer,
habe ich empfunden, dies habe ich gedacht. Ich
habe diese Qualen in jenen Tagen empfunden, und
es scheint mir, ich habe dadurch gelernt, das
Leiden mit Mut und Kraft zu ertragen. Auch Licht
ist mir geworden und zu meinem Troste bin ich
hingerissen worden zu der Voraussetzung, dass
der Heiland mir von einer geistigen Krankheit
sprechen wollte. Was mich auch dahinführt so zu
denken, das sind die Worte, die ich gehört zu
haben glaube, und die Jesus an mich richtete:
„Der Mensch ist
immer Mensch, und weil er Mensch, redet er wie
ein Mensch, sieht er wie ein Mensch, urteilt er
wie ein Mensch, hört und versteht wie ein
Mensch; aber Gott ist Gott, und weil Er Gott
ist, handelt Er wie Gott, redet wie Gott,
urteilt wie Gott, sieht wie Gott, hört und
versteht alles wie Gott.
Das alles indessen
stelle ich Ihnen anheim als meinem Vater und
Seelenführer. Denken Sie, mein Herr, darüber,
was Sie wollen oder vielmehr, was der Geist
Gottes Ihnen eingeben wird. Ich überlasse alles
Ihrem Urteile und Ihrer Entscheidung. Verzeihen
Sie mir, wenn ich Sie mit Dingen unterhalte, die
vielleicht bedeutungslos und nichtig find. So
lange Sie mir befehlen zu schreiben, werde ich
alles schreiben, wie ich auch sogleich aufhören
und weder mündlich noch schriftlich etwas sagen
werde, sobald Sie mir dieses befehlen. Ich
beschwöre Sie viel für mich zu Gott zu beten,
und ich bin in Jesus Christus unserm Herrn,
Ihre
ehrfurchtsvollste
Dienerin
Marie Lataste.
Mimbaste den 30. April
1843 .
XXII. Brief.
Marie Lataste
befragt unseren Herrn im Namen des Herrn
Dupérier. Antwort des Heilandes an diesen
Geistlichen.
Hochwürdiger Herr!
Da ich nur die Ehre
habe, Sie aus dem Lobe zu kennen, das ich Ihren
Tugenden spenden hörte und durch Ihre
Verdienste, so bitte ich Sie, den Ausdruck
meiner tiefsten Ehrfurcht und meiner Hochachtung
zu genehmigen.
Mein hochwürdiger
Pfarrer hat mich, mein Herr, mit Ihrem Wunsche
bekannt gemacht, dass ich für Sie zu Jesus, dem
Erlöser beten soll, und dass ich die Antwort des
göttlichen Meisters niederschreibe, um dieselbe
Ihnen zu überliefern. Ich habe getan, was mein
geistiger Vater von mir für Sie verlangte, und
ich will einfach hier berichtigen, was geschehen
ist.
Tags darauf, als Ihr
Wunsch mir ausgedrückt wurde, erwachte ich,
gegen meine Gewohnheit, mit Tagesanbruch.
Ich war ganz erquickt
nach der Ermüdung des vorausgehenden Tages; ich
erhob mich, indem ich dachte, jetzt einen sehr
günstigen Augenblick für meine Betrachtung zu
haben. Ich versetze mich wie gewöhnlich im
Geiste vor das allerheiligste Sakrament, und
nachdem ich andächtig das schmerzliche Leiden
Jesu betrachtet hatte, sprach ich also zu Jesus:
„Mein Erlöser, Du kennst den Auftrag, den mein
Seelenführer mir an Dich gegeben hat.
Ich weiß nicht,
welches Gebet ich an dich richten soll; aber Du,
der Du die Lage und die Bedürfnisse jeder Seele
kennst, sage mir, was sich für den Priester, für
den ich meine Zuflucht zu Dir nehme, am besten
eignet. Verzeihe die Kühnheit, mit welcher ich
diese Frage an Dich richte; ich würde mich hüten
es aus mir selbst zu tun; allein Du hast mir
anbefohlen, immer und in allem zu gehorchen.
Herr! Um dir zu gehorchen spreche ich also : Ich
bitte Dich darum, nicht aus mir, noch für mich
selbst, sondern durch Deine Verdienste und zu
Deiner größeren Ehre, und werde Dich so lange
darum bitten, bis Du mich erhört hast!" ---
Jesus, der Heiland hörte mich gütig an; ich lag
vor Seinen Knien und Er redete also zu mir:
„Meine Tochter, sage zu dem, der dich gebeten,
du mögest für ihn an mich ein Gebet richten:
„Das spricht Gott, der Allmächtige, der alle
Dinge durch Seine Vorsehung ordnet." ---
In diesem Augenblicke
verwirrte mich ein Gedanke, es war dieser. Wer
bist du, sagte ich zu mir, dass du die Worte
deines Gottes aufnimmst, um sie dann Seinem
Diener zu übermachen? Wirst du dich derselben
vollständig erinnern und wirst du in keiner
Weise deine Worte darunter mischen? Der Heiland
nahm dieses wahr und beruhigte mich, indem Er
sprach: „Fürchte nichts, Meine Tochter, höre
Mich au und sei im Frieden. Dann fügte Er bei:
„Sage dem Priester: Dies sagt Gott der
Allmächtige, der alles durch Seine Vorsehung
ordnet: Habe Vertrauen, guter Diener! wirf deine
Augen auf Mich, der Ich dein Vorbild bin und
sieh, was Ich tun würde, wenn Ich an deiner
Stelle wäre. Gehorche der Stimme deines Bischofs
so vollkommen, als ob es Meine Stimme wäre. ---
Meine Tochter, fügte der Heiland bei, der
Gehorsam dieses Priesters wird belohnt werden.
Er möge nicht handeln, wie viele andere, die er
kennt, gehandelt haben; sie hätten besser getan,
ohne Widerstand zu gehorchen; sie hätten sich
dadurch viel Leiden erspart. Viele Gedanken
gehen ihm im Kopfe herum, er verwirre sich
nicht, und er höre Meine Stimme in dem Grunde
seines Herzens. Hinsichtlich der Sache, die ihn
jetzt beschäftigt und mit der Ich dich nicht
bekannt zu machen brauche, ziehe er einen alten
Priester zu Rate, der Erfahrung und ein
richtiges Urteil besitzt, lege sein eignes
Urteil ganz bei Seite und unterwerfe sich der
Entscheidung, die er erhalten wird, und wenn er
so handelt, wird er in Jesu Fußstapfen treten,
Der da Maria und Joseph und sogar den Soldaten,
die Ihn kreuzigten, untertan war. Wer gehorcht,
kann sich trösten und sagen: Ich tue den Willen
meiner Oberen, folglich den Willen Gottes. So
sei dieser Priester dem Willen seines Bischofs
untertan und Ich werde ihm Rosen an den Dornen
pflücken lassen. In dem Amt, das er im Seminar
ausübt, sei er voll Wachsamkeit, Festigkeit und
Sanftmut. Seine Wachsamkeit komme den
Missbräuchen zuvor, seine Festigkeit lasse sie
verschwinden, seine Sanftmut gewinne ihm die
Freundschaft all seiner Schüler. Er möge große
Andacht zu Meiner Mutter haben und solche allen
einflößen, die ihm nahen. Wenn er im Laufe
seines Lebens dem Widerspruche von was immer für
Menschen ausgesetzt ist, so möge er sich daran
erinnern, was Ich ihm heute durch meine kleine
Dienerin Marie sagen lasse, dass er nämlich Den
nachahmen solle, Dessen Diener zu sein er die
Ehre hat, und wohl wisse, dass er nie so viel
leiden werde wie sein göttlicher Meister. Er
möge sich trösten und Mut und Vertrauen fassen.
Er gehört unter meine Vielgeliebten. Ich lobe
seine Demut, womit er dich um ein Gebet anging
und durch dich um die Gnade nachsuchte, Mein
Wort zu vernehmen. Möge er dieses ebenso treu
erfüllen, als wie er demütig darum gebeten;
Meine Blicke werden mit Wohlgefallen auf ihm
ruhen und meine Segnungen werden sich reichlich
über seine Seele ergießen. Ich habe alles so
getreu als möglich berichtet und
niedergeschrieben, und bitte zum Schlusse Sie
nur noch, Herr Pfarrer, die Güte zu haben, für
mich zu beten, damit Gott mir die Gnaden
verleihe, deren ich bedarf, um allezeit Seinen
Willen zu erfüllen und über meine Feinde zu
triumphieren, besonders über meinen
hartnäckigsten Feind, der da, ich verberge es
Ihnen nicht, der Stolz ist.
Empfangen Sie gütigst,
Herr Pfarrer, ich bitte Sie, die Versicherung
meiner ausgezeichnetsten Hochachtung, mit
welcher ich die Ehre habe zu sein,
Ihre
demütigste Dienerin
Marie Lataste
Mimabste den 2. Mai
1843.
XXIII. Brief.
Gott erleuchtet die
Seelen auf verschiedene Art.
Herr Pfarrer!
Am 10. dieses Monats
warf ich mich nach der heil. Kommunion zu den
Füßen Jesu nieder und sprach also zu Ihm: „Herr
Jesus, wäre es Deiner Dienerin erlaubt, Dich zu
fragen, warum du die Fragen nicht beantwortest,
die ich für Herrn Dupérier an Dich gerichtet
habe?"
Der göttliche Meister
befriedigte mich nicht; deshalb flehte ich
inständigst, damit ich eine günstigere Antwort
und auch die Zusicherung erlangen möge, dass
Jesus Hrn. Dupériers Fragen geradezu beantworte,
indem Er nämlich zu ihm selber spräche, ohne
meine Vermittlung.
Der Heiland hörte mich
gütigst an: „Meine Tochter, sagte Er hierauf, da
du darauf bestehest, so befehle Ich dir, dem,
für welchen du Mich bittest, die Worte zu
wiederholen, die Ich jetzt durch deine
Vermittlung an ihn richten will. Hier find Seine
Worte: „Mein Sohn,
sei nicht erstaunt,
wenn Ich deine Wünsche nicht befriedigt habe. Es
ist dieses nicht deshalb geschehen, weil Ich
dich nicht unterrichten wollte zu deinem und
deiner Nächsten Wohl, du wärest der Erste, der
aufrichtig gewünscht, von mir unterrichtet zu
werden, und nicht die notwendige Erleuchtung
empfangen hätte; allein ich hatte Meine
Absichten, dich nicht auf die Weise zu
unterrichten, wie du es wünschtest. Ich
unterrichte nicht jedermann auf dieselbe Art.
Wenn ich dich. nicht so in fühlbarer Weise
unterrichtet wie Marie, so geschieht es deshalb,
weil zwischen dir und ihr ein großer Unterschied
ist. Ich verlange mehr von dem, der mehr
erhalten hat. Ich habe deinen Verstand
erleuchtet, ihn mit Wissenschaft geschmückt, Ich
habe ihn zu tiefem und ernstem Nachdenken fähig
gemacht, dagegen habe ich Marie einen Stand
angewiesen, in welchem es ihr unmöglich war,
sich zu unterrichten, in welchem ihr Geist
unfähig sein musste, viel nachzudenken; die
Menschen konnten sie nicht so erziehen und
unterrichten, dass es hinreichend gewesen wäre,
für das, was Ich mit ihr vorhabe, deshalb bin
Ich selbst ihr Lehrmeister geworden.
Was dich anbelangt,
mein Sohn, erwarte nicht alles von Gott, mache
das, was Er dir gegeben, geltend, lass deinen
Geist in Gottes Gegenwart wirken, und Gott wird
in dir wirken, indem Er deinem Geiste die
Gedanken und Betrachtungen eingibt, die dir in
der Lage, worin du dich befindest, notwendig
sind. Wahrlich, Ich sage dir, stelle an Mich
alle Fragen, die du willst, Ich werde alle
beantworten; allein so, wie es Mir passend
erscheinen wird. Wenn du Antwort von Mir
bekommen hast, d. h. wenn es in deinem Geiste
Licht geworden ist, so befrage deinen
Seelenführer, und tue, was er dir sagen wird.
Suche allezeit, mein
Sohn, die Belehrung, welche dir noch notwendig
ist, und du wirst sie finden zur Bestätigung der
Worte des heiligen Evangeliums: Bittet und ihr
werdet empfangen; suchet und ihr werdet finden;
klopfet an und es wird euch aufgetan werden.
Mein Sohn, vermehre den Schatz Meiner
Gnadengaben immer mehr in dir und schreite in
der Ausübung des Guten voran." --Sie können nun
von dieser Unterredung denken, was Ihnen
beliebt. Ich überlasse alles der Barmherzigkeit
Gottes, setze auf Ihn mein Vertrauen und nehme
wahr, dass durch die Hilfe Seiner Gnade mein Mut
und meine Kraft sich mehrt.
Empfangen Sie, Herr
Pfarrer, die Versicherung meiner
ausgezeichnetsten Hochachtung, mit welcher ich
die Ehre habe zu sein
Herr Pfarrer!
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste, den 13. Mai
1843.
XXIV. Brief.
Marie dankt ihrem
Seelenführer für seine Güte gegen sie und
verspricht sich der größten Demut hinzugeben.
Herr Pfarrer!
Ich sehe mich in die
Unmöglichkeit versetzt, für all die Güte, welche
Sie gegen mich haben, je erkenntlich sein zu
können. Ihr so gütiges, zuvorkommendes und
liebevolles Benehmen gegen mich vermehrt täglich
die Gefühle der Dankbarkeit, welche sich in
meinem Herzen gebildet haben, seitdem ich das
Glück gehabt, Sie zum Seelenführer zu haben.
Denken Sie nicht, dass
ich Ihnen dies aus bloßer Förmlichkeit oder
Höflichkeit sage; nein, Euer Hochwürden, ich
sage es Ihnen ganz aufrichtig und in voller
Wahrheit. Gewiss, ich bin sehr weit entfernt,
mich über den zu beklagen, der zuerst die
Leitung meiner Seele besorgt hat; denn ich war
über seine Abreise sehr betrübt; aber ich habe
dessen ungeachtet die Wahrheit der Worte
erfahren, welche Jesus damals mir zum Troste
sprach: „Betrübe dich nicht, meine Tochter, du
wirst die göttliche Vorsehung für diese Änderung
preisen und sehen, dass alles zu deinem Besten
gereichen wird." --Es war mir ein Bedürfnis,
Herr Pfarrer, Ihnen diese Gefühle meiner Seele
schriftlich zu sagen und auszudrücken, da ich
keine Gelegenheit gefunden habe, es mündlich zu
tun. Nein, Herr Pfarrer, ich bin nicht im
Geringsten erstaunt darüber, dass Sie mir so oft
und so beharrlich die Demut anempfehlen. Ich
will mich mit Ihnen vereinigen, den Herrn um
dieselbe zu bitten und mich von neuem
anstrengen, sie zu erwerben. Aber leider bin ich
so schwach und so schlaff! Ich bin so, wie ich
nicht sein möchte, und habe nicht die Kraft so
zu sein, wie ich sollte und wollte. Ich bin bald
ganz Feuer, bald ganz Eis. Heute fühle ich in
mir die Kraft eines Löwen, und morgen bin ich
die Schwäche selbst.
Wie unglücklich sind
wir auf der Erde, all diesem Elend, all diesem
Wechsel, all diesen Veränderungen unterworfen zu
sein! Doch wir dürfen den Mut nicht verlieren.
Unser Gott ist so gut und barmherzig! Wie
glücklich werden wir mit Ihm im Himmel sein!
Dort wird das Gute ohne Mischung mit dem Bösen
sein, man wird Gott lieben mit Notwendigkeit,
weil man Ihn schaut, und es unmöglich ist, Gott
zu schauen, ohne Ihn zu lieben. Dort wird das
Glück ohne Mischung mit Tränen oder Betrübnis
sein; dort ist man im höchsten Grade glücklich,
weil man Gott besitzt und dieser Besitz Nichts
zu wünschen übrig lässt. Wahrlich, alles, was
wir auf Erden leiden können, ist wenig, im
Vergleich damit, dass wir dadurch dieses Glück
erlangen können, und doch ist es genügend!
Welcher Trost für uns, wenn unser Herz zuweilen
auf Erden so tief betrübt ist; im Himmel
wenigstens werden wir für alle unsere Leiden
entschädigt werden. Ach! mein Gott, sind wir es
nicht zuweilen selbst schon hier auf Erden?
Gestatten Sie mir,
Herr Pfarrer, ich bitte Sie, diese meine
Herzensergießung in den Schoß ihrer christlichen
Liebe auszuschütten, und empfangen Sie gütigst
meinen demütigsten Dank für Alles, was Sie für
mich tun. Mein Dank wird ewig sein; ich werde es
nie vergessen, darauf können Sie rechnen.
Ich kann meinen Dank
nur durch meine Unterwürfigkeit und Gelehrigkeit
beweisen, womit ich Ihren heilsamen Rat aufnehme
und ausführe. Ich will suchen, es mit der Gnade
Gottes und mit der Hilfe Ihres mächtigen Gebetes
zu tun.
Genehmigen Sie gütigst,
Herr Pfarrer, die Gefühle meiner tiefen
Verehrung, meiner innigen Dankbarkeit und meiner
vollkommenen Unterwürfigkeit, mit welchen ich
die Ehre habe zu sein,
Ihre
ehrfurchtsvolle und
gehorsamste Dienerin
Marie.
Mimbaste den 7. Mai
1843.
XXV. Brief.
Marie muss leiden,
weil sie Jesus zum Bräutigam und König hat.
Herr Pfarrer!
Erlauben Sie mir,
Ihnen Etwas mitzuteilen, was mir vom Heilande
gesagt wurde, wenigstens scheint es mir, dass Er
es war. Entscheiden Sie darüber, wie es Ihnen
gefällt und Ihre Entscheidung wird stets die
Richtschnur meiner Handlungsweise sein.
Eines Tages nach der
Kommunion sprach Er also zu mir: „Meine Tochter,
höre Meine Worte mit Ehrfurcht und
Unterwürfigkeit an, weil Meine Worte nicht die
Worte eines Menschen, sondern eines Gottmenschen
sind. Wegen der hohen Bestimmung, die Ich dir
vorbehalte, liebte Ich dich seit selbst vor
Anbeginn der Welt; Ich liebte dich und du warst
noch nicht, Ich liebte dich und bewahrte dir,
wie Meinen übrigen Auserwählten besondere Gnaden
auf.
„Ich habe dich vor
dem Verderben der Welt bewahrt; Ich habe dir
frühzeitig gelehrt, den Eingebungen des Teufels
und deiner Feinde zu widerstehen; Ich habe dich
die Wirksamkeit meiner Gnade fühlen lasten,
welche in dir ein bildsames Herz fand und darum
daselbst Etwas ausrichten konnte. Endlich habe
Ich dich, trotz deiner Unvollkommenheiten,
deines Elendes, deiner Schwäche, deiner
Schlaffheit und deiner Nachlässigkeit Meine
Worte auf fühlbare Weise hören und dadurch
Meinen Willen und Meine Absichten in Bezug auf
dich erkennen lassen. Ich habe dich zu Meiner
Braut erwählt; nun musst du augrund dieses so
ehrenvollen und glorreichen Titels zum Vorbild
an Meinen Peinen und Trübsalen teilnehmen. Nein,
dein Leben darf kein angenehmes, in Genüssen,
Vergnügungen und Befriedigungen zugebrachtes
Leben sein, sondern ein beschwerliches,
mühevolles Leben. „Du hast Mich selbst zu deinem
Könige erwählt, Ich habe also ein ganz
besonderes Recht auf dich, weil du dich Mir
zweifach geweiht, als Jungfrau und als Christin.
Du hast Mir tausendmal das Opfer deiner selbst
gebracht, dieses Opfer sei also auch ein
wirkliches Opfer. Gewöhne dich an ein hartes,
beschwerliches Leben; die Arbeit schrecke dich
niemals ab; erfülle alles gutwillig, was die
göttliche Vorsehung von dir verlangen wird.
Härte deinen Körper ab und stärke deine Seele
durch alle die Entbehrungen, die sich dir
darbieten und die sich in kurzer Zeit noch
beträchtlich vermehren werden. „Als Ich auf
Erden war, habe Ich zu Meinen Aposteln gesagt:
„Wachet und betet" --- diese Worte sollten auf
die innere Wachsamkeit, auf das Wachen der Seele
und des Herzens sich beziehen. Ich habe zu dir,
Meine Tochter, gesagt : Wache und bete, und ich
wollte, dass du darunter das körperliche Wachen
verstehen solltest. Deshalb hatte Ich dir
anbefohlen, mit Tagesanbruch aufzustehen, wenn
du wach wärest, damit du zuerst deine
Betrachtung machen und dann Meine Worte
aufschreiben könntest. Deshalb habe Ich dir
besohlen, zweimal in der Woche auf hartem Boden
zu schlafen, nachdem du dazu die Erlaubnis von
deinem Seelenführer erhalten hast. O ! die
Abtötung des Körpers ist die Kraft der Seele.
Ich wollte, dass in dir eine starke Seele sei,
stark gegen sich selbst und stark gegen deine
Leidenschaften, stark gegenüber deinem Nächsten
und stark gegenüber deinen Vorgesetzten; stark
in den Augen deines Schutzengels und stark in
den Augen deines Vaters, der im Himmel regiert;
nun findet man aber diese Kraft nur in Trübsalen
und in der körperlichen Abtötung." --All dies
ist der Natur nicht angenehm, aber Gott ist es
angenehm; es ist besser die Natur zu
unterdrücken und dem Herrn zu gefallen. Es
scheint mir jedoch, dass mit der Gnade von Oben
nichts mich abzuschrecken vermöchte, nichts mich
zum Zurückweichen bringen könnte; überall und
immer werde ich den Schmerz hinnehmen als eines
der größten Güter, die Gott mir schicken könnte,
weil das Himmelreich Gewalt leidet, und weil man
wie Jesus und soviel wie Gott will, leiden muss,
um eines Tages in die Glorie einzugehen.
Ich vergesse nicht,
Herr Pfarrer, das, was Sie mir anbefohlen,
nämlich für Ihren hochwürdigen Seelenführer zu
beten. Ich tat es schon vorher, alle Tage; die
Dankbarkeit legt mir diese Pflicht auf. Dürfte
ich Sie bitten, ihm den Ausdruck meiner
ehrfurchtsvollsten Gefühle und meines
aufrichtigsten Dankes darzubringen? Sie, Herr
Pfarrer, bitte ich, den Ausdruck meiner tiefsten
Verehrung und ewigen Dankbarkeit zu genehmigen,
mit welcher ich die Ehre habe zu sein. Herr
Pfarrer!
Ihre
demütigste und
gehorsamste Dienerin
Marie
Mimbaste den 25. Mai
1843.
XXVI. Brief.
Unser Heiland will,
dass Marie Klosterfrau im Orden des heil.
Herzens werde, Er wird alle Hindernisse
beseitigen und sie wird Seinem Rufe folgen
können.
Herr Pfarrer!
Es scheint mir, dass
der Heiland eines Tages folgende Worte an mich
richtete.
„Meine Tochter! höre
mich an: Ich bin die unerschaffene Weisheit; Ich
kenne die Größe, die Höhe, die Tiefe, die
Ausdehnung aller Dinge, und Meine Worte sind
keine Worte, die in den Wind gesprochen sind und
keine leeren Worte. Ich will mit dir über das
sprechen, was das Heil deiner Seele und das
Anliegen Meiner Ehre betrifft. Sage deinem
Seelenführer, der über die Wirklichkeit und
Wahrheit deines Berufes in einer gewissen
Unentschiedenheit ist, Ich wolle ihn und dich in
dieser Beziehung durch meine eigne
unerschütterliche Sicherheit vergewissern.
„Ich erkläre also
ihm und erkläre auch dir, dass dein Beruf eben
der ist, wie du ihn geoffenbart hast und wie du
ihm denselben hast kennen lernen. Die Zeit, die
ich ihm mit unumschränktem Willen zur Ausführung
dessen, was ich mit dir vorhabe, festgesetzt,
ist dein vierundzwanzigstes Jahr. Bis zu diesem
Zeitraum ist Mein Wille nicht unumschränkt, Ich
überlasse es dem Willen deines Seelenführers.
Wenn du aber dein vierundzwanzigstes Jahr
erreicht hast, so ist Mein Wille unumschränkt
und nichts darf, nichts kann dich mehr
aufhalten. Wenn Ich mit unumschränktem Willen
Etwas will, so spreche Ich als Herr und mache
mir alle Herzen unterwürfig.
„Alle Weisheit des
Menschen ist im Vergleich mit Meiner Weisheit
nur Torheit, und der gelehrteste und
erleuchtetste Mann ist vor Mir nur Unwissenheit
und Finsternis. Der Wille und das Urteil des
Menschen sind fehlbar und der Veränderung
unterworfen; aber Mein Wille und Mein Urteil
sind voll Beständigkeit. Gott, Mein Vater, kann
Mein Urteil nicht ändern, weil er Eines mit Mir
ist und Ich selbst, Gott wie Mein Vater, habe
das Urteil Seiner Gerechtigkeit den Menschen
gegenüber nicht abwenden können, durch alles,
was Ich getan habe, durch alles, was Ich noch
tue, durch alles, was geschehen ist und noch
geschehen wird. „Es gibt wohl ein Urteil in Mir,
das in einer Art dem Willen des Menschen
anheimgegeben ist, so dass es, wenn man die
Dinge menschlich betrachtet, scheint, Mein
Urteil sei der Veränderung unterworfen; dem ist
aber nicht so, es sind dies nur Prüfungen, die
Gott Seinen Dienern schickt, um ihren Glauben
und ihre Treue kennen zu lernen. Also prüfte
Gott den Abraham, indem Er von ihm verlangte,
dass er Ihm seinen Sohn opfere; also prüft Er
noch eine bedeutende Anzahl Seiner Diener und
niemand nimmt es wahr; Gott aber lässt ihnen
ihren Gehorsam und ihre Unterwerfung zum Heile
gereichen.
„Der Gehorsam und
die Unterwerfung unter Gottes Urteil erlangen
ein barmherziges Gericht; der Mangel an Glaube
und Unterwerfung ziehen ein gerechtes Gericht
nach sich."
„Alles ist von
Meinem Vater vorausgesehen, nichts ist Ihm neu."
--- Handeln Sie, Herr Pfarrer, in allem, was
mich betritt, nach Ihrem Gutdünken, mit der
Gnade Gottes und mit Hilfe Ihres Gebetes bin ich
zu Allem bereit und aufgelegt. Fürchten Sie
besonders nie mir zu widersprechen, noch mir
Kummer zu machen, worin und weshalb es auch sei.
Empfangen Sie, Herr
Pfarrer, ich bitte Sie, die Versicherung der
Gefühle der Verehrung, Dankbarkeit und
Unterwerfung, von welchem ich durchdrungen bin,
und mit welchen ich mich voll Ehrfurcht zu
nennen wage, Herr Pfarrer!
Ihre
demütigste, obwohl
unwürdigste Dienerin
Marie
Mimbaste den 26. Mai
1843.
XXVII. Brief.
Antwort auf die
Einwürfe des Herrn Dupérier.
Herr Pfarrer!
Der Brief, den Sie mir
letzten Sonntag vorgelesen haben, hat mir keinen
andern Kummer gemacht, als den, welchen ich in
dem Augenblick, wo Sie ihn mir vorlasen,
empfunden habe. Ihrem Rate gemäß, setzte ich all
mein Vertrauen auf Gott, unterwarf mich
vollkommen Seinem hl. Willen, und empfand in mir
eine Freude und einen Mut, die alle Betrübnis
überfliegen.
Sie sprechen mir den
Wunsch aus, dass ich auf das, was Herr Dupérier
veranlasst hat, mich als Geisterseherin und
Betrügerin zu erklären, antworte. Ohne Ihren
Befehl hätte ich es nie getan. Sie befehlen es
mir, ich tue es Ihrem Willen gemäß, und das
fällt mir nicht schwer. Ich darf nur berichten,
was ich in dem Verkehr, den ich, wie es mir
scheint, mit Jesus neuerdings hatte, empfunden
habe.
Am Tage, nachdem ich
Kenntnis von Herrn Dupériers Urteil hatte,
wendete ich mich an den Heiland und sagte Ihm
mit voller Hingebung: „Herr, ich weiß nicht, wie
die Dinge gehen werden; aber möge geschehen, was
da will, ich setze mein Vertrauen auf Dich, ich
bin bereit, ergeben und zu allem aufgelegt, was
Du von mir verlangen wirst. „Meine Tochter“,
antwortete mir der Heiland, „sei ruhig und
wappne dich mit Mut.
Ich hatte dir
Prüfungen angekündigt; das ist nur eine; es
werden noch andere kommen, die noch viel
empfindlicher für dich sein werden; aber, möge,
was immer geschehen, müsstest du auch dein Blut
für Mich vergießen, sei ruhig, Ich werde mit dir
sein. Wenn aber Ich mit dir bin, so muss das
Übrige gering scheinen. Mögen innere oder äußere
Prüfungen dich treffen, mögen sie auf dich
einstürmen und dich darnieder zu beugen suchen,
wenn Ich mit dir bin, so wird es Ihnen nicht
gelingen.
Mit Mir wirst du alles
überwinden; ohne Mich würde die Prüfung eines
Augenblicks genügen, dich auf ewig
niederzuwerfen, und wenn du auch mächtig wärst,
wie alle Welten.
„Um jede Besorgnis,
jede Furcht und jede Betrübnis in dir zu
zerstreuen, folgt hier die Antwort auf alles,
was in dem Briefe, den man dir vorgelesen hat,
gegen dich eingewendet worden ist.
