Geliebte im
Herrn!
Es liegt
eine eigenartige Weihe über den Texten der heutigen
heiligen Messe. Sie sind von einer Stimmung erfüllt, die
man leichter nachfühlen als beschreiben kann. Vielleicht
verstehen wir die Texte am besten, wenn wir annehmen,
dass die Jüngergemeinde in der Stunde, zu der sie im
Abendmahlssaale versammelt war, ähnliche Gedanken gehabt
und ähnliche Gebete gesprochen hat. Wir müssen uns in
die Jüngergemeinde hineindenken, die nach der
Himmelfahrt des Herrn im Abendmahlssaal, wie wir wissen,
versammelt war. Das Ereignis der Himmelfahrt hat sie
zutiefst bewegt. Es klingt eine Jubelstimmung in ihnen:
Aufgefahren ist Gott im Jubel, der Herr beim Schalle der
Posaunen. Die Himmelfahrt war für die Jünger kein
trauriges, sondern ein freudiges Ereignis, und sie sind
jetzt innerlich zur Ruhe gekommen. Sie wissen, der
Meister ist endgültig eingetreten in die jenseitige
Welt. Er ist enthoben aller Gefährdung. Auf Erden hat er
sich seinen Hassern und Verfolgern ausliefern wollen.
Aber jetzt ist er ihnen entzogen, jetzt ist der Haß
seiner Feinde nicht mehr fähig, ihm Leides zuzufügen. Er
ist einmal gestorben für die Sünden, jetzt stirbt er
nicht mehr.
Er ist auch
eingegangen in die Herrlichkeit des Vaters, hat Platz
genommen zur Rechten des Vaters, also am Ehrenplatz des
Vaters. Ohne Bild gesprochen: Er hat die Herrlichkeit
des Vaters empfangen und die Herrschaft über Himmel und
Erde angetreten. Er hat auch den Lohn empfangen für sein
Leben, Leiden und Sterben. Jetzt hat er einen Namen
bekommen, der über alle Namen ist, so dass sich in
diesem Namen alle Knie beugen müssen im Himmel, auf der
Erde und unter der Erde. Die Freude über die Aufnahme
Jesu in die Herrlichkeit des Vaters lebt in den Jüngern.
Aber nicht
nur die Freude. Auch die Sehnsucht ist in ihnen wach
geblieben, die Sehnsucht, sein Antlitz zu schauen. Im
Eingangslied haben wir ja gerade gebetet: „Erhöre, o
Herr, mein Rufen. Es spricht zu dir mein Herz. Zeige mir
dein Antlitz, dein Antlitz wende nicht hinweg von mir.“
Die Sehnsucht bleibt, den Herrn zu sehen, sein geliebtes
Antlitz zu schauen. Dieses Lied könnten die Jünger im
Abendmahlssaal gesungen haben, in ihm lebt die
christliche Sehnsucht nach dem Kommen des Herrn, die in
dem Rufe ausklang: „Maranatha“ – Komm, Herr Jesus!
Diese
Sehnsucht teilen wir, meine Freunde. Auch wir harren auf
den Herrn. Wir warten auf seine Wiederkunft, „von dannen
er kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten“,
so beten wir in jedem Credo der heiligen Messe. Wir sind
gewiß, dass der Herr seine Verheißung erfüllen wird. Er
wird wiederkommen mit großer Macht und Herrlichkeit. Die
Engel haben es bei der Himmelfahrt angekündigt: „Dieser
Jesus, den ihr habt auffahren sehen, wird so
wiederkommen, wie ihr ihn habt auffahren sehen.“ Wir
wissen nicht, wann er kommen wird. Die Uhr Gottes geht
anders als die Uhren der Menschen. Vor ihm sind tausend
Jahre wie ein Tag. Der Herr wird kommen, wann seine
Stunde geschlagen hat. Und eines ist sicher: Was
jederzeit eintreten kann, ist immer nahe. Deswegen haben
alle Generationen der Christen mit dem Kommen des Herrn
gerechnet, mit Recht gerechnet. Und ich sage noch
einmal: Was jederzeit eintreten kann, ist immer nahe. Er
wird kommen, und alle werden ihn sehen, die Blasierten
und die Skeptiker, die Hasser und die Verfolger, die
Agnostiker und die Atheisten, und auch die, die ihn
durchbohrt haben. Sie alle werden ihn sehen.
In der
Epistel ergreift das Oberhaupt der Urkirche, Petrus, das
Wort. Nach der Himmelfahrt hat er sofort die Leitung der
Gemeinde übernommen, und als geistlicher Hausvater
spricht er zu uns in der Epistel, knapp, nüchtern, wie
es seine Art war, ein rauher Fischersmann. Seine
Forderungen sind klipp und klar: Seid klug und wachsam
im Gebete! Liebet einander allezeit! Seid gastfreundlich
zueinander ohne Murren! Dienet einander! Das sind seine
Weisungen. Sie gipfeln in der Liebe zueinander. Die
Nächstenliebe ist nun einmal das Hauptgebot des
Christentums, und ihm zu genügen, ist uns täglich
aufgegeben.
In jenen
Tagen nach der Himmelfahrt war das Evangelium noch nicht
aufgeschrieben. Aber alles, was der Herr gesagt hatte,
war lebendig in den Herzen der Jünger. Sie erinnerten
sich an seine Abschiedsrede am Gründonnerstag, und die
haben wir ja eben im Evangelium vernommen: „Wenn der
Tröster kommt, den ich vom Vater senden werde, der Geist
der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, er wird Zeugnis von
mir abgeben.“ Sie wissen, wie notwendig sie dieses
Zeugnis brauchen. So vieles ist ihnen dunkel und unklar
geblieben, und so harren sie jetzt auf die Verheißung,
die der Herr ihnen gegeben hat. Der Tröster, er wird
kommen! Er heißt der Geist der Wahrheit. Das bedeutet:
Er ist die Wahrheit, und er lehrt die Wahrheit. Der
Geist der Wahrheit, er ist die Kraft der Verkündigung
und die Seele der Kirche. Kraft dieses Geistes steht die
Kirche in der Wahrheit. Ohne diesen Geist wäre die
christliche Kirche längst in Irrtum und Wahn versunken,
hätten sich die Menschen Gott nach ihrem Bilde
geschaffen, hätten sie die Gebote Gottes nach ihren
Gelüsten gemodelt. Das ist das Geheimnis der
katholischen Kirche, dass in ihr der Geist der Wahrheit
lebendig ist. Wir kennen die Ärgernisse, wir kennen die
Verluste, wir kennen die Schwächen. Wir wissen das
alles, und wir verheimlichen es nicht. Aber wir glauben
an diese Kirche, weil der Geist der Wahrheit sie bewegt
und belebt und weil er in ihr herrscht. Man wird immer
in dieser Kirche die Wahrheit finden können. Sie mag hie
und da verborgen sein, es gibt falsche Propheten auch in
unserer Kirche. Aber der Geist der Wahrheit sorgt dafür,
dass die Wahrheit niemals untergehen wird in dieser
Kirche.
Der Geist
der Wahrheit ertüchtigt auch die Gläubigen, Zeugnis von
der Wahrheit abzulegen. Das Zeugnis ist ein dreifaches.
Es ist einmal ein Zeugnis des Wortes. Wir müssen mit
unserer Rede für die Wahrheit des Glaubens einstehen.
Wir haben die heilige Pflicht, den Menschen, die uns
begegnen, Zeugnis von der Wahrheit zu geben. Das Zeugnis
ist zweitens ein solches des Lebens. Unser Leben muss
für die Wahrheit zeugen. „Führt einen ehrbaren Wandel
unter den Heiden“, so mahnt der Apostel. „Sie sollen
eure guten Werke sehen und Gott preisen am Tage der
Heimsuchung.“ Aber das Zeugnis kann auch drittens ein
Zeugnis des Blutes sein. Es werden Verfolgungen über die
Christen kommen, und nur in der Kraft des Heiligen
Geistes können sie die Verfolgungen überstehen. Solche
Zeugen hat es gegeben und gibt es immer wieder, meine
lieben Freunde.
Am 1. Mai
ist Freiherr Philipp von Boeselager gestorben im Alter
von 91 Jahren. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung
schrieb von ihm, er sei ein überzeugter und
überzeugender Katholik gewesen – ein überzeugter und
überzeugender Katholik! Und wir haben einen Herrn in
unserer Mitte, der das bezeugen kann. Unser lieber
Lorenz Schreiber aus Klein-Winternheim hat in seinem
Regiment gedient. Herr Schreiber, ich darf Sie bitten,
stehen Sie einmal auf, damit die Leute sehen, wen wir
unter uns haben! Er kann bezeugen, dass Philipp von
Boeselager wahrhaftig ein gläubiger und bezeugender
Katholik war. Dieser Offizier hat zur heiligen Messe
gedient, wenn Feldgottesdienst war, und das im Heere
Hitlers. Einmal war Philipp von Boeselager eingeladen in
einer Runde von Generälen, und der General Burgdorf, der
Chefadjutant Hitlers, erklärte: „Nach dem Kriege werden
nicht nur die Juden aus der Wehrmacht entfernt, sondern
auch die Katholiken!“ Da stand Boeselager auf und sagte
zu Burgdorf: „Das ist ja interessant, was Sie da sagen.
Ich bin aktiver Offizier. Ich bin fünfmal verwundet, ich
habe im Kampf für unser Volk das Ritterkreuz empfangen.
Da muss ich mich also nach dem Kriege nach einem anderen
Beruf umsehen.“ So ist Boeselager vor Burgdorf
hingetreten und hat seinen Glauben bekannt. Gott braucht
solche Zeugen, meine lieben Freunde. Aber Zeuge kann man
nur sein, wenn man überzeugt ist. Die letzte innere
Sicherheit des Glaubens gibt nur der Heilige Geist. „Was
nicht aus deinem Herzen stammt, das dringt auch nicht zu
Herzen. Das Licht, das dir im Auge flammt, es leuchtet
sehr und zündet mehr als hunderttausend Kerzen.“
Die letzte
innere Sicherheit des Glaubens ist nur möglich als
Geschenk des Heiligen Geistes. Und das müsste unser
großes Gebet sein in der Pfingstoktav, dass wir die
Kraft des Geistes empfangen, dass wir die Firmungsgnade
in uns erneuern, dass es hell und stark in uns wird, um
Zeugnis abzulegen von unserem Glauben, um Rechenschaft
zu geben von der Hoffnung, die uns beseelt.
Welches Maß
an Prüfungen uns bevorsteht, wissen wir nicht. Aber wir
ahnen, dass es kälter wird um uns. Die Gleichgültigkeit
gegen die Religion und der Haß gegen die Religion nehmen
zu. Wir Priester spüren zuerst, am allerersten die
Feindseligkeit, die Abwehr und das Befremden der
Menschen, wenn sie uns begegnen. Aus ihren Augen, aus
ihrem Gesicht, aus ihrem Verhalten spricht das
Erstaunen, die Verwunderung, das Befremden. Was, gibt es
die auch noch, die Pfaffen? Was wollen die noch? Wir
werden harten Zeiten entgegengehen, aber, meine Freunde,
wir sind nicht verlassen. Um der Auserwählten willen
werden die Tage der Prüfung abgekürzt werden. Der
verklärte Herr zur Rechten des Vaters hat uns nicht
vergessen. Er betet für uns mit einem Gebet für seine
Zeugen. Mit einem Lied von ergreifender Innigkeit
geleitet uns heute die Kirche zum Opfermahl: „Vater.
solange ich bei ihnen war, habe ich sie bewahrt, die du
mir gegeben hast. Jetzt aber gehe ich zu dir. Ich bitte
nicht: Nimm sie weg von der Welt, sondern ich bitte:
Bewahre sie vor dem Bösen!“
Der Herr
betet für uns. Und welches Gebet kann inniger,
dringender und der Erhörung gewisser sein als das Gebet
unseres Herrn? Er betet in uns und für uns, dass wir
bewahrt bleiben vor der Ansteckung der Welt, dass der
Unrat uns nicht ergreift und dass die Versuchung uns
nicht überwindet.
Amen.
Geliebte,
in heiliger Pfingstfreude Versammelte!
Vom
heiligen Philipp Neri stammt das Wort: „Es ist kein
gutes Zeichen, wenn man an Hochfesten sich nicht
besonders ergriffen fühlt.“ Heute ist ein solches
Hochfest, das Hochfest des Heiligen Geistes, des
Heiligen Geistes, dessen Früchte Friede und Freude sind.
So wollen wir versuchen, die Freude auch in uns zu
erwecken, die Freude, die vom Heiligen Geiste stammt.
Ich möchte zu Euch sprechen von der Würde, die Ihr
besitzt.
Wenn Sie,
meine lieben Freunde, das Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland aufschlagen, da finden Sie den ersten Satz,
der lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Was ist die Menschenwürde? Worin gründet sie? Wer
garantiert sie? Darüber gibt das Grundgesetz keine
Auskunft. Das ist der Auslegung in den Kommentaren und
der Rechtsprechung überlassen. Darin liegt eine große
Gefahr. Denn es ist in Deutschland genauso wie in
Russland, und von Russland schreibt Horst Teltschik
dieser Tage; „Es gibt in Rußland kein allgemeines
Wertsystem, keine ethischen, religiösen oder
ästhetischen Maßstäbe, die von einem gesellschaftlichen
Konsens getragen sind.“ Diese Feststellung gilt nicht
nur von Russland, sie gilt auch von Deutschland. Auch
bei uns gibt es kein allgemein anerkanntes Wertsystem,
und wegen der Uneinigkeit über die grundwesentlichen
Werte kann es auch keine Einigkeit über das Wesen der
Menschenwürde geben. Dahin kommt es, wenn man die
Religion als Grundlage aller Werte aufgibt.
Wir
Gläubigen sind in der glücklichen Lage, von Gott über
die Würde des Menschen belehrt worden zu sein. Wir
wissen, woher sie kommt und worin sie besteht. Die Würde
des Menschen gründet darin, dass er von Gott geschaffen
und von Gott erlöst ist. Seine Würde besteht in der
natürlichen und übernatürlichen Gottebenbildlichkeit.
Die Welt
macht es uns schwer, uns unserer Würde zu freuen. Wir
sind Staubkörnchen in einer großen Menge. Wir sind
Nummern in einer großen Zahl. Und doch will der Mensch
etwas sein, will etwas gelten. Wenn wir einmal
hinüberschauen in das Zweistromland, wo Euphrat und
Tigris fließen, da stoßen wir auf Trümmer, auf die
Trümmer des Turmbaus von Babel. Da wollten die Menschen
auch etwas sein und gelten, und sie versuchten einen
Turm zu errichten, der in den Himmel reicht. Der Mensch
will etwas gelten, und das ist berechtigt, denn Gott hat
ihm eine Geltung verliehen. Im Alten Bunde hatte Gott
sich ein Volk auserwählt. Er führte dieses Volk in die
Wüste, und er selbst zog voran in einer Wolkensäule. Das
Volk folgte erschauernd und flüsterte: „Gott ist mit
uns.“ Man baute ein Bundeszelt, um eine Wohnstätte für
Gott zu bereiten. Eine Wolke ließ sich auf der heiligen
Lade nieder, und Moses rief jubelnd aus: „Wo ist ein
Volk, dem seine Götter so nahe sind wie unser Gott?“
Moses begehrte noch mehr: Er wollte die Herrlichkeit
Gottes schauen. Aber der sterbliche Mensch ist unfähig,
Gottes Herrlichkeit zu schauen. Nur ein Abglanz, ein
ferner Abglanz der Herrlichkeit Gottes wurde ihm
gewährt, und Moses hat niemals darüber gesprochen, als
hätte es ihm die Sprache verschlagen.
Aber noch
viel inniger und herzlicher wollte Gott mit den Menschen
verkehren. Das war, als er ein Mensch wurde unter den
Menschen, als er an den Ufern des Jordan entlang
wanderte und über die Berge Judäas schritt. Einmal stand
er am Jordan, und Johannes der Täufer wies mit dem
Finger auf ihn: „Seht, das Lamm Gottes!“ Das hörten zwei
von seinen Jüngern, und sie folgten Jesus nach; es waren
Johannes und Andreas. Jesus schaute sich um und fragte
sie: „Was sucht ihr?“ Da kam es über ihre Lippen,
verlegen, so wie Kinder verlegen fragen: „Meister, wo
wohnst du?“ Lächelnd mag der Herr geantwortet haben:
„Kommt und seht!“ Da kamen sie zu ihm und blieben den
ganzen Tag bei ihm. Wie mögen ihre Herzen geglüht haben,
als der Herr zu ihnen sprach! Noch im hohen Alter,
vielleicht mit 80 Jahren, weiß Johannes davon zu
berichten: „Es war um die zehnte Stunde.“ Das heißt um
16 Uhr nachmittags. So sehr hat ihn diese Begegnung
ergriffen. Es war um die zehnte Stunde!
Es gibt
aber noch eine Stelle in der Heiligen Schrift,
ergreifender als alle anderen, und diese Stelle heißt:
„Wenn jemand mich liebt, so wird er meine Lehre halten,
und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm
kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ Das ist kein schönes
Bild, das ist keine Übertreibung, wie mir einmal ein
Theologieprofessor sagte, sondern das ist eine
Wirklichkeit. Wenn Gott die Seele liebt und die Seele in
der Gnade ist, dann kommt der dreieinige Gott und
schlägt seine Wohnung in der Seele auf. Gewiß ist Gott
allgegenwärtig; die ganze Welt ist wie eine große
Kirche. Aber die Seele des Gerechten ist wie ein
Tabernakel in dieser Kirche. Dort wohnt Gott in
geheimnisvoller Weise. Wenn Mann und Frau sich am Altare
die Hand reichen zum Bunde, dann strömen geheimnisvolle
Kräfte von Seele zu Seele. Aber das ist nur ein
schwaches Bild für die innige Vereinigung des
dreifaltigen Gottes mit unserer Seele. „Wenn jemand mich
liebt, dann werde ich kommen und Wohnung bei ihm
nehmen.“ Gott wollte seine Wohnung aufschlagen unter den
Menschen. Dem Moses befahl er, ein Zelt zu bauen. Das
Kostbarste, was die Israeliten hatten, trugen sie
zusammen, Gold und Silber und Steine und Holz. Das Beste
war gerade gut genug für die Wohnung des Allerhöchsten.
Aber das war gar nichts gegenüber der Wohnung, die Gott
aufschlug in einem Menschen, im besten und reinsten
Menschen, der je auf dieser Erde gewandelt ist. Er
suchte sich das heiligste Menschenkind aus, das
heiligste, und überschüttete es mit seinem Glanz und mit
seiner Gnade, und dann zog er ein, um neun Monate darin
zu wohnen.
Und
wiederum wird das noch übertroffen von dem, was Gott mit
der Seele des Gerechten tut. Er nimmt bei ihm Wohnung:
„Wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen." Sehen
Sie, meine lieben Freunde, das ist es, was Pfingsten
heißt. Pfingsten heißt sich freuen über den Geist Gottes
in unserer Seele. Wir sprechen von der heiligmachenden
Gnade, und es ist richtig, davon zu reden. Aber die
heiligmachende Gnade ist nicht nur eine neue Qualität,
die den Menschen gegeben wird, sondern die
heiligmachende Gnade bringt auch die ungeschaffene
Gnade, nämlich den dreifaltigen Gott zu uns. Sie macht
den Gerechten zu einem Tempel Gottes. Gott wohnt in uns
nicht nur mit geschaffenen Gnadengaben, die er spendet,
sondern mit seiner ungeschaffenen göttlichen Wesenheit.
„Wißt ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid und der
Geist Gottes in euch wohnt?“ So ruft Paulus in seinem
ersten Korintherbrief den Sklaven in Korinth zu. „Wißt
ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid und der Geist
Gottes in euch wohnt?“ Die Einwohnung Gottes in der
Seele wird dem Heiligen Geist zugeschrieben, und das ist
berechtigt, weil der Heilige Geist eben die Liebe
zwischen Vater und Sohn ist. Aber alle Werke Gottes nach
außen sind der Dreifaltigkeit eigen. Das heißt, wenn der
Heilige Geist in die Seele einzieht, dann auch der Vater
und der Sohn. Wir haben in der Seele des Gerechten die
Einwohnung der drei göttlichen Personen.
Und was
bedeutet das für uns? Zunächst einmal Ehrfurcht, tiefe
Ehrfurcht vor der eigenen Seele. Wenn ein Verstorbener
in einem Hause liegt, dann bewegt man sich auf
Zehenspitzen, da geht man ehrfurchtsvoll durch die
Räume. Es ist, als ob die Majestät der Ewigkeit über
diesem Hause liegt. Aber viel mehr erschauernde
Ehrfurcht müsste um uns sein angesichts einer reinen
Seele, in der Gott eingezogen ist. Haben wir Ehrfurcht
vor dem Gott in unserer Seele! Haben wir Ehrfurcht und
lassen wir uns trösten von dieser Gegenwart! Wenn uns
Demütigungen treffen, denken wir daran: Die Würde ruht
in unserer Brust! Die Sklaven der ersten christlichen
Zeit lachten über die Demütigungen und die unwürdige
Behandlung, die sie über sich ergehen lassen mussten.
Sie wussten, sie haben eine Seele, und in dieser Seele
wohnt der dreifaltige Gott. Viele Menschen wissen nicht,
dass sie eine Seele haben, und verhalten sich
entsprechend. Sie denken an Essen und Trinken an
Pfingsten; sie wissen nicht, dass sie eine Seele haben.
Und wir treffen Menschen, denen die Sünde zur Gewohnheit
geworden ist. Arme Menschen; sie wissen nicht, dass sie
eine Seele haben. Wir aber wissen es, und wir wollen
Ehrfurcht vor dieser Seele haben, Ehrfurcht vor der
Wohnung, in der Gott sein Zelt aufgeschlagen hat. „Wenn
wir durch den Geist das Leben haben, so lasst uns auch
im Geiste wandeln,“ schreibt Paulus an die Gemeinde in
Galatien. Wenn wir durch den Geist das Leben haben, dann
lasst uns auch im Geiste wandeln! Und in der Tat, durch
das Sakrament der Taufe wurden wir zu einem Tempel des
Heiligen Geistes. Wir wollen ihn nicht vertreiben durch
schlechte Handlungen. „Betrübet den Geist nicht, mit dem
ihr besiegelt seid,“ schreibt Paulus an die Gemeinde in
Ephesus. Betrübet den Geist nicht, mit dem ihr besiegelt
seid! Und an seinen Schüler Timotheus schreibt er:
„Bewahre das dir anvertraute köstliche Gut durch die
Kraft des Geistes, der in dir wohnt!“
Wißt ihr
nicht, dass ihr Tempel Gottes seid und der Geist Gottes
in euch wohnt? Diese Überlegung, diese Überzeugung,
diese Wirklichkeit kann uns eine große Kraftquelle sein,
meine lieben Freunde. Wenn die Versuchung uns naht, wenn
die Schwäche uns übermannen will, dann denken wir an das
Wort des heiligen Stanislaus Kosta: „Ich bin zu Höherem
geboren.“
Man klagt,
dass es so wenige Kirchen des Heiligen Geistes gibt. Ich
glaube, der Grund liegt darin, dass wir eben selbst
Wohnungen des Heiligen Geistes sind. Wir tragen den
Heiligen Geist in uns und brauchen deswegen nicht unsere
Kirchen dem Heiligen Geist zu weihen, so löblich dieses
Beginnen ist. Wir freuen uns, dass wir einmal unsere
Seele schauen werden, wenn wir in der Ewigkeit sind.
Dort werden wir ja, so hoffen wir, unsere Lieben wieder
finden. Dort werden wir das Vaterauge Gottes schauen.
Aber wir werden dort auch unsere Seele schauen. Suarez,
der große spanische Theologe, lag im Sterben. Er hatte
wie wenige in die Wirklichkeit Gottes hineingeschaut.
Jetzt lag er blaß und ergeben und wartete auf sein
letztes Stündlein. Da ist uns das Wort überliefert, das
er in dieser Stunde gesprochen hat: „Videbo animam meam
– Ich werde meine Seele schauen.“ Darauf freute er sich,
und das machte ihm das Sterben lieb. Auch wir werden
unsere Seele schauen. Jetzt mühen wir uns um sie und
sorgen uns um sie. Wir tragen das Leid, wir bringen es
zur heiligen Kommunion, alles für die Seele, die doch
niemals auf Erden zu schauen ist. Aber der Pfingstjubel
soll in unserer Seele sein: Wir werden unsere Seele
schauen. Wir sind kein Stäublein, das irgendwo zugrunde
gehen wird. Wir besitzen eine unsterbliche Seele, und
wir wollen uns zu dieser Seele neigen und Gott in ihr
anbeten. Wir schön muss eine Seele sein, dass der
dreifaltige Gott in ihr seine Wohnung aufschlagen
konnte.
Amen.
Geliebte im
Herrn!
Pfingsten
ist heute. Die Kirche weitet den Pfingstsonntag aus für
die ganzen folgenden Tage, die Pfingstoktav, und mit
Recht. Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes und
damit auch das Fest der Gnade. Denn der Heilige Geist
ist der Träger und der Bringer der Gnade. Wir feiern
heute gewissermaßen die letzte Tat des Auferstandenen,
nämlich die Sendung des Heiligen Geistes.
Gnade.
Brauchen wir Menschen Gnade? Es gibt zweifellos
Zeitgenossen, denen sind der Beruf, das Essen und das
Trinken und die Vergnügungen dieser Erde mehr wert als
die Gnade. Für jeden denkenden, in sich selbst
schauenden und sich erkennenden Menschen aber ist die
Notwendigkeit der Gnade offensichtlich. Denn er kennt
Stunden des Verzagens an sich selbst, Stunden, wo er
seine Kraft fehlen spürt. Wie oft haben selbst die
Großen im Gottesreich, wie Moses oder Isaias, Stunden
solchen Verzagens erlebt und gesagt: „Herr, sende mich
nicht! Sende einen anderen, ich bin zu schwach.“ Es
scheint, als ob in unseren Tagen die Seelen besonders
die Notwendigkeit der Gnade verspüren ob ihrer Ohnmacht.
Ich rede nicht von denen, die sich mit törichten
Entschuldigungen von ihren Verfehlungen freizukaufen
versuchen: Man kann nicht immer die Wahrheit sagen,
nicht wahr? Und: Man kann nicht immer die Keuschheit
üben. Von solchen rede ich nicht, sondern in spreche
hier von jenen, die sich ringend bemühen, den Willen
Gottes zu erfüllen, die aber dennoch oft von heiliger
Verzagtheit ergriffen werden, von jener Stimmung, an der
kein Mensch ohne tieferes Nachdenken vorbeikommt.
Menschen, die spüren, dass sie rufen müssen: Aus der
Tiefe rufe ich, Herr, zu dir. Das haben wir vielleicht
empfunden, als ein schweres Leid uns niederdrückte, als
wir unsere Kraft zerbrechen spürten, als unsere Seele
wimmernd vor dem Herrgott stand. Vielleicht haben wir
unsere Ohnmacht auch gespürt, als wir mit Lob
überschüttet wurden, mit Lobsprüchen; denn ein
ehrlicher, sich selbst kennender Mensch denkt dabei: O,
wie werde ich da verkannt! Wie sind die Menschen
grausam! Wie weh tun sie mir mit ihrem Lobe! Denn ihr
zeigt mir nur, wie ich sein sollte, und nicht, wie ich
bin. Manchmal werden wir durch eine Niederlage aus
unserem selbstsicheren Wesen herausgerissen und
erschrecken über uns selbst: So also bin ich! Ich weiß
nicht, ob Sie schon einmal beobachtet haben, meine
lieben Freunde, wenn ein gütiger Mensch, den man sich
gar nicht anders als wohlwollend vorstellen kann, die
Herrschaft über sich selbst verliert. Da geht es wie ein
Erschrecken durch alle Seelen in der Umgebung: So ist
der auch? Auch der ist so? Und vielleicht erschrickt
dieser arme Mensch im nächsten Augenblick über sich
selber: So also bin ich – nach Jahren der Arbeit an mir,
nach vielen Mühen eines jahrelangen, jahrzehntelangen
Christenlebens? So also bin ich? Wer ist nicht schon
einmal über sich selbst erschrocken? Ich bin ja gar
nicht so, wie ich mich nach außen gebe und wie die
Menschen von mir annehmen. Ich habe bei dem englischen
Kardinal Heenan in seiner Autobiographie „A Crown of
Thorns“ den ergreifenden Satz gelesen: „Wenn die
Menschen wüssten, wie ich wirklich bin, würden sie allen
Respekt vor mir verlieren.“ Das schreibt der englische
Kardinal Heenan.
Und dann
kommt noch die äußere Not dazu, in der Gegenwart, in der
Zukunft. Wer mit wachen Augen durch die Welt geht, der
kann gar nicht an dieser Not vorübergehen – das Klima,
die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Jugend, die
Kirche, die Priester, der Priesternachwuchs. So viele
Sorgen, so viele Befürchtungen. Was soll noch werden?
Wie soll es weitergehen? Was soll aus mir werden? Werde
ich das Leben, seine Prüfungen und seine Entbehrungen
bestehen? Werde ich mit der Last meiner Vergangenheit,
den Anforderungen meiner Gegenwart und den
Ungewissheiten meiner Zukunft zurechtkommen?
Aus diesem
dunklen Hintergrunde, meine lieben Freunde, lässt die
Kirche das Licht ihrer Lehre von der Gnade aufleuchten.
Zwei Sätze möchte ich Ihnen heute einprägen. Erstens: Es
gibt eine Gnade! Es gibt geheimnisvolle Kräfte, welche
die Seele treffen, eine innere Freudigkeit, eine
Erleuchtung, eine Wegweisung, einen innerer Antrieb. Und
das alles kommt von Gott. Es ist nicht wahr, dass es nur
elektrische Energie gibt oder Gravitationsanziehung.
Nein, es gibt auch Kräfte, die in die Seele selbst
greifen und die Seele in ihren tiefsten Gründen
anrühren. Was ist die Gnade? Der Katechismus gibt die
Antwort, die immer gültig sein wird, wie sie gültig war,
als die ersten Katechismen entstanden. Die Gnade ist
eine innere Gabe, die Gott uns zu unserem ewigen Heile
verleiht. Jede innere Gabe, die Gott uns zu unserem
Heile verleiht, nennen wir Gnade. Und Sie erinnern sich
auch, dass es zwei hauptsächliche Arten von Gnade gibt,
die helfende Gnade und die heiligmachende Gnade. Die
helfende Gnade ist jene Kraft, mit der wir das Gute zu
erkennen und zu tun vermögen und das Böse zu meiden
imstande sind. Die heiligmachende Gnade macht uns Gott
wohlgefällig, zu Kindern Gottes und zu Erben des
Himmels. Sie gibt unserer Seele eine neue Qualität. Und
diese Gnade brauchen wir. Unsere Bekehrung zu Gott ist
unmöglich ohne seine anregende und helfende Gnade. Die
Gnade kommt dem, der nicht will, zuvor, dass er wolle,
und die Gnade folgt dem, der will, dass sein Wollen
nicht vergeblich bleibe. Niemand ist imstande, das Gute
zu tun, das er will, und das Böse zu meiden, das er
nicht will, außer durch die Gnade Gottes.
Manchen
kommen die Gebote Gottes schwer vor: Ich kann es nicht,
ich schaffe es nicht, Gott befiehlt Unmögliches. Nein,
meine Freunde, Gott befiehlt nicht Unmögliches, aber
Vollkommenes. Wenn er befiehlt, mahnt er zugleich, das
zu tun, was wir können, und das zu erbitten, was wir
nicht können. Und dann hilft er, dass wir es können. Der
erste Satz lautet: Es gibt eine Gnade!
Der zweite
Satz heißt: Alle Gnade wird uns gegeben um der
Verdienste Jesu Christi willen. Wir sprechen deswegen
von der Gnade Christi. Er hat sie uns verdient durch
sein Leben, Leiden, Sterben, Auferstehen und
Himmelfahren. Die Kirche pflegt ihre liturgischen Gebete
zu schließen mit der Formel: „Durch Jesus Christus.“ Das
ist keine Floskel, das ist keine Phrase, meine lieben
Freunde. Das ist eine fundamentale theologische Aussage.
Denn diese Worte: „Durch Jesus Christus“ –durch! –
wollen uns erklären, dass Jesus unser Mittler ist, dass
er unsere Gebete zu Gott trägt und dass er von Gott die
Erhörung erwirkt. „Durch Jesus Christus“, das sollten
wir mit Bewusstsein und mit Verstand beten. Damit
appellieren wir an das Herz unseres Heilandes, an das
Herz unseres Mittlers. „Es gibt nur einen Mittler
zwischen Gott und den Menschen, den Menschen Jesus
Christus.“ So schreibt Paulus in seinem ersten Brief an
Timotheus. Und im Hebräerbrief, da steht der
fundamentale Satz: „Jesus ist der Mittler eines neuen
Bundes.“
Wir
sprechen also von der Gnade Christi und meinen damit das
Erlösungswerk, das Gott in Christus zu unserem Heile
gewirkt hat. Wir appellieren an die Wunden Christi, die
zu unserem Heile geöffnet wurden. Und die Gnade trifft
uns so, wie jetzt im Frühling die Sonne das neue Leben
hervorbringt. Wenn die Strahlen der Sonne kommen, die
Wärme mit sich bringen, dann erwacht das Leben. Es ist
ergreifend, das in unseren Gärten und auf den Feldern zu
beobachten. Überall fängt es langsam an zu grünen, und
manchmal fast explosionsartig. Ähnlich ist es mit der
Gnade. Die Strahlen der Gnade gehen aus dem Herzen Jesu
hervor und treffen uns. Sie treffen das schlafende Kind,
das zur Taufe getragen wird, sie treffen den Kranken auf
dem Operationstisch, und sie treffen den Sterbenden. Sie
begleiten auch den Priester am Altare, und sie treffen
den gläubigen Beter im Kämmerlein und in der Kirche.
Dieser Glaube an die Gnade gibt uns Zuversicht, Trost
und Kraft. Ja, es gibt eine geheimnisvolle Welt mit
ihren Wundern hinter den äußeren Dingen. Das ist der
Grund für die Zuversicht der Kirche. Menschlich gesehen
müsste man verzagen und verzweifeln; menschlich gesehen
ist alles verloren. Aber wir rechnen eben nicht nur mit
dem Menschlichen, wir rechnen mit dem Göttlichen, wir
rechnen mit der Gnade, und wir bauen auf die Gnade, und
wir hoffen gegen alle irdische Hoffnung, gestützt auf
göttliche Hoffnung.
Was wäre
die Welt, wenn wir diese Gnade nicht hätten? Wenn ein
Gewohnheitssünder in den Beichtstuhl kommt und der
Priester fragt ihn: Wie lange leben Sie in diesem
Zustand? 15, 20 Jahre. Wenn man nicht wüsste, dass es
eine Gnade gibt, dann wäre es zum Verzweifeln. Aber wir
wissen, dass auch einen solchen Gewohnheitssünder die
Gnade herausreißen kann aus seiner Not. Oder wenn ein
Menschenkind in einer ganz verseuchten Umgebung
heranwächst, in der es nach menschlichem Ermessen nicht
gut bleiben kann, wenn man nicht wüsste, dass es eine
Gnade gibt, dann müsste man auch hier verzweifeln. Oder
was soll ich von uns Seelsorgern sagen, meine lieben
Freunde? Wenn wir durch die Straßen gehen und wissen,
wieviel Abfall, wieviel Abständigkeit, wie viel Laster
in diesen Häusern wohnt, dann müssten wir nach
menschlichem Ermessen verzweifeln, dann wäre das
Priesterleben das nutzloseste und sinnloseste der ganzen
Welt. Aber nein: Es gibt eine Gnade, und sie vermag den
Gewohnheitssünder zur Umkehr zu bewegen. Sie vermag
Kinder aus diesen Miasmen der Verdorbenheit zur Reinheit
zu führen. Und sie vermag dem Priester Zuversicht zu
geben, dass sein Wirken letztlich doch nicht umsonst,
nicht vergeblich ist. Es gibt eine Gnade!
Wenige
haben sie so tief erfahren wie der heilige Augustinus.
