Sir Francis
Galton: Begründer der
Differenziellen Psychologie und
Begründer der
Eugenik
Rassen- und
Klassenunterschiede in der
Intelligenz
Sir Francis
Galton (1822–1911), ein Cousin
von Charles Darwin, machte sich
durch seine Vielseitigkeit in
verschiedenen Disziplinen einen
Namen. Obwohl er Medizin
studiert hatte, betätigte er
sich auf Feldern wie
Meteorologie, Statistik,
Anthropologie, Psychologie und
schrieb Berichte über seine
ausgiebigen Afrikareisen. Heute
ist er für seine
Erblichkeitstheorie von
psychischen Eigenschaften und
der Begründung der Eugenik
bekannt. Manchmal wird er auch
als Begründer der
Zwillingsforschung genannt, was
aber nicht der Wahrheit
entspricht, da er nicht
monozygote
(eineiige)
und dizygote (zweieiige)
Zwillinge oder getrennt
aufgewachsene Zwillinge
verglich, sondern nur allgemein
auf die Ähnlichkeit von
Zwillingen und die Notwenigkeit
„nature and nurture“ zu
unterscheiden, verwies
(vgl. Joseph,
2003, S.11-14).
Galtons Lehre vom „guten Erbe“
(Eugenik,
gr. wohlgeboren)
baut auf der Vorstellung auf,
dass Intelligenz und
Persönlichkeit vorwiegend
erblich sind und die englische
Bevölkerung nur mit eugenischen
Maßnahmen verbessert werden
kann. Die Erblichkeitstheorie
und die Idee der Eugenik sind
also auf das Engste miteinander
verbunden.
Schon in seinem
ersten psychologischen Artikel
Hereditary Talent and
Character von 1865 äußerte
er den Wunsch, psychische
Eigenschaften wie physische
Merkmale bei Tieren zu züchten
und zeichnet die „Utopie“ einer
Gesellschaft, in der Heirat nach
eugenischen Gesichtspunkten
erfolgt. „Wenn nur ein
Zwanzigstel der Mittel, die
heute für die Verbesserungen in
der Pferde- und Viehzucht
ausgegeben werden, in die
Verbesserung der menschlichen
Rasse investiert würden, was für
ein Universum an Genies würden
wir dabei zutage fördern!“
(Galton,
1865, S.165).
Aus der Analyse
von Biographien bedeutender
Persönlichkeiten und gewinnt er
die Erkenntnis, dass viele
berühmte Männer, Verwandte
haben, die ebenfalls berühmt
sind. So sieht seine Analyse
beispielsweise aus: „J. Adams,
Pres. U.S.A.; son Samuel also
patriot; nephew J. Quincey
president”
(ebd., S.159)
Die
Verwandtschaft zwischen zwei
Präsidenten in den USA wird
wohl niemand als Beweis für
erbliche Intelligenzunterschiede
nehmen, sondern eher auf die
stark ausgeprägte
Politiker-Elite zurückführen,
was Galton sogar in Betracht
zieht, aber nicht davon abhält,
seine Überzeugung „Ich glaube,
dass Talent in einem sehr
bemerkenswerten Maße durch
Vererbung weitergegeben wird“
(ebd.,
S.157) zu
revidieren. Um zu erklären,
warum die meisten Söhne
bekannter Väter aber nicht
ebenfalls Ruhm erlangen,
verweist er auf den Einfluss
beider Eltern
(vgl. ebd.,
S.158).
Es ist also die Mutter, die den
„genetischen Wert“ der Kinder
verringert.
Ein Thema im
zweiten Teil des Artikels ist
der Vergleich zwischen „Rassen“,
ohne dass dabei in irgendeiner
Form statistisches Datenmaterial
erhoben oder angeführt wird.
