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Predigten von Prof. Dr. Georg May

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Geliebte im Herrn!

Es liegt eine eigenartige Weihe über den Texten der heutigen heiligen Messe. Sie sind von einer Stimmung erfüllt, die man leichter nachfühlen als beschreiben kann. Vielleicht verstehen wir die Texte am besten, wenn wir annehmen, dass die Jüngergemeinde in der Stunde, zu der sie im Abendmahlssaale versammelt war, ähnliche Gedanken gehabt und ähnliche Gebete gesprochen hat. Wir müssen uns in die Jüngergemeinde hineindenken, die nach der Himmelfahrt des Herrn im Abendmahlssaal, wie wir wissen, versammelt war. Das Ereignis der Himmelfahrt hat sie zutiefst bewegt. Es klingt eine Jubelstimmung in ihnen: Aufgefahren ist Gott im Jubel, der Herr beim Schalle der Posaunen. Die Himmelfahrt war für die Jünger kein trauriges, sondern ein freudiges Ereignis, und sie sind jetzt innerlich zur Ruhe gekommen. Sie wissen, der Meister ist endgültig eingetreten in die jenseitige Welt. Er ist enthoben aller Gefährdung. Auf Erden hat er sich seinen Hassern und Verfolgern ausliefern wollen. Aber jetzt ist er ihnen entzogen, jetzt ist der Haß seiner Feinde nicht mehr fähig, ihm Leides zuzufügen. Er ist einmal gestorben für die Sünden, jetzt stirbt er nicht mehr.

Er ist auch eingegangen in die Herrlichkeit des Vaters, hat Platz genommen zur Rechten des Vaters, also am Ehrenplatz des Vaters. Ohne Bild gesprochen: Er hat die Herrlichkeit des Vaters empfangen und die Herrschaft über Himmel und Erde angetreten. Er hat auch den Lohn empfangen für sein Leben, Leiden und Sterben. Jetzt hat er einen Namen bekommen, der über alle Namen ist, so dass sich in diesem Namen alle Knie beugen müssen im Himmel, auf der Erde und unter der Erde. Die Freude über die Aufnahme Jesu in die Herrlichkeit des Vaters lebt in den Jüngern.

Aber nicht nur die Freude. Auch die Sehnsucht ist in ihnen wach geblieben, die Sehnsucht, sein Antlitz zu schauen. Im Eingangslied haben wir ja gerade gebetet: „Erhöre, o Herr, mein Rufen. Es spricht zu dir mein Herz. Zeige mir dein Antlitz, dein Antlitz wende nicht hinweg von mir.“ Die Sehnsucht bleibt, den Herrn zu sehen, sein geliebtes Antlitz zu schauen. Dieses Lied könnten die Jünger im Abendmahlssaal gesungen haben, in ihm lebt die christliche Sehnsucht nach dem Kommen des Herrn, die in dem Rufe ausklang: „Maranatha“ – Komm, Herr Jesus!

Diese Sehnsucht teilen wir, meine Freunde. Auch wir harren auf den Herrn. Wir warten auf seine Wiederkunft, „von dannen er kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten“, so beten wir in jedem Credo der heiligen Messe. Wir sind gewiß, dass der Herr seine Verheißung erfüllen wird. Er wird wiederkommen mit großer Macht und Herrlichkeit. Die Engel haben es bei der Himmelfahrt angekündigt: „Dieser Jesus, den ihr habt auffahren sehen, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt auffahren sehen.“ Wir wissen nicht, wann er kommen wird. Die Uhr Gottes geht anders als die Uhren der Menschen. Vor ihm sind tausend Jahre wie ein Tag. Der Herr wird kommen, wann seine Stunde geschlagen hat. Und eines ist sicher: Was jederzeit eintreten kann, ist immer nahe. Deswegen haben alle Generationen der Christen mit dem Kommen des Herrn gerechnet, mit Recht gerechnet. Und ich sage noch einmal: Was jederzeit eintreten kann, ist immer nahe. Er wird kommen, und alle werden ihn sehen, die Blasierten und die Skeptiker, die Hasser und die Verfolger, die Agnostiker und die Atheisten, und auch die, die ihn durchbohrt haben. Sie alle werden ihn sehen.

In der Epistel ergreift das Oberhaupt der Urkirche, Petrus, das Wort. Nach der Himmelfahrt hat er sofort die Leitung der Gemeinde übernommen, und als geistlicher Hausvater spricht er zu uns in der Epistel, knapp, nüchtern, wie es seine Art war, ein rauher Fischersmann. Seine Forderungen sind klipp und klar: Seid klug und wachsam im Gebete! Liebet einander allezeit! Seid gastfreundlich zueinander ohne Murren! Dienet einander! Das sind seine Weisungen. Sie gipfeln in der Liebe zueinander. Die Nächstenliebe ist nun einmal das Hauptgebot des Christentums, und ihm zu genügen, ist uns täglich aufgegeben.

In jenen Tagen nach der Himmelfahrt war das Evangelium noch nicht aufgeschrieben. Aber alles, was der Herr gesagt hatte, war lebendig in den Herzen der Jünger. Sie erinnerten sich an seine Abschiedsrede am Gründonnerstag, und die haben wir ja eben im Evangelium vernommen: „Wenn der Tröster kommt, den ich vom Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, er wird Zeugnis von mir abgeben.“ Sie wissen, wie notwendig sie dieses Zeugnis brauchen. So vieles ist ihnen dunkel und unklar geblieben, und so harren sie jetzt auf die Verheißung, die der Herr ihnen gegeben hat. Der Tröster, er wird kommen! Er heißt der Geist der Wahrheit. Das bedeutet: Er ist die Wahrheit, und er lehrt die Wahrheit. Der Geist der Wahrheit, er ist die Kraft der Verkündigung und die Seele der Kirche. Kraft dieses Geistes steht die Kirche in der Wahrheit. Ohne diesen Geist wäre die christliche Kirche längst in Irrtum und Wahn versunken, hätten sich die Menschen Gott nach ihrem Bilde geschaffen, hätten sie die Gebote Gottes nach ihren Gelüsten gemodelt. Das ist das Geheimnis der katholischen Kirche, dass in ihr der Geist der Wahrheit lebendig ist. Wir kennen die Ärgernisse, wir kennen die Verluste, wir kennen die Schwächen. Wir wissen das alles, und wir verheimlichen es nicht. Aber wir glauben an diese Kirche, weil der Geist der Wahrheit sie bewegt und belebt und weil er in ihr herrscht. Man wird immer in dieser Kirche die Wahrheit finden können. Sie mag hie und da verborgen sein, es gibt falsche Propheten auch in unserer Kirche. Aber der Geist der Wahrheit sorgt dafür, dass die Wahrheit niemals untergehen wird in dieser Kirche.

Der Geist der Wahrheit ertüchtigt auch die Gläubigen, Zeugnis von der Wahrheit abzulegen. Das Zeugnis ist ein dreifaches. Es ist einmal ein Zeugnis des Wortes. Wir müssen mit unserer Rede für die Wahrheit des Glaubens einstehen. Wir haben die heilige Pflicht, den Menschen, die uns begegnen, Zeugnis von der Wahrheit zu geben. Das Zeugnis ist zweitens ein solches des Lebens. Unser Leben muss für die Wahrheit zeugen. „Führt einen ehrbaren Wandel unter den Heiden“, so mahnt der Apostel. „Sie sollen eure guten Werke sehen und Gott preisen am Tage der Heimsuchung.“ Aber das Zeugnis kann auch drittens ein Zeugnis des Blutes sein. Es werden Verfolgungen über die Christen kommen, und nur in der Kraft des Heiligen Geistes können sie die Verfolgungen überstehen. Solche Zeugen hat es gegeben und gibt es immer wieder, meine lieben Freunde.

Am 1. Mai ist Freiherr Philipp von Boeselager gestorben im Alter von 91 Jahren. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb von ihm, er sei ein überzeugter und überzeugender Katholik gewesen – ein überzeugter und überzeugender Katholik! Und wir haben einen Herrn in unserer Mitte, der das bezeugen kann. Unser lieber Lorenz Schreiber aus Klein-Winternheim hat in seinem Regiment gedient. Herr Schreiber, ich darf Sie bitten, stehen Sie einmal auf, damit die Leute sehen, wen wir unter uns haben! Er kann bezeugen, dass Philipp von Boeselager wahrhaftig ein gläubiger und bezeugender Katholik war. Dieser Offizier hat zur heiligen Messe gedient, wenn Feldgottesdienst war, und das im Heere Hitlers. Einmal war Philipp von Boeselager eingeladen in einer Runde von Generälen, und der General Burgdorf, der Chefadjutant Hitlers, erklärte: „Nach dem Kriege werden nicht nur die Juden aus der Wehrmacht entfernt, sondern auch die Katholiken!“ Da stand Boeselager auf und sagte zu Burgdorf: „Das ist ja interessant, was Sie da sagen. Ich bin aktiver Offizier. Ich bin fünfmal verwundet, ich habe im Kampf für unser Volk das Ritterkreuz empfangen. Da muss ich mich also nach dem Kriege nach einem anderen Beruf umsehen.“ So ist Boeselager vor Burgdorf hingetreten und hat seinen Glauben bekannt. Gott braucht solche Zeugen, meine lieben Freunde. Aber Zeuge kann man nur sein, wenn man überzeugt ist. Die letzte innere Sicherheit des Glaubens gibt nur der Heilige Geist. „Was nicht aus deinem Herzen stammt, das dringt auch nicht zu Herzen. Das Licht, das dir im Auge flammt, es leuchtet sehr und zündet mehr als hunderttausend Kerzen.“

Die letzte innere Sicherheit des Glaubens ist nur möglich als Geschenk des Heiligen Geistes. Und das müsste unser großes Gebet sein in der Pfingstoktav, dass wir die Kraft des Geistes empfangen, dass wir die Firmungsgnade in uns erneuern, dass es hell und stark in uns wird, um Zeugnis abzulegen von unserem Glauben, um Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die uns beseelt.

Welches Maß an Prüfungen uns bevorsteht, wissen wir nicht. Aber wir ahnen, dass es kälter wird um uns. Die Gleichgültigkeit gegen die Religion und der Haß gegen die Religion nehmen zu. Wir Priester spüren zuerst, am allerersten die Feindseligkeit, die Abwehr und das Befremden der Menschen, wenn sie uns begegnen. Aus ihren Augen, aus ihrem Gesicht, aus ihrem Verhalten spricht das Erstaunen, die Verwunderung, das Befremden. Was, gibt es die auch noch, die Pfaffen? Was wollen die noch? Wir werden harten Zeiten entgegengehen, aber, meine Freunde, wir sind nicht verlassen. Um der Auserwählten willen werden die Tage der Prüfung abgekürzt werden. Der verklärte Herr zur Rechten des Vaters hat uns nicht vergessen. Er betet für uns mit einem Gebet für seine Zeugen. Mit einem Lied von ergreifender Innigkeit geleitet uns heute die Kirche zum Opfermahl: „Vater. solange ich bei ihnen war, habe ich sie bewahrt, die du mir gegeben hast. Jetzt aber gehe ich zu dir. Ich bitte nicht: Nimm sie weg von der Welt, sondern ich bitte: Bewahre sie vor dem Bösen!“

Der Herr betet für uns. Und welches Gebet kann inniger, dringender und der Erhörung gewisser sein als das Gebet unseres Herrn? Er betet in uns und für uns, dass wir bewahrt bleiben vor der Ansteckung der Welt, dass der Unrat uns nicht ergreift und dass die Versuchung uns nicht überwindet.

Amen.

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Die Freude über den Geist Gottes in der Seele

11.05.2008

„Wißt ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“

 

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Pfingstfreude Versammelte!

Vom heiligen Philipp Neri stammt das Wort: „Es ist kein gutes Zeichen, wenn man an Hochfesten sich nicht besonders ergriffen fühlt.“ Heute ist ein solches Hochfest, das Hochfest des Heiligen Geistes, des Heiligen Geistes, dessen Früchte Friede und Freude sind. So wollen wir versuchen, die Freude auch in uns zu erwecken, die Freude, die vom Heiligen Geiste stammt. Ich möchte zu Euch sprechen von der Würde, die Ihr besitzt.

Wenn Sie, meine lieben Freunde, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufschlagen, da finden Sie den ersten Satz, der lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Was ist die Menschenwürde? Worin gründet sie? Wer garantiert sie? Darüber gibt das Grundgesetz keine Auskunft. Das ist der Auslegung in den Kommentaren und der Rechtsprechung überlassen. Darin liegt eine große Gefahr. Denn es ist in Deutschland genauso wie in Russland, und von Russland schreibt Horst Teltschik dieser Tage; „Es gibt in Rußland kein allgemeines Wertsystem, keine ethischen, religiösen oder ästhetischen Maßstäbe, die von einem gesellschaftlichen Konsens getragen sind.“ Diese Feststellung gilt nicht nur von Russland, sie gilt auch von Deutschland. Auch bei uns gibt es kein allgemein anerkanntes Wertsystem, und wegen der Uneinigkeit über die grundwesentlichen Werte kann es auch keine Einigkeit über das Wesen der Menschenwürde geben. Dahin kommt es, wenn man die Religion als Grundlage aller Werte aufgibt.

Wir Gläubigen sind in der glücklichen Lage, von Gott über die Würde des Menschen belehrt worden zu sein. Wir wissen, woher sie kommt und worin sie besteht. Die Würde des Menschen gründet darin, dass er von Gott geschaffen und von Gott erlöst ist. Seine Würde besteht in der natürlichen und übernatürlichen Gottebenbildlichkeit.

Die Welt macht es uns schwer, uns unserer Würde zu freuen. Wir sind Staubkörnchen in einer großen Menge. Wir sind Nummern in einer großen Zahl. Und doch will der Mensch etwas sein, will etwas gelten. Wenn wir einmal hinüberschauen in das Zweistromland, wo Euphrat und Tigris fließen, da stoßen wir auf Trümmer, auf die Trümmer des Turmbaus von Babel. Da wollten die Menschen auch etwas sein und gelten, und sie versuchten einen Turm zu errichten, der in den Himmel reicht. Der Mensch will etwas gelten, und das ist berechtigt, denn Gott hat ihm eine Geltung verliehen. Im Alten Bunde hatte Gott sich ein Volk auserwählt. Er führte dieses Volk in die Wüste, und er selbst zog voran in einer Wolkensäule. Das Volk folgte erschauernd und flüsterte: „Gott ist mit uns.“ Man baute ein Bundeszelt, um eine Wohnstätte für Gott zu bereiten. Eine Wolke ließ sich auf der heiligen Lade nieder, und Moses rief jubelnd aus: „Wo ist ein Volk, dem seine Götter so nahe sind wie unser Gott?“ Moses begehrte noch mehr: Er wollte die Herrlichkeit Gottes schauen. Aber der sterbliche Mensch ist unfähig, Gottes Herrlichkeit zu schauen. Nur ein Abglanz, ein ferner Abglanz der Herrlichkeit Gottes wurde ihm gewährt, und Moses hat niemals darüber gesprochen, als hätte es ihm die Sprache verschlagen.

Aber noch viel inniger und herzlicher wollte Gott mit den Menschen verkehren. Das war, als er ein Mensch wurde unter den Menschen, als er an den Ufern des Jordan entlang wanderte und über die Berge Judäas schritt. Einmal stand er am Jordan, und Johannes der Täufer wies mit dem Finger auf ihn: „Seht, das Lamm Gottes!“ Das hörten zwei von seinen Jüngern, und sie folgten Jesus nach; es waren Johannes und Andreas. Jesus schaute sich um und fragte sie: „Was sucht ihr?“ Da kam es über ihre Lippen, verlegen, so wie Kinder verlegen fragen: „Meister, wo wohnst du?“ Lächelnd mag der Herr geantwortet haben: „Kommt und seht!“ Da kamen sie zu ihm und blieben den ganzen Tag bei ihm. Wie mögen ihre Herzen geglüht haben, als der Herr zu ihnen sprach! Noch im hohen Alter, vielleicht mit 80 Jahren, weiß Johannes davon zu berichten: „Es war um die zehnte Stunde.“ Das heißt um 16 Uhr nachmittags. So sehr hat ihn diese Begegnung ergriffen. Es war um die zehnte Stunde!

Es gibt aber noch eine Stelle in der Heiligen Schrift, ergreifender als alle anderen, und diese Stelle heißt: „Wenn jemand mich liebt, so wird er meine Lehre halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ Das ist kein schönes Bild, das ist keine Übertreibung, wie mir einmal ein Theologieprofessor sagte, sondern das ist eine Wirklichkeit. Wenn Gott die Seele liebt und die Seele in der Gnade ist, dann kommt der dreieinige Gott und schlägt seine Wohnung in der Seele auf. Gewiß ist Gott allgegenwärtig; die ganze Welt ist wie eine große Kirche. Aber die Seele des Gerechten ist wie ein Tabernakel in dieser Kirche. Dort wohnt Gott in geheimnisvoller Weise. Wenn Mann und Frau sich am Altare die Hand reichen zum Bunde, dann strömen geheimnisvolle Kräfte von Seele zu Seele. Aber das ist nur ein schwaches Bild für die innige Vereinigung des dreifaltigen Gottes mit unserer Seele. „Wenn jemand mich liebt, dann werde ich kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ Gott wollte seine Wohnung aufschlagen unter den Menschen. Dem Moses befahl er, ein Zelt zu bauen. Das Kostbarste, was die Israeliten hatten, trugen sie zusammen, Gold und Silber und Steine und Holz. Das Beste war gerade gut genug für die Wohnung des Allerhöchsten. Aber das war gar nichts gegenüber der Wohnung, die Gott aufschlug in einem Menschen, im besten und reinsten Menschen, der je auf dieser Erde gewandelt ist. Er suchte sich das heiligste Menschenkind aus, das heiligste, und überschüttete es mit seinem Glanz und mit seiner Gnade, und dann zog er ein, um neun Monate darin zu wohnen.

Und wiederum wird das noch übertroffen von dem, was Gott mit der Seele des Gerechten tut. Er nimmt bei ihm Wohnung: „Wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen." Sehen Sie, meine lieben Freunde, das ist es, was Pfingsten heißt. Pfingsten heißt sich freuen über den Geist Gottes in unserer Seele. Wir sprechen von der heiligmachenden Gnade, und es ist richtig, davon zu reden. Aber die heiligmachende Gnade ist nicht nur eine neue Qualität, die den Menschen gegeben wird, sondern die heiligmachende Gnade bringt auch die ungeschaffene Gnade, nämlich den dreifaltigen Gott zu uns. Sie macht den Gerechten zu einem Tempel Gottes. Gott wohnt in uns nicht nur mit geschaffenen Gnadengaben, die er spendet, sondern mit seiner ungeschaffenen göttlichen Wesenheit. „Wißt ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ So ruft Paulus in seinem ersten Korintherbrief den Sklaven in Korinth zu. „Wißt ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ Die Einwohnung Gottes in der Seele wird dem Heiligen Geist zugeschrieben, und das ist berechtigt, weil der Heilige Geist eben die Liebe zwischen Vater und Sohn ist. Aber alle Werke Gottes nach außen sind der Dreifaltigkeit eigen. Das heißt, wenn der Heilige Geist in die Seele einzieht, dann auch der Vater und der Sohn. Wir haben in der Seele des Gerechten die Einwohnung der drei göttlichen Personen.

Und was bedeutet das für uns? Zunächst einmal Ehrfurcht, tiefe Ehrfurcht vor der eigenen Seele. Wenn ein Verstorbener in einem Hause liegt, dann bewegt man sich auf Zehenspitzen, da geht man ehrfurchtsvoll durch die Räume. Es ist, als ob die Majestät der Ewigkeit über diesem Hause liegt. Aber viel mehr erschauernde Ehrfurcht müsste um uns sein angesichts einer reinen Seele, in der Gott eingezogen ist. Haben wir Ehrfurcht vor dem Gott in unserer Seele! Haben wir Ehrfurcht und lassen wir uns trösten von dieser Gegenwart! Wenn uns Demütigungen treffen, denken wir daran: Die Würde ruht in unserer Brust! Die Sklaven der ersten christlichen Zeit lachten über die Demütigungen und die unwürdige Behandlung, die sie über sich ergehen lassen mussten. Sie wussten, sie haben eine Seele, und in dieser Seele wohnt der dreifaltige Gott. Viele Menschen wissen nicht, dass sie eine Seele haben, und verhalten sich entsprechend. Sie denken an Essen und Trinken an Pfingsten; sie wissen nicht, dass sie eine Seele haben. Und wir treffen Menschen, denen die Sünde zur Gewohnheit geworden ist. Arme Menschen; sie wissen nicht, dass sie eine Seele haben. Wir aber wissen es, und wir wollen Ehrfurcht vor dieser Seele haben, Ehrfurcht vor der Wohnung, in der Gott sein Zelt aufgeschlagen hat. „Wenn wir durch den Geist das Leben haben, so lasst uns auch im Geiste wandeln,“ schreibt Paulus an die Gemeinde in Galatien. Wenn wir durch den Geist das Leben haben, dann lasst uns auch im Geiste wandeln! Und in der Tat, durch das Sakrament der Taufe wurden wir zu einem Tempel des Heiligen Geistes. Wir wollen ihn nicht vertreiben durch schlechte Handlungen. „Betrübet den Geist nicht, mit dem ihr besiegelt seid,“ schreibt Paulus an die Gemeinde in Ephesus. Betrübet den Geist nicht, mit dem ihr besiegelt seid! Und an seinen Schüler Timotheus schreibt er: „Bewahre das dir anvertraute köstliche Gut durch die Kraft des Geistes, der in dir wohnt!“

Wißt ihr nicht, dass ihr Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Diese Überlegung, diese Überzeugung, diese Wirklichkeit kann uns eine große Kraftquelle sein, meine lieben Freunde. Wenn die Versuchung uns naht, wenn die Schwäche uns übermannen will, dann denken wir an das Wort des heiligen Stanislaus Kosta: „Ich bin zu Höherem geboren.“

Man klagt, dass es so wenige Kirchen des Heiligen Geistes gibt. Ich glaube, der Grund liegt darin, dass wir eben selbst Wohnungen des Heiligen Geistes sind. Wir tragen den Heiligen Geist in uns und brauchen deswegen nicht unsere Kirchen dem Heiligen Geist zu weihen, so löblich dieses Beginnen ist. Wir freuen uns, dass wir einmal unsere Seele schauen werden, wenn wir in der Ewigkeit sind. Dort werden wir ja, so hoffen wir, unsere Lieben wieder finden. Dort werden wir das Vaterauge Gottes schauen. Aber wir werden dort auch unsere Seele schauen. Suarez, der große spanische Theologe, lag im Sterben. Er hatte wie wenige in die Wirklichkeit Gottes hineingeschaut. Jetzt lag er blaß und ergeben und wartete auf sein letztes Stündlein. Da ist uns das Wort überliefert, das er in dieser Stunde gesprochen hat: „Videbo animam meam – Ich werde meine Seele schauen.“ Darauf freute er sich, und das machte ihm das Sterben lieb. Auch wir werden unsere Seele schauen. Jetzt mühen wir uns um sie und sorgen uns um sie. Wir tragen das Leid, wir bringen es zur heiligen Kommunion, alles für die Seele, die doch niemals auf Erden zu schauen ist. Aber der Pfingstjubel soll in unserer Seele sein: Wir werden unsere Seele schauen. Wir sind kein Stäublein, das irgendwo zugrunde gehen wird. Wir besitzen eine unsterbliche Seele, und wir wollen uns zu dieser Seele neigen und Gott in ihr anbeten. Wir schön muss eine Seele sein, dass der dreifaltige Gott in ihr seine Wohnung aufschlagen konnte.

Amen.

 

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Heiliger Geist – Spender aller Gnaden

12.05.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Pfingsten ist heute. Die Kirche weitet den Pfingstsonntag aus für die ganzen folgenden Tage, die Pfingstoktav, und mit Recht. Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes und damit auch das Fest der Gnade. Denn der Heilige Geist ist der Träger und der Bringer der Gnade. Wir feiern heute gewissermaßen die letzte Tat des Auferstandenen, nämlich die Sendung des Heiligen Geistes.

Gnade. Brauchen wir Menschen Gnade? Es gibt zweifellos Zeitgenossen, denen sind der Beruf, das Essen und das Trinken und die Vergnügungen dieser Erde mehr wert als die Gnade. Für jeden denkenden, in sich selbst schauenden und sich erkennenden Menschen aber ist die Notwendigkeit der Gnade offensichtlich. Denn er kennt Stunden des Verzagens an sich selbst, Stunden, wo er seine Kraft fehlen spürt. Wie oft haben selbst die Großen im Gottesreich, wie Moses oder Isaias, Stunden solchen Verzagens erlebt und gesagt: „Herr, sende mich nicht! Sende einen anderen, ich bin zu schwach.“ Es scheint, als ob in unseren Tagen die Seelen besonders die Notwendigkeit der Gnade verspüren ob ihrer Ohnmacht. Ich rede nicht von denen, die sich mit törichten Entschuldigungen von ihren Verfehlungen freizukaufen versuchen: Man kann nicht immer die Wahrheit sagen, nicht wahr? Und: Man kann nicht immer die Keuschheit üben. Von solchen rede ich nicht, sondern in spreche hier von jenen, die sich ringend bemühen, den Willen Gottes zu erfüllen, die aber dennoch oft von heiliger Verzagtheit ergriffen werden, von jener Stimmung, an der kein Mensch ohne tieferes Nachdenken vorbeikommt. Menschen, die spüren, dass sie rufen müssen: Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir. Das haben wir vielleicht empfunden, als ein schweres Leid uns niederdrückte, als wir unsere Kraft zerbrechen spürten, als unsere Seele wimmernd vor dem Herrgott stand. Vielleicht haben wir unsere Ohnmacht auch gespürt, als wir mit Lob überschüttet wurden, mit Lobsprüchen; denn ein ehrlicher, sich selbst kennender Mensch denkt dabei: O, wie werde ich da verkannt! Wie sind die Menschen grausam! Wie weh tun sie mir mit ihrem Lobe! Denn ihr zeigt mir nur, wie ich sein sollte, und nicht, wie ich bin. Manchmal werden wir durch eine Niederlage aus unserem selbstsicheren Wesen herausgerissen und erschrecken über uns selbst: So also bin ich! Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal beobachtet haben, meine lieben Freunde, wenn ein gütiger Mensch, den man sich gar nicht anders als wohlwollend vorstellen kann, die Herrschaft über sich selbst verliert. Da geht es wie ein Erschrecken durch alle Seelen in der Umgebung: So ist der auch? Auch der ist so? Und vielleicht erschrickt dieser arme Mensch im nächsten Augenblick über sich selber: So also bin ich – nach Jahren der Arbeit an mir, nach vielen Mühen eines jahrelangen, jahrzehntelangen Christenlebens? So also bin ich? Wer ist nicht schon einmal über sich selbst erschrocken? Ich bin ja gar nicht so, wie ich mich nach außen gebe und wie die Menschen von mir annehmen. Ich habe bei dem englischen Kardinal Heenan in seiner Autobiographie „A Crown of Thorns“ den ergreifenden Satz gelesen: „Wenn die Menschen wüssten, wie ich wirklich bin, würden sie allen Respekt vor mir verlieren.“ Das schreibt der englische Kardinal Heenan.

Und dann kommt noch die äußere Not dazu, in der Gegenwart, in der Zukunft. Wer mit wachen Augen durch die Welt geht, der kann gar nicht an dieser Not vorübergehen – das Klima, die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Jugend, die Kirche, die Priester, der Priesternachwuchs. So viele Sorgen, so viele Befürchtungen. Was soll noch werden? Wie soll es weitergehen? Was soll aus mir werden? Werde ich das Leben, seine Prüfungen und seine Entbehrungen bestehen? Werde ich mit der Last meiner Vergangenheit, den Anforderungen meiner Gegenwart und den Ungewissheiten meiner Zukunft zurechtkommen?

Aus diesem dunklen Hintergrunde, meine lieben Freunde, lässt die Kirche das Licht ihrer Lehre von der Gnade aufleuchten. Zwei Sätze möchte ich Ihnen heute einprägen. Erstens: Es gibt eine Gnade! Es gibt geheimnisvolle Kräfte, welche die Seele treffen, eine innere Freudigkeit, eine Erleuchtung, eine Wegweisung, einen innerer Antrieb. Und das alles kommt von Gott. Es ist nicht wahr, dass es nur elektrische Energie gibt oder Gravitationsanziehung. Nein, es gibt auch Kräfte, die in die Seele selbst greifen und die Seele in ihren tiefsten Gründen anrühren. Was ist die Gnade? Der Katechismus gibt die Antwort, die immer gültig sein wird, wie sie gültig war, als die ersten Katechismen entstanden. Die Gnade ist eine innere Gabe, die Gott uns zu unserem ewigen Heile verleiht. Jede innere Gabe, die Gott uns zu unserem Heile verleiht, nennen wir Gnade. Und Sie erinnern sich auch, dass es zwei hauptsächliche Arten von Gnade gibt, die helfende Gnade und die heiligmachende Gnade. Die helfende Gnade ist jene Kraft, mit der wir das Gute zu erkennen und zu tun vermögen und das Böse zu meiden imstande sind. Die heiligmachende Gnade macht uns Gott wohlgefällig, zu Kindern Gottes und zu Erben des Himmels. Sie gibt unserer Seele eine neue Qualität. Und diese Gnade brauchen wir. Unsere Bekehrung zu Gott ist unmöglich ohne seine anregende und helfende Gnade. Die Gnade kommt dem, der nicht will, zuvor, dass er wolle, und die Gnade folgt dem, der will, dass sein Wollen nicht vergeblich bleibe. Niemand ist imstande, das Gute zu tun, das er will, und das Böse zu meiden, das er nicht will, außer durch die Gnade Gottes.

Manchen kommen die Gebote Gottes schwer vor: Ich kann es nicht, ich schaffe es nicht, Gott befiehlt Unmögliches. Nein, meine Freunde, Gott befiehlt nicht Unmögliches, aber Vollkommenes. Wenn er befiehlt, mahnt er zugleich, das zu tun, was wir können, und das zu erbitten, was wir nicht können. Und dann hilft er, dass wir es können. Der erste Satz lautet: Es gibt eine Gnade!

Der zweite Satz heißt: Alle Gnade wird uns gegeben um der Verdienste Jesu Christi willen. Wir sprechen deswegen von der Gnade Christi. Er hat sie uns verdient durch sein Leben, Leiden, Sterben, Auferstehen und Himmelfahren. Die Kirche pflegt ihre liturgischen Gebete zu schließen mit der Formel: „Durch Jesus Christus.“ Das ist keine Floskel, das ist keine Phrase, meine lieben Freunde. Das ist eine fundamentale theologische Aussage. Denn diese Worte: „Durch Jesus Christus“ –durch! – wollen uns erklären, dass Jesus unser Mittler ist, dass er unsere Gebete zu Gott trägt und dass er  von Gott die Erhörung erwirkt. „Durch Jesus Christus“, das sollten wir mit Bewusstsein und mit Verstand beten. Damit appellieren wir an das Herz unseres Heilandes, an das Herz unseres Mittlers. „Es gibt nur einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, den Menschen Jesus Christus.“ So schreibt Paulus in seinem ersten Brief an Timotheus. Und im Hebräerbrief, da steht der fundamentale Satz: „Jesus ist der Mittler eines neuen Bundes.“

Wir sprechen also von der Gnade Christi und meinen damit das Erlösungswerk, das Gott in Christus zu unserem Heile gewirkt hat. Wir appellieren an die Wunden Christi, die zu unserem Heile geöffnet wurden. Und die Gnade trifft uns so, wie jetzt im Frühling die Sonne das neue Leben hervorbringt. Wenn die Strahlen der Sonne kommen, die Wärme mit sich bringen, dann erwacht das Leben. Es ist ergreifend, das in unseren Gärten und auf den Feldern zu beobachten. Überall fängt es langsam an zu grünen, und manchmal fast explosionsartig. Ähnlich ist es mit der Gnade. Die Strahlen der Gnade gehen aus dem Herzen Jesu hervor und treffen uns. Sie treffen das schlafende Kind, das zur Taufe getragen wird, sie treffen den Kranken auf dem Operationstisch, und sie treffen den Sterbenden. Sie begleiten auch den Priester am Altare, und sie treffen den gläubigen Beter im Kämmerlein und in der Kirche. Dieser Glaube an die Gnade gibt uns Zuversicht, Trost und Kraft. Ja, es gibt eine geheimnisvolle Welt mit ihren Wundern hinter den äußeren Dingen. Das ist der Grund für die Zuversicht der Kirche. Menschlich gesehen müsste man verzagen und verzweifeln; menschlich gesehen ist alles verloren. Aber wir rechnen eben nicht nur mit dem Menschlichen, wir rechnen mit dem Göttlichen, wir rechnen mit der Gnade, und wir bauen auf die Gnade, und wir hoffen gegen alle irdische Hoffnung, gestützt auf göttliche Hoffnung.

Was wäre die Welt, wenn wir diese Gnade nicht hätten? Wenn ein Gewohnheitssünder in den Beichtstuhl kommt und der Priester fragt ihn: Wie lange leben Sie in diesem Zustand? 15, 20 Jahre. Wenn man nicht wüsste, dass es eine Gnade gibt, dann wäre es zum Verzweifeln. Aber wir wissen, dass auch einen solchen Gewohnheitssünder die Gnade herausreißen kann aus seiner Not. Oder wenn ein Menschenkind in einer ganz verseuchten Umgebung heranwächst, in der es nach menschlichem Ermessen nicht gut bleiben kann, wenn man nicht wüsste, dass es eine Gnade gibt, dann müsste man auch hier verzweifeln. Oder was soll ich von uns Seelsorgern sagen, meine lieben Freunde? Wenn wir durch die Straßen gehen und wissen, wieviel Abfall, wieviel Abständigkeit, wie viel Laster in diesen Häusern wohnt, dann müssten wir nach menschlichem Ermessen verzweifeln, dann wäre das Priesterleben das nutzloseste und sinnloseste der ganzen Welt. Aber nein: Es gibt eine Gnade, und sie vermag den Gewohnheitssünder zur Umkehr zu bewegen. Sie vermag Kinder aus diesen Miasmen der Verdorbenheit zur Reinheit zu führen. Und sie vermag dem Priester Zuversicht zu geben, dass sein Wirken letztlich doch nicht umsonst, nicht vergeblich ist. Es gibt eine Gnade!

