Vom Glauben und von den Werken (De fide et operibus)
(27 Kapitel)
Inhalt:
Vorwort
1. Kapitel:
Darlegung der falschen Lehre, die Augustinus mit der
vorliegenden Abhandlung zurückweisen will
2. Kapitel:
Das Beispiel des Moses und des Apostels Paulus zeigt,
daß trotz der Vermischung von Guten und Bösen in der
Kirche die Strafe der Absetzung und Exkommunikation
berechtigt ist
3. Kapitel:
Der Apostel Paulus und der Herr selbst mahnen, aus
Bruderliebe einen Fehlenden unter Umständen auch zu
bestrafen
4. Kapitel:
Ungesunde Übertreibung richtiger Grundsätze war schon
oft die Ursache von Irrlehren
5. Kapitel:
Im Interesse des kirchlichen Friedens und der Einigkeit
müssen auch Böse ertragen werden; doch darf die Zucht
nicht erschlaffen
6. Kapitel:
Die Unterweisung in der christlichen Glaubens- und
Sittenlehre hat ohne Zweifel schon vor dem Empfang der
heiligen Taufe zu erfolgen
7. Kapitel:
Aus der Lehre der Apostelbriefe können die Gegner des
heiligen Augustinus ihre Behauptung nicht beweisen
8. Kapitel:
Die erste Predigt des heiligen Petrus bezeugt die
Notwendigkeit der Buße und der Abkehr vor der Welt für
alle, die getauft werden wollen
9. Kapitel:
Das Beispiel des von Philippus getauften Kämmerers
beweist nicht, daß zur Taufe das bloße Bekenntnis der
Gottheit Christi hinreichend sei
10. Kapitel:
Die Worte des Apostels Paulus, er wisse nur Christus den
Gekreuzigten, schließen auch die ganze Lehre vom Werke
Christi, von der Selbstkreuzigung und der Liebe in sich
11. Kapitel:
Die Tatsache, daß die Israeliten noch vor der
Gesetzgebung auf dem Sinai durch das Rote Meer gingen,
spricht auch nicht für eine unbedingte Zulassung zur
Taufe
12. Kapitel:
Götzendienst ist nicht schlechter als Ehebruch; und doch
werden unverbesserliche Götzendiener nicht einmal zum
Katechumenat, geschweige denn zur Taufe zugelassen
13. Kapitel:
Johannes der Täufer verlangte von allen Täuflingen
Besserung des Lebens; Christus selbst erklärt die
Beobachtung der Gebote als notwendig zur Erlangung der
ewigen Seligkeit
14. Kapitel:
Der Apostel Paulus schreibt zwar dem Glauben und nicht
den Werken die Rechtfertigung zu; aber er meint die
Werke, die dem Glauben vorausgehen, und einen Glauben,
der durch die Liebe tätig ist. Schon die Apostel Jakobus
und Petrus sind einer falschen Auffassung der
paulinischen Lehre entgegen getreten
15. Kapitel:
Die Stelle des Apostels von der Prüfung durch Feuer ist
nicht so zu verstehen, als könnten schwere Sünden durch
Feuer getilgt werden
16. Kapitel:
Der heilige Augustinus gibt seine Erklärung der
berühmten Stelle von der Prüfung durch das Feuer
17. Kapitel:
Unverbesserliche Sünder nicht in die Kirche aufzunehmen
verrät nicht grausame Härte, sondern ist nur kluge
Vorsicht, um die Guten vor Verführung zu bewahren
18. Kapitel:
Daß schlechte Menschen nicht zur Taufe zugelassen
werden, ist keine ungerechte Neuerung der Kirche; selbst
geheime Vergehen müssen wenigstens durch die
Lehrvorträge gestraft werden
19. Kapitel:
Unbußfertiger Ehebruch schließt auf jeden Fall von der
Taufe aus; wenn ältere kirchliche Bestimmungen sich
darüber nicht äußern, so liegt der Grund darin, daß
diese Sünde eben früher sehr selten war. — Einige
zweifelhafte Fälle
20. Kapitel:
Nur wer glaubt und sich von toten Werken bekehrt,
erlangt in der Taufe Gesundheit der Seele
21. Kapitel:
Unter den vielen Gläubigen der apostolischen Zeit mögen
sich recht wohl auch Ehebrecher und Dirnen befunden
haben; doch ist damals gewiß niemand aufgenommen worden,
als wer sich von toten Werken bekehrte, weil nur der in
Liebe tätige Glaube die Verheißung des Lebens hat
22. Kapitel:
Nur wer Gottes Gebote hält, kennt Gott; Gottes Gebote
halten heißt aber sowohl an ihn glauben, als auch seinen
Geboten gemäß leben. — Wir sollen nicht sündigen, aber
im Falle der Sünde auch nicht verzweifeln
23. Kapitel:
Beim Jüngsten Gericht wird es bloß zwei Arten von
Menschen geben: Verdammte und Heilige; unter den
ersteren werden sich in gleicher Weise Gläubige und
Ungläubige befinden, ja die verdammten Gläubigen werden
wegen der von ihnen mißbrauchten Gnade noch strenger
bestraft werden
24. Kapitel:
Christliche Freiheit ist nicht eine Freiheit
ungezügelter Sinnenlust; würde sie so mißbraucht, so
wäre das schlimmer als der Unglaube der Heiden
25. Kapitel:
Das vom Apostel Petrus eingeschärfte Gebot besteht in
der Enthaltung von der Unzucht der Welt; die anderen
Apostel stimmen hierin mit ihm überein
26. Kapitel:
Zusammenfassendes Urteil des heiligen Augustinus; zur
Erlangung der ewigen Seligkeit sind zwei Dinge vonnöten:
der wahre Glaube und ein gutes sittliches Betragen. —
Bemerkung über die drei Arten menschlicher Sünde
27. Kapitel:
Rückblick auf die wichtigsten in dieser Abhandlung
erörterten Fragen
Vorwort
1.
Einleitung: Vom Glauben und von den Werken
[1]
Die Abfassungszeit des Traktates „De fide
et operibus" läßt sich ziemlich genau nach einer
Bemerkung festlegen, die der heilige Augustinus selbst
im 14. Kapitel desselben macht; er erwähnt dort
beiläufig, daß er kurz vorher sein Buch „De spiritu et
litera" geschrieben habe. Diese letztere Abhandlung nun
wurde gegen Ende des Jahres 412 abgeschlossen; demnach
ist wohl das Jahr 413 als das Abfassungsjahr der
vorliegenden Schrift anzusehen.
Was den heiligen Augustinus zu diesem
Traktat veranlaßte, darüber gibt er uns selbst im 38.
Kapitel des zweiten Buches seiner Retractationes
Aufschluß; er schreibt dort: "Inzwischen wurden mir von
einigen zwar dem Laienstand ungehörigen, aber trotzdem
der religiösen Studien beflissenen Brüdern Briefe
übersandt, die den christlichen Glauben so von den
Werken trennen wollten, daß sie behaupteten, man könne
zwar nicht ohne den Glauben, wohl aber ohne die Werke
zum ewigen Leben gelangen. Diesen Brüdern wollte ich
antworten und schrieb darum ein Buch mit dem Titel: 'Vom
Glauben und von den Werken'. Darin habe ich nicht bloß
dargelegt, wie die Christen leben müssen, die durch
Gottes Gnade bereits [in der Taufe] wiedergeboren sind,
sondern auch, welcher Art Leute zu diesem Bade der
Wiedergeburt zugelassen werden dürfen." — Ein doppelter
Zweck ist es eigentlich, den der Verfasser mit seiner
kleinen, aber wichtigen Schrift verfolgt: fürs erste ein
prinzipiell-dogmatischer durch scharfe Formulierung der
Lehre vom Verhältnis zwischen dem Glauben und den
persönlichen guten Werken des Christen; fürs zweite
hatte er auch noch eine mehr praktisch-pastorelle
Absicht: die falsche Auffassung vieler, daß der Glaube
allein auch ohne persönliche gute Werke zur Erlangung
des ewigen Lebens schon hinreichend sei, hatte nämlich
auch eine die damalige Katechumenatspraxis schwer
schädigende Irrlehre im Gefolge; esgab gar manche, die
es für völlig hinreichend hielten, wenn der Katechumene
nach einem Unterricht bloß über den christlichen Glauben
einfach im vertrauensvollen Besitz dieses Glaubensgutes
zur Taufe hinzutrat, ohne daß er auch nur die mindeste
Neigung hatte, nun auch sein praktisches religiöses
Leben in Einklang mit dieser christlichen Lehre zu
bringen.
Seitdem die Reformatoren die vom
heiligen Augustinus in der vorliegenden Schrift
bekämpfte sogenannte „Solafideslehre" aufs neue wieder
als einzig richtige christliche Lehre erklärt haben, ist
begreiflicherweise unser Traktat zu gesteigerter
Bedeutung gelangt. Eigentümlich ist die protestantische
Ansicht, daß Luthers Heilslehre gerade mit der des
heiligen Augustinus übereinstimmen soll. Um zu zeigen,
wie schroff sich die Lehre des heiligen Kirchenvaters in
Wirklichkeit von der des Reformators unterscheidet,
stelle ich hier nach dem Vorgang R. Storfs, der unsem
Traktat in der 1. Auflage dieser Sammlung übersetzt hat,
die Lehre der beiden Männer in knappen Sätzen einander
gegenüber:
1. Luther verwirft jede Disposition zur
Rechtfertigung außer dem Glauben, Augustinus aber
verlangt von den Täuflingen außer dem Glauben auch die
Bekehrung von den toten Werken und Abkehr von der
sündigen Welt [c. 8].
2. Luthers rechtfertigender Glaube ist
das Vertrauen auf Christi Verdienst, der Glaube bei
Augustinus ist in erster Linie historisch-dogmatisch und
erst in zweiter Linie subjektiv [c. 9. und 10].
3. Für Luther ist die Rechtfertigung nur
die Nicht-zurechnung der Sünde um Christi willen,
Augustin faßt sie als die völlige Tilgung der Sünde
durch die Taufe [c. 11]. 2. Luthers rechtfertigender
Glaube ist das Vertrauen auf Christi Verdienst, der
Glaube bei Augustinus ist in erster Linie
historisch-dogmatisch und erst in zweiter Linie
subjektiv [c. 9. und 10].
4. Die Gerechtigkeit ist nach Luther die
zugerechnete Gerechtigkeit Christi, die unsere Sünden
verdeckt, nach Augustin ist sie die durch den Heiligen
Geist in unsere Herzen ausgegossene Liebe [c. 14, 23 und
25]. 2. Luthers rechtfertigender Glaube ist das
Vertrauen auf Christi Verdienst, der Glaube bei
Augustinus ist in erster Linie historisch-dogmatisch und
erst in zweiter Linie subjektiv [c. 9. und 10].
5. Nach Luther gehen aus dem Glauben die
Werke hervor wie die Frucht aus dem Baume, sie sind aber
nicht nach ihrer wirklichen Erscheinung, sondern nach
der Gläubigkeit des Einzelnen zu bemessen; nach
Augustinus kommen sie aus der eingegossenen Liebe [c.
14, 21 und 23].
6.Nach Luther geht die imputierte
Gerechtigkeit nur durch die einzige Hauptsünde, den
Unglauben, verloren; nach Augustinus geht die wahre
Gerechtigkeit durch alle Sünden verloren, die nach der
Schrift vom Reiche Gottes ausschließen [c. 15 und 16].
7. Luther verlangt unbedingte Gewißheit
der eigenen Seligkeit selbst beim Bewußtsein der Sünde;
Augustinus verwirft diese Sicherheit als höchst
gefährlich und ruchlos [c. 14 und 22].
8. Luther erklärt die guten Werke für
nutzlos zur Seligkeit; Augustinus erklärt sie für
unbedingt notwendig zur Erlangung des Heiles [c. 15, 16
und 21].
9. Luther verwirft die Einteilung der
Sünden in schwere und geringe, Augustinus kennt [c. 19
und 20] läßliche und Todsünden und teilt die Sünden [c.
27] in drei Klassen.
10. Luther verachtet den Brief des
heiligen Jakobus als Strohepistel; nach Augustinus hätte
sich Jakobus nicht wahrer, kürzer und schroffer
ausdrücken können als dadurch, daß er den Glauben ohne
Werke den Glauben der Teufel nannte [c. 14].
Die erste Sonderausgabe unseres
Schriftchens erschien im Druck zu Köln 1473 [vgl.
Notitia literaria in S. Augustinum, Migne, S. Patrol.
Ser. lat. 47, 42]. Die nachfolgender Sammelausgaben, z.
B. die Baseler des D. Erasmus, die Antwerpener der
theologi Lovanienses, die der Mauriner und andere,
enthalten es gleichfalls; auch in Einzeldrucken erschien
der Traktat noch wiederholt [vgl.
Not. lit. Spalte 146 f.]. Eine
ganz neue Ausgabe besorgte Zycha in dem "Corpus
scriptorum ecclesiasticorum latinorum" der Wiener
Akademie der Wissenschaften. Eine deutsche Übersetzung
wurde erstmals von Dr. K. Hedio 1532 in Straßburg
gedruckt. — In der ersten Auflage der "Bibliothek der
Kirchenväter" gab im 4. Band der Werke des heiligen
Augustinus Remigius Storf eine Übersetzung, der ich
vieles verdanke.
Augustinus
(354-430)
Vom Glauben und von den
Werken
(De
fide et operibus)
1. Kapitel:
Darlegung der
falschen Lehre, die Augustinus mit der vorliegenden
Abhandlung zurückweisen will
. Es gibt Leute, die für
eine unterschiedslose Zulassung aller zum Bade der
Wiedergeburt[2]
in Christus Jesus unserm Herrn sind, selbst wenn diese
ein ganz abscheuliches und durch völlig offenkundige,
schändliche Verbrechen gebrandmarktes Leben nicht ändern
wollen, sondern sogar ungescheut erklären, sie wollten
diesen Wandel auch noch weiterhin beibehalten. Wenn
einer beispielsweise an einer Dirne hängt, so solle man
von ihm nicht verlangen, dieses Weib vor allem zu
verlassen und erst dann zur Taufe zu kommen, sondern
obgleich er sein Verhältnis nicht aufgibt, vielmehr zu
seiner Fortsetzung entschlossen ist und sich zu dieser
Absicht sogar offen erklärt, so solle man ihn doch zur
Taufe zulassen und ihn nicht daran hindern, auch als
hartnäckiges Glied einer Buhlerin ein Glied Christi zu
werden[3]
: nachträglich solle er dann allerdings über die Schwere
seiner Sünde aufgeklärt und nach der Taufe über die
Notwendigkeit einer Lebensbesserung unterrichtet werden.
Sie halten es nämlich für verkehrt und für unzeitig,
einen zuerst über das Wesen des christlichen Wandels zu
belehren und ihn erst dann zu taufen; sie sind vielmehr
der Ansicht, die Spendung des Taufsakramentes müsse
vorangehen und erst dann habe der Unterricht über das
sittliche Leben zu folgen; wolle einer dann in Treue ein
solches Leben führen, so handle er zu seinem Nutzen;
aber selbst wenn er sich dazu nicht herbeilasse, so
werde er trotz seines Verharrens in jeglicher Freveltat
und Unzucht gerettet werden, wenn er nur den
christlichen Glauben festhalte, ohne den er freilich auf
ewig zugrunde gehen würde. Seine Rettung aber werde wie
durch Feuer erfolgen, da er ja ein Mensch sei, der auf
das Fundament Christus nicht Gold und Silber und
Edelsteine, sondern nur Holz und Heu und Stoppeln auf
erbaut habe[4]
, d. h. nicht gerechte und keusche, sondern ungerechte
und unzüchtige Sitten.
2. Zu dieser Behauptung
scheint sie der Brauch veranlaßt zu haben, daß Männer,
die sich nach Entlassung ihrer Frau, oder Frauen, die
sich nach Entlassung ihres Mannes wieder verhexraten,
nicht zur Taufe zugelassen werden[5]
da ja dies nach dem unzweifelhaften Zeugnis Christi des
Herrn nicht eine eheliche Verbindung, sondern ein
Ehebruch ist[6]
. Da sie nun einerseits nicht leugnen konnten, daß das
ein wirklicher Ehebruch sei, was die [ewige] Wahrheit
ganz deutlich als solchen erklärte, und da sie
anderseits doch auch denen wieder zur Taufe verhelfen
wollten, die sie von so starken Fesseln umstrickt sahen,
daß sie im Falle einer Zurückweisung von der Taufe
lieber überhaupt ohne jedes Sakrament leben und sogar
sterben wollten, als das Band des Ehebruches zu
zerreißen und so frei zu werden: so gaben sie einer
Anwandlung menschlichen Mitleidens nach und nahmen sich
der Sache dieser Unglücklichen in der Weise an, daß sie
nicht bloß für ihre, sondern auch für die Zulassung
aller schändlichen Verbrecher stimmten. Diese brauchten
dabei durch keine Abweisung gestraft, durch keine
Unterweisung auf einen guten Weg gebracht und durch
keine Buße gebessert zu sein. Denn würden diese Menschen
nicht getauft, so müßten sie nach der Ansicht ihrer
Fürsprecher auf ewig zugrunde gehen, einmal aber
getauft, würden sie trotz ihres Verharrens in jenen
Sünden durch Feuer gerettet werden.
2. Kapitel:
Das Beispiel des
Moses und des Apostels Paulus zeigt, daß trotz der
Vermischung von Guten und Bösen in der Kirche die Strafe
der Absetzung und Exkommunikation berechtigt ist
. Wenn ich nun Leuten,
die solches lehren, antworte, so stelle ich zu allererst
die Berechtigung in Abrede, solche Zeugnisse der
Heiligen Schrift, welche die Vermischung der Guten und
Bösen in der Kirche für die Gegenwart anzeigen oder für
die Zukunft vorhersagen, so aufzufassen, daß sich jemand
für gänzliche Aufhebung und Preisgabe einer strengen und
sorgfältigen Beobachtung der kirchlichen Zucht
ausspricht. Denn eine solche Meinung hat er nicht aus
den heiligen Büchern gelernt, sondern die hat er sich
auf Grund seines eigenen Gutdünkens fälschlich gebildet.
Moses z. B. der Diener Gottes, ertrug zwar eine solche
Vermischung beim ersten Volke sehr geduldig und doch
bestrafte auch er viele mit dem Schwerte[7]
, und auch der Priester Phinees zückte sein zürnendes
Schwert gegen diejenigen, die er auf dem Ehebruch
ertappte[8]
. Da aber unter den Zuchtmitteln der Kirche das
sichtbare Schwert verschwinden sollte, so sollen
offenbar in unseren Tagen solche Strafen durch Absetzung
und durch Exkommunikation ersetzt werden[9]
. Auch der heilige Apostel [Paulus], der doch inmitten
falscher Brüder so geduldig seufzt[10]
und sogar gestattet, daß einige Christum predigen,
obwohl sie vom Stachel eines teuflischen Neides gequält
werden[11]
, glaubt den nicht schonen zu dürfen, der sich das Weib
seines Vaters zur Frau genommen hat[12]
. Er läßt ihn vielmehr vor versammelter Gemeinde dem
Satan zum Verderben des Fleisches übergeben, damit
wenigstens seine Seele am Tage der Ankunft des Herrn
Jesus gerettet werde. Ebenso hat er auch andere dem
Satan übergeben, auf daß sie es lernten nicht zu lästern[13]
. Oder sagt er wohl umsonst: "Ich habe euch in meinem
Brief geschrieben, mit schamlosen Menschen nicht zu
verkehren, d.h. nicht mit allen Unzüchtigen,
Habsüchtigen, Räubern oder Götzendienern der ganzen Welt
überhaupt; da müßtet ihr ja wohl aus der Welt
hinausgehen. Vielmehr, wenn ein Bruder [ein Christ], so
schrieb ich euch, schamlos ist oder ein Götzendiener,
oder habsüchtig oder ein Lästerer, ein Trunkenbold oder
ein Räuber, so sollt ihr mit ihm nicht einmal zu Tische
sitzen. [Andere Leute hatte ich nicht im Sinne.] Denn
woher käme mir ein Urteil über solche zu, die außerhalb
unserer Kirche stehen? Richtet nicht auch ihr nur über
Gemeindemitglieder? Das Urteil über die Außenstehenden
[die Heiden] wird Gott fällen. Böses aber sollt ihr von
euch selbst entfernen[14]
. Hiebei verstehen einige die Worte "von euch selbst"
so, daß jeder einzelne von seiner Person das Böse
entfernen soll, d.h. daß er für sich selbst gut sei.