Stattdessen verlässt sich der
Autor auf Erzählungen und seine
eigenen Erfahrungen als
Forschungsreisender. Er
behauptet beispielsweise, dass
„der Neger [im Gegensatz zum
amerikanischen Ureinwohner]
starke impulsive Leidenschaften
besitzt, aber weder Geduld noch
Schweigsamkeit oder Würde. Er
ist ausgesprochen gesellig, denn
stets plappert er, zankt,
schlägt das Tom-Tom oder tanzt“
(Galton,
1965, S.321).
Auch von Weißen aufgezogene
Angehörige „niederer Rassen“
behielten eine „wilde,
unzähmbare Ruhelosigkeit“, die
den „Wilden“ angeboren sei.
Erst vier Jahre
später in seinem klassischen
Werk Hereditary Genius (HG)
über erbliche
Intelligenzunterschiede
analysiert er Stammbäume von 13
verschiedenen Gruppen
bedeutender“ Personen relativ
systematisch und begründet damit
die statistisch-empirische
Persönlichkeitsforschung. Unter
den Gruppen befinden sich
Richter in England zwischen 1660
und 1865, Staatsmänner,
Heeresführer, Adlige,
Schriftsteller, Wissenschaftler,
Dichter, Musiker, Maler,
Kirchenmänner, ausgezeichnete
Cambridge-Absolventen, Ruderer
und Ringer. Bei der Analyse der
Gruppe von Adligen geht es ihm
um den Beleg für die angeblich
erbliche Unfruchtbarkeit der
Frauen
(als Grund für das Aussterben
des Adels)
und bei den Sportlern um deren
Muskelkraft und weniger um deren
Intelligenz. Ruhm wird als
„Test“ für natürliche Begabung
eingesetzt
(vgl. Galton,
1962, S.77).
Die Analyse ist ähnlich wie die
von 1865: Die ebenfalls
bedeutenden Verwandten werden
aufgezählt (die nicht
bedeutenden bleiben meist
unerwähnt) und der Grad der
Verwandtschaft wird erfasst. Die
Ergebnisse für die Richter ist
relativ typisch für die
Ergebnisse: Von 286 Richtern
haben 109 einen bedeutenden
Verwandten und 49 mehr als
einen. Berühmte Verwandte ersten
Grades
(Vater, Sohn, Bruder)
waren viermal so häufig wie
berühmte Verwandte zweiten
Grades
(Großvater, Enkel, Onkel,
Neffen),
36 von 286 Richtern hatten einen
Vater, Sohn oder Bruder, der
ebenfalls Richter war. Galton
zog daraus den Schluss, dass
Verwandte von Richtern dazu
tendieren, sowohl juristische
Kompetenzen als auch eine
allgemeine Fähigkeiten zu teilen
und führt dies als Beleg für
seine Erblichkeitsthese an. Eine
Innovation in HG ist
die Anwendung der
Normalverteilung auf die Analyse
von Intelligenz, die bisher nur
für biologische Merkmale wie
Größe und Gewicht verwandt
wurde. Die glockenförmige
Verteilung zeigt, dass die
meisten Individuen sich um den
Mittelwert gruppieren und es zu
den Enden hin weniger werden.
Galton teilte die Population in
16 Stufen auf von „extrem
schwachsinnig“ bis „glänzend“.
Auf der ersten und letzten Stufe
befindet sich nur einer von eine
Million Menschen, wohingegen
sich auf der achten und neunten
Stufe, also in der Mitte jeder
vierte befindet. Sein Fokus lag
ohne Zweifel auf den bedeutenden
und genialen Personen innerhalb
der westeuropäischen
Bevölkerungen am oberen Ende der
Verteilung, in dem Abschnitt „The
Comparative Worth of Different
Races“ vergleicht er jedoch
nebenbei die „Negerrasse“ mit
der angelsächsischen, indem er
seine rating-Skala benutzt.