Wenige haben sie so tief erfahren wie der heilige Augustinus. Sie wissen, dass er im Laster gelebt hat und nach langem Kampfe erst sich bekehrt hat. Er schildert seine Bekehrung in seinen „Confessiones“ – in seinen Bekenntnissen. Und das ging folgendermaßen zu. Ein Gast war zu ihm gekommen und erzählte ihm von der merkwürdigen Bekehrung zweier Menschenseelen am kaiserlichen Hofe. „Während der Erzählung“, so berichtet Augustinus, „schaute ich mich und erschrak, und ich wusste doch nicht, wohin ich fliehen sollte.“ Das Erschrecken über sich selbst, das Erschrecken über sich selbst ist häufig der Anfang der Bekehrung. Augustinus stürzte hinaus in den Garten. Er war nicht mehr der feingebildete Rhetor voller Selbstbeherrschung, sondern nur noch der ringende Mensch. Der Freund folgte ihm; er wollte ihn in dem zerrütteten Seelenzustand nicht alleine lassen. Weit weg vom Hause setzten sie sich nebeneinander. Augustinus beschreibt dann, wie er seine Fassung verlor. Er gebärdete sich wie ein Verzweifelter, und dabei sagte er das Wort: „Du aber, Gott, setztest mir zu!“ „Du aber, Gott, setztest mir zu!“ Der Freund saß schweigend neben ihm. Er wusste, dass hier zwei Welten um Augustinus rangen. Da nützte des Menschen Wort nichts. „Du aber setztest mir zu!“ Augustinus sprang auf, ging weiter in dem Garten. Im äußersten Kampf mit sich selbst warf er sich unter einen Baum: „Du aber setztest mir zu!“ Es sollte sich entscheiden, ob die Kirche einen Heiligen oder die Hölle einen Vorkämpfer gewinnen sollte. Endlich siegte die Gnade. Eine Kinderstimme rief: „Nimm und lies!“ Er griff zur Bibel, zu den Paulusbriefen, und las, und seine Seele gesundete. Das war die Bekehrung des heiligen Augustinus, wie er sie selbst in seinen „Confessiones“ beschrieben hat. „Du aber setztest mir zu!“ Die Gnade hat ihm keine Ruhe gelassen. Die Gnade ist ihm gefolgt, und die Gnade hat ihn besiegt.

Gibt es nicht auch, meine lieben Freunde, in unserem Leben Stunden, in denen wir empfinden, dass Gott in unsere Seele eingreift? Was Augustinus erlebt hat, das hat sich in unzähligen Leben wiederholt. Warum sprechen wir davon, und warum hat es Augustinus aufgeschrieben? Er hat die Antwort gegeben: „Damit niemand sagen kann: Ich kann nicht.“ Das ist nämlich die Ausrede, die wir Menschen gebrauchen: Ich kann nicht beten, ich kann nicht beichten, ich kann nicht in die Kirche gehen – ich kann nicht. Meine lieben Freunde, zerbrechen wir dieses Wort! Jeder, der will, kann. Du hast soviel Gnade, dass du selig werden kannst. Du kannst, weil du musst. Du kannst, wenn du willst.

Amen.

 

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Die heilige Messe – Opfer Christi

 

22.05.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier des heiligen Fronleichnam Versammelte!

Als im 16. Jahrhundert der Unglaube und der Irrglaube in die Kirche einzudringen versuchte, da richtete sich ein Hauptstoß gegen das eucharistische Opfersakrament. Und so hat das große Konzil von Trient in lichtvoller Weise die katholische Lehre vom eucharistischen Opfersakrament in bleibend gültiger Weise vorgelegt. In der 22. Sitzung dieses Konzils ist Folgendes uns als bleibend gültige Lehre der Kirche vorgelegt worden: „Um die ewige Erlösung zu wirken, wollte Christus sich einmal auf dem Altare des Kreuzes dem Vater zum Opfer darbringen. Sein Priestertum sollte aber mit seinem Tode nicht aufhören. Deshalb brachte er beim Letzten Abendmahl seinen Leib und sein Blut unter den Gestalten von Brot und Wein Gott dem Vater dar und wollte damit seiner Kirche ein Opfer hinterlassen, durch welches das blutige, einmal am Kreuze darzubringende Opfer vergegenwärtigt, das Andenken daran bis zum Ende der Welt festgehalten und seine heilsame Kraft zur Nachlassung der Sünden zugewendet wurde, die von uns täglich begangen werden.“ So hat das Konzil von Trient die Meßopferlehre der Kirche dargelegt.

Das Messopfer ist, wie gesagt, ein gegenwärtiges Opfer, ein wahres und eigentliches Opfer. Zum Opfer gehören drei Dinge: ein Opferpriester, eine Opfergabe und eine Opferhandlung. Der Opferpriester in der heiligen Messe ist kein anderer als Christus selbst. Er hat das Opfer am Kreuze dargebracht; er bringt auch das Opfer in der heiligen Messe dar. Mit der gleichen Gesinnung, mit dem gleichen Opferwillen wie am Kreuze opfert er in der heiligen Messe. Er opfert nicht mehr in sichtbarer Gestalt. Aber wenn das Opfer in der Messe überhaupt einen Sinn haben soll, dann kann es ihn nur dadurch haben, dass Christus opfert, freilich in verhüllter Weise durch seinen Stellvertreter, durch sein Werkzeug, den menschlichen Priester. Christus ist der Priester, aber er hat einem Menschen die Vollmacht verliehen, in seiner Person zu sprechen, zu handeln und zu wirken. Der Priester spricht in der heiligen Messe die Wandlungsworte: Das ist mein Leib. Das ist mein Blut. Er spricht sie in der Person Christi. Er schlüpft gleichsam in die Rolle Christi. Er spricht die genannten Worte als wirksames sakramentales Zeichen. Er spricht sie also nicht als jemand, der einen Bericht vorträgt. Nein, er spricht die Wandlungsworte im Auftrag, in der Macht und in der Person Christi. Durch diese Worte geschieht etwas, nämlich die Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi. Er ist tatsächlich, wie Pius XI. einmal erklärt hat, ein zweiter Christus. Und nur dadurch ist das Messopfer das Opfer Christi. Christus hat das Messopfer nicht nur befohlen, er hat ihm auch nicht nur seine Kraft verliehen, er hat es nicht bloß angeregt, nein: Christus opfert. Unmittelbar und wirksam und persönlich bringt er dieses Opfer dar. Christus verwandelt die Gaben; der Priester ist sein Werkzeug, sein Instrument, sein Mittel, aber die Opferung in der heiligen Messe, nämlich die Konsekration, die Verwandlung, die geschieht durch Christus. Hier bestätigt Christus seine priesterliche Gesinnung und seine priesterliche Würde.

Zum Opferpriester muss die Opfergabe kommen. Die Opfergabe, die in der heiligen Messe dargebracht wird, kann keine andere sein als dieselbe, wie sie am Kreuze dargebracht wurde, nämlich Christus selbst. Christus, der Gottmensch, ist die Opfergabe: „Ipse offerens, ipse et oblatio“ – Er ist der Opferdarbringer, er ist auch die Opfergabe. Christus ist die vollkommene, nicht zu überbietende Opfergabe in der heiligen Messe. Und wir, die wir uns am Messopfer beteiligen, die wir mit Christus opfern, wir opfern Christus, jawohl, nicht mehr und nicht weniger: Wir opfern Christus. Die Messe ist ein Selbstopfer Christi von unendlichem Wert. In diese seine Opfergabe nimmt unser Hoherpriester alles hinein, was er als der menschgewordene Gottessohn ist und hat, also seinen Leib, seine Seele, sein Herz mit allem, was es an Huldigung und Liebe, an Heiligkeit, Genugtuung und Verdienst in sich schließt. In der heiligen Messe haben wir einen Opferpriester, und wir haben eine Opfergabe.

Aber wir haben auch eine Opferhandlung. Die Opferhandlung der heiligen Messe ist die Doppelkonsekration von Brot und Wein. Ich möchte Sie nicht irremachen. Wenn in unseren Gebetbüchern das Herbeibringen der Opfergaben als Opferung bezeichnet wird, so ist das nicht falsch, denn das Opfer Christi nimmt eben damit seinen Anfang. Ohne die Opfergaben kann es überhaupt nicht geschehen. Brot und Wein sind unerlässlich. Wenn kein Brot und kein Wein vorhanden ist, kann sich auch kein Opfer vollziehen. Insofern ist es nicht falsch, wenn wir vom Beginn der heiligen Messe, wo der Priester diese Opfergaben in die Höhe hebt, sagen: Es ist Opferung. Es ist tatsächlich Opferung, es ist der (notwendige) Beginn der Opferung. Freilich der Gipfel, der Höhepunkt der Opferung ist erst die Doppelkonsekration von Brot und Wein. In der sakramentalen Trennung des Leibes und des Blutes des Herrn, abgebildet durch Brot und Wein, liegt die Hinopferung Christi. Die sakramentale Hinopferung ist der sinnenfällige Ausdruck seiner immerfort lebendigen inneren Darbringung und Opfertat.

In den letzten Jahrzehnten ist in manchen katholischen Kreisen versucht worden, den Opfercharakter der Messe auf das Andenken zu beschränken, auf das Andenken der Kreuzestat, des Kreuzesopfers. Das ist falsch. Die Messe ist ein Andenken, aber sie ist mehr als ein Andenken, sie ist eine Opferhandlung. Sie ist ein wahres und eigentliches Opfer. Sie ist eine wahre, in der Gegenwart sich vollziehende Hinopferung. Christus hat tatsächlich in jeder heiligen Messe die Absicht, durch die Verwandlung der Gaben von Brot und Wein in sein heiliges Fleisch und Blut einen Opferakt zu setzen. Die Opfergesinnung, die er am Kreuze bewährt hat, tritt in der heiligen Messe in die Gegenwart hinein. Und deswegen ist es ganz richtig, zu sagen: Die Messe ist das Kreuzesopfer in sakramentaler Gestalt. Genau das ist es: das Kreuzesopfer in sakramentaler, also in veränderter, aber wirklicher Gestalt. Oder auch, wie mein Lehrer Michael Schmaus zu sagen pflegte: „Das Messopfer ist eine sakramentale Epiphanie von Golgotha.“ Eine sakramentale Epiphanie, also ein In-Erscheinung-Treten von Golgotha, eine Vorführung, eine Vergegenwärtigung, eine Erneuerung des Kreuzesopfers. Das Wort Erneuerung wird vom römischen Katechismus gebraucht und sollte deswegen nicht eliminiert werden: eine wahre Vorführung, eine wahre Darstellung, eine wahre Vergegenwärtigung, eine echte Erneuerung des Kreuzesopfers.

Die Beziehung zum Kreuzesopfer erklärt, dass das Messopfer kein neues Opfer ist, kein Opfer neben dem Kreuzesopfer, das dem Kreuzesopfer Abbruch täte. Das ist ja immer die Befürchtung der Protestanten gewesen. Aber das ist es nicht. Die Messe ist das in der Gegenwart in Erscheinung tretende Kreuzesopfer. Hier wird das Werk unserer Erlösung tatsächlich gewirkt, so wie es am Kreuze geschehen ist. Weil wir aber nicht unter dem Kreuze standen wie Maria und Johannes, deswegen muss eben das Kreuzesopfer auch unter uns in Erscheinung treten, und das eben geschieht im Messopfer.

Also noch einmal: Das Messopfer ist ein Gedächtnis, aber es ist ein Gedächtnis als Tathandlung. Es ist ein Gedächtnis als gegenwärtiges Opfer. Es ist ein Gedächtnis, das die Tat Jesu am Kreuze in die Gegenwart hineinholt, eben durch die Vergegenwärtigung, repraesentatio, wie das Konzil von Trient es nennt: repraesentatio, Gegenwärtigsetzung. Genau das ist es.

Und freilich ist mit dem Kreuzesopfer, das hier gegenwärtig gesetzt wird, auch die Auferstehung und die Himmelfahrt des Herrn verbunden. Denn das Kreuzesopfer ist unvollständig ohne Auferstehung und Himmelfahrt. Erst durch die Auferstehung wissen wir, dass Gott das Opfer angenommen hat. Und sie ist das Ziel dieses Opfers am Kreuze, und die Himmelfahrt, die Verklärung ist der Abschluß dieses Geschehens. Deswegen achten Sie auch heute wieder bei der heiligen Messe darauf: Nach der Wandlung beten wir: „Daher sind wir denn eingedenk, Herr, deines heilbringenden Leidens, deiner Auferstehung und deiner glorreichen Himmelfahrt.“ Wahrhaftig, wir haben den Herrn gegenwärtig. Wir dürfen uns an ihn klammern. Wir dürfen sagen: „Jesus, du gehst durch dein Kreuz und deine Auferstehung und deine Himmelfahrt zum Vater. Nimm mich mit! Mein Heiland, nimm mich mit!“

Amen.

 

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Bekenntnis zum dreieinen Gott

18.05.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Großen dieser Erde haben schon oft der heiligen Kirche schweres Ungemach bereitet. Im Jahre 483 ließ der König Hunerich, der König der Vandalen in Nordafrika, einen Befehl ausgehen, dass alle katholischen Bischöfe sich am 1. Februar 484 in Karthago zu einem Religionsgespräch einfinden müssten. Der König war nämlich Arianer, also ein vom katholischen Glauben Abgefallener, und er wollte die katholischen Bischöfe zu seiner Religion bekehren. Die Bischöfe waren in größter Sorge; sie ahnten, was auf sie zukommen würde. Einige von ihnen, die besonders durch ihren Scharfsinn hervorragten, waren schon verschwunden. Als sie am festgesetzten Termin nach Karthago kamen, da brachten sie das vorformulierte Bekenntnis zum dreifaltigen Gott mit sich. „In diesem Glauben wollen wir leben und sterben,“ so sagten sie dem König. Hunerich entbrannte in Wut und gab das Signal zur allgemeinen Verfolgung der Katholiken in seinem Reiche. 302 Bischöfe wurden vertrieben, 46 nach Korsika verbannt zur Zwangsarbeit. Den Gläubigen wurde verboten, den Bischöfen Nachtlager oder Nahrung zu geben. Den widerstehenden Gläubigen wurde die Nase abgeschnitten, wurden die Hände abgehackt, die Ohren wurden ihnen abgeschnitten. Aber auch dieser Sturm brach sich am Glauben, und eines Tages ist der Arianismus von der Bildfläche verschwunden.

Was ist der Arianismus? Das ist eine Irrlehre, die auf den Priester Arius zurückgeht. Arius sprach dem Sohne Gottes das göttliche Wesen und die göttlichen Eigenschaften ab. Christus – der Logos – ist nicht Gott, sondern ein Gebilde Gottes, ein Geschöpf Gottes. Er ist das erste und vornehmste Geschöpf und aus nichts erschaffen, und zwar zu dem Zweck, damit er bei der Erschaffung der übrigen Geschöpfe Gott zur Hand gehe. Der Logos ist veränderlich und entwicklungsfähig; er ist dem Wesen des Vaters fremd und nur dem Willen nach mit ihm vereint. Das war die Irrlehre des Arianismus, und gegen sie hat sich der Glaube, haben sich die Gläubigen und die gläubigen Bischöfe erhoben, und am 19. Juni 325 haben sie in Nicäa (in der heutigen Türkei) das Glaubensbekenntnis formuliert, das wir noch heute jeden Sonntag in der heiligen Messe beten: „Der Sohn Gottes“, so heißt es da, „ist aus dem Wesen des Vaters. Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesensgleich dem Vater, durch den alles im Himmel und auf Erden entstanden ist.“

Das ist unser Glaube, der Glaube an den dreifaltigen Gott. Heute feiern wir das Fest der Dreifaltigkeit, oder vielleicht ist der Ausdruck besser: der Dreieinigkeit. Wir bekennen diesen Glauben jedes Mal, wenn wir über uns das Kreuzzeichen machen. Da sagen wir: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Und noch deutlicher wird es, wenn wir das sogenannte kleine Kreuzzeichen machen, also uns dreimal bekreuzigen, auf der Stirn, auf dem Mund und auf dem Herzen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Seitdem wir getauft sind, tragen wir den dreifaltigen Gott in unserem Herzen und bekennen wir, dass das ewige Heil das Werk der Dreifaltigkeit ist. Achten Sie bitte – auch heute – bei der heiligen Messe im 2. Gebet vor der Kommunion darauf, wie hier der dreifaltige Gott als Urheber unseres Heiles angesprochen wird. Da heißt es: „Herr Jesus Christus, dem Willen des Vaters gehorsam hast du unter Mitwirkung des Heiligen Geistes durch deinen Tod der Welt das Leben geschenkt.“ Hier sind sie beisammen, die drei: „Herr Jesus Christus, dem Willen des Vaters gehorsam hast du unter Mitwirkung des Heiligen Geistes durch deinen Tod der Welt das Leben geschenkt.“

Wenn wir das Kreuzzeichen machen, dann denken wir zuerst an den Vater. Er ist der Schöpfer der Welt. Alle kulturlosen Völker und alle Völker auf hoher Kulturstufe haben einen Schöpfer als Urheber des Weltalls bekannt, haben sich zum Herrn aller Dinge bekannt, haben gewusst, dass die Welt eine höhere Ursache für ihre Entstehung haben muss als das dürre Prinzip Entwicklung. Jesus aber hat uns noch mehr gelehrt. Er hat uns gelehrt, dass Gott nicht nur der Schöpfer ist, sondern dass er unser Vater ist. Das war seine schönste Predigt, und seine eigene Liebe zum Vater hat ihn gelehrt, uns mit dem Vater bekannt zu machen. Seine Apostel haben das aufgenommen. Dem Apostel Paulus ist es wie ein Licht in der Finsternis erschienen, als er begriff, dass Gott unser Vater ist. „Nicht den Geist der Knechtschaft haben wir empfangen, sondern den Geist der Kindschaft, in dem wir rufen: Abba, lieber Vater.“ Knechte erben nicht, aber Kinder erben; und weil wir Kinder sind, erben wir. Uns liegt das verheißene Erbe bereit, der Himmel der Freuden, das ewige, wunderbare Reich. Und alles, was uns auf Erden begegnet, Freude und Leid, Kummer und Schmerz, soll uns dazu dienen, dass wir nach diesem unvergänglichen Erbe verlangen. Nur eine Bedingung hat Gott gesetzt, dass wir gehorsam gegen seinen Willen sind. Sein Wille ist unser Heil. Meine lieben Freunde, davon müssten wir immer mehr durchdrungen sein, dass uns nichts erfreuen, beglücken, befriedigen kann, was gegen Gottes Willen ist. Unser Glück liegt im Willen Gottes. „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ O welche Verheißung! „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“

Wenn wir das zweite Kreuzzeichen machen, dann bekennen wir uns zum Sohne, zum Wort Gottes. Das griechische Wort „logos“ bedeutet ja „Wort“. Das ist natürlich nicht ein flüchtiger Hauch des Mundes, der damit gemeint ist, sondern das Wort ist jenes innerste und innerlichste Wort, in dem Gott sich selber ausspricht, in dem Gott sein eigenes Wesen ausspricht, das Wort, in dem Gott sich selbst denkt und erkennt von Ewigkeit her. Dieses Wort war am Anfang bei Gott, und durch dieses Wort ist alles geschaffen worden. Es ist selber Gott, „Abglanz Gottes und Ebenbild seiner Wesenheit“, wie es im Hebräerbrief heißt.

Nun hat Gott den Menschen frei geschaffen, und mit der Freiheit war die Möglichkeit des Ungehorsams gegeben, die Möglichkeit des Abfalls vom Willen Gottes. Das ist traurigerweise geschehen. Der Mensch hat die wunderbare Ordnung Gottes gestört durch seinen Ungehorsam. Und so machte sich der Sohn Gottes auf, durch seinen Tod das heilige Erbe des Vaters wiederherzustellen, die Menschheit zu befreien, mit seinem menschlichen Blute die alte Schuld auszulöschen. Jesus Christus, er hat, dem Willen des Vaters gehorsam unter Mitwirkung des Heiligen Geistes durch seinen Tod der Welt das Leben geschenkt. Das ist das wunderbare Wort, die zweite Person in Gott. Die Wiederbegnadigung geschah durch das Wort.

Mit dem dritten Kreuze bezeichnen wir das Herz, und damit meinen wir den heiligen Geist, der seit der Taufe in uns wohnt. Ja, so ist es: Gottes ewiger Geist, in dem Vater und Sohn sich lieben, nimmt in dem armseligen kleinen Menschenherzen Wohnung, erfüllt es mit seinen Gaben, durchglüht es mit dem Feuer seiner Liebe. Er stärkt, was schwach ist, er bereichert, was arm ist, er erwärmt, das kalt ist, er lässt wider grünen, was verdorrt ist, er heilt alle Schäden. Der große englische Kardinal Manning hat ein schönes Gebet zum Heiligen Geist verfasst. Es lautet wie folgt: „O Heiliger Geist Gottes, nimm mich auf in die Zahl deiner Schüler, leite, erleuchte und heilige mich, fessele meine Hände, auf dass sie nichts Böses tun, bedecke meine Augen, dass sie das Böse nicht mehr sehen, heilige mein Herz, dass das Böse nicht mehr in mir wohne, sei du mein Gott, sei du mein Führer. Wohin immer du mich führst, will ich gehen. Was du mir verbietest, dem will ich entsagen, und was immer du befiehlst, das will ich, von dir gestärkt, vollbringen.“ Dieses schöne Gebet hat der große, soziale Kardinal Manning im 19. Jahrhundert verfasst.

Wir begehen das Fest der heiligsten Dreifaltigkeit, oder besser der Dreieinigkeit. Die Dreieinigkeit ist und bleibt für jeden menschlichen Verstand ein undurchdringliches Geheimnis. Gott ist unbegreiflich. Ja, meine lieben Freunde, das muss so sein, das kann gar nicht anders sein. Die Unbegreiflichkeit ist eine Wesenseigenschaft Gottes. Einen Gott, den wir begreifen könnten, dessen könnten wir uns bemächtigen, den könnten wir übermächtigen, dessen könnten wir uns bedienen. Nein, es muss so sein. Gott muss unbegreiflich sein, damit wir ihn nicht in unsere Gewalt bringen können. Wir wollen uns gewiß bemühen, in das Geheimnis der Dreieinigkeit einzudringen, aber wir sollen auch wissen, dass es unmöglich ist, Gott zu begreifen. „Wer die Majestät erforschen will, den zerdrückt ihre Herrlichkeit.“ So heißt es im Buche der Weisheit. Wer die Majestät erforschen will, den zerdrückt ihre Herrlichkeit.

Machen wir also weiter gläubig und mit inniger Liebe das heilige Kreuzzeichen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Es soll unser ganzes Wesen, unsere Gestalt, unsere Seele, unsere Gedanken, unseren Willen umfassen. Wir wollen es am Morgen machen, wenn wir uns ans Tagewerk begeben. Wir wollen es am Abend machen, wenn wir uns erinnern an das letzte Ziel. Wir wollen es vor dem Beten machen, damit die Gnade Gottes in uns bleibe. Wir wollen es in der Versuchung machen, damit wir gegen die Gefahren gewappnet werden. Wir wollen es beim Evangelium machen und in der heiligen Messe beim Segen, damit das Wort Gottes in uns bleibe im Acker unserer Seele. Vom heiligen Sturmius, dem Gefährten des heiligen Bonifatius, wird berichtet, wie er in dem damaligen unwirtlichen deutschen Gebiet sich zur Ruhe begab, indem er das Kreuzzeichen über sich schlug. Irgendwo im Gestrüpp legte er sich zur Ruhe, aber immer im Schutze Gottes durch das Zeichen des Kreuzes. Wenn wir im Kreuzzeichen unser Heil suchen, werden wir es auch finden, meine lieben Freunde. Jesus Christus hat, dem Willen des Vaters gehorsam, durch seinen Tod unter Mitwirkung des Heiligen Geistes uns das Leben geschenkt. Und im Namen des dreifaltigen Gottes wollen wir unser Lebenswerk, unsere Gebete und unsere Tage verbringen.

Amen.

 

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Die Liebe des heiligsten Herzens Jesu

01.06.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die ganze menschliche Natur Jesu ist anbetungswürdig; denn sie ist verbunden mit der Gottheit. Wenn die ganze Natur anbetungswürdig ist, sind es auch alle ihre Teile. Seit dem Mittelalter, vor allem seit den Kreuzzügen ist die Verehrung der menschlichen Natur Jesu und zu ihrer Teile besonders intensiv geworden. Man hat die heiligen Wunden des Herrn in besonderer Weise ins Auge gefasst, das Haupt des Herrn, sein Antlitz, aber auch sein kostbares Blut und sein heiligstes Herz. Die Herz-Jesu-Verehrung hat sich seitdem kontinuierlich entwickelt und ihren Höhepunkt erreicht im 17. Jahrhundert, als eine Jungfrau in Frankreich, Maria Margareta Alacoque, vom Herrn besonderer Visionen gewürdigt wurde. Maria Margareta Alacoque ist die Heroldin der Herz-Jesu-Verehrung geworden, und ihr verdanken wir das Herz-Jesu-Fest, das wir am vergangenen Freitag begangen haben.

Die Verheißungen, welche Margareta Maria Alacoque vom Herrn empfing, sind bekannt. Ich erwähne nur eine: „Ich werde die Häuser segnen, wo das Bild meines Herzens aufgestellt ist.“ Ach, meine Freunde, ich denke an meine Vorfahren. Sie waren arme Leute. Im Hause meiner Großeltern spielte sich das ganze Leben in der Küche ab, aber über dem Küchentisch, da hing das Bild des heiligsten Herzens Jesu. „Ich werde die Häuser segnen, in denen das Bild meines Herzens aufgestellt ist.“ Margareta Maria Alacoque hat aber außer den Verheißungen auch andere Weisungen und Erleuchtungen vom Herrn empfangen. Einmal, am Fronleichnamstag, als sie vor dem Allerheiligsten kniete, hörte sie den Herrn zu sich sprechen: „Sieh da, dieses Herz, das die Menschen so sehr geliebt hat, dass es nichts sparte, sondern sich ganz verzehrte und erschöpfte, um ihnen seine Liebe kundzutun! Und zum Lohn empfange ich von den meisten nur Undank durch Unehrerbietigkeit und Lästerungen, durch die Kälte und Verachtung, die sie mir im Sakrament der Liebe bezeigen. Noch schmerzlicher aber ist es, dass auch Herzen, die mir geweiht sind, mich so behandeln.“ Das ist eine Vision gewesen, die der Herr Maria Margareta Alacoque hat zuteil werden lassen. „Sieh da, dieses Herz, das die Menschen so sehr geliebt hat.“ Das Heilandsherz, die menschgewordene Liebe Gottes.

Als der Sohn Gottes daranging, zu uns Menschen auf die Erde herabzusteigen, da schuf ihm der Heilige Geist ein Gefäß, ein Gefäß, in dem er die ganze unendliche Liebe seines Gottesherzens bergen sollte. Und dieses heilige Gefäß war sein gottmenschliches Herz. Ganz groß, ganz rein, ganz lauter, ein Menschenherz, aber ganz anders als wir, ein Menschenherz, in dem die ewige Liebe Gottes schlug. Mensch geworden unter uns Menschen, ein Herz, so lauter, so stark und gewaltig, wie nur dieses Herz eine Liebe kannte und sonst keines mehr. Wie hat sie sich verströmt, diese Liebe! Wenn wir aufmerksam und mit Andacht die Evangelien lesen, da wird es uns warm ums Herz, wenn wir den Herrn reden und handeln sehen; wenn wir die Worte seiner Liebe vernehmen: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Er lädt die Bekümmerten, die Leidenden, die Geplagten ein. „Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu berufen, sondern Sünder.“ Ja, das ist seine Sendung gewesen, nicht Gerechte zu berufen, sondern Sünder, wie wir es im heutigen Evangelium gehört haben. Er geht den Verirrten, den Gestrandeten, den Verlorenen nach. Am Kreuze noch betet er für seine Peiniger: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Er sucht sie zu entschuldigen: „Sie wissen nicht, was sie tun!“ Und die Taten der Liebe; wir haben es ja gehört: der Freund, der Zöllner und Sünder, das ist er. Den Verachteten, den Gemiedenen geht er nach, lädt sie ein und lädt sich bei ihnen ein, nimmt bei ihnen Wohnung. Das geknickte Rohr bricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus. Der reuigen Sünderin hat er sich angenommen: „Geh hin und sündige nicht mehr!“ Und dem reuigen Schächer am Kreuze verheißt er das Paradies. Und selbst seine Wundermacht hat er für seine Liebe eingesetzt. Als die Menschen in der Wüste nicht zu essen haben, wirkt er das große Wunder der Brotvermehrung: „Mich erbarmt des Volkes.“ Und aus dem Erbarmen des Herzens wirkt er diese einmalige Tat. Ebenso, als die Jünger im Seesturm schreien: „Herr, rette uns, wie gehen zugrunde!“ Da setzt er wieder seine Wundermacht ein, steht auf, reckt sich empor: „Schweige! Verstumme!“ Und das Seebeben hört auf, und der Wind legt sich. Das ist das Herz Jesu. In der Litanei vom heiligsten Herzen Jesu wird versucht, die Tiefe dieses Herzens auszuloten. Drei Anrufungen stellen auf die Liebe des Herzens Jesu ab: „Herz Jesu, du Feuerherd der Liebe; Herz Jesu, voll Güte und Liebe; Herz Jesu, du Wohnstatt der Gerechtigkeit und Liebe.“ Es ist die Liebe eines Gottes, eine Liebe, die nicht müde wird wie unsere Liebe, eine Liebe, die nicht auswählt, wie wir es machen, eine Liebe, die nicht aufhört, wie sie bei uns so schnell zu Ende ist. Sieh da, dieses Herz! Wahrhaftig, das Heilandsherz ist die menschgewordene Liebe Gottes.

Aber das war ihm noch nicht genug. Das Heilandsherz ist auch die auf den Tod verwundete Liebe Gottes. Der hat die größte Liebe, der ohne Grund liebt, der zuerst liebt, der mit Feuer liebt und der bis zum Tode liebt. So ist die Liebe unseres Gottes. Er wollte seine Liebe nicht nur mit Worten und Taten bezeugen, er wollte sie mit der ergreifendsten Sprache bezeugen, die es überhupt gibt, nämlich mit der Sprache seines Blutes. Dieses Herz sollte sich verzehren auf dem Opferaltar des Kreuzes. Es sollte verglühen in einem Opfer ohnegleichen. Was hat dieses Herz in den letzten 24 Stunden seines irdischen Lebens nicht durchgemacht! Ein Apostel verrät ihn; die Jünger fliehen; Petrus verleugnet ihn; seine Peiniger überhäufen ihn mit Spott und Hohn, Erniedrigung und Lästerung. Mit Geißelhieben und einer Dornenkrone und einem Spottkleid verhöhnen sie das auf Erden erschienene Leben Gottes. Alle drei Synoptiker, also Matthäus, Lukas und Markus, alle drei Synoptiker berichten, dass Jesus von seinen Henkern angespuckt wurde. Mitglieder oder Diener des Hohen Rates, Soldaten der Besatzungsmacht, sie haben ihn angespuckt. Anspucken ist das Zeichen des Abscheus und der Verachtung. Abscheu und Verachtung wollten sie dem Herrn bezeigen. Und das muss uns zu Herzen gehen, wie es ja in dem ergreifenden Liede heißt: „Du edles Angesichte, davor sonst schrickt und scheut das große Weltgerichte, wie bist du so bespeit! Wie bist du so erbleichet! Wer hat dein Augenlicht, dem sonst kein Licht mehr gleichet, so schändlich zugericht’?“ Wahrhaftig, das Heilandsherz ist die auf den Tod und bis zum Tode verwundete Liebe. Vier Anrufungen der Litanei vom heiligsten Herzen Jesu stellen uns die verwundete Liebe vor: „Herz Jesu, mit Schmach gesättigt; Herz Jesu, voll Qual ob unserer Missetaten; Herz Jesu, gehorsam geworden bis zum Tode; Herz Jesu, von der Lanze durchbohrt.“ Wahrhaftig, das ist die bis zum Tode verwundete Liebe unseres Heilandes.

Und doch, das alles hat ihm noch nicht genügt. Das Heilandsherz ist auch die verkannte Liebe Gottes. Und so fährt der Herr in seiner Klage bei Maria Margareta Alacoque fort: „Und zum Lohn empfange ich Undank.“ Ist es wahr oder nicht? Wo ist die Glut der Gegenliebe, die allein der Liebesglut dieses Herzens entspräche? Wo ist auch nur die Treue zum heiligen Opfer? Ach, meine Freunde, es ist für mich jeden Sonntag schmerzlich, wenn ich sehe, wie meine Nachbarschaft den Tag des Herrn verbringt: mit Essen, Schlafen, Ausruhen, Vergnügen. Statt Dank Undank, statt Ehrerbietung Unehrerbietigkeit, statt Liebe Kälte und Verachtung. Ja, auch Unehrerbietigkeit. Wo ist denn die Ehrfurcht vor diesem Herzen, vor dem Sakrament dieses Herzens? Ich habe vor mir, meine lieben Freunde, einen Ausdruck aus dem Internet vom 27. Mai 2008. Da ist berichtet von einem Vortrag, den der Erzbischof Ranjit, der Sekretär der Gottesdienstkongregation in Rom, in Wien gehalten hat. In diesem Vortrag hat dieser Fachmann, dieser gläubige Fachmann einmal die Ärgernisse und Unehrerbietigkeiten aufgelistet, die heute im Gottesdienst unserer Kirche geschehen. Er hat zum Beispiel hingewiesen auf die Änderung der Zelebrationsrichtung. Der Priester ist doch abgelenkt, wenn er ins Volk schaut. Warum schaut er nicht zum Kreuz? Die Handkommunion. Warum haben wir nicht die Ehrerbietung, das Allerheiligste nicht in die Hand zu nehmen, um dem Herrn zu zeigen, wir sind es nicht wert, wir sind es nicht würdig. Gewiß, der Mund ist nicht weniger schuldig oder unschuldig als die Hand, aber es ist ein Zeichen der Ehrfurcht, dass man etwas nicht in die Hand nimmt. Er weist dann auf die Preisgabe der Stille und Anbetung hin. Er erinnert daran, dass die Gesten des Kniens und des Verbeugens immer weniger geworden sind und kaum noch geübt werden. Das alles ist Ausdruck der verkannten Liebe Gottes.

Und da ruft uns der Heiland, da ruft uns Maria Margareta Alacoque, da ruft uns die Herz-Jesu-Verehrung auf, zu sühnen – zu sühnen. Was heißt sühnen? Sühnen heißt, das Böse nicht bloß bereuen, sondern gutmachen, gleichsam aus der Welt schaffen. Sühne will wiedergewinnen, was durch die Sünde verlorenging. Sühne muss sein. Wir müssen wiedergutmachen, was wir in unserem Leben durch Schuld und Sünde verfehlt haben. Sühne also für eigene Sünden. „Ach Herr, was du erduldet, ist alles meine Last. Denn ich hab das verschuldet, was du getragen hast. Schau her, hier steh ich Armer, der Zorn verdienet hat! Gib mir, o mein Erbarmer, den Anblick deiner Gnad!“ Sühne für eigene Sünden, Sühne aber auch für die Sünden anderer. Wir können auch für andere sühnen kraft der Gemeinschaft der Heiligen. Gott nimmt die Sühne, die wir für andere leisten, an.