Aber mag man's verstehen wie man will, ob so, daß dank
der Strenge der Kirche die Bösen durch Exkommunikation
gebessert werden sollen, oder so, daß jeder durch Strafe
und Besserung das Böse von sich selbst entferne,
jedenfalls hat die oben angeführte Stelle keinen
zweifelhaften Sinn, wo er eine Gemeinschaft mit solchen
Brüdern verbietet, die einem von den erwähnten Lastern
frönen, also bekannte und berüchtigte Übeltäter sind.
3. Kapitel:
Der Apostel Paulus
und der Herr selbst mahnen, aus Bruderliebe einen
Fehlenden unter Umständen auch zu bestrafen
In welcher Gesinnung der Liebe aber jene
barmherzige Strenge angewendet werden soll, das drückt
der Apostel nicht bloß an der Stelle aus, wo er sagt:
„damit die Seele am Tage der Ankunft des Herrn Jesus
gerettet werde[15]
", sondern das zeigt er auch ganz deutlich dort, wo er
spricht: „Wenn aber jemand unsern in diesem Briefe
niedergelegten Worten nicht gehorcht, den merkt euch und
habt keine Gemeinschaft mit ihm, damit er beschämt
werde; doch meine ich nicht, daß ihr ihn als Feind
betrachten sollt: vielmehr weist ihn zurecht als euren
Bruder[16]
!"
4. Auch der Herr, dieses unerreichte
Vorbild der Geduld, der sogar unter seinen zwölf
Aposteln bis zur Stunde seines Leidens einen Teufel
duldete[17]
, hat gesprochen: „Laßt beides wachsen bis zur Ernte,
damit ihr nicht, indem ihr das Unkraut sammeln wollt,
zugleich auch den Weizen mitausreißt[18]
!" Er hat aber auch in dem bekannten Gleichnis von der
Kirche vorhergesagt, daß die Netze bis ans Ufer, d.h.
nämlich bis ans Ende der Welt, gute und schlechte Fische
haben werden[19]
. So hat er noch mancherlei über die Vermischung der
Guten und Bösen bald in klaren Worten, bald in
Gleichnissen gesprochen; und doch glaubte er deshalb
nicht, man dürfe die Zucht in der Kirche aufgeben. Nein,
im Gegenteil: er fordert vielmehr zu ihrer Handhabung
auf mit den Worten: "Sehet zu! Wenn dein Bruder gegen
dich gesündigt hat, so gehe hin und weise ihn unter vier
Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen
Bruder gewonnen. Hört er aber nicht auf dich, so nimm
noch einen oder zwei mit dir, damit jedes Wort im Munde
zweier oder dreier Zeugen liege. Wenn er auf diese
gleichfalls nicht hört, so sage es der Kirche; falls er
nun aber auch auf die Kirche nicht hört, so sei er dir
wie ein Heide oder wie ein Zöllner[20]
". An diese Worte fügt er einen vollgültigen Grund zur
Furcht vor jener Strenge bei, indem er sagt: Was ihr
löset auf Erden, das wird gelöst sein auch im Himmel,
und was ihr bindet auf Erden, das wird gebunden sein
auch im Himmel[21]
." Er verbietet auch, das Heilige den Hunden vorzuwerfen[22]
. Es besteht aber kein Widerspruch zwischen dem Apostel
und dem Herrn, wenn Paulus sagt: „Die Sünder weise in
Gegenwart aller zurecht, damit die übrigen Furcht
bekommen[23]
!", während Christus befiehlt: „Weise ihn zurecht unter
vier Augen[24]
!" Denn beides muß man tun, je nachdem es die
verschiedene Krankheit derjenigen verlangt, deren
Behandlung wir nicht zu ihrem Verderben, sondern zu
ihrer liebevollen Besserung übernommen haben; es braucht
aber dabei für einen jeden Menschen einen eigenen Weg
der Heilung. So gibt es auch in der Kirche Gründe, einen
Bösen manchmal zu dulden, als ob man ihn gar nicht sähe,
und umgekehrt gibt es wieder Gründe, ihn durch Strafe
zurechtzuweisen, ihn gar nicht zuzulassen oder ihn aus
der kirchlichen Gemeinschaft wieder auszuschließen.
4. Kapitel:
Ungesunde
Übertreibung richtiger Grundsätze war schon oft die
Ursache von Irrlehren
. Menschen, die das
rechte Maß nicht einzuhalten wissen, geraten auf
Irrwege, und wenn sie einmal einseitig abschüssige
Bahnen zu betreten angefangen haben, dann schauen sie
gar nicht mehr auf die Beweisstellen der Heiligen
Schrift; und doch bekämen sie dadurch die Möglichkeit,
von ihrer falschen Meinung abzukommen und sich einer aus
den dafür und dagegen sprechenden Schriftworten
gemischten Wahrheit und Mäßigkeit zu erfreuen. Dies gilt
nicht bloß von der eben angeregten Frage, sondern auch
noch von vielen anderen.
Manche sahen z. B. nur
auf diejenigen Stellen der Heiligen Schrift, welche die
Verehrung des einen Gottes einschärfen und hielten die
Person, die nur Sohn ist, zugleich auch für den Vater
und den Heiligen Geist (Dies taten die Patripassianer
und Sabellius; vgl. Pohle, Lehrbuch der Dogmatik, I.
Bd., 1911 S. 306 ff.) . Andere wiederum litten sozusagen
an der gegenteiligen Krankheit: sie achteten nur auf
diejenigen Schriften, worin die Dreiheit der Personen
erklärt wird, konnten aber nicht verstehen, wie es denn
nur einen Gott geben könne, während doch der Vater nicht
der Sohn und der Sohn nicht der Vater und der Heilige
Geist weder Vater noch Sohn sei. Sie glaubten darum auch
eine Verschiedenheit im Wesen behaupten zu müssen (Dies
taten die Subordinatianer, vor allem Arius [vgl. die
Lehre des Macedonianismus und der Pneumatomachen]. Siehe
Pohle, a.a.O. S. 310 ff.) . — Es gab dann auch solche,
die auf jene Stellen der Heiligen Schrift schauten, die
ein Lob der Jungfräulichkeit enthielten: solche Leute
verwarfen natürlich die Ehe (Nämlich die Eustathianer
und Manichäer; selbst der hl. Hieronymus hält sich im
Kampf für die Jungfräulichkeit nicht von Übertreibungen
frei.) . Andere hinwieder hatten es auf diejenigen
Zeugnisse abgesehen, durch welche die Keuschheit der Ehe
gerühmt wird, und hielten Ehestand und Jungfräulichkeit
für gleichwertig (Vertreter dieser Ansicht waren vor
allem die Gegner des hl. Hieronymus: Helvidius, Jovinian
und Vigilantius. [Vgl. die Übersetzung der Werke des hl.
Hieronymus in unserer Sammlung!]. — Da einige lasen: "Es
ist gut, Brüder, kein Fleisch zu essen und keinen Wein
zu trinken (Röm. 14,21.) " und einiges Ähnliche, so
hielten sie das von Gott Geschaffene, und beliebige
Speisen für unrein (Augustinus dachte als ehemaliger
Manichäer wohl zunächst an diese Sekte.) Andere dagegen
lasen: „Alles was Gott geschaffen hat, ist gut und
nichts von dem darf man verwerfen, was mit Danksagung
genossen wird (1 Tim. 4,4. Vgl. z.B. die vom hl.
Hieronymus so genannten Culinarier.) ": und darum ließen
sie sich zu Gefräßigkeit und Trunksucht hinreißen; denn
sie vermochten sich von den einen Lastern nicht frei zu
halten ohne daß nicht auf der anderen Seite ebenso
große, ja vielleicht noch größere an ihre Stelle traten.
6. Auch in dem Falle, den
wir gerade behandeln sehen manche nur auf jene strengen
Gebote, die uns ermahnen, Ruhestörer zurechtzuweisen,
das Heilige nicht den Hunden vorzuwerfen, einen
Verächter der Kirche den Heiden gleichzuachten und ein
Glied, das uns ärgert, von der Verbindung mit dem Körper
zu trennen (1 Thess. 5,14; Mark. 7,27; Matth. 18,17;
5,29.) . Solche Leute bringen aber Unruhe in die Kirche,
da sie schon vor der Zeit das Unkraut aussondern wollen
und so blind in ihren Irrtum verrannt sind, daß sie sich
lieber selbst von der Einheit mit Christus trennen.
Dieser Fall liegt beispielsweise in unserm Streit gegen
das Schisma des Donatus (Gemeint ist Donatus der Große,
der Organisator des donatistischen Schismas.) vor: wir
meinen dabei nicht diejenigen Donatisten, die es mit dem
durch unwahre und verleumderische Beschuldigungen
angegriffenen [Bischof] Caecilianus (Dem rechtmäßigen
Bischof Caecilianus warf die Partei der Lucilla vor, er
habe in der Zeit der diokletianischen Verfolgung die
gefangenen Christen zu hart behandelt.) halten und nun
aus todbringender Scham ihre verderbliche Ansicht nicht
aufgeben wollen, sondern wir meinen jene Donatisten,
denen wir zurufen dürfen: "Selbst wenn diejenigen
wirklich böse gewesen wären, deretwegen ihr euch von der
Kirche getrennt habt, so hättet ihr doch jene, die ihr
weder bessern noch auch aus der Kirche ausschließen
konntet, ertragen sollen und selber in der Kirche
bleiben müssen." So aber gleichen sie ungestümen
Eiferern, die das Unkraut schon vor der Reife des
Getreides absondern wollten und die wegen dieses
Übereifers sich sogar von ihren geduldigeren Mitbrüdern
trennten.
Wieder andere laufen von
der entgegengesetzten Seite her Gefahr: Sie wissen gar
wohl, daß die Vermischung der Guten und Bösen in der
Kirche uns deutlich vorhergesagt ist und sie kennen auch
die Gebote der Geduld, "die uns so stark machen, daß wir
trotz des Unkrautes, das sich in unserer Kirche zeigt,
in unserem Glauben und in unserer Liebe doch nicht
behindert werden und nicht wegen des Unkrautes, das wir
in der Kirche wahrnehmen, unsererseits selbst die Kirche
verlassen (Cyprian, ep. 51 ad confessores de schismate
reveraoe.) ". Sie sind aber der Ansicht, es müsse
überhaupt eine völlige Umgestaltung (Wir haben hier eine
schwankende Leseart; die Handschriften geben „destituendam",
was ich durch meine Übersetzung ausgedrückt zu haben
glaube. Die Herausgeber lesen aber meistens „instituendam"
und denken dabei an die neue Belehrung der Kirche durch
Laien.) der kirchlichen Disziplin eintreten und räumen
darum den [kirchlichen] Vorstehern eine ganz verkehrte
Sicherheit ein: deren einzige Aufgabe soll es nämlich
sein, einfach zu sagen, was man allgemein zu tun und zu
lassen habe; was aber der einzelne Christ tue, das gehe
sie gar nichts an (Sie sind also nur doctores, aber
nicht pastores, noch viel weniger iudices ihrer
Gemeinde; sie haben also überhaupt kein Recht, darüber
zu bestimmen, ob jemand aus der Kirche ausgeschlossen
werden soll oder nicht.) .
5. Kapitel:
Im Interesse des
kirchlichen Friedens und der Einigkeit müssen auch Böse
ertragen werden; doch darf die Zucht nicht erschlaffen
. Wir für unsere Person
aber sind der Meinung, eine gesunde Lehre erfordere es,
sich im praktischen Leben und in der persönlichen
Ansicht nach beiderlei Schriftzeugnissen zu richten,
d.h. einerseits die "Hunde" um des lieben Friedens
willen in der Kirche zu ertragen, andererseits aber
auch, sobald der Friede in der Kirche einmal gesichert
ist, den Hunden nichts Heiliges vorzuwerfen[25]
. Wenn wir also sehen müssen, daß wegen der
Nachlässigkeit der Vorsteher oder infolge einer
entschuldbaren Notlage oder auf Grund heimlichen
Einschleichens böse Menschen in der Kirche sind, die wir
durch kein Mittel der kirchlichen Zucht zu bessern oder
zu zügeln vermögen, so beschleiche unser Herz nicht der
unchristliche und verderbliche Wahn, als müßten wir uns
von solchen Menschen trennen, um uns nicht selbst mit
ihren Sünden zu verunreinigen. Wir dürfen auch nicht den
Versuch machen, einzelne Schüler als Reine und Heilige
von der alle verbindenden Einheit weg an uns zu ziehen,
gerade als hätten wir sie damit von der Gesellschaft der
Bösen getrennt. Vielmehr sollen wir uns in solchen
Fällen der Gleichnisse der Heiligen Schrift, der
göttlichen Weissagungen oder zuverlässiger Beispiele
erinnern, wodurch uns ganz deutlich vorausgesagt ist,
daß in der Kirche bis ans Ende der Welt und bis zum Tag
des Gerichtes mit den Guten immer auch Böse vermischt
sein werden, ohne daß sie den Guten schaden, die zwar
die nämliche kirchliche Einheit und die nämlichen
Sakramente haben [wie die Bösen], mit ihren Werken aber
keineswegs einverstanden sind.
Wenn aber die kirchlichen
Vorsteher in Zeiten, wo ruhiger Friede in der Kirche
herrscht, die Gewalt haben, mit den Mitteln der Zucht
gegen ruchlose Übeltäter einzuschreiten, so müssen wir,
um nicht in die Gefahr träger Erschlaffung zu geraten,
uns durch andere Stacheln der zur strengen Handhabung
der Zucht gehörigen Vorschriften antreiben lassen, unter
Führung und mit der Hilfe des Herrn unsere Schritte auf
seinem Wege so zu lenken, daß wir beiden
Schriftforderungen gerecht werden, nämlich weder unter
dem Deckmantel der Geduld zu erschlaffen, noch unter dem
Vorwand der Sorgfalt zu wüten.
6. Kapitel:
Die Unterweisung
in der christlichen Glaubens- und Sittenlehre hat ohne
Zweifel schon vor dem Empfang der heiligen Taufe zu
erfolgen
. Nachdem wir nun nach
der gesunden Lehre diese Einschränkung gemacht haben,
wollen wir wieder zu unserm Gegenstand zurückkehren, ob
man nämlich zum Empfang der Taufe jedermann zulassen
soll, ohne daß man sorgfältig darüber wacht, daß das
Heilige nicht den Hunden vorgeworfen werde; und zwar, ob
das bis zu dem Grade gelten soll, daß nicht einmal
offenkundige Ehebrecher, die sich sogar dauernd diesem
Laster verschrieben haben, von einem so heiligen
Sakrament zurückgewiesen werden sollen. Solche Leute
würden ohne Zweifel nicht zur Taufe[26]
zugelassen werden, wenn sie erklärten, an jenen Tagen,
wo sie diese Gnade empfangen wollen und sich nach ihrer
Anmeldung durch Enthaltsamkeit, Fasten und Exorzismen
reinigen, würden sie mit ihren rechtmäßigen und wahren
Ehegattinnen in geschlechtlichen Verkehr treten und
nicht einmal an jenen paar Festtagen auf ein Recht
verzichten, das ihnen zu anderen Zeiten zustehe[27]
. Wenn man also schon einen verheirateten Mann, der sich
bloß nicht an einen Brauch halten will, nicht zuläßt,
wie soll dann zu jenem hochheiligen Sakrament ein
Ehebrecher zugelassen werden, der von einer Besserung
nichts wissen will?
Aber sagen sie: man soll
ihn nur erst einmal taufen, dann belehre man ihn über
alles, was zu einem guten und gesitteten Leben gehört.
Es kommt wohl vor, daß einer im Drange des nahenden
Todes auf nur wenige, aber alles umfassende Worte hin
glaubt und das Sakrament der Taufe empfängt, um beim
Scheiden aus diesem Leben frei von der Makel aller
früher begangenen Sünden zu sterben. Wenn aber ein
Gesunder um Zulassung zur Taufe bittet und er Zeit hat,
um sich zu unterrichten[28]
, was ließe sich da für eine passendere Zeit finden, um
zu hören, wie man ein gläubiger Christ werden und als
solcher leben soll, als gerade jene, wo er mit einer
besonders achtsamen und gerade durch religiöse Ehrfurcht
gehobenen Geistesverfassung nach dem Empfang des
Sakramentes verlangt? Oder sind wir so von Sinnen, daß
wir uns gar nicht einmal mehr erinnern können, mit welch
gespannter Aufmerksamkeit wir auf die Lehren unserer
Katecheten lauschten, als wir nach jener geheimnisvollen
Quelle [der heiligen Taufe] verlangten und wir deshalb
Kompetenten[29]
genannt wurden? Oder sehen wir es nicht auch an jenen
anderen, die alljährlich zum Bade der Wiedergeburt
hineilen, wie sie sich in jenen Tagen ihres ersten
religiösen Unterrichtes, der Exorzismen und Prüfungen
betragen, wie sie sich zusammennehmen, um ja keine
Versammlung zu versäumen, wie glühend ihr Eifer, wie
groß ihre Sorgfalt ist? Wenn es dann nicht an der Zeit
ist, es zu lernen, welcher Lebenswandel diesem so
herzlich ersehnten großen Sakrament angemessen ist, wann
soll es sonst geschehen? Wirklich vielleicht erst dann,
wenn sie trotz ihres Verharrens in so großen Lastern die
Taufe bereits empfangen haben? Nach einer solchen Taufe
sind sie ja doch keine neuen Menschen, sondern immer
noch die alten, schuldbeladenen Sünder. Es nimmt sich
wahrlich recht sonderbar aus zu sagen: "Ziehet den neuen
Menschen an!", und erst dann, wenn sie diesen angezogen
haben, zu sagen: "Ziehet den alten Menschen aus!",
während doch der Apostel die gesunde Ordnung einhält,
wenn er spricht: "Ziehet den alten Menschen aus und den
neuen an[30]
!" Auch der Herr selbst ruft aus: „Niemand näht einen
neuen Fleck auf ein altes Kleid und niemand füllt neuen
Wein in alte Schläuche[31]
." Was hat aber die ganze Zeit, während der sie Stellung
und Name eines Katechumenen haben, für einen anderen
Zweck, als daß sie das Wesen des christlichen Glaubens
und Lebens zu hören bekommen, damit sie, wenn sie sich
selbst geprüft haben, vom Tische des Herrn essen und von
seinem Blute trinken? Denn "ein jeder, der unwürdig
davon ißt und trinkt, der ißt und trinkt sich das
Gericht[32]
". Was aber schon während der ganzen Zeit geschieht,
welche die Kirche heilsam dazu bestimmt hat, daß die
angehenden Christen Katechumenen werden können, das
geschieht mit noch viel dringenderer Sorgfalt in den
Tagen, wo sie sich bereits zum Empfang der Taufe
angemeldet haben und schon Kompetenten heißen.