Da die
„Negerrasse“ auch solche Männer
wie Toussaint l´Ouverture
(Unabhängigkeitskämpfer,
Gouverneur der Kolonie Haiti)
hervorgebracht habe, könnten
nicht alle Schwarzen völlig
geistesschwach sein, so Galtons
Überlegung, weshalb er Toussaint
l´Ouverture auf Stufe 14 der
westeuropäischen Bevölkerung und
schließt daraus: „Die
durchschnittlichen
intellektuellen Fähigkeiten der
Negerrasse liegen in etwa zwei
Stufen unter den unsrigen“
(S.394).
Galton zufolge
wohnt die höchste Begabung
jedoch keiner noch
existierenden, sondern der
athenische Rasse inne, die
wiederum zwei Stufen über der
angelsächsischen liegen soll, da
er 14 Personen aus der
Gesamtbevölkerung von 60.000
männlichen Erwachsenen der
griechischen antiken
Gesellschaft auf der höchsten
Stufe verordnet.
Beim Lesen der
Forschungsarbeiten von Francis
Galton entsteht der starke
Verdacht, dass die Ergebnisse
und Schlussfolgerungen nicht das
Produkt „wertneutraler“,
induktiv-empirischer Forschung
sind, sondern vielmehr die
schlichte Faktenuntermauerung
bereits vorher geäußerter
theoretisch-vorurteilsvoller
Überlegungen. Was läuft hier
falsch?
Petitio principii
Petitio principii
ist die Bezeichnung für einen
Verstoß gegen einen der vier
Hauptsätze der klassischen
formalen Logik: den Satz vom
zureichenden Grund. Dabei wird
eine Hypothese mit einer
weiteren Hypothese begründet,
die zwar widerspruchsfrei, aber
auch nicht bewiesen ist. Das
scheinbar argumentative System
kann daher in Verdacht geraten,
nur aus Glaubenssätzen zu
bestehen.
Gemeinsam sind
Galtons Arbeiten mindestens vier
voreilige Schlussfolgerungen,
die keineswegs aus der
empirischen Wissenschaft
verschwunden sind, sondern auch
heute noch die scheinbar
wertneutrale, empirische
Wissenschaft prägen.
Erstens schließt
Galton unumwunden von
Berühmtheit auf natürliche
Begabung. Denselben Fehler
begehen auch viele andere
Intelligenztestentwickler, die
der Vorstellung anhängen, dass
es allein Leistungen sind, die
darüber entscheiden, wer welche
Position in unserer Gesellschaft
erreicht. Dass das Versprechen
von Chancengleichheit aber in
der Realität nie eingelöst wurde
und andere Variablen wie soziale
Stellung der Eltern, Kontakte zu
einflussreichen Personen etc.
ein wichtige Rolle spielen, wird
ausgeblendet oder
heruntergespielt. Die
Intelligenzforscher
identifizieren soziale Stellung
mit Intelligenz, entwickeln mit
diesem Konstrukt im Hinterkopf
einen Test und zeigen sich
begeistert, wenn dieser Test
dann tatsächlich mit Schul- oder
Berufserfolg korreliert. Mit
diesem Zirkelschluss meinen sie
dann diesen Test validiert zu
haben. Da bspw. der erste
Intelligenztest von Alfred
Binet zu dem praktischen
Zweck entwickelt wurde, die
Kinder auszumachen, die dem
Unterricht nicht folgen können
und eine Sonderbeschulung
benötigen, ist es kein Wunder,
dass die beiden Variablen
korrelieren. Immerhin war sich
Binet aber noch im Klaren
darüber, dass das Testergebnis
nicht mehr als eine grobe
Schätzung sein könne und der
Test keine erbliche, im Sinne
von unveränderliche Fähigkeit
messe und verwehrte sich gegen
anders lautende Auffassungen:
„Gegen diesen brutalen
Pessimismus müssen wir
protestieren und reagieren“
(Binet,
1913, S.141; zit. nach Lewontin,
Kamin & Rose, 1988, S.67).
