Geliebte im Herrn!
In der Natur gibt es ein
Gesetz, und das hat der Herr in die Worte gefasst: „Wenn
das Weizenkorn nicht stirbt, bleibt es allein, wenn es
aber stirbt, bringt es viele Frucht.“ Das organische
Leben ist durch das Gesetz bestimmt, dass durch
Absterben neues Wachstum geschieht. Dieses Gleichnis in
der Natur hat der Herr in seinem Leiden auf der
übernatürlichen Ebene wahr gemacht. Durch sein heiliges
Blut hat er uns erlöst. Der Gottessohn stirbt, damit die
Menschen seines göttlichen Lebens teilhaftig werden.
Dieses Gesetz muss weitergehen durch das ganze Leben der
Christenheit. Immer und immer wieder muss sich das
Gesetz erfüllen, denn: „Der Knecht ist nicht über seinem
Herrn. Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch
verfolgen.“
Der Herr hat sich große
Mühe gegeben, seinen Jüngern diese Lehre nahezubringen.
Aber sie verstanden ihn nicht; sie wollten ihn nicht
verstehen. Sie wollten mit ihm herrschen, mit ihm
triumphieren, die ersten Plätze einnehmen, aber nicht
das Kreuz auf ihre Schultern nehmen. Doch hat ihnen der
Herr erklärt: „Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt, kann
mein Jünger nicht sein.“ Sie verstanden es erst, als der
Herr aus dem Grabe erstanden war; denn da begriffen sie,
dass Jesus dies alles leiden musste, um so in seine
Herrlichkeit einzugehen. Und als dann der Pfingstgeist
über sie kam, da waren sie gerüstet, das Kreuz ihres
Meisters auf ihre Schultern zu nehmen. Sie gingen
„jauchzend“ – so steht es in der Apostelgeschichte – vom
Hohen Rate fort, als sie geprügelt worden waren, weil
sie gewürdigt worden waren, für den Namen Jesu Schmach
zu leiden. Dieses Gesetz hat sich an allen seinen
Jüngern erfüllt. Als Paulus sich bekehrte, da erfuhr er
aus dem Munde des Ananias: „Ich will ihm zeigen, was er
um des Namens Jesu willen leiden muss.“ Und dieses
Gesetz hat sich wahrhaft an ihm in überreichem Maße
erfüllt. Misshandlungen, Nöte, Gefängnis, Geißelschläge,
das alles hat er in großem Maße erduldet. Aber er
jauchzte ob dieser Missetaten: „Ich freue mich der
Leiden, die ich für euch erdulde, denn ich ersetze an
meinem Leibe, was von den Leiden Christi für die Kirche
noch aussteht.“ Da hat er das Gesetz begriffen, unter
dem die Kirche angetreten war.
Die Kirche ist ja die
Braut Christi, und wenn sie ihrem Bräutigam ähnlich sein
will, dann muss sie durch Leiden gehen. Meine lieben
Freunde, der Vater im Himmel weiß, warum die Kirche so
viele Leiden ertragen muss. Es hat der Kirche noch
niemals gut getan, wenn sie längere Zeit einen
ungestörten Frieden genießen konnte, wenn Reichtum und
Ehrenstellen ihr in Fülle zuteil wurden. Das hat ihr
noch nie gut getan. Im Wohlleben geht die Tugend
zugrunde. Die Glieder der Kirche erschlaffen, sie werden
bequem und leidensscheu, sie passen sich der Welt an,
die sie ja an ihren Genüssen teilnehmen lässt. Wie
erwirbt ein Priester, wie erwirbt ein Bischof den
Beifall der Welt, das Wohlgefallen der Presse? Indem er
wichtige, unerlässliche Gegenstände des Glaubens nicht
verkündigt, indem er schweigt vom Kreuztragen, von der
Sünde, vom Fegfeuer und von der Hölle. Dadurch erwirbt
er sich den Beifall der Öffentlichkeit. Indem er ein
bequemes Evangelium verkündet: dass man es sich auf der
Erde gut gehen lasse, dass man sich nicht anzustrengen
brauche, um in den Himmel zu kommen. Wer so predigt, der
ist angesehen, ist beliebt..
Aber das ist nicht die
Weisung Christi. Er lässt Leiden über die Kirche kommen,
damit in diesen Leiden, in der Verfolgung, die Kraft
seines Heiligen Geistes wieder in den Menschen aufwache,
damit die Menschen zu heldischem Martyrium kommen und
Zeugnis geben für das Evangelium. Der Leidensweg der
Urkirche begann mit der Steinigung des Stephanus, ein,
so meinen wir, unersetzlicher Verlust. Aber nein, der
die Kleider der Steiniger bewachte, hieß Saulus, und er
wurde von Gott erweckt, damit er an die Stelle des
Stephanus trete. Es erfüllt sich in ihm das Gesetz, das
fortan über der ganzen Kirchengeschichte steht: Das Blut
der Martyrer ist der Same für neue Christen. Das Blut
der Martyrer ist der Same für neue Christen.
Wohin die Kirche kam, in
das Römische Reich, da galt sie als der Abschaum, als
das Verkommenste, was man sich denken konnte, als die
Religion der Sklaven. Verfolgung in Jerusalem,
Verfolgung in Rom. Rot färbte sich die Arena vom Blute
der Martyrer. Und die Christen, die Nero an Pfähle
anbinden und anzünden ließ, leuchteten wie Fackeln.
Durch drei Jahrhunderte hat die Kirche der Verfolgung
unterworfen sein müssen. Zehn Verfolgungen hat sie
erlitten. Blutig war der Weg der alten Kirche. Aber
eines Tages war er zu Ende, da stieg die Kirche aus den
Katakomben, und da wurde das Kreuz zum Siegeszeichen.
Das Schicksal der
Urkirche wiederholt sich in der Geschichte. Sooft kühne
Glaubensboten vordrangen, wurden sie von den Völkern
übel aufgenommen. Die Hölle wollte sich ihren Besitz
nicht entreißen lassen. Martyrer in Trier, in Köln, in
Mainz, Martyrer in Japan im 17. und 18. Jahrhundert voll
grausamer Verfolgungen, Martyrer in Amerika,
hingeschlachtet von den Indianern, Martyrer in Afrika,
ermordet von Negern. Es ist, als könne der Same des
Christentums erst aufgehen, wenn der Boden getauft ist
mit dem Blut der Martyrer. Der polnische Kardinal
Wyschinski hat einmal das ergreifende Wort geprägt: „Die
Erde dürstet nach Priesterblut.“ Heute sind die
Christenverfolgungen in Indien an der Tagesordnung.
Christen auf der Flucht, Christen verjagt, ihre Häuser
angezündet, ihre Kirchen zerstört, ihre Priester
ermordet. Ähnlich in Nordkorea und in Vietnam. Und jetzt
geht es auch in Lateinamerika los. Der Präsident von
Venezuela richtet eine spalterische Sekte auf, um die
Kirche zu treffen. Der Präsident von Ecuador baut ein
atheistisches Staatswesen auf. Blutig sind die Wunden,
die der Kirche durch Diktatoren und diktatorische
Regimes zugefügt werden.
Aber noch schmerzlicher
leidet die Kirche unter den Irrlehrern. Behutsam sucht
sie den Schatz, den Christus ihr vermacht hat, zu
bewahren. Da kommen sie von allen Seiten, um ihr das
anvertraute Erbe zu entreißen. Man schmäht sie, dass sie
es nicht hergibt; rückständig sei die Kirche, verbohrt,
dumm, unduldsam. Man reißt und zerrt an ihrem heiligen
Leibe, Abfall von Menschen, ganze Länder trennen sich
von ihr. Heute fallen Tausende und Abertausende jeden
Tag, meine Freunde, Tausende und Abertausende jeden Tag
in Südamerika vom katholischen Glauben ab. Die Sekten
arbeiten mit allen Mitteln, um unsere Kirche zu
vernichten. Sie verteilen, mit reichen amerikanischen
Geldern versehen, Lebensmittel an die Armen, sie
schmähen die Kirche, sie verdächtigen den Priesterstand,
sie ziehen gegen den Papst in Rom zu Felde, sie predigen
ein billiges Evangelium. Und so laufen die Menschen
ihnen zu. Die Wahrheit scheint ohnmächtig. Und doch:
Modetorheiten überleben sich schnell. Der Sieg der
Wahrheit ist es, dass sie bleibt.
Christi größtes Leid war
die Untreue seiner Jünger. Judas wurde ein Verräter,
Petrus sagte sich feige von ihm los: „Ich kenne diesen
Menschen nicht. Ich kenne diesen Menschen nicht.“ Das
ist der größte Schmerz der Kirche: die Sünden ihrer
Kinder. Sie trauert um die vielen, die sie in Zeiten der
Anfechtung verlassen. Wir haben es im Dritten Reich
erlebt, wie so viele katholische Christen ihre religiöse
Betätigung einstellten, wie sie zu den Nazis überliefen,
wie sie sich von der Kirche trennten. Gewiß unter Druck,
das sei zugegeben. Der Staat, die Partei, die
Organisationen übten einen schlimmen Druck auf die
Menschen aus, sich von der Kirche zu trennen. Man musste
Spott und Verachtung auf sich nehmen, berufliche
Zurücksetzungen, wenn man der Kirche treu blieb. Aber
getötet wurde keiner wegen seines Glaubens. Dennoch
haben viele sich von der Kirche losgesagt. Und das ist
ja auch heute noch das Leid eines jeden Erziehers, eines
jeden Predigers, eines jeden Priesters. Machtlos steht
er der Torheit, der Schwäche und der Bosheit seiner
Zöglinge gegenüber. Das christliche Abendland ist zum
Ärgernis für die Heiden und für die Muslime geworden,
und das bedrückt die Kirche schwer.
Wer hoch steht, kann tief
fallen. Das erfüllt sich auch am Priesterstand der
Kirche. Unablässig bemüht sich der Erbfeind Christi, in
der Kirche selbst Sünde wachsen zu lassen: Priester
fallen ab, Bischöfe versündigen sich. Das ist Satans
größter Triumph, dass arme Menschen zu Fall gebracht
werden, dass sie vom Glauben abfallen, dass sie sittlich
entgleisen. Die dunkelsten Kapitel der Kirchengeschichte
kann man überschreiben: Priestersünde und
Priesterabfall. Und dennoch, auch hier erleben wir immer
wieder Siege der Gnade, Siege der siegreichen Gnade, der
gratia victrix, wie die Theologie sie nennt. Es war
schon des Heilands größte Freude, zu suchen und selig zu
machen, was verloren war. „Größer“, so sagt er, „ist die
Freude über einen Sünder, der Buße tut, als über 99
Gerechte, die der Bußte nicht bedürfen.“ Und so
wiederholt sich immer wieder das Gleichnis vom
verlorenen Sohn. Immer wieder gelingt es der Kirche,
verlorene Söhne und Töchter, die zerknirscht
zurückkehren, in ihre Arme zu schließen. Es gibt
Triumphe der Gnade. Wenn die Gnadenorte der Beichtstühle
reden könnten, dann würden sie sprechen, wie die Gnade
Gottes über die Bosheit der Sünde siegt. Wenn sie alle
hier aufträten, die im Leben und im Sterben, manchmal in
letzter Stunde, den Weg zurückgefunden haben, dann sähen
wir, dass es große Siege gibt, welche die Kirche
verzeichnen kann. Und auch noch einen anderen Sieg gibt
es nämlich: Inmitten dieser Marasmen, inmitten dieser
Fäulnis gibt es noch reine Menschen, Jungfrauen und
junge Männer, die in Treue zu Christus und seinem Gesetz
stehen. Auch das sind Siege Christi.