1. „Man hat, sagt man,
in deinen Schriften kleinliche Einzelheiten
gefunden: aber welche? Man bezeichnet keine.
Warum sollen sie kleinlich sein? Nichts ist
unbedeutend oder kleinlich in der Eingebung des
göttlichen Geistes; er weht, wo er will und wann
er will, und gibt dadurch ein, was er will und
die anscheinend geringfügigste Sache hat oft die
wichtigsten Wirkungen."
2. „Ein Gleiches sagt
man von deinen Worten, wie von deinen Schriften,
diese Behauptung ist nicht besser begründet. Man
wird zu deinen Worten denselben Geist, wie in
deinen Schriften finden. So lange man dir nichts
Bestimmteres entgegenfetzt, gehe ruhig
vorwärts."
3. „Man heißt dich
eine Geisterseherin wegen der Parabel, welche
Ich dir vom König, vom Knappen und vom Ölbaum
vorgetragen habe. Um ihnen nun zu beweisen, dass
dieselbe nicht die Wirkung deiner
Einbildungskraft sei, so folgt hier die
wirkliche Auslegung derselben. Der, welcher dich
beurteilt hat, hat einen Teil davon erraten, d.
h. er hat richtig geurteilt, dass du durch den
König --- Gott, durch den Knappen --- deinen
Seelenführer und durch den Ölbaum --- dich
selbst bezeichnen wolltest. Darin hat er sich
aber getäuscht, dass er glaubte, du selbst
habest diese Parabel gemacht; allein er hat die
wahre Erklärung dieser drei Punkte erraten, die
andern sind ihm verborgen. Du kannst ihm
dieselbe nach dieser Erklärung bekannt machen.
,,Die Knappen, welche
den Knappen des Königs verspotten, und den
Ölbaum für einen Weinstock ansehen, sind Jene,
welche von dir, von deinen Schriften und dem
glauben, welcher dein Seelenführer ihnen
beimisst, haben reden hören und denselben
darüber tadeln oder seinen Eifer und seine
christliche Liebe zu dir ins Lächerliche ziehen,
indem sie Alles, was du empfindest, für eine
Wirkung des Geistes der Finsternis ansehen.
Jene, welche durch den Geruch der Pflanze
vergiftet werden, sind jene, welche zu dir und
deinen Schriften ihre Zuflucht nehmen, aber das
nicht ausüben, was du ihnen durch deine Worte
und deine Briefe gesagt hast." .
„Das neue
Gartenbeet, in welches Ich dich verpflanze, ist
der Orden des hl. Herzens, wo du zunehmen wirst
in der Vollkommenheit, zu der Ich dich zu führen
beabsichtige. Das goldene Gehänge, in welches du
versetzt werden sollst, ist mein Schutz, der
dich beschirmen wird. Der Schleier, welchen der
König über den Ölbaum zu werfen befiehlt, ist
das Geheimnis, das über den geheimen Absichten,
die ich mit dir und deinen Schriften vorhabe,
ruht; damit nichts geschehe, was dir schädlich
sein könnte.
Der Knappe legt den
Schleier nicht darüber; aber er ist deswegen
nicht ungehorsam, weil es mehr eine
Anempfehlung, als ein Befehl war, der ihm
gegeben wurde; dieser Schleier sollte jedoch den
Ölbaum nicht verbergen. Ich brauche dir nicht zu
sagen, wer jene sind, welche die Pflanze
berühren und von ihrem Wohlgeruche berauscht
sind und daran sogar sterben werden. Man wird es
später sehen. Unter diesen sind einige bei dir,
andere fern von dir, einige werden zu deinen
Lebzeiten, andere nach deinem Tode sich finden.
Man heißt dich eine Betrügerin, weil die
Prophezeiung in Bezug auf Paris nicht in
Erfüllung gegangen ist."
„Aber welcher Art
ist denn diese Prophezeiung? Heißt es
prophezeien, wenn du in deinen Schriften das
Gesicht, das du hattest, erzählst? Du hast
mitten auf einem großen Platze in Paris einen
Jüngling auf einer Säule gesehen. Er war mit
einem roten Kleide bekleidet und trug einen
Kopfschmuck auf seiner Stirn, ein Schwert in der
Scheide, einen Bogen in seinen Händen. Seine
Blicke blitzten und sein Mund war bereit,
Drohungen zu schleudern. Über seinem Haupte
sahst du mit feurigen Buchstaben geschrieben:
Der Würgengel.
Bei diesem Anblick
wurdest du von Furcht ergriffen, das Mitleid
bemächtigte sich deines Herzens und du
richtetest deine Gebete und dein Flehen zu Gott,
und Gott hörte, wie deine Stimme zu Ihm rief:
„Herr rette Paris, rette den König!" --- Das
hast du gesehen, und das hast du gesagt. Ist das
denn eine Prophezeiung und wenn es eine
Prophezeiung gewesen wäre, weiß man nicht, dass
es bedingungsweise Prophezeiungen gibt,
besonders wenn diese Prophezeiungen Gottes
Gerechtigkeit verkünden! Man heißt dich eine
Betrügerin, weil du vorgibst, den Klosterberuf
zu haben, und man behauptet, dass dem Beruf
keinen andern Grund habe, als deine durch langes
Nachtwachen aufgeregte Einbildungskraft.
„Der Mangel an
Schlaf also soll deine Einbildungskraft
aufregen? Nein, dem ist nicht so. Du genießest
eine für die Gesundheit deines Leibes
hinlängliche Ruhe, Ich wache über deine
leibliche Gesundheit ebenso, wie über die
Gesundheit deiner Seele, und dieser Grund ist
nur ein Grund für denjenigen, der keinen
wirklichen Grund angeben kann.
Hat man denn deinen
Beruf nicht oft genug auf die Probe gestellt,
hat man dich nicht immer unterwürfig, folgsam,
geduldig gesehen? Was will man mehr? Man sagt
auch, deine Abreise und deine Aufnahme im
Kloster seien nicht zu verwirklichen.
Warum könnte denn
deine Abreise sich nicht verwirklichen? Hast du
nicht wie jede andere die Macht, zu gehen und
dahin zu gehen, wohin Gott dich ruft? Fürchtet
man eine Gefahr für dich? Oder bin denn Ich
nicht da, um dich unter meinen Schutz zu nehmen?
Du könntest, sagt man endlich, im Orden des
heil, Herzens nicht aufgenommen werden. Warum
solltest du es nicht können? Habe ich nicht
gesagt, dass der Bischof von Aire um deine
Aufnahme bitten und mau es ihm nicht abschlagen
werde? Habe ich nicht gesagt, dass, wenn er sich
nicht für dich verwenden wollte, er nicht dazu
verpflichtet wäre, und dass Ich dir einen
sichern Eintritt in diese für dich bestimmte
Abgeschiedenheit verschaffen werde? Wohl bist du
arm; allein Ich bin der Reichtum des Ordens vom
heil. Herzen. Die treuen Seelen, die sich dort
der Verherrlichung Meines göttlichen Herzens
weihen, kennen Meinen Willen und werden ihn
nicht verwerfen, da Ich ihnen denselben noch
bekannt machen werde. Andere Gründe, um dich
eine Geisterseherin und Betrügerin zu heißen,
gibt man keine an, weil man keine anderen dafür
hat.
Aber, wahrlich, ich
sage dir, meine Tochter, in diesem Umstand hat
es geschienen, dass sich die Kraft in Schwäche,
die Weisheit in Torheit verwandelt. Fürchte dich
durchaus nicht, die Kraft wird sich in deiner
Schwäche, die Weisheit in deiner Torheit und die
Wahrheit in deinen Gesichten offenbaren.
Die Worte, die du
vernimmst, sind nicht von dir, sie gehören Mir;
du schreibst sie bloß. Du bist nichts, du kannst
nichts aus dir selbst; aber Ich bin Alles; Ich
kann Alles, Ich ordne Alles, Ich sorge für
Alles, und die größten, wie die kleinsten Dinge
werden aufgenommen in den Absichten und in der
Anordnung Meiner Weisheit, Meiner Vorsehung und
Meiner Barmherzigkeit.
Man untersuche alles
aufmerksam an dir, in deinen Schriften und in
deinem Berufe, und wenn man Falschheit oder Lüge
darin sucht, so wird man nur Wahrheit darin
finden. Man suche jedoch nicht, die Absichten
Meiner Vorsehung zu erforschen, denn das wird
nie gelingen.
Niemand wird erfahren,
warum Ich Mich an dich wende, niemand wird
erfahren, warum Ich dich unterhalte in der
Weisheit, Tiefe, Lieblichkeit und Vollkommenheit
Meines Wortes; Niemand wird erfahren, warum Ich
dich in das Kloster des hl. Herzens zu Paris
berufe und nicht zu den Ursulinerinnen in Aire,
oder in ein anderes Kloster, das Ich nicht
wählen wollte.
,,Ich tue dies alles,
weil Ich es will und weil Ich niemanden
Rechenschaft von Meinem Willen zu geben
brauche." --Er schwieg, Er hatte Seine Rede
beendet. Ich sagte sogleich zu Ihm: „Herr in
dieser Stunde ist mein Geist vollkommen
gleichmütig gestimmt gegen alles, was man mir
vorgeworfen hat; es kann also nicht meine
Einbildungskraft sein, die mir das eingegeben,
was ich aus deinem Munde gehört habe: „Nein,
Meine Tochter, Ich bin es, der diese Worte an
dich richtet. Gehe hin in Frieden und bewahre
sie tief in deinem Herzen."
Das ist, Herr Pfarrer,
was ich gehört habe und was mir, wie mir
scheint, der Heiland gesagt hat. Aus mir selbst
hätte ich nie gewagt so zu antworten und es auch
nicht gekonnt. Sie haben mir befohlen, den Brief
zu beantworten, welchen Sie mir vorgelesen
haben; aus mir selbst und ohne Ihren Befehl
hätte ich es nicht getan, weil ich vollkommen
gleichmütig bin gegen all das, was er enthält.
Sie haben mir einen Befehl gegeben und ich folge
demselben durch den Bericht dessen, was ich
erfahren habe.
Sie werden mir meine
Einfalt verzeihen, ich versichere Sie, Euer
Hochwürden, dass ich das Opfer meiner selbst
gebracht habe. Meine Seele, mein Geist, mein
Herz, mein Leib sind Ihm geweiht. Ich will nicht
mehr mir gehören, ich will ganz Jesu Christo
angehören. Ich hoffe, dass Er mich erleuchten,
dass Er mich nicht verlassen und von all meinen
Feinden befreien werde, nämlich von meinen
Leidenschaften, von der Welt und von dem Teufel.
Jesus ist mir Alles, alles Übrige gilt mir
Nichts.
In welcher Lage ich
auch sein, welche Prüfung mich treffen, welche
Betrübnis mich niederbeugen möge, wenn ich Jesus
habe, wenn ich mit Jesus vereinigt bin, wenn ich
Ihn liebe, wenn ich an dem Fuße Seines Kreuzes
auf den Knien bleiben und mich demütigen und
vernichten kann, so bin ich glücklich und es
mangelt mir Nichts. Mit Ihm werde ich gut
gestimmt sein und hinreichende Gnaden haben; mit
Ihm werde ich Seiner Gnade mitwirken, mit Ihm
werde ich leben, und der Tod kann mich nicht
erreichen, oder wenn er mich trifft, wird das
nur geschehen, um mir das Leben und die Ewigkeit
zu geben.
Empfangen Sie, Herr
Pfarrer, ich bitte Sie, die Gefühle meiner
Ehrfurcht, meiner Unterwürfigkeit, meiner
Dankbarkeit und meiner Hochachtung. Ich habe die
Ehre zu sein,
Herr Pfarrer,
Ihre
demütigste und
unwürdigste Dienerin
Marie.
Mimbaste den 13. Juni
1843
XXVIII. Brief.
Marie Lataste sieht
den Heiland nicht mehr. Ihre Gefühle in dieser
Hinsicht.
Herr Pfarrer!
Seit fünf oder sechs
Monaten habe ich die Erscheinungen, von denen
ich Ihnen so oft gesprochen habe, nichts mehr
vor Augen. Wenn sie vom Teufel kamen, so danke
ich dem Herrn dafür, dass Er nicht länger
zulässt, dass ich getäuscht werde; wenn sie von
meiner Einbildungskraft kamen, so danke ich
dafür, dass sie mich jetzt in Ruhe lässt, wenn
sie von Ihm kamen, so danke ich wieder, und weit
entfernt, sie von Neuem zu wünschen, erkenne ich
mich vielmehr derselben vollkommen für unwürdig
und will nur immer mehr und mehr Ihm anhangen.
Ich wünsche nichts, ich sehe nichts mehr, allein
ich höre die an mich gerichteten Worte und
misstraue denselben.
Ich bleibe dennoch
ruhig, mich Gottes Willen überlassend; ich
wünsche nichts, als Ihn zu lieben. Er wird mir
täglich mehr und mehr mein alles in der
irdischen Verbannung. Ach! Herr, Du allein
kannst mein Herz befriedigen. Ich bitte Sie,
Herr Pfarrer, die Versicherung meiner
ausgezeichneten Hochachtung zu empfangen.
Ihre
ganz ergebene Dienerin
Marie
Mimbaste den 22. Juni
1843.
XXIX. Brief.
neue Mitteilungen über
Mariens Gesichte seit 1842; sie sieht Jesus
nicht mehr mit den leiblichen Augen; aber sie
hört Sein Wort und ist nicht weniger glücklich.
Hochwürdiger, sehr
verehrter Herr!
Sie wünschen zu
wissen, auf welche Weise Jesus in Seinem
Verkehre mit mir verfahren ist. Hier folgt der
Wahrheit gemäß, was sich zugetragen hat.
Einige Zeit nach
meiner ersten Kommunion fühlte ich mein Herz von
einem sehr lebendigen Glauben an die Gegenwart
Jesu Christi in dem allerheiligsten Sakramente
des Altars ganz durchdrungen. Dieser Glaube
trieb mich an zu einer größeren Sammlung an den
Sonntagen und jeden Tag der Woche, wo ich das
Glück hatte, in die Kirche zu kommen.
Ein Jahr später, d. h.
ungefähr im Alter von 13 bis 14 Jahren, schien
es mir, als ob ich nach der hl. Wandlung ein
glänzendes Licht auf dem Altare sähe, aber ich
unterschied noch nichts deutlich. Während diese
Helle meine Augen traf, erwärmte sich meine
Seele mit Liebe zu dem Gotte des Sakramentes,
und ich hätte gewünscht, mich recht oft mit Ihm
zu vereinigen, vorzüglich dann, wenn ich nicht
das Glück hatte, zu kommunizieren.
In dem Maße, als ich
merkte, dass meine Liebe zu Jesus zunehme, wurde
das Licht heller und glänzender. Eines Tages
endlich schien es mir, als ob ich Jesus wahrhaft
auf dem Altare sähe. Ich sah Ihn; allem Er war
wie mit einer Wolke von Licht oder Gnade
umgeben, ich weiß nicht, was es war.
Wie groß war mein
Glück; ich glaubte wohl an die wirkliche
Gegenwart Jesu im Sakramente; allein Jesus zu
sehen, Ihn mit meinen Augen zu betrachten, welch
unaussprechliche Gnade, welche Seligkeit für
meine Seele. Ich war damals 17 Jahre alt, es war
im Jahre 1839. Eines Tages kam ich wieder in die
Messe; ach! hochwürdiger Herr, wie groß war
meine Pein, ich sah den Erlöser nicht mehr.
Umsonst hefteten sich meine Augen auf den Altar,
ich sah weder Jesus, noch Sein Licht, ich fühlte
mein Herz nicht mehr zu Ihm hingezogen; es
schien mir, dass ich Ihn nicht mehr so liebte.
Wollte Jesus mich strafen für meine
Gleichgültigkeit gegen Ihn oder mir entziehen
diese Gnade, die ich auf keine Weise verdiente?
Ich weiß es auch nicht. Welch ein Kummer war mir
diese Prüfung! Ich suchte indessen mich dem
Willen Gottes zu unterwerfen. Bald wurde ich
Herr über meine Betrübnis, und ich sagte zu
Jesus in aller Aufrichtigkeit meines Herzens:
„Herr, dein Wille geschehe und nicht der Meine."
--- Im Anfange des Jahres 1840, am Feste der hl.
drei Könige, hatte ich das Glück, die heilige
Kommunion zu empfangen. Ich fühlte eine
Seligkeit in mir, wie ich noch nie empfunden
hatte. Ich wollte meine Augen auf den Altar
richten; Jesus saß dort auf einem goldenen
Lehnsessel voll Herrlichkeit und Majestät. Ich
sah, wie Er mir gütig zulächelte, und ich sagte
innerlich zu Ihm: „Herr Jesus, segne mich und
habe Erbarmen mit einer armen Sünderin, wie ich
bin." Ich habe das Glück gehabt, Ihn also
jedesmal zu sehen, so oft ich der hl. Messe
beiwohnte bis zum Ende des Jahres 1842.
Im Augenblick der
Auswandlung, da der Priester die Kniebeugung
machte, nachdem er die Worte der Wandlung
ausgesprochen, sah ich, wie eine ungemeine Helle
sich im Heiligtume verbreitete, und Jesus auf
dem Altare erschien, woselbst Er bis zur
Kommunion verblieb, Gewöhnlich war Sein Antlitz
voll Güte und Sanftmut, zuweilen jedoch war Er
streng und schien Er aufgebracht zu sein. Sein
Glanz übertraf den Glanz der Sonne, Seine
Majestät war mit nichts auf der Erde
vergleichbar; Sein Thron war vom glänzendsten
Golde; Sein Kleid war von keinem Stoffe, auch
nicht von dem feinsten, oder, wenn es Stoff war,
so habe ich nie einen solchen gesehen; es schien
ganz durchsichtig zu sein und feurig strahlend
wie ein Diamant oder ein anderer Edelstein. Er
saß auf Seinem Throne. Seine linke Hand ruhte
auf Seinem Herzen, und die rechte lag sanft aus
Seinen Knien. Seine Augen waren gewöhnlich auf
das Volk gerichtet und in gewissen Augenblicken
z. B. während des Paternoster und des .Agnus Dei
immer auf den Priester.
Unterdessen war es mir
erlaubt, bis zur Kommunionbank mich zu nahen,
und Jesus richtete an mich Sein Wort, wie ich es
schon berichtet habe. Zuweilen erlaubte Er mir,
mich Ihm ganz zu nahen. Dann gab es für mich
weder Geländer, noch Stufen, noch Priester, noch
Altar; ich sah nur Jesus, ich schritt Ihm
entgegen und näherte mich Ihm wie auf festem
Grunde. Ich warf mich Ihm zu Füßen, und Er
sprach gütig zu mir.
Nach der Kommunion war
Jesus nicht mehr auf dem Altare. Eines Tages
suchte ich Ihn anderswo und fand Ihn in meinem
Herzen. Sonderbarer Weise erschien mir nun aber
mein Herz wie das Heiligtum und der Altar des
Tabernakels. Es glich einem kleinen gewölbten
Zimmer, in dessen Mitte ich einen goldenen
Lehnsessel sah, gleich dem des Altars, und Jesus
saß auf dem Sessel. Ein Geländer umgab Seinen
Thron, wie im Heiligtum. Nur war dasselbe weder
von Holz, noch von Stein, sondern vom feinsten
Golde. Die Helle, die ich auf dem Altar der
Kirche sah, sah ich auch in meinem Herzen. Das
sah ich. Ich hätte in mein Herz eintreten mögen.
Ich fühlte einen gewaltigen Zug, der mich
antrieb, hinein zu dringen, ich folgte ihm: Ich
setzte mich in Bewegung --- meinem Herzen zu,
gleich als ob es von mir getrennt gewesen wäre,
und ich trat in dasselbe ein, als ob ich ins
Heiligtum der Kirche einträte.
Zuweilen hielt mich
Jesus außerhalb zurück, kniend vor dem Geländer,
das Seinen Thron umgab.
Dort sprach Jesus so
mit mir, wie auf dem Altare, wie während der hl.
Messe. Ich will hier nicht von der Art sprechen,
wie ich mein Herz gesehen, noch von den
Abgründen, denen ich dort begegnete, die ich oft
daselbst bemerkte; die verschiedenen Berichte,
die ich gegeben, berichten es getreulich.
Endlich gibt es noch
einen andern Ort, wo ich Jesus mit den
leiblichen Augen sah. --- Wenn ich betrachtete,
so versetzte ich mich jedesmal im Geiste unten
vor dem Tabernakel hin, um demselben meine
Ehrfurcht zu beweisen. Wenn ich im Gebete war,
so zog es mich immer an, in den Tabernakel
einzugehen, und ich fand daselbst wieder Jesus,
wie ich Ihn auf dem Altare und in meinen Herzen
gefunden. Ich sah Jesus; ich war im Tabernakel
bei Ihm; ich sprach mit Ihm; ich kniete zu
Seinen Füßen oder stand vor Ihm, und Er sprach
mit mir Seiner Gewohnheit gemäß.
Seit 1842 sehe ich Ihn
nicht mehr mit den leiblichen Augen; aber ich
höre Seine Stimme so deutlich wie früher. Er
bereitete mich auf diesen Verlust vor, indem Er
mir sagte: „Meine Tochter, du erinnerst dich,
welche Betrübnis du empfandet, als Ich Mich
einige Zeit lang vor deinen Augen verbarg,
nachdem Ich Mich dir gezeigt hatte. Heute musst
du mehr Stärke, mehr Lebens- und Tatkraft
besitzen. Ich will dich nicht mehr als Kind
behandeln. Ich will dir nicht mehr Milch zur
Nahrung geben, sondern ein starkes und festes
Fleisch. Noch eine kleine Weile und du wirst
Mich nicht mehr sehen, aber du wirst dennoch
Meine Stimme und Mein Wort vernehmen, und wieder
eine kleine Weile und du wirst Mich sogar nicht
mehr hören, und hierauf wirst du Mich wieder
sehen und Mich von Neuem hören.
Jesus sagte mir, dass
ich kein Kind mehr sein solle; allein ich war
noch ein solches: denn ich weinte sehr, als Er
mir mitteilte, dass ich Ihn nicht mehr sehen
würde.
Er kam zu mir und
tröstete mich mit den Worten:
„Meine Tochter,
trockne deine Tränen und tröste dich, du wirst
Mich nicht mit den leiblichen Augen sehen; aber
Ich werde dir dennoch wirklich gegenwärtig sein
in dem Tabernakel, auf dem Altare und auch in
deinem Herzen. Du kannst Mir deine Anbetung dort
darbringen und Ich werde sie wohlgefällig
aufnehmen, wie früher; denn Ich werde dich noch
lieben und immer lieben, wenn gleich du keine
fühlbaren Kennzeichen Meiner Liebe durch den
Anblick Meines Leibes mehr haben wirst. Ich
werde dein Seufzen, deine Klagen, dein Beten und
Bitten hören. Ich werde deine Hilfe, dein Halt
und deine Stütze sein. Vertraue Mir, Meine
Tochter, gehorche stets deinem Seelenführer,
bleibe unterwürfig, opfere dich Gott jeden Tag;
ahme Meine Handlungen immer getreulicher nach
und ich werde dir noch kostbarere Gnaden
verleihen als jene, die du schon erhalten hast.
Meine Tochter, ich segne dich. --- In diesem
Augenblick erhob Er Seine Hand über mein Haupt
und ich fühlte, wie Fluten von Gnade und Glück
meine Seele überschwemmten, sie von allem Kummer
und aller Unruhe befreiten und sie stärkten, wie
ein Schild, der mit ihr nur eines war.
Einige Tage lang war
ich ganz betroffen und wie fremd in dieser neuen
Lebensweise, obwohl ich weder Kummer noch
Betrübnis im Herzen hatte. Ich genoss nicht mehr
den Anblick Jesu; allein ich hörte wohl Seine
Stimme; ich sah Ihn nicht mehr mit meinen
leiblichen Augen; aber ich fühlte die Süßigkeit
Seiner Gnade; ich ruhte mit Lust in der
Unermesslichkeit Gottes.
Das Wort Jesu hatte
nicht mehr diese fühlbare Süßigkeit, weder in
dem Tone, noch in dem Ausdrucke, noch in der
Bedeutung, wie ich solche in Seinen Worten fand,
wenn ich Ihn sah; aber Sein Wort tröstete mich,
hielt mich aufrecht, stärkte mich, verteidigte
mich. Seine Stimme belehrte mich, aber meistens
betraf diese Belehrung mehr die Verteidigung
meines Lebens, als die Erziehung meiner Seele.
Es war eine Belehrung oder vielmehr eine
Verteidigungsrede für die Wahrheit unserer
Beziehungen zur Zeit, wo ich so schwer geprüft
wurde. Damals brachte Er mir auch die Antwort
auf alle jene Schwierigkeiten bei, welche Herr
Dupérier mir durch Sie vorlegen ließ. Seine
Stimme ist seitdem nicht nur ein Licht in Bezug
auf das, was mich betrifft, sondern auch in
Bezug auf das, was andere betrifft. Seine Stimme
sagt mir nicht nur, was in mir, sondern auch,
was in andern vorgeht. Sie hat mich oft mit
Ihren Gedanken und mit denen des Herrn Dupérier
und des Herrn Bischofs bekannt gemacht, wie Sie
es aus den Antworten entnehmen konnten, die ich
Ihnen gab.
So habe ich denn, Herr
Pfarrer, gemäß dem Worte Jesu, weit entfernt
durch die Beraubung Seines leiblichen Anblickes
etwas verloren zu haben, viel mehr dabei
gewonnen. Ich habe dadurch mehr Festigkeit, mehr
Mut, mehr Licht und mehr Mitteilungen von
Wahrheit gewonnen. Seitdem opfere ich Gott beim
Aufstehen mein Tagewerk, meine Handlungen und
alles auf, was ich habe und was ich bin. Ich
verhalte mich jeden Morgen nach Maßgabe des
Widerstandes, den ich in den kommenden Prüfungen
zu leisten habe. Ich nehme meine Betrachtung
vor, während welcher ich Jesu Stimme höre,
verbleibe immer in der Gegenwart Gottes, erweise
Ihm im Laufe des Tages von Zeit zu Zeit die
schuldige Anbetung und Liebe und halte mich in
Vereinigung mit Ihm. Ich richte meine Gebete an
Gott, und tue dieses, wie es mir scheint, mit
mehr Ruhe und Freiheit, ich möchte fast sagen
mit mehr Andacht. Ich erhebe mich zu Gott und
verliere mich in Seine Unermesslichkeit. Wenn
man mir dann jeden Trost, jede Befriedigung,
jede Seligkeit nehmen würde, so wünschte ich
dennoch nichts, wenn ich nur Gott besitze, und
meine Seligkeit und mein Glück bestehen darin,
nichts als Gott zu besitzen.
Was immer für eine
Betrübnis mir begegnen möge, so spreche ich zu
mir selbst: Noch eine kleine Weile und alles ist
vorüber; den mit Galle und Bitterkeit gefüllten
Becher will ich nicht zurückweisen, sondern ihn
trinken in vollen Zügen; dieser Kelch schließt
in sich den Keim des ewigen Lebens und der
Vereinigung mit Jesus.
Also wird nichts im
Stande sein, mich zu erschüttern; ich werde
immer mit Jesus vereinigt bleiben, indem ich
geduldig die Stunde erwarte, wo Er erfüllen
wird, was Er mit mir vorhat. Ich bin nicht
würdig, Ihm als Werkzeug zu dienen. Möge Er tun,
was Ihm gefällt, ich bin zu allem bereit. Er
sagte mir eines Tages: „Meine Tochter, Gottes
Absichten sind wunderbar und den Menschen
unbekannt. Du bist gleich einem Brunnen, gleich
einem Wasserbehälter, den Gott mit eigenen
Händen gebildet hat, und den Er mit Seinen
Gnaden anfüllen will, auf dass viele Seelen
kommen, um daraus zu schöpfen. Du bist gleich
einem Wachse, das Ich durch mein Wort knete,
durch Trübsal forme, und dann zubereiten werde
zu einer prächtigen Fackel, die erleuchten soll
all jene Seelen, welche Mich nach deinem Tode
lieben werden. Diese Fackel wird Anfangs unter
dem Scheffel bleiben, dann aber werde ich sie
erscheinen lassen im hellen Tageslichte; sie
wird die Finsternisse zerstreuen. So hat Er zu
mir gesprochen, Sein Wille geschehe; ich habe
nur einen Wunsch, nämlich die Erfüllung Seines
Willens. Ich suche weder die Ehre noch den
Beifall der Menschen, ich suche nur das
Wohlgefallen Gottes.
Eine Zeit wird kommen,
wo ich die Stimme Jesu wahrscheinlich nicht mehr
hören werde. Dies wird die Ankündigung meines
nahen Todes sein, da Er mich versichert hat,
dass ich hiernach und nach einer kleinen Weile
Ihn wieder hören und von Angesicht zu Angesicht
sehen würde. Glückliche Zeit! denn ich hoffe,
ich werde mit Jesus vereinigt sein, Er werde mir
sowohl meine Sünden als meine Nachlässigkeiten
verzeihen, und mir gestatten, dass ich Ihn
immerdar liebe.
Das ist ein sehr
langer Brief, Herr Pfarrer, ich habe Ihnen der
Wahrheit gemäß meine Gedanken gesagt und mit der
ganzen Freiheit, an die Sie mich gewöhnt haben.
Ich bitte Sie, die
Gefühle der tiefen Verehrung zu genehmigen, mit
welcher ich bin
Ihre
demütige Dienerin
Marie.
Mimbaste den 24. Juni
1843.