Ein Test erfüllt immer einen
praktischen Zweck, wie auch der
Standford-Binet-Test von Lewis
M. Terman, der eingesetzt wurde,
um „Schwachsinnige“ zu
identifizierte und sie zu
sterilisieren oder der Army-α
und -β-Test von Robert M. Yerkes,
der den Zweck hatte, Rekruten
ihren ihrer „Intelligenz“
gemäßen Patz in der Armee
zuzuweisen oder andere
Intelligenztests, die
Unternehmen gebrauchen, um ihre
Bewerber auswählen. Wenn Tests
den speziellen Anwendungszweck
nicht erfüllten, würde niemand
Geld dafür zahlen und der Test
wäre nie entwickelt oder
zumindest angewendet worden
(vgl. Gould, 1983, S.157-256).
Der von galton selbst
entwickelte Intelligenztest fand
nie Verbreitung, da Akademiker
nicht besser als der Rest der
Bevölkerung abschnitt.
Die zweite, wenn
nicht falsche, so doch zumindest
voreilige Schlussfolgerung
besteht darin, dass Galton aus
der Verwandtschaft zwischen
Berühmtheiten die Vererbung von
Begabung ableitet. Dieselbe
Tatsache könnte ebenso schlüssig
als kulturelle
Wissensübertragung
(Milieutheorie)
von den Eltern auf die Kinder
interpretiert werden. Galton
hätte die vorgefundenen
Zusammenhänge demnach ebenso auf
den selektiven Zugang zu Bildung
in der stark ausgeprägten
englischen Klassengesellschaft
des 19 Jahrhunderts zurückführen
und sich wie andere vor dem
Hintergrund dieser Faktenlage
für allgemeine Bildung, gegen
die Verelendung der Massen oder
gar für die Aufhebung des
Klassengegensatzes einsetzen
können. Soziale Benachteiligung
schloss Galton aber Zeit seines
Leben wie bspw. In
Hereditary Genuis im Kern
aus: „Ist ein Mann mit großen
intellektuellen Fähigkeiten
ausgestattet und besitzt er den
nötigen Fleiß sowie auch die
Kraft zu arbeiten, dann kann ich
mir nicht vorstellen, was einen
solchen Mann aufhalten sollte“
(Galton,
1962, S.79).
Anzumerken ist, dass nach
Galtons Vorstellung nicht nur
Intelligenz, sondern auch Fleiß,
Anstrengung, ja sogar Moral im
Wesentlichen erblich ist. Die
Mangelhaftigkeit solcher
voreiligen Schlussfolgerungen
ist mittlerweile in der
Psychologie allgemein anerkannt.
Man drückt sich allerdings in
der Regel um die Frage, warum
Galton ausgerechnet diese
Interpretation wählte.
Der dritte
Fehlschluss, den bis heute
einige Vererbungstheoretiker
trotz besseren Wissens nahe
legen, besteht darin,
Erblichkeit mit
Unveränderlichkeit
gleichzusetzen. Das mag auf den
ersten Blick einleuchtend
erscheinen, entspricht aber
nicht der Erkenntnis, dass Erbe
und Umwelt in einer komplexen
Wechselwirkung zueinander stehen
und Erbkrankheiten wie
Phenylketonurie mit einer
entsprechenden Diät direkt nach
der Geburt, die eigentlich
folgende geistige Retardiertheit
mildern oder ganz beseitigen
kann. Ein anderes Beispiel wäre
die Sehschwäche, die ganz
einfach mit einer Brille behoben
werden kann. Zu Galtons Lebzeit
waren weder die Mendelschen
Gesetze (zwar schon aufgestellt,
aber kaum bekannt) noch die DNA
als Träger der Erbinformation
bekannt, noch hatte man den
komplexen Weg von der DNA über
die RNA zur Aminosäure zum
Protein etc. erforscht, der
natürlich vielfältigen
Umwelteinflüssen ausgesetzt ist.