7. Kapitel:
Aus der Lehre der
Apostelbriefe können die Gegner des heiligen Augustinus
ihre Behauptung nicht beweisen
. "Ja", sagen meine
Gegner, "wie ist es aber dann, wenn eine Jungfrau
unbewußt einen fremden [Ehe-]mann geheiratet hat?" Wenn
sie es niemals erfährt, wird sie darum auch niemals eine
Ehebrecherin sein; erfährt sie es aber, dann ist sie von
dem Zeitpunkt an eine Ehebrecherin, wo sie wissentlich
dem fremden Manne beiwohnt. So gilt ja einer auch im
Güterrecht solange mit vollem Recht als rechtmäßiger
Besitzer, als er nichts davon weiß, daß er fremdes Gut
besitzt; weiß er es aber einmal und trennt er sich
trotzdem von dem fremden Besitze nicht, dann gilt er als
unrechtmäßiger Besitzer und muß sich mit Fug und Recht
einen ungerechten Menschen heißen lassen. Ferne sei es
von uns, darüber Schmerz zu empfinden, wenn solche
Vergehen wieder gutgemacht werden, gerade als ob dadurch
eine Ehe zerrissen würde. Ein solcher Schmerz würde ja
nicht einem menschlichen Gefühle, sondern einem
törichten Wahne entspringen. Besonders aber gilt dies im
Staate unseres Gottes, auf seinem heiligen Berge[33]
, d.h. in der Kirche, wo nicht bloß ein [natürliches]
Eheband, sondern ein heiliges Ehesakrament empfohlen
wird, so daß es einem Manne nicht erlaubt ist, sein Weib
einem anderen zu überlassen, eine Tat, die man im
römischen Staat einem Cato nicht bloß nicht als Schuld,
sondern sogar als Lob angerechnet haben soll[34]
. Doch hierüber brauche ich mich nicht weiter zu äußern,
da meine Gegner ja gar nicht zu behaupten wagen, so
etwas sei keine Sünde und auch nicht sagen, es sei kein
Ehebruch. Sie würden auch sonst ganz offenbar dem Herrn
und seinem heiligen Evangelium widersprechen. Sie
fordern vielmehr bloß, man solle solche Leute zum
Empfang des Sakramentes der Taufe und zum Tische des
Herrn zulassen, wenn sie auch ganz ausdrücklich von
einer Besserung nichts wissen wollen. Ja man dürfe sie
dazu überhaupt nicht einmal auffordern, sondern man
solle sie erst nachher darüber unterrichten. Würden sie
sich dann zur Beobachtung des Gebotes verstehen und ihre
Schuld gut machen, dann sollten sie für Weizen gelten,
würden sie sich aber dessen weigern, so seien sie wohl
Unkraut, [müßten aber trotzdem geduldet werden]: mit
dieser Forderung zeigen sie doch deutlich genug, daß sie
jene Verbrechen nicht verteidigen oder sie nur als
leichte und nichtige betrachten wollen. Denn welcher
gutgesinnte Christ möchte wohl den Ehebruch für gar kein
oder auch nur für ein geringes Verbrechen halten?
11. Den Zeitpunkt
freilich, wann man dergleichen am Mitmenschen tadeln
oder wann man es ertragen soll, glauben sie der Heiligen
Schrift entnehmen zu können. Wie sie sagen, hätten
nämlich die Apostel auch so gehandelt wie sie; sie
bringen auch wirklich aus deren Briefen einige Stellen
bei, aus denen man wohl sehen kann, daß die Apostel
zuerst die Lehre vom Glauben eingeschärft und erst dann
die Sittenvorschriften gegeben haben. Diese Tatsache
wollen sie nun so verstanden wissen, daß den Täuflingen
nur die Glaubenslehre eingeprägt und erst den schon
Getauften die nötigen Vorschriften zur Lebensbesserung
gegeben werden dürfen. Sie tun dabei, als läsen sie
einige Briefe der Apostel, die dort, wo sie vom Glauben
allein handeln, bloß an Täuflinge gerichtet seien,
während andere Briefe, deren Inhalt sich mit der
Aufstellung von Vorschriften über Vermeidung des
Schlechten und Aneignung des Guten sich beschäftigt, die
schon getauften Christen angingen. Aber wenn demnach
feststehen soll, daß diese letzteren Briefe an schon
getaufte Christen gerichtet sind, warum bestehen sie
dann doch aus Vorschriften doppelten Inhaltes, aus
Glaubens- und aus Sittenlehren[35]
? Oder meinen sie, daß man zwar nicht den Täuflingen,
aber doch den schon Getauften beide übergeben soll? Das
wäre eine törichte Behauptung. Aber dann müssen sie auch
zugeben, daß die Apostel ihre aus beiden [der Glaubens-
und Sittenlehre] vollkommen zusammengesetzte Lehre in
ihren Briefen niedergelegt haben und daß sie nur deshalb
meistens zuerst den Glauben gelehrt und dann erst die
auf ein gutes Leben hinzielenden Vorschriften beigefügt
haben, weil in keinem Menschen ein gutes Leben
nachfolgen kann, wenn nicht zuvor der Glaube vorangeht.
Denn alles, was der Mensch, wie man sagt, "recht" tut,
verdient diesen Namen bloß, wenn es seinen Grund in
kindlicher Liebe zu Gott hat.
Wenn aber einige
törichte und allzu unerfahrene Menschen glaubten, die
Briefe der Apostel seien an Katechumenen geschrieben,
dann müßten gewiß auch diese zugeben, daß schon den noch
nicht Getauften zugleich mit den Regeln des Glaubens
auch die mit dem Glauben in Zusammenhang stehenden
Sittenvorschriften gelehrt werden müssen; es müßte schon
sein, daß sie uns überzeugen könnten, bloß die ersten,
vom Glauben handelnden Teile der apostolischen Briefe
dürften von den Katechumenen gelesen werden, die
späteren Teile aber, mit ihren Vorschriften über das
christliche Leben, von den Gläubigen: doch dies wäre
eine ganz törichte Behauptung. Es läßt sich also aus den
Briefen der Apostel kein Beweis für die Annahme
erbringen, daß wir glauben müßten, man dürfe deshalb die
Täuflinge bloß über den Glauben und erst die schon
Getauften über die Sittenlehre unterrichten, weil die
Apostel in den ersten Teilen ihrer Briefe den Glauben
empfohlen und erst nachher folgerichtig die Gläubigen zu
einem guten Leben ermahnt haben. Denn wenn schließlich
auch die eine Lehre früher, die andere später behandelt
wird, so muß man doch nur allzu oft beide Lehren in
einem Redefluß, und zwar vor Katechumenen sowohl wie vor
Gläubigen, vor Täuflingen und schon getauften Christen
zum Zwecke des Unterrichtes, der [gedächtnismäßigen]
Wiederauffrischung, des Bekenntnisses und der Stärkung
durch eine gesunde und sorgfältige Belehrung predigen.
Darum mögen sie zu den Briefen des Petrus und Johannes,
woraus sie einige Zeugnisse entnehmen, immerhin auch
noch die Briefe des Paulus und anderer Apostel
hinzufügen: ihre Wahrnehmung, daß diese zuerst vom
Glauben und erst dann von den Sitten sprachen, ist doch
so zu verstehen, wie ich nach meiner Ansicht ganz
deutlich gezeigt habe.
8. Kapitel:
Die erste Predigt
des heiligen Petrus bezeugt die Notwendigkeit der Buße
und der Abkehr vor der Welt für alle, die getauft werden
wollen
. "Aber in der
Apostelgeschichte", sagen sie, "hat Petrus jene
dreitausend Leute, die sich auf sein Wort hin an einem
Tage taufen ließen, nur so angeredet, daß er allein den
Glauben an Christus predigte." Aber er antwortete ihnen
doch auf ihre Frage: "Was sollen wir tun?" mit den
Worten: "Tut Buße und ein jeder von euch lasse sich
taufen im Namen dos Herrn Jesus Christus zur Vergebung
seiner Sünden und ihr werdet die Gabe des Heiligen
Geistes empfangen[36]
!" Warum beachten sie also die Worte nicht: "Tut Buße!"?
Darin ist nämlich die Forderung enthalten, das alte
Leben auszuziehen, damit man in der Taufe ein neues
anziehen könne. Wem soll aber eine Buße fruchten, die
dann nur über tote Werke geübt wird, wenn einer im
Ehebruch verharrt oder in anderen bösen Taten, in denen
die Liebe zur Welt sich ergeht?
13. "Aber", sagen sie,
"Christus wollte ja überhaupt nur, sie sollten Buße tun
für den Unglauben gegen ihn." Merkwürdige
Voreingenommenheit, um keinen schärferen Ausdruck zu
gebrauchen! Mit dem Worte "Tut Buße!" sind also nur
Werke des Unglaubens gemeint! Und doch soll nach der
Lehre des Evangeliums das alte Leben in ein neues
verwandelt werden. Dazu gehört doch gewiß auch jene
Stelle, wo der Apostel sagt: "Wer gestohlen hat, der
stehle weiterhin nicht mehr[37]
!" und all die anderen, in denen er auseinanderlegt, was
es heiße, den alten Menschen aus- und einen neuen
anzuziehen.
Aber selbst in den Worten
des Petrus hätten sie bei einiger Sorgfalt und
Aufmerksamkeit etwas finden können, was für sie
beherzigenswert wäre: denn seinen Worten: "Tut Buße und
ein jeder von euch lasse sich taufen im Namen des Herrn
Jesus Christus zur Vergebung seiner Sünden und ihr
werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen; denn uns
gilt die Verheißung und unseren Kindern und allen, die
ferne sind, soviele ihrer der Herr, unser Gott, berufen
hat[38]
", fügte der Verfasser des Buches[39]
sofort noch die Bemerkung hinzu: "Auch noch mit vielen
anderen Worten gab Petrus Zeugnis, indem er sprach:
'Reißet euch los von dieser verkehrten Welt!' Jene aber
nahmen seine Worte sehr gierig auf und glaubten und
ließen sich taufen; und es wurden an diesem Tage [der
Gemeinde] an dreitausend Seelen hinzugefügt[40]
." Wer sähe da nicht ein, daß Petrus mit den vielen
anderen Worten, die vom Verfasser der Kürze halber nicht
wiedergegeben sind, darauf hinzielte, sie sollten sich
von dieser verkehrten Welt losreißen; denn das ist ja in
knapper Form die Grundlehre dessen, was er ihnen mit
vielen Worten nahebringen wollte. Der Satz: "Reißet euch
los von dieser verkehrten Welt!" ist eben der
Hauptinhalt seiner Worte. Um dies Ziel zu erreichen, gab
Petrus mit mehreren Worten Zeugnis. Diese umfaßten die
Verurteilung der toten Werke, welche die Liebhaber
dieser Welt ruchlos verüben, und die Empfehlung eines
guten Lebens, das eben jene treu einhalten sollen, die
sich von dieser verkehrten Welt losreißen. Meine Gegner
sollen demnach nur die Behauptung aufzustellen wagen,
der reiße sich von der verkehrten Welt los, der nur fest
an Christus glaubt, sonst aber in allen möglichen
Lastern verharrt und selbst den Ehebruch feierlich[41]
gelobt. Ist aber eine solche Behauptung sündhaft, dann
sollen aber auch die Täuflinge nicht bloß zu hören
bekommen, was sie zu glauben haben, sondern auch, wie
sie sich von dieser verkehrten Welt losreißen können.
Schon in diesem Zeitpunkt müssen sie hören, wie sie als
Gläubige einmal [nach der Taufe] zu leben haben.
9. Kapitel:
Das Beispiel des
von Philippus getauften Kämmerers beweist nicht, daß zur
Taufe das bloße Bekenntnis der Gottheit Christi
hinreichend sei
. Meine Gegner werfen mir
ein: "Jener Eunuch, den Philippus taufte, sagte doch
auch nur: 'Ich glaube, daß Jesus Christus Gottes Sohn
ist[42]
', und wurde auf dieses Bekenntnis hin sogleich
getauft." Soll also jemand nur dies zu antworten
brauchen, um sofort getauft zu werden? Soll der Katechet
nichts lehren und der Glaubende nichts bekennen vom
Heiligen Geist, nichts von der heiligen Kirche, nichts
von der Sündenvergebung, nichts von der Auferstehung der
Toten, ja schließlich sogar von unserm Herrn Jesus
Christus nur, daß er Gottes Sohn sei, aber nichts von
seiner Menschwerdung aus der Jungfrau, von seinem
Leiden, seinem Kreuzestod, seiner Grablegung, seiner
Auferstehung am dritten Tag, von seiner Himmelfahrt und
von seinem Sitzen zur Rechten des Vaters[43]
?
Wenn nun beim Eunuchen
die Antwort: "Ich glaube, daß Jesus Christus der Sohn
Gottes ist" wirklich hinreichend erschien, auf daß er
sofort getauft wurde und seine Reise fortsetzen durfte,
warum folgen wir dann diesem Beispiel nicht? Warum ahmen
wir es nicht nach und lassen all das andere weg, was wir
[jetzt] für notwendig halten, selbst wenn die Kürze der
Zeit die Taufe dringend erscheinen läßt? Denn sogar in
diesem Notfall stellen wir unsere Fragen und lassen den
Täufling auf alles antworten, auch wenn er es nicht im
Gedächtnis behalten kann. Wenn aber die Heilige Schrift
von all dem schwieg, was Philippus sonst noch mit seinem
Täufling, dem Eunuchen, tat, und weiter keine Erklärung
gab, sondern in den Worten: "Es taufte ihn aber
Philippus[44]
" alles eingeschlossen wissen wollte, was in der
Heiligen Schrift der Kürze halber wohl wegbleiben
durfte, obwohl es, wie wir wissen, nach der
überlieferten Ordnung geschehen mußte[45]
, so ist geradeso unzweifelhaft mit den Worten, es habe
Philippus dem Eunuchen das Evangelium vom Herrn Jesus
gepredigt, auch gemeint, er habe ihn auch darüber
unterrichtet, was zum sittlichen Leben eines solchen
Menschen gehört, der an den Herrn Jesus glaubt. Denn das
heißt eben Christus predigen, daß man nicht bloß das
sagt, was man von Christus glauben muß, sondern auch,
was der zu beobachten hat, der in die Verbindung mit dem
Leibe Christi eintreten will: alles muß da gesagt
werden, was von Christus zu glauben ist, nicht nur,
wessen Sohn er ist, von wem er nach seiner Gottheit und
von wem er dem Fleische nach gezeugt ist, was und warum
er gelitten hat, worauf die Kraft seiner Auferstehung
beruht, was für eine Gabe des Heiligen Geistes er seinen
Gläubigen versprochen und wirklich verliehen hat,
sondern auch, welche Art von Glieder er als das Haupt
sucht, belehrt, liebt, befreit und zum ewigen Leben der
Herrlichkeit führt. Wenn solches gesagt wird, dann wird
Christus zwar bald kürzer und knapper, bald wieder in
breiterer und reicherer Form gepredigt, aber es wird
doch nicht bloß von dem gesprochen, was zum Glauben,
sondern auch von dem, was zum sittlichen Leben eines
Gläubigen gehört.
10. Kapitel:
Die Worte des
Apostels Paulus, er wisse nur Christus den Gekreuzigten,
schließen auch die ganze Lehre vom Werke Christi, von
der Selbstkreuzigung und der Liebe in sich
. Geradeso[46]
läßt sich auch das von meinen Gegnern angeführte Wort
des Apostels Paulus auffassen: "Ich behauptete nicht,
unter euch etwas anderes zu wissen als Christus Jesus,
und zwar den Gekreuzigten[47]
." Diese Stelle verstehen sie so, als sei damit den
Korinthern nur eingeschärft worden, zunächst einmal zu
glauben und erst nach der Taufe die Anforderungen eines
sittlichen Lebens kennen zu lernen. Dies, sagen sie,
habe dem Apostel vollständig genügt. [Es ist das der
gleiche Apostel,] der ihnen auch gesagt hat, sie hätten
wohl viele Lehrmeister in Christus, aber nicht viele
Väter; denn er selbst habe sie ja in Christus Jesus
durch das Evangelium gezeugt[48]
. Dieser Apostel hat sie also durch das Evangelium
gezeugt, obwohl er Gott dankt, daß er keinen aus ihnen
getauft habe als den Crispus, den Caius und das Haus des
Stephanas[49]
. Wenn er nun die Korinther wirklich über nichts anderes
unterrichtet hat, als nur über Christus den
Gekreuzigten, was soll man dann einem entgegenhalten,
der infolgedessen behauptet, sie hätten bei ihrer
Erzeugung durch das Evangelium nicht einmal von der
Auferstehung Christi etwas gehört? Warum sagt aber
Paulus zu ihnen: "Ich habe euch zunächst überliefert,
daß Christus gestorben ist nach dem Zeugnis der Schrift
und daß er begraben worden ist und daß er am dritten
Tage auferstanden ist nach der Schrift[50]
", wenn er sie über nichts anderes belehrt hat, als nur
über den Gekreuzigten? Wenn sie aber die Stelle nicht so
verstehen und zugeben[51]
, daß auch noch diese Glaubenstatsachen zur Lehre von
Christus dem Gekreuzigten gehören, dann sollen sie auch
wissen, daß der Begriff "Christus der Gekreuzigte" den
Menschen gar vieles zu sagen hat, und zwar vor allem,
daß unser alter Mensch zugleich mit ihm gekreuzigt
wurde, damit der Leib der Sünde ausgezogen werde und wir
nicht mehr weiterhin der Sünde dienen[52]
. Daher sagt der Apostel auch über sich selbst: "Ferne
sei es von mir, mich in etwas anderem zu rühmen als im
Kreuze unseres Herrn Jesus Christus, durch den mir die
Welt gekreuzigt ist und ich der Welt[53]
." Sie sollen daher nur recht achtsam darauf sehen, wie
denn Christus der Gekreuzigte gelehrt und gelernt wird,
und sie werden erkennen, daß es zu seinem Kreuze gehört,
daß auch wir in seinem Leib der Welt gekreuzigt werden.
Man versteht aber darunter jede Bezähmung "böser
Gelüste: es ist daher unmöglich, daß denjenigen, die
durch das Kreuz Christi gebildet werden[54]
, offenkundiger Ehebruch erlaubt wird.
Denn auch der Apostel
Petrus erinnert bezüglich des Sakramentes dieses
Kreuzes, d. h. des Leidens Christi, daran, es müßten
jene, die durch dasselbe geweiht werden, zu sündigen
aufhören. Er spricht nämlich also: "Da nun Christus dem
Fleische nach gelitten hat, so waffnet euch mit dem
nämlichen Gedanken; denn wer dem Fleische nach gestorben
ist, der hat aufgehört zu sündigen, um fortan nicht mehr
nach den Gelüsten der Menschen, sondern nach dem Willen
des Herrgottes die noch übrige Zeit im Fleische zu leben[55]
usw." Damit zeigt er ganz richtig, daß zu Christus dem
Gekreuzigten, d.h. der im Fleische gelitten hat, nur
jener gehört, der an seinem eigenen Leib seine
fleischlichen Gelüste gekreuzigt hat und gut lebt durch
das Evangelium.
16. Was soll man aber
dazu sagen, daß nach der Ansicht meiner Gegner auch jene
zwei Gebote, an denen nach dem Worte des Herrn das ganze
Gesetz und die Propheten hängen[56]
, für die Wahrheit ihrer Meinung sprechen? Sie sagen
nämlich, weil es im ersten Gebot heiße: "Du sollst den
Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen, aus
deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Gemüte[57]
!", so bezieht sich dieses erste, die Liebe zu Gott
vorschreibende Gebot auf die Täuflinge, während sich das
zweite Gebot, das dem ersten ähnlich ist: "Du sollst
deinen Nächsten lieben wie dich selbst[58]
!" auf schon Getaufte beziehe, weil es sich hier, wie
sie glauben, um sittliche Gebote fürs menschliche Leben
handle. Dabei vergessen sie aber ganz jene
Schriftstelle: "Wenn du deinen Bruder nicht liebst, den
du doch siehst, wie wirst du da Gott lieben können, den
du nicht siehst[59]
?" und jene andere, die in dem gleichen Johannesbrief
steht: "Wenn jemand die Welt liebt, in dem wohnt die
Liebe zum Vater nicht[60]
." Wohin anders aber gehört jegliche Schandtat böser
Sitten, als zur Liebe zu dieser Welt? Darum kann auch
jenes erste Gebot, das sich ihrer Ansicht nach an die
Täuflinge wendet, ohne gute Sitten durchaus nicht
beobachtet werden. Doch ich will mich dabei nicht mehr
länger aufhalten: denn bei sorgfältiger Betrachtung
zeigt sich, daß diese beiden Gebote so enge miteinander
verbunden sind, daß weder die Gottesliebe ohne
Nächstenliebe, noch die Nächstenliebe ohne Gottesliebe
im Menschen bestehen kann. Für unsere Frage genügt aber
auch das schon, was wir über diese beiden Gebote jetzt
gesagt haben.
