Wie
sehr wünsche ich, GOTT möge es gefallen, mich mein
Leben in diesem hl. Dienst verbringen zu lassen! Ich
aber habe meine Zeit damit verschwendet, dass ich Gott
beleidigte. Durch mein schlechtes Beispiel habe ich
Jesus Seelen geraubt, die ER mit seinem Blut erkauft
hat. Hierin bin ich schlimmer als Luzifer gewesen.
Ich weiss wohl, dass vor dem Herrn niemand makellos ist,
doch die Unreinheit meiner Seele ist ohne Beispiel.
Meine Seele ist so verunstaltet, dass mein heiliges
Ordenskleid, wenn ich daran denke, sich über meine
Mangelhaftigkeit zu entsetzen scheint. Und doch ist die
Güte GOTTES, unseres Vaters, immer bereit, und ER hat
meine Seele nie von seiner Barmherzigkeit
ausgeschlossen...
Meine lieben Töchter und Schwestern! Das ist kein
Verlassensein, sondern Liebe, die Ihnen unser guter Erlöser
bezeigt. Es ist durchaus nicht wahr, dass Sie IHN
beleidigen, denn seine Gnade wacht über Sie, wenn ER so
handelt. Es ist also nicht richtig, dass Sie über die Sünden
Ihres vergangenen Lebens eine Generalbeichte abzulegen
brauchen, wie einige von Ihnen zu glauben scheinen. Sie
wissen wohl, wie oft wir darüber gesprochen haben und
wie wirklichkeitsfern Ihre Denkart ist. Aus Ihren
Briefen und bei den vielen Gelegenheiten, da ich Sie
persönlich traf, bin ich zum Schluss gekommen,
dass Ihr Seelenzustand ohne Zweifel ein Zustand ist, der
des Trostes entbehrt, oder ein Zustand geistigen Leidens
heiliger Art ist. Im einzelnen versichere ich Ihnen wieder
im Herrn: Die Dunkelheit, die bisweilen den Himmel Ihrer
Seele verdüstert, ist nicht anderes als Licht. Sie
meinen, Sie wären im Dunkel und in der Mitte des
brennenden Dornbusches. Wenn aber der Dombusch wirklich
brennt, ist die Umgebung wegen des Rauches im Dunkel.
Der erschreckte Geist fürchtet dann, er könne nichts
sehen und überhaupt nichts mehr verstehen. Aber gerade
dann spricht GOTT. ER ist dann in der Seele gegenwärtig,
die hört, versteht und zittert. Haben Sie Mut, meine Töchter!
Warten Sie nicht, bis Sie zum Berge Tabor kommen, um den
Herrn zu sehen. Sie sehen IHN am Berge Sinai.
Erkenntnis Ihrer eigenen Unwürdigkeit und seelischen
Unschönheit ist reinstes göttliches Licht, wodurch Sie
gezwungen sind, über Ihre eigene Natur und deren Fähigkeit
für jede Art von Sünde nachzudenken. Diese Erkenntnis
wurde den größten Heiligen zuteil, weil sie den
Menschen vor jedem Gefühl des Stolzes und der Eitelkeit
schützt und die Demut vermehrt, welche die Grundlage
wahrer Tugend und christlicher Vollkommenheit ist. Auch
die hl. Theresia hatte diese Erkenntnis. Sie sagt, dass
sie zeitweise so viel Leid und Schrecken mit sich
brachte, dass sie gestorben wäre, wenn der Herr ihr
nicht geholfen hätte. Die Erkenntnis unserer in der
Natur des Menschen liegenden möglichen Unwürdigkeit,
von der wir soeben gesprochen haben, darf mit der tatsächlichen
Unwürdigkeit nicht verwechselt werden. Diese erste
macht den Menschen dem Allerhöchsten lieb und
angenehm, die letztere macht ihn in den Augen GOTTES
verabscheungswürdig,
weil sie ein Widerschein der Sünde und Bosheit ist, die
Seele und Gewissen des Menschen beherrschen. In der
Dunkelheit, in der Sie sich jetzt zu befinden glauben,
verwechseln Sie das eine mit dem andern, und in der
Erkenntnis der Möglichkeiten Ihres Seins und Handelns fürchten
Sie, dass Sie wirklich so sind.