On the Origin of Species By
Means of Natural Selection, or
the Preservation of Favoured
Races in the Struggle for Life
(1959) von Darwin war gerade
erst erschienen, sodass es
ziemlich voreilig war, ohne
viele Belege solch weitreichende
Schlüsse zu ziehen. Die
Historikerin Ruth Schwartz
Cowan (1977), die Galtons
Schriften analysiert hat, kommt
daher zu dem Schluss: „Es
gibt in der Geschichte der
Wissenschaft kaum ein anderes
Beispiel für eine solch
gewichtige Verallgemeinerung,
die auf Grundlage einer derart
dürftigen konkreten Beweislage
getroffen, so schlecht
entwickelt und auf so naive
Weise erdacht worden ist“
(S.135).
Der vierte
Denkfehler liegt möglicherweise
allen anderen zugrunde. Er
besteht in der Überzeugung, dass
die ganze komplexe Welt
inklusive der geistigen
Fähigkeiten ihrer Bevölkerungen
kommensurabel gemacht, d.h.
quantifiziert und verglichen
werden könne, Intelligenz sich
also wie Körpergröße oder
Schädelumfang messen lasse.
Dabei handelt es sich jedoch um
eine Illusion, denn ein IQ-Test
ist zum einen kein Metermaß, es
handelt sich bestenfalls um eine
künstlich erstellte
Intervallskala, und zum anderen
ist längst nicht erwiesen, dass
alles intelligente Verhalten
sich in eine Dimension zwängen
lässt (Guilford
z.B. nimmt 120 Dimensionen an)
oder überhaupt numerisch
erfassbar wäre. Nur weil Galton
Menschen Zahlen zuordnet und sie
in eine Rangordnung bringt, hat
er weder real Intelligenz noch
Intelligenzunterschiede erfasst.
Dass „Neger“ zwei Stufen unter
den „Weißen“ liegen, ist
vollkommen willkürlich und
spiegelt deutlich seine schon
vorher gefasste Meinung wider.
Das Problem ist, dass von Zahlen
die Magie der „Objektivität“
auszugehen scheint, solange
nicht danach gefragt wird, wie
diese Zahlen überhaupt
entstanden sind.
Warum so
hartnäckig an dem Traum von der
Kommensurabilisierung des
Inkommensurablen, d.h. der
klaren Einordnung des Menschen
in eine lineare Hierarchie
festgehalten wird, soll im
Folgenden erörtert werden.
Politik und
Wissenschaft
Kind seiner Zeit?
Nun könnte man,
wie auch von Arthur Jensen
vorgebracht, entschuldigend
einräumen, dass Galton nun
einmal ein Kind seiner Zeit
gewesen sei. Richtig ist, dass
Äußerungen solcher Art unter
Zeitgenossen sowohl Zuspruch,
als auch Ablehnung hervorriefen.
Dass Galton keineswegs den
common sense der Wissenschaft im
viktorianischen England
wiedergibt, zeigt z.B. ein Zitat
von John Stuart Mill aus The
Principles of Political Economy:
„Von allen vulgären Formen des
Ausweichens vor der
Beschäftigung mit
gesellschaftlichen und
moralischen Einflüssen auf das
menschliche Bewusstsein ist die
vulgärste Form von allen
diejenige, welche die
Vielfältigkeit des menschlichen
Verhaltens und Wesens auf
vermeintlich erbliche,
ursprüngliche, natürliche
Wesensverschiedenheiten
zurückführt.“
(Mill, 1848, zit.
nach Fancher, 2003, S.62).
Unter
Wissenschaft versteht Galton
anscheinend, die Vorurteile
gegenüber den kolonialisierten
Völkern des viktorianischen
Englands zusammenzutragen und
sie „wissenschaftlich“ zu
untermauern, genauso wie zu
anderen Zeiten feudale
Rassenforscher, wie Graf
von Boulainvilliers, die
rassische Andersartigkeit und
Höherwertigkeit des Adels,
Schädelforscher die
Minderwertigkeit der Frau oder
französische Wissenschaftler vor
dem Ersten Weltkrieg die größere
Giftigkeit von deutschem im
Verhältnis zu französischem Urin
„nachwiesen“, um eine rassisch
begründete Aggressivität „der
Deutschen“ zu konstruieren.