11. Kapitel:
Die Tatsache, daß
die Israeliten noch vor der Gesetzgebung auf dem Sinai
durch das Rote Meer gingen, spricht auch nicht für eine
unbedingte Zulassung zur Taufe
. "Aber das Volk Israel
wurde zuerst durch das Rote Meer geführt, was doch ein
Vorbild der Taufe war, und erst dann empfing es das
Gesetz, um zu lernen, wie es zu leben habe." Warum
übergeben wir denn den Täuflingen das Symbolum[61]
und fordern seine Wiedergabe? Denen gegenüber, die Gott
durch das Rote Meer geführt und so aus der Gewalt der
Ägypter befreit hat, ist doch dergleichen nicht
geschehen? Das sehen nun meine Gegner wohl ein, daß
diese Handlung durch das vorausgehende Geheimnis der
Besprengung der Türpfosten mit dem Blute des Lammes und
der ungesäuerten Brote der Reinheit und Wahrheit
angedeutet wurde. Warum begreifen sie dann folgerichtig
nicht auch, daß die Trennung von den Ägyptern das
Aufgeben der Sünden bedeute, das die Täuflinge geloben?
Hierher gehört nämlich das Wort des Petrus: "Tut Buße
und ein jeder von euch lasse sich taufen im Namen
unseres Herrn Jesus Christus[62]
!" Das ist geradeso, als wollte er sagen: "Weichet von
Ägypten und geht durch das Rote Meer!" Darum ist auch im
sogenannten Hebräerbrief bei Erwähnung der für Täuflinge
notwendigen Anfangsgründe die Bekehrung von den toten
Werken verlangt. Es heißt dort nämlich: "Sehen wir jetzt
einmal ab von den Anfangsgründen des christlichen
Unterrichtes und schauen wir mehr auf die geistliche
Reife [im Glauben], damit wir nicht immer von neuem den
Grund [unseres geistigen Lebens] legen müssen mit der
Bekehrung von den toten Werken, mit dem Glauben an Gott,
mit dem Unterricht von der Taufe, von der Auflegung der
Hände [bei der Firmung], von der Auferstehung der Toten
und vom ewigen Gericht[63]
!" Dies alles gehört nämlich nach dem ausführlichen und
klaren Zeugnis der Heiligen Schrift zu den
Anfangsgründen der Neugetauften. Was will aber der
Ausdruck "sich von den toten Werken bekehren" anders
sagen als Abwendung von solchen Werken, die man ertöten
muß, wenn man leben will? Wenn darunter aber Ehebruch
und Unzucht nicht verstanden werden sollen, dann weiß
ich nicht, was man wirklich tote Werke heißen soll.
Was soll aber das
Gelöbnis, solche Sünden aufzugeben, helfen, wenn nicht
auch alle früher begangenen Sünden, die den Sünder
sozusagen verfolgen, durch das Bad der Wiedergeburt
getilgt werden? War es ja doch auch für die Israeliten
nicht genügend, bloß Ägypten zu verlassen: nein, es
mußte das sie verfolgende Heer der Feinde in den Fluten
des Meeres umkommen, während es dem Volke Gottes zu
seinem Übergang und zu seiner Befreiung offen stand.
Wenn sich also einer ganz offen weigert, sich von seinem
Ehebruch zu bekehren, wie soll der durch das Rote Meer
geführt werden können, wenn er es standhaft ablehnt,
Ägypten zu verlassen? Sodann beachten sie gar nicht, daß
das erste Gebot jenes Gesetzes, das dem Volke nach
seinem Durchzug durch das Rote Meer gegeben wurde,
lautet: "Du sollst keine fremden Götter neben mir haben;
du sollst dir keine Götzen machen, noch irgendein Bild
von all dem, was oben am Himmel und was unten auf der
Erde und was im Wasser und unter der Erde ist; solches
sollst du nicht anbeten und ihm nicht dienen[64]
!" und was sonst noch zu diesem Gebote gehört. Da sollen
jetzt meine Gegner nur gefälligst gegen ihre eigene
Behauptung die Ansicht verteidigen, auch vom Dienste des
einen Gottes und von der Vermeidung des Götzendienstes
dürfe man nicht den Täuflingen, sondern nur den schon
Getauften predigen. Nein, sie dürfen jetzt nicht mehr
behaupten, den Täuflingen dürfe man nur den Glauben an
Gott einschärfen und erst nach Empfang des Sakramentes
[der Taufe] dürften sie über die Sittengebote gemäß dem
zweiten, von der Nächstenliebe handelnden Gebot
unterwiesen werden. Denn beides enthält jenes Gesetz,
welches das Volk nach seinem Durchzug durch das Rote
Meer gleichsam wie nach seiner Taufe erhielt. Auch
erfolgte die Verteilung der Gebote nicht so, daß das
Volk vor seinem Durchzug durch jenes Meer zuerst über
die Vermeidung des Götzendienstes unterrichtet wurde und
erst nach demselben zu hören bekam, daß man Vater und
Mutter ehren müsse, daß man nicht ehebrechen und töten
dürfe und wie die übrigen Vorschriften zu einem guten
und unschuldigen Lebenswandel noch heißen.
12. Kapitel:
Götzendienst ist
nicht schlechter als Ehebruch; und doch werden
unverbesserliche Götzendiener nicht einmal zum
Katechumenat, geschweige denn zur Taufe zugelassen
. Wenn also jemand mit
der Bitte um Zulassung zum Sakramente der Wiedergeburt
käme, jedoch ganz offen erklärte, von seinem
Götzendienst werde er aber trotzdem erst ablassen, wenn
es ihm selbst beliebe, und wenn dieser Mensch gar
inständig nach der Taufe verlangte und von ganzem Herzen
ein Tempel des lebendigen Gottes werden wollte, obwohl
er nicht bloß ein Götzendiener ist, sondern in seinem so
ruchlosen Götzendienst auch verharrt: da möchte ich
wissen, ob meine Gegner dafür wären, einen solchen Mann
auch nur zum Katechumenen zu machen. "Nein,'' würden sie
schreien, "so etwas darf auf keinen Fall geschehen." Und
wirklich läßt sich von ihrem Verstand auch gar keine
andere Entscheidung erwarten.
Aber nun sollen sie auch
an der Hand der Schriftstellen, die sie in der erwähnten
Weise verstanden wissen wollen, den Beweis dafür
erbringen, was sie eigentlich dazu berechtigt, ihm zu
widersprechen und ihn nicht [zur Taufe] zuzulassen,
obgleich er dagegen mit den Worten protestiert: "Ich
habe Christus den Gekreuzigten kennen gelernt und
verehre ihn; ich glaube, daß Christus Jesus der Sohn
Gottes ist; halte mich nicht länger auf und verlange
nichts weiter von mir! Hat ja doch auch der Apostel von
denen, die er durch das Evangelium zeugte, nichts
anderes gefordert als die Kenntnis von Christus dem
Gekreuzigten; und nach der lauten Beteuerung des
Eunuchen, er glaube, daß Jesus Christus der Sohn Gottes
sei, taufte ihn Philippus sogleich auf der Stelle. Was
willst du also mich von meinem Götzendienst abhalten und
läßt mich nicht eher zum Sakramente Christi zu, als bis
ich diesen aufgegeben habe? Ihn kenne ich schon von
meiner Jugendzeit her, die unabwälzbare Gewalt der
Gewohnheit läßt mich nicht anders handeln. Ich will ihn
aufgeben, wenn ich einmal kann und wenn es mir bequem
ist; doch selbst wenn ich es nicht tue, so will ich doch
nicht ohne das Sakrament Christi dies mein Leben
beenden, damit Gott meine Seele nicht aus deinen Händen
verlange." Was soll man wohl einem solchen Menschen
antworten? Soll er vielleicht aufgenommen werden? Das
sei ferne! So weit dürften meine Gegner wohl sicher
nicht gehen.
Was werden wir ihm also
antworten, wenn er so spricht und wenn er gar noch
weiter hinzufügt, man hätte ihm wenigstens vor der Taufe
nichts von einer Verwerfung des Götzendienstes sagen
sollen; denn auch jenes erste Volk habe vor seinem
Durchzug durch das Rote Meer nichts davon gehört, da es
ja sein hierauf bezügliches Gesetz erst nach seiner
Befreiung aus Ägypten erhalten habe. Gewiß werden sie
diesem Menschen antworten: "Dann wirst du ein Tempel
Gottes sein, wenn du die Taufe empfangen hast"; der
Apostel aber sagt: "Welche Verbindung hat der Tempel
Gottes mit den Götzen[65]
?"
Aber warum begreifen dann
diese Leute nicht, daß man geradeso sagen muß: "Du
willst nach Empfang der Taufe ein Glied Christi sein?
Glieder Christi aber können doch nicht Glieder einer
Dirne sein!" Denn auch dies spricht der Apostel aus,
wenn er an einer anderen Stelle sagt: "Gebt euch keiner
Täuschung hin! Weder Hurer noch Götzendiener", und was
er dort sonst noch aufzählt, "werden das Reich Gottes
besitzen[66]
." Warum lassen wir also Götzendiener nicht zur Taufe
zu, während wir Hurer zulassen zu können glauben? Und
doch sagt der Apostel von diesen und allen anderen
Sündern: "Solche Sünder sind auch einige unter euch
gewesen; aber ihr seid abgewaschen, geheiligt und
gerechtfertigt im Namen unseres Herrn Jesus Christus und
im Geiste unseres Gottes[67]
." Was liegt also für ein Grund dafür vor, daß ich, wenn
ich beide [von der Taufe] abweisen kann, den um die
Taufe bittenden Hurer bleiben lasse, den Götzendiener
aber abweise? Es ist ja doch, soviel ich höre, zu einem
jeden von ihnen gesagt worden: "Und solche Sünder seid
auch ihr gewesen, aber ihr seid abgewaschen."
Aber meine Gegner
veranlaßt zu ihrer Meinung der Glaube, daß, wenn auch
nur durch Feuer, das Heil derer gesichert sei, die an
Christus glauben und sein Sakrament empfangen, d. h.
getauft sind, und das selbst dann, wenn sie sich so
wenig um die Besserung ihrer Sitten kümmern, daß sie ein
schlechtes Leben führen. Doch was man nach der Schrift
davon zu halten hat, das werde ich mit Gottes Hilfe bald
sehen.
13. Kapitel:
Johannes der
Täufer verlangte von allen Täuflingen Besserung des
Lebens; Christus selbst erklärt die Beobachtung der
Gebote als notwendig zur Erlangung der ewigen Seligkeit
. Ich stehe noch immer
bei der Untersuchung der von meinen Gegnern
aufgestellten Behauptung, man dürfe bloß die schon
Getauften über die zum christlichen Laben notwendigen
Sitten unterrichten, während man den Täuflingen nur die
Lehre vom Glauben einprägen dürfe. Wäre dem aber
wirklich so, so hätte, ganz abgesehen von den
zahlreichen schon angeführten Gründen, nicht auch
Johannes der Täufer denen, die zu seiner Taufe kamen,
zugerufen: "Ihr Natterngezücht, wer zeigt euch einen Weg
zur Flucht vor dem kommenden Zorne? Bringet also würdige
Früchte der Buße[68]
!", und was er sonst gewiß nicht vom Glauben, sondern
von den guten Werken erinnernd anführt. Als daher die
Soldaten fragten: "Was sollen wir tun?", da antwortete
er ihnen nicht: "Glaubet nur einstweilen und laßt euch
taufen! Später werdet ihr schon hören, was ihr tun
sollt." Nein, um dem kommenden Herrn wie ein Vorläufer
den Weg in ihr Herz zu reinigen, redete er schon zuvor
zu ihnen und ermahnte er sie schon zuvor mit den Worten:
"Tut niemandem Gewalt an; fügt niemandem ein Unrecht zu;
begnügt euch mit eurem Solde[69]
!" Und als in ähnlicher Weise auch die Zöllner fragten,
was sie tun müßten, da sprach er: "Fordert nicht mehr,
als euch festgesetzt ist[70]
!" — Der Evangelist [Lukas] durfte nicht gleich ganze
Predigten einfügen; aber schon durch diese kurzen
Erwägungen hat er deutlich genug gezeigt, daß es Aufgabe
eines Katecheten sei, seinen Täufling auch über die
Sitten zu belehren und zu ermahnen. Hätten nun diese
Leute dem Johannes geantwortet: Wir wollen durchaus
keine würdigen Früchte der Buße bringen; wir werden
vielmehr Ränke schmieden, Gewalttaten verüben und gerade
das tun, was uns verboten ist, und hätte sie Johannes
trotz dieser klaren Willensäußerung doch getauft, so
könnte man nicht einmal dann behaupten, worum es sich ja
augenblicklich gerade dreht, es sei nicht an der Zeit,
schon während des Taufunterrichtes dem Täufling im
voraus zu sagen, wie er sein gutes Leben führen müsse.
20. Doch sollen sie sich,
um von anderem ganz zu schweigen, an die Antwort
erinnern, die der Herr selbst jenem Reichen gab[71]
, der ihn fragte, was er tun müsse, um das ewige Leben
zu erlangen: "Willst du zum Leben eingehen," sagte er
damals, "so halte die Gebote!" Da fragte nun der Reiche:
"Welche denn?" Der Herr erinnerte aber daraufhin bloß an
die Gebote des Gesetzes: "Du sollst nicht töten, du
sollst nicht ehebrechen" usw. Als hierauf jener
entgegnete, das habe er schon von seiner Jugend auf
getan, da fügte der Herr noch das Gebot[72]
der Vollkommenheit hinzu: er solle all sein Gut
verkaufen und es als Almosen unter die Armen verteilen,
auf daß er einen Schatz im Himmel habe; dann solle er
dem Herrn selbst nachfolgen. Daraus mögen meine Gegner
erkennen, daß dem Manne nicht bloß die nach ihrer
Ansicht einzig notwendigen Hilfsmittel zur Erlangung des
Lebens, nämlich Glaube und Taufe, empfohlen wurden,
sondern daß er auch Sittenvorschriften erhielt, die
freilich ohne den Glauben nicht treu beobachtet werden
können. Allerdings scheint der Herr an dieser Stelle von
der Betonung der Notwendigkeit, auch den Glauben
einzuschärfen, geschwiegen zu haben. Trotzdem begnügen
wir uns nun doch nicht, solchen Menschen, die zum Leben
eingehen wollen, jetzt bloß Sittenlehren vorzuschreiben.
Denn wie gesagt sind beide gegenseitig miteinander
verbunden, weil in einem Menschen, der den Mitmenschen
nicht liebt, keine Gottesliebe, und in einem, der Gott
nicht liebt, keine Nächstenliebe wohnen kann. Daher
kommt es, daß die Heilige Schrift manchmal bloß das eine
ohne das andere, bald dies und bald jenes erwähnt, ohne
eine beides umfassende Belehrung zu geben, um auch auf
diese Weise erkennen zu lassen, daß das eine ohne das
andere nicht bestehen kann. Denn wer an Gott glaubt, der
tue, was Gott vorschreibt, und wer es deshalb tut, weil
es Gott vorschreibt, der muß auch an Gott glauben.
14. Kapitel:
Der Apostel Paulus
schreibt zwar dem Glauben und nicht den Werken die
Rechtfertigung zu; aber er meint die Werke, die dem
Glauben vorausgehen, und einen Glauben, der durch die
Liebe tätig ist. Schon die Apostel Jakobus und Petrus
sind einer falschen Auffassung der paulinischen Lehre
entgegen getreten
. Aus diesem Grunde
müssen wir noch einen Irrtum ins Auge fassen, der aus
dem Herzen der Gläubigen gerissen werden muß; sonst
setzen sie etwa gar in falscher Sicherheit ihr Heil
dadurch aufs Spiel, daß sie zu dessen Erlangung
vielleicht den Glauben[73]
schon für genügend halten und deshalb ein gutes Leben
und die Bewahrung des Weges Gottes durch gute Werke
vernachlässigen. Haben ja doch manche auch schon zur
Zeit der Apostel einige dunkle Aussprüche des Apostels
Paulus nicht verstanden und gemeint, er sage: "Laßt uns
Böses tun, damit Gutes daraus erwachse[74]
." Er hatte nämlich gesagt: "Das Gesetz trat dazwischen,
damit die Sünde überströme. Wo aber die Sünde
überströmt, da strömt auch die Gnade über[75]
." Das ist insoferne wahr, weil die Menschen nach
Empfang des Gesetzes in stolzer Überhebung auf ihre
eigene Kraft bauten und nicht durch den rechten Glauben
den göttlichen Beistand zur Besiegung böser Begierden
erlangten, weshalb sie auch noch durch Übertretung des
Gesetzes mit mehreren und schwereren Vergehen belastet
wurden. Und so nahmen sie denn im Bewußtsein ihrer
großen Schuld ihre Zuflucht zum Glauben, um durch ihn
Barmherzigkeit und Verzeihung zu erlangen und "Hilfe vom
Herrn, der Himmel und Erde erschaffen hat[76]
". Nachdem so die Liebe durch den Heiligen Geist in ihr
Herz ausgegossen war[77]
, wollten sie im Geiste der Liebe das tun, was sie gegen
die Begierlichkeit dieser Welt tun mußten. In diesem
Sinne war es schon im Psalm vorhergesagt worden: "Ihre
Schwächen waren zu zahlreich geworden, deshalb kamen sie
herbeigelaufen[78]
." Wenn also der Apostel sagt, er sei der Ansicht, der
Mensch werde gerechtfertigt durch den Glauben ohne die
Werke des Gesetzes, so meint er das nicht so, daß nach
Erlangung und Bekenntnis des Glaubens die Werke der
Gerechtigkeit verachtet werden, sondern daß jeder wisse,
er könne durch den Glauben gerechtfertigt werden, auch
wenn die Werke des Gesetzes nicht vorausgegangen sind;
denn diese Werke folgen der Rechtfertigung nach, gehen
ihr aber nicht voraus. — Ich habe jedoch nicht nötig,
mich in diesem Buch näher hierüber zu verbreiten; denn
ich habe über diese Frage erst jüngst ein ausführliches
Buch herausgegeben unter dem Titel "Vom Buchstaben und
vom Geist[79]
".
Weil aber diese [falsche]
Ansicht schon damals entstanden war, so richten sich
andere apostolische Briefe eines Petrus, Johannes,
Jakobus und Judas vornehmlich gegen eine solche
Auffassung und betonen nachdrücklich, daß der Glaube
ohne die Werke nichts helfe. Aber auch Paulus selbst hat
nicht jeden beliebigen Glauben an Gott für heilsam und
echt evangelisch erklärt, sondern nur einen solchen,
dessen Werke aus der Liebe hervorgehen. "Und der
Glaube," sagt er, "der durch die Liebe wirksam ist[80]
." So wenig nützt also, wie er versichert, der Glaube,
der einigen zum Heile zu genügen scheint, daß er sogar
sagt: "Hätte ich alle Glaubenskraft, daß ich Berge
versetzen könnte, fehlte mir aber die Liebe, so wäre ich
nichts[81]
." Wo aber gläubige Liebe wirksam ist, da lebt man ohne
Zweifel gut. "Denn die Liebe ist die Fülle des Gesetzes[82]
."
22. In seinem zweiten
Brief gibt Petrus ganz klare Ermahnungen zur Heiligkeit
des Lebens und der Sitten; er kündet hier an, daß diese
Welt vergehen wird, daß aber ein neuer Himmel und eine
neue Erde[83]
in Aussicht stehen als Wohnung für die Heiligen; um nun
dieser Wohnung würdig zu werden, sollen die Leser auf
die Art ihrer Lebensführung acht geben. Da aber nun
Petrus wußte, daß einige ruchlose Menschen gewisse
dunkle Stellen des Apostels Paulus als Vorwand benützt
hatten, um sich um ein gutes Leben nicht mehr kümmern zu
müssen, da sie ja wegen ihres Glaubens betreffs ihres
Heiles in Sicherheit seien, so sagte er, es gebe in den
Briefen des heiligen Paulus einige sehr schwer
verständliche Stellen[84]
, die diese Leute zu ihrem eigenen Verderben verkehrt
auffaßten; geradeso machten sie es auch mit den anderen
Schriften. Und doch dachte jener Apostel über das ewige
Heil, das nur denen gegeben werde, die ein gutes Leben
führen, geradeso wie die übrigen Apostel. Folgendermaßen
heißt es bei Petrus: "Wenn sich nun aber dieses alles[85]
über kurz oder lang auflösen wird, wie
müßt ihr euch dann jetzt verhalten? Bleibt immer so
heilig und fromm, daß ihr die Ankunft des Tages Gottes
furchtlos erwarten, ja herbeisehnen könnt! Da werden die
Himmel im Feuer vergehen und schmelzen die lodernden
Elemente. Wir hoffen aber alsdann nach der Versicherung
des Herrn auf neue Himmel und auf eine neue Erde, in
denen Gerechtigkeit wohnt. Da ihr nun dieses erwartet,
Geliebte, so bestrebt euch, in Frieden mit Gott und den
Menschen zu leben, damit ihr rein und tadellos vor ihm
erfunden werdet! Benützet die Langmut des Herrn in
bußfertigem Sinn zu eurem Heile! Das hat ja auch unser
lieber Bruder Paulus nach der ihm verliehenen hohen
Weisheit an euch geschrieben. Er mahnt uns zur Buße in
allen Sendschreiben, in denen er von den letzten Dingen
redet. Freilich ist manches in seinen Briefen schwer
verständlich; Unkundige und Leichtfertige verdrehen und
mißdeuten es zu ihrem Verderben. Ebenso machen sie es
auch mit den übrigen heiligen Schriften. Weil ihr es nun
voraus wißt, Brüder, so hütet euch, durch die
Vorspiegelungen der Ruchlosen euch fortreißen zu lassen
und, durch den Irrtum verführt, abzufallen vom Glauben,
an dem ihr bisher so treu festgehalten habt! Wachset
vielmehr in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und
Heilandes Jesus Christus! Ihm sei die Ehre jetzt und
immerdar[86]
!"