Sie wissen, dass er im Laster gelebt hat und nach langem
Kampfe erst sich bekehrt hat. Er schildert seine
Bekehrung in seinen „Confessiones“ – in seinen
Bekenntnissen. Und das ging folgendermaßen zu. Ein Gast
war zu ihm gekommen und erzählte ihm von der
merkwürdigen Bekehrung zweier Menschenseelen am
kaiserlichen Hofe. „Während der Erzählung“, so berichtet
Augustinus, „schaute ich mich und erschrak, und ich
wusste doch nicht, wohin ich fliehen sollte.“ Das
Erschrecken über sich selbst, das Erschrecken über sich
selbst ist häufig der Anfang der Bekehrung. Augustinus
stürzte hinaus in den Garten. Er war nicht mehr der
feingebildete Rhetor voller Selbstbeherrschung, sondern
nur noch der ringende Mensch. Der Freund folgte ihm; er
wollte ihn in dem zerrütteten Seelenzustand nicht
alleine lassen. Weit weg vom Hause setzten sie sich
nebeneinander. Augustinus beschreibt dann, wie er seine
Fassung verlor. Er gebärdete sich wie ein Verzweifelter,
und dabei sagte er das Wort: „Du aber, Gott, setztest
mir zu!“ „Du aber, Gott, setztest mir zu!“ Der Freund
saß schweigend neben ihm. Er wusste, dass hier zwei
Welten um Augustinus rangen. Da nützte des Menschen Wort
nichts. „Du aber setztest mir zu!“ Augustinus sprang
auf, ging weiter in dem Garten. Im äußersten Kampf mit
sich selbst warf er sich unter einen Baum: „Du aber
setztest mir zu!“ Es sollte sich entscheiden, ob die
Kirche einen Heiligen oder die Hölle einen Vorkämpfer
gewinnen sollte. Endlich siegte die Gnade. Eine
Kinderstimme rief: „Nimm und lies!“ Er griff zur Bibel,
zu den Paulusbriefen, und las, und seine Seele
gesundete. Das war die Bekehrung des heiligen
Augustinus, wie er sie selbst in seinen „Confessiones“
beschrieben hat. „Du aber setztest mir zu!“ Die Gnade
hat ihm keine Ruhe gelassen. Die Gnade ist ihm gefolgt,
und die Gnade hat ihn besiegt.
Gibt es
nicht auch, meine lieben Freunde, in unserem Leben
Stunden, in denen wir empfinden, dass Gott in unsere
Seele eingreift? Was Augustinus erlebt hat, das hat sich
in unzähligen Leben wiederholt. Warum sprechen wir
davon, und warum hat es Augustinus aufgeschrieben? Er
hat die Antwort gegeben: „Damit niemand sagen kann: Ich
kann nicht.“ Das ist nämlich die Ausrede, die wir
Menschen gebrauchen: Ich kann nicht beten, ich kann
nicht beichten, ich kann nicht in die Kirche gehen – ich
kann nicht. Meine lieben Freunde, zerbrechen wir dieses
Wort! Jeder, der will, kann. Du hast soviel Gnade, dass
du selig werden kannst. Du kannst, weil du musst. Du
kannst, wenn du willst.
Amen.
Geliebte, zur Feier des
heiligen Fronleichnam Versammelte!
Als im 16. Jahrhundert
der Unglaube und der Irrglaube in die Kirche
einzudringen versuchte, da richtete sich ein Hauptstoß
gegen das eucharistische Opfersakrament. Und so hat das
große Konzil von Trient in lichtvoller Weise die
katholische Lehre vom eucharistischen Opfersakrament in
bleibend gültiger Weise vorgelegt. In der 22. Sitzung
dieses Konzils ist Folgendes uns als bleibend gültige
Lehre der Kirche vorgelegt worden: „Um die ewige
Erlösung zu wirken, wollte Christus sich einmal auf dem
Altare des Kreuzes dem Vater zum Opfer darbringen. Sein
Priestertum sollte aber mit seinem Tode nicht aufhören.
Deshalb brachte er beim Letzten Abendmahl seinen Leib
und sein Blut unter den Gestalten von Brot und Wein Gott
dem Vater dar und wollte damit seiner Kirche ein Opfer
hinterlassen, durch welches das blutige, einmal am
Kreuze darzubringende Opfer vergegenwärtigt, das
Andenken daran bis zum Ende der Welt festgehalten und
seine heilsame Kraft zur Nachlassung der Sünden
zugewendet wurde, die von uns täglich begangen werden.“
So hat das Konzil von Trient die Meßopferlehre der
Kirche dargelegt.
Das Messopfer ist, wie
gesagt, ein gegenwärtiges Opfer, ein wahres und
eigentliches Opfer. Zum Opfer gehören drei Dinge: ein
Opferpriester, eine Opfergabe und eine Opferhandlung.
Der Opferpriester in der heiligen Messe ist kein anderer
als Christus selbst. Er hat das Opfer am Kreuze
dargebracht; er bringt auch das Opfer in der heiligen
Messe dar. Mit der gleichen Gesinnung, mit dem gleichen
Opferwillen wie am Kreuze opfert er in der heiligen
Messe. Er opfert nicht mehr in sichtbarer Gestalt. Aber
wenn das Opfer in der Messe überhaupt einen Sinn haben
soll, dann kann es ihn nur dadurch haben, dass Christus
opfert, freilich in verhüllter Weise durch seinen
Stellvertreter, durch sein Werkzeug, den menschlichen
Priester. Christus ist der Priester, aber er hat einem
Menschen die Vollmacht verliehen, in seiner Person zu
sprechen, zu handeln und zu wirken. Der Priester spricht
in der heiligen Messe die Wandlungsworte: Das ist mein
Leib. Das ist mein Blut. Er spricht sie in der Person
Christi. Er schlüpft gleichsam in die Rolle Christi. Er
spricht die genannten Worte als wirksames sakramentales
Zeichen. Er spricht sie also nicht als jemand, der einen
Bericht vorträgt. Nein, er spricht die Wandlungsworte im
Auftrag, in der Macht und in der Person Christi. Durch
diese Worte geschieht etwas, nämlich die Wandlung von
Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi. Er ist
tatsächlich, wie Pius XI. einmal erklärt hat, ein
zweiter Christus. Und nur dadurch ist das Messopfer das
Opfer Christi. Christus hat das Messopfer nicht nur
befohlen, er hat ihm auch nicht nur seine Kraft
verliehen, er hat es nicht bloß angeregt, nein: Christus
opfert. Unmittelbar und wirksam und persönlich bringt er
dieses Opfer dar. Christus verwandelt die Gaben; der
Priester ist sein Werkzeug, sein Instrument, sein
Mittel, aber die Opferung in der heiligen Messe, nämlich
die Konsekration, die Verwandlung, die geschieht durch
Christus. Hier bestätigt Christus seine priesterliche
Gesinnung und seine priesterliche Würde.
Zum Opferpriester muss
die Opfergabe kommen. Die Opfergabe, die in der heiligen
Messe dargebracht wird, kann keine andere sein als
dieselbe, wie sie am Kreuze dargebracht wurde, nämlich
Christus selbst. Christus, der Gottmensch, ist die
Opfergabe: „Ipse offerens, ipse et oblatio“ – Er ist der
Opferdarbringer, er ist auch die Opfergabe. Christus ist
die vollkommene, nicht zu überbietende Opfergabe in der
heiligen Messe. Und wir, die wir uns am Messopfer
beteiligen, die wir mit Christus opfern, wir opfern
Christus, jawohl, nicht mehr und nicht weniger: Wir
opfern Christus. Die Messe ist ein Selbstopfer Christi
von unendlichem Wert. In diese seine Opfergabe nimmt
unser Hoherpriester alles hinein, was er als der
menschgewordene Gottessohn ist und hat, also seinen
Leib, seine Seele, sein Herz mit allem, was es an
Huldigung und Liebe, an Heiligkeit, Genugtuung und
Verdienst in sich schließt. In der heiligen Messe haben
wir einen Opferpriester, und wir haben eine Opfergabe.
Aber wir haben auch eine
Opferhandlung. Die Opferhandlung der heiligen Messe ist
die Doppelkonsekration von Brot und Wein. Ich möchte Sie
nicht irremachen. Wenn in unseren Gebetbüchern das
Herbeibringen der Opfergaben als Opferung bezeichnet
wird, so ist das nicht falsch, denn das Opfer Christi
nimmt eben damit seinen Anfang. Ohne die Opfergaben kann
es überhaupt nicht geschehen. Brot und Wein sind
unerlässlich. Wenn kein Brot und kein Wein vorhanden
ist, kann sich auch kein Opfer vollziehen. Insofern ist
es nicht falsch, wenn wir vom Beginn der heiligen Messe,
wo der Priester diese Opfergaben in die Höhe hebt,
sagen: Es ist Opferung. Es ist tatsächlich Opferung, es
ist der (notwendige) Beginn der Opferung. Freilich der
Gipfel, der Höhepunkt der Opferung ist erst die
Doppelkonsekration von Brot und Wein. In der
sakramentalen Trennung des Leibes und des Blutes des
Herrn, abgebildet durch Brot und Wein, liegt die
Hinopferung Christi. Die sakramentale Hinopferung ist
der sinnenfällige Ausdruck seiner immerfort lebendigen
inneren Darbringung und Opfertat.
In den letzten
Jahrzehnten ist in manchen katholischen Kreisen versucht
worden, den Opfercharakter der Messe auf das Andenken zu
beschränken, auf das Andenken der Kreuzestat, des
Kreuzesopfers. Das ist falsch. Die Messe ist ein
Andenken, aber sie ist mehr als ein Andenken, sie ist
eine Opferhandlung. Sie ist ein wahres und eigentliches
Opfer. Sie ist eine wahre, in der Gegenwart sich
vollziehende Hinopferung. Christus hat tatsächlich in
jeder heiligen Messe die Absicht, durch die Verwandlung
der Gaben von Brot und Wein in sein heiliges Fleisch und
Blut einen Opferakt zu setzen. Die Opfergesinnung, die
er am Kreuze bewährt hat, tritt in der heiligen Messe in
die Gegenwart hinein. Und deswegen ist es ganz richtig,
zu sagen: Die Messe ist das Kreuzesopfer in
sakramentaler Gestalt. Genau das ist es: das
Kreuzesopfer in sakramentaler, also in veränderter, aber
wirklicher Gestalt. Oder auch, wie mein Lehrer Michael
Schmaus zu sagen pflegte: „Das Messopfer ist eine
sakramentale Epiphanie von Golgotha.“ Eine sakramentale
Epiphanie, also ein In-Erscheinung-Treten von Golgotha,
eine Vorführung, eine Vergegenwärtigung, eine Erneuerung
des Kreuzesopfers. Das Wort Erneuerung wird vom
römischen Katechismus gebraucht und sollte deswegen
nicht eliminiert werden: eine wahre Vorführung, eine
wahre Darstellung, eine wahre Vergegenwärtigung, eine
echte Erneuerung des Kreuzesopfers.
Die Beziehung zum
Kreuzesopfer erklärt, dass das Messopfer kein neues
Opfer ist, kein Opfer neben dem Kreuzesopfer, das dem
Kreuzesopfer Abbruch täte. Das ist ja immer die
Befürchtung der Protestanten gewesen. Aber das ist es
nicht. Die Messe ist das in der Gegenwart in Erscheinung
tretende Kreuzesopfer. Hier wird das Werk unserer
Erlösung tatsächlich gewirkt, so wie es am Kreuze
geschehen ist. Weil wir aber nicht unter dem Kreuze
standen wie Maria und Johannes, deswegen muss eben das
Kreuzesopfer auch unter uns in Erscheinung treten, und
das eben geschieht im Messopfer.
Also noch einmal: Das
Messopfer ist ein Gedächtnis, aber es ist ein Gedächtnis
als Tathandlung. Es ist ein Gedächtnis als gegenwärtiges
Opfer. Es ist ein Gedächtnis, das die Tat Jesu am Kreuze
in die Gegenwart hineinholt, eben durch die
Vergegenwärtigung, repraesentatio, wie das Konzil von
Trient es nennt: repraesentatio, Gegenwärtigsetzung.
Genau das ist es.
Und freilich ist mit dem
Kreuzesopfer, das hier gegenwärtig gesetzt wird, auch
die Auferstehung und die Himmelfahrt des Herrn
verbunden. Denn das Kreuzesopfer ist unvollständig ohne
Auferstehung und Himmelfahrt. Erst durch die
Auferstehung wissen wir, dass Gott das Opfer angenommen
hat. Und sie ist das Ziel dieses Opfers am Kreuze, und
die Himmelfahrt, die Verklärung ist der Abschluß dieses
Geschehens. Deswegen achten Sie auch heute wieder bei
der heiligen Messe darauf: Nach der Wandlung beten wir:
„Daher sind wir denn eingedenk, Herr, deines
heilbringenden Leidens, deiner Auferstehung und deiner
glorreichen Himmelfahrt.“ Wahrhaftig, wir haben den
Herrn gegenwärtig. Wir dürfen uns an ihn klammern. Wir
dürfen sagen: „Jesus, du gehst durch dein Kreuz und
deine Auferstehung und deine Himmelfahrt zum Vater. Nimm
mich mit! Mein Heiland, nimm mich mit!“
Amen.
Geliebte im
Herrn!
Die Großen
dieser Erde haben schon oft der heiligen Kirche schweres
Ungemach bereitet. Im Jahre 483 ließ der König Hunerich,
der König der Vandalen in Nordafrika, einen Befehl
ausgehen, dass alle katholischen Bischöfe sich am 1.
Februar 484 in Karthago zu einem Religionsgespräch
einfinden müssten. Der König war nämlich Arianer, also
ein vom katholischen Glauben Abgefallener, und er wollte
die katholischen Bischöfe zu seiner Religion bekehren.
Die Bischöfe waren in größter Sorge; sie ahnten, was auf
sie zukommen würde. Einige von ihnen, die besonders
durch ihren Scharfsinn hervorragten, waren schon
verschwunden. Als sie am festgesetzten Termin nach
Karthago kamen, da brachten sie das vorformulierte
Bekenntnis zum dreifaltigen Gott mit sich. „In diesem
Glauben wollen wir leben und sterben,“ so sagten sie dem
König. Hunerich entbrannte in Wut und gab das Signal zur
allgemeinen Verfolgung der Katholiken in seinem Reiche.
302 Bischöfe wurden vertrieben, 46 nach Korsika verbannt
zur Zwangsarbeit. Den Gläubigen wurde verboten, den
Bischöfen Nachtlager oder Nahrung zu geben. Den
widerstehenden Gläubigen wurde die Nase abgeschnitten,
wurden die Hände abgehackt, die Ohren wurden ihnen
abgeschnitten. Aber auch dieser Sturm brach sich am
Glauben, und eines Tages ist der Arianismus von der
Bildfläche verschwunden.
Was ist der
Arianismus? Das ist eine Irrlehre, die auf den Priester
Arius zurückgeht. Arius sprach dem Sohne Gottes das
göttliche Wesen und die göttlichen Eigenschaften ab.
Christus – der Logos – ist nicht Gott, sondern ein
Gebilde Gottes, ein Geschöpf Gottes. Er ist das erste
und vornehmste Geschöpf und aus nichts erschaffen, und
zwar zu dem Zweck, damit er bei der Erschaffung der
übrigen Geschöpfe Gott zur Hand gehe. Der Logos ist
veränderlich und entwicklungsfähig; er ist dem Wesen des
Vaters fremd und nur dem Willen nach mit ihm vereint.
Das war die Irrlehre des Arianismus, und gegen sie hat
sich der Glaube, haben sich die Gläubigen und die
gläubigen Bischöfe erhoben, und am 19. Juni 325 haben
sie in Nicäa (in der heutigen Türkei) das
Glaubensbekenntnis formuliert, das wir noch heute jeden
Sonntag in der heiligen Messe beten: „Der Sohn Gottes“,
so heißt es da, „ist aus dem Wesen des Vaters. Gott aus
Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott,
gezeugt, nicht geschaffen, wesensgleich dem Vater, durch
den alles im Himmel und auf Erden entstanden ist.“
Das ist
unser Glaube, der Glaube an den dreifaltigen Gott. Heute
feiern wir das Fest der Dreifaltigkeit, oder vielleicht
ist der Ausdruck besser: der Dreieinigkeit. Wir bekennen
diesen Glauben jedes Mal, wenn wir über uns das
Kreuzzeichen machen. Da sagen wir: „Im Namen des Vaters
und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Und noch
deutlicher wird es, wenn wir das sogenannte kleine
Kreuzzeichen machen, also uns dreimal bekreuzigen, auf
der Stirn, auf dem Mund und auf dem Herzen im Namen des
Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Seitdem
wir getauft sind, tragen wir den dreifaltigen Gott in
unserem Herzen und bekennen wir, dass das ewige Heil das
Werk der Dreifaltigkeit ist. Achten Sie bitte – auch
heute – bei der heiligen Messe im 2. Gebet vor der
Kommunion darauf, wie hier der dreifaltige Gott als
Urheber unseres Heiles angesprochen wird. Da heißt es:
„Herr Jesus Christus, dem Willen des Vaters gehorsam
hast du unter Mitwirkung des Heiligen Geistes durch
deinen Tod der Welt das Leben geschenkt.“ Hier sind sie
beisammen, die drei: „Herr Jesus Christus, dem Willen
des Vaters gehorsam hast du unter Mitwirkung des
Heiligen Geistes durch deinen Tod der Welt das Leben
geschenkt.“
Wenn wir
das Kreuzzeichen machen, dann denken wir zuerst an den
Vater. Er ist der Schöpfer der Welt. Alle kulturlosen
Völker und alle Völker auf hoher Kulturstufe haben einen
Schöpfer als Urheber des Weltalls bekannt, haben sich
zum Herrn aller Dinge bekannt, haben gewusst, dass die
Welt eine höhere Ursache für ihre Entstehung haben muss
als das dürre Prinzip Entwicklung. Jesus aber hat uns
noch mehr gelehrt. Er hat uns gelehrt, dass Gott nicht
nur der Schöpfer ist, sondern dass er unser Vater ist.
Das war seine schönste Predigt, und seine eigene Liebe
zum Vater hat ihn gelehrt, uns mit dem Vater bekannt zu
machen. Seine Apostel haben das aufgenommen. Dem Apostel
Paulus ist es wie ein Licht in der Finsternis
erschienen, als er begriff, dass Gott unser Vater ist.
„Nicht den Geist der Knechtschaft haben wir empfangen,
sondern den Geist der Kindschaft, in dem wir rufen:
Abba, lieber Vater.“ Knechte erben nicht, aber Kinder
erben; und weil wir Kinder sind, erben wir. Uns liegt
das verheißene Erbe bereit, der Himmel der Freuden, das
ewige, wunderbare Reich. Und alles, was uns auf Erden
begegnet, Freude und Leid, Kummer und Schmerz, soll uns
dazu dienen, dass wir nach diesem unvergänglichen Erbe
verlangen. Nur eine Bedingung hat Gott gesetzt, dass wir
gehorsam gegen seinen Willen sind. Sein Wille ist unser
Heil. Meine lieben Freunde, davon müssten wir immer mehr
durchdrungen sein, dass uns nichts erfreuen, beglücken,
befriedigen kann, was gegen Gottes Willen ist. Unser
Glück liegt im Willen Gottes. „Wenn jemand mich liebt,
wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn
lieben, und wir werden kommen und Wohnung bei ihm
nehmen.“ O welche Verheißung! „Wenn jemand mich liebt,
wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn
lieben, und wir werden kommen und Wohnung bei ihm
nehmen.“
Wenn wir
das zweite Kreuzzeichen machen, dann bekennen wir uns
zum Sohne, zum Wort Gottes. Das griechische Wort „logos“
bedeutet ja „Wort“. Das ist natürlich nicht ein
flüchtiger Hauch des Mundes, der damit gemeint ist,
sondern das Wort ist jenes innerste und innerlichste
Wort, in dem Gott sich selber ausspricht, in dem Gott
sein eigenes Wesen ausspricht, das Wort, in dem Gott
sich selbst denkt und erkennt von Ewigkeit her. Dieses
Wort war am Anfang bei Gott, und durch dieses Wort ist
alles geschaffen worden. Es ist selber Gott, „Abglanz
Gottes und Ebenbild seiner Wesenheit“, wie es im
Hebräerbrief heißt.
Nun hat
Gott den Menschen frei geschaffen, und mit der Freiheit
war die Möglichkeit des Ungehorsams gegeben, die
Möglichkeit des Abfalls vom Willen Gottes. Das ist
traurigerweise geschehen. Der Mensch hat die wunderbare
Ordnung Gottes gestört durch seinen Ungehorsam. Und so
machte sich der Sohn Gottes auf, durch seinen Tod das
heilige Erbe des Vaters wiederherzustellen, die
Menschheit zu befreien, mit seinem menschlichen Blute
die alte Schuld auszulöschen. Jesus Christus, er hat,
dem Willen des Vaters gehorsam unter Mitwirkung des
Heiligen Geistes durch seinen Tod der Welt das Leben
geschenkt. Das ist das wunderbare Wort, die zweite
Person in Gott. Die Wiederbegnadigung geschah durch das
Wort.
Mit dem
dritten Kreuze bezeichnen wir das Herz, und damit meinen
wir den heiligen Geist, der seit der Taufe in uns wohnt.
Ja, so ist es: Gottes ewiger Geist, in dem Vater und
Sohn sich lieben, nimmt in dem armseligen kleinen
Menschenherzen Wohnung, erfüllt es mit seinen Gaben,
durchglüht es mit dem Feuer seiner Liebe. Er stärkt, was
schwach ist, er bereichert, was arm ist, er erwärmt, das
kalt ist, er lässt wider grünen, was verdorrt ist, er
heilt alle Schäden. Der große englische Kardinal Manning
hat ein schönes Gebet zum Heiligen Geist verfasst. Es
lautet wie folgt: „O Heiliger Geist Gottes, nimm mich
auf in die Zahl deiner Schüler, leite, erleuchte und
heilige mich, fessele meine Hände, auf dass sie nichts
Böses tun, bedecke meine Augen, dass sie das Böse nicht
mehr sehen, heilige mein Herz, dass das Böse nicht mehr
in mir wohne, sei du mein Gott, sei du mein Führer.
Wohin immer du mich führst, will ich gehen. Was du mir
verbietest, dem will ich entsagen, und was immer du
befiehlst, das will ich, von dir gestärkt, vollbringen.“
Dieses schöne Gebet hat der große, soziale Kardinal
Manning im 19. Jahrhundert verfasst.
Wir begehen
das Fest der heiligsten Dreifaltigkeit, oder besser der
Dreieinigkeit. Die Dreieinigkeit ist und bleibt für
jeden menschlichen Verstand ein undurchdringliches
Geheimnis. Gott ist unbegreiflich. Ja, meine lieben
Freunde, das muss so sein, das kann gar nicht anders
sein. Die Unbegreiflichkeit ist eine Wesenseigenschaft
Gottes. Einen Gott, den wir begreifen könnten, dessen
könnten wir uns bemächtigen, den könnten wir
übermächtigen, dessen könnten wir uns bedienen. Nein, es
muss so sein. Gott muss unbegreiflich sein, damit wir
ihn nicht in unsere Gewalt bringen können. Wir wollen
uns gewiß bemühen, in das Geheimnis der Dreieinigkeit
einzudringen, aber wir sollen auch wissen, dass es
unmöglich ist, Gott zu begreifen. „Wer die Majestät
erforschen will, den zerdrückt ihre Herrlichkeit.“ So
heißt es im Buche der Weisheit. Wer die Majestät
erforschen will, den zerdrückt ihre Herrlichkeit.
Machen wir
also weiter gläubig und mit inniger Liebe das heilige
Kreuzzeichen im Namen des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes. Es soll unser ganzes Wesen, unsere
Gestalt, unsere Seele, unsere Gedanken, unseren Willen
umfassen. Wir wollen es am Morgen machen, wenn wir uns
ans Tagewerk begeben. Wir wollen es am Abend machen,
wenn wir uns erinnern an das letzte Ziel. Wir wollen es
vor dem Beten machen, damit die Gnade Gottes in uns
bleibe. Wir wollen es in der Versuchung machen, damit
wir gegen die Gefahren gewappnet werden. Wir wollen es
beim Evangelium machen und in der heiligen Messe beim
Segen, damit das Wort Gottes in uns bleibe im Acker
unserer Seele. Vom heiligen Sturmius, dem Gefährten des
heiligen Bonifatius, wird berichtet, wie er in dem
damaligen unwirtlichen deutschen Gebiet sich zur Ruhe
begab, indem er das Kreuzzeichen über sich schlug.
Irgendwo im Gestrüpp legte er sich zur Ruhe, aber immer
im Schutze Gottes durch das Zeichen des Kreuzes. Wenn
wir im Kreuzzeichen unser Heil suchen, werden wir es
auch finden, meine lieben Freunde. Jesus Christus hat,
dem Willen des Vaters gehorsam, durch seinen Tod unter
Mitwirkung des Heiligen Geistes uns das Leben geschenkt.
Und im Namen des dreifaltigen Gottes wollen wir unser
Lebenswerk, unsere Gebete und unsere Tage verbringen.
Amen.
Geliebte im Herrn!
Die ganze menschliche
Natur Jesu ist anbetungswürdig; denn sie ist verbunden
mit der Gottheit. Wenn die ganze Natur anbetungswürdig
ist, sind es auch alle ihre Teile. Seit dem Mittelalter,
vor allem seit den Kreuzzügen ist die Verehrung der
menschlichen Natur Jesu und zu ihrer Teile besonders
intensiv geworden. Man hat die heiligen Wunden des Herrn
in besonderer Weise ins Auge gefasst, das Haupt des
Herrn, sein Antlitz, aber auch sein kostbares Blut und
sein heiligstes Herz. Die Herz-Jesu-Verehrung hat sich
seitdem kontinuierlich entwickelt und ihren Höhepunkt
erreicht im 17. Jahrhundert, als eine Jungfrau in
Frankreich, Maria Margareta Alacoque, vom Herrn
besonderer Visionen gewürdigt wurde. Maria Margareta
Alacoque ist die Heroldin der Herz-Jesu-Verehrung
geworden, und ihr verdanken wir das Herz-Jesu-Fest, das
wir am vergangenen Freitag begangen haben.
Die Verheißungen, welche
Margareta Maria Alacoque vom Herrn empfing, sind
bekannt. Ich erwähne nur eine: „Ich werde die Häuser
segnen, wo das Bild meines Herzens aufgestellt ist.“
Ach, meine Freunde, ich denke an meine Vorfahren. Sie
waren arme Leute. Im Hause meiner Großeltern spielte
sich das ganze Leben in der Küche ab, aber über dem
Küchentisch, da hing das Bild des heiligsten Herzens
Jesu. „Ich werde die Häuser segnen, in denen das Bild
meines Herzens aufgestellt ist.“ Margareta Maria
Alacoque hat aber außer den Verheißungen auch andere
Weisungen und Erleuchtungen vom Herrn empfangen. Einmal,
am Fronleichnamstag, als sie vor dem Allerheiligsten
kniete, hörte sie den Herrn zu sich sprechen: „Sieh da,
dieses Herz, das die Menschen so sehr geliebt hat, dass
es nichts sparte, sondern sich ganz verzehrte und
erschöpfte, um ihnen seine Liebe kundzutun! Und zum Lohn
empfange ich von den meisten nur Undank durch
Unehrerbietigkeit und Lästerungen, durch die Kälte und
Verachtung, die sie mir im Sakrament der Liebe bezeigen.
Noch schmerzlicher aber ist es, dass auch Herzen, die
mir geweiht sind, mich so behandeln.“ Das ist eine
Vision gewesen, die der Herr Maria Margareta Alacoque
hat zuteil werden lassen. „Sieh da, dieses Herz, das die
Menschen so sehr geliebt hat.“ Das Heilandsherz, die
menschgewordene Liebe Gottes.
Als der Sohn Gottes
daranging, zu uns Menschen auf die Erde herabzusteigen,
da schuf ihm der Heilige Geist ein Gefäß, ein Gefäß, in
dem er die ganze unendliche Liebe seines Gottesherzens
bergen sollte. Und dieses heilige Gefäß war sein
gottmenschliches Herz. Ganz groß, ganz rein, ganz
lauter, ein Menschenherz, aber ganz anders als wir, ein
Menschenherz, in dem die ewige Liebe Gottes schlug.
Mensch geworden unter uns Menschen, ein Herz, so lauter,
so stark und gewaltig, wie nur dieses Herz eine Liebe
kannte und sonst keines mehr. Wie hat sie sich
verströmt, diese Liebe! Wenn wir aufmerksam und mit
Andacht die Evangelien lesen, da wird es uns warm ums
Herz, wenn wir den Herrn reden und handeln sehen; wenn
wir die Worte seiner Liebe vernehmen: „Kommt alle zu
mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch
erquicken.“ Er lädt die Bekümmerten, die Leidenden, die
Geplagten ein. „Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu
berufen, sondern Sünder.“ Ja, das ist seine Sendung
gewesen, nicht Gerechte zu berufen, sondern Sünder, wie
wir es im heutigen Evangelium gehört haben. Er geht den
Verirrten, den Gestrandeten, den Verlorenen nach. Am
Kreuze noch betet er für seine Peiniger: „Vater, vergib
ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Er sucht sie
zu entschuldigen: „Sie wissen nicht, was sie tun!“ Und
die Taten der Liebe; wir haben es ja gehört: der Freund,
der Zöllner und Sünder, das ist er. Den Verachteten, den
Gemiedenen geht er nach, lädt sie ein und lädt sich bei
ihnen ein, nimmt bei ihnen Wohnung. Das geknickte Rohr
bricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht
aus. Der reuigen Sünderin hat er sich angenommen: „Geh
hin und sündige nicht mehr!“ Und dem reuigen Schächer am
Kreuze verheißt er das Paradies. Und selbst seine
Wundermacht hat er für seine Liebe eingesetzt. Als die
Menschen in der Wüste nicht zu essen haben, wirkt er das
große Wunder der Brotvermehrung: „Mich erbarmt des
Volkes.“ Und aus dem Erbarmen des Herzens wirkt er diese
einmalige Tat. Ebenso, als die Jünger im Seesturm
schreien: „Herr, rette uns, wie gehen zugrunde!“ Da
setzt er wieder seine Wundermacht ein, steht auf, reckt
sich empor: „Schweige! Verstumme!“ Und das Seebeben hört
auf, und der Wind legt sich. Das ist das Herz Jesu. In
der Litanei vom heiligsten Herzen Jesu wird versucht,
die Tiefe dieses Herzens auszuloten. Drei Anrufungen
stellen auf die Liebe des Herzens Jesu ab: „Herz Jesu,
du Feuerherd der Liebe; Herz Jesu, voll Güte und Liebe;
Herz Jesu, du Wohnstatt der Gerechtigkeit und Liebe.“ Es
ist die Liebe eines Gottes, eine Liebe, die nicht müde
wird wie unsere Liebe, eine Liebe, die nicht auswählt,
wie wir es machen, eine Liebe, die nicht aufhört, wie
sie bei uns so schnell zu Ende ist. Sieh da, dieses
Herz! Wahrhaftig, das Heilandsherz ist die
menschgewordene Liebe Gottes.
Aber das war ihm noch
nicht genug. Das Heilandsherz ist auch die auf den Tod
verwundete Liebe Gottes. Der hat die größte Liebe, der
ohne Grund liebt, der zuerst liebt, der mit Feuer liebt
und der bis zum Tode liebt. So ist die Liebe unseres
Gottes. Er wollte seine Liebe nicht nur mit Worten und
Taten bezeugen, er wollte sie mit der ergreifendsten
Sprache bezeugen, die es überhupt gibt, nämlich mit der
Sprache seines Blutes. Dieses Herz sollte sich verzehren
auf dem Opferaltar des Kreuzes. Es sollte verglühen in
einem Opfer ohnegleichen. Was hat dieses Herz in den
letzten 24 Stunden seines irdischen Lebens nicht
durchgemacht! Ein Apostel verrät ihn; die Jünger
fliehen; Petrus verleugnet ihn; seine Peiniger
überhäufen ihn mit Spott und Hohn, Erniedrigung und
Lästerung. Mit Geißelhieben und einer Dornenkrone und
einem Spottkleid verhöhnen sie das auf Erden erschienene
Leben Gottes. Alle drei Synoptiker, also Matthäus, Lukas
und Markus, alle drei Synoptiker berichten, dass Jesus
von seinen Henkern angespuckt wurde. Mitglieder oder
Diener des Hohen Rates, Soldaten der Besatzungsmacht,
sie haben ihn angespuckt. Anspucken ist das Zeichen des
Abscheus und der Verachtung. Abscheu und Verachtung
wollten sie dem Herrn bezeigen. Und das muss uns zu
Herzen gehen, wie es ja in dem ergreifenden Liede heißt:
„Du edles Angesichte, davor sonst schrickt und scheut
das große Weltgerichte, wie bist du so bespeit! Wie bist
du so erbleichet! Wer hat dein Augenlicht, dem sonst
kein Licht mehr gleichet, so schändlich zugericht’?“
Wahrhaftig, das Heilandsherz ist die auf den Tod und bis
zum Tode verwundete Liebe. Vier Anrufungen der Litanei
vom heiligsten Herzen Jesu stellen uns die verwundete
Liebe vor: „Herz Jesu, mit Schmach gesättigt; Herz Jesu,
voll Qual ob unserer Missetaten; Herz Jesu, gehorsam
geworden bis zum Tode; Herz Jesu, von der Lanze
durchbohrt.“ Wahrhaftig, das ist die bis zum Tode
verwundete Liebe unseres Heilandes.
Und doch, das alles hat
ihm noch nicht genügt. Das Heilandsherz ist auch die
verkannte Liebe Gottes. Und so fährt der Herr in seiner
Klage bei Maria Margareta Alacoque fort: „Und zum Lohn
empfange ich Undank.“ Ist es wahr oder nicht? Wo ist die
Glut der Gegenliebe, die allein der Liebesglut dieses
Herzens entspräche? Wo ist auch nur die Treue zum
heiligen Opfer? Ach, meine Freunde, es ist für mich
jeden Sonntag schmerzlich, wenn ich sehe, wie meine
Nachbarschaft den Tag des Herrn verbringt: mit Essen,
Schlafen, Ausruhen, Vergnügen. Statt Dank Undank, statt
Ehrerbietung Unehrerbietigkeit, statt Liebe Kälte und
Verachtung. Ja, auch Unehrerbietigkeit. Wo ist denn die
Ehrfurcht vor diesem Herzen, vor dem Sakrament dieses
Herzens? Ich habe vor mir, meine lieben Freunde, einen
Ausdruck aus dem Internet vom 27. Mai 2008. Da ist
berichtet von einem Vortrag, den der Erzbischof Ranjit,
der Sekretär der Gottesdienstkongregation in Rom, in
Wien gehalten hat. In diesem Vortrag hat dieser
Fachmann, dieser gläubige Fachmann einmal die Ärgernisse
und Unehrerbietigkeiten aufgelistet, die heute im
Gottesdienst unserer Kirche geschehen. Er hat zum
Beispiel hingewiesen auf die Änderung der
Zelebrationsrichtung. Der Priester ist doch abgelenkt,
wenn er ins Volk schaut. Warum schaut er nicht zum
Kreuz? Die Handkommunion. Warum haben wir nicht die
Ehrerbietung, das Allerheiligste nicht in die Hand zu
nehmen, um dem Herrn zu zeigen, wir sind es nicht wert,
wir sind es nicht würdig. Gewiß, der Mund ist nicht
weniger schuldig oder unschuldig als die Hand, aber es
ist ein Zeichen der Ehrfurcht, dass man etwas nicht in
die Hand nimmt. Er weist dann auf die Preisgabe der
Stille und Anbetung hin. Er erinnert daran, dass die
Gesten des Kniens und des Verbeugens immer weniger
geworden sind und kaum noch geübt werden. Das alles ist
Ausdruck der verkannten Liebe Gottes.
Und da ruft uns der
Heiland, da ruft uns Maria Margareta Alacoque, da ruft
uns die Herz-Jesu-Verehrung auf, zu sühnen – zu sühnen.
Was heißt sühnen? Sühnen heißt, das Böse nicht bloß
bereuen, sondern gutmachen, gleichsam aus der Welt
schaffen. Sühne will wiedergewinnen, was durch die Sünde
verlorenging. Sühne muss sein. Wir müssen
wiedergutmachen, was wir in unserem Leben durch Schuld
und Sünde verfehlt haben. Sühne also für eigene Sünden.
„Ach Herr, was du erduldet, ist alles meine Last. Denn
ich hab das verschuldet, was du getragen hast. Schau
her, hier steh ich Armer, der Zorn verdienet hat! Gib
mir, o mein Erbarmer, den Anblick deiner Gnad!“ Sühne
für eigene Sünden, Sühne aber auch für die Sünden
anderer. Wir können auch für andere sühnen kraft der
Gemeinschaft der Heiligen. Gott nimmt die Sühne, die wir
für andere leisten, an.