Im 18. Jahrhundert regierte in Frankreich Ludwig XV., ein trauriger König, meine lieben Freunde, ein Mann der Unzucht, ein Mann der Schwäche, ein Mann, der sicher auch zu seinem Teil das Verhängnis der Revolution heraufbeschworen hat. Aber er hatte ein Tochter, Louise. Und Louise, die Tochter, trat in ein Kloster ein, um für ihren sittenlosen Vater zu sühnen. Im Karmeliterorden ist aus einer Prinzessin die Schwester Teresia vom heiligen Augustin geworden. Und ihre Sühne war nicht vergebens. Auf dem Sterbelager hat Ludwig eine öffentliche Erklärung an sein Volk gerichtet, dass er sein Leben verurteile.

Sühne leisten, das ist auch unsere Aufgabe, und Gott sei es gedankt, auch heute gibt es solche Sühneseelen. Unsere guten frommen Frauen, die da in Heroldsbach die Nacht durchbeten, das sind solche Sühneseelen. Sie leisten Sühne. Es ist nicht angenehm, die ganze Nacht zu beten und das Messopfer mitzufeiern, aber es ist Sühne, und es ist wirksame Sühne. Und so wollen wir denn heute, meine lieben Freunde, den Vorsatz fassen, auch uns dem heiligsten Herzen Jesu zu übergeben. „Göttliches Herz“, so wollen wir sagen, „ich verbinde mein Herz innig und fest mit dir, dass mich bis zum Ende meines Lebens nichts von dir trennen kann. Herz Jesu, erbarme dich meiner!“

Amen

 

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Petrus und Paulus – Amt und Charisma

29.06.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Geliebte, zur Feier der Apostelfürsten Petrus und Paulus Versammelte!

Die Kirche begeht das Gedächtnis des Petrus und des Paulus an einem Tage. Das könnte verwundern, denn sie waren nicht miteinander verwandt, und sie standen sich wohl auch, was die Freundschaft betrifft, nicht besonders nahe. Es bestanden vielmehr zwischen ihnen erhebliche Gegensätze. Ihre Lebenswege gingen auseinander; Petrus war unter den Erstberufenen, sein Bruder Andreas führte ihn ja zum Heiland. Paulus wurde erst lange nach der Himmelfahrt des Herrn, auf dem Wege nach Damaskus, vom Rufe Gottes betroffen, als der Herr schon nicht mehr sichtbar auf Erden wandelte. Sie waren auch sehr verschiedenen Charakters. Petrus war nachgiebig, ängstlich, furchtsam; Paulus war ein Feuerkopf, ein Mann der Tat und der Entschiedenheit, von rücksichtslosem Kampfgeist erfüllt. Sie waren auch verschiedener Herkunft. Petrus war ein einfacher Fischer vom See Genesareth, Paulus war ein hochgebildeter Mann, ein Schriftgelehrter, weltgewandt, der sicher die Sprache der damaligen Welt, griechisch, fließend sprach.

Dennoch gibt es auch Ähnlichkeiten zwischen ihnen. Beide gingen durch das tiefe, dunkle Tal der Schuld. Petrus in jener Stunde, wo er von einem Fehltritt überrascht wurde und dann hinausging und bitterlich weinte, Paulus dagegen von dem harten Verfolgerwillen erfüllt. Beide sind durch die Erinnerung an ihre Schuld klein, still und reif geworden. Sie wussten, dass sie allein durch die Erbarmung des Herrn gerettet worden waren. Beide gaben ihr Leben und ihr Blut für den Meister, den sie über alles liebten. Es ist eigenartig, dass beide, Petrus und Paulus, ihr Martyrium in Rom vollendet haben, in Rom, der Hauptstadt der Welt, und in Rom, der Hauptstadt des Reiches Gottes auf Erden. Es war, als hätte die Christengemeinde von Rom durch das Blut der beiden Apostel zusammen genährt werden müssen. Und so ist auch die Erinnerung an beide in der Kirche immer zusammengenommen worden. Fünfmal in der heiligen Messe werden Petrus und Paulus, immer zusammen, genannt. Und auch die Feste, die wir feiern, erwähnen immer nach dem heiligen Petrus den heiligen Paulus. Damit zeigt die Kirche, dass beide von einziger und einzigartiger Bedeutung für ihre Geschichte und ihr Leben sind. Sie nennt sie die Apostelfürsten. Jeder besitzt nämlich ein Führertum, einen Primat, wenn man so sagen will. Petrus trägt den Primat des Amtes, Paulus den Primat des Charismas, der lebendigen, begnadeten Persönlichkeit. Und diese beiden Führertümer, diese beiden Primate geben der Geschichte der Kirche ihren Charakter und ihre Eigenart.

Petrus hat den Primat erhalten durch ausdrücklichen Auftrag Christi. In jener stillen Stunde am See Genesareth, nach dem Frühmahle, das sie gehalten hatten, sprach der Herr zu ihm: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe!“ Damit war ihm der Primat der Führung übertragen. Damit war erfüllt, was der Herr ihm vor Cäsarea Philippi verheißen hatte: „Ich will über dir meine Kirche bauen.“ Und noch früher, schon beim ersten Zusammentreffen, hat er ihm den Namen gegeben, der für diesen Kirchenbau charakteristisch war: „Du bist Kephas“, d.h. der Fels.

Der Apostel Paulus wurde auf andere Weise bestellt. Er ist ein Spätberufener, und ihm wurde eigentlich nur der allgemeine Auftrag der Apostel zuteil, nämlich der Herr wollte ihm sagen, dass er ein auserwähltes Werkzeug sei, dass er den Namen Christi durch alle Länder, zu den Heiden und zu den Juden tragen werde und dass er viel leiden müsse um dieses Namens willen; er hat also keine besondere Sendung erhalten. Und doch war es ihm durch den Herrn bestimmt, eine richtunggebende und bestimmende und befruchtende Wirkung auf die junge Kirche auszuüben. Er hat einen Einfluß ausgeübt wie kein anderer Apostel, denn er hat die Kirche aus der größten Gefahr, die ihr damals drohte, hinweggerissen, nämlich aus der Gefahr, in den Schranken und Fesseln der jüdischen Gesetzlichkeit gefangen zu bleiben, stecken zu bleiben. Auf die ersten heilsbegierigen Heiden war zwar auch der Heilige Geist herabgekommen, und sie waren getauft worden, aber sie waren noch nicht im vollen Sinne als Christen anerkannt. Sie hatten noch nicht die völlige Gleichberechtigung mit den aus dem Judentum kommenden Christen erlangt.

Theoretisch wurde diese Frage auf dem ersten Konzil, dem Apostelkonzil in Jerusalem, entschieden. Auf diesem Konzil hatte Paulus keine entscheidende Stimme; es war ein Konzil der Altapostel. Er selbst war nur der Abgesandte der Heidengemeinden, der das Anliegen dieser Gemeinden vor die Apostel trug. Die Entscheidung fiel durch den Primat des Amtes. Damals hat Petrus zum ersten Mal seine Unfehlbarkeit bewährt bei dieser ersten Entscheidung ex cathedra. Aber nun galt es, diese Entscheidung in der Praxis durchzusetzen. Es gab schwere Hemmungen, es gab Widerstände, es gab Rückschläge, und Petrus hat sich bei dieser Entwicklung nicht sehr rühmlich benommen. Er suchte nämlich seiner Entscheidung, die er selbst gefällt hatte, auszuweichen. Und so hat Paulus ihm in Antiochien, wie er im Galaterbrief berichtet, „ins Antlitz“ widerstehen müssen. Er hat ihn hinweggerissen über seine Bedenken. Bei dieser Gelegenheit sehen wir, was Paulus geleistet hat, und das ist nur ein Beispiel für seine unermessliche Tätigkeit. Überall, in allen kritischen und gefährlichen Fragen, die das junge Christentum bewegten, wirkte er entscheidend mit. Und nicht so sehr als der beamtete, sondern als der begnadete, nicht so sehr als der bestellte, sondern als der geborene Führer des jungen Christentums.

So wirkten schon am Anfang der christlichen Geschichte diese beiden Formen des Führertums zusammen. Sie sind seit damals niemals mehr erloschen oder getrennt worden. Der Primat Petri pflanzte sich über Hunderte von Nachfolgern fort, von Papst zu Papst in langer Reihe, über Heilige und Sünder, über Heroen und Unwürdige, doch immer siegreich und immerfort auf seinem Felsenfundament die Kirche tragend. Aber auch der andere Primat, das Führertum des Paulus, dieses Führertum der individuellen, persönlichen Begnadung, sprang immer wieder von einem Geistesgewaltigen über zu einem anderen. Zuweilen waren beide Primate verbunden, wenn ein besonderer Charismatiker zum Papst gewählt wurde. Und es gab auch unter den Bischöfen solche Charismatiker. Wir denken alle gern zurück an den Bischof von Fulda, an Johannes Dyba. Zuweilen waren die Träger des Charismas stille Mönche oder Frauen wie Katharina von Siena, die den Träger des Primates zurückriß aus seiner Verbannung in Frankreich nach Rom, wohin er gehörte.

Dass der amtliche Primat auch heute nicht erloschen ist, wissen wir, und wir sind dankbar für den jetzigen Träger dieses Primates. Ich wüsste, meine lieben Freunde, ich wüsste keinen anderen, der besser das Amt verwalten könnte.

Aber auch der Primat des persönlichen Geistes ist nicht erloschen. Auch der Primat der charismatischen Begabung lebt in unserer Kirche fort. Er lebt fort einmal in den als heilig verehrten Männern und Frauen, in einem heiligen Johannes Bosco, in der wunderbaren Blüte von Lisieux, Theresia, in Mutter Teresa oder Pater Pio. Aber er lebt auch fort in Männern und Frauen, die nicht als Heilige verehrt werden, aber die ihre Begnadung und ihre Berufung in die Kirche eingebracht haben. Ich denke etwa an Pater Werenfried van Straaten, ich denke aber auch an Männer wie Martin Mosebach oder Robert Spaemann. Das sind Männer der charismatischen Begabung. Sie haben ihren Dienst in die Kirche eingebracht, und der oberste Träger des Amtes, Benedikt, hat ihre Beiträge aufgenommen und mit dem Amt, mit der Autorität des Amtes verbunden.

Der Primat des Amtes verkörpert die unantastbare Autorität Gottes. Er gibt der Kirche die Stetigkeit und die Ruhe, auch die Festigkeit über die Jahrtausende. Erst dieser überpersönliche Primat hebt die Kirche über die Zeiten hinweg und über das Milieu, rettet sie vor der momentanen Anpassung, die wir ja im Protestantismus jeden Tag beobachten können. Aber der Primat des Charismas ist es, der das Amt vor Erstarrung und vor Versteinerung bewahrt, der den Organismus der Kirche immer wieder durchströmen lässt von Glut und Feuer. Der Primat des Amtes ist unentbehrlich. In ihm wirkt sich ja der Gute Hirte selbst aus, und trotz aller Unzulänglichkeit der menschlichen Gehilfen, die ja nie auszuschließen ist, trotz aller Unzulänglichkeit hat die Herde Christi doch immer gute Weide gefunden. Aber ebensoviel verdankt die Kirche ihren begnadeten Einzelpersönlichkeiten, den Bahnbrechern der Seelsorge und der Nächstenliebe, den großen Leuchten. Denken wir nur an die vielen Frauen, die im 19. Jahrhundert ihre Kongregationen gegründet haben, von denen wir heute noch zehren und deren Zusammenschrumpfen wir mit Bitterkeit des Herzens erleben. Diese Menschen haben immer wieder die starre Kruste der Gewohnheit und der Schablone durchbrochen. Sie haben die einschläfernde Wirkung, die von falschen Theologen und von einer irrig verstandenen Vergangenheit ausgingen, durchbrochen durch ihre feurige Bewegtheit.

Die Kirchengeschichte, meine lieben Freunde, ist voll von großen und ergreifenden Erscheinungen, von entzückenden und bedrückenden Geschehnissen, von Licht und Finsternis, von Heroentum und Ärgernis. Aber zu den erstaunlichsten Offenbarungen dieser Geschichte der Kirche gehört doch unzweifelhaft das Zusammenwirken von Petrus und Paulus. Das Amt, ein absoluter und in reiner Objektivität dargestellter Wille, und das Charisma, eine lebendige Quelle, die sich immer wieder, Menschen unbegreiflich, erneuert. An der Spitze der Menschheit gehen deswegen zwei Führer. Sie gehen nebeneinander, Petrus und Paulus, die Hierarchie und das Charisma, die überpersönliche Autorität und die persönliche Begnadung. Von diesen beiden Vollmachten singt die Kirche: „Du hast sie als Fürsten gesetzt über die ganze Erde, o Herr, und sie werden deinen Namen allezeit verkünden.“

Amen.

 

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Die Kirche – Grundfeste der Wahrheit

22.06.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Volksmund sagt: Undank ist der Lohn, den man für gute Taten bezieht. Das hat sich im Leben unseres Heilandes deutlich gezeigt. Wohltaten spendend ging er durch die Lande, und wie hat das Volk, wie haben die Führer des Volkes seine Heilandsliebe vergolten? Indem sie ihn ans Kreuz schlugen.

Ähnlich geschieht es auch dem fortlebenden Christus, seiner Kirche; Verachtung, Hohn und Spott trifft sie. Das Strahlende ihrer Gestalt, ihre Leistungen werden unterschlagen, aber die Flecken und Makel, die ihre Glieder ihr zugefügt haben, werden unaufhörlich den Menschen unterbreitet; vor allem der Jugend weiß man manches Wahre und vieles Unwahre über die Kirche zu erzählen. Leicht ist die Jugend zur Geringschätzung zu verführen, schwer aber zur rechten Würdigung und zu einer Verehrung für das Große, von dem sie so wenig Kenntnis besitzt. Was nützt es, meine Freunde, wenn wir immer tiefer eindringen in die Geheimnisse der Natur, wenn wir immer schärfer die Ereignisse der Geschichte durchschauen? Was nützt es, wenn wir die Gesetze des Weltenbaues ergründen und zum Nutzen der irdischen Wohlfahrt verwenden, wenn wir aber den letzten Sinn des großen Weltenbaues und das letzte Ziel eines jeden Lebens nicht kennen? Durch Nachsinnen aus einem lauteren Herzen ist es möglich, auf diese Gegenstände seine Aufmerksamkeit zu richten und auch zu gültigen Erkenntnissen zu kommen. Aber der Mensch ist nicht nur von seinen besten Gedanken, sondern auch von seinen schlimmsten Neigungen heimgesucht. Und deswegen finden viele durch eigenes Nachdenken nicht den Sinn der Welt und das Ziel ihres Lebens. So hat Gott uns seine Offenbarung gegeben, in der er uns beides erklärt hat. Und er hat diese Offenbarung seiner Kirche anvertraut, im besonderen dem unfehlbaren Lehramt seiner Kirche anvertraut, auf dass die Wahrheit nicht zugrunde ginge. Es sollte die Wahrheit irrtumslos und unabänderlich erhalten werden.

Dieses Lehramt besteht in der Kirche seit der Aussendung der Apostel. Es ist durch die Führung des Heiligen Geistes geleitet, und dank des Beistands des Heiligen Geistes weiß es die Wahrheit der Offenbarung zu hüten und zu bewahren. Es hat deutlich genug gesprochen; es ist ihr immer treu geblieben, und es hat gewaltiges Geistesgut der Welt geschenkt. Ein Segensstrom ist von dem Lehramt der Kirche ausgegangen.

Keine Rettung, kein Halt, so haben viele Menschen geklagt, nirgends Rettung, nirgends Halt. Und so haben viele den Weg gefunden in unsere Kirche. Denken Sie nur an die beiden großen Engländer Newman und Manning, die der Papst dann zu Kardinälen erhoben hat. Sie haben Ordnung gesucht und sie in der Kirche gefunden. Sie haben nach Sicherheit gesucht, und sie haben sie in der Kirche erfunden. Sie haben nach einem Zusammenhang der Wahrheit geforscht, und sie haben ihn in der Kirche entdeckt. Was hätte es genützt, wenn Gott eine Offenbarung gegeben hätte, aber nicht dafür gesorgt hätte, dass sie irrtumslos weitergegeben würde? Das Wort Gottes hätte ja auch verfälscht werden können durch Rechthaberei, durch Verbilligung. Wenn jeder es sich selbst deuten müsste – wie der Protestantismus behauptet –, wenn jeder es sich selbst deuten müsste, dann kommt er eben zu unmöglichen Ergebnissen. Wenn Gott sein eigenes Wort retten wollte, dann gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder dass er jeden einzelnen mit der unfehlbaren Schriftdeutung ausrüstete oder aber dass er seine Säule und Grundfeste der Wahrheit errichtete, die wir die katholische Kirche nennen.

Die Kirche erfindet die Geheimnisse Gottes nicht. Sie ist nicht die Schöpferin der Wahrheit, sondern sie fasst sie nur in begriffliche Form, ähnlich wie ein Goldschmied das Gold nicht selber erzeugt, sondern es nur nach den Gesetzen der Technik und des Handwerks bearbeitet. So ähnlich tut es die Kirche mit der Wahrheit; sie fasst sie nur, sie fasst sie in begriffliche Formen, die freilich dank des Beistandes des Heiligen Geistes unaufgebbar und richtig, wenn auch nicht erschöpfend sind. Wir wissen: Die Dogmen sind auf dem Amboß der Geschichte gehämmert worden, und diese Dogmen sind wahrhaftig in ihrer Majestät erschütternd und in ihrer Lieblichkeit verlockend. Dass es ein Dogma von Gott gibt, dem Vater im Himmel, dem Schöpfer Himmels und der Erde, das ist ja die Grundlage für jede Religion. Religion heißt nämlich Bindung, Bindung an Gott. Diese Bindung ist nur möglich, wenn wir zuvor wissen, wer Gott ist.

Im 18. Jahrhundert lebte der Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing. Er ist einer der Aufklärer. Von Lessing stammt das Wort: „Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen, immer regen Trieb nach Wahrheit, obwohl mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und spräche zu mir: „Wähle!“ Ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: „Vater, gib; die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein.“ Diesen inhaltsschweren Satz haben Lessing viele nachgesprochen. Die reine Wahrheit ist nur für Gott, uns Menschen ist nur der Trieb nach Wahrheit, der aber immer zum Irrtum führt, überlassen. Meine lieben Freunde, das ist eine trostlose Weltanschauung. Sie hat vor allem den Nachteil, dass sie falsch ist. Eine Suche nach Wahrheit, die stets zum Irrtum führt, ist kein Anlaß zur Hoffnung, sondern zur Verzweiflung. Eine Suche nach Wahrheit, die immer in den Irrtum führt, ist sinnlos. Man braucht sie überhaupt nicht zu beginnen. Ohne das Finden der Wahrheit ist eine Suche nach Wahrheit zwecklos.

Wir brauchen aber die Wahrheit, weil die Wahrheit ja das Abbild der Wirklichkeit ist. Ohne die Wahrheit vermögen wir die Wirklichkeit nicht zu begreifen und auch nicht zu bewältigen. Deswegen musste Gott uns Anteil an seiner Wahrheit geben. Gewiß, die reine, die vollkommene, die alles umfassende Wahrheit, das ist Gottes Sache allein, aber er hat uns Anteil daran gegeben, wir partizipieren an der Wahrheit durch die Bemühungen unseres Verstandes, durch das Suchen in der Erfahrung, durch das Nachdenken in der Spekulation, aber auch und vor allem durch die Offenbarung Gottes. Offenbarung heißt Kundmachen der Wahrheit, und diese Wahrheit hat uns Gott gegeben. Er ist ja auf Erden erschienen voll der Gnade und Wahrheit, wie wir am Schluß jeder heiligen Messe bekennen. Und diese Wahrheit hat er uns vermacht, in dieser Wahrheit will er uns erhalten. In seinem Lehramt bürgt er dafür, dass diese Wahrheit nicht zugrunde geht. Denn dieses Lehramt, meine Freunde, ruht auf einem Felsengrund; es ruht auf dem Felsengrund, der Christus selber ist. „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Wäre die Wahrheit nicht mehr bei uns, würde die Wahrheit endgültig zugrunde gehen, dann hätte Jesus uns verlassen, dann hätte er seine Verheißung nicht wahr gemacht. Aber nein: „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Und noch eines hat er gesagt: „Ich werde ihn euch senden, den Geist der Wahrheit, den Tröster, der in alle Ewigkeit bei euch bleibt.“ Wenn die Wahrheit zugrunde geht, dann wäre der Tröster von uns gegangen, aber nein, der Herr hat ihn uns verheißen, und sein Wort ist untrüglich. Er wird in Ewigkeit bei uns bleiben. Er führt die Kirche und durch die Kirche uns in alle Wahrheit ein.

Und diese Wahrheit macht uns frei. Das heißt: Sie löst die Bande der Triebe, und sie zerschlägt die Fesseln, die uns an das Niedrige binden wollen. Die Wahrheit fördert alle Wohlfahrt der Völker, und sie beschert uns die Gaben des Geistes und der Natur. Am 9. Januar 1882 erklärte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck im Deutschen Reichstag: „Auch diejenigen, die an die Offenbarungen des Christentums nicht mehr glauben, möchte ich daran erinnern, dass doch die ganzen Begriffe von Moral, Ehre und Pflichtgefühl, nach denen sie ihre anderen Handlungen in dieser Welt ausrichten, wesentlich nur die fossilen Überreste, nur die fossilen Überreste des Christentums ihrer Väter sind, die unsere sittliche Richtung, unser Rechts- und Ehrgefühl von heute, so manchem Ungläubigen unbewußt, bestimmen, wenn auch die Quelle selbst sie vergessen haben, aus der unsere heutigen Begriffe von Zivilisation und Pflicht geflossen sind.“ Ja, so ist es. Wir leben – eingestanden oder nicht eingestanden – aus dem Fundus, den uns Gott in seiner Offenbarung geschenkt und den die Kirche bewahrt hat. Die christliche Sitte, der christliche Glaube, das ist es, wovon wir heute noch leben. Es ist das wie mit einem Stein, auf den die Sonne lange Zeit geschienen hat. Wenn die Sonne untergegangen ist, ist der Stein noch geraume Zeit warm. So ist es auch mit unserer nachchristlichen Zeit, von der man spricht. Sie lebt noch von den Resten des Christentums, sie lebt noch von der Nächstenliebe, von der Gerechtigkeit, von der Reinheit, welche das Christentum verkündet und die Kirche bewahrt hat. Warten wir nur einmal ab, bis auch diese Restbestände vernichtet sind, dann ist das Ende gekommen!

Wir brauchen die Wahrheit, aber wir brauchen auch die Kraft, ihr zu folgen. Wir brauchen die Kraft, die Wahrheit festzuhalten. Wir brauchen die Kraft, nach der Wahrheit zu leben. Und auch das vermittelt uns die Kirche. Sie ist ja die Kirche desjenigen, der gekommen ist, uns die Wahrheit und die Gnade zu bringen. In der Kirche sind göttliche Gnadenkräfte wirksam, die ihr Christus anvertraut hat. Wir sind nicht allein mit unseren Schwächen und Trieben. Wir fühlen Impulse, die uns vom Bösen abhalten und zum Guten hinführen. Wir besitzen des Geist Gottes, der uns mahnt und warnt, der uns leitet und führt. „Alles vermag ich in dem, der mich stärkt“, sagt der Apostel Paulus. Und so ist es, meine lieben Freunde. So ist es, und ich erlebe es immer wieder beglückend als Beichtvater, wie die Macht Gottes in den Menschen über ihre Schwäche und über ihre Triebhaftigkeit obsiegt. Die Kirche ist wahrhaftig die mächtige Ruferin Gottes, die die leisen Mahnungen des Gewissens verdeutlicht und verstärkt. Sie ist es, die die Menschheit die Wahrheit lehrt. Menschlichkeit und Christlichkeit schließen sich nicht aus, sondern je mehr eine Christ wird, desto mehr wird er Mensch. Denn der vollkommene Mensch ist Christus, und wenn wir nach seinem Bilde gestaltet werden, dann werden auch wir vollkommene Menschen.

Die Missstände auf der Erde zu verbessern ist nicht falsch. Aber sie werden so lange nicht wahrhaft überwunden werden, als nicht die Gesinnung der Menschen, als nicht die Herzen der Menschen verändert werden. Und das ist es ja, was sich die Menschen immer wieder leicht machen: Sie versuchen sich der schweren Aufgabe, die Herzen zu verändern, zu entschlagen und Strukturen zu verändern. Deswegen erleben wir ja dauernd diese Hektik, diese Betriebsamkeit in der Kirche, neue Strukturen für Pfarreien und so weiter. Das ist alles umsonst, wenn wir nicht die Gesinnungen ändern, wenn wir nicht die Herzen verbessern, wenn wir uns nicht nach dem Bilde Jesu ausbilden lassen. Ein neues Paradies wird auf Erden nicht kommen, aber die Herzen können wir nach dem Bilde Christi formen. Und die Aufgabe der Kirche ist es, ihnen die höchsten Ziele zu zeigen und sie unermüdlich zu mahnen, danach zu streben. Dabei soll nicht vergessen sein, dass die Kirche auch den irdischen Anstrengungen immer wieder ihre Aufmerksamkeit gewidmet hat. Sie hat immer und zu allen Zeiten Wissenschaft und Kunst gefördert. Die Blüte der Religion war auch immer mit einer Blüte der Wissenschaft und der Kunst verbunden. Und wenn Wissenschaft und Kunst ihre Bindung an die Religion verlieren, dann werden sie zu zersetzenden Erscheinungen.

Ich habe hier vor mir, meine lieben Freunde, einen Bericht über das Theaterstück „Corpus Christi“. Das Theaterstück „Corpus Christi“ hat folgenden Inhalt: Darin werden Jesus Christus und seine Apostel als homosexuell, das Letzte Abendmahl als ein Saufgelage und die Gottesmutter Maria als intelligente Hure dargestellt. Ich meine, tiefer kann es nicht mehr hinabgehen! Das ist der Abgrund, der absolute Abgrund! Das ist Gotteslästerung in Potenz! Immer wenn die Kunst ihre Bindung an die Religion aufgibt, wird sie zu einem zersetzenden Element. Die Kirche hat Wissenschaft und Kunst immer gefördert, nicht nur die Geisteswissenschaften, auch die Naturwissenschaften. Das will ich Ihnen beweisen. Solange die Menschen einen Willkürgott annahmen, war auch die Welt ein Spielball der Willkür. Unberechenbar war Gott, und unberechenbar war die Welt. Bei einem solchen Gottesbegriff kann man von Naturgesetzen nicht reden, weil ja Gott selber als Gesetz nicht existiert, sondern ein Willkürgott ist. Erst als das Christentum die Wahrheit predigte, dass die weltschöpferische Weisheit die Welt regiert, dass alles nach Zahl, Maß und Gewicht geordnet ist, dass Gott alles nach Zahl, Maß und Gewicht geordnet hat, erst da ist der Begriff des Naturgesetzes möglich. Erst wenn Gott selbst ein mathematischer Geist ist, kann man auf Erden mit der Mathematik und mit der Physik eine Technik und eine Zivilisation schaffen. Jawohl, die Kirche ist von weltgeschichtlicher Bedeutung geworden dadurch, dass sie den richtigen Gottesbegriff verkündet hat. Sie ist die Mutter der Naturwissenschaft.

Finstere Mächte des Umsturzes gefährden heute den Kulturbestand. Nur unter Aufbietung aller religiösen und moralischen Kräfte können die drohenden Gefahren, kann die drohende Katastrophe abgewendet werden. An diesem Rettungswerk sich zu beteiligen, ist die Kirche berufen und befähigt. Die Kirche, die so viele Schlachten geschlagen, so viele Niederlagen erlitten, aber auch so viele Siege errungen hat, schreckt vor dieser Aufgabe nicht zurück; denn sie weiß, Christus steht ihr bei in ewiger Treue.

Halten wir uns, meine lieben Freunde, halten wir uns an die Kirche! Folgen wir ihren gerechten Weisungen! Verteidigen wir sie gegen Schmähungen! Schmücken wir die Kirche mit unserer Persönlichkeit!

Amen.

 

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Böses nicht mit Bösem vergelten

15.06.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Eine primitive Form der Strafrechtspflege war die Blutrache. Ein jeder, der einer Sippe angehörte, konnte das Unrecht, das einem seiner Sippenangehörigen angetan worden war, rächen, und zwar in demselben Maße, wie die Untat geschehen war. Die Blutrache konnte den Täter oder auch einen Angehörigen des Täters treffen. Blut musste mit Blut, Tod mit Tod gesühnt werden. Diese Blutrache hat auch ihre Spuren im Alten Testament hinterlassen. Im Buche Genesis, dem 1. Buche Moses, ist die Rede von Lamech. Dieser Lamech sagte zu seinen Frauen – er besaß mehrere Frauen – : „Einen Mann erschlage ich für eine Wunde und einen Knaben für eine Strieme. Wird Kain siebenfach gerächt, dann Lamech siebzigmal siebenmal.“ Lamech hatte also das Maß der Blutrache weit ausgedehnt. Für eine Strieme wollte er einen anderen Menschen erschlagen. Da erkennt man, dass das Alte Testament mit seinem Gesetze „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ eine bedeutende Milderung brachte. Das war eine Zähmung der Strafrechtspflege, das war eine Einschränkung der Blutrache. Die Römer haben es anders gehandhabt. Sie haben das Wort erfunden: „Fiat iustitia, pereat mundus“ – Die Gerechtigkeit muss geschehen, auch wenn die ganze Welt darüber zugrunde geht. Hier war ein Rechtsfanatismus am Werke, der uns schauderhaft erkennen lässt, wohin die Liebe zur Gerechtigkeit führen kann: nicht zum Recht, sondern zum Gegenteil, zum groben Unrecht.

Nicht nur in alter Zeit gab es Menschen, die das Recht um jeden Preis durchsetzen wollten. Von dem Königsberger Philosophen Immanuel Kant stammt das Wort: „Wenn morgen die Welt unterginge, müssten heute noch alle todeswürdigen Verbrecher hingerichtet werden.“ So sollte nach seiner Meinung die sühnende Gerechtigkeit bewahrt werden.

Doch das geschriebene Recht ist nicht das höchste. Es gibt auch ein ungeschriebenes Recht, und es gibt auch über dem Recht eine Barmherzigkeit, und beides gilt es zu beachten. Der Reichspräsident Friedrich Ebert – von Hause aus übrigens katholisch – hat das schöne Wort gesagt: „Wenn wir eines Tages vor der Frage stehen: die Verfassung oder Deutschland, dann werden wir nicht um der Verfassung willen Deutschland zugrunde gehen lassen.“ Wahrhaftig ein mannhaftes Wort von einem redlichen Politiker der Weimarer Zeit.

Wir wollen uns nicht zu Richtern aufwerfen über vergangene Zeiten. Wir kennen die Motive und die Einstellungen dieser Menschen zu wenig. Wir wollen lieber vor der eigenen Tür kehren. Und da haben wir heute ein Wort gehört in der Epistel, das uns nachdenklich machen soll: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem, nicht Schmähung mit Schmähung, vielmehr segnet einander, wie ihr ja auch berufen seid, Segen zu erben.“ So spricht der Apostel Petrus heute zu uns: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem, nicht Schmähung mit Schmähung, vielmehr segnet einander, wie ihr ja auch berufen seid, Segen zu erben.“ Blutrache ist heute aus der Übung gekommen. Wir halten uns viel zugute, dass wir zu besseren Formen des Rechtes gelangt sind. Aber wie steht es um den Geist, aus dem die Blutrache hervorgegangen ist? Gibt es den Geist der Rache und der Vergeltung nicht auch heute noch? Und dieser Geist der Rache und der Vergeltung muss sich nicht in Mord und Totschlag auswirken, sondern er kann sich auch in kleinerer Münze auszahlen. „Das lasse ich mir nicht gefallen“, so trumpfen schon die Knaben in der Schule auf bei Raufereien. Viele Eltern geben ihren Kindern auf den Lebensweg die Mahnung mit: „Laß dir ja nichts gefallen!“ Es ist eine der schlimmsten Lebensregeln, die man Kindern geben kann: „Laß dir nichts gefallen!“ Damit werden Konflikte, Auseinandersetzungen, Reibereien und Zerwürfnisse ohne Zahl und ohne Ende hervorgerufen. Als Lehrling, als Schüler, als Anfänger, als Auszubildender muss man sich etwas gefallen lassen: Mahnung, Warnung, Rüge, Tadel, Zurechtweisung. Der Direktor der Oberschule, die ich besucht habe, hat uns viele Mahnungen auf den Weg gegeben. Die meisten habe ich vergessen, aber eine habe ich behalten, und die lautete: „Jungs, ihr müsst lernen ungerechte Kritik ertragen.“ Der Direktor hatte recht: „Jungs, ihr müsst lernen ungerechte Kritik ertragen.“ Auf Erden muss man sich etwas gefallen lassen: von den Eltern, von den Kameraden, von den Lehrern, von den Nachbarn, von den Vorgesetzten. Wer sich nichts gefallen lässt, der ist fortwährend im Streit und im Unfrieden. Auch in der Ehe, meine lieben Freunde, muss man sich etwas gefallen lassen. Und selbst in der Freundschaft, vom Freund, von der Freundin muss man sich etwas gefallen lassen. Die Menschen haben nun einmal ihre Eigenarten und Unarten. Wir werden sie ihnen nicht abgewöhnen, wenn wir uns nichts gefallen lassen.