23. Jakobus aber tritt
denen, die meinen, der Glaube ohne die Werke vermöge
etwas zum Heile, so schroff gegenüber, daß er sie selbst
mit den Teufeln vergleicht; er sagt nämlich: "Du
glaubst, daß es einen Gott gibt! Da tust du gut daran.
Aber auch die Teufel glauben und zittern[87]
." Wie hätte er sich kürzer, wahrer und schroffer
ausdrücken können? Lesen wir ja doch auch im Evangelium,
daß die Teufel Christus als den Sohn Gottes bekannt
haben und doch wurden sie von diesem darob getadelt,
während Petrus für das gleiche Bekenntnis sein Lob
erntete[88]
. "Was wird es nützen, meine Brüder," sagt Jakobus,
"wenn einer zwar sagt, er habe den Glauben, wenn er aber
keine Werke hat? Wird dieser Glaube ihn retten können[89]
?" Desgleichen sagt er: "Der Glaube ohne Werke ist tot[90]
." Wie lange täuschen sich also jene noch, die nur einen
toten Glauben haben und sich doch das ewige Leben
versprechen?
15. Kapitel:
Die Stelle des
Apostels von der Prüfung durch Feuer ist nicht so zu
verstehen, als könnten schwere Sünden durch Feuer
getilgt werden
. Darum muß man sorgsam
beachten, wie denn eigentlich jener so überaus dunkle
Ausspruch des Apostels Paulus zu verstehen ist, wo er
sagt: "Niemand kann einen anderen Grund legen, als
[durch Paulus von Gott] gelegt worden ist, nämlich Jesus
Christus. Ob aber einer auf dieser [unabänderlichen]
Grundlage Gold, Silber und Edelsteine aufbaut oder aber
Holz, Heu und Stoppeln[91]
, das wird am Gerichtstag offenbar werden. Jener Tag
wird im Weltbrand hervortreten und die Beschaffenheit
eines jeden Werkes mit Feuer erproben. Besteht es die
Probe, so wird der Meister hoch belohnt werden,
verbrennt aber sein Werk, so hat er den Schaden davon.
Er wird wie durch Feuer hindurchgehen müssen, um
gerettet zu werden[92]
." Diese Worte wollen einige so verstanden wissen, daß
Gold und Silber und kostbare Steine jene auf dieses
Fundament aufzubauen scheinen, die mit dem Glauben, der
in Christus ist, zugleich auch die guten Werke
verbinden; Holz und Heu und Stoppeln aber diejenigen,
die trotz des nämlichen Glaubens, den sie besitzen, doch
schlechte Werke verrichten. Sie glauben daher, daß diese
zwar dank des Fundamentes [auf dem sie aufgebaut sind]
zur Erlangung des Heiles gereinigt werden können, aber
nur durch gewisse Feuerstrafen.
25. Wäre dem nun wirklich
so, dann geben wir zu, daß sie mit einer lobwürdigen
Liebe für die unterschiedslose Zulassung aller zur Taufe
eintreten, und zwar nicht bloß der Ehebrecher und
Ehebrecherinnen, die entgegen dem Ausspruch des Herrn
eine falsche Heirat versuchen, sondern auch der
öffentlichen Dirnen, die bei ihrem höchst schändlichen
Gewerbe bleiben wollen. Solche Weiber pflegte gewiß
selbst die nachsichtigste Kirche nicht zur Taufe
zuzulassen, bevor sie sich nicht von ihrer früheren
Prostitution freigemacht hatten. Doch wenn jene Ansicht
richtig ist, dann sehe ich durchaus nicht ein, warum sie
nicht auf jeden Fall zugelassen werden sollen. Denn wer
sähe es nicht lieber, daß sie auf das [in Christo]
gelegte Fundament wenigstens Holz und Heu und Stoppeln
aufbauen und schließlich doch, wenn auch durch ein
bedeutend länger dauerndes Feuer gereinigt werden, als
daß sie ewig zugrunde gehen?
Doch sind in diesem Falle
einige klare und unzweideutige Schriftstellen falsch:
"Hätte ich alle Glaubenskraft, so daß ich Berge
versetzen könnte, fehlte mir aber die Liebe, so wäre ich
nichts[93]
", oder jene andere: "Was soll es nützen, meine Brüder,
wenn einer zwar sagte, er habe den Glauben, wenn er aber
keine Werke hat? Wird ein solcher Glaube ihn selig
machen können[94]
?" Falsch wird dann auch jene Stelle sein: "Täuschet
euch nicht! Weder Schamlose noch Götzendiener, weder
Diebe noch Habsüchtige, weder Ehebrecher noch Weichlinge
noch Knabenschänder, weder Trunkenbolde noch Lästerer
noch Räuber werden das Himmelreich besitzen[95]
." Falsch ist dann auch die Stelle: "Offenkundig aber
sind die Werke des Fleisches: Buhlerei, Unlauterkeit,
Schamlosigkeit und Ausschweifung, Götzendienst und
Giftmischerei, Feindschaft, Streit und Eifersucht, Zorn
und Ränke, Spaltungen und Parteiungen, Trunksucht,.
Schwelgerei u. dgl. Was ich euch schon früher gesagt
habe, das wiederhole ich heute: wer solches tut, der
wird des Reich Gottes nicht besitzen[96]
." Diese Stellen sind dann alle falsch. Dann mag man
auch in solchen Lastern verharren: man glaubt einfach,
läßt sich taufen und wird dann doch gerettet durch
Feuer. Also auch wer solche Verbrechen begeht, wird,
wenn er nur in Christus getauft ist, das Reich Gottes
besitzen. Wenn sie auch nach der Abwaschung [in der
Taufe] noch die gleichen sind, dann ist aber auch der
Ausspruch vergebens: "Solche Sünder sind auch einige von
euch gewesen; aber ihr seid abgewaschen[97]
."— Desgleichen wird auch der Ausspruch des Petrus
nichtig erscheinen: So hat auch euch in ähnlicher Weise[98]
das Taufwasser gerettet. Wir waschen da nicht etwa den
Schmutz des Leibes ab, sondern die Unreinigkeit der
Seele und geloben Gott, das Gewissen rein zu bewahren[99]
." Solche Leute haben ein ganz schlechtes Gewissen, ganz
befleckt mit schändlichen Verbrechen und nicht gereinigt
durch Reue über ihre Sünden: und doch macht sie die
Taufe selig; denn wegen des Fundamentes, das in eben
dieser Taufe gelegt wird, sollen sie, wenn auch durch
Feuer, gerettet werden! — Ich sehe auch nicht ein, warum
dann der Herr gesagt hat: "Willst du zum Leben eingehen,
so halte die Gebote[100]
!" — dabei erklärt er auch, was denn zu guten Sitten
gehöre —, wenn man auch ohne diese Gebote zu halten,
allein auf Grund eines ohne die Werke toten Glaubens[101]
zum Leben gelangen kann. Und wie soll dann jener Fluch
wahr sein, den er denen zuschleudern wird, die er zu
seiner Linken aufstellt: "Fort mit euch in das ewige
Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist[102]
! Diese schilt er ja nicht, weil sie nicht an ihn
geglaubt, andern weil sie kein gutes Werk vollbracht
haben. Vielmehr damit sich niemand von einem Glauben,
der ohne die Werke tot ist, ein ewiges Leben verspreche,
darum wird er nach seiner Versicherung alle Völker
voneinander scheiden, die untereinander vermischt
dieselbe Weide[103]
hatten. Dadurch soll klar werden, daß jene, die da sagen
werden: "Herr, wann haben wir dich denn dies alles
leiden sehen und haben dir nicht geholfen[104]
?", die nämlichen sind wie diejenigen, die zwar an ihn
geglaubt, aber um gute Werke sich nicht gekümmert
hatten, als ob man schon auf Grund eines toten Glaubens
zum ewigen Leben gelangen würde. Oder sollen vielleicht
bloß diejenigen, die keine Werke der Barmherzigkeit
geübt haben, ins ewige Feuer gehen müssen, diejenigen
dagegen nicht verdammt werden, die fremdes Gut geraubt
oder die durch Zerstörung des Tempels Gottes im eigenen
Herzen gegen sich selbst unbarmherzig waren[105]
? Nein, Werke der Barmherzigkeit nützen nichts ohne die
Liebe. Sagt ja doch der Apostel: "Wenn ich all meine
Habe unter die Armen verteilte, die Liebe aber nicht
besäße, so würde es mir nichts nützen[106]
." Oder kann vielleicht jemand den Nächsten so lieben
wie sich selbst, wenn er sich gar nicht liebt? Nein!
"Denn wer die Ungerechtigkeit liebt, haßt seine Seele[107]
."
Auch ein beliebtes
Selbsttäuschungsmittel mancher Menschen kann hiebei
nicht geltend gemacht werden, daß nämlich unter dem
ewigen Feuer nicht zugleich auch die Strafe einer ewigen
Verbrennung gemeint sei. Das Feuer freilich, das sei
wohl ewig, doch würden, wie sie glauben, durch dasselbe
all diejenigen hindurchgehen, denen sie wegen ihres
toten Glaubens [wenigstens] das Heil durch Feuer in
Aussicht stellen; das Feuer also sei natürlich ewig,
ihre Verbrennung aber, d.h. die Wirkung des Feuers gegen
sie, die sei nicht ewig. — Doch der Herr sah, und darin
zeigt sich gerade seine Herrlichkeit, auch diesen
Einwand voraus und beschloß darum seinen Urteilsspruch
mit den Worten: "So werden jene in die ewige
Verbrennung, die Gerechten aber zum ewigen Leben
eingehen[108]
." Die Verbrennung wird demnach ewig dauern wie das
Feuer selbst und jene werden nach dem Ausspruch der
ewigen Wahrheit dorthin eingehen müssen, denen es, wie
sie erklärt, keineswegs am Glauben, wohl aber an guten
Werken gefehlt hat.
26. Wenn also all diese
Stellen und was sich sonst noch an unzweideutigen
Aussprüchen in allen Teilen der hl. Schrift in großer
Anzahl finden läßt, falsch ist, nur dann kann freilich
jene Erklärung von Holz, Heu und Stoppeln die richtige
sein, daß die durch Feuer gerettet werden, die nur am
Glauben an Christus festgehalten, sich aber um gute
Werke nicht gekümmert haben. Sind aber jene Aussprüche
wahr und unzwei deutig, dann heißt es allerdings für
jene Stelle des Apostels [Paulus] einen anderen Sinn
suchen und sie muß unter diejenigen gezählt werden, von
denen Petrus sagt, es sei in seinen Schriften einiges
schwer zu verstehen[109]
. Solche Stellen nun dürfen die Menschen nicht zu ihrem
eigenen Verderben mißdeuten: das würden sie aber tun,
wenn sie entgegen den klarsten Zeugnissen der Schrift
die schlechtesten Menschen, die hartnäckig an ihrer
Schlechtigkeit festhalten, ohne sich durch Besserung
oder Bekehrung zu ändern, bezüglich der Erlangung des
Heiles in falsche Sicherheit wiegten.
16. Kapitel:
Der heilige
Augustinus gibt seine Erklärung der berühmten Stelle von
der Prüfung durch das Feuer
. Doch da möchte mich
vielleicht jemand fragen, was denn ich selbst von jener
Stelle des Apostels Paulus halte und wie ich meine, daß
man sie auffassen müsse. Ich muß aber gestehen, es wäre
mir viel lieber, wenn ich einsichtsvollere und
gelehrtere Männer hören könnte, die sie so erklären, daß
mein ganzerobiger Erklärungsversuch und was man sonst
noch hiezu anführen könnte, als unumstößlich wahr
feststünde. Durch solche Stellen [wie ich sie dort
anführte] bezeugt aber die Heilige Schrift ganz
unzweideutig, daß nur der vom Apostel umschriebene
Glaube von Nutzen sei, nämlich der Glaube, der durch die
Liebe wirksam ist[110]
; fehlten aber die Werke, dann könne er nicht retten,
und zwar weder mit noch ohne Feuer; denn würde er wenn
auch nur durch Feuer retten, dann gereichte er ja
immerhin zur Rettung. Es heißt aber ganz bedingungslos
und deutlich: "Was nützt es, wenn einer sagt, er habe
den Glauben, wenn er aber keine Werke besitzt? Wird ihn
ein solcher Glaube retten können[111]
?"
Aber ich will doch so
kurz als möglich meine eigene Ansicht über diesen so
schwer verständlichen Ausspruch des Apostels Paulus
darlegen. Doch was ich damit auch verspreche, so mag man
vornehmlich daran festhalten, daß ich hierüber, wie
gesagt, lieber tüchtigere Männer hören würde.
Das bedarf keiner
Erklärung, daß im Gebäude eines weisen Baumeisters
Christus das Fundament bildet. Es heißt ja ganz
deutlich: "[Denn] ein anderes Fundament kann niemand
legen als das [durch Paulus] bereits gelegt ist, nämlich
Christus Jesus[112]
. Wenn es aber heißt "Christus", so heißt das ohne
Zweifel soviel als "der Glaube an Christus". Denn durch
den Glauben wohnt Christus in unserem Herzen, wie der
gleiche Apostel[113]
sagt. Dieser Glaube an Christus ist aber sodann gewiß
kein anderer als der, den der Apostel mit den Worten
umschrieben hat: "Der Glaube, der durch die Liebe
wirksam ist[114]
." Denn der Glaube der Teufel, die ja auch glauben und
zittern[115]
und Jesus als den Sohn Gottes bekennen, kann ja nicht
als Fundament des Glaubens aufgefaßt werden; ihr Glaube
ist ja nicht durch die Liebe wirksam, sondern nur durch
die Furcht erzwungen. Der Glaube an Christus also, der
Glaube der christlichen Gnade, d. h. der Glaube, der
durch die Liebe wirksam ist, läßt, wenn er einmal als
Fundament gelegt ist, niemanden zugrunde gehen.
Soll ich aber nun
eingehender darlegen, was es heißt, auf diesem Fundament
Gold, Silber und kostbare Steine oder aber Holz, Heu und
Stoppeln zu bauen so dürfte, fürchte ich, die Auslegung
etwas schwer verständlich sein. Ich will es aber doch
mit Gottes Hilfe versuchen, kurz und so gut als möglich
meine Ansicht klar darzulegen: erinnern wir uns wieder
an jenen Menschen, der den guten Meister darum fragte,
was er denn tun müsse, um das ewige Leben zu erlangen[116]
. Darauf bekam er als Antwort zu hören, wenn er zum
Leben eingehen wolle, dann müsse er die Gebote
beobachten, und als er weiter fragte, was denn für
Gebote, da wurde ihm gesagt: "Du sollst nicht töten, du
sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen, du
sollst kein falsches Zeugnis geben; ehre deinen Vater
und deine Mutter; liebe deinen Nächsten wie dich
selbst!" Dies also solle er tun im Glauben an Christus.
Damit war ohne Zweifel gemeint, er solle an einem
Glauben festhalten, der durch die Liebe wirksam ist;
denn hätte er die Gottesliebe nicht, ohne die wiederum
eine Eigen liebe nicht möglich ist, dann würde er auch
seinen Nächsten nicht lieben können wie sich selbst.
Würde er dann auch noch den weiteren Rat des Herrn
erfüllen: "Wenn du vollkommen sein willst, so gehe hin
und verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen,
um einen Schatz im Himmel zu haben; und dann komme und
folge mir nach!", so würde er auf jenes [in Christus
gelegte] Fundament Gold, Silber und Edelsteine bauen.
Denn er wäre dann nur auf das bedacht, was Gottes ist
und wie er Gott gefallen könne[117]
, und eine solche Gesinnung wäre, wie ich meine, Gold,
Silber und Edelgestein. Wenn sich aber nun einer
geradezu von sinnlicher Liebe zum Reichtum ergreifen
ließe und trotz vieler Almosen, die er trotzdem von
seinem Reichtum gibt, zu dessen Vermehrung sogar an
Betrug und Raub dächte oder aus Furcht vor einer
Verminderung oder einem Verlust desselben sogar in ein
schändliches Verbrechen fiele: der hätte sich dadurch
bereits von dem festen Fundament entfernt. Wenn er
jedoch, wie gesagt, in fleischlicher Liebe zum Reichtum
nur soweit ginge, daß er derlei Güter nur mit Schmerz
vermissen würde, so würde er auf sein Fundament Holz und
Heu und Stoppeln bauen, und zwar vorzüglich dann, wenn
er auch noch ein Weib hätte, so daß er auch ihretwegen
an das dächte, was der Welt ist und wie er seinem Weibe
gefallen könne[118]
. Weil man sich also von dem, was man mit fleischlicher
Zuneigung liebt, nicht ohne Schmerz trennt, deshalb
gelangen jene, die es so besitzen, durch den Schaden,
den sie bei seinem Verlust erlitten haben, gewissermaßen
durch das Feuer des Schmerzes zum Heile; denn im
Fundament haben sie ja den durch die Liebe tätigen
Glauben und ziehen ihm jene Güter aus keinem Grund und
aus keiner Begierde vor. Je weniger einer aber diese
Güter liebt und je mehr er sie so besitzt, als besäße er
sie nicht[119]
, um so sicherer ist er vor dem Schmerz über ihren
Verlust. Wer aber jene Güter so liebt, daß er, um sie zu
behalten oder zu erlangen, sogar Mord, Ehebruch,
schamlose Taten, Götzendienst und ähnliche Verbrechen
begeht, der wird trotz seines Fundamentes nicht durch
Feuer gerettet, sondern nach Verlust des Fundamentes mit
ewigem Feuer gequält werden.
28. Um die Kraft, die
schon im Glauben allein liegt, zu beweisen, führen sie
noch eine andere Stelle an. Der Apostel sagt nämlich:
"Will der Ungläubige seine Ehe scheiden, dann scheide er
sie! Denn der [christliche] Bruder oder die
[christliche] Schwester sind in diesem Falle nicht
gebunden[120]
." Das heißt, man darf wegen des Glaubens an Christus
selbst die rechtmäßig angetraute Ehegattin ohne alle
Schuld verlassen, wenn sie mit dem christlichen Mann
wegen seines christlichen Bekenntnisses nicht mehr leben
will. Meine Gegner aber beachten nicht, daß eine solche
Frau mit Fug und Recht entlassen wurde, wenn sie zu
ihrem Manne sagte: "Ich kann deine Gattin nicht mehr
sein, wenn du mir nicht Reichtum zusammenraubst oder
wenn du die gewohnte Kuppelei, die unser Haus leidlich
unterhielt, nicht auch als Christ noch weiter treibst",
oder wenn sie sonst noch etwas Schlechtes und
Schändliches an ihrem Manne wußte, woraus sie Vergnügen,
Befriedigung ihrer Lüsternheit, leicht erworbenen
Unterhalt und feinen Kleiderputz gewann. Ein Mann nun,
zu dem sein Weib also spricht, wird sich, wenn anders er
sich bei seiner Taufe wahrhaft von seinen bösen Werken
bekehrt hat und den in Liebe tätigen Glauben als
Fundament besitzt, ohne Zweifel mehr von der Liebe zur
göttlichen Gnade als zum Fleische seines Weibes
hingezogen fühlen und wird starkmütig ein Glied abhauen,
das ihm zum Verhängnis wird. Der Schmerz, den er bei
dieser Trennung in seinem Herzen aus fleischlicher Liebe
zu seinem Weibe verspürt, das ist der Verlust, den er
erleidet, und das Feuer, durch das er selbst gerettet
werden wird, während das Heu verbrennt. Wenn er aber
sein Weib schon besaß, als besäße er es nicht, d.h.
nicht aus Begierlichkeit, sondern aus Barmherzigkeit, in
der Hoffnung, es vielleicht auch noch zu retten, und
wenn er selbst die eheliche Pflicht mehr leistet als daß
er sie [als ein gutes Recht] fordert, dann wird er ganz
gewiß keinen leiblichen Schmerz empfinden, wenn er sich
von einem solchen Ehebund lösen muß; war er ja doch an
der Seite seines Weibes nur auf das bedacht, was Gottes
ist und wie er Gott gefalle[121]
. Und deshalb würde er in dem Grade, als er auf eine
solche Gesinnung Gold und Silber und Edelsteine
aufbaute, keinen Schaden leiden; denn sein Gebäude, das
ja nicht aus Heu erbaut ist, würde durch keinen Brand in
Flammen aufgehen.