XXX. Brief.
Marie fürchtet den
Heiland auf eine zu fühlbare Weise zu leiben;
der Heiland beruhigt sie und zeigt ihr, dass sie
sich in dieser Beziehung nichts vorzuwerfen
habe.
Herr Pfarrer!
Ich unterbreite Ihnen
hiermit meine Beziehungen zum Erlöser Jesus. Sie
hatten mir schon mehrmals aufgetragen, dass ich
Sie über diesen Gegenstand benachrichtige;
glauben Sie nicht, dass es böser Wille von
meiner Seite war, wenn ich es bis zu dieser
Stunde noch nicht getan habe. Einige Fragen, die
Sie mir gestellt haben, haben mich an etwas
erinnert, an was ich nie gedacht hatte.
Die Betrachtungen, die
ich in dieser Beziehung aufgestellt habe, haben
in meiner Seele Bedenken erhoben, und ich habe
mich selbst gefragt, ob meine Liebe zu Jesus
auch ganz rein sei. Vor einigen Tagen brachte
mich die Güte, die Er unablässig gegen mich
beweist, dahin, Ihm von dem Kummer zu sprechen,
den ich empfand. Ich näherte mich Ihm und sagte
zu Ihm: „Ach! Herr, ich bin sehr betrübt." ---
Er antwortete mir: „Was gibt's?" ---„Herr!"
sagte ich Ihm, „ich fürchte, meine Liebe zu dir
möchte nicht rein sein und dieser Gedanke ist
sehr peinlich für mich. Sanft lächelte der
Heiland und sprach zu mir: „Nun, meine Tochter,
wer ist es, der eine reine Liebe zu Mir hat ?“
---„Herr, mehr als irgend jemand habe ich mir
darüber Vorwürfe zu machen; ich bin Sünde und
Verderben: ich fühle die Unordnung und das
Verderbnis in mir, Du bist die Heiligkeit und
Reinheit selbst, darf ich mich Dir nur nahen? O
Du Lamm ohne Flecken, Du vereinigst in Dir alle
Vollkommenheit, Du besitzest alle Lieblichkeit,
die im Stande ist, die Herzen zu entzücken und
gefangen zu nehmen und die Seelen zu bezaubern;
unmöglich ist es, Dich zu sehen, ohne Dich zu
lieben. Mein Erlöser und mein Gott ! ist meine
Liebe zu Dir makellos gewesen? Ich habe Dich mit
den Augen der Seele und des Leibes gesehen,
ebenso wirklich, wie jene Maria, von der das
Evangelium spricht. Du bist heilig, und ich bin
schuldig, mein Erlöser und mein Gott, ist meine
Liebe zu Dir rein und ohne Makel gewesen? Ich
habe jeder natürlichen und irdischen Neigung
entsagt, ich würde mir Vorwürfe machen, wenn ich
auch eine in meinem Herzen nähren würde; ich
liebe nur Dich, ich habe nur zu Dir Zuneigung,
ich liebe Dich so sehr, als mein Herz zu lieben
fähig ist. Du selbst hast mir gesagt und ich
fühle in mir die Wahrheit dieses Wortes, dass
das menschliche Herz sich nicht selbst genüge;
ich wollte deshalb mein Herz nicht auf Fleisch
und Blut stützen, sondern auf Dich, den dreimal
heiligen Gott; ich habe Dich erwählt zu meinem
Anteile und zur Ruhe meines Herzens, um so viel,
als ich es vermag, in Heiligkeit zu leben. Mein
Erlöser und mein Gott, antworte mir, ist meine
Liebe rein und makellos gewesen? Ist meine Liebe
zu Dir, zu Deiner heiligen Menschheit, die sich
mir offenbarte, nicht zu gefühlvoll und zu
natürlich gewesen? Haben die Beweise Deiner Güte
und Deiner Zuneigung, die Du mir gegeben hast,
nicht eine Liebe hervorgebracht, die nicht
Deinem Willen gemäß ist? O! mein Erlöser,
unterrichte mich, erleuchte mich. Möchte ich
entfernen, ausstoßen und verabscheuen alles, was
Du entfernen, ausstoßen und verabscheuen willst,
damit ich Deinen Namen preisen kann von Ewigkeit
zu Ewigkeit. Ich hielt inne, und mein Engel
antwortete: Amen. Dann richtete der Heiland
folgende Worte an mich: „Meine Tochter, Ich
liebe deine Einfalt, deine Kindlichkeit, deine
Unschuld. Du wendest dich mit Vertrauen an Mich,
der Aufforderung gemäß, die Ich dir so oft
hierüber erteilt; fahre fort, immer so zu
handeln, du wirst bei Mir Ruhe finden, weil Ich
dir die Wahrheit offenbaren werde.
„Diejenigen, welche
dich leiten, sind in ihrem Gewissen
verpflichtet, alles, was in dir vorgeht,
sorgfältig zu untersuchen und zu beobachten,
damit sie dich vor den Fallstricken des Teufels
zu bewahren vermögen. Es ist auch für dich eine
Gewissenspflicht, dieselben mit allem bekannt zu
machen, damit sie dich beurteilen und auf den
rechten Weg führen können. Trotz deinem guten
Willen gibt es Dinge, die. in dir verborgen
blieben, weil du nie daran dächtest, sie zu
offenbaren. Dann werde Ich zu Meiner Ehre und
deinem Heile die Augen deines Seelenführers
darauf lenken, damit er dich befrage und damit
nichts unbemerkt bleibe. „Bleibe darum, meine
Tochter, welche Fragen auch immer an dich
gestellt werden, immer ruhig, bewahre deinen
Frieden, bewahre ihn besonders in Bezug auf die
besonderen Gnadenerweise, die Ich dir habe zu
Teil werden lassen, in Bezug aus die Beweise von
Zuneigung, die Ich dir gegeben habe. Darin ist
Nichts, was du entfernen, ausstoßen oder
verabscheuen müsstest.
Ich bin dein Vater,
dein Bräutigam, dein Gott.
Ich habe ein Recht auf
deine Liebe als Vater, als Bräutigam, als Gott;
Ich habe ein Recht darauf, dass du Mir Beweise
dieser Liebe gibst. Ich habe ein Recht darauf,
dass du dein Herz an Mein Herz hängest und du es
nie davon lostrennst. Ich habe dieses Recht als
dein Vater; das Herz eines Vaters und das seines
Kindes sollen nur Ein Herz bilden. Ich habe
dieses Recht als dein Bräutigam; das Herz eines
Bräutigams und das seiner Braut dürfen nur Ein
Herz bilden. Ich habe dieses Recht als dein
Gott; dein Herz muss so mit dem Meinigen
vereinigt sein, dass es nicht mehr dir gehört
und dass du es ganz den Bewegungen Meiner Gnade
überlässt.
Nun aber, Meine
Tochter, gebe Ich dir das Zeugnis: du liebst
Mich wie deinen Vater, wie deinen Bräutigam, wie
deinen Gott, und stets ist deine Liebe Meinem
Willen gemäß, d. h. eine heilige Liebe gewesen.
Warum solltest du doch fürchten, dass etwas zu
Menschliches, etwas zu Natürliches an deiner
Liebe sei? Sollte es deshalb geschehen, weil du
überschwängliche Freude und Seligkeit in deinem
Herzen gefühlt hast? Aber das ist ja gerade die
Belohnung, die Ich allen Denen gebe, welche Mich
lieben. Wäre es, weil du fühlst, dass deine
Liebe zu Mir immer zunimmt, und dass du
fürchtest, du möchtest nie den hohen Grad
erreichen, auf den du dich erschwingen musst, um
Mir wohlgefällig zu werden? Aber, Meine Tochter,
die Erhaltung, das Leben, die Vermehrung, die
Vollkommenheit der Liebe besteht ja darin, dass
man nochmals liebt, immer liebt und unaufhörlich
liebt. Und würdest du nicht die bittersten
Vorwürfe von Mir verdienen, wenn du fühltest,
dass dein Herz Mir anhängt, wenn Ich dich Mein
Wort vernehmen lasse, wenn Ich Mich dir
offenbare, wenn Ich dir erlaube, dich Mir zu
Füßen zu werfen, wenn Ich dich in deiner
Betrübnis tröste, wenn Ich dich mit den
ausgezeichnetsten Gnaden überhäufe.
„Die Furcht, welche
in deiner Seele ist, ist ein überzeugender
Beweis, dass deine Liebe zu Mir so ist, wie sie
sein soll, rein und heilig. Verachte die
Kunstgriffe des Teufels, der dich nur zu
verwirren sucht, um dich von Mir zu trennen.
Vermehre stets deine Liebe zu Mir, und sie wird
dann auch an Reinheit und Heiligkeit zunehmen.
„Verlasse dich darum
nicht auf deine zärtlichen Gefühle gegen Mich,
sondern auf die Zuneigung, welche Ich zu dir
habe; verlasse dich nicht auf deine Liebe zu
Mir, sondern auf Meine Liebe zu dir. Liebe Mich
und vergiss deine Liebe zu Mir, um dich nur mehr
Meiner Liebe zu dir zu erinnern; liebe Mich und
lege deine Liebe zu Mir in Mein Herz nieder,
damit Ich Meine Liebe zu dir in dein Herz lege.
Du hast noch viel zu
tun, Meine Tochter, bis du Mich liebst, so wie
Ich es wünsche; fürchte, Mir dadurch zu
missfallen, dass du nicht folgst den Bewegungen,
welche Ich deinem Herzen gebe. Nichts
destoweniger unterbreite diese Bewegungen deinem
Seelenführer; Ich will, dass er durch sein Wort
jedes Meiner Worte bestätige, damit du das
Verdienst eines zweifachen Gehorsams habest.“
Verzeihen Sie, Herr Pfarrer, meine Einfalt.
Indem ich Ihnen diese meine Unterredung mit dem
Heilande wieder erzähle, sage ich Ihnen die
geheimsten Gefühle meines Herzens gegen den
göttlichen Meister zur Zeit, wo Er sich mir
offenbart.
Ich unterwerfe diese
Unterredung Ihrer besseren Einsicht, urteilen
Sie darüber zur größeren Ehre Gottes und zum
geistlichen Wohle meiner Seele. Empfangen Sie
gütigst, ich bitte Sie, den Ausdruck meiner
tiefsten Ehrfurcht und meiner lebhaftesten
Dankbarkeit. Ich habe die Ehre zu sein
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste, den 30. Juni
1843.
XXXI. Brief.
Von der geistlichen
Kommunion.
Herr Pfarrer!
Aus Gehorsam und aus
Unterwürfigkeit gegen Sie, will ich Sie mit
einer neuen Gnade, die der Heiland mir zu Teil
werden lassen will, bekannt machen. Er will sich
mir mehrmals im Tage durch die geistliche
Kommunion schenken.
Ich habe also zu Ihm
gesprochen: „Herr, wie oft willst du, dass ich
Dich durch die geistliche Kommunion empfange?“
Der Herr antwortete mir: „Meine Tochter, du
sollst Morgens beim Aufstehen geistlich
kommunizieren und dann deiner Gewohnheit gemäß
nach deinem Morgengebet; dann kommuniziere noch
zweimal im Laufe des Tages und endlich nach
deinem Abendgebet. Ich wünsche fünf Mal durch
die geistliche Kommunion in dein Herz zu
kommen."
Ich fügte bei: „Herr,
welches sind die Vorbereitungen, die für diese
Kommunion notwendig sind?" „Meine
Tochter, die
Vorbereitung auf diese geistliche Kommunion ist
nicht sehr schwer; es ist nicht notwendig, dass
du alle Akte, wie bei der sakramentalen
Kommunion erweckest, sammle dich einen
Augenblick, versetze dich im Geiste vor Meinen
Tabernakel und sage zu mir: „Herr Jesus, komm in
mein Herz !" Dieses genügt. Aber bei jeder
geistlichen Kommunion musst du dir einen Zweck
vorsetzen, z. B. eine besondere Gnade oder
Tugend zu erlangen. Du kannst auch in derselben
Absicht geistlicher Weise kommunizieren, die Ich
dir für deine sakramentale Kommunion angegeben
habe, nämlich in der Absicht, dass du von Gott
Meinem Vater, durch Meine Verdienste und durch
deine Kommunion die notwendigen Gnaden
erlangest, Seinen heiligen Willen vollkommen zu
erkennen und zu erfüllen." Als der Heiland so zu
mir gesprochen hatte, kam mir der Gedanke, Ihn
zu fragen, wie ich mich verhalten sollte in
Hinsicht der geistlichen Kommunion an den Tagen,
wo ich das Glück hätte, Ihn durch die
sakramentale Kommunion zu empfangen. Der Erlöser
antwortete mir: „Meine Tochter, du wirst mir
wohlgefällig sein, wenn du selbst au diesen
Tagen auf die angegebene Weise die Kommunion
geistlicher Weise empfängst. Du kannst niemals
zuviel Kraft und Gnade aus dem Sakramente Meiner
Liebe in dich aufnehmen." Meine Absicht war,
Ihnen dieses mündlich zu erzählen; der Heiland
hat mir aber gesagt, ich solle es Ihnen
schriftlich mitteilen.
Ich sagte Ihnen schon
vor Kurzem, ich bin sehr zufrieden; das Glück,
das ich zuweilen empfinde, lässt sich nicht
ausdrücken. Welch guter Vater ist Gott! Er
beeilt sich, die Leiden, welche mein Herz
betrüben und meinen Geist verwirren könnten,
durch die Salbung Seiner heilenden,
unterstützenden und stärkenden Gnade zu lindern
und sogar zu zerstreuen.
Lieben Sie Ihn,
preisen Sie Ihn, danken Sie Ihm in meinem Namen;
ich bitte Sie, bitten Sie Ihn, dass Er mich vor
Allem bewahren möge, was Ihm missfallen könnte.
Empfangen Sie gütigst,
Herr Pfarrer, die Gefühle des Dankes, der
Unterwürfigkeit, der Ehrfurcht, die ich Ihnen
ausdrücke nebst der Versicherung meiner
vollkommensten Hochachtung
Ihre
demütigste und
unwürdige Dienerin
Marie
Mimbaste den 6. Juli
1843.
XXXII. Brief.
Absichten Jesu mit den
Schriften Maries
Herr Pfarrer!
Sie haben mir
befohlen, alles zu schreiben, was ich empfände
und ich habe es getan. Ich habe Ihnen erlaubt,
von meinen Schriften einen solchen Gebrauch zu
machen, wie es Ihnen passend scheint, nachdem
Sie selbst Kenntnis von ihnen genommen haben, um
zu sehen, aus welcher Quelle dieselben
entsprungen sein mögen. Ich überlasse sie Ihnen.
Ich fühle, dass ich das, was ich Ihnen
überliefert habe, nicht aus eigner Kraft
geschrieben habe, weil ich aus mir selbst Nichts
weiß und weil das, was ich von meiner Mutter in
meiner Kindheit oder von meinem ersten
Seelenhirten gehört habe, weit unter dem ist,
was meine Hefte enthalten. Alles, was darin ist,
gehört dem Erlöser, oder dem, der es mir gelehrt
hat, und den ich nicht kenne, wenn es der
Erlöser nicht ist.
Mag es wer immer sein,
ich urteile darüber nicht; aber Sie werden es
selbst beurteilen. Folgendes hat Er mir
gelegentlich in Betreff meiner Hefte gesagt:
„Meine Tochter, die verborgensten Dinge werden
eines Tages bekannt werden und was heute in der
Stille Meines Heiligtums oder deines Herzens
gesagt wird, das wird auf den Dächern der Häuser
verkündiget werden. Was bei meinen Jüngern
geschehen ist, das wird auch bei dir geschehen.
„Du, Meine Tochter,
bist nicht die Einzige, die Mein Wort hört,
andere werden es auch hören; aber Ich habe sie
nicht erwählt, um es der Welt zu offenbaren,
Meine Wahl ist auf dich gefallen.
Alles, was Ich dir
gesagt habe, wird in der Welt verbreitet werden
und wird Vielen zum Heile gereichen. Jene, die
in Mühseligkeit leben, werden Frieden finden in
Meinen Worten, die sie von dir wiedergegeben
werden; jene, die lau sind, werden darin Stärke
und Tatkraft finden; jene, welche ungläubig
sind, werden darin den Glauben finden; jene,
welche in Verzweiflung sind, werden darin die
Bestätigung der Wahrheit, endlich jene, die tot
sind, darin das Leben wieder finden.
„Sieh, Meine
Tochter, wie viel Gutes du ausüben kannst durch
deine Unterwerfung unter den Willen deines
Seelenführers. Ich habe es Ihm eingegeben; Ich
wiederhole es dir, dass er dir befehle zu
schreiben, und wie er dir befohlen hat, so
befehle Ich dir selbst, Nichts auszulassen,
nichts zu vernachlässigen, alles zu schreiben.
Befasse dich nicht mit der Art und Weise, wie du
es sagen sollst. Meine Evangelisten waren nicht
gelehrt, du bist es auch nicht. Ich werde es
ersetzen.
„Hierzu bist du
genötigt, dir Entbehrungen aufzuerlegen, während
der Nacht zu schreiben, wenn man dich nicht
sieht, oder auf dem Felde, wenn du die Herden
hütest; aber halte dich nicht auf. Wenn Ich
einen Trunk Wasser, einem Armen gereicht,
belohne, um wieviel mehr werde Ich deine
Entbehrungen und Mühen belohnen. Meine
Unterredungen werde Ich auf diese Weise deinem
Geiste viel besser einprägen, und du wirst
andere an deinem Überflusse teilnehmen lassen.
„Ich werde deinen
Namen berühmt machen unter denen, die das
Sakrament meiner Liebe andächtig verehren, und
Ich werde ihnen zeigen, aus welche Art Ich Meine
Barmherzigkeit an dir werde erglänzen lassen,
und sie werden Gott danken für die Gnaden, die
Er dir erwiesen.
„Deine
Bescheidenheit darf dich nicht veranlassen,
diese Worte zu verschweigen. Ich habe sie
erwogen, bevor Ich sie an dich gerichtet habe.
Ich will, dass du deinem Seelenführer davon
Kenntnis gibst, damit sie zu Meiner Ehre
gereichen. Ich verbiete dir indessen, jedem
Andern außer ihm etwas davon zu sagen. Lebe
stets in Demut und fürchte, dass du, nachdem du
mit Meinen auserlesensten Gnaden überhäuft
worden bist, du nicht in den Abgrund des ewigen
Verderbens fallest."
Herr Pfarrer, wenn es
der Herr Jesus ist, der diese Worte an mich
gerichtet hat, so bitte ich Sie zu glauben, dass
mein größter Wunsch ist, Seinen heiligen Willen
zu erfüllen und soviel als möglich zu Seiner
Ehre zu wirken. Wenn Er es aber nicht ist, so
werde ich nichtsdestoweniger Ihren Willen
erfüllen; Ihnen kommt es dann zu, zu beurteilen,
in welcher Art und zu welcher Zeit Sie meine
Hefte benutzen werden, um damit Gutes zu wirken,
oder ob es nicht besser sei, sie zu vernichten.
Alles, was Sie tun werden, wird gut getan sein,
weil ich gewiss bin, dass Sie es nur aus
Eingebung des göttlichen Geistes tun werden.
Genehmigen Sie, Herr
Pfarrer, mein zärtlicher Vater, den Ausdruck der
vollsten Ergebenheit und Ehrfurcht von
Ihrer
demütigsten Dienerin
Marie Lataste.
Mimbaste den 22.
Oktober 1843.
XXXIII. Brief.
Marie beklagt sich bei
dem Heiland; Er tröstet sie.
Herr Pfarrer!
Seit einiger Zeit weiß
ich nicht recht, wie ich bin. Zuweilen sehe ich
die Dinge so klar, fühle sie so tief und dann
wieder empfinde ich so heftige Gefühle von
Furcht, dass es mir scheint, ich müsse sterben.
Eines Tages legte ich also meinen Kummer in das
Herz Jesu nieder: „O Jesus, mein liebenswürdiger
Erlöser, erbarme dich meiner!" O mein zärtlicher
Vater gestatte, dass ich mein Herz in den Schoß
deiner Barmherzigkeit ausschütte, mit dem
Vertrauen und der Einfalt eines Kindes. Du
allein, o mein Gott, weißt Alles, was ich fühle
und empfinde in meinem Innern. Die Leiden, die
Trübsale, die Ängste meiner Seele sind sehr
groß, Du aber kommst, meine Seele zu trösten,
sie zu stärken, sie zu unterstützen, sie zu
verteidigen. Tausendfältiger Dank sei Dir auf
ewig dafür gesagt, Du unendlich gütiger und
freigebiger Gott!
Herr, nimm das, was
ich Dir sagen will, nicht als widerspenstiges
Murren an, sondern als die Klage eines Kindes,
das voll Liebe seine Zuflucht zu seinem Vater
nimmt. Warum, mein süßer Erlöser, lässt Du mich
alle Dinge empfinden, die ich empfinde, und
welche zuweilen so außerordentlich, so
erstaunlich sind, dass sie für mich ein Anlass
zu fürchterlichen Prüfungen und den
verschiedenartigsten Demütigungen werden? Um Dir
zu gefallen und Dir zu gehorchen, habe ich immer
alles geopfert, aus Liebe zu Dir habe ich stets
eingewilligt, in den Augen der Menschen für eine
Närrin und Unsinnige zu gelten und mich nie
beleidigt zu fühlen durch die Art und Weise, wie
sie das, was ich ihnen sagte, annahmen. Aber wie
lange, Herr, wirst Du mich in der Lage lassen,
in der ich mich jetzt befinde? Ich lebe nicht
und dennoch finde ich auch nicht den Tod in
meinem Leben. Ich verschmachte gleich einer
Pflanze, die vertrocknet; allein dennoch stehen
bleibt. Wann, Herr, werde ich die Erfüllung
Deiner Verheißungen sehen? Wann wirst Du zeigen,
dass Du mein Gott, mein Beschützer und mein
Verteidiger bist? Ach! lass nie zu, dass ich in
der Hoffnung, die auf Dir gründet, getäuscht
werde. Ja, mein Erlöser und mein Gott, ich hoffe
auf Dich, ich hoffe auf Deine Barmherzigkeit,
ich hoffe auf Deine Liebe, ich hoffe aus Deine
göttliche Vorsehung, auf Deine Stärke und Deine
Unterstützung, ich hoffe auf Dein Wort und Deine
Verheißungen, ich hoffe, weil Du mir gesagt und
besohlen hast, dass ich hoffen soll. Meine
Hoffnung kann nur in Dir ruhen, weil Du mein
Gott bist, weil Du mein Erlöser bist,
weil du der Freund der
Schwachen, der Trost der Betrübten, das Leben
der Sterbenden und die Seligkeit derer bist, die
Dich lieben. Ja, ich hoffe auf Dich und meine
Hoffnung wird nicht getäuscht werden.
Mag indessen
geschehen, was da will, ich werde stets sagen:
„Herr Jesus, Dein Wille geschehe und nicht der
meine." ---
Ich befand mich in der
Kirche vor dem allerheiligsten Sakramente.
Sobald ich diese Worte ausgesprochen hatte,
wurde ich so mit Gnade erfüllt, dass ich wie
unbeweglich wurde und so zu sagen ohne Gefühl
war.
Der Heiland sprach
alsdann voll Würde zu mir: „Eine Zeit ist
vorüber und es bleibt nur mehr die Erinnerung an
dieselbe. Eine andere Zeit wird kommen und Meine
Barmherzigkeit wird zu Tage treten. O ihr
Blinden! ihr habt die Fackel in der Hand und
sehet das Licht nicht. Was werden denn jene
ansangen, die ohne Licht sind! O ihr Unsinnige!
ihr sehet die Dinge und versteht sie nicht.
Könnte ich nicht zu euch sprechen, wie einst zu
den Jüngern von Emmaus: „O ihr Unverständigen
und von langsamer Fassungskraft". Euer so
erhabener Geist kann sich mit solchen
Hirngespinsten nicht befassen. Errötet, ihr
Kinder Israels, denn die Kleinen werden groß
werden, die Unwissenden gelehrt und die Blinden
werden klarer sehen als ihr. Ihr tut, als ob ihr
nichts hörtet, weil die Trompete, die da
erschallt, von Ton ist. Sie wird aber wie eine
goldene Trompete werden und der durchdringendste
Ton ihrer Stimme wird bis in die kältesten und
gefühllosesten Herzen dringen!" --- Ich verstand
diese Worte des Heilandes wohl, andere werden
sie vielleicht nicht verstehen; aber mein Herz
war noch nicht beruhigt. Der Heiland fügte bei:
„Meine Tochter, fürchte Nichts, verlasse dich in
allem auf Mich; diese Dinge gehen Mich mehr an
als dich. Ich werde sie leicht zu Meiner Ehre
leiten, denn wenn du auch die Gedanken der
Menschen nicht kennst, so kenne doch Ich sie und
dringe ein bis in ihre Herzen. Unter den
Menschen gibt es einige, welche die Dinge, die
Ich in dir wirke, schätzen, andere, die sich
damit begnügen, sie zu bewundern, und endlich
einige, die sie verschmähen und verachten. Mögen
die Menschen denken, was sie wollen, du bist,
was du bist, und am Tage des Lichtes wird das,
was Ich in dir wirke, in Seiner Wirklichkeit
erscheinen. Sie mögen nach ihrem Sinne handeln,
es ist nicht an dir, Mir Rechenschaft von ihren
Handlungen abzulegen.
„Was dich betrifft,
Meine Tochter, so berichte immer getreulich
sowohl Meine Worte, als deine Gefühle; sei es
für oder gegen dich, mögest du es für
außerordentlich oder ungereimt, für weise oder
klug halten, verbirg Nichts, Ich befehle es dir.
„Zeige dich in
deiner weiblichen Schwäche stärker und mutiger,
als die Männer. Gehe hin in Frieden, Meine
Tochter."
Seitdem Jesus diese
Worte an mich gerichtet hat, scheinen die
Gefühle meiner Seele an Liebe, Vertrauen,
Hoffnung auf Ihn zu wachsen, in dem Maße, als
das Licht zunimmt, sich vermehrt und sich
entfaltet. Was Er in mir wirken will, hat den
Anfang genommen. Ich sehe es bereits sich
entfalten und werde es enden sehen.
Ich will schließen,
indem ich Ihnen noch von meiner Betrachtung
spreche. Sie ist, so zu sagen, nur eine einfache
Erhebung meines Geistes zu Gott, ohne Erwägung,
ohne Nachdenken, ohne Anmutungen und ohne
Entschlüsse. Hier folgt, wie ich meine
Betrachtung vornehme, indem ich stets dem Zuge
folge, den ich in mir erfahre. --- Ich erhebe
meinen Geist zu Gott, ich vereinige mich mit Ihm
als mit meinem Ursprung und Ende. Meine ganze
Beschädigung besteht darin, mich rein und
einfach mit Gott zu vereinen, friedlich in
Seinem unendlichen Wesen zu ruhen und die
verschiedenen Wirkungen Seiner Gnade zu
empfangen.
Doch schließe ich
meine Betrachtung nie, ohne mich selber Gott zum
Opfer zu bringen, ohne Ihm alle meine Handlungen
aufzuopfern, ohne Ihm meine Nächsten im
Allgemeinen und im Besondern anzuempfehlen und
ohne für sie, wie für mich um die Gnade und den
Segen Gottes nachzusuchen. Das mündliche Gebet
ermüdet mich, wenn ich auch zuweilen die Worte
nur mit dem Herzen spreche, ohne sie mündlich
auszudrücken. Ich verrichte indessen doch jene,
zu denen ich verpflichtet bin; wenn ich aber
meine Gebete an den Herrn richte oder Ihm meine
Gefühle ausdrücke, so tue ich es meistens
stillschweigend. Ich empfehle Sie Gott täglich
ganz besonders, die Dankbarkeit macht mir dieses
zur Pflicht. Ich vergesse auch Herrn Dupérier
nie und bitte den Herrn, Er wolle über sie Beide
Seine reichlichsten Segnungen ergießen.
Ich weiß, Herr
Pfarrer, dass Sie mich in Ihrem Gebete nicht
vergessen und dieses einrichten ganz nach den
Bedürfnissen meiner Seele, die da so groß und so
dringend sind. Fahren Sie fort, mir allezeit
diese geistige Hilfe zu gewähren, hören Sie
nicht auf, Gottes Barmherzigkeit zu erflehen und
Ihn zu bitten, dass Er Sich meiner erbarmen
möge. Sie werden dadurch bewirken, dass ich alle
Leiden und Trübsale meines Lebens leicht
ertrage. Verzeihen Sie, Hochwürden, meinen
langen Brief, ich fühle, dass ich ihre Liebe oft
missbrauche. Empfangen Sie die Versicherung
meiner ausgezeichnetsten Hochachtung, mit
welcher ich die Ehre habe zu sein,
Herr Pfarrer,
Ihre demütigste,
untertänigste und
dankbarste Dienerin
Marie.
Mimbaste den 1. Nov.
1843.
XXXIV. Brief.
Das Tier im Sumpfe mit
einer Lanze durchbohrt und unschädlich gemacht.
Herr Pfarrer!
An einem Sonntage
konnte ich mich während der heil. Messe weder
mit dem Priester vereinigen, noch lesen, noch
beten. Ich fühlte in mir ein ganz innerliches
und geistiges Licht, das mir meinen Gott
enthüllte und dadurch meine Seele als zu ihrem
Ursprung hinzog, und Gott teilte Sich ihr mit
und fesselte sie durch die süßen Bande Seiner
Gnade.
Sie verlor sich in
Seiner grenzenlosen Unermesslichkeit, in all
dem, was wir nicht zu begreifen vermögen, in dem
Ozean der Vollkommenheit.
Nachdem ich die heil.