Einer der schlimmsten Grundsätze, die Menschen haben können, lautet: „Wie du mir, so ich dir.“ Das heißt, wer mir freundlich begegnet, dem begegne auch ich freundlich. Wer mir aber abweisend begegnet, dem begegne auch ich abweisend. Das ist ein zutiefst unchristlicher Grundsatz. Der Herr, unser Lehrer und Meister, weist ihn ausdrücklich und energisch zurück: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde! Tuet Gutes denen, die euch hassen, und betet für die, die euch verfolgen!“

Spuren und Auswüchse des Rachegeistes gibt es auch heute in unserer Gesellschaft. Sie werden wie selbstverständlich angenommen und gewohnheitsmäßig gepflegt. Rache muss ja nicht mit wutverzerrtem Gesicht herumlaufen. Sie kann sich auch hinter einem Lächeln verbergen und um so sicherer ihr Ziel erreichen. Kleine Schikanen, ständige Nadelstiche, kleine Bosheiten können einem unersättlichen Vergeltungswillen zu furchtbaren Waffen werden und ein Familienleben, eine Arbeitsstätte und eine Nachbarschaft zerrütten. Man spricht heute von dem sogenannten Mobbing. Mobbing besagt, dass man einem anderen fortwährend und wiederholt böswillige Handlungen zufügt, am Arbeitsplatz oder in der Schule. Mobbing ist eine besondere und heute übliche Form der Rache. Gewiß, ich habe nicht gesagt, man muss sich alles gefallen lassen. Es gibt eine Grenze. Auch der Herr hat sich nicht alles gefallen lassen. Als der Diener des Hohenpriesters ihn auf die Wange schlug, da hat er sich zur Wehr gesetzt: „Habe ich unrecht geredet, so beweise es mir, habe ich aber recht geredet, warum schlägst du mich?“ Der Herr hat sich gewehrt; aber er schlägt nicht zurück. „Da er gescholten wurde, schalt er nicht“, heißt es im 2. Petrusbriefe. „Da er litt, drohte er nicht, sondern stellte seine Sache dem gerechten Richter anheim.“ Menschen, die einen kränken und beleidigen, muss man mit äußerster Höflichkeit und Freundlichkeit behandeln. Solche Rücksichtnahme und Vornehmheit kann sie zur Besinnung bringen. Vom heilige Clemens Maria Hofbauer wird folgende Begebenheit erzählt: Er sammelte für seine Armen in den Gasthäusern Almosen. Er kam an einen Tisch, wo vier Männer Karten spielten. Er brachte seine Bitte vor, da spuckte ihn einer an. Clemens Maria Hofbauer wischte sich ab und sagte ruhig: „Das war für mich. Jetzt bitte ich noch um eine Gabe für meine Armen.“

Die Mahnung des Apostels Petrus: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem!“ wird merkwürdigerweise wörtlich vom Apostel Paulus aufgenommen im Römerbrief: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem! Seid auf das Gute bedacht! Schafft euch nicht selbst Recht, sondern lasst dem Zorngericht Raum! Denn es steht geschrieben: ,Mein ist die Rache. Ich will vergelten.’ Vielmehr: Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen; wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken. Dann sammelst du feurige Kohlen auf sein Haupt. Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute!“ Was heißt diese merkwürdige Wendung: Wenn du dem Feind Gutes tust, sammelst du feurige Kohlen auf sein Haupt? Das besagt: Die Guttaten, die man dem Feind erweist, werden ihn nachdenklich machen. Sie werden an sein Gewissen rühren. Sie werden ihm vielleicht zur Besinnung und zur Umkehr gereichen.

Einmal, meine lieben Freunde, muss die Rache ein Ende nehmen, und das geschieht nur, wenn Böses nicht mit Bösem vergolten wird. Einmal muss die Kette des Bösen unterbrochen werden. Das besteht darin, dass man auf Rache verzichtet. Das Böse ist keine Naturgewalt, der wir unterliegen müssten, sondern wir besitzen die Güte und Liebe Gottes, die Kraft zur Vergebung und den Antrieb zum Verzeihen. Das Verzeihen ist auch so eine Sache. Es muss nämlich aus dem Herzen kommen; es muss innerlich, echt und wahr sein. Mit ein paar Worten ist es nicht getan. Ein bloß äußerliches Vergeben ändert nicht das Herz und ändert auch nicht die Beziehung zu dem anderen. Das Herz muss geändert werden. Wir müssen die Gereiztheit, die Feindseligkeit, die Wut, den Zorn gegen den Nächsten aus dem Herzen schaffen. Nichts vergiftet das Verhältnis zum Nächsten so sehr wie der Groll. Groll, das ist verhaltene Wut und Feindseligkeit gegen einen anderen. Einem anderen grollen heißt ihm Böses nachtragen, auf Vergeltung sinnen, Schadenfreude über das Unglück des anderen empfinden. Man spricht auch vom Ressentiment, das ist eben ein heimlicher Groll, ein unterschwelliges Haß- und Rachebedürfnis, das aufgrund einer unbewältigten schmerzlichen Situation entstanden ist.

Nein, meine lieben Freunde, Segen statt Fluch, Vergebung statt Rache, Güte statt Gewalt, das ist die Sprache der heutigen Lesung. Wer das Kreuz Christi nicht versteht, mag diese Haltung für Torheit oder Schwäche halten. Wer aber einmal versucht hat zu vergeben, wo der natürliche Mensch um Rache schreit, der hat begriffen, dass dazu eine heroische Kraft notwendig ist, eine heroische Kraft. Die Gegenwart des Christen in der Welt muss für die Welt zum Segen werden, und das wird sie nur, indem wir das Böse in Schranken halten, indem wir nicht Böses mit Bösem vergelten, nicht Schmähung mit Schmähung, sondern mit Segen. Der große französische Prediger Lacordaire hat einmal das schöne Wort gesagt: „Willst du Befriedigung für einen Augenblick, so räche dich. Willst du Befriedigung für immer, dann vergib!“ Und wir wollen schließen, meine lieben Freunde, mit dem Anruf aus der Litanei von allen Heiligen: „Von Zorn, Haß und allem bösen Willen erlöse uns, o Herr!“

Amen.

 

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Die Vergeblichkeit im menschlichen Bemühen

08.06.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ So haben wir eben im Evangelium nach Lukas gehört. Die Jünger hatten sich mit großer Mühe und Anstrengung auf das „Galiläische Meer“, wie man den See Genezareth nannte, hinausbegeben, aber ihre Arbeit war vergeblich.

Die Vergeblichkeit, meine Freunde, begleitet unser Leben. Vergeblich ist oft unser Denken und Planen; es kommt ganz anders. Vergeblich ist menschliches Schaffen und Bauen; ein Wirbelsturm, ein Erdbeben vernichtet ganze Landschaften. Vergeblich ist oft das Mahnen und Warnen der Eltern; die Kinder handeln ganz anders. Vergeblich scheint auch häufig die Arbeit der Seelsorger. Mir sagte einmal ein Priester: „Mir ist es, als ob ich mit Erbsen gegen eine Wand würfe.“

Die Vergeblichkeit sucht nach einer Erklärung. Oft, zu oft ist es die eigene Schuld. Wir waren zu schwach, zu feige, zu bequem, zu ängstlich. Wie oft haben wir etwas begonnen und nicht vollendet! Wie oft haben wir in einer Bewährungsprobe versagt! Wie oft haben wir Verheißungen erweckt und sie nicht erfüllt! Wie oft haben wir bauen wollen und den Grund gelegt, aber wir konnten den Bau nicht vollenden. „Was ich begangen, lässt sich nicht sühnen. Man schätzt den Klugen, man preist den Kühnen. Allein das Herz, das Herz in der Brust ist sich unendlicher Schuld bewusst.“ So hat der Dichter Wedekind einmal die Situation beschrieben. Nicht immer ist es eigene Schuld; es gibt auch schuldlose Tragik. Es gibt auch den Zwiespalt zwischen Wollen und Unvermögen. Wir haben uns gemüht, wir haben uns eingesetzt, wir haben das Beste versucht, aber es ist uns nicht gelungen. „Über jeder Freude seh ich schweben den Geierwald, der sie bedroht. Was du gesucht, geliebt im Leben, bald ist’s verloren oder tot“, dichtet Nikolaus Lenau. In der Tat: das beste Wollen, die reinste Absicht, das edelste Beginnen wird oft zerschlagen, scheitert, geht zugrunde. Der Widerstand war zu groß, die Kräfte waren zu gering, die erwartete Hilfe blieb aus. „Frei geht das Unglück durch die ganze Erde“, heißt es in Schillers „Wallenstein“.

Was versuchen die Menschen für Reaktionen auf die Vergeblichkeit ihres Wollens und ihres Schaffens? Wie kommen sie damit zurecht? Die einen ergreifen die Flucht. Sie suchen den Wachposten zu verlassen und zu entfliehen. Das Geschehen scheint sinnlos, das Leben ohne Wohlsein erscheint wertlos. Man kommt sich unnütz vor. Und so berichtet schon die Heilige Schrift wiederholt von Menschen, welche das Leben satt hatten und die Flucht ergriffen haben. „Ich habe es aufgegeben, ich will nicht leben fürderhin“, heißt es im Buche Job. Der Prophet Jonas wünschte sich den Tod und sagte: „Es ist besser für mich zu sterben als zu leben.“ Und manche haben den Tod nicht nur gewünscht, sondern sie haben ihn gesucht. Der König Saul ließ sich nach der verlorenen Schlacht von seinem Waffenträger töten, eine Art Selbstmord durch einen anderen. Und ihm haben es viele nachgemacht. Kurt Tucholsky nahm sich am 21. Dezember 1935 das Leben aus Verzweiflung über seine Krankheit und die Lage in Deutschland. Stefan Zweig beging am 23. Februar 1942 Selbstmord in Petropolis in Brasilien, ebenfalls aus Verzweiflung und Enttäuschung über sein Leben und über die politische Lage in Europa. Es wird wenige Menschen geben, denen nicht schon einmal der Gedanke gekommen ist: Ach, wenn ich doch sterben könnte! Wenn ich doch endlich Ruhe fände!

Man kann auch versuchen, in ein Traumland zu gehen und das Leben in seiner Flüchtigkeit anzusehen wie eine Welle, die emporgehoben wird und versinkt, wie ein Wolke, die zerrinnt. „Erglühen und Verbleichen gabst du uns als Traum. Ach wie flüchtig ist die Zeit. Was wir gestern kaum begonnen, heute liegt es schon so weit, grau und nebelhaft zerronnen. Ach, wie flüchtig ist die Zeit!“ hat Clemens von Brentano gedichtet. Und tatsächlich: „Rauch ist alles irdische Wesen. Wie des Dampfes Säule weht, schwinden alle Erdengrößen. Nur die Götter bleiben stet“, heißt es bei Schiller.

Viele, sehr viele machen das Schicksal für die Erfolglosigkeit und die Ergebnislosigkeit ihres Lebens verantwortlich, die Schicksalsverstrickung, die schon in der Antike eine große Rolle spielt. Das Schicksal ist mächtiger nach den griechischen Philosophen und Dichtern als alles menschliche Bemühen. Und so kommen manche zu pessimistischen Aussagen wie etwa Sophokles: „Niemals geboren zu werden wäre das beste. Auch in der Kindheit zu sterben, ist gut. Rings auf dem Meere des Lebens umdrohen dich Brandung und Klippen. Es treibe dein Kiel west- oder ostwärts, stets bleibst du in Sorgen, Wogen und Winden ein sicheres Ziel.“ Nicht nur die griechischen Philosophen und Dichter haben das Schicksal angerufen, auch in unserer Gegenwart gibt es Äußerungen, die das Schicksal für die Ergebnislosigkeit, ja manchmal sogar für die Sinnlosigkeit des Lebens verantwortlich zu machen versuchen. „Es murmeln die Wogen ihr ewiges Gemurmel. Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken. Es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt, und ein Narr wartet auf Antwort“, heißt es bei Heinrich Heine. „Ja, Schicksal, ich verstehe dich. Mein Glück ist nicht von dieser Welt. Es blüht ein Traum der Dichtung nur. Du sendest mir der Schmerzen viel und gibst für jedes Leid ein Lied.“ So hat uns Ludwig Uhland gedichtet.

Die Dichter und Philosophen sprechen oft von der Unentrinnbarkeit des Schicksals. Wir sind ihm ausgeliefert. „Sic erat in fatis“, heißt es bei Ovid, so stand es im Schicksalsbuche. Sic erat in fatis. „Wissend, schauend, unverwandt muss sich mein Geschick vollenden“ spricht Kassandra bei Friedrich Schiller. „Willst du mit den Kinderhänden in des Schicksals Speichen greifen, seines Donnerwagens Lauf hält kein sterblich Wesen auf“, dichtet Franz Grillparzer.

Viele Menschen, vielleicht auch wir reagieren auf die Ergebnislosigkeit ihres Mühens mit Lebensangst. Die Angst begleitet unser Leben. Die Lebensangst ist der natürliche Aufschrei der Kreatur. Lebensangst, die sich häufig mit Übermut paart, Lebensangst, die gierig nach dem Becher greift, um zu trinken; sie sucht Lebenswasser, aber sie findet nur Abwasser. Ich habe mich immer gewundert, wie sich die deutschen Unterseebootfahrer im letzten Kriege verhalten haben. Keine deutsche Waffe hatte so hohe Verluste wie die Unterseebootfahrer. Wenn sie von ihren Stützpunkten in Frankreich ausfuhren, wussten sie mit größter Wahrscheinlichkeit: Wir kommen nicht zurück. Und wie reagierten sie darauf? Sie feierten am letzten Abend vor der Ausfahrt wilde Feste mit Alkohol und Frauen. So gingen sie in den fast sicheren Tod. So suchten sie die Lebensangst zu betäuben.

Manche meinen mit Stolz ihr Leben wenden zu können, mit stolzer Gleichgültigkeit: Ach, im Grunde ist alles halb so schlimm. Dieser Stolz ist jedoch eine seelische Verkrampfung. Er führt zur müden Resignation, zum Neinsagen. Dieser Stolz erkennt nur das Gesetz der Notwendigkeit und nicht das Gesetz der Liebe. Ein Stoiker hat einmal gesagt: „Ich denke mir die Natur wie eine Frau, die einen prächtigen Mantel trägt mit einer Schleppe, und mit dieser Schleppe schreitet sie dahin und tötet die Ameisen, die ihr in den Weg kommen. Und ich bin so eine Ameise.“

Das alles sind Irrwege, auch wenn sie manchen als Auswege erscheinen mögen. Die einzige richtige Haltung gibt uns das Christentum, und diese Haltung lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Geduld. Im Römerbrief ist uns das Hohelied der Geduld angeklungen, wenn Paulus schreibt: „Trübsal wirkt Geduld (nicht Verzweiflung, nicht Angst), Geduld wirkt Bewährung, Bewährung wirkt Hoffnung, die Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden.“ Geduld, christliche Geduld ist Ausdauer und Einsatz aller Kräfte in schwierigen Lagen. Geduld ist Kraftentfaltung der Seele gegenüber den Lasten, die uns zufallen. Geduld ist das Ertragen gegenwärtiger Übel ohne ungeordnete Trauer. Geduld müssen wir aufbringen, wenn wir unser Leben und die Ergebnislosigkeit, die scheinbare Sinnlosigkeit unseres Schaffens ertragen wollen. Die Jünger hatten die ganze Nacht gearbeitet, doch das durfte sie nicht zum Aufgeben zwingen. „Werft eure Netze aus!“ sagt der Herr, und die enttäuschten, ermatteten Jünger werfen ihre Netze aus. Moses hat einmal in einer trüben Stunde gläubig und in Zuversicht ausgeharrt. „Er hielt sich an den, den er nicht sah, als sehe er ihn.“ Er hielt sich an den, den er nicht sah, als sehe er ihn. Die Apostel haben neu begonnen: „Auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen.“ So nur wird die Vergeblichkeit der Nacht in den Erfolg des Tages verwandelt. Und so höre ich den Ruf heute an uns ergehen, meine lieben Freunde: Nicht aufgeben, weitermachen, warten können, Vertrauen haben. Ich höre die Stimme des Herrn: „Jünger Christi, werft eure Netze aus! Katholische Männer und Frauen, werft eure Netze aus! Priester des Herrn, werft eure Netze aus! Katholische Eltern, werft eure Netze aus! Überwindet Mutlosigkeit und Verzagtheit, habt Zuversicht und Vertrauen. Gebt Zeugnis von dem Glauben, der euch trägt, legt Rechenschaft ab von der Hoffnung, die euch bewegt!

Gewiß, wir sind ohnmächtige Kinder Gottes. Aber der Mensch mit Gott ist stärker als alle anderen Menschen. Nichts Gutes, was ich will und was ich vollbringe, nichts Gutes, meine lieben Freunde, kann umsonst sein. Was Menschen vergeblich scheint, das ist ein Gewinn vor Gott. Nichts Schweres, was ich trage, hinterlässt nur Narben, sondern bringt auch Früchte in die Scheuer Gottes. All dies, auch das menschlich Vergebliche, auch das was uns sinnlos scheint, schwingt sich zum allwissenden und verstehenden Gott empor. Joseph von Eichendorff hat es einmal in die Worte gefasst: „Wenn die Wogen unten toben, Menschenwitz zuschanden wird, weist mit feurigen Zügen droben heimwärts dich der Wogen Hirt. Sollst nach keinem anderen fragen, nicht zurückschaun nach dem Land. Faß das Steuer, laß das Zagen, aufgerollt hat Gottes Hand die Wogen zu bewahren und die Sterne, dich zu wahren.“

Amen.

 

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Das Gleichnis vom ungerechten Verwalter

06.07.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

 

Da ist es wieder, dieses Ärgernis erregende Evangelium. Ärgernis erregend, ja. Die Gegner des Christentums nehmen das Gleichnis zur Zielscheibe schwerer Vorwürfe gegen Jesus, seine Verkündigung und die Kirche. Sie stolpern über die Worte: „Der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.“ Daraus wird nun fälschlich der Schluß gezogen, Christus erkläre sich irgendwie einig mit dem Verhalten des Verwalters. Das ist ein einziges Missverständnis. Nicht der reiche Mann, ein Großgrundbesitzer, wie es sie in der Zeit Jesu, vor allem in Galiläa, gab, nicht der reiche Mann ist die Hauptgestalt des Gleichnisses, sondern der Verwalter. Er wird bei seinem Herrn angeklagt, dass er seine Güter veruntreue, ob mit Recht oder nicht, bleibt unklar, ist auch für das Gleichnis gar nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass der Herr der Klage Glauben schenkt und es dem Verwalter nicht gelingt, das erschütterte Vertrauen wieder zu gewinnen. Er wird seines Amtes entsetzt und zur Rechenschaft gezogen, d. h. er muss alle Rechnungen vorlegen, alle Schuldscheine, die der Herr offenbar bisher nicht geprüft hat; vielleicht lebte er sogar im Ausland.

In dem Selbstgespräch, das jetzt das Gleichnis wiedergibt, wird gezeigt, dass der Mann mit Überlegungen für seine Zukunft beschäftigt ist. Etwa durch Bitten bei seinem Herrn etwas zu erreichen, sieht er offenbar als aussichtslos an. Nun gibt es aber zwei andere, anständige Wege, um sein Auskommen nach der Entlassung zu finden. Er könnte graben, d.h. er könnte schwere körperliche Arbeit tun. Oder er könnte betteln, also durch Fechten seinen Lebensunterhalt verdienen. Doch beides kommt aus verschiedenen Gründen für ihn nicht in Frage. Aber da kommt ihm ein rettender Gedanke, dessen Ausführung ihm über alle Zukunftssorgen hinweghelfen kann. Er ist entschlossen, mit absoluter Skrupellosigkeit und auf Kosten seines Herrn sich selbst zu helfen. Er nutzt die kurze Frist, die er noch hat; er muss ja die Papiere vorlegen. Und seine Überlegungen führen ihn zu der Erkenntnis, dass alles darauf ankommt, seine Vollmacht, die er noch für kurze Zeit besitzt, für die Sicherung seiner Zukunft zu benutzen. Er macht es so, dass er sie Schuldner seines Herrn, mit denen abzurechnen ja immer noch seine Aufgabe ist, kommen lässt und ihnen weitgehend entgegenkommt, indem er ihre Schuld herabsetzt. Er lässt jeden einzeln kommen. Das ist natürlich verständlich, denn solche Geschäfte, wie er sie vorhat, kann man nur einzeln, unter vier Augen, machen. Die Frage, wieviel der Schuldschein enthält, ist nicht zu dem Zweck gestellt, dass er sich selber informiert. Er weiß es ja, denn er hat ja die Schuldscheine in Händen, sondern das gehört zu der lebensvollen Darstellung und dient dem Verständnis des Zuhörers. Er lässt also einen nach dem anderen kommen, zwei nur werden vorgeführt. Der erste schuldet dem Herrn 100 Bat Öl. Ein Bat sind 36 Liter. 100 Bat Öl ist so viel wie der Jahresertrag von 160 Ölbäumen, der Jahresertrag von 160 Ölbäumen, das ist eine gewaltige Menge. Und bei dem anderen ist der Wert der Schuld nicht geringer: 100 Kor Weizen. Ein Kor sind 10 Bat, also auch eine gewaltige Menge. Die Schuld wird bei beiden ungefähr gleich sein. Die Schuldscheine werden jetzt geändert, und zwar so, dass der alte Schein durch einen neuen ersetzt wird. Die neuen Schuldurkunden gewinnen verpflichtende Kraft durch die Unterzeichnung für beide Beteiligte, und das sichert dem Verwalter die Zukunft, denn die Schuldner werden sich dank dieser Manipulation dankbar zeigen und ihn in ihre Wohnungen aufnehmen. Er braucht sich also für die Zukunft keine Sorgen zu machen.

Und jetzt kommt der entscheidende Satz: „Der Herr lobte den ungerechten Verwalter.“ Er lobte ihn wegen seiner Klugheit, nicht wegen seiner Ungerechtigkeit. Er wird nicht umsonst der ungerechte Verwalter genannt, weil der Herr an der Ungerechtigkeit überhaupt nicht rüttelt, aber er lobt seine Klugheit, dass er seine Vollmacht benutzt hat in der Zeit, wo er noch darüber verfügt, um für seine Zukunft zu sorgen. In der Klugheit, und in nichts anderen, liegt die Vorbildlichkeit seiner Handlung. Das ist immer so bei den Gleichnissen, die der Herr erzählt. Es ist ein einziger Zug, auf den es ankommt, alles andere ist Beiwerk. Und dieser Zug, auf den es hier ankommt, ist die Klugheit des Verwalters. Dadurch verliert das Gleichnis seine Bedenklichkeit. Mathilde Ludendorff, die die Älteren unter Ihnen vielleicht noch kennen, Mathilde Ludendorff, die in den 30er Jahren eine eigene Religionsgemeinschaft stiftete, hat wegen dieses Gleichnisses die katholische Kirche in schwerster Weise verdächtigt. Sie hat es nicht verstanden.

Es ist auch gar keine Frage, dass mit dem Herrn, der hier lobt, Jesus selber gemeint ist. Er lobt nicht den Betrug, und noch viel weniger empfiehlt er seinen Jüngern, nun auch zu betrügen, um sich Freunde zu machen. Er lobt nur die Klugheit des Mannes. Klüger, als er gehandelt hat, hätte er in seiner Lage gar nicht handeln können. Und allein darin setzt Jesus ihn, der gerade jetzt betont ihn als ungerechten Verwalter bezeichnet, ihn zum Vorbild. Und dann kommt eine sentenzenartige Schlussfolgerung, eine allgemeine Begründung, nämlich: Die Kinder dieser Welt sind im Verkehr mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichtes. Hier werden also zwei Gruppen von Menschen gegenübergestellt. Kinder dieser Welt. Wer ist damit gemeint? Nun, da wir wissen, dass nach dem Evangelium die Welt im argen liegt, dass der Teufel der Herrscher dieser Welt ist, muss man annehmen, dass die Kinder dieser Welt solche sind, die sich dieser im argen liegenden Welt verpflichtet halten und die dem Teufel als ihrem Herrn dienen. Weltmenschen sind das, Kinder dieser Welt. Kinder des Lichtes dagegen sind jene, die sich vom Glauben haben erleuchten lassen, die aus der Finsternis in das Licht Christi eingetreten sind, die jetzt als Kinder des Lichtes zu wandeln berufen sind.

Und jetzt kommt die Mahnung und, wenn Sie wollen, der Tadel an die Kinder des Lichtes. Sie tun nämlich weniger für ihr himmlisches Ziel, als die Weltmenschen für ihr irdisches Ziel unternehmen. Sie sollten sich bei der ungleich wichtigeren Aufgabe, nämlich für das ewige Ziel zu sorgen, mehr mühen als bisher und sich an dem auf den Eigennutz ausgerichteten Verhalten der Weltmenschen ein Beispiel nehmen. Sie sollten von ihnen lernen. Wie jene, die für ihren Untergang sorgen, sollten sie für ihr Heil besorgt sein. Die Jünger bedürfen offenbar solcher Belehrung. Sie sind zwar aus dieser Welt und ihren Bindungen durch Jesus herausgenommen, und sie sind in das Licht gestellt, das Gott umgibt und das in Jesus erschienen ist und wirksam geworden ist. Aber das Handeln, das Handeln nach den Maßstäben des Lichtes ist ihnen keineswegs selbstverständlich, wie es das Handeln nach den Maßstäben der Dunkelheit ist für diejenigen, die dort verblieben sind. Die Mahnung Jesu an seine Jünger lautet deswegen: „Seid nun die Menschen des Lichtes, zu denen euch Gottes vergebende Gnade gemacht hat. Und seid es bewusst und ganz. Und vor allem: Bewährt es durch die Art und Weise, wie ihr mit den Gütern dieser Welt und besonders mit dem Mammon umgeht.“ Es heißt also alles daran setzen, damit wir das ewige Leben erlangen. Oder wie es das kleine Verslein ausdrückt, das wir als Kinder gelernt haben: „Das hab ich mir vorgenommen: In den Himmel will ich kommen. Mag es kosten, was es will, für den Himmel ist nichts zuviel.“

Das Gleichnis gestattet aber noch eine andere Überlegung. Es gibt eine fundamentale Unterlegenheit des guten, himmlisch gesinnten Menschen gegenüber dem gerissenen, irdisch eingestellten Menschen. Es gibt eine fundamentale Unterlegenheit. Wieso? Erstens, der himmlisch eingestellte Mensch setzt nicht seine ganze Kraft und nicht alle seine Unternehmungen für irdische Ziele ein. Er verwendet einen Teil seiner Kraft für das jenseitige Ziel, zum Beispiel, dass er sonntags in die Kirche geht. Der irdisch eingestellte Mensch dagegen benutzt alle seine Kräfte dazu, auf Erden Gewinn zu machen, voranzukommen, und in dieser rücksichtslosen Entschlossenheit ist er dem himmlisch eingestellten Menschen überlegen. Zweitens, der himmlisch eingestellte Mensch ist bei Streitigkeiten leichter geneigt nachzugeben als der irdisch gesinnte Mensch. Er weiß, es gibt wichtigere Dinge als Besitz und Genuß. Der irdisch eingestellte Mensch dagegen beharrt unerbittlich auf seinen Forderungen. Er gibt nicht nach. Dadurch ist er dem himmlisch eingestellten Menschen überlegen. Er kommt leichter zu seinem Ziel. Drittens, der himmlisch eingestellte Mensch verzichtet bei seinen irdischen Bestrebungen auf Tricks und Winkelzüge. Er verzichtet auch auf den Ellenbogen. Er verzichtet erst recht auf unlautere Mittel. Dadurch ist er dem irdisch gesinnten Menschen unterlegen. Der irdisch eingestellte Mensch bedient sich aller Mittel, um seine Bestrebungen zum Erfolg zu führen. Er schreckt vor Täuschung und Lüge nicht zurück. Dadurch ist er dem himmlisch eingestellten Menschen überlegen.

Der Herr knüpft an dieses Gleichnis noch eine weitere Anwendung, nämlich die: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit man euch, wenn es zu Ende geht, in die ewigen Hütten aufnehme.“ Freunde machen mit dem ungerechten Mammon. Das Wort „ungerecht“ vor dem Mammon zeigt, dass eben leicht beim Gewinnstreben Unrecht unterlaufen kann. Wenn wir in unser Herz schauen, können wir vielleicht auch feststellen, dass wir bei dem Bestreben, Gewinn zu machen, nicht immer Gottes Willen getan haben. Deswegen die Bezeichnung des Mammons als „ungerecht“. Und der Herr fordert nun auf, den ungerechten Mammon so zu benutzen, dass man sich Freunde macht im Himmel. Wer ist denn damit gemeint? Es ist niemand anders gemeint als Gott selber, denn er ist es, der die Gerechten belohnt und die Ungerechten bestraft. Er ist es, der urteilt, wie wir mit dem Mammon umgegangen sind. Und wenn wir recht damit umgegangen sind, dann wird der Herr uns in die „ewigen Hütten“ aufnehmen. So heißt es nämlich im griechischen Text: in die ewigen Hütten, nicht Wohnungen. Und das ist offenbar im Gegensatz gesagt zu den Wohnungen, in die der ungerechte Verwalter aufgenommen werden will. Wir streben nach den Hütten der Ewigkeit, in die ewigen Hütten, die der Herr für uns bereitet hat.

Was wir heute nicht vorgelesen haben, weil es im Text der heiligen Messe nicht vorgesehen ist, das geht noch weiter. Da heißt es nämlich: „Wer im Kleinsten treu ist, der ist auch im Großen treu, und wer im Kleinsten untreu ist, der ist auch im Großen untreu. Wenn ihr nicht treu waret mit dem nichtigen Mammon, wird euch dann das wahre Gut anvertraut werden? Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Das ist tatsächlich eine weitere Anwendung. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder Gott diesen, dem ewigen Ziel, und alles, was wir auf Erden tun, auf dieses Ziel ausrichten, oder den irdischen Bestrebungen nachgeben, dem Mammon, also dem Verdienst, dem Gewinn, und auf diese Weise das ewige Ziel verpassen.

Wir, meine lieben Freunde, sollten aus diesem Gleichnis die Folgerung ziehen, dass uns Geld, Gut und Besitz Freunde schaffen kann im Himmel, wenn wir sie richtig verwenden. Das heißt nicht nur, dass wir Almosen geben, was auch dazu gehört. Nein, sondern dass wir eben mit dem Geld verantwortungsvoll umgehen, dass wir unseren Besitz so verwenden, wie wir es einmal vor dem Richterstuhl Gottes wollen verantworten können. Wir müssen also in die heilige Welt der wahren Werte gehen und uns vor allem an das unvergängliche Wort des Herrn erinnern: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, aber Schaden litte an seiner Seele?“

Amen.

 

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Christi Tränen über sein Volk

13.07.2008 

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

 

Geliebte im Herrn!

Es gehört zu den erschütterndsten Zeugnissen der Offenbarung: Gott weint über den Menschen. Enthüllt uns das nicht klarer als viele Worte das Wesen Gottes, das Herz Gottes, seine Gesinnungen gegenüber den Menschen? Und zeigt es uns nicht auch auf der anderen Seite, was der Mensch ist, welches dunkle Geheimnis er birgt und in welche Tiefen er hinabsteigen kann? Was ist Gott – und was ist der Mensch! Die letzten und tiefsten Fragen überfallen uns angesichts des weinenden Christus. Wer ist Gott, dass er über die Menschen weint? Was die ganze Geschichte des Volkes Israel offenbar gemacht hat, das wird hier auf dem Höhepunkt von Gottes Offenbarung in erschütternder Weise kund. Gott geht den Menschen nach auf ihren Wegen. Er sucht sie mit der ganzen Liebe seines Herzens heim.

Die Propheten haben in ergreifender Weise, durch Gott erleuchtet, mit dem Heiligen Geist begabt, diese Wege Gottes uns geschildert. „Ich, der Herr, rief dich in Güte“, heißt es beim Propheten Isaias. „Ich fasste dich bei der Hand und behütete dich.“ „So spricht der Herr: Ich will meinen Schafen nachgehen und sie heimsuchen. Wie ein Hirt seine Herde heimsucht und in ihre Mitte kommt, so will ich suchen, was verloren war, zurückführen, was verscheucht war. Was verletzt ist, will ich verbinden, und was schwach ist, will ich stärken“, so spricht Gott durch den Propheten Ezechiel. Und an einer anderen Stelle desselben Propheten heißt es: „Ich schließe einen Bund, den Bund des Friedens mit ihnen. Ein ewiger Bund soll es sein. Ich will sie segnen und sie mehren und meine Wohnung unter ihnen nehmen.“

Jesus kennt seinen Vater wie niemand sonst, und er selbst ist, von solcher Liebe gedrängt, als der Gute Hirt zu seinem Volk gekommen, um diese Verheißungen wahrzumachen. Er hat in seinen Reden unermüdlich die Botschaft vom Vater im Himmel und seiner erbarmenden Liebe verkündet, und er hat durch seine Machttaten und Wunder gezeigt, dass Gott alles daransetzt, um die Menschen zu gewinnen. Sie sollten spüren, dass das Reich Gottes in ihm auf die Erde gekommen ist. Er hat sich die Füße wundgelaufen und Hunger und Durst ertragen, um die Verlorenen zu suchen. Er selbst sagt es: „Jerusalem, Jerusalem, wie oft wollte ich deine Kinder sammeln, wie eine Henne ihre Küchlein sammelt!“ Dies ist ein ganz gewichtiges Wort: „Wie oft wollte ich deine Kinder sammeln.“ Dieses Wort zeigt uns, dass Jesus wiederholt in Jerusalem gewirkt hat und dass es also nicht richtig ist, zu behaupten, Jesus habe nur ein Jahr lang das Wort Gottes verkündet und sein Volk heimgesucht. Er muss mehrere Jahre gewirkt haben, und wir nehmen mit Recht an: es waren drei Jahre. „Wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein sammelt.“ Rastlos und unermüdlich hat er sich um sein Volk und namentlich um die Bewohner von Jerusalem bemüht. Und wenn er es jetzt sagt, wo er zum letzten Mal nach Jerusalem einzieht, dann ist das ein Zeichen, ein Ausdruck, ein wehmütiger Ausdruck einer verschmähten Liebe. Man könnte auch das Wort vom Karfreitag zitieren: „Mein Volk, mein Volk, was tat ich dir? Was hätte ich noch tun sollen? Was hätte ich dir noch mehr tun sollen und tat es nicht?“ Jetzt bietet der Herr noch einmal eine letzte Gelegenheit, jetzt am Palmsonntag, wo er in Jerusalem einzieht. Jetzt soll die Menge noch einmal zum Glauben geführt werden, und er lässt es jetzt geschehen, dass sie ihm huldigen. Früher hat er es abgewiesen, als sie ihn zum König machen wollten, weil er kein politischer Messias sein wollte, sondern ein religiöser. Aber jetzt, jetzt dürfen sie ihn als Messiaskönig ausrufen, jetzt dürfen sie ihm die Tore ihrer Stadt und ihrer Herzen öffnen. Der liebreiche Gott kommt jetzt einmal, noch einmal, zum letzten Mal durch seinen Sohn zu seinem geliebten Volke und bietet ihm Leben und Heil an.

Hätte das Volk nicht spätestens aufhorchen müssen und sich bekehren sollen, als es den Herrn auf den Halden von Jerusalem sitzen sah und weinen über sein Volk? „Seht, wie lieb er ihn hatte“, haben die Menschen gesagt, als er den Lazarus aus dem Grabe rief. Jetzt müßten sie sagen: „Seht, wie lieb er uns hatte, als er seine Tränen für uns vergoß!“ Das ist unser Gott. Das ist unser Gott, ein Gott, dessen tiefstes Wesen Liebe ist, der in sich die Fülle des Lebens trägt und sie dem Menschen vermachen will. Aus solcher Liebe hat er die Welt ins Leben gerufen. Manche fragen: Ja warum existiert denn überhaupt etwas? Warum ist nicht nichts? Die Antwort lautet: Weil Gott ein Gott der Liebe ist und eine Welt und Geschöpfe schaffen wollte, denen er Anteil geben wollte an seiner Liebe. das ist der Grund der Schöpfung. Und nicht genug: Als die Menschen sich verirrt hatten, als sie in die Irre geraten waren, da ist er ihnen nachgegangen, da hat er sie zurückzuführen versucht. Wir müssen an die Liebe dieses Gottes glauben.