29. Ob nun die Menschen
nur in diesem Leben solches erdulden müssen oder ob auch
nach diesem Leben noch manches Strafgericht dieser Art
erfolgt, so widerspricht doch meiner Ansicht nach diese
Auffassung unserer Schriftstelle ihrem Wahrheitsgrunde
nicht. Aber auch wenn ein anderer, mir unbekannter Sinn
vorzuziehen wäre, so brauchen wir doch, solange wir an
dem von mir angegebenen Sinn festhalten, "den
Ungerechten und Ungehorsamen, den Verbrechern und
Unreinen, den Vater- und Muttermördern, den
Totschlägern, den Hurern und Knabenschändern, den
Menschenräubern, den Lügnern und Meineidigen und was
sonst noch der gesunden Lehre gemäß dem herrlichen
Evangelium des seligen Gottes zuwider ist[122]
", nicht zu sagen: "Wenn ihr nur an Christus glaubt und
sein Sakrament der Taufe empfangt, so werdet ihr doch
gerettet werden, auch wenn ihr euer ganz schlechtes
Leben nicht ändert."
30. Auch das kananäische
Weib kann uns nicht zur Preisgabe unserer Überzeugung
zwingen, etwa deshalb, weil ihm der Herr seinen Wunsch
erfüllte, obgleich er zuvor noch zu ihm gesagt hatte:
"Es ist nicht gut, das Brot der Kinder zu nehmen und es
den Hunden vorzuwerfen[123]
." Denn er, der die Herzen prüft, sah eben seine
Bekehrung; darum lobt er das Weib und sagte nicht mehr
zu ihm: "Du Hund, groß ist dein Glaube", sondern: "Weib,
groß ist dein Glaube." Er änderte die Anrede, weil er
auch die Gesinnung [des Weibes] verändert sah und
erkannte, daß jener Tadel Frucht getragen hatte.
Sonderbar aber wäre es gewesen, hätte er an ihm einen
Glauben ohne Werke gelobt, d.h. einen Glauben, der nicht
schon durch die Liebe wirken könnte, sondern einen toten
Glauben, nicht einen Glauben der Christen, sondern einen
Glauben der Teufel, wie ihn Jakobus ohne das geringste
Bedenken genannt hat[124]
. Wollen sie endlich nicht einsehen, daß jene Kananäerin
ihre verderbten Sitten geändert hat, als sie der Herr
mit verächtlichem Tadel zurückwies, dann sollen sie nur,
wenn sie können, geradeso wie die Tochter des
kananäischen Weibes geheilt worden ist, ihrerseits die
Kinder all derjenigen heilen, die nur glauben, aber ihr
schuldbeflecktes Leben nicht einmal verheimlichen,
sondern es sogar offen zur Schau tragen und es nicht
bessern wollen; nicht aber sollen sie diese zu Gliedern
Christi machen, da sie selbst nicht aufhören, Glieder
einer Buhlerin zu sein. Darin haben sie Verstand
gezeigt, daß sie einsehen, derjenige sündige gegen den
Heiligen Geist und sei ohne Hoffnung auf Verzeihung
einer ewigen Sünde schuldig, der bis ans Ende seines
Lebens nicht an Christus glauben will. Möchten sie es
aber doch recht einsehen, was es denn heißt: an Christus
glauben; das heißt aber nicht den Glauben der Teufel
haben, der mit Recht für tot gehalten wird, sondern
einen Glauben, der durch die Liebe wirksam ist.
17. Kapitel:
Unverbesserliche
Sünder nicht in die Kirche aufzunehmen verrät nicht
grausame Härte, sondern ist nur kluge Vorsicht, um die
Guten vor Verführung zu bewahren
. Wenn wir nun unter
solchen Umständen derartige Menschen nicht zur Taufe
zulassen, so ist das kein Versuch, das Unkraut schon vor
der Zeit auszureißen; nein, aber wir wollen auch nicht
wie der Teufel das Unkraut förmlich säen[125]
. Denn wir halten ja damit keine Leute ab, die wirklich
zu Christus kommen wollen, wir beweisen ihnen vielmehr
durch ihr eigenes Geständnis bloß, daß sie selbst nicht
zu Christus kommen wollen. Wir verbieten ihnen auch
keineswegs, an Christus zu glauben, sondern wir zeigen
nur, daß solche Leute nicht an Christus glauben wollen,
die den Ehebruch für etwas anderes erklären als wie
Christus selbst sagt oder die glauben, Ehebrecher
könnten Glieder desjenigen sein, der selbst durch seinen
Apostel [Paulus] von ihnen sagt, daß sie das Reich
Gottes nicht besitzen, daß sie Gegner jener gesunden
Lehre sind, die dem glorreichen Evangelium unseres
seligen Gottes gemäß ist[126]
. Darum darf man sie nicht unter diejenigen zählen, die
zum Hochzeitsmahl kamen, sondern unter diejenigen, die
nicht kommen wollten[127]
. Denn da sie selbst der Lehre Christi ganz offen zu
widersprechen und seinem heiligen Evangelium
entgegenzutreten wagen, so ist es nicht so, daß sie
trotz ihres Kommens zurückgewiesen werden, sondern sie
selbst verschmähen es, zu kommen. Die aber, die der Welt
zwar mit Worten, aber nicht tatsächlich widersagen, die
kommen zwar [zum Gastmahl], werden unter den Weizen
gesät, werden in die Scheune gebracht und werden den
Schafen gleichgeachtet, sie gehen in die Netze[128]
und mischen sich unter die Tischgenossen. Wenn sie aber
einmal in die Kirche aufgenommen sind, wird bei ihrem
geheimen und offenkundigen Treiben der Grundsatz der
Duldung zur Geltung kommen müssen, falls es keine Gewalt
gibt, sie zurecht zu weisen[129]
, oder falls nicht besonders schwerwiegende Gründe ihre
Trennung verlangen.
Die Erzählung der
Schrift, es seien alle Leute, ob gut oder bös, zum
Hochzeitsmahl geführt worden, dürfen wir auf keinen Fall
so verstehen, als habe man auch jene herbeigeführt, die
nach ihrem eigenen Geständnis böse bleiben wollten. Denn
sonst hätten ja die Knechte des Hausvaters selbst das
Unkraut [unter den Weizen] gesät; dann wäre auch der
Ausspruch falsch: "Der Feind, der das Unkraut säte, das
ist der Teufel[130]
." Weil dieser Ausspruch aber nicht falsch sein kann, so
wußte man entweder, als die Diener die Leute
herbeiführten, noch nicht, ob es gute oder böse Menschen
waren und erkannte sie erst nach ihrer Aufnahme in ihrer
Eigenschaft, oder sie wurden gut oder böse nach dem
landläufigen Sprachgebrauch genannt, der auch solche,
die noch nicht zum Glauben gelangt sind, zu loben oder
zu tadeln pflegt. — Hieher gehört auch die Aufforderung
des Herrn an seine Jünger bei ihrer erstmaligen
Aussendung zur Verkündigung des Evangeliums, sie sollten
sich bei ihrer Ankunft in einer Stadt jedesmal
erkundigen, wer hier würdig sei, daß sie bei ihm bis zu
ihrer Abreise wohnten[131]
. Wer anders aber sollte ein solch würdiger Mensch sein,
als wer im Urteil seiner Mitbürger für gut gilt, und wer
anders ein solch unwürdiger Mensch, als wer jenen
Mitbürgern als böse bekannt ist? Leute beider Art kommen
zum christlichen Glauben und das ist der Grund, warum
Gute und Böse herbeigeführt werden, weil auch jene Bösen
die Bekehrung von toten Werken nicht verweigern,
Verweigern sie diese aber, so werden sie nicht
zurückgestoßen, obwohl sie einzutreten verlangen,
sondern ihr eigener offener Widerspruch war es dann, der
sie selbst vom Eingang hinwegtrieb.
32. Darum wird auch jener
Knecht sicher sein und nicht mit den Trägen verdammt
werden, weil er das Talent seines Herrn nicht
verausgaben wollte, da sie ja selbst nicht annehmen
wollten, was er ihnen anbot. Dieses Gleichnis ist
nämlich um deretwillen ins Evangelium aufgenommen worden[132]
, die das Amt eines Ausspenders[133]
in der Kirche unter dem nichtigen Vorwand ablehnen, sie
wollten nicht über fremde Sünden Rechenschaft ablegen
müssen. Solche Menschen hören nur, handeln aber nicht,
d.h. sie empfangen wohl, geben aber nicht weiter. Ein
treuer und sorgfältiger, zum Ausgeben gern bereiter und
auf den Gewinn seines Herrn wohl bedachter Ausspender
nun sagt zu einem Ehebrecher: "Sei kein Ehebrecher, wenn
du getauft werden willst; glaube vielmehr, wenn du
getauft werden willst, an Christus, der dein Tun
Ehebruch heißt. Sei kein Glied einer feilen Dirne, wenn
du ein Glied Christi sein willst!" Wenn aber nun der
Mensch antwortet: "Ich gehorche nicht, ich tue es
nicht", so will er selbst das echte Geld des Herrn nicht
annehmen, sondern sucht vielmehr sein eigenes falsches
Geld unter die Schätze des Herrn zu schmuggeln. Würde er
aber das Versprechen der Besserung zwar geben, es aber
dann doch nicht halten, und könnte er nach der Taufe auf
keine Weise zur Besserung gebracht werden, so würden
sich schon Maßregeln finden lassen, um einen sich selbst
unnützen Menschen auch für andere unschädlich zu machen.
So ließe sich dann wohl verhüten, daß ein schlechter
Fischer in den guten Netzen des Herrn mit seinen
schlechten Netzen die Fische seines Herrn finge, d.h.
daß ein solcher Mensch, wenn er in der Kirche ein
schlechtes Leben führte, vielleicht auch eine schlechte
Lehre in der Kirche einführte. Wenn nämlich solche Leute
ihr schlechtes Tun auch noch verteidigen oder ganz offen
erklären, sie würden darin verharren, und wenn sie
gleichwohl zur Taufe zugelassen werden, so scheinen sie
damit nichts anderes zu verkünden, als daß die Hurer und
Ehebrecher, auch wenn sie bis zum Ende der Welt in ihrer
Schlechtigkeit verharren, das Reich Gottes besitzen und
durch das Verdienst des Glaubens, der doch ohne die
Werke tot ist[134]
, zum ewigen Leben und zum Heil gelangen werden. Das
sind die schlechten Netze, vor denen sich die Fischer
hauptsächlich hüten müssen: unter diesen Fischern jenes
bekannten Gleichnisses der Heiligen Schrift[135]
sind die Bischöfe und die niedrigeren kirchlichen
Vorsteher zu verstehen. Es heißt ja: "Kommet und ich
will euch zu Menschenfischern machen[136]
." Mit guten Netzen können nämlich gute und schlechte
Fische gefangen werden; in schlechten Netzen aber können
keine guten Fische gefangen werden. Bei einer guten
Lehre aber ist es also: wer sie hört und sie erfüllt,
der ist selber gut, schlecht aber ist, wer sie zwar
hört, aber nicht erfüllt; wer aber eine schlechte Lehre
für wahr hält, der ist, auch wenn er ihr nicht gehorcht,
selber schlecht; und noch schlechter ist, wer sie auch
noch befolgt.
18. Kapitel:
Daß schlechte
Menschen nicht zur Taufe zugelassen werden, ist keine
ungerechte Neuerung der Kirche; selbst geheime Vergehen
müssen wenigstens durch die Lehrvorträge gestraft werden
. Es wäre eigentlich
Pflicht meiner andersdenkenden Brüder, von ihrer Meinung
abzustehen; ob es eine neue Meinung ist oder eine schon
seit alters bestehende, will ich jetzt gar nicht
untersuchen: jedenfalls ist sie gefährlich. Doch zu
meiner höchsten Verwunderung behaupten sie die Lehre,
man solle jene ganz ruchlosen Menschen, die offen
erklären, in ihren Schandtaten beharren zu wollen, von
der Taufe zurückweisen, sei erst neu eingeführt worden.
Weiß Gott, wo diese Leute eigentlich herumpilgern;
werden ja doch Dirnen und Schauspieler und alle, die
erwerbsmäßig ein schändliches Gewerbe öffentlich
ausüben, nur nach Auflösung oder Zerreißung solcher
Bande zu den christlichen Sakramenten zugelassen[137]
. Diese Leute müßten doch nach jener Ansicht samt und
sonders zur Taufe zugelassen werden, wenn nicht die
Kirche ihre schon althergebrachte und lebenskräftige
Sitte beibehielte, die sich auf einen bekannten
Ausspruch der höchsten Wahrheit gründet, die uns
versichert, daß "alle, die solches tun, das Reich Gottes
nicht besitzen werden[138]
". Wenn sie sich daher von diesen toten Werken nicht
bekehren, so läßt man sie nicht zu den Sakramenten
hinzutreten. Haben sie sich aber doch eingeschlichen, so
können sie auch dann nur im Falle einer wenigstens
nachfolgenden Bekehrung gerettet werden.
Trunksüchtige, Geizige,
Schmähsüchtige aber und alle, die irgendeines anderen
verabscheuungswürdigen Lasters schuldig sind, die jedoch
wegen keiner offenkundigen Tatsache überführt und
angeklagt werden können, werden doch in den Vorschriften
und Lehrvorträgen sehr scharf gegeißelt, und es scheint,
daß all diese Leute nur nach erfolgter Besserung zur
Taufe hintreten. Wenn sie nun aber ehebrecherische
Menschen sehen, die nicht ein bloß menschliches, sondern
ein göttliches Gesetz verdammt, d.h. Männer, die fremde
Weiber wie eigene haben, oder Weiber, die fremde Männer
haben, und wenn sie bemerken, daß man solche Leute
nachsichtiger zu behandeln und zur Taufe zuzulassen
pflegt, dann sollen sie auch solche Mißbräuche nach
jenen gesunden Grundsätzen verbessern. Sie sollen dann
Sorge tragen, daß auch diese nicht zugelassen werden,
damit sie nicht auch noch mit ihren schlechten
Beispielen gute Sitten verderben. Sie sollen nicht
glauben, man dürfe Kompetenten nicht über die Besserung
ihrer Sitten unterrichten und sollen nicht grundsätzlich
für die Aufnahme aller erklärten Verüber jener
öffentlichen Schändlichkeiten und Frevel stimmen, d.h.
der Hurer, Kuppler, Gladiatoren und was es sonst noch
für schlechte Menschen dieser Art gibt, und dies sogar
auch dann noch, wenn sie in ihren Sünden verharren. Denn
all diese Laster, deren Aufzählung der Apostel mit den
Worten schließt: "Alle aber, die solches verüben, werden
das Reich Gottes nicht besitzen[139]
", tadeln die Anhänger einer strengeren Zucht ganz
naturgemäß, falls sie Kenntnis davon erhalten, und
lassen solche Leute, die widersprechen und ihren Willen,
in solchen Sünden zu beharren, bekennen, nicht zur Taufe
zu.
19. Kapitel:
Unbußfertiger
Ehebruch schließt auf jeden Fall von der Taufe aus; wenn
ältere kirchliche Bestimmungen sich darüber nicht
äußern, so liegt der Grund darin, daß diese Sünde eben
früher sehr selten war. — Einige zweifelhafte Fälle
. Manche sind der
Ansicht, alle andern Sünden ließen sich unschwer durch
Almosen wieder gut machen, doch gibt es, wie auch diese
Leute nicht verkennen, drei Todsünden, die so lange mit
Exkommunikation bestraft werden müssen, bis sie durch
demütige Buße wieder geheilt sind: nämlich Unzucht,
Götzendienst und Mord. Für den Augenblick brauche ich
nicht näher auf diese Ansicht und auf eine Untersuchung
über ihren Wert oder Unwert einzugehen; sonst würde sich
nämlich wegen einer zur Lösung unseres Problems gar
nicht notwendigen Nebenfrage unser angefangenes Werk
allzu sehr ausdehnen. Denn wenn gar kein Laster zur
Taufe zugelassen werden darf, so ist ja auch der
Ehebruch unter all den Sünden miteinbegriffen und das
genügt für unseren Zweck. Bestehen aber nur jene
erwähnten drei Ausnahmen, so befindet sich auch darunter
wieder der Ehebruch; und von ihm ist ja unsere
Erörterung ausgegangen.
35 Auch früher gab es
schon schlechte Christen mit sehr bösen Sitten, doch von
der Sünde daß Männer fremde Weiber zur Ehe nahmen und
Weiber mit fremden Männern sich verheirateten, scheinen
sie frei gewesen zu sein. Daher schlich sich in einigen
Kirchen die Nachlässigkeit ein, im Kompetentenunterricht
nach solchen Lastern gar nicht mehr zu fragen und sie
nicht mehr zu geißeln. Und schließlich kam es so weit
daß man sie allmählich sogar verteidigte. Bisher sind
sie jedoch bei Getauften noch nicht häufig, es müßte
denn schon sein, daß wir durch Mangel an Wachsamkeit
ihre Zahl wachsen ließen. Diese Art von Nachlässigkeiten
bei den einen und diese Unerfahrenheit und Unwissenheit
bei den anderen ist es aller Wahrscheinlichkeit nach die
der Herr dort mit dem Namen Schlaf bezeichnet zu haben
scheint, wo er sagt: "Als aber die Leute schliefen, da
kam der Feind und säte Unkraut [unter den Weizen][140]
." — Daß aber dieses Übel unter den Sünden auch der
schlechtesten Christen anfänglich nicht vorkam, lässt
sich daraus erschliessen, dass der heilige Cyprian in
seinem Brief über die Gefallenen ihrer gar keine
Erwähnung tut[141]
Und doch führt er dort unter Klagen und Weinen viele
Sünden an, um derentwillen Gott, wie Cyprian sagt, in
seinem Groll die Geißel einer unerträglichen Verfolgung[142]
über die Kirche kommen ließ. Unser Laster
aber nennt er bei dieser Gelegenheit nicht: und doch
spricht er mit ganz offenem Nachdruck davon, daß es zu
den schlechten Sitten gehöre, mit Ungläubigen sich durch
das Band der Ehe zu verbinden; denn das heiße nichts
anderes als die Glieder Christi den Heiden preisgeben. —
Heutzutage aber hält man solche Ehen schon überhaupt
nicht mehr für Sünde, weil es tatsächlich hierüber im
Neuen Testament keine Vorschrift gibt und man deshalb
ihre Erlaubtheit annahm oder wenigstens in Zweifel
gestellt ließ. — Auch im Falle des Herodes besteht keine
Gewißheit darüber, ob er das Weib seines schon
gestorbenen oder seines noch lebenden Bruders geheiratet
hat[143]
; es ist daher nicht ganz klar, was ihm denn Johannes
eigentlich als unstatthaft verwiesen hat. — Verspricht
eine Konkubine, sie werde keinen anderen Mann erkennen,
selbst wenn ihr bisheriger Herr sie entläßt, so kann man
mit Recht zweifeln, ob man sie nicht zum Empfang der
Taufe zulassen soll. Wer aber sein auf Ehebruch
ertapptes Weib entläßt und eine andere heiratet, der
darf, wie es scheint, jenen nicht gleichgestellt werden,
die aus einem andern Grund als wegen Ehebruch ihr Weib
entlassen und wieder eine andere heiraten. Sogar in den
göttlichen Aussprüchen ist es so unklar, ob derjenige,
der mit unbezweifeltem Recht sein ehebrecherisches Weib
entläßt, im Falle einer Wiederverheiratung nun selbst
auch als ein Ehebrecher zu gelten hat, daß sich jemand
meines Erachtens in diesem Punkte nur unter einer
geringen Sünde täuscht. Offenkundige Verbrechen der
Unzucht schließen demnach ganz natürlich auf jeden Fall
von der Taufe aus, wenn sie nicht durch bußfertige
Sinnesänderung gebessert werden. Im Zweifelsfalle soll
man wenigstens dergleichen Verbindungen zu verhindern
suchen. Denn wozu soll man sich einer so großen,
zweifelhaften Gefahr aussetzen? Sind aber solche
Verbindungen schon geschlossen, so weiß ich nicht, ob
diejenigen, die sie geschlossen haben, ebenso von der
Taufe zurückgewiesen werden sollen.