Im 18. Jahrhundert
regierte in Frankreich Ludwig XV., ein trauriger König,
meine lieben Freunde, ein Mann der Unzucht, ein Mann der
Schwäche, ein Mann, der sicher auch zu seinem Teil das
Verhängnis der Revolution heraufbeschworen hat. Aber er
hatte ein Tochter, Louise. Und Louise, die Tochter, trat
in ein Kloster ein, um für ihren sittenlosen Vater zu
sühnen. Im Karmeliterorden ist aus einer Prinzessin die
Schwester Teresia vom heiligen Augustin geworden. Und
ihre Sühne war nicht vergebens. Auf dem Sterbelager hat
Ludwig eine öffentliche Erklärung an sein Volk
gerichtet, dass er sein Leben verurteile.
Sühne leisten, das ist
auch unsere Aufgabe, und Gott sei es gedankt, auch heute
gibt es solche Sühneseelen. Unsere guten frommen Frauen,
die da in Heroldsbach die Nacht durchbeten, das sind
solche Sühneseelen. Sie leisten Sühne. Es ist nicht
angenehm, die ganze Nacht zu beten und das Messopfer
mitzufeiern, aber es ist Sühne, und es ist wirksame
Sühne. Und so wollen wir denn heute, meine lieben
Freunde, den Vorsatz fassen, auch uns dem heiligsten
Herzen Jesu zu übergeben. „Göttliches Herz“, so wollen
wir sagen, „ich verbinde mein Herz innig und fest mit
dir, dass mich bis zum Ende meines Lebens nichts von dir
trennen kann. Herz Jesu, erbarme dich meiner!“
Amen
Geliebte, zur Feier der
Apostelfürsten Petrus und Paulus Versammelte!
Die Kirche begeht das
Gedächtnis des Petrus und des Paulus an einem Tage. Das
könnte verwundern, denn sie waren nicht miteinander
verwandt, und sie standen sich wohl auch, was die
Freundschaft betrifft, nicht besonders nahe. Es
bestanden vielmehr zwischen ihnen erhebliche Gegensätze.
Ihre Lebenswege gingen auseinander; Petrus war unter den
Erstberufenen, sein Bruder Andreas führte ihn ja zum
Heiland. Paulus wurde erst lange nach der Himmelfahrt
des Herrn, auf dem Wege nach Damaskus, vom Rufe Gottes
betroffen, als der Herr schon nicht mehr sichtbar auf
Erden wandelte. Sie waren auch sehr verschiedenen
Charakters. Petrus war nachgiebig, ängstlich, furchtsam;
Paulus war ein Feuerkopf, ein Mann der Tat und der
Entschiedenheit, von rücksichtslosem Kampfgeist erfüllt.
Sie waren auch verschiedener Herkunft. Petrus war ein
einfacher Fischer vom See Genesareth, Paulus war ein
hochgebildeter Mann, ein Schriftgelehrter, weltgewandt,
der sicher die Sprache der damaligen Welt, griechisch,
fließend sprach.
Dennoch gibt es auch
Ähnlichkeiten zwischen ihnen. Beide gingen durch das
tiefe, dunkle Tal der Schuld. Petrus in jener Stunde, wo
er von einem Fehltritt überrascht wurde und dann
hinausging und bitterlich weinte, Paulus dagegen von dem
harten Verfolgerwillen erfüllt. Beide sind durch die
Erinnerung an ihre Schuld klein, still und reif
geworden. Sie wussten, dass sie allein durch die
Erbarmung des Herrn gerettet worden waren. Beide gaben
ihr Leben und ihr Blut für den Meister, den sie über
alles liebten. Es ist eigenartig, dass beide, Petrus und
Paulus, ihr Martyrium in Rom vollendet haben, in Rom,
der Hauptstadt der Welt, und in Rom, der Hauptstadt des
Reiches Gottes auf Erden. Es war, als hätte die
Christengemeinde von Rom durch das Blut der beiden
Apostel zusammen genährt werden müssen. Und so ist auch
die Erinnerung an beide in der Kirche immer
zusammengenommen worden. Fünfmal in der heiligen Messe
werden Petrus und Paulus, immer zusammen, genannt. Und
auch die Feste, die wir feiern, erwähnen immer nach dem
heiligen Petrus den heiligen Paulus. Damit zeigt die
Kirche, dass beide von einziger und einzigartiger
Bedeutung für ihre Geschichte und ihr Leben sind. Sie
nennt sie die Apostelfürsten. Jeder besitzt nämlich ein
Führertum, einen Primat, wenn man so sagen will. Petrus
trägt den Primat des Amtes, Paulus den Primat des
Charismas, der lebendigen, begnadeten Persönlichkeit.
Und diese beiden Führertümer, diese beiden Primate geben
der Geschichte der Kirche ihren Charakter und ihre
Eigenart.
Petrus hat den Primat
erhalten durch ausdrücklichen Auftrag Christi. In jener
stillen Stunde am See Genesareth, nach dem Frühmahle,
das sie gehalten hatten, sprach der Herr zu ihm: „Weide
meine Lämmer, weide meine Schafe!“ Damit war ihm der
Primat der Führung übertragen. Damit war erfüllt, was
der Herr ihm vor Cäsarea Philippi verheißen hatte: „Ich
will über dir meine Kirche bauen.“ Und noch früher,
schon beim ersten Zusammentreffen, hat er ihm den Namen
gegeben, der für diesen Kirchenbau charakteristisch war:
„Du bist Kephas“, d.h. der Fels.
Der Apostel Paulus wurde
auf andere Weise bestellt. Er ist ein Spätberufener, und
ihm wurde eigentlich nur der allgemeine Auftrag der
Apostel zuteil, nämlich der Herr wollte ihm sagen, dass
er ein auserwähltes Werkzeug sei, dass er den Namen
Christi durch alle Länder, zu den Heiden und zu den
Juden tragen werde und dass er viel leiden müsse um
dieses Namens willen; er hat also keine besondere
Sendung erhalten. Und doch war es ihm durch den Herrn
bestimmt, eine richtunggebende und bestimmende und
befruchtende Wirkung auf die junge Kirche auszuüben. Er
hat einen Einfluß ausgeübt wie kein anderer Apostel,
denn er hat die Kirche aus der größten Gefahr, die ihr
damals drohte, hinweggerissen, nämlich aus der Gefahr,
in den Schranken und Fesseln der jüdischen
Gesetzlichkeit gefangen zu bleiben, stecken zu bleiben.
Auf die ersten heilsbegierigen Heiden war zwar auch der
Heilige Geist herabgekommen, und sie waren getauft
worden, aber sie waren noch nicht im vollen Sinne als
Christen anerkannt. Sie hatten noch nicht die völlige
Gleichberechtigung mit den aus dem Judentum kommenden
Christen erlangt.
Theoretisch wurde diese
Frage auf dem ersten Konzil, dem Apostelkonzil in
Jerusalem, entschieden. Auf diesem Konzil hatte Paulus
keine entscheidende Stimme; es war ein Konzil der
Altapostel. Er selbst war nur der Abgesandte der
Heidengemeinden, der das Anliegen dieser Gemeinden vor
die Apostel trug. Die Entscheidung fiel durch den Primat
des Amtes. Damals hat Petrus zum ersten Mal seine
Unfehlbarkeit bewährt bei dieser ersten Entscheidung ex
cathedra. Aber nun galt es, diese Entscheidung in der
Praxis durchzusetzen. Es gab schwere Hemmungen, es gab
Widerstände, es gab Rückschläge, und Petrus hat sich bei
dieser Entwicklung nicht sehr rühmlich benommen. Er
suchte nämlich seiner Entscheidung, die er selbst
gefällt hatte, auszuweichen. Und so hat Paulus ihm in
Antiochien, wie er im Galaterbrief berichtet, „ins
Antlitz“ widerstehen müssen. Er hat ihn hinweggerissen
über seine Bedenken. Bei dieser Gelegenheit sehen wir,
was Paulus geleistet hat, und das ist nur ein Beispiel
für seine unermessliche Tätigkeit. Überall, in allen
kritischen und gefährlichen Fragen, die das junge
Christentum bewegten, wirkte er entscheidend mit. Und
nicht so sehr als der beamtete, sondern als der
begnadete, nicht so sehr als der bestellte, sondern als
der geborene Führer des jungen Christentums.
So wirkten schon am
Anfang der christlichen Geschichte diese beiden Formen
des Führertums zusammen. Sie sind seit damals niemals
mehr erloschen oder getrennt worden. Der Primat Petri
pflanzte sich über Hunderte von Nachfolgern fort, von
Papst zu Papst in langer Reihe, über Heilige und Sünder,
über Heroen und Unwürdige, doch immer siegreich und
immerfort auf seinem Felsenfundament die Kirche tragend.
Aber auch der andere Primat, das Führertum des Paulus,
dieses Führertum der individuellen, persönlichen
Begnadung, sprang immer wieder von einem
Geistesgewaltigen über zu einem anderen. Zuweilen waren
beide Primate verbunden, wenn ein besonderer
Charismatiker zum Papst gewählt wurde. Und es gab auch
unter den Bischöfen solche Charismatiker. Wir denken
alle gern zurück an den Bischof von Fulda, an Johannes
Dyba. Zuweilen waren die Träger des Charismas stille
Mönche oder Frauen wie Katharina von Siena, die den
Träger des Primates zurückriß aus seiner Verbannung in
Frankreich nach Rom, wohin er gehörte.
Dass der amtliche Primat
auch heute nicht erloschen ist, wissen wir, und wir sind
dankbar für den jetzigen Träger dieses Primates. Ich
wüsste, meine lieben Freunde, ich wüsste keinen anderen,
der besser das Amt verwalten könnte.
Aber auch der Primat des
persönlichen Geistes ist nicht erloschen. Auch der
Primat der charismatischen Begabung lebt in unserer
Kirche fort. Er lebt fort einmal in den als heilig
verehrten Männern und Frauen, in einem heiligen Johannes
Bosco, in der wunderbaren Blüte von Lisieux, Theresia,
in Mutter Teresa oder Pater Pio. Aber er lebt auch fort
in Männern und Frauen, die nicht als Heilige verehrt
werden, aber die ihre Begnadung und ihre Berufung in die
Kirche eingebracht haben. Ich denke etwa an Pater
Werenfried van Straaten, ich denke aber auch an Männer
wie Martin Mosebach oder Robert Spaemann. Das sind
Männer der charismatischen Begabung. Sie haben ihren
Dienst in die Kirche eingebracht, und der oberste Träger
des Amtes, Benedikt, hat ihre Beiträge aufgenommen und
mit dem Amt, mit der Autorität des Amtes verbunden.
Der Primat des Amtes
verkörpert die unantastbare Autorität Gottes. Er gibt
der Kirche die Stetigkeit und die Ruhe, auch die
Festigkeit über die Jahrtausende. Erst dieser
überpersönliche Primat hebt die Kirche über die Zeiten
hinweg und über das Milieu, rettet sie vor der
momentanen Anpassung, die wir ja im Protestantismus
jeden Tag beobachten können. Aber der Primat des
Charismas ist es, der das Amt vor Erstarrung und vor
Versteinerung bewahrt, der den Organismus der Kirche
immer wieder durchströmen lässt von Glut und Feuer. Der
Primat des Amtes ist unentbehrlich. In ihm wirkt sich ja
der Gute Hirte selbst aus, und trotz aller
Unzulänglichkeit der menschlichen Gehilfen, die ja nie
auszuschließen ist, trotz aller Unzulänglichkeit hat die
Herde Christi doch immer gute Weide gefunden. Aber
ebensoviel verdankt die Kirche ihren begnadeten
Einzelpersönlichkeiten, den Bahnbrechern der Seelsorge
und der Nächstenliebe, den großen Leuchten. Denken wir
nur an die vielen Frauen, die im 19. Jahrhundert ihre
Kongregationen gegründet haben, von denen wir heute noch
zehren und deren Zusammenschrumpfen wir mit Bitterkeit
des Herzens erleben. Diese Menschen haben immer wieder
die starre Kruste der Gewohnheit und der Schablone
durchbrochen. Sie haben die einschläfernde Wirkung, die
von falschen Theologen und von einer irrig verstandenen
Vergangenheit ausgingen, durchbrochen durch ihre feurige
Bewegtheit.
Die Kirchengeschichte,
meine lieben Freunde, ist voll von großen und
ergreifenden Erscheinungen, von entzückenden und
bedrückenden Geschehnissen, von Licht und Finsternis,
von Heroentum und Ärgernis. Aber zu den erstaunlichsten
Offenbarungen dieser Geschichte der Kirche gehört doch
unzweifelhaft das Zusammenwirken von Petrus und Paulus.
Das Amt, ein absoluter und in reiner Objektivität
dargestellter Wille, und das Charisma, eine lebendige
Quelle, die sich immer wieder, Menschen unbegreiflich,
erneuert. An der Spitze der Menschheit gehen deswegen
zwei Führer. Sie gehen nebeneinander, Petrus und Paulus,
die Hierarchie und das Charisma, die überpersönliche
Autorität und die persönliche Begnadung. Von diesen
beiden Vollmachten singt die Kirche: „Du hast sie als
Fürsten gesetzt über die ganze Erde, o Herr, und sie
werden deinen Namen allezeit verkünden.“
Amen.
Geliebte im Herrn!
Der Volksmund sagt:
Undank ist der Lohn, den man für gute Taten bezieht. Das
hat sich im Leben unseres Heilandes deutlich gezeigt.
Wohltaten spendend ging er durch die Lande, und wie hat
das Volk, wie haben die Führer des Volkes seine
Heilandsliebe vergolten? Indem sie ihn ans Kreuz
schlugen.
Ähnlich geschieht es auch
dem fortlebenden Christus, seiner Kirche; Verachtung,
Hohn und Spott trifft sie. Das Strahlende ihrer Gestalt,
ihre Leistungen werden unterschlagen, aber die Flecken
und Makel, die ihre Glieder ihr zugefügt haben, werden
unaufhörlich den Menschen unterbreitet; vor allem der
Jugend weiß man manches Wahre und vieles Unwahre über
die Kirche zu erzählen. Leicht ist die Jugend zur
Geringschätzung zu verführen, schwer aber zur rechten
Würdigung und zu einer Verehrung für das Große, von dem
sie so wenig Kenntnis besitzt. Was nützt es, meine
Freunde, wenn wir immer tiefer eindringen in die
Geheimnisse der Natur, wenn wir immer schärfer die
Ereignisse der Geschichte durchschauen? Was nützt es,
wenn wir die Gesetze des Weltenbaues ergründen und zum
Nutzen der irdischen Wohlfahrt verwenden, wenn wir aber
den letzten Sinn des großen Weltenbaues und das letzte
Ziel eines jeden Lebens nicht kennen? Durch Nachsinnen
aus einem lauteren Herzen ist es möglich, auf diese
Gegenstände seine Aufmerksamkeit zu richten und auch zu
gültigen Erkenntnissen zu kommen. Aber der Mensch ist
nicht nur von seinen besten Gedanken, sondern auch von
seinen schlimmsten Neigungen heimgesucht. Und deswegen
finden viele durch eigenes Nachdenken nicht den Sinn der
Welt und das Ziel ihres Lebens. So hat Gott uns seine
Offenbarung gegeben, in der er uns beides erklärt hat.
Und er hat diese Offenbarung seiner Kirche anvertraut,
im besonderen dem unfehlbaren Lehramt seiner Kirche
anvertraut, auf dass die Wahrheit nicht zugrunde ginge.
Es sollte die Wahrheit irrtumslos und unabänderlich
erhalten werden.
Dieses Lehramt besteht in
der Kirche seit der Aussendung der Apostel. Es ist durch
die Führung des Heiligen Geistes geleitet, und dank des
Beistands des Heiligen Geistes weiß es die Wahrheit der
Offenbarung zu hüten und zu bewahren. Es hat deutlich
genug gesprochen; es ist ihr immer treu geblieben, und
es hat gewaltiges Geistesgut der Welt geschenkt. Ein
Segensstrom ist von dem Lehramt der Kirche ausgegangen.
Keine Rettung, kein Halt,
so haben viele Menschen geklagt, nirgends Rettung,
nirgends Halt. Und so haben viele den Weg gefunden in
unsere Kirche. Denken Sie nur an die beiden großen
Engländer Newman und Manning, die der Papst dann zu
Kardinälen erhoben hat. Sie haben Ordnung gesucht und
sie in der Kirche gefunden. Sie haben nach Sicherheit
gesucht, und sie haben sie in der Kirche erfunden. Sie
haben nach einem Zusammenhang der Wahrheit geforscht,
und sie haben ihn in der Kirche entdeckt. Was hätte es
genützt, wenn Gott eine Offenbarung gegeben hätte, aber
nicht dafür gesorgt hätte, dass sie irrtumslos
weitergegeben würde? Das Wort Gottes hätte ja auch
verfälscht werden können durch Rechthaberei, durch
Verbilligung. Wenn jeder es sich selbst deuten müsste –
wie der Protestantismus behauptet –, wenn jeder es sich
selbst deuten müsste, dann kommt er eben zu unmöglichen
Ergebnissen. Wenn Gott sein eigenes Wort retten wollte,
dann gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder dass er
jeden einzelnen mit der unfehlbaren Schriftdeutung
ausrüstete oder aber dass er seine Säule und Grundfeste
der Wahrheit errichtete, die wir die katholische Kirche
nennen.
Die Kirche erfindet die
Geheimnisse Gottes nicht. Sie ist nicht die Schöpferin
der Wahrheit, sondern sie fasst sie nur in begriffliche
Form, ähnlich wie ein Goldschmied das Gold nicht selber
erzeugt, sondern es nur nach den Gesetzen der Technik
und des Handwerks bearbeitet. So ähnlich tut es die
Kirche mit der Wahrheit; sie fasst sie nur, sie fasst
sie in begriffliche Formen, die freilich dank des
Beistandes des Heiligen Geistes unaufgebbar und richtig,
wenn auch nicht erschöpfend sind. Wir wissen: Die Dogmen
sind auf dem Amboß der Geschichte gehämmert worden, und
diese Dogmen sind wahrhaftig in ihrer Majestät
erschütternd und in ihrer Lieblichkeit verlockend. Dass
es ein Dogma von Gott gibt, dem Vater im Himmel, dem
Schöpfer Himmels und der Erde, das ist ja die Grundlage
für jede Religion. Religion heißt nämlich Bindung,
Bindung an Gott. Diese Bindung ist nur möglich, wenn wir
zuvor wissen, wer Gott ist.
Im 18. Jahrhundert lebte
der Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing. Er ist
einer der Aufklärer. Von Lessing stammt das Wort: „Wenn
Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner
Linken den einzigen, immer regen Trieb nach Wahrheit,
obwohl mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren,
verschlossen hielte und spräche zu mir: „Wähle!“ Ich
fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: „Vater,
gib; die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich
allein.“ Diesen inhaltsschweren Satz haben Lessing viele
nachgesprochen. Die reine Wahrheit ist nur für Gott, uns
Menschen ist nur der Trieb nach Wahrheit, der aber immer
zum Irrtum führt, überlassen. Meine lieben Freunde, das
ist eine trostlose Weltanschauung. Sie hat vor allem den
Nachteil, dass sie falsch ist. Eine Suche nach Wahrheit,
die stets zum Irrtum führt, ist kein Anlaß zur Hoffnung,
sondern zur Verzweiflung. Eine Suche nach Wahrheit, die
immer in den Irrtum führt, ist sinnlos. Man braucht sie
überhaupt nicht zu beginnen. Ohne das Finden der
Wahrheit ist eine Suche nach Wahrheit zwecklos.
Wir brauchen aber die
Wahrheit, weil die Wahrheit ja das Abbild der
Wirklichkeit ist. Ohne die Wahrheit vermögen wir die
Wirklichkeit nicht zu begreifen und auch nicht zu
bewältigen. Deswegen musste Gott uns Anteil an seiner
Wahrheit geben. Gewiß, die reine, die vollkommene, die
alles umfassende Wahrheit, das ist Gottes Sache allein,
aber er hat uns Anteil daran gegeben, wir partizipieren
an der Wahrheit durch die Bemühungen unseres Verstandes,
durch das Suchen in der Erfahrung, durch das Nachdenken
in der Spekulation, aber auch und vor allem durch die
Offenbarung Gottes. Offenbarung heißt Kundmachen der
Wahrheit, und diese Wahrheit hat uns Gott gegeben. Er
ist ja auf Erden erschienen voll der Gnade und Wahrheit,
wie wir am Schluß jeder heiligen Messe bekennen. Und
diese Wahrheit hat er uns vermacht, in dieser Wahrheit
will er uns erhalten. In seinem Lehramt bürgt er dafür,
dass diese Wahrheit nicht zugrunde geht. Denn dieses
Lehramt, meine Freunde, ruht auf einem Felsengrund; es
ruht auf dem Felsengrund, der Christus selber ist. „Ich
bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Wäre
die Wahrheit nicht mehr bei uns, würde die Wahrheit
endgültig zugrunde gehen, dann hätte Jesus uns
verlassen, dann hätte er seine Verheißung nicht wahr
gemacht. Aber nein: „Ich bin bei euch alle Tage bis an
das Ende der Welt.“ Und noch eines hat er gesagt: „Ich
werde ihn euch senden, den Geist der Wahrheit, den
Tröster, der in alle Ewigkeit bei euch bleibt.“ Wenn die
Wahrheit zugrunde geht, dann wäre der Tröster von uns
gegangen, aber nein, der Herr hat ihn uns verheißen, und
sein Wort ist untrüglich. Er wird in Ewigkeit bei uns
bleiben. Er führt die Kirche und durch die Kirche uns in
alle Wahrheit ein.
Und diese Wahrheit macht
uns frei. Das heißt: Sie löst die Bande der Triebe, und
sie zerschlägt die Fesseln, die uns an das Niedrige
binden wollen. Die Wahrheit fördert alle Wohlfahrt der
Völker, und sie beschert uns die Gaben des Geistes und
der Natur. Am 9. Januar 1882 erklärte der deutsche
Reichskanzler Otto von Bismarck im Deutschen Reichstag:
„Auch diejenigen, die an die Offenbarungen des
Christentums nicht mehr glauben, möchte ich daran
erinnern, dass doch die ganzen Begriffe von Moral, Ehre
und Pflichtgefühl, nach denen sie ihre anderen
Handlungen in dieser Welt ausrichten, wesentlich nur die
fossilen Überreste, nur die fossilen Überreste des
Christentums ihrer Väter sind, die unsere sittliche
Richtung, unser Rechts- und Ehrgefühl von heute, so
manchem Ungläubigen unbewußt, bestimmen, wenn auch die
Quelle selbst sie vergessen haben, aus der unsere
heutigen Begriffe von Zivilisation und Pflicht geflossen
sind.“ Ja, so ist es. Wir leben – eingestanden oder
nicht eingestanden – aus dem Fundus, den uns Gott in
seiner Offenbarung geschenkt und den die Kirche bewahrt
hat. Die christliche Sitte, der christliche Glaube, das
ist es, wovon wir heute noch leben. Es ist das wie mit
einem Stein, auf den die Sonne lange Zeit geschienen
hat. Wenn die Sonne untergegangen ist, ist der Stein
noch geraume Zeit warm. So ist es auch mit unserer
nachchristlichen Zeit, von der man spricht. Sie lebt
noch von den Resten des Christentums, sie lebt noch von
der Nächstenliebe, von der Gerechtigkeit, von der
Reinheit, welche das Christentum verkündet und die
Kirche bewahrt hat. Warten wir nur einmal ab, bis auch
diese Restbestände vernichtet sind, dann ist das Ende
gekommen!
Wir brauchen die
Wahrheit, aber wir brauchen auch die Kraft, ihr zu
folgen. Wir brauchen die Kraft, die Wahrheit
festzuhalten. Wir brauchen die Kraft, nach der Wahrheit
zu leben. Und auch das vermittelt uns die Kirche. Sie
ist ja die Kirche desjenigen, der gekommen ist, uns die
Wahrheit und die Gnade zu bringen. In der Kirche sind
göttliche Gnadenkräfte wirksam, die ihr Christus
anvertraut hat. Wir sind nicht allein mit unseren
Schwächen und Trieben. Wir fühlen Impulse, die uns vom
Bösen abhalten und zum Guten hinführen. Wir besitzen des
Geist Gottes, der uns mahnt und warnt, der uns leitet
und führt. „Alles vermag ich in dem, der mich stärkt“,
sagt der Apostel Paulus. Und so ist es, meine lieben
Freunde. So ist es, und ich erlebe es immer wieder
beglückend als Beichtvater, wie die Macht Gottes in den
Menschen über ihre Schwäche und über ihre
Triebhaftigkeit obsiegt. Die Kirche ist wahrhaftig die
mächtige Ruferin Gottes, die die leisen Mahnungen des
Gewissens verdeutlicht und verstärkt. Sie ist es, die
die Menschheit die Wahrheit lehrt. Menschlichkeit und
Christlichkeit schließen sich nicht aus, sondern je mehr
eine Christ wird, desto mehr wird er Mensch. Denn der
vollkommene Mensch ist Christus, und wenn wir nach
seinem Bilde gestaltet werden, dann werden auch wir
vollkommene Menschen.
Die Missstände auf der
Erde zu verbessern ist nicht falsch. Aber sie werden so
lange nicht wahrhaft überwunden werden, als nicht die
Gesinnung der Menschen, als nicht die Herzen der
Menschen verändert werden. Und das ist es ja, was sich
die Menschen immer wieder leicht machen: Sie versuchen
sich der schweren Aufgabe, die Herzen zu verändern, zu
entschlagen und Strukturen zu verändern. Deswegen
erleben wir ja dauernd diese Hektik, diese
Betriebsamkeit in der Kirche, neue Strukturen für
Pfarreien und so weiter. Das ist alles umsonst, wenn wir
nicht die Gesinnungen ändern, wenn wir nicht die Herzen
verbessern, wenn wir uns nicht nach dem Bilde Jesu
ausbilden lassen. Ein neues Paradies wird auf Erden
nicht kommen, aber die Herzen können wir nach dem Bilde
Christi formen. Und die Aufgabe der Kirche ist es, ihnen
die höchsten Ziele zu zeigen und sie unermüdlich zu
mahnen, danach zu streben. Dabei soll nicht vergessen
sein, dass die Kirche auch den irdischen Anstrengungen
immer wieder ihre Aufmerksamkeit gewidmet hat. Sie hat
immer und zu allen Zeiten Wissenschaft und Kunst
gefördert. Die Blüte der Religion war auch immer mit
einer Blüte der Wissenschaft und der Kunst verbunden.
Und wenn Wissenschaft und Kunst ihre Bindung an die
Religion verlieren, dann werden sie zu zersetzenden
Erscheinungen.
Ich habe hier vor mir,
meine lieben Freunde, einen Bericht über das
Theaterstück „Corpus Christi“. Das Theaterstück „Corpus
Christi“ hat folgenden Inhalt: Darin werden Jesus
Christus und seine Apostel als homosexuell, das Letzte
Abendmahl als ein Saufgelage und die Gottesmutter Maria
als intelligente Hure dargestellt. Ich meine, tiefer
kann es nicht mehr hinabgehen! Das ist der Abgrund, der
absolute Abgrund! Das ist Gotteslästerung in Potenz!
Immer wenn die Kunst ihre Bindung an die Religion
aufgibt, wird sie zu einem zersetzenden Element. Die
Kirche hat Wissenschaft und Kunst immer gefördert, nicht
nur die Geisteswissenschaften, auch die
Naturwissenschaften. Das will ich Ihnen beweisen.
Solange die Menschen einen Willkürgott annahmen, war
auch die Welt ein Spielball der Willkür. Unberechenbar
war Gott, und unberechenbar war die Welt. Bei einem
solchen Gottesbegriff kann man von Naturgesetzen nicht
reden, weil ja Gott selber als Gesetz nicht existiert,
sondern ein Willkürgott ist. Erst als das Christentum
die Wahrheit predigte, dass die weltschöpferische
Weisheit die Welt regiert, dass alles nach Zahl, Maß und
Gewicht geordnet ist, dass Gott alles nach Zahl, Maß und
Gewicht geordnet hat, erst da ist der Begriff des
Naturgesetzes möglich. Erst wenn Gott selbst ein
mathematischer Geist ist, kann man auf Erden mit der
Mathematik und mit der Physik eine Technik und eine
Zivilisation schaffen. Jawohl, die Kirche ist von
weltgeschichtlicher Bedeutung geworden dadurch, dass sie
den richtigen Gottesbegriff verkündet hat. Sie ist die
Mutter der Naturwissenschaft.
Finstere Mächte des
Umsturzes gefährden heute den Kulturbestand. Nur unter
Aufbietung aller religiösen und moralischen Kräfte
können die drohenden Gefahren, kann die drohende
Katastrophe abgewendet werden. An diesem Rettungswerk
sich zu beteiligen, ist die Kirche berufen und befähigt.
Die Kirche, die so viele Schlachten geschlagen, so viele
Niederlagen erlitten, aber auch so viele Siege errungen
hat, schreckt vor dieser Aufgabe nicht zurück; denn sie
weiß, Christus steht ihr bei in ewiger Treue.
Halten wir uns, meine
lieben Freunde, halten wir uns an die Kirche! Folgen wir
ihren gerechten Weisungen! Verteidigen wir sie gegen
Schmähungen! Schmücken wir die Kirche mit unserer
Persönlichkeit!
Amen.
Geliebte im Herrn!
Eine primitive Form der
Strafrechtspflege war die Blutrache. Ein jeder, der
einer Sippe angehörte, konnte das Unrecht, das einem
seiner Sippenangehörigen angetan worden war, rächen, und
zwar in demselben Maße, wie die Untat geschehen war. Die
Blutrache konnte den Täter oder auch einen Angehörigen
des Täters treffen. Blut musste mit Blut, Tod mit Tod
gesühnt werden. Diese Blutrache hat auch ihre Spuren im
Alten Testament hinterlassen. Im Buche Genesis, dem 1.
Buche Moses, ist die Rede von Lamech. Dieser Lamech
sagte zu seinen Frauen – er besaß mehrere Frauen – :
„Einen Mann erschlage ich für eine Wunde und einen
Knaben für eine Strieme. Wird Kain siebenfach gerächt,
dann Lamech siebzigmal siebenmal.“ Lamech hatte also das
Maß der Blutrache weit ausgedehnt. Für eine Strieme
wollte er einen anderen Menschen erschlagen. Da erkennt
man, dass das Alte Testament mit seinem Gesetze „Auge um
Auge, Zahn um Zahn“ eine bedeutende Milderung brachte.
Das war eine Zähmung der Strafrechtspflege, das war eine
Einschränkung der Blutrache. Die Römer haben es anders
gehandhabt. Sie haben das Wort erfunden: „Fiat iustitia,
pereat mundus“ – Die Gerechtigkeit muss geschehen, auch
wenn die ganze Welt darüber zugrunde geht. Hier war ein
Rechtsfanatismus am Werke, der uns schauderhaft erkennen
lässt, wohin die Liebe zur Gerechtigkeit führen kann:
nicht zum Recht, sondern zum Gegenteil, zum groben
Unrecht.
Nicht nur in alter Zeit
gab es Menschen, die das Recht um jeden Preis
durchsetzen wollten. Von dem Königsberger Philosophen
Immanuel Kant stammt das Wort: „Wenn morgen die Welt
unterginge, müssten heute noch alle todeswürdigen
Verbrecher hingerichtet werden.“ So sollte nach seiner
Meinung die sühnende Gerechtigkeit bewahrt werden.
Doch das geschriebene
Recht ist nicht das höchste. Es gibt auch ein
ungeschriebenes Recht, und es gibt auch über dem Recht
eine Barmherzigkeit, und beides gilt es zu beachten. Der
Reichspräsident Friedrich Ebert – von Hause aus übrigens
katholisch – hat das schöne Wort gesagt: „Wenn wir eines
Tages vor der Frage stehen: die Verfassung oder
Deutschland, dann werden wir nicht um der Verfassung
willen Deutschland zugrunde gehen lassen.“ Wahrhaftig
ein mannhaftes Wort von einem redlichen Politiker der
Weimarer Zeit.
Wir wollen uns nicht zu
Richtern aufwerfen über vergangene Zeiten. Wir kennen
die Motive und die Einstellungen dieser Menschen zu
wenig. Wir wollen lieber vor der eigenen Tür kehren. Und
da haben wir heute ein Wort gehört in der Epistel, das
uns nachdenklich machen soll: „Vergeltet nicht Böses mit
Bösem, nicht Schmähung mit Schmähung, vielmehr segnet
einander, wie ihr ja auch berufen seid, Segen zu erben.“
So spricht der Apostel Petrus heute zu uns: „Vergeltet
nicht Böses mit Bösem, nicht Schmähung mit Schmähung,
vielmehr segnet einander, wie ihr ja auch berufen seid,
Segen zu erben.“ Blutrache ist heute aus der Übung
gekommen. Wir halten uns viel zugute, dass wir zu
besseren Formen des Rechtes gelangt sind. Aber wie steht
es um den Geist, aus dem die Blutrache hervorgegangen
ist? Gibt es den Geist der Rache und der Vergeltung
nicht auch heute noch? Und dieser Geist der Rache und
der Vergeltung muss sich nicht in Mord und Totschlag
auswirken, sondern er kann sich auch in kleinerer Münze
auszahlen. „Das lasse ich mir nicht gefallen“, so
trumpfen schon die Knaben in der Schule auf bei
Raufereien. Viele Eltern geben ihren Kindern auf den
Lebensweg die Mahnung mit: „Laß dir ja nichts gefallen!“
Es ist eine der schlimmsten Lebensregeln, die man
Kindern geben kann: „Laß dir nichts gefallen!“ Damit
werden Konflikte, Auseinandersetzungen, Reibereien und
Zerwürfnisse ohne Zahl und ohne Ende hervorgerufen. Als
Lehrling, als Schüler, als Anfänger, als Auszubildender
muss man sich etwas gefallen lassen: Mahnung, Warnung,
Rüge, Tadel, Zurechtweisung. Der Direktor der
Oberschule, die ich besucht habe, hat uns viele
Mahnungen auf den Weg gegeben. Die meisten habe ich
vergessen, aber eine habe ich behalten, und die lautete:
„Jungs, ihr müsst lernen ungerechte Kritik ertragen.“
Der Direktor hatte recht: „Jungs, ihr müsst lernen
ungerechte Kritik ertragen.“ Auf Erden muss man sich
etwas gefallen lassen: von den Eltern, von den
Kameraden, von den Lehrern, von den Nachbarn, von den
Vorgesetzten. Wer sich nichts gefallen lässt, der ist
fortwährend im Streit und im Unfrieden. Auch in der Ehe,
meine lieben Freunde, muss man sich etwas gefallen
lassen. Und selbst in der Freundschaft, vom Freund, von
der Freundin muss man sich etwas gefallen lassen. Die
Menschen haben nun einmal ihre Eigenarten und Unarten.
Wir werden sie ihnen nicht abgewöhnen, wenn wir uns
nichts gefallen lassen.
Einer der schlimmsten
Grundsätze, die Menschen haben können, lautet: „Wie du
mir, so ich dir.“ Das heißt, wer mir freundlich
begegnet, dem begegne auch ich freundlich. Wer mir aber
abweisend begegnet, dem begegne auch ich abweisend. Das
ist ein zutiefst unchristlicher Grundsatz. Der Herr,
unser Lehrer und Meister, weist ihn ausdrücklich und
energisch zurück: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten
gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und
deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure
Feinde! Tuet Gutes denen, die euch hassen, und betet für
die, die euch verfolgen!“
Spuren und Auswüchse des
Rachegeistes gibt es auch heute in unserer Gesellschaft.
Sie werden wie selbstverständlich angenommen und
gewohnheitsmäßig gepflegt. Rache muss ja nicht mit
wutverzerrtem Gesicht herumlaufen. Sie kann sich auch
hinter einem Lächeln verbergen und um so sicherer ihr
Ziel erreichen. Kleine Schikanen, ständige Nadelstiche,
kleine Bosheiten können einem unersättlichen
Vergeltungswillen zu furchtbaren Waffen werden und ein
Familienleben, eine Arbeitsstätte und eine Nachbarschaft
zerrütten. Man spricht heute von dem sogenannten Mobbing.