Wir kennen die Einwände, meine lieben Freunde, wir wissen, wie Sorge und Not, Leid und Kreuz an vielen von uns zehren, manchmal, so scheint es, fast über die menschliche Kraft gehend. Aber wir dürfen nicht an der Liebe Gottes irre werden; wir dürfen es nicht! Wir müssen an diese Liebe glauben. „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege. Wie hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch sind meine Wege über euren Wegen, und meine Gedanken über euren Gedanken.“ Gott ist die Liebe, und es muss geglaubt werden, was der Apostel Paulus im Römerbrief schreibt: „Denen, die Gott lieben, gereicht alles zum Besten.“ Wir haben es also in der Hand, das, was uns widerfährt, zum Besten gereichen zu lassen, wenn wir es in der Liebe, in der Liebe zu Gott tragen.

Seine Tränen beweisen, dass er gekommen ist, uns zu erretten, dass wir glauben sollen: Gott ist ein Gott der Erbarmung und der Liebe. Doch daneben steht das dunkle Geheimnis des Menschen. Es sind ja Tränen einer enttäuschten Liebe, die Christus weint, und das ist es, was diese Tränen so erschütternd macht. „Jerusalem, Jerusalem, wie oft wollte ich deine Kinder sammeln – aber du hast nicht gewollt!“ Das ist der Nachsatz: Aber du hast nicht gewollt. Und im heutigen Evangelium kommt es über die Lippen des Heilandes: „Wenn doch auch du erkannt hättest an diesem deinem Tage, was dir zum Frieden dient! Nun aber ist es verborgen vor deinen Augen.“ Jerusalem müsste an diesem Tage, an diesem letzten Gnadentage, an diesem Tage, da es zum letzten Mal heimgesucht wird, erkennen, was Gott von ihm fordert, und es müsste Jesus als seinen Herrn und Messias anerkennen. Dann würde es die Bedingung für die Erlangung des Heiles erfüllen. Aber das ist unmöglich, weil ihm die Erkenntnis durch ein göttliches Strafverhängnis verschlossen ist. Jerusalem hat Jesus nicht als den Messias erkennen wollen, und deswegen ist es mit Blindheit geschlagen.

In Jesus haben sich nicht nur die seligen Verheißungen der Propheten erfüllt, sondern auch die düsteren Vorhersagen. „Ich rief. Warum gab niemand mir Antwort?“ heißt es beim Propheten Isaias. „Ich halte meine Arme den ganzen Tag ausgestreckt nach einem widerspenstigen Volke, das seinen eigenen Gedanken nachgeht auf unheilvollen Wegen. Sie haben den Bund mit mir gebrochen, obwohl ich doch der Herr bin“, lässt Gott den Propheten Jeremias sprechen. „Mich haben sie verlassen, den Quell lebendigen Wassers, und sich lächerliche Brunnen gegraben, die kein Wasser halten.“ Wie war es möglich, dass das Gottesvolk, das erwählte Gottesvolk seinen Heiland, nach dem es sich ja im Grunde sehnte, verkannte und verwarf? Er hat doch alles getan, um sich zu bezeugen. Seine Wunder, seine Weissagungen, seine Heilungen, das alles war doch angetan, ihn dem Volke als den Messias erkennen zu lassen. Und er ist ja von einigen erkannt worden. „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen“, schreibt der Apostel Johannes, „seine Herrlichkeit voll der Gnade und Wahrheit.“ Aber nicht alle wollten sie sehen. Die Liebe Gottes, die Wunder Gottes scheitern an dem tragischen Nichtwollen der Menschen. In unbegreiflicher Weise hat Gott gewollt, dass der Mensch fähig ist, sich Gott zu widersetzen. Ja, genauso ist es: Der Mensch ist fähig, sich Gott zu widersetzen. Gott hat ihn mit dem freien Willen ausgestattet, mit dem er Gott folgen, ihn anbeten und ihm dienen sollte. Aber der Mensch ist fähig, sich gegen Gott zu entscheiden. Und wenn er dies tut, dann ist er mit Blindheit geschlagen, dann kommt die Blindheit über ihn als eine dunkle Macht. Und so ist es dem auserwählten Volke ergangen. Es war berufen zu einer einzigartigen Gemeinschaft mit seinem Gotte, aber es versagte in der großen Mehrheit. Es versagte auch in der entscheidenden Stunde, da Jesus noch einmal zu ihm kam, um es aufzurütteln und zu Gott zurückzuführen.

Der Apostel Paulus hat im 1. Korintherbrief, von dem wir ja heute die Lesung gehört haben, das Schicksal des Volkes in ergreifender Weise geschildert. „Ich möchte euch, meine Brüder, nicht in Unkenntnis lassen, dass unsere Väter alle unter der Wolke waren, alle durch das Meer zogen, alle in der Wolke und im Meere eine Taufe empfingen, dass alle eine geistige Speise aßen und alle denselben geistigen Trank genossen. Und doch hatte Gott an den meisten von ihnen kein Wohlgefallen. Und so wurden sie in der Wüste niedergestreckt.“ Und jetzt kommt, was uns angeht: „Das ist uns zum Vorbild geschehen. Es soll uns nicht nach dem Bösen gelüsten, wie es jenen gelüstete. Alles, was ihnen widerfuhr, ist vorbildlich für uns geschehen, uns zur Warnung, uns, die wir die Vollendung der Zeiten erleben. Wer steht, der sehe zu, dass er nicht falle!“

Diese warnenden Beispiele aus dem Alten Testament sind uns zum Heile geschehen. So wie das ganze Volk Israel in seiner Weise von Gott begnadet wurde durch die Führung in der Wüste, durch die wunderbare Speisung, so kann auch das gläubig gewordene Volk keine absolute Heilsgewißheit gewinnen durch Gebet, Gottesdienst, Taufe und Meßopfer. Das alles genügt nicht, wenn die ernstliche Anstrengung und der tapfere Kampf gegen das Böse fehlt. Taufe und Meßopfer sind keine Heilsgarantie für Ungehorsame, die sich durch ihr Handeln den Gnadenerweisungen Gottes widersetzen. Die Rettung vor dem Untergang ist also nicht von einem religiösen, nicht von einem sakramentalen Automatismus zu erwarten. Man muss sich bewähren im Leben, in der Arbeit, im Beruf, gegenüber seiner Familie, seinen Nachbarn, seinen Kollegen. Man muss sich bewähren im sittlichen Ringen mit der eigenen Natur, in der Abwehr der Versuchungen, im Erwerb von Tugenden. Es wird niemand gekrönt, der nicht recht gekämpft hat. Und Christus zeigt uns mit Tränen bitteren Wehes das Ende des Weges, das dem Volke bevorsteht. „Es werden Tage über dich kommen, da werden deine Feinde dich mit einem Wall umgeben (Belagerung); sie werden dich ringsum einschließen (kein Auskommen aus der Stadt), und sie werden dich von allen Seiten bedrängen. (Immer neue Maschinen werden herangebracht, die Mauern zu beschießen). Sie werden dich samt deinen Kindern in deinen Mauern zu Boden schmettern und werden keinen Stein auf dem anderen lassen, weil du die Zeit deiner Heimsuchung nicht erkannt hast.“

Die Stadt des Friedenskönigs weist in Jesus Gott ab, und diese Ablehnung bedeutet, dass es Untergang und Verderben wählt. Es besteht gar kein Zweifel, dass Jesus die politische und militärische Zerstörung Jerusalems durch die Kaiser Vespasian und Titus vorausgesehen und vorausgesagt hat. Daran besteht gar kein Zweifel. Er konnte schon aus rein natürlichen, menschlichen Überlegungen zu dieser Voraussage kommen. Einmal stand ihm ja das Schicksal Jerusalems im 6. Jahrhundert v. Chr. vor Augen, wo die Stadt zerstört wurde von den Babyloniern. Und zum anderen bemerkte er ja das Wachsen der antirömischen Stimmung im Volke. Immer mehr Leute ergrimmten sich gegen die Besatzungsmacht, und das musste eines Tages zur Explosion führen. Und was das bedeutete gegenüber dem Weltstaat Rom, das musste ihm auch klar sein. Er freilich hat nicht nur aufgrund natürlicher Überlegungen diese Prophezeiung gegeben, sondern er war von Gott, vom Vater im Himmel erleuchtet. Er wusste, der Untergang Jerusalems ist die Folge seines Unglaubens. Zur Strafe dafür, dass es seine Gnadenstunde verkannt hat und Jesus nicht als Messias angenommen hat, wird es sich gegen Rom empören und dadurch sein Verderben herbeiführen.

Ich sage es mit Trauer, meine lieben Freunde: Jetzt gehen Erklärer, katholische Erklärer der Heiligen Schrift her und sagen: Diese Weissagung ist, nachdem alles geschehen war, vom Evangelisten Jesus in den Mund gelegt worden. Jesus hat also gar nicht prophezeit, sondern der Evangelist hat Jesu Leben und Jesu Reden romanhaft ausgeschmückt. Hier ist die Axt an die Wurzel der Glaubwürdigkeit der Evangelien gelegt. Es ist mir unbegreiflich, warum man versucht, an den Weissagungen Jesu zu rütteln. Es gibt doch schon außerhalb der Welt Gottes im natürlichen Bereich erstaunliche Vorhersagen der Zukunft. Am 30. Januar 1933 ernannte der Reichspräsident Hindenburg einen Mann namens Adolf Hitler zum Reichskanzler. Als das geschah, schrieb der ehemalige Generalstabschef Hindenburgs, der General Ludendorff, an seinen früheren Feldherrn: „Ich prophezeie Ihnen feierlich, dass dieser unselige Mann unser Reich in den Abgrund stoßen, unsere Nation in unfassbares Elend stoßen wird. Kommende Geschlechter werden Sie verfluchen in Ihrem Grabe, dass Sie das getan haben.“ Das war auch eine Prophezeiung, und sie ist in Erfüllung gegangen. Warum soll also Jesus nicht das schreckliche Ende Jerusalems vorausgesehen und vorausgesagt haben? Er, der das Licht vom Vater im Himmel erhält. Alles, was ihnen widerfuhr, ist uns zur Warnung geschehen. Wer steht, der sehe zu, dass er nicht falle!

Sie wissen, meine lieben Freunde, dass wir alle in Gefahr sind, in der Gefahr, uns blenden zu lassen vom Glanz dieser Welt, selbstherrlich und selbstgefällig zu werden. Der weinende Christus mahnt uns zur Wachsamkeit, damit nicht über uns einmal gesagt werden muss: Nun aber ist es verborgen vor deinen Augen. Und es ist mir heute, als säße unser Herr, unser Heiland auch an den Halden unserer Städte und weinte, weinte über die Verirrten, die den Weg des Heils verloren haben, die ihm als ihrem Hirten zu folgen verschmähen, die im Ungehorsam verstockt sind. Er weint über jene, die das Taufgelöbnis zertreten und das milde Joch seiner Gesetzes abgeschüttelt haben. Er weint über die Schmähungen, die gegen ihn und die Heiligen ausgestoßen werden. Er weint über den Schimpf, der gegen seinen Statthalter und gegen den Priestertand gerichtet ist. Er weint über die öffentliche Schuld der Völker, welche die Rechte und das Lehramt der von ihm gestifteten Kirche verwerfen.

Vernehmen wir die Botschaft des weinenden Christus! Verstehen wir, dass seine Tränen uns zur Bekehrung drängen! Erkennen wir, was er von uns will in dieser, vielleicht in dieser letzten Stunde!

Amen.

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Das Sittengesetz als Grundlage des privaten und öffentlichen Lebens

27.07.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Bei bestimmten Gelegenheiten, vor allem vor Wahlen, hören wir immer wieder, wie Menschen sich erstaunt zeigen, dass andere christliche Überlegungen in das öffentliche Leben, in die politische Diskussion einbringen. Sie sagen: Religion ist Privatsache, und die politischen Entscheidungen haben mit Glaubensangelegenheiten nichts zu tun. Ebenso – sagen sie – ist es Sache des Einzelnen, was er in seinem Privatleben tut und lässt. Zwei grundlegende, grundlegend falsche Auffassungen bestimmen unser politisches Leben. Die erste lautet: Religion ist Privatsache. Die zweite falsche Meinung heißt: Das Privatleben geht das politische Leben nichts an.

Diese falschen Ansichten haben ihre Wurzel darin, dass man das Christentum, die Religion, die Kirche auf eine Stufe stellt mit Parteien, Gewerkschaften, Sportvereinen. Ja, wenn die Kirche nur das wäre, dann allerdings wäre ihre Botschaft unbeachtlich. Aber die Kirche ist mehr als ein Verein. Sie ist die Heroldin Gottes auf Erden. Sie ist die Vertreterin des göttlichen Herrschaftsanspruches auf Erden. Die Kirche ist der Interpret des Hoheitsanspruches Gottes. Und weil sie das ist, kann Religion niemals eine Privatsache sein. Gott ist der Herr und Schöpfer der Welt. Das ganze Leben des Menschen wird von ihm beansprucht, ohne Ausnahme, das private und das öffentliche Leben.

Gerade das politische Leben ist ja besonders der Weisungen Gottes bedürftig. Es steht niemandem zu, zu sagen: Gewiß, was das Heiraten angeht und die Kindtaufe, die Beerdigung, da hält man sich an die Religion, man ist auch bereit, Weihnachten und Ostern einmal den Gottesdienst zu besuchen. Aber was wir sonst tun und lassen, dafür braucht sich unser Herr und Schöpfer nicht zu interessieren. Es ist völlig irrig, Gott auf die eine Stunde des Gottesdienstes am Sonntag beschränken zu wollen. Es kann keinen menschlichen Bereich ohne Gott, ohne Christus und ohne die Kirche geben, nicht den Beruf und nicht den Feierabend, nicht die Familie und auch nicht Kunst und Wissenschaft und schon gar nicht die Politik. Denn nichts bestimmt so sehr den Lauf der Welt wie das politische Geschehen. Davon hängt es ab, ob die Menschen in Frieden oder Unfrieden leben, on Ehrfurcht vor Gott besteht oder nicht. Über die Wichtigkeit der Religion hat einmal der griechische Philosoph Aristoteles geschrieben: „Die Sorge für die Religion ist die erste Aufgabe des Staates.“ Der Staat hat zwar nicht die Religion selbst zu betreiben, aber er soll sie pflegen und beschützen. Er soll ihr Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit sichern. Er soll der Religion die Stellung eines Grundgesetzes im Tun und Lassen geben. Das öffentliche Leben kann nicht religionsfrei sein, denn wenn es von der Religion frei wäre, dann wäre es unreligiös, areligiös und antireligiös.

Die Geschichte aller Völker beweist es: Der religionslose Staat wird, wenn er sich auswirkt, notwendig zum sittenlosen Staat. „Wer dem Volke die Religion nehmen will, ist entweder ein Bösewicht oder ein Narr“, hat der Vater der amerikanischen Verfassung, George Washington, einmal gesagt. Wer dem Volke die Religion nehmen will, ist entweder ein Bösewicht oder ein Narr. Gott muss herrschen im öffentlichen wie im privaten Leben. Wie soll privates Leben in Religion und Frömmigkeit möglich sein, wenn das öffentliche Leben das private erstickt, wenn das öffentliche Leben die Religion unterdrückt und ihr keinen Freiraum gewährt? Auch das öffentliche Leben untersteht dem Hoheitsanspruch Gottes. Die Gesetze des Staates müssen sich an den Geboten Gottes ausrichten. Was Gott verbietet, darf der Staat nicht erlauben, und was Gott gebietet, darf der Staat nicht missachten. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder das öffentliche Leben wird von religiösen Grundsätzen bestimmt, oder es wird durch unreligiöse Prinzipien beherrscht.

Warum, meine lieben Freunde, warum haben die Iren, dieses kleine Volk, warum haben die Iren das neue Grundgesetz für die Europäische Union abgelehnt? Eines der Motive war: Sie fürchten, dass in Brüssel und in Straßburg die Religion zu kurz kommt. Sie fürchten, dass der christliche Einfluß in den europäischen Institutionen immer mehr abnimmt. Die Gesetze müssen sich an Gottes Willen ausrichten. Aber auch die Regierung muss nach Gottes Willen handeln. Ihre oberste Maxime muss sein, Gottes Willen Achtung zu verschaffen. Die Gebote Gottes müssen auch für die Regierung Richtschnur sein. Keine Handlung, die moralisch verwerflich ist, kann als politisch zulässig gelten. „Was moralisch falsch ist, kann politisch nicht richtig sein.“ Dieses Wort stammt von dem englischen Ministerpräsidenten Gladstone. Was moralisch falsch ist, kann politisch nicht richtig sein.

Aber wonach richtet sich die Politik? Sie richtet sich nach der Mehrheit. Die Mehrheit will es, sagt man. Aber die Mehrheit legitimiert ein Gesetz nicht, sondern die Wahrheit. Die Mehrheit ist von unseren Dichtern und Denkern schon öfters als eine schwache Legitimationsgrundlage bezeichnet worden. Friedrich Schiller hat in seinem Dichtwerk „Demetrius“ folgende Äußerungen gemacht: „Was ist Mehrheit? Mehrheit ist Unsinn. Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen.“ Und an einer anderen Stelle in demselben Werk heißt es: „Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen. Der Staat muss untergehen, früh oder spät, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.“

Woher kommt die heillose Unordnung in unserer Welt? Durch die Zerreißung in religiöse und öffentliche Angelegenheiten, durch die Zertrennung der öffentlichen Bereiche von der Religion. Daher kommt diese heillose Unordnung. Weil die Regierungen, weil die Parlamente sich nicht Gott zum obersten Gesetzgeber nehmen, deswegen wird die Welt fortlaufend in Unfrieden gestürzt. Er ist der Herr und Schöpfer, er hat zu befehlen, was im Alltag geschehen soll. Für Gott gibt es keinen Urlaub; für Gott gibt es auch kein Schild: „Für Unbefugte ist der Zutritt verboten!“ Gott will herrschen im Rathaus wie im Parlament. Das öffentliche Leben muss sich von religiösen Prinzipien leiten lassen, wenn es nicht in eine falsche Richtung laufen will.

Aber auch das Privatleben muss von der Religion geleitet sein. Man sagt: Nein, das Privatleben ist unbeachtlich für die Politik, für das Wirken in der Öffentlichkeit. Im privaten Leben kann jeder machen, was er will, wenn er nur nicht mit den Strafgesetzen in Konflikt gerät. Meine lieben Freunde, was im privaten Leben geschieht, ist höchst beachtlich für das Wirken in der Öffentlichkeit; denn vom privaten Leben lässt sich auf das Wirken in der Öffentlichkeit schließen. Das private Leben macht sich im öffentlichen Leben bemerkbar. Ein Mensch kann nicht eine Stunde religiös sein und in einer anderen Stunde nicht religiös, ebensowenig wie er eine Stunde gesund sein kann und in einer anderen Stunde krank. Die menschliche Persönlichkeit lässt sich nicht zerteilen. Wer religionslos oder sittenlos ist, ist es nicht nur im privaten Leben, sondern es wird sich unweigerlich seine Religionslosigkeit oder Sittenlosigkeit auch im öffentlichen Leben geltend machen.

Von Robespierre stammt das schöne Wort: „Ich glaube nicht, dass ein schlechter Mensch ein guter Politiker sein kann.“ Wie richtig! Ich glaube nicht, dass ein schlechter Mensch ein guter Politiker sein kann. Die Geschichte liefert den Kommentar zu diesem Worte Robbespieres. Die Geschichte weiß viele Personen zu nennen, deren zerrüttetes privates Leben unheilvoll sich auf ihr öffentliches Wirken ausgewirkt hat. Sie haben vielleicht schon den Namen des französischen Ministerpräsidenten Clemenceau gehört. Clemenceau war ein ungetaufter Atheist, ein grimmiger Hasser des Christentums, ein erbitterter Feind der katholischen Kirche. Er war in seinem Inneren zerfressen vom Haß. Der Haß gegen die Religion war ein bestimmendes Motiv seines ganzen Lebens. Nicht umsonst hatte er den Beinamen „le tigre“, der Tiger. Auf ihn geht in der Hauptsache der Vertrag von Versailles zurück. Dieser Vertrag, der Deutschland zerstückelte, der dem deutschen Volke unermeßliche Zahlungen auferlegte, der das deutsche Volk demütigte und auf diese Weise den Keim zu einem neuen Kriege legte. Der Zentrumspolitiker Ludwig Kaas hat einmal das treffende Wort gesagt: „Hitler ist nicht in Braunau, sondern in Versailles geboren.“ Er wollte damit sagen, ohne die furchtbaren Verhältnisse, wie sie durch den Vertrag von Versailles geschaffen wurden, hätte der Demagoge Hitler niemals soviel Zuspruch gefunden, wie er gefunden hat. Wer segensreich in der Öffentlichkeit wirken will, muss als sittliche Persönlichkeit in Ordnung sein. Er muss Tugenden besitzen, ja, ich muss es aussprechen: Er muss im Stande der heiligmachenden Gnade sein. Er muss Gott als den höchsten Herrn anbeten und verehren. Ich habe Angst vor Politikern, die nicht beten und die nicht bereuen.

Führende Persönlichkeiten haben auch eine Vorbildfunktion. Sie sollen neben ihrer politischen Tätigkeit ein beispielhaftes Privatleben führen. Das Volk soll an ihnen ablesen können, wie man zu Ehe und Familie stehen soll. Aber wie sieht es oft mit dem Privatleben unserer führenden Männer und Frauen aus? Von dem französischen Präsidenten Giscard d’Estaing wurde bekannt, dass er zu nächtlicher Stunde Bordelle besuchte. Die französischen Zeitungen schieben dann: „Der Präsident hat ein Recht auf ein Privatleben.“ Dass ich nicht lache! Er hat kein Recht auf Unzucht; er hat kein Recht, ein Ehebrecher zu sein. Ich möchte nicht von Ehebrechern regiert werden. Führende Persönlichkeiten haben eine Vorbildfunktion. Sie sollen auch uneigennützig sein. Die Franzosen haben dafür das schöne Wort „désintéressiment“. Man soll also als Politiker uneigennützig handeln. Und wie viele tun das? Als der französische Polizeiminister Joseph Fouché im Jahre 1789 seine politische Laufbahn begann, war er ein mittelloser Lehrer, ein Oratorianer. Als er seinen Dienst in der Politik beendete, hatte er ein Vermögen von 21 Millionen Franken angehäuft. Wie kam er zu so viel Reichtum? Offenbar nicht deswegen, weil er dem Staat selbstlos und uneigennützig gedient hatte. Ich sage: Wer als sittliche Persönlichkeit nicht in Ordnung ist, der ist ungeeignet, ein Volk zu lenken. Wer sich selbst nicht recht führen kann, der kann auch andere nicht regieren. Von dem weisen indischen Politiker Mahatma Gandhi stammt das schöne Wort: „Eine Führerpersönlichkeit muss sich selbst beherrschen und darf Zorn und Furcht nicht kennen.“ Wie richtig! Eine Führerpersönlichkeit muss sich selbst beherrschen und darf Furcht und Zorn nicht kennen. Eine Führerpersönlichkeit muss auch fähig und gewillt sein, der Wirklichkeit ins Auge zu schauen. Das war ja das Verhängnis unseres schrecklichen Reichskanzlers Hitler, dass er die Wirklichkeit nicht wahrnahm. Er gestaltete sich die Wirklichkeit nach seinen Vorstellungen. Er wollte nicht wahrhaben, was in Wirklichkeit geschah. Bereits im Jahre 1941 im Oktober stellte der Generaloberst Fromm fest: „Der Krieg muss sobald wie möglich beendet werden, sonst ist er verloren.“ Aber Hitler führte ihn noch vier Jahre weiter. Es ist das Unglück so vieler Regierender, dass sie die Wahrheit nicht vertragen.

Die Heilige Schrift hat strenge Maßstäbe für die Hirten der Kirche aufgestellt. Auch sie sind Regenten; auch sie sind Führer. Und sie verlangt von den Hirten der Kirche, dass erst ihr privates Leben in Ordnung ist, bevor sie die Kirche Gottes weiden können. „Wenn einer seinem eigenen Hause nicht vorzustehen weiß, wie wird er für die Kirche Gottes sorgen?“ Wenn einer seinem eigenen Hause nicht vorzustehen weiß, wie wird er für die Kirche Gottes sorgen? Das katholische Volk ist mit Recht entsetzt und erschüttert, wenn es erfährt, dass ein Priester oder ein Bischof ein Doppelleben führt, dass er einerseits die Gebote Gottes verkündet und andererseits ein schwer sündhaftes Leben führt. Die Heilige Schrift hat für solche scharfe Worte. „Wer für die Seinigen, zumal für seine Hausgenossen nicht Sorge trägt, hat den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger.“

Für die Persönlichkeiten, die im öffentlichen Leben stehen, ist das Privatleben nicht unbeachtlich. Wird ein bequemer, arbeitsscheuer Mensch ein eifriger Politiker sein? Wird ein egoistischer Selbstversorger im Amt ein gerechter Sachwalter für alle sein? Wird ein zänkischer Streithammel in einer öffentlichen Stellung ein Friedensbringer sein? Wir sollten, meine lieben Freunde, wenn sich uns Politiker zur Wahl empfehlen, eifrig ihr Privatleben erforschen, denn wir benötigen bekennende Christen in den Parlamenten und den Regierungen. Wir brauchen Männer und Frauen, die bei der Beratung der Gesetze und bei der Fällung von Entscheidungen nach Gottes Willen fragen. Und damit wir solche Persönlichkeiten wählen, müssen wir ihr Privatleben kennen. Gott beansprucht den ganzen Menschen im öffentlichen wie im privaten Leben.

Vor einiger Zeit hat ein Bonner Rechtslehrer, Josef Isensee, richtig darauf hingewiesen, dass in die höheren Richterstellen immer mehr Männer und Frauen einsickern, die zu den so genannten 68ern gehören, die also von Religion und Sittlichkeit wenig halten und die selbstverständlich von diesen Anschauungen geprägt sein werden, wenn sie Entscheidungen im Gericht fällen. Wir müssen uns also auch in der Gerichtsbarkeit darauf gefasst machen, dass immer mehr Entscheidungen gefällt werden, die nicht von Religion und Sittlichkeit geprägt sind.

Es gibt nur einen Totalitätsanspruch auf Erden, und das ist jener, den Gott erhebt. Christ ist nicht, wer diesen Namen für sich in Anspruch nimmt, sondern Christ ist nur, wer bereit ist, sein ganzes privates und öffentliches Leben ohne Abstrich von den göttlichen Geboten prägen zu lassen. Religion ist keine Privatangelegenheit, und das Privatleben ist nicht unbeachtlich. Sowohl das öffentliche Leben wie das private Leben muss gelenkt und bestimmt sein von den Geboten Gottes und von der Sittenlehre der Kirche.

Amen.

 

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Die Verdienste des Menschen – Geschenke der Gnade Gottes

20.07.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Dass unser Herr milde, gütig und menschenfreundlich war, ist jedem offensichtlich. Er war der gütige, verstehende und verzeihende Meister. Er verzieh dem Petrus seine Verleugnung, er rettete die Ehebrecherin vor der Steinigung, er hat dem Schächer, der mit ihm gekreuzigt war, wegen eines einzigen guten Wortes das Paradies verheißen. Unser Herr war milde, sanft; er segnete, er tröstete, er half und heilte. Er konnte traurig werden, wenn die Menschen seine Verkündigung nicht begriffen, wenn sie immerfort einen nationalen, einen irdischen Messias begehrten. Er konnte traurig werden, wenn er sah, wie man seine religiösen Forderungen abwies. Aber niemals hat er ein hartes oder drohendes Wort deswegen.

Aber plötzlich hören wir an einigen Stellen des Evangeliums Äußerungen von ihm, die uns erschrecken. Bei manchen Gelegenheiten ist der Herr von einer außerordentlichen Schärfe und Schroffheit. „Wehe euch, ihr Pharisäer und Schriftgelehrten, ihr Heuchler. Ihr gleicht übertünchten Gräbern. Von außen sehen sie zwar schön aus, aber innen sind sie voll Totengebein und allem Unrat. So erscheint ihr äußerlich recht vor den Menschen, innerlich aber seid ihr voll Heuchelei und Schlechtigkeit.“ Und an einer anderen Stelle: „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler. Ihr gebt den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel. Aber das Große am Gesetz, das lasst ihr dahinten: Gerechtigkeit, Treue und Wahrhaftigkeit. Dies soll man tun und das andere nicht lassen.“ Und wieder an einer anderen Stelle: „Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Laß mich den Splitter aus deinem Auge ziehen, und siehe, in deinem Auge steckt ein Balken? Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann magst du sehen, wie du den Splitter aus dem Auge des Bruders ziehst.“

In diese scharfen Wendungen des Herrn fügt sich das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner ein, das wir heute gehört haben. Wir haben alle unsere liebe Not damit, einerseits das notwendige Maß an Selbstgefühl und Selbstvertrauen zu bewahren, ohne in pharisäische Überheblichkeit zu verfallen, andererseits uns sündig zu erkennen und vor dem Schöpfergott zu demütigen, ohne das Menschentum zu verraten, das ja auch uns als Talent von Gott gegeben ist. Aber da sind wir dem Kern unserer Frage schon sehr nahe. Der Zöllner des heutigen Evangeliums soll uns nicht zum Kriechertum anleiten. Er darf nicht jenen Menschen zum Trost oder zur Bestätigung sein, die Demut mit Schwäche verwechseln, die zu kleinmütig sind, um in der Kämpfen der streitenden Kirche mitzumachen, deren Religion die Angst ist und deren Untüchtigkeit als Tugend gilt. Das Wertvolle an diesem Mann ist, dass er seine Verfehlungen nicht verschleiert, nicht entschuldigt, nicht beschönigt. Was den Pharisäer zum Pharisäer macht, ist nicht so sehr sein übersteigertes Selbstgefühl, sondern seine törichte Überheblichkeit. Es kommt ihm nicht in den Sinn, vor den Herrgott hinzutreten und um Verzeihung zu bitten und dadurch gerechtfertigt zu werden. Nein, er will kein armseliger Sünder sein vor Gott; er fühlt sich als Tugendbold und sagt: „Ich bin nicht wie die übrigen Menschen.“ Wie die übrigen Menschen, also wie alle übrigen Menschen. Er ist der einzige, der eine Ausnahme macht. „Ich bin gerecht“, so spricht er, „die anderen sind Sünder.“ Und da sieht er auf diesen Mann, der neben ihm steht und gibt ihm gleich einen Seitenhieb: „…oder wie dieser Zöllner da. Ich bin der einzige Gute, der da gehört zu den übrigen.“ Um was er Gott gebeten hat, wird man vergeblich suchen. Er kam nicht, um zu bitten, er kam, um sich zu loben! Das ist noch das Geringste, dass er Gott nicht bittet, sondern sich selbst lobt. Schlimmer ist, dass er den demütig Flehenden auch noch verhöhnt.

Der Zöllner steht von ferne. Das heißt, er traut sich nicht in die Nähe. Er hat ein schuldbeladenes Gewissen, und das lässt ihn von ferne stehen. Er wagt nicht, den Blick zum Himmel zu erheben, denn er ist sich seiner Schuld bewusst. Er hat nicht einmal den Mut, die Augen zu Gott aufzurichten. Das Gewissen beugt ihn nieder. Und er schlägt an die Brust. An die Brust schlagen heißt bekennen, dass man der Strafe würdig ist. Das An-die Brust-Schlagen ist ein Ausdruck dafür, dass man weiß: Kraft meiner Sünde bin ich der Strafe Gottes würdig. Und dann spricht er: „Herr, sei mir Sünder gnädig!“ Was wundert es uns, dass Gott Nachsicht übt und ihm die Sünden verzeiht? „Wahrlich“, so sagt er, „dieser ging gerechtfertigt nach Hause, der andere aber nicht.“ Und warum? „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden. Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“

Es ist und bleibt für uns, meine lieben Freunde, eine ernstzunehmende Aufgabe, uns vor dem pharisäischen Geiste, der in uns aufkommen möchte, zu hüten. Der Fromme kann auf den Gedanken kommen, sich über den Unfrommen zu erheben. Und in der Tat: Der Mensch, der Gott verehrt, der betet, der den Gottesdienst besucht, der Mensch, der Gott liebt und Gott dient, der steht objektiv über einem anderen, der all das nicht tut. Aber wem verdankt er diese Haltung, diese Tugenden? Er verdankt sie Gott, der alles in ihm wirkt. Wie schreibt der Apostel Paulus an seine korinthischen Christen: „Keiner soll sich aufblähen auf Kosten der anderen. Wer gibt dir den einen Vorzug? Was hast du denn, das du nicht empfangen hast?“ Das ist der entscheidende Satz: „Was hast du denn, das du nicht empfangen hast? Hast du es aber empfangen, was rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“ Und der heilige Augustinus drückt dasselbe auf seine Weise aus: „Wer Gott gegenüber seine Verdienst aufzählt, der zählt damit Gottes Geschenke auf.“ Noch einmal: Wer Gott gegenüber seine Verdienste aufzählt, der zählt damit Gottes Geschenke auf. Denn Verdienste schafft nur die Gnade, und vor der Gnade und ohne die Gnade gibt es keine Verdienste.