Kommunion empfangen hatte, öffnete ich die Türe
meines Herzens; ich ließ meinen Schutzengel
eintreten und ging Jesus entgegen, der ganz
strahlend von Glorie herzukam. Ich warf mich vor
Ihm nieder und bekannte mich unwürdig, Ihn in
mein Herz aufzunehmen. Ich erhob mich und sagte
zu Ihm: „Herr, wie wunderbar ist Deine
Schönheit!" --Als wir an der Türe meines Herzens
anlangten, sprach Er zu mir: „Willst du, dass
Ich dir ein wunderbares Schauspiel zeige? Steige
hinunter." --- Ich stieg eine Treppe hinunter,
welche auf der rechten Seite angebracht war, und
Jesus stieg nach mir hinab. Wir kamen bei einem
Sumpfe an, dessen Tiefe nicht sehr bedeutend
war, weil das Gras über dem Wasser erschien.
Jesus stellte sich auf ein Brett, das sich dort
befand; ich stellte mich auf ein anderes Brett.
Ich sah nun über dem Wasser eine unzählige Menge
kleiner Tiere, welche Schlangen, Skorpionen und
andern mir unbekannten Tieren glichen. Ich sah
mitten aus dem Schlamme ein ungeheures Tier
hervorkommen, welches ein lautes Geschrei
ausstieß. Alle anderen Tiere erhoben den Kopf
und kamen aus dem Sumpfe heraus, dem schreienden
Tiere nach. Auf einer den Sumpf beherrschenden
Anhöhe sah ich einen ungeheuren Platz, auf
welchem eine sehr zahlreiche Menge herumlief.
Das aus dem Schlamme des Sumpfes heraufgekommene
Tier hauchte durch seine Nasenlöcher und seinen
Rachen schwarzen Rauch aus; es setzte sich
mitten auf jenen Platz und die andern kleinen
Tiere mischten sich unter die Menge.
Auf der Nordseite,
wohin sich das Tier gewendet hatte, sah ich eine
große Brücke, die mit dem einen Ende ein wenig
nach Osten, mit dem andern nach Westen sich
neigte. Mitten auf der Brücke war eine steinerne
Treppe, ungefähr 10 Fuß breit und 30 hoch,
welche auf den Platz führte.
Ich sah auf der Brücke
eine Brustwehr, an welcher das von der andern
Seite kommende Wasser mit Gewalt sich brach und
auf den Platz zurückprallte.
Jedermann war bestürzt
und ergriff die Flucht. Ich sah auf der Brücke
eine beträchtliche Anzahl von Leuten nach allen
Seiten gehen und ihre Schritte beschleunigen.
Endlich sah ich von Westen her eine zahlreiche
Prozession kommen, das Kreuz voran, von mehreren
Personen geführt; ob Bischöfe darunter waren,
weiß ich nicht. Eine andere Prozession kam von
der aus der Brücke sich besoldenden Treppe her.
Die Menge war ungeheuer. Man schritt nach dem
Platze vor, von dem ich gesprochen habe, das
Tier rührte sich nicht. Es war von Priestern
umgeben und ich glaube auch von Bischöfen;
allein sie trauten sich nicht, es zu berühren.
Dann sah man aus der
Brücke einen Mann, auf einem Elefanten sitzend;
dieser nahte sich kühn; er hielt in der Hand ein
doppelschneidiges Schwert. Er sah äußerst
kräftig aus und war mit einem Kleide angetan,
das ihm nicht ganz bis zu den Knien reichte.
Dasselbe war nicht von Stoff; allein es schien
sehr hart zu sein, sowie auch das Diadem, das
dieser Mann auf seinem Haupte trug. Er schritt
durch die Menge und trat bis zum Tiere vor, in
einer Hand seinen Degen, in der andern ein Kreuz
haltend.
,,Da bist du,
höllisches Ungeheuer", sagte er, „wir wollen
sehen, wer von uns Beiden der Stärkere ist.
Betrachte dieses Kreuz! wirst du es wagen, dich
gegen dasselbe zu erheben? Deine ganze Macht
wird vernichtet werden!" ---
Alsbald stürzte er
sich auf das Tier, er stieß ihm seinen Degen in
den Rachen so tief, dass die Spitze des Degens
aus dem Rücken herauskam.
Das Tier zog sich in
den Sumpf zurück, woher es gekommen war.
Dieser Mann wurde auf
alle mögliche Weise von der in Freudenjubel
ausbrechenden Menge beglückwünscht. Er pflanzte
das Kreuz, welches er in der Hand hielt, an
derselben Stelle auf, wo das Tier gesessen
hatte, und jene, die von den andern kleinen
Tieren, die ebenfalls aus dem Sumpfe
hervorgekommen, an den Armen oder Füßen
verwundet worden waren, gingen hin und warfen
sich vor diesem Kreuze nieder und zogen sich
geheilt zurück.
Aber ich sah auch eine
große Anzahl, unter welcher sich Geistliche
befanden, die leblos auf der Erde hingestreckt
waren, weil diese Tiere sie am Herzen oder an
der Zunge verwundet hatten.
Endlich ließ
derjenige, welcher das Tier in den Morast
zurückgejagt hatte, die Öffnung schließen, durch
welche das Wasser sich auf den Platz ergoss. Er
ließ daselbst eine große Mauer bauen und ein
großes Bild aufhäugen, welches das mit der Lanze
durchstochene Thier vorstellte. Hierauf zogen
sich alle in Prozession nach der Seite der
Brücke zurück, die nach Osten ging. Was mich
betrifft, ich verrichtete meine Danksagung und
zog mich zurück.
Sie können über diese
Vision denken, Herr Pfarrer, wie sie es für gut
halten. Ich habe Ihnen ganz getreulich erzählt,
was ich gesehen habe.
Empfangen Sie, Herr
Pfarrer, den Ausdruck meiner ausgezeichneten
Hochachtung,
Ihre
demütigste Dienerin
Marie.
Mimbaste den 3. Nov.
1843.
XXXV. Brief.
Unser Herr lehrt
Marie, auf welche Art sie bei den ihr gemachten
Mitteilungen handeln soll.
Herr Pfarrer!
Ich will Ihnen etwas
unterbreiten und mitteilen, was mich sehr
getröstet hat. Seit einiger Zeit hatte ich in
meinem Innern verschiedene Kenntnisse und
Erleuchtungen, die auf mich einen so lebhaften
und tiefen Eindruck machten, dass ich sehr
darunter litt.
Deshalb wendete ich
mich eines Tages an unsern Herrn und sprach zu
Ihm: „Erlöser Jesus, würdige Dich, ich bitte
Dich darum, mich zu erleuchten und mich zu
lehren, auf welche Art ich mich benehmen und wie
ich diese verschiedenen Kenntnisse und
Erleuchtungen aufnehmen soll, welche mein Geist
erhält über andere Personen oder über die
Handlungen ihres Lebens. Mein Herz ist von dem
Verlangen nach Deiner Ehre verzehrt, mein Herz
brennt vor Liebe zu Dir und meinen Brüdern;
Herr, wie soll ich mich benehmen in dem, was ich
empfinde? Du hast die Güte gehabt, mich in allem
zu unterrichten, um was ich Dich bis heute
gebeten habe, lass mich nicht in Unwissenheit
über diesen Punkt. Ich werde Dir meinen Dank
dafür durch größere Treue und durch einen
blinden Gehorsam beweisen.
Der Heiland hat also
zu mir gesprochen: „Meine
Tochter, du weißt
wohl, dass ich diese Erleuchtungen deines
Geistes kenne? „Ja, Herr, und ich glaube, dass
Du sie besser kennst
als ich. „Diese Erleuchtungen
vermindern aber deine
Liebe zu Gott und deinen Nächsten nicht?“ „Nein,
Herr“. --- Nun, meine Tochter, welcher Art immer
diese Erleuchtungen sein mögen, verwirf sie
nicht; sie sollen dich belehren in weltlichen
und religiösen Wissenschaften, über die
Religion, die Tugenden, die Laster, oder über
die Regierung der Völker, über die Nationen im
allgemeinen, oder über einzelne Individuen und
Personen; selbst wenn sie dir die Stimmungen,
Gesinnungen und geheimen Absichten von Personen,
die dir bekannt und nahe sind, zeigen, verwirf
sie nicht; allein gebrauche große Vorsicht
dabei. Nichts kann Gott verborgen sein, Er kennt
den Herzensgrund aller Menschen, deshalb kann Er
davon Kenntnis geben, wann Er will, wann Er es
für gut findet und wem Er will. Wenn also Gott
dir den innerlichen Zustand einer Person
offenbaren wird und du denselben siehst, wie er
ist, so denke nicht, dass du durch Erkenntnis
dieses Zustandes ein vermessenes Urteil fällest.
Es ist ein großer Unterschied zwischen den
vermessenen Urteilen und diesen Arten von
Erleuchtungen oder Erkenntnissen, die dir zu
Teil werden.
Das vermessene Urteil
entspringt einem schlechten Grunde, nämlich dem
Stolze und der Eifersucht, es bringt schlechte
Wirkungen hervor: die Verachtung und die
Beschimpfung des Nächsten. Die Erleuchtungen und
die Erkenntnisse, welche du erhältst, haben
einen ganz andern Ursprung. Ihr Ursprung ist
Gott, sie haben auch ganz andere Wirkungen,
nämlich die Ehre Gottes und das Heil der Seelen.
„Wenn du solche
Erleuchtungen erhältst, so untersuche, woher sie
kommen und betrachte, wohin sie zielen. Wenn du
siehst, dass sie von deiner Eigenliebe
herrühren, oder von irgend einem schlimmen
Vorurteile gegen die betreffende Person; wenn du
siehst, dass sie dahin zielen, die ihr schuldige
Liebe zu schwächen, so verwirf diese
Erleuchtungen. Wenn sie hingegen in deinem
Herzen liebreiches Mitleid, verbunden mit einem
aufrichtigen Verlangen nach Verherrlichung
Gottes, hervorrufen, so nimm sie an, welcher Art
sie immer sein mögen. Deine liebreichen Gefühle,
die durch die Erleuchtungen, die Er dir nach
Seinem Wohlgefallen geben will, entstanden,
seien indessen kein Hindernis für die Erfüllung
des göttlichen Willens. Hänge dich weder an
diese Erleuchtungen, noch an diese Erkenntnisse.
Erhebe deinen Geist zu Gott und opfere Ihm ein
Seinem Willen gänzlich ergebenes Herz.
Unter den
Erleuchtungen, die du erhältst, sind einige klar
und hell, andere haben weniger Klarheit und
einige sind etwas verschleiert, nimm sie
unbesorgt an und wisse, dass alles seiner Zeit
sich erfüllen wird.
Großes habe Ich mit
dir vor, und es ist notwendig, dass Ich dich
lange vorher erleuchte und vorbereite, damit du,
wenn der Augenblick kommt zur Ausübung des
göttlichen Willens, bereit seiest.
Teile diese
Erleuchtungen nie jemand ohne Meinen Befehl oder
meine Erlaubnis mit. Du würdest dir durch deinen
Ungehorsam und deine Unvorsichtigkeit
tausenderlei Verlegenheiten und Leiden bereiten.
Du musst ein großes
Herz haben, damit es alles fassen kann, was Ich
darin einschließen will; einen starken und
festen Geist, damit Er das Gleichgewicht der
Wahrheit, Klugheit, Mäßigung und Umsicht
bewahre. Begründe dich in tiefer Demut, diese
Demut aber sei furchtsam und veranlasse dich
nicht, das in deinem Leben zu verbergen, was
sich darin nach Meinem Wohlgefallen offenbaren
will. Lass deine Demut nicht in deinen
Handlungen bestehen, sondern in deinen
Gesinnungen, indem du dich befestigst gegen
alles, was ganz geeignet wäre, dir dieselbe zu
rauben. Bewaffne dich mit Mut: durch heilige
Unerschrockenheit überwinde alles, was für dein
Leben gefährlich, für dein Herz widerwärtig oder
für deinen Geist beschwerlich werden könnte,
wenn es sich darum handelt, Meinen Willen zu
erfüllen. Setze dein Vertrauen immer auf Mich,
und erwarte geduldig die Stunde deines Gottes!“
--Seitdem ich, Herr Pfarrer, diese mir so
notwendigen Unterweisungen erhalten habe,
befinde ich mich sehr wohl. Indem Jesus, der
Erlöser, meinen Geist erleuchtet, hat Er
zugleich mein Herz gekräftigt und meine Lage
beträchtlich erleichtert.
Genehmigen Sie, ich
bitte Sie, den Ausdruck meiner ausgezeichnetsten
Hochachtung, mit welcher ich die Ehre habe zu
sein
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste, den 9. Nov.
1843
XXXVI. Brief
Der Heiland kündigt
durch Mariens Vermittlung einem der Seelenführer
dieses heiligen Mädchens an, dass er viel zu
leiden haben werde und fordert ihr auf, alle
Tage für Frankreich zu beten.
Herr Pfarrer!
Ich habe getan, was
Sie mir gesagt haben, und hier folgt, was Jesus
mir geantwortet hat: „Meine Tochter, warum
sollte Ich nicht zu jenen sprechen, die Mein
Wort zu hören wünschen, da Ich Mich sogar an die
wende, die sich nicht viel darum bekümmern!"
„Sage dem, der die
Fragen an Mich gestellt, dass Ich ihn liebe, und
dass er von Meinem Vater geliebt werde, und dann
richte in Meinem Namen und um der Liebe willen,
die Ich und Mein Vater zu ihm haben, folgende
Worte an ihn: Freuet euch in dem Herrn, und
frohlocket, ihr Gerechten, und rühmet euch in
Ihm, ihr Alle, die ihr aufrichtigen Herzens
seid!
Auf dich, mein Sohn,
wende Ich diese Worte voll Lieblichkeit an, nimm
sie auf als aus dem Munde deines Erlösers
kommend. Erhole dich von deinem Erstaunen; das,
was du gesehen, ist nichts im Vergleich mit dem,
was du später sehen wirst. Leiden werden dich
treffen und dann wirst du wenig Trost in den
Geschöpfen finden. Ich handle gewöhnlich so, um
die betrübten Herzen an Mich zu ziehen; was dich
jedoch anbelangt, so ist dieses nicht der
Beweggrund für die Trübsale, welche dich
erwarten. Ich besitze dein Herz bereits, warum
sollte Ich noch suchen Mich desselben zu
bemächtigen, da es schon Mein Eigentum ist
dadurch, dass du es Mir gegeben hast. Ich werde
indessen diese Trübsal zulassen zu deiner
größeren Vervollkommnung, denn dann wird unsere
Vereinigung inniger und fester werden durch die
gegenseitigen Herzensergießungen, welche
zwischen deinem und Meinem Herzen stattfinden
werden: dadurch, dass du Mir von deinen Leiden
oder Trübsalen und Ich dir von meinen Tröstungen
mitteilen werde. Mache es nicht wie die
Unsinnigen, welche sich stützen auf
Menschenarme, die selber zu schwach sind, sich
aufrecht zu halten. Diese Menschen werden in
ihren Hoffnungen getäuscht, weil sie sich aus
Schwäche und Nichtigkeit gestützt haben.
Du hast es erfahren,
die Freunde dieser Welt verlassen Einen oft
gerade in dem Augenblicke, wo man ihrer am
meisten bedarf. Sei weise, mein Sohn, undlasse
dich von deiner Weisheit bestimmen, in Mir
deinen vertrautesten Freund zu suchen."
„Ich versichere dir,
dass du noch viel zu leiden haben werdest, aber
Ich verspreche dir auch, dass Ich dich
unterstütze, aufrecht erhalte und trösten werde.
Dein Geist wird vielleicht zu ergründen suchen,
was das für Leiden sein könnten, die dich
treffen werden; es sind solche, die du am
wenigsten erwartest; aber, wenn du sie erfahren
wirst, wirst du die Wahrheit Meiner Worte
erkennen.
Dann wird dein Herz
und dein Geist sich zu Mir wenden, und du wirst
sagen: Ach! Herr, ich erkenne die Wahrheit
dessen, was Du mir gesagt hast; hilf mir, tröste
mich! Und Ich werde kommen, um dir zu helfen und
dich zu trösten." --- Dann fügte Jesus, der
Erlöser hinzu: „Mein Sohn bete für Frankreich;
Ich habe es schon gesagt und will es dir
wiederholen. Wenn die Schläge der Gerechtigkeit
Meines Vaters noch nicht über Frankreich
hereingebrochen sind, so ist es nur Maria, die
Königin des Himmels, welche sie ausgehalten hat.
Satan brüllt zuunterst in der Hölle vor Wut
gegen ein Reich, das ihm wahrlich schon harte
Schläge beigebracht hat; er zittert und tobt vor
Wut beim Anblicke des Guten, das in dieser
Gegend geschieht; er bietet alle seine Kräfte
auf, um das Böse zu vermehren, und die göttliche
Rache mehr und mehr zu erregen.
Aber eine Kette,
welche er nicht zu brechen vermag, fesselt ihn;
denn Meine Mutter hat ein besonderes Anrecht auf
Frankreich, das ihr geweiht ist, und vermöge
dieses Anrechtes hält sie den erzürnten Arm
Gottes auf, und breitet aus über dieses Land,
das ihr gewidmet ist, die Segnungen des Himmels,
um dasselbe im Guten zu fördern. Deshalb höre
Ich nicht auf zu warnen, um ungeheuren
Drangsalen zuvorzukommen. O Frankreich, dein
Ruhm wird sich weit ausbreiten; Deine Kinder
werden ihn bis über die weithin sich
erstreckenden Meere tragen, und jene, welche
dich nur dem Namen nach kennen, werden für deine
Erhaltung und deine Wohlfahrt beten.
Mein Sohn, Ich habe
soeben mit der Vertraulichkeit eines Freundes
und der Güte eines Vaters zu dir gesprochen.
Staune nicht darüber, dass Ich so mit dir mich
unterhalten habe, und Worte an dich gerichtet,
die du nicht erwartet hast; oft enthalten die
vertraulichen Mitteilungen eines Freundes Dinge,
die man nicht erraten hätte.
„Vernimm nun noch
Meine Ermahnungen: Jedesmal, wenn du die hl.
Messe feierst, bete für das Wohl und die
Erhaltung Frankreichs. Nimm mit Geduld und
Ergebung alle Prüfungen hin, die Ich dir nach
Meinem Wohlgefallen schicken werde. Schäle dich
mehr und mehr von den Geschöpfen los und nimm
Mich zum vertrautesten Freunde. Endlich bete für
Meine kleine Dienerin Marie, durch welche Ich
dir Meine Worte übermittle; sie braucht Gebete
wegen der zahlreichen Leiden, die ihr
bevorstehen. Empfange, mein Sohn, den Kuss, den
Ich dir in Meiner Barmherzigkeit gebe."
Herr Pfarrer, ich weiß
nicht, in welche Hände dieser Brief eines Tages
kommen kann; da jedoch in demselben von
Frankreich die Rede gewesen ist, so erlaube ich
mir Folgendes beizufügen: In dem letzten Briefe,
den ich Ihnen über denselben Gegenstand
geschrieben habe, hörte ich nur die Worte, die
ich wiedergegeben habe, d. i. ich erhielt keine
innerlichen Erkenntnisse, während hier, wo der
Heiland die in diesem Briefe von mir berichteten
Worte an mich richtete, wie ein geistiges und
himmlisches Licht in mir sich ausbreitete. Nun
sah ich klar und deutlich -- wenigstens, wenn
dieses keine Täuschung ist --- das, was ich etwa
so ausdrücken kann: Es gibt in Frankreich viel
Gutes und auch viel Böses. Wenn das Gute mit dem
Bösen im Verhältnis stände, so dürften wir die
strafende Gerechtigkeit Gottes nicht so sehr
fürchten, weil sie ebenso sehr durch das Gute
besänftigt, als durch das begangene Böse erzürnt
würde. Dem ist aber nicht so, das Gute ist
geringer als das Böse, und ist nicht
hinreichend, um Gottes Rache abzuwenden; es muss
noch mehr Gutes geschehen. Glücklicherweise
bittet die heilige Jungfrau für uns und
verhindert, dass Gottes Gerechtigkeit über
unsere Häupter hereinbricht. Aber Maria will,
dass man zu ihr flehe und seine Zuflucht zu ihr
nehme. Sie stellt sich zwischen Gott und uns,
sie sieht uns an und erwartet unsere Bitten und
unser Flehen. Ihr Herz ist voll Güte und
Zärtlichkeit. Ein einziges an Maria gerichtetes
Wort erlangt uns unermessliche Gnaden. Gott wird
sich bewegen lassen, wenn wir zu Maria flehen.
Maria bettelt uns um unsere Gebete an, so sehr
hat sie den Willen und das Verlangen, uns zu
Hilfe zu kommen. Wir müssen auch zu Maria unsere
Zuflucht nehmen, weil dieses Gottes Wille und
das Mittel ist, Ihn gegen uns günstig zu
stimmen. Empfangen Sie gütigst, Herr Pfarrer,
die Versicherung meiner ausgezeichnetsten
Hochachtung, mit welcher ich die Ehre habe zu
sein
Ihre
demütigste und
dankbarste Dienerin
Marie.
Mimbaste den 22. Nov.
1843.
XXXVII. Brief.
Der Heiland offenbart
Marie,
was in dem Herzen
eines ihrer Seelenführer vorgeht.
Herr Pfarrer!
Ich sage Ihnen immer
alles mit Vertrauen und Einfalt; ich verberge
Ihnen nichts; ich erzähle Ihnen alles, was ich
sehe und alles, was ich höre.
Eines Tages hörte ich
den Heiland mit unaussprechlicher Güte folgende
Worte sprechen:
,,O, Abbe Dupérier!
Was hast du für Gedanken? Ich kenne dem Herz,
Ich bin in das Innerste deiner Seelen
eingedrungen; ich kenne deine geheimsten
Gedanken. Ich habe dein Benehmen betrachtet und
geprüft. Ich habe auf der Waage Meiner
Gerechtigkeit deine guten, deine schlechten und
deine gleichgültigen Handlungen gewogen. Nun
aber hast du eine brennende und aufrichtige
Liebe zu Gott, eine tiefe Demut, eine seltene
und erhabene Herzensreinheit. Deine Kenntnisse
in der Heilswissenschaft sind groß und deine
Einsicht ausgedehnt. Du beobachtest das Gesetz
auf vollkommene Weise, du unterlassest keine
deiner Pflichten. Dein Herz ergießt sich vor Mir
mit Vertrauen und Einfalt; dein Geist erhebt
sich zu Gott voll Inbrunst; du entfernst aus
deinen Gedanken nicht nur, möchte Ich sagen, was
böse ist, sondern sogar alles, was eitel ist. Da
du indessen Mensch bist, so entstehen in dir
allerhand Gedanken; du trägst jedoch Sorge, alle
die, welche strafbar sein würden, zu
unterdrücken, sobald du sie bemerkest, und die
Gnade kommt dir zu Hilfe, um dich in dieser
Arbeit zu unterstützen. Die tägliche Aufopferung
deiner selbst ist Gott sehr angenehm. Mein Sohn,
nimm hin, dieses Mein Zeugnis, es ist voll
Wahrheit.
Fahre fort, Mein Sohn,
auf diese Art zu leben, schreite immer mehr und
mehr in der Vollkommenheit voran, die kein Ende
kennt. Hänge dich noch vollkommener und stärker
an Gott. Dein Geist erhebe sich noch höher und
werde immer reiner, um mehr und mehr Mir
anzuhängen.
„Jetzt, Mein Sohn,
lass uns ein wenig über den Gegenstand Meiner
Sorgfalt, deiner und Meiner kleinen Dienerin
Marie sprechen. Was denkst du von dieser?
Glaubst du, dass es
ein armes, betrogenes, durch den bösen Geist
getäuschtes Mädchen ist? Ist es eine
Geisterseherin? Ist es ein anmaßender Geist, der
in seinem Stolze sich geltend zu machen sucht?
Hältst du sie wirklich für eine Närrin? Ist
Marie ein Mädchen, welches immer Lügen auf den
Lippen und Betrügereien im Herzen hat? Gleicht
Marie einigen ihres Geschlechtes, die trotz
ihrer Unwissenheit sich schmeicheln, alles zu
wissen?
„Die Menschen haben
zu einander gesagt: Wir wollen Stillschweigen
beobachten, prüfen wir Marie von der
empfindlichsten Seite, wir wollen tun, als ob
wir das verachteten, was sie sieht, was sie
hört, was sie innerlich empfindet; achten wir
wenigstens äußerlich auf diese Dinge nicht und
beobachten wir ihre Handlungsweise. Wird sie
dabei auch so gleichgültig bleiben?
„Ja, beobachtet
Stillschweigen! Aber könnte Ich, wenn es mir so
gefällt, sie nicht mit allem bekannt machen und
ihr zeigen, dass Ich die Absichten der
Sterblichen verachte! Kann ich sie nicht euer
Benehmen und eure Gesinnungen erkennen lassen,
damit das, was euer Geist als die härteste Probe
für sie ansieht, mit Hilfe Meiner Gnade für sie
nur eine unschuldige Unterhaltung wird, und der
sichere Beweis der menschlichen Schwäche, die
gegen die menschliche Weisheit kämpfen will?
„Habe Ich euch nicht
schon gesagt, dass Marie nicht betrogen werden
wird durch das Benehmen, das man gegen sie
beobachtet, und denkt ihr, sie werde nicht
wahrnehmen die Urteile, welche man über sie
fällt? Saget ihr nichts, wenn ihr es so wollt;
wenn es Mir gefällt, so sage Ich ihr mehr, als
ihr je ihr mitzuteilen vermöchtet. Sie wird eure
Weisheit mit ihrer anscheinenden Einfalt
vereiteln.
Ich habe ihr Abscheu
vor Verstellung eingeflößt. Treu meinen Lehren
wird sie daher, was sie einmal gesagt hat, zwei
und dreimal und so oft sagend als es notwendig
ist. Ihr werdet ihre Geduld nicht ermüden, sie
wird euch stets überwinden. Prüfet sie auf jede
Art, suchet irgendeine neue Art der Prüfung aus
und richtet, wenn ihr es könnt, eure Prüfung so
ein, dass sie ihrem Mute gleichkommen.
Mein Sohn, sei nicht
nachlässig und sorge für Meine kleine Dienerin
Marie.“ --Jesus, der Erlöser sprach diese Worte
mit großer Sanftmut, jedoch von Zeit zu Zeit mit
würdevoller Majestät. Empfangen Sie, Herr
Pfarrer, ich bitte Sie, die Versichernd der
ausgezeichnetsten Hochachtung, mit welcher ich
die Ehre habe zu sein,
Herr Pfarrer,
Ihre
demütigste und
dankbarste Dienerin
Marie.
Mimbaste, den 27. Nov.
1843.
XXXVIII. Brief.
Der Heiland kündigt
Marie ihren Tod an.
Herr Pfarrer!
Jesus, der Erlöser,
hat mir ein Versprechen gemacht, wovon ich Ihnen
nie gesprochen habe. Erlauben Sie mir heute Sie
davon zu unterhalten; es handelt sich um meinen
Tod, welcher ohne langen Verzug eintreffen wird.
Nachdem ich eines Tages die heilige Kommunion
empfangen hatte, sprach der Herr also zu mir:
„Meine Tochter, du wirst jung sterben, bereite
dich also zum Sterben vor. Ich künde es dir im
Voraus an, damit du nicht unversehens davon
ergriffen wirst. Bemühe dich, dir Schätze von
Verdiensten für die Ewigkeit zu erwerben."
--Gerne hätte ich den Tag und die Stunde meines
Todes erfahren mögen; aber ich brachte innerlich
diese Befriedigung zum Opfer und fragte Jesus
nicht. Ich war damals 19 Jahre alt. Nichts desto
weniger hielt ich mich aus bei dem Gedanken, der
in mir sich bildete: Wenn ich dieses Jahr
sterben sollte! Der Heiland erkannte den
Gedanken meiner Seele und sagte zu mir: „Nein,
meine Tochter, dieses Jahr wirst du nicht
sterben, du wirst auch noch nächstes Jahr leben,
du wirst sogar dein 25. Jahr vollständig
durchleben; aber vor Vollendung deines 26.
Jahres wirst du sterben. Darum sollst du am
Anfange und am Ende eines jeden Jahres, eines
jeden Monats, einer jeden Woche, eines jeden
Tages ernstliche Betrachtungen anstellen und zu
dir sprechen: Verschwunden ist ein Jahr, ein
Monat, eine Woche, ein Tag; ein Tag, eine Woche,
ein Monat, ein Jahr beginnt wieder, das ich dem
Herrn schenken muss. Bereite dich allezeit auf
das Sterben vor, indem du dich mehr und mehr mit
Gott vereinigst, dich von den Geschöpfen und
allen irdischen Dingen losreißest. Wenn du so
handelst, wird dein Tod süß, glücklich, still
und ruhig sein, du wirst den Schlaf der
Gerechten schlafen und bei deinem Erwachen wirst
du Gott in der Ewigkeit sehen." --Nach diesen
Worten fragte Er mich, ob ich es bedauere, dass
ich jung sterbe: „Ach! Herr," antwortete ich
Ihm, wie sollte ich es bedauern können, dass ich
jung sterbe? Hast du mir nicht gesagt, dass der
Tod ein Gut ist, dass man nach dem Tode Gott
nicht mehr beleidigt, dass man nach dem Tode
Gott vollkommen liebt und für immer mit Ihm
vereinigt ist? Wenn dem so ist, wie sollte ich
es bedauern können, dass ich sterben muss?"