Mobbing besagt, dass man einem anderen fortwährend und
wiederholt böswillige Handlungen zufügt, am Arbeitsplatz
oder in der Schule. Mobbing ist eine besondere und heute
übliche Form der Rache. Gewiß, ich habe nicht gesagt,
man muss sich alles gefallen lassen. Es gibt eine
Grenze. Auch der Herr hat sich nicht alles gefallen
lassen. Als der Diener des Hohenpriesters ihn auf die
Wange schlug, da hat er sich zur Wehr gesetzt: „Habe ich
unrecht geredet, so beweise es mir, habe ich aber recht
geredet, warum schlägst du mich?“ Der Herr hat sich
gewehrt; aber er schlägt nicht zurück. „Da er gescholten
wurde, schalt er nicht“, heißt es im 2. Petrusbriefe.
„Da er litt, drohte er nicht, sondern stellte seine
Sache dem gerechten Richter anheim.“ Menschen, die einen
kränken und beleidigen, muss man mit äußerster
Höflichkeit und Freundlichkeit behandeln. Solche
Rücksichtnahme und Vornehmheit kann sie zur Besinnung
bringen. Vom heilige Clemens Maria Hofbauer wird
folgende Begebenheit erzählt: Er sammelte für seine
Armen in den Gasthäusern Almosen. Er kam an einen Tisch,
wo vier Männer Karten spielten. Er brachte seine Bitte
vor, da spuckte ihn einer an. Clemens Maria Hofbauer
wischte sich ab und sagte ruhig: „Das war für mich.
Jetzt bitte ich noch um eine Gabe für meine Armen.“
Die Mahnung des Apostels
Petrus: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem!“ wird
merkwürdigerweise wörtlich vom Apostel Paulus
aufgenommen im Römerbrief: „Vergeltet nicht Böses mit
Bösem! Seid auf das Gute bedacht! Schafft euch nicht
selbst Recht, sondern lasst dem Zorngericht Raum! Denn
es steht geschrieben: ,Mein ist die Rache. Ich will
vergelten.’ Vielmehr: Wenn dein Feind Hunger hat, gib
ihm zu essen; wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken.
Dann sammelst du feurige Kohlen auf sein Haupt. Laß dich
nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse
durch das Gute!“ Was heißt diese merkwürdige Wendung:
Wenn du dem Feind Gutes tust, sammelst du feurige Kohlen
auf sein Haupt? Das besagt: Die Guttaten, die man dem
Feind erweist, werden ihn nachdenklich machen. Sie
werden an sein Gewissen rühren. Sie werden ihm
vielleicht zur Besinnung und zur Umkehr gereichen.
Einmal, meine lieben
Freunde, muss die Rache ein Ende nehmen, und das
geschieht nur, wenn Böses nicht mit Bösem vergolten
wird. Einmal muss die Kette des Bösen unterbrochen
werden. Das besteht darin, dass man auf Rache
verzichtet. Das Böse ist keine Naturgewalt, der wir
unterliegen müssten, sondern wir besitzen die Güte und
Liebe Gottes, die Kraft zur Vergebung und den Antrieb
zum Verzeihen. Das Verzeihen ist auch so eine Sache. Es
muss nämlich aus dem Herzen kommen; es muss innerlich,
echt und wahr sein. Mit ein paar Worten ist es nicht
getan. Ein bloß äußerliches Vergeben ändert nicht das
Herz und ändert auch nicht die Beziehung zu dem anderen.
Das Herz muss geändert werden. Wir müssen die
Gereiztheit, die Feindseligkeit, die Wut, den Zorn gegen
den Nächsten aus dem Herzen schaffen. Nichts vergiftet
das Verhältnis zum Nächsten so sehr wie der Groll.
Groll, das ist verhaltene Wut und Feindseligkeit gegen
einen anderen. Einem anderen grollen heißt ihm Böses
nachtragen, auf Vergeltung sinnen, Schadenfreude über
das Unglück des anderen empfinden. Man spricht auch vom
Ressentiment, das ist eben ein heimlicher Groll, ein
unterschwelliges Haß- und Rachebedürfnis, das aufgrund
einer unbewältigten schmerzlichen Situation entstanden
ist.
Nein, meine lieben
Freunde, Segen statt Fluch, Vergebung statt Rache, Güte
statt Gewalt, das ist die Sprache der heutigen Lesung.
Wer das Kreuz Christi nicht versteht, mag diese Haltung
für Torheit oder Schwäche halten. Wer aber einmal
versucht hat zu vergeben, wo der natürliche Mensch um
Rache schreit, der hat begriffen, dass dazu eine
heroische Kraft notwendig ist, eine heroische Kraft. Die
Gegenwart des Christen in der Welt muss für die Welt zum
Segen werden, und das wird sie nur, indem wir das Böse
in Schranken halten, indem wir nicht Böses mit Bösem
vergelten, nicht Schmähung mit Schmähung, sondern mit
Segen. Der große französische Prediger Lacordaire hat
einmal das schöne Wort gesagt: „Willst du Befriedigung
für einen Augenblick, so räche dich. Willst du
Befriedigung für immer, dann vergib!“ Und wir wollen
schließen, meine lieben Freunde, mit dem Anruf aus der
Litanei von allen Heiligen: „Von Zorn, Haß und allem
bösen Willen erlöse uns, o Herr!“
Amen.
Geliebte im
Herrn!
„Wir haben
die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ So
haben wir eben im Evangelium nach Lukas gehört. Die
Jünger hatten sich mit großer Mühe und Anstrengung auf
das „Galiläische Meer“, wie man den See Genezareth
nannte, hinausbegeben, aber ihre Arbeit war vergeblich.
Die
Vergeblichkeit, meine Freunde, begleitet unser Leben.
Vergeblich ist oft unser Denken und Planen; es kommt
ganz anders. Vergeblich ist menschliches Schaffen und
Bauen; ein Wirbelsturm, ein Erdbeben vernichtet ganze
Landschaften. Vergeblich ist oft das Mahnen und Warnen
der Eltern; die Kinder handeln ganz anders. Vergeblich
scheint auch häufig die Arbeit der Seelsorger. Mir sagte
einmal ein Priester: „Mir ist es, als ob ich mit Erbsen
gegen eine Wand würfe.“
Die
Vergeblichkeit sucht nach einer Erklärung. Oft, zu oft
ist es die eigene Schuld. Wir waren zu schwach, zu
feige, zu bequem, zu ängstlich. Wie oft haben wir etwas
begonnen und nicht vollendet! Wie oft haben wir in einer
Bewährungsprobe versagt! Wie oft haben wir Verheißungen
erweckt und sie nicht erfüllt! Wie oft haben wir bauen
wollen und den Grund gelegt, aber wir konnten den Bau
nicht vollenden. „Was ich begangen, lässt sich nicht
sühnen. Man schätzt den Klugen, man preist den Kühnen.
Allein das Herz, das Herz in der Brust ist sich
unendlicher Schuld bewusst.“ So hat der Dichter Wedekind
einmal die Situation beschrieben. Nicht immer ist es
eigene Schuld; es gibt auch schuldlose Tragik. Es gibt
auch den Zwiespalt zwischen Wollen und Unvermögen. Wir
haben uns gemüht, wir haben uns eingesetzt, wir haben
das Beste versucht, aber es ist uns nicht gelungen.
„Über jeder Freude seh ich schweben den Geierwald, der
sie bedroht. Was du gesucht, geliebt im Leben, bald
ist’s verloren oder tot“, dichtet Nikolaus Lenau. In der
Tat: das beste Wollen, die reinste Absicht, das edelste
Beginnen wird oft zerschlagen, scheitert, geht zugrunde.
Der Widerstand war zu groß, die Kräfte waren zu gering,
die erwartete Hilfe blieb aus. „Frei geht das Unglück
durch die ganze Erde“, heißt es in Schillers
„Wallenstein“.
Was
versuchen die Menschen für Reaktionen auf die
Vergeblichkeit ihres Wollens und ihres Schaffens? Wie
kommen sie damit zurecht? Die einen ergreifen die
Flucht. Sie suchen den Wachposten zu verlassen und zu
entfliehen. Das Geschehen scheint sinnlos, das Leben
ohne Wohlsein erscheint wertlos. Man kommt sich unnütz
vor. Und so berichtet schon die Heilige Schrift
wiederholt von Menschen, welche das Leben satt hatten
und die Flucht ergriffen haben. „Ich habe es aufgegeben,
ich will nicht leben fürderhin“, heißt es im Buche Job.
Der Prophet Jonas wünschte sich den Tod und sagte: „Es
ist besser für mich zu sterben als zu leben.“ Und manche
haben den Tod nicht nur gewünscht, sondern sie haben ihn
gesucht. Der König Saul ließ sich nach der verlorenen
Schlacht von seinem Waffenträger töten, eine Art
Selbstmord durch einen anderen. Und ihm haben es viele
nachgemacht. Kurt Tucholsky nahm sich am 21. Dezember
1935 das Leben aus Verzweiflung über seine Krankheit und
die Lage in Deutschland. Stefan Zweig beging am 23.
Februar 1942 Selbstmord in Petropolis in Brasilien,
ebenfalls aus Verzweiflung und Enttäuschung über sein
Leben und über die politische Lage in Europa. Es wird
wenige Menschen geben, denen nicht schon einmal der
Gedanke gekommen ist: Ach, wenn ich doch sterben könnte!
Wenn ich doch endlich Ruhe fände!
Man kann
auch versuchen, in ein Traumland zu gehen und das Leben
in seiner Flüchtigkeit anzusehen wie eine Welle, die
emporgehoben wird und versinkt, wie ein Wolke, die
zerrinnt. „Erglühen und Verbleichen gabst du uns als
Traum. Ach wie flüchtig ist die Zeit. Was wir gestern
kaum begonnen, heute liegt es schon so weit, grau und
nebelhaft zerronnen. Ach, wie flüchtig ist die Zeit!“
hat Clemens von Brentano gedichtet. Und tatsächlich:
„Rauch ist alles irdische Wesen. Wie des Dampfes Säule
weht, schwinden alle Erdengrößen. Nur die Götter bleiben
stet“, heißt es bei Schiller.
Viele, sehr
viele machen das Schicksal für die Erfolglosigkeit und
die Ergebnislosigkeit ihres Lebens verantwortlich, die
Schicksalsverstrickung, die schon in der Antike eine
große Rolle spielt. Das Schicksal ist mächtiger nach den
griechischen Philosophen und Dichtern als alles
menschliche Bemühen. Und so kommen manche zu
pessimistischen Aussagen wie etwa Sophokles: „Niemals
geboren zu werden wäre das beste. Auch in der Kindheit
zu sterben, ist gut. Rings auf dem Meere des Lebens
umdrohen dich Brandung und Klippen. Es treibe dein Kiel
west- oder ostwärts, stets bleibst du in Sorgen, Wogen
und Winden ein sicheres Ziel.“ Nicht nur die
griechischen Philosophen und Dichter haben das Schicksal
angerufen, auch in unserer Gegenwart gibt es Äußerungen,
die das Schicksal für die Ergebnislosigkeit, ja manchmal
sogar für die Sinnlosigkeit des Lebens verantwortlich zu
machen versuchen. „Es murmeln die Wogen ihr ewiges
Gemurmel. Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken. Es
blinken die Sterne, gleichgültig und kalt, und ein Narr
wartet auf Antwort“, heißt es bei Heinrich Heine. „Ja,
Schicksal, ich verstehe dich. Mein Glück ist nicht von
dieser Welt. Es blüht ein Traum der Dichtung nur. Du
sendest mir der Schmerzen viel und gibst für jedes Leid
ein Lied.“ So hat uns Ludwig Uhland gedichtet.
Die Dichter
und Philosophen sprechen oft von der Unentrinnbarkeit
des Schicksals. Wir sind ihm ausgeliefert. „Sic erat in
fatis“, heißt es bei Ovid, so stand es im
Schicksalsbuche. Sic erat in fatis. „Wissend, schauend,
unverwandt muss sich mein Geschick vollenden“ spricht
Kassandra bei Friedrich Schiller. „Willst du mit den
Kinderhänden in des Schicksals Speichen greifen, seines
Donnerwagens Lauf hält kein sterblich Wesen auf“,
dichtet Franz Grillparzer.
Viele
Menschen, vielleicht auch wir reagieren auf die
Ergebnislosigkeit ihres Mühens mit Lebensangst. Die
Angst begleitet unser Leben. Die Lebensangst ist der
natürliche Aufschrei der Kreatur. Lebensangst, die sich
häufig mit Übermut paart, Lebensangst, die gierig nach
dem Becher greift, um zu trinken; sie sucht
Lebenswasser, aber sie findet nur Abwasser. Ich habe
mich immer gewundert, wie sich die deutschen
Unterseebootfahrer im letzten Kriege verhalten haben.
Keine deutsche Waffe hatte so hohe Verluste wie die
Unterseebootfahrer. Wenn sie von ihren Stützpunkten in
Frankreich ausfuhren, wussten sie mit größter
Wahrscheinlichkeit: Wir kommen nicht zurück. Und wie
reagierten sie darauf? Sie feierten am letzten Abend vor
der Ausfahrt wilde Feste mit Alkohol und Frauen. So
gingen sie in den fast sicheren Tod. So suchten sie die
Lebensangst zu betäuben.
Manche
meinen mit Stolz ihr Leben wenden zu können, mit stolzer
Gleichgültigkeit: Ach, im Grunde ist alles halb so
schlimm. Dieser Stolz ist jedoch eine seelische
Verkrampfung. Er führt zur müden Resignation, zum
Neinsagen. Dieser Stolz erkennt nur das Gesetz der
Notwendigkeit und nicht das Gesetz der Liebe. Ein
Stoiker hat einmal gesagt: „Ich denke mir die Natur wie
eine Frau, die einen prächtigen Mantel trägt mit einer
Schleppe, und mit dieser Schleppe schreitet sie dahin
und tötet die Ameisen, die ihr in den Weg kommen. Und
ich bin so eine Ameise.“
Das alles
sind Irrwege, auch wenn sie manchen als Auswege
erscheinen mögen. Die einzige richtige Haltung gibt uns
das Christentum, und diese Haltung lässt sich in einem
Wort zusammenfassen: Geduld. Im Römerbrief ist uns das
Hohelied der Geduld angeklungen, wenn Paulus schreibt:
„Trübsal wirkt Geduld (nicht Verzweiflung, nicht Angst),
Geduld wirkt Bewährung, Bewährung wirkt Hoffnung, die
Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden.“ Geduld,
christliche Geduld ist Ausdauer und Einsatz aller Kräfte
in schwierigen Lagen. Geduld ist Kraftentfaltung der
Seele gegenüber den Lasten, die uns zufallen. Geduld ist
das Ertragen gegenwärtiger Übel ohne ungeordnete Trauer.
Geduld müssen wir aufbringen, wenn wir unser Leben und
die Ergebnislosigkeit, die scheinbare Sinnlosigkeit
unseres Schaffens ertragen wollen. Die Jünger hatten die
ganze Nacht gearbeitet, doch das durfte sie nicht zum
Aufgeben zwingen. „Werft eure Netze aus!“ sagt der Herr,
und die enttäuschten, ermatteten Jünger werfen ihre
Netze aus. Moses hat einmal in einer trüben Stunde
gläubig und in Zuversicht ausgeharrt. „Er hielt sich an
den, den er nicht sah, als sehe er ihn.“ Er hielt sich
an den, den er nicht sah, als sehe er ihn. Die Apostel
haben neu begonnen: „Auf dein Wort hin will ich die
Netze auswerfen.“ So nur wird die Vergeblichkeit der
Nacht in den Erfolg des Tages verwandelt. Und so höre
ich den Ruf heute an uns ergehen, meine lieben Freunde:
Nicht aufgeben, weitermachen, warten können, Vertrauen
haben. Ich höre die Stimme des Herrn: „Jünger Christi,
werft eure Netze aus! Katholische Männer und Frauen,
werft eure Netze aus! Priester des Herrn, werft eure
Netze aus! Katholische Eltern, werft eure Netze aus!
Überwindet Mutlosigkeit und Verzagtheit, habt Zuversicht
und Vertrauen. Gebt Zeugnis von dem Glauben, der euch
trägt, legt Rechenschaft ab von der Hoffnung, die euch
bewegt!
Gewiß, wir
sind ohnmächtige Kinder Gottes. Aber der Mensch mit Gott
ist stärker als alle anderen Menschen. Nichts Gutes, was
ich will und was ich vollbringe, nichts Gutes, meine
lieben Freunde, kann umsonst sein. Was Menschen
vergeblich scheint, das ist ein Gewinn vor Gott. Nichts
Schweres, was ich trage, hinterlässt nur Narben, sondern
bringt auch Früchte in die Scheuer Gottes. All dies,
auch das menschlich Vergebliche, auch das was uns
sinnlos scheint, schwingt sich zum allwissenden und
verstehenden Gott empor. Joseph von Eichendorff hat es
einmal in die Worte gefasst: „Wenn die Wogen unten
toben, Menschenwitz zuschanden wird, weist mit feurigen
Zügen droben heimwärts dich der Wogen Hirt. Sollst nach
keinem anderen fragen, nicht zurückschaun nach dem Land.
Faß das Steuer, laß das Zagen, aufgerollt hat Gottes
Hand die Wogen zu bewahren und die Sterne, dich zu
wahren.“
Amen.
Da ist es
wieder, dieses Ärgernis erregende Evangelium. Ärgernis
erregend, ja. Die Gegner des Christentums nehmen das
Gleichnis zur Zielscheibe schwerer Vorwürfe gegen Jesus,
seine Verkündigung und die Kirche. Sie stolpern über die
Worte: „Der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil
er klug gehandelt hatte.“ Daraus wird nun fälschlich der
Schluß gezogen, Christus erkläre sich irgendwie einig
mit dem Verhalten des Verwalters. Das ist ein einziges
Missverständnis. Nicht der reiche Mann, ein
Großgrundbesitzer, wie es sie in der Zeit Jesu, vor
allem in Galiläa, gab, nicht der reiche Mann ist die
Hauptgestalt des Gleichnisses, sondern der Verwalter. Er
wird bei seinem Herrn angeklagt, dass er seine Güter
veruntreue, ob mit Recht oder nicht, bleibt unklar, ist
auch für das Gleichnis gar nicht wichtig. Wichtig ist
nur, dass der Herr der Klage Glauben schenkt und es dem
Verwalter nicht gelingt, das erschütterte Vertrauen
wieder zu gewinnen. Er wird seines Amtes entsetzt und
zur Rechenschaft gezogen, d. h. er muss alle Rechnungen
vorlegen, alle Schuldscheine, die der Herr offenbar
bisher nicht geprüft hat; vielleicht lebte er sogar im
Ausland.
In dem
Selbstgespräch, das jetzt das Gleichnis wiedergibt, wird
gezeigt, dass der Mann mit Überlegungen für seine
Zukunft beschäftigt ist. Etwa durch Bitten bei seinem
Herrn etwas zu erreichen, sieht er offenbar als
aussichtslos an. Nun gibt es aber zwei andere,
anständige Wege, um sein Auskommen nach der Entlassung
zu finden. Er könnte graben, d.h. er könnte schwere
körperliche Arbeit tun. Oder er könnte betteln, also
durch Fechten seinen Lebensunterhalt verdienen. Doch
beides kommt aus verschiedenen Gründen für ihn nicht in
Frage. Aber da kommt ihm ein rettender Gedanke, dessen
Ausführung ihm über alle Zukunftssorgen hinweghelfen
kann. Er ist entschlossen, mit absoluter
Skrupellosigkeit und auf Kosten seines Herrn sich selbst
zu helfen. Er nutzt die kurze Frist, die er noch hat; er
muss ja die Papiere vorlegen. Und seine Überlegungen
führen ihn zu der Erkenntnis, dass alles darauf ankommt,
seine Vollmacht, die er noch für kurze Zeit besitzt, für
die Sicherung seiner Zukunft zu benutzen. Er macht es
so, dass er sie Schuldner seines Herrn, mit denen
abzurechnen ja immer noch seine Aufgabe ist, kommen
lässt und ihnen weitgehend entgegenkommt, indem er ihre
Schuld herabsetzt. Er lässt jeden einzeln kommen. Das
ist natürlich verständlich, denn solche Geschäfte, wie
er sie vorhat, kann man nur einzeln, unter vier Augen,
machen. Die Frage, wieviel der Schuldschein enthält, ist
nicht zu dem Zweck gestellt, dass er sich selber
informiert. Er weiß es ja, denn er hat ja die
Schuldscheine in Händen, sondern das gehört zu der
lebensvollen Darstellung und dient dem Verständnis des
Zuhörers. Er lässt also einen nach dem anderen kommen,
zwei nur werden vorgeführt. Der erste schuldet dem Herrn
100 Bat Öl. Ein Bat sind 36 Liter. 100 Bat Öl ist so
viel wie der Jahresertrag von 160 Ölbäumen, der
Jahresertrag von 160 Ölbäumen, das ist eine gewaltige
Menge. Und bei dem anderen ist der Wert der Schuld nicht
geringer: 100 Kor Weizen. Ein Kor sind 10 Bat, also auch
eine gewaltige Menge. Die Schuld wird bei beiden
ungefähr gleich sein. Die Schuldscheine werden jetzt
geändert, und zwar so, dass der alte Schein durch einen
neuen ersetzt wird. Die neuen Schuldurkunden gewinnen
verpflichtende Kraft durch die Unterzeichnung für beide
Beteiligte, und das sichert dem Verwalter die Zukunft,
denn die Schuldner werden sich dank dieser Manipulation
dankbar zeigen und ihn in ihre Wohnungen aufnehmen. Er
braucht sich also für die Zukunft keine Sorgen zu
machen.
Und jetzt
kommt der entscheidende Satz: „Der Herr lobte den
ungerechten Verwalter.“ Er lobte ihn wegen seiner
Klugheit, nicht wegen seiner Ungerechtigkeit. Er wird
nicht umsonst der ungerechte Verwalter genannt, weil der
Herr an der Ungerechtigkeit überhaupt nicht rüttelt,
aber er lobt seine Klugheit, dass er seine Vollmacht
benutzt hat in der Zeit, wo er noch darüber verfügt, um
für seine Zukunft zu sorgen. In der Klugheit, und in
nichts anderen, liegt die Vorbildlichkeit seiner
Handlung. Das ist immer so bei den Gleichnissen, die der
Herr erzählt. Es ist ein einziger Zug, auf den es
ankommt, alles andere ist Beiwerk. Und dieser Zug, auf
den es hier ankommt, ist die Klugheit des Verwalters.
Dadurch verliert das Gleichnis seine Bedenklichkeit.
Mathilde Ludendorff, die die Älteren unter Ihnen
vielleicht noch kennen, Mathilde Ludendorff, die in den
30er Jahren eine eigene Religionsgemeinschaft stiftete,
hat wegen dieses Gleichnisses die katholische Kirche in
schwerster Weise verdächtigt. Sie hat es nicht
verstanden.
Es ist auch
gar keine Frage, dass mit dem Herrn, der hier lobt,
Jesus selber gemeint ist. Er lobt nicht den Betrug, und
noch viel weniger empfiehlt er seinen Jüngern, nun auch
zu betrügen, um sich Freunde zu machen. Er lobt nur die
Klugheit des Mannes. Klüger, als er gehandelt hat, hätte
er in seiner Lage gar nicht handeln können. Und allein
darin setzt Jesus ihn, der gerade jetzt betont ihn als
ungerechten Verwalter bezeichnet, ihn zum Vorbild. Und
dann kommt eine sentenzenartige Schlussfolgerung, eine
allgemeine Begründung, nämlich: Die Kinder dieser Welt
sind im Verkehr mit ihresgleichen klüger als die Kinder
des Lichtes. Hier werden also zwei Gruppen von Menschen
gegenübergestellt. Kinder dieser Welt. Wer ist damit
gemeint? Nun, da wir wissen, dass nach dem Evangelium
die Welt im argen liegt, dass der Teufel der Herrscher
dieser Welt ist, muss man annehmen, dass die Kinder
dieser Welt solche sind, die sich dieser im argen
liegenden Welt verpflichtet halten und die dem Teufel
als ihrem Herrn dienen. Weltmenschen sind das, Kinder
dieser Welt. Kinder des Lichtes dagegen sind jene, die
sich vom Glauben haben erleuchten lassen, die aus der
Finsternis in das Licht Christi eingetreten sind, die
jetzt als Kinder des Lichtes zu wandeln berufen sind.
Und jetzt
kommt die Mahnung und, wenn Sie wollen, der Tadel an die
Kinder des Lichtes. Sie tun nämlich weniger für ihr
himmlisches Ziel, als die Weltmenschen für ihr irdisches
Ziel unternehmen. Sie sollten sich bei der ungleich
wichtigeren Aufgabe, nämlich für das ewige Ziel zu
sorgen, mehr mühen als bisher und sich an dem auf den
Eigennutz ausgerichteten Verhalten der Weltmenschen ein
Beispiel nehmen. Sie sollten von ihnen lernen. Wie jene,
die für ihren Untergang sorgen, sollten sie für ihr Heil
besorgt sein. Die Jünger bedürfen offenbar solcher
Belehrung. Sie sind zwar aus dieser Welt und ihren
Bindungen durch Jesus herausgenommen, und sie sind in
das Licht gestellt, das Gott umgibt und das in Jesus
erschienen ist und wirksam geworden ist. Aber das
Handeln, das Handeln nach den Maßstäben des Lichtes ist
ihnen keineswegs selbstverständlich, wie es das Handeln
nach den Maßstäben der Dunkelheit ist für diejenigen,
die dort verblieben sind. Die Mahnung Jesu an seine
Jünger lautet deswegen: „Seid nun die Menschen des
Lichtes, zu denen euch Gottes vergebende Gnade gemacht
hat. Und seid es bewusst und ganz. Und vor allem:
Bewährt es durch die Art und Weise, wie ihr mit den
Gütern dieser Welt und besonders mit dem Mammon umgeht.“
Es heißt also alles daran setzen, damit wir das ewige
Leben erlangen. Oder wie es das kleine Verslein
ausdrückt, das wir als Kinder gelernt haben: „Das hab
ich mir vorgenommen: In den Himmel will ich kommen. Mag
es kosten, was es will, für den Himmel ist nichts
zuviel.“
Das
Gleichnis gestattet aber noch eine andere Überlegung. Es
gibt eine fundamentale Unterlegenheit des guten,
himmlisch gesinnten Menschen gegenüber dem gerissenen,
irdisch eingestellten Menschen. Es gibt eine
fundamentale Unterlegenheit. Wieso? Erstens, der
himmlisch eingestellte Mensch setzt nicht seine ganze
Kraft und nicht alle seine Unternehmungen für irdische
Ziele ein. Er verwendet einen Teil seiner Kraft für das
jenseitige Ziel, zum Beispiel, dass er sonntags in die
Kirche geht. Der irdisch eingestellte Mensch dagegen
benutzt alle seine Kräfte dazu, auf Erden Gewinn zu
machen, voranzukommen, und in dieser rücksichtslosen
Entschlossenheit ist er dem himmlisch eingestellten
Menschen überlegen. Zweitens, der himmlisch eingestellte
Mensch ist bei Streitigkeiten leichter geneigt
nachzugeben als der irdisch gesinnte Mensch. Er weiß, es
gibt wichtigere Dinge als Besitz und Genuß. Der irdisch
eingestellte Mensch dagegen beharrt unerbittlich auf
seinen Forderungen. Er gibt nicht nach. Dadurch ist er
dem himmlisch eingestellten Menschen überlegen. Er kommt
leichter zu seinem Ziel. Drittens, der himmlisch
eingestellte Mensch verzichtet bei seinen irdischen
Bestrebungen auf Tricks und Winkelzüge. Er verzichtet
auch auf den Ellenbogen. Er verzichtet erst recht auf
unlautere Mittel. Dadurch ist er dem irdisch gesinnten
Menschen unterlegen. Der irdisch eingestellte Mensch
bedient sich aller Mittel, um seine Bestrebungen zum
Erfolg zu führen. Er schreckt vor Täuschung und Lüge
nicht zurück. Dadurch ist er dem himmlisch eingestellten
Menschen überlegen.
Der Herr
knüpft an dieses Gleichnis noch eine weitere Anwendung,
nämlich die: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten
Mammon, damit man euch, wenn es zu Ende geht, in die
ewigen Hütten aufnehme.“ Freunde machen mit dem
ungerechten Mammon. Das Wort „ungerecht“ vor dem Mammon
zeigt, dass eben leicht beim Gewinnstreben Unrecht
unterlaufen kann. Wenn wir in unser Herz schauen, können
wir vielleicht auch feststellen, dass wir bei dem
Bestreben, Gewinn zu machen, nicht immer Gottes Willen
getan haben. Deswegen die Bezeichnung des Mammons als
„ungerecht“. Und der Herr fordert nun auf, den
ungerechten Mammon so zu benutzen, dass man sich Freunde
macht im Himmel. Wer ist denn damit gemeint? Es ist
niemand anders gemeint als Gott selber, denn er ist es,
der die Gerechten belohnt und die Ungerechten bestraft.
Er ist es, der urteilt, wie wir mit dem Mammon
umgegangen sind. Und wenn wir recht damit umgegangen
sind, dann wird der Herr uns in die „ewigen Hütten“
aufnehmen. So heißt es nämlich im griechischen Text: in
die ewigen Hütten, nicht Wohnungen. Und das ist offenbar
im Gegensatz gesagt zu den Wohnungen, in die der
ungerechte Verwalter aufgenommen werden will. Wir
streben nach den Hütten der Ewigkeit, in die ewigen
Hütten, die der Herr für uns bereitet hat.
Was wir
heute nicht vorgelesen haben, weil es im Text der
heiligen Messe nicht vorgesehen ist, das geht noch
weiter. Da heißt es nämlich: „Wer im Kleinsten treu ist,
der ist auch im Großen treu, und wer im Kleinsten untreu
ist, der ist auch im Großen untreu. Wenn ihr nicht treu
waret mit dem nichtigen Mammon, wird euch dann das wahre
Gut anvertraut werden? Ihr könnt nicht Gott dienen und
dem Mammon.“ Das ist tatsächlich eine weitere Anwendung.
Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder Gott diesen,
dem ewigen Ziel, und alles, was wir auf Erden tun, auf
dieses Ziel ausrichten, oder den irdischen Bestrebungen
nachgeben, dem Mammon, also dem Verdienst, dem Gewinn,
und auf diese Weise das ewige Ziel verpassen.
Wir, meine
lieben Freunde, sollten aus diesem Gleichnis die
Folgerung ziehen, dass uns Geld, Gut und Besitz Freunde
schaffen kann im Himmel, wenn wir sie richtig verwenden.
Das heißt nicht nur, dass wir Almosen geben, was auch
dazu gehört. Nein, sondern dass wir eben mit dem Geld
verantwortungsvoll umgehen, dass wir unseren Besitz so
verwenden, wie wir es einmal vor dem Richterstuhl Gottes
wollen verantworten können. Wir müssen also in die
heilige Welt der wahren Werte gehen und uns vor allem an
das unvergängliche Wort des Herrn erinnern: „Was nützt
es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, aber
Schaden litte an seiner Seele?“
Amen.
Es gehört
zu den erschütterndsten Zeugnissen der Offenbarung: Gott
weint über den Menschen. Enthüllt uns das nicht klarer
als viele Worte das Wesen Gottes, das Herz Gottes, seine
Gesinnungen gegenüber den Menschen? Und zeigt es uns
nicht auch auf der anderen Seite, was der Mensch ist,
welches dunkle Geheimnis er birgt und in welche Tiefen
er hinabsteigen kann? Was ist Gott – und was ist der
Mensch! Die letzten und tiefsten Fragen überfallen uns
angesichts des weinenden Christus. Wer ist Gott, dass er
über die Menschen weint? Was die ganze Geschichte des
Volkes Israel offenbar gemacht hat, das wird hier auf
dem Höhepunkt von Gottes Offenbarung in erschütternder
Weise kund. Gott geht den Menschen nach auf ihren Wegen.
Er sucht sie mit der ganzen Liebe seines Herzens heim.
Die
Propheten haben in ergreifender Weise, durch Gott
erleuchtet, mit dem Heiligen Geist begabt, diese Wege
Gottes uns geschildert. „Ich, der Herr, rief dich in
Güte“, heißt es beim Propheten Isaias. „Ich fasste dich
bei der Hand und behütete dich.“ „So spricht der Herr:
Ich will meinen Schafen nachgehen und sie heimsuchen.
Wie ein Hirt seine Herde heimsucht und in ihre Mitte
kommt, so will ich suchen, was verloren war,
zurückführen, was verscheucht war. Was verletzt ist,
will ich verbinden, und was schwach ist, will ich
stärken“, so spricht Gott durch den Propheten Ezechiel.
Und an einer anderen Stelle desselben Propheten heißt
es: „Ich schließe einen Bund, den Bund des Friedens mit
ihnen. Ein ewiger Bund soll es sein. Ich will sie segnen
und sie mehren und meine Wohnung unter ihnen nehmen.“
Jesus kennt
seinen Vater wie niemand sonst, und er selbst ist, von
solcher Liebe gedrängt, als der Gute Hirt zu seinem Volk
gekommen, um diese Verheißungen wahrzumachen. Er hat in
seinen Reden unermüdlich die Botschaft vom Vater im
Himmel und seiner erbarmenden Liebe verkündet, und er
hat durch seine Machttaten und Wunder gezeigt, dass Gott
alles daransetzt, um die Menschen zu gewinnen. Sie
sollten spüren, dass das Reich Gottes in ihm auf die
Erde gekommen ist. Er hat sich die Füße wundgelaufen und
Hunger und Durst ertragen, um die Verlorenen zu suchen.
Er selbst sagt es: „Jerusalem, Jerusalem, wie oft wollte
ich deine Kinder sammeln, wie eine Henne ihre Küchlein
sammelt!“ Dies ist ein ganz gewichtiges Wort: „Wie oft
wollte ich deine Kinder sammeln.“ Dieses Wort zeigt uns,
dass Jesus wiederholt in Jerusalem gewirkt hat und dass
es also nicht richtig ist, zu behaupten, Jesus habe nur
ein Jahr lang das Wort Gottes verkündet und sein Volk
heimgesucht. Er muss mehrere Jahre gewirkt haben, und
wir nehmen mit Recht an: es waren drei Jahre. „Wie oft
habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie eine Henne
ihre Küchlein sammelt.“ Rastlos und unermüdlich hat er
sich um sein Volk und namentlich um die Bewohner von
Jerusalem bemüht. Und wenn er es jetzt sagt, wo er zum
letzten Mal nach Jerusalem einzieht, dann ist das ein
Zeichen, ein Ausdruck, ein wehmütiger Ausdruck einer
verschmähten Liebe. Man könnte auch das Wort vom
Karfreitag zitieren: „Mein Volk, mein Volk, was tat ich
dir? Was hätte ich noch tun sollen? Was hätte ich dir
noch mehr tun sollen und tat es nicht?“ Jetzt bietet der
Herr noch einmal eine letzte Gelegenheit, jetzt am
Palmsonntag, wo er in Jerusalem einzieht. Jetzt soll die
Menge noch einmal zum Glauben geführt werden, und er
lässt es jetzt geschehen, dass sie ihm huldigen. Früher
hat er es abgewiesen, als sie ihn zum König machen
wollten, weil er kein politischer Messias sein wollte,
sondern ein religiöser. Aber jetzt, jetzt dürfen sie ihn
als Messiaskönig ausrufen, jetzt dürfen sie ihm die Tore
ihrer Stadt und ihrer Herzen öffnen. Der liebreiche Gott
kommt jetzt einmal, noch einmal, zum letzten Mal durch
seinen Sohn zu seinem geliebten Volke und bietet ihm
Leben und Heil an.
Hätte das
Volk nicht spätestens aufhorchen müssen und sich
bekehren sollen, als es den Herrn auf den Halden von
Jerusalem sitzen sah und weinen über sein Volk? „Seht,
wie lieb er ihn hatte“, haben die Menschen gesagt, als
er den Lazarus aus dem Grabe rief. Jetzt müßten sie
sagen: „Seht, wie lieb er uns hatte, als er seine Tränen
für uns vergoß!“ Das ist unser Gott. Das ist unser Gott,
ein Gott, dessen tiefstes Wesen Liebe ist, der in sich
die Fülle des Lebens trägt und sie dem Menschen
vermachen will. Aus solcher Liebe hat er die Welt ins
Leben gerufen. Manche fragen: Ja warum existiert denn
überhaupt etwas? Warum ist nicht nichts? Die Antwort
lautet: Weil Gott ein Gott der Liebe ist und eine Welt
und Geschöpfe schaffen wollte, denen er Anteil geben
wollte an seiner Liebe. das ist der Grund der Schöpfung.