20. Kapitel:
Nur wer glaubt und
sich von toten Werken bekehrt, erlangt in der Taufe
Gesundheit der Seele
. Man darf nicht zugeben,
daß sich irgendeine Todsünde einer ganz gefährlichen
Sicherheit und einer höchst verderblichen Begünstigung
erfreut; der ordnungsgemäße Gang der Heilung besteht
demnach nach der gesunden Lehre der Wahrheit darin, daß
die Täuflinge an Gott den Vater, den Sohn und den
Heiligen Geist glauben, und zwar so, wie es das Symbolum
vorschreibt, das ihnen bei der Taufe übergeben wird[144]
; außerdem sollen sie sich von toten Werken bekehren.
Dann brauchen sie nicht zu zweifeln, daß sie in der
Taufe Vergebung aller früher begangenen Sünden erlangen
werden. Dies wird aber nicht geschehen, damit sie von da
ab ungescheut sündigen können, sondern damit ihnen die
bisherigen Sünden nicht mehr schaden; so erhalten sie
zwar Vergebung[145]
für ihre vergangenen, aber keinen Freibrief für künftige
Sünden. Dann können auch geistigerweise jene Worte
gebraucht werden: "Siehe, du bist gesund geworden;
sündige nun nicht mehr[146]
!", Worte, die der Herr deshalb von der leiblichen
Gesundung gebrauchte, weil er wußte, daß dem Menschen,
den er gesund gemacht hatte, die Krankheit des Fleisches
zur Strafe für seine Sünden zugestoßen war. Doch wie
meine Gegner zu einem Menschen, der als Ehebrecher zur
Taufe hinzutritt und als Ehebrecher auch wieder von ihr
hinweggeht, sagen können: "Siehe, du bist gesund
geworden!", darüber muß ich mich wundern. Denn wo gibt
es dann überhaupt noch eine schwere und verderbliche
Krankheit, wenn Ehebruch Gesundheit ist?
21. Kapitel:
Unter den vielen
Gläubigen der apostolischen Zeit mögen sich recht wohl
auch Ehebrecher und Dirnen befunden haben; doch ist
damals gewiß niemand aufgenommen worden, als wer sich
von toten Werken bekehrte, weil nur der in Liebe tätige
Glaube die Verheißung des Lebens hat
. "Aber", sagen sie,
"unter jenen dreitausend Menschen, welche die Apostel an
einem Tage getauft haben, und unter den viel tausend
Gläubigen, womit der Apostel von Jerusalem bis nach
Illyrien das Evangelium erfüllte[147]
, waren gewiß auch Männer, die mit fremden Weibern, und
Weiber, die mit fremden Männern verbunden waren: an
denen hätten doch die Apostel für die Kirche eine Regel
zur Beobachtung festsetzen müssen, damit man wisse, ob
man solche Leute zur Taufe zulassen solle, wenn sie
nicht zuerst ihren Ehebruch wieder gut machten."Aber
ebenso gut könnte man ihnen gegenüber auch behaupten,
man finde auch niemanden erwähnt, der trotz eines
Ehebruches zugelassen worden sei. Oder könnten
vielleicht in endloser Reihenfolge die Verbrechen eines
jeden einzelnen Menschen aufgezählt werden oder gilt
nicht vielmehr vollauf die bekannte Hauptregel, die
Petrus in klaren Worten den Täuflingen bezeugt, wenn er
sagt: "Reißt euch los von dieser verkehrten Welt[148]
!" Wer wollte aber nun bezweifeln, daß Ehebruch und
hartnäckige Sünder zu dieser verkehrten Welt gehören?
Geradeso gut könnte man aber auch sagen, daß unter den
vielen Tausenden von Gläubigen aus allen Völkern sich
wohl auch öffentliche Dirnen hätten finden können, die
jede Kirche erst dann zur Taufe zuläßt, wenn sie ihr
schändliches Gewerbe aufgeben, und daß die Apostel auch
über deren Zulassung oder Abweisung Beispiele hätten
aufstellen müssen. Aber immerhin haben wir kleinere
Beispiele, von denen wir auf größere schließen können.
Wenn nämlich den Zöllnern, die zur Johannestaufe kamen,
verboten wurde, mehr als die festgesetzte Abgabe zu
verlangen[149]
, dann wäre es doch sonderbar, wenn denen, die zur Taufe
Christi kommen, der Ehebruch gestattet sein könnte.
38. Auch auf die
Israeliten weisen meine Gegner hin, die gleichfalls
viele schwere Verbrechen begangen, sogar viel
Prophetenblut vergossen und doch nicht wegen dieser
Untaten, sondern einzig und allein wegen ihres
Unglaubens, weil sie nicht an Christus glauben wollten,
den völligen Untergang verdient hätten. Sie übersehen
aber dabei, daß die Sünde der Juden nicht bloß darin
bestand, daß sie an Christus nicht glaubten, sondern
auch darin, daß sie Christus sogar töteten. Gewiß liegt
da das Verbrechen des Unglaubens vor, aber dazu auch
noch das der Grausamkeit: das erstere verstößt wohl
gegen den rechten Glauben, das andere aber gegen einen
guten Lebenswandel. Keine aber von diesen Sünden darf
der haben, der den Glauben an Christus haben will, sonst
besitzt er eben nur einen Glauben, der ohne die Werke
tot ist, so wie man ihn auch bei den Teufeln findet[150]
, nicht aber den Glauben der Gnade, der durch die Liebe
wirkt[151]
.
Dies ist der Glaube, von
dem es heißt: "Das Himmelreich ist in euch[152]
", und jene reißen es an sich, die Gewalt gebrauchen[153]
durch den Glauben, weil sie den Geist der Liebe sich
verschaffen, in der die Fülle des Gesetzes wohnt[154]
, ohne die aber auch die buchstäbliche Beobachtung des
Gesetzes der Übertretung schuldig macht. Man darf darum
nicht glauben, darum heiße es: "Das Himmelreich leidet
Gewalt, und nur die Gewalt gebrauchen, reißen es an sich[155]
", weil auch die Schlechten ins Himmelreich gelangen
können, wenn sie nur glauben, dabei aber ein ganz
schlechtes Leben führen, sondern vielmehr deshalb, weil
die Schuld der Übertretung, die man durch das bloße
Gebot des Gesetzes, das heißt des Buchstaben ohne den
Geist, auf sich lädt, durch den Glauben abgeschüttelt
wird und weil durch starken Glauben der Heilige Geist
erlangt wird, durch den die Liebe in unser Herz
ausgegossen[156]
und das Gesetz nicht mehr aus Furcht vor Strafe, sondern
aus Liebe zur Gerechtigkeit erfüllt wird.
22. Kapitel:
Nur
wer Gottes Gebote hält, kennt Gott; Gottes Gebote halten
heißt aber sowohl an ihn glauben, als auch seinen
Geboten gemäß leben. — Wir sollen nicht sündigen, aber
im Falle der Sünde auch nicht verzweifeln
. Kein leichtsinniger
Mensch lasse sich darum täuschen und glaube Gott zu
kennen, wenn er ihn nur mit einem toten Glauben, d.h.
ohne gute Werke, bekennt, so wie es auch die Teufel
machen, und wenn er sich der festen Hoffnung hingibt, er
werde deshalb ins ewige Leben gelangen, weil ja der Herr
sagt: "Das aber ist das ewige Leben, daß sie dich, den
einen wahren Gott, erkennen und den du gesandt hast,
Jesus Christus[157]
." Er soll sich vielmehr auch noch an die andere Stelle
erinnern, wo es heißt: "Daran erkennen wir ihn, wenn wir
seine Gebote halten. Wer aber sagt: Ich kenne ihn, hält
aber seine Gebote nicht, der ist ein Lügner und Wahrheit
ist nicht in ihm[158]
." Es darf aber nun keiner glauben, seine Gebote
umfaßten bloß das Gebot des Glaubens, eine Behauptung,
die auch wirklich noch niemand aufzustellen wagte. Er
selbst hat ja, um nicht durch die Menge der Gebote die
Gedanken zu verwirren, nur gesagt: "An diesen zwei
Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten[159]
." Man kann freilich wohl sagen, die Gebote Gottes
bezögen sich bloß auf den Glauben; aber man darf dann
nicht einen toten Glauben, sondern jenen lebendigen
meinen, der durch die Liebe wirksam ist. Später aber hat
Johannes[160]
seine Auffassung selbst mit den Worten näher dargelegt:
"Das ist sein Gebot, daß wir an den Namen seines Sohnes
Jesus Christus glauben und einander lieben[161]
."
41. Es ist also von
Nutzen, im rechten Glauben an Gott zu glauben, Gott zu
verehren und Gott zu kennen: wir bekommen dann seinen
Beistand zu einem guten Leben und machen uns seiner
Verzeihung würdig, wenn wir sündigen. Nicht aber dürfen
wir unbesorgt in Werken verharren, die er haßt, sondern
wir müssen sie aufgeben und zu ihm sprechen: "Ich habe
gesprochen: Herr, erbarme dich meiner, heile meine
Seele, weil ich vor dir gesündigt habe[162]
." So können aber diejenigen zu niemandem sprechen, die
nicht an ihn glauben und so sprechen ohne Nutzen
diejenigen, die weit entfernt vom Mittler und darum
seiner Gnade fremd sind. Daher kommen die bekannten
Worte im Buche der Weisheit, für die jene verderbliche
Sicherheit wohl keine Erklärung geben kann: "Auch wenn
wir gesündigt haben, sind wir dein[163]
." Denn wir haben einen guten, großen Herrn, der die
Sünden des Büßers heilen kann und heilen will, der es
ebenso gut aber auch über sich bringt, verstockte Sünder
zu verderben. Nach den Worten: "Dein sind wir", heißt es
weiter: "Denn wir kennen deine Macht." Das ist doch
gewiß eine Macht, der sich kein Sünder heimlich
entziehen kann. Darum fügt das Buch der Weisheit im
unmittelbaren Anschluß daran bei: "Nicht aber wollen wir
sündigen, weil wir wissen, daß wir dir zugezählt sind.
"Wer sich nämlich die Wohnung bei Gott, zu der alle
durch Prädestination bestimmt sind, die nach seinem
Wohlgefallen berufen wurden[164]
, würdig vorstellt, der wird sich gewiß bestreben, ein
jener Wohnung entsprechendes Leben zu führen. Dasselbe
sagt auch Johannes: "Dies habe ich euch geschrieben,
damit ihr nicht sündigt; wenn aber einer sündigt, so
haben wir einen Fürsprecher beim Vater, nämlich Jesus
Christus den Gerechten; und dieser selbst ist die Sühne
für unsere Sünden[165]
." Dieses schreibt Johannes aber nicht, damit wir in
aller Ruhe sündigen können, sondern damit wir eine etwa
begangene Sünde aufgeben und dann wegen unseres
Fürsprechers, den der Ungläubige nicht hat, keineswegs
an der Vergebung verzweifeln.
23. Kapitel:
Beim Jüngsten
Gericht wird es bloß zwei Arten von Menschen geben:
Verdammte und Heilige; unter den ersteren werden sich in
gleicher Weise Gläubige und Ungläubige befinden, ja die
verdammten Gläubigen werden wegen der von ihnen
mißbrauchten Gnade noch strenger bestraft werden
. Man darf aber nun
keineswegs dieser eben angeführten Schriftstelle zufolge
denen, die zwar an Gott glauben, aber trotzdem in ihren
verderbten Sitten beharren wollen, ein milderes Los in
Aussicht stellen; und noch viel weniger darf man dies
nach den Worten des Apostels [Paulus]: "Die ohne das
Gesetz gesündigt haben, gehen ohne das Gesetz zugrunde;
die aber im Gesetze gesündigt haben, die werden durch
das Gesetz auch gerichtet werden[166]
." Denn an dieser Stelle besteht kein Unterschied
zwischen "zugrundegehen" und "gerichtet werden", sondern
es ist nur mit zwei Ausdrücken ein und dieselbe Sache
bezeichnet. In der Heiligen Schrift pflegt nämlich das
Wort "Gericht" auch als gleichbedeutend mit dem Ausdruck
"ewige Verdammnis" gebraucht zu werden. So sagt z.B. der
Herr im Evangelium: "Es wird die Stunde kommen, wo alle,
die in den Gräbern liegen, seine Stimme hören werden;
die nun, die Gutes getan haben, werden hervorgehen zur
Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur
Auferstehung des Gerichtes[167]
." Es heißt da aber nicht: "die geglaubt haben" oder
"die nicht geglaubt haben", sondern es heißt:
"diejenigen, die Gutes getan haben" und "die Böses getan
haben". Denn ein gutes Leben ist ja an sich schon
unzertrennlich von einem durch die Liebe wirksamen
Glauben[168]
. Denn ein solcher Glaube ist ja selbst schon das gute
Leben. Wir sehen daher, daß der Herr den Ausdruck
"Auferstehung des Gerichtes" für "Auferstehung der
ewigen Verdammnis" gebraucht hat. Denn alle, die
auferstehen werden, und dazu gehören doch wohl auch die
ganz Ungläubigen, da sie ja gleichfalls in den Gräbern
ruhen, hat er in zwei Gruppen eingeteilt, indem er
erklärte, die einen würden zur Auferstehung des Lebens,
die andern aber zur Auferstehung des Gerichtes
auferstehen.
43. Aber, sagen sie,
unter den Letzteren seien eben nicht die ganz
Ungläubigen zu verstehen, sondern jene, die durch Feuer
gerettet werden; denn diese haben wenigstens geglaubt,
wenn sie auch schlecht gelebt haben. Und darum, sagen
sie, sei nur deren vorübergehende Strafe mit dem
Ausdruck "Gericht" bezeichnet. Aber diese Erklärung ist
höchst unverschämt; denn der Herr teilt durchaus alle,
die auferstehen werden und darunter ohne Zweifel auch
die Ungläubigen, in zwei Gruppen: in solche, die des
Lebens und in solche, die des Gerichtes teilhaftig
werden und dabei will er, wenn er es auch nicht
ausdrücklich hinzufügt, das Gericht geradeso aufgefaßt
wissen, wie das Leben[169]
. Sagt er ja doch auch nicht [ausdrücklich]: "zur
Auferstehung des ewigen Lebens", wenn er es gleich nicht
anders verstanden wissen will. Sie mögen aber zusehen,
was sie auf das Wort des Herrn antworten: "Wer nicht
glaubt, der ist schon gerichtet[170]
." Denn hier müssen sie ohne Zweifel annehmen, daß der
Ausdruck "Gericht" für "ewige Strafe" gebraucht ist,
oder sie müssen es wagen, auch den Ungläubigen die
Rettung durch Feuer zu versprechen. Denn da der Herr
sagt: "Wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet," d.h.
für das Gericht bestimmt, so können sie doch das Gericht
nicht den schlecht lebenden Gläubigen gleichsam als
große Wohltat[171]
versprechen, da ja auch die Ungläubigen nicht verdammt,
sondern bloß gerichtet werden sollen[172]
. Wagen sie eine solche Behauptung aber nicht
aufzustellen, dann sollten sie es auch nicht wagen,
jenen, von denen es heißt: "sie werden durch das Gesetz
gerichtet werden", ein milderes Los zu versprechen; denn
bekanntlich pflegt "Gericht" auch für "ewige Verdammnis"
gesetzt zu werden.
Aber wir finden ja sogar,
daß diejenigen, die wissentlich sündigen, sich nicht
bloß in keiner besseren, sondern sogar in einer
schlimmeren Lage befinden. Es gehören dazu aber vor
allem diejenigen, die das Gesetz empfangen haben; denn
wie geschrieben steht, gibt es keine Übertretung, wo es
kein Gesetz gibt[173]
. Hierher gehört auch die Stelle: "Ich würde keine
Begierlichkeit kennen, wenn nicht das Gesetz sagte: Du
sollst keine Begierde haben. Sobald darum einmal die
Gelegenheit [zur Sünde] vorhanden ist, bewirkt durch das
Gebot die Sündlichkeit in mir alle Lust[174]
." Daneben gäbe es noch viele andere Stellen beim
gleichen Apostel [Paulus]. Von dieser größeren Schuld
befreit durch Jesus Christus, unsern Herrn, die Gnade
des Heiligen Geistes, der die Liebe in unsere Herzen
ausgießt[175]
und uns dadurch die Liebe zur Gerechtigkeit schenkt[176]
, damit so die ungemäßigte Begierlichkeit überwunden
werde. Damit beschäftigt sich die Auffassung, daß
diejenigen, von denen es heißt: "wer durch das Gesetz
gesündigt hat, wird durch das Gesetz auch gerichtet
werden[177]
", nicht bloß nicht milder, sondern sogar noch strenger
behandelt werden als diejenigen, die ohne Gesetz
gesündigt haben und so auch ohne das Gesetz zugrunde
gehen. Auch wird hier deren Gericht nicht eine bloß
vorübergehende Strafe genannt, sondern es will als die
nämliche Strafe aufgefaßt werden, wie die, mit der auch
der Ungläubige gerichtet wird.
44. Diese Schriftstelle
benützen diese Leute also dazu, um solchen Menschen, die
zwar glauben, aber trotzdem ein ganz schlechtes Leben
führen, das Heil durch Feuer zu versprechen, und sie
verkünden ihnen: "Die ohne das Gesetz gesündigt haben,
werden ohne das Gesetz zugrunde gehen, die aber im
Gesetz gesündigt haben, werden durch das Gesetz
gerichtet werden[178]
", gerade als ob es hieße: "Sie werden nicht zugrunde
gehen, sondern durch Feuer gerettet werden." Sie
vermochten dabei aber nicht zu beachten, daß der Apostel
wohl von solchen Leuten sprach, die ohne Gesetz oder die
im Gesetz gesündigt haben, daß er sich aber dabei über
den Unterschied zwischen Heiden und Juden äußerte und
zeigen wollte, daß nicht bloß den Heiden, sondern beiden
[den Juden und den Heiden] zu ihrer Befreiung die Gnade
Christi notwendig sei. Das zeigt ja der ganze Römerbrief
deutlich. Also auch den Juden, die im Gesetze sündigten
und von denen es heißt, "sie werden durch das Gesetz
gerichtet werden", wenn sie nicht die Gnade Christi
befreit, sollen sie immerhin die Rettung durch Feuer
versprechen, da es von ihnen heißt: "sie werden durchs
Gesetz gerichtet werden". Tun sie das nicht, dann sollen
sie sich hüten, daß sich gegen sie nicht Leute erheben
mit der Behauptung, sie [meine Gegner] hätten sich in
die schwere Sünde des Unglaubens verstrickt, da sie in
einer den christlichen Glauben betreffenden Sache auf
Gläubige und Ungläubige das übertrugen, was doch bloß
von denen, die ohne Gesetz und denen, die im Gesetz
sündigten, gesagt wurde und wobei es sich bloß darum
handelte, Juden und Heiden zur Gnade Christi einzuladen.
