Georg May wurde am 14. September
1926 in Liegnitz in Schlesien geboren. Am 1. April 1951
empfing er von Bischof Heinrich Wienken von Meißen (der
seinerseits vom sel. Kardinal von Galen zum Bischof
geweiht worden war) die Priesterweihe. Er wurde geweiht
für die Diözese Breslau. In München wurde er summa cum
laude zum Doktor der Theologie promoviert. Sein Lehrer
war der berühmte Kanonist Klaus Mörsdorf. Nach seiner
Habilitation lehrte er zuerst in Freising, ab 1960 an
der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.
„In kanonistischen Fachkreisen fand May hohe
Anerkennung“, schrieb das Bistum Mainz 2001 anläßlich
seine Goldenen Priesterjubiläums. Das zeigt sich nicht
zuletzt in der Tatsache, daß ihm bereits zwei
umfangreiche Festschriften gewidmet wurden, einmal zu
seinem 65., dann zu seinem 80. Geburtstag. |
Prof. Dr. Georg May |
In der ersten
Festschrift „Fides et Ius“, die auf 639 Seiten
30 Beiträge vereint, u.a.. von Matthäus Kaiser,
Audomar Scheuermann, Heinz Maritz, Konrad Repgen
und dem späteren Kardinal Leo Scheffczyk,
schreiben die Herausgeber Winfried Aymans, Anna
Egler und Joseph Listl: „Georg May ist ein von
seinen Hörern geschätzter, erfolgreicher
akademischer Lehrer. In den Jahren 1965 und 1968
an ihn ergangene Rufe an die neugegründeten
Universitäten Bochum und Regensburg lehnte er
ab. Seine Standfestigkeit hat ihn nicht davor
bewahrt, gelegentlich ungerecht behandelt zu
werden und Zurücksetzung zu erfahren. Seine
grundfeste Art, manche Erscheinungen in der
heutigen Kirche kritisch zu hinterfragen und an
den Maßstäben des Glaubens und der Tradition der
Kirche zu messen, hat in der nachkonziliaren Ära
nicht selten Mißfallen erregt und Ablehnung
hervorgerufen. Nach seinem Verständnis von
Pflichten eines Professors der katholischen
Theologie konnte er sich diesem Einsatz nicht
entziehen. Die Aufgabe des Theologieprofessors
versteht er als Dienst an der Wahrheit des
katholischen Glaubens. Daß mutiger Widerspruch
und ein dem Zeitgeist entgegengesetztes
Auftreten ihren Preis fordern und zu einem
Hindernis der akademischen Laufbahn werden
können, hat Georg May aus Treue zu seiner
Glaubensüberzeugung in Kauf genommen“ (Fides et
Ius, Regensburg 1991, S. 10).
Die zweite Festschrift, unter dem Titel „Dienst
an Glaube und Recht" herausgegeben von Anna
Egler und Wilhelm Rees, enthält auf 861 Seiten
32 Beiträge, darunter solche von Bruno
Primetshofer, Anton Ziegenaus und Georg
Schwaiger.
Quantität und Qualität seiner Werke lassen auf
eine unglaubliche Schaffenskraft schließen. Die
Herausgeber von "Fides et Ius" schreiben im
erwähnten Vorwort, daß seine Veröffentlichungen
auf intensiven Forschungen in Archiven beruhen
und daß er hierin "vielen seiner Kollegen ein
unerreichbares Vorbild“sei.
Im Laufe seiner wissenschaftlichen Tätigkeit
beschränkte er sich nicht auf sein
kanonistisches Fachgebiet, sondern schrieb z.B.
ein viel beachtetes Werk über die Kirche im
Nationalsozialismus, dessen Auszug auf kath-info
die meistbesuchte Seite dieser Website ist.
Darüberhinaus publizierte er immer wieder
Artikel (etwa im FELS und in „Theologisches“)
und Bücher zur Diagnose der kirchlichen Lage,
z.B. "Glaube und Seelsorge in unserer Zeit",
"Echte und unechte Reform", "Demokratisierung
der Kirche. Möglichkeiten und Grenzen“, „Die
Krise der nachkonziliaren Kirche und wir“. Die
Liturgiereform analysierte er in „Die alte und
die neue Messe“ und hielt als Konsequenz, die er
aus seinen Erkenntnissen zog, an der
überlieferten Messliturgie fest.
Alltäglich, mit nur sehr wenigen Ausnahmen,
zelebriert er in einer Mainzer Kirche das
heilige Meßopfer im überlieferten Ritus und
erfreut sich in seiner Gemeinde eines hohen
Zuspruchs. Seine Predigten sind Lehrstücke
katholischer Glaubensfragen und für unsere Zeit
unentbehrlich, bestechend klar und im höchsten
Maße hilfreich für die Wahrheit im Vermächtnis
des einen wahren Glaubens.
Erst jetzt wurde Prof.
May hohe päpstliche Ehrung zuteil, die sein
hervorragendes Lebenswerk und seinen Kampf gegen
die nachkonziliaren Missstände in der
katholischen Kirche würdigt. Er wurde in den
Prälatenstand erhoben mit dem Ehrentitel
„Apostolischer Protonotar“. Wir danken Gott und
dem Heiligen Vater, dass dieser Priester nun
doch noch Ehre und Anerkennung erfährt. Gott
gebe ihm noch viele Jahre!
|
Das
auserwählte Volk
Am 29.3. 1987 begann
Prof. Dr. Georg May seine Sonntagspredigt: «Am
vergangenen Sonntag haben wir die Verheissungen, die
GOTT, ergehen liess über die Ankunft des
Erlösers, über sein Werk, über sein Leiden und Sterben
betrachtet. Diese Verheissungen sind eingebettet in die
Vorbereitung auf das Kommen des Erlösers.
GOTTES Plan
Die
Vorbereitung des Erlösers geschah vorzüglich in der
Weise, dass Gott sich ein Volk auserwählte,
das er als
Priestervolk für die anderen Völker zu benutzen
gedachte, um auch allen Heidenvölkern das Heil
zuzuwenden. Dass GOTT ein auserwähltes Volk schuf,
bedeutet also nicht die Verwerfung der übrigen Völker,
sondern im Gegenteil, es bedeutet, dass er das Heil für
alle Völker bereiten wollte, indem er ein Volk
auserwählte, das priesterlich, also vermittelnd für
andere Völker tätig werden sollte. Dieses Volk hat GOTT
in vierfacher Weise für die Ankunft des Erlösers
vorbereitet.
1.
Indem er es schweren Prüfungen unterwarf. Dieses Volk
war sinnlich und sinnenhaft, es verlangte mehr nach den
Fleischtöpfen Ägyptens als nach dem gelobten Land.
Deswegen liess Gott schwere Prüfungen über das Volk
kommen. Die Knäblein in Ägypten sollten getötet werden,
Bedrückungen ohne Zahl, Fortführung in Gefangenschaft,
grausame Könige. So und auf diese Weise wollte Gott
dieses Volk heiligen, sein Vertrauen anfachen, seine
Liebe zu Gott erwecken.
2.
Die zweite Weise der Vorbereitung waren strenge Gesetze,
die GOTT ihm gab. Unter Donner und Blitz erfolgte die
Gesetzgebung auf dem Berge Sinai, und sie war begleitet
von vielen Verheissungen und Drohungen.
3.
Die dritte Weise, wie Gott das Volk vorbereitete, waren
Wunder, die er vor den Augen des Volkes durchführte.
Denken wir nur an den Durchzug durch das Rote Meer, an
die Ernährung in der Wüste, an das Wasser, das Moses aus
dem Felsen schlug. Alle diese Wunder sollten im Volk den
Glauben an den erlösenden GOTT festigen und erhalten.
4.
Die letzte Weise, wie
Gott dieses Volk vorbereitete,
war die Sendung von Propheten. Etwa 70 insgesamt zählen
wir, gotterfüllte Männer, die gesandt waren, den Glauben
an Gott und das
Vertrauen auf IHN zu
erhalten und zu festigen.
Die Vorbereitung des
auserwählten Volkes begann mit der Berufung des Abraham.
Abraham lebte in Chaldäa, später in Mesopotamien. Eines
Tages erhielt er die Weisung, seine Heimat, seine
Verwandtschaft zu verlassen und in ein anderes Land zu
ziehen, das Gott ihm zeigen werde. Abraham gehorchte.
So
wurde er der Stammvater aller Gläubigen. Sein
Sohn war lsaak, den er auf dem Berge opfern
sollte. Sein Sohn war Jakob. Jakob ist der Vater
von zwölf Söhnen. Einer von ihnen, Josef, wurde
nach Ägypten verkauft. Dort stieg er zum
Vizekönig auf und berief seine Verwandten nach
Ägypten. Dort
vermehrte
sich das Volk, wurde stark und erregte den Neid
und die Eifersucht der Ägypter, so dass sie
dieses Volk bedrückten und quälten. In ihrer Not
berief Gott den Moses, der das Volk aus Ägypten
führte. In einem langen Wüstenzug kamen die
Israeliten in die Nähe des gelobten Landes.
Moses durfte wegen seines Zweifels das Land nur
von dem Berge Nebo aus schauen, einziehen durfte
er nicht. Das war seinem Nachfolger Josue
vorbehalten, der das Land Israel, das heutige
Palästina, aufteilte unter die zwölf Stämme. Es
folgten ihm die Richter, der letzte war Samuel.
Samuel musste dem Volk auf dessen Begehren hin
einen König geben. Der erste König war Saul, ein
grausamer Mann, der sich töten liess. Ihm folgte
der König David, unter dem das Land und das Volk
eine Blütezeit erlebte. David war ein frommer
Mann. Wir verdanken ihm viele Psalmen, die wir
Priester noch heute jeden Tag im Brevier beten
dürfen. Er war auch ein reuiger Mann. Als er
zwei schwere Sünden begangen hatte, tat er
Busse. Den Tempel durfte er nicht bauen.
|
Am Jordan. In der Nähe
taufte Johannes Jesus.
Landnahme
(Gen 13):
Von Ägypten
zog Abram den Negev hinauf, mit allem, was ihm
gehörte, und mit ihm auch Lot. Abram hatte einen
ansehnlichen Besitz an Vieh, Silber und Gold.
Sie wanderten von einem Lagerplatz zum anderen
bis zu dem Ort, an dem anfangs ihre Zelte
standen, wo er den Altar erbaut hatte. Dort rief
Abram den Namen GOTTES an. Auch Lot besass
Schafe und Ziegen, Rinder und Zelte. Das Land
war aber zu klein, als dass sich beide
nebeneinander hätten ansiedeln können. Zwischen
den Hirten Abrams und den Hirten Lots kam es zum
Streit. Da sagte Abram zu Lot: «Zwischen mir und
dir, zwischen meinen und deinen Hirten
soll es keinen Streit geben, wir sind doch
Brüder. Trenn dich also von mir! Wenn du nach
links willst, gehe ich nach rechts; wenn du nach
rechts willst, gehe ich nach links. Lot brach
nach Osten auf, und sie trennten sich
voneinander. Abram liess sich in Kanaan nieder. |
Das war erst
seinem Nachfolger Salomon vorbehalten. Salomon
war ein Mann von Weisheit und Reichtum, ein
Mann, dem wir eines der heiligen Bücher des
Alten Testamentes verdanken, nämlich das Buch
der Sprichwörter. Zum weisen König Salomon kam
die Königin von Saba, um seine Weisheit
kennenzulernen. |
Zerstreuung und Sammlung
Nach
dem Tode Salomons verfiel sein Reich. Es entstanden das
Nordreich Israel und das Südreich Juda. Sein Sohn
vermehrte die Steuern. Da erhoben sich zehn Stämme im
Norden und fielen von ihm ab. Es blieben nur zwei Stämme
im Süden treu: Juda und Benjamin. So sind die beiden
Reiche jahrhundertelang getrennt gewesen und haben
verschiedene Schicksale erlitten. Das Nordreich Israel
wurde schon 722 vom assyrischen König erobert. Der
grösste und wertvollste Teil dieses Volkes wurde in
Gefangenschaft weggeführt. Das Südreich konnte sich
länger halten. Aber auch ihm machte der babylonische
König Nabuchodonosor ein Ende. 588 v. Chr. wurde auch
hier der grösste Teil des Volkes in die Gefangenschaft
nach Babylon abgeführt. So waren beide Reiche zugrunde
gegangen durch die eigene Schuld. Die Propheten haben es
immer wieder betont: weil sie GOTT nicht treu waren,
weil sie von GOTT abgefallen waren, weil sie in
Sinnlichkeit und Gottvergessenheit sich fremden Göttern
zugewandt hatten. In der Gefangenschaft blieben die
Israeliten, bis das babylonische Reich durch die Perser
zerstört wurde. Als der persische König Cyrus 538 das
babylonische Reich eroberte, entliess er die Juden in
ihre Heimat. 536 zogen sie wieder in ihr Land zurück. Es
wird die Zahl von 42'000 angegeben. Sie bauten das
zerstörte Jerusalem wieder auf. König Artaxerxes
erlaubte ihnen im Jahre 453, die Stadt neu zu
befestigen.
Unter
persischer Herrschaft hatten die Juden nichts zu leiden.
Aber auch die persische Herrschaft fand ein Ende, was
wir noch aus der Schule wissen: Alexander der Grosse,
König von Mazedonien, eroberte und zerstörte das
Perserreich. Die Juden kamen jetzt unter die griechische
Herrschaft der Seleukiden, der Nachfolger Alexanders des
Grossen. Unter diesen waren böse Könige, z.B. Epiphanes
IV., der die Juden grausam unterdrückte. Er zwang sie,
ihre eigenen Gesetze zu übertreten. Gegen diesen Druck
erhoben sich die Juden unter Führung der Makkabäer und
warfen das syrische Joch ab. Es kamen wieder Könige an
die Regierung aus der Sippe des Mattathias und Simon.
Unter ihrer Regierung wurde das Religionswesen wieder
aufgerichtet. Aber 64 v. Chr. erschien der römische
Feldherr Pompeius in Palästina und unterwarf das Land
Rom. Der letzte König aus der Sippe des Mattathias wurde
abgesetzt. Mit Herodes dem Grossen wurde ein Fremdling
und Nichtjude zum König eingesetzt. Er regierte von 39
v. Chr. bis 4 n. Chr. Das ist der Mann, unter dessen
Regierung Jesus Christus, unser Heiland, geboren wurde.
Er erhielt den Beinamen «der Grosse», weil er ein
bedeutender Herrscher war. Ihm folgte sein Sohn Herodes
Antipas. Dieser König liess Johannes den Täufer
enthaupten und Jesus im Spottgewand vorführen. Auf ihn
folgte Herodes Agrippa. Agrippa ist jener König, der
Petrus einsperren und Jakobus den Älteren enthaupten
liess. Im Jahre 70 n. Chr. endlich erschien der römische
Feldherr Titus mit einem Riesenheer und umzingelte
Jerusalem. Er zerstörte die Stadt im Feuerbrand und
zerstreute das Volk über die ganze Erde.
Alle sind auserwählt
Das
ist das Schicksal des auserwählten Volkes, das den Tag
seiner Heimsuchung nicht erkannte. Auch die Völker, die
nicht zum auserwählten Volk gehörten, erfuhren eine
Vorbereitung. Zunächst durch das auserwählte Volk
selbst. In der weltweiten Zerstreuung wurden die
Gedanken der jüdischen Religion auch anderen Völkern
bekannt. Die Hl. Schrift des Alten Testamentes wurde
übersetzt. Wir haben eine syrische und eine griechische
Übersetzung. (die Septuaginta) So wurden die fremden
Völker mit dem Glauben an den einen GOTT bekannt, wie er
in Israel einzigartig bewahrt wurde. Manche von ihnen
waren davon so angetan, dass sie zum Judentum übertraten
(= Proselyten). Die Zerstreuung des jüdischen Volkes
erlaubte die Bekanntmachung des wahren Glaubens an den
einen GOTT. Deshalb preist Tobias einmal die
Gefangenschaft: «Lobet Gott, ihr Israeliten, dass er
euch zerstreut hat, denn dadurch war es uns möglich, die
Wundertaten GOTTES zu erzählen und den Heiden, die Gott
nicht kennen, den allmächtigen GOTT bekannt zu machen.»
Auch
unter den Heidenvölkern gab es edle Persönlichkeiten,
die sich, vom Tau der Gnade berührt und ihrem Gewissen
gehorsam, zu einer wunderbaren Höhe der Auffassung von
der Religion erhoben. Ich erwähne aus Griechenland nur
Sokrates, diesen weisen Mann. Er legte den Götterglauben
ab, vertrat den Ein-Gott-Glauben, predigte
Enthaltsamkeit, Sanftmut, Demut, Mässigkeit. Er wurde
wegen seiner Auffassungen im Jahre 399 v. Chr. zum Tode
verurteilt.
Auch
durch Wundertaten bereitete GOTT
die ausserisraelitischen Völker auf die Ankunft des
Erlösers vor. Denken wir an die Wandschrift, die der
König Balthasar während eines Gelages an der Wand
erscheinen sah: «Mene - Tekel - Phares», eine furchtbare
Ankündigung, dass sich seine Tage erfüllt hätten und
sein Reich zerstört würde. Noch andere Wunder wirkte
GOTT unter den Heidenvölkern. Durch Träume oder durch
Zeichen -wie Daniel in der Löwengrube- machte er sie
aufmerksam, dass nur EIN wahrer, allmächtiger GOTT ist.
Alle diese Ereignisse machten die besten unter den
Völkern bereit für die Sehnsucht nach dem Erlöser. Im
Judenvolk herrschten Spaltungen. Es gab drei Parteien.
Die Sadduzäer glaubten als Rationalisten nicht an die
Auferstehung. Die Pharisäer waren sehr fromm, aber
verknöchert und verhärtet. Die Essener zogen sich von
der Welt zurück und verurteilten die Ehe. Das war der
Zwiespalt im jüdischen Volke: drei Parteien, drei
Sekten. Unter den Heiden war es noch schlimmer. Sie
versanken in Unwissenheit und Sittenlosigkeit. Der
Geschichtsschreiber Hesiod sagt: «Man kann die Götter
gar nicht zählen, so viele Götter gibt es.» So erhob
sich unter den besten der Heiden die Sehnsucht nach dem
Erlöser. Der bekannte römische Dichter Horaz ruft in
einer Ode aus: «0 komm, du Sohn der hl. Jungfrau, komm
zu deinem Volke, bleibe lange bei ihm, kehre spät in den
Himmel zurück und lass es dein Gefallen sein, von uns
hier Vater und König genannt zu werden!» Diese
ergreifende Sehnsucht hat in den besten der Heidenvölker
Fuss gefasst. Diese Sehnsucht, die sie mit den Juden
teilten, wurde in einzigartiger Weise erfüllt durch das,
was unser GOTT
in Jesus Christus zum Heile der Menschheit gewirkt hat.
Amen.»
Geliebte,
zur Feier der Jahreswende Versammelte!
Die meisten
von Ihnen werden schon einmal eine Bergwanderung
mitgemacht haben, wo Sie nach einem schwierigen Aufstieg
auf dem Gipfel des Berges standen und dann
zurückschauten auf den Weg, den Sie zurückgelegt hatten.
Sie mochten denken an die Wälder, die Sie durchschritten
hatten; es mag Ihnen die Steilheit des Weges zum
Bewusstsein gekommen sein, die Quelle, die da gerauscht
hat und an der Sie sich vielleicht erquickt haben. Man
hält, wenn man auf einem Gipfel angekommen ist, Rast und
schaut zurück und schaut auch vorwärts.
So ist es
auch am ersten Tag eines neuen Jahres. Wir denken zurück
an das, was das vergangene Jahr uns abverlangt hat an
Kraft, an Dulden und Leiden, aber auch vielleicht an
Freuden, an Erfolgen, an schönen Erlebnissen. Eines ist
sicher: Am Beginn eines neuen Jahres tritt ein Gedanke
mit beherrschender Gewalt vor unsere Seele, und der
lautet: Vergänglichkeit. Alles ist vergänglich. Wieder
ist ein Jahr versunken. Von der Mitternachtsstunde des
vergangenen Jahres an bis heute, wie rasch sind die
Monate, die Wochen und die Tage verflogen.
Vergänglichkeit! Niemals steht uns das Bewusstsein der
Vergänglichkeit deutlicher vor Augen als am Beginn eines
neuen Jahres.
Und doch
ist nicht alles vorbei. Es bleibt etwas, was uns in das
neue Jahr folgt, ja was uns bis zur letzten Stunde
unseres Lebens begleitet, nämlich die Verantwortung, die
Verantwortung vor Gott. Im Buch der Apokalypse des
Apostels Johannes steht der folgenschwere Satz: „Ihre
Werke folgen ihnen nach.“ Alle Werke, die guten und die
schlimmen. Sie folgen uns nach bis in die Ewigkeit. Nie
berühren uns die Schauer der Ewigkeit deswegen auch so
dringlich wie am Beginn eines neuen Jahres. Hier reichen
sich tatsächlich Vergänglichkeit und Ewigkeit die Hand.
Flüchtig wie ein Traum ist das Erdenleben, aber es birgt
in sich das Schicksal der Ewigkeit. Alles ist ein
Wandern und Vergehen, aber einmal wird die Wanderung zu
Ende sein, und am Ende steht der Herr des Lebens und
wird fragen: Was hast du mitgebracht? Was hast du in
deinen Händen? Hast du deine Hände gefüllt mit wertlosem
Tand oder mit Schätzen, die in die Ewigkeit
hinüberdauern? Darauf kommt es an. „Sammelt euch nicht
Schätze auf Erden“, sagt der Herr, „die Rost und Motten
verzehren, wo ein Dieb kommt und sie wegnimmt. Sammelt
euch Schätze vielmehr in der Ewigkeit, die Rost und
Motten nicht verzehren und wo kein Dieb kommt, einbricht
und stiehlt.“ Wahrhaftig, unsere Verantwortung ist groß.
Auf dem Zifferblatt einer Schule habe ich die Worte
gelesen: „Transeunt et imputantur.“ Das heißt: Sie gehen
vorüber und sie werden angerechnet. Die Stunden nämlich;
sie gehen vorüber, aber sie werden angerechnet.
So soll, so
muss die Stunde der Jahreswende auch eine Rechenschaft
für uns sein. Der Kaufmann macht am Ende des Jahres
Inventur über Soll und Haben, und auch wir müssen
Inventur machen und uns fragen: War es wert, dass wir
das vergangene Jahr gelebt haben? Dürfen wir mit seinem
Gewinn und Verlust zufrieden sein – zufrieden vor Gott?
Denn was die Menschen über uns sagen, das ist wenig
belangreich. Sie schauen ja nicht in unser Inneres. Aber
Gott, er ist der Allwissende, der Allsehende, der
Unentrinnbare, und um sein Urteil dreht sich alles, über
sein Urteil kommt niemand hinweg. Eine ernste Frage
stellt sich uns also: War es Weizen oder war es Streu,
was wir im vergangenen Jahr in die Scheuern Gottes
eingeführt haben? Im großen Hauptbuche Gottes ist alles
eingetragen, Gewinn und Verlust, Verdienst und Schuld.
Und wir müssen den Mut haben, uns Rechenschaft zu geben,
nicht um zu klagen, obwohl Klagen auch eine Form der
Reue sind, sondern um Antrieb und Wegrichtung zu
gewinnen für das neue Jahr. Wir müssen wissen, was wir
im neuen Jahr unternehmen sollen und wie wir uns vor
Gott verhalten sollen.
Im 16.
Jahrhundert lebte in England der Kardinal Wolsey. Wolsey
war Kanzler des englischen Reiches, also der Erste Mann
nach dem König, und er hatte seinem despotischen Herrn –
und Heinrich VIII. war ein despotischer Herr! – treu
gedient. Zum Schluß sollte er noch die Scheidung des
Königs in Rom betreiben. Aber es ging dem König nicht
schnell genug, und so fiel der Kardinal in Ungnade. Er
wurde als Hochverräter an den Hof nach London zitiert.
Schwer krank machte er sich auf den Weg, und mitten auf
der Reise erreichte ihn das Ende. Seine letzten Worte
waren: „Hätte ich Gott so eifrig gedient, wie ich dem
König gedient hatte, er hätte mich nicht verlassen in
meinen alten Tagen. Aber das ist der Lohn, dass ich bei
allen meinen Bemühungen nicht meinen Dienst gegen Gott,
sondern nur den Dienst gegenüber meinem Fürsten im Auge
hatte.“
Das ist die
entscheidende Frage, meine Freunde. Was habe ich im
Auge? Wem diene ich? Ich habe einmal das furchtbare Wort
gelesen: „Willst du wissen, wer dich lohnen wird, dann
frage dich, für wen du deine Werke tust.“ Denn der ist
es, der dich lohnen wird. Willst du wissen, wer die
lohnen wird, dann frage dich, für wen du deine Werke
tust.
Noch einmal
gibt uns Gott eine Chance in diesem neuen Jahr. Ich
halte es nicht für falsch, wenn Menschen ihre Wünsche
aussprechen; denn Wünsche sind ja nichts anderes als
Äußerungen des Wohlwollens, die wir freilich über die
große Brücke, die Gott ist, geleiten müssen. Wenn die
Wünsche nicht in Gottes Macht und Liebe einmünden, sind
sie leerer Schall und Rauch. Aber Wünsche, die aus dem
Herzen kommen und die sich an Gott wenden, die dürfen
wir aussprechen, die sollen wir aussprechen. Meistens
wünschen wir uns Glück, und das ist auch nicht falsch.
Glück ist ein Zustand, in dem wir befriedet sind, wo
Hoffnungen und Erwartungen in Erfüllung gegangen sind.
Man spricht vom Glück auf zwei Weisen, nämlich Glück
haben und glücklich sein. Das sind zwei sehr
verschiedene Dinge. Glück haben, das heißt im äußeren
Leben, bei den Unternehmungen Erfolg haben, reüssieren
und die Aufgaben erfüllen können, die einem gesetzt
sind. Glücklich sein dagegen heißt im Inneren befriedet
sein, im Inneren die Ruhe gefunden haben und jetzt
tatsächlich in Einklang mit sich selbst sein.
Das Glück
ist aber nicht alles. Wir sind nicht auf Erden, um hier
glücklich zu werden, sondern wir sind auf Erden, um
unser Glück in der Ewigkeit zu bereiten. Wir sollen uns
so verhalten, dass wir einmal eine ganze Ewigkeit bei
Gott glücklich sein können, und deswegen muss eigentlich
unser höchster und wichtigster Wunsch sein, dass Gott
uns Gnade gibt und Kraft, Gnade, damit wir von ihm
gehalten und geführt werden, Kraft, damit wir auf seinen
Willen eingehen und ihm treu bleiben können. Das ist es:
Gnade und Kraft. Das sollten wir wünschen, meine lieben
Freunde, für das neue Jahr. Die Schicksale, die uns
treffen werden, Erfolg oder Misserfolg, Erfüllung oder
Enttäuschung, Glück oder Leid, das alles ist verborgen
in Gottes Weisheit und Macht. Aber eines wissen wir: Was
auch immer über uns kommen mag, aus allem können wir für
Gott Werte schaffen, können wir Gold bilden, wenn wir es
in der rechten Gesinnung tragen. Es kommt nicht darauf
an, was wir tun und was wir leiden, sondern wie wir es
tun und wie wir es leiden.
„Denen, die
Gott lieben, gereichen alle Dinge zum Besten“, heißt es
in der Heiligen Schrift im Römerbrief. Denen, die Gott
lieben, gereichen alle Dinge zum Besten. Weil sie eben
durch die Liebe alles, was über sie kommt, verwandeln,
weil sie alles, was ihnen aufgetragen ist und was ihnen
widerfährt, in das Gold der Liebe zu Gott verwandeln.
Unser
schlesischer Dichter Joseph von Eichendorff hat einmal
die schönen Verse geschrieben: „Die Welt mit ihrem Gram
und Glücke will ich, ein Pilger, froh bereit betreten
nur als eine Brücke zu dir, Herr, überm Strom der Zeit.“
Wie schön hat dieser fromme Edelmann es beschrieben! Die
Welt mit ihrem Gram und Glücke will ich, ein Pilger,
froh bereit betreten nur als eine Brücke zu dir, Herr,
überm Strom der Zeit.
Wir wollen
diese Brücke betreten, meine lieben Freunde, im Namen
Jesu. Nicht umsonst feiern wir heute das Fest der
Beschneidung, wo Jesus der Name gegeben wurde, der über
alle Namen ist, der Name unseres Heilandes und Erlösers.
Vor einigen Jahren musste sich ein Mann einer schweren
Operation unterziehen. Es wurde ihm die Zunge
abgeschnitten. Der Operateur sagte zu ihm: „Bald werden
Sie nicht mehr sprechen können. Wenn Sie noch etwas zu
sagen haben, dann tun Sie es jetzt, denn das wird Ihr
letztes Wort sein.“ Da sah der Kranke seine Angehörigen,
die bei ihm waren, an und sprach: „Gelobt sei Jesus
Christus!“ Das war das letzte Wort, das er sprechen
konnte. Ähnlich ist es bei dem großen
Volksschriftsteller Hansjakob gewesen. Als er zum
Sterben kam, da sagte er zu seiner Umgebung: „Ich habe
manches gesagt und geschrieben, was ich besser nicht
gesagt und geschrieben hätte. Aber was ich jetzt sage,
das brauche ich nicht zu bereuen.“ Und er sagte sein
letztes Wort: „Gelobt sei Jesus Christus!“ Beide Männer
standen vor dem Schweigen für immer, der eine vor dem
erzwungenen, lebenslangen Schweigen, der andere vor dem
Schweigen der Ewigkeit. Beide wussten in diesem
Augenblick kein besseres Wort zu sagen als „Gelobt sei
Jesus Christus!“ Denn dieses Wort kann ein ganzes Leben
erfüllen. Dieses Wort füllt auch die ganze Ewigkeit. Und
die Kirche weiß uns kein besseres Wort am Anfang des
Jahres zu geben als den Namen Jesu, denn kein anderer
Name ist unter dem Himmel gegeben, in dem die Menschen
selig werden können, als der Name Jesus.
Das ist
natürlich nicht nur ein Name, sondern mit dem Namen Jesu
verbindet sich seine Gesinnung. Im Namen Jesu sollen wir
alles tun, d.h. in seiner Gesinnung. Die Gesinnung Jesu
aber ist uns bekannt. Sie lautet: „Mein Speise ist es,
den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat.“ Der
Name Jesu soll uns auch in der Treue zu ihm befestigen.
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Er soll
uns auch im Vertrauen festigen, denn er hat uns
verheißen, und er steht zu seinen Verheißungen: „Bittet,
und ihr werdet empfangen. Alles, um was ihr den Vater in
meinem Namen – in meinem Namen! – bitten werdet, das
wird er auch gewähren.“
Das soll
unsere gute Meinung im beginnenden Jahre sein. Gott soll
mit uns gehen, Gott soll uns helfen. „Näher, mein Gott,
zu dir, näher zu dir!“ Das muss unsere Devise sein. Wenn
wir unser aufrichtiges Wollen mit der Kraft Gottes
verbinden, dann sind wir stark, dann bleiben wir auf dem
rechten Wege, dann mag uns Sonnenschein oder
Gewittersturm begegnen, wir werden unerschütterliche
Menschen sein. Gott ruft uns in dieses Jahr hinein, und
wir sollen ihm antworten: Paratum cor meum, paratum cor
meum – Mein Herz ist bereit, mein Herz ist bereit, o
Gott. Und mit dieser Bereitschaft wollen wir ein
unerschütterliches Vertrauen auf Gottes Vaterhilfe
verbinden, ein unerschütterliches Vertrauen, das
spricht: „Herr, dir in die Hände sei Anfang und Ende,
sei alles gelegt!“
Amen.
Das Gleichnis vom
Sämann
27.01.2008
Im
Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen
Geistes. Amen.
Geliebte im
Herrn!
Unser
Heiland saß am Bug eines kleinen Fischerbootes auf dem
See und predigte dem Volke. Das Volk hatte sich auf den
Hügeln, die ringsum aufragen, gelagert, und der Herr
beobachtete, was um ihn herum sich begab. Da sah er die
breite Uferstraße, die festgetreten war von den Füßen
der Menschen und der Tiere und den Rädern der Wagen.
Dann erblickte er die Felshänge, die mit leichtem Boden
nur bedeckt waren, den der Wind verwehte und den die
Sonne durchglühte. Und dann sah er die kleinen Felder,
die abgegrenzt waren durch Dornenhecken als lebendige
Zäune, und vermutlich erblickte er auch die Sperlinge,
die in der Luft sich bewegten und auf die Erde
niederstießen, wenn sie etwas Essbares fanden. Dann hob
er an, sein Gleichnis zu sprechen mit der Meisterschaft,
die wir an ihm gewähnt sind: „Der Sämann ging aus, zu
säen…“
Dieses
Gleichnis hat eine große Bedeutung, denn, meine lieben
Freunde, es kommen die Menschen immer wieder mit
demselben Einwand: Die Kirche hat versagt. Sie herrscht
jetzt 2000 Jahre, und sie hat es nicht fertiggebracht,
die Menschen zu verwandeln. Immer noch toben Kriege,
auch unter christlichen Völkern. Immer noch beuten die
Menschen sich gegenseitig aus. Immer noch wahren sie die
Gesetze der Sittlichkeit nicht, sondern fallen
übereinander her. Da ist dieses Gleichnis wie eine
Antwort auf diesen Vorwurf; denn es schildert uns, was
die Kirche seit 2000 Jahren tut. Sie wirft den Samen des
Wortes Gottes aus. Es ist guter Same, aber der Same
benötigt zum Wachstum auch ein gutes Erdreich. Und so
schildert der Herr die erste Gruppe von Menschen, deren
Verhalten dem Samen gleicht, der auf den harten Weg
fällt. Wenn Sie auf Asphalt oder auf Beton den Samen
auswerfen, dann ist jede Hoffnung verloren, dass dieser
Same jemals aufgehen könnte. Er kann keine Frucht
bringen, denn er kann ja nicht Wurzeln schlagen; er kann
ja nicht aufgehen. Und so kommen die Vögel des Himmels
und picken ihn auf. So gibt es Menschenherzen, deren
Herz hart ist wie eine Betonstraße. Es gibt
Menschenherzen, die hart sind wie Stein, wo keine
göttliche Anregung, kein Wort des Priesters, kein
Glockenläuten die harte Schicht durchstoßen kann. Kein
äußeres Ereignis kann diese Herzen erreichen. Sie sind
verschlossen für Gott und sein Wort. Sie hören nicht das
Flüstern der Gnade, aber auch nicht das Grollen des
göttlichen Zornes. Sie sind, so scheint es, gottunfähig
geworden.