Christi erbittertster
Feind war die römische Staatsmacht und die jüdische
Behörde. Die jüdische Behörde und die römische
Staatsmacht sind angetreten, um die junge Kirche zu
ersticken. Das ist im ganzen Lauf der Kirchengeschichte
so geblieben. Immer wieder hat die Staatsmacht die
Kirche zu überwältigen, ja zu vernichten gesucht. Die
Cäsaren Roms wollten die Kirche auslöschen, die Kaiser
des Mittelalters wollten die Kirche in ihren Dienst
zwingen. Heinrich VIII. von England hat wegen seiner
Leidenschaft die englische Kirche von Rom losgerissen.
Die bourbonischen Höfe haben die Kirche unter ihre Knute
gezwungen. Napoleon wollte es nicht ertragen, dass eine
Macht ihm noch widerstand, nämlich die im Papst
zentrierte Kirche. Und Bismarck entfesselte den
Kulturkampf gegen die Kirche. Er fürchtete, dass „von
jenseits der Berge“ – nämlich von Rom – sein Werk, die
deutsche Einheit, zerstört werden könnte. Und so ist es
auch bis heute geblieben. Staaten, die als katholisch
gelten, bedrücken und bedrängen die Kirche. Täglich
lesen wir von kirchenfeindlichen Gesetzen, welche die
sozialistische Regierung in Spanien erlässt, um die
Kirche zu erdrosseln. Der Islam wird begünstigt, und die
Kirche wird bedrückt. Die Regierung Zapatero betreibt
die Entchristlichung Spaniens. Und in Frankreich, da
stehen die Freimaurer und alle Feinde der Kirche bereit,
um ja nicht der Kirche ein wenig mehr Lebensmöglichkeit
zu gönnen, wachen rigoros über die Trennung von Kirche
und Staat. Im Jahre 1789 hat der französische Staat das
gesamte Vermögen der katholischen Kirche in Frankreich
eingezogen. Er verpflichtete sich, für den Kult, also
den Gottesdienst, und den Unterhalt der Priester zu
sorgen. Ein Jahrhundert wurde diese Zusage eingehalten.
Aber 1905 wurden alle Leistungen an die Kirche
eingestellt. Es gibt keine Kirche in Europa, die so
bettelarm ist wie die Kirche in Frankreich. Dazu kommt
die verbreitete Christenfeindlichkeit in Europa, in den
europäischen Gremien in Brüssel und in Straßburg. Der
ungarische Primas, Erdö, hat dieser Tage darauf
hingewiesen, dass es eine Verschwörung in den Medien
gibt, die mit Verleumdung, mit falscher Information und
mit Sensationsgier die Kirche zu unterdrücken versucht.
Christi Leid und Christi
Sieg werden weitergehen. Karfreitag und Ostertag der
Kirche werden noch oft wechseln und einander
durchdringen. Aber im Gesamtbild wird der Kreuzweg
vorherrschen. Wir sind eben die streitende Kirche. Der
größte Teil des Ostersieges bleibt unsichtbar. Den
Ostersieg feiern wir jenseits des Grabes, droben bei
unserem König. Das ist unser siegesfroher Glaube, der
die Welt überwindet. Wir wissen nicht, meine lieben
Freunde, wie lange dieser Kampf noch gehen wird. Niemand
weiß, wann er endet. Er wird enden, wenn das
Siegeszeichen Christi am Himmel erscheint, wenn das
Kreuz seines Leidens und seines Siegens am verklärten
Horizont aufscheint. Dann werden sie alle dastehen, die
Menschen aller Zeiten und Zonen, vor ihm, ihrem König,
die Bedrücker, die Bedränger, die Verfolger. Sie werden
vor ihm stehen. Und alle, die für ihn gelitten und
gekämpft und gerungen haben, und alle – alle! – werden
dasselbe sprechen müssen, was einstmals der abtrünnige
Kaiser Julian gesagt hat, als er sterben musste:
„Galiläer, du hast gesiegt!“
Amen.
Geliebte im Herrn!
Vor 2000 Jahren wanderte
der Herr am Gestade des Sees Genesareth. Er hatte den
Auftrag vom Vater bekommen, ein neues Volk und ein neues
Reich zu gründen, denn das alte Volk, das Judenvolk,
versagte sich ihm. Das neue Reich benötigte neue
Menschen. Und als der Herr so dahinwanderte, sah er zwei
von ihnen, die ihm geeignet dünkten. Es waren Johannes
und Andreas. Andreas führte ihm auch seinen Bruder zu
mit Namen Simon. Der Herr fasste ihn ins Auge, und dann
sprach er ihn an: „Du sollst Kephas heißen.“ Kephas, das
ist der aramäische Ausdruck für das deutsche Wort
„Fels“. „Du sollst Fels heißen“, Petrus lateinisch. Wem
der Herr einen neuen Namen gibt, dem gibt er auch eine
neue Aufgabe. Der Herr weiß, dass Name nicht Schall und
Rauch ist, sondern dass Name etwas vom Wesen des
Menschen ausdrückt. Und wenn Simon jetzt künftig Kephas,
Petrus, Fels heißen soll, dann ist damit ausgedrückt,
dass er eine neue Aufgabe, eine neue Funktion erhält,
dass mit seinem Namen ein Programm verbunden ist.
Über das Galiläische
Meer, wie man ja den See Genesareth auch nannte, fährt
ein Fischernachen, und Menschenscharen am Ufer schauen
zu, auch erfahrene Fischer. Ja, wie kann man jetzt, zur
Tageszeit, hinausfahren, um Fische zu fangen? Fischfang
ist eine Sache der Nacht. Im Schiff aber sitzt Kephas,
Petrus, Simon. Er ist gehorsam: „Herr, auf dein Wort hin
will ich das Netz auswerfen.“ Und er fängt eine so große
Menge Fische, dass er seine Gefährten herbeirufen muss,
damit sie die Menge der Fische auch bergen können.
Dieses Erlebnis erschüttert Petrus. Er sinkt auf die
Knie: „Herr, geh weg von mir; ich bin ein sündiger
Mensch!“ Diese tiefe Demut belohnt der Herr: „Simon,
fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen
fangen.“ Er bestellt ihn zum Mitarbeiter an seinem
Werke. Vor dem Heilandsauge schwindet das Ufer des Sees,
weitet sich das Galiläische Meer zum Weltmeer.
Ungezählte Menschenfische sind darin. Und für diese
Menschenfische braucht er Fischer; und deswegen sagt er
zu Petrus: „Von nun an sollst du Menschern fischen.“ Der
See wird ihm zu einem Sinnbild der Kirche, die er
stiften will. Und zu Petrus gesellt er andere, die mit
ihm in die Arbeit eintreten sollen. Er schult sie für
ihr Amt. Aber immer wird klar, und immer ist eines
sicher: Simon Petrus ist der Erste unter ihnen. Er ist
der Sprecher in entscheidenden Stunden.
Als der Herr seine
Weissagung macht, dass er ein Brot geben werde, das sein
Fleisch ist, und viele Jünger ihn verlassen, da ist
Petrus der Sprecher der Jüngerschar: „Herr, zu wem
sollen wir gehen? Du, du allein hast Worte des ewigen
Lebens.“ Unter den Zwölfen wird einer erwählt, damit er
die Einheit unter ihnen gewährleisten soll. Es ist Simon
Petrus, der Felsenmann. Und diese seine Funktion
behauptet er bei Cäsarea Philippi. Da fragt der Herr
seine Jünger: „Für wen halten die Leute, die anderen
Menschen, den Menschensohn?“ Und dann kommen diese
kläglichen Antworten: „Die einen für Johannes den Täufer
(der dann eben auferstanden sein muss), andere für Elias
(der dann eben wiedergekommen sein muss) oder für
Jeremias oder irgendeinen der Propheten.“ Diese
enttäuschenden Antworten veranlassen den Herrn, zu
fragen: „Ihr aber, ihr, die ihr herausgehoben seid aus
den übrigen Menschen, für wen haltet ihr mich?“ Und
wiederum tritt Petrus in seine Führerrolle ein und
spricht: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen
Gottes.“ Diese Kenntnis ist Petrus geworden durch eine
Offenbarung. „Nicht Fleisch und Blut“, also nicht
menschliche Mittel, „haben dir das geoffenbart, sondern
mein Vater, der im Himmel ist.“ Petrus ist
Offenbarungsträger. Aber nicht nur das. Er wird auch vom
Herrn seliggepriesen. „Selig bist du, Simon, Sohn des
Johannes.“ Und dann kommt die dreifache Verheißung, die
auf Petrus gehäuft wird: „Du bist der Fels, und auf
diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“
Fels ist ein Standort,
der unerschütterlich ist. Fels besagt, dass ein Bau
errichtet wird, der nicht vom Sturm weggefegt wird und
den Wassermassen nicht zerreißen. Fels bedeutet die
Unerschütterlichkeit einer Gründung. Ein neuer Bau muss
stehen, denn der alte stürzt, aber dieser Bau wird nicht
auf Sand errichtet, sondern auf Fels. Die
Nichtkatholiken haben sich bemüht, dieses Wort zu
entschärfen. Man hat alle möglichen Erklärungen
erfunden. Nicht Petrus sei gemeint, sondern eben sein
Glaube. Aber der Herr sagt ja nicht: Sein Glaube ist der
Fels, sondern: „Du, du persönlich, du bist der Fels.“
Aber damit nicht genug.
„Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben.“
Das Himmelreich ist ja das große Werk, das der Herr
bauen will, das Reich Gottes, das auf diese Erde kommt
und in dem die Kirche den Anfang bildet. Die Schlüssel
geben die Gewalt über dieses Reich. Schlüsselträger ist
nicht ein Pförtner, Schlüsselträger ist der Hausherr.
Ihm sind die Schlüssel anvertraut und damit der Einlaß
und der Ausschluß. Petrus wird zum Hausherrn dieses
neuen Baues gemacht.
Und immer noch nicht
genug. „Alles, was du auf Erden lösen wirst, wird auch
im Himmel gelöset sein. Alles, was du auf Erden binden
wirst, wird auch im Himmel gebunden sein.“ Die Ausdrücke
binden und lösen waren den damaligen Menschen vertraut.
Binden heißt jemanden unter Zwang stellen, heißt
jemandem ein bestimmtes Gebot geben. Binden heißt ihn
auf bestimmte Vorschriften verpflichten. Wer die
Bindegewalt hat, der vermag Gesetze aufzustellen und von
ihnen zu dispensieren. Er vermag Strafen auszusprechen,
denn das ist auch eine Bindung, aber er vermag auch von
Strafen loszusprechen.