Wer gibt uns das Recht, meine lieben Freunde, uns an anderen zu messen und andere unter uns zu stellen? Wir wissen doch um unsere Schwächen, Fehler, Sünden, Versäumnisse, Nachlässigkeiten. Wir wissen um unser Versagen, unser Zurückbleiben vor den Forderungen Gottes. Und wenn wir auch vielleicht jetzt uns vor schweren Sünden bewahren: Wir brauchen nur in unsere Vergangenheit zu schauen, und da wissen wir, dass wir von Gott aus der Sünde gerettet worden sind. Die Bedingungen, unter denen andere handeln, kennen wir nicht. Wir wissen nicht um ihre Veranlagung, wir wissen nicht um ihre Erziehung, wir wissen nicht um ihre Schicksale. Und deswegen ziemt es sich, die Weisung aus dem Buch von der Nachfolge Christi zu beachten: „Kehre deinen Blick auf dich selbst und erkühne dich nicht, zu richten, was andere tun! Denn wer andere gern richtet, hat nichts davon, irrt sich öfters und sündigt leichfertig. Wer andere gern richtet, hat nichts davon, irrt sich öfters und sündigt leichtfertig. Wer sich aber selbst richtet und erforscht, der zieht immer reichen Nutzen daraus.“

Nun meine ich allerdings, unter den Frommen sind die Pharisäer heute selten. Die Frommen, die ihre Gewissenserforschung halten, die Reue erwecken, die den Weg zum Beichtstuhl finden, die Frommen sind heute selten, äußerst selten Pharisäer. Aber unter den anderen, unter den Unfrommen sind um so mehr Pharisäer. Die Pharisäer sind heute nicht unter den frommen Kirchenchristen zu finden. Die Pharisäer sind jene, die hochmütig auf die Kirchenchristen herabschauen und sagen: Das Kirchengehen ist nicht nötig, das Beichten ist nicht nötig, der Meßbesuch ist nicht nötig. Die Pharisäer von heute sind jene, die auf die christliche Moral pfeifen und sich dabei wohlzufühlen meinen. Die Pharisäer von heute sind jene, welche die Kirche auffordern, ihre Sittenlehre zu ändern, damit ihr liederlicher Lebenswandel nicht mehr gerügt werden kann. Die Selbstgerechtigkeit, die Überheblichkeit, die Beschwichtigung und die Beschönigung der Sünde finden sich in unserer Zeit außerordentlich häufig bei den Unfrommen. Sie bagatellisieren die Sünde, manche gebrauchen das Wort Sünde überhaupt nur noch, wenn sie zuviel gegessen haben. Und die ganze Unterhaltungsindustrie ist ja darauf ausgelegt, die Sünde zu verschweigen oder lächerlich zu machen. In einem Schlager heißt es: „Himmelvater du, drück ein Auge zu!“ In einem anderen: „Eine kleine Sünde fällt nicht ins Gewicht; eine kleine Sünde zählt der Herrgott nicht. Eine kleine Sünde ist nicht der Rede wert, wenn sie dein Geheimnis bleibt und niemand was erfährt.“

Es scheint Menschen zu geben, die nicht mehr wissen, dass sie vor Gott schuldig werden. Ja, es gibt solche, die machen aus ihrer Schwäche, aus ihrer sittlichen Schwäche eine Weltanschauung. Sie sagen: Das, was wir tun, das ist die Moral, die wir brauchen, die wir heute brauchen. Weil sie Gottes Gebote missachten, verwerfen sie die Gebote. Was sie nicht beobachten wollen, das kann nach ihrer Meinung nicht von Gott geboten sein. In Wirklichkeit ist es notwendig, sich als Sünder zu erkennen und zu bekennen. In diesen Tagen wird Nelson Mandela, der schwarze Präsident von Südafrika, überall gefeiert. Er hat seinen 90. Geburtstag begangen. 27 Jahre war er im Gefängnis. Aber er ist ein Mann, er ist ein Christ, der auf jede Rache verzichtet hat. Ein Biograph schrieb von ihm: „Ein Staatsmann mit der Qualität eines Heiligen.“ Da wehrte Nelson Mandela ab: „Ich bin kein Heiliger“, sagte er, „ich bin ein kleiner Sünder, der ständig versucht, sich zu bessern.“ Das ist ein Vorbild! „Ich bin ein kleiner Sünder, der ständig versucht, sich zu bessern.“ Und damit ist er ja auf biblischem Boden, denn im ersten Johannesbrief heißt es: „Wenn wir sagen, wir hätten keine Sünde, betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ Wenn wir sagen, wir hätten keine Sünde, betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wir müssen ehrlich sein vor uns selbst und vor den Menschen, die Sünde erkennen und die Sünde bekennen. Schon im Alten Bunde heißt es: „Schäme dich nicht, deine Sünden zu bekennen!“ Und an einer anderen Stelle: „Der Gerechte beschuldigt sich selbst zuerst.“

In unserer Zeit haben edle Schriftsteller diese biblische Botschaft verstanden und aufgenommen. In einem Buche von Theodor Fontane heißt es einmal: „Wenn nichts erreicht wäre als das Bekenntnis des Unrechts und der Sünde, so hätte die Wiedergeburt begonnen.“ Wie richtig! Wenn nichts erreicht wäre als das Bekenntnis des Unrechts und der Sünde, so hätte die Wiedergeburt begonnen. Er gibt damit wieder, was Augustinus einmal schreibt: „Das Bekenntnis der bösen Werke ist der Anfang der guten Werke.“

Noch einmal erinnern wir uns, meine lieben Freunde, dass unser Herr milde, sanftmütig und gütig war, aber erschreckend hart wurde, wo er auf Selbstgerechtigkeit stieß. Wir mögen schwach, armselig, leichtsinnig und böse sein: Solange wir einsehen und bekennen, dass wir es sind, solange wir uns nicht billig entschuldigen und andere für schlechter halten, solange werden wir ein verzeihendes, ein liebendes Wort unseres Heilandes erhalten: „Denn jener ging gerechtfertigt nach Hause!“

Amen.

 

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Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes

03.08.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Jesus hatte sich mit seinen Jüngern in das Gebiet der Syrophönizier zurückgezogen, um sie zu belehren und um sie zur Erkenntnis seines eigenen Wesens zu führen. Als er dann in das jüdische Gebiet zurückkehrte, nämlich an der Ostseite des Sees Genesareth, da fragte er sie: „Für wen halten die Leute den Menschensohn?“ Da prasselten die Antworten auf ihn nieder: „Die einen für Elias, die anderen für Jeremias, wieder andere für einen der Propheten.“ Die Apostel schonten Jesus, denn es wurden ihm auch noch ganz andere Titel gegeben, die sie verschwiegen. Die einen sagten: „Das ist der Zimmermannsohn“, andere sprachen von ihm als dem „Fresser und Weinsäufer“, und wieder andere nannten ihn den Freund der Zöllner und Sünder oder gar den Volksaufwiegler. Das waren die Bezeichnungen, welche die Zeitgenossen Jesu unserem Herrn Jesus gaben.

Und heute sehe ich Christus die Frage stellen: Für wen halten mich die Menschen des 21. Jahrhunderts? Es gibt ohne Frage auch heute noch gläubige Menschen, die in Jesus den Gottessohn, den wahren Gott, Licht vom Lichte, Gott von Gott erkennen. Die gläubigen katholischen Christen und ein kleiner Häuflein gläubiger Protestanten sind noch von diesem Glaubensbekenntnis überzeugt. Aber viele andere sehen in Jesus vor allem einen Großen der Weltgeschichte oder einer heldischen Menschen, der die jüdischen Händler zu Paaren treibt. Einer beschreibt Jesus als den „charmanten Tischler“. Der Sohn Gottes der „charmante Tischler“! Und der an allen Orten der ganzen Welt bekannte ehemalige katholische Theologe Hans Küng spricht von Jesus als dem „Sachwalter Gottes“. Ja, meine lieben Freunde, Sachwalter Gottes sind wir auch! Das ist ein Versuch, Jesus seiner göttlichen Würde zu entkleiden.

Es gibt auch andere, die ihn heute wie gestern mit Haß verfolgen. Und der Haß gebiert den Spott, und der Spott bringt die Verleumdung hervor, die Verunglimpfung, den Hohn. Wenn Jesus uns fragen würde, meine lieben Freunde: Für wen haltet ihr mich?, wir würden doch antworten: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Aber hat uns diese Wahrheit wirklich in ganzer Seelentiefe erfaßt? Heißt das für uns wirklich, dass Jesus unser ein und alles ist? Der Beherrschende, der Erneuernde, unser König, der die Wahrheit und das Leben ist? Ist unser Christusglaube stark und lebendig genug, um den Zweifeln und den Zweiflern zu widerstehen?

Was dünkt euch von Christus? Wessen Sohn ist er? Diese Frage wollen wir versuchen, heute in drei Schritten zu beantworten. Wenn ich fragte: Wer ist denn Buddha?, dann würde ich die Antwort erhalten: Über ihn lässt sich nichts Bestimmtes sagen. Seine Gestalt steht im Dämmerdunkel der indischen Märchenwelt. Um ihn hat die Phantasie jahrhundertelang gedichtet. Von Jesus können wir – Gott sei es gedankt! – anderes sagen. Von ihm können wir mit Petrus sagen: „Wir sind nicht Fabeln, die wir ausgedacht haben, gefolgt, sondern wir haben seine Herrlichkeit gesehen.“ Er steht im Lichtkegel der Geschichte, in einem Zentrum des geistigen Lebens, Jerusalem, der Hauptstadt des Judentums. Christus ist eine Gestalt der Geschichte. Hier malt nicht Sage, hier sprechen Tatsachen.

Wir wissen von ihm durch das Zeugnis seiner Jünger. Es ist ein unbezweifelbares Zeugnis, aber es wird flankiert durch Zeugnisse neutraler Beobachter. Viele von uns haben in der Schulzeit die Annalen des römischen Geschichtsschreibers Tacitus gelesen. Er hat ja auch ein Büchlein über Germanien geschrieben. Tacitus bringt in seinen „Annalen“ den Brand Roms zur Zeit des Kaisers Nero in Verbindung mit den Christen. Und dabei spricht er von Christus, der unter der Herrschaft des Tiberius durch den Landpfleger (Prokurator) Pontius Pilatus hingerichtet worden war. Und Tacitus steht nicht allein. Im Jahre 96 n. Chr. gab der Statthalter Plinius von Bithynien (das ist in der heutigen Türkei) dem Kaiser Trajan einen Bericht, und in diesem Bericht steht: „Die Christen kommen am ersten Tag der Woche, am Sonntag, zusammen und singen Christus als ihrem Gott Wechselgesänge.“ Christus ist eine Gestalt der Geschichte, aber eine Gestalt, die nicht in der Menschengeschichte aufgeht, sondern eine Gestalt, die das Menschenmaß überschreitet. Und deswegen können wir erstens sagen: Christus gehört zu den geistigen Führern der Menschheit.

Wir kennen viele in der Geschichte, die ernst und geistig gewaltig sich bemüht haben, um die letzten Fragen des Lebens: Laotse, Konfuze im fernen Osten, die Weisen der indischen Welt, die Philosophen Griechenlands. Um alle diese Fragen ringen auch die Gelehrten Israels. Sie stehen in lebendiger Verbindung mit den damaligen Hochschulen in Alexandrien, in Athen, in Antiochien. Und nun tritt vor sie hin dieser Mann aus Nazareth, aus der Weltabgeschiedenheit der galiläischen Berge. Er hat keine Hochschule besucht, er hat nicht studiert, er kommt von der Hobelbank des Zimmermanns. Aber er tritt auf mit einer Kraft der Sprache, ganz anders wie die gelehrten Rabbinen. „Er lehrt wie einer, der Macht hat“, so sagen sie, nicht wie ihre Schriftgelehrten. Keine Unsicherheit in dem, was er sagt, kein Schwanken, kein Zurücknehmen, kein Verbessern, kein „Ich weiß nicht“ oder „Vielleicht“. Nein, Lehren voll Selbstbewusstsein: „Den Alten ist gesagt worden… Ich aber sage euch.“ Die Gelehrten Jerusalems lächeln. Das dumme Volk mag ihm nachlaufen, aber wir werden mit ihm schon fertig werden. Und so stellen sie ihm ihre Fragen, Fangfragen, die Sadduzäer, die Pharisäer, die Herodianer. Christus hört sie an, ruhig, gesammelt wie immer. Er beantwortet ihre Fragen. Er stellt ihnen selbst Fragen und antwortet mit einer Überlegenheit, die sie jedes Mal beschämt, daher müssen sie von dannen ziehen, so dass sie schließlich – das steht in der Heiligen Schrift – so dass sie es schließlich gar nicht mehr wagen, ihn zu fragen. Denn er trägt dem Volke Israel den letztverbindlichen Willen Gottes vor. Er proklamiert die neue Ordnung des Heils, die alles bisherige hinter sich lässt.

Vor uns steht das Lehrgebäude Christi, hinaufragend in die Höhen der Gottheit und wieder auch hinabsteigend in alle Einzelfragen des Lebens. Fest wie Granit sind seine Worte. Mit der Schärfe des Schwertes fallen seine Entscheidungen. Zweitausend Jahre hat man sich bemüht, in die Tiefe seiner Worte einzudringen. Die größten Geister haben die Weisheit des Herrn zu entschlüsseln versucht: Augustinus und Thomas, Albertus Magnus und Johannes Duns Scotus. Diese Worte, diese Wahrheit, diese Weisheit hat die Welt erleuchtet. Er hat die Wahrheitselemente, die ja in allen Kulturen vorkommen, geeint und gesammelt, geläutert und eingefügt in seine Lehre. Vor diesem Geiste zerbrach das harte Sklavenjoch der Alten Welt, schmolz die eiserne Härte des römischen Rechtes. Vor ihm fielen die Schranken der Stände, und waffenstrotzende Völker wandten sich im Zeichen des Kreuzes friedlich zueinander, reichten sich die Hand. Seine Wahrheit drang auch in die Urwälder unserer Vorfahren und schuf aus diesen Wäldern Staaten, Länder, Burgen, Kirchen, Klöster. Christus, der Nazarener, wirkt fort in der christlichen Kunst. Niemals sind die Werke, welche die christliche Kunst schuf, von anderen überboten worden. Er hat die Stätten des Gebetes errichten lassen. Auch die ihn heute schmähen, atmen noch seinen Geist.

Er war ja kein Musterchrist, unser Johann Wolfgang von Goethe. Aber er hatte Ehrfurcht vor dem Christentum. Und in seinen letzten Lebensjahren hat er einmal zu seinem getreuen Eckermann gesagt: „Mag die geistige Kultur nur immer fortschreiten, mögen die Naturwissenschaften in immer breitere Ausdehnung und Tiefe wachsen und der menschliche Geist sich erweitern, wie er will, über die Hoheit und sittliche Kultur des Christentums, wie es in den Evangelien schimmert und leuchtet, wird er nicht hinauskommen.“ Christus ist tatsächlich unter den Geistesführern der Weltgeschichte der Erste, der Unübertreffliche.

Christus steht aber auch zweitens auf dem Gipfel sittlicher Vollendung. Sein Name ist makellos. Er steht mitten im heißesten Kampf, und sie belauern ihn von allen Seiten. Wie gern hätte man ihm etwas angehängt, um sein Ansehen zu zerstören. Man geht ihm nach, wenn er mit Zöllnern und Sündern beisammen ist. Aber sie sehen und hören nur verstehende Liebe und sündenferne Würde. Er kann es wagen, seine Todfeinde zu fragen: „Wer von euch kann mich einer Sünde beschuldigen?“ Und sie bleiben stumm. Gerichtshöfe bemühen sich, Aussagen gegen ihn zusammenzubringen und scheitern daran. Sie sehen keine Schuld. „Ich finde keine Schuld an ihm“, sagt der Prokurator Pontius Pilatus. So ist noch keiner durch seine Zeit gegangen. Alle haben sie Flecken an sich getragen, alle haben sie der Sünde ihren Tribut gezollt. Er geht durch Niederungen und Gassen, an ihm haftet kein Schmutz. Groß und weit war sein Charakter, zum Leiden bereit und doch voll innerer Freude. Ganz auf das Jenseits gestimmt und dennoch nicht lebensfeindlich, hart gegen die Sünde und doch mild zu den Sündern. Es ist derselbe Christus, der mit der Geißel den Tempel reinigt und der die Ehebrecherin begnadigt. Es ist derselbe Christus, der seinen Zorn ausgießt über Verlogenheit und Heuchelei der Pharisäer, der aber am Kreuze für seine Feinde betet: „Sie wissen nicht, was sie tun!“ Er kann seinen Jüngern das Höchste abfordern: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit auch ihr tut, wie ich euch getan habe.“

Und entsprechend ist auch seine Sittenlehre. Es gibt ja viele Ethiken auf dieser Welt, meine lieben Freunde, aber es gibt keine einzige Ethik, die in ihrem Standard an die christliche Ethik heranreicht. Die christliche Ethik steht über allen. Christliche Sittenlehre ist die Vollendung des sittlichen Strebens. Nichts menschlich Gutes und Feines wird von ihr verworfen. Was die Lehrer der Weisheit an Wahrem gelehrt haben, das ist alles aufgenommen, ist beschlossen und übertroffen vom Gesetz Christi. Höchste eigene Kraftentfaltung und gleichzeitig demütiges Vertrauen auf die Gnade Gottes. Ein feiner Mensch werden, und dennoch ein demütiges Gotteskind bleiben. Reinheit, die doch keinen Unreinen verachtet, Demut, die sich der Würde der Persönlichkeit bewusst bleibt. Froher Genuß der irdischen Güter und doch starkes Entsagenkönnen. So steht das Bild Jesu vor uns, das erhabenste Charakterbild der Geschichte.

Heute hat eine wunderliche, unbegreifliche Begeisterung für den Islam manche Christen ergriffen. Wir hören von Übertritten zum Islam. Ja, meine lieben Freunde, wie kann so etwas geschehen? Wer ist denn dieser Islam? Wer ist denn sein Urheber? Mohammed, ein zerrütteter Kerl, voll Grausamkeit und Sinnlichkeit, ein Mann voll Rachsucht und voll List und Verstellung. Das ist der Vater dieser Religion. Seine Lehre hat er zusammengebastelt aus christlichen, jüdischen und heidnischen Elementen. Mohammed ist kein Konkurrent für Christus.

Und schließlich noch eine dritte Tatsache: Dieser Christus nennt sich den Sohn Gottes, und er ist es. Als Ende des 1. Jahrhunderts der Irrlehrer Kerinth auftrat, der die Gottheit Christi leugnete, griff Johannes, der Apostel, noch einmal zur Feder und schrieb sein Evangelium, sein Evangelium von der Gottheit Christi. „Dieses ist aufgezeichnet, damit ihr glaubet, dass Jesus der Christus der Sohn Gottes ist.“ Das geben auch die Gegner Jesu zu, dass im Johannesevangelium von der Gottheit Christi ein klares Zeugnis abgelegt ist. Aber bei den Synoptikern, also bei Matthäus, Lukas und Markus, da machen sie schon Abstriche. Da wäre, so meinen sie, die Gottheit Christi nicht zu erkennen. O wie falsch, meine lieben Freunde, o wie falsch! Die drei Synoptiker stellen Jesus als einen dar, der alles Menschenmaß übersteigt. Jesus, das ist ihr Zeugnis, beansprucht souveräne Lehrgewalt, er interpretiert das alttestamentliche Sittengesetz und das alttestamentliche Kultgesetz, wie es nur ein Gesetzgeber tun kann, der über ihnen steht. Wie Gottes Wort in Ewigkeit bleibt, so auch überdauern seine Worte Himmel und Erde. Er verfügt über die Macht, Wunder zu wirken, die er auf allen Gebieten und in jedem Augenblick ausübt. So schaltet nur der Herr der Natur. Der Aussätzige kommt zu ihm und sieht ihn voll Vertrauen an: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“ Wenn du willst. Und der Herr antwortet: „Ich will – sei rein!“ Und in diesem Augenblick ist der Aussätzige geheilt durch ein einziges Wort seiner Macht, nein, seiner Allmacht. Kennzeichnend für die Heilungen Christi ist das Motiv des Glaubens. Es bringt die Unverfügbarkeit der Taten Jesu zum Ausdruck. Der Glaube richtet sich auf Jesus. Er vermag über die Heilung des Körpers den ganzen Menschen zu retten.

Die Leute nennen ihn einen Propheten, aber das ist zu wenig. Die Königin des Südens, die Königin von Saba, kam mit ihren Geschenken zu Salomon in all ihrer Pracht. Sie kamen von den Enden der Erde, um seine Weisheit zu hören. Doch hier ist mehr als Salomon! Der Tempel in Jerusalem war das höchste Heiligtum der Juden. Es war das Haus Gottes. Aber Christus sagte: „Hier ist mehr als der Tempel!“ Er lässt Sünden nach, und die Juden sehen darin eine Gotteslästerung. „Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?“ Christus beweist, dass er Sünden vergeben kann. Er lässt seine Wundermacht spielen. „Damit ihr wisst, dass der Menschensohn Macht hat, Sünden zu vergeben“, sagt er zu dem Gichtbrüchigen: „Steh auf, nimmt dein Bett und geh nach Hause!“ Und der Mann stand auf, nahm sein Bett und ging nach Hause. Es ist also wahr: Jesus besitzt die Macht, Sünden zu vergeben, eine Macht, die nur Gott zukommt. In ihm ist eben wesenhaft und wahrhaft Gott auf Erden erschienen.

Und so ist er auch der Herr des kommenden Gerichtes. Das endgültige Heil ist in seine Hand gelegt, ist an seine Person gebunden. Die alte Sehnsucht nach dem definitiven Heil erfüllt sich in ihm. „Wenn ich durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ In ihm, allein in ihm ist es zu den Menschen gekommen. Er ist der Herold, er ist der Träger des Reiches Gottes. Von der Annahme oder der Ablehnung seiner Predigt hängt das endgültige Geschick des Einzelnen ab. „Wer mich vor den Menschen bekennt, den werde ich vor meinem Vater bekennen.“ Er rettet sein Volk, aber nicht, indem er mit einem Heere die Besatzungsmacht aus dem Lande treibt, sondern indem er am Kreuze sein kostbares Blut für das Heil der Welt vergießt.

In der Woche des Leidens steht Christus noch einmal vor den Pharisäern und Schriftgelehrten und erzählt ihnen ein Gleichnis. Ein Hausvater legte einen Weinberg an, er verpachtete den Weinberg an Winzer, und dann verreiste er. Als die Zeit der Weinlese heranrückte, schickte er seine Knechte zu den Winzern, um den Ertrag in Empfang zu nehmen. Die Winzer fielen jedoch über seine Knechte her. Den einen schlugen sie, den anderen töteten sie, einen dritten steinigten sie. Der Herr schickte noch einmal andere Knechte, aber mit denen verfuhren sie genauso. Zuletzt sandte er seinen Sohn. Er dachte nämlich: Vor meinem Sohn werden sie Respekt haben. Als die Winzer jedoch den Sohn erblickten, da sagten sie zueinander: „Das ist der Erbe. Wir töten ihn, und dann fällt uns das Erbe zu.“ Sie ergriffen ihn also, warfen ihn hinaus aus dem Weinberg und töteten ihn. Seine Zuhörer haben sehr gut verstanden, was er damit ausdrücken wollte. Zuerst kamen die Knechte Gottes, die Propheten. Jetzt aber ist der Sohn gekommen, viel größer, viel erhabener als die Propheten. Er ist der Sohn Gottes, der Wesenheit, der Natur nach. So verstehen ihn die Juden. Und deswegen stellen sie ihn in seiner letzten Stunde zur Rede. Als er vor dem Hohen Rate steht, da fragt ihn der Hohepriester: „Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott: Sag uns, ob du bist Christus, der Sohn Gottes!“ Und die Antwort kommt ohne Wenn und Aber: „Ja, ich bin es!“ Da zerreißt der Hohepriester seine Kleider: „Ihr habt die Gotteslästerung gehört. Was dünkt euch?“ „Er ist des Todes schuldig.“

Meine lieben Freunde, das Christusproblem aller Zeiten ist gelöst. Als der Herr den Seesturm stillte, da fragten die Menschen: „Wer ist dieser, dass ihm sogar der Wind und die Wellen gehorchen?“ Jetzt wissen wir es. Er ist der Gottessohn, das ewige Wort, durch den Gott alles schuf, der den Winden gebietet und den Wellen gebeut, weil er ihr Herr ist. Wir wissen es, weil er Kranke heilt, die sich erheben, und Tote zum Leben erweckt werden. Wir wissen es, weshalb nicht Grab und Siegel und Stein ihm widerstehen konnten, als er siegreich von den Toten erstieg.

Als das junge Christentum seinen Weg durch die Zeit nahm, da wurde im Hohen Rat beratschlagt, wie man dieser Bewegung Herr werden könne. Da stand einer von den Räten auf, Gamaliel – wir kennen seinen Namen – und sagte: „Ist sein Werk von Menschenhand, so wird es von selbst vergehen. Ist es aber Gottes Werk, so könnt ihr es nicht zerstören.“ Sein Werk hat alle Jahrhunderte überdauert, hat die Welt erobert ohne Waffen, ohne Geld, ohne – und das ist vielleicht das Wichtigste – ohne den Leidenschaften zu schmeicheln. Zweitausend Jahre Geschichte setzen das Siegel unter Christi Wort. Und deswegen bekennen wir mit Petrus, bekennen wir mit den Blutzeugen aller Jahrhunderte, bekennen wir mit den großen Geistern der christlichen Geschichte, bekennen wir mit der ganzen Weltkirche von heute: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, der in diese Welt gekommen ist.“

Amen.

 

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Die Kirche Christi – auf den Fels gegründet

10.08.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben am vergangenen Sonntag uns klarzumachen versucht, wer Jesus Christus ist, und wir haben die Antwort gefunden in dem Bekenntnis des Petrus: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Das Bekenntnis zu Christus ist nicht bei allen verbunden mit dem Bekenntnis zur Kirche. Es gibt nicht wenige, die erklären: Christus ja, Kirche nein. Sie wehren sich gegen die Kirche und bringen alle möglichen Anwürfe, Anklagen und Beschwerden gegen die Kirche vor. Sie sagen: Das ist die Priesterherrschaft; sie beschweren sich, dass die Kirche mit Geboten und Verboten die Menschen zu leiten versucht; sie erinnern an die Inquisition. Der Protestantismus hat seinen Namen von „Protest“. Nur durch Protest gegen die katholische Kirche kann er seine Existenz rechtfertigen. Und von daher kommen natürlich auch immer wieder die unseligen Tiraden, die uns der Stifter dieser Religion, nämlich Martin Luther, vermacht hat: die Kirche, eine Einrichtung der Menschlichkeit und der menschlichen Schwäche.

Und so wundert es uns nicht, wenn durch all fünf Kontinente die Losung rast: „Ecrasez l’infâme“ – Vernichtet die Ruchlose! Diesen Ruf hat zuerst Voltaire in Frankreich ausgestoßen, aber ist seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr verstummt. „Ecrasez l’infâme“ – Nieder mit der Verruchten! Und da steht die Kirche mit ihrem Anspruch auf Einzigartigkeit und Autorität. Sie befiehlt und bindet im Namen Christi. Sie übt seine göttliche Macht aus mit ihren Vorschriften und Verboten. Sie spricht den Bann über diejenigen aus, die ihre Wahrheit unterdrücken. Kirche Roms, entweder bist du eine göttliche Stiftung, oder du bist ein verruchtes Menschenwerk! Das ist die Alternative.

Dreifach ist das Reich Christi. Es sollte die Menschen lehren, führen und erlösen. Die Lehre Christi musste weitergetragen werden, als der Herr gen Himmel fuhr. Seine Aufgabe war noch nicht beendet, denn alle Generationen sollten an dieser Lehre partizipieren. Und deswegen musste sie weitergetragen werden, irrtumslos bis in die fernsten Zeiten. So braucht Christus eine menschliche Gesellschaft; so braucht er Verkünder, Herolde, die seine Botschaft weitertragen. Er braucht ein irrtumsloses, unfehlbares Lehramt. Es mussten die Menschen auch in allen Zeiten geführt werden. Er hatte die Grundlehren seines Gesetzes gegeben, aber es musste auch auf die wechselnden Situationen angewandt werden. Die Lehre musste verteidigt werden; sie musste klar herausgestellt werden, wo die Leidenschaft sie abzuschwächen suchte. Deswegen hat Christus eine feste Führung eingesetzt, ausgerüstet mit der Autorität des ewigen Gottessohnes: „Wer euch hört, hört mich.“ Christus musste für alle Zeiten ein starkes Hirtenamt einsetzen zur Führung der Menschheit. Und die Erlösung ist wie ein unsichtbarer Strom, der durch die Menschen fließt. Man sieht ja die Gnade nicht, man kann sie nicht messen, man kann sie auch nicht wägen, aber die Übertragung der Gnade, die Weiterleitung, sollte sichtbar geschehen, durch sichtbare Zeichen. Wir nennen sie Sakramente. Und ihre Verwaltung wiederum musste Menschen anvertraut werden, das Priesteramt musste sein Erlösungswerk fortsetzen.

So liegt es im Wesen des Reiches Christi, dass ein dreifaches Amt, eine dreifache Aufgabe errichtet wurde, um sein Werk in der menschlichen Gesellschaft fortzusetzen. So hat es auch Christus getan. Selbst wenn wir kein einziges Wort von ihm wüssten, es musste so sein, wenn er seinem Werke Dauer verleihen wollte. Aber er hat es deutlich genug gesagt, dass er ein neues Gottesvolk schaffen wollte. In vielen Bildern hat er zunächst dieses neue Volk beschrieben, im Bild vom Senfkörnlein, das einen kleinen Anfang hat und zu ungeheurer Größe emporwächst, in dem Bild vom Acker, wo guter Weizen wächst, aber auch Unkraut, und im Bild von dem Netz voll guter, aber auch schlechter Fische.

Mit Petrus ist Christus einmal auf das galiläische Meer, auf den See Genesareth, hinausgefahren, und dies zu einer Zeit, wo man auf Fischfang nicht rechnen konnte. Die Jünger waren leicht verwirrt: Ja, was will er denn? Weiß er besser als wir, wann Fische zu fangen sind? Und doch wurde aus dieser Ausfahrt ein reicher Fischfang, so reich, dass Petrus vor dem Herrn niederfiel und sagte: „Herr, geh weg von mir, ich bin ein sündiger Mensch.“ Der Blick des Herrn aber geht  über den See Genesareth hinaus, er geht über die Halden von Galiläa und über das Mittelmeer in ferne Weiten. Er will in die Gestade der Ewigkeit eindringen, und dazu braucht er Menschenfischer. „Von nun an sollst du Menschen fischen“, so sagt er zu Petrus. Dafür braucht er ein Schiff, und dafür braucht er Menschen. „Simon, fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fischen.“ Simon und seine Freunde haben sich um Jesus geschart. Viele junge Menschen haben sich ihm angeschlossen. Er hat sie in seine Gefolgschaft gerufen: „Kommt und folget mir nach!“ So bildet sich die Jüngerschaft als der Keim des neuen Volkes Gottes: der Kreis der Jünger, die erste Gemeinde Jesu. Und dann kam ein denkwürdiger Tag. Die ganze Nacht hatte Jesus auf dem Berge zugebracht im Gebet, die ganze Nacht. Und als er herunterkam, da rief er seine Jünger zu sich, und da schaute er sie prüfend an, und da wählte er aus ihnen zwölf aus: Petrus und Johannes, Jakobus und Philippus. Das Reich Christi nimmt Gestalt an, das Führerkorps der Kirche bildet sich.

Zwölf wählt er aus, zwölf, weil es ein neues Volk sein soll. Wie das alte Volk zwölf Stämme hatte, so sollte das neue Volk auch eine Fülle von Stämmen in sich vereinen, und die Apostel sollen die Führer in diesem Volke sein. Den Petrus aber nimmt er sich noch besonders beiseite. Schon als er zu ihm kam, gab er ihm einen anderen Namen. Er hieß ja Simon. Aber Jesus gab ihm den Namen Kephas, das heißt Petrus, das heißt Fels. Und dann sagt er ihm: „Du bist der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.“ Ein Haus, wie er es vorhat, darf nicht auf Treibsand gebaut werden, das muss auf einem Felsen ruhen. Und ein solcher Fels sollte Petrus sein. Denn die Stürme würden rasen, die Wetter würden toben, die Finsternis würde dieses Werk einhüllen.

Christus sieht mit seinem Blick die Mächte der Finsternis anstürmen im Gewand der römischen Cäsaren. Sie wollten mit ihren Verfolgungen das Christentum ersticken. Es wird ihnen nicht gelingen. Tertullian, der Kirchenschriftsteller, schreibt im 2. Jahrhundert in seiner Verteidigungsschrift für die Christen: „Bei jedem Unglück, bei jedem Ungemach, das die Öffentlichkeit trifft, heißt es: ,Die Christen sind schuld.’ Hat der Tiber Hochwasser, hat der Nil Niedrigwasser, bleibt der Regen aus, kommt ein Erdbeben, eine Hungersnot, eine Seuche, das erste Wort ist: ,Fort mit den Christen. Werft sie den Löwen vor!’“ So ist es der Kirche drei Jahrhunderte lang gegangen. Aber dann stieg sie aus den Katakomben empor. Denn die Kirche der Katakomben klagte nicht, sie hoffte. Der Herr sieht in der Ferne Irrlehrer auftreten. Es gibt kein Jahrhundert der Kirchengeschichte, meine Freunde, in dem nicht Irrlehrer aufgetreten wären. Und dass sie heute in großer Zahl wieder am Werke sind, das wissen Sie alle. Mit List und Trug suchen sie die Weisungen Christi zu untergraben. Der Herr sieht die Horden der Völkerwanderung anstürmen, der Feind sät Zweitracht und Bosheit in die Herzen der Führer der Kirche, Schismen breiten sich aus, Häresien wuchern, ganze Länder werden losgerissen, und in den Missionsländern sucht man die Religion zu ersticken. Aber er sieht auch: „Non praevalebunt“ – Sie werden sie nicht überwinden.

In diesen Tagen, meine lieben Freunde, hat der Bischof von Peking ein Interview gegeben. In diesem Interview führt er aus: „Ich habe im vergangenen Jahr 1500 Erwachsene getauft.“ Non praevalebunt – sie werden sie nicht überwinden. Auch nicht in China.

Dann kam die Freimaurerei. Sie raste durch die romanischen Länder Spanien, Portugal, Frankreich, Italien. Ganze Länder wurden losgerissen von der Kirche. Einig sind sich alle im Kampfe gegen die römische Kirche, der Liberalismus, der Kommunismus, der Nationalsozialismus. Und heute? Heute peitscht die Geißel des Islam auf die Christen in allen Ländern. Der Islam ist nicht tolerant, der Islam ist der Todfeind des Christentums. In Indien machen die Hindus mobil gegen die Christen. Ihre heiligen Kühe, die halten sie heilig, aber die Christen werden verfolgt. Und in Europa breitet sich der neue Atheismus aus. Er sucht die letzten Bastionen des Christentums im öffentlichen Leben zu beseitigen. Ich schaue mit Besorgnis nach Brüssel und nach Straßburg. Dort wird ein Gesetz nach dem anderen ausgebrütet, das dem Unglauben und der Unsittlichkeit dient. Der Abfall breitet sich aus. Und dennoch: Der Herr hat es gesagt: Sie werden sie nicht überwältigen!