Und nicht genug: Als die Menschen sich verirrt hatten,
als sie in die Irre geraten waren, da ist er ihnen
nachgegangen, da hat er sie zurückzuführen versucht. Wir
müssen an die Liebe dieses Gottes glauben.
Wir kennen
die Einwände, meine lieben Freunde, wir wissen, wie
Sorge und Not, Leid und Kreuz an vielen von uns zehren,
manchmal, so scheint es, fast über die menschliche Kraft
gehend. Aber wir dürfen nicht an der Liebe Gottes irre
werden; wir dürfen es nicht! Wir müssen an diese Liebe
glauben. „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und
meine Wege sind nicht eure Wege. Wie hoch der Himmel
über der Erde ist, so hoch sind meine Wege über euren
Wegen, und meine Gedanken über euren Gedanken.“ Gott ist
die Liebe, und es muss geglaubt werden, was der Apostel
Paulus im Römerbrief schreibt: „Denen, die Gott lieben,
gereicht alles zum Besten.“ Wir haben es also in der
Hand, das, was uns widerfährt, zum Besten gereichen zu
lassen, wenn wir es in der Liebe, in der Liebe zu Gott
tragen.
Seine
Tränen beweisen, dass er gekommen ist, uns zu erretten,
dass wir glauben sollen: Gott ist ein Gott der Erbarmung
und der Liebe. Doch daneben steht das dunkle Geheimnis
des Menschen. Es sind ja Tränen einer enttäuschten
Liebe, die Christus weint, und das ist es, was diese
Tränen so erschütternd macht. „Jerusalem, Jerusalem, wie
oft wollte ich deine Kinder sammeln – aber du hast nicht
gewollt!“ Das ist der Nachsatz: Aber du hast nicht
gewollt. Und im heutigen Evangelium kommt es über die
Lippen des Heilandes: „Wenn doch auch du erkannt hättest
an diesem deinem Tage, was dir zum Frieden dient! Nun
aber ist es verborgen vor deinen Augen.“ Jerusalem
müsste an diesem Tage, an diesem letzten Gnadentage, an
diesem Tage, da es zum letzten Mal heimgesucht wird,
erkennen, was Gott von ihm fordert, und es müsste Jesus
als seinen Herrn und Messias anerkennen. Dann würde es
die Bedingung für die Erlangung des Heiles erfüllen.
Aber das ist unmöglich, weil ihm die Erkenntnis durch
ein göttliches Strafverhängnis verschlossen ist.
Jerusalem hat Jesus nicht als den Messias erkennen
wollen, und deswegen ist es mit Blindheit geschlagen.
In Jesus
haben sich nicht nur die seligen Verheißungen der
Propheten erfüllt, sondern auch die düsteren
Vorhersagen. „Ich rief. Warum gab niemand mir Antwort?“
heißt es beim Propheten Isaias. „Ich halte meine Arme
den ganzen Tag ausgestreckt nach einem widerspenstigen
Volke, das seinen eigenen Gedanken nachgeht auf
unheilvollen Wegen. Sie haben den Bund mit mir
gebrochen, obwohl ich doch der Herr bin“, lässt Gott den
Propheten Jeremias sprechen. „Mich haben sie verlassen,
den Quell lebendigen Wassers, und sich lächerliche
Brunnen gegraben, die kein Wasser halten.“ Wie war es
möglich, dass das Gottesvolk, das erwählte Gottesvolk
seinen Heiland, nach dem es sich ja im Grunde sehnte,
verkannte und verwarf? Er hat doch alles getan, um sich
zu bezeugen. Seine Wunder, seine Weissagungen, seine
Heilungen, das alles war doch angetan, ihn dem Volke als
den Messias erkennen zu lassen. Und er ist ja von
einigen erkannt worden. „Wir haben seine Herrlichkeit
gesehen“, schreibt der Apostel Johannes, „seine
Herrlichkeit voll der Gnade und Wahrheit.“ Aber nicht
alle wollten sie sehen. Die Liebe Gottes, die Wunder
Gottes scheitern an dem tragischen Nichtwollen der
Menschen. In unbegreiflicher Weise hat Gott gewollt,
dass der Mensch fähig ist, sich Gott zu widersetzen. Ja,
genauso ist es: Der Mensch ist fähig, sich Gott zu
widersetzen. Gott hat ihn mit dem freien Willen
ausgestattet, mit dem er Gott folgen, ihn anbeten und
ihm dienen sollte. Aber der Mensch ist fähig, sich gegen
Gott zu entscheiden. Und wenn er dies tut, dann ist er
mit Blindheit geschlagen, dann kommt die Blindheit über
ihn als eine dunkle Macht. Und so ist es dem
auserwählten Volke ergangen. Es war berufen zu einer
einzigartigen Gemeinschaft mit seinem Gotte, aber es
versagte in der großen Mehrheit. Es versagte auch in der
entscheidenden Stunde, da Jesus noch einmal zu ihm kam,
um es aufzurütteln und zu Gott zurückzuführen.
Der Apostel
Paulus hat im 1. Korintherbrief, von dem wir ja heute
die Lesung gehört haben, das Schicksal des Volkes in
ergreifender Weise geschildert. „Ich möchte euch, meine
Brüder, nicht in Unkenntnis lassen, dass unsere Väter
alle unter der Wolke waren, alle durch das Meer zogen,
alle in der Wolke und im Meere eine Taufe empfingen,
dass alle eine geistige Speise aßen und alle denselben
geistigen Trank genossen. Und doch hatte Gott an den
meisten von ihnen kein Wohlgefallen. Und so wurden sie
in der Wüste niedergestreckt.“ Und jetzt kommt, was uns
angeht: „Das ist uns zum Vorbild geschehen. Es soll uns
nicht nach dem Bösen gelüsten, wie es jenen gelüstete.
Alles, was ihnen widerfuhr, ist vorbildlich für uns
geschehen, uns zur Warnung, uns, die wir die Vollendung
der Zeiten erleben. Wer steht, der sehe zu, dass er
nicht falle!“
Diese
warnenden Beispiele aus dem Alten Testament sind uns zum
Heile geschehen. So wie das ganze Volk Israel in seiner
Weise von Gott begnadet wurde durch die Führung in der
Wüste, durch die wunderbare Speisung, so kann auch das
gläubig gewordene Volk keine absolute Heilsgewißheit
gewinnen durch Gebet, Gottesdienst, Taufe und Meßopfer.
Das alles genügt nicht, wenn die ernstliche Anstrengung
und der tapfere Kampf gegen das Böse fehlt. Taufe und
Meßopfer sind keine Heilsgarantie für Ungehorsame, die
sich durch ihr Handeln den Gnadenerweisungen Gottes
widersetzen. Die Rettung vor dem Untergang ist also
nicht von einem religiösen, nicht von einem
sakramentalen Automatismus zu erwarten. Man muss sich
bewähren im Leben, in der Arbeit, im Beruf, gegenüber
seiner Familie, seinen Nachbarn, seinen Kollegen. Man
muss sich bewähren im sittlichen Ringen mit der eigenen
Natur, in der Abwehr der Versuchungen, im Erwerb von
Tugenden. Es wird niemand gekrönt, der nicht recht
gekämpft hat. Und Christus zeigt uns mit Tränen bitteren
Wehes das Ende des Weges, das dem Volke bevorsteht. „Es
werden Tage über dich kommen, da werden deine Feinde
dich mit einem Wall umgeben (Belagerung); sie werden
dich ringsum einschließen (kein Auskommen aus der
Stadt), und sie werden dich von allen Seiten bedrängen.
(Immer neue Maschinen werden herangebracht, die Mauern
zu beschießen). Sie werden dich samt deinen Kindern in
deinen Mauern zu Boden schmettern und werden keinen
Stein auf dem anderen lassen, weil du die Zeit deiner
Heimsuchung nicht erkannt hast.“
Die Stadt
des Friedenskönigs weist in Jesus Gott ab, und diese
Ablehnung bedeutet, dass es Untergang und Verderben
wählt. Es besteht gar kein Zweifel, dass Jesus die
politische und militärische Zerstörung Jerusalems durch
die Kaiser Vespasian und Titus vorausgesehen und
vorausgesagt hat. Daran besteht gar kein Zweifel. Er
konnte schon aus rein natürlichen, menschlichen
Überlegungen zu dieser Voraussage kommen. Einmal stand
ihm ja das Schicksal Jerusalems im 6. Jahrhundert v.
Chr. vor Augen, wo die Stadt zerstört wurde von den
Babyloniern. Und zum anderen bemerkte er ja das Wachsen
der antirömischen Stimmung im Volke. Immer mehr Leute
ergrimmten sich gegen die Besatzungsmacht, und das
musste eines Tages zur Explosion führen. Und was das
bedeutete gegenüber dem Weltstaat Rom, das musste ihm
auch klar sein. Er freilich hat nicht nur aufgrund
natürlicher Überlegungen diese Prophezeiung gegeben,
sondern er war von Gott, vom Vater im Himmel erleuchtet.
Er wusste, der Untergang Jerusalems ist die Folge seines
Unglaubens. Zur Strafe dafür, dass es seine Gnadenstunde
verkannt hat und Jesus nicht als Messias angenommen hat,
wird es sich gegen Rom empören und dadurch sein
Verderben herbeiführen.
Ich sage es
mit Trauer, meine lieben Freunde: Jetzt gehen Erklärer,
katholische Erklärer der Heiligen Schrift her und sagen:
Diese Weissagung ist, nachdem alles geschehen war, vom
Evangelisten Jesus in den Mund gelegt worden. Jesus hat
also gar nicht prophezeit, sondern der Evangelist hat
Jesu Leben und Jesu Reden romanhaft ausgeschmückt. Hier
ist die Axt an die Wurzel der Glaubwürdigkeit der
Evangelien gelegt. Es ist mir unbegreiflich, warum man
versucht, an den Weissagungen Jesu zu rütteln. Es gibt
doch schon außerhalb der Welt Gottes im natürlichen
Bereich erstaunliche Vorhersagen der Zukunft. Am 30.
Januar 1933 ernannte der Reichspräsident Hindenburg
einen Mann namens Adolf Hitler zum Reichskanzler. Als
das geschah, schrieb der ehemalige Generalstabschef
Hindenburgs, der General Ludendorff, an seinen früheren
Feldherrn: „Ich prophezeie Ihnen feierlich, dass dieser
unselige Mann unser Reich in den Abgrund stoßen, unsere
Nation in unfassbares Elend stoßen wird. Kommende
Geschlechter werden Sie verfluchen in Ihrem Grabe, dass
Sie das getan haben.“ Das war auch eine Prophezeiung,
und sie ist in Erfüllung gegangen. Warum soll also Jesus
nicht das schreckliche Ende Jerusalems vorausgesehen und
vorausgesagt haben? Er, der das Licht vom Vater im
Himmel erhält. Alles, was ihnen widerfuhr, ist uns zur
Warnung geschehen. Wer steht, der sehe zu, dass er nicht
falle!
Sie wissen,
meine lieben Freunde, dass wir alle in Gefahr sind, in
der Gefahr, uns blenden zu lassen vom Glanz dieser Welt,
selbstherrlich und selbstgefällig zu werden. Der
weinende Christus mahnt uns zur Wachsamkeit, damit nicht
über uns einmal gesagt werden muss: Nun aber ist es
verborgen vor deinen Augen. Und es ist mir heute, als
säße unser Herr, unser Heiland auch an den Halden
unserer Städte und weinte, weinte über die Verirrten,
die den Weg des Heils verloren haben, die ihm als ihrem
Hirten zu folgen verschmähen, die im Ungehorsam
verstockt sind. Er weint über jene, die das Taufgelöbnis
zertreten und das milde Joch seiner Gesetzes
abgeschüttelt haben. Er weint über die Schmähungen, die
gegen ihn und die Heiligen ausgestoßen werden. Er weint
über den Schimpf, der gegen seinen Statthalter und gegen
den Priestertand gerichtet ist. Er weint über die
öffentliche Schuld der Völker, welche die Rechte und das
Lehramt der von ihm gestifteten Kirche verwerfen.
Vernehmen
wir die Botschaft des weinenden Christus! Verstehen wir,
dass seine Tränen uns zur Bekehrung drängen! Erkennen
wir, was er von uns will in dieser, vielleicht in dieser
letzten Stunde!
Amen.
Bei
bestimmten Gelegenheiten, vor allem vor Wahlen, hören
wir immer wieder, wie Menschen sich erstaunt zeigen,
dass andere christliche Überlegungen in das öffentliche
Leben, in die politische Diskussion einbringen. Sie
sagen: Religion ist Privatsache, und die politischen
Entscheidungen haben mit Glaubensangelegenheiten nichts
zu tun. Ebenso – sagen sie – ist es Sache des Einzelnen,
was er in seinem Privatleben tut und lässt. Zwei
grundlegende, grundlegend falsche Auffassungen bestimmen
unser politisches Leben. Die erste lautet: Religion ist
Privatsache. Die zweite falsche Meinung heißt: Das
Privatleben geht das politische Leben nichts an.
Diese
falschen Ansichten haben ihre Wurzel darin, dass man das
Christentum, die Religion, die Kirche auf eine Stufe
stellt mit Parteien, Gewerkschaften, Sportvereinen. Ja,
wenn die Kirche nur das wäre, dann allerdings wäre ihre
Botschaft unbeachtlich. Aber die Kirche ist mehr als ein
Verein. Sie ist die Heroldin Gottes auf Erden. Sie ist
die Vertreterin des göttlichen Herrschaftsanspruches auf
Erden. Die Kirche ist der Interpret des
Hoheitsanspruches Gottes. Und weil sie das ist, kann
Religion niemals eine Privatsache sein. Gott ist der
Herr und Schöpfer der Welt. Das ganze Leben des Menschen
wird von ihm beansprucht, ohne Ausnahme, das private und
das öffentliche Leben.
Gerade das
politische Leben ist ja besonders der Weisungen Gottes
bedürftig. Es steht niemandem zu, zu sagen: Gewiß, was
das Heiraten angeht und die Kindtaufe, die Beerdigung,
da hält man sich an die Religion, man ist auch bereit,
Weihnachten und Ostern einmal den Gottesdienst zu
besuchen. Aber was wir sonst tun und lassen, dafür
braucht sich unser Herr und Schöpfer nicht zu
interessieren. Es ist völlig irrig, Gott auf die eine
Stunde des Gottesdienstes am Sonntag beschränken zu
wollen. Es kann keinen menschlichen Bereich ohne Gott,
ohne Christus und ohne die Kirche geben, nicht den Beruf
und nicht den Feierabend, nicht die Familie und auch
nicht Kunst und Wissenschaft und schon gar nicht die
Politik. Denn nichts bestimmt so sehr den Lauf der Welt
wie das politische Geschehen. Davon hängt es ab, ob die
Menschen in Frieden oder Unfrieden leben, on Ehrfurcht
vor Gott besteht oder nicht. Über die Wichtigkeit der
Religion hat einmal der griechische Philosoph
Aristoteles geschrieben: „Die Sorge für die Religion ist
die erste Aufgabe des Staates.“ Der Staat hat zwar nicht
die Religion selbst zu betreiben, aber er soll sie
pflegen und beschützen. Er soll ihr Freiheit und
Entfaltungsmöglichkeit sichern. Er soll der Religion die
Stellung eines Grundgesetzes im Tun und Lassen geben.
Das öffentliche Leben kann nicht religionsfrei sein,
denn wenn es von der Religion frei wäre, dann wäre es
unreligiös, areligiös und antireligiös.
Die
Geschichte aller Völker beweist es: Der religionslose
Staat wird, wenn er sich auswirkt, notwendig zum
sittenlosen Staat. „Wer dem Volke die Religion nehmen
will, ist entweder ein Bösewicht oder ein Narr“, hat der
Vater der amerikanischen Verfassung, George Washington,
einmal gesagt. Wer dem Volke die Religion nehmen will,
ist entweder ein Bösewicht oder ein Narr. Gott muss
herrschen im öffentlichen wie im privaten Leben. Wie
soll privates Leben in Religion und Frömmigkeit möglich
sein, wenn das öffentliche Leben das private erstickt,
wenn das öffentliche Leben die Religion unterdrückt und
ihr keinen Freiraum gewährt? Auch das öffentliche Leben
untersteht dem Hoheitsanspruch Gottes. Die Gesetze des
Staates müssen sich an den Geboten Gottes ausrichten.
Was Gott verbietet, darf der Staat nicht erlauben, und
was Gott gebietet, darf der Staat nicht missachten. Es
gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder das öffentliche
Leben wird von religiösen Grundsätzen bestimmt, oder es
wird durch unreligiöse Prinzipien beherrscht.
Warum,
meine lieben Freunde, warum haben die Iren, dieses
kleine Volk, warum haben die Iren das neue Grundgesetz
für die Europäische Union abgelehnt? Eines der Motive
war: Sie fürchten, dass in Brüssel und in Straßburg die
Religion zu kurz kommt. Sie fürchten, dass der
christliche Einfluß in den europäischen Institutionen
immer mehr abnimmt. Die Gesetze müssen sich an Gottes
Willen ausrichten. Aber auch die Regierung muss nach
Gottes Willen handeln. Ihre oberste Maxime muss sein,
Gottes Willen Achtung zu verschaffen. Die Gebote Gottes
müssen auch für die Regierung Richtschnur sein. Keine
Handlung, die moralisch verwerflich ist, kann als
politisch zulässig gelten. „Was moralisch falsch ist,
kann politisch nicht richtig sein.“ Dieses Wort stammt
von dem englischen Ministerpräsidenten Gladstone. Was
moralisch falsch ist, kann politisch nicht richtig sein.
Aber wonach
richtet sich die Politik? Sie richtet sich nach der
Mehrheit. Die Mehrheit will es, sagt man. Aber die
Mehrheit legitimiert ein Gesetz nicht, sondern die
Wahrheit. Die Mehrheit ist von unseren Dichtern und
Denkern schon öfters als eine schwache
Legitimationsgrundlage bezeichnet worden. Friedrich
Schiller hat in seinem Dichtwerk „Demetrius“ folgende
Äußerungen gemacht: „Was ist Mehrheit? Mehrheit ist
Unsinn. Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen.“ Und
an einer anderen Stelle in demselben Werk heißt es: „Man
soll die Stimmen wägen und nicht zählen. Der Staat muss
untergehen, früh oder spät, wo Mehrheit siegt und
Unverstand entscheidet.“
Woher kommt
die heillose Unordnung in unserer Welt? Durch die
Zerreißung in religiöse und öffentliche Angelegenheiten,
durch die Zertrennung der öffentlichen Bereiche von der
Religion. Daher kommt diese heillose Unordnung. Weil die
Regierungen, weil die Parlamente sich nicht Gott zum
obersten Gesetzgeber nehmen, deswegen wird die Welt
fortlaufend in Unfrieden gestürzt. Er ist der Herr und
Schöpfer, er hat zu befehlen, was im Alltag geschehen
soll. Für Gott gibt es keinen Urlaub; für Gott gibt es
auch kein Schild: „Für Unbefugte ist der Zutritt
verboten!“ Gott will herrschen im Rathaus wie im
Parlament. Das öffentliche Leben muss sich von
religiösen Prinzipien leiten lassen, wenn es nicht in
eine falsche Richtung laufen will.
Aber auch
das Privatleben muss von der Religion geleitet sein. Man
sagt: Nein, das Privatleben ist unbeachtlich für die
Politik, für das Wirken in der Öffentlichkeit. Im
privaten Leben kann jeder machen, was er will, wenn er
nur nicht mit den Strafgesetzen in Konflikt gerät. Meine
lieben Freunde, was im privaten Leben geschieht, ist
höchst beachtlich für das Wirken in der Öffentlichkeit;
denn vom privaten Leben lässt sich auf das Wirken in der
Öffentlichkeit schließen. Das private Leben macht sich
im öffentlichen Leben bemerkbar. Ein Mensch kann nicht
eine Stunde religiös sein und in einer anderen Stunde
nicht religiös, ebensowenig wie er eine Stunde gesund
sein kann und in einer anderen Stunde krank. Die
menschliche Persönlichkeit lässt sich nicht zerteilen.
Wer religionslos oder sittenlos ist, ist es nicht nur im
privaten Leben, sondern es wird sich unweigerlich seine
Religionslosigkeit oder Sittenlosigkeit auch im
öffentlichen Leben geltend machen.
Von
Robespierre stammt das schöne Wort: „Ich glaube nicht,
dass ein schlechter Mensch ein guter Politiker sein
kann.“ Wie richtig! Ich glaube nicht, dass ein
schlechter Mensch ein guter Politiker sein kann. Die
Geschichte liefert den Kommentar zu diesem Worte
Robbespieres. Die Geschichte weiß viele Personen zu
nennen, deren zerrüttetes privates Leben unheilvoll sich
auf ihr öffentliches Wirken ausgewirkt hat. Sie haben
vielleicht schon den Namen des französischen
Ministerpräsidenten Clemenceau gehört. Clemenceau war
ein ungetaufter Atheist, ein grimmiger Hasser des
Christentums, ein erbitterter Feind der katholischen
Kirche. Er war in seinem Inneren zerfressen vom Haß. Der
Haß gegen die Religion war ein bestimmendes Motiv seines
ganzen Lebens. Nicht umsonst hatte er den Beinamen „le
tigre“, der Tiger. Auf ihn geht in der Hauptsache der
Vertrag von Versailles zurück. Dieser Vertrag, der
Deutschland zerstückelte, der dem deutschen Volke
unermeßliche Zahlungen auferlegte, der das deutsche Volk
demütigte und auf diese Weise den Keim zu einem neuen
Kriege legte. Der Zentrumspolitiker Ludwig Kaas hat
einmal das treffende Wort gesagt: „Hitler ist nicht in
Braunau, sondern in Versailles geboren.“ Er wollte damit
sagen, ohne die furchtbaren Verhältnisse, wie sie durch
den Vertrag von Versailles geschaffen wurden, hätte der
Demagoge Hitler niemals soviel Zuspruch gefunden, wie er
gefunden hat. Wer segensreich in der Öffentlichkeit
wirken will, muss als sittliche Persönlichkeit in
Ordnung sein. Er muss Tugenden besitzen, ja, ich muss es
aussprechen: Er muss im Stande der heiligmachenden Gnade
sein. Er muss Gott als den höchsten Herrn anbeten und
verehren. Ich habe Angst vor Politikern, die nicht beten
und die nicht bereuen.
Führende
Persönlichkeiten haben auch eine Vorbildfunktion. Sie
sollen neben ihrer politischen Tätigkeit ein
beispielhaftes Privatleben führen. Das Volk soll an
ihnen ablesen können, wie man zu Ehe und Familie stehen
soll. Aber wie sieht es oft mit dem Privatleben unserer
führenden Männer und Frauen aus? Von dem französischen
Präsidenten Giscard d’Estaing wurde bekannt, dass er zu
nächtlicher Stunde Bordelle besuchte. Die französischen
Zeitungen schieben dann: „Der Präsident hat ein Recht
auf ein Privatleben.“ Dass ich nicht lache! Er hat kein
Recht auf Unzucht; er hat kein Recht, ein Ehebrecher zu
sein. Ich möchte nicht von Ehebrechern regiert werden.
Führende Persönlichkeiten haben eine Vorbildfunktion.
Sie sollen auch uneigennützig sein. Die Franzosen haben
dafür das schöne Wort „désintéressiment“. Man soll also
als Politiker uneigennützig handeln. Und wie viele tun
das? Als der französische Polizeiminister Joseph Fouché
im Jahre 1789 seine politische Laufbahn begann, war er
ein mittelloser Lehrer, ein Oratorianer. Als er seinen
Dienst in der Politik beendete, hatte er ein Vermögen
von 21 Millionen Franken angehäuft. Wie kam er zu so
viel Reichtum? Offenbar nicht deswegen, weil er dem
Staat selbstlos und uneigennützig gedient hatte. Ich
sage: Wer als sittliche Persönlichkeit nicht in Ordnung
ist, der ist ungeeignet, ein Volk zu lenken. Wer sich
selbst nicht recht führen kann, der kann auch andere
nicht regieren. Von dem weisen indischen Politiker
Mahatma Gandhi stammt das schöne Wort: „Eine
Führerpersönlichkeit muss sich selbst beherrschen und
darf Zorn und Furcht nicht kennen.“ Wie richtig! Eine
Führerpersönlichkeit muss sich selbst beherrschen und
darf Furcht und Zorn nicht kennen. Eine
Führerpersönlichkeit muss auch fähig und gewillt sein,
der Wirklichkeit ins Auge zu schauen. Das war ja das
Verhängnis unseres schrecklichen Reichskanzlers Hitler,
dass er die Wirklichkeit nicht wahrnahm. Er gestaltete
sich die Wirklichkeit nach seinen Vorstellungen. Er
wollte nicht wahrhaben, was in Wirklichkeit geschah.
Bereits im Jahre 1941 im Oktober stellte der
Generaloberst Fromm fest: „Der Krieg muss sobald wie
möglich beendet werden, sonst ist er verloren.“ Aber
Hitler führte ihn noch vier Jahre weiter. Es ist das
Unglück so vieler Regierender, dass sie die Wahrheit
nicht vertragen.
Die Heilige
Schrift hat strenge Maßstäbe für die Hirten der Kirche
aufgestellt. Auch sie sind Regenten; auch sie sind
Führer. Und sie verlangt von den Hirten der Kirche, dass
erst ihr privates Leben in Ordnung ist, bevor sie die
Kirche Gottes weiden können. „Wenn einer seinem eigenen
Hause nicht vorzustehen weiß, wie wird er für die Kirche
Gottes sorgen?“ Wenn einer seinem eigenen Hause nicht
vorzustehen weiß, wie wird er für die Kirche Gottes
sorgen? Das katholische Volk ist mit Recht entsetzt und
erschüttert, wenn es erfährt, dass ein Priester oder ein
Bischof ein Doppelleben führt, dass er einerseits die
Gebote Gottes verkündet und andererseits ein schwer
sündhaftes Leben führt. Die Heilige Schrift hat für
solche scharfe Worte. „Wer für die Seinigen, zumal für
seine Hausgenossen nicht Sorge trägt, hat den Glauben
verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger.“
Für die
Persönlichkeiten, die im öffentlichen Leben stehen, ist
das Privatleben nicht unbeachtlich. Wird ein bequemer,
arbeitsscheuer Mensch ein eifriger Politiker sein? Wird
ein egoistischer Selbstversorger im Amt ein gerechter
Sachwalter für alle sein? Wird ein zänkischer
Streithammel in einer öffentlichen Stellung ein
Friedensbringer sein? Wir sollten, meine lieben Freunde,
wenn sich uns Politiker zur Wahl empfehlen, eifrig ihr
Privatleben erforschen, denn wir benötigen bekennende
Christen in den Parlamenten und den Regierungen. Wir
brauchen Männer und Frauen, die bei der Beratung der
Gesetze und bei der Fällung von Entscheidungen nach
Gottes Willen fragen. Und damit wir solche
Persönlichkeiten wählen, müssen wir ihr Privatleben
kennen. Gott beansprucht den ganzen Menschen im
öffentlichen wie im privaten Leben.
Vor einiger
Zeit hat ein Bonner Rechtslehrer, Josef Isensee, richtig
darauf hingewiesen, dass in die höheren Richterstellen
immer mehr Männer und Frauen einsickern, die zu den so
genannten 68ern gehören, die also von Religion und
Sittlichkeit wenig halten und die selbstverständlich von
diesen Anschauungen geprägt sein werden, wenn sie
Entscheidungen im Gericht fällen. Wir müssen uns also
auch in der Gerichtsbarkeit darauf gefasst machen, dass
immer mehr Entscheidungen gefällt werden, die nicht von
Religion und Sittlichkeit geprägt sind.
Es gibt nur
einen Totalitätsanspruch auf Erden, und das ist jener,
den Gott erhebt. Christ ist nicht, wer diesen Namen für
sich in Anspruch nimmt, sondern Christ ist nur, wer
bereit ist, sein ganzes privates und öffentliches Leben
ohne Abstrich von den göttlichen Geboten prägen zu
lassen. Religion ist keine Privatangelegenheit, und das
Privatleben ist nicht unbeachtlich. Sowohl das
öffentliche Leben wie das private Leben muss gelenkt und
bestimmt sein von den Geboten Gottes und von der
Sittenlehre der Kirche.
Amen.
Dass unser
Herr milde, gütig und menschenfreundlich war, ist jedem
offensichtlich. Er war der gütige, verstehende und
verzeihende Meister. Er verzieh dem Petrus seine
Verleugnung, er rettete die Ehebrecherin vor der
Steinigung, er hat dem Schächer, der mit ihm gekreuzigt
war, wegen eines einzigen guten Wortes das Paradies
verheißen. Unser Herr war milde, sanft; er segnete, er
tröstete, er half und heilte. Er konnte traurig werden,
wenn die Menschen seine Verkündigung nicht begriffen,
wenn sie immerfort einen nationalen, einen irdischen
Messias begehrten. Er konnte traurig werden, wenn er
sah, wie man seine religiösen Forderungen abwies. Aber
niemals hat er ein hartes oder drohendes Wort deswegen.
Aber
plötzlich hören wir an einigen Stellen des Evangeliums
Äußerungen von ihm, die uns erschrecken. Bei manchen
Gelegenheiten ist der Herr von einer außerordentlichen
Schärfe und Schroffheit. „Wehe euch, ihr Pharisäer und
Schriftgelehrten, ihr Heuchler. Ihr gleicht übertünchten
Gräbern. Von außen sehen sie zwar schön aus, aber innen
sind sie voll Totengebein und allem Unrat. So erscheint
ihr äußerlich recht vor den Menschen, innerlich aber
seid ihr voll Heuchelei und Schlechtigkeit.“ Und an
einer anderen Stelle: „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten
und Pharisäer, ihr Heuchler. Ihr gebt den Zehnten von
Minze, Dill und Kümmel. Aber das Große am Gesetz, das
lasst ihr dahinten: Gerechtigkeit, Treue und
Wahrhaftigkeit. Dies soll man tun und das andere nicht
lassen.“ Und wieder an einer anderen Stelle: „Wie kannst
du zu deinem Bruder sagen: Laß mich den Splitter aus
deinem Auge ziehen, und siehe, in deinem Auge steckt ein
Balken? Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann
magst du sehen, wie du den Splitter aus dem Auge des
Bruders ziehst.“
In diese
scharfen Wendungen des Herrn fügt sich das Gleichnis vom
Pharisäer und vom Zöllner ein, das wir heute gehört
haben. Wir haben alle unsere liebe Not damit, einerseits
das notwendige Maß an Selbstgefühl und Selbstvertrauen
zu bewahren, ohne in pharisäische Überheblichkeit zu
verfallen, andererseits uns sündig zu erkennen und vor
dem Schöpfergott zu demütigen, ohne das Menschentum zu
verraten, das ja auch uns als Talent von Gott gegeben
ist. Aber da sind wir dem Kern unserer Frage schon sehr
nahe. Der Zöllner des heutigen Evangeliums soll uns
nicht zum Kriechertum anleiten. Er darf nicht jenen
Menschen zum Trost oder zur Bestätigung sein, die Demut
mit Schwäche verwechseln, die zu kleinmütig sind, um in
der Kämpfen der streitenden Kirche mitzumachen, deren
Religion die Angst ist und deren Untüchtigkeit als
Tugend gilt. Das Wertvolle an diesem Mann ist, dass er
seine Verfehlungen nicht verschleiert, nicht
entschuldigt, nicht beschönigt. Was den Pharisäer zum
Pharisäer macht, ist nicht so sehr sein übersteigertes
Selbstgefühl, sondern seine törichte Überheblichkeit. Es
kommt ihm nicht in den Sinn, vor den Herrgott
hinzutreten und um Verzeihung zu bitten und dadurch
gerechtfertigt zu werden. Nein, er will kein armseliger
Sünder sein vor Gott; er fühlt sich als Tugendbold und
sagt: „Ich bin nicht wie die übrigen Menschen.“ Wie
die übrigen Menschen, also wie alle übrigen
Menschen. Er ist der einzige, der eine Ausnahme macht.
„Ich bin gerecht“, so spricht er, „die anderen sind
Sünder.“ Und da sieht er auf diesen Mann, der neben ihm
steht und gibt ihm gleich einen Seitenhieb: „…oder wie
dieser Zöllner da. Ich bin der einzige Gute, der da
gehört zu den übrigen.“ Um was er Gott gebeten hat, wird
man vergeblich suchen. Er kam nicht, um zu bitten, er
kam, um sich zu loben! Das ist noch das Geringste, dass
er Gott nicht bittet, sondern sich selbst lobt.
Schlimmer ist, dass er den demütig Flehenden auch noch
verhöhnt.
Der Zöllner
steht von ferne. Das heißt, er traut sich nicht in die
Nähe. Er hat ein schuldbeladenes Gewissen, und das lässt
ihn von ferne stehen. Er wagt nicht, den Blick zum
Himmel zu erheben, denn er ist sich seiner Schuld
bewusst. Er hat nicht einmal den Mut, die Augen zu Gott
aufzurichten. Das Gewissen beugt ihn nieder. Und er
schlägt an die Brust. An die Brust schlagen heißt
bekennen, dass man der Strafe würdig ist. Das An-die
Brust-Schlagen ist ein Ausdruck dafür, dass man weiß:
Kraft meiner Sünde bin ich der Strafe Gottes würdig. Und
dann spricht er: „Herr, sei mir Sünder gnädig!“ Was
wundert es uns, dass Gott Nachsicht übt und ihm die
Sünden verzeiht? „Wahrlich“, so sagt er, „dieser ging
gerechtfertigt nach Hause, der andere aber nicht.“ Und
warum? „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden.
Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“
Es ist und
bleibt für uns, meine lieben Freunde, eine
ernstzunehmende Aufgabe, uns vor dem pharisäischen
Geiste, der in uns aufkommen möchte, zu hüten. Der
Fromme kann auf den Gedanken kommen, sich über den
Unfrommen zu erheben. Und in der Tat: Der Mensch, der
Gott verehrt, der betet, der den Gottesdienst besucht,
der Mensch, der Gott liebt und Gott dient, der steht
objektiv über einem anderen, der all das nicht tut. Aber
wem verdankt er diese Haltung, diese Tugenden? Er
verdankt sie Gott, der alles in ihm wirkt. Wie schreibt
der Apostel Paulus an seine korinthischen Christen:
„Keiner soll sich aufblähen auf Kosten der anderen. Wer
gibt dir den einen Vorzug? Was hast du denn, das du
nicht empfangen hast?“ Das ist der entscheidende Satz:
„Was hast du denn, das du nicht empfangen hast? Hast du
es aber empfangen, was rühmst du dich, als hättest du es
nicht empfangen?“ Und der heilige Augustinus drückt
dasselbe auf seine Weise aus: „Wer Gott gegenüber seine
Verdienst aufzählt, der zählt damit Gottes Geschenke
auf.“ Noch einmal: Wer Gott gegenüber seine Verdienste
aufzählt, der zählt damit Gottes Geschenke auf. Denn
Verdienste schafft nur die Gnade, und vor der Gnade und
ohne die Gnade gibt es keine Verdienste.
Wer gibt
uns das Recht, meine lieben Freunde, uns an anderen zu
messen und andere unter uns zu stellen? Wir wissen doch
um unsere Schwächen, Fehler, Sünden, Versäumnisse,
Nachlässigkeiten. Wir wissen um unser Versagen, unser
Zurückbleiben vor den Forderungen Gottes. Und wenn wir
auch vielleicht jetzt uns vor schweren Sünden bewahren:
Wir brauchen nur in unsere Vergangenheit zu schauen, und
da wissen wir, dass wir von Gott aus der Sünde gerettet
worden sind. Die Bedingungen, unter denen andere
handeln, kennen wir nicht. Wir wissen nicht um ihre
Veranlagung, wir wissen nicht um ihre Erziehung, wir
wissen nicht um ihre Schicksale. Und deswegen ziemt es
sich, die Weisung aus dem Buch von der Nachfolge Christi
zu beachten: „Kehre deinen Blick auf dich selbst und
erkühne dich nicht, zu richten, was andere tun! Denn wer
andere gern richtet, hat nichts davon, irrt sich öfters
und sündigt leichfertig. Wer andere gern richtet, hat
nichts davon, irrt sich öfters und sündigt leichtfertig.