Das ist also die
dreifache Sendung, die Petrus in Cäsarea Philippi zuteil
wurde. Das ist die Stiftungsurkunde des Papsttums. Ich
sagte schon, man hat daran gerüttelt, diese Worte anders
zu deuten, um nicht auf dem Felsen Petrus stehen zu
müssen. Aber alle diese Versuche scheitern an dem klaren
Wortlaut des Textes, den der Herr gesprochen hat. Aus
diesen Worten wird unausweichlich klar: Wer nicht auf
dem Felsen Petri steht, ist nicht im Hause Christi,
gehört nicht seiner Kirche an. Das sei all denen gesagt,
die - manchmal sehr wohlmeinend – die Nichtkatholiken
auch zur Kirche Christi im vollen Sinne rechnen wollen.
Das ist nicht möglich. Wer nicht zum Papste steht, kann
nicht Glied der katholischen Kirche sein.
Hoch hat der Herr den
Simon gestellt, hoch hat er ihn erhoben. Aber Petrus
wurde stolz. Er überhob sich. Es war am
Gründonnerstag-Abend. Der Herr sprach von seiner
Verfolgung: „Heute Nacht werdet ihr alle an mir irre
werden.“ Da empört sich Petrus, da begehrt er auf: „Wenn
auch alle an dir irre werden, ich nicht! Und wenn ich
mit dir sterben müsste, ich würde es tun.“ Petrus ist
stolz geworden, und Petrus muss gedemütigt werden. Und
der Herr lässt zu, dass er gedemütigt wird: „Ich sage
dir, Petrus, der Hahn wird nicht krähen, bis du dreimal
geleugnet hast, mich zu kennen.“ Und wie der Herr es
vorausgesagt hat, so ist es geschehen. „Der war auch bei
Jesus, dem Nazarener“, sagt eine Frau. „Weib, ich kenne
ihn nicht!“ Petrus musste gedemütigt werden. Einen
Stolzen kann Christus als Papst nicht brauchen.
Petrus dachte nach diesem
Fall vielleicht nicht mehr daran, dass ihm die
verheißene Würde zuteil werden würde. Die anderen
mochten raten, wer der Führer seines Reiches werden
sollte. Und da war es nach der Auferstehung des Herrn in
der Morgenfrühe wiederum am See von Tiberias, dass der
Herr seine Jünger um sich versammelt. „Simon, Sohn des
Johannes“, so spricht er ihn an. Feierlich, gespannt
schauen alle auf den Herrn und auf Petrus. Und dann die
Frage: „Liebst du mich mehr als diese?“ Was soll er
antworten? Im Abendmahlssaal, da hätte er gesagt: „Ja,
ich liebe dich mehr als diese.“ Aber das traut er sich
nicht mehr zu sagen. „Ja, Herr“, so stammelt er, „du
weißt, dass ich dich liebe.“ Und dreimal dieselbe Frage,
und dreimal dieselbe Antwort, und dann die entscheidende
Erfüllung: „Weide meine Lämmer! Weide meine Schafe!“ Er
soll der Hirt, er soll der Oberhirt sein, er soll der
oberste Hirt sein. Ihm ist die Lenkung der Herde Jesu
anvertraut. Nur Gottes Geist, meine lieben Freunde,
kommt auf den Gedanken, das Schwache zu erwählen, um
damit andere zu bestärken. Nur Gottes Hand kann über
einem wankenden Grundstein ein ewiges Gebäude
aufrichten.
Das war des Heilands
letztes Wort in der Papstfrage. Seitdem wissen wir: Im
römischen Bischof, im Papst, ruht die Autorität Christi,
ruht die Einheit und die Wahrheit der Kirche. Es mögen
Völker von allen Seiten kommen und in die Kirche
eintreten, ihr Aufbau, ihre Einrichtung bleibt, wie der
Herr es gewollt hat. Es mögen Bistümer erstehen,
volkreich, manchmal – allzu selten – manchmal mit
hervorragenden Bischöfen an ihrer Spitze, überragend an
Geist und Größe. Wenn sie nicht dem Papst Gefolgschaft
leisten, gehören sie nicht zur Kirche Christi. Eine
einzige Herde soll sein. Darum setzt der Herr Petrus ein
zum Bischof der Bischöfe, zum Hirten der Hirten, zum
oberen, nein, zum obersten Hirten.
Das Erste Vatikanische
Konzil, diese große Kirchenversammlung von 1870, hat
diesen biblischen Befund in Begriffe zu fassen gewusst.
Mit Recht; denn wir müssen die Bilder ja deuten, wir
müssen sie umsetzen in Begriffe, damit wir uns darüber
klar werden, was in diesen Bildern enthalten ist. Und
das Erste Vatikanische Konzil hat gesagt, dass Petrus
den übrigen Aposteln vorgesetzt wurde als das beständige
Prinzip und das sichtbare Fundament der Einheit. Das
sind die entscheidenden Begriffe: das beständige Prinzip
und das sichtbare Fundament der Einheit. Was ist ein
Prinzip? Ein Prinzip ist ein Anfang, ein Ursprung, ein
Grund. Ein Prinzip ist dasjenige, woraus etwas wirklich
wird. Wenn Petrus – wenn der Papst – das Prinzip ist,
das Prinzip der Einheit, dann ergibt sich daraus, dass
es seine ständige Aufgabe und Vollmacht ist, diese
Einheit zu schaffen. Andere, auch Bischöfe, mögen vom
Pluralismus faseln und die Spaltung betreiben: Petrus,
der Papst, erhält die Einheit. Er ist ihr Prinzip. Und
das Fundament? Das ist die Grundlage, das ist die Basis.
Jeder, der ein Haus baut, weiß, dass man ein Fundament
schaffen muss. Das Fundament ist der Bestandteil des
Bauwerks, auf dem das übrige ruht. In Petrus, im Papst,
ruht die Einheit der Kirche. Mögen noch so viele
Bischöfe meutern, mögen sie der Beliebigkeit das Wort
reden: In Petrus, dem Papst, ist die Einheit gegründet.
Er ist ihr Fundament.
Auch diese Funktion hat
der Herr vorausgesagt. Im Abendmahlssaal noch wandte er
sich zu Petrus: „Simon, Simon, der Satan hat verlangt,
euch zu sieben, wie man den Weizen siebt. Ich aber habe
für dich gebetet, dass dein Glaube nicht wanke. Und wenn
du dich dereinst zurückgefunden hast, stärke deine
Brüder!“ Genau das tut Petrus, tut der Papst: Er stärkt
seine Brüder. Ach, meine Freunde, ohne den Papst würde
der Glaube in unserer Kirche längst verunklart und
verunreinigt sein. Das tun die Päpste seit 2000 Jahren:
Sie stärken ihre Brüder, sie erhalten sie in der
Wahrheit. Denn in ihm, im Papst, ruht die Lehrgewalt der
Kirche. Der Geist des Irrtums kann sie nicht
überwältigen, solange der Garant der Wahrheit steht, der
Fels Petri, der Fels der Wahrheit. Der Papst hat die
höchste Lehrautorität, ja er ist, wenn er ex cathedra
spricht, also mit letztgültiger Vollmacht, er ist
unfehlbar! In ihm verdichtet, sammelt sich die
Unfehlbarkeit, die der Kirche eignet. In einem gewissen
Sinne ist der Papst die Kirche, weil er ihr Haupt ist,
ihr Fundament und ihr Prinzip.
Die Wahrheit, meine
lieben Freunde, kann nicht immerfort gesucht werden. Man
muss sie auch einmal finden. Man muss sie auch einmal
festhalten. Die Suche muss einmal zum Ziele führen. Es
muss ein letztes Wort in der Kirche geben, und dieses
letzte Wort spricht Petrus, spricht der Papst. Wo Petrus
ist, da ist die Kirche. Und wo die Kirche ist, da ist
nicht der Tod, da ist das ewige Leben.
Amen.
Geliebte im Herrn!
Am vergangenen Sonntag
haben wir uns vor Augen gestellt, wie Jesus den Felsen
der Kirche gegründet hat. Er hat ihn gegründet auf einen
Menschen namens Simon, dem der den Beinamen Kephas, d.h.
Petrus, der Fels, gab. Damit hat Christus die Verfassung
der Kirche grundlegend eingerichtet. Aber auch wenn wir
nichts davon wüssten, die Art, wie die Urkirche, wie die
Apostel die Kirche gelenkt und geleitet haben, würde uns
davon überzeugen, dass sie auf Petrus, den Felsenmann,
gegründet ist. Denn der Heiland verließ ja die Seinigen.
Er fuhr gen Himmel, und nun trat Petrus sein Führungsamt
an. Er leitet die Wahl des neuen Apostels Matthias; er
stellt die Kirche, die jetzt vom Heiligen Geist erfüllt
ist, der Welt vor, und er eröffnet die Mission. Petrus
ist es, der in den ersten Kämpfen, welche die junge
Kirche bestehen muss, als ihr Verteidiger auftritt vor
dem Hohen Rat. Er ist ihr Sprecher. Petrus verhängt die
erste Exkommunikation über Simon, den Zauberer. Und
wiederum ist es Petrus, der das Ehepaar Ananias und
Saphira als Lügner entlarvt, und prompt folgt das
göttliche Strafgericht seinem Spruch. Für Petrus wirkt
Gott das große Wunder der Errettung. Petrus im Kerker,
von 16 Mann bewacht, in vier Wachen aufgeteilt. Gott
schickt seinen Boten, den himmlischen Boten, und Petrus
durchschreitet die Wachen. „Jetzt weiß ich“, sagt er,
„dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der
Hand des Herodes und aus der Erwartung des Volkes der
Juden befreit hat.“
Es taucht eine schwierige
Frage auf. Müssen die Heiden, die zum Christentum
kommen, beschnitten werden? Müssen sie das
alttestamentliche Gesetz auf sich nehmen? Petrus fällt
die Entscheidung. Von Gott erleuchtet, verfügt er, dass
weder das eine noch das andere ihnen auferlegt werden
muss. Mögen auch manche dagegen sprechen, mag sein
ganzes jüdisches Empfinden sich dagegen wenden: Unter
der Leitung des Heiligen Geistes trifft er die
Entscheidung, und keiner wagt sie zu bestreiten, auch
nicht Paulus, der Selbständige, der von Gott eigens
Berufene. Auch er beugt sich unter die Führungsstellung
Petri. Im Galaterbrief schreibt er: „Ich ging aus
Arabien nach Jerusalem, um Petrus zu sehen, und ich
blieb 14 Tage bei ihm.“
Petrus ist tot. Aber
bevor er stirbt, hat er noch einen besonderen Auftrag zu
erfüllen. Er muss nach Rom. Das Herz der damaligen Welt
war Rom, die Hauptstadt des Imperiums. Er mag davor
zurückschrecken. Was soll er, der Fischer, der
Provinzler in dieser Weltstadt, wo die Kaiserpaläste
stehen, wo das machtvolle Heidentum triumphiert. Des
Herren Hand führt ihn nach Rom. Kein ernster Forscher
heute bestreitet die Tatsache, dass Petrus in Rom
gewesen ist und dort sein Leben geopfert hat. Diese
Stadt soll er für Christus erobern. Ist das nicht
aussichtslos? Hat das einen Sinn angesichts der Macht
des Heidentums? Seine einzige Waffe: das Kreuz. Der
Gott, den er predigt: der Gehenkte von Golgotha. Das
Leben, das er fordert: die Kreuzigung des niederen
Menschen, des sinnlichen Menschen. Hat es Sinn, hier
anzufangen? Petrus mag gezweifelt haben, aber er hat den
Befehl des Herrn in seinem Kopfe: „Wirf dein Netz aus!