Mit der Funktion des Felsen ist es bei Petrus nicht getan. Der Herr rüstet ihn mit weiteren Vollmachten aus. „Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben.“ Der Schlüsselträger ist nicht der Pförtner, der Schlüsselträger ist der Hausherr. Er lässt ein, und er schließt aus. Er besitzt Gewalt der Gesetzgebung und Gewalt der Rechtsprechung. „Was du binden wirst auf Erden, das ist auch gebunden im Himmel.“ Und in Gemeinschaft mit ihm sollen die übrigen Apostel die Vollmachten ausüben: „Wer euch hört, hört mich. Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Welchen ihr die Sünden nachlassen werdet, denen sind sie nachgelassen. Was ich beim Abendmahl getan habe, das tuet zu meinem Gedächtnis.“ Und den Gipfel setzt Jesus nach seiner Auferstehung am See Genesareth. Da richtet er noch einmal die Frage an Petrus: „Petrus, liebst du mich?“ Nein, dreimal fragt er ihn: „Petrus, liebst du mich?“ Und Petrus antwortet betrübt, weil er an seinen Verrat denkt, betrübt: „Herr, du weißt alles, du weißt auch, dass ich dich liebe.“ Dann erfolgt die Einsetzung zum Universalhirten: „Weide meine Lämmer! Weide meine Schafe!“

Die Apostel mögen erbebt haben unter der Fülle der Gewalt, die ihnen übertragen wurde. Wie soll das geschehen? Wir schwachen, wir ungebildeten Männer, wie sollen wir das Evangelium bis an die Grenzen der Erde tragen, wie es der Herr will? Der Herr hat auch dafür Vorsorge getroffen: „Bleibt in der Stadt! Ihr werdet ausgerüstet werden mit der Kraft von oben. Ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch herab.“ Und an Pfingsten, da kommt zu den Aposteln, um die Mutter Jesu versammelt im Abendmahlssaal, der Heilige Geist. Da schlägt die Geburtsstunde der Kirche. Der Geist Christi ergreift die Jünger Jesu, das Feuer des Geistes brennt in ihnen fortan. Die Kirche ist gefirmt, und aus schwachen Menschen werden glühende, von Gottes Geist erfüllte Apostel. Das ist das Geheimnis der Kirche, meine lieben Freunde, aus schwachen Menschen zusammengesetzt, aber von der Kraft des Geistes getragen. In der Kirche sind nicht nur Menschen am Werk; in der Kirche wirkt die Kraft aus der Höhe.

Aber wo ist dieses Reich Christi heute? Es gibt so viele christliche Gemeinschaften, und sie bieten sich als Antwort auf diese suchende Frage an: In welcher von ihnen lebt das Reich Christi? Oder bilden alle zusammen das Reich Christi? Gibt es viele Kirchen nach Jesu Willen? Aber der Herr sagt doch: „Eine Kirche will ich bauen.“ Und das war sein innigstes Gebet, dass alle eins seien, eins im Glauben an ihn und an den Vater. Es gibt nur einen Christus, nur eine Wahrheit, nur eine Kirche, denn ein Reich, das in sich uneins ist, das zerfällt. Das Reich Christi ist nicht dort, wo Menschen nach ihrem Denken und Gutdünken sich ihr Christentum formen. Die Kirche ist dort, wo Petrus steht, wo die Nachfolger der Apostel in Christi Autorität die Menschheit lehren und führen. Wo ist heute diese Kirche?

Der große anglikanische Theologe John Henry Newman hat gesucht, und er suchte in der Kirche der ersten Jahrhunderte. Da sieht er Gemeinden gegründet von den Aposteln. An der Spitze dieser Gemeinden stehen Hirten, welche die Apostel eingesetzt haben, und alle diese Gemeinden wissen sich einig. Ein einziges Evangelium auf der ganzen Erde, ein einiger Glaube. Alle wissen sich als Glieder des einen Leibes. Alle essen von dem einen heiligen Brote. Alle feiern das eine heilige Opfer. Die Kirche wächst und breitet sich aus in Korinth, in Antiochien, in Athen. Aber alle sind ängstlich bemüht, die Einheit zu bewahren. Als in Korinth eine Zwietracht ausbricht, da greift nicht der Apostel Johannes ein, der noch lebte, da greift der Bischof von Rom ein, Clemens, und schlichtet den Streit. Und Ignatius, der Martyrerbischof von Antiochien, schreibt auf seinem Wege nach Rom, wo er den Löwen vorgeworfen wird, dass die Kirche von Rom die Vorsitzende des Liebesbundes ist.

Es treten Sekten auf. Sie werden abgetan. Die Kirche wächst und bleibt. Ganze Länder reißen sich los von der Kirche. Von König Friedrich II. von Preußen, also dem so genannten Friedrich dem Großen, stammt das Wort: „Die Reformation war in Deutschland das Werk des Interesses, in England das Werk der Leidenschaft, in Frankreich das Werk der Neuerungssucht.“ Treffender kann man das Ausbrechen aus der kirchlichen Einheit kaum beschreiben. Wo waren diese Kirchen, bevor sie entstanden? Kommt, ihr von Rom getrennten Brüder, müssen wir sagen, macht es John Henry Newman nach: Kommt zurück zu ihr, die Tore stehen offen. Ich frage euch: Warum habt ihr den Zusammenhang mit der Kirche verloren? Oder könnt ihr sagen, eure Kirche sei die Kirche Petri? Wo war denn die Kirche Christi, bevor ihr kamt? Sie war dort zu allen Zeiten, wo unter ihren Bischöfen auf dem weiten Erdenrund in der Einheit mit dem Stellvertreter Christi auf Erden die eine katholische Kirche lebte. Die Vielfalt ist in den Sekten, die Einheit ist in der Kirche. Das ist die Eigenart, ja, ich möchte sagen, das Kainsmal der Gemeinschaften, die von der Kirche Christi abgefallen sind: Sie wollen es nicht Gott, sie wollen es den Menschen recht machen. Sie weichen Schritt um Schritt vor den Wünschen, Begierden und Leidenschaften der Menschen zurück. Wenn eine neue Welle des Irrtums aufsteigt, lassen sie sich von ihr tragen.

Manchmal spüren es die getrennten Gemeinschaften, was sie verloren haben, als sie sich vom Felsen der Einheit trennten. Wir haben in den letzten Wochen von dem unaufhörlichen Streit in den anglikanischen Gemeinschaften gelesen. Sie können sich nicht einigen über so wichtige Fragen wie das Bischofsamt für Frauen oder über Homosexuelle als Bischöfe. Und schon erschallt aus ihrem Kreis der Ruf: „Wir brauchen einen Papst!“ Viele von ihnen kehren zurück zur einen katholischen Kirche.

Wer behauptet, in der Kirche bestehe eine Priesterherrschaft, und diese Priesterherrschaft dränge sich zwischen Christus und den einzelnen Christen, die Hierarchie stehe zwischen dem einzelnen und Gott, der hat die Stellung des Priestertums und der Hierarchie niemals verstanden. Die Hierarchie und das Priestertum ist keine Trennungswand zwischen Christus und den einzelnen Seelen, sondern die Hierarchie und das Priestertum ist die verbindende Brücke zwischen den Seelen und ihrem Heiland. Ihr macht uns Vorwürfe, wir seien mit unserer Lehre veraltet. O, meine lieben Freunde, die Wahrheit veraltet nicht. Der Lehrsatz des Pythagoras ist alt, aber er wird heute in der Schule gelehrt genauso wie vor 3000 Jahren. Nichts ist so notwendig wie die Wahrheit. Sie ist der Spiegel der Wirklichkeit. Wer die Wahrheit verfehlt, der verfehlt die Wirklichkeit. Die Wahrheit veraltet nicht.

Ich weiß es, den meisten Menschen ist die Wahrheit das Gleichgültigste. Sie wollen leben, ausleben, Genuß haben. Aber was die Menschen am wenigsten hören wollen, das brauchen sie am dringendsten. Man sagt, die Kirche müsse mit der Zeit gehen. O Gott, meine Freunde, was ist die Zeit, was will die Zeit? Alle Bande lockern, den Begierden schmeicheln, die Gebote abwerfen. Das will die Zeit. Was die Zeit braucht, ist das Unzeitgemäße. Die Kirche muss den Mächten der Welt den Preis für ihre Treue zum Gesetz Christi bezahlen. Kaum hat das neue Jahrhundert begonnen, da hören wir von Martyrern in allen Gegenden der Erde. Aber sie lebt und wächst, je mehr man sie bekämpft. Die Menschen eines schwachen Glaubens warten auf den Frieden, um dann handeln zu können, wie sie sagen. Die Apostel eines starken Glaubens säen in die Stürme hinein, um in den guten Zeiten ernten zu können. Ihr sagt, die Kirche sei vom Geiste Christi abgefallen, ihr Leben sei nicht mehr heilig. Ja, sie duldet viele Unheilige in ihrem Schoß, weil der Herr sie das Gleichnis vom Unkraut im Weizen gelehrt hat, weil sie die Mutter ist, die vom ewigen Vater Langmut gelernt hat und gnädiges Verzeihen gegen die Sünder. Ihr sagt, in der Kirche gibt es viele Versager. O ja, viel zu viele. Höhnisch und mit Genugtuung weist man auf die Mißbrauchsfälle von Priestern hin. O, niemand leidet mehr unter diesen schrecklichen Geschehnissen als die treuen Glieder der Kirche. Kein vernünftiger Mensch aber beurteilt den Baum nach dem Fallobst und den Geist der Armee nach den Fahnenflüchtigen. Gestern abend, meine lieben Freunde, stand an dieser Stelle der Generalvikar des Bistums Mainz und gab bekannt, dass der Pfarrer dieser Pfarrei sich aus seinem Dienste abgesondert hat, um einer Frau zu verfallen.

Es gibt Verräter und Versager in unseren Reihen. Aber trotz Versagens und Verrates bleibt die Kirche ihrer Sendung treu. Die Kirche wird mit allem fertig. Wo ist die Macht der Erde, die wie sie Gottes heiliges Gesetz hochhält und sich schirmend stellt vor die Heiligkeit der Ehe, vor die Reinheit der Jugend, vor die Autorität von Familie und Staat? Heilig ist ihre Sittenlehre. Mit dankbarem Stolz darf sie sich rühmen, dass sie zu allen Zeiten Heilige geboren hat, auch heute, heilige Männer und Frauen, heilige Kinder, Menschen, die selbstlos ihr Leben hinopfern zur Ehre Gottes und zum Heile der Mitmenschen. Die katholische Kirche ist das Reich Christi, gestern wie heute. Von ihr gilt das Wort: „Wer euch hört, hört mich.“ Und so bitte ich Sie, meine lieben Freunde, mit mir einzustimmen trotz aller Ärgernisse und Anstöße, mit mir einzustimmen in den alten Gesang: „Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad’ in seine Kirch’ berufen hat. Nie will ich von ihr weichen!“

Amen.

 

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Christus und sein Reich der Gnade

31.08.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

 

Geliebte im Herrn!

Wir haben gesehen, wie die Kirche ihren Ausgang nimmt von Jesus mit seiner Sendung und der Berufung der Menschen aus seinem Volke, wie die Kirche dann emporwächst, geleitet von der Hierarchie und getragen von der Kraft ihrer Dogmen. Aber wir haben noch nicht in das Innere der Kirche geschaut. Wir haben ihr Geheimnis noch nicht erkannt. Denn nicht die Hierarchie und nicht die Dogmen machen ihr großes Geheimnis aus, sondern was sie im Innersten bewegt und trägt, nämlich Gottes Gnade. Christus und sein Reich der Gnade. Was heißt Gnade? Gnade heißt teilhaftig werden der göttlichen Natur. Das ist der richtige Begriff von Gnade: teilhaftig werden der göttlichen Natur, über das Irdische, Natürliche hinausgehoben werden in einen anderen Bereich, den wir den übernatürlichen nennen.

Christus war der erste, der sich eine menschliche Natur angeeignet hatte und sie mit seiner Gnade erfüllt hatte. Und alle Menschen sollten wie er in der Gnade leben. Wir wissen, der Plan Gottes wurde von Menschen durchkreuzt. Durch die Ursünde und in ihrem Gefolge durch die Erbsünde haben die Menschen die Gnadenausstattung verloren. Und so musste eine Erlösung geschehen. Es musste ein Erlöser kommen, der die verlorene Gnade zurückbrachte. Das war unser Heiland Jesus Christus. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Eingeborenen Sohn dahingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das Leben haben.“ Das Reich der Gnade, das ist das große Geheimnis der Kirche. Dass sie die Gnadenstätte, die Gnadenanstalt ist, die Gnadenkörperschaft, das macht ihr innerstes Geheimnis aus.

Die Kirche hat nicht nur ein menschliches, irdisches, nein, sie hat ein übermenschliches, ein gottmenschliches Dasein. Sie ist, wie der große Tübinger Theologe Johann Adam Möhler einmal erklärt hat, sie ist „der in der Zeit fortlebende Christus“. Genau das ist sie: der in der Zeit fortlebende Christus. Das ist ihr innerstes Geheimnis, das wir nicht schauen, aber an das wir glauben. „Ich glaube an die eine, heilige, katholische Kirche.“

Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese Wahrheit mit folgenden Worten ausgedrückt: „Indem Christus Anteil gab an seinem Geiste, hat er die Menschen in geheimnisvoller Weise gleichsam zu seinem Leibe gemacht. In diesem Leibe strömt Christi Leben auf die Gläubigen über, die durch die Sakramente auf verborgene und doch wirkliche Weise dem leidenden und verherrlichten Christus geeint werden.“ Wahrhaftig, so ist es. Die Menschen, die in die Kirche eintreten, erhalten durch den Geist Christi Anteil an seinem Leibe; sie werden zu Gliedern seines Leibes. Die Kirche ist nicht bloß Organisation, sie ist auch Organismus. Wir kennen den Organismus aus der Natur: Die Pflanze, das Tier, der Mensch, sie bestehen aus Billionen von Einzelteilen. Aber diese Billionen von Einzelteilen werden durch eine Kraft geeint, wie immer wir sie auch nennen mögen, eine Lebenskraft, beim Menschen nennen wir sie die Seele, die die Billionen von Teilen zusammenfügt zu einer Einheit. Über den Stoff kommt die Lebenskraft, und das nennen wir organisches Leben, Zusammenfassung der Vielheit durch eine höhere Kraft zur Einheit eines Lebensganzen.

Das geschieht in ähnlicher Weise auch durch die Lebenskraft des Gottessohnes. Auch er fügt uns zusammen zu einem Leibe. Er ist das Haupt, und wir sind seine Glieder. Der Leib Christi ist eine Einheit durch die Macht der Gnade, durch die Kraft des Heiligen Geistes. Gott wirkt in den Erlösten mit seiner Gnade. Wir sind teilhaftig der göttlichen Natur. Der Herold dieser Wahrheit ist der heilige Paulus. Er hat in seinen Briefen wiederholt die Wirklichkeit der Kirche als einen Leib, nämlich den Leib Christi, beschrieben. An die Epheser schreibt er: „Christus ist das Haupt der Kirche, er, der Erlöser seines Leibes. Wir sind Glieder seines Leibes, er ist das Haupt.“ An die Korinther schreibt er: „Wißt ihr nicht, dass ihr Glieder Christi seid, dass eure Leiber Glieder Christi sind?“ Und denkt an das, was sich daraus alles ergibt, wie ihr mit eurem Leibe umgehen müsst! „Wie der Leib eine Einheit bildet und viele Glieder hat, alle Glieder aber trotz ihrer Vielheit den einen Leib bilden, so ist es auch bei Christus. Durch seinen Heiligen Geist sind wir alle getauft zu einem Leibe. Ihr seid der Leib Christi und Glieder an ihm.“ Und wiederum im Brief an die Römer, der ja in gewisser Hinsicht den Gipfelpunkt der Briefe des Paulus darstellt, im Brief an die Römer heißt es: „Wir viele zusammen bilden einen Leib in Christus.“

Wir haben für diese Wahrheit nicht nur die Theologie des Paulus, wir haben ein Wort des Herrn selber, dass wir zu seinem Leibe gehören. Saulus, so hieß er ja damals noch, zog nach Damaskus, um die Christen zu ergreifen und gebunden nach Jerusalem zu bringen. Aber vor Damaskus kam ein Lichtschein über ihn. Er wurde zu Boden gefällt, er stürzte, sein Pferd bäumte sich auf, und eine Stimme fragte: „Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?“ Saulus fragte: „Herr, wer bist du?“ „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“ Ja, aber er hatte doch gar nicht Jesus verfolgt, er hatte doch die Christen verfolgt. Und doch sagt die Himmelsstimme: „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“ Jesus setzt sich also mit den Christen gleich. Sie bilden eine Einheit. „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“ Wer das Christentum verfolgt, der verfolgt Christus. „Das Haupt schreit auf, weil seine Glieder geschlagen werden“, sagt der heilige Augustinus zu dieser Stelle aus der Apostelgeschichte. Das Haupt schreit auf, weil seine Glieder, die Christen, geschlagen werden.

Die Lehre, dass wir der Leib Christi sind, dass die Kirche der Leib Christi ist, der von ihrem Haupte, nämlich von Christus, belebt wird, gibt uns erst das richtige Verständnis für die Kirche. Wenn wir nur an ihren äußeren Apparat denken, an die Hierarchie, an die Verwaltung und die Bürokratie, dann kommen wir nie hinter das Geheimnis der Kirche. Ohne die Belebung durch Gottes Geist, ohne die Impulse der Gnade, ohne das wirksame Eingreifen Gottes in die Seelen sind Bestand und Wirken der Kirche nicht zu erklären. Ach, meine Freunde, das Fortdauern der Kirche unter den unaufhörlichen Schlägen schon 2000 Jahre lang, der Neuaufbau nach den immer wieder erfolgten Zusammenbrüchen, das Wiedererstehen nach den Kahlschlägen, das alles ist ohne das Einwirken der göttlichen Gnade nicht zu erklären. Dass die Kirche lebt und wächst trotz des Verrates des Judas, trotz der Verleugnung des Petrus, trotz der Flucht so vieler Priester aus unserem Abendmahlssaale, trotz des Versagens so viele Bischöfe, das ist völlig unerklärlich, wenn nicht eine göttliche Kraft in ihr wäre.

Als ich Student der Theologie war, sprach ich einmal mit einem gläubigen, frommen, gelehrten Theologieprofessor, und er sagte zu mir: „Für mich ist einer der überzeugendsten Beweise für die göttliche Herkunft der Kirche, dass der Klerus sie noch nicht kaputtgekriegt hat.“ Ein trauriges Wort, aber leider nicht unwahr.

Die Bekehrung von Sündern, dass aus einem Saulus ein Paulus wird, dass aus dem Manichäer Augustinus der große Kirchenlehrer wird, dass jeden Tag Menschen aufstehen von ihrer Sünde und ihrer Schuld im Bußsakrament, dass sie sich losmachen von Unzucht, Haß und Lauheit, das ist nur zu erklären durch die Macht der siegreichen Gnade. Dass auch in unserer Zeit der großen Schwäche der Kirche, dass auch in unserer Zeit, wo alles dazu angetan ist, die Kirche zu schmähen, dass auch in unserer Zeit Menschen zur Kirche stoßen, konvertieren, hochstehende Menschen, wertvolle Menschen wie meinetwegen Dr. Ernst oder Christa Meves, das ist nicht zu erklären ohne die Wirksamkeit des Heiligen Geistes.

Die Fruchtbarkeit der Kirche an Heiligen, auch heute, an Männern und Frauen und an Kindern, die sich für Gott und die Menschen mühen und abarbeiten, das Auftreten und Wirken von Männern wie dem heiligen Pfarrer von Ars oder von Frauen wie der Mutter Teresa aus Albanien, das ist völlig unverständlich, wenn man vergisst, dass die Strahlen des göttlichen Lichtes diese Menschen erleuchten und dass die Kraft der göttlichen Gnade sie leitet und stärkt. Die Leiden und Opfer, die Menschen im Dienste Gottes und seiner Kirche auf sich nehmen, die unerhörten Anstrengungen und Beschwerden der Missionare – ich denke an meinen lieben Schulfreund Pater Longinus Schmidt. Er ist so alt wie ich, 82 Jahre. Aber er leitet mit 82 Jahren in Ecuador eine Pfarrei von 20.000 Seelen. Die Martern und die Qualen der Blutzeugen, die unaufhörlichen Überwindungen und die Verzichte der Bekenner, das alles ist unbegreiflich, wenn die menschliche Schwäche nicht durch göttliche Stärke ergänzt und erhoben würde.

Wie groß und ehrfurchtgebietend ist unsere Kirche dank der Macht der Gnade! Wie wunderbar durchpulst ist sie vom göttlichen Christusleben! Wie weitreichend ihre Grenze! Man hat, meine lieben Freunde, in den letzten Jahrzehnten versucht, die Abspaltungen von dieser Kirche und die nichtchristlichen Religionen zu Heilswegen Gottes zu erklären. Das ist völlig irrig, das ist völlig falsch! Es gibt nur einen einzigen Heilsweg, und den führt die Kirche. Das Wort bleibt gültig: „Außerhalb der Kirche ist kein Heil.“ Das andere Wort ist genauso gültig, das Wort von der alleinseligmachenden Kirche. Man muss es nur richtig verstehen. Wenn die Kirche identisch ist mit dem Leib Christi und die Zugehörigkeit zum Leib Christi der Weg zum Himmel ist, dann müssen alle Menschen mit diesem Leibe in Verbindung treten. Diese Verbindung kann freilich verschiedenartig sein. Voll in der Gemeinschaft der Kirche und damit auch voll im Leibe Christi sind nur jene Getauften, die in sichtbarem Verband mit Christus verbunden sind durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung. Nur wer getauft ist, die Dogmen ohne Ausnahme bejaht und sich der kirchlichen Hierarchie unterstellt, der ist voll im Leibe Christi, voll in der Gemeinschaft der Kirche.

Aber es gibt andere Weisen der Verbundenheit. Denken wir an die Katechumenen, an die Taufbewerber. Sie sind noch nicht getauft, sie haben also noch nicht die Verähnlichung mit Christus empfangen, welche die Taufe gewährt, aber sie haben schon den Glauben, und sie sehnen sich nach der vollen Gliedschaft der Kirche. Sie unterstellen sich der kirchlichen Obrigkeit. Die Katechumenen sind deswegen innig mit der Kirche verbunden. Die nichtkatholischen Getauften haben ebenfalls Verbindung mit der Kirche durch die Taufe und durch die Stücke des Glaubens, die sie aus der Trennung von der Kirche mitgenommen haben. Sie sind auch jetzt noch wirksam, ohne Frage. Also auch die nichtkatholischen Getauften stehen in einer Verbindung zur Kirche und damit auch zum Leibe Christi. Selbst die Ungetauften, die Nichtchristen sind nicht fern von der Kirche. Sofern sie ihrem Gewissen folgen, sind sie mit der Kirche in irgendeiner Weise verbunden, die allein Gott weiß, aber sie stehen nicht fern. „Die Ungetauften sind auf die Kirche hingeordnet“, erklärt das Zweite Vatikanische Konzil. Alle sollen sie in die Kirche eintreten, die ganze Menschheit ist berufen, zur Kirche zu gelangen, denn die Kirche ist das universale, d.h. das allgemeine, niemanden ausschließende Sakrament des Heiles. Unsere Kirche ist kein Partikel, unsere Kirche ist das Ganze. Deswegen nennen wir sie katholisch. Katholisch heißt über den ganzen Erdkreis verbreitet, auf den ganzen Erdkreis hingerichtet, weltweit.

Und nicht nur das. Die Kirche umfasst nicht nur diese Erde, sie reicht auch ins Jenseits hinein. Zu ihr gehören alle, die im Fegfeuer ihre letzte Schuld büßen, die gereinigt werden durch das Blut Christi. Zu ihr gehören alle, die im Himmel triumphieren, die es geschafft haben, die eingegangen sind in die Seligkeit Gottes. Sie alle gehören zur Kirche.

Meine lieben Freunde, die Kirche ist ein Reich, das die Erde umspannt und das ins Jenseits hineinreicht. Zu ihr gehören alle, die im Blute Jesu gereinigt sind. Wenn wir diese Tiefe der Kirche begreifen, dann verstehen wir auch ihre Leiden. Diese Leiden, also das Blut der Martyrer, die Kerker der Gefangenen, die Stricke, mit denen die irdische Macht die Kirche band, diese Leiden sind nichts anderes als das durch die Zeiten hindurch gehende Kreuz Christi. Das Kreuz Christi wächst durch die Jahrtausende, reckt sich über die Völker, und riesengroß ist ein blutender Leib daran: Christus in seiner großen Passion. Diese Passion setzt sich fort an seinem geheimnisvollen Leibe. Paulus schreibt deswegen: „Ich muss an meinem Körper, an meinem Leibe ergänzen, was an den Leiden Christi noch fehlt.“ Jetzt verstehen wir also unsere Leiden für die Kirche und in der Kirche. Jetzt verstehen wir aber auch den Sieg, von dem die Welt staunend sagt, dass die Kirche nie unterging, dass sie sich aus Trümmern immer wieder erhoben hat, dass sie über den gewaltigen Arius und die Hunnenheere gesiegt hat, dass der Bolschewismus und der Nationalsozialismus sie nicht ausgelöscht haben. Das ist nichts anderes als die Auferstehung aus dem Grabe, das ist nichts anderes als der Ostersieger Christus, der auch in seiner Kirche fortlebt. „Fürchte dich nicht, Kirche, ich bin bei dir alle Tage bis ans Ende der Welt.“

So verstehen wir die Kirche auch in ihrer unbeugsamen Sprache. Sie muss so sprechen, weil sie den Herrn vertritt, der gesagt hat: „Wer euch hört, hört mich.“ Die Kirche kann ihre Verkündigung nicht abschwächen, wie es die nichtkatholischen Religionsgemeinschaften tun, sie kann sie nicht abschwächen, sie muss unbeugsam sein, denn der ist bei ihr und in ihr, der gesagt hat: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden.“ Außerhalb der Kirche ist kein Heil. Die Kirche ist die alleinseligmachende. Die Kirche ist der Weg, der einzige Weg, der zu Gott führt, ob die Menschen es wissen oder nicht. Sie ist die Straße, auf der die Jahrtausende zu Gott ziehen.

Amen.

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Das unfehlbare Lehramt der Kirche

17.08.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es war am Karfreitagmorgen. Christus wird durch die Stadt Jerusalem zum Lithostratos geführt. Dort wartet sein Richter auf ihn, der römische Landpfleger Pontius Pilatus. Er weiß sich im Besitz der Macht. Hinter ihm steht das römische Reich, und vor ihm steht ein armer, gepeitschter Sklave, ein Mann, besudelt von Blut und Schmerz. „Bist du der König der Juden?“ Es klingt Verwunderung, Erstaunen, vielleicht sogar Mitleid aus diesem Worte: Du sollst der König der Juden sein? Jesus richtet seinen Blick auf ihn und sagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Pilatus und die Juden rechnen nur mit den Reichen dieser Welt. Pilatus weiß sich als Abgesandter des machtvollen römischen Reiches, und die Juden träumen von einem Groß-Juda, das eine Weltmacht werden soll und das vom Strom bis an die Grenzen des Taurus reichen soll. Der Herr fügt hinzu, als ihn Pilatus noch einmal fragt: „Bist du ein König?“: „Ja, ich bin ein König. Dazu bin ich geboren und in die Welt gekommen, dass ich der Wahrheit Zeugnis gebe. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“ Jesus ist ein König, ein König der Wahrheit. Wahrheit in diesem Sinne ist die offenbare Wirklichkeit Gottes. Er ist der gottgesandte Zeuge der offenbaren, in ihm geoffenbarten Wirklichkeit Gottes.

„Was ist Wahrheit?“ entgegnet ihm Pilatus. Daraus klingt die müde Skepsis der Unerkennbarkeit der Wahrheit, vielleicht auch der Stolz, sich einer Wahrheit zu beugen, oder die Feigheit, die sich der Wahrheit entziehen will. Was ist Wahrheit? Viele Menschen wollen von einer feststehenden, von einer bleibenden, von einer unveränderlichen Wahrheit nichts wissen. Diese Erscheinung war vor 50 Jahren auf Kreise außerhalb unserer Kirche beschränkt. Heute hat sie Theologen unserer Kirche ergriffen. Sie sprechen vom Wandel der Wahrheit; sie wollen nicht sich einer feststehenden Wahrheit, nicht dem König der Wahrheit beugen. Was ist Wahrheit? Wahrheit ist die Übereinstimmung der Erkenntnis mit der Wirklichkeit, und diese Wahrheit ist zuallererst in Gott. Gott ist die Wahrheit. Das heißt: Er hat ein Bild der Wirklichkeit, das der Wirklichkeit entspricht. Noch mehr: Er hat ein Bild der Wirklichkeit, nach dem er die Wirklichkeit gestaltet. Die Wirklichkeit entspricht seinem Schöpfungsplan. Die Schöpfung ist gestaltet nach dem Ideal, nach den Ideen, die Gott in sich trägt. Das ist die Wahrheit in Gott. Die Schöpfung entspricht dem Plane Gottes.

Nun schafft Gott den Menschengeist, und der Menschengeist ist ja ein Abbild des göttlichen Geistes. Er soll die Wahrheit erkennen, und das ist ihm in erstaunlichem Maße gelungen. Wir können dankbar und stolz sein auf die Errungenschaften des menschlichen Geistes. Sie betreffen vor allem die Güter dieser Erde, die Schöpfung, die Technik. Das sind alles wunderbare Errungenschaften des menschlichen Geistes. Wenn der Mensch nicht fähig wäre, die Wahrheit zu erkennen, dann wäre die Technik unmöglich, denn die Technik muss sich der Wirklichkeit, der Natur, den Gesetzen der Natur anschließen. Aber auf anderen Gebieten haben die Erbsünde und die Leidenschaften der Menschen weniger zur Wahrheitsfindung beigetragen. Die Menschen sind auf diesen Gebieten von ihren Interessen geleitet, und so haben sie Gott nicht zu erkennen gewusst, obwohl er ihnen offenbar war, und sie haben seinen Willen nicht zu erkennen verstanden, obwohl er ihnen zugänglich war. Leidenschaften, Lüste, Interessen haben sie auf Abwege geführt. Sie haben Gott zu Fetischen gemacht, mit Tieren verglichen, ein goldenes Kalb sich als Gott geschaffen, so dass in dieser Ratlosigkeit mancher das Wort des Pilatus wiederholt hat: „Was ist Wahrheit?“ Und so hat der große, der herrliche Plato, einmal gesagt oder geschrieben: „Wir müssen warten, dass irgendeiner kommt und uns unterrichtet über die Art und Weise, wie wir im Hinblick auf die Götter und die Mitmenschen zu handeln haben. Nur Gott kann Aufklärung geben.“ So hat der weise Plato geschrieben.

Wenn das schon für die natürliche Erkennbarkeit Gottes gilt, dann erst recht für das innergöttliche Leben. In das innergöttliche Leben vermag der menschliche Geist bei allem Bemühen nicht einzudringen. Das innergöttliche Wesen kann nur von Gott selbst geoffenbart werden. „Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.“ Da muss Gott selbst kommen, um uns Aufschluß über sein inneres Leben zu geben, und das nennen wir Offenbarung. Offenbarung ist ein Geschehen in Wort und Tat, in dem Gott selbst uns über sich, über sein Leben, über seinen Willen belehrt. Offenbarung ist das In-Erscheinung-Treten der Wahrheit Gottes. Diese Offenbarung vollzog sich im Alten Bunde hauptsächlich durch Propheten. Sie haben den Willen Gottes dem Volke Gottes unterbreitet. „Oft und vielmals hat Gott einstmals durch die Propheten geredet, am Ende der Tage aber durch seinen Sohn.“ Das ist der Unterschied, den die Mohammedaner nicht zugeben wollen, dass Christus nicht nur der letzte der Propheten ist, sondern der auf Erden erschienene Sohn Gottes. „Durch Jesus Christus kam die Wahrheit“, sagt Johannes, weil er die Wahrheit ist. „Wir haben sein Wirken gesehen, voll der Gnade und Wahrheit.“ So schließt er sein Evangelium. Und Jesus selbst bezeugt es immer wieder, etwa bei dem Gespräch mit Nikodemus: „Wir reden, was wir wissen. Wir tun euch kund, was wir gesehen haben.“ Ja, der Eingeborene, der am Herzen des Vaters geruht hat, der vermag Kunde von ihm zu bringen. Und so kann Jesus von sich sagen: „Ich bin die Wahrheit. Ich bringe sie nicht nur; ich bin die personale Wahrheit.“

Zwischen der Wahrheit Gottes, die uns in der Offenbarung zugänglich ist, und den Erkenntnissen des menschlichen Geistes kann ein wahrer Widerspruch nie bestehen. Denn das eine wie das andere stammt von Gott. Wenn irgendwo ein Widerspruch zu entstehen scheint, dann liegt das entweder darin, dass die Menschen sich irren oder dass die Offenbarung falsch ausgelegt wird. Ein echter Widerspruch zwischen der Wirklichkeit und Wahrheit Gottes und den Erkenntnissen des Menschen ist ausgeschlossen. „Dazu bin ich in die Welt gekommen, dass ich der Wahrheit Zeugnis gebe.“

Und das ist der Wille Gottes, dass die Wahrheit bei den Menschen bleibe. Sie soll nicht untergehen; sie soll nicht verfälscht werden. Deswegen hat der Herr ein Lehramt eingesetzt, ein unfehlbares Lehramt, das die Wahrheit Gottes bewahrt. Das ist die Kirche, die ein unfehlbares Lehramt in sich trägt. Der Berliner Großstadtapostel Carl Sonnenschein, ein unvergleichlicher Mann, hat einmal den schönen Satz geschrieben: „Ich bezahle keine Kirchensteuer für eine Kirche, die auf ihrem Fachgebiet nicht unfehlbar ist.“ Ich füge hinzu: Ich auch nicht! Seinen Aposteln hat der Herr dieses Lehramt übertragen. Er nennt sie ja das „Licht der Welt“, das Licht, weil sie die Wahrheit tragen. „Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf. Wo man euch nicht aufnimmt, da schüttelt auch noch den Staub von den Füßen. Ich sage euch: Jener Stadt wird es erträglicher ergehen als Sodoma und Gomorrha.“ Aber freilich, so müssen wir fragen: Herr, bedenkst du, was du tust, indem du uns fehlbaren Menschen auslieferst? Indem du uns auf die Verkündigung fehlbarer Menschen verpflichtest? Nein, sagt der Herr, nein: Wer euch hört, hört mich. Nicht ihr seid es, die da reden, sondern der Geist Gottes ist es, der in euch und durch euch redet. Er hat der Kirche einen Garanten gegeben, einen Bürgen der Wahrheit. Wir nennen ihn den Heiligen Geist. „Er wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ Nicht Menschenwissen garantiert die Wahrheit, sondern die Kraft des Geistes. Gottes Heiliger Geist selbst trägt Sorge, dass die Wahrheit in der Kirche nicht untergeht. „Gehet hin in alle Völker und lehret sie, machet sie zu meinen Schülern. Und ich bleibe bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“ Und zugleich auch die Drohung: „Wer glaubt und sich taufen lässt, der wird gerettet werden. Wer nicht glaubt, wird verdammt werden.“

So haben die Christen, so haben die Apostel den Auftrag Christi übernommen. So haben sie mit ihrem Zeugnis für die Wahrheit bereitgestanden. Die jüdische Behörde versuchte sie zum Schweigen zu bringen mit Drohungen, mit Peitschenschlägen. Und was sagt Petrus vor dem Hohen Rat: „Urteilt selbst, ob es recht ist, Menschen mehr zu gehorchen als Gott! Wir können nicht schweigen von dem, was wir gesehen und gehört haben.“ Und der Apostel Paulus, das auserwählte Werkzeug, das Gott zu den Heiden geschickt hat, Paulus sagt: „Wenn ein Engel vom Himmel kommt und ein anderes Evangelium verkündet, als ich es verkündet habe, der sei im Banne!“ Der Apostel Paulus weiß, dass er zu überliefern hat, was er selbst überkommen hat. Im 1. Korintherbrief steht der fundamentale Satz, der das Traditionsprinzip der katholischen Kirche formuliert: „Ich habe euch überliefert, was ich selbst überkommen habe.“ Die Frohe Botschaft muss so weitergetragen werden, wie sie von den Altvorderen vorgetragen worden ist. Und als Paulus in Milet die Vorsteher der Kirche von Ephesus versammelt, da sagt er zu ihnen: „Seid wachsam! Wachet über die Reinerhaltung der Lehre Christi!“

Die Kirche hat zu allen Zeiten sich gegen Irrlehrer wehren müssen. Es gibt keine einzige Periode der Kirchengeschichte, in der nicht Irrlehrer aufgetreten wären. Und die Kirche hätte es leicht gehabt, sich mit den Irrlehrern zu arrangieren, sie irgendwie in sich aufzunehmen, wie mir neulich ein Theologieprofessor sagte: „Die Kirche hätte auch mit Küng noch in ihren Reihen leben können.“ Nein, das kann sie nicht. Sie muss die Irrlehrer ausscheiden. Als der große, gewaltige Arius auftrat im 4. Jahrhundert und immer mehr Anhang gewann und die Staatsmacht ihn stützte, da schien die Lehre Christi, da schien das Evangelium verdunkelt zu werden. Aber siehe da, in Nizäa versammelten sich im Jahr 325 318 Bischöfe und formulierten die Lehre über Christus: „Gott von Gott, wahrer Gott vom wahren Gott. Gezeugt, nicht geschaffen. Eines Wesens mit dem Vater.“ Und so hat sich die Kirche in allen Jahrhunderten abgesetzt von den Irrtümern. So laut auch die Irrlehre klingen mag, die Stimme der Kirche dringt durch. Sie bleibt bei ihrer Lehre.