Solche
Menschen gibt es, und sie finden sich vor allem unter
Gebildeten und Halbgebildeten. Sie haben in den Büchern
von Friedrich Nietzsche oder Gotthold Ephraim Lessing
gelesen. Sie haben die oberflächlichen Weisheiten aus
dem Spiegel geschöpft oder aus den Büchern von
Drewermann. Und sie meinen, sie hätten es nicht mehr
nötig, den Kirchenglauben, den Kinderglauben zu
bewahren. Es sind hochmütige, wissensstolze,
selbstgefällige Menschen, die ihren Glauben abgeworfen
haben. Ihre Seele ist wie ein festgetretener Boden, den
die Saat des Gotteswortes nicht mehr durchdringen kann.
Das
Verhalten der zweiten Gruppe gleicht dem Samen, der auf
den Felsen fiel. Der Fels trägt eine leichte
Humusschicht; der Regen durchweicht sie und die Sonne
durchwärmt sie, und so geht der Same rasch auf. Aber er
schlägt keine Wurzeln. Der Humus ist zu dünn, und dann
glüht die Sonne, und dann peitscht der Regen, und das
zarte Pflänzlein geht zugrunde. Auch das ist wieder ein
Bild für eine bestimmte Schicht von Menschen. Es sind
jene, die auch die Botschaft vom Reiche Gottes gehört
haben: in der Kindheit oder in der Jugend. Aber sie hat
in ihnen keine Wurzeln geschlagen; sie ist an der
Oberfläche geblieben. Der Glaube ist in ihnen nicht zur
Überzeugung geworden. Sie haben sich von der Gnade und
von der Wahrheit Gottes nicht durchdringen lassen. Es
sind das häufig Menschen, die gar nicht unreligiös sind.
Sie schätzen das religiöse Erlebnis, das religiöse
Gefühl. Sie fühlen sich erbaut, wenn sie manche Werke
von Johann Sebastian Bach hören. Aber, meine lieben
Freunde, religiöse Stimmung ist kein christlicher
Glaube! Religiöse Stimmung genügt nicht, um den
Fährnissen von außen und den Versuchungen von innen zu
begegnen. Die Religion darf nicht an der Oberfläche
bleiben, sie muss die Tiefe der Seele durchdringen. Die
Religion darf nicht ein Teil des Lebens sein, sondern
das Leben muss ein Teil der Religion sein. „Alles, was
ihr tut in Werk oder Wort, tut alles zur Ehre Gottes!“
mahnt der Apostel Paulus.
Das
Verhalten der dritten Gruppe wird dem Samen verglichen,
der unter die Dornen fiel. Das passiert, wenn der Sämann
ausgeht, sehr leicht. Sie haben vielleicht nicht mehr
erlebt, wie ein Sämann mit der Hand den Samen ausstreut;
wir haben jetzt die Sämaschinen, nicht wahr. Aber in
früherer Zeit, auch noch im 20. Jahrhundert, bevor es
die Sämaschinen gab, hatte der Sämann eine Schürze
umgebunden, und in dieser Schütze war der Samen, und
dann warf er ihn rechts und links aus. Da konnte es
passieren, dass ein paar Körner auch neben das Ackerfeld
fielen, auf den Weg fielen, auf den Rain, wo die Dornen
sind. Und die Dornen wachsen auf, aber sie sind stärker
als der Samen; sie ersticken ihn. So ist es mit
Menschen, die das Wort Gottes hören, aber dem Wort
Gottes nicht Raum geben. Der Herr nennt drei Weisen, wie
man den guten Samen des Wortes Gottes ersticken kann,
nämlich durch die Sorgen, die Freuden und den Reichtum.
Die Sorgen.
Wen von uns begleiten die Sorgen nicht? Wir alle sind
von Sorgen eingehüllt. Mehr oder weniger trägt jeder ein
gerütteltes Maß an Sorgen mit sich herum: die Sorgen um
die Gesundheit, um das Einkommen, um das Fortkommen,
Sorgen um das Wohnen, Sorgen um das Essen, Sorgen um die
Zukunft. Das alles ist ja berechtigt. Aber wir sollten
uns an das schöne Wort erinnern, das ich als Knabe in
der Wohnung meiner Eltern gelesen habe. Da stand an der
Wand: „Sorg’, aber sorge nicht zuviel, es kommt doch,
wie Gott es haben will.“ Ein wunderbares Wort. Sorg’,
aber sorge nicht zuviel, es kommt doch, wie Gott es
haben will. Man kann auch zuviel um seine Gesundheit
besorgt sein. Man nennt solche Menschen Hypochonder, die
fortwährend um sich kreisen, um ihre Gesundheit, und
damit auch den größten Teil ihres Lebens verpassen. Man
soll sich um eine Wohnung, um eine schöne Wohnung
bemühen, aber wenn ich erlebe, wie manche Menschen
gewissermaßen für ihr Haus leben und sterben, wie das
ihre Hauptsorge ist und wie sie über dieser Sorge alles
andere hintansetzen, dann kann ich nur sagen: Die Dornen
dieser Sorge überwuchern den religiösen Keim. Oder die
Sorgen um die Nahrung. Selbstverständlich müssen wir um
Essen und Trinken besorgt sein. Aber es gibt Menschen,
die sind fortwährend auf der Jagd nach Spezialitäten,
die machen das Essen zu einer Art Kult. Das sind die
Dornen, die das Religiöse ersticken. Wegen dieser Sorgen
haben sie keine Kraft und keine Zeit und keine Muße mehr
für das Reich Gottes. Die Religion erstickt, weil sie
keine Luft zum Atmen hat.
Die zweiten
Dornen sind die Freuden. Der Mensch benötigt Freuden,
meine lieben Freunde. Der Mensch kann ohne Freuden nicht
recht leben. Ein freudloser Mensch ist ein zutiefst
unglücklicher und lebensunfähiger Mensch. Der Mensch
benötigt Freuden. Aber die Jagd nach der Freude, die
Sucht nach der Freude, die Jagd nach dem Genuß und die
Sucht nach dem Genuß, das sind die Dornen, die die
Religion ersticken. Wer fortwährend nur an Fahrten und
Reisen, an Ausflüge und Urlaube denkt, der ist unfähig
geworden, den Samen Gottes in seinem Herzen wachsen zu
lassen. Wir stehen jetzt mitten in der Fastnacht. Ich
bin skeptisch. Ich gönne einem jeden die wirklichen oder
vermeintlichen Freuden, die er dort sucht. Aber sind es
immer reine Freuden? Freuden müssen aus reinen Quellen
fließen. Und wird bei diesen Freuden das Maß
eingehalten? Freuden müssen mit Maß genossen werden. Für
andere ist der Sport die Freude. Aber auch er kann zum
Dornstrauch werden. Ich werde nie vergessen: In meinem
ersten Priesterjahr hatte ich einen jungen Mann in
meiner Jugend, der zunächst eifrig mitmachte unser
Jugendleben, aber dann entdeckte er das Kanufahren. Er
war ein begeisterter, ein leidenschaftlicher Kanufahrer,
und da das meistens am Sonntag geschah, vernachlässigte
er die Sonntagsmesse und fiel schließlich ganz ab. Die
Freuden auch des Sporterlebnisses können die Religion
ersticken. Freuden dürfen die Religion nicht ersetzen.
Die Religion ist nicht billig zu haben; sie kostet
etwas, und sie muss von den Menschen bezahlt werden.
Die dritten
Dornen sind der Reichtum. Es ist dem Menschen nicht
verboten, Reichtum zu erwerben. Wendelin Wiedeking, so
war gestern zu lesen, Wendelin Wiedeking, der
Vorstandsvorsitzende von Porsche, verdient im Jahre 50 –
60 Millionen Euro. Ich habe mich nicht versprochen. Er
verdient 50 – 60 Millionen Euro im Jahre. Was tut er mit
dem Vermögen? Wie verwendet er es? Das Vermögen, das so
anwächst, kann eher zur Gefahr werden als die
Dürftigkeit oder die Armut. Die Wohlhabenheit ist
gewöhnlich für den Menschen eine größere Gefahr als die
Bescheidenheit des Besitzes. Und deswegen warnt der Herr
vor den Gefahren des Reichtums: „Eher geht ein Kamel
durch ein Nadelöhr (also das größte Tier des Orients),
eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr (durch das
kleinste Loch, das man sich denken kann), als dass ein
Reicher ins Himmelreich eingeht.“ Er kennt die Gefahren
des Reichtums, und er hat auch das andere schöne Wort
gesagt: „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ So
ist es.
Die Dornen
können leicht den Samen des Wortes Gottes ersticken.
Alle diese drei Gruppen haben das Wort Gottes gehört,
aber alle haben es entweder nicht aufgenommen oder nicht
gehegt.
Und doch
war die Arbeit des Sämanns nicht umsonst. Es gibt ein
Ackerfeld, wo der Samen aufgeht, wächst und Frucht
trägt, hundertfältige Frucht. So ist es auch unter den
Menschen, die den Samen Gottes aufnehmen, die ihn mit
gutem und wackerem Herzen festhalten und Frucht bringen
in Geduld. Mir soll niemand sagen, die Gläubigen, die
Kirchgänger, sind nicht besser als die anderen. Das
stimmt nicht. Dem widerspreche ich, und ich habe
Erfahrung aus 57 Jahren Seelsorge. Die Kirchgänger, die
Gläubigen, sie sind besser! Sie bringen Frucht. Sie
mühen sich. Sie sind gewiß nicht frei von Sünde und von
Schuld, aber sie geben ihre Sünde und ihre Schuld nicht
als Tugenden aus.
Die
Menschen, die Frucht bringen, zeigen, dass das
Christentum nicht versagt hat. In ihnen hat es sich
bewährt. Sie haben es angenommen, sie haben es gelebt,
sie haben es bezeugt. Sie sind nicht schuld daran, dass
andere das Christentum missachten, schmähen und
schänden. Es ist auch ganz falsch, zu sagen, das
Christentum habe seit 2000 Jahren geherrscht. O, meine
Freude, wann hat das Christentum jemals geherrscht? Hat
man nicht vielmehr unaufhörlich erlebt, wie die Menschen
das Christentum benutzen, ausnutzen und wie sie das
Christentum unterdrücken? Ist nicht der Satan seit 2000
Jahren unterwegs, Unkraut unter den Weizen zu streuen?
Und ist er nicht unterwegs, den Samen aus den Herzen zu
reißen? Welche anderen Mittel hat die Kirche, als den
Samen auszustreuen, d.h. zu verkünden, zu bitten, zu
mahnen, zu warnen? Wie kann man der Kirche vorwerfen,
sie habe versagt, wenn ihre Verkündigung nicht gehört,
vergessen oder unterdrückt wird?
Christentum
vererbt sich nicht. Auch in 2000 Jahren gibt es keine
Vererbung des Christentums, sondern das Christentum muss
in jedem Menschen neu aufgebaut werden. Die Kirche muss
ihre Sämannsarbeit ständig neu beginnen, bei jeder
Generation, bei jedem Menschen. Jeder einzelne ist
verantwortlich dafür, dass er den Samen des Wortes
Gottes aufnimmt. Jeder einzelne ist auch verantwortlich
dafür, ob der Samen zerdrückt, ob er fortgetragen oder
ob er erstickt wird. Achten wir darauf, meine Freunde,
dass der Samen des Wortes Gottes in uns keimt, aufwächst
und Frucht trägt, Frucht trägt hundertfältig in Geduld
und Liebe.
Amen.
Geliebte im
Herrn!
Die
zentrale Verkündigung Jesu ist das Reich Gottes. Immer
und immer wieder hat er vom Reiche Gottes gesprochen,
hat in Bildern und Gleichnissen den Jüngern zu erklären
versucht, was das Reich Gottes ist und wie es um das
Reich Gottes bestellt ist. Einmal sagte er: „Das Reich
Gottes gleicht einem Sämann, der Samen streut.“ Oder:
„Das Reich Gottes gleicht einem Senfkorn, das in den
Boden gelegt wird.“ Oder: „Das Reich Gottes ist einer
Frau gleich, die Sauerteig unter das Mehl mischte.“ Alle
diese Bilder wollen etwas aussagen vom Reiche Gottes.
Die Jünger haben sich um das Verständnis bemüht, auch
wenn es ihnen manchmal schwer gefallen ist. Sie hatten
ihren Vater und ihre Mutter, ihren Beruf und ihren
Besitz verlassen, und sie erhofften sich dafür Lohn.
„Was wird uns dafür zuteil werden?“ fragt Petrus einmal
den Herrn. „Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet,
wenn der Menschensohn mit seiner Herrlichkeit kommt, auf
zwölf Thronen sitzen und die Stämme des Volkes Israel
richten.“ Lohn ist also angesagt. Freilich haben die
Jünger auch in dieser Hinsicht oft mehr irdischen
Vorstellungen nachgehangen. Die Mutter des Jakobus und
des Johannes trat vor den Herrn und sagte: „Herr, sage,
dass meine beiden Söhne in deinem Reiche auf den
Ehrenplätzen sitzen, rechts und links von dir!“ Der Herr
entgegnete ihr: „Ihr wisst nicht, um was ihr bittet.“
Ihr wisst nicht, um was ihr bittet! „Könnt ihr den Kelch
trinken, den ich trinken werde?“
Nun hat uns
der Herr das Gleichnis von dem Weinberg und den
Arbeitern im Weinberg erzählt. Wir können das Gleichnis
relativ leicht deuten. Der Weinbergsbesitzer ist
zweifellos Gott, und die Arbeiten im Weinberg, nun, das
sind eben die Anstrengungen im Reiche Gottes. Aber das
Gleichnis hat eine Reihe von Merkwürdigkeiten. Zunächst
einmal fällt auf, dass sich die Arbeiter nicht nach der
Arbeit drängen. Sie sind dort, wo damals das Arbeitsamt
arbeitete, nämlich auf dem Marktplatz, dort stehen sie
herum. Aber sie drängen sich nicht zur Arbeit. Sie
warten, bis sie gerufen werden. Und das scheint ein
Hinweis darauf zu sein, dass alle, die im Reiche Gottes,
also auch in der irdischen Gestalt dieses Reiches, in
der Kirche sind, warten, warten müssen, bis der Ruf an
sie ergeht. Die Theologie und dann auch das Lehramt
haben das so ausgedrückt, dass man sich die erste Gnade,
also die Gnade der Berufung, nicht verdienen kann. Sie
wird ungeschuldet dem Menschen gegeben. Der Mensch muss
auf den Ruf warten, und dann kann er den Eintritt ins
Gottesreich vollziehen. Freilich ist er dafür
verantwortlich, dass er dem Rufe folgt. Das ist die
erste Merkwürdigkeit: Man muss auf die Gnade warten, man
muss sich für die Gnade bereiten, aber man ist
verantwortlich dafür, dass die Gnade in unserem Leben
wirksam wird.
Aber dann
geht es noch merkwürdiger zu. Es kommt nämlich der
Abend, und da beginnt die Auszahlung. Die Auszahlung
findet in umgekehrter Reihenfolge wie die Einstellung
statt, nämlich zuerst kommen die, die nur eine Stunde
gearbeitet haben, von 5 bis 6 Uhr. Und sie erhalten 1
Denar. Dann kommen die anderen, die der Herr um 3 Uhr
eingestellt hat, um 12 Uhr, um 9 Uhr. Und erst zum
Schluß kommen die, die schon um 6 Uhr früh angefangen
haben zu arbeiten. Auch sie erhalten 1 Denar. Ein Denar,
das sind etwa 87 Pfennige; davon konnte man damals einen
ganzen Tag leben. Alle erhalten das gleiche, ohne
Rücksicht auf die Dauer der Arbeit. Kein Wunder, dass
die zuerst Eingestellten zu murren beginnen: „Wir haben
die Last und Hitze des Tages getragen, und du hast uns
denen gleichgestellt, die nur 1 Stunde gearbeitet
haben.“ Das ist doch empörend! Der Herr fasst einen
dieser unwilligen Arbeiter ins Auge: „Freund, ich tue
dir kein Unrecht. Sind wir nicht über 1 Denar
übereingekommen? Ich will aber dem Letzten dasselbe
geben wie dir. Oder darf ich nicht tun, was ich will?
Ist vielleicht dein Auge neidisch, weil ich gut bin?“
Man wird sagen können, Unrecht ist den Arbeitern der
ersten Stunde nicht geschehen, denn der Vertrag lautete:
1 Denar für die Arbeit von 6 Uhr bis 18 Uhr. Aber
freilich, unser moralisches Empfinden ist verletzt, weil
der Lohn ungleich scheint. Er scheint deswegen ungleich,
weil die einen, die so viel gearbeitet haben, nicht
bevorzugt werden gegenüber jenen, die so wenig getan
haben.
Wir müssen
hier auf ein einziges Wörtchen achten, nämlich: „Ich
will“. Der Herr will es, und sein Wille ist für uns
verbindlich. Unter seine Willensmacht müssen wir uns
unterwerfen. Es ist der menschliche Stolz und der
menschliche Neid, der nicht ertragen will, dass einem
anderen Gutes geschieht, dass ein anderer ebenfalls mit
einem Lohn bedacht wird, den er, wie uns scheint,
eigentlich nicht verdient hat.
Meine
lieben Freunde, wir haben es uns, zumal in der
nachkonziliaren Kirche, angewöhnt, Gott nur als den
gütigen Vater anzusehen. Das ist er zweifellos. Und das
ist auch sicher ein Hauptinhalt der Frohen Botschaft des
Neuen Testamentes: Gott ist unser Vater, zu dem wir im
Vaterunser rufen. Aber Gott hört deswegen nicht auf, der
Herr und Schöpfer zu sein. Wenn wir das Bild des Herrn
und Schöpfers verdecken mit dem Bilde vom Vater, dann
kommen wir zu falschen Schlussfolgerungen. Gott bleibt
der souveräne Herr. Durch seine Vaterschaft verliert er
nichts von seinem Herrentum, von seinem göttlichen
Herrentum, von seiner göttlichen Herrenhoheit. Wir
denken oft zu menschlich von Gott. Im Kriege haben die
Leute gesagt: Warum ist aus dieser Familie der Vater
zurückgekehrt, und aus meiner Familie ist er nicht
zurückgekommen? Und in den Bombennächten haben die
Menschen gesagt: Ja, warum ist unser Haus zerstört
worden und nicht das Haus des anderen? Und noch heute
sagen die Menschen: Warum wird der mir vorgezogen, warum
wird der befördert, und ich werde hintangesetzt? Meine
lieben Freunde, wir haben keine Ansprüche gegen Gott.
Der Gott des Alten Bundes hat das einmal dem Propheten
Jeremias klargemacht. Er schickte den Jeremias in eine
Töpferwerkstatt. In dieser Töpferwerkstatt sah er, wie
der Töpfer an der Drehscheibe Gefäße formte, Tongefäße,
und wenn sie missrieten, da warf er sie weg. Als
Jeremias die Töpferwerkstatt verließ, hat Gott zu ihm
gesprochen und ihm gesagt: „Kann ich nicht wie der
Töpfer mit dem Haus Israel verfahren?“ Natürlich kann er
das. Er ist der Herr, und alles muss sich ihm beugen.
Das gilt
auch für die Arbeit im Reiche Gottes. Meine lieben
Freunde, es ist nicht unser alleiniges Verdienst, wenn
wir für Gott arbeiten, für Gott arbeiten dürfen. Es ist
auch zugleich und noch viel mehr Gottes Gnade und Gottes
Kraft. Er hat uns die Fähigkeit gegeben, für ihn zu
arbeiten. „Was hast du, das du nicht empfangen hast?“ So
schreibt einmal der Apostel Paulus. Was hast du, das du
nicht empfangen hast? Wenn du es aber empfangen hast,
warum rühmst du dich, als ob du es nicht empfangen
hättest? Also: Die Arbeit im Weinberg ist gewiß Arbeit
im Reiche Gottes, und die Seligkeit des Himmels ist der
Lohn für diese Arbeit. Aber es ist nicht nur, nicht
zuerst die eigene Leistung, die hier gelohnt wird, es
ist Gottes Kraft, die uns diese Arbeit verrichten lässt.
„Wenn Gott unsere Verdienste krönt, krönt er seine
Gaben.“ Das ist ein ehernes Wort des heiligen
Augustinus. Wenn Gott unsere Verdienste krönt, die wir
ja haben, das sei nicht geleugnet, dann krönt er seine
Gaben. Das Zusammen von Verdienst und Gnade ist freilich
schwer aufzuhellen. Es wird uns im Himmel einmal klar
werden. Aber es besteht ein solcher Zusammenhang. Der
Apostel Paulus wusste, dass er ein tüchtiger Arbeiter im
Reiche Gottes ist. „Ich habe mehr gearbeitet als alle
anderen.“ Nanu. Gleich nachher aber sagt er: „Nein,
nicht ich, sondern die Gnade Gottes in mir.“ Das ist die
katholische Haltung. Ich habe mehr gearbeitet als alle
anderen, aber nicht ich, sondern die Gnade Gottes in
mir.
Wie der Ruf
zum Eintritt in das Gottesreich, so ist auch das Leben-
und das Arbeitendürfen im Gottesreich unverdiente Gnade.
Der eine wird früh gerufen, der andere später. Der eine
darf schon im Kindesalter im Glück des katholischen
Glaubens aufwachsen, ein anderer findet erst nach einem
irrenden Leben, nach einem verirrten Leben den Weg zum
Glauben. Meine Freunde, ich habe mich immer dagegen
gewehrt, dass man sagt: Ja, im Alter, da werden sie
fromm, die Christen. Ja, warum denn nicht? Ja, Gott sei
Dank, dass sie wenigstens im Alter fromm werden! Oder
sollen sie das Lotterleben auch im Alter fortsetzen? Das
ist kein rechter Vorwurf. Gott sei Dank, wenn einer im
Alter sich besinnt und zu Gott zurückkehrt. Gott sei
gedankt dafür. Niemand konnte eher im Gottesreiche
stehen, als bis Gottes Gnade ihn rief. Und niemand
konnte mehr arbeiten und leisten als das, was Gottes
Gnade ihm an Kraft und Streben gab.
Ich meine,
damit ist auch die Frage des Lohnes einigermaßen
beantwortet. Die Apostel erhofften sich von ihrer Arbeit
den entsprechenden Lohn, und das ist richtig so. Im 1.
Korintherbrief, wie wir ja heute gehört haben, steht der
Satz: „Jeder aber wird seinen eigenen Lohn erhalten nach
dem Maß der angewandten Mühe.“ Es gibt also doch
Gerechtigkeit, auch für die Arbeiter. Jeder wird den
eigenen Lohn erhalten nach dem Maß der angewandten Mühe.
Die sogenannten Reformatoren haben die Verdienstlichkeit
unserer Werke geleugnet. Sie wollten von Verdienst
nichts wissen. Alles macht Gott, der Mensch macht gar
nichts. Ganz falsch! Ganz falsch! Dagegen ist das Konzil
von Trient aufgestanden: „Wenn einer sagt, die guten
Werke des gerechtfertigten Menschen seien so die
Geschenke Gottes, dass sie nicht auch zugleich
Verdienste des Gerechtfertigten selber seien, oder der
Gerechtfertigte verdiene durch die guten Werke, die er
verrichtet, nicht in Wahrheit selbst die Vermehrung der
Gnade, das ewige Leben und die Erreichung des ewigen
Lebens und die Vermehrung der Glorie, der sei
ausgeschlossen!“ Das ist die Sprache des Konzils von
Trient. Alles ist Gottes Geschenk, und alles ist unsere
Leistung, wenn auch in je verschiedener Hinsicht. Wir
arbeiten in der Kraft der Gnade, aber wir arbeiten, und
wir haben nach Gottes Willen, nach seiner gnädigen
Verordnung Anspruch auf Lohn. „Wenn jemand sagt, die
Gerechten dürften für die guten Werke, die sie in Gott
getan, wenn sie im Gutestun und der Beobachtung der
Gebote Gottes bis zum Ende ausgeharrt haben, von Gott
keinen ewigen Lohn erwarten noch hoffen, der sei im
Banne!“ So ist es.
Die
Seligkeit des Himmels wird allen zuteil, die von der
Gnade gerufen sich ihrem Rufe angeschlossen und für Gott
gearbeitet haben, ohne Rücksicht darauf, wann der
Eintritt in das Reich Gottes erfolgt ist. Aber die
Seligkeit kann verschieden sein. Es kann einer im Himmel
mehr von Gottes Herrlichkeit durchdrungen sein als der
andere. Auch im Himmel gibt es die Möglichkeit, dass
Gott in der verliehenen Herrlichkeit die Verdienste des
Menschen berücksichtigt. Das ist katholische Lehre.
Wir wollen
also in unserer Zuversicht nicht nachlassen, dass unsere
Arbeit nicht vergeblich ist. Wenn wir in der Gnade
arbeiten, dann dürfen wir nach Gottes Willen Lohn
erwarten. Im letzten Buch der Heiligen Schrift wird das
noch einmal bekräftigt. Da sagt Gott dem Apokalyptiker
Johannes: „Siehe, ich komme bald, und mein Lohn kommt
mit mir, einem jeden zu vergelten nach seinen Werken.“
Amen.
Geliebte im
Herrn!
Wir begehen
heute das Fest der heiligen Familie. Es ist und bleibt
eine Tatsache: Als Christus die Welt erlösen wollte, hat
er mit der Heiligung einer Familie begonnen. In der
Epistel des vorigen Sonntags wird uns der Zweck seines
Kommens unterbreitet. Da heißt es nämlich: „Er war dem
Gesetze untertan, um die zu erlösen, die unter dem
Gesetze standen.“ Er war dem Gesetze untertan, um die zu
erlösen, die unter dem Gesetze standen. So hat er das
alttestamentliche Gesetz erfüllt in der Beschneidung, wo
er das Bundeszeichen empfing, in der Darstellung im
Tempel, wo die Erstgeburt ausgelöst wurde und wo Maria
die Reinigung erfuhr. Er hat aber auch den Gehorsam
bewiesen in der Unterordnung unter seinen Pflegevater
Joseph und seine Mutter Maria. „Er zog mit ihnen hinab
nach Nazareth und war ihnen untertan.“ Um dieses einen
Satzes willen sind die Texte der heutigen Messe
entstanden. Der ewige Gottessohn dient seinen Eltern,
dient in einem verborgenen Leben seinem Pflegevater und
seiner Mutter.
Das Fest
der heiligen Familie stellt uns das schlichte Heim zu
Nazareth vor die Augen. Es ist ein Abbild des
Gotteshauses, so wie jede Familie ein Abbild des
Gotteshauses sein soll. „Wie lieblich sind deine
Wohnungen, o Herr der Heerscharen.“ So haben wir am
Eingang dieser Messe gesungen, weil eben ein jedes Haus,
ein jedes Heim ein Abbild des Gotteshauses sein soll.
„In Freude frohlockt der Vater des Gerechten, sein Vater
freut sich und seine Mutter.“
In der
Epistel wird es dann ernster, denn in der Epistel des
heutigen Tages, die ich ja eben vorgetragen habe, werden
uns die Tugenden genannt, die ein christliches Haus nach
dem Vorbild von Nazareth auszeichnen sollen. „Ziehet an,
Brüder, herzinniges Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut,
Langmut. Ertraget einander und verzeihet einander, seid
dankbar!“ Achten wir darauf, welche Tugenden der Apostel
Paulus für unerlässlich hält, damit ein jedes Haus ein
Abbild von Nazareth werden kann. Ziehet an herzinniges
Erbarmen, Güte. Erbarmen ist die Liebe zu der
gefallenen, zu der schuldbeladenen, zu der elenden
Kreatur. Ja, meine lieben Freunde, ohne Erbarmen wäre
die Welt eine Hölle. Erbarmen wendet sich dem zu, der
sich selbst nicht helfen kann. Erbarmen wird dem
gezeigt, der nicht liebenswürdig ist. Das ist Erbarmen.
Güte, das ist das Wohlwollen, das wir jedem Menschen
beweisen wollen. Wenn wir uns nicht bemühen, wohlwollend
gegen jeden zu sein, dann werden wir unwillkürlich
grausam. Wir müssen wohlwollend gegen jeden sein.
Und dann
heißt es weiter: Demut, Sanftmut, Langmut. Demut, das
ist die Tugend, mit der wir uns hinten anstellen, die
Tugend, die zufrieden ist mit dem letzten Platz, die
Tugend, die sich nicht hervortun will und nicht
vorgezogen werden will. Sanftmut, das ist jene Tugend,
mit der wir den Zorn besänftigen. Der Zorn, der so viel
Unheil anrichtet im Herzen des Zornigen und in der
Familie. Sanftmut ist Milde, ist Ausgleich, ist
Duldsamkeit. Langmut, Langmut ist ein anderes Wort für
Geduld. Wir müssen warten können. Wir müssen mit den
Menschen Geduld haben. Wir dürfen unsere Forderungen
nicht übers Knie brechen. Geduld erträgt auch schwierige
und komplizierte Menschen. Und dann wird uns auch gleich
wieder gesagt: „Ertraget einander!“ Ja, das ist es,
meine lieben Freunde, einander ertragen, das wäre das
allerwichtigste in der Familie. Jeder Mensch will
ertragen werden, jeder Mensch. Jeder Mensch hat sogar
etwas Unerträgliches an sich. Ertraget einander.
Verzeihet einander. Jeder weiß, dass es ohne Anstöße,
ohne Schmerz in den menschlichen Beziehungen nicht geht,
aber die Sonne nicht untergehen lassen über den Zorn!
Das heißt, bevor es Abend wird, sich versöhnen.
Verzeihet einander! Nicht nachtragen, nicht immer wieder
darauf zurückkommen, wie das Menschen machen. Seid
dankbar! Dankbar auch für das Selbstverständliche. Wie
tut es den Menschen wohl, wenn man ihnen für ein
Lächeln, für ein gutes Wort Dankbarkeit bezeigt! Seid
dankbar!
Wenn wir
diese Tugenden erwerben, meine lieben Freunde, dann kann
auch unsere Familie eine heilige Familie werden, dann
können wir vertrauensvoll die Fürbitte der heiligen
Familie für uns erbitten und um die Kraft beten, sie
nachzuahmen. Wir haben am Eingang gesungen: „Jesus,
Maria und Joseph.“ Ja, das ist ein ganz ergreifendes
Gebet. Es ist vor allem ein Gebet für die Sterbestunde.
Jesus, Maria und Joseph, euch vertraue ich meinen Leib
und meine Seele. Jesus, Maria und Joseph, lasst meine
Seele in Frieden scheiden. Jesus, Maria und Joseph,
steht mir bei im letzten Kampfe. Ja, das ist es. Jesus,
Maria und Joseph sollen unser Leben, aber auch unser
Sterben geleiten. Wenn wir die Tugenden erwerben nach
dem Vorbild von Nazareth, dann wird der Friede in unsere
Familien einziehen, der Friede, nach dem alle verlangen
und für den viele so wenig tun. Eine Stätte des Friedens
soll unser Heim sein, ein friedvolles Heiligtum eine
jede christliche Familie. Die schlichte Mutter und der
treue Arbeitsmann sind Vorbild für unsere Eltern. Wenn
wir diese Menschen uns zum Vorbild nehmen, dann wissen
wir, was wir als Eltern zu tun haben. „Wo jeder Mann ein
Joseph ist, Maria jedes Weib und jedes Kind wie Jesus
Christ gedeiht an Seel’ und Leib, da ist, mein Christ, o
glaub mir dies, ein jedes Haus ein Paradies.“
Wahrhaftig, ein gutes Elternhaus ist der beste Start für
das Leben. Wenn die Kinder aus einem guten Elternhaus
kommen, können sie das zeitliche und das ewige Glück
viel leichter erringen als jemand, der aus einem
friedlosen Elternhaus auszieht in die Welt. Die ganze
Geschichte gibt Zeugnis davon, wie segensreich die
religiöse Festigung der Familie ist. Dort, wo das
Ehesakrament feste Bande um die Gatten schlingt, eine
Mauer aufrichtet, so dass sie nicht darüber
hinausschauen und nicht aus der Ehe ausbrechen, da hat
das Kind seinen kostbaren Schutz im Schoße einer solchen
Familie, das Kind, die kostbare Frucht ehelicher
Gemeinschaft.
Der
französische Staatspräsident, meine lieben Freunde,
Sarkozy, ist ein katholischer Christ, und er will es
sein. Er bekennt sich als katholischer Christ. Aber er
ist den Forderungen des katholischen Lebens offenbar
nicht gewachsen. Er ist zweimal geschieden und zieht mit
einer dritten Frau herum. Aus der ersten Ehe sind zwei
Kinder da, aus der zweiten auch zwei. Man nennt so etwas
eine Patchwork-Familie heute, also eine Familie, die aus
Flickwerk besteht. Wie ist das schmerzlich! Ein solcher
Mann, der katholisch sein will und es auch ist, aber der
den elementaren Forderungen des Glaubens nicht genügt.