Wirf es aus auch in der Weltstadt Rom! Fahr hinaus auf
das hohe Meer, in die Welthauptstadt.“ Das Wunder zu
wirken, liegt beim Herrn. „Du aber erfülle deinen
Auftrag!“ Und das Wunder geschieht wie damals am See.
Das Christentum breitet sich aus. Schon im 1.
Jahrhundert nehmen Angehörige des Kaiserhauses das
Christentum an. Schwer wird die Arbeit, übermenschlich
schwer. Petrus möchte fliehen, aber das Bild des
Gekreuzigten mahnt ihn, auszuhalten. Er bleibt. Er
bleibt bis zum Tode am Kreuze, zu dem Tode, in dem er
seinem Meister nachfolgt.
Petrus stirbt, aber der
Papst lebt. Linus tritt für ihn ein, Cletus, Clemens und
dann 265 andere Nachfolger. Wir schreiben das Jahr 96.
In Korinth gibt es Tumult. Aufrührer haben die
Presbyter, die Priester, abgesetzt. Wer sollte
eingreifen? In Ephesus lebt noch Johannes, der Apostel.
Aber nicht er greift ein, sondern der Bischof von Rom,
Clemens. Er schreibt einen Brief voll mitfühlender Liebe
und gleichzeitig voll ernster Autorität. Und die
Gemeinde in Korinth fügt sich, denn sie weiß: In Clemens
spricht Christi Stellvertreter, in Clemens spricht das
Oberhaupt der Kirche. Ignatius ist der Vorsteher der
Kirche von Antiochien, der Episcopos, der Bischof. Aber
stellt er sich auf eine Stufe mit dem Bischof von Rom? O
nein, meine Freunde: „Rom“, so schreibt er, „ist die
Vorsitzende des Liebesbundes.“ Rom die Vorsitzende des
ganzen Liebesbundes, der ganzen Kirche auf dem sich
weiten Erdkreis.
Gegen Ende des 2.
Jahrhunderts muss Irenäus, der Bischof von Lyon, der
noch die Apostelschüler kennengelernt hat, gegen
Irrlehrer die Wahrheit verteidigen. Er weiß, wohin er
die Irrenden, wohin er die Suchenden zu führen hat: nach
Rom. Dort ist die Kirche, welche die Vormachtstellung
und die Führung hat, die das Charisma der Wahrheit
besitzt, mit der jeder übereinstimmen muss, der Christi
Namen trägt. So steht es in seinem Buch „Adversus
Haereses“. Mit Rom muss jeder übereinstimmen, der
Christi Namen trägt.
Im Osten bricht der
Osterfeststreit aus. Man streitet darüber, wann das
Osterfest zu feiern ist, ob immer am 14. Nisan oder
wechselnd je nach dem Eintreten des Ostervollmondes. Der
Papst Victor von Rom greift ein. Er droht mit Ausschluß
aus der Kirche. Manche halten sein Vorgehen für zu
streng, aber alle beugen sich. Auch die Griechen beugen
sich seinem Spruch. In Afrika ist Cyprian der Primas,
der Erste von Afrika. Er ist ein mutiger Glaubenszeuge
und ein beredter Lehrer. Er weiß auch in
Meinungsverschiedenheiten sich mit dem Papst
auseinanderzusetzen. Aber umso gewichtiger ist sein
Zeugnis, dass Cornelius, also der römische Bischof,
Inhaber des Primates ist, dass Rom jene Kirche ist, von
der alle Einheit ausgeht. So schreibt er: die Kirche,
von der alle Einheit ausgeht.
Das Konzil zu Ephesus
findet statt. Papst Cölestin schickt seine Gesandten,
nicht als Mitberater, sondern als Entscheidende. Sie
sollen dort seine Entscheidung vorlegen. Und die stolzen
Griechen beugen sich vor ihm, dem Römer. Wenig später
das Konzil zu Chalcedon. Die dort versammelten Väter
empfangen einen Brief von Papst Leo. Was sagen sie?
„Petrus hat durch Leo gesprochen.“ Petrus hat durch Leo
gesprochen. So schallt es durch die Versammlung, und das
entscheidet. „Wo Petrus ist, dort ist die Kirche“,
schreibt der gewaltige Ambrosius von Mailand. Das ist
das zusammengefasste Urteil der ganzen ersten
Jahrhunderte der Kirche.
Man möchte heute, meine
lieben Freunde, all jenen, die sich vom Felsen Petri
losgesagt haben, zurufen: Kommt, ihr getrennten Bischöfe
des Ostens. Warum sprecht ihr nicht wie eure Vorfahren
aus den ersten Jahrhunderten? Kommt, ihr Christus
liebenden Wahrheitssucher aus dem Protestantismus. Ihr
sucht die Kirche Christi. Aber sie ist nicht dort, wo
Spaltung, Irrtum und Schwäche und Zerfall ist. Sie steht
auf dem Felsen der Einheit. Sie ist dort, wo Petrus ist.
Kommt, möchte man rufen, ihr Altkatholiken. Ihr wolltet
die Kirche Christi, die Urkirche, wiederherstellen.
Warum ist bei euch nicht das vorhanden, was der Urkirche
selbstverständlich war, nämlich der Primat Petri?
Einheit der Christenheit, ein wunderbarer Gedanke, die
Sehnsucht Christi und das Verlangen der Besten im
heutigen Christentum. Aber diese Einheit setzt nicht auf
Weltkonferenzen; sie zeigen nur, wie weit die Christen
auseinander sind. Diese Einheit kann nur hergestellt
werden, indem alle zurückkehren zum römischen Stuhl,
indem sie alle sich bekennen zu Petrus, der in seinem
Nachfolger heute noch lebendig ist.
Da höre ich die Einwände,
meine lieben Freunde. Wir haben gesprochen von Petrus,
vom Papst und seiner Vollmacht und seinen Funktionen.
Aber wo bleibt denn da Christus? Wird nicht Christus
verdeckt durch den Papst? Ist es nicht so, dass der
Papst Christus verdunkelt? Meine Freunde, das Verhältnis
Christi zum Papst ist ähnlich wie sein Verhältnis zum
Priester. Christus ist der innere, unsichtbare Spender
aller Sakramente. Er ist es, der das Messopfer
vollzieht. Er ist es, der tauft. Er ist es, der von den
Sünden losspricht. Aber er bedient sich dazu eines
menschlichen Werkzeugs. Er hat Menschen zu äußeren,
sichtbaren Spendern der Sakramente bestellt. Ähnlich ist
es mit dem Papsttum, mit der Kirche. Christus leitet sie
durch seinen Heiligen Geist, durch das innere Walten des
Heiligen Geistes. Dennoch hat er einen Menschen als
seinen Stellvertreter und Inhaber seiner Macht an die
Spitze gestellt, denn die sichtbare Kirche bedarf eines
sichtbaren Hauptes. Und deswegen, meine Freunde: Das
Bekenntnis zum sichtbaren Stellvertreter Christi auf
Erden stellt das Bekenntnis zu Christus nicht unter den
Scheffel, sondern auf den Leuchter. Der römische Papst
verdeckt nicht Christus, er macht ihn präsent. Christus
handelt durch Petrus und seine Nachfolger, und deswegen
ist es richtig, zu sagen: Die katholische Kirche ist
eine Papstkirche. Der Papst ist der Bischof der
Bischöfe, ihm sind alle Bischöfe und jeder einzelne
unterstellt – Gott sei Dank. Der Papst ist der
Universalbischof der Kirche. Er ist in einem richtigen
Sinne episcopus catholicae ecclesiae, der Bischof der
katholischen Kirche. Das kann kein anderer als Bischof
von sich sagen. Die anderen Bischöfe sind Bischöfe von
Mainz oder von Limburg, aber der Papst ist nicht nur
Bischof von Rom, er ist Bischof der katholischen Kirche.
Der Papst ist in einem
wahren Sinne unersetzlich und unentbehrlich. Und nur er.
Jeder andere Bischof kann entbehrt werden. Und es sind
ja in der Tat immer auch in der Kirchengeschichte
Hunderte von Bischofsstühlen eingegangen. Einer ist
stehengeblieben, musste stehenbleiben, der Stuhl Petri.
Ein Bischof ist unentbehrlich, der oberste von ihnen,
der Papst.
Mehr als einmal ist der
Papst aus Rom vertrieben worden oder hat die Stadt aus
eigenem Antrieb verlassen. Von 1309 bis 1377 befanden
sich die Päpste in Frankreich, in Avignon. Noch heute
kann man dort den Papstpalast besichtigen, den er in
dieser Zeit bewohnte. Das Papstamt haben sie durch den
Ortswechsel nicht verloren. Einer dieser Päpste, die
sich in Avignon befanden, nämlich Johannes XXII., hat
das richtige Wort geprägt: „Ubi Papa, ibi Roma.“ Wo der
Papst ist, da ist Rom. Während seines Streites mit Papst
Pius VII. sagte Napoleon eines Tages zu einem
französischen Bischof: „Nicht wahr, die Kirche kann auch
ohne Papst auskommen.“ Der Bischof antwortete: „Gewiß,
genauso wie die französische Armee ohne Napoleon.“ Die
Päpste haben ihre Aufgabe im Laufe von 2000 Jahren
wahrlich erfüllt. Sie waren das Prinzip und das
Fundament der Einheit. Ohne ihren Dienst hätte sich die
Kirche längst in Nationalkirchen aufgelöst. Ohne ihren
Dienst wären, wie es in allen Abspaltungen geschieht,
die Wahrheit und die Gnade längst vergessen, wäre die
Fülle und die Reinheit der Wahrheit verlorengegangen.
Es ist so, wie der
heilige Thomas Morus an seinen König Heinrich VIII.,
diesen Abtrünnigen, schrieb: „Es gibt keinen Feind des
Christentums, der den Heiligen Stuhl nicht gründlich
haßt. Aber es gibt auch keinen Feind Roms, der nicht
früher oder später auch an der christlichen Religion zum
Verräter wird.“ Sie sind alle defizient: die Othodoxen,
die Anglikaner, die Protestanten, die Altkatholiken. Es
fehlt ihnen allen etwas. Sie alle stehen nicht mehr in
der Fülle und der Reinheit der Wahrheit. Ihr Grundfehler
ist: Sie wollen es den Menschen recht machen, nicht
Gott. Deswegen sind sie vom Felsen Petri weggegangen.