Wer sich aber selbst richtet und erforscht, der zieht
immer reichen Nutzen daraus.“
Nun meine
ich allerdings, unter den Frommen sind die Pharisäer
heute selten. Die Frommen, die ihre Gewissenserforschung
halten, die Reue erwecken, die den Weg zum Beichtstuhl
finden, die Frommen sind heute selten, äußerst selten
Pharisäer. Aber unter den anderen, unter den Unfrommen
sind um so mehr Pharisäer. Die Pharisäer sind heute
nicht unter den frommen Kirchenchristen zu finden. Die
Pharisäer sind jene, die hochmütig auf die
Kirchenchristen herabschauen und sagen: Das Kirchengehen
ist nicht nötig, das Beichten ist nicht nötig, der
Meßbesuch ist nicht nötig. Die Pharisäer von heute sind
jene, die auf die christliche Moral pfeifen und sich
dabei wohlzufühlen meinen. Die Pharisäer von heute sind
jene, welche die Kirche auffordern, ihre Sittenlehre zu
ändern, damit ihr liederlicher Lebenswandel nicht mehr
gerügt werden kann. Die Selbstgerechtigkeit, die
Überheblichkeit, die Beschwichtigung und die
Beschönigung der Sünde finden sich in unserer Zeit
außerordentlich häufig bei den Unfrommen. Sie
bagatellisieren die Sünde, manche gebrauchen das Wort
Sünde überhaupt nur noch, wenn sie zuviel gegessen
haben. Und die ganze Unterhaltungsindustrie ist ja
darauf ausgelegt, die Sünde zu verschweigen oder
lächerlich zu machen. In einem Schlager heißt es:
„Himmelvater du, drück ein Auge zu!“ In einem anderen:
„Eine kleine Sünde fällt nicht ins Gewicht; eine kleine
Sünde zählt der Herrgott nicht. Eine kleine Sünde ist
nicht der Rede wert, wenn sie dein Geheimnis bleibt und
niemand was erfährt.“
Es scheint
Menschen zu geben, die nicht mehr wissen, dass sie vor
Gott schuldig werden. Ja, es gibt solche, die machen aus
ihrer Schwäche, aus ihrer sittlichen Schwäche eine
Weltanschauung. Sie sagen: Das, was wir tun, das ist die
Moral, die wir brauchen, die wir heute brauchen. Weil
sie Gottes Gebote missachten, verwerfen sie die Gebote.
Was sie nicht beobachten wollen, das kann nach ihrer
Meinung nicht von Gott geboten sein. In Wirklichkeit ist
es notwendig, sich als Sünder zu erkennen und zu
bekennen. In diesen Tagen wird Nelson Mandela, der
schwarze Präsident von Südafrika, überall gefeiert. Er
hat seinen 90. Geburtstag begangen. 27 Jahre war er im
Gefängnis. Aber er ist ein Mann, er ist ein Christ, der
auf jede Rache verzichtet hat. Ein Biograph schrieb von
ihm: „Ein Staatsmann mit der Qualität eines Heiligen.“
Da wehrte Nelson Mandela ab: „Ich bin kein Heiliger“,
sagte er, „ich bin ein kleiner Sünder, der ständig
versucht, sich zu bessern.“ Das ist ein Vorbild! „Ich
bin ein kleiner Sünder, der ständig versucht, sich zu
bessern.“ Und damit ist er ja auf biblischem Boden, denn
im ersten Johannesbrief heißt es: „Wenn wir sagen, wir
hätten keine Sünde, betrügen wir uns selbst, und die
Wahrheit ist nicht in uns.“ Wenn wir sagen, wir hätten
keine Sünde, betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit
ist nicht in uns. Wir müssen ehrlich sein vor uns selbst
und vor den Menschen, die Sünde erkennen und die Sünde
bekennen. Schon im Alten Bunde heißt es: „Schäme dich
nicht, deine Sünden zu bekennen!“ Und an einer anderen
Stelle: „Der Gerechte beschuldigt sich selbst zuerst.“
In unserer
Zeit haben edle Schriftsteller diese biblische Botschaft
verstanden und aufgenommen. In einem Buche von Theodor
Fontane heißt es einmal: „Wenn nichts erreicht wäre als
das Bekenntnis des Unrechts und der Sünde, so hätte die
Wiedergeburt begonnen.“ Wie richtig! Wenn nichts
erreicht wäre als das Bekenntnis des Unrechts und der
Sünde, so hätte die Wiedergeburt begonnen. Er gibt damit
wieder, was Augustinus einmal schreibt: „Das Bekenntnis
der bösen Werke ist der Anfang der guten Werke.“
Noch einmal
erinnern wir uns, meine lieben Freunde, dass unser Herr
milde, sanftmütig und gütig war, aber erschreckend hart
wurde, wo er auf Selbstgerechtigkeit stieß. Wir mögen
schwach, armselig, leichtsinnig und böse sein: Solange
wir einsehen und bekennen, dass wir es sind, solange wir
uns nicht billig entschuldigen und andere für schlechter
halten, solange werden wir ein verzeihendes, ein
liebendes Wort unseres Heilandes erhalten: „Denn jener
ging gerechtfertigt nach Hause!“
Amen.
Geliebte im
Herrn!
Jesus hatte
sich mit seinen Jüngern in das Gebiet der Syrophönizier
zurückgezogen, um sie zu belehren und um sie zur
Erkenntnis seines eigenen Wesens zu führen. Als er dann
in das jüdische Gebiet zurückkehrte, nämlich an der
Ostseite des Sees Genesareth, da fragte er sie: „Für wen
halten die Leute den Menschensohn?“ Da prasselten die
Antworten auf ihn nieder: „Die einen für Elias, die
anderen für Jeremias, wieder andere für einen der
Propheten.“ Die Apostel schonten Jesus, denn es wurden
ihm auch noch ganz andere Titel gegeben, die sie
verschwiegen. Die einen sagten: „Das ist der
Zimmermannsohn“, andere sprachen von ihm als dem
„Fresser und Weinsäufer“, und wieder andere nannten ihn
den Freund der Zöllner und Sünder oder gar den
Volksaufwiegler. Das waren die Bezeichnungen, welche die
Zeitgenossen Jesu unserem Herrn Jesus gaben.
Und heute
sehe ich Christus die Frage stellen: Für wen halten mich
die Menschen des 21. Jahrhunderts? Es gibt ohne Frage
auch heute noch gläubige Menschen, die in Jesus den
Gottessohn, den wahren Gott, Licht vom Lichte, Gott von
Gott erkennen. Die gläubigen katholischen Christen und
ein kleiner Häuflein gläubiger Protestanten sind noch
von diesem Glaubensbekenntnis überzeugt. Aber viele
andere sehen in Jesus vor allem einen Großen der
Weltgeschichte oder einer heldischen Menschen, der die
jüdischen Händler zu Paaren treibt. Einer beschreibt
Jesus als den „charmanten Tischler“. Der Sohn Gottes der
„charmante Tischler“! Und der an allen Orten der ganzen
Welt bekannte ehemalige katholische Theologe Hans Küng
spricht von Jesus als dem „Sachwalter Gottes“. Ja, meine
lieben Freunde, Sachwalter Gottes sind wir auch! Das ist
ein Versuch, Jesus seiner göttlichen Würde zu
entkleiden.
Es gibt
auch andere, die ihn heute wie gestern mit Haß
verfolgen. Und der Haß gebiert den Spott, und der Spott
bringt die Verleumdung hervor, die Verunglimpfung, den
Hohn. Wenn Jesus uns fragen würde, meine lieben Freunde:
Für wen haltet ihr mich?, wir würden doch antworten: „Du
bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Aber hat
uns diese Wahrheit wirklich in ganzer Seelentiefe
erfaßt? Heißt das für uns wirklich, dass Jesus unser ein
und alles ist? Der Beherrschende, der Erneuernde, unser
König, der die Wahrheit und das Leben ist? Ist unser
Christusglaube stark und lebendig genug, um den Zweifeln
und den Zweiflern zu widerstehen?
Was dünkt
euch von Christus? Wessen Sohn ist er? Diese Frage
wollen wir versuchen, heute in drei Schritten zu
beantworten. Wenn ich fragte: Wer ist denn Buddha?, dann
würde ich die Antwort erhalten: Über ihn lässt sich
nichts Bestimmtes sagen. Seine Gestalt steht im
Dämmerdunkel der indischen Märchenwelt. Um ihn hat die
Phantasie jahrhundertelang gedichtet. Von Jesus können
wir – Gott sei es gedankt! – anderes sagen. Von ihm
können wir mit Petrus sagen: „Wir sind nicht Fabeln, die
wir ausgedacht haben, gefolgt, sondern wir haben seine
Herrlichkeit gesehen.“ Er steht im Lichtkegel der
Geschichte, in einem Zentrum des geistigen Lebens,
Jerusalem, der Hauptstadt des Judentums. Christus ist
eine Gestalt der Geschichte. Hier malt nicht Sage, hier
sprechen Tatsachen.
Wir wissen
von ihm durch das Zeugnis seiner Jünger. Es ist ein
unbezweifelbares Zeugnis, aber es wird flankiert durch
Zeugnisse neutraler Beobachter. Viele von uns haben in
der Schulzeit die Annalen des römischen
Geschichtsschreibers Tacitus gelesen. Er hat ja auch ein
Büchlein über Germanien geschrieben. Tacitus bringt in
seinen „Annalen“ den Brand Roms zur Zeit des Kaisers
Nero in Verbindung mit den Christen. Und dabei spricht
er von Christus, der unter der Herrschaft des Tiberius
durch den Landpfleger (Prokurator) Pontius Pilatus
hingerichtet worden war. Und Tacitus steht nicht allein.
Im Jahre 96 n. Chr. gab der Statthalter Plinius von
Bithynien (das ist in der heutigen Türkei) dem Kaiser
Trajan einen Bericht, und in diesem Bericht steht: „Die
Christen kommen am ersten Tag der Woche, am Sonntag,
zusammen und singen Christus als ihrem Gott
Wechselgesänge.“ Christus ist eine Gestalt der
Geschichte, aber eine Gestalt, die nicht in der
Menschengeschichte aufgeht, sondern eine Gestalt, die
das Menschenmaß überschreitet. Und deswegen können wir
erstens sagen: Christus gehört zu den geistigen Führern
der Menschheit.
Wir kennen
viele in der Geschichte, die ernst und geistig gewaltig
sich bemüht haben, um die letzten Fragen des Lebens:
Laotse, Konfuze im fernen Osten, die Weisen der
indischen Welt, die Philosophen Griechenlands. Um alle
diese Fragen ringen auch die Gelehrten Israels. Sie
stehen in lebendiger Verbindung mit den damaligen
Hochschulen in Alexandrien, in Athen, in Antiochien. Und
nun tritt vor sie hin dieser Mann aus Nazareth, aus der
Weltabgeschiedenheit der galiläischen Berge. Er hat
keine Hochschule besucht, er hat nicht studiert, er
kommt von der Hobelbank des Zimmermanns. Aber er tritt
auf mit einer Kraft der Sprache, ganz anders wie die
gelehrten Rabbinen. „Er lehrt wie einer, der Macht hat“,
so sagen sie, nicht wie ihre Schriftgelehrten. Keine
Unsicherheit in dem, was er sagt, kein Schwanken, kein
Zurücknehmen, kein Verbessern, kein „Ich weiß nicht“
oder „Vielleicht“. Nein, Lehren voll Selbstbewusstsein:
„Den Alten ist gesagt worden… Ich aber sage euch.“ Die
Gelehrten Jerusalems lächeln. Das dumme Volk mag ihm
nachlaufen, aber wir werden mit ihm schon fertig werden.
Und so stellen sie ihm ihre Fragen, Fangfragen, die
Sadduzäer, die Pharisäer, die Herodianer. Christus hört
sie an, ruhig, gesammelt wie immer. Er beantwortet ihre
Fragen. Er stellt ihnen selbst Fragen und antwortet mit
einer Überlegenheit, die sie jedes Mal beschämt, daher
müssen sie von dannen ziehen, so dass sie schließlich –
das steht in der Heiligen Schrift – so dass sie es
schließlich gar nicht mehr wagen, ihn zu fragen. Denn er
trägt dem Volke Israel den letztverbindlichen Willen
Gottes vor. Er proklamiert die neue Ordnung des Heils,
die alles bisherige hinter sich lässt.
Vor uns
steht das Lehrgebäude Christi, hinaufragend in die Höhen
der Gottheit und wieder auch hinabsteigend in alle
Einzelfragen des Lebens. Fest wie Granit sind seine
Worte. Mit der Schärfe des Schwertes fallen seine
Entscheidungen. Zweitausend Jahre hat man sich bemüht,
in die Tiefe seiner Worte einzudringen. Die größten
Geister haben die Weisheit des Herrn zu entschlüsseln
versucht: Augustinus und Thomas, Albertus Magnus und
Johannes Duns Scotus. Diese Worte, diese Wahrheit, diese
Weisheit hat die Welt erleuchtet. Er hat die
Wahrheitselemente, die ja in allen Kulturen vorkommen,
geeint und gesammelt, geläutert und eingefügt in seine
Lehre. Vor diesem Geiste zerbrach das harte Sklavenjoch
der Alten Welt, schmolz die eiserne Härte des römischen
Rechtes. Vor ihm fielen die Schranken der Stände, und
waffenstrotzende Völker wandten sich im Zeichen des
Kreuzes friedlich zueinander, reichten sich die Hand.
Seine Wahrheit drang auch in die Urwälder unserer
Vorfahren und schuf aus diesen Wäldern Staaten, Länder,
Burgen, Kirchen, Klöster. Christus, der Nazarener, wirkt
fort in der christlichen Kunst. Niemals sind die Werke,
welche die christliche Kunst schuf, von anderen
überboten worden. Er hat die Stätten des Gebetes
errichten lassen. Auch die ihn heute schmähen, atmen
noch seinen Geist.
Er war ja
kein Musterchrist, unser Johann Wolfgang von Goethe.
Aber er hatte Ehrfurcht vor dem Christentum. Und in
seinen letzten Lebensjahren hat er einmal zu seinem
getreuen Eckermann gesagt: „Mag die geistige Kultur nur
immer fortschreiten, mögen die Naturwissenschaften in
immer breitere Ausdehnung und Tiefe wachsen und der
menschliche Geist sich erweitern, wie er will, über die
Hoheit und sittliche Kultur des Christentums, wie es in
den Evangelien schimmert und leuchtet, wird er nicht
hinauskommen.“ Christus ist tatsächlich unter den
Geistesführern der Weltgeschichte der Erste, der
Unübertreffliche.
Christus
steht aber auch zweitens auf dem Gipfel sittlicher
Vollendung. Sein Name ist makellos. Er steht mitten im
heißesten Kampf, und sie belauern ihn von allen Seiten.
Wie gern hätte man ihm etwas angehängt, um sein Ansehen
zu zerstören. Man geht ihm nach, wenn er mit Zöllnern
und Sündern beisammen ist. Aber sie sehen und hören nur
verstehende Liebe und sündenferne Würde. Er kann es
wagen, seine Todfeinde zu fragen: „Wer von euch kann
mich einer Sünde beschuldigen?“ Und sie bleiben stumm.
Gerichtshöfe bemühen sich, Aussagen gegen ihn
zusammenzubringen und scheitern daran. Sie sehen keine
Schuld. „Ich finde keine Schuld an ihm“, sagt der
Prokurator Pontius Pilatus. So ist noch keiner durch
seine Zeit gegangen. Alle haben sie Flecken an sich
getragen, alle haben sie der Sünde ihren Tribut gezollt.
Er geht durch Niederungen und Gassen, an ihm haftet kein
Schmutz. Groß und weit war sein Charakter, zum Leiden
bereit und doch voll innerer Freude. Ganz auf das
Jenseits gestimmt und dennoch nicht lebensfeindlich,
hart gegen die Sünde und doch mild zu den Sündern. Es
ist derselbe Christus, der mit der Geißel den Tempel
reinigt und der die Ehebrecherin begnadigt. Es ist
derselbe Christus, der seinen Zorn ausgießt über
Verlogenheit und Heuchelei der Pharisäer, der aber am
Kreuze für seine Feinde betet: „Sie wissen nicht, was
sie tun!“ Er kann seinen Jüngern das Höchste abfordern:
„Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von
Herzen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit auch
ihr tut, wie ich euch getan habe.“
Und
entsprechend ist auch seine Sittenlehre. Es gibt ja
viele Ethiken auf dieser Welt, meine lieben Freunde,
aber es gibt keine einzige Ethik, die in ihrem Standard
an die christliche Ethik heranreicht. Die christliche
Ethik steht über allen. Christliche Sittenlehre ist die
Vollendung des sittlichen Strebens. Nichts menschlich
Gutes und Feines wird von ihr verworfen. Was die Lehrer
der Weisheit an Wahrem gelehrt haben, das ist alles
aufgenommen, ist beschlossen und übertroffen vom Gesetz
Christi. Höchste eigene Kraftentfaltung und gleichzeitig
demütiges Vertrauen auf die Gnade Gottes. Ein feiner
Mensch werden, und dennoch ein demütiges Gotteskind
bleiben. Reinheit, die doch keinen Unreinen verachtet,
Demut, die sich der Würde der Persönlichkeit bewusst
bleibt. Froher Genuß der irdischen Güter und doch
starkes Entsagenkönnen. So steht das Bild Jesu vor uns,
das erhabenste Charakterbild der Geschichte.
Heute hat
eine wunderliche, unbegreifliche Begeisterung für den
Islam manche Christen ergriffen. Wir hören von
Übertritten zum Islam. Ja, meine lieben Freunde, wie
kann so etwas geschehen? Wer ist denn dieser Islam? Wer
ist denn sein Urheber? Mohammed, ein zerrütteter Kerl,
voll Grausamkeit und Sinnlichkeit, ein Mann voll
Rachsucht und voll List und Verstellung. Das ist der
Vater dieser Religion. Seine Lehre hat er
zusammengebastelt aus christlichen, jüdischen und
heidnischen Elementen. Mohammed ist kein Konkurrent für
Christus.
Und
schließlich noch eine dritte Tatsache: Dieser Christus
nennt sich den Sohn Gottes, und er ist es. Als Ende des
1. Jahrhunderts der Irrlehrer Kerinth auftrat, der die
Gottheit Christi leugnete, griff Johannes, der Apostel,
noch einmal zur Feder und schrieb sein Evangelium, sein
Evangelium von der Gottheit Christi. „Dieses ist
aufgezeichnet, damit ihr glaubet, dass Jesus der
Christus der Sohn Gottes ist.“ Das geben auch die Gegner
Jesu zu, dass im Johannesevangelium von der Gottheit
Christi ein klares Zeugnis abgelegt ist. Aber bei den
Synoptikern, also bei Matthäus, Lukas und Markus, da
machen sie schon Abstriche. Da wäre, so meinen sie, die
Gottheit Christi nicht zu erkennen. O wie falsch, meine
lieben Freunde, o wie falsch! Die drei Synoptiker
stellen Jesus als einen dar, der alles Menschenmaß
übersteigt. Jesus, das ist ihr Zeugnis, beansprucht
souveräne Lehrgewalt, er interpretiert das
alttestamentliche Sittengesetz und das alttestamentliche
Kultgesetz, wie es nur ein Gesetzgeber tun kann, der
über ihnen steht. Wie Gottes Wort in Ewigkeit bleibt, so
auch überdauern seine Worte Himmel und Erde. Er verfügt
über die Macht, Wunder zu wirken, die er auf allen
Gebieten und in jedem Augenblick ausübt. So schaltet nur
der Herr der Natur. Der Aussätzige kommt zu ihm und
sieht ihn voll Vertrauen an: „Wenn du willst, kannst du
mich rein machen.“ Wenn du willst. Und der Herr
antwortet: „Ich will – sei rein!“ Und in diesem
Augenblick ist der Aussätzige geheilt durch ein einziges
Wort seiner Macht, nein, seiner Allmacht. Kennzeichnend
für die Heilungen Christi ist das Motiv des Glaubens. Es
bringt die Unverfügbarkeit der Taten Jesu zum Ausdruck.
Der Glaube richtet sich auf Jesus. Er vermag über die
Heilung des Körpers den ganzen Menschen zu retten.
Die Leute
nennen ihn einen Propheten, aber das ist zu wenig. Die
Königin des Südens, die Königin von Saba, kam mit ihren
Geschenken zu Salomon in all ihrer Pracht. Sie kamen von
den Enden der Erde, um seine Weisheit zu hören. Doch
hier ist mehr als Salomon! Der Tempel in Jerusalem war
das höchste Heiligtum der Juden. Es war das Haus Gottes.
Aber Christus sagte: „Hier ist mehr als der Tempel!“ Er
lässt Sünden nach, und die Juden sehen darin eine
Gotteslästerung. „Wer kann Sünden vergeben als Gott
allein?“ Christus beweist, dass er Sünden vergeben kann.
Er lässt seine Wundermacht spielen. „Damit ihr wisst,
dass der Menschensohn Macht hat, Sünden zu vergeben“,
sagt er zu dem Gichtbrüchigen: „Steh auf, nimmt dein
Bett und geh nach Hause!“ Und der Mann stand auf, nahm
sein Bett und ging nach Hause. Es ist also wahr: Jesus
besitzt die Macht, Sünden zu vergeben, eine Macht, die
nur Gott zukommt. In ihm ist eben wesenhaft und wahrhaft
Gott auf Erden erschienen.
Und so ist
er auch der Herr des kommenden Gerichtes. Das endgültige
Heil ist in seine Hand gelegt, ist an seine Person
gebunden. Die alte Sehnsucht nach dem definitiven Heil
erfüllt sich in ihm. „Wenn ich durch den Finger Gottes
die Dämonen austreibe, dann ist ja das Reich Gottes zu
euch gekommen.“ In ihm, allein in ihm ist es zu den
Menschen gekommen. Er ist der Herold, er ist der Träger
des Reiches Gottes. Von der Annahme oder der Ablehnung
seiner Predigt hängt das endgültige Geschick des
Einzelnen ab. „Wer mich vor den Menschen bekennt, den
werde ich vor meinem Vater bekennen.“ Er rettet sein
Volk, aber nicht, indem er mit einem Heere die
Besatzungsmacht aus dem Lande treibt, sondern indem er
am Kreuze sein kostbares Blut für das Heil der Welt
vergießt.
In der
Woche des Leidens steht Christus noch einmal vor den
Pharisäern und Schriftgelehrten und erzählt ihnen ein
Gleichnis. Ein Hausvater legte einen Weinberg an, er
verpachtete den Weinberg an Winzer, und dann verreiste
er. Als die Zeit der Weinlese heranrückte, schickte er
seine Knechte zu den Winzern, um den Ertrag in Empfang
zu nehmen. Die Winzer fielen jedoch über seine Knechte
her. Den einen schlugen sie, den anderen töteten sie,
einen dritten steinigten sie. Der Herr schickte noch
einmal andere Knechte, aber mit denen verfuhren sie
genauso. Zuletzt sandte er seinen Sohn. Er dachte
nämlich: Vor meinem Sohn werden sie Respekt haben. Als
die Winzer jedoch den Sohn erblickten, da sagten sie
zueinander: „Das ist der Erbe. Wir töten ihn, und dann
fällt uns das Erbe zu.“ Sie ergriffen ihn also, warfen
ihn hinaus aus dem Weinberg und töteten ihn. Seine
Zuhörer haben sehr gut verstanden, was er damit
ausdrücken wollte. Zuerst kamen die Knechte Gottes, die
Propheten. Jetzt aber ist der Sohn gekommen, viel
größer, viel erhabener als die Propheten. Er ist der
Sohn Gottes, der Wesenheit, der Natur nach. So verstehen
ihn die Juden. Und deswegen stellen sie ihn in seiner
letzten Stunde zur Rede. Als er vor dem Hohen Rate
steht, da fragt ihn der Hohepriester: „Ich beschwöre
dich bei dem lebendigen Gott: Sag uns, ob du bist
Christus, der Sohn Gottes!“ Und die Antwort kommt ohne
Wenn und Aber: „Ja, ich bin es!“ Da zerreißt der
Hohepriester seine Kleider: „Ihr habt die
Gotteslästerung gehört. Was dünkt euch?“ „Er ist des
Todes schuldig.“
Meine
lieben Freunde, das Christusproblem aller Zeiten ist
gelöst. Als der Herr den Seesturm stillte, da fragten
die Menschen: „Wer ist dieser, dass ihm sogar der Wind
und die Wellen gehorchen?“ Jetzt wissen wir es. Er ist
der Gottessohn, das ewige Wort, durch den Gott alles
schuf, der den Winden gebietet und den Wellen gebeut,
weil er ihr Herr ist. Wir wissen es, weil er Kranke
heilt, die sich erheben, und Tote zum Leben erweckt
werden. Wir wissen es, weshalb nicht Grab und Siegel und
Stein ihm widerstehen konnten, als er siegreich von den
Toten erstieg.
Als das
junge Christentum seinen Weg durch die Zeit nahm, da
wurde im Hohen Rat beratschlagt, wie man dieser Bewegung
Herr werden könne. Da stand einer von den Räten auf,
Gamaliel – wir kennen seinen Namen – und sagte: „Ist
sein Werk von Menschenhand, so wird es von selbst
vergehen. Ist es aber Gottes Werk, so könnt ihr es nicht
zerstören.“ Sein Werk hat alle Jahrhunderte überdauert,
hat die Welt erobert ohne Waffen, ohne Geld, ohne – und
das ist vielleicht das Wichtigste – ohne den
Leidenschaften zu schmeicheln. Zweitausend Jahre
Geschichte setzen das Siegel unter Christi Wort. Und
deswegen bekennen wir mit Petrus, bekennen wir mit den
Blutzeugen aller Jahrhunderte, bekennen wir mit den
großen Geistern der christlichen Geschichte, bekennen
wir mit der ganzen Weltkirche von heute: „Du bist
Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, der in diese
Welt gekommen ist.“
Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir haben am vergangenen
Sonntag uns klarzumachen versucht, wer Jesus Christus
ist, und wir haben die Antwort gefunden in dem
Bekenntnis des Petrus: „Du bist Christus, der Sohn des
lebendigen Gottes.“ Das Bekenntnis zu Christus ist nicht
bei allen verbunden mit dem Bekenntnis zur Kirche. Es
gibt nicht wenige, die erklären: Christus ja, Kirche
nein. Sie wehren sich gegen die Kirche und bringen alle
möglichen Anwürfe, Anklagen und Beschwerden gegen die
Kirche vor. Sie sagen: Das ist die Priesterherrschaft;
sie beschweren sich, dass die Kirche mit Geboten und
Verboten die Menschen zu leiten versucht; sie erinnern
an die Inquisition. Der Protestantismus hat seinen Namen
von „Protest“. Nur durch Protest gegen die katholische
Kirche kann er seine Existenz rechtfertigen. Und von
daher kommen natürlich auch immer wieder die unseligen
Tiraden, die uns der Stifter dieser Religion, nämlich
Martin Luther, vermacht hat: die Kirche, eine
Einrichtung der Menschlichkeit und der menschlichen
Schwäche.
Und so wundert es uns
nicht, wenn durch all fünf Kontinente die Losung rast: „Ecrasez
l’infâme“ – Vernichtet die Ruchlose! Diesen Ruf hat
zuerst Voltaire in Frankreich ausgestoßen, aber ist seit
dem 18. Jahrhundert nicht mehr verstummt. „Ecrasez
l’infâme“ – Nieder mit der Verruchten! Und da steht die
Kirche mit ihrem Anspruch auf Einzigartigkeit und
Autorität. Sie befiehlt und bindet im Namen Christi. Sie
übt seine göttliche Macht aus mit ihren Vorschriften und
Verboten. Sie spricht den Bann über diejenigen aus, die
ihre Wahrheit unterdrücken. Kirche Roms, entweder bist
du eine göttliche Stiftung, oder du bist ein verruchtes
Menschenwerk! Das ist die Alternative.
Dreifach ist das Reich
Christi. Es sollte die Menschen lehren, führen und
erlösen. Die Lehre Christi musste weitergetragen werden,
als der Herr gen Himmel fuhr. Seine Aufgabe war noch
nicht beendet, denn alle Generationen sollten an dieser
Lehre partizipieren. Und deswegen musste sie
weitergetragen werden, irrtumslos bis in die fernsten
Zeiten. So braucht Christus eine menschliche
Gesellschaft; so braucht er Verkünder, Herolde, die
seine Botschaft weitertragen. Er braucht ein
irrtumsloses, unfehlbares Lehramt. Es mussten die
Menschen auch in allen Zeiten geführt werden. Er hatte
die Grundlehren seines Gesetzes gegeben, aber es musste
auch auf die wechselnden Situationen angewandt werden.
Die Lehre musste verteidigt werden; sie musste klar
herausgestellt werden, wo die Leidenschaft sie
abzuschwächen suchte. Deswegen hat Christus eine feste
Führung eingesetzt, ausgerüstet mit der Autorität des
ewigen Gottessohnes: „Wer euch hört, hört mich.“
Christus musste für alle Zeiten ein starkes Hirtenamt
einsetzen zur Führung der Menschheit. Und die Erlösung
ist wie ein unsichtbarer Strom, der durch die Menschen
fließt. Man sieht ja die Gnade nicht, man kann sie nicht
messen, man kann sie auch nicht wägen, aber die
Übertragung der Gnade, die Weiterleitung, sollte
sichtbar geschehen, durch sichtbare Zeichen. Wir nennen
sie Sakramente. Und ihre Verwaltung wiederum musste
Menschen anvertraut werden, das Priesteramt musste sein
Erlösungswerk fortsetzen.
So liegt es im Wesen des
Reiches Christi, dass ein dreifaches Amt, eine dreifache
Aufgabe errichtet wurde, um sein Werk in der
menschlichen Gesellschaft fortzusetzen. So hat es auch
Christus getan. Selbst wenn wir kein einziges Wort von
ihm wüssten, es musste so sein, wenn er seinem Werke
Dauer verleihen wollte. Aber er hat es deutlich genug
gesagt, dass er ein neues Gottesvolk schaffen wollte. In
vielen Bildern hat er zunächst dieses neue Volk
beschrieben, im Bild vom Senfkörnlein, das einen kleinen
Anfang hat und zu ungeheurer Größe emporwächst, in dem
Bild vom Acker, wo guter Weizen wächst, aber auch
Unkraut, und im Bild von dem Netz voll guter, aber auch
schlechter Fische.
Mit Petrus ist Christus
einmal auf das galiläische Meer, auf den See Genesareth,
hinausgefahren, und dies zu einer Zeit, wo man auf
Fischfang nicht rechnen konnte. Die Jünger waren leicht
verwirrt: Ja, was will er denn? Weiß er besser als wir,
wann Fische zu fangen sind? Und doch wurde aus dieser
Ausfahrt ein reicher Fischfang, so reich, dass Petrus
vor dem Herrn niederfiel und sagte: „Herr, geh weg von
mir, ich bin ein sündiger Mensch.“ Der Blick des Herrn
aber geht über den See Genesareth hinaus, er geht über
die Halden von Galiläa und über das Mittelmeer in ferne
Weiten. Er will in die Gestade der Ewigkeit eindringen,
und dazu braucht er Menschenfischer. „Von nun an sollst
du Menschen fischen“, so sagt er zu Petrus. Dafür
braucht er ein Schiff, und dafür braucht er Menschen.
„Simon, fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen
fischen.“ Simon und seine Freunde haben sich um Jesus
geschart. Viele junge Menschen haben sich ihm
angeschlossen. Er hat sie in seine Gefolgschaft gerufen:
„Kommt und folget mir nach!“ So bildet sich die
Jüngerschaft als der Keim des neuen Volkes Gottes: der
Kreis der Jünger, die erste Gemeinde Jesu. Und dann kam
ein denkwürdiger Tag. Die ganze Nacht hatte Jesus auf
dem Berge zugebracht im Gebet, die ganze Nacht. Und als
er herunterkam, da rief er seine Jünger zu sich, und da
schaute er sie prüfend an, und da wählte er aus ihnen
zwölf aus: Petrus und Johannes, Jakobus und Philippus.
Das Reich Christi nimmt Gestalt an, das Führerkorps der
Kirche bildet sich.
Zwölf wählt er aus,
zwölf, weil es ein neues Volk sein soll. Wie das alte
Volk zwölf Stämme hatte, so sollte das neue Volk auch
eine Fülle von Stämmen in sich vereinen, und die Apostel
sollen die Führer in diesem Volke sein. Den Petrus aber
nimmt er sich noch besonders beiseite. Schon als er zu
ihm kam, gab er ihm einen anderen Namen. Er hieß ja
Simon. Aber Jesus gab ihm den Namen Kephas, das heißt
Petrus, das heißt Fels. Und dann sagt er ihm: „Du bist
der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche
bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht
überwältigen.“ Ein Haus, wie er es vorhat, darf nicht
auf Treibsand gebaut werden, das muss auf einem Felsen
ruhen. Und ein solcher Fels sollte Petrus sein. Denn die
Stürme würden rasen, die Wetter würden toben, die
Finsternis würde dieses Werk einhüllen.
Christus sieht mit seinem
Blick die Mächte der Finsternis anstürmen im Gewand der
römischen Cäsaren. Sie wollten mit ihren Verfolgungen
das Christentum ersticken. Es wird ihnen nicht gelingen.
Tertullian, der Kirchenschriftsteller, schreibt im 2.
Jahrhundert in seiner Verteidigungsschrift für die
Christen: „Bei jedem Unglück, bei jedem Ungemach, das
die Öffentlichkeit trifft, heißt es: ,Die Christen sind
schuld.’ Hat der Tiber Hochwasser, hat der Nil
Niedrigwasser, bleibt der Regen aus, kommt ein Erdbeben,
eine Hungersnot, eine Seuche, das erste Wort ist: ,Fort
mit den Christen. Werft sie den Löwen vor!’“ So ist es
der Kirche drei Jahrhunderte lang gegangen. Aber dann
stieg sie aus den Katakomben empor. Denn die Kirche der
Katakomben klagte nicht, sie hoffte. Der Herr sieht in
der Ferne Irrlehrer auftreten. Es gibt kein Jahrhundert
der Kirchengeschichte, meine Freunde, in dem nicht
Irrlehrer aufgetreten wären. Und dass sie heute in
großer Zahl wieder am Werke sind, das wissen Sie alle.
Mit List und Trug suchen sie die Weisungen Christi zu
untergraben. Der Herr sieht die Horden der
Völkerwanderung anstürmen, der Feind sät Zweitracht und
Bosheit in die Herzen der Führer der Kirche, Schismen
breiten sich aus, Häresien wuchern, ganze Länder werden
losgerissen, und in den Missionsländern sucht man die
Religion zu ersticken. Aber er sieht auch: „Non
praevalebunt“ – Sie werden sie nicht überwinden.
In diesen Tagen, meine
lieben Freunde, hat der Bischof von Peking ein Interview
gegeben. In diesem Interview führt er aus: „Ich habe im
vergangenen Jahr 1500 Erwachsene getauft.“ Non
praevalebunt – sie werden sie nicht überwinden. Auch
nicht in China.
Dann kam die
Freimaurerei. Sie raste durch die romanischen Länder
Spanien, Portugal, Frankreich, Italien. Ganze Länder
wurden losgerissen von der Kirche. Einig sind sich alle
im Kampfe gegen die römische Kirche, der Liberalismus,
der Kommunismus, der Nationalsozialismus. Und heute?
Heute peitscht die Geißel des Islam auf die Christen in
allen Ländern. Der Islam ist nicht tolerant, der Islam
ist der Todfeind des Christentums. In Indien machen die
Hindus mobil gegen die Christen. Ihre heiligen Kühe, die
halten sie heilig, aber die Christen werden verfolgt.
Und in Europa breitet sich der neue Atheismus aus. Er
sucht die letzten Bastionen des Christentums im
öffentlichen Leben zu beseitigen. Ich schaue mit
Besorgnis nach Brüssel und nach Straßburg. Dort wird ein
Gesetz nach dem anderen ausgebrütet, das dem Unglauben
und der Unsittlichkeit dient. Der Abfall breitet sich
aus. Und dennoch: Der Herr hat es gesagt: Sie werden sie
nicht überwältigen!
Mit der Funktion des
Felsen ist es bei Petrus nicht getan. Der Herr rüstet
ihn mit weiteren Vollmachten aus. „Dir will ich die
Schlüssel des Himmelreiches geben.“ Der Schlüsselträger
ist nicht der Pförtner, der Schlüsselträger ist der
Hausherr. Er lässt ein, und er schließt aus. Er besitzt
Gewalt der Gesetzgebung und Gewalt der Rechtsprechung.