Das ist kein Vorbild für Frankreich. Nein, wenn die
Kirche den Lebensbund zweier Menschen vor den Stufen des
Altares segnet, dann will sie damit, dass das eheliche
Leben durchgehalten wird bis zum Ende, in guten wie in
bösen Tagen! Und sie will auch, dass das eheliche Leben
nicht ein Ausleben der Sinnlichkeit ist, sondern ein
Gottesdienst, ein ehrfürchtiges Teilnehmen an Gottes
geheimnisvollem Schöpferplan. Kindersegen ist keine
unerwünschte Last, Kindersegen ist ein Gottesgeschenk,
ein tiefes Glück und eine ernste Verpflichtung. Eine
Ehe, meine Freunde, lässt sich nicht auf
Geschlechtlichkeit aufbauen. Der Trieb erschöpft sich
bald, und wenn er sich nicht erschöpft, dann schaut er
nach anderen aus. Was die Ehe trägt, ist Achtung und
Ehrfurcht, ist Wohlwollen und Dienstwille. Auch da haben
wir zum Glück das Vorbild einer edlen Frau Die
Familienministerin Ursula von der Leyen, eine gläubige
evangelische Frau, ist Mutter von sieben Kindern, und
wie man hört, nimmt sie sich der Kinder an trotz ihres
hohen Amtes. Ich spreche nicht von ihrer Politik,
sondern von ihrem Privaten Leben. Und das ist
vorbildlich. Sie hat jeden Tag Zeit für ihre Kinder, und
sie widmet sich auch der religiösen Erziehung der
Kinder. Da haben wir ein wirkliches Vorbild einer
Mutter, die als Priesterin in ihrer Familie waltet.
Und
dazumahnt uns ja die Kirche: „Hütet den Tempelbezirk der
Familie!“ Das einzige Ereignis, das wir aus dem
verborgenen Leben Jesu erfahren, ist ein Gang zum Tempel
– das einzige Ereignis! Und das wird uns offenbar nicht
ohne Absicht enthüllt. Es soll uns gezeigt werden, dass
die Religion die Seele jeder Familiengemeinschaft sein
muss, eine gesunde Frömmigkeit, die Eltern und Kinder zu
einer gesegneten Einheit verbindet. Die ganze Erziehung
muss religiös geprägt sein. Das heißt für die
katholische Familie: Kein Sonntag ohne heilige Messe,
kein Tag ohne Gebet, kein großes Fest ohne Beicht und
Kommunion. Das sollen die eisernen Grundsätze werden,
die wir uns selbst aneignen und die wir unseren Kindern
vermitteln: Kein Sonntag ohne heilige Messe, kein Tag
ohne Gebet, kein großes Fest ohne Beicht und Kommunion.
Die
Religion muss aber lebendig sein. Ich halte nichts von
einer Häufung der Frömmigkeitsübungen, die nicht von
einer wirklichen Überzeugung getragen sind. Das ist das
Entscheidende, meine lieben Freunde, dass wir die Kinder
nicht dressieren zu bestimmten Frömmigkeitsübungen,
sondern dass wir ihnen Überzeugungen vermitteln. Sie
müssen begreifen, dass die Frömmigkeit lebensnotwendig
ist wie das Atmen und wie die Nahrung, dass es ohne
Religion nicht gut geht. Sie müssen sich die Religion
verinnerlichen, internalisieren, wie man das heute
nennt. Wenn wir keine Überzeugung begründen, die Dressur
hält nicht durch. Die Kinder müssen Grund und Zweck und
Sinn der Religion und der religiösen Übungen begreifen.
Die Religion muss in ihnen Wurzeln schlagen. Das ist es:
Sie muss in ihnen Wurzeln schlagen. Dann wird sie auch
halten. Sie müssen die Religion als unentbehrlichen
Bestandteil ihres Lebens begreifen.
Das wird
nur möglich sein, wenn die Eltern auch ihre Autorität
wahren. Eltern sind Autoritätspersonen. Sie haben das
Recht und die Pflicht, zu führen und zu befehlen,
erforderlichenfalls auch zu strafen. Die Kinder haben
die Pflicht des Gehorsams. Aber man kann die Autorität
auch verlieren. Wie verliert man die Autorität? Indem
man sich gehen lässt, indem man unbeherrscht ist, indem
man widersprüchlich ist im Handeln und im Befehlen. Das
sind die Weisen, wie man die Autorität verspielt:
Unbeherrschtheit, Sich-Gehen-Lassen, Widersprüchlichkeit
im Handeln und Befehlen. Wenn dagegen die Eltern ihre
Autorität durch die Tugenden stützen, die sie erwerben
sollen, dann können die Kinder auch das den Eltern
erweisen, was unerlässlich ist, nämlich Ehrfurcht, Liebe
und Gehorsam. Ehrfurcht, also diese heilige Scheu, den
anderen zu kränken, dem anderen weh zu tun. Achtung und
Wertschätzung, das ist Ehrfurcht. Liebe, das ist
unbegrenztes Wohlwollen und Wohltun. Die Liebe hört nie
auf. Sie hört auch nicht auf, wenn Eltern sich vergessen
und sich verfehlen. Und Gehorsam, das heißt Einordnung,
Unterordnung, Verzicht auf den eigenen Willen.
Ehrfurcht, Liebe und Gehorsam sind die Tugenden, die die
Kinder den Eltern erweisen müssen. Wenn die elterliche
Autorität begründet ist durch ein vorbildliches Leben
und wenn die kindliche Einordnung sich zeigt in den
erwähnten Tugenden, dann wird wahrhaftig die Familie ein
Heiligtum. Dann steht der Vater wie ein Priester in der
Familie und die Mutter wie eine Tempelhüterin, dann kann
man hoffen, dass die Eltern am Ende ihres Lebens einmal
sagen können: „Keinen von denen, die du mir gegeben
hast, habe ich verloren.“
Ein solches
Familienleben, meine Freunde, verlangt viel sittliche
Kraft und hohen Opfergeist, Geduld und vor allem
Selbstverleugnung. Das ist ein Wort, das man heute nicht
gern hört: Selbstverleugnung, und es ist vielleicht das
Wichtigste, was in der Familie gelebt werden muss, dass
man eben auf eigene Wünsche, Pläne, Vorlieben
verzichtet, wenn höhere Werte auf dem Spiele stehen.
Selbstverleugnung spricht: Nicht ich, sondern du, nicht
dass es mir gut geht, sondern dass es dir gut geht. Das
ist Selbstverleugnung. Die Selbstverleugnung bringt
großen Segen in die Familie. Sie ist die Bürgschaft
wahren irdischen Glückes und die Verheißung ewigen
Glückes. Wir beten ja heute im Kirchengebet so ganz
ergreifend: „Herr, du hast durch deine Tugenden das
häusliche Leben geheiligt, da du Maria und Joseph
untertan warst. Gib auf die Fürbitte beider, dass wir
uns das Beispiel der heiligen Familie zur Lehre nehmen
und dass wir einst die ewige Gemeinschaft mit dir
erlangen.“
Amen.
Geliebte,
zur Feier der Erscheinung des Herrn Versammelte!
Das Fest
der heiligen drei Könige, wie wir es nennen, hat sich
tief in unsere Herzen eingegraben. Schon als Kinder
standen wir gern vor der Krippe und beobachteten, wie
die Könige, wie die Weisen mit ihren orientalischen
Tieren in das Gelände einziehen, wo das Kind mit seiner
Mutter zu finden war. Die heiligen drei Könige sind
unsere Freunde von Jugend auf. Uns zieht aber nicht nur
das Äußere an, sondern auch das Geheimnisvolle. Sie
kommen, aber man weiß nicht, woher; sie gehen, aber man
weiß nicht, wohin; sie folgen einem Stern, aber der
Stern entzieht sich wieder unseren Blicken. Doch sie
werden geführt. Ein Stern ruft sie aus ihrer Heimat, ein
Stern, der zunächst verschwindet, aber sich dann wieder
zeigt und ihnen den Weg weist zu dem Kinde. Es ist
verständlich, wenn es in der Heiligen Schrift heißt:
„Als sie den Stern sahen, hatten sie eine überaus große
Freude.“
Meine
lieben Freunde, wir brauchen nicht dem anglikanischen
Erzbischof von Canterbury zu folgen, der die
Weihnachtsgeschichte als Legende erklärt. Wir halten uns
lieber an die großen Astronomen wie Tycho de Brahe und
Johannes Kepler, die fest überzeugt waren, dass ein
solcher Stern die Weisen zur Krippe geführt hat.
Der Stern
kann uns zu der Überlegung führen, daß auch über uns
eine höhere Macht steht und unser Leben leitet. Wir
wollen heute nur einem einzigen Gedanken folgen, nämlich
der Freude über die Vorsehung Gottes, die uns führt. Der
Katechismus sagt: Gott erhält und regiert die Welt. Gott
erhält und regiert alles, was da besteht. Manche
Menschen haben halb unbewußt die Meinung, die Welt ist
ein großes Uhrwerk, der Herrgott hat es geschaffen, aber
jetzt überlässt er dieses Uhrwerk seinem eigenen Gesetz.
Es läuft ab, ohne dass sich Gott darum kümmert. Diese
Meinung wurde seit dem 18. Jahrhundert vom Deismus
vertreten, einer Irrlehre. Nein, Gott wirkt und schafft
dauernd in der Welt. Er ist kein unparteiischer
Zuschauer. Wenn Gott nur einen einzigen Augenblick seine
Kraft entziehen würde, dann würde das All in das Nichts
zurückfallen, dann wäre das die Vernichtung alles
Geschaffenen.
Die
Theologie hat über diese Wahrheit nachgedacht und uns
manches Erhellenswertes beschert. Sie spricht vom „concursus
generalis und universalis“, d.h. von der allgemeinen
Mitwirkung Gottes mit allem, was an geschöpflichem Tun
geschieht. Gott gibt nicht nur die Fähigkeit zum Tun,
nein, er tut bei jedem menschlichen Tun mit, er wirkt
bei jeder menschlichen Tätigkeit mit. Gott wirkt alles,
aber er wirkt es nicht allein, und der Mensch wirkt mit,
aber er wirkt es in der Kraft Gottes. Das ganze Tun, das
wir verrichten – und wenn ich hier am Ambo stehe – das
ganze Tun, das wir verrichten, ist von Gott getragen.
Gott wirkt alles, und wir wirken alles, aber in jeweils
verschiedener Weise, er nämlich in übergeordneter und
wir in untergeordneter Weise.
Da höre ich
den Einwand: Ja, sind es nicht die Naturgesetze, die
alles Geschehen in der Welt bestimmen? Wo bleibt da noch
Platz für die Vorsehung? Naturgesetze, meine lieben
Freunde, sind Geschöpfe Gottes. Er hat sie geschaffen,
und die Naturgesetze sprechen seine Sprache. Das ist es
ja, dass alles, was auf Erden sich bewegt und was auf
Erden geschieht in der Macht der Naturgesetze, auf
Gottes Willen zurückzuführen ist. Er hält die Welt im
Dasein, er lässt die Sterne kreisen, und wenn er einmal
aufhören wird, sie kreisen zu lassen, dann fallen die
Sterne vom Himmel, wie es Jesus vorausgesagt hat. Der
Gott, der die Welt und alles, was in ihr ist, geschaffen
hat, ist auch der Herr der Naturgesetze; sie sind der
Ausdruck seiner Weisheit und seiner Macht.
Da höre ich
einen anderen Einwand: Ja, aber wie ist es mit dem
Zufall? Wo ist denn die Vorsehung bei den Zufälligkeiten
meines Lebens und deines Lebens? Zufälle, die so
eigenartig, so schmerzlich, aber auch manchmal
beglückend in unser Leben eingreifen? Da löst sich oben
am Berge durch ein flüchtiges Tier ein Steinchen, es
rollt zu Tale, der Schnee ballt sich um das Steinchen
zusammen und ein furchtbare Lawine verschüttet ganze
Dörfer und Straßen und zerstört, was ihr in den Weg
kommt. Zufall? Zufall gibt es nicht. Die Macht der
Naturgesetze ist auch hier wirksam, und die Macht der
Naturgesetze ist die Sprache Gottes, daran ist nicht zu
rütteln. Und auch die Naturgesetze müssen Gott
gehorchen. Auch sie müssen seiner Vorsehung dienen.
Nichts geschieht von ungefähr, alles kommt vom Höchsten
her.
Vor
Jahrtausenden schon, ach, was sage ich, vor Anbeginn der
Zeit hat der Herr gewusst, wie es kommen wird und hat es
doch nach seinem unerforschlichen Willen zugelassen,
dass die Kräfte zusammenwirken, und in der Stunde oder
in der Sekunde, da er es wollte, löste sich das
Steinchen, und die Lawine donnerte ins Tal. Ich gebe zu,
wir stehen vor Rätseln, wir können es nicht begreifen.
Aber in all den dunklen Geheimnissen gibt es doch den
Trost: Gott weiß alles, er weiß auch, warum das
geschehen musste. Der Zufall ist nichts anderes als die
in Schleier gehüllte Notwendigkeit. Nichts geschieht von
ungefähr, alles kommt vom Höchsten her.
Und so hat
er auch vor Anbeginn der Zeit unser Leben geplant. Er
hat einen Entwurf gemacht für unser Leben, und diesem
Entwurf wird es folgen, was immer auch geschieht. Kein
Künstler kann ein Kunstwerk mit solcher Liebe schaffen,
wie Gott unser Leben geplant hat. Auch unser Leben ist
ein Kunstwerk, ein Kunstwerk in der Hand Gottes. Und wir
müssten dankbar sein, dass Gottes Vorsehung über uns
waltet.
Doch gibt
es noch einen letzten Einwand, nämlich: Wie steht es mit
dem freien Willen des Menschen? Gibt es überhaupt einen
freien Willen? Das ist der Gipfelpunkt der Vorsehung
Gottes, dass die Vorsehung sogar den freien Willen des
Menschen einbegreift in ihre Pläne. Gott lässt dem
Menschen seinen Willen, aber dennoch lässt er seine
Pläne nicht durchkreuzen. Er hat alle, auch unsere
freien Handlungen in seine Pläne einbezogen. All unsere
Gebete, all unsere Leiden, all unsere Tätigkeiten sind
in seine Vorsehung aufgenommen. Er lässt dem Menschen
nicht nur die Freiheit, er wirkt sie sogar. Wir sind nur
frei, weil Gott uns frei macht. Gott zwingt den Menschen
nicht, er lässt ihm seinen Willen. Das war der Irrtum
der Jansenisten, dass sie meinten, die Gnade sei
unwiderstehlich. Nein, die Gnade ist nicht
unwiderstehlich, es gibt eine abgelehnte Gnade, für die
wir Rechenschaft legen müssen. Der menschliche Wille
bleibt auch unter dem Einfluß der Gnade frei. Die Gnade
ist nicht unwiderstehlich. Wie freilich der menschliche
Wille und die Vorsehung Gottes zusammenwirken, das
bleibt ein undurchdringliches Geheimnis.
Sie kennen
die Geschichte vom ägyptischen Josef. Die Brüder haben
ihn verkauft an Händler, die nach Ägypten zogen. Sie
wollten ihn unschädlich machen; er war ihnen lästig,
weil ihn der Vater besonders liebte und weil er
merkwürdige Träume hatte, die ihm eine führende Stellung
einräumten. Sie haben ihn also verkauft und dachten:
Jetzt haben wir ihn losgebracht. Aber was geschah? In
Ägypten stieg er zum Vizekönig des Pharao auf. Gerade
diese Missetat benutzte Gott, um seine Pläne mit Josef
durchzuführen. Ja, alle Geschöpfe müssen ihm dienen, ob
belebt oder unbelebt, ob mit oder ohne ihren Willen.
„Ich bin der Herr, dein Gott!“
Und wir
dürfen uns das Wort des heiligen Apostels Paulus zu
eigen machen: „Denen, die Gott lieben, gereicht alles
zum Besten.“ O meine lieben Freunde, ein furchtbares
Wort! Denen, die Gott lieben, gereicht alles zum Besten,
auch die Leiden und die Qualen, auch die Misserfolge und
die Enttäuschungen, auch der Betrug und die Verleumdung,
die wider uns aufstehen. Denen, die Gott lieben,
gereicht alles zum Besten, ohne Ausnahme. Auch
das Leid, auch die schweren Stunden haben ihren Platz im
Plane Gottes, meine lieben Freunde. Es wird wenige unter
uns geben, die nicht schon manchmal gedacht haben: Ich
kann nicht mehr, es geht nicht mehr, es ist zu viel, ich
bin am Ende meiner Kraft. Und dann ist es doch wieder
gegangen, dann hat doch wieder die Kraft Gottes uns
gestützt, und dann sind wir doch weitergegangen. Es ist
in Wahrheit so: Der Herrgott schickt uns soviel Leid,
wie wir brauchen, um nicht in die Irre zu gehen. Er
schickt uns soviel Leid, wie wir brauchen, um nicht in
die Irre zu gehen.
Als ich im
Priesterseminar war 1950, erschien unser Bischof und
hielt uns einen Vortrag. Der Vortrag hatte zum Thema:
„Es ist gut für mich, dass du mich gedemütigt hast.“ Das
ist ein Wort aus dem 118. Psalm. „Es ist gut für mich,
dass du mich gedemütigt hast.“ Es ist gut für mich, dass
du mich geschlagen hast. Es ist gut für mich, dass du
mir das Leid geschickt hast. Es ist gut für mich, das
heißt, es ist nützlich für die Ewigkeit.
Wir sollten
also unser Vertrauen zur Vorsehung Gottes erneuern am
Beispiel der Könige, der Weisen, die aus dem Morgenlande
zum Krippenkinde kamen. Nichts geschieht von ungefähr,
alles kommt vom Höchsten her. Ein Student besuchte
einmal einen frommen Pfarrer, und ein böses Wetter
überraschte ihn. Als er beim Pfarrer ankam, da schimpfte
er über das Wetter nach Kräften. Der Pfarrer hörte ihm
zu, und nach einer Pause sagte er: „Junge, was schimpfst
du denn? Es ist Gottes Wetter!“ Das ist wie ein Blitz in
seine Seele eingezogen: Es ist Gottes Wetter. Ja, das
Wetter ist Gottes, und unser Leben ist Gottes, und
unsere Arbeit ist Gottes, und unsere Freude ist Gottes,
unser Erfolg ist Gottes, und unser Misserfolg ist
Gottes, und unser Leid ist Gottes. Alles ist Gottes.
Gott ist weiser, er sieht weiter, er schaut tiefer, als
wir es vermögen. Er regiert die Welt, und er hat am
Anfang gesprochen. Als Gott sah, was er gemacht hatte,
da erkannte er: Es war alles gut. Und wenn die Welt zu
Ende geht, wird er wieder sagen: Er erkannte, was er
gemacht hatte mit seiner Vorsehung, und es war alles
gut.
Der große
englische Theologe und Kardinal Newman hat einmal ein
schönes Gebet verfaßt, das ich schon seit vielen
Jahrzehnten auswendig kann. Dieses schöne Gebet lautet:
„Führe, du mildes Licht, im Dunkel, das mich umgibt,
führe du mich hinan! Die Nacht ist finster, und ich bin
fern der Heimat, führe du mich hinan! Leite du meinen
Fuß, sehe ich auch nicht weiter, wenn ich nur sehe jeden
Schritt. Einst war ich weit zu beten, dass du mich
führest, selbst wollt ich wählen, selbst mir Licht
trotzend dem Abgrund dachte ich meinen Weg zu bestimmen,
setzte mir stolz das eigene Ziel. Aber jetzt laß es
vergessen sein. Du hast mich so lang behütet, wirst mich
auch weiter führen über sumpfiges Moor, über Ströme und
lauernde Klippen, bis vorüber die Nacht und im
Morgenlicht Engel mir winken. Ach, ich habe sie längst
geliebt, nur vergessen für kurze Zeit.“
Amen.
Geliebte im Herrn!
Jetzt wirbeln noch einmal
die Massen durch die Säle der Gastwirtschaften und der
Rathäuser. Die Menschen suchen noch einmal Vergessen von
dem grauen Alltag. Sie wollen sich Glück und Freude
verschaffen, Seligkeit, wenigstens für gewisse Stunden.
Zu diesem lustigen Kehraus passt das Evangelium des
heutigen Tages gar nicht. Wir treffen den Herrn auf
seinem Schicksalsweg nach Jerusalem. Dieser Weg führt
von der Höhe des Taborberges auf den Golgothahügel, denn
kurz nach der Verklärung lesen wir beim Evangelisten
Lukas: „Und es geschah, dass sich die Tage seines
Heimgangs erfüllten. Da wandte sich sein Angesicht
stracks gegen Jerusalem.“
Der Herr weiß genau, was
über ihn kommen wird. Doch mit keinem Schritt weicht er
dem Willen seines Vaters aus. Der Weg nach Jerusalem ist
noch weit, es sind noch einige Wochen bis zum Osterfest,
aber unverrückbar folgt er seinem Ziele. Was wird aus
den Jüngern geschehen? Wie werden die Jünger dieses
schreckliche Geschehen ertragen, diese ahnungslosen
Jünger? Da muss er sie vorbereiten. Und so spricht er
einmal, zweimal dreimal seine Leidensweissagung. „Er
aber nahm die Zwölf beiseite und sprach zu ihnen:
,Siehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem, und alles wird
erfüllt werden, was durch die Propheten über den
Menschensohn geschrieben worden ist.’“
Was über Jesus kommt, ist
also nicht das Werk eines augenlosen Schicksals, ist
auch nicht nur das Werk der gehässigen Juden, ist auch
nicht nur das Werk der Heiden, und es ist auch nicht nur
das Werk des Verräters. Nein, was ihm geschieht, das ist
von Gott verordnet und durch seine Propheten
vorherverkündet. Er wird den Heiden ausgeliefert, er
wird misshandelt, er wird beschimpft, er wird
angespuckt, er wird gegeißelt werden, und dann werden
sie ihn kreuzigen. Diesem Schicksal geht er entgegen.
Der Prophet Isaias hatte dieses Schicksal
vorausverkündet: „Verachtet war er, der Letzte der
Menschen; wir mochten ihn nicht ansehen.“ Und im Psalm
22 hatte der prophetische Dichter schon vorangekündigt:
„Ich bin ein Wurm und kein Mensch, von den Menschen
verspottet, von allen verachtet.“ Und doch ist es
derselbe, den Daniel auf den Wolken des Himmels hat
machtvoll kommen sehen. Beide Prophezeiungen gehören
zusammen, die Prophezeiung über die Niedrigkeit und das
Todesschicksal des Herrn und die andere über seine
Erhöhung, über seine Macht, über sein Kommen mit den
Wolken des Himmels. Und daran erinnert sie der Herr, an
beide Propheten. Sie sollen nicht nur an den himmlischen
Menschensohn beim Propheten Daniel denken, wenn sie an
ihn als den Messias glauben. Sie müssen auch an den
Gottesknecht bei Isaias denken. Aber die Jünger wollen
so was nicht hören. Dreimal, dreimal sagt der
Evangelist: Sie verstanden ihn nicht, es war ihnen
dunkel, es war ihnen unbegreiflich, was der Herr ihnen
sagte. Sie scheuchten diesen Gedanken von sich weg.
Der Mensch sträubt sich
gegen zwingende Einsichten, wenn sie seinen Wünschen und
seinen Plänen widersprechen. Der Mensch sträubt sich. Er
will nicht wahrhaben, was doch vor aller Augen liegt.
Ich erinnere mich, meine Freunde, es war im Jahre 1944.
Die Rote Armee stand an der Weichsel. Die Katastrophe
unseres Landes, der Zusammenbruch unseres Staates war
abzusehen. Die Rote Armee sammelte sich zu ihrem letzten
Todesstoß, und zuallererst musste er meine Heimat
treffen, musste er Schlesien treffen, denn wir lagen im
Osten. Da unterhielt ich mich mit einem meiner Lehrer
über die Lage. Der Lehrer, ein Geschichtslehrer, sagte
zu mir: „Ja, meinen Sie nicht, May, dass sich noch etwas
Gutes herauskristallisieren wird?“ Im Jahre 1944,
umgeben von einer wütenden Welt, die gegen das
Großdeutsche Reich aufgebracht war, sollte sich noch
etwas Gutes herauskristallisieren! Er wollte sich nicht
eingestehen, was doch vor aller Augen lag, nämlich dass
ein furchtbarer Zusammenbruch bevorstand. Das
Menschenherz wehrt sich gegen das Leid. Es will nicht
wahrhaben, was über uns kommen kann, und das ist in
gewisser Hinsicht verständlich, denn der Mensch ist ja
nicht für das Leid, sondern für das Glück geschaffen.
Ursprünglich hat Gott den Menschen für die Freude
geschaffen. Er hat ihm ein Paradies der Wonne bereitet.
Er sollte in die Seligkeit des Himmels ohne den
schmerzlichen Prozeß des Sterbens eingehen. Das Leid,
der Tod, das sind Wirklichkeiten, die nach Gottes Willen
nicht da sein sollten. Aber der Mensch hat sein Paradies
verspielt, und so ist das Leid, so ist der Tod über ihn
gekommen. Und jetzt steht Gott vor dem Menschen und
fragt ihn: Wie willst du das Leid tragen? Willst du es
tragen wie die Heiden, die es verwünschen und
verfluchen, wenn es sie überfällt? Wehrst du dich
dagegen in allen deinen Gedanken und mit deinem ganzen
Herzen? Trägst du Groll und Verbitterung im Herzen und
machst du Gott bittere Vorwürfe? Oder denkst du gar
daran, sich dem Leid zu entziehen durch den
selbstgewählten Tod?
Gott steht vor uns und
fragt uns: Wie trägst du das Leid? Trägst du das Leid
wie die Juden, die in allem Leid nur den Fluch und die
Strafe Gottes sahen? Nein, das ist es nicht! Es ist
nicht alles Leid nur Fluch und Strafe Gottes. Es gibt
auch Leid, das über den Unschuldigen kommt. Das ist das
Leid der Prüfung; das ist das Leid, in dem Gott seine
Auserwählten auf ihre Treue, ihre Liebe und ihre
Selbstlosigkeit prüft. Wir sollen das Leid tragen, wie
es der Herr getragen hat. Er hadert nicht, er sträubt
sich nicht, er grübelt nicht. Er weiß, der Vater will
es, und so ist es gut. Das haben ja letztlich auch seine
Jünger verstanden. Zwar sind sie noch einmal geflohen,
als die Übermacht im Ölgarten den Herrn ergriff. Aber
dann haben sie verstanden, was sein Leid bedeutete, dass
es erlöserische Qualität hatte. Endlich haben sie
begriffen, dass der Menschensohn sterben musste, damit
die Menschheit leben konnte. Wie schwer war ihm der Weg
nach Jerusalem hinauf! Und niemand war, der ihn
tröstete. Die Jünger verstanden ihn nicht, sie wollten
ihn nicht verstehen. Er musste allein diesen Opfergang
auf sich nehmen.
Und ähnlich wie die
Jünger dachte auch das Volk, das ihn in immer stärkeren
Scharen begleitete, es stand ja das Osterfest bevor. Sie
drängten sich zur heiligen Stadt, und am Wegesrande, am
Stadtrande, da saßen Bettler, unter ihnen auch ein
Blinder. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, wie schrecklich
es ist, meine Freunde, blind zu sein. Als junger
Priester hatte ich die Aufgabe, eine Blindenanstalt zu
betreuen, also ein ganzes Haus voller Blinder, junge und
alte, die diesem furchtbaren Schicksal unterworfen
waren. Nicht sehen können ist ein früher Tod. Da saß nun
ein Blinder am Wege und bettelte. Er sah die Scharen,
die vorüberzogen, und er fragte, was das sei. Sie sagten
ihm, Jesus von Nazareth ziehe vorbei. Von dem hatte er
schon gehört, und er hatte auch vernommen, dass er
mächtig sei, dass er Heilungskraft besitze, ja dass er
Blinden das Licht gegeben hatte. Und da bricht es aus
ihm aus: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!“
Achten Sie bitte darauf, dass er nicht sagt: Jesus von
Nazareth, denn so sprachen von ihm seine Gegner.
Nazareth, dieser verrufene Ort im heidnischen Galiläa.
Was kann aus Nazareth Gutes kommen? Er sagt nicht: Jesus
von Nazareth, er sagt: Jesus, Sohn Davids, erbarme dich
meiner! Das heißt, er weiß, Jesus ist der Messias; Jesus
ist der Heilige Gottes, Jesus ist der von Gott gesandte
Erlöser. Und deswegen, auch wenn ihn die Vorausgehenden
abhalten wollen: er schreit: „Jesus, Sohn Davids,
erbarme dich meiner!“ Und der Herr fragt ihn: „Was
willst du, das ich dir tun soll?“ „Herr, dass ich sehe.“
Und der Herr erbarmt sich seiner. Er wirkt sein letztes
Wunder auf dieser Erde. „Ich will, sei sehend!“ Und der
Blinde konnte sehen. Er jauchzte und jubelte zu Gott.
Und das Volk, das es sah, war ergriffen und pries Gott.
Jetzt hatte Jesus von Nazareth seine messianische Würde,
seine messianische Fähigkeit bewiesen, zum letzten Mal
bewiesen.
Die körperliche Blindheit
ist ein unsagbares Leid. Aber noch schlimmer ist die
geistige Blindheit, die Unkenntnis Gottes, die
Verschlossenheit gegenüber dem Evangelium. Und noch
immer gibt es Menschen, viele, allzu viele Menschen, die
von dieser Blindheit befallen sind. Meine lieben
Freunde, wir haben mit unseren schwachen Kräften die
Aufgabe, die Blindheit der Menschen zu lösen. Wir sollen
alles tun, um sie zu Gott, dem Heiland, unserem Herrn
und Meister, zu führen. Sagen wir ihnen: Wenn dir keine
Ewigkeit leuchtet, dann bist du auf ewig verloren!
Amen.
Geliebte im Herrn!
Als ich vor 57 Jahren den
priesterlichen Dienst antrat, setzte mit dem Beginn der
Fastenzeit eine besondere Aktivität ein, denn die
Fastenzeit war auch gleichzeitig die österliche Zeit.
Ein Kirchengebot, das auf das Konzil vom Lateran aus dem
Jahre 1215 zurückgeht, bestimmte: „Du sollst wenigstens
einmal im Jahre deine Sünden beichten, und du sollst
wenigstens einmal im Jahre die heilige Kommunion
empfangen!“ Dieses Gebot wurde damals sehr ernst
genommen. Von den Priestern ausgehend, hat man in den
Familien sich bemüht, alle ohne Ausnahme zum Beichtstuhl
zu bringen, die Frau ihren Mann, die Kinder ihren Vater,
die Verwandten ihre Angehörigen. Denn die österliche
Zeit ist die Zeit des Heiles, das sind die Tage des
Heiles. An jedem Tage in der Fastenzeit, an dem wir in
den Beichtstuhl gingen, hatten wir ein Päckchen mit
Bildern neben uns liegen, und ein jeder, der seine
Osterbeicht ablegte, empfing ein Bild. Auf diese Weise
konnten wir zahlenmäßig genau feststellen, wie viele
Glieder einer Gemeinde die Osterbeicht abgelegt hatten.
Es war auch damals nicht leicht, alle Menschen, alle
Christen, alle katholischen Christen zum Bußsakrament zu
führen. Es bedurfte der Anstrengung. Aber wir konnten
erstaunliche Erfolge erzielen. Es gab Gemeinden, in
denen 60-70 Prozent der Gläubigen die Osterbeicht
empfingen.
Heute ist das Bild ein
anderes. Sie wissen, meine lieben Freunde, dass das
Bußsakrament ein verlorenes Sakrament geworden ist. Aber
verloren nur bei denen, die sich um Gottes und der
Kirche Gebote nicht kümmern. Nicht so bei uns, die wir
uns bemühen, diesen Geboten nachzuleben.
Es gibt Widerstände gegen
das Bußsakrament. Der Mensch will selbständig sein. Der
Kaufmann sieht sein höchstes Ziel darin, ein eigenes
Geschäft aufzumachen; der Handwerker will seinen eigenen
Betrieb haben, und niemand soll ihm etwas zu sagen
haben; er will ein kleiner König in seinem Bereich sein.
Und da kommt die Kirche und sagt: Du sollst niederknien
und deine Sünden nach Art, Zahl und Umständen bekennen.
Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, und das
heißt, für uns gibt es immer nur Vorgesetzte auf Abruf.
Jeden kann man wählen und abwählen, jeden kann man
kritisieren, jeden kann man beurteilen und verurteilen,
und das wird in reichem Maße getan. Aber sich selbst
wollen viele nicht beurteilen oder gar verurteilen. Und
so ergeben sich die Schwierigkeiten gegenüber dem
Beichtgebot.
Es ist aber zu überlegen,
dass das Bußsakrament auch eine andere Seite hat. Es
liegen gewaltige soziale Ideen in diesem Sakrament. Was
ist es denn, was draußen in der Welt den Gegensatz
zwischen arm und reich so schmerzlich und schroff macht?
Nun, es ist das bohrende Gefühl in dem Armen: Ich werde
immer mit gebeugtem Rücken einhergehen, und ein anderer
wird mir die Last auferlegen. Ich werde immer zu Fuß
gehen, und ein anderer wird im Auto an mir
vorbeirauschen. Das werde ich nicht ändern können, und
so wird es bleiben. Warum haben es die anderen immer
besser und ich es so schlecht? Man mag über diese
Stimmung denken, wie man will, sie ist vorhanden, und
sie ist nicht von heute, sie ist Jahrtausende alt. Nun
sehen Sie, meine lieben Freunde, wie die Kirche in
geradezu grandioser Weise diesen Zwiespalt überwindet.
Sie tritt hin vor den einfachen Mann und sagt: Du sollst
bekennen, du sollst beichten! Vor wem? Vor dem Priester,
vor demselben, den du in goldgewirkten Gewande am Altare
stehen siehst. Aber dann tritt sie mit demselben
Verlangen vor den Beichtvater hin und sagt: Du musst
beichten! Auch du musst bekennen. Vor wem? Vor dem
Priester, vor deinem Mitbruder. Ob diese Forderung
leichter ist? Und sie verlangt vom Priester nicht eine
einmalige Beicht, sie verlangt vom Priester die häufige
Beicht, „frequenter“, so steht es im Gesetzbuch der
Kirche, „häufig“ müssen die Priester beichten, das heißt
also wenigstens alle 4 Wochen. Und je höher wir
aufsteigen in der Rangordnung der Kirche, um so ernster
wird ihr Gebot. Auch vor den Bischof und vor den Papst
tritt die Kirche hin und legt ihnen die Beichtpflicht
auf die Seele. Vor wem? Wenn du keinen Gleichgestellten
hast, dann eben vor dem, der unter dir steht. Auch der
Papst mit seinen Vollmachten muss niederknien und
sprechen: Vater, ich habe gesündigt vor dem Himmel und
vor dir.