--Weit entfernt, Herr Pfarrer, dass der Gedanke,
ich müsse bald sterben, mich traurig machte,
erfüllt er mich in der Tat mit Freude. Dieser
Gedanke macht mir die schwersten Dinge leicht;
er lässt mich geduldig die härtesten Prüfungen
ertragen; er schält mich von allem, selbst von
meiner Familie los. Ich liebe meine Eltern, Sie
wissen es, wohlan ich würde selbst in dieser
Stunde ohne Tränen ihnen Lebewohl sagen, wenn
ich sterben müsste. Wie wäre ich so glücklich,
wenn ich weit von den Hütten der Sünder
hinwegfliehen könnte! Sterben, d. h. allem
entsagen, sich selber entsagen, seinem Leibe
entsagen, um zu Gott zu gehen, welche Seligkeit,
welches Glück ! Oft rufe ich mit dem Propheten:
„Weh' mir, dass mein Aufenthalt in der Fremde so
lange dauert; meine Seele seufzt, dass sie so
lange leben muss, mitten unter den Zelten Cedars.
Ich hoffe, dass das
Versprechen des Erlösers sich erfüllen werde.
Wenn indessen Gott meine Prüfungen, Leiden und
Trübsale noch verlängern wollte, so würde ich zu
Ihm sprechen: Herr, Dein Wille geschehe, und
nicht der meinige. Wenn es süß ist zu sterben,
so ist es doch noch süßer, Gottes Willen zu tun.
Wenn es süß ist bei Gott zu sein und wenn es
kein Los gibt, das demselben zu vergleichen ist,
so scheint mir doch das größte Glück darin zu
bestehen, dass man für Gott leidet und Seinen
Willen erfüllt.
Sie haben mir dieses
sehr oft wiederholt, haben es in meine Seele
eingegraben. Ich werfe mich Ihnen zu Füßen und
bitte Sie demütig für mich beten zu wollen. Ich
habe die Ehre zu sein,
Herr Pfarrer!
Ihre
gehorsamste Dienerin
Marie
Mimbaste, den 12. Dez.
1843.
XXXIX. Brief.
Absichten Jesu in
Hinsicht auf Marie. Jesus spricht mit der Oberin
des Klosters vom Heiligen Herzen zu Gunsten der
Marie Lataste.
Herr Pfarrer!
Mit gänzlichem
Vertrauen will ich Ihnen mitteilen, was ich
eines Tages empfunden habe. Denken Sie darüber,
was Ihnen gutdünkt. Ich werde das Urteil,
welches Sie darüber fällen, als den Ausdruck des
göttlichen Willens ansehen und mich demselben
demütig unterwerfen. Ich befand mich vor dem
heiligen Sakramente, es schien mir, dass ich
unsern Herrn in leiblicher Gestalt sähe, obwohl
nur mit den Augen meiner Seele. Er richtete
folgende Worte an mich: „Meine Tochter, fasse
Mut, Ich bin dein Vater. Ich werde dich
beschützen und aufrecht erhalten. Ja, Marie, Ich
werde dich wie an der Hand führen, wohin Ich
dich leiten will. Meine Tochter, du wirst der
Ort Meiner Ruhe sein; in deinen Herzen will Ich
wohnen, wie in einer wonnevollen Wohnung. Ich
habe dich erwählt zu Meiner Dienerin, zu Meiner
Braut, zur Verkünderin Meiner Worte an die
Seelen, zu Meiner Stimme in der Wüste dieser
Welt. Freue dich, dein Mund wird eine beredte
Stimme werden, welche aus der tiefsten
Einsamkeit, im Echo der ganzen Welt wiederhallen
wird, um die frommen Seelen aufzufordern, Meinen
Namen zu verherrlichen.
„Ich bestimme dich
dazu, Klosterfrau im Orden des hl. Herzens zu
werden. Was immer für Schwierigkeiten diesen
Beruf zu hindern scheinen mögen, sie werden
verschwinden. Dies sind die Worte, die Ich an
die Oberin des hl. Herzens in Paris richten
werde: „Meine Tochter, Ich habe die Blicke
Meines Wohlgefallens auf dich geworfen, Ich, der
Ich dein Herr bin, der dreimal heilige Gott, der
dich mit Gnaden und Wohltaten überhäuft hat. Ein
Beweis der Dankbarkeit, welche du Mir für alle
Meine Wohltaten schuldest, besteht in der
Unterwerfung unter Meinen Willen und in der
Bereitwilligkeit deines Herzens die Worte Dessen
aufzunehmen, Den du deinen Erlöser nennst."
„Nun, Ich will heute
mit dir über deine Klostergemeinde sprechen: Es
sind bei dir und unter deiner Leitung fromme und
eifrige Seelen. Sie sind wahrhaft groß in Meinen
Augen; sie erbauen und verbreiten durch ihre
Tugenden den Wohlgeruch Meiner Gnade. Es gibt
unter ihnen aber auch andere, welche die guten
Regungen, die ich Ihnen einflößte, nicht gut
benützen, eben so wenig die guten Beispiele, die
sie vor Augen haben und die Sorgfalt, die du au
ihnen verschwendest. Sie erfüllen zwar die
Pflichten, welche die Regel ihnen auferlegt; sie
gehorchen deinen Befehlen; aber gleichwohl
herrscht in ihrem Innern eine Schlaffheit und
Gleichgültigkeit, die ihnen schädlich werden
kann. Sei darauf bedacht, dass Keine in diesen
Zustand der Lauigkeit verfalle, wodurch sie
verdienen würde, von Mir verflossen zu werden.
Du wirst das, was Ich meine, an der Art und
Weise erkennen, wie man dir gehorchen wird, und
aus den Prüfungen, die du sie ausstehen lassen
wirst. Beobachte eine Zeit lang, und du wirst
die Wahrheit Meiner Worte entdecken. Sei darauf
bedacht, dass die Sünde in deinem Hause nicht
Eingang finde. Erhalte in demselben vor Allem
Frieden, Einigkeit, Eintracht und Liebe. Deine
Stelle ist wichtig und erhaben; sie legt dir
aber auch bedeutende Verpflichtungen auf,
vergiss dieses nicht.
„Ich will dir
außerdem noch etwas mitteilen, was du nicht
weißt, und was für dich von Wichtigkeit sein
wird, höre Mich aufmerksam an.
„Ich kenne in der
Diözese Aire ein junges Mädchen, welches unter
einem gewöhnlichen, einfachen und schlichten
Äußern und bei einer Lebensweise, die durch
nichts ausgezeichnet ist, eine große Seele
besitzt, eine Seele, die Ich mit den
ausgezeichnetsten Gnadengaben überhäuft habe,
eine Seele, die Ich liebe. Ihre Familie ist arm,
allein sie beobachtet getreu Meine Gebote. Ich
habe von aller Ewigkeit her dieses Mädchen
auserwählt, um in ihr die Werke Meiner
Barmherzigkeit und Meiner Liebe zu wirken. An
dem Tage, wo Ich ihr gestattete, dass sie zum
ersten Male kommunizierte, ließ Ich sie die
Lieblichkeit Meiner Gegenwart in ihrem Innern
empfinden, und ihr, Herz wird das Andenken daran
niemals verlieren. „Seit ihrem dreizehnten
Jahre, zog Ich sie noch stärker an Mich. Ich
ließ sie aus dem Kelche der Bitterkeit trinken,
um dieses junge Herz vorzubereiten und zu
bilden, dieses Herz, aus welchem Ich ein Gefäß
der Auserwählung machen wollte, durch welches
die Allmacht Meiner Gnade sich offenbaren
sollte.
Nach mehreren Jahren,
die sie in Tränen, Leiden, Kämpfen,
Trostlosigkeiten und Trockenheit verbrachte,
habe Ich die Finsternisse ihres Geistes
zerstreut, indem Ich sie durch Mein Wort
erleuchtete, und in ihr Herz die Süßigkeit
Meiner Tröstungen ergoss, welche sie noch mit
Seligkeit überschwemmen und berauschen. „Ich
selbst habe auf dieses junge Erdreich den Samen
Meines Vaters ausgestreut. Ich habe sie auf
erhabene und tiefe Weise über die ganze
christliche Sittenlehre und Religion
unterrichtet. Sie wird hundertfältige Frucht
bringen.
„Marie, das ist der
Name dieser Vielgeliebten deines Erlösers, Marie
misstraute dem, was sie in sich empfand und da
sie nicht wusste, woher diese Belehrungen, die
ihr auf so fühlbare Weise erteilt wurden, kämen,
und fürchtete, es möchte das eine Wirkung ihrer
Einbildungskraft oder der Kunstgriffe des
Teufels sein, so teilte sie ihrem Seelenführer
mit, was sie erfuhr. Dieser beruhigte sie, indem
er ihr sagte, dass dieses nur von Gott kommen
könne, worauf sie fortfuhr, auf Mein Wort zu
hören.
„Als sie 19 Jahre
alt war, ließ ich es zu, dass sie ihren
Seelenführer wechselte. Sie fiel nicht in die
Hände eines schwachen, für jeden Eindruck leicht
empfänglichen Mannes, sondern derselbe war ein
zurückhaltender, überlegter Mann, der die Dinge
ergründete und sie genau betrachtete, um sicher
zu gehen, und die Seelen, welche er leitete,
nicht irre zu führen."
„Von Anfang an hat
ihn Mariens Leben in Erstaunen gesetzt; er
beobachtete sie sorgfältig in ihren Worten, in
ihren Beichten, in ihrer Haltung in der Kirche,
in ihrer Kleidung. Er erkannte wirklich etwas
Geheimnisvolles in ihr. „Meine Tochter, sprach
er eines Tages zu ihr, ich befehle, Ihnen alles
zu schreiben, was Sie erfahren haben und noch
erfahren werden, damit ich Ihnen den Ursprung
der Worte, die Sie hören, angeben kann."
Marie hat aus Gehorsam
alles geschrieben Ihre Schriften werden
sorgfältig aufbewahrt werden, und die Ehre, die
sie Gott eintragen, wenn sie der Öffentlichkeit
übergeben werden, wird auf die Genossenschaft
des heiligen Herzens zurückfallen.
„Ich bestimme
nämlich Marie in der Tat Klosterfrau in deiner
Gesellschaft zu werden. Ich werde sie dir zur
Probe schicken. Prüfe sie aus jede Weise, soviel
du willst, wie du es verstehst; wenn sie
gehorcht, wenn sie sich unterwirft, wenn du sie
immer zufrieden und befriedigt siehst, wenn sie
nichts abschreckt, so wirst du fest überzeugt
sein, dass sie einen wahren Beruf hat. Nimm sie
auf und behalte sie trotz ihrer Armut; sie wird
dich durch ihre Arbeit, ihre Aufführung und ihre
Frömmigkeit für die Opfer entschädigen, welche
du ihr bringst. Nimm sie auf, wie sie sich
vorstellt, mit dem, was sie hat, ohne von ihrer
Familie etwas zu verlangen, da ihre Familie für
sie die Opfer nicht zu bringen vermag, wie
solche gewöhnlich die Familien sich auferlegen,
aus denen ein Glied bei euch aufgenommen wird.
Ich erlaube dir, Marie
mit Schimpf und Schande fortzuschicken, wenn sie
diese von Mir angegebenen Eigenschaften nicht
hat. Meine Tochter, versäume nicht die Befehle,
welche Ich dir in Betreff deiner Genossenschaft
und in Betreff Mariens gebe, zu befolgen und
auszuführen. Du würdest sonst Meinen Unwillen
und Meinen Zorn dir zuziehen. Gehe hin in
Frieden, Meine Tochter, Ich segne dich!" --Das
hat mir der Heiland gesagt, ich wiederhole Ihnen
pünktlich Seine Worte. Dann fügte Er bei:
„Marie, Meine liebe Tochter, hüte dich von all
diesem deinem Seelenführer etwas zu
verheimlichen, sage ihm alles genau, er wird
dann für dich und deine Führung in einem noch
höheren Maße Sorge tragen, und Ich werde ihm
hundertfältig vergelten, was er für dich tut.
Überlass dich ihm und befolge genau seine
Vorschriften. Ich werde Zeugnis für dich ablegen
vor den Menschen und vor Meinem Vater. Ich werde
dich verherrlichen und für die ganze Ewigkeit
setzen auf einen Thron, der von Glorie strahlt."
Herr Pfarrer, ich sage
es nochmals, denken Sie und tun Sie hiermit, was
Sie wollen. Ich lege es voll Vertrauen in ihre
Hände nieder, indem ich mich schon im Voraus der
Entscheidung Ihrer Weisheit und Klugheit
unterwerfe.
Empfangen Sie, Herr
Pfarrer, die Versicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung, mit welcher ich die Ehre habe zu
sein
Ihre
demütige Dienerin
Marie
Mimbaste den 23. Dez.
1843
XL.
Brief.
Mariens Gefühle über ihre Schriften und ihren
Beruf.
Herr Pfarrer!
Sie befehlen mir, ich
solle nach der Erkenntnis, welche die zu mir
sprechende Stimme mir zu geben vermochte, Ihnen
sagen, was ich von meinem Berufe und von meiner
Abreise denke, wenn ich dieses erwäge mit
Rücksicht auf die Art und Weise, wie Sie mit mir
verfahren sind, und wie man Sie mit mir zu
verfahren veranlasst hat. Ich will zu Ihnen mit
meiner Ihnen bekannten Aufrichtigkeit und
Offenheit sprechen. Ich habe Ihnen nie etwas
verheimlicht, ich habe Ihnen nie meine
Gesinnungen verhehlt, ich würde mich schämen zu
lügen oder zu betrügen. Gott verbietet es mir,
und der Dank, den ich Ihnen schulde für Ihre mir
stets bewiesene Teilnahme, macht es mir zur
Pflicht offenherzig mit Ihnen zu sprechen.
Sie haben mich
beruhigt, als Sie mir bestätigt haben, Sie
glaubten, dass all das, was ich erfahren, von
Gott käme. Was mich anbelangt, Herr Pfarrer, so
war dies von Anfang meine Überzeugung, d. h. von
der Zeit an, als Sie nach Mimbaste kamen.
Später, als ich sah, dass Sie zweifelten, habe
ich mit Ihnen gezweifelt; und um mich nicht zu
verirren, habe ich Ihnen treulich Alles gesagt,
was in mir vorging, ich habe Ihnen nie etwas
verheimlicht. Mein Zweifel wurde noch viel
größer, als ich Herrn Dupérier gleich Ihnen
zweifeln sah. Ach! welche Leiden und welche
Schmerzen haben meine Seele gequält, besonders
damals, als Herr Dupérier noch weiter ging und
glaubte, dass ich ihn betröge und dass alle
meine Worte lügenhaft seien. Meine Betrübnis ist
deshalb noch größer gewesen, weil ich dachte,
dass ich eine sehr unglückliche Sünderin sein
müsse, dass man mich eines solchen Benehmens für
fähig halten könne.
Jesus, der Erlöser,
tröstete mich nach dieser harten Prüfung, und
seitdem scheint es, nach und nach in meinem
Geiste wieder licht zu werden.
Hier folgen nun
schließlich meine natürlichen Erwägungen über
die Worte, die ich hörte und Ihnen schriftlich
berichtete. Nichts desto weniger hielt ich mich
nicht bei diesen Gedanken auf, ich erwartete
Ihre Entscheidung. Während ich in dieser Ihnen
bekannten Verwirrung mich befand, und ich
vergeblich suchte, die Wahrheit aus dem Munde
der Menschen zu hören, hörte ich nicht auf, mich
an Gott zu wenden und Ihn zu bitten, Er möge
mich erleuchten, mich oder denjenigen, der mich
leitete. Gott kam mir ohne Zweifel zu Hilfe, da
meine Gedanken in dieser Sache ganz mit Ihrer
Entscheidung übereinstimmten. Ich erwog die
Unterweisungen, die ich empfangen habe, nach
ihrem Ursprung, nach ihrem Endziele und in sich
selber. Nun sah ich bei jeder dieser
Betrachtungen klar, dass sie nur von Gott kommen
könnten.
Seit meiner Kindheit
hat man mich gelehrt, dass es Einen Gott gibt,
dass ich Ihm anhängen, dass ich Ihn anbeten, Ihn
lieben und Ihm dienen müsse. Ich habe gesucht
Ihn zu erkennen, Ihn zu lieben und Ihm zu
dienen. Als ich nun Gott suchte, als ich Ihn
liebte, habe ich all das empfunden, was ich
Ihnen in meinen Heften und in meinen Briefen
gesagt habe. Um dieses nicht mehr zu empfinden,
müsste ich mich von Gott trennen. Darum ist
alles von Ihm gekommen. Ich werde mich nun nie
von Ihm trennen, wenn der Gott, Den man mir in
meiner Kindheit kennen lernte, und in Dem ich
alles empfunden, was ich Ihnen überliefert habe,
nicht der wahre Gott ist und von der Kirche
verworfen wird. Wenn dem also ist, dann
verzichte ich auf diesen Gott und nehme den Gott
der katholischen, apostolischen und römischen
Kirche an. Dann will ich Jenem meine Anbetung
versagen, und alles, was Er mir gesagt hat, als
etwas ansehen, was noch nicht nach den Lehren
der Kirche für meinen Glauben näher bestimmt
ist. Ich will keinem anderen Gefühle folgen.
Aber ich weiß wohl, Herr Pfarrer, dass es keinen
andern Gott gibt, als den Gott meines Herzens,
als den Gott, Den ich kenne und Den ich von
ganzer Seele liebe. Er ist es, der mir alles
gelehrt hat; Er ist der Ursprung dessen, was ich
Ihnen überliefert habe, von Ihm habe ich es
erhalten.
Diese Schriften müssen
folglich gut sein, wie alles, was von Gott
kommt.
Wenn ich dieselben in
ihrem Zweck betrachte, so sage ich wieder, dass
sie von Gott kommen, weil der Zweck dieser
Schriften gut ist; dem wäre nicht so, wenn sie
von dem bösen Geiste herrührten. Welches ist nun
wirklich der Zweck der Ihnen übermittelten
Schriften? Die Ehre Gottes, das Heil meiner
Seele und das Seelenheil meiner Brüder. Alles
darin spricht in der Tat von Gottes Ehre, von
der Ergebung in Seinen Willen. Alles darin führt
zu Ihm, fesselt an Ihn, fordert auf, Ihn zu
lieben und Ihm treu zu dienen. Betrachten Sie
endlich diese Schriften in sich selbst. Nicht
wahr, sie suchen das Gute und zwar das
vollkommene Gute zu bewirken? Nicht wahr, sie
fesseln an Gott und flößen Hass ein gegen die
Sünde?
Kann nun aber, Herr
Pfarrer, der böse Geist jemals Werke dieser Art
hervorbringen? Man erkennt den Baum an seinen
Früchten, hat der Erlöser gesagt, und ein
schlechter Baum kann keine guten Früchte
hervorbringen. Wie hätte der böse Geist mir so
gute und Gott wohlgefällige Dinge einflößen
können?
So, Herr Pfarrer,
urteilte ich beinahe, ohne es zu bemerken, und
dieser Schluss tat mir wohl. Sobald ich jedoch
diese Betrachtungen meines Geistes bemerkte,
lenkte ich diesen auf andere Dinge, um in allem
dem Wunsche des Erlösers gleichförmig zu werden,
der Sie zu meinem Richter und Vater bestellt
hat. Ich verzichtete auf meine Anschauungsweise
und verließ mich gänzlich auf Sie.
Sie wünschen zu
wissen, was ich von meinem Beruf denke.
Mein Beruf ist,
Klosterfrau des heiligen Herzens zu werden.
Dieser Beruf kommt nicht von mir, sonst wäre er
kein Beruf. Derjenige vielmehr ruft mich in die
zu Ehren seines heiligen Herzens gestiftete
Gesellschaft, Welcher mich durch die Süßigkeit,
Lieblichkeit, Heiligkeit und Tiefe Seiner Reden
unterhalten hat. Zu dieser Lebensart bin ich
berufen und fühle ich mich hingezogen. Ich kenne
diese Lebensweise jedoch weder im Ganzen noch im
Einzelnen, doch genügt mir zu wissen, dass es
die Gesellschaft des heiligen Herzens Jesu ist.
Ich will in ihr, wie in meinem Gotte und Erlöser
leben, um Ihn immer vollkommener und aus ganzem
Herzen zu lieben. Das ist der Beweggrund, warum
ich Nonne werden will, das auch der Beweggrund,
weshalb mich der Erlöser berufen hat. Es ist
also weder Eitelkeit, noch Ehrgeiz, noch
Hoffnung auf ein angenehmes, bequemes und
leichtes Leben. Nein, Herr Pfarrer, Gott kennt
meine Gesinnungen, sie sind frei von jeder
persönlichen Anhänglichkeit. Prüfungen erwarten
mich dort, wie hier. Ich werde viel leiden, ich
weiß es, Jesus hat es mir gesagt; aber ich
fürchte weder Arbeit, noch Demütigung, noch
Widerspruch, noch Leiden, noch Prüfungen,
welcher Art sie auch sein mögen; ich fürchte
weder Gefängnis noch Ketten, noch den Tod. Die
Ehre, wonach ich geize, ist das Martertum; ich
werde nicht getäuscht werden, ich werde wirklich
gemartert werden. Möge man mich loben oder
tadeln, möge man mich achten oder verachten,
möge man mich ehren oder beschimpfen. Alles ist
mir gleichgültig; ich will auf immer Gott die
Ehre geben, und in der tiefsten Verdemütigung
meiner Seele leben, weil ich nur Sünde bin und
Gott die allerhöchste Vollkommenheit ist. Gern
mache ich mich von allem los; ich liebe die
Armut und würde einwilligen, mein tägliches Brot
zu erbetteln. Wenn man mich aus dem größten
Elend auf den Gipfel der Größe, des Reichtums
und der Ehre erhöbe und wieder in das tiefste
Elend stürzte, so würde ich die Ruhe und den
Frieden nicht verlieren. Ich will nur Eines:
Jesus lieben, Ihn über Alles lieben, Ihn immer
lieben, Ihn unaufhörlich lieben. Jesus ist mein
Alles, Er ist meine Stütze, meine Kraft, meine
Stärke, mein Leben; ohne Ihn ist Alles Nichts
für mich, ohne Ihn lebe ich nicht, ohne Ihn bin
ich tot. Und Ihm immer mehr anzuhängen, um mit
Ihm nur Eines zu sein, muss ich dem Zuge folgen,
mit dem Er mich an sich zieht. Er ruft mich;
dahin muss ich eilen und mich zurückziehen,
wohin Sein Wille mich weist. Ich fühle es wohl,
ich könnte meinen Frieden mir in der Stellung,
in der ich bin, nicht bewahren, wenn ich Seinem
Zuge widerstände. Das Leben, das ich jetzt
führe, ist kein Leben und auch kein Tod, es ist
ein Todeskampf, härter als der Tod. Wenn dieses
mein Beruf ist, Herr Pfarrer so denke ich, dass
ich ihm folgen und hingehen darf, wohin Gott
mich ruft. Ich muss dem Rufe folgen und zwar
sobald als möglich. Dies veranlasst mich nun,
mit Ihnen von meiner Abreise zu sprechen. Was
könnte meine Abreise verzögern? Etwa die
Notwendigkeit mich zu prüfen, oder Ihr Wunsch
mich im Gehorsam zu üben, oder die Furcht vor
den Gefahren auf meiner Reise, oder die
Schwierigkeit meiner Aufnahme im heiligen
Herzen?
Hat man aber, Herr
Pfarrer, seit zwei Jahren mich nicht genug
geprüft? Hat man mich nicht die härtesten und
schwersten Prüfungen bestehen lassen? Niemand
kann darüber besser urteilen als Sie, Herr
Pfarrer, und diese Prüfungen haben Ihnen
unzweifelhaft die Festigkeit meines Berufes klar
beweisen müssen.
Wenn Sie meinen
Gehorsam zu kennen wünschen, so kann ich mich
dem nicht widersetzen, es ist dies Ihr Recht, es
ist sogar sehr weise von Ihnen, denselben kennen
lernen zu wollen. Allein worin war ich
ungehorsam, seitdem ich unter Ihrer Leitung
stehe?
Der Gehorsam! Ich
finde ihn anderswo auch. Ich will nicht Nonne
werden, um meinen Willen zu tun, sondern um den
Willen Jesu zu erfüllen, der mir durch meine
Oberen offenbart werden wird.
Man wird mir sagen,
dass ich nicht strafbar sei, wenn ich den Willen
meines Seelenführers tue! Für den gewöhnlichen
Lauf des Lebens, für die gewöhnlichen Dinge,
Herr Pfarrer, gebe ich dieses zu. Aber in dem
außergewöhnlichen Zustande, in welchem ich mich
ohne irgend ein Verdienst von meiner Seite,
einzig und allein durch den Willen Jesu befinde,
da ich die Dinge in dem klaren Lichte, das mir
von Gott zu Teil geworden, ansehe, und ich klar
erkenne, dass mein Gewissen dabei beteiligt ist,
da glaube ich, dass es eine Pflicht sei, dieser
Erleuchtung zu folgen. Man beweise mir, dass ich
mich täusche, dass ich im Irrtum bin, dass mein
Licht nur Finsternis ist, dann werde ich mich
unterwerfen; ich tue es jetzt schon und mein
Gehorsam wird weise und verständig sein.
Wenn Sie indessen,
Herr Pfarrer, in meinen Schriften Gottes
Einwirkung erkannt haben, warum sollten Sie
dieselbe nicht auch in meinem Berufe und in
meiner Abreise erkennen? oder vielmehr, warum
wollen Jene, die Sie leiten, das nicht erkennen?
Warum beharren sie darauf, Sie zu überzeugen,
dass Sie mich nicht abreisen lassen sollen? Sie,
Herr Pfarrer, müssen sich klug benehmen den
Personen gegenüber, welche Sie leiten; aber
diese müssen auch Vorsicht gebrauchen gegenüber
ihren Seelenführern. Wäre ich nur Ihnen und mir
überlassen, so müsste ich mich in Allem Ihnen
unterwerfen, da ich aber zu Ihnen und zu Jesus
in Beziehung stehe, gebietet mir da nicht die
Klugheit, Ihre Worte und die Worte meines
Erlösers zugleich zu beachten?
Ach! glauben Sie
nicht, dass dieses Urteil mir von Fleisch und
Blut oder etwa von der Eigenliebe eingegeben
werde; es ist stärker als ich, es ist in mir,
und ich weiß nicht wie; oder vielmehr ich weiß
es wohl, es ist in mir hervorgerufen durch die
Kraft des Wortes Jesu, der alles wirkt nach
Seinem Wohlgefallen. Ich schreibe diese Zeilen
wie alles Übrige, weil Sie es mir befehlen und
wie mein durch Jesus erleuchteter Verstand es
mir eingibt. Mit Einem Worte: wenn Gott mir den
Beruf gegeben hat, so geschah es nicht, damit er
ohne Wirkung bliebe.
Ich begreife es wohl,
Sie sind besorgt und andere noch mehr als Sie
wegen der Reise in meinem Alter, Sie befürchten,
mich Gefahren ausgesetzt zu sehen.
Ach! Herr Pfarrer,
hierin kann ich Sie versichern, dass ich lieber
tausendmal mit Gottes Gnade sterben würde, als
jemals, entweder sei es durch Worte, oder
Handlungen, oder Blicke, oder Gedanken, etwas
Böses zu tun. Das Leben gilt mir nichts, der
Stand der Gnade aber alles, diesem würde ich
meine Lebenstage und das Teuerste opfern, was
ich in der Welt besitze.
Und überdies weiß ich,
hochwürdiger Herr, gegen mich selber
misstrauisch zu sein und auf Gott meine Hoffnung
zu setzen. Er wird meine Stütze und mein
Verteidiger sein. Er wacht über mich, wer möchte
mich da noch zu verderben suchen? Endlich dürfen
mich auch, Herr Pfarrer, die Schwierigkeiten,
die sich meiner Aufnahme entgegenstellen
könnten, nicht zurückhalten oder meine Abreise
verzögern, denn diese werden immer die gleichen
sein. Sie wissen, dass Jesus mir bereits die Art
und Weise gezeigt, wie Er sie alle wegräumen
werde. Auf sein Wort setze ich mein Vertrauen,
Ihm will ich mich überlassen.
Sie werden sich meiner
Abreise nicht widersetzen, ich bin dessen gewiss
und Sie werden beten, dass Gottes Absichten sich
an mir erfüllen. Gott weiß, wie sehr ich, Herr
Pfarrer, in Sie mein Vertrauen setze, welche
Ehrfurcht ich vor Ihnen habe, wie hoch ich Sie
achte und verehre. Ich habe in diesem Briefe
voll Vertrauen zu Ihnen gesprochen und habe es
nur getan, weil Sie es mir befohlen haben.
Gestatten Sie, dass
ich Sie fußfällig um Verzeihung bitte; sollte
etwas in meinem Briefe vorkommen, was Sie
beleidigen könnte, so wäre dies ganz gegen meine
Absicht. Gestatten Sie, dass ich Sie demütig
bitte, mir aus Liebe zu Gott sagen zu wollen, ob
Sie meine Abreise gutheißen. O! wie glücklich
wäre ich, wenn ich Ihre Einwilligung und die
Einwilligung Jesu hätte! O! sprechen Sie mein
Vater, und Ihr Wort sei ein Wort des Segens und
der Übereinstimmung mit Jesus! Unterdessen
unterwerfe ich mich Ihnen in Allem und erneuere
Ihnen den Ausdruck meiner ehrfurchtsvollsten
Gefühle,
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste den 10. Jan.
1844.
XLI. Brief.
Jesus Christus
beruhigt Marie über die Schwierigkeiten, welche
wegen ihrer Abreise von Seite ihrer Familie
erhoben werden könnten.