Im 19. Jahrhundert lebte
der große Philosoph Friedrich Wilhelm Josef Schelling.
Er stammte aus einem protestantischen Hause. Seine
Vorfahren waren beiderseits protestantische Pastoren.
Von Schelling stammt das Wort: „Wollt ihr wissen, was
ich vom Papsttum halte? Ich halte vom Papsttum, dass
ohne dasselbe das Christentum von der Erde längst
verschwunden wäre.“ Das ist der Ruhm der Päpste, dass
sie mit höchster Standhaftigkeit wie ein Bollwerk sich
entgegenstellten, damit die menschliche Gesellschaft
nicht in Barbarei und Aberglaube zurückfalle. In den
Katakomben von Rom hat man eine Lampe gefunden aus den
ersten christlichen Zeiten. Auf dieser Lampe steht
geschrieben: „Petrus stirbt nicht.“ Petrus stirbt nicht.
Nein, Petrus stirbt nicht. Solange diese Weltzeit
dauert, wird er einen Nachfolger haben. Wie oft ist das
Papsttum totgesagt worden. 1799 starb Papst Pius VI. in
der Gefangenschaft in Südfrankreich. Die revolutionäre
Zeitung von Grenoble schrieb damals: „Die Macht seines
Thrones ist in den Abgrund gestürzt. Er wird sich nicht
mehr erheben. Die Finsternis ist vorüber.“ Kurze Zeit
später bestieg Papst Pius VII. den päpstlichen Thron,
und er erneuerte die französische Kirche. Und so
erfüllte sich in ihm das Wort: „Petrus stirbt nicht!“
Amen.
Geliebte, zum Königsfest
unseres Herrn Versammelte!
Ein ständiges Rätsel
bleibt für die Menschen das Verhältnis von Welt und
Religion, von Welt und Kirche, von Natur und Übernatur,
von Christentum und Leben. Der große Papst Benedikt XV.,
also jener Papst, der während des Ersten Weltkrieges die
Kirche regierte, hat damals geschrieben: „Die Kirche
verfügt über eine wunderbare Kraft, nicht nur die
Menschen für ihr ewiges Heil zu verbinden, sondern auch
zur Wohlfahrt dieses Lebens, indem sie die Menschen
durch die zeitlichen Güter so hindurchgeleitet, dass sie
die ewigen nicht verlieren.“
Die erste Frage, die wir
uns stellen, heißt: Was ist es um den Wert der Welt in
sich? Da hört man die mannigfaltigsten Antworten. Die
einen vergötzen die Welt, die anderen verdammen sie. Die
sie vergötzen, das sind jene, die auf der Sonnenseite
des Lebens stehen und die das Leid der Welt offenbar
nicht berührt hat. Die sie verdammen, das sind viel
mehr. Das sind diejenigen, die leidvolle Erfahrungen mit
der Welt gemacht haben, die die Welt als schlecht, als
in sich schlecht sehen. Und solche Leute hat es immer
gegeben. Schon im Anfang des Christentums entstand die
Sekte der Manichäer, die sagten: Die Welt ist von einem
bösen Gott geschaffen. Der gute Gott hat mit ihr nichts
zu tun. Dieser Irrlehre hat sogar der heilige Augustinus
in seiner vorchristlichen Zeit angehangen. Und Luther
war ja nicht weit entfernt von dieser Meinung. Auch er
war der Ansicht nach all den Erlebnissen, die er gehabt
hat in seiner eigenen Seele und in der Umwelt, am
prunkvollen Hofe in Rom: Die Welt ist schlecht, die
Sünde hat sie verderbt, auch die Erlösung ändert nichts
daran. Sie deckt nur die Sünde zu mit dem Mantel
erbarmender Liebe. Innerlich bleibt der Mensch schlecht.
Dieser Tage las ich in einem Roman. Da lässt der Autor
eine hochgestellte Persönlichkeit sprechen: „75 Prozent
der Menschheit sind dämlich und zugleich auch noch
bösartig, die restlichen 25 Prozent sind sich nie
miteinander einig.“
Diese Urteile über die
Welt kann die Kirche nicht teilen. Die Kirche sagt: Die
Welt ist Gottes Werk und darum gut. Wie sie aus der Hand
des Schöpfers hervorging, war sie gut geschaffen. Er ist
der große Künstler, der große Baumeister des Alls. In
all den Dingen soll seine Schönheit ausstrahlen. In
Psalm 18 heißt es: „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre.“
Das heißt, aus der Schönheit, aus der Harmonie, aus der
Ordnung der Welt kann man den Schöpfer erkennen. Die
Welt ist ein Abbild Gottes, wenn auch ein Abbild, das
mehr unähnlich als ähnlich ist, aber immerhin ein
schwaches Abbild Gottes. Die Welt hat Anteil an Gottes
Sein, das ist ihr Glück, und das ist ihre Güte.
Freilich ist sie
beschränkt. Sie ist ja nicht das Gute selbst. Man kann
keine letzten Forderungen an sie stellen. Man darf sie
nicht in sündiger Begier missbrauchen. Die Weltdinge
dürfen nicht Ziel unseres Lebens sein; sie müssen Mittel
unseres Lebens sein. Wer die Dinge dieser Welt, das
eigene Ich, den Leib, die Leibespflege, die
Leidenschaft, Geld und Gut, Wissen und Kunst, Nation und
Staat vergötzt, gegen den schlägt die Welt aus. Die Welt
wehrt sich gegen ihren Missbrauch. „Du hast es befohlen,
o Gott, und so ist es, dass seine Strafe sich selbst ist
jeder ungeordnete Geist.“ Deswegen kann es den Dingen
der Welt gegenüber nur die Haltung geben, die die Kirche
immer vertreten hat und immer vertreten wird, nämlich:
Wir müssen die innere Gesetzmäßigkeit der Welt
aufspüren, die Gott in sie gelegt hat. Vom Sein gehen
Befehle aus. Jawohl, so ist es. Und wir müssen den
Dingen der Welt gegenüber die innere Freiheit bewahren,
die Gelassenheit. Wir müssen über den Dingen stehen. Das
ist die erste Wahrheit. Die Welt ist gut aus Gottes Hand
hervorgegangen.
Und eine zweite muss
hinzugefügt werden: Gott hat die Welt sogar über sich
hinaus erhoben. In jeder heiligen Messe, also in wenigen
Minuten wieder, beten wir: „Gott, du hast den Menschen
wunderbar erschaffen und noch wunderbarer erneuert.“
Hier wird der Zweistufenplan Gottes gewissermaßen vor
uns ausgebreitet. Die Welt ist gut geschaffen, aber Gott
hat noch etwas hinzugefügt: Er hat sich in diese Welt
hineinbegeben, er hat sein göttliches Leben in die Welt
hineingesenkt. In der Seele des Menschen sollte seine
Gnade leben, das übernatürliche Leben. Der Mensch sollte
nicht nur Geschöpf, er sollte auch Gottes Kind sein. Das
war die Gnade des Urstandes im Anfang der
Menschengeschichte. Eine übernatürliche Kraft sollte den
Verstand des Menschen erleuchten, eine übernatürliche
Kraft sollte seinen Willen stählen, und aus dieser
übernatürlichen Ausrüstung sollte der Mensch die Welt
gestalten, sollte er über die Erdendinge verfügen,
sollte er sie nach Gottes Willen gebrauchen.
Aber da müssen wir gleich
die dritte Wahrheit anfügen: „Es geht ein allgemeines
Weinen, soweit die stillen Sterne scheinen, durch alle
Fasern der Natur.“ Und woher kommt dieses Weinen? Es
kommt aus der Sünde, aus der Ursünde des Menschen. Der
erste Mensch wusste um den Willen Gottes, aber er hat
ihn nicht bewahrt. „Der Baum war köstlich zum Speisen“,
so schildert es die Genesis im ersten Buch der Schrift
in einer kindlichen Weise, wie man es eben Menschen
einfacher Lebensart schildern muss. „Der Baum war
köstlich zum Speisen.“ Er wusste, dass der Wille Gottes
entgegenstand, und er wusste, dass er das wunderbare
Band zwischen Gott und Mensch war, aber er ergab sich
dem Genuß, und so wurde er, und so wurden alle seine
Nachkommen des Gewandes der Unschuld, der
Gotteskindschaft beraubt. Und seitdem gilt das
furchtbare Wort: „Es geht ein allgemeines Weinen, soweit
die stillen Sterne scheinen, durch alle Fasern der
Natur.“ Aus dem Paradies der Wonne wurde er vertrieben
und in das Jammertal des Elends gestürzt.
Dieses Elend hat sich
dann auf seine Nachkommen ausgebreitet. Wir spüren es
jeden Tag. Was macht das Leben so schwer, meine lieben
Freunde? In der Familie, in der Nachbarschaft, auf der
Arbeitsstätte, im Geschäftsleben? Ist es nicht immer
wieder irgendeine Form der Sünde: Selbstsucht, Neid,
Lüge, Betrug, Haß, Zorn, Geiz? Und das bleibt ja nicht
auf den Kreis der Familie beschränkt. Das breitet sich
aus. Wir stehen heute unfaßlich und fassungslos vor
einer weltweiten Finanzkrise. Ja, wie konnte es dazu
kommen? Wie ist es möglich, dass die bayerische
Landesbank 6 ½ Milliarden Euro benötigt, um ihre Kunden
zu befriedigen? Wie ist das möglich? Die Sünde macht
elend die Völker. Alles Unglück liegt letztlich
begründet in der Gottferne, in der Gottentfremdung.
Sünde und Elend stehen in einer furchtbaren
Wechselwirkung. Aus dem Bruch mit Gott entsteht die
Gesetzlosigkeit der Welt, der Zusammenbruch, das Chaos.
Aber dabei dürfen wir
nicht stehen bleiben. Wir müssen eine vierte Wahrheit
hinzufügen, nämlich: Es gibt eine Erlösung. Die Welt ist
erlösungsbedürftig, und sie ist erlösungsfähig. Und da
geschieht das Unerhörte: Gott steigt in diese Welt
hinab. Das macht unsere Religion, meine lieben Freunde,
überlegen über jede andere. Ich bin immer entsetzt, wenn
ich höre, wie die Kinder mir erzählen, in der Schule
werden der Mohammedanismus besprochen und der Buddhismus
und der Shintoismus und der Darwinismus. Ja zum
Donnerwetter: Wir haben eine Religion, die über alle
anderen überlegen ist. Es gibt keine zweite Religion,
die von einem Gott begründet ist. Das Wort ist Fleisch
geworden und hat unter uns sein Zelt aufgeschlagen. Gott
ist in dieser Welt hinabgestiegen. Der ewige Lebenskreis
des dreieinigen Gottes wogt jetzt in die Welt hinein,
und diese Welle schlägt weiter. Alle, die an ihn
glauben, erhalten die Macht, Kinder Gottes zu werden,
und sie werden zusammengefaßt in einem Leib, den man
Kirche nennt. Er ist das Haupt dieses Leibes. Lehrend,
führend, erlösend führt die Kirche das große
Erlösungswerk Christi fort, zunächst indem sie das
Sündenelend im einzelnen Menschen bannt. Das ist die
erste Aufgabe der Kirche, den Einzelmenschen von seiner
Schuld zu erlösen und mit Gott zu verbinden. Das tut sie
mit der Gnade. Und die Gnade ist eine Macht, meine
lieben Freunde. Ich lasse mir das nicht ausreden, dass
die Gnade nicht bloß ein deckendes Gewand ist, sondern
formendes Leben. Ich kenne Menschen, die in der Gnade
eine wunderbare Formung erfahren haben. Ich kenne sie.