Galton spricht auch in den
darauffolgenden Werken von der
„Höherwertigkeit der weißen
Rasse“ (Galton,
1907, S.211)
und echauffiert sich darüber,
dass „es eine größtenteils
völlig unvernünftige
Sentimentalität gegenüber der
schrittweisen Auslöschung einer
niederen Rasse gibt“
(ebd. S.200)
– eine Position, die auch heute
noch von einigen Denkern
vertreten wird, so z.B. von den
Psychologen und Eugenikern
Raymond B. Cattell
und Richard Lynn
oder dem weltweit
einflussreichsten Ökonomen der
letzten dreißig Jahre, dem
nobelpreisgekrönten
Marktradikalen Friedrich
August von Hayek. Nur
weil andere auch rassistisch
sind, werden diese Vorurteile
weder neutralisiert noch
harmloser oder entschuldbar.
Jensen liegt auch gar nicht
daran, Galtons Vorurteile zu
entschuldigen, Jensen arbeitet
eher auf eine Erneuerung des
Rassenwissenschaft zu, oder
warum sollt er sonst der
American Renaissance und
der Nation Europa
Interviews geben und zusammen
mit NPD-Mitgliedern wie Rolf
Kosiek im wissenschaftlichen
Beirat der Neuen
Anthropologie, die von dem
bekannten Neonazi Jürgen Rieger
herausgeben wird, sitzen und für
ebendiese Zeitschrift mehrere
Artikel schreiben?
Kein Rassist?
Es ließe sich
auch einräumen, dass Galton ja
gar nicht rassistisch sein
könne, weil er eine Überlappung
der Bevölkerungen im Hinblick
auf ihre geistigen Fähigkeiten
annimmt (mit dem gleichen
Argument verbittet sich auch
Hans Jürgen Eysenck den
Vorwurf des Rassismus). Hier
werden allerdings zwei Punkte
außer Acht gelassen.
Erstens sähe sich
Galton ansonsten gezwungen,
bestehende Unterschiede zwischen
„Negern“ weg zu erklären.
Zweitens läge in
diesem Falle der Umkehrschluss
aus „alle Neger sind gleich
dumm“ nahe, nämlich die Aussage:
„alle Weißen sind gleich
intelligent“, was jedoch nicht
in Galtons Interesse wäre, denn
sein Hauptaugenmerk richtet sich
gerade auf die vermeintliche
Gefahr der Degeneration der
„weißen Rasse“ oder „britischen
Rasse“ durch die
überproportionale Vermehrung der
Arbeiterklasse. Ihm ist also
hauptsächlich daran gelegen, die
erbliche Minderwertigkeit der
verarmten Bevölkerungsteile zu
belegen, weshalb er zum Zweck
der Legitimierung sozialen
Ungleichheit die Behauptung
aufstellt, Armut sei neben
Alkoholismus, Geisteskrankheit
und Gewohnheitskriminalität
erblich und könne nur eugenisch
gekämpft werden
(vgl. Galton,
1908).
„Die schwachen Nationen“ sind
für Galton nicht die größte
Gefahr, da sie „ganz
zwangsläufig den edleren
Menschentypen den Platz“
(Galton, 1865, S.
166)
räumen. Die Mehrzahl der „Neger“
und die „Untauglichen“ in der
englischen Bevölkerung sind arm
ergo minderwertig. Dieses Denken
ist sowohl rassistisch als auch
elitär und demokratiefeindlich.
Eysenck könnte
man entgegnen, dass auch die
offen rassistische National
Front in England die
IQ-Überlappung der afrikanischen
und weißen Bevölkerung nicht
leugnet, da diese Tatsache
„rassische Minderwertigkeit“ ja
nicht ausschließt
(vgl. Billig,
1981, S.163-165).
Sozialdarwinist?