Welche
Anstrengung würden Sie machen und welche Verdienste
erwerben, wenn Sie von einer solchen Überzeugung erfüllt
wären? Die grausamsten Qualen wären dann wie Rosen.
Was Sie trösten sollte, ist die maßgebende Stimme
dessen, der Sie führt und leitet. Sie sollen nicht
darauf bedacht sein, sich selbst in aller Klarheit zu
erkennen. Das ist nicht notwendig. Es genügt, dass
jener, der für Ihre Seelen besorgt ist, ein klares Bild
von dem hat, was Sie sind. Glauben Sie dem, was man
Ihnen sagt. Es kommt nicht darauf an, ob Ihr Geist zu
diesem Tun geneigt ist. Die Märtyrer mussten inmitten
ihres Leidens glauben. Der schönste Glaubensakt ist
jener, den wir vollziehen, während wir in seelischer
Dunkelheit sind, und jener, den wir unter Opfern und mit
Überwindung großer Hindernisse erwecken. Selbst der Mangel an völliger Ergebung und die Auflehnung, die Sie
inmitten der Trostlosigkeiten empfinden, können Prüfungen
sein. Der Geist fügt sich, jedoch die niedere Natur
lehnt sich auf, und Sie sind der Meinung, dass der Geist
sich empört. Glauben Sie mir, das kann nicht der Fall
sein. Gott kann bei einem Menschen, der in Sünde zur
Welt kam und der das unglückliche Kennzeichen der von
Adam ererbten Sünde trägt, alles zurückweisen. Aber
ER kann in keinem Fall den Wunsch verdrängen, IHN
zu lieben. Wenn Sie aus anderen Gründen meinen, Sie könnten
seiner himmlischen Barmherzigkeit nicht sicher sein und
wenn Sie den Versicherungen, die ich Ihnen in unserem
lieben Herrn gebe, keinen Glauben schenken wollen,
müssen Sie doch im aufrichtigen Wunsch, Gott zu lieben, sich
gesichert fühlen.
Daraus folgt: Sie sollten in der
Seele Frieden haben und darüber glücklich sein, dass
GOTT mit Ihnen zufrieden ist und dass ER in Ihnen seine
ruhevolle Wohnung findet. Versuchungen, Entmutigung,
Unruhe usw. sind alles Dinge, die vom verworfenen Teufel
kommen. Deswegen sollten Sie sich nicht beunruhigen.
Denken Sie daran: Solange der Teufel großen Lärm
macht, steht er noch vor der Tür und ist noch nicht
eingetreten. Was wir fürchten müssen, ist seine
friedliche Harmonie mit der menschlichen Seele. Glauben
Sie mir; denn ich spreche zu Ihnen als Bruder und mit
der Autorität des Priesters, der Ihr geistlicher Führer
ist. Weisen Sie all diese nichtigen Befürchtungen von
sich! Durchbrechen Sie diese Wolken, die der Teufel um
Ihre Seelen legt, um Sie zu quälen und Sie, wenn möglich,
von der täglichen Kommunion fernzuhalten. Ich weiß,
dass der Herr dem Feind erlaubt, diese Angriffe zu
machen, damit Sie dem Herrn in seiner Barmherzigkeit
lieb und teuer werden. ER wünscht, dass Sie ihm in den
Kämpfen in der Wüste, im Ölgarten und am Kreuz
gleichen. Doch Sie müssen sich verteidigen, den Teufel
vertreiben und all seine Einflüsterungen verachten.
Habe ich klar gesprochen? Doch jetzt muss ich eine Pause
machen. Ich kann nicht weiterfahren. Teilen Sie mir mit,
ob Sie sonst noch etwas brauchen! Beten Sie für mich
immer mit heiliger Zudringlichkeit, besonders damit mir
die Gnade gewährt werde, von der ich zu Ihnen
gesprochen habe. Was mich betrifft, so denke ich in
meinen Gebeten an sie alle und an all jene anderen
Seelen, die vor Christus mit uns im gleichen Geiste
vereint
sind.
Ihr
ergebener Diener Pater Pio, Kapuziner.