Die Gnade dringt in die Tiefe der Seelen ein und
gestaltet den Menschen um.
Nicht umsonst spricht der
Apostel Paulus von der „neuen Schöpfung“. Jawohl, von
der neuen Schöpfung. Kainä ktisis, griechisch. Dass die
Seele also veredelt wird, dass der Verstand erleuchtet
wird, dass der Wille neue Kraft erhält und dass dieses
Neue im Menschen fortwirkt, dass der neue Christenmensch
auch die Welt neu gestaltet. Das ist es, was immer mehr
das Reich Christi in Gerechtigkeit und Liebe entstehen
läßt.
Das ist ja der Sinn des
heutigen Festes, des Christkönigsfestes. Christus soll
König sein. Er soll König sein über die ganze Welt.
Freilich ist sein Königtum angefochten, umkämpft. Immer
noch muss die Kirche gegen die Front des Satans
aufstehen. Die Grünen in Bayern verlangen die Entfernung
der Kreuze aus den Schulen. Die Kirche kann nicht
anders. Sie muss das Königtum Christi verkünden.
Christus will Herr sein überall, nicht nur in stillen
Tabernakeln und nicht nur in frommen Christenherzen.
Nein, auch in den Familien will er leben, in der
Wissenschaft, in der Kunst, auf den Stätten der Arbeit
und in der Wirtschaft. In den Parlamenten und in den
Regrungen soll sein Gesetz gelten. Er soll den Vorsitz
überall haben. Christus will König sein. Und wir haben
seinen Anspruch zu verkünden und nach seinem Gesetz zu
leben.
Vor einiger Zeit schrieb
ein Konvertit, also ein Mann, der zum katholischen
Glauben gefunden hat, den Satz: „Ich bin katholisch
geworden, weil ich der Überzeugung bin, dass heute die
Kirche allein die bedrohte Zivilisation retten kann.“
Ich bin katholisch geworden, weil ich der Überzeugung
bin, dass heute die Kirche allein die bedrohte
Zivilisation retten kann. Und wie wirkt die Kirche diese
Rettung? Zunächst einmal, indem sie den Einzelnen
heiligt, indem sie das Erlösunsgwerk in der einzelnen
Seele vollbringt, indem sie den Menschen Christus
eingliedert. Dadurch wird der Mensch vergöttlicht,
dadurch wird ein Stück Welt vergöttlicht, dadurch wird
die Macht der Sünde zurückgedrängt. Und dann setzt sie
mit ihren erlösten Gliedern die Erlösungstat Christi in
der Welt fort in all den Gebeten, die sie emporsendet,
in allen Arbeiten und Leiden ihrer Glieder. Unaufhörlich
bringt die Kirche auf den Altären das große
Erlösungsopfer dar, damit es die Welt überflutet und das
kostbare Blut Christi die Welt erlöst.
Vor Jahrzehnten hat
einmal die große Dichterin Gertrud von Le Fort den
ergreifenden Satz über die Kirche geschrieben: „Um
deinetwillen lassen die Himmel den Erdball nicht fallen.
Alle, die dich lästern, leben nur von dir.“ Um
deinetwillen lassen die Himmel den Erdball nicht fallen.
Alle, die dich lästern, leben nur von dir. Jawohl, so
ist es. Aber die Kirche soll und darf nicht bloß im
Kirchenraum die Erlösung verkünden. Sie muss das Gesetz
Gottes auch hinaustragen, damit es das Leben gestalte.
Sie muss die Gesetzmäßigkeit der Dinge den Menschen
unterbreiten. Zu viel wird unterschlagen vom Gesetze
Gottes. Zu viel wird verheimlicht. Zu viel wird
verdeckt. In den grundlegenden Fragen des Lebens wüten
heute Irrtum und Leidenschaft. In einem Stadtteil von
Los Angeles in den USA mit 40.000 Einwohnern sind 40
Prozent der Männer schwul, homosexuell. 40 Prozent der
Männer homosexuell. Und das britische Unterhaus hat in
diesen Tagen ein Gesetz gebilligt, wonach es erlaubt
ist, menschliches und tierisches Erbgut
zusammenzubringen, um Chimären zu erzeugen.
Die Kirche verkündet den
Willen Gottes. Sie wird geschmäht, sie wird gelästert,
sie wird beiseite gedrängt. Aber, meine lieben Freunde,
die Gesetze Gottes müssen stehen bleiben, wenn die Welt
einen heilsamen Verlauf nehmen will. Sie fallen ja auch
uns schwer. Wir wollen keine Pharisäer sein. Wir wissen,
wie wir vor dem Anspruch Gottes zurückbleiben. Wir
wissen es, leidvoll, schmerzvoll, reuevoll. Aber noch
einmal: Die Gesetze müssen stehen bleiben, auch wenn wir
daran schuldig werden. Der Wille des Schöpfers muss
geachtet werden. Wer die Gesetze der Schöpfungsordnung
missachtet, gegen den schlägt die Schöpfungsordnung
unweigerlich aus.
Das ist die katholische
Haltung: Willig sich dem Gesetze beugen, reuevoll das
eigene Versagen eingestehen, über den Dingen stehen in
dem frohen Bewusstsein, dass mein Lebensglück letztlich
über den Dingen gelagert ist. Aber auch in den Dingen
stehen und sie in der Weise behandeln, wie der Schöpfer
es will: als Miterlöser, als Helfer, als Arbeiter daran,
dass auch in den Dingen der Welt das Ebenbild Gottes
immer mehr erstrahle, Gott zur Ehre und uns zum Heile.
Amen.
Geliebte, zur Verehrung
aller Heiligen Versammelte!
Die Erscheinung, über die
wir am meisten nachgrübeln, die uns am meisten
beschäftigt, ist das Lebensende, der Tod und was nach
dem Tode sein wird. Wenn Gott uns sicheres Geleit durch
das Leben geben wollte, dann musste er uns auch eine
Offenbarung vom Tode und was nach dem Tode kommt
schenken. Zu viel hängt davon ab, dass wir wissen, was
der Tod bedeutet und was im Tode auf uns zukommt.
Die Wahrheit über den Tod
und das jenseitige Leben ist von tiefgreifender
Bedeutung. Ach, wenn wir wüssten, was einst sein wird,
wenn wir wüssten, was nach dem Tode geschehen wird, wie
würden wir unser Leben einrichten! So dachte auch der
reiche Prasser, von dem der Herr spricht im Evangelium.
Ja, wenn seine Brüder, die seinesgleichen waren,
wüssten, in welcher Qual er lebt, dann würden sie sich
bekehren. Er führt ein Zwiegespräch mit Vater Abraham;
und Abraham sagte ihm: „Sie haben Moses und die
Propheten. An die sollen sie sich halten, die sollen sie
hören.“ Aber der Prasser ist überzeugt, dass das nicht
reicht, noch nicht reicht. Aber wenn einer von den Toten
käme, dann würden sie sich bekehren. Abraham weist ihn
ab: „Wenn sie auf Moses und die Propheten nicht hören,
dann würden sie auch nicht hören, wenn einer von den
Toten zu ihnen kommt.“
Es hat immer Versuche
gegeben, das Dunkel zu lichten, das hinter dem Tode
steht. Eine solche Erscheinung ist der Spiritismus. Der
Spiritismus ist ein ausgesprochener Totenkult. Er will
durch bestimmte äußere Hilfsmittel, Gebetsketten,
Absingen frommer Lieder, Tischrücken ein Mittel gefunden
haben, um die Toten anzurufen und zu befragen. Er
bedient sich angeblicher Medien, also begabter Menschen,
die in der Lage sein sollen, über das jenseitige Reich
etwas auszusagen. Das alles, meine lieben Freunde, ist
nicht dienlich zu dem Zweck, der damit erreicht werden
soll. Eine solche Bemühung ist nicht hilfreich. Es
handelt sich beim Spiritismus entweder um Betrug oder um
Selbsttäuschung der Teilnehmer infolge Übermüdung oder
infolge gegenseitiger Beeinflussung. Die körperliche
Erscheinung eines Toten ist nicht ausgeschlossen. Wir
wissen, als das furchtbarste Ereignis der Weltgeschichte
geschah, als der Herr starb, dass da Tote aus den
Gräbern erstanden und vielen erschienen. Das ist eben
ein Wunder Gottes. Das ist nicht zu erreichen durch
Medien, durch Spiritismus.
Der Okkultismus, also
diese Geheimlehre, oder die Parapsychologie, wie man das
heute nennt, will mit angeblichen Erscheinungen,
Tatsachen und Vorgängen sich beschäftigen, die sich
nicht auf erklärbare Ursachen zurückführen lassen. Ich
sage nicht, dass der Okkultismus Mumpitz ist. Es gibt
Erscheinungen zwischen Himmel und Erde, von denen sich
die Schulweisheit nicht träumen lässt, wie es schon im
„Faust“ von Goethe heißt. Aber solche außerordentliche
Phänomene können nur mit äußerster Vorsicht, mit großer
Sachkenntnis und nach sorgfältiger Prüfung anerkannt
werden. Spiritismus und Okkultismus haben jedenfalls
versagt, wenn es darum geht, Kunde von der jenseitigen
Welt zu erlangen. Es läßt sich zeigen, dass sie auch in
alle Zukunft uns nicht darüber belehren können, dass
diese Brückenbauversuche zum Scheitern verurteilt sind.
Warum? Weil das Jenseits Gott selber ist. Wer dahin
eine Brücke bauen will, der muss sie auf Gott selber
bauen, und nur Gott kann uns hinübertragen. Alle
wirkliche Kunde über das Jenseits kann nur eine
religiöse, eine von Gott geschenkte sein. Sie kann nur
aus der lebendigen Verbundenheit mit Gott kommen. Es
gibt tatsächlich Wege, die hinüberführen, aber nicht
Wissenschaft und Technik, nicht visionäre und mediale
Menschen können uns hinüberführen, sondern nur
gottverbundene Menschen, nur Heilige. Es gibt eine
sichere und lebendige Verbindung auch mit den
heimgegangenen Menschen, aber nur mit den Menschen, die
wirklich heimgekommen sind, die Gott nahe sind. Und
diese Verbindung finden nur Menschen, die selber Zutritt
zu Gott haben.
Daher kommt es, dass alle
wirkliche Offenbarung über das Jenseits nur für liebende
Menschen, nur für gottliebende Menschen etwas bedeutet.