Nun könnte man
meinen, Galton habe Darwins
Gesetze der natürlichen Auslese
und des „Kampfes ums Dasein“
einfach auf die menschliche
Gesellschaft übertragen, er wäre
also ein Vertreter des
Sozialdarwinismus. Das stimmt
aber nur zum Teil. Obwohl
zwischen der Eugenik und dem
Sozialdarwinismus personelle wie
inhaltliche Überschneidungen
bestehen, unterscheiden sie sich
doch in einigen Punkten: Während
Galtons Forderungen nach
eugenischer Gesellschaftsplanung
Ende des 19. Jahrhunderts kaum
Beachtung fanden, entstanden
Anfang des 20. Jahrhunderts fast
zeitgleich nationale eugenische
Gesellschaften in
Großbritannien, Deutschland und
den USA. Der bis dahin
dominierende Sozialdarwinismus
büßte insofern an
Erklärungskraft ein, als das
Selektionsprinzip
(survival of
the fittest)
allem
Anschein nach nicht im Sinne der
privilegierten Klassen
funktionierte: die Armen starben
nicht so einfach aus,
stattdessen organisierten sie
sich als Arbeiterbewegung in
Gewerkschaften, Bildungsvereinen
und Kulturinstitutionen und
entwickelten sich schließlich
mit der Gründung der Labour
Party 1903 auch zu einer
unmittelbar politischen
Bedrohung.
In den
Vereinigten Staaten hatten
Unternehmer wie John D.
Rockefeller und Andrew
Carnegie Darwins Theorie vom
„Kampf ums Dasein“ noch zur
Rechtfertigung des
Laisser-faire-Kapitalismus und
der Schattenseiten der
Industriellen Revolution
(Verarmung der
Stadtbevölkerung, katastrophale
Wohn- und Arbeitsbedingungen
sowie mangelhafte Hygiene, etc.)
benutzt.
Die Eugenik
gewann erst zu dem Zeitpunkt an
Bedeutung, als sich im Zuge des
Abflauens der langen
Wachstumsperiode seit 1848 und
mit dem Einsetzen der Großen
Depression nach 1873 die
ökonomischen und politischen
Instabilitäten und die sozialen
Spannungen mehrten. Ausgehend
von der Grundannahme, dass es in
den Industriestaaten zu einer
Aussetzung des
Selektionsprinzips im Sinne
einer verbesserten medizinische
Versorgung und Sozialpolitik -
Maßnahmen die von den Eugenikern
als „Pseudo-Humanismus“
gegeißelt wurden - gekommen sei,
was eine überproportionale
Vermehrung von „minderwertigen“
Bevölkerungsgruppen und die
Degeneration der menschlichen
Rasse zur Folge habe, bot die
Eugenik eine zeitgemäßere
biologische Erklärung für die
Widersprüche der gespaltenen
Gesellschaft. Galton fordert in
diesem Kontext gezielte
Eingriffe in die menschliche
Evolution (im Gegensatz zur
darwinschen Theorie der
natürlichen Selektion) und
unterstreicht die nationale
Bedeutung der Eugenik für
Großbritannien. So müsse die
Eugenik erst als Wissenschaft
etabliert werden und dann „wie
eine neue Religion“ in das
„nationale Gewissen“ eingeführt
werden
(vgl. Galton, 1904, S.6),
um die Fortpflanzung der
Begabten besonders zu fördern
(positive
Eugenik)
und die Fortpflanzung der
„Untauglichen“ zu verhindern
(negative
Eugenik).
Gleichzeitig mit der Zunahme von
Staatsinterventionen
(protektionistische Abschottung
der Kolonien, Militarisierung,
etc.) und
der Durchsetzung eines stärker
regulierten Kapitalismus
gegenüber dem
Laisser-faire-Kapitalismus,
gewann die Eugenik mit ihren
Forderungen nach einer
Regulierung der Fortpflanzung
und Selektion an Einfluss
(vgl. Kühl, 1997,
S.20-21).