Wo, meine lieben Freunde, treffen wir auf das Lehramt der Kirche? Nun ja, zunächst in den Priestern und Theologen. Sie sind zwar nicht das Lehramt, aber sie haben teil am Lehramt. Das Lehramt sendet sie aus, gibt ihnen die kanonische Sendung, wacht über sie und kontrolliert sie, wenn es seine Aufgabe recht erfüllt. Wenn Priester und Theologen Falsches lehren, ist es Pflicht der Träger des Lehramtes, sie zurechtzuweisen, im Notfalle sie auszuscheiden aus der Kirche. Die Gläubigen haben das Recht, Irriges lehrenden Verkündigern zu widersprechen und sie den Bischöfen anzuzeigen. Die Träger des Lehramtes sind die Bischöfe. Sie sind authentische, d.h. mit Autorität begabte Zeugen der Wahrheit. Sie sind die Träger des Lehramtes. An sie sind wir gewiesen, auf sie müssen wir hören. Aber nur unter einer Bedingung, nämlich dass sie Gottes Wahrheit vortragen. Und wenn sie dies nicht tun? Wir haben Mittel, Wahres von Falschem zu unterscheiden. Wenn ein Bischof Irriges lehrt, halten wir uns an die Tradition. Die überkommene Lehre der Kirche steht fest, und wenn wir uns an sie halten, bleiben wir in der Wahrheit. Wir kennen die Urkunden der Lehrverkündigung. Es gibt Bücher, in denen die Lehrentscheide der Kirche gesammelt sind, auch in deutscher Sprache. An ihnen können wir nachprüfen, ob ein Bischof in der Lehrtradition der Kirche steht oder ob er aus ihr herausgefallen ist. Und wenn sich der Bischof durch die Vorhaltungen des Volkes nicht umstimmen lässt, dann haben wir ein letztes Mittel: Wir wenden uns an den Heiligen Vater. Ihm untersteht die gesamte Lehre der Kirche; er ist der oberste Hirt, auch in der Lehre. Er besitzt ein unfehlbares Lehramt.

Wie äußert sich das unfehlbare Lehramt der Kirche? Nun, es kann sich auf zweifache Weise äußern, einmal durch die ordentliche Lehrverkündigung und zum anderen durch die außerordentliche Lehrverkündigung. Wenn alle Bischöfe einheitlich mit dem Papst eine Lehre als zum Glauben der Kirche gehörig verkünden, dann gehört sie zum Glauben der Kirche, und dann ist das ein Dogma. Es gibt eine Dogmatisierung durch das ordentliche allgemeine Lehramt der Kirche. Es gibt aber auch einen anderen Weg, wie Glaubenswahrheiten festgestellt werden, nämlich durch das außerordentliche Lehramt. Wenn ein Allgemeines Konzil mit dem Papst an der Spitze oder wenn der Papst allein mit seiner höchsten Lehrautorität eine Wahrheit als vom Heiligen Geist geoffenbart der ganzen Kirche zu glauben vorlegt, dann ist das eine Dogmatisierung, dann entsteht dadurch ein Dogma. Wir haben es am vergangenen Freitag von dieser Stelle aus gehört: Die letzte Dogmatisierung, die letzte Feststellung eines Glaubenssatzes, der von allen zu halten ist, war die Verkündigung der Aufnahme Mariens mit Leib und Seele in den Himmel. Am 1. November 1950, mit Tag und Stunde können wir angeben, dass der Geist der Wahrheit durch Pius XII. uns ein Dogma, das Dogma von der Assumptio Beatae Mariae Virginis, beschert hat.

Es ist irrig, wenn man meint, ein Konzil sei mehr wert als der Spruch des Papstes. Ein Konzil ist gefüllter, weil eben viele Bischöfe versammelt sind, aber es ist nicht mächtiger. Es ist auch irrig, zu meinen, ein Konzil stehe über dem Papst. Es kann ein Konzil nur geben mit dem Papst. Ein Konzil, das sich vom Papst löst, ist kein Konzil mehr, sondern eine Bischofsversammlung. Ihr fehlt das Haupt, sie ist kopflos. Der ganze Streit über die Superiorität, über die Überlegenheit des Konzils über den Papst, ist sinnlos. Wenn der Papst einer konziliaren Entscheidung nicht beitritt, dann ist das Konzil leer, dann ist die Entscheidung unverbindlich. Es kann keine Konzilsentscheidung geben, der die Zustimmung des Papstes fehlt. Der Papst vermag auch Konzilsbeschlüsse zu ändern. Alles, was kein Dogma ist, ist dem Papste zur Veränderung preisgegeben. Es ist deswegen töricht, wenn heute gesagt wird, Benedikt XVI. gehe hinter das Konzil zurück. Erstens tut er das nicht und zweitens, wenn er es täte, wäre es sein gutes Recht. Nicht das Konzil steht über dem Papst, sondern der Papst ist der oberste Herr auch des Konzils.

Und so ist es immer in der Kirche geglaubt worden, auch gegen alle Anwürfe. Am Anfang des 2. Jahrhunderts schreibt Ignatius von Antiochien, als er auf dem Wege nach Rom war, um von den Tieren zerrissen zu werden: „Was die römische Kirche, die Vorsitzende des Liebesbundes, lehrt und vorschreibt, das will auch ich unantastbar halten.“ Und der heilige Irenäus, der ja nur wenig später gelebt hat, schreibt in seinem Buch „Gegen die Häresien“: „Mit dieser Kirche Roms muss wegen ihres höheren Vorrangs eine jede Kirche übereinstimmen.“ Papst Zosimus erklärt im Jahre 417: „An Unserem Urteilsspruch kann keiner etwas ändern.“ Und so entstand das schöne Wort: „Roma locuta, causa finita“ – Wenn Rom gesprochen hat, dann ist die Sache erledigt.

Und worüber, meine lieben Freunde, worüber hat das kirchliche Lehramt zu bestimmen? Es hat zu wachen über die Reinerhaltung der von Christus an die Apostel übergebenen Offenbarungswahrheit, auch über alle geschichtlichen, philosophischen und das praktische Leben betreffenden Wahrheiten, die in unlösbarem Zusammenhang mit der Offenbarung stehen. Das Lehramt hat ebenso über das Sittengesetz zu wachen, denn das Sittengesetz ist ein Bestandteil der Glaubenslehre. Es heißt immer in den Verkündigungen der Kirche, dass, wenn der Papst als oberster Lehrer entscheidet „in Glaubens- und Sittenfragen“, die Gläubigen daran gebunden sind. Hier haben manche Schwierigkeiten. Die Sittenlehre der Kirche erscheint ihnen zu anspruchsvoll. Sie schneidet ja tief ein in Leben, nicht wahr, vor allem, wo es um die geschlechtliche Sittlichkeit geht. Aber, meine Freunde, Grundsätze dürfen nicht daran gemessen werden, ob sie schwer oder leicht sind. Grundsätze müssen daran gemessen werden, ob sie richtig sind. Man dient den Menschen am besten, wenn man der Wahrheit dient.

So steht gewaltig das Lehrgebäude der Kirche vor uns. Bricht ein Dogma heraus, stürzt der ganze Bau zusammen. Entweder du nimmst jedes Dogma gläubig an, oder du verwirfst Christus. Das ist die Alternative. Dogmen sind gewaltig wie Gott, wie die ewige Wahrheit. Sie haben auf dem Amboß gelegen und sind durch die Jahrhunderte geschmiedet worden. Für den Glauben sterben zu dürfen, war stets die höchste Sehnsucht Tausender. Wir können der Kirche sagen: Führe sie heran, deine flores martyrum, deine Blüten der Martyrer, deine Söhne und Töchter, die im glutenden Rot ihres Blutes für den Glauben Zeugnis abgelegt haben. Die Scharen aus der Arena Roms. Alle, die den heiligen Boden unseres Vaterlandes befruchtet haben, wie Bonifatius. Die Martyrer Englands, die nur einem einzigen Dogma hätten abzuschwören brauchen, um ihr Leben zu retten. Aber sie haben ihm nicht abgeschworen. Die Neuchristen und die Glaubensboten in den weiten Missionsgebieten Japans bis Kanadas. Schließlich die Martyrer der jüngeren Zeit in Mexiko, in Russland, in Spanien, in China. Sie alle haben mit ihrem Blute Zeugnis gelegt für die Wahrheit, die Gott durch Christus uns übermacht hat. An ihr wollen wir festhalten bis zum letzten Atemzug unseres Lebens.

Amen.

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Die Bedeutung des Festes Maria Himmelfahrt

15.08.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Aufnahme Mariens in den Himmel Versammelte!

Am 1. November 1950 hat Papst Pius XII. auf dem Petersplatz in Rom als feierliches Dogma verkündet: „Die Lehre, dass Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden ist, ist eine Glaubenswahrhit, die von Gott geoffenbart ist.“ Die Kirche hatte schon lange vorher an diese Wahrheit geglaubt. Aber das Neue, was jetzt dazu kam, war die untrügliche Gewissheit, dass es sich dabei nicht um eine fromme Meinung handelt, sondern um ein von Gott geoffenbartes Dogma. Durch die Verkündigung dieser Glaubenswahrheit hat Gott uns eine gewaltige Fülle von Belehrungen erteilt.

Die Geschichte bis zu der Definition Pius’ XII. ist lang. Seit dem 4./5. Jahrhundert ist dieser Glaube in der Kirche nachweisbar. Der Kirchenlehrer Epiphanius etwa fragt im 4. Jahrhundert, ob Maria unsterblich gewesen sei, und im 4./5. Jahrhundert taucht auch eine Schrift auf, die erste Schrift, die wir zu diesem Thema haben: „Transitus Beatae Mariae Virginis“ – Der Übergang Mariens von der Erde in den Himmel. Zuerst wurde dieses Fest in der Ostkirche begangen. Der Kaiser Marikius hat es zu einem für das ganze Byzantinische Reich vorgeschriebenen Fest erklärt. Und bald finden wir es auch in Rom. Der Papst Sergius hielt an diesem Tage eine Prozession und bekannte sich damit zu diesem Glauben.

Es geht bei der Aufnahme Mariens in den Himmel nicht um eine fromme Meinung, sondern um eine definierte Glaubenswahrheit. Pius XII. hat mit aller Sorgfalt, die für eine Definition vorgeschrieben ist, erforscht, ob diese Glaubenswahrheit von der ganzen Kirche erkannt und anerkannt wurde. Im Jahre 1946 hat er eine Befragung aller Bischöfe der katholischen Kirche durchgeführt, ob sie der Meinung sind, dass diese Lehre feierlich als Dogma verkündet werden kann. 1169 Bischöfe bejahten diese Frage, 22 hatten Bedenken, aber nur 6 davon bezweifelten den Inhalt, die anderen waren lediglich in Unsicherheit über die Zweckmäßigkeit einer solchen Definition. In jedem Fall hat Pius XII., gestützt auf dieses Votum der ganzen lehrenden Kirche, am 1. November 1950 das Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel verkündet. Das ist die erste Dogmatisierung seit der Feststellung der päpstlichen Unfehlbarkeit auf dem I. Vatikanischen Konzil. Damals hat sich die ganze Kirche dazu bekannt, dass der Papst, wenn er als oberster Hirt eine für alle verbindliche Wahrheit festlegt, im Besitze der persönlichen Unfehlbarkeit ist.

Ich habe diese Dogmatisierung lebendig miterlebt und auch die Einwände gehört, die sich gegen diese Dogmatisierung wendeten. Es waren vor allem zwei, nämlich einmal wurde gesagt, ein solches Dogma müsse von einem Konzil verkündet werden und dürfe nicht von einem Einzelnen, nämlich dem römischen Papst, der Kirche vorgelegt werden. Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Der Papst ist im Besitze des unfehlbaren Lehramtes. Wenn er mit höchster Verbindlichkeit und letztgültig spricht, dann spricht in ihm und durch ihn die unfehlbare, irrtumslose Kirche. Im Wahrspruch des Papstes, der ja das Haupt der Kirche ist, ist gleichsam die Gesamtkirche zusammengefasst; in ihm verdichtet sich ihre Irrtumslosigkeit. Man kann in einem richtigen Sinne sagen: Der Papst ist die Kirche, weil er das Haupt der Kirche ist und die Kirche durch ihn redet.

Der zweite Einwand betraf die Tatsache, dass diese Wahrheit nicht ausdrücklich in der Heiligen Schrift ausgesprochen ist und durch die Tradition verhältnismäßig spät bezeugt ist. Auch dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Die Kirche schöpft ihre Wahrheit nicht ausschließlich aus der Heiligen Schrift. Gleichberechtigt neben ihr steht die Tradition. Das Konzil von Trient hat gelehrt, dass Schrift und Tradition „pari pietatis affectu“ behandelt werden müssen; mit der gleichen Ehrfurcht müssen Schrift wie Tradition von der Kirche angenommen werden. Ja noch mehr. Die Schrift ist jünger als die Tradition. Die Tradition ist älter als die Schrift. Bevor auch nur ein einziges Evangelium geschrieben war, wurde die Wahrheit um Jesus verkündet. Die mündliche Verkündigung geht der schriftlichen Niederlegung voraus. Die Kirche weiß darum, dass sie auf zwei Quellen des Glaubens ruht, auf der Schrift und auf der Überlieferung. In der Schrift sind häufig nur Spuren, Hinweise für die Dogmen enthalten. Aber sie genügen. Von dem Dogma der Aufnahme Mariens in den Himmel sagt der Heilige Vater: „Inititur“ – sie stützt sich auf die Schrift. Wir werden gleich sehen, wieso sie sich auf die Schrift stützen kann.

Der Kirche ist das Gesetz der Entwicklung eingeboren. Entwicklung heißt, dass etwas vorhanden ist, aber noch nicht offenbar gemacht ist, das erst im Laufe der Zeit „ausgewickelt“ wird. Es ist eingewickelt da, aber es muss entwickelt, es muss ausgewickelt werden. Vieles wurde in früheren Zeiten nur einschlußweise geglaubt, was später ausdrücklich anerkannt wurde. Die Ablehnung der Lehre des Dogmas von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel hat auch in einer bei manchen Christen vorhandenen Allergie gegen Maria ihren Grund. Katholischer Glaube, meine lieben Freunde, ist unvollständig ohne die Wahrheit über die Mutter unseres Herrn. Katholische Frömmigkeit ist undenkbar ohne Verehrung der allerseligsten Jungfrau. Auch ungenügende oder falsche Vorstellungen über das Jenseits können zur Abweisung dieses Dogmas führen. Wir, die wir gläubig sind und belehrt wurden vom Herrn, wissen, die Erde ist eine Stätte des Durchgangs zur Ewigkeit. Wer hier in Geist und Leben sich zum Herrn bekannt hat, den erwartet er im Jenseits. Die Seligkeit des Himmels umfasst vorläufig nur die Seelen der Verstorbenen, aber sie wird einmal auch den verklärten Leib umfassen. Und das Dogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel macht uns gewiß, dass der Leib einen bleibenden Wert hat, einen gottgegebenen Sinn und eine unvergängliche Würde.

Gerade in unserer Zeit der Verbrauchshaltung gegenüber dem Leib, in unserer Zeit der überbordenden Leibespflege, in unserer Zeit des Missbrauchs des Leibes ist es besonders wertvoll, zu wissen: Unser Leib ist bestimmt, einmal an der Seligkeit, der Glorie Gottes teilzunehmen. Einmal wird das vollkommene göttliche Leben auch in unserem Leibe durchbrechen, und das ist bei einer von uns schon geschehen, bei Maria.

Welches sind nun die Gründe, weshalb die Kirche diesen Glauben an die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel festhält? Der erste Grund ist ihre Freiheit von der Sünde. Der Zerfall des Leibes, der Tod, ist ja eine Straffolge der Sünde. Maria aber ist die Sündlose. Sie ist die unbefleckt Empfangene, die in ihrem Leben sündlos geblieben ist. Sie war also geeignet, ja berufen, dass ihr Leib nicht die Verwesung schauen musste, sondern alsbald in die Herrlichkeit des Himmels eingeführt wurde.

Der zweite Grund für die Unverweslichkeit des Leibes Mariens ist ihre Gottesmutterschaft. Sie hat dem Erlöser den Leib bereitet. Aus ihr ist der Erlöser ein Mensch geworden. Deswegen war es geziemend, dass ihr Leib das Los des Leibes Jesu teilte, d.h. nicht verweste, sondern verwandelt und erhöht wurde.

Ein dritter Grund für die Verklärung des Leibes Mariens ist ihre immerwährende Jungfräulichkeit. Wir sind mit der Kirche überzeugt, dass Maria vor der Geburt, in der Geburt und nach der Geburt jungfräulich blieb durch ein Wunder, durch ein unbegreifliches Wunder Gottes. Sie war also unversehrt in Jungfräulichkeit, und deswegen war es geziemend, dass ihr Leib nach dem Tode nicht der Zerstörung anheimfiel.

Und schließlich können wir noch einen vierten Grund für ihre Unverweslichkeit anführen: Sie war Mitarbeiterin am Heilswerke Christi. Sie hat teilgenommen am Werke des Erlösers. Sie hat ihn geleitet und begleitet. Sie stand unter dem Kreuze, und sie war im Abendmahlssaal versammelt, als der Heilige Geist herabkam. Das zeigt ihre innige Verbindung mit dem Werke Christi, und deswegen sollte sie auch die volle Erlösung erfahren. Maria ist die radikal Erlöste, die Vorerlöste, die Vollerlöste. In ihr verehren wir die ganzheitliche Erlösung, wie sie allen Menschen verheißen ist. Sie ist der Mensch, der sich mit letzter Konsequenz der Dienstbarkeit Gottes verschrieben hat und sich in den Dienst der Erlösung der Welt gestellt hat. An ihr können wir ablesen, was den Menschen, was uns bestimmt ist. Wir gehen nicht der Zerstörung entgegen, auch wenn wir uns vom Leibe trennen müssen, wir gehen der Seligkeit entgegen, in die Maria bereits aufgenommen ist mit Leib und Seele. Sie wartet auf uns, und sie geleitet uns. Zu ihr geht unser Rufen, zu ihr geht unser Weinen, zu ihr geht unser Flehen: „Du himmlische Mutter, du Königin des Himmels, die mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Vaters Aufgenommene, sieh unsere Not!“

Amen.

 

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Das Hirtenamt der Kirche

24.08.2008

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Sonntag haben wir uns Gedanken gemacht über das Lehramt Christi und seiner Kirche, und wir haben erkannt, dass durch die Garantie des Heiligen Geistes dieses Lehramt bei den höchsten und letzten und endgültigen Entscheidungen mit der Gabe der Unfehlbarkeit ausgestattet ist. Nun ist es recht und gut, die Wahrheit zu wissen. Aber das genügt nicht. Man muss auch die Wahrheit tun. Man muss nach dem leben, was man glaubt, und dazu braucht es eine Führung. Diese Führung gewährt uns der Herr, und diese Führung hat er seinen Aposteln vermacht.

Gott ist ein Gott der Ordnung. In der Dreifaltigkeit sind drei Personen zu einer einzigen Natur verbunden, eine einzige Natur in drei Personen. In der Dreifaltigkeit herrscht eine wunderbare Ordnung. Als Gott daran ging, eine Welt zu schaffen, hat er einen Kosmos hervorgebracht, d.h. ein Gebilde, das in sich eine heilige Ordnung trägt. Die Sterne ziehen nach festliegenden Gesetzen ihre Bahnen. Ich erinnere mich, wie es uns in der Schule heiß aufging, als uns der Physiklehrer die Kepler’schen Gesetze erklärte, die Gesetze, die abgelesen sind von den Bahnen der Gestirne. Und in der ganzen übrigen Welt herrschen die Gesetze, die die Chemie und die Biologie zu entschlüsseln versuchen. Gott ist ein Gott der Ordnung.

Er will auch, dass der Mensch einer Ordnung folge, und so hat er in ihn ein Gesetz hineingelegt, das wir das Gewissen nennen. Mit dem Gewissen soll der Mensch Ordnung in sein Leben bringen, dass er also die Dinge recht gebrauche mit Maß und Ziel, dass er in seiner Familie und in der Gemeinschaft des Staates Frieden und Eintracht halte, dass er seinen Gott verehre und auf diese Weise zum ewigen Leben gelange. Die Menschheit ist freilich durch Leidenschaft und Gottvergessenheit immer wieder abgeirrt vom Wege Gottes, und so hat Gott ihr die Gebote gegeben, die Gebote vom Berge Sinai, die auf steinerne Tafeln geschrieben waren, die aber noch viel mehr ins Herz des Menschen eingebrannt sein sollen.

Schließlich erschien Gottes Sohn selbst auf dieser Erde. Von ihm gilt das Wort des Vaters: „Dieser ist mein geliebter Sohn. Ihn sollt ihr hören.“ Christus ist der von Gott gesandte Führer der Menschheit. Und es ist wie ein Echo dieses Auftrages, wenn er selbst sagt: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden.“ Er hat den Menschen das Gesetz des Neuen Bundes gegeben, das Gesetz der Liebe. Er hat auch das natürliche Sittengesetz wiederhergestellt. „Am Anfang war es nicht so“, sagt er den Juden, als sie ihm mit der Ehescheidung kommen. Der Herr ist Richtschnur durch sein Wort, aber auch durch sein Beispiel. „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, dass ihr tun sollt, wie ich euch getan habe.“ Wahrhaftig, der Herr ist der Weg, der die Menschheit emporführen soll zu ihrem ewigen Glücke.

Nach seiner Himmelfahrt hat er andere bestellt, die in seinem Namen die Menschen führen sollen. Wir nennen sie Apostel. Sie sind die Menschheitserzieher. „Gehet hin und lehret alle Völker und macht sie zu meinen Schülern.“ So heißt nämlich die wörtliche Übersetzung des griechischen Ausdrucks: „Macht sie zu meinen Schülern.“ „Und lehret sie alles halten, was ich euch geboten habe.“ So ist die Kirche von Christus ausgestattet worden mit einer Regierung, mit einer Führung. Jede Gemeinschaft, die geordnet sein soll, benötigt eine Führung. Wenn wir die Briefe der Apostel aufschlagen, so sehen wir, dass es in der Urkirche Autoritäten gab, erst die Apostel, dann die Apostelschüler, die von ihnen eingesetzt wurden. Und so ist es bis heute geblieben. Es gibt in der Kirche eine Hierarchie, eine Führergemeinschaft, die vom Priester über den Bischof zum Heiligen Vater geht. Auch für diese Führung, auch für die Regierung der Kirche gilt das Wort: „Ich bin bei euch alle Zeit bis ans Ende der Welt.“

Aber im Unterschied zum Lehramt ist ein bedeutender Unterschied festzustellen, nämlich der Herr hat der Regierung der Kirche keine Unfehlbarkeit verheißen. Die Unfehlbarkeit bezieht sich auf die Lehre, in der Regierung müssen sich die Hirten der Kirche selbst den Weg suchen. Sie müssen lernen, wie man regiert. Allerdings frage ich mich, wo haben unsere Bischöfe das Regieren gelernt? Der Herr hat auch das Ideal des rechten Führers aufgestellt, nämlich es ist der Hirt, es ist der gute Hirt. Die Führer des christlichen Volkes werden von ihm als Hirten bezeichnet. Wir alle kennen das Bild des Hirten, wie er seiner Herde von Schafen oder Rindern voranzieht, wie er sie geleitet, wie er sie auf die Weide bringt, wie er sie schützt und wie er sie verteidigt. So sollen die Hirten der Kirche Lenker ihrer Gemeinden sein, Lenker des christlichen Volkes, die für ihre Gläubigen sorgen. Ja, der Herr hat den höchsten Anspruch an seine Hirten gestellt: „Der gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe.“ Das ist im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder erfolgt, meine lieben Freunde. Als die Rote Armee im Frühjahr 1945 nach Schlesien eindrang, da haben viele, allzu viele nichtkatholische Geistliche das Feld geräumt. Die katholischen Priester sind bei ihrer Herde geblieben. 60 von ihnen – 60! – haben diesen Schutz mit dem Leben bezahlt. Das Gegenteil vom guten Hirten ist der Mietling. Der Mietling flieht, wenn der Wolf kommt. Der Mietling hat Mangel an Verantwortung. Der Mietling ist auf seine eigene Sicherheit bedacht und nicht auf das Wohl seiner Herde. Deswegen flieht er.

 Zur regierenden Gewalt gehört die Gesetzgebung. Eine Gemeinschaft braucht Gesetze. „Was ihr auf Erden binden werdet, das ist auch im Himmel gebunden, und was ihr auf Erden löst, das ist auch im Himmel gelöst.“ Hier wird den Aposteln die Gesetzgebungsgewalt übertragen. Sie haben sie ausgeübt von Anfang an. Eine der schwersten Fragen in der Urkirche war, ob die Christen die jüdischen Zeremonialgesetze beobachten müssten. Die einen sagten ja, die anderen sagten nein. Die Apostel kamen zusammen zum Apostelkonzil in Jerusalem, und dort wurde die Entscheidung gefällt: „Es hat dem Heiligen Geist und uns gefallen, euch weiter keine Lasten aufzuerlegen.“ Solche Gebote hat die Kirche im Laufe der Jahrhunderte immer wieder erlassen. Sie hat veraltete abgeschafft, sie hat neue gegeben. Sie hat ein eigenes Gesetzbuch hervorgebracht, das von Juristen als „Ausbund der Weisheit und der Klarheit“ gerühmt wurde.

Als wir Kinder waren, lernten wir die fünf Kirchengebote, also: Du sollst die gebotenen Feiertage halten! Du sollst an Sonn- und Feiertagen eine heilige Messe mit Andacht hören! Du sollst die gebotenen Fast- und Abstinenztage halten! Du sollst wenigstens einmal im Jahre deine Sünden beichten! Du sollst wenigstens einmal die heilige Kommunion empfangen! Das sind wichtige, grundlegende Gebote des religiösen Lebens des katholischen Christen. Aber darüber hinaus gibt es noch viele andere Gebote. Die Sakramente, der Gottesdienst sind mit Geboten umgeben, um dafür zu sorgen, dass das Heilige heilig gehalten wird. Es hat immer Leute gegeben, welche die kirchlichen Gebote geringschätzen. Im 18. Jahrhundert – und das ist beglaubigt – hat einmal ein Höfling, ein Hofmann, zu König Ludwig XVI. von Frankreich, der ein guter Christ war, gesagt, man brauche die Fastengebote der Kirche nicht zu beachten, das seien ja rein menschliche Gesetze. Darauf erwiderte der König: „Ich habe noch nie gesehen, dass einer, der sich über die Gebote der Kirche hinwegsetzt, die Gebote Gottes heilig gehalten hätte.“

Der Gesetzgeber muss auch über die Einhaltung seiner Gebote wachen. Und so gibt es in der Kirche auch eine Zuchtgewalt, eine Ordnungsgewalt, eine Strafgewalt, eine Gerichtsbarkeit. Das ist schon in der Urkirche bezeugt. In Korinth war ein Mann, ein Christ, der mit seiner Schwiegermutter geschlechtlich zusammenlebte. Das galt als Blutschande. Die Oberen in Korinth scheinen nicht rechtzeitig eingegriffen zu haben; da meldet sich Paulus zu Wort und sagt: „Der Täter muss ausgestoßen werden aus der Gemeinde.“ So hat die Urkirche eine strenge Bußpraxis eingerichtet. Der öffentliche Sünder wurde ausgeschlossen, oft für lange Jahre, und es wurde nur eine einmalige Wiederzulassung gewährt. Diese strenge Zucht hat dafür gesorgt, dass die Christen von ihrer Umgebung bewundert wurden, dass die Verteidiger des Christentums in ihren Verteidigungsschriften auf das makellose Leben der Christen hinweisen konnten. Weichheit und Nachgiebigkeit haben der Kirche noch nie gedient, meine lieben Freunde, und wir hören mit Freude, dass der Bischof von Limburg den Bezirksdekan von Wetzlar abgesetzt hat, weil er etwas getan hat, was kein katholischer Priester tun darf, nämlich homosexuelle Gemeinschaften segnen. Wir danken ihm für diesen Dienst, den er dem Volke Gottes erwiesen hat. Wer alles durchgehen lässt, der dient nicht der Gemeinschaft, sondern der dient dem Gesetzesbrecher.

Eine andere Frage ist, wie weit die Kirche sich in irdische Sachgebiete mit ihrer Gewalt, mit ihrer Hirtenautorität einmischen darf. Natürlich, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Staat sind zunächst einmal in einem bestimmten Bereich autonom, d.h. sie folgen ihren eigenen Gesetzen. Aber darüber hinaus hat die Kirche ein Wächteramt, ein öffentliches Wächteramt. Sie hat dafür zu sorgen, dass die Gebote Gottes, die Gebote der gottentstammten Natur in diesen Sachbereichen beobachtet werden. Früher sprach man von der potestas indirecta, von der mittelbaren Gewalt der Kirche über die zeitlichen Angelegenheiten. Der Ausdruck ist nicht mehr üblich, aber die Sache ist geblieben. Auch diese Sachgebiete unterstehen der Hirtenaufgabe der Kirche. Denken wir etwa, wenn die Kirche ihre Stimme erhebt gegen den Verbrauch von Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen. Da hat die Kirche ihr Wächteramt ausgeübt, und unsere Kirche wiederum allein. Alle anderen beugen ihre Knie vor dem Götzen Baal, nämlich Genuß und Konfliktvermeidung auf dieser Erde. Die Kirche allein ist ungebeugt.

Darüber hinaus hat die Kirche die Gläubigen mit dem rechten Geiste zu erfüllen. Sie muss dafür sorgen, dass die Menschen wissen, was zu tun ist, und dass sie fähig sind, es auch zu verwirklichen. Der rechte Geist ist es, auf den es ankommt. Das hat die Kirche immer getan. Sie ist, als sie entstand, nicht hingegangen und hat gesagt: „Die Sklaverei muss abgeschafft werden. Es ist ein Unrecht, Menschen als Sachen zu behandeln.“ Nein, das hat sie nicht gesagt, sondern sie hat ihre Gläubigen mit einem neuen Geiste erfüllt, mit dem die Sklaverei unverträglich war. Die Nächstenliebe, die in jedem den Bruder sieht, hat dafür gesorgt, dass die Sklaverei abgeschafft wurde. Der große deutsche Rechtslehrer Rudolf von Ihering hat einmal das schöne Urteil abgegeben: „Der eine Satz, dass der Mensch als solcher Rechtssubjekt ist, zu dem das heidnische Recht sich nie erhoben hat, wiegt für die Menschheit mehr als alle Triumphe der Industrie. Ihn hat das Christentum zuerst ausgesprochen und ins Leben eingeführt.“ Ein wahres Ruhmesblatt für unsere heilige Religion.

Das alles, meine Freunde, sind Einzelaufgaben, die dem Hirtenamt der Kirche obliegen. Da fragt freilich der eine oder andere: Warum hat die Kirche nicht mehr erreicht? Zweitausend Jahre wirkt sie ja. Die erste Antwort lautet: Weil die Kirche in jeder Generation, ja bei jedem Menschen neu anheben muss. Gesinnungen und Tugenden vererben sich nicht. Sie müssen neu erworben werden von jedem einzelnen. Jeder muss selbst beginnen, sie zu erwerben. Die zweite Antwort lautet: Weil der Widerstand gegen das Wirken der Kirche viele ihrer Anstrengungen zunichte macht; weil immer wieder zerstört wird, was sie aufbaut. Schauen Sie in die Zeitungen, hören Sie den Rundfunk, blicken Sie in den Fernseher: Dort wird mit allen Kräften versucht, die Botschaft der Kirche zunichte zu machen. Wo die Kirche ein Nein spricht, da sagen diese Medien ein Ja.

Lassen wir uns, meine lieben Freunde, von diesen irrigen Anschauungen nicht anstecken. Lassen Sie uns mit entschiedenem Willen sprechen: Wir wollen an der Hand der Kirche den Weg Christi gehen. Kirche, so wollen wir sagen, du bist die große Führerin, die emporführt über die Niederungen des Lebens. Kirche, du bist die große Führerin aller Zeiten, du bist die große Mutter und Erzieherin. Auf dir schreiten die Jahrhunderte zu Gott.

Amen.

 

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