Der bloßen Neugier, der Sensationslust oder auch der
Wissbegier wird kein Wort über dieses Geheimnis gesagt.
Wenn wir unser Herz bereiten zur Liebe, dann werden wir
etwas davon verstehen. Wir werden nur so viel verstehen,
als unsere Gottesliebe zu fassen vermag. Wer keine Liebe
hat, dem wird alles, was wir darüber sagen, klein und
nichtig erscheinen. Wer eine große Liebe hat, dem wird
es von wunderbarer und atemberaubender Süße sein. Und
alles, was wir nach dem Tode erwarten, was wir erhoffen
können, das lässt sich in drei Sätzen zusammenfassen,
nämlich 1. Wir werden leben, 2. Wir werden lieben, 3.
Wir werden wissen. Wir werden leben, wir werden lieben,
wir werden wissen. Und darüber wollen wir heute, morgen
am Sonntag und am kommenden Sonntag nachdenken. Heute
über den Satz: Wir werden leben.
Wir werden leben,
persönlich leben, nicht etwa nur als eine winzige Welle
in einem großen Meer, nicht nur als ein Teilchen, das in
immer neuen Gestalten durch immer neue
Verwandlungsprozesse hindurchgeht. Gewiß, unsere
leiblichen Stoffe, die unseren Körper aufbauen, sind auf
einer Wanderung, auf einer Weltwanderung begriffen. Sie
können in immer neue Lebewesen, in Pflanzen, Tiere und
Menschen eingehen. Aber wir sind mehr und anderes als
die Stoffe, die uns leiblich aufbauen. Wie sehr sich
auch diese Stoffe wandeln mögen, wir selbst werden
niemals vergehen. Unser Ich, unsere Persönlichkeit,
unsere Einmaligkeit wird ewig leben. Das ist ein
schrecklicher und zugleich tröstlicher Gedanke: Wir
können nicht in das Nichts zurückkehren, aus dem uns
Gott gerufen hat. Wir können auch nicht durch Umwandlung
in ein anderes Sein übergehen. Ich und du und wir alle,
alle Menschen, die jemals lebten, hätte ihr Leben auf
Erden auch nur eine Stunde gedauert, wir alle werden
immerfort sein in dieser Besonderung, in dieser
Individualität, in dieser Einmaligkeit.
Damit ist die Lehre von
der Seelenwanderung abgetan. Seelenwanderung ist der
angebliche Übergang der aus einem sterbenden Körper
scheidenden Seele in einen neuen, gleichartigen oder
artverschiedenen Körper zur völligen Läuterung und zur
sittlichen Vollendung, auf die erst der endgültige
Zustand der Ruhe, der Beseligung und der Vergöttlichung
erfolgt.
Gestern war in der
Mainzer Zeitung ein Bild abgebildet von einer Kuh. Die
Hindus in Nepal feiern ein großes Fest. Dieses Fest
heißt Tihar. Und zu diesem Fest gehört die Verehrung der
Kühe. Warum? Die gläubigen Hinduisten sehen in den Kühen
eine Wiedergeburt von Menschen, eine Wiedergeburt von
Göttern, vor allem eine Wiedergeburt des Gottes des
Wohlstandes. Dieses Fest dauert fünf Tage. Der Glaube an
die Wiedergeburt ist nicht auf die Hindus beschränkt.
Auch griechische Philosophen wie Pythagoras, Empedokles
und selbst Plato haben an die Seelenwanderung geglaubt.
Ja sogar in unserer Zeit, in der christlichen
Gesellschaft, gibt es Menschen, die an einer
Wiedergeburt festhalten. Sie haben alle vielleicht von
dem bedeutenden Dirigenten Sergio Celibidache gehört,
der vor einigen Jahren gestorben ist. Dieser bedeutende
Mann glaubte an die Wiedergeburt. In einem Lama in
Berlin sah er eine Reinkarnation, also eine Wiedergeburt
des Königsberger Philosophen Immanuel Kant.
Diese Lehre ist ein
gigantischer Irrtum. Die Geistigkeit und die
Personalität, die sittliche individuelle Entwicklung der
Seele und die mangelnde Erinnerung an ein früheres
Dasein erweisen die Lehre von der Seelenwanderung als
irrig. Es gibt keine Seelenwanderung von einem
Individuum zum anderen. Nein, wir werden persönlich
fortleben.
Da gibt es Menschen, die
nennen diesen Glauben größenwahnsinnig. Wie könnt ihr
erwarten, so sagen sie, dass wir winzigen Teilchen des
Alls so fortdauern werden. Es genügt, wenn der ganze
Kosmos, wenn das All weiterlebt, durch beständige
Wandlung die Teile ineinander übergehen. Auf diesen
Vorwurf, meine lieben Freunde, können wir zweierlei
erwidern. Zunächst: Das Fortleben ist nicht eine Sache
unseres Wünschens und Wollens, sondern es kommt darauf
an, ob es eine Wirklichkeit ist. Ob wir es wünschen oder
wollen, davon hängt nichts ab. Und ich kann es bis zu
einem gewissen Grade verstehen, dass Menschen nicht
fortleben wollen, dass es ihnen reicht, auf dieser Erde
sich geplagt und gemüht zu haben. Und dann ist dieser
Glaube auch nicht größenwahnsinnig. Denn unsere Größe
ist kein Wahn! Wir besitzen eine Größe. Es ist die Größe
des persönlichen Geistwesens. Es ist die Größe des
Gotteskindes. Diese Größe steht tatsächlich auf dem
Gipfel des Geschaffenen. Alles liegt ihr zu Füßen. Die
einzelne Seele ist größer und wichtiger als der ganze
Sternenhimmel, und wäre es nur die Seele eines Kindes.
Sie ist wichtiger als der ganze Kosmos. Sie ist das
Ganze, sie ist das Ziel, sie ist der Gipfel, sie ist die
Erfüllung. Wir sprechen zwar gern von der Würde der
Persönlichkeit. Aber wir nehmen uns selbst nicht ernst
genug, wenn es einmal darauf ankommt. Gott aber macht
ernst mit der Würde der geistigen Persönlichkeit. Wenn
er auch nur einen einzigen verstehenden Geist geschaffen
hätte und gar einen Geist, zu dem er persönlich Du
gesagt hat, den er in seine Gnadenerfüllung
hineingerufen hat, den er in sein Vertrauen gezogen hat,
dann würde er eher die ganze Welt mit ihrer Herrlichkeit
zugrunde gehen lassen, als dieses Wunder der
Einmaligkeit und der Einzigartigkeit, das in einer
solchen Seele lebt.
Er kann ein solches Wesen
auch nicht in seine Teile zerlegen; denn ein geistiges
Wesen hat keine Teile. Eine geistige Persönlichkeit ist
ein Wesen, das ohne Zusammensetzung ist. Sie ist total
einfach. Wenn die Seele solche Teile hätte, dann könnte
man sie ja wie aus einem Baukasten zusammensetzen zu
immer neuen Persönlichkeiten. Dann wäre sie aber auch
nicht mehr ein einzigartiges und eigenartiges Wesen. Wir
aber haben etwas Unwiederbringliches, etwas
Unwiederholbares. Wir haben etwas Einmaliges an uns.
Entweder sind wir das, was wir sind, oder wir sind
überhaupt nicht. Selbst Gott könnte uns nicht in eine
andere Wesenheit verwandeln, in eine Pflanze; er könnte
nicht durch einen Umbau uns zu einer anderen
Wirklichkeit gestalten. In dieser Einmaligkeit liegt die
Größe und die Würde des Menschen, liegt auch der Grund,
warum uns Gott an sein Herz nehmen kann und Du zu uns
sagen kann. In einem solchen Du liegt das Versprechen
der ewigen Treue. Die Treue Gottes kann aber nicht eines
Tages ihren Grund verlieren, indem der Gegenstand, indem
das Wesen, dem sie treu ist, plötzlich das Dasein
verliert. Indem uns Gott überhaupt je anredet und gar
indem er uns in liebender Gebärde als sein Kind anredet,
macht er es seinem eigenen Herzen unmöglich, seiner
ewigen Treue unmöglich, uns fallen zu lassen, uns
abzubauen, uns umzuwandeln in ein anderes Sein.
Aus dieser Treue Gottes
kann man nur auf eine einzige Weise herausfallen,
nämlich indem man sie bricht, indem man sich ihr
entzieht. Aber selbst dann behalten wir die Einmaligkeit
und damit die unabänderliche Notwendigkeit zu sein, die
jeder Geist in sich trägt.
Es gibt, meine lieben
Freunde, ein ewiges Leben einer jeden Seele. Gott hat es
geoffenbart, und was er offenbart, das ist wahr,
unumstößlich wahr, ewig wahr. Daran vermag der Unglaube
von Menschen nichts zu ändern. Vor einiger Zeit hat man
eine Umfrage gehalten in Deutschland, wie die Menschen
es mit dem ewigen Leben halten, was sie glauben. Nur
jeder zweite Deutsche glaubt an das ewige Leben nach dem
Tod, mehr Katholiken als Protestanten. Was bedeutet
diese Zahl? Nichts. Sie bedeutet nicht, dass der Glaube
an das ewige Leben falsch ist, sondern dass allzu viele
ihr Kaninchenglück auf Erden möglichst lange festhalten
wollen, dass sie den Blick nach oben vermeiden, dass es
ihnen unheimlich scheint, nach dem irdischen Leben
gerichtet zu werden und entweder in den Himmel zu kommen
oder in die Hölle verstoßen zu werden.
Der ehemalige
Bundeskanzler Helmut Schmid hat einmal in einem seiner
vielen Interviews gesagt, als er über das jenseitige
Leben befragt wurde: „Ich glaube, dass eine Spur von uns
bleibt.“ Eine Spur, also eine Fährte, Fußstapfen, aber
nicht mehr. Wir kennen die Bremsspur vom Auto, und so
etwas Ähnliches hat er sich wohl gedacht, als er meinte,
dass eine Spur von uns bleibt. Der Glaube sagt anderes,
der Glaube sagt mehr. Als die Gemeinde in Korinth
Zweifel an der Auferstehung hatte, schrieb der Apostel
Paulus in seinem ersten Brief: „Wenn wir bloß in diesem
Leben auf Christus unsere Hoffnung setzen, so sind wir
bejammernswerter als alle Menschen.“ Wenn wir bloß in
diesem Leben auf Christus unsere Hoffnung setzen, so
sind wir bejammernswerter als alle Menschen. Aber das
ist ja gerade unsere Hoffnung, dass wir auch im
zukünftigen Leben auf Christus setzen, und deswegen
schreibt Paulus in seinem zweiten Brief an dieselbe
Gemeinde in Korinth: „Wir sind gewiß, dass wenn unser
irdisches Gezelt abgebrochen wird, wir einen Bau von
Gott empfangen, ein nicht mit Händen gemachtes ewiges
Wohnhaus im Himmel.“ Wir sind gewiß, dass wenn unser
irdisches Gezelt abgebrochen wird, wir einen Bau von
Gott empfangen, ein nicht mit Händen gemachtes ewiges
Wohnhaus im Himmel.