„Was du binden wirst auf Erden, das ist auch gebunden im
Himmel.“ Und in Gemeinschaft mit ihm sollen die übrigen
Apostel die Vollmachten ausüben: „Wer euch hört, hört
mich. Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
Welchen ihr die Sünden nachlassen werdet, denen sind sie
nachgelassen. Was ich beim Abendmahl getan habe, das
tuet zu meinem Gedächtnis.“ Und den Gipfel setzt Jesus
nach seiner Auferstehung am See Genesareth. Da richtet
er noch einmal die Frage an Petrus: „Petrus, liebst du
mich?“ Nein, dreimal fragt er ihn: „Petrus, liebst du
mich?“ Und Petrus antwortet betrübt, weil er an seinen
Verrat denkt, betrübt: „Herr, du weißt alles, du weißt
auch, dass ich dich liebe.“ Dann erfolgt die Einsetzung
zum Universalhirten: „Weide meine Lämmer! Weide meine
Schafe!“
Die Apostel mögen erbebt
haben unter der Fülle der Gewalt, die ihnen übertragen
wurde. Wie soll das geschehen? Wir schwachen, wir
ungebildeten Männer, wie sollen wir das Evangelium bis
an die Grenzen der Erde tragen, wie es der Herr will?
Der Herr hat auch dafür Vorsorge getroffen: „Bleibt in
der Stadt! Ihr werdet ausgerüstet werden mit der Kraft
von oben. Ich sende die Verheißung meines Vaters auf
euch herab.“ Und an Pfingsten, da kommt zu den Aposteln,
um die Mutter Jesu versammelt im Abendmahlssaal, der
Heilige Geist. Da schlägt die Geburtsstunde der Kirche.
Der Geist Christi ergreift die Jünger Jesu, das Feuer
des Geistes brennt in ihnen fortan. Die Kirche ist
gefirmt, und aus schwachen Menschen werden glühende, von
Gottes Geist erfüllte Apostel. Das ist das Geheimnis der
Kirche, meine lieben Freunde, aus schwachen Menschen
zusammengesetzt, aber von der Kraft des Geistes
getragen. In der Kirche sind nicht nur Menschen am Werk;
in der Kirche wirkt die Kraft aus der Höhe.
Aber wo ist dieses Reich
Christi heute? Es gibt so viele christliche
Gemeinschaften, und sie bieten sich als Antwort auf
diese suchende Frage an: In welcher von ihnen lebt das
Reich Christi? Oder bilden alle zusammen das Reich
Christi? Gibt es viele Kirchen nach Jesu Willen? Aber
der Herr sagt doch: „Eine Kirche will ich bauen.“ Und
das war sein innigstes Gebet, dass alle eins seien, eins
im Glauben an ihn und an den Vater. Es gibt nur einen
Christus, nur eine Wahrheit, nur eine Kirche, denn ein
Reich, das in sich uneins ist, das zerfällt. Das Reich
Christi ist nicht dort, wo Menschen nach ihrem Denken
und Gutdünken sich ihr Christentum formen. Die Kirche
ist dort, wo Petrus steht, wo die Nachfolger der Apostel
in Christi Autorität die Menschheit lehren und führen.
Wo ist heute diese Kirche?
Der große anglikanische
Theologe John Henry Newman hat gesucht, und er suchte in
der Kirche der ersten Jahrhunderte. Da sieht er
Gemeinden gegründet von den Aposteln. An der Spitze
dieser Gemeinden stehen Hirten, welche die Apostel
eingesetzt haben, und alle diese Gemeinden wissen sich
einig. Ein einziges Evangelium auf der ganzen Erde, ein
einiger Glaube. Alle wissen sich als Glieder des einen
Leibes. Alle essen von dem einen heiligen Brote. Alle
feiern das eine heilige Opfer. Die Kirche wächst und
breitet sich aus in Korinth, in Antiochien, in Athen.
Aber alle sind ängstlich bemüht, die Einheit zu
bewahren. Als in Korinth eine Zwietracht ausbricht, da
greift nicht der Apostel Johannes ein, der noch lebte,
da greift der Bischof von Rom ein, Clemens, und
schlichtet den Streit. Und Ignatius, der Martyrerbischof
von Antiochien, schreibt auf seinem Wege nach Rom, wo er
den Löwen vorgeworfen wird, dass die Kirche von Rom die
Vorsitzende des Liebesbundes ist.
Es treten Sekten auf. Sie
werden abgetan. Die Kirche wächst und bleibt. Ganze
Länder reißen sich los von der Kirche. Von König
Friedrich II. von Preußen, also dem so genannten
Friedrich dem Großen, stammt das Wort: „Die Reformation
war in Deutschland das Werk des Interesses, in England
das Werk der Leidenschaft, in Frankreich das Werk der
Neuerungssucht.“ Treffender kann man das Ausbrechen aus
der kirchlichen Einheit kaum beschreiben. Wo waren diese
Kirchen, bevor sie entstanden? Kommt, ihr von Rom
getrennten Brüder, müssen wir sagen, macht es John Henry
Newman nach: Kommt zurück zu ihr, die Tore stehen offen.
Ich frage euch: Warum habt ihr den Zusammenhang mit der
Kirche verloren? Oder könnt ihr sagen, eure Kirche sei
die Kirche Petri? Wo war denn die Kirche Christi, bevor
ihr kamt? Sie war dort zu allen Zeiten, wo unter ihren
Bischöfen auf dem weiten Erdenrund in der Einheit mit
dem Stellvertreter Christi auf Erden die eine
katholische Kirche lebte. Die Vielfalt ist in den
Sekten, die Einheit ist in der Kirche. Das ist die
Eigenart, ja, ich möchte sagen, das Kainsmal der
Gemeinschaften, die von der Kirche Christi abgefallen
sind: Sie wollen es nicht Gott, sie wollen es den
Menschen recht machen. Sie weichen Schritt um Schritt
vor den Wünschen, Begierden und Leidenschaften der
Menschen zurück. Wenn eine neue Welle des Irrtums
aufsteigt, lassen sie sich von ihr tragen.
Manchmal spüren es die
getrennten Gemeinschaften, was sie verloren haben, als
sie sich vom Felsen der Einheit trennten. Wir haben in
den letzten Wochen von dem unaufhörlichen Streit in den
anglikanischen Gemeinschaften gelesen. Sie können sich
nicht einigen über so wichtige Fragen wie das
Bischofsamt für Frauen oder über Homosexuelle als
Bischöfe. Und schon erschallt aus ihrem Kreis der Ruf:
„Wir brauchen einen Papst!“ Viele von ihnen kehren
zurück zur einen katholischen Kirche.
Wer behauptet, in der
Kirche bestehe eine Priesterherrschaft, und diese
Priesterherrschaft dränge sich zwischen Christus und den
einzelnen Christen, die Hierarchie stehe zwischen dem
einzelnen und Gott, der hat die Stellung des
Priestertums und der Hierarchie niemals verstanden. Die
Hierarchie und das Priestertum ist keine Trennungswand
zwischen Christus und den einzelnen Seelen, sondern die
Hierarchie und das Priestertum ist die verbindende
Brücke zwischen den Seelen und ihrem Heiland. Ihr macht
uns Vorwürfe, wir seien mit unserer Lehre veraltet. O,
meine lieben Freunde, die Wahrheit veraltet nicht. Der
Lehrsatz des Pythagoras ist alt, aber er wird heute in
der Schule gelehrt genauso wie vor 3000 Jahren. Nichts
ist so notwendig wie die Wahrheit. Sie ist der Spiegel
der Wirklichkeit. Wer die Wahrheit verfehlt, der
verfehlt die Wirklichkeit. Die Wahrheit veraltet nicht.
Ich weiß es, den meisten
Menschen ist die Wahrheit das Gleichgültigste. Sie
wollen leben, ausleben, Genuß haben. Aber was die
Menschen am wenigsten hören wollen, das brauchen sie am
dringendsten. Man sagt, die Kirche müsse mit der Zeit
gehen. O Gott, meine Freunde, was ist die Zeit, was will
die Zeit? Alle Bande lockern, den Begierden schmeicheln,
die Gebote abwerfen. Das will die Zeit. Was die Zeit
braucht, ist das Unzeitgemäße. Die Kirche muss den
Mächten der Welt den Preis für ihre Treue zum Gesetz
Christi bezahlen. Kaum hat das neue Jahrhundert
begonnen, da hören wir von Martyrern in allen Gegenden
der Erde. Aber sie lebt und wächst, je mehr man sie
bekämpft. Die Menschen eines schwachen Glaubens warten
auf den Frieden, um dann handeln zu können, wie sie
sagen. Die Apostel eines starken Glaubens säen in die
Stürme hinein, um in den guten Zeiten ernten zu können.
Ihr sagt, die Kirche sei vom Geiste Christi abgefallen,
ihr Leben sei nicht mehr heilig. Ja, sie duldet viele
Unheilige in ihrem Schoß, weil der Herr sie das
Gleichnis vom Unkraut im Weizen gelehrt hat, weil sie
die Mutter ist, die vom ewigen Vater Langmut gelernt hat
und gnädiges Verzeihen gegen die Sünder. Ihr sagt, in
der Kirche gibt es viele Versager. O ja, viel zu viele.
Höhnisch und mit Genugtuung weist man auf die
Mißbrauchsfälle von Priestern hin. O, niemand leidet
mehr unter diesen schrecklichen Geschehnissen als die
treuen Glieder der Kirche. Kein vernünftiger Mensch aber
beurteilt den Baum nach dem Fallobst und den Geist der
Armee nach den Fahnenflüchtigen. Gestern abend, meine
lieben Freunde, stand an dieser Stelle der Generalvikar
des Bistums Mainz und gab bekannt, dass der Pfarrer
dieser Pfarrei sich aus seinem Dienste abgesondert hat,
um einer Frau zu verfallen.
Es gibt Verräter und
Versager in unseren Reihen. Aber trotz Versagens und
Verrates bleibt die Kirche ihrer Sendung treu. Die
Kirche wird mit allem fertig. Wo ist die Macht der Erde,
die wie sie Gottes heiliges Gesetz hochhält und sich
schirmend stellt vor die Heiligkeit der Ehe, vor die
Reinheit der Jugend, vor die Autorität von Familie und
Staat? Heilig ist ihre Sittenlehre. Mit dankbarem Stolz
darf sie sich rühmen, dass sie zu allen Zeiten Heilige
geboren hat, auch heute, heilige Männer und Frauen,
heilige Kinder, Menschen, die selbstlos ihr Leben
hinopfern zur Ehre Gottes und zum Heile der Mitmenschen.
Die katholische Kirche ist das Reich Christi, gestern
wie heute. Von ihr gilt das Wort: „Wer euch hört, hört
mich.“ Und so bitte ich Sie, meine lieben Freunde, mit
mir einzustimmen trotz aller Ärgernisse und Anstöße, mit
mir einzustimmen in den alten Gesang: „Dank sei dem
Herrn, der mich aus Gnad’ in seine Kirch’ berufen hat.
Nie will ich von ihr weichen!“
Amen.
Geliebte im
Herrn!
Wir haben
gesehen, wie die Kirche ihren Ausgang nimmt von Jesus
mit seiner Sendung und der Berufung der Menschen aus
seinem Volke, wie die Kirche dann emporwächst, geleitet
von der Hierarchie und getragen von der Kraft ihrer
Dogmen. Aber wir haben noch nicht in das Innere der
Kirche geschaut. Wir haben ihr Geheimnis noch nicht
erkannt. Denn nicht die Hierarchie und nicht die Dogmen
machen ihr großes Geheimnis aus, sondern was sie im
Innersten bewegt und trägt, nämlich Gottes Gnade.
Christus und sein Reich der Gnade. Was heißt Gnade?
Gnade heißt teilhaftig werden der göttlichen Natur. Das
ist der richtige Begriff von Gnade: teilhaftig werden
der göttlichen Natur, über das Irdische, Natürliche
hinausgehoben werden in einen anderen Bereich, den wir
den übernatürlichen nennen.
Christus
war der erste, der sich eine menschliche Natur
angeeignet hatte und sie mit seiner Gnade erfüllt hatte.
Und alle Menschen sollten wie er in der Gnade leben. Wir
wissen, der Plan Gottes wurde von Menschen durchkreuzt.
Durch die Ursünde und in ihrem Gefolge durch die
Erbsünde haben die Menschen die Gnadenausstattung
verloren. Und so musste eine Erlösung geschehen. Es
musste ein Erlöser kommen, der die verlorene Gnade
zurückbrachte. Das war unser Heiland Jesus Christus. „So
sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen
Eingeborenen Sohn dahingab, damit alle, die an ihn
glauben, nicht verloren gehen, sondern das Leben haben.“
Das Reich der Gnade, das ist das große Geheimnis der
Kirche. Dass sie die Gnadenstätte, die Gnadenanstalt
ist, die Gnadenkörperschaft, das macht ihr innerstes
Geheimnis aus.
Die Kirche
hat nicht nur ein menschliches, irdisches, nein, sie hat
ein übermenschliches, ein gottmenschliches Dasein. Sie
ist, wie der große Tübinger Theologe Johann Adam Möhler
einmal erklärt hat, sie ist „der in der Zeit fortlebende
Christus“. Genau das ist sie: der in der Zeit
fortlebende Christus. Das ist ihr innerstes Geheimnis,
das wir nicht schauen, aber an das wir glauben. „Ich
glaube an die eine, heilige, katholische Kirche.“
Das Zweite
Vatikanische Konzil hat diese Wahrheit mit folgenden
Worten ausgedrückt: „Indem Christus Anteil gab an seinem
Geiste, hat er die Menschen in geheimnisvoller Weise
gleichsam zu seinem Leibe gemacht. In diesem Leibe
strömt Christi Leben auf die Gläubigen über, die durch
die Sakramente auf verborgene und doch wirkliche Weise
dem leidenden und verherrlichten Christus geeint
werden.“ Wahrhaftig, so ist es. Die Menschen, die in die
Kirche eintreten, erhalten durch den Geist Christi
Anteil an seinem Leibe; sie werden zu Gliedern seines
Leibes. Die Kirche ist nicht bloß Organisation, sie ist
auch Organismus. Wir kennen den Organismus aus der
Natur: Die Pflanze, das Tier, der Mensch, sie bestehen
aus Billionen von Einzelteilen. Aber diese Billionen von
Einzelteilen werden durch eine Kraft geeint, wie immer
wir sie auch nennen mögen, eine Lebenskraft, beim
Menschen nennen wir sie die Seele, die die Billionen von
Teilen zusammenfügt zu einer Einheit. Über den Stoff
kommt die Lebenskraft, und das nennen wir organisches
Leben, Zusammenfassung der Vielheit durch eine höhere
Kraft zur Einheit eines Lebensganzen.
Das
geschieht in ähnlicher Weise auch durch die Lebenskraft
des Gottessohnes. Auch er fügt uns zusammen zu einem
Leibe. Er ist das Haupt, und wir sind seine Glieder. Der
Leib Christi ist eine Einheit durch die Macht der Gnade,
durch die Kraft des Heiligen Geistes. Gott wirkt in den
Erlösten mit seiner Gnade. Wir sind teilhaftig der
göttlichen Natur. Der Herold dieser Wahrheit ist der
heilige Paulus. Er hat in seinen Briefen wiederholt die
Wirklichkeit der Kirche als einen Leib, nämlich den Leib
Christi, beschrieben. An die Epheser schreibt er:
„Christus ist das Haupt der Kirche, er, der Erlöser
seines Leibes. Wir sind Glieder seines Leibes, er ist
das Haupt.“ An die Korinther schreibt er: „Wißt ihr
nicht, dass ihr Glieder Christi seid, dass eure Leiber
Glieder Christi sind?“ Und denkt an das, was sich daraus
alles ergibt, wie ihr mit eurem Leibe umgehen müsst!
„Wie der Leib eine Einheit bildet und viele Glieder hat,
alle Glieder aber trotz ihrer Vielheit den einen Leib
bilden, so ist es auch bei Christus. Durch seinen
Heiligen Geist sind wir alle getauft zu einem Leibe. Ihr
seid der Leib Christi und Glieder an ihm.“ Und wiederum
im Brief an die Römer, der ja in gewisser Hinsicht den
Gipfelpunkt der Briefe des Paulus darstellt, im Brief an
die Römer heißt es: „Wir viele zusammen bilden einen
Leib in Christus.“
Wir haben
für diese Wahrheit nicht nur die Theologie des Paulus,
wir haben ein Wort des Herrn selber, dass wir zu seinem
Leibe gehören. Saulus, so hieß er ja damals noch, zog
nach Damaskus, um die Christen zu ergreifen und gebunden
nach Jerusalem zu bringen. Aber vor Damaskus kam ein
Lichtschein über ihn. Er wurde zu Boden gefällt, er
stürzte, sein Pferd bäumte sich auf, und eine Stimme
fragte: „Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?“
Saulus fragte: „Herr, wer bist du?“ „Ich bin Jesus, den
du verfolgst.“ Ja, aber er hatte doch gar nicht Jesus
verfolgt, er hatte doch die Christen verfolgt. Und doch
sagt die Himmelsstimme: „Ich bin Jesus, den du
verfolgst.“ Jesus setzt sich also mit den Christen
gleich. Sie bilden eine Einheit. „Ich bin Jesus, den du
verfolgst.“ Wer das Christentum verfolgt, der verfolgt
Christus. „Das Haupt schreit auf, weil seine Glieder
geschlagen werden“, sagt der heilige Augustinus zu
dieser Stelle aus der Apostelgeschichte. Das Haupt
schreit auf, weil seine Glieder, die Christen,
geschlagen werden.
Die Lehre,
dass wir der Leib Christi sind, dass die Kirche der Leib
Christi ist, der von ihrem Haupte, nämlich von Christus,
belebt wird, gibt uns erst das richtige Verständnis für
die Kirche. Wenn wir nur an ihren äußeren Apparat
denken, an die Hierarchie, an die Verwaltung und die
Bürokratie, dann kommen wir nie hinter das Geheimnis der
Kirche. Ohne die Belebung durch Gottes Geist, ohne die
Impulse der Gnade, ohne das wirksame Eingreifen Gottes
in die Seelen sind Bestand und Wirken der Kirche nicht
zu erklären. Ach, meine Freunde, das Fortdauern der
Kirche unter den unaufhörlichen Schlägen schon 2000
Jahre lang, der Neuaufbau nach den immer wieder
erfolgten Zusammenbrüchen, das Wiedererstehen nach den
Kahlschlägen, das alles ist ohne das Einwirken der
göttlichen Gnade nicht zu erklären. Dass die Kirche lebt
und wächst trotz des Verrates des Judas, trotz der
Verleugnung des Petrus, trotz der Flucht so vieler
Priester aus unserem Abendmahlssaale, trotz des
Versagens so viele Bischöfe, das ist völlig
unerklärlich, wenn nicht eine göttliche Kraft in ihr
wäre.
Als ich
Student der Theologie war, sprach ich einmal mit einem
gläubigen, frommen, gelehrten Theologieprofessor, und er
sagte zu mir: „Für mich ist einer der überzeugendsten
Beweise für die göttliche Herkunft der Kirche, dass der
Klerus sie noch nicht kaputtgekriegt hat.“ Ein trauriges
Wort, aber leider nicht unwahr.
Die
Bekehrung von Sündern, dass aus einem Saulus ein Paulus
wird, dass aus dem Manichäer Augustinus der große
Kirchenlehrer wird, dass jeden Tag Menschen aufstehen
von ihrer Sünde und ihrer Schuld im Bußsakrament, dass
sie sich losmachen von Unzucht, Haß und Lauheit, das ist
nur zu erklären durch die Macht der siegreichen Gnade.
Dass auch in unserer Zeit der großen Schwäche der
Kirche, dass auch in unserer Zeit, wo alles dazu angetan
ist, die Kirche zu schmähen, dass auch in unserer Zeit
Menschen zur Kirche stoßen, konvertieren, hochstehende
Menschen, wertvolle Menschen wie meinetwegen Dr. Ernst
oder Christa Meves, das ist nicht zu erklären ohne die
Wirksamkeit des Heiligen Geistes.
Die
Fruchtbarkeit der Kirche an Heiligen, auch heute, an
Männern und Frauen und an Kindern, die sich für Gott und
die Menschen mühen und abarbeiten, das Auftreten und
Wirken von Männern wie dem heiligen Pfarrer von Ars oder
von Frauen wie der Mutter Teresa aus Albanien, das ist
völlig unverständlich, wenn man vergisst, dass die
Strahlen des göttlichen Lichtes diese Menschen
erleuchten und dass die Kraft der göttlichen Gnade sie
leitet und stärkt. Die Leiden und Opfer, die Menschen im
Dienste Gottes und seiner Kirche auf sich nehmen, die
unerhörten Anstrengungen und Beschwerden der Missionare
– ich denke an meinen lieben Schulfreund Pater Longinus
Schmidt. Er ist so alt wie ich, 82 Jahre. Aber er leitet
mit 82 Jahren in Ecuador eine Pfarrei von 20.000 Seelen.
Die Martern und die Qualen der Blutzeugen, die
unaufhörlichen Überwindungen und die Verzichte der
Bekenner, das alles ist unbegreiflich, wenn die
menschliche Schwäche nicht durch göttliche Stärke
ergänzt und erhoben würde.
Wie groß
und ehrfurchtgebietend ist unsere Kirche dank der Macht
der Gnade! Wie wunderbar durchpulst ist sie vom
göttlichen Christusleben! Wie weitreichend ihre Grenze!
Man hat, meine lieben Freunde, in den letzten
Jahrzehnten versucht, die Abspaltungen von dieser Kirche
und die nichtchristlichen Religionen zu Heilswegen
Gottes zu erklären. Das ist völlig irrig, das ist völlig
falsch! Es gibt nur einen einzigen Heilsweg, und den
führt die Kirche. Das Wort bleibt gültig: „Außerhalb der
Kirche ist kein Heil.“ Das andere Wort ist genauso
gültig, das Wort von der alleinseligmachenden Kirche.
Man muss es nur richtig verstehen. Wenn die Kirche
identisch ist mit dem Leib Christi und die Zugehörigkeit
zum Leib Christi der Weg zum Himmel ist, dann müssen
alle Menschen mit diesem Leibe in Verbindung treten.
Diese Verbindung kann freilich verschiedenartig sein.
Voll in der Gemeinschaft der Kirche und damit auch voll
im Leibe Christi sind nur jene Getauften, die in
sichtbarem Verband mit Christus verbunden sind durch die
Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der
kirchlichen Leitung. Nur wer getauft ist, die Dogmen
ohne Ausnahme bejaht und sich der kirchlichen Hierarchie
unterstellt, der ist voll im Leibe Christi, voll in der
Gemeinschaft der Kirche.
Aber es
gibt andere Weisen der Verbundenheit. Denken wir an die
Katechumenen, an die Taufbewerber. Sie sind noch nicht
getauft, sie haben also noch nicht die Verähnlichung mit
Christus empfangen, welche die Taufe gewährt, aber sie
haben schon den Glauben, und sie sehnen sich nach der
vollen Gliedschaft der Kirche. Sie unterstellen sich der
kirchlichen Obrigkeit. Die Katechumenen sind deswegen
innig mit der Kirche verbunden. Die nichtkatholischen
Getauften haben ebenfalls Verbindung mit der Kirche
durch die Taufe und durch die Stücke des Glaubens, die
sie aus der Trennung von der Kirche mitgenommen haben.
Sie sind auch jetzt noch wirksam, ohne Frage. Also auch
die nichtkatholischen Getauften stehen in einer
Verbindung zur Kirche und damit auch zum Leibe Christi.
Selbst die Ungetauften, die Nichtchristen sind nicht
fern von der Kirche. Sofern sie ihrem Gewissen folgen,
sind sie mit der Kirche in irgendeiner Weise verbunden,
die allein Gott weiß, aber sie stehen nicht fern. „Die
Ungetauften sind auf die Kirche hingeordnet“, erklärt
das Zweite Vatikanische Konzil. Alle sollen sie in die
Kirche eintreten, die ganze Menschheit ist berufen, zur
Kirche zu gelangen, denn die Kirche ist das universale,
d.h. das allgemeine, niemanden ausschließende Sakrament
des Heiles. Unsere Kirche ist kein Partikel, unsere
Kirche ist das Ganze. Deswegen nennen wir sie
katholisch. Katholisch heißt über den ganzen Erdkreis
verbreitet, auf den ganzen Erdkreis hingerichtet,
weltweit.
Und nicht
nur das. Die Kirche umfasst nicht nur diese Erde, sie
reicht auch ins Jenseits hinein. Zu ihr gehören alle,
die im Fegfeuer ihre letzte Schuld büßen, die gereinigt
werden durch das Blut Christi. Zu ihr gehören alle, die
im Himmel triumphieren, die es geschafft haben, die
eingegangen sind in die Seligkeit Gottes. Sie alle
gehören zur Kirche.
Meine
lieben Freunde, die Kirche ist ein Reich, das die Erde
umspannt und das ins Jenseits hineinreicht. Zu ihr
gehören alle, die im Blute Jesu gereinigt sind. Wenn wir
diese Tiefe der Kirche begreifen, dann verstehen wir
auch ihre Leiden. Diese Leiden, also das Blut der
Martyrer, die Kerker der Gefangenen, die Stricke, mit
denen die irdische Macht die Kirche band, diese Leiden
sind nichts anderes als das durch die Zeiten hindurch
gehende Kreuz Christi. Das Kreuz Christi wächst durch
die Jahrtausende, reckt sich über die Völker, und
riesengroß ist ein blutender Leib daran: Christus in
seiner großen Passion. Diese Passion setzt sich fort an
seinem geheimnisvollen Leibe. Paulus schreibt deswegen:
„Ich muss an meinem Körper, an meinem Leibe ergänzen,
was an den Leiden Christi noch fehlt.“ Jetzt verstehen
wir also unsere Leiden für die Kirche und in der Kirche.
Jetzt verstehen wir aber auch den Sieg, von dem die Welt
staunend sagt, dass die Kirche nie unterging, dass sie
sich aus Trümmern immer wieder erhoben hat, dass sie
über den gewaltigen Arius und die Hunnenheere gesiegt
hat, dass der Bolschewismus und der Nationalsozialismus
sie nicht ausgelöscht haben. Das ist nichts anderes als
die Auferstehung aus dem Grabe, das ist nichts anderes
als der Ostersieger Christus, der auch in seiner Kirche
fortlebt. „Fürchte dich nicht, Kirche, ich bin bei dir
alle Tage bis ans Ende der Welt.“
So
verstehen wir die Kirche auch in ihrer unbeugsamen
Sprache. Sie muss so sprechen, weil sie den Herrn
vertritt, der gesagt hat: „Wer euch hört, hört mich.“
Die Kirche kann ihre Verkündigung nicht abschwächen, wie
es die nichtkatholischen Religionsgemeinschaften tun,
sie kann sie nicht abschwächen, sie muss unbeugsam sein,
denn der ist bei ihr und in ihr, der gesagt hat: „Mir
ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden.“
Außerhalb der Kirche ist kein Heil. Die Kirche ist die
alleinseligmachende. Die Kirche ist der Weg, der einzige
Weg, der zu Gott führt, ob die Menschen es wissen oder
nicht. Sie ist die Straße, auf der die Jahrtausende zu
Gott ziehen.
Amen.
Geliebte im
Herrn!
Es war am
Karfreitagmorgen. Christus wird durch die Stadt
Jerusalem zum Lithostratos geführt. Dort wartet sein
Richter auf ihn, der römische Landpfleger Pontius
Pilatus. Er weiß sich im Besitz der Macht. Hinter ihm
steht das römische Reich, und vor ihm steht ein armer,
gepeitschter Sklave, ein Mann, besudelt von Blut und
Schmerz. „Bist du der König der Juden?“ Es klingt
Verwunderung, Erstaunen, vielleicht sogar Mitleid aus
diesem Worte: Du sollst der König der Juden sein? Jesus
richtet seinen Blick auf ihn und sagt: „Mein Reich ist
nicht von dieser Welt.“ Pilatus und die Juden rechnen
nur mit den Reichen dieser Welt. Pilatus weiß sich als
Abgesandter des machtvollen römischen Reiches, und die
Juden träumen von einem Groß-Juda, das eine Weltmacht
werden soll und das vom Strom bis an die Grenzen des
Taurus reichen soll. Der Herr fügt hinzu, als ihn
Pilatus noch einmal fragt: „Bist du ein König?“: „Ja,
ich bin ein König. Dazu bin ich geboren und in die Welt
gekommen, dass ich der Wahrheit Zeugnis gebe. Jeder, der
aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“ Jesus ist
ein König, ein König der Wahrheit. Wahrheit in diesem
Sinne ist die offenbare Wirklichkeit Gottes. Er ist der
gottgesandte Zeuge der offenbaren, in ihm geoffenbarten
Wirklichkeit Gottes.
„Was ist
Wahrheit?“ entgegnet ihm Pilatus. Daraus klingt die müde
Skepsis der Unerkennbarkeit der Wahrheit, vielleicht
auch der Stolz, sich einer Wahrheit zu beugen, oder die
Feigheit, die sich der Wahrheit entziehen will. Was ist
Wahrheit? Viele Menschen wollen von einer feststehenden,
von einer bleibenden, von einer unveränderlichen
Wahrheit nichts wissen. Diese Erscheinung war vor 50
Jahren auf Kreise außerhalb unserer Kirche beschränkt.
Heute hat sie Theologen unserer Kirche ergriffen. Sie
sprechen vom Wandel der Wahrheit; sie wollen nicht sich
einer feststehenden Wahrheit, nicht dem König der
Wahrheit beugen. Was ist Wahrheit? Wahrheit ist die
Übereinstimmung der Erkenntnis mit der Wirklichkeit, und
diese Wahrheit ist zuallererst in Gott. Gott ist die
Wahrheit. Das heißt: Er hat ein Bild der Wirklichkeit,
das der Wirklichkeit entspricht. Noch mehr: Er hat ein
Bild der Wirklichkeit, nach dem er die Wirklichkeit
gestaltet. Die Wirklichkeit entspricht seinem
Schöpfungsplan. Die Schöpfung ist gestaltet nach dem
Ideal, nach den Ideen, die Gott in sich trägt. Das ist
die Wahrheit in Gott. Die Schöpfung entspricht dem Plane
Gottes.
Nun schafft
Gott den Menschengeist, und der Menschengeist ist ja ein
Abbild des göttlichen Geistes. Er soll die Wahrheit
erkennen, und das ist ihm in erstaunlichem Maße
gelungen. Wir können dankbar und stolz sein auf die
Errungenschaften des menschlichen Geistes. Sie betreffen
vor allem die Güter dieser Erde, die Schöpfung, die
Technik. Das sind alles wunderbare Errungenschaften des
menschlichen Geistes. Wenn der Mensch nicht fähig wäre,
die Wahrheit zu erkennen, dann wäre die Technik
unmöglich, denn die Technik muss sich der Wirklichkeit,
der Natur, den Gesetzen der Natur anschließen. Aber auf
anderen Gebieten haben die Erbsünde und die
Leidenschaften der Menschen weniger zur Wahrheitsfindung
beigetragen. Die Menschen sind auf diesen Gebieten von
ihren Interessen geleitet, und so haben sie Gott nicht
zu erkennen gewusst, obwohl er ihnen offenbar war, und
sie haben seinen Willen nicht zu erkennen verstanden,
obwohl er ihnen zugänglich war. Leidenschaften, Lüste,
Interessen haben sie auf Abwege geführt. Sie haben Gott
zu Fetischen gemacht, mit Tieren verglichen, ein
goldenes Kalb sich als Gott geschaffen, so dass in
dieser Ratlosigkeit mancher das Wort des Pilatus
wiederholt hat: „Was ist Wahrheit?“ Und so hat der
große, der herrliche Plato, einmal gesagt oder
geschrieben: „Wir müssen warten, dass irgendeiner kommt
und uns unterrichtet über die Art und Weise, wie wir im
Hinblick auf die Götter und die Mitmenschen zu handeln
haben. Nur Gott kann Aufklärung geben.“ So hat der weise
Plato geschrieben.
Wenn das
schon für die natürliche Erkennbarkeit Gottes gilt, dann
erst recht für das innergöttliche Leben. In das
innergöttliche Leben vermag der menschliche Geist bei
allem Bemühen nicht einzudringen. Das innergöttliche
Wesen kann nur von Gott selbst geoffenbart werden. „Kein
Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, was Gott
denen bereitet hat, die ihn lieben.“ Da muss Gott selbst
kommen, um uns Aufschluß über sein inneres Leben zu
geben, und das nennen wir Offenbarung. Offenbarung ist
ein Geschehen in Wort und Tat, in dem Gott selbst uns
über sich, über sein Leben, über seinen Willen belehrt.
Offenbarung ist das In-Erscheinung-Treten der Wahrheit
Gottes. Diese Offenbarung vollzog sich im Alten Bunde
hauptsächlich durch Propheten. Sie haben den Willen
Gottes dem Volke Gottes unterbreitet. „Oft und vielmals
hat Gott einstmals durch die Propheten geredet, am Ende
der Tage aber durch seinen Sohn.“ Das ist der
Unterschied, den die Mohammedaner nicht zugeben wollen,
dass Christus nicht nur der letzte der Propheten ist,
sondern der auf Erden erschienene Sohn Gottes. „Durch
Jesus Christus kam die Wahrheit“, sagt Johannes, weil er
die Wahrheit ist. „Wir haben sein Wirken gesehen, voll
der Gnade und Wahrheit.“ So schließt er sein Evangelium.
Und Jesus selbst bezeugt es immer wieder, etwa bei dem
Gespräch mit Nikodemus: „Wir reden, was wir wissen. Wir
tun euch kund, was wir gesehen haben.“ Ja, der
Eingeborene, der am Herzen des Vaters geruht hat, der
vermag Kunde von ihm zu bringen. Und so kann Jesus von
sich sagen: „Ich bin die Wahrheit. Ich bringe sie nicht
nur; ich bin die personale Wahrheit.“
Zwischen
der Wahrheit Gottes, die uns in der Offenbarung
zugänglich ist, und den Erkenntnissen des menschlichen
Geistes kann ein wahrer Widerspruch nie bestehen. Denn
das eine wie das andere stammt von Gott. Wenn irgendwo
ein Widerspruch zu entstehen scheint, dann liegt das
entweder darin, dass die Menschen sich irren oder dass
die Offenbarung falsch ausgelegt wird. Ein echter
Widerspruch zwischen der Wirklichkeit und Wahrheit
Gottes und den Erkenntnissen des Menschen ist
ausgeschlossen. „Dazu bin ich in die Welt gekommen, dass
ich der Wahrheit Zeugnis gebe.“
Und das ist
der Wille Gottes, dass die Wahrheit bei den Menschen
bleibe. Sie soll nicht untergehen; sie soll nicht
verfälscht werden. Deswegen hat der Herr ein Lehramt
eingesetzt, ein unfehlbares Lehramt, das die Wahrheit
Gottes bewahrt. Das ist die Kirche, die ein unfehlbares
Lehramt in sich trägt. Der Berliner Großstadtapostel
Carl Sonnenschein, ein unvergleichlicher Mann, hat
einmal den schönen Satz geschrieben: „Ich bezahle keine
Kirchensteuer für eine Kirche, die auf ihrem Fachgebiet
nicht unfehlbar ist.“ Ich füge hinzu: Ich auch nicht!
Seinen Aposteln hat der Herr dieses Lehramt übertragen.
Er nennt sie ja das „Licht der Welt“, das Licht, weil
sie die Wahrheit tragen. „Wer euch aufnimmt, nimmt mich
auf. Wo man euch nicht aufnimmt, da schüttelt auch noch
den Staub von den Füßen. Ich sage euch: Jener Stadt wird
es erträglicher ergehen als Sodoma und Gomorrha.“ Aber
freilich, so müssen wir fragen: Herr, bedenkst du, was
du tust, indem du uns fehlbaren Menschen auslieferst?
Indem du uns auf die Verkündigung fehlbarer Menschen
verpflichtest? Nein, sagt der Herr, nein: Wer euch hört,
hört mich. Nicht ihr seid es, die da reden, sondern der
Geist Gottes ist es, der in euch und durch euch redet.