Herr Pfarrer!
Ich eröffne Ihnen
immer mit kindlichem Vertrauen die verborgensten
Geheimnisse meines Herzens. Trotz allen
Gnadenerweisungen und allen Belehrungen Jesu,
trotz Seinem Rat und Seinen Anempfehlungen bin
ich weit davon entfernt, das zu sein, was ich
sein sollte, nämlich losgeschält von allem und
nur Gott ergeben. Ich bin nicht so; allein ich
möchte so sein. Vor einiger Zeit hing ich noch
viel mehr an mir selbst und an meiner Familie
als zu dieser Stunde; ich sah die Dinge viel
mehr mit den Augen des Fleisches, als mit den
Augen des Glaubens an. Da stieg Jesus zu meiner
größten Beschämung, zu meiner Niedrigkeit herab,
um mich daraus zu ziehen.
Als Er mir gesagt
hatte, dass Er mich beriefe, Nonne im heiligen
Herzen zu werden, so freute ich mich anfänglich
darüber. Diese Freude dauerte jedoch nicht
lange; Folgendes störte sie. Ich sagte zu mir
selbst: Um Nonne im heiligen Herzen zu werden,
muss ich mich von meinen Eltern trennen; ich
brauche eine beträchtliche Aussteuer; ich muss
von jemanden eingeführt und vorgestellt werden;
allein kann ich mich nicht nach Paris begeben
und mir in dem Hause, wohin der Heiland mich
beruft, Aufnahme verschaffen. Dann sagte ich
noch zu mir: Meine Eltern werden sich nicht von
mir trennen wollen; wenn sie mir. die nötige
Aussteuer geben, so bringe ich sie ins Elend,
wie werde ich jemals Klosterfrau des heiligen
Herzens werden können?
So sah ich es mit den
Augen des Fleisches an, so dachte ich nach den
Gedanken des Fleisches, so stützte ich mich auf
den Arm des Fleisches, statt auf Gott zu
rechnen, aus Gott zu hoffen, alles mit den Augen
des Glaubens anzusehen und mich vollkommen auf
das Wort meines Erlösers zu verlassen. Ach! Herr
Pfarrer, wie klein war mein Herz, wie blind mein
Geist, wie wenig Glauben hatte meine Seele.
Nun aber, Herr
Pfarrer, kam Jesus, mich zu stärken, mich zu
erheben, mir Seine Barmherzigkeit sehen zu
lassen. Und Sie werden sehen, wie tief, wie groß
Seine Herablassung war. Er zeigte mir, wie Er
das Herz meiner Eltern stimmen, wie Er mit
meinen Seelenführern sprechen werde; Er hat mir
gezeigt, wie leicht alle Hindernisse schwinden
würden; Er hat mir gezeigt, wie leicht es Seiner
Allmacht sei, meiner Aufnahme den Weg zu bahnen;
Er hat mir gezeigt, wie ich selbst handeln
müsse.
Hierauf hat mir der
Heiland nichts mehr gesagt; aber ich habe wie
eine innere Stimme gehört, welche zu mir sprach:
„Hoffe nie auf die Menschen; aber hoffe immer
auf deinen Erlöser. Sieh das Leben nicht an, wie
es die Sünder und die Ungläubigen ansehen,
sondern wie die Gerechten und die Kinder Gottes.
Schreite vorwärts nach dem Wunsche Jesu, fürchte
Nichts, Er wird dich in den Hafen geleiten.
Lassen Sie mich Ihnen erzählen, was Jesus mir
gezeigt hat und was Er mir zu Betreff meiner
Eltern zu verstehen gab.
Als ich mit meiner
Familie über meinen Entschluss, Nonne des
heiligen Herzens zu werden, gesprochen hatte,
widersetzte sie sich nicht. Da ich indessen ihre
Traurigkeit mit ansah, so schien es mir, als ob
ich sie sagen hörte: Was, du willst uns
verlassen, Marie, und uns nicht unterstützen,
wenn wir im Alter vorrücken? Was wird aus uns
werden, wenn alle unsere Kinder sich von uns
entfernen? So legte ich mir die Gefühle meiner
Familie aus. War diese Auslegung der Wahrheit
gemäß? Ich weiß es nicht. Wenn ich an die
Traurigkeit meiner Familie gedenke, so halte ich
sie für wahrheitsgetreu; ich halte sie aber für
falsch, wenn ich an die Großmut der Meinigen
denke und an den Wunsch, den sie mir
aussprachen, dass sie sich von allem entblößen
wollten, um mir die notwendige Aussteuer zu
meinem Eintritt ins Kloster des heiligen Herzens
zu geben. Ich wagte nicht, ihren Vorschlag
anzunehmen: „Meine Tochter, sagte meine Mutter
eines Tages zu mir, du bekommst von uns tausend
Taler zum Einlegen ins Kloster des heiligen
Herzens und tausend Franken zu deiner Reise,
deiner Ausstattung und deinem Unterhalt bis zu
deiner Aufnahme." --- Ich meinerseits wusste,
dass ihre Verhältnisse dadurch sehr beschränkt
würden, und sprach darum zu meiner Mutter: Geben
Sie mir weniger, Mutter, man wird mich im
heiligen Herzen dennoch aufnehmen. Ich werde
dort sagen und man wird es auch wohl erfahren,
dass ich arm bin, man wird mir den Eintritt ins
Kloster deshalb nicht verweigern." „Nein", meine
Tochter, erwiderte mir meine Mutter, „wie sehr
wir uns auch nach deiner Abreise einschränken
müssen, wenn wir dir diese Aussteuer geben, so
werden wir es mutig ertragen, wenn wir bedenken,
dass du dadurch in den Stand gesetzt wirst, im
Kloster nicht die Magd der andern sein zu
müssen." --- So dachte meine arme Mutter. Ich
jedoch, Herr Pfarrer, dachte in dieser Beziehung
nicht wie sie; ich wollte den Klosterberuf nicht
deswegen ergreifen, um bequemer zu leben,
sondern um den Willen Jesu zu erfüllen. Was
liegt mir daran, die Magd aller zu sein, wenn
dieses der Wille Gottes ist? Ach! könnte ich,
indem ich die Welt verlasse, nicht das Kreuz
fliehen, sondern mich mit Jesu mein ganzes Leben
hindurch an dasselbe heften!
Ich gestehe Ihnen,
hochwürdiger Herr, ich verlangte sehr nach einem
stillen und ruhigen Augenblicke, um mich mit
Jesu zu unterreden. Ich hatte nicht, wie es mir
scheint, zu große Zärtlichkeit gegen meine
Eltern; ich hätte sie gern verlassen; aber gegen
meinen Willen fühlte ich in meinem Herzen einen
sehr großen Kummer darüber, dass sie durch meine
Abreise fast dem Elende preisgegeben würden.
Ach! ich baute nicht genug auf die göttliche
Vorsehung! Eines Tages machte ich meine
Betrachtung: ich lag vor Jesus auf den Knien und
sagte zu Ihm: „Herr, Du siehst mein aufrichtiges
Verlangen, Deinen Willen zu erfüllen und auch
meinen Kummer darüber, dass ich meine Familie
durch meine Abreise in große Bedrängnis
versetze, zumal wenn ich die Aussteuer, die sie
mir geben wollen, annehme. Ach! Herr, erbarme
Dich der Meinigen und verfüge über mich. Ich
weiß nicht, ob meine Gefühle recht sind; aber
ich liebe Dich, o Jesu, viel mehr als meine
Eltern, befiehl und ich werde Alles tun, was Du
begehrst." --- Ich erinnere mich nicht mehr an
alles, was ich zu Ihm gesagt habe, aber ich
ergoss voll Aufrichtigkeit, wie ein Kind, mein
Herz in das Seinige. Da sprach Er zu mir: „Meine
Tochter, ich liebe deine Ergebung in Meinen
Willen und auch deine Zuneigung gegen deine
Familie. Man kann Gott und seine Familie
zugleich lieben, wenn nur die Liebe zur Familie
nicht vergessen lässt, was man Gott schuldig
ist. Beschäftige dich von nun an nicht mehr mit
deiner Familie wegen der Aussteuer, die sie dir
zu geben wünscht. Meine Absicht ist, dass du sie
nicht annimmst und dass deine Familie behalte,
was sie hat. Du wirst in die Gesellschaft des
heiligen Herzens durch die Wirksamkeit Meines
Willens aufgenommen werden, nicht aus Eigennutz,
sondern aus Liebe. Du bist arm, Meine Tochter,
sei nicht traurig darüber; glücklich sind die
Armen, sie haben eine Ähnlichkeit mit Mir, die
Mir gefällt und Mein Herz rührt. Ich werde dich
selbst unter Meine vielgeliebten Töchter des
heiligen Herzens einführen." --- So nahm mir der
Heiland die vorgefasste Meinung meines Geistes,
und noch mehrere Male sprach Er auf dieselbe Art
zu mir und ich blieb ruhig.
Hier folgt, wie Er
mein Herz auch in Betreff der Einwilligung
meiner Familie beruhigte; Ich wusste im Voraus,
dass mir dieselbe nicht verweigert würde; allein
ich wusste auch, mit welchem Schmerze man sie
mir geben, und dass man mir diesen Schmerz
verbergen würde, um mich nicht zu betrüben.
Nachdem ich
kommuniziert hatte, erwartete ich Jesus an der
Türe meines Herzens; bei Seinem Anblicke warf
ich mich auf den Boden nieder. Er reichte mir
die Hand und führte mich zu einem See, der
heftig kochte. Ich sah rings um den See herum
viele Personen beiderlei Geschlechtes, die sich
unterhielten. Bald kamen fast alle herbei, um in
den Gewässern des Sees ihren Durst zu stillen;
es war aber in dem See eine unzählige Menge
kleiner Schlangen, welche die Menschen mit dem
Wasser tranken. Darum, als sie das Wasser
getrunken hatten, war ihr Durst nicht nur nicht
gelöscht, sondern es hatte vielmehr den
Anschein, als ob ihre Eingeweide brennen würden,
denn diese Menschen kamen ganz außer sich und in
einen Zustand ungewöhnlicher Wut. Sie zerrissen
sich gegenseitig und stürzten sich in den
Abgrund. Jesus führte mich hierauf über Gebirge
und so steile Orte, dass ich ohne Seiner Hilfe
tausendmal in schreckliche Abgründe
hinabgestürzt wäre. Er führte mich an das Ufer
eines andern Sees, dessen Wasser sehr ruhig war.
Über diesen See warf Er ein Brett, auf das wir
beide fliegen und sehr schnell das
gegenüberliegende Ufer erreichten. Einige
Schritte weiter bemerkte ich einen dritten See,
dessen reines Wasser von einem leichten Wind
sanft bewegt war, so dass sich beständig kleine
glänzende Wellen erhoben, welche wie Kristall in
den Strahlen der Sonne glitzerten. Jesus tauchte
mich in diesen See und mit Leichtigkeit schwamm
ich darin. Es schien mir, dass die Gnade in mein
ganzes Wesen sich ergieße, und ich wurde ebenso
glänzend, wie das Wasser, worin ich mich befand.
Viele Leute liefen herzu, von denen die einen in
heiliger Freude zu sein schienen und die andern
in Betrübnis, jedoch trotz ihrer Tränen voll
Ruhe. Sie badeten sich entweder in den Gewässern
des Seees oder löschten darin ihren Durst und
zogen sich dann ruhig zurück.
Jesus erklärte mir
nicht, was dieses bedeutete; allein ich verstand
es wohl.
Dann führte mich Jesus
vor ein großes Tor, welches mir das Tor einer
Stadt zu sein schien; Er öffnete und schloss es
wieder. Ich sah einen großen Platz und auf
beiden Seiten eine solche Menge Leute, dass
niemand im Stande gewesen wäre, sie zu zählen.
Auf der einen Seite gingen, kamen und bewegten
sich geschäftig Personen jeden Alters, jeden
Geschlechtes, von jedem Gewerbe und jeden
Standes. Auch auf der andern Seite waren
Menschen von jedem Geschlechte, jedem Alter,
jedem Gewerbe, jedem Stande; sie waren aber
sanft, bescheiden, gesammelt, hatten Herz und
Geist zu Gott erhoben und arbeiteten nach ihren
verschiedenen Berufsarten; aber stille und
ruhig, ohne Aufregung und Zerstreuung. Mitten
unter diesen Personen hielt mich Jesus in der
Hand. Ganz nahe bei mir erblickte ich meinen
Vater, meine Mutter und meine Schwester. Als
meine Mutter mich sah, sprach sie in klagendem
Tone zu mir: „Meine Tochter, warum willst du
mich verlassen? Was fehlt dir bei uns? Sieh, in
welchem Gesundheitszustand du mich verlässt;
erwäge, dass dein Vater schon im Alter
vorgerückt ist und dass deine Schwester allein
zurückbleiben wird, um die Last aller ermüdenden
Anstrengungen zu tragen. Meine Tochter, du wirst
uns nicht verlassen." --- Hierauf ergriff Jesus
das Wort und sprach: „O Weib, von wem glaubst du
das Leben zu haben, von Mir oder von deiner
Tochter? Auf wen stützest du dich mehr, aus Mich
oder auf sie? Wenn Ich deine Tochter von dir
fordere, so geschieht dies deshalb, weil sie dir
nicht gehört und weil Ich sie dir nur für eine
Zeit anvertraut habe. Wenn ich sie zurücknehme,
so geschieht dieses also, weil sie Mein gehört.
Glaubst du, dass Ich dir das Nötige entziehen
wolle, wenn ich sie dir nehme? Nein, dies
beabsichtiget Meine Vorsehung nicht! Ich habe
schon eines deiner Kinder genommen und du bist
dadurch nicht in Dürftigkeit geraten. Ich werde
auch diese noch nehmen und Meine Vorsehung wird
es dir an nichts fehlen lassen. Deine Blicke
müssen sich nach Oben richten. Wie sehr solltest
du dich vielmehr glücklich schätzen, dass Ich
unter Tausenden deine Tochter zu Meiner Braut
erwählt habe!
Hierauf wendete Er
sich an meinen Vater und sagte ihm: „Du, Vater
der Marie, bring das Opfer deines Kindes mit der
Gesinnung des Glaubens; bringe es aus Liebe zu
Mir und Ich werde Meine Segnungen über dein
weißes Haupt ergießen." --Endlich wendete Er
sich an meine Schwester und sprach zu ihr;
„Meine Tochter Margaretha, Ich habe deine
Schwester Mir auserwählt, urteile darüber
vernünftig und richtig. Überlass dich Meiner
Vorsehung.
Wenn Ich dir die
Unterstützung deiner Schwester entziehe, so wird
dir dafür die Meinige zu Teil werden.
Du wirst ihren Trost
und ihre Stütze nicht mehr haben; aber Ich
selbst werde dein Trost und deine Stütze sein.
Ich habe dich während
deiner Kindheit und während deiner Jugend in der
Zurückgezogenheit genährt, dich die Süßigkeit
Meiner Liebe verkosten lassen. Ich habe dich mit
meiner Gnade gestärkt, um dich zu kräftigen für
alle Prüfungen, die du jetzt und künftig zu
ertragen hast. Mein Wille ist, dass du bei
deinen Eltern bleibst, sie in ihrem Alter und
ihrer Gebrechlichkeit pflegst und dich mit ihren
häuslichen Angelegenheiten beschäftigest. Durch
diese Lebensart wirst du dich heiligen und groß
wird deine Krone im Himmel sein, wenn du mit
Meiner Gnade entsprechend mitwirkest und heilig
lebst in dieser Einsamkeit, die Ich dir von
Kindheit an bereitet habe.
Als der Heiland so zu
den Meinigen gesprochen hatte, wendete Er sich
zu mir und sprach: „Meine Tochter, das Andenken
an deinen Vater, deine Mutter und deine
Schwester beunruhige dich nicht. Ich werde über
sie wachen. Sie sind bereit, dich abreisen zu
lassen, verabschiede dich von ihnen." --- Ich
gehorchte Jesu, ich umarmte meinen Vater, meine
Mutter und meine Schwester Margaretha und ging
fort.
Ich weiß nicht, wohin
mich der Erlöser führte; allein ich befand mich
unter frommen und heiligen Personen, welche das
Lob Gottes sangen.
Dies, Herr Pfarrer,
habe ich erfahren. Seit dieser Stunde hat mein
Herz mehr Kraft und ich erwarte voll Festigkeit
die Stunde meiner Abreise und seufze nach dem
Augenblick, wo Sie mir erlauben werden, dem Rufe
Jesu zu folgen.
Empfangen Sie,
Hochwürden, die Versicherung meiner aufrichtigen
Dankbarkeit und meiner ehrfurchtsvollsten
Gefühle .
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste den 17. Jan.
1844
XLII. Brief
Dass Marie ihren Beruf
ausführen kann,
hängt nicht von ihrem
Bischof ab.
Herr Pfarrer!
Sie haben, glaube ich,
verstanden, dass die Vollstreckung meines
Berufes ganz von dem hochwürdigsten Herrn
Bischof von Aire abhängen sollte. Dem ist nicht
so. ... Hier folgt, wie ich die in diesem Punkte
empfangene Mitteilung verstanden habe und noch
verstehe.
Nicht er, sondern Sie,
Herr Pfarrer, sind mit meinem Berufe beauftragt;
er kann sich nur zu Gunsten desselben verwenden.
Ich weiß, dass auf seine hohe Verwendung hin
meine Aufnahme im heiligen Herzen keine
Schwierigkeit haben würde. Seine Verwendung ist
aber nicht das einzige Mittel, welches mir den
Eintritt erleichtern könnte. Es ist auch nicht
durchaus notwendig, dass der Herr Bischof sich
darum annimmt, weil er mein Seelenführer nicht
ist. Wenn er sich für mich verwendet, so wird es
dem Erlöser angenehm sein; allein er kann mir
diese Verwendung auch verweigern; er ist darin
vollkommen frei. Die Ausführung meines Berufes
hängt nicht von ihm, sondern von Ihnen ab. Sie
sind der geistliche Vater meiner Seele, Sie
müssen mich den Frauen des heiligen Herzens
vorstellen oder empfehlen und auf Ihre
Empfehlung werde ich ausgenommen werden.
Genehmigen Sie, Herr Pfarrer, den Ausdruck
meiner vollkommenen Hochachtung und meiner
tiefsten Verehrung, mit welcher ich die Ehre
habe zu sein,
Herr Pfarrer,
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste, den 22.
Januar 1843.
XLIII. Brief.
Verzeichnis der von
Marie gelesenen Bücher.
Herr Pfarrer!
Ich gebe Ihnen hier
das Verzeichnis der Bücher, welche in unserm
Hause sind und die ich sonst noch gelesen habe.
Ich habe gelesen: Das
alte und das neue Testament; einen Band vom
Auszug aus dem Leben der Heiligen; Anleitung zum
frommen Leben vom hl. Franz v. Sales; die
schriftliche Lehre; Abhandlung über die Freude
der schriftlichen Seele vom P. Ambrosius von
Lombey, Kapuziner, dem Verfasser des Buches vom
inneren Frieden; die Nachfolge Christi; die
Nachfolge Mariens; das goldene Buch;
Umschreibung des Salve Regina; das Bild der
Buße; der wahre Glaube der Kirche, der
geistliche Kamps; das Leben der Väter in der
Wüste vom ehrw. P. Michel-Ange Marin ans dem
Orden der minderen Brüder; acht oder neun Bände
von der Geschichte des Volkes Gottes die
geschichtliche Abhandlung über die Vorsehung;
zwei Bände der Predigten des Pater Bourdaloue.
Alle diese Bände wurden mir von Herrn Farbos,
meinem ersten Seelenführer, geliehen. Außerdem
habe ich auch noch gelesen; ein kleines
Betrachtungsbuch für alle Tage des Jahres; ein
kleines Betrachtungsbuch für alle Tage in der
Fasten; das Buch: Denke wohl daran; die
Besuchungen des hl. Sakramentes; den Kreuzweg;
den Monat Mariens; der Engel als Führer im
christlichen Leben, mein Kirchengebetbuch, und
ein anderes Buch, betitelt: Verschiedene Gebete
und Belehrungen. All diese letzteren Werke haben
wir in unserer Familie. Sie wünschten inne zu
werden, welche Erbauungs- und Lehrbücher ich
gelesen habe; ich habe Sie Ihnen hiermit alle
ausgezeichnet.
Genehmigen Sie die
Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung,
mit welcher ich die Ehre habe zu sein,
demütigste und
untertänigste Dienerin
Marie.
Mimbaste den 23. Jan.
1843.
XLIV. Brief.
Wie von dem Berufe der
Marie Lataste ihre Familie dachte und fühlte.
Herr Pfarrer!
Sie wünschen zu
wissen, auf welche Art meine Familie die
Nachricht meines Berufes aufgenommen hat, und
wie ihre Stimmung darüber ist. Ich will es Ihnen
offen sagen.
Ich habe seit zwei
Jahren meiner Familie mein Vorhaben mitgeteilt,
dem Rufe des Herrn zu folgen und Nonne im
heiligen Herzen Jesu zu werden. Sie wissen, Herr
Pfarrer, wie glücklich ich mich schätzen muss,
von so guten und zärtlichen Eltern, wie die
meinigen sind, das Leben erhalten zu haben; Sie
wissen, wie sie mich lieben und wie gerne alle
und meine Schwester Margaretha vorzüglich mir
ihre Liebe zuwenden. Ach! Herr Pfarrer, ich weiß
es wohl, ich habe es öfter bemerkt, meine
Abreise wird meine Familie tief betrüben,
gerade, weil sie mich zu sehr lieben. Aber ich
kann Sie versichern, sie wird sich der Erfüllung
meines Willens nicht entgegensetzen. Ich habe
gehört, wie der Vater, die Mutter und Margaretha
mit einander über den ihnen bevorstehenden
Verlust sprachen und ausriefen: Gottes Wille
geschehe!
--- Ich habe sie zu
einander sagen hören: „Wir könnten Marie
unglücklich machen, wenn wir uns ihrer Abreise
widersetzten; sie folge ihrem Berufe, wenn Gott
sie ruft, und sie sei glücklich!“ Diese Worte
gingen mir tief zu Herzen, und ich danke Gott,
dass Er meinen Eltern und meiner Schwester
solche Gefühle eingeflößt hat.
Seit einem Jahre hat
mein Vater mich oft gefragt, wann ich vorhätte,
mein Vorhaben auszuführen.
Das wird Ihnen
vielleicht sonderbar scheinen. Ach! denken Sie
nicht, dass er es kaum erwarten könnte, bis er
von mir los wäre. Nein, Herr Pfarrer, so ist
mein Väter nicht gesinnt. Da er sah, dass ich
noch in Mimbaste bliebe, hat er nur gefürchtet,
dass ich meinem Beruf nicht entspräche, oder
dass einige seiner Worte auf mich einen solchen
Eindruck gemacht und mich dahin gebracht hätten,
meine gänzliche Hingebung an Gott zu verzögern.
Ich habe ihn beruhigt, indem ich ihm sagte, dass
ich mich ganz auf Ihre Entscheidung verließe,
und dass ich abreisen würde, sobald Sie, nach
hinlänglicher Prüfung meines Berufes es mir
erlaubten. O, Herr Pfarrer, mein Vater liebt
mich sehr, aber er will mich lieber fortgehen,
als gegen Gottes Willen bei ihm bleiben sehen.
Mein zärtlicher Vater hat große Liebe zu mir;
allein er liebt mich nicht seinetwegen, sondern
Gottes wegen und um meinetwillen Gottes
Wohlgefallen, und das Glück seiner Tochter zieht
er seinem eignen Vergnügen und Glücke vor. Ich
kann Ihnen nicht besser die Liebe meines Vaters
begreiflich machen, als wenn ich Ihnen sage,
dass er es nicht über sich bringen kann, einen
Tag und eine Nacht von seinem Hause sich zu
entfernen, weil er, wie er sagt, zu lange des
Genusses entbehren müsse, Margaretha und Marie
zu sehen. Wieviele Lustbarkeiten hat er deswegen
ausgeschlagen! Sein Vergnügen, sein Glück, sein
Genuss, sein Trost hier aus Erden besteht darin,
seine Kinder zu sehen und bei ihnen zu sein. O,
wie sehr liebt er uns! Ich vermag es nicht
auszudrücken. Aber seine Liebe ist großmütig und
uneigennützig; er ist vor allem Christ. Er
leidet bei dem Gedanken, sich von mir zu
trennen, weil ich seine Tochter bin, allein er
opfert Gott seinen Schmerz durch gänzliche
Unterwerfung seines Herzens. Meine Mutter
ergießt ihren Schmerz mehr nach Außen; aber sie
ergießt auch ihre Ergebung in reicherem Maße.
Sie besonders ruft, wenn sie ganz allein ist,
oft aus: Herr! Dein Wille geschehe!
Meine Schwester
Margaretha liebt mich auf das zärtlichste; ich
brauche es Ihnen nicht zu sagen. Sie wissen, wie
besorgt sie für mich war, als ich jung war, als
ich eigensinnig war; Sie wissen, wie sehr sie
litt, wenn ich litt, damals als Gewissensangst
meine arme Seele folterte; Sie wissen, wie sie
bei jeder Gelegenheit mir sich gefällig zu
erweisen sucht, und wie ihr Herz mit dem
Meinigen vereiniget ist. Ihre Liebe wird aber
nicht weniger rein sein, als die Liebe meiner
Eltern, und ich kenne sie gut genug, um sagen zu
können, dass auch sie voll Glauben die Worte
sprechen wird: „Mein Gott, Dein Wille geschehe!
Meine Familie möchte
auch die Zeit meiner Abreise kennen, damit sie
die nötigen Schritte tun kann, um mir alles zu
besorgen, was ich mitnehmen muss. Mit aller
Gewalt möchte sie sich alles dessen entäußern,
was sie besitzt, um mir eine anständige
Ausstattung zu geben, und es kostet mir viel
Mühe sie zu überzeugen, dass ich keine
Ausstattung nötig habe. Wenn wir auch nichts
mehr hätten, sagten sie öfters zu mir, so hätten
wir doch noch Gottes Schutz, Er wird uns niemals
fehlen. Ach! wie viele Mädchen meines Alters und
gleich mir von Gott berufen, haben durch ihre
Eltern zu leiden und wie preise ich Gott für die
Gesinnungen meiner Familie. Was mich anbelangt,
Herr Pfarrer, so bin ich seit langem über meinen
Beruf klar. Mein Entschluss ist gefasst;
derselbe ist um so fester, als er nicht auf
Überredung, sondern auf die vollkommenste
Überzeugung gegründet, dass dieses Gottes Wille
ist.
Niemand fühlt, so wie
ich, was in mir vorgeht. Daher werden auch alle
Vorstellungen, die man mir machen, alle
Bedenken, die man mir entgegen halten, alle
Prüfungen, die man mir bereiten wird, vergeblich
sein, nichts wird mich erschüttern, und man
verliert nur seine Mühe, wenn man mich prüft;
die stärksten Prüfungen werden mich noch stärker
finden, weil ich weder aus Laune, noch aus
menschlichen Ursachen Klosterfrau im heiligen
Herzen sein will, sondern einzig und allein um
Gottes Willen zu folgen.
Ja, Herr Pfarrer, ich
bin immer bereit alles zu ertragen, so fest ist
meine Überzeugung, soviel Kraft und Stärke flößt
sie mir ein; allein wie unerschütterlich ich
auch in meinem Entschluss sein möge, ich bestehe
doch nicht so sehr darauf, dass ich mich nicht
großmütig und stark zu zeigen wüsste in
Ertragung des Ausschubs, den Sie mir
anzubefehlen belieben werden. Jesus, der Erlöser
hat mir versprochen, dass die Verzögerung nicht
über mein 26. Jahr hinausgehen werde. Ich will
also warten und immer beharrlich sein, nicht
durch mich selbst, sondern durch die Gnade des
Erlösers. Ich will warten; aber meine Erwartung
wird sogar vor dieser Zeit in Erfüllung gehen.
Sie wird sich sogar in kurzer Zeit
verwirklichen, ich habe die Hoffnung, fast die
Gewissheit, darüber in meinem Herzen, weil ich
von der festen Überzeugung durchdrungen bin,
dass Sie werden keinen Grund finden können, mich
zurückzuhalten.
Empfangen Sie, Herr
Pfarrer, die Versicherung meiner Unterwerfung
unter Ihren Willen und den Ausdruck der tiefsten
Ehrfurcht, mit welcher ich bin,
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste den 28. Jan.
1844.
XLV.
Brief.
Was
aus den Schriften der Marie Lataste werden soll.
Herr Pfarrer!
Seitdem es auf die
Worte, die Sie an mich gerichtet haben, in
meiner Seele ruhig geworden, bin ich glücklich
mitten in den zahlreichen Prüfungen, denen ich
täglich begegne. Ich will Ihnen mitteilen, um
was ich Jesus den Erlöser gefragt habe. Ich
sagte zu Ihm: „Herr, da ich nun durch die Stimme
meines Seelenführers sicher weiß, dass Du es
bist, Der mit mir gesprochen, und dass Du mit
mir noch die leibliche Verbindung im hl.
Abendmahle und in meinem Herzen unterhältst, so
erlaube jetzt Deiner demütigen Dienerin Dich zu
fragen, was aus den Heften werden soll, die ich
geschrieben, so wie mein Gedächtnis sich noch
der Worte erinnerte, welche Du an mich gerichtet
hast."