Das ist die großartige
Idee des Ausgleichs aller Rangunterschiede im
Bußsakrament. Die Kirche kennt keine Lieblingskinder und
keine Stiefkinder der Beichte. Je höher das Amt, um so
tiefer muss die Seele sich beugen. Vor der Schranke des
Bußgerichtes gibt es kein Ansehen der Person und keine
doppelte Wahrheit. Wenn also, meine lieben Freunde,
Ihnen das Beichten schwer fallen sollte, dann denken Sie
daran: Derjenige, vor dem Sie die Beichte ablegen, der
kniet genauso wie Sie vor einem anderen Priester nieder
und sagt: Vater, ich habe gesündigt. Wir könnten also,
meine ich, Vertrauen in dieses Sakrament haben. Welche
Gemeinschaft auf Erden wagt es, ihren Führern solche
Lasten aufzuerlegen wie die katholische Kirche? Keine.
Das hat uns noch keine Gesellschaft nachgemacht und kann
auch keine nachmachen. Das hat der Heilige Geist
erfunden. Darum ist es für Sie die geringste Demütigung,
wenn Sie vor dem Priester knien und Ihre Sünden
bekennen.
Wir können diesen
Gedanken noch vertiefen, idem wir einen zweiten Satz
prägen, nämlich: Die Kirche legt ihren Vertretern nicht
nur die gleiche Last auf, sie legt ihnen bedeutend mehr
auf die Schultern. Und das mit Recht. Wer die Würde hat,
der soll auch die Bürde tragen. Erinnern wir uns an die
biblische Erzählung vom Patriarchen Jakob. Er rang einst
mit Gott und flehte ihn an, erzwang sich seinen Segen:
„Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich!“
Und Gott segnete ihn, aber zuvor berührte er seine
Hüfte, und er war sein ganzes Leben lang lahm. Ein
dauerndes Opfer sollte ihn an Gottes Segen erinnern.
Seitdem ist es ein Gesetz im Gottesreich geblieben: Wer
den Segen hat, der muss auch den Preis dafür bezahlen.
Wer den Vorzug hat, der muss das Opfer bringen. Gewiß,
es ist ein großes Amt, das dem katholischen Priester im
Bußsakrament anvertraut ist, aber Gott fordert dafür
seinen Preis.
Als wir am Weihealtar
standen zur Priesterweihe, da war eine Zeremonie
besonders ergreifend, nämlich wir mussten unsere Hände
darreichen, und dann umwand sie der Bischof mit einem
weißen Tuch, und dabei sprach er: „Denke, dass ihr von
nun an gebunden seid in Gott!“ Denke, dass ihr von nun
an gebunden seid in Gott. Was da in dem jungen Priester
vorgeht! Priesterkleid, Priesterberuf, Priesteraufgaben,
tägliches Breviergebet, regelmäßige Beicht, alles
Bindungen in Gott. Ihr habt den Vorzug, aber ihr sollt
auch doppelt und dreifach verpflichtet sein. Und noch
eines muss ich erwähnen, nämlich den Zölibat, die
Verpflichtung, allein durch das Leben zu gehen. Er ist
nur zu begreifen in Verbindung mit dem Bußsakrament und
mit dem Altarsakrament. Es war kein Freund der Kirche,
der einmal das Wort geprägt hat: „Es ist die tiefste
Nützlichkeit des katholischen Priesters, ein heiliges
Ohr, ein verschwiegener Bronnen, ein Grab für
Geheimnisse zu sein.“ Ich wiederhole noch einmal diesen
schönen Satz von Friedrich Nietzsche: „Es ist die
tiefste Nützlichkeit des katholischen Priesters, ein
heiliges Ohr, ein verschwiegener Bronnen, ein Grab für
Geheimnisse zu sein.“ Und wegen dieser Nützlichkeit legt
die Kirche dem Priester den Zölibat auf. Das Vertrauen,
das er von den Menschen erwartet, das soll er keinem
anderen Menschen gewähren. Er soll allein durch die Welt
gehen, einsam und allein, nimmer gebunden an einen
Menschen. Der als Vertreter der Kirche im Bußsakrament
das Vertrauen aller anderen verlangt, der darf selbst
keinem Menschen sein innerstes und völliges Vertrauen
schenken. Das ist sein Preis.
Wir wissen, meine
Freunde, aus der russischen Kirche, auch aus der
griechischen Kirche, dass dort die Menschen, wenn sie
beichten wollen, zu den Ordenspriestern gehen, die nicht
verheiratet sind. Sie gehen nicht zu ihren
Weltpriestern, die verheiratet sind, sie gehen zu den
Ordenspriestern, die nicht verheiratet sind. Es ist
sicher: Die Beichtpraxis lässt sich auf die Dauer ohne
den Zölibat nicht oder höchstens in verkümmerter Form
halten. Und deswegen geht es beim Zölibat um deine
Sache, mein Christ, nicht nur um die Sache des
Priesters, damit du mit allem Vertrauen sagen kannst,
was dich drückt, damit du es begraben kannst im Herzen
des Priesters, in einer Seele, die ewig verschwiegen
ist. Deswegen die Notwendigkeit des Zölibats. Es ist
rührend, diese Fürsorge der Kirche zu betrachten. Keine
Forderung ist ihr zu groß, um ihren Kindern zu helfen.
In jeder anderen Gemeinschaft würde diese Forderung
abgewiesen werden; die Kirche wagt es, seit
Jahrtausenden Tausenden und Abertausenden diese
Forderung aufzuerlegen. Und warum? Um auch das letzte
ihrer Kinder zu schützen und ihm den Weg freizumachen
zum Sakrament der Buße. Die Beichte schwer, die Beichte
demütigend? Von wem verlangt die Kirche mehr in der
Beicht, vom Beichtkind oder vom Priester?
Und noch einen dritten
Gedanken möchte ich vortragen, nämlich, meine lieben
Freunde, was ist der Sinn der Beichte? Nicht Demütigung,
sondern Befreiung, nicht Knechtung, sondern Lösung. Die
Beicht ist keine Tyrannei der Gewissen, sie ist die
Befreiung des Gewissens von der Tyrannei der Schuld.
Beicht macht leicht. Hier wirft man die Last der Schuld
ab. Irgendwo war einmal eine Versammlung angesetzt von
Leuten der verschiedensten Richtungen. Man wollte ein
sogenannte Antiselbstmordbüro einrichten, also eine
Beratungsstelle für Lebensmüde. Nach verschiedenem Hin
und Her kam man allgemein zu der Ansicht, dass eine
Notwendigkeit bestehe für ein solches
Antiselbstmordbüro. Aber da trat ein katholischer
Priester vor, der auch eingeladen war, und sagte: „Wir
Katholiken machen da nicht mit. Wir brauchen nicht
mitzumachen. Wir haben ein von Gott gesetztes Mittel, um
die inneren Spannungen zu lösen: die heilige Beicht. Und
deswegen haben wir auch in unserem katholischen Volk
erfahrungsgemäß die wenigsten Selbstmörder.“ Da war man
still und wusste nichts mehr zu sagen.
Das Bußsakrament, meine
Freunde, ist ein Ventil für Lebensunlust und
Lebensüberdruß, für den furchtbaren Druck der Schuld.
Solange es Menschen gibt, die am Leben verzagen, und
solange sich Menschen gegen Menschen stellen, und
solange Menschen zu kämpfen und zu ringen haben um
Frieden und Reinheit, solange brauchen wir die heilige
Beicht, solange sollten wir dem Herrgott auf den Knien
danken, dass wir das Bußsakrament haben. Der tiefste
Sinn der Beicht ist Befreiung und Lösung.
Das ist auch der tiefste
Grund des Priesterglücks im Beichtstuhl. Manche quälen
sich mit dem Gedanken: Was wird der Beichtvater denken?
Was wird er von mir denken? Ach, meine lieben Freunde,
er ist glücklich. Er ist glücklich, wenn die Menschen
kommen und ihre Schuld bekennen. Er denkt nichts Arges,
er denkt nichts Niedriges, sondern er dankt Gott für
diejenigen, die ihm ihr Vertrauen schenken und ihre
Sünden vor ihm ausbreiten. Es gibt ein Priesterglück im
Beichtstuhl. Ein erfahrener Priester wurde einmal
gefragt, welches der schönste Tag in seinem Leben
gewesen sei. Der Tag der heiligen Kommunion? „Gewiß ein
schöner Tag, aber nicht der schönste.“ Der Tag der
Priesterweihe? „Ein schöner Tag, aber nicht der
schönste.“ Der Tag der Primiz? „Ein schöner Tag, aber
nicht der schönste.“ Und dann fing dieser Priester an zu
erzählen. Er hatte lange, lange im Beichtstuhl gesessen
und war eben dabei, ihn zu verlassen, als ihn noch ein
Herr ansprach, der beichten wollte. Jahrzehntelang war
er Gott und der Kirche fern geblieben, hatte schweres
Ärgernis gegeben der ganzen Gemeinde. Aber jetzt kam er
und schüttete seine Sünden aus vor dem Priester. Und der
Priester fuhr fort: „Als die Uhr vom Turme Mitternacht
schlug, da wandte ich noch einen Blick zurück zum
Tabernakel und wusste: Das war der schönste Tag in
meinem Leben.“
Ich weiß nicht, ob Sie,
meine lieben Freunde, verstehen können, sich
hineindenken können: Wir Priester sind doch eigentlich
die glücklichsten Menschen auf Erden. Wer kann helfen
und lösen wie wir? Gewiß, wenn Stunde um Stunde vergeht
und die Nerven zum Zerreißen gespannt sind, denn die
Dienst im Bußsakrament ist ein schwerer Dienst, dann
fühlt man die Freude vielleicht nicht äußerlich, aber
man spürt die Pflicht. Und es ist eine Pflicht, die
glücklich macht. Es war in den 60er Jahren, etwa 1964
oder 1965, da saßen wir, der Pfarrer und ich, im
Beichtstuhl, am Heiligen Abend, vor Weihnachten. Stunde
um Stunde verging, und immer noch kamen Beichtkinder. Um
8 Uhr tat der Pfarrer etwas, was ich nicht verstanden
habe: Er schloß die Kirche ab. Er wollte auch etwas vom
Heiligen Abend haben, die Krippe aufstellen, unter dem
Christbaum sitzen. Ich war tief betroffen. Ich war so
betroffen, dass ich das nie vergessen habe. Wie kann man
am Heiligen Abend das Schönste zu tun aufhören, was man
tun kann, nämlich Menschen von der Sünde zu befreien?
Als wir das erste Mal in
den Beichtstuhl gingen, da geschah es mit dem Schauer
heiliger Verantwortung. Als wir Hand zur ersten
Absolution erhoben, da hätten wir hinausjubeln können:
Ich kann lossprechen, ich kann lösen. Das vergisst man
nie und nimmermehr. Und Sie, meine lieben Freunde,
sollten die Worte dieser heutigen Predigt, beherzigen
und sich sagen: Es gibt ein Sakrament, das ein Sakrament
des Ausgleichs ist, vor dem alle gleich sind und wo sich
keiner erhaben dünken darf. Das ist das Bußsakrament. Zu
diesem Sakrament wollen wir eilen, es befreit meine
Seele, es löst mich von der Fessel der Schuld, es macht
mich glücklich, und ich kann meinem Herrgott wieder
offen in die Augen schauen.
Amen.
Geliebte im Herrn!
Sein Angesicht leuchtete
wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie der
Schnee. Kein Wunder, dass die Jünger diese
Tabor-Herrlichkeit festhalten wollten, indem sie zum Bau
von Hütten schreiten wollten. Die Tabor-Herrlichkeit ist
vergangen, aber was an ihr wesentlich war, nämlich die
Gegenwart des verklärten Herrn, ist geblieben, ist
geblieben im Gezelt unserer Tabernakel. Der Herr hat
tatsächlich sein Zelt – und Tabernakel heißt ja „Zelt“ –
unter uns aufgeschlagen und will bei uns wohnen. Wir
suchen den Altar, wir sehen die strahlende Monstranz,
und wir erblicken die kleine weiße Hostie. Der Glaube
sagt uns: Gott und Mensch ist hier. So wie der Herr in
der Seligkeit des Himmels lebt und wirkt, so wie dort
seine heiligen Wunden strahlen, so ist es auch in
unseren Tabernakeln in der Gegenwart des Herrn in der
heiligen Hostie. Unser geistiges Auge, unser
Glaubensauge schaut ihn hier im Sakrament. Hier weilt
derselbe, der Mensch wurde und für uns am Kreuz
verblutete, um uns zu retten. Seine Liebe lebt hier
weiter mit unverminderter Kraft, mit unverkürztem Arm.
Und so singt das gläubige Volk: „Preiset, Lippen, das
Geheimnis dieses Leibs voll Herrlichkeit und des
unschätzbaren Blutes, das zum Heil der Welt geweiht,
Jesus Christus hat vergossen, er, der aller Welt gebeut.“
Die Kirche hat immer um
das Geheimnis der Gegenwart Christi gewusst, und sie hat
stets mit wechselnden Formen versucht, es den Gläubigen
nahezubringen. Ursprünglich hat man das Allerheiligste
in Gefäßen aus Elfenbein, Silber oder Gold aufbewahrt.
Später, als die Kirche frei wurde, als sie aus den
Katakomben stieg, hat man das Allerheiligste in der
Gestalt einer Taube über dem Altar aufgehängt. Da wurde
der Herr, da wurde der Herrenleib geborgen. Man setzte
sie auch im heiligen Grab unter dem Altare bei.
Schließlich hat man Wandnischen geschaffen in den Wänden
der Kirche, wo man das Allerheiligste barg, und daraus
entwickelten sich die wunderbaren Sakramentshäuschen,
die freistehend das kostbarste Gut bargen, welches die
Kirche ihr eigen nennt. Schließlich hat man den
Tabernakel errichtet, auf den Altar gestellt, und das
Barock hat wunderbare Girlanden, Baldachine und Kronen –
denken Sie nur an die Augustinerkirche in Mainz – über
diesen Tabernakel gestellt, um zu zeigen: Hier wohnt der
König der Könige.
Die christlichen Dome
sind nicht zu erklären, wenn man sie nur als
Versammlungsstätten der gottesdienstlichen Gemeinde
ansieht. Nein, diese Dome haben einen weit höheren
Zweck. Sie wollen ein Haus, ein würdiges Haus für den
sein, der in Brotsgestalt unter uns gegenwärtig ist.
Deswegen konnten sie nicht hoch genug, nicht weit genug
sein, viel mehr Platz bieten, als Menschen waren. Aber
es ging ja eben gar nicht darum, nur Menschen zu
versammeln, es ging darum, den in der Brotsgestalt
gegenwärtigen Gott zu ehren, ihn zu preisen. Und die
Kirche hat auch die anderen Künste in den Dienst des
Allerheiligsten, unseres Herrn, gestellt. Denken wir nur
an die Meisterwerke der Tonkunst, die die hohen Dome
durchhallen. Wer kennt nicht das Ave verum von Mozart
oder die 14 Meßkompositionen von Joseph Haydn? Wer kennt
nicht die Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven? Und
auch andere Künste wurden in den Dienst der Gegenwart
unseres Herrn gestellt. Die kostbarsten Stoffe hat man
verwendet, um Mäntelchen zu erzeugen, die um den
Speisekelch gelegt wurden. Die Sage vom heiligen Gral
hat den Herrn und seine Gegenwart verherrlicht. Unter
dem Gral stellte sich das Mittelalter die Schale vor,
die der Herr beim Abendmahl, beim Letzten Abendmahl,
benutzt hatte, und in die Joseph von Arimatäa das Blut
des verblutenden Heilandes aufgefangen hat. Das ist die
Sage vom heiligen Gral.
Die katholische Religion
kennt nichts Kostbareres als den Herrenleib, als den
Fronleichnam. Als der große Papst Leo XIII. zum Sterben
kam, da hat er noch eine Enzyklika geschrieben über das
allerheiligste Sakrament. „Das ist mein innigster
Wunsch“, schreibt er in dieser Enzyklika, „bevor ich
dahinscheide, dass alle Herzen entzündet werden in
Dankbarkeit und Ehrfurcht gegen das heilige Sakrament.“
Im 19. Jahrhundert lebte ein geschichtsforscher, Albert
von Ruville. Dieser protestantische Gelehrte äußerte vor
seiner Konversion das heiße Verlangen: „Ich möchte der
Kirche angehören, in der Jesus Christus am höchsten
verehrt wird.“ Und da wurde er katholisch.
Vor einiger Zeit, es ist
schon eine Reihe von Jahren her, war in einer
katholischen Kirche eine Volksmission. Am Abend war die
feierliche Andacht mit Aussetzung des Allerheiligsten
und Beichtgelegenheit. Nachdem die Andacht vorüber war,
ging der Priester noch einmal durch die Kirche, und da
sah er in der letzten Bank einen Herrn knien. Er fragte
ihn: „Möchten Sie noch beichten?“ „Nein“, sagte er
„beichten kann ich nicht. Ich bin der evangelische
Superintendent.“ Aber dann fügte er hinzu unter Tränen:
„Dass man uns den genommen hat!“ Er meinte damit den
Herrn im Sakrament. „Dass man uns den genommen hat!“ Ein
anderer evangelischer Theologe, Lavater, hat einmal das
schöne Wort gesagt: „Könnte ich an die Gegenwart Christi
im Sakrament glauben, ich würde mich vor Anbetung nicht
mehr von den Knien erheben.“ Aber er konnte es nicht
glauben, denn sein Glaube war durch Zwingli und Calvin
geprägt.
Gewiß, dieser Glaube ist
schwer, wir stehen vor einer unsagbaren Großtat Gottes.
Es ist nicht Menschenwerk, es ist Gottes Tat. Wenn wir
die Möglichkeiten durchdenken, die Gott gehabt hätte, um
uns seiner dauernden Gegenwart zu versichern, meine
lieben Freunde, ich glaube, wir kommen immer wieder zu
dem Ergebnis: So wie er es gemacht hat, ist es richtig,
ist es das einzig Mögliche, ist es das wahrhaft
Göttliche. Dass er uns in Brotsgestalt nahe sein wollte,
das ist seine göttliche Tat. Sie haben vielleicht einmal
von der Stadt Skutari gehört in Albanien. Dort leben
Mohammedaner, hauptsächlich Mohammedaner mit Christen
zusammen. Eines Tages fragt ein Mohammedaner einen
christlichen Jungen: „Wie kannst du nur glauben, dass
dein Christus in der Hostie gleichzeitig zu jedem
Christen kommen kann?“ Einen Augenblick stand der Junge
verblüfft, dann warf er den Kopf zurück: „Sage mir, wie
viele Fenster gibt es in Skutari?“ „Meinst du, ich habe
sie gezählt?“ entgegnete der Mohammedaner. „Und wie
viele Sonnen gibt es?“ „Eine einzige.“ „Gut“, schloß der
Junge, „wenn eine einzige Sonne so viele Fenster, wie es
in Skutari gibt, erhellen kann, dann kann auch mein
Heiland, der allmächtige Gott, zu einem jeden Christen
ins Herz kommen.“
Wegen dieser Gegenwart
des Herrn sind unsere katholischen Kirchen nicht nur
Versammlungsorte für den sonntäglichen Gottesdienst,
nein, unsere christlichen, unsere katholischen Kirchen
sind Heimstätten für jeden Tag, und deswegen sollten sie
auch jeden Tag offen stehen. Man kann auch in
protestantischen Kirchen sich sammeln und andächtig sein
und sich zu Gott erheben. Aber man kann in
protestantischen Kirchen nicht den Heiland finden, der
im Tabernakel gegenwärtig ist. Und deswegen ist es
notwendig und vom Kirchenrecht vorgeschrieben, dass jede
Kirche täglich geöffnet ist, geöffnet ist für die, die
dort beten wollen und die der Herr zu sich ruft. In den
letzten Jahren ist der Unfug eingerissen, auch
katholische Kirchen geschlossen zu halten. Man sagt, es
könnte etwas gestohlen werden. In der Tat ist es
möglich, dass Vandalismus einreißt. Und tatsächlich ist
ja allerhand vorgekommen; man hat Beichtstühle als
Bedürfnisanstalten benutzt. Aber gegen diese Mißbräuche
gibt es Mittel. Wenn Sie die herrlichen Barockkirchen in
Bayern besuchen, da sehen Sie, dass sie immer geöffnet
sind, aber freilich im hinteren Teil ist ein Gitter
angebracht, an dem man niederknien und beten kann,
anbeten kann. Die Kirche selbst aber ist zur
Besichtigung nur zu bestimmten Stunden geöffnet. Das ist
eine Möglichkeit, die Kirchen offenzuhalten zum Gebet,
zum einladenden Gebet vor dem Herrn. Aber es gibt auch
noch eine andere Möglichkeit. In meiner Heimat war ein
eifriger Pfarrer, der hatte in seiner Kirche die
Tabernakelehrenwache eingerichtet. Was ist die
Tabernakelehrenwache? Er hatte die Gläubigen seiner
Pfarrei aufgerufen, sich zu melden. Ein jeder möge eine
Stunde in der Woche übernehmen, in der er in der Kirche
anwesend ist und vor dem Herrn betet und auf diese Weise
auch den erforderlichen Wachdienst leistet. Das haben
die Gläubigen angenommen und getan. Zu jeder Stunde war
ein Glied der Gemeinde anwesend und betete für die
Anliegen der Gemeinde. Meine Großmutter am Montag von 9
bis 10 Uhr, ich weiß es noch ganz genau.
Die Kirche hat für die
Anbetung besondere Einrichtungen getroffen. Ich erwähne
nur die „Heilige Stunde“. Im Jahre 1674 hatte Margareta
Maria Allacoque eine Vision. Der Heiland sprach zu ihr:
„Jede Nacht von Donnerstag auf Freitag werde ich dich
teilnehmen lassen an der Todesangst im Ölgarten.“ Daraus
entstand die Übung der „Heiligen Stunde“, und sie ist in
vielen Pfarreien eingeführt worden. Am Donnerstagabend
vor dem Herz-Jesu-Freitag, da wird in Gemeinschaft mit
dem Herrn am Ölberg vor dem Allerheiligsten gebetet. Und
in dieser „Heiligen Stunde“ und in den anderen Stunden,
die wir vor dem Allerheiligsten knien, da haben wir ja
so viel zu tun, meine lieben Freunde, da haben wir zu
beten um das eigene Wohlergehen. Das dürfen wir. Das
sollen wir. Wir dürfen für unser Wohl und Wehe beten.
Denn wir haben die Pflicht der Eigenliebe, der gesunden,
der normalen, der von Gott gewünschten und befohlenen
Eigenliebe. Wir gehen zum Guten Hirten, auf dass er uns
bewahre und führe. Wir haben aber auch zu beten für
unsere Wohltäter. Wir dürfen nie vergessen, von wie
vielen Menschen wir leben, von der Güte, von der Geduld,
von der Nachsicht so vieler Menschen, von denen wir
leben. Und für die sollen wir beten. Es ist ein
wunderbarer Gedanke, dass wir unsichtbar und ohne Wissen
der anderen ihnen Wohltaten durch das Gebet verschaffen
können. Dazu dient die Besuchung des Allerheiligsten.
Wir sollen sodann beten für die Anliegen der Leidenden
in der ganzen Welt. Kein Leid der Kranken, der
Sterbenden, der Behinderten, der Ratlosen, der
Hilflosen, der Zweifelnden und Verzweifelten, der
Irrenden und der Suchenden, kein Leid soll uns fremd
sein. Wir sollen diese Menschen in unser Herz nehmen und
sie dem Herrn im Tabernakel vortragen. Und schließlich
noch eine letzte Intention: Wir dürfen unsere
Verstorbenen nicht vergessen. Beten wir für sie, die
sich selbst nicht mehr helfen können, aber denen wir
durch unser Gebet Hilfe bringen können. „Lieber Heiland,
sei so gut, lasse doch dein teures Blut in das Fegefeuer
fließen, wo die Armen Seelen büßen. Ach, sie leiden
große Pein; wollest ihnen gnädig sein!“
Der Gedanke, und da ist
auch eine wichtige Anregung, an unsere reiche Begabung,
an den Reichtum, den Gott uns geschenkt hat, sollte uns
zur Dankbarkeit ermutigen. Wir haben so viel an Wahrheit
und Gnade empfangen, dass wir verpflichtet sind, Gott zu
danken. Gott hat uns auch in unserem natürlichen Leben
immer wieder geführt, gerettet, beschützt und seine
Hilfe gezeigt. Er hat uns seinen Willen geoffenbart; er
hat uns seine Gebote gegeben. Das ist ein ganz
besonderer Grund, um dankbar zu sein. Dankbarkeit sollen
wir auch dem Herrn im Tabernakel erweisen. „Nie kann ich
danken dir genug. Es soll dir danken jeder Atemzug. Es
soll dir danken jeder Herzensschlag, bis zu dem letzten
Schlag am Letzten Tag.“
Wenn wir also unsere
Kirchen betreten, von denen wir wissen, der Herr ist
anwesend, dann soll das in großer Ehrerbietung
geschehen. Im Hause Gottes ist heiliges Verhalten
gefordert; da wohnt die höchste Majestät, der König der
Könige. Hier sollen wir unseren Schritt mäßigen, hier
sollen wir uns nicht darum bekümmern, wer noch anwesend
ist und ob wir von allen auch gesehen werden. Nein, hier
sollen wir ehrerbietig und gesammelt und eingezogen uns
verhalten. Innere und äußere Ehrerbietung sind unbedingt
erforderlich. Wo die Ehrfurcht fällt, da fällt bald der
Glaube hinterher. Unser lieber Heiliger Vater hat nicht
umsonst wiederholt gesagt: „Die Krise der Kirche ist
hervorgegangen aus der Krise des Gottesdienstes.“ Und er
hat recht. Wir müssen deswegen mit Sorge sehen, wie sich
manche heute im Gotteshaus verhalten, wie das
eingerissen ist, das Schwätzen und Erzählen, das Lachen
und das Klatschen und andere Dinge. Sie gehören in den
Konzertsaal, aber nicht in die Kirche!
Der edle König Ludwig IX.
von Frankreich, der heilige, hat einst einen Kreuzzug
geführt. Aber auf dem Kreuzzug wurde er gefangen
genommen, und er musste ein riesiges Lösegeld
versprechen, um wieder freigelassen zu werden. Der
Sultan, der die hohe Loskaufsumme bestimmt hatte, wollte
sich ihrer Entrichtung versichern, indem er sagte: „Ich
begehre eine konsekrierte Hostie zum Pfand.“ Er begehrte
eine konsekrierte Hostie zum Pfand. Er hatte nämlich
beobachtet, wie die Christen vor der Hostie niederknien
und wie der König selbst einer Messe beiwohnte, in
Ehrfurcht vor dem allerheiligsten Sakrament in die Knie
sank, und daraus schloß er mit Recht, dass die
Eucharistie, dass der Leib des Herrn das höchste Gut der
Christen sein müsse.
Erinnern wir uns, meine
lieben Freunde: Der Herr ist im Tabernakel gegenwärtig.
Besuchen wir ihn. Er wartet auf uns. Es ist ein
schmerzliches Warten. Lassen wir ihn nicht umsonst
warten! Eilen wir zu ihm, lassen wir keine Gelegenheit
unbenützt, in eine Kirche einzutreten, an der wir
vorbeigehen, und beten wir vor ihm: „In Demut bet ich
dich, verborgen Gottheit, an, die du den Schleier hier
des Brotes umgetan. Mein Herz, das ganz anschauend sich
in dich versenkt, sei ganz dir untertan, sei ganz dir
hingeschenkt!“
Amen.
Geliebte im Herrn!
In der heutigen Epistel
aus dem Brief an die Christen in Ephesus ist an mehreren
Stellen die Rede von der Unzucht, und wir erschrecken
über das Urteil, welches der Apostel, vom Heiligen Geist
belehrt, über dieses Laster fällt. „Unzüchtige“, sagt
er, „sind Götzendiener.“ Sie können das Reich Gottes
nicht erben, das heißt, sie werden die ewige Verwerfung
erfahren. Ephesus war eine Hafenstadt, und Hafenstädte
sind bekannt für lockere Sitten. Aber es war nicht nur
diese geographische Lage, die Ephesus zu einer Stätte
des Lasters machte, sondern auch die Verfallsmoral des
Heidentums. Das Heidentum hatte die Unsittlichkeit und
die Unzucht weitestgehend freigegeben. Wir wissen von
bedeutenden griechischen Philosophen, die die
Knabenliebe pflegten. Es gab Tempel, in denen Unzucht
getrieben wurde. So war also die Umgebung der Christen
denkbar ungünstig, von Unzucht betroffen. Und jetzt
sollten sie ein ganz neues Leben beginnen. In der Taufe
war ihnen das neue Gnadenleben geschenkt worden. Jetzt
wurden die höchsten sittlichen Leistungen von ihnen
gefordert: Beherrschung der Sinne, Zucht der Triebe,
jungfräuliche Lebensweise und Treue in der Ehe.
Meine lieben Freunde, die
Geschlechtlichkeit des Menschen ist eine gottgegebene
Tatsache. Sie ist gut, weil sie aus der Hand Gottes
hervorging. Die Sexualität ist ein Trieb, dessen sich
niemand zu schämen braucht. Aber er muss in der
gottgewollten Ordnung verbleiben. Der Geschlechtstrieb
mit seiner Lust ist vom Schöpfer zu einem erhabenen
Zweck in den Menschen gelegt worden, nämlich die Art
soll so erhalten werden, die Kinder sollen in der
Familie von den durch rechtmäßige Ehe verbundenen Eltern
erzogen werden. Und niemand kann etwas an diesem ehernen
Gesetz ändern. Ehe und eheliche Liebe sind ihrem Wesen
nach auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft
hingerichtet, wie zuletzt das Zweite Vatikanische Konzil
gelehrt hat. Gleichzeitig sind die ehelichen Akte dazu
bestimmt, die Verbundenheit der Gatten zum Ausdruck zu
bringen und zu bestärken. Die beiden Sinngehalte,
Fortpflanzung und liebende Vereinigung, sind nach Gottes
Bestimmung unlösbar verknüpft.
Der Sexualtrieb hat also
zwei große Funktionen. Er soll durch seine bebende Lust
die Menschen immer wieder zur Zeugung, zur Erhaltung des
Menschengeschlechtes, bringen. Er soll aber auch dann in
den langen Jahren der Ehe und der Kinderaufzucht die
naturhafte Basis der ehelichen Liebe sein. Er soll den
beiden Gatten das Kreuz des Lebens, das Kreuz der Ehe,
das Kreuz der Kinder tragen helfen. Ich sage noch
einmal: Der Sexualtrieb ist ein Trieb, dessen sich
niemand zu schämen braucht. Aber er muss in der
gottgewollten Ordnung verbleiben. Und diese Ordnung
fassen wir in einem einzigen Worte zusammen, nämlich
Keuschheit. Keuschheit ist der Gebrauch des
Geschlechtstriebes nach der gottgesetzten Ordnung. Da
gibt es zwei Möglichkeiten: entweder die dauernde oder
zeitweilige Enthaltsamkeit oder der geschlechtliche
Verkehr in der Ehe nach dem Willen Gottes. Darüber
hinaus gibt es nichts, was von Gott erlaubt wäre.
Entweder zeitweilige oder dauernde Enthaltsamkeit üben
oder im geschlechtlichen Verkehr handeln nach dem Willen
Gottes.
Keuschheit zeigt uns den
Vorrang des Geistes vor dem Körper. Mich fragte einmal
eine Dame: „Warum ist denn der Geschlechtstrieb so
stark?“ offenbar an ihr auch. Ich sagte ihr: „Weil wir
die Vernunft bekommen haben.“ Wir haben nicht nur den
Trieb, sondern wir haben auch das Regelungsprinzip für
den Trieb, das ist die Vernunft. Der Vorrang des Geistes
vor dem Körper muss im geschlechtlichen Bereich gewahrt
bleiben. Darüber kommt die Tatsache, die Paulus im 1.
Korintherbrief immer wieder einschärft: „Der Leib gehört
nicht dir, der Leib gehört Christus. Du bist ein Glied
am Leibe Christi. Du bist ein Tempel des Heiligen
Geistes. Also halte den Tempel heilig!“ Die
Gottgehörigkeit des Leibes ist der entscheidende Grund,
warum wir die Geschlechtlichkeit nach Gottes Willen zu
verwalten haben. Denn die Sünde der Unkeuschheit, der
Unzucht, besteht in der Verletzung, die sich aus dem
Ziel des Geschlechtstriebes ergibt. Sie besteht im
ungeordneten Streben nach Geschlechtslust. Jede
außerhalb der Ehe unmittelbar gewollte sexuelle Lust ist
Sünde. Ich wiederhole noch einmal diesen fundamentalen
Satz: Jede außerhalb der Ehe direkt gewollte sexuelle
Lust ist Sünde. Die Ehe, die gültige Ehe ist der einzige
legitime Ort geschlechtlicher Betätigung.
Und auch innerhalb der
Ehe muss die eheliche Keuschheit herrschen. Das heißt:
Der erlaubte Geschlechtsverkehr in der Ehe ist an
sittliche Forderungen gebunden, die alles verbieten, was
den Aufgaben der ehelichen Gemeinschaft und der
ehelichen Treue widerspricht. Außerhalb der Ehe, noch
einmal, sowohl vor der Ehe als auch nach der Ehe ist
volle Enthaltsamkeit geboten. Jede freiwillig gesuchte
Befriedigung des Geschlechtlichen ist Sünde.