So entsteht 1907
die Eugenics Education
Society mit Galton als
Ehrenmitglied und 1912 findet
der erste internationale
Kongress in London statt. Die
Öffentlichkeit ist sich zu
diesem Zeitpunkt uneins darüber,
worum es sich bei der
eugenischen Bewegung tatsächlich
handelt: Handelt es sich um eine
neue innovative Wissenschaft,
eine von Klassen- und
Rassenvorurteilen geprägte
politische Bewegung oder bloß um
eine internationale Versammlung
von Phantasten. Die enge
Verknüpfung von Wissenschaft und
Politik - schon von Galton
eingefordert - verhilft der
jungen Forschungsrichtung
einerseits zu großzügigen
Forschungsgeldern und
andererseits vermögen sie es,
mit dem Verweis auf ihre
Wissenschaftlichkeit ihre
politischen Forderungen als
scheinbar objektiv begründet
darstellen. Erst als jene in
Frage gestellt wird, gerät der
Eugenik die enge Verknüpfung von
Politik und Wissenschaft zum
Verhängnis, sie wird als eine
von Rassen- und
Klassenvorurteilen geprägte
politische Bewegung im
wissenschaftlichen Gewand
enttarnt und kann sich nur in
neuem Gewand abermals
etablieren.
Fazit
Welche Hypothesen
aufgestellt, welche Methoden
verwendet werden und zu welchen
Ergebnissen Forschung gelangt,
hängt von den Vorannahmen des
Forschenden, dem
wissenschaftlichen Paradigma und
den dominanten Vorstellungen
einer Epoche ab. Welche
Forschung sich durchsetzt, hängt
von der Nützlichkeit der
jeweiligen Theorie ab.
Legitimiert sie in Zeiten der
Sklaverei die Sklaverei als
naturgegeben, ist sie nützlich,
postuliert sie in Zeiten der
wirtschaftlichen Krise die
„genetische Minderwertigkeit“
der Verlierer und Arbeitslosen,
ist sie nützlich und kommt daher
eher in den Genuss staatlicher
oder privatwirtschaftlicher
Finanzierung, findet durch
Zeitungen, Politikberater etc.
Einzug in die öffentliche
Meinung und politische
Argumentation.
So genannte
Fakten können auf die
unterschiedlichste ideologische
Art interpretiert werden. In
Galtons Falle handelt es sich
eindeutig um die Ideologie der
herrschenden Klasse, die ein
elementares Interesse daran hat,
die Ungleichheit in Status,
Besitz und Macht als
unveränderliche Gegebenheiten zu
rechtfertigen.
Wie ein roter
Faden zieht sich diese Ideologie
durch die gesamte Geschichte der
biologischen Intelligenz- und
Persönlichkeitsforschung. Das
Galtonsche Erbe trat der
Statistiker Karl Pearson
an, der den gestifteten
Lehrstuhl für Eugenik und das
Galtonsche Labor für nationale
Eugenik übernimmt. Galton stand
nicht nur am Anfang der
politischen eugenischen
Bewegung, sondern ist auch der
Pionier der biologischen
Persönlichkeitsforschung, der
London School. In deren
Tradition stehen Psychologen
(Psychometriker)
wie Charles Spearman, Raymond
Cattell, Cyril Burt
(einst
bekanntester britischer
Psychologe, heute der Fälschung
von Zwillingsstudien überführt),
Hans J. Eysenck, Richard
Lynn, Arthur Jensen, J. Philippe
Rushton, Linda Gottfretson
etc., die die Lehren von den
angeblich erblichen Rassen- und
Klassenunterschieden Francis
Galtons bis heute vertreten –
selbstverständlich angepasst an
die gegenwärtigen
wirtschaftlichen, politischen
und universitären Verhältnisse
und die heutige Gestalt
konservativer
Rechtfertigungsdiskurse.
Weiterführende Links:
http://galton.org
Alle Arbeiten von Francis Galton
im Volltext
http://www.individualdifferences.info/LondonPersonnel.htm
Hier finden sich Forscher, die
sich zur London School of
Differential Psychology zählen. |