Er hat der Kirche einen Garanten gegeben, einen Bürgen
der Wahrheit. Wir nennen ihn den Heiligen Geist. „Er
wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was
ich euch gesagt habe.“ Nicht Menschenwissen garantiert
die Wahrheit, sondern die Kraft des Geistes. Gottes
Heiliger Geist selbst trägt Sorge, dass die Wahrheit in
der Kirche nicht untergeht. „Gehet hin in alle Völker
und lehret sie, machet sie zu meinen Schülern. Und ich
bleibe bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“ Und
zugleich auch die Drohung: „Wer glaubt und sich taufen
lässt, der wird gerettet werden. Wer nicht glaubt, wird
verdammt werden.“
So haben
die Christen, so haben die Apostel den Auftrag Christi
übernommen. So haben sie mit ihrem Zeugnis für die
Wahrheit bereitgestanden. Die jüdische Behörde versuchte
sie zum Schweigen zu bringen mit Drohungen, mit
Peitschenschlägen. Und was sagt Petrus vor dem Hohen
Rat: „Urteilt selbst, ob es recht ist, Menschen mehr zu
gehorchen als Gott! Wir können nicht schweigen von dem,
was wir gesehen und gehört haben.“ Und der Apostel
Paulus, das auserwählte Werkzeug, das Gott zu den Heiden
geschickt hat, Paulus sagt: „Wenn ein Engel vom Himmel
kommt und ein anderes Evangelium verkündet, als ich es
verkündet habe, der sei im Banne!“ Der Apostel Paulus
weiß, dass er zu überliefern hat, was er selbst
überkommen hat. Im 1. Korintherbrief steht der
fundamentale Satz, der das Traditionsprinzip der
katholischen Kirche formuliert: „Ich habe euch
überliefert, was ich selbst überkommen habe.“ Die Frohe
Botschaft muss so weitergetragen werden, wie sie von den
Altvorderen vorgetragen worden ist. Und als Paulus in
Milet die Vorsteher der Kirche von Ephesus versammelt,
da sagt er zu ihnen: „Seid wachsam! Wachet über die
Reinerhaltung der Lehre Christi!“
Die Kirche
hat zu allen Zeiten sich gegen Irrlehrer wehren müssen.
Es gibt keine einzige Periode der Kirchengeschichte, in
der nicht Irrlehrer aufgetreten wären. Und die Kirche
hätte es leicht gehabt, sich mit den Irrlehrern zu
arrangieren, sie irgendwie in sich aufzunehmen, wie mir
neulich ein Theologieprofessor sagte: „Die Kirche hätte
auch mit Küng noch in ihren Reihen leben können.“ Nein,
das kann sie nicht. Sie muss die Irrlehrer ausscheiden.
Als der große, gewaltige Arius auftrat im 4. Jahrhundert
und immer mehr Anhang gewann und die Staatsmacht ihn
stützte, da schien die Lehre Christi, da schien das
Evangelium verdunkelt zu werden. Aber siehe da, in Nizäa
versammelten sich im Jahr 325 318 Bischöfe und
formulierten die Lehre über Christus: „Gott von Gott,
wahrer Gott vom wahren Gott. Gezeugt, nicht geschaffen.
Eines Wesens mit dem Vater.“ Und so hat sich die Kirche
in allen Jahrhunderten abgesetzt von den Irrtümern. So
laut auch die Irrlehre klingen mag, die Stimme der
Kirche dringt durch. Sie bleibt bei ihrer Lehre.
Wo, meine
lieben Freunde, treffen wir auf das Lehramt der Kirche?
Nun ja, zunächst in den Priestern und Theologen. Sie
sind zwar nicht das Lehramt, aber sie haben teil am
Lehramt. Das Lehramt sendet sie aus, gibt ihnen die
kanonische Sendung, wacht über sie und kontrolliert sie,
wenn es seine Aufgabe recht erfüllt. Wenn Priester und
Theologen Falsches lehren, ist es Pflicht der Träger des
Lehramtes, sie zurechtzuweisen, im Notfalle sie
auszuscheiden aus der Kirche. Die Gläubigen haben das
Recht, Irriges lehrenden Verkündigern zu widersprechen
und sie den Bischöfen anzuzeigen. Die Träger des
Lehramtes sind die Bischöfe. Sie sind authentische, d.h.
mit Autorität begabte Zeugen der Wahrheit. Sie sind die
Träger des Lehramtes. An sie sind wir gewiesen, auf sie
müssen wir hören. Aber nur unter einer Bedingung,
nämlich dass sie Gottes Wahrheit vortragen. Und wenn sie
dies nicht tun? Wir haben Mittel, Wahres von Falschem zu
unterscheiden. Wenn ein Bischof Irriges lehrt, halten
wir uns an die Tradition. Die überkommene Lehre der
Kirche steht fest, und wenn wir uns an sie halten,
bleiben wir in der Wahrheit. Wir kennen die Urkunden der
Lehrverkündigung. Es gibt Bücher, in denen die
Lehrentscheide der Kirche gesammelt sind, auch in
deutscher Sprache. An ihnen können wir nachprüfen, ob
ein Bischof in der Lehrtradition der Kirche steht oder
ob er aus ihr herausgefallen ist. Und wenn sich der
Bischof durch die Vorhaltungen des Volkes nicht
umstimmen lässt, dann haben wir ein letztes Mittel: Wir
wenden uns an den Heiligen Vater. Ihm untersteht die
gesamte Lehre der Kirche; er ist der oberste Hirt, auch
in der Lehre. Er besitzt ein unfehlbares Lehramt.
Wie äußert
sich das unfehlbare Lehramt der Kirche? Nun, es kann
sich auf zweifache Weise äußern, einmal durch die
ordentliche Lehrverkündigung und zum anderen durch die
außerordentliche Lehrverkündigung. Wenn alle Bischöfe
einheitlich mit dem Papst eine Lehre als zum Glauben der
Kirche gehörig verkünden, dann gehört sie zum Glauben
der Kirche, und dann ist das ein Dogma. Es gibt eine
Dogmatisierung durch das ordentliche allgemeine Lehramt
der Kirche. Es gibt aber auch einen anderen Weg, wie
Glaubenswahrheiten festgestellt werden, nämlich durch
das außerordentliche Lehramt. Wenn ein Allgemeines
Konzil mit dem Papst an der Spitze oder wenn der Papst
allein mit seiner höchsten Lehrautorität eine Wahrheit
als vom Heiligen Geist geoffenbart der ganzen Kirche zu
glauben vorlegt, dann ist das eine Dogmatisierung, dann
entsteht dadurch ein Dogma. Wir haben es am vergangenen
Freitag von dieser Stelle aus gehört: Die letzte
Dogmatisierung, die letzte Feststellung eines
Glaubenssatzes, der von allen zu halten ist, war die
Verkündigung der Aufnahme Mariens mit Leib und Seele in
den Himmel. Am 1. November 1950, mit Tag und Stunde
können wir angeben, dass der Geist der Wahrheit durch
Pius XII. uns ein Dogma, das Dogma von der Assumptio
Beatae Mariae Virginis, beschert hat.
Es ist
irrig, wenn man meint, ein Konzil sei mehr wert als der
Spruch des Papstes. Ein Konzil ist gefüllter, weil eben
viele Bischöfe versammelt sind, aber es ist nicht
mächtiger. Es ist auch irrig, zu meinen, ein Konzil
stehe über dem Papst. Es kann ein Konzil nur geben mit
dem Papst. Ein Konzil, das sich vom Papst löst, ist kein
Konzil mehr, sondern eine Bischofsversammlung. Ihr fehlt
das Haupt, sie ist kopflos. Der ganze Streit über die
Superiorität, über die Überlegenheit des Konzils über
den Papst, ist sinnlos. Wenn der Papst einer konziliaren
Entscheidung nicht beitritt, dann ist das Konzil leer,
dann ist die Entscheidung unverbindlich. Es kann keine
Konzilsentscheidung geben, der die Zustimmung des
Papstes fehlt. Der Papst vermag auch Konzilsbeschlüsse
zu ändern. Alles, was kein Dogma ist, ist dem Papste zur
Veränderung preisgegeben. Es ist deswegen töricht, wenn
heute gesagt wird, Benedikt XVI. gehe hinter das Konzil
zurück. Erstens tut er das nicht und zweitens, wenn er
es täte, wäre es sein gutes Recht. Nicht das Konzil
steht über dem Papst, sondern der Papst ist der oberste
Herr auch des Konzils.
Und so ist
es immer in der Kirche geglaubt worden, auch gegen alle
Anwürfe. Am Anfang des 2. Jahrhunderts schreibt Ignatius
von Antiochien, als er auf dem Wege nach Rom war, um von
den Tieren zerrissen zu werden: „Was die römische
Kirche, die Vorsitzende des Liebesbundes, lehrt und
vorschreibt, das will auch ich unantastbar halten.“ Und
der heilige Irenäus, der ja nur wenig später gelebt hat,
schreibt in seinem Buch „Gegen die Häresien“: „Mit
dieser Kirche Roms muss wegen ihres höheren Vorrangs
eine jede Kirche übereinstimmen.“ Papst Zosimus erklärt
im Jahre 417: „An Unserem Urteilsspruch kann keiner
etwas ändern.“ Und so entstand das schöne Wort: „Roma
locuta, causa finita“ – Wenn Rom gesprochen hat, dann
ist die Sache erledigt.
Und
worüber, meine lieben Freunde, worüber hat das
kirchliche Lehramt zu bestimmen? Es hat zu wachen über
die Reinerhaltung der von Christus an die Apostel
übergebenen Offenbarungswahrheit, auch über alle
geschichtlichen, philosophischen und das praktische
Leben betreffenden Wahrheiten, die in unlösbarem
Zusammenhang mit der Offenbarung stehen. Das Lehramt hat
ebenso über das Sittengesetz zu wachen, denn das
Sittengesetz ist ein Bestandteil der Glaubenslehre. Es
heißt immer in den Verkündigungen der Kirche, dass, wenn
der Papst als oberster Lehrer entscheidet „in Glaubens-
und Sittenfragen“, die Gläubigen daran gebunden sind.
Hier haben manche Schwierigkeiten. Die Sittenlehre der
Kirche erscheint ihnen zu anspruchsvoll. Sie schneidet
ja tief ein in Leben, nicht wahr, vor allem, wo es um
die geschlechtliche Sittlichkeit geht. Aber, meine
Freunde, Grundsätze dürfen nicht daran gemessen werden,
ob sie schwer oder leicht sind. Grundsätze müssen daran
gemessen werden, ob sie richtig sind. Man dient den
Menschen am besten, wenn man der Wahrheit dient.
So steht
gewaltig das Lehrgebäude der Kirche vor uns. Bricht ein
Dogma heraus, stürzt der ganze Bau zusammen. Entweder du
nimmst jedes Dogma gläubig an, oder du verwirfst
Christus. Das ist die Alternative. Dogmen sind gewaltig
wie Gott, wie die ewige Wahrheit. Sie haben auf dem
Amboß gelegen und sind durch die Jahrhunderte
geschmiedet worden. Für den Glauben sterben zu dürfen,
war stets die höchste Sehnsucht Tausender. Wir können
der Kirche sagen: Führe sie heran, deine flores martyrum,
deine Blüten der Martyrer, deine Söhne und Töchter, die
im glutenden Rot ihres Blutes für den Glauben Zeugnis
abgelegt haben. Die Scharen aus der Arena Roms. Alle,
die den heiligen Boden unseres Vaterlandes befruchtet
haben, wie Bonifatius. Die Martyrer Englands, die nur
einem einzigen Dogma hätten abzuschwören brauchen, um
ihr Leben zu retten. Aber sie haben ihm nicht
abgeschworen. Die Neuchristen und die Glaubensboten in
den weiten Missionsgebieten Japans bis Kanadas.
Schließlich die Martyrer der jüngeren Zeit in Mexiko, in
Russland, in Spanien, in China. Sie alle haben mit ihrem
Blute Zeugnis gelegt für die Wahrheit, die Gott durch
Christus uns übermacht hat. An ihr wollen wir festhalten
bis zum letzten Atemzug unseres Lebens.
Amen.
Geliebte,
zur Feier der Aufnahme Mariens in den Himmel
Versammelte!
Am 1.
November 1950 hat Papst Pius XII. auf dem Petersplatz in
Rom als feierliches Dogma verkündet: „Die Lehre, dass
Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes mit
Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden ist, ist
eine Glaubenswahrhit, die von Gott geoffenbart ist.“ Die
Kirche hatte schon lange vorher an diese Wahrheit
geglaubt. Aber das Neue, was jetzt dazu kam, war die
untrügliche Gewissheit, dass es sich dabei nicht um eine
fromme Meinung handelt, sondern um ein von Gott
geoffenbartes Dogma. Durch die Verkündigung dieser
Glaubenswahrheit hat Gott uns eine gewaltige Fülle von
Belehrungen erteilt.
Die
Geschichte bis zu der Definition Pius’ XII. ist lang.
Seit dem 4./5. Jahrhundert ist dieser Glaube in der
Kirche nachweisbar. Der Kirchenlehrer Epiphanius etwa
fragt im 4. Jahrhundert, ob Maria unsterblich gewesen
sei, und im 4./5. Jahrhundert taucht auch eine Schrift
auf, die erste Schrift, die wir zu diesem Thema haben: „Transitus
Beatae Mariae Virginis“ – Der Übergang Mariens von der
Erde in den Himmel. Zuerst wurde dieses Fest in der
Ostkirche begangen. Der Kaiser Marikius hat es zu einem
für das ganze Byzantinische Reich vorgeschriebenen Fest
erklärt. Und bald finden wir es auch in Rom. Der Papst
Sergius hielt an diesem Tage eine Prozession und
bekannte sich damit zu diesem Glauben.
Es geht bei
der Aufnahme Mariens in den Himmel nicht um eine fromme
Meinung, sondern um eine definierte Glaubenswahrheit.
Pius XII. hat mit aller Sorgfalt, die für eine
Definition vorgeschrieben ist, erforscht, ob diese
Glaubenswahrheit von der ganzen Kirche erkannt und
anerkannt wurde. Im Jahre 1946 hat er eine Befragung
aller Bischöfe der katholischen Kirche durchgeführt, ob
sie der Meinung sind, dass diese Lehre feierlich als
Dogma verkündet werden kann. 1169 Bischöfe bejahten
diese Frage, 22 hatten Bedenken, aber nur 6 davon
bezweifelten den Inhalt, die anderen waren lediglich in
Unsicherheit über die Zweckmäßigkeit einer solchen
Definition. In jedem Fall hat Pius XII., gestützt auf
dieses Votum der ganzen lehrenden Kirche, am 1. November
1950 das Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in
den Himmel verkündet. Das ist die erste Dogmatisierung
seit der Feststellung der päpstlichen Unfehlbarkeit auf
dem I. Vatikanischen Konzil. Damals hat sich die ganze
Kirche dazu bekannt, dass der Papst, wenn er als
oberster Hirt eine für alle verbindliche Wahrheit
festlegt, im Besitze der persönlichen Unfehlbarkeit ist.
Ich habe
diese Dogmatisierung lebendig miterlebt und auch die
Einwände gehört, die sich gegen diese Dogmatisierung
wendeten. Es waren vor allem zwei, nämlich einmal wurde
gesagt, ein solches Dogma müsse von einem Konzil
verkündet werden und dürfe nicht von einem Einzelnen,
nämlich dem römischen Papst, der Kirche vorgelegt
werden. Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Der Papst
ist im Besitze des unfehlbaren Lehramtes. Wenn er mit
höchster Verbindlichkeit und letztgültig spricht, dann
spricht in ihm und durch ihn die unfehlbare, irrtumslose
Kirche. Im Wahrspruch des Papstes, der ja das Haupt der
Kirche ist, ist gleichsam die Gesamtkirche
zusammengefasst; in ihm verdichtet sich ihre
Irrtumslosigkeit. Man kann in einem richtigen Sinne
sagen: Der Papst ist die Kirche, weil er das Haupt der
Kirche ist und die Kirche durch ihn redet.
Der zweite
Einwand betraf die Tatsache, dass diese Wahrheit nicht
ausdrücklich in der Heiligen Schrift ausgesprochen ist
und durch die Tradition verhältnismäßig spät bezeugt
ist. Auch dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Die
Kirche schöpft ihre Wahrheit nicht ausschließlich aus
der Heiligen Schrift. Gleichberechtigt neben ihr steht
die Tradition. Das Konzil von Trient hat gelehrt, dass
Schrift und Tradition „pari pietatis affectu“ behandelt
werden müssen; mit der gleichen Ehrfurcht müssen Schrift
wie Tradition von der Kirche angenommen werden. Ja noch
mehr. Die Schrift ist jünger als die Tradition. Die
Tradition ist älter als die Schrift. Bevor auch nur ein
einziges Evangelium geschrieben war, wurde die Wahrheit
um Jesus verkündet. Die mündliche Verkündigung geht der
schriftlichen Niederlegung voraus. Die Kirche weiß
darum, dass sie auf zwei Quellen des Glaubens ruht, auf
der Schrift und auf der Überlieferung. In der Schrift
sind häufig nur Spuren, Hinweise für die Dogmen
enthalten. Aber sie genügen. Von dem Dogma der Aufnahme
Mariens in den Himmel sagt der Heilige Vater: „Inititur“
– sie stützt sich auf die Schrift. Wir werden gleich
sehen, wieso sie sich auf die Schrift stützen kann.
Der Kirche
ist das Gesetz der Entwicklung eingeboren. Entwicklung
heißt, dass etwas vorhanden ist, aber noch nicht
offenbar gemacht ist, das erst im Laufe der Zeit
„ausgewickelt“ wird. Es ist eingewickelt da, aber es
muss entwickelt, es muss ausgewickelt werden. Vieles
wurde in früheren Zeiten nur einschlußweise geglaubt,
was später ausdrücklich anerkannt wurde. Die Ablehnung
der Lehre des Dogmas von der leiblichen Aufnahme Mariens
in den Himmel hat auch in einer bei manchen Christen
vorhandenen Allergie gegen Maria ihren Grund.
Katholischer Glaube, meine lieben Freunde, ist
unvollständig ohne die Wahrheit über die Mutter unseres
Herrn. Katholische Frömmigkeit ist undenkbar ohne
Verehrung der allerseligsten Jungfrau. Auch ungenügende
oder falsche Vorstellungen über das Jenseits können zur
Abweisung dieses Dogmas führen. Wir, die wir gläubig
sind und belehrt wurden vom Herrn, wissen, die Erde ist
eine Stätte des Durchgangs zur Ewigkeit. Wer hier in
Geist und Leben sich zum Herrn bekannt hat, den erwartet
er im Jenseits. Die Seligkeit des Himmels umfasst
vorläufig nur die Seelen der Verstorbenen, aber sie wird
einmal auch den verklärten Leib umfassen. Und das Dogma
von der Aufnahme Mariens in den Himmel macht uns gewiß,
dass der Leib einen bleibenden Wert hat, einen
gottgegebenen Sinn und eine unvergängliche Würde.
Gerade in
unserer Zeit der Verbrauchshaltung gegenüber dem Leib,
in unserer Zeit der überbordenden Leibespflege, in
unserer Zeit des Missbrauchs des Leibes ist es besonders
wertvoll, zu wissen: Unser Leib ist bestimmt, einmal an
der Seligkeit, der Glorie Gottes teilzunehmen. Einmal
wird das vollkommene göttliche Leben auch in unserem
Leibe durchbrechen, und das ist bei einer von uns schon
geschehen, bei Maria.
Welches
sind nun die Gründe, weshalb die Kirche diesen Glauben
an die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel
festhält? Der erste Grund ist ihre Freiheit von der
Sünde. Der Zerfall des Leibes, der Tod, ist ja eine
Straffolge der Sünde. Maria aber ist die Sündlose. Sie
ist die unbefleckt Empfangene, die in ihrem Leben
sündlos geblieben ist. Sie war also geeignet, ja
berufen, dass ihr Leib nicht die Verwesung schauen
musste, sondern alsbald in die Herrlichkeit des Himmels
eingeführt wurde.
Der zweite
Grund für die Unverweslichkeit des Leibes Mariens ist
ihre Gottesmutterschaft. Sie hat dem Erlöser den Leib
bereitet. Aus ihr ist der Erlöser ein Mensch geworden.
Deswegen war es geziemend, dass ihr Leib das Los des
Leibes Jesu teilte, d.h. nicht verweste, sondern
verwandelt und erhöht wurde.
Ein dritter
Grund für die Verklärung des Leibes Mariens ist ihre
immerwährende Jungfräulichkeit. Wir sind mit der Kirche
überzeugt, dass Maria vor der Geburt, in der Geburt und
nach der Geburt jungfräulich blieb durch ein Wunder,
durch ein unbegreifliches Wunder Gottes. Sie war also
unversehrt in Jungfräulichkeit, und deswegen war es
geziemend, dass ihr Leib nach dem Tode nicht der
Zerstörung anheimfiel.
Und
schließlich können wir noch einen vierten Grund für ihre
Unverweslichkeit anführen: Sie war Mitarbeiterin am
Heilswerke Christi. Sie hat teilgenommen am Werke des
Erlösers. Sie hat ihn geleitet und begleitet. Sie stand
unter dem Kreuze, und sie war im Abendmahlssaal
versammelt, als der Heilige Geist herabkam. Das zeigt
ihre innige Verbindung mit dem Werke Christi, und
deswegen sollte sie auch die volle Erlösung erfahren.
Maria ist die radikal Erlöste, die Vorerlöste, die
Vollerlöste. In ihr verehren wir die ganzheitliche
Erlösung, wie sie allen Menschen verheißen ist. Sie ist
der Mensch, der sich mit letzter Konsequenz der
Dienstbarkeit Gottes verschrieben hat und sich in den
Dienst der Erlösung der Welt gestellt hat. An ihr können
wir ablesen, was den Menschen, was uns bestimmt ist. Wir
gehen nicht der Zerstörung entgegen, auch wenn wir uns
vom Leibe trennen müssen, wir gehen der Seligkeit
entgegen, in die Maria bereits aufgenommen ist mit Leib
und Seele. Sie wartet auf uns, und sie geleitet uns. Zu
ihr geht unser Rufen, zu ihr geht unser Weinen, zu ihr
geht unser Flehen: „Du himmlische Mutter, du Königin des
Himmels, die mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des
Vaters Aufgenommene, sieh unsere Not!“
Amen.
Geliebte im
Herrn!
Am
vergangenen Sonntag haben wir uns Gedanken gemacht über
das Lehramt Christi und seiner Kirche, und wir haben
erkannt, dass durch die Garantie des Heiligen Geistes
dieses Lehramt bei den höchsten und letzten und
endgültigen Entscheidungen mit der Gabe der
Unfehlbarkeit ausgestattet ist. Nun ist es recht und
gut, die Wahrheit zu wissen. Aber das genügt nicht. Man
muss auch die Wahrheit tun. Man muss nach dem leben, was
man glaubt, und dazu braucht es eine Führung. Diese
Führung gewährt uns der Herr, und diese Führung hat er
seinen Aposteln vermacht.
Gott ist
ein Gott der Ordnung. In der Dreifaltigkeit sind drei
Personen zu einer einzigen Natur verbunden, eine einzige
Natur in drei Personen. In der Dreifaltigkeit herrscht
eine wunderbare Ordnung. Als Gott daran ging, eine Welt
zu schaffen, hat er einen Kosmos hervorgebracht, d.h.
ein Gebilde, das in sich eine heilige Ordnung trägt. Die
Sterne ziehen nach festliegenden Gesetzen ihre Bahnen.
Ich erinnere mich, wie es uns in der Schule heiß
aufging, als uns der Physiklehrer die Kepler’schen
Gesetze erklärte, die Gesetze, die abgelesen sind von
den Bahnen der Gestirne. Und in der ganzen übrigen Welt
herrschen die Gesetze, die die Chemie und die Biologie
zu entschlüsseln versuchen. Gott ist ein Gott der
Ordnung.
Er will
auch, dass der Mensch einer Ordnung folge, und so hat er
in ihn ein Gesetz hineingelegt, das wir das Gewissen
nennen. Mit dem Gewissen soll der Mensch Ordnung in sein
Leben bringen, dass er also die Dinge recht gebrauche
mit Maß und Ziel, dass er in seiner Familie und in der
Gemeinschaft des Staates Frieden und Eintracht halte,
dass er seinen Gott verehre und auf diese Weise zum
ewigen Leben gelange. Die Menschheit ist freilich durch
Leidenschaft und Gottvergessenheit immer wieder abgeirrt
vom Wege Gottes, und so hat Gott ihr die Gebote gegeben,
die Gebote vom Berge Sinai, die auf steinerne Tafeln
geschrieben waren, die aber noch viel mehr ins Herz des
Menschen eingebrannt sein sollen.
Schließlich
erschien Gottes Sohn selbst auf dieser Erde. Von ihm
gilt das Wort des Vaters: „Dieser ist mein geliebter
Sohn. Ihn sollt ihr hören.“ Christus ist der von Gott
gesandte Führer der Menschheit. Und es ist wie ein Echo
dieses Auftrages, wenn er selbst sagt: „Mir ist alle
Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden.“ Er hat den
Menschen das Gesetz des Neuen Bundes gegeben, das Gesetz
der Liebe. Er hat auch das natürliche Sittengesetz
wiederhergestellt. „Am Anfang war es nicht so“, sagt er
den Juden, als sie ihm mit der Ehescheidung kommen. Der
Herr ist Richtschnur durch sein Wort, aber auch durch
sein Beispiel. „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, dass
ihr tun sollt, wie ich euch getan habe.“ Wahrhaftig, der
Herr ist der Weg, der die Menschheit emporführen soll zu
ihrem ewigen Glücke.
Nach seiner
Himmelfahrt hat er andere bestellt, die in seinem Namen
die Menschen führen sollen. Wir nennen sie Apostel. Sie
sind die Menschheitserzieher. „Gehet hin und lehret alle
Völker und macht sie zu meinen Schülern.“ So heißt
nämlich die wörtliche Übersetzung des griechischen
Ausdrucks: „Macht sie zu meinen Schülern.“ „Und lehret
sie alles halten, was ich euch geboten habe.“ So ist die
Kirche von Christus ausgestattet worden mit einer
Regierung, mit einer Führung. Jede Gemeinschaft, die
geordnet sein soll, benötigt eine Führung. Wenn wir die
Briefe der Apostel aufschlagen, so sehen wir, dass es in
der Urkirche Autoritäten gab, erst die Apostel, dann die
Apostelschüler, die von ihnen eingesetzt wurden. Und so
ist es bis heute geblieben. Es gibt in der Kirche eine
Hierarchie, eine Führergemeinschaft, die vom Priester
über den Bischof zum Heiligen Vater geht. Auch für diese
Führung, auch für die Regierung der Kirche gilt das
Wort: „Ich bin bei euch alle Zeit bis ans Ende der
Welt.“
Aber im
Unterschied zum Lehramt ist ein bedeutender Unterschied
festzustellen, nämlich der Herr hat der Regierung der
Kirche keine Unfehlbarkeit verheißen. Die Unfehlbarkeit
bezieht sich auf die Lehre, in der Regierung müssen sich
die Hirten der Kirche selbst den Weg suchen. Sie müssen
lernen, wie man regiert. Allerdings frage ich mich, wo
haben unsere Bischöfe das Regieren gelernt? Der Herr hat
auch das Ideal des rechten Führers aufgestellt, nämlich
es ist der Hirt, es ist der gute Hirt. Die Führer des
christlichen Volkes werden von ihm als Hirten
bezeichnet. Wir alle kennen das Bild des Hirten, wie er
seiner Herde von Schafen oder Rindern voranzieht, wie er
sie geleitet, wie er sie auf die Weide bringt, wie er
sie schützt und wie er sie verteidigt. So sollen die
Hirten der Kirche Lenker ihrer Gemeinden sein, Lenker
des christlichen Volkes, die für ihre Gläubigen sorgen.
Ja, der Herr hat den höchsten Anspruch an seine Hirten
gestellt: „Der gute Hirt gibt sein Leben für seine
Schafe.“ Das ist im Laufe der Kirchengeschichte immer
wieder erfolgt, meine lieben Freunde. Als die Rote Armee
im Frühjahr 1945 nach Schlesien eindrang, da haben
viele, allzu viele nichtkatholische Geistliche das Feld
geräumt. Die katholischen Priester sind bei ihrer Herde
geblieben. 60 von ihnen – 60! – haben diesen Schutz mit
dem Leben bezahlt. Das Gegenteil vom guten Hirten ist
der Mietling. Der Mietling flieht, wenn der Wolf kommt.
Der Mietling hat Mangel an Verantwortung. Der Mietling
ist auf seine eigene Sicherheit bedacht und nicht auf
das Wohl seiner Herde. Deswegen flieht er.
Zur
regierenden Gewalt gehört die Gesetzgebung. Eine
Gemeinschaft braucht Gesetze. „Was ihr auf Erden binden
werdet, das ist auch im Himmel gebunden, und was ihr auf
Erden löst, das ist auch im Himmel gelöst.“ Hier wird
den Aposteln die Gesetzgebungsgewalt übertragen. Sie
haben sie ausgeübt von Anfang an. Eine der schwersten
Fragen in der Urkirche war, ob die Christen die
jüdischen Zeremonialgesetze beobachten müssten. Die
einen sagten ja, die anderen sagten nein. Die Apostel
kamen zusammen zum Apostelkonzil in Jerusalem, und dort
wurde die Entscheidung gefällt: „Es hat dem Heiligen
Geist und uns gefallen, euch weiter keine Lasten
aufzuerlegen.“ Solche Gebote hat die Kirche im Laufe der
Jahrhunderte immer wieder erlassen. Sie hat veraltete
abgeschafft, sie hat neue gegeben. Sie hat ein eigenes
Gesetzbuch hervorgebracht, das von Juristen als „Ausbund
der Weisheit und der Klarheit“ gerühmt wurde.
Als wir
Kinder waren, lernten wir die fünf Kirchengebote, also:
Du sollst die gebotenen Feiertage halten! Du sollst an
Sonn- und Feiertagen eine heilige Messe mit Andacht
hören! Du sollst die gebotenen Fast- und Abstinenztage
halten! Du sollst wenigstens einmal im Jahre deine
Sünden beichten! Du sollst wenigstens einmal die heilige
Kommunion empfangen! Das sind wichtige, grundlegende
Gebote des religiösen Lebens des katholischen Christen.
Aber darüber hinaus gibt es noch viele andere Gebote.
Die Sakramente, der Gottesdienst sind mit Geboten
umgeben, um dafür zu sorgen, dass das Heilige heilig
gehalten wird. Es hat immer Leute gegeben, welche die
kirchlichen Gebote geringschätzen. Im 18. Jahrhundert –
und das ist beglaubigt – hat einmal ein Höfling, ein
Hofmann, zu König Ludwig XVI. von Frankreich, der ein
guter Christ war, gesagt, man brauche die Fastengebote
der Kirche nicht zu beachten, das seien ja rein
menschliche Gesetze. Darauf erwiderte der König: „Ich
habe noch nie gesehen, dass einer, der sich über die
Gebote der Kirche hinwegsetzt, die Gebote Gottes heilig
gehalten hätte.“
Der
Gesetzgeber muss auch über die Einhaltung seiner Gebote
wachen. Und so gibt es in der Kirche auch eine
Zuchtgewalt, eine Ordnungsgewalt, eine Strafgewalt, eine
Gerichtsbarkeit. Das ist schon in der Urkirche bezeugt.
In Korinth war ein Mann, ein Christ, der mit seiner
Schwiegermutter geschlechtlich zusammenlebte. Das galt
als Blutschande. Die Oberen in Korinth scheinen nicht
rechtzeitig eingegriffen zu haben; da meldet sich Paulus
zu Wort und sagt: „Der Täter muss ausgestoßen werden aus
der Gemeinde.“ So hat die Urkirche eine strenge
Bußpraxis eingerichtet. Der öffentliche Sünder wurde
ausgeschlossen, oft für lange Jahre, und es wurde nur
eine einmalige Wiederzulassung gewährt. Diese strenge
Zucht hat dafür gesorgt, dass die Christen von ihrer
Umgebung bewundert wurden, dass die Verteidiger des
Christentums in ihren Verteidigungsschriften auf das
makellose Leben der Christen hinweisen konnten.
Weichheit und Nachgiebigkeit haben der Kirche noch nie
gedient, meine lieben Freunde, und wir hören mit Freude,
dass der Bischof von Limburg den Bezirksdekan von
Wetzlar abgesetzt hat, weil er etwas getan hat, was kein
katholischer Priester tun darf, nämlich homosexuelle
Gemeinschaften segnen. Wir danken ihm für diesen Dienst,
den er dem Volke Gottes erwiesen hat. Wer alles
durchgehen lässt, der dient nicht der Gemeinschaft,
sondern der dient dem Gesetzesbrecher.
Eine andere
Frage ist, wie weit die Kirche sich in irdische
Sachgebiete mit ihrer Gewalt, mit ihrer Hirtenautorität
einmischen darf. Natürlich, Wissenschaft, Kunst,
Wirtschaft, Staat sind zunächst einmal in einem
bestimmten Bereich autonom, d.h. sie folgen ihren
eigenen Gesetzen. Aber darüber hinaus hat die Kirche ein
Wächteramt, ein öffentliches Wächteramt. Sie hat dafür
zu sorgen, dass die Gebote Gottes, die Gebote der
gottentstammten Natur in diesen Sachbereichen beobachtet
werden. Früher sprach man von der potestas indirecta,
von der mittelbaren Gewalt der Kirche über die
zeitlichen Angelegenheiten. Der Ausdruck ist nicht mehr
üblich, aber die Sache ist geblieben. Auch diese
Sachgebiete unterstehen der Hirtenaufgabe der Kirche.
Denken wir etwa, wenn die Kirche ihre Stimme erhebt
gegen den Verbrauch von Embryonen zur Gewinnung von
Stammzellen. Da hat die Kirche ihr Wächteramt ausgeübt,
und unsere Kirche wiederum allein. Alle anderen beugen
ihre Knie vor dem Götzen Baal, nämlich Genuß und
Konfliktvermeidung auf dieser Erde. Die Kirche allein
ist ungebeugt.
Darüber
hinaus hat die Kirche die Gläubigen mit dem rechten
Geiste zu erfüllen. Sie muss dafür sorgen, dass die
Menschen wissen, was zu tun ist, und dass sie fähig
sind, es auch zu verwirklichen. Der rechte Geist ist es,
auf den es ankommt. Das hat die Kirche immer getan. Sie
ist, als sie entstand, nicht hingegangen und hat gesagt:
„Die Sklaverei muss abgeschafft werden. Es ist ein
Unrecht, Menschen als Sachen zu behandeln.“ Nein, das
hat sie nicht gesagt, sondern sie hat ihre Gläubigen mit
einem neuen Geiste erfüllt, mit dem die Sklaverei
unverträglich war. Die Nächstenliebe, die in jedem den
Bruder sieht, hat dafür gesorgt, dass die Sklaverei
abgeschafft wurde. Der große deutsche Rechtslehrer
Rudolf von Ihering hat einmal das schöne Urteil
abgegeben: „Der eine Satz, dass der Mensch als solcher
Rechtssubjekt ist, zu dem das heidnische Recht sich nie
erhoben hat, wiegt für die Menschheit mehr als alle
Triumphe der Industrie. Ihn hat das Christentum zuerst
ausgesprochen und ins Leben eingeführt.“ Ein wahres
Ruhmesblatt für unsere heilige Religion.
Das alles,
meine Freunde, sind Einzelaufgaben, die dem Hirtenamt
der Kirche obliegen. Da fragt freilich der eine oder
andere: Warum hat die Kirche nicht mehr erreicht?
Zweitausend Jahre wirkt sie ja. Die erste Antwort
lautet: Weil die Kirche in jeder Generation, ja bei
jedem Menschen neu anheben muss. Gesinnungen und
Tugenden vererben sich nicht. Sie müssen neu erworben
werden von jedem einzelnen. Jeder muss selbst beginnen,
sie zu erwerben. Die zweite Antwort lautet: Weil der
Widerstand gegen das Wirken der Kirche viele ihrer
Anstrengungen zunichte macht; weil immer wieder zerstört
wird, was sie aufbaut. Schauen Sie in die Zeitungen,
hören Sie den Rundfunk, blicken Sie in den Fernseher:
Dort wird mit allen Kräften versucht, die Botschaft der
Kirche zunichte zu machen. Wo die Kirche ein Nein
spricht, da sagen diese Medien ein Ja.
Lassen wir
uns, meine lieben Freunde, von diesen irrigen
Anschauungen nicht anstecken. Lassen Sie uns mit
entschiedenem Willen sprechen: Wir wollen an der Hand
der Kirche den Weg Christi gehen. Kirche, so wollen wir
sagen, du bist die große Führerin, die emporführt über
die Niederungen des Lebens. Kirche, du bist die große
Führerin aller Zeiten, du bist die große Mutter und
Erzieherin. Auf dir schreiten die Jahrhunderte zu Gott.
Amen. |