Die Sünden sind freilich
sehr vielartig. Es gibt Sünden ohne die Vereitelung der
Fortpflanzung und Sünden mit Vereitelung der
Fortpflanzung. Sünden ohne Vereitelung der Fortpflanzung
sind der unerlaubte Geschlechtsverkehr etwa mit
Prostituierten, Geschlechtsverkehr zwischen ungültig
Verheirateten. Mir erzählte einmal eine Mutter, eine
ihrer Töchter lebe mit einem Manne zusammen. Sie wollen
es ausprobieren, ob es geht. Sie haben es zwölf Jahre
ausprobiert, und dann sind sie auseinander gegangen. Die
Sünden mit Vereitelung der Fortpflanzung sind ebenfalls
schlimm und folgenreich. An erster Stelle die
Selbstbefriedigung. Sie ist vor allem eine Sünde, die in
der Pubertät auftritt, aber sie kann Menschen bis ins
hohe Alter verfolgen. Es ist die Sünde der Einsamkeit.
Sie kommt nicht nur bei Unverheirateten vor, sondern
auch bei Verheirateten. Die eheliche Onanie besteht
darin, dass der eheliche Zweck der Fortpflanzung
vereitelt wird. Man kann sich in zweifacher Weise gegen
die eheliche Keuschheit verfehlen. Einmal, wenn man dem
Partner einen Verkehr aufnötigt, der weder auf sein
Befinden noch auf seine berechtigten Wünsche Rücksicht
nimmt. Ein solcher aufgenötigter Verkehr ist kein wahrer
Ausdruck der Liebe. Er widerspricht der sittlichen
Ordnung. Ebenso widerspricht aber auch ein Akt
gegenseitiger Liebe dem göttlichen Plan, wenn er der
Eignung, zur Weckung neuen Lebens beizutragen,
abträglich ist. Wer einerseits Gottes Gabe genießen will
und andererseits Sinn und Zweck dieser Gabe ausschließt,
stellt sich gegen Gottes heiligen Willen.
In den letzten Jahren ist
viel die Rede von der gleichgeschlechtlichen Betätigung.
Früher nannte man das Sodomie nach dem, was in der Stadt
Sodoma sich zugetragen hatte. Sodomie ist
widernatürlich, weil sie dem Hauptzweck des
Geschlechtsverkehrs, der Erhaltung der Art, zuwider ist.
Sie ist ein schweres sittliches Vergehen; sie ist eine
himmelschreiende Sünde. Sie ist ein Greuel vor Gott,
todeswürdig und widernatürlich, der gesunden Lehre
widerstreitend. Wegen dieser Sünde wurden Sodoma und
Gomorrha mit Feuer und Schwefel ausgetilgt. Die
Homosexualität wird häufig durch Verführung
weitergetragen. Sie ist auch oft die Folge äußerer
Umstände, etwa wenn viele Jungen in einem Internat
zusammen sind oder viele Männer in der Kaserne, auf
einem Schiff, im Gefängnis. Auch der noch nicht deutlich
entwickelte Geschlechtstrieb junger Menschen kann
vorübergehend zu Homosexualität führen. Besonders
verwerflich ist die gleichgeschlechtliche Unzucht, wenn
sie auftritt in der Knabenliebe. Immer wieder lesen wir
und hören wir davon, dass Päderastie, das ist der
Fachausdruck dafür, betrieben wird, also Unzucht mit
Kindern, etwas vom Schrecklichsten, was sich auf diesem
Gebiete zutragen kann.
Nun, meine lieben
Freunde, ist man heute sehr nachsichtig gegenüber der
Unzucht geworden. Wir wissen, dass Unzucht bis in die
höchsten Kreise hinein üblich geworden ist. Wir wissen,
dass gleichgeschlechtliche Unzucht nicht abhält, höchste
Regierungsämter zu übernehmen. Es war nicht immer so.
Also die geschlechtliche Unordnung ist weit verbreitet.
Und es ist auch wahr: Für die meisten Menschen gibt es
zeitweise ein geschlechtliches, ein sexuelles Problem in
ihrem Leben, sei es als Heranwachsende, sei es als
Kinder oder in der Jugendzeit, sei es in der Ehe. Die
Versuchung macht sich gebieterisch geltend, und die
Anfälligkeit gegen die sexuelle Verführung ist bei den
meisten Menschen vorhanden. Sie fehlt bei wenigen ganz;
bei den meisten wird sie schmerzlich fühlbar.
Aber auch wenn es so ist,
wenn die geschlechtliche Unordnung weit verbreitet ist,
ist daraus nichts zu entnehmen gegen ihre
Sündhaftigkeit. Auch andere Verhaltensweisen sind weit
verbreitet, wie zum Beispiel der Mangel an Liebe, und
niemand wird daran denken, das Liebesgebot aufzuheben.
So ist auch, wie stark der Geschlechtstrieb sein mag,
die Verantwortlichkeit und die Freiheit des Menschen
nicht aufgehoben. Es gibt keinen Zwang zur
geschlechtlichen Betätigung. Das ist die Irrlehre von
Luther gewesen, und die wollen wir uns nicht aufreden
lassen. Es ist völlig fehl am Platze, die
geschlechtliche Verfehlung als normal, den Trieb als
unwiderstehlich zu bezeichnen. Und es ist auch Unsinn,
zu behaupten, die geschlechtliche Betätigung sei für die
Gesundheit notwendig. Es ist etwas ganz anderes mit dem
Nahrungstrieb und mit dem Geschlechtstrieb. Der
Nahrungstrieb ist tatsächlich für einen jeden zu
befriedigen, aber der Geschlechtstrieb braucht nicht
befriedigt zu werden, weil daran niemand zugrunde geht.
Die Folgen der Unzucht
sind für den Einzelnen und für die Gesellschaft
verheerend. Der heilige Hieronymus schreibt einmal: „Usu
crescit, numquam satiatur.“ Also der Geschlechtstrieb,
er wächst dadurch, dass man ihm nachgibt, er wird
niemals satt. Usu crescit, numquam satiatur. Er wächst
durch das Nachgeben, er wird niemals satt. Es ist also
ganz falsch, wenn man meint, man könne sich Ruhe
verschaffen, indem man dem Trieb nachgibt. Der Trieb
gibt nicht nach, er verlangt immer stärkere Dosen. Die
Nachgiebigkeit gegen den Trieb führt zur Unbeständigkeit
und zur Übereilung. Wer sich vom Triebe leiten lässt,
der wird getrieben. So kommt es zu geschlechtlichen
Handlungen unter Jugendlichen, zu vorehelichem
Geschlechtsverkehr, zum Ehebruch. Die Nachgiebigkeit
gegenüber dem Geschlechtstrieb führt zur
Gleichgültigkeit gegen Ehre, Hab und Gut. Um zur
unerlaubten Befriedigung des Triebes zu gelangen, setzen
Menschen Beruf, Stellung, Fortkommen aufs Spiel. Wir
haben es soeben erlebt, wie der Vorsitzende des
Gesamtbetriebsrates von Volkswagen, der Herr Volkert,
fast drei Jahre ins Gefängnis gehen muss, weil er den
Trieb ausgelebt hat, weil er u. a. einer brasilianischen
Geliebten Scheinverträge von 400.000 Euro zugeschanzt
hat. Jetzt muss er für seine Untreue drei Jahre im
Gefängnis büßen.
Der Geschlechtstrieb, dem
man nachgibt, führt zu Unlust und Verdrossenheit. Weil
der Sinn fixiert ist auf die Geschlechtlichkeit, ist der
Mensch verstimmt und gereizt, wenn er ihn nicht
befriedigen kann, wenn er darauf verzichten muss. Das
Schlimmste freilich, und das deutet der Apostel Paulus
an, das Schlimmste ist, dass der Trieb zur Furcht vor
der Ewigkeit führt, zur religiösen Unempfänglichkeit,
zum Unglauben, zum Haß gegen Gott. „Die Welt wäre nicht
ungläubig, wenn sie nicht unkeusch wäre“, hat einmal der
heilige Augustinus geschrieben. Die Welt wäre nicht
ungläubig, wenn sie nicht unkeusch wäre. Und wir
Seelsorger haben es so manches Mal erlebt, wie ein
Jugendlicher oder auch ein Verheirateter zunächst
religiös praktizierte, eifrig und fromm war, aber als
dann die Fäulnis der Unzucht in diesem Herzen sich
ausbreitete, hat er alle religiöse Praxis aufgegeben und
ist zum Götzendienst gekommen. Tatsächlich: Die Unzucht
führt weg vom Dienste Gottes. Sie ist vielleicht die
Hauptursache dafür, dass so viele unserer Jugendlichen
nicht mehr beten, nicht mehr die Sakramente empfangen,
nicht mehr zum Gottesdienst kommen. Der Unzucht hängt
ein dämonisches Moment an.
Dazu kommen die sozialen
Folgen der Unzucht. Wir lesen davon, dass durch
Geschlechtskrankheiten immer mehr Menschen erkranken,
manche tödlich erkranken durch Aids. Das ist ja jetzt
die neue Seuche geworden. Diese Geschlechtskrankheiten
können auch auf die nachkommende Generation sich
auswirken und zur erblichen Belastung werden. Sie
gefährden also die Nachkommenschaft. Durch Unzucht wird
das Familienleben zerrüttet. Am Übermaß und am
Missbrauch der geschlechtlichen Betätigung stirbt die
Liebe! Achtung und Rücksicht, Schonung und Verzicht
haben keine Stelle mehr. Wer sich dem Geschlechtstrieb
überlässt, der kommt leicht zur Verrohung und zur
Grausamkeit. Um zum Geschlechtsgenuß zu kommen, werden
alle Regeln des Anstandes, der Treue, der Nächstenliebe
über den Haufen geworfen.
Unsere Kirche kämpft
gegen Unzucht, für Reinheit und Beherrschung. Sie kämpft
fast allein. Die anderen Religionsgemeinschaften
verlassen sie mehr oder weniger. Es ist das Ruhmesblatt
unserer Kirche, dass sie in einer Welt der Verderbnis
die Gebote Gottes über der geschlechtlichen Sittlichkeit
hochhält. Der Staat, ach, der Staat verlässt uns. Er hat
immer mehr abgebaut die Gesetze, die die geschlechtliche
Sittlichkeit schützen sollten, vor allem seit der
sozial-liberalen Koalition. Dann hat das Unheil sich
weitergefressen. Der Staat hat sich aus der Bestrafung
der Unkeuschheit zurückgezogen. Die so genannten
Volksvertreter haben eine Gesetzgebung geschaffen, die
es ihnen, jedenfalls vielen von ihnen, gestattet, die
gottgesetzte Ordnung der Sittlichkeit ungestraft zu
übertreten. Sie haben den Ehebruch freigegeben, sie
haben die Ehescheidung freigegeben, sie haben die
Homosexualität freigegeben, sie haben homosexuelle
Partnerschaften anerkannt. Der Staat lehrt die Kinder,
wie man die Folgen geschlechtlicher Betätigung vermeiden
kann. Er lehrt sie, wie man die Kondome gebraucht. Das
wird heute in der Schule gelehrt.
Der Apostel Paulus ruft
uns heute zu: „Einst wart ihr Finsternis, jetzt aber
seid ihr Licht. Wandelt als Kinder des Lichtes!“ Was in
der Taufe strahlend begann, das muss im Leben des
Alltags kräftig betätigt werden. Eine neue Welt ist in
dem entstanden, der das Taufbad hinter sich gebracht
hat, eine neue Welt, in der die Schöpfungsordnung Gottes
vollauf beachtet wird, in der der rechte Sinn der
geschlechtlichen Betätigung erfüllt wird. Und so höre
ich, meine lieben Freunde, heute die Mahnungen: Habe
Ehrfurcht vor die selbst! Mißbrauche nicht die Kräfte,
die Gott dir zu hohen Zwecken gegeben hat! Wünsche nie
etwas, was durch Mauern oder Vorhänge verborgen werden
muss! Bete: Durchglühe mein Herz und meine Nieren mit
dem Feuer des Heiligen Geistes, auf dass wir keuschen
Leibes dir dienen und mit reinem Herzen dir gefallen!
Ich höre den Ruf der Engel und der Heiligen: Hüte das
Edelweiß auf den Bergen! Pflege die Lilie in den Tälern!
Amen.
Geliebte im
Herrn!
Nachdem der
verlorene Sohn die Becher ausgetrunken und alle sieben
Hauptsünden kennengelernt hatte, erhoben seine Kumpane
den Stock und prügelten ihn davon. So geht es zu im
Wirtshaus der Welt. Wenn einer alles genossen hat und
fertig ist, wie man so sagt, dann ruft der Wirt nach dem
Hausknecht und lässt den fertigen Gast hinaussetzen. Es
könnte nämlich sein, dass neue Gäste kommen und, an
seinem Beispiel erschreckend, sehen, wohin die
Trunksucht führen kann, und das darf nicht vorkommen.
Der Betrieb muss weitergehen.
Aber der
verlorene Sohn war schuldig geworden. Während er den
Vater verließ, um alles zu gewinnen, hat er alles
verloren. Schuld verlangt Gericht oder Gnade. Es ist
nicht gleichgültig, was der Mensch tut, Gutes oder
Böses. Er hat die wunderbare Gabe, zu wählen, zu wählen
zwischen dem Guten und dem Bösen. Er hat die freie
Entscheidung, das Rechte oder das Unrechte zu tun. Aber
er hat nicht mehr die Freiheit, sich von seinen Taten
oder Untaten zu trennen. Sie folgen ihm nach. Und jede
Tat trägt in sich den Keim des Gerichtes. „Du hast es
befohlen, o Gott, und so ist es, dass sich zur Strafe
wird jeder ungeordnete Geist.“ Das prägt sich in seine
Seele ein und auch in sein Gesicht. Eine alte
Volksweisheit hat das ausgedrückt in dem Vers: „In
deinem Gesichte steht deine Geschichte, dein Hassen und
Lieben deutlich geschrieben.“
In einem
berühmten Roman eines englischen Schriftstellers wird
erzählt von einem jungen Mann, der sich ein Bild malen
ließ, und diesem Bilde wohnte eine Zauberkraft inne. Es
konnte nämlich alle Veränderungen, die in seinem eigenen
Leben auftreten würden, in sich aufnehmen. Der junge
Mann verfiel dem Laster, der Ausschweifung, dem
Verbrechen. Sein körperliches Antlitz blieb jugendlich,
frisch und rein, aber auf seinem gemalten Bildnis wurden
alle diese Veränderungen, die sich in seiner Seele in
seinem Leben zugetragen hatten, sichtbar. Entsetzliche
Veränderungen entstellten dieses gemalte Bild,
verzerrten die einstige Schönheit. Der junge Mann
verbarg das Bild vor fremden Blicken und betrachtete es
nur selten. Wenn er es ansah, erschrak er, denn sein
wahres, vom Laster zerstörtes Antlitz wurde auf dem
Bilde sichtbar, blickte ihn an als sein eigener Richter,
dem er zu entfliehen trachtete, zu dem ihn aber eine
unentrinnbare Macht immer wieder zurücktrieb. Ein
grauenvoller Haß gegen das Bild wuchs in ihm. Eines
Tages zog er den Dolch und durchbohrte es, und
blutüberströmt brach er zusammen, denn das Bildnis war
er selbst. Er hatte sich selbst gerichtet. Das ist der
berühmte Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar
Wilde. Ein Roman, also erdichtet. Aber, meine Freunde,
das Leben erzählt genau so. Wo hört die Sünde auf? Wo
gibt es Umkehr?
In einer
Schweizer Zeitung war vor einiger Zeit zu lesen: An den
Ufern der Seine in Paris fand man die Leiche einer
29-jährigen Frau, Louise Cranson. Im Alter von 18 Jahren
war Louise nach Paris gekommen, schön und stolz,
ehrgeizig und eigensinnig, eine moderne Mona Lisa mit
zweideutig lächelndem Munde. Sie mischte sich unter die
Figuranten in den Musikhallen, unter die Statistinnen
beim Film. Dann entdeckten sie die Maler. Sie verewigten
ihre Gesichtszüge und ihren Körper, jeder auf seine
Weise. Aus der Unbekannten wurde das berühmteste und
gesuchteste Pariser Modell, Lise vom Montparnass. Lise
liebte es, fröhlich zu sein, auszugehen, zu lachen, zu
tanzen, zu trinken und zu diskutieren. Nachdem sie den
Gipfel erreicht hatte, begann der Abstieg. Sie trank
eines Abend zu viel. Es begann ihr an materiellen
Mitteln zu fehlen. Sie, die als erste die Bücher von
Sartre gelesen hatte, war zu alt, um vom Juniorenclub
der Existentialisten aufgenommen zu werden. Sie
versuchte ihre Schwierigkeiten zu verbergen. Sie suchte
Trost im Alkohol und im Rauschgift. Nun fand man ihre
Leiche. Sie hinterließ ein fünfjähriges Mädchen. Das ist
keine erdichtete Geschichte, meine lieben Freunde, das
ist eine Geschichte, die das Leben geschrieben hat, und
sie lehrt uns Schuld, immer tiefere Schuld, zuletzt
Gericht ohne Gnade. „Du hast es befohlen, o Gott, und so
ist es, dass seine Strafe sich wird jeder ungeordnete
Geist.“
Es ist
nicht gleichgültig, ob wir Gutes tun oder Böses. Die
Sünde ist eine furchtbare Wirklichkeit des inneren
Lebens. Wenn sie nicht abgefangen wird, wächst sie. Aus
kleinen Sünden werden große, aus großen Sünden wird das
Laster. Die Sünde trägt ihre Folgen in sich. Es müssen
nicht immer Folgen für das äußere Leben sein, obwohl sie
sehr häufig sind. Es müssen nicht immer
Lebenskatastrophen sein, obwohl sie vorkommen. Auch die
Folgen der Sünde für das innere, seelische Leben sind
zerstörend. Die Sünde macht die Seele hart,
unempfänglich für das Gute, unempfänglich für die Gnade
Gottes. Sie fesselt den Sünder. In einem Faustfragment
von Lessing sagt Faust: „Es gibt keinen Gott. Wenn es
einen Gott gäbe, könnte er nicht zuschauen und mich
weiter sündigen lassen.“ Da vernahm er eine Stimme, die
sprach: „Gerade dass ich dich sündigen lasse, ist deine
Strafe.“ Gerade dass ich dich sündigen lasse, ist deine
Strafe. Das ist das schlimmste Gericht über die Sünde,
dass Gott den Sünder sich selbst überlässt. „Du hast es
befohlen, o Gott, und so ist es, dass seine Strafe sich
wird jeder ungeordnete Geist.“
Vor einiger
Zeit wurde vor einem Landgericht ein Prozeß geführt.
Eine Frau klagte gegen die Witwe eines Mannes. Und
warum? Der Herr, ein wohlhabender Herr, hatte eine
Schiffsreise gemacht. Auf dem Traumschiff lernte er eine
entzückende Frau kennen. Er drang in sie, dass sie sich
ihm schenke. Er hat auf den Knien vor ihr gelegen. Aber
sie verweigerte sich ihm. Dann sprach er: „Ich lasse
mich scheiden und heirate Sie.“ Dann hat sie sich ihm
hingegeben. Als die Schiffsreise vorbei war, hat der
Mann Gewissensbisse bekommen. Er wollte sich nicht von
seiner Frau trennen. Aber seine Geliebte verfolgte ihn
und erinnerte ihn an sein Versprechen. Sie trafen sich
in Hotelzimmern. Schließlich, ein Getriebener und
Gehetzter, starb der Mann an zerbrochenem Herzen. Jetzt
klagte die Geliebte gegen die Witwe auf Schadensersatz.
„Du hast es befohlen, o Gott, und so ist es, dass seine
Strafe sich wird jeder ungeordnete Geist.“ Gott will
seine Feinde nach Gerechtigkeit und Schuld strafen.
Deswegen überlässt er sie ihren jeweiligen Gelüsten, auf
dass sie, ihren Begierden hingegeben, im Übermaß der
Freiheit sch selbst zugrunde richten.
Noch einmal
Oscar Wilde. Er schrieb einmal eine Vision nieder, die
das Gericht Gottes über die Menschenseele spiegeln
sollte. Die Seele erscheint vor dem Richterstuhl des
Herrn. „Ich muss dich verurteilen“, spricht Gott. „Du
hast die anderen ausgebeutet, die Mitmenschen verachtet,
die Eltern gekränkt, fremde Habe dir angeeignet.“ „Ja,
Herr, das alles habe ich getan.“ „Du hast deine Sinne
und Triebe herrschen lassen, bist blind deinen
Leidenschaften gefolgt, hast dir alle Lust der Erde
gegönnt.“ „Ja, Herr, das alles habe ich getan.“ „Ich
muss dich also verurteilen.“ „Ja, Herr, das musst du.“
„Ich muss dich verstoßen zur Hölle!“ „Herr, das ist
nicht möglich; mein Herr, das kannst du nicht tun. In
der Hölle bin ich schon gewesen!“
Der Mensch,
der in der Todsünde lebt, befindet sich im Zustand der
Verdammnis. Der Sünder hat keinen Frieden, sondern er
lebt in der Unruhe. Er ist nicht mit sich geeint, denn
er ist zerrissen. Der Apostel Paulus drückt es so aus:
„Wer auf das Fleisch sät, wird vom Fleische Verderben
ernten. Wer aber auf den Geist sät, wird vom Geiste
ewiges Leben ernten.“ Gott weiß die Sünde so einzufügen,
dass gerade das, was dem Menschen beim Sündigen Genuß
verschafft, ein Werkzeug der Bestrafung wird. Sünde
fordert Strafe. Wer in verkehrter Weise durch Sünde
Unordnung anrichtet, wird durch die Strafe wieder in die
Ordnung eingerückt. Einem jeden Menschen erwächst die
Züchtigung aus seiner eigenen Sünde, und sein eigenes
Vergehen schlägt auf ihn zurück. „Du hast es befohlen, o
Gott, und so ist es, dass seine Strafe sich wird jeder
ungeordnete Geist.“
Fastenzeit
ist Bußzeit, meine lieben Freunde. Buße tun heißt sich
bekehren und Genugtuung leisten für die Schuld. Sich
bekehren besagt, eine Wende vornehmen, umkehren auf
einem irrigen, auf einem falschen Wege, das Gegenteil
von Sünde tun, also gute Werke vollbringen, Gottesliebe
und Nächstenliebe üben, beten, fasten, Almosen geben. Es
gibt Christen, die in der Fastenzeit jeden Tag die
heilige Messe besuchen. Verzeihen, Feindschaften
abbauen, Frieden halten, Hilfe leisten, das sollen wir
tun als Zeichen unserer Bekehrung. Und gleichzeitig auch
Genugtuung leisten. Das heißt, dass wir uns Strafen
auferlegen: Enthaltung von Speisen, Verzicht auf Genüsse
des Gaumens, Verzicht auf Alkohol, Verzicht auf Rauchen,
Verzicht auf Fernsehen. Der neue Erzbischof von München,
Marx, hat erklärt, dass er in der Fastenzeit auf das
Rauchen verzichte. Nun, immerhin, für einen Raucher ein
recht ansehnliches Opfer. Das Himmelreich leidet Gewalt,
und nur die Gewalt brauchen, reißen es an sich. Wir
haben zwei Möglichkeiten: entweder uns selbst zu
schonen, dann schont Gott uns nicht, oder uns selbst
nicht zu schonen, dann schont uns Gott. „Willst du, dass
Gott dich schone, so schone dich selbst nicht“, schreibt
einmal der heilige Augustinus.
Schwebt
nicht eine Wolke der Angst über unserer Welt? Diese
Angst ist nicht von den Sternen herabgestiegen, sie ist
aus den Herzen der Menschen aufgestiegen. Es ist die
Angst vor dem Gericht, das wir heraufbeschworen haben.
Das Heil vor dem Gericht müssen wir in uns selbst
suchen. Jetzt ist der Tag des Heiles, jetzt ist der Tag
der Umkehr. Jetzt müssen wir flehen: „Richter du
gerechter Rache, Nachsicht üb’ in meiner Sache, eh ich
zum Gericht erwache!“
Amen.
Geliebte im
Herrn!
Passionssonntag ist heute. Das heißt, wir beginnen mit
ihm die Zeit des Kirchenjahres, die in besonderer Weise
dem Gedächtnis des Erlöserleidens geweiht ist. Die
Kirche trauert. Sie hat den Witwenschleier angelegt, das
Kreuz ist verhüllt. Unser Blick soll ganz nach inner
gerichtet sein auf unseren Erlöser und auf seinen
Leidensweg, er, der jetzt als Lamm Gottes, als das
Sühnopfer Gottes den Weg nach Golgotha nimmt. Und so
tritt das Kreuz stark in unser inneres Bewusstsein. Es
ist das Königsbanner, vexilla regis. „Die Königsbanner
flattern voran“, so heißt es in einem wunderbaren
Hymnus; und es ist der Baum der Erlösung. Ich lade Sie
immer wieder ein, meine Freunde, in dieser Passionszeit
das zu betrachten, was uns besonders nahe steht, nämlich
das Kreuz. In der Präfation der Passionszeit heißt es:
„Der am Holze gesiegt hat, (nämlich der Satan im
Paradiese), der sollte auch am Holze besiegt werden“
(nämlich durch Jesus und sein bitteres Leiden). Am Holze
ist Satan Sieger gewesen, am Holze hat Christus ihn
besiegt.
Wir sehen
den Erlöser, wie er den Weg zum Kreuze nimmt. Aber ehe
die Kirche ihn uns zeigt, wie er wehrlos seinen Feinden
ausgeliefert wird, bringt sie uns noch einmal zu
Bewußtsein, wer das ist, der hier leidet. Ein Gerechter
ist es, ein Gerechter, der unschuldig in den Tod geht,
der Hohepriester des Neuen Bundes, der ewige Gottessohn.
Im Eingangsgebet der heutigen Messe heißt es mit den
Worten des 42. Psalms: „Schaff Recht mit Gott gegen ein
unheiliges Volk. Entscheide meinen Rechtsstreit wider
meine Feinde.“ Und die Epistel schildert uns den
Hohenpriester: Nicht mit dem Blut von Böcken und
Stieren, wie im Alten Bunde, trete er in das Zelt des
Allerheiligsten ein, sondern mit seinem eigenen Blut als
makelloses Opfer des Neuen Bundes. Und im Evangelium, da
offenbart sich der Herr noch einmal selber: „Wer aus
euch kann mich einer Sünde beschuldigen?“ Antwort:
Niemand! Und: „Ehe Abraham ward, bin Ich!“ Damit ist
seine Ewigkeit als der Sohn Gottes ausgesagt. Opfergabe
und Priester zugleich, das ist der Herr, das ist das
Thema der Passionszeit.
Die Worte
des Evangeliums künden uns auch die Auseinandersetzung
des Herrn mit den Juden. „Warum glaubt ihr mir nicht?“
Das ist die Frage, die er an sie richtet. Sie hätten
doch allen Anlaß gehabt zu glauben. Niemals ist ein
Zeuge so beglaubigt worden wie er. In ihm sind die
Verheißungen der Propheten in Erfüllung gegangen. Er hat
Wunder gewirkt, die kein Mensch wirken kann. Seine Lehre
ist von erhabener Vollkommenheit; sein Wandel ist von
äußerster Reinheit; sein sittliches Leben ist makellos.
„Wer von euch kann mich einer Sünde beschuldigen?“
Niemals hat ein Bote solche Zeugnisse aufweisen können
wie unser Herr und Heiland. Und doch stößt er auf eine
Mauer des Unglaubens. „Warum glaubt ihr mir nicht?“ Das
ist die Schicksalsfrage, die der Messias an die
verblendeten Führer seines Volkes richtet. Die Antwort
gibt der Herr selber: „Weil ihr nicht aus Gott seid.“
Sie glauben nicht, weil sie nicht glauben wollen. Sie
verharren in ihren menschlichen Lehren, in ihren
Wünschen, in ihren Ansprüchen, in ihrem Dünkel. Sie
wollen sich nicht vom Throne stoßen lassen durch die
Wahrheit. Sie wissen, dass im Gottesreiche kein Raum ist
für Pharisäer. Deswegen darf seine Lehre nicht wahr
sein, deswegen greifen sie zum letzten und niedrigsten
Mittel: sie beschimpfen ihn. Sie heben Steine auf, um
ihn zu töten.
„Warum
glaubt ihr mir nicht?“ Diese Frage, meine Freunde, ist
stehen geblieben. Sie ist die Frage, die Christus an
alle Zeiten richtet: „Warum glaubt ihr mir nicht?“ Am
Glauben hängt alles, und ohne Glauben ist alles nichts.
„Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen, denn
wer Gott naht, muss glauben, dass er ist und dass er
denen, die ihn suchen, ein Vergelter wird.“ So fasst der
Hebräerbrief den Inhalt des Glaubens zusammen: „Er muss
glauben, dass Gott ist und dass er denen, die ihn
suchen, ein Vergelter ist.“ An einer anderen Stelle
heißt es: „Nur wenn wir glauben, gehen wir in die Ruhe
ein.“ Und wieder an einer anderen Stelle: „Das ist der
Sieg, der die Welt überwindet: unser Glaube.“
Wenn auch
die äußeren Verhältnisse heute andere sind als zur Zeit
Jesu, das Menschenherz hat sich nicht geändert. Immer
aufs neue wiederholt sich, was der Apostel Johannes
schrieb: „Das Licht leuchtete in der Finsternis, aber
die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht,
denn ihre Werke waren böse.“ Das Licht leuchtete in der
Finsternis, aber die Menschen liebten die Finsternis
mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. So
schreibt der Apostel Johannes vor 2000 Jahren. Und in
unserer Zeit hat ein englischer Schriftsteller, Bruce
Marshall, sich in einem Roman ähnlich ausgedrückt. Da
unterhalten sich ein Geistlicher und ein anderer über
die Glaubensunwilligkeit des Menschen. Es werden
Gedanken ausgetauscht zwischen ihnen, aber schließlich
sagt der Geistliche zu dem Gegenüber: „Die Menschen
glauben nicht, weil sie sich nicht wollen in ihren
Vergnügungen stören lassen.“ O wie recht hat er! Sie
glauben nicht, weil sie sich nicht wollen in ihren
Vergnügungen stören lassen.
Der Glaube
ist eine Gnade, aber er ist auch zugleich eine Tugend,
ein Werk des Willens. Fast stets entspringt der Unglaube
nicht dem Verstande, sondern dem Willen, dem Herzen. Da
hat er seinen Ursprung. Der Menschengeist, der viele
Geheimnisse der Natur durchforscht hat, will sich nicht
beugen vor jenen Wahrheiten, die immer ein Geheimnis
bleiben. Man ruft, meine lieben Freunde, die
Wissenschaft an, eine Scheinrechtfertigung für den
Unglauben. Man missbraucht die Wissenschaft zu diesem
Zweck. Man spricht davon, dass die Wissenschaft, die
Naturwissenschaft, gegen den Glauben stehe.
Selbstverständlich gibt es ungläubige Wissenschaftler,
aber es gibt ebenso viele gläubige. Ich hatte in meiner
Schulzeit zwei Lehrer in Physik, also in
Naturwissenschaft. Der eine war untüchtig, er war
Atheist. Der andere war tüchtig, er war jeden Sonntag um
8 Uhr in der heiligen Messe. So also sieht es mit dem
Glauben und mit dem Unglauben der Wissenschaftler aus.
Es ist lächerlich, die Wissenschaft für den Unglauben in
Anspruch zu nehmen. Der Glaube ist nicht wider die
Vernunft, er ist über der Vernunft. Er klärt uns das,
was die Wissenschaft nicht klären kann. Wer glaubt,
braucht nicht der Wissenschaft den Abschied zu geben, er
schreitet vielmehr weiter in Gefilde, die der
Wissenschaft nicht zugänglich sind. Der Glaube ist nicht
dagegen, er ist darüber. Glaube ist dem Wesen nach die
Annahme einer Wahrheit, die unsere Vernunft nicht
erreichen kann, einfach auf das Zeugnis hin. Noch einmal
der Hebräerbrief: „Der Glaube ist das feste Vertrauen
auf das, was man erhofft, das Überzeugtsein von dem, was
man nicht sieht.“ Der Glaube ist das feste Vertrauen auf
das, was man erhofft, das Überzeugtsein von dem, was man
nicht sieht.
In der
letzten Zeit wird häufig die Evolutionstheorie, die
Entwicklungstheorie gegen den Glauben angeführt. Es gebe
eine Entwicklung vom Einzeller bis zum Menschen über
verschiedene Stufen in überaus langen Zeiten. Im Laufe
von Jahrmillionen habe sich das Leben von einfachsten
Formen über zahllose Zwischenstadien zu der heutigen
Höhe emporgeschwungen, und deswegen sei die Lehre von
der Schöpfung überholt. Es brauche keinen Gott, um das
Leben und seine Entwicklung zu erklären. Ich gebe darauf
eine doppelte Antwort: 1. Der Beweis für die behauptete
Entwicklung fehlt. Niemand hat erlebt, wie eine Art aus
der anderen hervorginge. Die behauptete Entwicklung
beruht nur auf Rückschlüssen aus fragmentarischen
Funden. Diese Rückschlüsse gehen außerordentlich weit
auseinander. Was der eine Forscher vor 5 Millionen
Jahren verlegt, für das braucht der andere 7 Millionen.
Die Gelehrten sind sich nicht einig; und wo sie einig
sind, spricht der eine dem anderen nach. Der Konsens der
Gelehrten ist kein Beweis für die Wahrheit. Wir wissen,
wie solche Einigkeiten zustande kommen. 2. Selbst
angenommen, es habe eine solche Entwicklung gegeben,
dadurch wird Gott nicht überflüssig. Es muss doch erst
einmal etwas da sein, was sich entwickeln kann. Es muss
eine Wirklichkeit geben, die etwas aus dem Nichts
schafft, das sich dann entwickeln kann. Es muss eine
übermächtige, unendlich mächtige Wirklichkeit geben, die
aus dem Nichts etwas hervorbringt. Wir nennen sie Gott.
Es muss auch jemand leben, der die Entwicklung lenkt.