„Meine Tochter," hat
Er mir geantwortet, „Ich will dich in dieser
Beziehung befriedigen. Dein Seelenführer weiß
bereits wohl, dass das, was Ich dir mitgeteilt,
nicht für dich allein ist. Er hat selbst viel
daraus gelernt, was er nicht wusste, und andere,
selbst sehr gelehrte Männer würden es ebenfalls
tun, wie er, wenn sie deine Hefte in Händen
hätten, weil sie Meine Belehrungen enthalten,
und weil in Mir Schätze der Wissenschaft und
Weisheit sind, die den weisesten und
gelehrtesten Männern unbekannt sind.
„Meine Absicht ist
nun, dass andere aus Meinen Worten Nutzen ziehen
sollen. Ich will daher, dass man deine Schriften
treulich ausbewahre.
„Dein Seelenführer
wird deine Schriften, wie er es für gut findet,
ordnen, um sie, wenn er Zeit dazu hat, drucken
zu lassen; wenn er es nicht kann, so wird er
diese Arbeit durch eine andere Hand besorgen
lassen; er wird indessen Sorge tragen, dass der
Diözesanbischof --dem Ich diese Arbeit, wenn sie
einmal unternommen wird, besonders anempfehle,
davon vorerst benachrichtigt werde. Wenn man
dich fragt, warum du so geschrieben hast, und
warum Ich dich auf diese Art handeln ließ, so
antworte, dass Meine Absichten geheim und
unbekannt seien, und dass Ich dich im Gehorsam,
in gänzlicher Selbstverleugnung und Demut üben
wollte.
Sei es nun dein
Pfarrer oder sein Seelenführer, der keine
Pfarrei hat, und sich leichter mit dieser Arbeit
beschäftigen wird, oder jeder andere, so will
ich, dass deine Schriften zu ihrer
Verdeutlichung mit der Gutheißung des
Diözesanbischofs versehen seien. Man wird deine
Hefte und deine Briefe abgesondert drucken, und
man wird deinen Namen darauf schreiben. Dein
Seelenführer wird auch die notwendigen Belege
liefern, damit dein Leben geschrieben werden
kann, und der Verfasser desselben wird zu
gleicher Zeit auch deine Schriften und deine
Briefe benützen, die sorgfältig werden
aufbewahrt werden. Wenn Ich, meine Tochter, so
mit dir spreche, weiß ich, dass Mein Wort deine
Bescheidenheit nicht verletzen wird, weil Mein
Wort ein Licht ist, das dich folglich erkennen
lässt, dass du aus dir selbst Nichts bist, dass
du alles von Mir erhalten hast, das dich
erkennen lässt, dass alles Geschaffene nicht aus
sich selbst entstanden ist, sondern vom Schöpfer
kommt, und dich erkennen lässt, dass deine
Schriften weder dein Wort, noch deine
Wissenschaft enthalten, sondern die Meinen.
„Das ist Mein
Wille!"
Ich wiederhole Ihnen,
Herr Pfarrer, so getreu als möglich die Worte,
welche zu mir gesprochen wurden. Was mich
anbelangt, so verlasse ich mich vollkommen auf
Ihre Entscheidung. Ich habe keinen Willen,
keinen Wunsch, tun Sie, was Ihnen gefällt.
Empfangen Sie die
Versicherung der ausgezeichnetsten Hochachtung,
mit welcher ich die Ehre habe zu sein,
Herr Pfarrer!
Ihre
untertänigste und
ehrfurchtsvollste Dienerin
Marie
Mimbaste den 5.
Februar 1844.
XLVI. Brief.
Die Stimme in der
Wüste und ihre wunderbaren Wirkungen.
Herr Pfarrer!
Jesus, der Erlöser,
richtete eines Tages folgende Worte an mich:
„Meine Tochter, eine Stimme wird in der Wüste
gehört werden, und das Echo wird in der Ferne
wiederholen, was diese Stimme ausgesprochen hat.
Noch ist diese Stimme
heiser, seiner Zeit wird sie aber einen scharfen
und durchdringenden Ton haben, gleich dem Tone
der Trompeten, die du in den Städten hörst.
Diese Stimme ist wie eine Trompete, die von den
Händen eines geschickten Arbeiters gemacht
worden ist. Zuerst wird sie aus Ton gebildet,
später wird sie in geschmolzenes Eisen getaucht,
damit sie stärker und dauerhafter werde, noch
später wird sie in geschmolzenes Silber
getaucht, damit sie weiß und glänzend werde;
endlich wird sie in geschmolzenes Gold getaucht
und erscheint wie ein Wunderwerk aus der Hand
Gottes. Sie wird mit der Gnade des hl. Geistes
erfüllt werden.
Mehrere werden den Ton
dieser Stimme hören!
Tief betrübte
Unglückliche, welche am Rand des Abgrundes
sitzen und im Begriffe stehen, aus Verzweiflung
sich hinabzustürzen, werden den Ton dieser
Stimme hören; sie werden sich erheben, ihre
Tränen trocknen, weil die Stimme sie trösten
wird, und sie werden fortleben, um den Herrn zu
preisen.
Andere Unglückliche,
am Strande des Meeres tief schlafend, und nahe
daran, zu ertrinken, werden den Ton dieser
Stimme hören, sie werden erwachen, sich aus der
Gefahr begeben und Gott verherrlichen.
Gefangene, welche im
finsteren Kerker in Ketten liegen, werden den
Ton der Stimme hören. Sie wird ihre Ketten
zerbrechen, die Türe ihres Gefängnisses öffnen,
ihnen heilige Ratschläge, furchtbare Waffen
gegen ihre Feinde geben, und sie werden sehen,
wie ihre Feinde erschreckt werden und die Flucht
ergreifen.
Mehrere werden, wenn
sie sehen, welchen Namen diese Stimme sich
erworben, weit herkommen, um sie zu hören, und
werden besser zurückkehren, als sie gekommen
sind.
Heute ist sie noch
unter der Erde verborgen, sehr wenige vernehmen
sie; aber wenn der Herr kommt, wird er sie
offenbar machen.
Ich sehe glücklichere
Tage für die künftigen Nationen anbrechen. Ich
wünsche Ihnen Glück zu diesem ihrem Wohlergehen,
und dazu, dass die Hand des Herrn, die lange
schwer auf der Menschheit lag, sich nach und
nach erhebt.
Ich sehe, wie
fahrlässige Menschen die Gnaden Gottes
verachten, und wie diese Gnaden andern gegeben
werden.
Ich sehe die Sonne an
Orten erglänzen, wo man ihre Strahlen
missbraucht und wie sie andere Gegenden
erleuchtet, welche jetzt noch in der Finsternis
liegen.
Ich sehe ein weites
Feld, das angebaut werden muss; der Hausvater
sendet seine Arbeiter dahin, dass sie dieses
durch das Blut der Märtyrer begossene Land
bebauen. Er wird es mit Gütern beladen, und je
fruchtbarer es wird, desto mehr wird es
eintragen, und sein Überfluss wird auf die
übergehen, die in Dürftigkeit leben. Die
Herrlichkeit des Herrn ist unermesslich; Seine
Gerichte sind verborgene Gerichte.“
Dies sind die Worte,
welche ich vernommen habe, und die ich Ihnen aus
Gehorsam berichte.
Genehmigen Sie gütigst,
Herr Pfarrer, die Versicherung meiner
ehrfurchtsvollen Gefühle und meiner
aufrichtigsten Dankbarkeit, mit welcher ich die
Ehre habe zu sein, Herr Pfarrer, ^
Ihre
demütige Dienerin
Marie
Mimbaste den 13.
Februar 1844.
XLVII. Briefe
Marie gibt ihrem
Seelenführer alles, was sie geschrieben.
Herr Pfarrer!
Es scheint mir
notwendig zu sein, dass ich Sie mit meinen
Absichten bekannt mache in Betreff der
Schriften, die ich Ihnen unterbreite.
Wenn ich etwas
erfahre, so schreibe ich es und teile es Ihnen
mit. Ich glaube nun aber, Herr über diese
Schriften zu sein und von ihnen einen solchen
Gebrauch machen zu dürfen, wie es mir gefällt,
sie für mich zu behalten oder sie Ihnen zu
geben. Deshalb, Herr Pfarrer, übergebe ich Ihnen
dieselben nicht nur, sondern ich gebe sie Ihnen
ganz. Ich mache sie nicht bloß zu deren
Bewahrer, sondern zu deren Herrn und Besitzer.
Gebrauchen Sie dieselben, wie Sie wollen, wie
eine Sache, die Ihnen gehört, und die man Ihnen
nicht nur anvertraut, sondern gegeben hat.
Ich besitze kein
anderes Eigentum. Ich würde mich glücklich
schätzen, Ihnen damit einen Gefallen zu
erweisen, dass ich Ihnen das einzige anbiete,
worüber ich nach Gutdünken verfügen kann. Könnte
ich Ihnen doch etwas anbieten, das Sie für
alles, was Sie an mir getan, zu belohnen
vermöchte!
Wenn ich aber es nicht
kann, so wird Gott es für mich tun, das tröstet
mich.
Empfangen Sie gütigst
die Versicherung meiner Ehrfurcht, Verehrung und
Dankbarkeit, wovon ich gegen Sie durchdrungen
bin, und womit ich bin,
Herr Pfarrer,
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste, den 21.
Februar 1844.
XLVIII. Brief.
Der Herr beruhigt
Marie Lataste vollständig und verspricht ihr
Seinen Schutz. Maries Liebe zum Kreuze.
Herr Pfarrer!
Die zahlreichen
Schwierigkeiten, die von allen Seiten sich zu
erheben und sich mir gegenüber zu stellen
scheinen, um die Verwirklichung meiner Abreise
und meines Berufes zu verhindern, und die mich
so sehr betrübten, betrüben mich jetzt nicht
mehr, weil Jesus, der Erlöser, mir klar gezeigt
hat, dass sie gänzlich verschwinden werden, und
dass ich schließlich die Freiheit erlangen
werde, hinzugehen, wohin mich Sein Wille ruft.
Heute weiß ich, dass nichts sich dem widersetzen
wird, was Gott mit mir vorhat, weder mein
Seelenführer, noch meine Familie, noch die
Reise, noch die Menschen, noch die bösen
Geister, noch die Hölle. Ich fühle in mir den
Zug, Nonne im Orden des heiligen Herzens zu
werden; es wird in meiner Macht stehen diesem
Zuge folgen zu können. Ja, Herr Pfarrer, unser
göttlicher Meister wird mich unter Seinen Schutz
nehmen. Er wird mich leiten, Er wird mich
führen, und ich werde die Erfüllung Seiner
Versprechungen sehen. Ich habe diese Gewissheit
in meinem Herzen, und mein Herz wird sich nicht
täuschen; Er hat zu mir die Worte gesprochen:
„Meine Tochter, fürchte dich nicht, wahrlich Ich
sage dir, Ich werde dich nicht verlassen, Ich
verspreche es dir." --- Er will, indem Er also
mit mir verfährt, mich ohne Zweifel die Demut
ausüben lassen und indem Er mich auffordert,
mich Ihm gänzlich zu überlassen, mein ganzes
Vertrauen gewinnen. Die Worte, welche Er mit so
viel Klarheit und Genauigkeit an mich gerichtet
hat, haben meinem Herzen Ruhe und Freude, und
meiner Seele Frieden und Heiterkeit gebracht;
ich bin heiter und zufrieden. Ich erwarte mit
Geduld und Ergebung den Augenblick, wo ich dem
Wege folgen darf, den Er mir vorgezeichnet hat,
der da voll Weisheit ist und keinerlei Gefahr
durchblicken lässt.
Ich werde Demütigungen
erfahren können; aber ich werde mich an das
Beispiel des göttlichen Meisters erinnern, und
mich in der Tugend der Demut üben.
O, welche Freude und
Befriedigung empfinde ich! Wie glücklich ist
mein Herz! Es hat alle Arten von Opfer gebracht,
und erwartet nur mehr den Augenblick des
wirklichen Hinopferns.
Ja, mit Freuden werde
ich das Kreuz des Erlösers auf mich nehmen. Mit
Freuden werde ich mich als eine Verbannte auf
dieser Erde betrachten. Mit Freuden werde ich
die Augen zum Himmel erheben, um dort mein
Vaterland zu sehen. Das Kreuz wird mein Erbteil,
mein Reichtum und mein Trost sein. Durch die
Entfernung von meiner Familie werde ich alle
Bande, die mich an die Erde fesseln als
zerrissen ansehen. Ich werde mich nur in Gott
daran erinnern, dass ich auf Erden einen Vater,
eine Mutter und zwei Schwestern habe, die ich
den Händen der Vorsehung übergeben habe.
Ich werde die Augen
zum Herrn erheben und in meiner Seele sprechen:
Das ist mein Vater; zu Maria und in meiner Seele
sprechen: Das ist meine Mutter; zu den
Geschöpfen und in meiner Seele sprechen: Das
sind meine Brüder und Schwestern. Ach, Herr
Pfarrer, ich bitte Sie flehentlich, beten Sie,
beten Sie für mich! Genehmigen Sie gütigst, Herr
Pfarrer, die Versicherung meiner vollkommenen
Hochachtung, meiner tiefen Ehrfurcht und meiner
lebhaftesten Dankbarkeit, mit welcher ich die
Ehre habe zu sein,
Ihre
demütigste Dienerin
Marie.
Mimbaste, den 29. März
1844.
XLIX. Brief.
Marie kündigt ihrem
Seelenführer ihre Abreise an
und dankt ihm für
seine Güte.
Herr Pfarrer!
Darf ich es Ihnen
sagen, am 21. dieses Monate reise ich ab nach
Paris. Aber wie Sie wissen nur, um Gottes Willen
zu erfüllen, um mehr und mehr in dem Lichte zu
wandeln und auf dem Wege, der zum Himmel führt,
um dem so mächtigen Zuge zu folgen, der mein
Herz verzehrt, nur deshalb will ich eine
Zuflucht in dem Hause des heiligen Herzens Jesu
suchen.
Ehe ich Sie verlasse,
muss und will ich Ihnen Beiden danken für all
Ihre guten Ratschläge und heilsamen Ermahnungen,
die Sie mir gegeben haben, und für die Geduld,
mit welcher Sie mich geleitet haben.
Erlauben Sie mir, Sie
zu bitten, dass Sie täglich vor dem Herrn
gedenken wollen einer armen Sünderin, wie ich
eine bin, die sich nur den Händen der Vorsehung
überlassen und nur inständig der Barmherzigkeit
der treuen Diener Gottes anempfehlen kann. Ja,
bitten Sie den guten Vater im Himmel, dass Er
mich nicht verlassen, und mir bis zum Ende
meines Lebens Seinen Schutz gewähren möge.
Empfangen Sie mein
Lebewohl, bis wir uns in der seligen Ewigkeit
wiedersehen und genehmigen Sie zu gleicher Zeit
die Versicherung meiner Gefühle von Verehrung,
Achtung und Dankbarkeit, die nie in meinem
Herzen erlöschen werden.
Ich bin mit der
tiefsten Ehrfurcht,
Herr Pfarrer,
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Mimbaste den 15. April
1844.
L. Brief.
Reise von Dax nach
Bordeaux.
Herr Pfarrer!
Ich beeile mich, mein
Versprechen zu halten, und Ihnen Nachrichten von
mir zu geben. Ich will Ihnen alles sagen, ohne
etwas auszulassen, verzeihen Sie mir, wenn ich
zu kleinlich werde.
Als ich im Augenblick
des Abschieds das Schluchzen meines Vaters
hörte, und die Tränen meiner Schwester sah,
fühlte ich mich tief ergriffen und weinte.
Nichts desto weniger zeigten wir alle Mut genug
und trennten uns. Viktoria hat mich noch weiter
begleitet. Als sie mich verlassen hatte, fand
ich mich allein ohne Verwandte und ohne Freunde.
Von nun sah ich mich als einen Fremdling auf
dieser Erde an. Ich warf mich blindlings in den
Schoß der göttlichen Barmherzigkeit. . Ich
besuchte den guten Herrn Dupérier und ich
schlief bei Madame E., die Sie kennen. Am
folgenden Tage wohnte ich um 7 Uhr der heiligen
Messe bei, um mich Jesu anzuempfehlen. Um 10 Uhr
bestieg ich den Wagen. Ich sah einen Herrn nach
mir einstigen, ob alt oder jung sah ich nicht.
Es war ein Fremder, das genügte mir. Lange
sprach man nichts. Er nahm ein Buch, ich auch,
um zu lesen. Nachdem wir gelesen hatten,
sprachen wir. Durch das, was er mir sagte, fand
ich, dass er mich nicht schlecht beurteilt
hatte. Ich beantwortete alles, wie ich es mir
dachte. Er war Hauptmann und diente seit 30
Jahren.
Bis Mont-de-Marsan
sprachen wir von Zeit zu Zeit. Er musste mehr
Ehrfurcht und Achtung vor mir haben, als ich
verdiente; er war sehr höflich, verließ mich in
Mont-de-Marsan und sagte sehr artig: Glückliche
Reise. Ein oder zwei Stunden lang war ich
allein. Welches Glück! Ich sang nach Herzenslust
Psalmen und sicher hörte man mich nicht. Das
hörte bald auf: zwei Männer stiegen ein, wovon
der eine jung war. Er machte auf mich einen
üblen Eindruck, ich misstraute ihm. Ich glaube,
dass es ein Mensch von schlechten Sitten war;
allein ich hatte weder Furcht, noch Sorge, ich
vertraute auf Gott. Sie schwiegen beide und ich
las, so lange ich sah. Bei Hereinbrechen der
Nacht, als der junge Mensch nicht mehr gesehen
werden konnte, wollte er Scherze treiben. Ich
aber stieß ihn zurück und sagte ihm in
bestimmtem ernsten Tone: „Mein Herr, lassen Sie
das." --- Er rührte sich nicht mehr und stieg
bei der ersten Station aus. Ein anderer stieg
ein; aber er war zurückhaltend und artig. Das
hat auf mich keinen üblen Eindruck gemacht. Ich
sage es Ihnen offen und zur Ehre Gottes, ich war
bei diesen beiden Männern, als ob sie gar nicht
da wären. Mein Herz genoss tiefen Frieden, und
ich fühlte, wie Gottes Gnade sich reichlich in
mein Herz ergoss. Ich verdanke all dieses den
frommen Gebeten, die man für mich verrichtet
hat.
Nachdem ich die ganze
Nacht gereist war, kam ich morgens um 4 Uhr in
Bordeaux an. Der Condukteur hatte die
Gefälligkeit, mich in den Gasthof zu führen, wo
ich jetzt ganz ruhig in einem recht hübschen
Zimmer bin.
Diesen Morgen habe ich
den Dom besucht; ein junges Mädchen hat mich
dahingeführt. Da ich sie nicht die ganze Zeit,
die ich dort zu verweilen wünschte, aufhalten
wollte, so habe ich sie fortgeschickt, nachdem
ich ihr eine Belohnung gegeben hatte. Ich habe
mehrere Messen gehört und nahe bei dem Gasthause
noch eine andere Kirche angesehen. Ach! Herr
Pfarrer, meine Verlegenheit auf dem Rückwege war
groß. Ich habe mich hier nicht verirrt, denn ich
werde mich nirgends verirren. Ich frug nach der
Straße Maucret, Niemand kannte sie; die Straße
Chapelet auch nicht. Nun frug ich nach der St.
Katharinenstraße, jeder gab sie mir an, so gut
er konnte. Nach vielem Nachfragen bin ich zu
Madame Bardeaux, der Gasthofbesitzerin,
zurückgekommen. Ich finde jedermann hier sehr
artig und freundlich. Der Postillon, dem ich ein
Silberstück gegeben, hat mir versprochen, es mir
zu sagen, wenn es Zeit zur Abreise nach Paris
wäre. Ich hätte meine Abreise gern bis zum 25.
verschoben, um in Gesellschaft von Klosterfrauen
zu sein, die sich von Bayonne nach Paris begeben
müssen. Allein man hat mir gesagt, dass ich mich
glücklich schätzen könne, heute einen Platz zu
haben; denn es seien immer mehr Reisende als
Plätze da. Gott hat mich beschützt bis Bordeaux,
Er wird mich auch bis Paris unterstützen.
Würden Sie so gütig
sein meiner Familie und der guten Viktoria
Nachricht von mir zu geben? Sagen Sie Ihnen,
dass es mir sehr gut geht, und ich sehr
zufrieden bin.
Empfangen Sie gütigst,
Herr Pfarrer, die Versicherung meiner
ausgezeichnetsten Hochachtung,
Ihre
demütigste und
dankbarste Dienerin
Marie
Mimbaste den 22. April
1844.
LI. Brief.
Maries Reise von
Bordeaux nach Paris.
Herr Pfarrer!
Heute am 25. April bin
ich in Paris angekommen. Meine Reise war lang,
aber sehr glücklich. Von Bordeaux reiste ich
morgens um 10 Uhr ab. Ich bin mehr begünstigt
gewesen als auf dem Wege von Dax nach Bordeaux;
ich hatte die Gesellschaft einer Dame, welche
sich von Bordeaux nach Paris begab; ich saß ihr
gegenüber, was uns ermöglichte, während der
Reise uns zu unterhalten; sie ist sehr gütig
gegen mich gewesen und hat wirklich die Stelle
einer Mutter an mir vertreten. Als ich in Paris
angekommen war, begab ich mich zu meiner
Schwester. Die Oberin und alle Schwestern haben
mich mit Artigkeit überhäuft, und geben mir
durch ihre Gefälligkeit und ihre Sanftmut
augenscheinliche Beweise von Freundschaft. Ich
bin schon zweimal fortgegangen, um Herrn Abbé
Dupanloup im Knabenseminar von St. Nicolas
aufzusuchen. Er gibt gewöhnlich zweimal in der
Woche Audienzen, am Donnerstag und am Samstag.
Das letzte Mal wartete ich beinahe eine Stunde
auf ihn; aber in dem Augenblick, als ich ihn
sehen sollte, wurde er, ich weiß nicht wohin,
abgerufen.
Als der Portier
bemerkte, dass ich in meiner Hoffnung getäuscht
sei, fragte er mich, ob ich den Direktor des
Seminars sprechen wollte. Ich setzte Voraus,
dass dieser auch irgendeine bedeutende
Persönlichkeit sei und ermüdet von dem Warten
auf Herrn Abbé Dupanloup bejahte ich die Frage.
Der Herr Direktor des
Seminars schien mir sehr verwundert zu sein über
das, was ich ihm sagte; er war sogar in
Verlegenheit darüber, was ich sehr bald
bemerkte.
Er begnügte sich
damit, mir zu sagen, dass der Abbé Dupanloup
sehr viel zu tun habe, und sich mit mir nicht
werde beschäftigen können. Er fügte bei, dass
ich nichts Besseres tun könne, als geraden Wegs
die Frauen des heiligsten Herzens aufzusuchen,
er zweifle aber sehr, ob sie in meine Aufnahme
einwilligten.
Ich antwortete ihm,
dass ich, wenn dem so wäre, weder seine noch
Herrn Abbé Dupanloups Geschäfte vermehren
wollte, dass ich auf die göttliche Vorsehung
vertraute, die Sorge für mich tragen werde.
Wir trennten uns in
sehr höflicher Weise. Weit jedoch entfernt von
dem, was mir im Seminar von St. Nicolas begegnet
war, erschüttert zu sein, begab ich mich
unverzüglich ins Kloster des hl. Herzens und
verlangte mit der Oberin zu sprechen; dieselbe
war krank, und ich sah daher ihre
Stellvertreterin. Ach! Herr Pfarrer, wie gut ist
sie! Ich habe mit großem Vertrauen mit ihr
gesprochen; ich habe ihr in Kurzem mein Leben
erzählt, mit ihr über meinen Beruf gesprochen
und ihr gesagt, in welcher Lage ich mich
befinde. Sie hat mich gefragt, wie alt ich sei,
seit wann ich meinen Beruf erkannt und ob ich
eine gute Gesundheit hätte. Sie bemerkte mir,
wie wenig es anzunehmen sei, dass ich in meinem
Alter an der Erziehung anderer arbeiten könne,
da ich noch meine eigne Erziehung durchzumachen
hätte, dass es deshalb vielleicht besser wäre,
wenn ich in einen andern Orden treten würde.
„Ach, Madame, habe ich ihr geantwortet, ich
ziehe es vor, Schwester oder Magd in Ihrem Hause
zu sein, als Klosterfrau in einem andern
Kloster. Sie sagte mir, dass im heil. Herzen
alle Klosterfrauen seien, dass jene, welche
unterrichtet seien, zur Erziehung der Jugend
verwendet würden und die anderen zu den
häuslichen Arbeiten.
Als sie mich fest
entschlossen sah, in das Kloster des heil.
Herzens einzutreten fügte sie bei, dass sie mir
keine entscheidende Antwort geben könne, dass
ich mich aber zuerst an Sie, Herr Pfarrer,
wenden solle, damit Sie mir schriftlich Zeugnis
ablegten, was Sie von mir dächten, dieses sei
für meine Aufnahme unumgänglich not wendig; dann
solle ich mich an einen Pater aus der
Gesellschaft Jesu wenden, der meinen Beruf
prüfen würde. Sie bezeichnete mir mehrere,
vorzüglich aber den Pater Cagnard.
Ich war sehr gerührt
von der großen Güte dieser Frau. Ich vermute
guten Erfolg von dieser so milden und
freundlichen Aufnahme; ich bin sehr vergnügt und
sehr zufrieden. Ich hoffe, alles wird gut gehen
und alles zur Ehre Gottes und meinem Seelenheil
gereichen. Ich hoffe, hochwürdiger Herr, Sie
lassen mich nicht lange auf den Brief mit
erbetenen Nachrichten warten. Inzwischen, bis
ich ins Kloster aufgenommen bin, seien sie
meinetwegen nicht unruhig. In der
Kleinkinderbewahranstalt, die meiner Schwester
übergeben ist, fehlt es nicht an Arbeit. Ich
werde mich zu beschäftigen wissen und nicht
müßig bleiben. Beten Sie für mich, ich ersuche
Sie demütig darum, und bitten Sie Gott, Er möge
mir allezeit Seinen heiligen Schutz verleihen.
Herrn Dupérier sagen
Sie gütigst meine ehrfurchtsvollsten
Empfehlungen und alles Schöne meiner Familie und
grüßen Sie meine gute Gefährtin.
Genehmigen Sie, Herr
Pfarrer, ich bitte Sie, die Versicherung meiner
größten Hochachtung,
Ihre
demütigste und
dankbarste Dienerin
Marie.
Paris rue d‘ Enfer,
74, den 27. April 1841.
LII. Brief.
Marie Lataste wendet
sich an Pater Cagnard.
Herr Pfarrer!
Sie haben mich
gebeten, dass ich Ihnen alles mitteile, was sich
auf meinen Eintritt in den Orden des heiligen
Herzens bezieht. Ich schicke Ihnen hier die
Abschrift des Briefes, den ich an den
Beichtvater der Klosterfrauen des heil. Herzens
geschrieben. Ich habe Ihnen schon gesagt, dass
Madame du Boisbaudry mich aufgefordert hat, ihn
aufzusuchen; ich wünschte mich vorher bekannt
bei ihm zu machen und habe ihm Folgendes
geschrieben :
„Das erste, was ich
Ihnen zu sagen habe, ist die Bitte, Sie möchten
Sich meiner um der Liebe Jesu Christi willen
erbarmen. Ach! Hochwürdiger Pater, erbarmen Sie
Sich meiner. Ich bin eine junge Person, die der
göttlichen Vorsehung anheimgestellt ist. Mit
Demut und Vertrauen flehe ich Gottes Hilfe und
Ihre Barmherzigkeit an. Ich fühle, dass ich nur
auf Erden bin, um Gottes Willen zu tun und meine
Seele zu retten, und versichere Sie, indem ich
mich demütig vor Ihnen niederwerfe, dies ist
auch mein innigster Wunsch. Ja, Hochwürden, ich
will mich um jeden Preis retten, und wenn es
mich noch so viel Anstrengung kostet. Deshalb
wende ich mich an Sie, in der Hoffnung, Sie
werden mich hierin unterstützen. Sie wünschten
gewiss schon zu wissen, woher ich bin, wer ich
bin und was ich bin.
Ich bin nicht von
Paris, allein sehr wichtige Gewissensgründe
haben mich veranlasst, mich in diese Stadt zu
begeben, und der erste dieser Gründe ist der,
dass ich erfahre, was ich bin. Ich brauche
Erleuchtung, um mich gründlich zu erkennen, und
diese Erleuchtung habe ich noch nicht gefunden.
Alles, was ich weiß, ist, dass ich eine arme
Sünderin bin, welche Jesus, der Erlöser, mit
Gnaden überhäuft hat und welche gerne Ihm Liebe
um Liebe geben möchte, indem sie sich Ihm auf
immer weiht.
- Ich bin ein armes
Mädchen ohne Erziehung. Seit drei oder vier
Jahren spricht Jesus, der Erlöser, mit mir und
lehrt mich kennen Sein Gesetz, Seine Religion,
die Tugenden, welche Er liebt und die Pflichten
der Seele, die sich Ihm ganz opfern will. Am
Anfange befahl mir mein Seelenführer alles, was
ich hörte und sähe, nieder- zuschreiben, damit
er mit Sicherheit beurteilen könne, ob das, was
ich erführe, von Gott, von meiner Einbildung
oder vom Teufel käme. Ich habe es aus Gehorsam
getan.
Nachdem er mich
sorgfältig geprüft und mich mit
unaussprechlicher Güte geleitet hatte, erkannte
er, dass Gott mich zu einer Lebensart beriefe,
für welche er nicht glaubte, hinlängliche
Erkenntnis zu haben, um mich zu leiten; er
erkannte, dass der Heiland mich wirklich zum
Kloster berufen habe und dass dies der bestimmte
und unerschütterliche Wille des göttlichen
Meisters sei, daher forderte er mich auf, dem
Zuge zu folgen, der mich ins Kloster zum heil.