24. Kapitel:
Christliche
Freiheit ist nicht eine Freiheit ungezügelter
Sinnenlust; würde sie so mißbraucht, so wäre das
schlimmer als der Unglaube der Heiden
Es heißt nicht: Die ohne den Glauben
gesündigt haben, werden ohne den Glauben auch zugrunde
gehen; die aber im Glauben gesündigt haben, werden durch
ihren Glauben auch gerichtet werden; nein, es ist
vielmehr von der Sünde "ohne Gesetz" und von der Sünde
"im Gesetz" die Rede. Daraus geht doch ganz deutlich
hervor, daß da eine zwischen Heiden und Juden, nicht
aber eine zwischen guten und bösen Christen schwebende
Frage berührt wird[179]
.
45. Aber selbst wenn jene Leute höchst
unpassend und töricht an jener Stelle den Glauben für
das Gesetz nehmen wollen, so können sie auch hieraus nur
die ganz deutliche Ansicht des Apostels Paulus lesen.
Dieser sprach von denen, welche die Worte der Schrift:
"Wir sind [als Angehörige des Neuen Testamentes] nicht
Söhne der Dienstmagd, sondern Söhne der Freien; Christus
aber ist es, der mit dieser Freiheit uns befreit hat[180]
", zugunsten der Fleischeslust gedeutet, zum Deckmantel
ihrer Bosheit gemacht[181]
und geglaubt hatten, das heiße frei leben, daß sie im
Gefühl ihrer sicheren Erlösung alles tun dürften, was
ihnen beliebte. Dabei achteten sie aber nicht auf das
Wort [des heiligen Paulus]: "Ihr seid zur Freiheit
berufen worden, Brüder! Sehet zu, daß ihr diese Freiheit
nicht zum Anlaß für fleischliche Sünden mißbraucht[182]
!" Daher sagt auch Petrus selbst: "Ihr seid frei,
freilich nicht wie solche, die in ihrer Freiheit nur den
Deckmantel ihrer Bosheit sehen[183]
." Von solchen Leuten sagt er auch in seinem zweiten
Brief: "Sie sind wasserleere Brunnen, vom Sturm
getriebene Nebelwolken, die Finsternis der Hölle ist
ihnen vorbehalten. Sie halten hochtrabende, alberne
Reden und verlocken durch ihre fleischlichen Lüste und
Liederlichkeiten jene, die sich eben erst vom Irrtum
[der heidnischen Gesellschaft] losgesagt haben. Sie
verheißen ihnen Freiheit, wiewohl sie selbst Sklaven des
Verderbens sind. Denn von dem jemand überwältigt ist,
dessen Sklave ist er auch. Wenn nun solche, die kaum den
Unlauterkeiten der Welt durch die Erkenntnis unseres
Herrn und Heilandes Jesus Christus entronnen sind, sich
wieder von ihren Reizen umgarnen lassen, so sind die
letzten Dinge bei ihnen ärger geworden als die ersten[184]
. Es wäre für sie wahrlich besser
gewesen, sie hätten Christus, den Weg der Gerechtigkeit,
gar nicht kennen gelernt, als daß sie nach seiner
Erkenntnis dem ihnen mitgeteilten heiligen Gebote wieder
untreu geworden sind. So aber ist es ihnen gegangen, wie
ein wahres Sprichwort sagt: "Der Hund kehrt zurück zu
dem, was er gespien hat, und die Sau, eben abgeschwemmt,
wälzt sich aufs neue im Kote[185]
." Warum verspricht man nun trotz dieser doch so
deutlichen Wahrheit denjenigen ein besseres Los, die den
Weg der Gerechtigkeit, d.h. Christus den Herrn, erkannt
haben und trotzdem ein verworfenes Leben führen? Hätten
sie ihn doch lieber gar nicht kennen gelernt! Denn ganz
klar heißt es ja doch: "Besser wäre es für sie gewesen,
sie hätten den Weg der Gerechtigkeit überhaupt nicht
kennen gelernt, als daß sie, nach seiner Erkenntnis, dem
ihnen mitgeteilten heiligen Gebote wieder untreu
geworden sind[186]
.
25. Kapitel:
Das vom Apostel
Petrus eingeschärfte Gebot besteht in der Enthaltung von
der Unzucht der Welt; die anderen Apostel stimmen hierin
mit ihm überein
. Unter dem Gebote, von
dem an der eben angeführten Stelle die Rede ist, ist
aber nicht jenes heilige Gebot zu verstehen, das den
Glauben an Gott vorschreibt, obwohl ja eigentlich darin
alles eingeschlossen ist, wenn wir den geforderten
Glauben als einen solchen fassen, der durch die Liebe
wirksam ist. Der Apostel drückt sich vielmehr ganz
deutlich darüber aus, was er eigentlich unter dem
heiligen Gebote verstanden wissen will, nämlich die
Vorschrift, daß wir die Unlauterkeit dieser Welt
preisgeben und einen keuschen Lebenswandel führen
sollen. Er sagt nämlich: "Wenn nun solche, die kaum den
Unlauterkeiten der Welt durch die Erkenntnis des Herrn
und Heilandes Jesus Christus entronnen sind, sich wieder
von ihren Reizen umgarnen lassen, so sind die letzten
Dinge bei ihnen ärger geworden als die ersten[187]
." Er sagt nicht: "diejenigen, die der Unkenntnis Gottes
oder dem Unglauben der Welt entronnen sind" oder etwas
Ähnliches, sondern er sagt: "die den Unlauterkeiten der
Welt entronnen sind", und dazu gehört doch gewiß
jegliche Unreinigkeit und Schandtat. Denn an einer
früheren Stelle sprach er in bezug auf solche Leute:
"Sie halten Gastmähler mit euch mit Augen voll Ehebruch
und unaufhörlichen Sünden[188]
." Darum heißt er sie auch "wasserleere Brunnen[189]
", und zwar Brunnen, weil sie die Erkenntnis unseres
Herrn Christus erhalten haben, trockene Brunnen aber
deshalb, weil sie nicht entsprechend leben. Von solchen
Leuten sagt auch der Apostel Judas: "Bei eueren
Liebesmahlen gereichen sie der Gemeinde zur Schande, sie
prassen ohne Scham und Scheu und sind nur darauf aus,
sich zu mästen; sie sind Wolken ohne Wasser[190]
" usf. Was nämlich Petrus mit den Worten sagt: "Sie
halten Gastmähler mit euch mit Augen voll Ehebruch", das
drückt Judas folgendermaßen aus: "Bei eueren
Liebesmahlen gereichen sie der Gemeinde zur Schande."
Solche Leute sind nämlich beim Genuß der Sakramente und
bei den Liebesmahlen des Volkes mit den guten Christen
vermischt. Was nun Petrus "wasserleere Brunnen" und
Judas "Wolken ohne Wasser" nennt, eben das heißt Jakobus
einen "toten Glauben[191]
".
47. Aus diesem Grunde
soll man die bloß vorübergehende Strafe durch Feuer
solchen Leuten, die ein schändliches und ruchloses Leben
führen, nicht einfach deshalb versprechen, weil sie den
Weg der Gerechtigkeit erkannt haben; denn wie die auf
der höchsten Wahrheit beruhende Heilige Schrift sagt,
wäre es besser für sie gewesen, wenn sie diesen Weg
nicht erkannt hätten[192]
. Sagt ja doch auch der Herr von solchen Menschen: "Es
werden die letzten Dinge jenes Menschen schlimmer sein
als die ersten[193]
"; denn da er nicht den Heiligen Geist als Bewohner
seiner gereinigten Seele aufnimmt, so macht er es
möglich, daß der unreine Geist in größerer Zahl wieder
in seine Seele zurückkehrt. Oder sollen wir vielleicht
die, von denen wir immer reden, deshalb für besser
halten, weil sie bloß aus dem Grunde nicht zur
Unreinheit des Ehebruchs zurück gekehrt sind, weil sie
diese Unreinheit überhaupt noch nicht aufgegeben haben
oder weil sie sich nach ihrer Reinigung bloß deshalb
nicht wieder befleckt haben, weil sie überhaupt von
einer Reinigung nichts hatten wissen wollen? Ja nicht
einmal um mit erleichtertem Gewissen zur Taufe
hinzutreten zu können, lassen sie sich auch nur dazu
herbei, die alte Unreinheit auszuspeien, um sie dann
freilich nach Hundeart wieder zu verschlingen; nein,
sondern noch im heiligen Bade suchen sie verstockten
Herzens hartnäckig die unverdaute Ruchlosigkeit zu
behalten und verbergen sie nicht einmal durch ein, wenn
auch nur verstelltes Versprechen, sondern geben sie
ungeziemend durch ein freches Geständnis kund. Das Weib
des Lot verließ wenigstens Sodoma und blickte erst
nachher voll Verlangen nach dem zurück, was hinter ihr
lag[194]
. So machen es diese Leute aber nicht; sie weigern sich
vielmehr schlechtweg, Sodoma überhaupt zu verlassen und
versuchen mit den Sünden Sodomas sogar bei Christus
einzutreten. Der Apostel Paulus sagt von sich: "Ich war
vordem ein Lästerer und Verfolger und Schmäher, aber ich
habe Gottes Barmherzigkeit erlangt, weil ich es
unwissend tat im Unglauben[195]
." Diesen Menschen aber sagt man: Wenn ihr im Besitze
des Glaubens seid, dann werdet ihr Barmherzigkeit
erlangen, selbst wenn ihr mit vollem Wissen schlecht
lebt. Es würde zu weit, ja fast ins Ungemessene führen,
wollte man alle Zeugnisse der Heiligen Schrift sammeln,
aus denen erhellt, daß die Schuld derer, die wissentlich
ein ganz schlecht tes und ungerechtes Leben führen,
nicht bloß nicht milder beurteilt werden darf als die
Schuld derer, die es unwissentlich taten, sondern daß
ihre Schuld gerade deshalb noch schwerer ist. Doch mögen
diese Ausführungen genügen.
26. Kapitel:
Zusammenfassendes Urteil des heiligen Augustinus; zur
Erlangung der ewigen Seligkeit sind zwei Dinge vonnöten:
der wahre Glaube und ein gutes sittliches Betragen. —
Bemerkung über die drei Arten menschlicher Sünde
. Mit Hilfe des Herrn,
unseres Gottes, wollen wir uns demnach sorgfältig davor
in acht nehmen, die Menschen dadurch in gefährliche
Sicherheit zu wiegen, daß wir ihnen sagen, sie würden,
einmal in Christus getauft, zum ewigen Heil gelangen,
was für ein Leben sie auch in diesem Glauben führten.
Wir wollen niemanden in gleicher Weise zum Christen
machen, wie die Juden ihre Proselyten; denn zu diesen
Juden sagt der Herr: "Wehe euch, ihr Schriftgelehrten
und Pharisäer, die ihr Meer und Land durchzieht, um
einen einzigen Proselyten zu machen, und wenn ihr ihn
dazu gebracht habt, ihn zu einem Sohn der Hölle macht,
zweimal mehr als ihr selber seid[196]
." Wir wollen vielmehr in beiden Stücken die Lehre des
göttlichen Meisters einhalten: der Taufe entspreche ein
christliches Leben und niemandem soll, wenn eines von
diesen Stücken fehlt, das ewige Leben versprochen
werden. Denn der gleiche [göttliche Meister], der
gesprochen hat: "Wenn jemand nicht wiedergeboren ist aus
dem Wasser und dem Heiligen Geiste, so wird er nicht in
das Himmelreich eingehen[197]
", hat auch [von den Juden] gesagt: "Wenn euere
Gerechtigkeit nicht vollkommener ist als die der
Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in
das Himmelreich eingehen[198]
." Über die nämlichen Juden äußerte er sich aber noch
folgendermaßen: "Schriftgelehrte und Pharisäer sitzen
auf dem Lehrstuhl des Moses. Was die euch sagen, das
tut; was sie aber selber tun, das tut nicht! Denn sie
sagen es wohl, befolgen es aber selber nicht[199]
." Ihre Gerechtigkeit besteht also darin, etwas zwar zu
sagen, es aber nicht zu tun; und darum wollte er, daß
unsere Gerechtigkeit vollkommener sei als die ihrige:
wir aber sollen etwas sagen und es zugleich auch tun.
Ist die Gerechtigkeit nicht von der Art, so kann man ins
Himmelreich nicht eingehen. [Hat einer aber eine solche
Gerechtigkeit,] so darf er sich trotzdem darob nicht
erheben, um nicht gar zu sagen, sich vor anderen damit
brüsten, sondern er soll nur bei sich selbst sich zu
sagen getrauen, er sei in diesem Leben ohne Sünde.
Es gibt aber einige
Sünden, die so schwer sind, daß man sie mit der
Exkommunikation bestrafen muß. Denn sonst würde der
Apostel ja nicht sagen: "[Ich habe entschieden,] da ihr
und mein Geist versammelt seid, einen solchen Menschen[200]
dem Satan zum Verderben des Fleisches zu überliefern,
auf daß seine Seele am Tage unseres Herrn Jesus Christus
gerettet werde. Darum sagt er auch: " ... um nicht über
viele trauern zu müssen, die vordem gesündigt und doch
für ihre Unzucht und Ausschweifung, die sie getrieben
haben nicht Buße getan haben[201]
." Wenn es sodann nicht ebenso einige Sünden gäbe, die
nicht durch demütigende, von der Kirche über die
eigentlichen Büßer verhängte Buße, sondern bloß durch
heilsame Zurechtweisung geheilt werden müssen, so würde
der Herr nicht sagen: "Weise ihn zurecht zwischen dir
und ihm allein; hört er auf dich, so hast du deinen
Bruder gewonnen[202]
." Und wenn es endlich nicht auch gewisse, in diesem
Leben unvermeidliche Sünden gäbe, so würde er uns nicht
in dem von ihm gelehrten Gebete ein tägliches Heilmittel
bieten, da wir sagen: "Vergib uns unsere Schulden, wie
auch wir vergeben unseren Schuldigern[203]
."
27. Kapitel:
Rückblick auf die
wichtigsten in dieser Abhandlung erörterten Fragen
. Zur Genüge habe ich
jetzt, wie ich glaube, meine persönliche Ansicht über
den vorliegenden Gegenstand dargelegt. Drei Fragen haben
sich dabei ergeben:
Die erste betrifft die
Vermischung der guten und schlechten Menschen in der
Kirche: diese sind ihr Weizen und ihr Unkraut. Dabei
heißt es sich recht sorglich vor dem Glauben hüten, als
seien uns dergleichen Gleichnisse, das vorliegende [vom
Weizen und vom Unkraut] so gut wie das von den unreinen
Tieren in der Arche[204]
oder irgendein anderes mit gleichem Inhalt, dazu gegeben
worden, damit die kirchliche Zucht[205]
einschlafe, von der es ja unter dem Bilde des bekannten
Weibes heißt: "Streng ist die Zucht ihres Hauses[206]
." Doch darf man auch nicht so weit gehen, daß man nun
in verwerflicher Spaltung die Guten von den Schlechten
trennen wollte; denn das wäre wahnwitzige Verwegenheit
und nicht strenge Sorgfalt. Durch diese Gleichnisse und
Weissagungen wird nämlich den Guten nicht der Rat
gegeben, in träger Untätigkeit etwas zu verabsäumen, was
sie vielmehr verhindern müssen, sondern es wird ihnen
damit nur der Rat gegeben, in aller Geduld, aber ohne
Gefährdung der wahren Lehre, das zu ertragen, was sie
nun einmal nicht verbessern können. Aber obwohl
geschrieben steht, daß auch unreine Tiere in die Arche
des Noe eintraten, so müssen die Vorsteher der Kirche
doch dagegen einschreiten, wenn noch ganz unreine
Menschen tanzend zur Taufe hinzutreten wollen[207]
, und das wäre doch gewiß eine geringere Sünde als
Ehebruch. Durch dieses Vorbild, das uns die Geschichte
bietet, ist vorausverkündet, daß es in der Kirche immer
auch Unreine geben werde nach den Grundsätzen der
Duldung, aber nicht wegen einer Verderbnis der Lehre
oder wegen einer Auflösung der kirchlichen Zucht. Denn
nicht wo es den unreinen Tieren gerade beliebt, brachen
sie ein Loch in die Arche durch das sie sich Eingang
verschafften, sondern alle gingen durch ein und dieselbe
Türe ein, die der Baumeister gemacht hatte.
Die zweite Frage besteht
darin, daß meine Gegner glauben, man solle den
Täuflingen nur einmal den Glauben übergeben, über die
Sitten sollten sie dann spater nach der Taufe
unterrichtet werden. Doch wenn ich mich nicht täusche,
ist hinreichend gezeigt, daß es dann vor allem Aufgabe
des Wächters ist, nicht von der Strafe zu schweigen, die
der Herr einem sündhaften Leben androht, wenn alle, die
um das Sakrament der Gläubigen bitten mit viel größerer
Aufmerksamkeit auf alles hört was man ihnen sagt [d.h.
im Tauf Unterricht]. Denn sonst würden sie gerade durch
die Taufe zu der sie ja kommen, um Vergebung für die
Schuld aller Sunden zu erlangen, der schwersten
Verbrechen schuldig werden.
Die dritte Frage ist die
gefährlichste. Denn bloß daraus, daß diese zu wenig
erwogen und nicht nach dem Worte Gottes behandelt wurde,
scheint mir jener Wahn entstanden zu sein, daß man
Menschen, die ein höchst ruchloses und schändliches
Leben führen und in einem solchen Leben auch verharren
wollen, ewiges Heil und Leben verspricht, wenn sie nur
an Christus glauben und seine Sakramente empfangen. Das
ist aber doch dem ganz klaren Ausspruch des Herrn
zuwider, der dem nach dem ewigen Leben verlangenden
Jüngling antwortete: "Willst du zum Leben eingehen, so
halte die Gebote[208]
!", und dann die Gebote aufzählte, durch deren
Beobachtung gerade jene Sünden vermieden werden, denen
unbegreiflicherweise wegen des Glaubens, der doch ohne
Werke tot ist, das ewige Leben versprochen wird.
Über diese drei Fragen
glaube ich nun genug gesagt zu haben. Ich habe dabei
gezeigt, daß man in der Kirche die bösen Menschen
ertragen müsse, doch so, daß darunter die kirchliche
Zucht nicht leiden muß. Ferner habe ich gezeigt, daß der
Taufunterricht so zu geben sei, daß man den Kompetenten
nicht bloß das zu hören gibt, was sie glauben müssen,
sondern auch, wie sie zu leben haben. Sie müssen davon
überzeugt werden, daß den Gläubigen das ewige Leben nur
so versprochen wird, daß keiner zu der Meinung kommen
kann, er vermöchte auch durch einen bloß toten Glauben,
der ohne Werke nicht retten kann, zu diesem Leben
gelangen, sondern einzig und allein durch jenen von
Gottes Gnaden geschenkten Glauben, der durch die Liebe
wirksam ist[209]
. Man beschuldige also nicht treue Ausspender wegen
ihrer [vermeintlichen] trägen Nachlässigkeit, sondern
man beschuldige lieber die Verstocktheit gewisser
Menschen, die das [echte] Geld des Herrn nicht annehmen,
dafür aber die Diener des Herrn zwingen wollen, ihr
falsches Geld auszugeben. Und dabei wollen sie nicht
einmal bloß solche Bösewichter sein, wie der heilige
Cyprian[210]
erwähnt, die der Welt wenigstens mit Worten, wenn auch
nicht in der Tat widersagen: denn sie weigern sich
sogar, den Werken des Teufels auch nur mit Worten zu
widersagen, da sie ja ganz offen erklären, in ihrem
Ehebruch [auch nach der Taufe] verharren zu wollen. —
Wenn diese Leute vielleicht noch einen Einwurf zu machen
pflegen, den ich in dieser Abhandlung nicht berührt
habe, so hielt ich eine Antwort darauf für überflüssig,
weil er entweder mit unserer Frage nichts zu tun hatte
oder weil er so geringfügig war, daß er von jedermann
selber leicht widerlegt werden kann.
Die hier zugänglichen Texte dienen einem schnellen
Nachschlagen oder einem gemütlichen Schmökern. Sie
können und wollen jedoch in keiner Weise moderne
Textausgaben ersetzen: Wer wissenschaftlich mit diesen
Texten arbeiten will oder muss, kommt um die
Konsultation moderner Übersetzungen und Editionen nicht
herum. Besonders Studierende sollten sich vor der
Versuchung hüten, diese Texte würden sie vor einem Gang
in die Universitätsbibliothek bewahren. Textquelle
Dr. Gregor Emmenegger
Université Fribourg CH:
http://www.unifr.ch/bkv/ |