Die Gesetze entstehen ja nicht von selbst. Von selbst
entsteht überhaupt nichts. Es muss jemand da sein, der
diese Gesetze gibt. Es muss einen Gesetzgeber geben. Wir
nennen ihn Gott. Die Entwicklungstheorie, meine lieben
Freunde, die ich schon als Kind in der Schule gelernt
habe, zerstört nicht den Glauben, sie bestätigt ihn. Die
Vernunft steht nicht wider den Glauben, sie ist über dem
Glauben. Und deswegen kann man auch die Vernunft nicht
anrufen gegen den Glauben.
Der zweite
Grund, warum die Menschen nicht glauben, liegt in ihren
unbeherrschten Trieben und Begierden. Sie wollen nicht
Wahrheiten annehmen, die ihnen schwere Pflichten
auferlegen. Die Selbstüberwindung, der beharrliche
Kampf, das Opfer, das wollen sie fliehen, und deswegen
nehmen sie den Glauben nicht an. Jeder echte Glaube muss
die Wiedergeburt des Lebens bewirken. Und davor
versuchen sich die Menschen zu drücken. Sie leben weiter
in ihrer Fäulnis, in ihrem Schlamme; sie wollen nicht
ablassen von ihren Begierden und Leidenschaften. Die
Welt will weiter in ihren Vergnügungen bleiben, die
gegen die Religion gerichtet sind. Der unvergessliche
Münchener Erzbischof Faulhaber hat einmal den schönen
Satz geschrieben: „Wenn das Einmaleins und der
pythagoräische Lehrsatz die gleichen Forderungen an das
sittliche Leben stellten wie die Artikel des
Glaubensbekenntnisses, sie würden ebenso ungläubig wie
diese aufgenommen werden.“ Wie wahr! Wenn das Einmaleins
und der pythagoräische Lehrsatz die gleichen Forderungen
an das sittliche Leben stellten wie die Artikel des
Glaubensbekenntnisses, sie würden ebenso ungläubig wie
diese aufgenommen werden. Schon die edlen Denker des
Heidentums wussten um den Zusammenhang von Unglauben und
Unsittlichkeit. Cicero schreibt einmal: „Viele denken
schlecht von den Göttern, das bewirken ihre schlechten
Sitten.“ Und der große Plato hat den schönen Satz
geschrieben: „Wer ungerecht ist, ist immer Gott feind.
Der Gerechte kommt leicht mit ihm zurecht.“
Der
häufigste Grund, weshalb Gläubige vom Glauben lassen,
ist der Aufstand gegen die geschlechtliche Sittlichkeit.
„Die Welt wäre nicht ungläubig, wenn sie nicht unkeusch
wäre!“ Dieses Wort des heiligen Augustinus hat bis heute
seine Gültigkeit behalten. Die Welt wäre nicht
ungläubig, wenn sie nicht unkeusch wäre! Wir dürfen die
Religion nicht nach unseren sittlichen Maßstäben formen.
Wir dürfen sie nicht nach unserem sittlichen oder
unsittlichen Verhalten formen, sondern wir müssen unser
sittliches Verhalten nach der Religion formen. Und wenn
wir daran schuldig werden, dann müssen wir eben bereuen.
Aber wir dürfen nicht die sittlichen Normen nach unserem
Versagen formen wollen.
„Warum
glaubt ihr mir nicht?“ fragt der Herr, fragt er die
Juden seiner Zeit, fragt er auch unser Volk, fragt er
auch uns heute. „Warum glaubt ihr mir nicht?“ Am Glauben
hängt alles, meine lieben Freunde. Ohne Glauben ist
alles nichts. Unser Glaube muss vollständig sein, keine
Abstriche, keine Verkürzungen. Nein, keine Auswahl; ganz
integral muss der Glaube sein. Unser Glaube muss fest
sein, unerschütterlich, wahrhaftig, ohne Schwanken, ohne
Zweifel. Und unser Glaube muss lebendig sein. Er muss
Taten aufweisen. Wenn man nämlich das tut, was der
Glaube sagt, dann wird man auch inne, dass er stimmt.
Taten der Gottesliebe, Taten der Nächstenliebe
befestigen unseren Glauben. Beten wir um die Kraft, zu
glauben, für uns und für unsere ungläubigen Mitmenschen.
Wir wollen nicht über sie richten. Wir wollen sie
bedauern. Es muss uns schmerzen, dass sie den Glauben
nicht finden, dass sie ihn noch nicht gefunden haben.
Beten wir für die, denen der Herr heute die Frage
entgegenhalten muss: „Warum glaubt ihr mir nicht?“
Beten wir
für sie, dass sie die Kraft und den Mut zum Glauben
finden, denn dazu braucht es Kraft und Mut. Beten wir,
dass der Herr sich nicht vor ihnen verbirgt, wie er sich
vor seinen Feinden verborgen hat, sondern dass er sich
ihnen mit seiner Wahrheit und mit seiner Gnade
offenbart, dass er Wohnung in ihnen nimmt und dass sich
an ihnen erfüllt das Wort: „Wer an mich glaubt, der hat
das ewige Leben.“
Amen.
Geliebte im
Herrn!
Der
Unglaube ist um Ausreden nicht verlegen. Er versteckt
sich hinter unverständlichen Ausdrücken und hinter
harmlos klingenden Ausreden. So erklärt er, die
Auferstehung Jesu sei nicht eine historische, sondern
eine metahistorische Wirklichkeit. Ich habe alle Lexika,
die mir zur Verfügung stehen, durchgesehen, um zu
finden, ob dort das Wort „metahistorisch“ enthalten ist.
In keinem einzigen Lexikon taucht das Wort auf. Soviel
aber ist sicher: Diejenigen, die solche Behauptungen
aufstellen, wollen damit die Historizität, also die
Geschichtlichkeit der Auferstehung Jesu bestreiten.
Nicht eine historische, sondern eine „metahistorische“
Wirklichkeit sei sie.
Der
Unglaube erklärt weiter, die Auferstehung Jesu sei nicht
ein Ereignis, sondern ein Interpretament. Was ist denn
das wieder? Ein Interpretament ist eine Erklärung. Man
habe die Auferstehung erfunden, um damit etwas anderes
zu erklären. Was denn? Dass die Sache Jesu weitergeht.
Also hier soll erklärt werden, wie die Sache Jesu
weitergeht, obwohl er tatsächlich nicht auferstanden
ist! Das ist der Sinn, wenn man sagt, die Auferstehung
Jesu sei ein Interpretament. Meine lieben Freunde, ich
habe diese ungläubigen Bücher gelesen, damit Sie sie
nicht zu lesen brauchen, und um Ihnen die Sicherheit zu
geben, wenn wir im Glaubensbekenntnis sagen:
„Auferstanden von den Toten am dritten Tage.“
„Die Sache
Jesu geht weiter.“ Ja meinen Sie, die Sache Jesu wäre
weitergegangen, wenn er im Tode geblieben wäre? Kein
Mensch hätte sich um die Sache Jesu geschert, wenn er im
Grabe verblieben wäre. Wie soll denn die Sache Jesu
weitergehen, da sie doch am Karfreitag zu Ende gegangen
ist? Der Karfreitag ist doch das Fiasko der Sache Jesu.
Kein Mensch hätte sich auf die Sache Jesu eingelassen,
kein Finger wäre für ihn gerührt worden, wenn er nicht
aus dem Grabe erstanden wäre. Die Verleugnung des
Petrus, die Flucht der Jünger, der Emmausgang der beiden
Jünger, alles das bezeugt, wie niedergeschlagen und wie
trostlos die Jünger waren, dass die Sache Jesu eben
nicht weiterging. Nein, es muss etwas geschehen sein,
damit sie weiterging, und das ist die Auferstehung Jesu;
das ist die Auferstehung gemäß der Schrift. Das ist die
Auferstehung, die wirklich und leibhaftig geschehen ist
und von der die Apostel sagen: „Wir haben mit ihm
gegessen und getrunken nach seiner Auferstehung.“ Sie
berufen sich nicht auf eine Vision, sie berufen sich auf
die Tischgemeinschaft mit dem Auferstandenen. Das ist
die Wirklichkeit der Auferstehung.
Wir stehen
deswegen unverbrüchlich zu dem, was 2000 Jahre lang
geglaubt worden ist, und zwar so, wie es dasteht. Wir
freuen uns, den Glauben bekennen zu dürfen, den die
Apostel mit ihrem Blute besiegelt haben. Da höre ich
einen Einwand, nämlich: Auch andere, sagt man, auch
andere sind für eine Idee, für eine Ideologie, für eine
Weltanschauung gestorben. Ohne Zweifel. Aber das ist es
ja gerade, das ist ja gerade der Unterschied: Die Jünger
sterben nicht für eine Ideologie, sie sterben für eine
Tatsache. Und sie sind für eine Tatsache in den Tod
gegangen, die sie nicht vom Hörensagen kannten, sondern
die sie selbst erlebt haben. Das ist der Unterschied.
Und deswegen berufen sie sich vor dem Hohen Rate nicht
auf eine Lehre, sondern auf eine Tatsache. „Wir können
nicht aufhören zu reden von dem, was wir gesehen und
gehört haben.“ Eine Tatsache. Der heilige Irenäus,
Bischof von Lyon im 2. Jahrhundert, also 1800 Jahre
näher heran am Tode und an der Auferstehung Jesu, hat
ein Buch geschrieben: „Gegen die Häresien“. In dem 5.
Buche der „Häresien“ kommt er dann auf die Auferstehung
Jesu zu sprechen, und er wird nicht müde,
herauszustellen, dass derjenige, der aufersteht,
derselbe ist wie der, der am Kreuze gehangen hat. Ja, es
ist dasselbe Fleisch, sagt er, das wir nach der
Auferstehung berührt sehen wie das, was er während
seines irdischen Wandels getragen hat. Und so kann Jesus
zu Thomas sagen: „Reich deinen Finger her und sieh meine
Hände, leg deine Hand in meine Seite und sei nicht
ungläubig, sondern gläubig!“
Der
Unglaube, meine Freunde, kennt noch einen anderen Trick,
um sich zu verbergen. Er spricht von dem historischen
vorösterlichen Jesus und dem nicht historischen
nachösterlichen Christus. Der Jesus, der vor Ostern
gelebt hat, ist historisch, aber der Jesus, der nach
Ostern angeblich gelebt hat, der sei nicht historisch.
Das heißt, er ist ein Produkt der Gemeindetheologie, ein
Phantasieprodukt der Jünger. Ostern bedeutet nach dieser
Meinung einen Einschnitt zwischen Geschichte und
Nachgeschichte. Und das ist ganz falsch. Der Einschnitt
liegt nämlich nicht zwischen Karfreitag und Ostern, der
Einschnitt liegt zwischen dem ersten Auftreten Jesu am
Jordan und der Himmelfahrt. Was nach der Himmelfahrt
kommt, das ist nicht mehr Geschichte, das ist Ewigkeit.
Aber alles, was vor der Himmelfahrt liegt, das ist
Geschichte. So verstehen die Jünger, so verstehen die
Apostel, so verstehen die Evangelisten das Leben Jesu.
Petrus verlangt nämlich von dem neu zu erwählenden
Apostel, dass er Zeuge sein muss von allem, was Jesus
getan hat von der Taufe des Johannes, „bis er von uns
weg aufgenommen wurde“. Also der Einschnitt liegt nach
der Himmelfahrt. Und ebenso ist es im Evangelium des
heiligen Lukas. Er will in seinem Evangelium sprechen
von all dem, was Jesus von Anfang an tat bis zu dem
Tage, an dem er von uns aus in den Himmel aufgenommen
wurde. Das heißt, die Geschichte, die Geschichte Jesu
reicht vom Auftreten am Jordan bis zum Tag der
Himmelfahrt. Und die Auferstehung gehört in diese
Geschichte hinein; sie ist ein Bestandteil dieser
Geschichte. Sie gehört zum historischen Jesus und nicht
zum nachösterlichen. Die Sache Jesu geht weiter, gewiß.
Aber nur weil der, der sie angefangen hat, nach seinem
Tode wieder lebendig geworden ist und diese Sache
vorantreiben konnte.
Warum,
meine lieben Freunde, ereifere ich mich, um die
Irrlehren über die Auferstehung Jesu zurückzuweisen?
Weil an der Auferstehung buchstäblich alles hängt! Das
ganze Christentum ist auf die Auferstehung aufgebaut.
„Wäre Christus nicht auferstanden“, sagt der Apostel
Paulus, „dann sind wir noch in unseren Sünden, dann sind
wir falsche Zeugen.“ Aber weil er auferstanden ist,
deswegen sind wir erlöst. Getrost, jetzt sind wir erlöst
durch die Auferstehung Jesu. Jetzt haben wir Zuversicht
auf das ewige Leben. Freilich hindert das nicht, dass
wir österlichen Menschen auch jetzt noch das Leiden
Christi an unserem Leibe herumtragen müssen. Von Jesus
gilt das ja auch: „Mußte er nicht alles das leiden, um
so in seiner Herrlichkeit einzugehen?“ Und sagt nicht
Paulus: „Allezeit tragen wir das Todesleiden Jesu an
unserem Leibe herum, damit auch das Leben Jesu an
unserem Leibe sichtbar werde“? Also, das Leiden, das
Mit-Leiden mit Jesus wird auch uns österlichen Menschen
nicht abgenommen. Wir gehen als österliche Menschen
durch die Welt, aber das hindert nicht, dass wir auch am
Leiden Jesu Anteil gewinnen müssen. Anders kann man
nicht in die Herrlichkeit, die Christus uns bereitet
hat, eingehen. Wir singen an Ostern: „Christus erstand
wahrhaft vom Tod.“ Aber wir fügen gleich hinzu: „Du
Sieger, du König, sieh unsere Not!“ Die Ewigkeit hat mit
der Auferstehung Jesu begonnen. Er ist der Erstling der
Entschlafenen, und das ist eben der Anfang der Ewigkeit.
Die große Auferstehung am Jüngsten Tage nimmt ihren
Anfang mit Jesus. Die anderen kommen später dran. Aber
sie werden so gewiß auferstehen, wie Jesus vom Tode
erweckt wurde. Die Ewigkeit hat bereits begonnen, aber
auch das Gericht. Auch das Gericht hat bereits begonnen.
Das ist das Gericht, dass Christus in die Welt kam und
dass die Welt ihn nicht annahm. „Wer nicht glaubt, der
ist schon gerichtet.“
Die
Auferstehung Jesu gibt dem ganzen Leben Jesu einen
besonderen Sinn. Alles in seinem Leben konvergiert auf
die Auferstehung Jesu. Alle Wunder erfüllen ihre
Bedeutung, indem sie auf die Auferstehung Jesu
hinweisen. Das Wunder der Brotvermehrung zeigt, dass es
einmal eine Wirklichkeit geben wird, in der aller Hunger
verbannt ist. Das Wandeln auf dem See zeigt, dass der
Leib Jesu nicht mehr an die Gesetze der Schwerkraft
gebunden ist. Und das Verwandlungswunder zeigt, dass der
Leib einmal in Unverweslichkeit verwandelt werden wird.
„Dieses Verwesliche“, sagt Paulus, „muss die
Unverweslichkeit anziehen.“ Wir dürfen also ausschauen
auf die Ewigkeit. Wir dürfen unsere große Hoffnung auf
die Auferstehung Jesu setzen, dürfen freilich auch nicht
vor unserer Verantwortung in dieser Zeit fliehen. Diese
Zeit ist ein Provisorium. Wir sind auf das Definitivum,
auf das Endgültige hin unterwegs. Aber in diesem
Provisorium fällt die Entscheidung für das Definitivum.
In dieser Zeit müssen wir das bewirken, was uns vor dem
ewigen Tode rettet.
Theologie
der Hoffnung wird heute großgeschrieben, und warum
nicht? Wir haben eine solche Theologie der Hoffnung.
Christus hat sie uns geschenkt mit seiner Auferstehung.
Einer der führenden sowjetischen
Literaturwissenschaftler hat vor einiger Zeit in einem
Artikel geschrieben, er sei besorgt um die Zukunft
seiner, nämlich der kommunistischen Weltanschauung. Die
Nacht breche herein, die Nacht der heraufkommenden
Christentums. Was er fürchtet, ist unsere Hoffnung. Die
Nacht, vor der bangt, ist die Osternacht, in der das
Leben über den Tod gesiegt hat. Für uns Christen ist es
schon Morgen geworden, und nun schreiten wir in der
Tageshelle der Ewigkeit zu, hoffend, liebend und
glaubend, wie wir es jetzt gleich im Glaubensbekenntnis
der heiligen Messe aussagen werden.
Amen.
Geliebte im
Herrn!
In der
Epistel des heutigen Sonntags steht der Satz: „Das ist
der Sieg, der die Welt überwindet, unser Glaube.“ Von
drei Dingen ist in diesem Satz die Rede: vom Glauben,
von der Welt und vom Sieg des Glaubens über die Welt.
Der Glaube, von dem hier die Rede ist, ist der Glaube an
Jesus Christus, den Sohn Gottes. Wenn wir eine Ahnung
davon gewinnen wollen, welche Kraft der Glaube besitzt,
dann müssen wir uns das Beispiel der Apostel vor Augen
führen, die in der Kraft dieses Glaubens hinausgingen in
eine feindliche Welt, eine ganz kleine Schar in eine
unermessliche, reiche Welt des römischen Imperiums, und
die dort begannen, den Glauben zu verbreiten, getrieben
von der Kraft des Heiligen Geistes, der in ihnen wirksam
war. Sie haben das Wort des Herrn verstanden: „Gehet hin
in alle Welt und kündigt das Evangelium allen
Geschöpfen!“ Die Wurzel des Erfolges der jungen Kirche
war der Glaube der Apostel. Sie haben den festen Punkt
gefunden, von dem Archimedes, der große Physiker und
Mathematiker des Altertums, einmal sagte: „Gebt mir
einen festen Punkt, und ich hebe die ganze Welt aus den
Angeln.“ Archimedes ist ja der Erfinder des
Hebelgesetzes. Diesen festen Punkt haben die Apostel
gefunden: Es ist die Auferstehung Jesu. Es ist die
leibhaftige Auferstehung unseres Herrn. „Wer ist es, der
die Welt überwindet, wenn nicht der, der glaubet, dass
Jesus der Sohn Gottes ist?“
Die
Gottessohnschaft, meine Freunde, ist Kern und Stern der
Botschaft, die wir auszurichten haben. Die
Gottessohnschaft Jesu besagt: Jesus ist wahrer Gott und
wesenhafter Gottessohn. Behutsam hat der Heiland die
Jünger an diese Wahrheit herangeführt, an die Wahrheit
seines göttlichen Ursprungs und seines gottmenschlichen
Wesens. Bis Thomas demütig vor ihm niederfiel und sagte:
„Mein Herr und mein Gott!“ Von diesem Augenblick an
beginnt für die Jünger eine neue Welt, eine Welt, die
nicht von dieser Erde stammt. Drei Jahre lang hatte sich
der Herr um sie gemüht. Sie hatten mit ihm gegessen und
getrunken, sie waren mit ihm gewandert, sie hatten seine
Predigten gehört und seine Unterweisungen, sie hatten
seine Wunder erlebt. Aber das alles war noch nicht
genug, um den festen und unerschütterlichen Glauben an
ihn zu begründen. Erst in der Auferstehung wurde das Tor
weit aufgestoßen, das Tor, das aus dieser Welt in die
Welt Gottes führt. Erst da haben sie ihn erkannt als den
Eingeborenen vom Vater.
Die Kirche
hat diese Lehre aufgenommen und tiefer zu durchdringen,
mit philosophischen Kategorien zu erklären versucht. Sie
hat im Konzil von Nizäa festgestellt: Jesus ist
wahrhaftig der Gottmensch. Er besitzt eine göttliche und
eine menschliche Natur, die in der göttlichen Person
ihren Einheitspunkt findet. Die menschliche Natur ist in
die Einheit und in die Herrschaft der göttlichen Person
aufgenommen. Die göttliche Person wirkt in der
menschlichen Natur und durch die menschliche Natur.
Das
Verhältnis Jesu zum Vater im Himmel wird als Sohnschaft
bezeichnet. Es ist eine wahre und wesenhafte Sohnschaft,
nicht eine Adoptivsohnschaft. Wir sind ja in einem
gewissen Sinn Adoptivkinder Gottes. Er hat uns durch die
Erlösung zu Söhnen und Töchtern angenommen. Nicht so
Christus. Er ist der wahre und wesenhafte Gottessohn, er
besitzt eine natürliche Gottessohnschaft. „Gezeugt,
nicht geschaffen“ bekennen wir im Glaubensbekenntnis. Es
wird also zunächst einmal die Geschöpflichkeit
abgelehnt. Jesus ist nicht ein Geschöpf, wie wir
Geschöpfe sind, sondern er ist „gezeugt“. Das hat
natürlich nichts zu tun mit Geschlechtlichkeit, denn die
Geschlechtlichkeit ist von Gott unendlich weit entfernt.
Gott ist kein geschlechtliches Wesen. Die
Geschlechtlichkeit ist bei den Menschen und bei den
Tieren angesiedelt, aber nicht bei Gott. Gott ist über
alle Geschlechtlichkeit erhaben. Der Ausdruck „gezeugt“
soll nichts anderes ausdrücken, als dass Jesus wesenhaft
mit dem Vater verbunden ist, dass er ihm wesensgleich
ist. Das ist das entscheidende Wort: Er ist ihm
wesensgleich. Er hat dasselbe Wesen wie der Vater. Das
drückten die Menschen, die griechisch sprachen, mit dem
Wort aus: homoousios. Homoousios, gleich wesentlich mit
dem Vater.
Wir wissen,
dass diese Aussagen das Wesen Christi nicht erschöpfen,
denn es ist unerschöpflich. Keine menschliche Redeweise
kann auch nur annähernd das wiedergeben, was Christus
ist. Aber diese Aussagen geben etwas Richtiges, ja etwas
Unaufgebbares wieder. Deswegen müssen wir an ihn
festhalten. An der Gottessohnschaft Jesu, meine lieben
Freunde, hängt buchstäblich alles, seine Lehre und unser
Glaube, seine Machttaten und ihre Wirklichkeit, sein
Erlöserleiden und unsere Befreiung. Nur als der Sohn
Gottes ist Jesus der verbindliche Lehrer, ist er der
Herr der Zeiten, ist er der Richter der Menschen. Weil
er der Sohn Gottes ist, überragt er unendlich alle
Religionsstifter, ob sie Buddha oder Mohammed heißen. Er
ist in einem wahren Sinne konkurrenzlos.
Das ist
unser Glaube. Es scheint aber, dass er nicht mehr von
allen, die ihn verkünden sollen, geteilt wird. Soeben
bezeichnete der Münsteraner Theologe Stefan Schreiber
den Sohn Gottes-Titel als „Metapher“, als Metapher! Was
ist eine Metapher? Eine Metapher ist das sprachliche
Ausdrucksmittel der uneigentlichen Rede. Das eigentlich
gemeinte Wort wird ersetzt durch ein anderes, das eine
gewisse Ähnlichkeit aufweist. Ich erinnere mich, dass
der Sportlehrer eines Tages über mich sagte: „Das ist
ein famoser Hund.“ Ich war ein „famoser Hund“, weil ich
beim Fußballspielen viel lief, viel rannte. Natürlich
war ich kein Hund, es sollte ein Beispiel, ein Bild
sein. So ähnlich, meint Stefan Schreiber in Münster, ist
es, wenn Jesus als Sohn Gottes bezeichnet wird. Er ist
nicht wirklich der Sohn Gottes, sondern er besitzt
lediglich eine besondere Nähe und Unmittelbarkeit zu
Gott, er ist der erwählte und vollmächtige Repräsentant
Gottes. Er vertritt Gott, er tritt für ihn ein, aber er
ist nicht Gott. Also der Glaube, als metaphysische
Gottessohnschaft Christi verstanden, ist eine
nachträgliche Konstruktion der Kirche. Das ist die
Lehre, die Stefan Schreiber in Münster seinen angehenden
Priestern und Religionslehrern verkündet.
Damit ist
er bei Hans Küng angelangt. Sie kennen alle den
Schweizer Theologen Küng. Jeder kennt ihn, denn er ist
der meistgelesene Theologe unserer Zeit. Die Menge
seiner Bücher ist kaum zu zählen. Einige stehen auf der
Liste der Bestseller. Er schreitet von Ehrung zu Ehrung;
zuletzt haben ihn die Freimaurer geehrt. Er behauptet,
Millionen Menschen den christlichen Glauben
nähergebracht zu haben. Es fragt sich nur, welchen
Glauben. Gewiß nicht den Glauben der katholischen
Kirche, sondern das, was er davon übrig gelassen hat.
Und was hat er übrig gelassen? Für Küng ist ähnlich wie
für Schreiber Jesus der „Sachwalter Gottes“. Der
Sachwalter. Das heißt: Er verwaltet die Sache Gottes; er
tritt für die Sache Gottes ein; er nimmt sich der Sache
Gottes an. Das haben Moses und die Propheten auch getan.
Wenn Jesus nur Sachwalter Gottes ist, dann gehört er in
die Reihe von Moses und den Propheten, dann überragt er
nicht Menschenmaß. Der Glaube der Kirche sagt anderes:
Sachwalter Gottes ist Jesus nur deswegen, weil er der
wesensgleiche Sohn Gottes ist. Jesus kann nur deswegen
in seinem Leben und Handeln die Sache Gottes vertreten,
weil er vom Vater stammt und wiedergibt, was er vom
Vater gehört hat. So muss man ganz klar feststellen:
Küng bestreitet die metaphysische Gottessohnschaft Jesu.
Metaphysische Wesensaussagen sind nach ihm unangemessen,
um die Wirklichkeit Jesu zum Ausdruck zu bringen. Aber
diese metaphysischen Wesensaussagen hat das Konzil von
Nizäa verbindlich für alle Zeiten vorgeschrieben. Jesus,
so heißt es dort, ist der wahre Sohn Gottes, aus dem
Wesen des Vaters hervorgegangen, gleichen Wesens mit dem
Vater. Diese metaphysischen Wesensaussagen stehen unter
der Garantie des Heiligen Geistes! Sie sind keine
Verfremdung des Evangeliums durch die griechische
Philosophie; sie sind der sachgemäße Ausdruck – in
Kategorien der griechischen Philosophie – für das Wesen
Jesu.
Wer nicht
mit dem Konzil von Nizäa bekennt: Jesus von Nazareth ist
wahrer Gott und wahrer Mensch, der hat um Jesus
herumgeredet. Der Christusglaube der Kirche ist die
sachgemäße Wiedergabe der biblischen Aussagen über
Jesus, und wir müssen Herrn Küng sagen: Lassen Sie die
Finger vom Konzil von Nizäa! Bischof Lehmann meinte vor
einiger Zeit, man könne Küng nicht als einen Aussätzigen
behandeln. Gewiß nicht. Aber man muss ihn behandeln als
das, was er ist, nämlich als einen Abgefallenen.
Dem Glauben
der Kirche steht die Welt gegenüber, die Welt, von der
Johannes, der Lieblingsjünger Jesu, sagt, dass sie im
argen liegt. Die Welt ist das Reich der Sünde und des
Todes, das Reich des Untergangs und der Finsternis. Das
Licht Gottes ist durch die Sünde in der Welt erloschen.
Der Fürst dieser Welt – das ist der Satan – übt seine
Herrschaft über die Kinder der Finsternis aus. Das Licht
kam in die Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht
ergriffen. Er kam in die Welt, und die Welt ist durch
ihn gemacht worden, aber die Welt hat ihn nicht erkannt.
Und so sucht auch die Welt uns, die Kinder des Lichtes,
in ihre Macht hineinzuziehen, uns, die wir aus der Macht
der Finsternis errettet und in das Reich des geliebten
Sohnes versetzt sind. Das ist unsere Lebensaufgabe, dem
Reiche der Welt das Reich Gottes entgegenzusetzen. Und
so ist unser Leben ein ständiger Kampf. Das Leben des
Christen kann nur ein Kampf sein, weil es in den
Gegensatz zwischen Gott und die Welt hineingestellt ist.
Die Welt
lockt, meine lieben Freunde, sie lockt mit ihren
Genüssen und mit ihrer Lust. Sie hat allerhand zu
bieten, und sie lädt ein, zuzugreifen. Die Welt
schmeichelt: Nur nicht sich anstrengen. Nach dem Konzil,
sagt man mir heute, ist alles nicht mehr so schlimm.
Jawohl, es ist alles nicht mehr so schlimm, weil man den
Glauben auf Sparflamme gedreht hat. Die Welt verführt.
„Mach dir’s auf der Erde schön, kein Jenseits gibt’s,
kein Wiedersehn.“ Ich höre den Philosophen des Diesseits
rufen: Meine Brüder, ich beschwöre euch, bleibet der
Erde treu. Diese Beschwörung ist unnötig, die Masse der
Menschen bleibt dieser Erde treu. Die Welt droht. Sie
droht dem, der sich ihr nicht anpasst mit Entzug von
Vorteilen und Annehmlichkeiten. Sie droht mit Isolierung
und Ausschluß aus der Gesellschaft. Wehe dem, der sich
als gläubiger, unversehrter, integraler Katholik
bekennt! Die Welt straft. Sie straft mit Missachtung und
Geringschätzung. Der gläubige Katholik ist nach wie vor
eine Zielscheibe der Massenmedien in Deutschland. Die
Welt straft auch mit Zurücksetzung und Benachteiligung.
Ein überzeugter katholischer Gelehrter hat es schwer, an
der Universität einen Lehrstuhl zu erringen.
Die Welt
ist also im Gegensatz zu uns, und wir müssen ihr
widerstehen. Aber wir haben ein Mittel, ihr zu
widerstehen, nämlich unseren Glauben. Das ist der Sieg,
der die Welt überwindet, unser Glaube. Der Glaube vermag
uns in den Angriffen der Welt zum Sieger zu machen.
Freilich nur dann, wenn wir den Glauben unversehrt
bewahren. Als Paulus den Gläubigen in Korinth die
Auferstehungsbotschaft verkündete, hat er ernste
Mahnungen daran geknüpft: „Ich mache euch, Brüder,
aufmerksam auf die Heilsbotschaft, die ich euch
verkündet habe. Ihr habt sie angenommen; ihr steht in
ihr fest. Durch sie werdet ihr gerettet, wenn ihr sie
genauso festhaltet, wie ich sie euch verkündet habe.
Sonst hättet ihr ja vergebens geglaubt.“ Man muss also
am Glauben festhalten. Weil viele an diesem Glauben
nicht festhalten, weil sie sich nach den Irrlehrern, die
ich vorhin genannt habe, richten, deswegen sehen wir
selten, dass der Glaube die Welt überwindet. Wir sehen
vielmehr, wie die Gläubigen vor der Welt kuschen, wie
sie sich ihr anpassen, wie sie selbst weltförmig werden.
Unter dem Vorzeichen des Ökumenismus gehen viele
katholische Christen zu nichtkatholischen
Religionsgemeinschaften über. In Lateinamerika nimmt der
Abfall von der katholischen Kirche erschreckende Ausmaße
an. In Brasilien fällt jedes Jahr 1 Prozent der
Katholiken zum Protestantismus ab. Und auch in unseren
Breiten wissen wir, dass unermeßliche Verluste
entstehen. Vor wenigen Tagen schreibt mir ein Pfarrer
aus der pfälzischen Diaspora, dass in seiner Pfarrei die
Katholiken durch die Mischehen wegschmelzen wie der
Schnee in der Sonne. Dazu kommt der Abfall zu
nichtchristlichen Religionen, in Deutschland jedes Jahr
4000 – viertausend! – Abfälle zum Islam!
Warum wird
die Welt nicht überwunden? Weil der Glaube fehlt oder
schwach ist. Ach wenn ich diese schwächlichen
Allerweltsreden vieler Bischöfe schon höre und das
mitmenschliche Gerede zahlloser Priester und die feige
Zurückhaltung so vieler Christen! Sieghaft ist nur der
ganze und unverkürzte Glaube. Nur auf den vollen und
ganzen wahren Glauben kann man sich einlassen. Sieghaft
ist nur der lebendige, ein in der Tat bewährter, ein im
Leben sich zeigender Glaube, keine schwächliche
Anpassung an die Welt, kein Kompromiß mit dem Zeitgeist,
meine lieben Freunde, kein Ausweichen vor den klaren
Forderungen Gottes. Denn im Glauben, im vollen, im
wahren, im unverkürzten Glauben überwinden wir die Welt.
Wieso? Weil er uns die Wahrheit gibt. Er lehrt uns, was
die Welt ist, was sie wert ist und was sie nicht wert
ist. Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt
gewinnt, aber Schaden leidet an seiner Seele? Im Glauben
überwinden wir die Furcht. „Fürchtet euch nicht vor
denen, die den Leib töten können, fürchtet vielmehr den,
der Leib und Seele in die Hölle stoßen kann. Ja, den
sollt ihr fürchten!“ Im Glauben überwinden wir auch die
Versuchungen, denn der Glaube verbindet uns mit dem
Sieger über die Sünde, mit Christus. Er verbindet uns
mit Christus, dem Sieger über die Höllenmacht. Und Gott
ist stärker als alle Versuchungen.
Meine
lieben Freunde, an der Spitze unserer Kirche steht ein
Mann, welcher der Hydra des Zeitgeistes machtvoll auf
die Häupter schlägt, der mit den Feinden Gottes und der
Menschheit ringt, der dem Ungeist der Häresie furchtlos
entgegentritt, der den Schlinggewächsen des Bösen an die
Wurzel geht, unser Heiliger Vater Benedikt. An ihn
wollen wir uns anschließen. Sein Gaube soll unser Glaube
sein, und wenn unser Glaube der seine ist, dann sind wir
auch des Sieges gewiß. Das ist der Sieg, der die Welt
überwindet, unser Glaube!
Geliebte,
in heiliger Osterfreude Versammelte!