Herzen nach Paris berief, wo ich einzutreten
wünsche. Um diesem Rufe zu folgen, habe ich eine
Entfernung von mehr als 200 französischen Meilen
zurückgelegt, und zwar allein, jedoch unter dem
Schutze Gottes. Ich habe mich an die ehrwürdige
Oberin des heiligen Herzens gewendet, die mich
gütig aufgenommen und aufgefordert hat, Sie
aufzusuchen.
Ihre Liebe wird mir
gestatten, mich Ihnen vorzustellen und Sie
mündlich anzuflehen, wie ich es schriftlich tue,
dass Sie Sich meiner erbarmen, und nachdem Sie
mich geprüft haben, für meine Aufnahme in den
Orden des heiligen Herzens Sich verwenden
wollen. Ich habe die Ehre zu sein ^c. ^c.
Das ist mein Brief an
Pater Cagnard. Ich hoffe, er werde ihn gut
aufnehmen und Gott werde sich seiner als eines
Werkzeuges bedienen, um meinen Eintritt in jene
Abgeschiedenheiten erleichtern, in welche Jesus,
der Erlöser, mich ruft.
Mehr als je, Herr
Pfarrer, müssen Sie begreifen, wie sehr ich
Ihrer Gebete bedarf. Ich empfehle mich Ihnen und
ich beschwöre Sie, dass Sie bei Gott für mich
beten.
Ich bin in tiefster
Ehrfurcht,
Herr Pfarrer!
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Paris den 28. April
1844.
LIII. Brief.
Marie erzählt, wie
sie im Kloster des Heiligen Herzens
aufgenommen wurde.
Sehr verehrter Herr!
Wenn ich bis zu diesem
Augenblick gezögert habe, Ihnen zu schreiben, so
geschah es, weil ich Ihnen etwas Bestimmtes
mitteilen wollte. Ich bin ins heil. Herz
aufgenommen, wo ich unverzüglich eintreten soll.
Ich will Ihnen einfach mitteilen, wie alles
gegangen ist. Sie wissen, dass, nachdem ich
zweimal den Herrn Abbe Dupanloup im
Knabenseminar von Skt. Nicolas nicht sehen
konnte, ich zweimal wieder fortgehen musste,
ohne in meinem Anliegen Etwas erreicht zu haben.
Deshalb folgte ich dem Rate, der mir vom
Direktor des Seminars zu St. Nicolas gegeben
worden und suchte die Oberin des heil. Herzens
auf, welche, wie ich Ihnen schon gesagt, mich an
den Pater Cagnard gewiesen hat. Als ich ins
Findelhaus zurückkam, teilte ich meiner
Schwester meine Schritte mit, welche dieselbe
nicht billigte.
Dennoch begleitete sie
mich den 28. zu dem hochw. Pater Jesuiten. Mein
Gott! was ist das für ein Mann! er muss
notwendig mit großer Wissenschaft auch große
Erfahrung verbinden; denn in wenigen Worten hat
er alles verstanden. Er stellte mir einige
Fragen, die ich beantwortete und das war ihm
hinreichend, um unmittelbar zu beurteilen, was
in mir vorging; er beurteilte den Grund der
Dinge auf ihren Wirkungen. --- Er fand kein
Hindernis für meinen Eintritt in das Kloster des
heiligen Herzens; er gab mir sogar einen Brief
an die Madame du Boisbaudry, an die ich mich
gewendet hatte, weil die Oberin krank war! Am
29. begleitete mich meine Schwester wieder ins
Kloster des heil. Herzens, damit ich den Brief
des Pater Cagnard übergeben könnte.
Madame du Boisbaudry
sagte uns, sie werde den Brief der Oberin
mitteilen und uns dann schreiben. Es war ein
Montag; am folgenden Tag schrieb sie mir und
berief mich zu sich, um mir die Antwort der
Oberin zu eröffnen.
Am Mittwoch begab ich
mich ins Kloster. Madame du Boisbaudry führte
mich in einen hübschen Salon, der ein geheimeres
Sprechzimmer bildet als das erstere. Sie
verlangte noch genauere Nachrichten. Ich sah,
dass ich bis in die geheimsten Einzelheiten
eingehen müsse und sprach offenherzig mit ihr,
vorauf sie mir sagte: „Nun, gehen Sie zu Pater
Cagnard und sagen Sie ihm, dass Madame de
Gramont Sie aufzunehmen wünscht." --Pater
Cagnard sagte mir, dass dieses auch sein Wunsch
wäre und dass er in Conflans mit der Frau
Generalin- Oberin sprechen werde.
Man schickte mich noch
einmal, zum letzten Mal zu Pater Cagnard, dass
er mich neuerdings prüfe und dass ich ihn bitte,
er wolle mit seinem ganzen Einfluss in Conflans
mich unterstützen. Der Jesuitenpater fragte
mich, ob ich noch etwas beizufügen hätte zu dem,
was ich ihm bereits gesagt. Ich antwortete
verneinend und fügte nur bei, dass ich recht
unterwürfig und gehorsam sein würde, und dass er
gewiss nicht bereuen sollte, sich meiner gütigst
angenommen zu haben.
Er ist in Conflans
gewesen, wo er drei bis vier Tage zugebracht
hat. Am 10. begab ich mich zu Pater Cagnard, er
hatte die General-Oberin, Madame Barrat,
gesehen, welche ebenso, wie Madame de Gramont in
meine Aufnahme einwilligte.
Ich bitte Sie, Herr
Pfarrer, mit mir die göttliche Vorsehung zu
preisen, welche mich auf so sichtbare Weise
beschützt. Ich habe mich mit dem Vertrauen eines
Kindes in die Arme der göttlichen Vorsehung
geworfen und sie hatte für mich die Güte und
Zärtlichkeit einer Mutter, sie hat mich
gleichsam an der Hand geführt und ich darf
sagen, dass sie allein gehandelt hat, indem sie
den Verstand der einen erleuchtete und die
Herzen der andern mir günstig stimmte. Beten Sie
für mich, auf dass ich an Gottes Willen
festhalte und Er mir die Gnade erweise,
denselben so getreu zu erfüllen, als es mir
möglich ist. Von Paris kann ich Ihnen keine
Nachrichten mitteilen. Paris ist für mich wie
Mimbaste; doch habe ich die Kirche von
Notre-Dâme des Victoires besucht, sowie die
Kirche, in welcher die Reliquien des heil.
Vincenz von Paul ruhen. Einmal habe ich auch in
der Kapelle der Frauen von der Heimsuchung,
welche neben deren Hause sich befindet, der
heil. Messe beigewohnt.
Ich erwarte mir keine
Antwort von Ihnen; in dem Falle jedoch, dass Sie
mir schreiben wollten, könnten Sie Ihren Brief
an das Findelhaus richten; wenn ich, wie es
wahrscheinlich ist, nicht mehr dort bin, so wird
meine Schwester denselben mir ins Kloster des
heil. Herzens zukommen lassen.
Ich befinde mich sehr
wohl und habe nicht im Geringsten Heimweh. Haben
Sie die Güte, Hr. Pfarrer,
dem Herrn Abbé
Dupérier meine ehrfurchtsvollen Empfehlungen zu
entrichten und mich seinem frommen Gebete zu
empfehlen. Was mich anbelangt, so vergesse ich
Sie beide keinen Tag vor Gott.
Genehmigen Sie, Herr
Pfarrer, den Ausdruck meiner tiefsten Ehrfurcht
und meiner aufrichtigsten Dankbarkeit.
Ich habe die Ehre in
unserm Herrn zu sein
Ihre
demütigste Dienerin
Marie
Paris den 12. Mai
1844.
LIV. Brief.
Marie im Novizia zu
Conflans.
Herr Pfarrer!
Die Gefühle der
Achtung, Ehrfurcht und Dankbarkeit, welche ich
gegen Sie hege und die niemals in meinem Herzen
erlöschen werden, nötigen mich, mein langes
Stillschweigen zu brechen, um Ihnen zu sagen,
wie ich mich in meiner neuen Lage befinde. Am
Vorabend von Christi Himmelfahrt bin ich zu
Paris im heil. Herzen eingetreten. Zwanzig Tage
später wurde ich nach Conflans ins Noviziat
geschickt. Ich bin glücklich und zufrieden, das
ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Ich bin
ebenso beschämt über die Güte, die man gegen
mich hat, als über die Liebe, womit man meine
fast immerwährenden, obwohl unfreiwilligen
Fehler erträgt. O! Herr Pfarrer, wie will ich
nun unterwürfig und gehorsam sein und Gott und
meinen Obern meinen Dank und gänzliche Ergebung
beweisen. Meinen Willen werde ich dem Willen
Gottes unterwerfen, Er mache mit mir, was Ihm
gefällt. Er ist mein Vater und mein Meister, ich
bitte Ihn, mich zu behandeln als Sein Eigentum.
Mein ganzes Vertrauen habe ich auf den Herrn
gesetzt, Er hat mich unter die Flügel Seines
Schutzes genommen, Er hat mich bei der Hand
ergriffen, und nachdem Er mich vor jeder Gefahr
behütet, in Sein Hans geführt. --- Mein Gott!
welchen Dank schulde ich Dir. --- Helfen Sie
mir, Ihm danken, Herr Pfarrer, die Gefühle
meines Herzens können dazu nicht ausreichen.
Wenn ich daran denke, so fühle ich, dass meine
Inbrunst sich erneut; ich bringe Gott all' meine
Neigungen, alle meine Wünsche zum Opfer; aber
ich kann nichts anderes zu Ihm sagen, als die
Worte: „Mein Gott, tue mit mir ganz, wie es Dir
gefällt.
Ich hoffe mehr und
mehr einzudringen in den Geist des erhabenen und
heiligen Standes, den ich zu ergreifen wünsche,
um alle Pflichten desselben vollkommen zu
erfüllen.
Beten Sie für mich,
auf dass ich eine heilige, dem Herzen Jesu
wohlgefällige Klosterfrau werde. Haben Sie die
Güte, Herrn Dupérier meine ehrfurchtsvollsten
Empfehlungen, meiner Familie alles Herzliche und
meiner trefflichen Freundin Viktoria einen
freundlichen Gruß entrichten zu wollen.
Ich schließe meinen
Brief, wie ich ihn begonnen habe, indem ich
nämlich wiederhole, dass ich glücklich bin und
dass mein ganzes Glück auf Erfüllung des
göttlichen Willens beruht. Ebenso danke ich
Ihnen wiederholt für Ihre außerordentliche Güte
gegen mich; ich werde sie niemals vergessen.
Genehmigen Sie den
Ausdruck meiner tiefsten Ehrfurcht und meiner
lebhaftesten Dankbarkeit,
Ihre
demütigste und
unwürdigste Dienerin
Marie Lataste
Conflans den 8. Juli
1844.
LV. Brief.
Glück der Marie
Lataste im Noviziat.
Liebe Viktoria!
Ich kann diesen Brief
nicht absenden, ohne ein kleines Billet für Dich
beizufügen. Ich habe sehr oft an das gedacht,
was Du vor meiner Abreise nach Paris zu mir
gesagt hast über das Glück, welches man genießt,
wenn man im Kloster lebt, und ich wiederhole
jeden Tag in meinem Herzen: Sie hatte Recht!
Welcher Art auch immer
die Leiden, Schmerzen und Trübsale des Lebens
sein mögen, so ist man glücklich in einer
Versammlung heiliger Seelen, welche nur an Gott
denken, nur Ihn lieben, da wird man stets
getröstet, stets ermutigt, stets aufrecht
erhalten. Und Du, liebe Viktoria, was machst Du,
fern von Deiner Freundin. Wie geht es Dir? Wirst
Du auch eines Tages Deine Stunde kommen sehen,
die Stunde, wo Du zu mir sagen wirft: Endlich
kann ich sie wieder treffen! Bei diesen Gedanken
kommen mir die Tränen und ich lasse freien Lauf
der Liebe meines Gottes, der da der Grund und
das Band unsrer Freundschaft ist. Beten wir alle
beide, dass der Herr unsere Vereinigung zu einer
ewigen mache, wenn auch nicht hier auf Erden, so
doch in dem Vaterland, wo wir Gott schauen
werden. Jetzt, meine gute Viktoria, haben meine
geistigen Leiden aufgehört. Stille und Ruhe sind
in meiner Seele, ich schätze mich glücklich, Dir
dieses mitteilen zu können. Mut und Vertrauen,
meine liebe Freundin, hoffen wir nur immer auf
Jesus.
Lebe wohl, ich umarme
Dich tausendmal und so zärtlich, als ich Dich
liebe. Ich bin für immer in den heil. Herzen
Jesu und Maria.
Deine
ganz ergebene
Marie
Conflans, den 8. Juli
1844.
LVI. Brief.
Marie drückt ihrem
Seelenführer aus,
wie glücklich sie im
Noviziat von Conflans ist.
Herr Pfarrer!
Wie glücklich bin ich,
Ihnen diesmal meine Glückwünsche zum neuen Jahre
ausdrücken zu können mitten in der Gesellschaft,
welcher anzugehören ich das Glück habe. In
meiner neuen Lage hat meine Seele, erfüllt mit
den Gefühlen der Ehrfurcht, der Achtung, der
Dankbarkeit, die ich stets gegen Sie hegte, an
den Herrn demütige Gebete und demütiges Flehen
gerichtet, Er wolle Sie die heilsamen Wirkungen
Seiner unendlichen Barmherzigkeit und Güte
empfinden lassen.
O, Herr Pfarrer, wie
gut ist doch unser Gott! Ehre, Liebe und Dank
sei Ihm für immer dargebracht für alle die
Wohltaten, mit denen Er mich überhäuft hat.
Lieben Sie Ihn, danken Sie Ihm für mich, mein
Herz ist dazu ungenügend, und auch das eifrigste
Leben reicht hierfür nicht hin; aber mit Deiner
Hilfe, mein Gott, werde ich die ganze Ewigkeit
dazu verwenden. Verzeihen Sie, Herr Pfarrer,
wenn ich meinen Brief mit einer so offenen
Herzensergießung beginne. Ach! Sie kennen besser
als jeder andere die Aufrichtigkeit und die
Einfalt meiner Seele; ich bin immer von dem
nämlichen Vertrauen gegen Sie beseelt, in Jesus
Christus, unserm Herrn.
Ich war sehr betrübt,
als ich von Ihrem Unwohlsein hörte. Die
Weihnachtsfeiertage werden Ihnen viele Ermüdung
verursacht haben, aber ich bin sicher, dass Sie
dieselbe nicht gescheut haben. Sie haben am
Heile der Seelen gearbeitet, um Jesus, dem
Erlöser, Herzen zu winnen. Glückliche Ermüdung!
Sie haben mir viele
Freude bereitet durch Ihre Mitteilung von der
guten Geistesverfassung der lieben Bewohner von
Mimbaste. Wenn Sie es dahin bringen könnten, aus
dieser Pfarrei die Menschenfurcht zu vertreiben,
o! um wie viel reichlicher wäre dann die Ernte!
Ich hoffe, dass es Ihrem unermüdlichen Eifer
gelingen werde und dass Gott Ihre Bemühungen
segnen und Sie mit Tröstungen überhäufen wird.
Darf ich Sie bitten,
dem hochwürdigen und verehrungswürdigen Herrn
Dupérier meine ehrfurchtsvollsten Empfehlungen
auszurichten, nebst dem Ausdrucke meiner
innigsten Dankbarkeit. Sagen Sie ihm, dass ich
immer glücklich und zufrieden bin und meinen
Beruf immer mehr liebe, je mehr ich ihn kenne.
Wie schön ist es, in
einer Klostergemeinde zu leben, wo alles nur ein
Herz und eine Seele ist, wo man unaufhörlich
gute Beispiele vor Augen hat und aus dem Munde
unserer Mütter Worte voll Feuer vernimmt, wo
kurz alles, selbst die Erholungen, geeignet
sind, die Andacht zu entzünden und zu
unterhalten.
Obgleich noch eine
junge Novizin, so strebe ich doch mit dem
aufrichtigsten Verlangen meines Herzens nach der
klösterlichen Vollkommenheit. Ich bin noch weit
davon entfernt; aber das tut nichts, ich gebe
die Hoffnung nicht auf, dass ich mit Gottes
Gnade sie noch erreichen werde. Und wirklich Er
hat mich nicht dazu hierher geführt, dass ich in
einen Schleier und Mantel gehüllt sei, sondern
damit ich da die Tugend auf vollkommenere Art
ausübe. Ich erinnere mich wohl noch Seiner und
Ihrer Ermahnungen, ich werde dieselben so gut,
als ich es vermag, beobachten, und empfehle mich
deshalb in Ihre mächtigen Gebete.
Ich muss endlich
schließen und Sie verlassen, aber wir werden uns
täglich in dem anbetungswürdigen und süßesten
Herzen Jesu wiederfinden.
Genehmigen Sie gütigst,
Herr Pfarrer, die Versicherung meiner tiefsten
Ehrfurcht und meiner lebhaftesten Dankbarkeit.
Ich bin in dem heil.
Herzen Jesu
Ihre
demütigste und
gehorsamste Dienerin
Marie.
Conflans, den 2. Jan.
1845.
LVII. Brief.
Marie fordert ihre
Schwester auf, sich mit ihr
in dem heiligen Herzen
Jesu zu vereinigen.
Teuerste Schwester!
Ich kann Dir nicht
ausdrücken, welches Vergnügen Dein lieber Brief
mir gemacht hat. Er war ein Trost für mein Herz,
weil ich daraus erfahre, welche Gnaden der
Heiland Dir erzeigt, und dass Du die
Notwendigkeit begreifst, mehr und mehr in der
Tugend vorzuschreiten.
Ich bin sicher, dass
Du mitten in Deinen Beschwerden glücklich bist,
dass Du oft göttlichen Trost, den Du kennst und
den die andern nicht kennen, aus seiner Quelle
schöpfen kannst. Diese weltlichen Seelen suchen
ihren Trost in Nichtigkeit, aber sie finden ihn
nicht, sie bleiben immer von dem wahren Glücke
entfernt. Man hält uns für unglücklich, die wir
nur Gott allein besitzen; aber ist denn Gott
nicht die einzige Seligkeit, die einzige Freude
unsrer Seele?
Vereinigen wir uns,
meine liebe Schwester, um das göttliche Herz
Jesu, das so wenig gekannt und so wenig geliebt
ist, immer mehr zu lieben und zu preisen; Du in
der Welt und ich in der Ihm besonders geweihten
Gesellschaft. Welch' ein Glück, vereinigt zu
sein mit diesem Herzen, dem Heiligtume aller
Tugenden, mit diesem Herzen, welches das Glück
der Heiligen im Himmel ausmacht und welches die
Zuflucht, die Stütze, die Kraft, der Trost der
Seelen auf Erden ist !
Sei so gut und bringe
dem Herrn Pfarrer von Mimbaste den Ausdruck
meiner Ehrfurcht dar, und empfehle mich seinem
Gebete, besonders beim heil. Messopfer. Grüße
auch Viktoria und alle Verwandten und Bekannten.
Lebe wohl, ich umarme
Dich aufs Herzlichste und verbleibe stets in dem
heil. Herzen Jesu und Mariä,
Deine
ganz ergebene
Schwester
Marie Lataste,
Novizin im heiligen
Herzen.
Rennes den 6. Juli
1846.
LVIII. Brief.
Marie spricht mit
ihrer Familie von ihrer neuen Lage zu Rennes.
Teuerster Vater!
Mit großer Freude
benütze ich einen freien Augenblick, um Ihnen
Nachricht von mir zu geben. Der Herr, der alles
nach Seinem Willen fügt, hat gewollt, dass ich
mein zurückgezognes Leben, das ich im Noviziat
führte, verlasse; Er hat mir ein mehr tätiges
Leben auferlegt, denn ich bin nach Rennes
geschickt worden, wo eines unserer Häuser
gegründet wird.
Am Mai sind 6 von uns
von Conflans abgereist nach Rennes, wo wir eine
unsrer Schwestern trafen, die von anders woher
gekommen war. Von Anfang an bestand also unsere
Gemeinde aus 7 Personen. Wir hofften, dass der
Herr diese Zahl noch vermehren werde; wir sind
nicht getäuscht worden, jetzt sind wir 10.
Unsere Wohnung hat eine sehr angenehme Lage, wir
sind nur einige Schritte von der Stadt entfernt.
Vor dem Hause steht ein hübsches Wäldchen von
Platanen und Linden und auf beiden Seiten liegt
eine große Wiese mit einer Kastanien-Allee und
vielen dicken Laubgängen. Da die Mauern sehr alt
sind, so mussten sie vielfach ausgebessert
werden, weswegen wir jeden Tag mehrere
Arbeitsleute beschäftigen. Es gefällt mir in
dieser Gegend sehr gut; die guten Leute hier
sind wirklich fromm; ich habe mehrere gesehen,
welche das Skapulier tragen.
Ich schließe, lieber
Vater, indem ich Ihnen die Gefühle der
Ehrfurcht, des Dankes und der Liebe ausdrücke,
die mein Herz beseelen und nur mit meinem Leben
enden werden.
Ich umarme Sie und die
Mutter mit aller kindlichen Zärtlichkeit und
verbleibe in den heil. Herzen Jesu und Mariä,
Ihre
demütigste und
ergebenste Tochter
Marie Lataste,
Novizin im heil.
Herzen.
Rennes den 12. Juli
1846.
LIX. Brief.
Marie drückt dem Herrn
Abbé Dupérier ihr Glück aus
und empfiehlt sich
seinem Gebete.
Sehr verehrter Herr!
Ihr Brief hat auf mich
einen Eindruck gemacht, den ich ziemlich schwer
zu beschreiben vermag. Ich bin beschämt, dass
Sie sich meiner noch gnädigst erinnern, denn ich
verdiene es nicht.
Ich will suchen, die
Fragen, welche Sie an mich stellen, zu
beantworten.
Ihr Brief zeigt mir
wohl, dass Sie den Orden des heil. Herzens nur
wenig kennen. Die Gesellschaft besteht aus
Kloster- oder Chorfrauen und aus
Laienschwestern.
Die ersteren werden
zur Erziehung der Jugend verwendet, die
letzteren zu den häuslichen Arbeiten.
Dieser Unterschied
unter uns ist rein äußerlich. Wir sind alle
Schwestern in dem heil. Herzen Jesu; wir sind
nur ein Herz und eine Seele in dem
anbetungswürdigen Herzen Jesu; die Gesellschaft
des heil. Herzens ist ein Körper, von dessen
Gliedern jedes seine besondere Verwendung
findet, und nach demselben Ziele strebt, das da
ist die Verherrlichung des heil. Herzens Jesu,
die Ausbreitung seiner Verehrung und das Heil
der Seelen; es ist ein gut zusammengesetzter
Chor, dessen einzelne Stimmen ihre verschiedenen
Stücke ausführen und mit einander ein
wohlklingendes Konzert ausführen.
Wir haben Alle
dieselbe Regel und wer unter uns am besten das
heil. Herz Jesu kennt, wer am heiligsten lebt,
der arbeitet am wirksamsten an der Erfüllung
seines Berufes.
Ich bin
Laienschwester. Meine Dienste sind
verschiedenartig, denn bei der Gründung eines
neuen Klosters hat jede Nonne mehrerlei Dienste,
je nach dem Bedürfnisse und der Notwendigkeit.
Ich bin Pförtnerin, Krankenschwester, ich habe
das Refektorium, die Lampen zu besorgen, zu
nähen und zu kehren. In diesen verschiedenen
Verrichtungen kann ich mich von Morgens halb
fünf Uhr bis abends halb zehn Uhr beschäftigen.
Die frommen Übungen nehmen auch einen Teil
meines Tages in Anspruch.
Im heil. Herzen haben
alle viele Geschäfte; die Regel ist nicht sehr
strenge, weil man seine Kräfte braucht, um zur
Ehre Gottes zu arbeiten; aber sie tötet
nichtsdestoweniger die Natur ab durch Kreuzigung
der Eigenliebe; wenn man treu alle Punkte der
Regel beobachtet.
Sie möchten an mich
mehrere Fragen stellen. Ach! mein Gott, ich
errate wohl, was Sie wissen wollen. Es möge
Ihnen genügen, zu hören, dass Gott mich bei
jeder Gelegenheit, wie an der Hand geführt hat.
Auf Ihn habe ich alle meine Hoffnung gesetzt und
sie ist keineswegs getäuscht worden. Sie wissen,
wie Er mir die Pforte des Klosters geöffnet hat;
ich habe Ihnen in dieser Beziehung Nichts weiter
zu sagen. Ich bin hier an dem Orte der Ruhe und
der Stille für meine Seele, in dem so gütigen
Herzen Jesu, des Erlösers. Er führt mich auf
einem Wege, den Er selbst mir angegeben hat und
den ich hoffentlich nie verlassen werde. Ein
demütiges, verborgenes, unbeachtetes Leben zu
führen, für Gott in Jesus Christus zu leben: Das
ist mir bestimmt und das genügt mir.
Mühseligkeiten gibt es überall, Leiden überall;
allein Gott hat meinen guten Willen gesehen und
hat aus Güte gegen mich die Dornen in Blumen
verwandelt.
Es liegt wenig daran,
ob ich Ihnen das ganze Glück, welches ich in
meinem neuen Leben genieße, beschreibe; ich kann
mit einem Worte sagen: Mein Herz ist glücklich,
ich vermisse nichts, ich wünsche nichts
außerdem, was ich besitze. Ich bin glücklich,
ich habe gefunden und finde jeden Tag das Glück
am Fuße des Kreuzes und in dem anbetungswürdigen
Herzen Jesu. Ich bin glücklich und mein Glück
ist wie das einer jeden Seele, welche im Kloster
lebt, Jesus und Jesu Kreuz. Sie verstehen es,
Herr Abbé, dieses ist genug für mich, alles
Übrige hat wenig Wert in meinen Augen, alles
Übrige ist nichts für mich.
Sie wollen, dass ich
für Sie bete, ich werde es mit Freuden tun. Ich
werde das liebenswürdige Herz des Erlösers
bitten, dasselbe wolle Sich Ihnen, mit Seiner
Lieblichkeit und Seiner Süßigkeit, auf ganz
besondere Weise offenbaren und Ihnen eine
zärtliche Andacht zu demselben einflößen, damit
Sie die Andacht, welche Sie besitzen, auch den
Andern mitteilen können.
Ich bitte Sie, Sich
jeden ersten Freitag jeden Monats mit uns beim
heil. Messopfer vereinigen zu wollen, weil
dieser Tag dem anbetungswürdigen Herzen geweiht
ist und wir dasselbe an diesem Tage ganz
besonders verehren. Es ist Zeit, dass ich meinen
Brief beende; ich habe ihn schon seit acht Tagen
angefangen. Seitdem ich Krankenschwester bin,
habe ich fast keinen Augenblick freie Zeit.
Alles geschehe zur größeren Ehre Gottes und aus
Liebe zu Ihm. Die Ehre und die Liebe Gottes sind
mein Trost, meine Stütze, mein Verlangen, mein
Himmel, mein Leben, mein Alles, ja, mein Alles,
das Übrige ist für mich nichts.
Empfangen Sie,
Hochwürdiger Herr, die Versicherung meiner
tiefsten Ehrfurcht, mit welcher ich in den heil.
Herzen Jesu und Mariä verbleibe
Ihre
demütigste und
gehorsamste Dienerin,
Schwester Marie
Lataste,
Novizin im heil.
Herzen
Rennes den 21. Nov.
1846.
LX. Brief.
Jesus führt Marie auf
einem neuen Weg.
Hochwürdiger Herr !
In dem Briefe, welchen
Sie mir geschrieben, drücken Sie mir den Wunsch
aus, zu erfahren, ob dieser Brief und andere der
Art, die Sie mir noch schreiben könnten, gegen
unsere Regeln sind. Ich habe mit meiner
ehrwürdigen Oberin darüber gesprochen. Sie hat
mir geantwortet, dass darin nichts sei, was dem
Geiste unserer Regel entgegen wäre, dass wir
vielmehr darin eine Gelegenheit finden können,
eine Pflicht unseres Berufes zu erfüllen, welche
von uns verlangt, dass wir durch Gebete, um die
man uns ersucht, bei den guten Werken mitwirken,
die andere zur Ehre Gottes tun oder unternehmen.
Sie hat mir aber zugleich begreiflich gemacht,
dass Briefe, die nur zum Vergnügen dienen, dem
Geiste unserer Genossenschaft zuwider seien. Sie
hat die Güte gehabt, beizufügen, dass sie ihr
Gebet mit dem Ihrigen vereinen werde. Damit ich
jeden Punkt Ihres Briefes beantworte, erlauben
Sie mir noch beizufügen, dass unser Heiland in
Seiner Güte gegen mich Nichts geändert hat,
obwohl Sein Verfahren gegen mich verschieden
ist. In unseren Beziehungen ist nichts
Zweifelhaftes, nichts Fühlbares mehr; der Weg,
auf welchem Er mich jetzt führt, ist ein
einfacher und gewöhnlicher Weg, auf welchem ich
den tiefsten Frieden genieße. Ich werde von
ganzem Herzen für Sie beten. Ich kann nichts
anderes tun.
Ich danke Ihnen für
den Anteil, den Sie an meiner Familie nehmen und
bitte Sie, die Versicherung meiner tiefsten
Ehrfurcht zu empfangen, mit welcher ich bin,
Hochwürdiger Herr,
Ihre
demütige Dienerin,
Schwester Marie
Lataste,
Novizin im heil.
Herzen.
Rennes den 30. April
1847.
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