Ostern ist
heute, das Fest der Auferstehung unseres Herrn und
Heilandes aus dem Tode. Vor wenigen Tagen standen wir
unter dem Kreuz, an das ihn seine Feinde gebracht
hatten. Wir sahen zu, wie der entseelte Leib in eine
Grabkammer gelegt und ein Stein davor gewälzt wurde. Wir
beobachteten, wie eine Wache aufzog, um den Toten zu
behüten. Aber heute, am ersten Wochentag, ist alles
anders. Heute gilt das Wort: „Erfreue dich, o
Christenheit, der Tod ist überwunden; die Welt von Sünd’
und Schmach befreit, sie hat das Heil gefunden. Denn eh
der dritte Tag erwacht’, erhob sich aus des Grabes
Nacht, der uns am Kreuze freigemacht.“
Ostern ist
keine Idee. Ostern ist ein Ereignis. An Ostern geht es
um ein wirkliches Geschehen, um eine Tatsache, nicht um
Gedankengebilde. Das ist nicht selbstverständlich. Es
gibt Menschen, die sehen an Ostern nichts anderes als
das Frühlingserwachen, als den Sieg der Natur über den
Winter, über die Kälte, über den Frost, eine Phase im
Rhythmus des Naturlebens. Dem Sterben folgt das
Wiederauferstehen in der Natur, die Knospen und Blüten
besiegen den Schnee und das Eis und die erstarrte
Umwelt. Wer Ostern in dieser Sache zu deuten versucht,
der hat es gründlich missverstanden. An Ostern ist etwas
geschehen, an Ostern hat sich etwas ereignet. Ostern ist
ein Vorgang nicht in der Natur, sondern in der
Geschichte. Es geht um die Ostertatsache. Was wird uns
davon berichtet? Was wird behauptet, was sich an Ostern
zugetragen hat? Diese Behauptung ist allerdings so
ungewöhnlich und so unerhört, ja geradezu aufregend,
dass sie vom ersten Augenblick an heftige Opposition
ausgelöst hat, zu einer Scheidung der Geister zwischen
Glauben und Unglauben geführt hat.
Die
Osterkunde lautet: Der bekannte Wanderprediger Jesus von
Nazareth, der auf der Seite Gottes zu stehen behauptete,
der durch das Kreuz hingerichtet wurde, derselbe ist am
dritten Tage aus dem Tode wieder auferstanden, hat sich
als der Lebendige gezeigt, mit seinen Jüngern
gesprochen, und sein Felsengrab ist leer geworden.
Diese
Behauptung ist so ungeheuerlich, dass man ein gewisses
Verständnis dafür haben kann, dass immer wieder Leute
behauptet haben, es sei das eine Phantasie, eine fromme
Einbildung derer, die meinten, den Auferstandenen
gesehen zu haben. Man erklärt sich das so: Die Jünger
wollten nicht wahrhaben in ihrer erregten Phantasie,
dass Jesus tot, endgültig tot war, und so steigerten sie
sich in den Wahn hinein, er sei nicht tot. Und so hatten
sie dann in diesem Wahn Halluzinationen, das sind
Trugvorstellungen, in denen sie meinten, den
Auferstandenen zu sehen. Für die Ungläubigen – auch
unter den Theologen – ist Ostern eine persönliche
Täuschung und Einbildung. In Marburg, meine lieben
Freunde, lehrte ein weltbekannter evangelischen
Theologe, und von ihm stammt das Wort: „Ein toter Leib
kann nicht wieder lebendig werden.“ Das sagen auch die
Fleischer. Aber weil das einmal geschehen ist, deswegen
gibt es ja das Christentum!
Diese
psychologische Erklärung scheitert an zwei Tatbeständen.
Einmal fehlte bei den Jüngern nach dem Zusammenbruch am
Kreuze jede Spur einer Erwartung, es könne sich die Lage
doch noch verändern, oder der ins Grab gelegte
Gekreuzigte müsse wieder lebendig werden. Die seelische
Erschütterung der Jünger war total. Ihre Lage war
hoffnungslos, so dass überhaupt kein Raum vorhanden war,
sich an derartige zuversichtliche Gedanken zu klammern.
In ihren verwüsteten Seelen fanden keine hoffnungsvollen
Ideen Eingang. Für eine solche Einbildung fehlte bei den
Jüngern jeder Erwartungshorizont. Es existierte keine
seelische Grundlage für das Hervortreiben einer
derartigen Phantasie. Auch Phantasien brauchen eine
Wurzel; bei den Jüngern Jesu existierte keine derartige
Wurzel. Sodann aber kann die radikale Umwandlung, die in
den Jüngern geschehen ist, durch die Annahme einer
Selbsttäuschung niemals verständlich gemacht werden. Es
bleibt ein Rätsel, wie die in Schmerz und
Trauerniedergebrochenen Menschen mit einem Schlage zu
freudeerfüllten starken Persönlichkeiten wurden, wie die
durch Menschenfurcht verängstigten Jünger zu tapferen
Bekennern und Zeugen vor der Weltöffentlichkeit
umgewandelt wurden. Es ist widersinnig, zu glauben, dass
eine Illusion derartige umwandelnde Kräfte besitzen
könnte; eine Illusion wandelt niemanden um. Durch
Einbildung wird man nicht zuversichtlich und todesmutig.
Und diese Umwandlung vollzog sich nicht in einem
längeren Zeitraum, sondern sie geschah in wenigen
Stunden. Sie erhob sich auch nicht aus anfänglicher
Unsicherheit, sondern sie war mit einem Male da und mit
absoluter Sicherheit.
Damit wird
die Frage, was an Ostern geschah, doppelt brennend.
Vertiefen wir uns in die Berichte, die das
Ostergeschehen bezeugen. Ich habe gestern noch einmal
die Synopse in die Hand genommen, also die
Zusammenstellung aller Berichte aus den Evangelien und
aus den Briefen des Neuen Testamentes, die sich mit der
Auferstehung befassen. Da sind Unterschiede. Da werden
die Zeitangaben, die Ortsangaben unterschiedlich
dargestellt. Die Namen derer, die Jesus gesehen haben,
unterscheiden sich. Ja, meine lieben Freunde, warum denn
nicht? Verschiedenheiten sind keine Gegensätze. Wer
nicht den bösen Willen hat, diese Verschiedenheiten zu
Gegensätzen aufzubauschen, der ist in der Lage, diese
angeblichen Widersprüche aufzulösen und zu erklären.
Fragen Sie einmal die Besucher des Gottesdienstes am
Karfreitag, wer an dem Gottesdienst teilgenommen hat. Da
werden die verschiedenen Besucher verschiedene Namen
angeben. Jeder hat eben den und jenen gesehen, ein
anderer hat wieder andere gesehen. Und trotzdem haben
sie alle recht. Jeder beschreibt eben das, was in seinen
Gesichtskreis getreten ist. Das sind keine Gegensätze,
das sind Unterschiede, die selbstverständlich und
unvermeidlich sind.
Ein ganz
besonderes Interesse an dem österlichen Geschehen hat
der älteste urchristliche Bericht von der Auferstehung,
der uns vorliegt im ersten Brief des Apostels Paulus an
die Korinther. Wer hier von der Auferstehung spricht,
das ist ein Mann, der Augen- und Ohrenzeuge der
Ereignisse gewesen ist. Vor 20 Jahren sind sie
geschehen, denn der erste Korintherbrief ist etwa im
Jahre 50 geschrieben worden – vor 20 Jahren! Und
deswegen, er blickt nicht weiter zurück als wir auf die
Wiedervereinigung Deutschlands, die auch vor 20 Jahren
geschehen ist. Und wenn wir heute die Menschen in Berlin
fragen, wie das war, dann können uns viele Auskunft
geben, und sie können uns zuverlässige Auskunft geben.
So steht auch außer Zweifel, dass Paulus Erlebtes
berichtet. Aber er steht nicht allein. Er hat andere,
die dasselbe bezeugen können. Er kann sich auf Menschen
berufen, die zur Zeit der Abfassung seines Schreibens
noch lebten und die, wie Paulus, Augenzeugen des
Erscheinens des Auferstandenen waren. Und es waren nicht
wenige. Wir werden gleich hören: Es waren 500 Brüder auf
einmal.
Es kommt
nun Paulus alles darauf an, eine Aufzählung der Zeugen
zu bringen, die den auferstandenen Christus gesehen
haben. Das ist eine Art juristischer Beweisführung. Bei
Gericht muss man Zeugen anführen. Und Paulus ist in der
Lage, solche Zeugen anzuführen. Nach dem damaligen Recht
galten nur Männer als zeugnisfähig, und so ist es nicht
zu verwundern, dass Paulus als seine Zeugen nur Männer
anführt. Das hindert aber nicht, dass auch Frauen
vollgültige Zeugen der Auferstehung des Herrn, der
Erscheinungen des Auferstandenen geworden sind. Der Herr
macht keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen.
Seine Erscheinungen vor den Frauen waren genauso real
wie jene vor den Männern. Er hat sich Maria Magdalena,
Johanna und der anderen Maria ebenso gezeigt wie dem
Petrus und den Emmausjüngern. Auch die Reihenfolge der
Auferstehungszeugen ist nicht willkürlich oder
gleichgültig. Es werden Namen genannt, die in der
damaligen Kirche eine Rolle spielten, an erster Stelle
Petrus. Es besteht in den neutestamentlichen Berichten
Übereinstimmung, dass der erste männliche Zeuge des
Auferstandenen Petrus war. Eines der ältesten
urchristlichen Überlieferungsworte lautet: „Der Herr ist
wahrhaft auferstanden und dem Petrus erschienen.“
Aber Petrus
steht nicht allein, denn der Herr erschien danach den
Zwölfen. Eigentlich waren es ja nur noch elf, aber der
Name „die Zwölf“ hat sich eben durchgehalten. Der Herr
hatte zwölf auserwählt, und so trugen auch die
übriggebliebenen elf den Namen von den Zwölfen. Dann ist
der Herr 500 Brüdern erschienen, nicht nacheinander,
sondern auf einmal. Sie waren alle beisammen, also eine
Riesenmenge, vor der sich der Herr gezeigt hat. Dann
erschien er dem Jakobus, ein besonders wichtiger Zeuge,
ein Verwandter des Herrn, einer, der seinen Verwandten
kannte. Und schließlich erschien er sämtlichen Aposteln,
das heißt dem weiteren Jüngerkreis, den man eben auch
als Apostel, weil sie in die Welt gesandt wurden,
bezeichnete. Zuletzt aber erschien er dem Paulus. Die
ihm gewordene Erscheinung gehört in die Reihe der
einmaligen kirchenbegründenden Erscheinungen hinein,
wenn auch als letzte. Er ist derselben Offenbarung
gewürdigt worden wie alle anderen Zeugen der
Ostergeschichte. Ihm ist der Auferstandene erschienen.
Achten Sie
bitte, meine lieben Freunde, auf diese sprachliche
Wendung: „Er ist erschienen.“ Das „ist erschienen“ hat
mit Vision, mit einem innerseelischen Vorgang nichts zu
tun. Der auferstandene Christus wird von außen, nicht
von innen gegenwärtig. Er tritt vor die Augen, vor die
physischen Augen der Jünger, nicht als ein Hirngespinst
im Gehirn. Der Ausdruck „ist erschienen“ bezeichnet das
Offenbarungsgeschehen und die Begegnung mit dem
auferweckten Jesus. Er ist als der Lebendige durch den
Tod hindurchgeführt worden; er selbst ist der Inhalt
dieser Erscheinung. Der Ton liegt auf dem, was Christus
tut: Er zeigt sich, und allein dadurch wird das Sehen
der Zeugen möglich gemacht. Das „ist erschienen“ aber
wiederum ist nur möglich, zeitlich wie sachlich, weil
Christus auferweckt worden ist. Nun hat ihn Gott
sichtbar werden lassen, so dass Menschenaugen ihn sehen
können.
Das Zeugnis
von der Auferstehung Jesu ist gewiß ein Glaubenszeugnis,
also ein Zeugnis von Männern und Frauen, die gläubig
geworden sind. Aber dieses Zeugnis redet von einem
tatsächlichen Geschehen. Was sie bezeugen, ist das Heil
in der Geschichte, ein wirkliches Geschehen, das aber,
was es ist, nur vom Glaubenden erkannt wird. Da höre ich
den Einwand des Unglaubens: Die Jünger, die von der
Auferstehung Jesu berichten, sind keine neutralen
Beobachter, sondern Männer, deren ganzes Leben durch die
Begegnung mit dem Auferstandenen umgewandelt worden ist.
Ganz richtig. Sie sind keine neutralen Beobachter, aber
dass sie durch den Auferstandenen umgewandelt worden
sind, das verhindert nicht die Wahrhaftigkeit ihres
Zeugnisses, das verstärkt sie. Dass sie von dem
Auferstandenen umgewandelt wurden, zeigt die Realität,
die Macht und die Wirkkraft des Auferstandenen. Wem er
begegnet, und wem die Begegnung mit ihm wichtig ist, der
wird von seiner Gnade erfaßt und umgewandelt. Ja, gerade
weil die Jünger umgewandelt wurden, sind sie glaubhafte
Zeugen. Der Auferstandene hat sie nicht kalt gelassen.
Dieses
unerhörte Ereignis ist der Inhalt von Ostern.
Selbstverständlich, meine Freunde, kann man immer wieder
Ausreden erfinden. Das ist ja schon in der Urkirche so
gewesen. Für die Heiden war die Kunde von der
Auferstehung eine Torheit, für die Juden war sie ein
Ärgernis. Die Juden haben damals die Lüge verbreitet,
die Jünger seien gekommen und hätten den Leichnam
gestohlen. Und so wird es weiter bis heute in ihrem
Talmud, in dem jüdischen Buch, verbreitet. Wir aber
wissen: Der Herr ist wahrhaft auferstanden. Achten Sie
bitte immer darauf, dass es in den Texten der Liturgie
nicht heißt: Christus ist auferstanden, sondern dass es
heißt: „Christus ist wahrhaft auferstanden.“ Das heißt,
er ist dem Fleische nach auferstanden. Er ist nicht ins
Kerygma, wie Herr Bultmann in Marburg verkündet, er ist
nicht ins Kerygma auferstanden, in die Verkündigung.
Nein, er ist mit seinem Leibe auferstanden!
Triumph!
Der Tod ist überwunden, zum Leben der Unsterblichkeit
ist selbst durchs Grab der Weg gefunden. Bekenner Jesu,
singt erfreut: Alleluja, alleluja. Zersprengt sind nun
des Todes Ketten auf Jesu mächtiges Gebot. Uns von des
Todes Macht zu retten, besiegte Jesus selbst den Tod.
Alleluja!
Alleluja!
Geliebte im Herrn!
„Wir waren einst wie
Schafe, die keinen Hirten haben“, schreibt Petrus den
Empfängern seines Briefes. Er spielt damit an auf die
Verlorenheit der Menschen in der vorschriftlichen Zeit.
Hier gibt er ihnen knapp und eindringlich eine Diagnose
ihrer vorschriftlichen Vergangenheit. Wie Schafe, die
keinen Hirten haben. In der Taufe und in der Bekehrung
wurde dieser Zustand überwunden. Da haben sie den guten
Hirten Jesus gefunden, den wahren Hirten ihrer Seelen,
die Gemeinschaft der Heiligen und die Geborgenheit in
der Liebe Gottes. Aber gilt dieses Wort nicht auch für
die nachchristliche Zeit, für diejenigen, die das
Christentum abgeworfen haben und deswegen wiederum sind
wie Schafe, die keinen Hirten haben? Ist es nicht so,
dass – vorchristlich oder nachchristlich – fern von
Christus die Menschen richtungslos, haltlos und
heimatlos sind?
Die Richtungslosigkeit
unserer Zeit ist offensichtlich. Viele Philosophien und
Heilslehren kommen und gehen; sie versprechen Befreiung
des Menschen, Erlösung und Fortschritt. Die Sinne werden
vernebelt und verwirrt; falsche Propheten buhlen
lautstark um die Gunst der Massen. Die gesunde Lehre
aber, das Wort Gottes, ist vielen fremd geworden.
Hoffnungslos verwirrt stehen viele Menschen unserer Zeit
vor dem Warenhaus der Meinungen und Ideen, der
angeblichen Weisheiten und Torheiten, ausgeliefert dem
Wirbelwind der Tagesmode. Da gibt es einen so genannten
Wunderheiler, Reinhard Bonke. Er zieht durch die Lande,
ja durch die Erdteile und behauptet, in den letzten 7
Jahren 44 Millionen Menschen bekehrt zu haben. Bis 2010
will er noch einmal weitere 56 Millionen Menschen
bekehren. Und die Menschen laufen ihm nach, neulich in
Stuttgart Tausende.
Eine merkwürdige
Anziehung hat in den letzten Jahren der Dalai Lama, also
der oberste Vertreter des tibetischen Buddhismus,
gefunden. Er gibt sich als eine Reinkarnation
Bodhisattvas aus. Die Lehre des Lamaismus, meine lieben
Freunde, ist eine gigantische Verirrung. Der Lamaismus
vertritt eine Vielgottlehre, einen Polytheismus. Manche
Forscher sagen, man nehme dort 2 Millionen Götter an. Er
verspricht Erlösung durch magische Praktiken. Durch
Versenkung und Abschaltung und durch den Vollzug von
bestimmten Ritualen könne man absolute Befreiung
erhalten, würden alle Gegensätze in einer Vereinigung
aufgehoben. Eine gigantische Verirrung. Wir wissen doch:
In keinem anderen Namen ist Heil gegeben, in dem die
Menschen selig werden können, als in dem Namen Jesu.
Aber wir leben in einer Zeit der Auswahl. Die Menschen
suchen sich aus den verschiedenen Heilslehren,
Philosophien und Religionen das für sie (angeblich)
Passende aus und lassen das andere beiseite. Was
gefällt, wird angenommen, was missfällt wird
fallengelassen.
Es gibt auch andere, die
in ihrer Richtungslosigkeit zur vollendeten Skepsis
gekommen sind. Sie geben das Suchen überhaupt auf, sie
meinen, die Wahrheit sei unerkennbar, man müsse sich mit
vorläufigen Meinungen bescheiden. Das erinnert an den
deutschen Dichter Heinrich Heine. Er stand einmal in
Antwerpen vor dem herrlichen gotischen Dom, und
angesichts dieses Domes sagte Heinrich Heine: „Die
Menschen, die dieses Dom gebaut haben, hatten Dogmen.
Wir haben nur Meinungen. Mit Meinungen baut man keine
Dome.“
Wahrhaftig, die
Richtungslosigkeit ist den Menschen eigen, die fern von
Christus sind. Unser Glaube gibt uns Richtung. Wir
wissen, woher wir kommen, und wir wissen, wohin wir
gehen. Wir wissen auch, an wen wir uns zu halten haben.
Die Wahrheit ist uns geschenkt, und uns ist die Pflicht
auferlegt, diese Wahrheit zu bezeugen. Wir wollen ,meine
lieben Freunde, an der Wahrheit nicht irre werden. Wir
wollen nicht gleichgültig sein gegen die Wahrheit, und
wir wollen uns auch nicht trennen von der Wahrheit.
Wer richtungslos ist, ist
auch gewöhnlich haltlos. Ich sage nicht, dass alle
Atheisten sittlich verderbt sind. Nein, aber in der
Regel führt die Gottlosigkeit auch zur sittlichen
Haltlosigkeit. Ein Beispiel aus der jüngsten Zeit: Eine
Budenheimer Dame erklärte mir, dass ihr Schwiegervater
sie zur Unzucht verführen wolle, und sie fügte hinzu:
„Ohne Gott und ohne Gebot.“ Richtungslos im Geistigen,
das ist auch in der Regel dann richtungslos und haltlos
im Sittlichen. Das entspricht einander. Eine sittliche
Ordnung, die allgemein anerkannt ist und für alle
verpflichtend ist, gibt es praktisch nicht mehr. Unser
Volk ist auch in grundwesentlichen Werten nicht mehr
eines Sinnes. Denken Sie nur an die Weltanschauung der
meisten Grünen. Man beobachtet einige Konventionen, man
hält bestimmte Anstandsregeln ein, aber Gut und Böse,
Recht und Unrecht, Ordnung und Unordnung sind keine
festen Größen mehr. Die meisten Menschen wissen nicht
mehr um den letzten und absoluten Maßstab der
Sittlichkeit, nämlich um den heiligen Willen Gottes.
Und wie es immer ist, die
schlimmsten Verirrungen zeigen sich auf dem Gebiete der
geschlechtlichen Sittlichkeit. Lebenspartnerschaften
zwischen Homosexuellen werden dem heiligen Bund der Ehe
gleichgestellt. In München wurde eine Wohngemeinschaft
für lesbische Seniorinnen geschaffen, und in diesem
Jahre soll noch eine solche für homosexuelle Senioren
dazukommen. Die Unzucht verbreitet sich immer weiter. Im
Jahre 2007 zahlten die etwa 500 Prostituierten in Köln
877.000 Euro an das Finanzamt. In Afrika, südlich der
Sahara, sind 28 Millionen Menschen aidskrank. Und der
Staat Israel finanziert jeder weiblichen Soldatin
während des zweijährigen Wehrdienstes zwei Abtreibungen.
In Italien werden jährlich 300 Pornofilme gedreht, und
400.000 Porno-DVDs verkauft; über 400 Lokalsender
strahlen nachts Pornoprogramme aus. Und was tun die
Herren und Damen in Brüssel und in Straßburg? Sie denken
darüber nach, die Abtreibung zu entkriminalisieren, d.h.
die Abtreibung soll völlig freigegeben, aus den
Strafgesetzbüchern herausgenommen werden. Das ist das
Europa, von dem wir nichts wissen wollen! Von diesem
Europa nehmen wir Abschied! Britische
Stammzellenforscher haben Stammzellen eines Menschen und
einer Kuh verbunden – eines Menschen und einer Kuh! –
und ein solches Embryo erzeugt.
Gottlos, das heißt auch
in der Regel sittenlos. Die Tafeln der beiden Gesetze
gelten für die Menschen nicht mehr, und die größte Not
liegt nicht darin, dass sie die Tafeln vergessen haben,
sondern dass sie, wenn sie in den Schlamm gefallen sind,
sich nicht mehr heraushelfen lassen. Es ist so schwer,
sie von ihrem Unrecht zu überzeugen. Es ist so schwer,
ihnen klar zu machen, dass Gott fordernd und
verpflichtend vor ihnen steht. Sie müssen lernen, dass
die Forderungen Gottes unabdingbar sind und dass die
Forderungen Gottes unverfügbar sind für den Menschen.
Daran hat er nichts zu deuteln, er hat sie zu erfüllen.
Gottes Gesetz ist heilig und unantastbar. Der Mensch
muss sich ihm beugen, er darf nicht daran rütteln.
Wahrhaftig, der richtungslose Mensch ist in der Regel
auch haltlos. Unsere Religion gibt uns Halt. Die Gebote
Gottes sind der Wegweiser zum Heil. Einen anderen gibt
es nicht.
Und schließlich sind
diese Verirrten auch noch heimatlos. Die verirrten
Schafe haben keine Heimat mehr, denn sie haben die Erde
von der Sonne Gott losgekettet. Schuld und Irrtum führen
den Menschen immer in die Isolierung und Einsamkeit. Das
getäuschte und belastete Gewissen wird auf sich selbst
zurückgeworfen. Die neurotischen Erkrankungen nehmen zu.
Schuld und Unrecht werden nicht mehr bewältigt, weil
eine gesunde, tragende Gemeinschaft fehlt, weil
hervorragende Beispiele von Menschen ihnen abgehen. Es
leuchtet ihnen nicht mehr das Licht einer unfehlbaren
Wahrheit. Jeder ist mit seiner Schuld allein. Diese
Verlorenheit, diese Heimatlosigkeit der gottlosen
Menschen findet ihren Ausdruck in der Dichtung. Ich
habe, meine lieben Freunde, aus den letzten Tagen
folgende Bemerkungen zu diesem Zustand gesammelt. Vor
wenigen Tagen ist der jüdische Dichter George Tabori
gestorben. Dieser Dichter hat Stücke geschrieben, und in
einem dieser Stücke heißt es: „Gott ist tot. Ich wusste
gar nicht, dass der krank war. Heute sterben eben Leute,
die früher nicht gestorben wären.“ So schreibt der
jüdische Dichter George Tabori. Und der bekannte
Liedermacher und Sänger Wolf Biermann tönt: „Die alten
Götter, ja gerade die, die liegen auf dem Schrott. Na
endlich auf dem Schrott. Mit neuen Göttern kommt uns
nicht. Wir brauchen keinen Gott, auch keinen kleinen
Gott.“ So singt Wolf Biermann. Und das
Bundesfamilienministerium musste sich beschäftigen mit
dem Buche „Wo, bitte, geht’s zu Gott?, fragte das kleine
Ferkel“. Ein Buch für alle, die sich nichts vormachen
lassen. Autor: Michael Schmidt-Salomon. In diesem
abscheulichen Produkt werden die Religionen nach Strich
und Faden madig gemacht. Es gibt die drei
monotheistischen Religionen der Lächerlichkeit preis. In
Mannheim, im Mannheimer Nationaltheater, das einmal eine
Berühmtheit im deutschen Theaterwald war, wird das
Theaterstück „Jetzt und in Ewigkeit“ aufgeführt. In
diesem Stück wird die Weihnachtsgeschichte widerwärtig
persifliert, wird der Papst in unverschämter Weise
angegriffen, wird das Priestertum geschmäht. Nach diesem
Stück dient die Religion nur als Deckmantel für private
Abgründe. Alle beruflichen Beziehungen beruhen auf
sexueller oder monitärer Abhängigkeit.
Das, meine lieben
Freunde, ist eine kleine Auswahl aus der Zerrissenheit
der Dichtung, die heute auf unser Volk losgelassen wird.
Christa Meves hat einmal die Frage gestellt: „Wieviel
Verführung verträgt ein Volk?“ Ich bin überzeugt, dass
dieses Maß längst überschritten ist. Unser Volk wird
durch diese Verführung buchstäblich zugrunde gerichtet.
„Wir waren einst wie
Schafe, die keinen Hirten haben.“ So schrieb Petrus den
Christen in bezug auf ihre vorchristliche Vergangenheit.
Aber das Wort gilt auch heute in der Zeit des
Nachchristentums, in einer Zeit, wo das Christentum für
Millionen und Abermillionen seine bindende Kraft
verloren hat. Wenn es eine Wende geben soll, dann kann
sie nur dadurch erfolgen, dass unser Volk zum
Christentum zurückfindet, dass er dort wieder die
Richtung findet, wo sie allein zu finden ist, dass es
dort wieder den Halt sucht, wo er allein vorhanden ist,
und dass es dort seine Heimat gewinnt, wo allein eine
Heimat zu finden ist, nämlich am Herzen Jesu.
Amen.
Geliebte im Herrn!
Der heilige Augustinus
hat einmal einen dreifachen Wunsch ausgesprochen, was er
sehen möchte, nämlich 1. die Stadt Rom in ihrer
kaiserlichen Pracht, 2. das Heilige Land, in dem der
Herr gewandelt ist, und 3. das Antlitz des Herrn selbst.
Diesen Wunsch, meine Freunde, haben wohl viele Christen
schon gehabt: Ja, wenn ich ihn einmal sehen könnte! Ich
erinnere mich, wie mir einmal in einer sächsischen
Industriestadt ein Arbeiter sagte, indem er auf den
Tabernakel verwies: „Ja, wenn er doch einmal
herauskommen möchte!“ Ja, wenn er doch einmal
herauskommen möchte!
Gott ist ein Mensch
geworden, ein Mensch wie wir, so sagen wir. Das ist der
Inhalt des christlichen Glaubens: Jesus Christus ist
Gottes Sohn, der eine menschliche Natur angenommen hat.
Er ist ein Mensch geworden, auf dass wir der göttlichen
Natur teilhaftig werden. Wäre er nur Gott, dann könnte
er uns kein Beispiel sein. Wäre er nur ein Mensch, so
hätte er uns nicht erlösen können. Also ist der
Gottmensch erschienen. Er war ein Mensch, aber nicht ein
Mensch wie wir. Der Heiland war ein eigenartiger, ein
einzigartiger Mensch. Es gibt keinen, der ihm
gleichkommt. Wir haben von Kindheit an Bilder unseres
Herrn betrachtet. Gewöhnlich wird er dargestellt als
junger Mann – er war ja, als er aufzutreten begann, 30
Jahre alt – mit Bart, mit hoher Stirn, ein aufrechter,
ein edler Mann, eine edle Erscheinung – das Idealbild
eines Menschen. Und die Maler aller Zeiten haben
versucht, uns sein Bild zu entwerfen. Im Grunde sind sie
aber nicht über die Gemälde hinausgekommen, die uns die
großen Italiener, Niederländer und Deutschen geschaffen
haben: Leonardo da Vinci, Fra Angelico, Michelangelo,
Raffael. Sie haben uns gezeigt, wie sie sich Christus
vorgestellt haben in ihrer Phantasie. Denn das eine ist
klar: Es gibt kein Bild Jesu, das ihn so wiedergäbe, wie
er in der Wirklichkeit gewesen ist. Kein Pinsel und kein
Malerwerkzeug hat den Herrn uns aufbewahrt, wie er war.
Auch keine Schreibfeder hat es überliefert. Wir möchten
den Evangelisten manchmal gram sein, dass sie uns nichts
über die äußere Gestalt Jesu mitteilen; aber sie hatten
gute Gründe, denn sie wussten: Die Gestalt des Herrn ist
so beschaffen, dass das Äußere weit weniger wichtig ist
als seine geistige Persönlichkeit. Und sie trugen ja
sein Bild in ihrem Herzen. Wir sollten, das ist
vielleicht auch eine Überlegung gewesen, innerlich ihm
gleichförmig werden, nicht äußerlich.
Das Christusbild der
großen Maler ist auch unseres. Was van Eyck oder Memling
geschaffen haben, was Grünewald oder Dürer uns
übermittelt haben, das ist auch unser Christusbild. Sie
haben es nicht nur mit sicherer Hand gezeichnet, sondern
auch mit glühendem Herzen. Von Fra Angelico ist bekannt,
dass er jedes Mal betete, bevor er den Pinsel ansetzte,
um ein Bild des Herrn zu malen. Und Leonardo da Vincis
sichere Hand zitterte, wenn er daranging, das Bild des
Herrn zu zeichnen. Was hätten sie dafür gegeben, wenn
sie einmal hätten seine Gestalt sehen können, so wie die
Apostel ihn gesehen haben, wie das Auge seiner Mutter
ihn gesehen hat, wie die Kranken und die Siechen ihn
geschaut haben, wie der rechte Schächer ihn angeblickt
hat! „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen“, verkündet
Johannes, und das ist es, was wir jeden Tag am Schluß
der heiligen Messe beten: Wir haben seine Herrlichkeit
gesehen – freilich wir eine verborgene, aber ihm war sie
ja auch verborgen. Und „Du bist wahrhaft der Sohn des
lebendigen Gottes“, so haben sie ausgerufen. Sicherlich
war der erste, unvergessliche Eindruck, den Jesus auf
das Volk machte, von der gewaltigen Kraft seines Geistes
getragen. Aber dieser Geist muss sich auch irgendwie in
der äußeren Erscheinung ausgeprägt haben. Wir wissen
doch, dass das Wort gilt: „Es ist der Geist, der sich
den Körper baut.“ Man kann am Gesicht eines Menschen
viel ablesen. Das Gesicht prägt Züge aus, die den
Menschen in seinem Leben bestimmen. Je stärker der Geist
eines Berufes ist, desto ausgeprägter, unverwischbarer
wird das Gesicht eines Menschen sein, desto ergreifender
werden seine Züge predigen.
Das Beherrschende im
Antlitz Jesu wird wohl sein Auge gewesen sein. Sein Auge
strahlte. Er hat es selber einmal ausgedrückt mit den
Worten: „Die Leuchte deines Leibes ist dein Auge. Ist
dein Auge gesund, so wird dein ganzer Leib licht sein.“
Und so ist es wohl kein Zufall, wenn der Evangelist
Markus immer wieder an bedeutsamen Stellen eines
hervorhebt: „Er blickte ihn an und sprach…“ „Er blickte
ihn an und rief…“ „Rede, damit ich dich sehe“, hat
einmal ein Menschenkenner gesagt. An der Rede kann man
tatsächlich den Menschen erkennen. Welche zündende Rede
muss unserem Heiland zu eigen gewesen sein! Jedes seiner
Worte war ein herrenhafter Befehl. In ihm war ja die
Tatkraft Gestalt geworden, in diesem Führer aller
Führer. Er ruft autoritativ, und Jakobus und Johannes
lassen den Vater zurück und folgen ihm. Gegen sein „Komm
und folge mir nach!“ gab es kein Widerstreben und keinen
Augenblick der Unentschiedenheit. Einer wurde von ihm
aufgefordert: „Folge mir nach!“ Doch dieser machte
Einwände: „Herr, erlaube, dass ich vorher hingehe und
meinen Vater begrabe!“ Jesus entgegnete ihm: „Laß die
Toten ihre Toten begraben. Du komm und folge mir nach!“
Er treibt die Händler aus dem Tempel mit herrischen
Worten, und keiner wagt eine Widerrede oder einen
Widerstand. Er schleudert den Pharisäern sein
achtmaliges „Wehe“ entgegen, und niemand wagt ihm zu
entgegnen. Alle erblassen und verstummen. Wie glaubhaft
wurde da seine großartige Prophezeiung, dass er auf den
Wolken des Himmels wiederkommen werde mit großer Macht
und Herrlichkeit! Wie anders sprach er zu den Frauen und
Müttern: „Ihr Frauen von Jerusalem, weinet nicht über
mich, weinet über euch und eure Kinder, denn es werden
Tage kommen, da man sprechen wird zu den Bergen: Fallt
über uns! und zu den Hügeln: Bedecket uns! Wenn das am
grünen Holze geschieht, was wird dann am dürren
geschehen?“ Und wie mag er zu den Kindern gesprochen
haben, die er herzte und liebte? Wie mag er zu den
Sündern geredet haben, wohlwollend, wenn auch ernst:
„Sündige nicht mehr! Gehe hin und sündige nicht mehr!“
Seine Rede hat die
Anhänger, aber auch das ganze Volk fasziniert. Der Herr
sprach eben nicht wie die Pharisäer, sondern er redete
wie einer, der Macht hat. Seine ganze hoheitsvolle
Erscheinung zog die Menschen in seinen Bann. Die Jünger,
die doch Tag und Nacht, jahraus und jahrein mit ihm
zusammen waren, wagten es nicht, sich allzu vertraulich
mit dem Herrn auf eine Stufe zu stellen. Sie gerieten
vielmehr immer wieder in Staunen über sein Reden und Tun
und fanden nicht den Mut, ihm eine Frage zu stellen. Die
Nazarener, die ihn von dem Berge, auf dem ihre Stadt
gebaut war, herabstürzen wollten, erschraken über seine
Rede, und sie hatten nicht den Mut, an ihn eine Frage zu
stellen. Er schritt gelassen durch sie hindurch, und als
das Volk ihn zu einer Stunde, die der Vater nicht
bestimmt hatte, zum König machen wollte, da verließ er
die heilige Stadt Jerusalem, da ging er still durch die
begeisterte Menge und begab sich auf einen einsamen
Berggipfel, um zu beten. Und in der Stunde, da sich ihm
der Verräter nahte, trat er der Rotte entgegen, die mit
Schwertern und Prügeln gekommen war, um ihn gefangen zu
nehmen. „Wen suchet ihr?“ „Jesus von Nazareth.“ „Ich bin
es !“ Da wichen sie zurück und fielen zu Boden.
Ohne jede reißerische
Geste, ohne Sucht, zu glänzen, trat er vor das Grab des
Lazarus, trat er vor das Sterbelager des Töchterleins
des Jairus, trat er an den Sarg des Jünglings von Naim,
und Tod und Leben verspürten die Macht des Imperators.
Nie tat er auch nur einen Schritt, sprach er auch nur
ein Wort, rührte er auch nur einen Finger, um angenehm
und willkommen zu sein, um das Wohlgefallen der Menschen
zu gewinnen. Er war kein Opportunist! Denn von ihm wurde
gesagt: „Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist
und dich vor niemand scheust.“ Hier war kein Schein,
hier war Echtheit und unbedingte Treue zu sich selbst.
Nach dem übereinstimmenden Zeugnis der Evangelisten,
meine lieben Freunde, muss Jesus ein überaus
leistungsfähiger, abgehärteter und kerngesunder Mann
gewesen sein. Schon dadurch unterscheidet er sich von
anderen Religionsstiftern. Mohammed war ein kranker
Mann, erblich belastet, in seinem Nervensystem
zerrüttet, als er die Fahne des Propheten entrollte.
Buddha war innerlich zerbrochen, verlebt, ausgelebt, als
er die Welt verließ. Von Jesus hören wir niemals, dass
er von irgendeiner Krankheit heimgesucht wurde. Alle die
Leiden, die über ihn kamen, waren Berufsleiden,
Entbehrungen und Opfer, die ihm seine messianische
Sendung auferlegte.
Jesus versagte niemals
und nirgends, selbst nicht in den aufregendsten und
gefährlichsten Lagen, etwa im rasenden Sturm des Sees
Genesareth. Da ruhte er auf einem Kissen und schlief.
Als seine Jünger ihn weckten, aus tiefem Schlaf
gerissen, da hat er sofort die Situation gemeistert:
„Schweige! Verstumme!“ Und das Seebeben hörte auf, und
der Sturm ließ nach. „Was ist denn das für einer“,
sagten die Leute, „dass ihm sogar der Wind und das Meer
gehorchen?“ Was ist denn das für einer? Er muss ein ganz
innerlich gefestigter und beherrschter Mensch gewesen
sein, der niemals ein fahriges, aufgeregtes Wesen
zeigte. Er ist das Ideal des Menschen. In ihm sind alle
gegensätzlichen Eigenschaften vereinigt: Erhabenheit und
Liebe, Ernst und Helle, Kraft und Zärtlichkeit, das
alles überstrahlt von der Würde seines göttlichen
Wesens. Wir begreifen jetzt, wie die Jünger ihm
sehnsüchtig nachschauten, als er gen Himmel fuhr. Und
auch als der Tröster, der Geist, zu ihnen gekommen war,
hat die Sehnsucht nach ihm sie nicht verlassen. „Er wird
wiederkommen, und wir werden ihn sehen, und unsere
Freude wird niemand von uns nehmen.“
Wie entrückt muss
Stephanus ausgesehen haben, als er in seinem Todesleiden
den Herrn zur Rechten Gottes stehen sah! Und auch
tieffromme Menschen haben immer diese unaussprechliche
Sehnsucht in sich getragen, den Herrn zu sehen, und sie
waren von heiliger Begeisterung, wenn sie daran dachten,
dass sie ihn einmal sehen werden. Der heilige Pfarrer
von Ars, Johannes Vianney, hat einmal gepredigt: „Wir
werden ihn sehen! Wir werden ihn sehen! Wir werden ihn
sehen! O meine Kinder, wisst ihr: Wir werden ihn sehen!“
Eine Viertelstunde rief er nur aus: „Wir werden ihn
sehen!“ Und die Tränen rollten über sein heiliges
Antlitz: „Wir werden ihn sehen!“
Der heilige Augustinus
hatte einmal ein Gespräch mit dem Heiland, und in diesem
Gespräch, da hieß es: „Du kannst dir wählen, dass dir
alle irdische Freude immer verbleibt oder dass du mein
Antlitz sehen kannst.“ Da fiel der heilige Augustinus
dem Herrn in die Arme und sagte: „Ich will nichts
anderes als dich sehen. Lieber soll mir alles genommen
werden, aber dein Antlitz will ich schauen.“
In diesen Tagen zieht in
Mainz das Peter-Cornelius-Konservatorium um. Peter
Cornelius war ein gläubiger katholischer Christ. Von ihm
stammt, aus einem Briefe entnommen, der schöne Satz:
„Ich weiß, dass wir ewig leben und dass der geringste
Mensch eine unsterbliche Seele hat, welche zu derselben
Herrlichkeit berufen ist wie der glänzendste Geist: Gott
zu schauen.“ Und unser schlesischer Dichter Angelus
Silesius hat so schön in seinem „Cherubinischen
Wandermann“ geschrieben: „Das Antlitz Gottes sehen ist
alle Seligkeit. Von dem verstoßen sein das größte
Herzeleid.“ Das Antlitz Gottes sehen ist alle Seligkeit.
Von dem verstoßen sein das größte Herzeleid. Der
unvergleichliche Denker Aristoteles macht uns darauf
aufmerksam, dass alles Erkennen darin besteht, dass der
Erkennende eine gewisse Ähnlichkeit mit dem
Erkenntnisgegenstand gewinnt. Wenn es sich so verhält,
dann kann ein Schauen Christi nur dem in Aussicht
gestellt werden, der wirklich sich Christus zu
verähnlichen strebt, in dem der Herr gleichsam seine
himmlischen Züge herausgearbeitet hat.
Im 19. Jahrhundert gab es
einmal einen Professor Arthur Drews. Dieser Herr
verkündete, dass Jesus nie gelebt habe. Er leugnete die
historische Existenz Jesu. Es gibt keinen Unsinn, meine
lieben Freunde, den nicht schon ein Professor von sich
gegeben hätte. Aber immerhin, Drews fand seine Anhänger.
Und einer dieser Anhänger kam zu dem tiefreligiösen
Maler Hans Thoma und sagte triumphierend: „Meister,
jetzt brauchen Sie kein Christusbild mehr zu malen.“
Thoma antwortete ihm leuchtenden Auges: „Mein
Christusbild kann mir niemand zerstören. Ich trage es im
Herzen!“
Amen.
Geliebte im Herrn!
Jesus verstand sehr gut,
dass seine Jünger traurig waren, als er von ihnen
scheiden musste. Der Gedanke beherrschte sie: Jetzt
verlässt er uns. Und da legte er ihnen eine Frage nahe,
nämlich die Frage: Wohin gehst du? Die Antwort auf diese
Frage konnte nur lauten: „Ich gehe zum Vater.“ Aber
diese Frage: Wohin gehst du? ist eigentlich die Frage
der ganzen Menschheitsgeschichte und eines jeden
einzelnen Menschenlebens. Wohin gehst du?
Der große russische
Dichter Graf Tolstoi hat ein erschütterndes Buch
geschrieben, das den Titel trägt: „Meine Beichte“. In
diesem Buche berichtet er, wie er sich, als
Ungläubiger, jahrelang fragte: Wozu alles? Ich bin Herr
über 6.000 Morgen und 300 Pferde; ich habe eine Familie,
ich habe Kinder. Ich bin ein Schriftsteller und kann
berühmter werden als Gogol oder Puschkin oder Molière.
Aber alles wozu? Wozu das alles? Und er fand keinen
Ausweg aus dieser Verlorenheit, aus dieser Ungewissheit.
Er schreibt an einer Stelle: „Ich legte alle Schnuren
beiseite, damit ich nicht in die Gefahr geriete, mich
mit einer zu erhängen.“ Lange Zeit hat er unter diesen
Anfechtung gelitten, bis er eines Tages bei einem
Spaziergang im Walde eine Stimme hörte, die ihm
zuflüsterte: „Gott ist wirklich.“ Und diese Stimme hat
ihn bekehrt. In diesem Augenblick, in dem er wusste:
Gott ist wirklich, da wußte er auch: Gott kennen und
leben, das gehört zusammen. Lebe, indem du Gott suchst!
Und so ist es, meine
lieben Freunde, in einem jeden Leben. Ohne Gott ist
alles Spott. Mit Gott hat alles Wert. Wir müssen drei
Fragen wissen und die Antwort auf sie kennen, nämlich
woher ich komme, wofür ich lebe und wohin ich gehe. Also
woher? Wozu? Wohin? Das sind die drei Fragen, die unser
Leben entscheiden. Die Frage: Woher kommst du? ist in
unserem Glauben beantwortet. Wir wissen: Alles, was
existiert, hat seinen Grund in Gott. Gott ist der
Schöpfer von allem. Ach, was sind das für lächerliche
Ausflüchte, welche die Ungläubigen haben: Die Welt ein
Spiel des Zufalls. Ja, der Zufall erklärt nichts, meine
lieben Freunde. Wer etwas mit dem Zufall erklärt, der
lässt es unerklärt. Andere grewifen zu der Ausflucht der
Evolution. Ja, warum denn nicht Evolution. Aber woher
kommt denn die Evolution? Auch die Evolution hat doch
den Grund nicht in sich selbst.
Gewiß handelt Gott durch
Zwischenursachen. Wir sind entstanden durch das Wirken
Gottes und unserer Eltern, aber diese Zwischenursachen
müssen münden in einer Erstursache, und die nannten
schon die Griechen den ersten unbewegten Beweger, das „ens
a se“, dasjenige Sein, das seinen Grund in sich selbst
trägt. Unser Glaube ist vernünftig. Wir sagen nicht:
Gott hat wieder eine Ursache, nein, wir sagen: Gott ist
der Grund seiner selbst. Er ist das „ens a se“, das
Sein, das wegen seiner unendlichen Seinsfülle seinen
Grund in sich selbst trägt. Unser Glaube ist vernünftig.
Und wenn man auf jede Erklärung verzichtet, also sich
auf das Nichtwissen zurückzieht, da müssen wir sagen:
Wir sind klüger. Wir Christen, wir kennen den Grund von
allem, was ist. Gott ist der Urheber der Welt, der
Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge, der
geistigen und der körperlichen. Er hat mit seiner
allmächtigen Kraft gleichzeitig zu Beginn der Zeit beide
Schöpfungswelten aus dem Nichts erschaffen. Diese
Wahrheit stammt aus dem 4. Laterankonzil vom Jahre 1215.
In dieser Zeit, in der die Philosophie blühte und die
Theologie einen ungeheuren Aufschwung nahm, ist diese
Wahrheit vom Konzil für alle Zeit gültig festgelegt
worden. Gott ist Schöpfer. Und die Schöpfung im
ursprünglichen Sinne besagt das Hervorbringen aus dem
Nichts. Das Nichts ist nicht ein Stoff oder eine
Materie, aus der Gott geschaffen hätte. Nein, das Nichts
besagt die Anfanglosigkeit alles Irdischen, alles
Geschöpflichen. Aus seiner unendlichen Seinsfülle hat
Gott das Irdische, das Geschöpfliche, hervorgebracht.
Die Materie und die Form, die belebte und die unbelebte
Welt, alles hat in ihm seinen Grund.
Auch der Mensch stammt
von Gott. Er ist sogar ein Abbild Gottes, ein unendlich
weit entferntes, gewiß, aber immerhin: Gott hat ihn nach
seinem Bild und Gleichnis geschaffen. „Er bildete“, so
heißt es in kindlicher Redeweise, die vor Jahrtausenden
den Menschen vorgelegt wurde, „den Menschen aus Lehm der
Erde und blies in sein Angesicht den Odem des Lebens,
und es ward der Mensch zu einem lebenden Wesen.“ Das
Dogma sagt nichts, wie Gott dabei zu Werke ging. Hier
wird nur in einer schlichten, für einfache Menschen
bestimmten Redeweise erklärt, dass alles seinen Ursprung
in Gott hat. Die Bibel spricht in bildhafter Weise, wie
man eben zu Menschen auf einer niederen Kulturstufe
sprechen musste, wenn man verstanden werden wollte.
Die Schöpfungsberichte
wollen uns keine Auskunft geben über Naturkunde, über
Biologie oder über Physik. Sie wollen uns die Herkunft
alles Geschaffenen aus der Allmacht Gottes lehren. Was
der Mensch mit seinem Verstande erforschen kann, das
soll er erforschen. „Dass der Mensch von Gott erschaffen
ist, das bezweifelt kein Mensch außer ein undankbarer“,
hat einmal der heilige Augustinus geschrieben. Wir sind
also zum Dank verpflichtet, dass wir geschaffen sind.
Wir kommen nicht aus der Tiefe, wir kommen aus der Höhe.
Wir entstehen nicht aus dem Niederen, sondern wir
entstehen aus dem Erhabenen. Wir haben also, bildlich
gesprochen, einen Adelsbrief, nämlich den Adelsbrief,
den Gott durch seine Schöpfung ausstellt. Unser Leib und
unsere Seele sind ein Abbild, ein unendlich fernes gewiß,
und dennoch ein Abbild Gottes.
Dieses Abbild Gottes
zeigt sich besonders in der Erkenntnis und in der
Freiheit, die dem Menschen mitgegeben sind. Der Mensch
kann erkennen, und er kann wollen. Er soll das Rechte
erkennen, und er soll das Rechte wollen. Damit ist er
weit über alle Natur erhaben. Die Sonnen und die Sterne,
die Meere und die Kontinente, die Tiere und die
Pflanzen, Wälder und Felder, alles, was sich bewegt,
lobt Gott, ist kraft der Schöpfung Gottes ausgestattet
mit Harmonie und mit Schönheit. Die Geschöpfe sind
tatsächlich Fußspuren Gottes. Die Ordnung und die
Harmonie der Dinge sind wie Buchstaben, die von ihrem
Herrn und Schöpfer berichten. Jede Kreatur ist ein
Strahl des Schöpfers. „Himmel und Erde“, so singen wir
ja im Liede, „Luft und Meer sind erfüllt von deinem
Ruhm. Alles ist dein Eigentum.“ Aber die Geschöpfe
wissen nicht darum, dass sie Gott verherrlichen. Sie tun
es, ohne es zu wissen. Nur der Mensch weiß es oder kann
es wissen und ist deswegen aufgerufen, sich in den
Dienst des höchsten Herrn zu stellen. Die erste Frage
des Katechismus, den Sie vielleicht – vielleicht – noch
gelernt haben, lautete: „Wozu ist der Mensch auf Erden?“
Die Antwort: „Der Mensch ist auf Erden, um Gott zu
erkennen, ihn zu lieben, ihm zu dienen und dadurch in
den Himmel zu kommen.“ Das ist eine geradezu
erschütternd tiefe und einfache Antwort. Der Mensch ist
auf Erden, um Gott zu erkennen, ihn zu lieben, ihm zu
dienen und dadurch in den Himmel zu kommen. Das besagt
nicht, dass man immerfort beten muss. Gebet ist gewiß
höchste Verehrung Gottes und auch höchste Pflicht des
Menschen. Aber alles andere soll ebenfalls in den Dienst
Gottes gestellt werden. „Ihr möget essen oder trinken
oder was immer tun“, sagt der Apostel Paulus, „tut alles
zur Ehre Gottes!“ Durch die gute Meinung, die wir an
jedem Morgen fassen, stellen wir den ganzen Tag, das
ganze Tagewerk in den Dienst Gottes. Wir sollten jeden
Morgen beten, meine lieben Freunde: „O Gott, laß mich
diesen Tag zu deiner Ehre, zum Heil meiner Seele und zum
Segen für meine Mitmenschen verbringen.“ Das ist der
schönste Vorsatz, den man sich machen kann. Laß mich
diesen Tag zu deiner Ehre, zum Heile meiner Seele und
zum Segen für meine Mitmenschen verbringen. Dadurch wird
das ganze Tagewerk Gott geweiht und übergeben. Und
selbst ohne diese Absicht, wenn wir nur das Rechte tun,
ehren wir damit Gott. Es lässt sich in einem richtigen
Sinne sagen: Das Sachgemäße ist immer das Gott
Wohlgefällige. Wer sachgemäß handelt, der handelt Gott
wohlgefällig.
Also nicht nur unser
Beten und unser Arbeiten, sondern unser ganzes Wesen
rühmt die Ehre Gottes, ist ein wahrhaftiges Gotteslob.
Es hat doch Menschen gegeben, meine lieben Freunde, um
deretwillen man sich freuen konnte, dass es einen
Schöpfer gibt. Und immer wieder gibt es solche Menschen,
um deretwillen wir nicht nur die Erde lieben und das
Leben preisen, sondern um deretwillen wir an den Himmel
glauben und den Herrgott loben. Alles Starke in uns,
alles Leuchtende, das ist Kraft von Gott, das ist Glanz
von Gott. Und alles soll ihm dargebracht sein. Nicht
uns, o Herr, nicht uns, sondern deinem heiligen Namen
gib die Ehre!
Weil Gott lebt, wissen
wir, wie wir leben sollen. Er erwartet unsern Dienst, er
gibt uns Weisung, wie dieser Dienst aussehen soll. Und
damit wird auch das Leben in den schwersten Situationen
erträglich. Wenn man das Leben als eine Aufgabe
betrachtet, dann vermag man es immer zu tragen. Weil
Gott lebt, wissen wir, dass jeder Tag, jede Stunde
kostbar ist, dass wir die Zeit als Geschenk Gottes
ansehen müssen. „Denke immer an das Ende und daran, dass
die verlorene Zeit nicht wiederkehrt“, so heißt es im
Buch von der Nachfolge Christi. Denke immer an das Ende
und daran, dass die verlorene Zeit nicht wiederkehrt.
Und der heilige Pfarrer von Ars lehrt uns: „Wenn die
Verdammten die Zeit hätten, die wir so unnütz vertun,
welch heilsamen Gebrauch würden sie davon machen! Hätten
sie nur eine halbe Stunde Zeit, diese halbe Stunde würde
die Hölle entvölkern.“ Wie recht hat er! Trage Gott in
dein Leben, dann trägt dich dein Leben zu Gott. „Das
Leben ist ein leerer Krug, du hast ihn anzufüllen, und
was du dir gesammelt hast, wird dich im Jenseits
stillen.“ „Wenn du nur willst, so ist der Himmel dein,
wie unermesslich reich kann auch der Ärmste sein“, sagt
unser schlesischer Dichter Angelus Silesius.
Wahrhaftig, meine lieben
Freunde, die Erde ist eine Straße, die nur wichtig ist
wegen des Zieles. Dieses Ziel liegt weit draußen in
einer unermesslichen Ferne. Aber derselbe gütige Gott,
der uns erschaffen hat, gibt uns die Gnade, dass wir
seine Straße wandeln und sein Ziel erreichen. Wer in der
Gnade lebt, wer in der Gnade glaubt und wirkt, dem liegt
das Ziel schon nicht mehr weit draußen, sondern dem ist
es schon in nächster Nähe. Er weiß sich in der
Gottesnähe und in der Gottesfreundschaft. Was er jetzt
im Glauben besitzt, das wird er einmal im Schauen
erwerben. Er trägt ein Stück des Himmels wie ein
Heiligtum in sich selbst. Und so konnte der
Martyrerbischof Ignatius von Antiochien, als er auf dem
Wege zur Hinrichtung war, schreiben: „Schön ist es,
unterzugehen von der Welt zu Gott, damit ich in ihm
meinen Sonnenaufgang habe.“
Wahrhaftig, wir sind
Menschen, die eine Hoffnung haben. Ich habe vor
Jahrzehnten einmal ein Buch in der Sowjetzone
veröffentlicht, in der DDR. Und der Zensor, der
staatliche Zensor beanstandete eine Stelle des Buches,
weil ich nämlich geschrieben hatte: „Die Ungläubigen
sind Menschen ohne Hoffnung.“ „Nein, nein, sie haben
eine Hoffnung“, so meinte er, die Ungläubigen nämlich,
„die Erde besser zu gestalten.“ Ich musste also diese
Stelle im Buch ändern und schreiben: „Die Ungläubigen
sind ohne Hoffnung auf das ewige Leben.“ Das ließ er
dann durchgehen; denn an ein ewiges Leben glaubten die
Marxisten nicht. Wir aber glauben daran. Wir beten in
der Totenmesse: „In Christus ist uns die Hoffnung ewigen
Lebens, seliger Auferstehung erschienen. Bedrückt uns
auch das unabänderliche Schicksal des Sterbens, so
tröstet uns doch die Verheißung der Unsterblichkeit.
Deinen Gläubigen, o Herr, wird das Leben nicht geraubt,
sondern neu gestaltet. Bricht auch das Zelt, in dem wir
hier auf Erden leben, ab, dann erwartet uns drüben eine
unzerstörbare Heimat im Himmel.“
Diese Hoffnung ist der
Grund, warum die Christen in den Katakomben in Rom und
anderswo die Gräber ihrer Verstorbenen geziert haben mit
Blumen, mit Fruchtgehängen, mit Weinlaub, denn sie
wussten was auf ihren Inschriften stand: „in Frieden, in
der Erquickung, in Gott.“ Es gibt einen letzten Sinn,
der Welt, meine lieben Freunde, denn Gott existiert. So
wahr Gott lebt, so wahr ist auch der unsterblichen Seele
ewiges Leben bei Gott verheißen. Welche Bedeutung,
welche Weihe, welches Glück strahlt aus diesem Leben,
aus diesem ewigen Leben in unser irdisches Dasein! Kein
Tag ist wertlos oder gleichgültig, auch kein Tag der
Mühsal und der Leiden ist verloren. Verloren wäre nur
ein Tag der Gottesferne. Darum lässt sich die
Nutzanwendung auf die große Frage: Wohin gehst du?
zusammenfassen in den beiden Sätzen: „Vergiß seinen Gott
nicht! Sorge für seine Seele!“
Amen.
Geliebte,
zur Feier der Himmelfahrt unseres Herrn und Heilandes
Versammelte!
Erfurt ist
eine Patenstadt von Mainz. Die Hauptstraße von Erfurt
trägt den Namen „Juri-Gagarin-Ring“. Juri Gagarin war
ein sowjetischer Fliegermajor, der am 12. April 1961 als
erster Mensch in einer Raumkapsel die Erde umkreiste.
Nach seiner Rückkehr von der Weltraumfahrt stellte er
fest, dass er im Weltraum „keine Spur von Gott, den
Engeln oder dem Himmel entdeckt“ habe. Ähnliches hatte
er schon während seines Fluges an die Bodenstation
gefunkt. Darüber brach große Freude aus in der
atheistisch ausgerichteten Sowjetunion. Jetzt endlich,
so hieß es, ist wissenschaftlich bewiesen, dass das mit
dem Himmel eine fromme Einbildung oder ein Schwindel der
Kirchen ist. Ein Jahr später, im Februar 1962, schickten
die Amerikaner ihren ersten Astronauten in den
Weltenraum, John Glenn. Als John Glenn zurückkam,
erklärte er, der Gott, an den er glaube, sei größer als
das, was man durch die winzige Luke eines Raumschiffes
sehen könne. Er fügte hinzu: „Von hier auf die Schöpfung
zu schauen und nicht an Gott zu glauben, ist für mich
unmöglich.“
Nicht nur
Russen und Amerikaner beteiligten sich an der Raumfahrt,
sondern auch Deutsche. Im Jahre 1997 blieb der aus
Mönchengladbach stammende Kosmonaut Reinhold Ewald 18
Tage an Bord der russischen Raumstation Mir. Nach seiner
Rückkehr hielt er in seiner rheinischen Heimat einen
Vortrag, und in diesem Vortrag erklärte er wörtlich:
„Der Himmel, in den ich als Raumfahrer fliege, nimmt mir
nicht den Himmel des Kommunionunterrichts, in den
unserem Glauben nach alle Menschen eine Chance haben,
nach dem Tode zu gelangen.“ Ich wiederhole noch einmal
diesen schönen Satz von Reinhold Ewald: „Der Himmel, in
den ich als Raumfahrer fliege, nimmt mir nicht den
Himmel des Kommunionunterrichts, in den unserem Glauben
nach alle Menschen eine Chance haben, nach dem Tode zu
gelangen.“ Wir sehen, der Glaube Ewalds wurde durch die
Raumfahrt nicht erschüttert. Aber er war nicht nur
gläubig; er besaß auch einen denkenden Glauben. Erfügte
nämlich hinzu: „Für Gott bleibt allemal genug Raum, wenn
er denn überhaupt welchen bräuchte.“ Ich wiederhole auch
diesen schönen Satz: „Für Gott bleibt allemal genug
Raum, wenn er denn überhaupt welchen bräuchte.“
Menschliche
Himmelfahrten widersprechen dem Glauben nicht, den wir
am heutigen Tage bekennen. Vierzig Tage nach Ostern ist
Christus vor den Augen seiner Jünger in den Himmel
aufgenommen worden. Die Apostelgeschichte berichtet
davon: „Er wurde emporgehoben, und die Wolke nahm ihn
vor ihren Augen weg.“ Im Lukasevangelium, das ja
derselbe Verfasser geschrieben hat wie die
Apostelgeschichte, heißt es: „Hierauf führte er sie
hinaus, Bethanien zu. Er hob seine Hände und segnete
sie, und es geschah, während er sie segnete, schied er
von ihnen und fuhr in den Himmel hinauf.“
Die Zeit
des vom Staate verordneten Atheismus ist vorbei. Aber
der Himmel bleibt auch danach eine problematische
Angelegenheit. Wenn man die Kinder im Kindergarten
auffordert, den Himmel zu zeichnen, dann sitzt auf einem
Thron ein alter Mann mit Bart, mit einem weißen Gewande
angetan, umgeben von umher fliegenden Engeln. Wir
lächeln über solche Vorstellungen; wir lächeln mit
Recht. Aber man kann auch ein gewisses Verständnis dafür
haben; denn wie soll man denn das Unsagbare aussagen?
Wie soll man sich denn das Unvorstellbare vorstellen? Es
liegt auch hier ein Missverständnis vor. Es wird nicht
unterschieden zwischen dem Himmelsgewölbe, wo die
Raumschiffe fahren, wo die Wolken ziehen und die
Flugzeuge kreisen, und der Himmelsherrlichkeit, in
welche die Vollendeten nach Gottes Willen eintreten und
ihn schauen. Aber eine solche Unterscheidung ist
unbedingt notwendig. Der Himmel, den wir sehen, ist eine
materielle Angelegenheit; der Himmel, an den wir
glauben, ist eine geistige Wirklichkeit. Das Deutsche
besitzt leider für beide Gegenstände nur ein Wort,
nämlich Himmel. Die Engländer haben zwei. Sie bezeichnen
den Wolkenhimmel mit sky, und sie bezeichnen die Gott
vorbehaltene Wirklichkeit mit heaven. Sky und heaven
sind völlig verschiedene Wirklichkeiten. Das eine
bezeichnet eine Quantität, das andere eine Qualität.
Der Himmel,
von dem wir heute sprechen, als Bereich Gottes, ist eine
transzendente Wirklichkeit. Transzendent heißt
übersteigend. Das heißt, der Himmel übersteigt alles,
was uns aus der Erfahrung bekannt ist. Er übersteigt
alles, was wir mit den Mitteln der Erfahrung erkennen
und erreichen können. Weder Satelliten noch Raumschiffe
können in die Wirklichkeit vorstoßen, die wir mit dem
Wort Himmel bezeichnen. Es wäre also ganz falsch, wenn
man meinen würde: Ja, die Raumfahrer müssen halt weiter
fliegen. Sie sind nicht weit genug vorgedrungen. Wenn
sie weiter mit ihren Raumschiffen in den Weltraum
vorgestoßen wären, dann hätten sie Gott doch gefunden.
Nein, meine lieben Freunde, Gott ist nicht zu finden. Er
ist mit Raumschiffen nicht zu erreichen. Der Himmel ist
jenseits jeder Entfernung, und wäre sie noch so groß.
Der Himmel
ist die Gott vorbehaltene Wirklichkeit. Das heißt nicht,
dass diese Wirklichkeit nirgendwo ist. Sie muss irgendwo
sein, denn die Seelen der Verstorbenen, die Seelen der
Vollendeten müssen sich irgendwo aufhalten. Sie sind ja
nicht zerstört, sie haben sich nicht aufgelöst; also
müssen sie irgendwo sein. Aber wir können keinen Ort
angeben, an dem sie sich befinden könnten. Und der Ort,
an dem sich die vollendeten Seelen befinden, ist von
anderer Art als alle Orte, die wir aus unserer Erfahrung
kennen. Dieser Ort kann von keinem Menschen wahrgenommen
werden. Dieser Ort ist jenseits der Ausdehnung, die wir
mit jedem Ort verbinden. Örtlichkeit ja, aber
Örtlichkeit anderer Qualität, als wir sie kennen.
Man kann
also auch nicht sagen: Der Himmel, wo die Vollendeten
sind, sei oben oder unten. Das alles sind Angaben, die
uns verwehrt sind. Aber da könnte jemand fragen: Ja,
warum ist denn dann der Heiland nach oben aufgefahren?
Warum ist er nicht in die Erde versunken? Er hätte ja
auch in die Erde eintauchen und darin verschwinden
können. Er ist nach oben aufgefahren. Die Richtung nach
oben ist von tiefer Symbolik. Wir Menschen verbinden mit
„oben“, wo die Sonne ist, das Helle, das Lichte, das
Freie, und mit dem Begriff „unten“ verbinden wir das
Dunkle, das Finstere, das Gebundene. Und diesen
Vorstellungen hat sich Gott angeschlossen; dieser
Vorstellungen hat er sich bedient, um auszusagen, dass
Jesus in die Welt der Herrlichkeit Gottes, in den Glanz
seiner überirdischen Schönheit eingekehrt ist. Wenn wir
sagen: Gott wohnt im Himmel, dann wollen wir damit nicht
ausdrücken, Gott habe einen abgeschlossenen Raum, einen
Palast oder ein Wohnhaus. Nein. Wenn wir sagen: Gott
wohnt im Himmel, dann soll damit ausgesagt werden: Gott
lebt in einer Wirklichkeit, die über alles Geschaffene
unendlich erhaben ist. Gott übersteigt nicht bloß die
Erde, er übersteigt nicht bloß das Weltall, er
übersteigt auch den Himmel. Achten Sie bitte darauf, was
wir jetzt in den nächsten 9 Tagen tun werden, was wir in
der Pfingstnovene beten: „König der Glorie, Herr der
Heerscharen, als Sieger bist du heute über alle Himmel –
über alle Himmel – emporgestiegen.“
Gott wohnt
in unzugänglichem Licht. Er ist unermesslich und absolut
raumlos. Er erfüllt jeden Raum, denn er ist in jedem
Raum gegenwärtig, aber er wird von keinem Raum
umschlossen. Die Unermesslichkeit oder Raumlosigkeit
Gottes besagt, dass jede räumliche Beschränkung von ihm
ferngehalten werden muss. Die Heilige Schrift bezeugt
die Erhabenheit Gottes über alle räumlichen Maße. Das
Weltall reicht nicht aus, ihn zu fassen. Als König
Salomon den Tempel, den herrlichen Tempel in Jerusalem
gebaut hatte, da betete er: „Herr, siehe, der Himmel und
die Himmel können dich nicht fassen, um wie viel weniger
dieses Haus, das ich erbaut habe.“ Noch einmal: „Die
Himmel der Himmel können dich nicht fassen, um wie viel
weniger dieses Haus, das ich erbaut habe.“
Meine
lieben Freunde, so muss es sein. Es muss so bleiben,
wenn Gottes Wirklichkeit für den Menschen unerreichbar
und unangreifbar bleiben soll. Wenn Gott im Weltenraum
anzutreffen wäre, dann wäre er von derselben Art wie die
geschaffenen Dinge, dann wäre er nicht mehr Gott. Der
Gott, der im Weltraum auffindbar wäre, hörte auf, Gott
zu sein. Gott ist der ganz andere. Er ist anders als
alles, was uns in der Erfahrung begegnet. Er ist anders
als alles in der Welt. Er ist überweltlich. Deswegen
tritt die Raumfahrt dem Glauben an Gott nicht zu nahe,
und Gott wird durch die Raumschiffe nicht gestört. Der
Himmel bleibt eine Wirklichkeit, auch wenn die
Kosmonauten sie nicht erreichen können. Gott allein
verfügt über den Eintritt in sein himmlisches Reich. Wer
aus der Raumfahrt falsche Folgerungen für den Himmel und
für Gott zieht, der hat Gott und den Himmel nicht
verstanden; an dem wiederholt sich, was im 2. Psalm
geschrieben steht: „Es toben die Volker, die Nationen
machen vergebliche Pläne. Die Großen haben sich
verbündet gegen den Herrn und seinen Gesalbten. Laßt uns
ihre Fesseln zerreißen.“ Und was antwortet Gott auf
diesen Aufstand? „Der im Himmel thront, lacht, er lacht
ihrer und verspottet sie.“
Amen.