Was der Apostel Paulus
lehrt, ist nichts anderes als der Widerhall der
Offenbarung Jesu Christi. Der Sohn Gottes, der aus der
Welt Gottes zu uns kam, hat uns Kunde davon gebracht,
dass wir leben werden, ewig leben werden. In der Stunde
seiner Heimkehr zum Vater sagte er seinen Jüngern: „Im
Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Ich gehe hin,
euch ein Heim zu bereiten.“ Es gibt eine himmlische
Heimstätte, Christus hat es uns geoffenbart. Noch
ergreifender ist jene Episode beim Sterben des
Heilandes. Am Kreuze hing der Herr der Welt zwischen
zwei Verbrechern. Der eine schaute ihn an, dann äußerte
er eine Bitte. Er wollte, dass Jesus seiner gedenkt,
wenn er in sein Reich kommt. Er dachte, das ist ja nicht
viel, ein bloßes Gedenken wollte er haben. Das wird
schon ein Trost für ihn sein, wenn der Heiland, dieser
Gute in seiner Mitte, an ihn denkt. Er wusste also, dass
der Tod nicht das letzte Wort ist. Er ahnte etwas von
dem Reiche, das Jesus erwartet. Und deswegen erbat er
sich von ihm ein Gedenken in diesem Reiche. Er selber,
das wusste er, er wird in der Hölle begraben werden.
Dieses Gedenken, diese Bitte, dieser Flehruf reichte
aus, dass Jesus ihm den Himmel schenkte: „Heute noch
wirst du mit mir im Paradiese sein!“
Nein, meine Freunde,
lassen Sie sich nicht irremachen. Es gibt ein ewiges
Leben, und Gott hat uns für dieses Leben bestimmt. Wen
er in seine Hand nimmt, der kann ihm nicht entrissen
werden. Der schwäbische Dichter Ludwig Uhland hat einmal
zum Tode eines Kindes die schönen Verse geschrieben: „Du
kamst, du gingst mit leiser Spur, ein flüchtiger Gast im
Erdenland. Woher? Wohin? Wir wissen nur: Aus Gottes Hand
in Gottes Hand.“
Amen.
Geliebte, zum Gedächtnis
der Armen Seelen Versammelte!
Wir haben am gestrigen
Allerheiligentag nachgesonnen über das Schicksal derer,
die von uns geschieden sind, und wir haben gesagt: Man
kann ihr Los in drei Sätzen zusammen fassen, nämlich 1:
Sie werden leben, 2: Sie werden lieben und 3: Sie
werden wissen.
Am gestrigen Festtage
haben wir betrachtet, was es heißt: Wir werden leben,
ewig leben, als Persönlichkeit leben, nicht in
veränderter Gestalt, nicht in einer Reinkarnation, in
unserer Individualität werden wir leben. Wir haben aber
auch gestern schon erkannt, dass der tiefste Grund
unseres unsterblichen Lebens in der Liebe oder in der
Anlage zur Liebe besteht, mit der Gott sich uns schenken
und uns an sich ziehen kann. Darin besteht unsere
Unersetzlichkeit. Jeder von uns hat darin etwas
Unersetzliches, das Gott in alle Ewigkeit nicht mehr
missen möchte. Nicht wir haben Anspruch auf
Unsterblichkeit, aber Gott will, dass wir unsterblich
seien und in seiner Herrlichkeit leben. Darum wird unser
ewiges Leben nur um das eine, um dieses eine sich
drehen, ob wir fähig sind, dieses Du zu Gott zu sprechen
oder nicht. Das Größte, was man von uns sagen kann nach
dem Ende des irdischen Lebens, ist in dem Satz
ausgedrückt: „Wir werden lieben.“ Wir werden mit Gott in
liebender Gemeinschaft leben, und zwar in einer ganz
wahren, ganz lauteren und ganz vollkommenen
Gemeinschaft.
Das ist eigentlich der
Sinn des Offenbarungswortes von der Anschauung Gottes,
die wir einmal haben sollen. Hier auf Erden haben wir
geglaubt; im Jenseits wird der Lohn für unseren Glauben
sein, dass wir schauen dürfen, was wir geglaubt haben.
Da erfüllt sich das Wort: „Selig, die reinen Herzens
sind, denn sie werden Gott anschauen.“ Ja, dann erfüllt
sich auch das Wort des Apostels Paulus: „Jetzt sehen wir
wie im Spiegel und unklar, dereinst aber von Angesicht
zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber
werde ich erkennen, wie ich selbst erkannt bin.“
Selbstverständlich ist dieses Wort vom Schauen ein Bild,
ein menschliches Wort, aber ein Bild von
unerschütterlicher Bildkraft, ein Wort von fast
erschreckender Tiefe. Es will nämlich sagen, dass da
nichts mehr zwischen uns und Gott stehen wird, kein
Geschöpf, kein Schatten, keine Hemmung, keine Fremdheit,
keine Ferne, kein Weg, kein Medium, keine Schuld. Alles
das ist ausgeräumt. Es wird ein unmittelbares und
widerstandsloses Zusammenfallen, Zusammensein mit Gott
sein. Da ist dieses große Leid aller Liebenden auf Erden
beseitigt, nämlich dieses Leid, das wir auf Eden so
bitterlich durchkosten müssen, weil nämlich auch in der
größten Liebe immer noch eine Ferne ist, eine Fremdheit,
eine Unerfülltheit, eine Ohnmacht, ein Nichtkönnen.
Dieses Leid wird aufhören, so unglaublich es klingt.
Aber es wird durch ein Wunder der göttlichen Liebe
möglich sein, dass die Liebe zwischen Gott und der Seele
so sicher ist, dass sie sich genugtun kann, dass sie
sich sättigen kann, dass nichts mehr zwischen uns und
Gott ist, dass nichts mehr vermisst wird, sondern dass
die Liebe endlich wird mit sich zufrieden sein können.
Unsere ewige Vollendung wird also ein Leben in der
Gemeinschaft sein. Es bestätigt sich die Erkenntnis, die
wir schon auf Erden gewonnen haben, dass ein Mensch nur
in der Gemeinschaft ein ganzer, ein vollkommener, ein
heiliger und ein seliger Mensch werden kann.
Daraus ergibt sich aber
auch, dass der Mensch, der seine Vollendung nicht
gefunden hat, der verlorene, der verworfene Mensch ein
einsamer Mensch sein wird, ein Mensch ohne Du, ein
Ich-Mensch. Auch er wird ewig leben, denn er trägt in
sich jene Einmaligkeit und Einzigkeit, die seine
Zerstörung und seinen Abbau ausschließt. Aber er wird in
alle Ewigkeit nur ein Ich sein und kein Du. Er wird
niemals Du sagen können und niemals ein Du hören können.
Jetzt wissen wir, worin
der Himmel und worin die Hölle besteht. Der Himmel ist
die Lebensgemeinschaft mit Gott und mit allen
Geschöpfen, die zu ihm gehören, eine Gemeinschaft von
unsausdenkbarer Nähe, Vertraulichkeit und Seligkeit. Die
Hölle ist das gemeinschaftslose Leben, das liebeleere
Leben, das Leben eines Geistes, der nichts mehr hat,
weil er nichts liebt als sein eigenes Ich. Aber sein
eigenes Ich kann man nicht ewigwährend, vollkommen und
mit seligmachender Liebe lieben. So lieben kann man nur
das Du, und durch das Du hindurch und um des Du willen
auch das Ich. Wer also kein Du hat, der hat nichts mehr.
Daher kommt es, dass die Menschen, die nicht lieben
können, wie lebendig Begrabene sind, abgeschlossen von
allem, was noch da ist außer dem eigenen Ich. Sie führen
ein Leben in unerhörter Verlassenheit, in
unbegreiflicher Ausgestoßenheit und Heimatlosigkeit. Ein
solcher Mensch kann kein Geschöpf mehr besitzen. Denn er
könnte es nur besitzen, wenn er lieben würde; aber weil
er nicht liebt, kann er es nicht besitzen. Die
verlorenen Menschen, die ewig Hoffnungslosen, können
auch nicht einander lieben, weil sie eben überhaupt
keine Liebe haben. Dort drüben in jenem furchtbaren
Reiche ewiger Kälte und Finsternis bestehen alle Wesen
in lauter Ich-Menschen, zwischen denen keine Brücke,
keine Verbindung, keine Zusammengehörigkeit, kein
Verstehen möglich ist. Jeder von ihnen muss in alle
Ewigkeit sagen: Ich habe keinen Menschen. Weil ich
keinen Gott habe, dem ich Du sage, deswegen habe ich
auch keinen Menschen. So furchtbar rächt sich der
Egoismus des ichbesessenen Menschen, der auf Erden nur
sich kennt, nur sich gelten lässt, nur sich sucht, nur
sich anbetet und vergöttert. Weil er niemanden sucht,
wird er niemanden finden. Weil er niemandem dient, wird
er niemandem gehören. Weil er niemanden bejaht, wird er
zu niemandem sprechen. Weil er zu niemandem geht, wird
er bei niemandem sein. Und das ist seine Hölle. So
schrecklich ist es, mit der Forderung des Liebesgebotes.
Auf das ewige Leben, meine Freunde, auf das ewige Leben
kann man sich hienieden nur durch Liebe vorbereiten und
durch Ausbildung der Liebesfähigkeit. Wer auf Erden
keinen Hungrigen gespeist, keinen Durstigen getränkt,
keinen Heimatlosen beherbergt hat, der wird ewig
verworfen bleiben.
Da möchte man nun
erschrecken in tiefer Bangigkeit um das Schicksal aller
Menschen und um unser eigenes Schicksal. Denn jene
wahrhaft hemmungslose Liebe zwischen Gott und der Seele
ist doch etwas so Großes und Seltenes, dass es wohl die
wenigsten Menschen fassen können. Das ausführlichste und
schönste Wort, das der Sohn Gottes über den Himmel
gesagt hat, ist dieses: „Vater, ich will, dass
diejenigen, die an meinen Namen glauben, auch das seien,
wo ich bin, und die Herrlichkeit schauen, die du mir
gegeben hast von Anbeginn.“ Der Herr setzt voraus, dass
wir mit ihm in solcher Liebesgemeinschaft leben werden,
dass es unsere ewige Seligkeit ausmacht, seine
Herrlichkeit zu schauen. Das ist also nur etwas für
Liebende. Wer diese Liebe zu Christus nicht hat, dem
bedeutet auch seine Herrlichkeit und die Gemeinschaft
mit seiner Herrlichkeit nichts. Für den hat der Himmel
keinen Sinn. Wenn wir uns selber anschauen, wenn wir in
unsere eigene Seele blicken, dann müssen wir mit tiefem
Erschrecken feststellen, dass wir noch weit entfernt
sind von jener Liebe. Und wenn wir die Menschen
betrachten, wie wir sie um uns erleben, dann sehen wir,
wie unendlich selten die wahre Liebe ist, ja wie unfähig
zu wahrer Liebe sie zu sein scheinen. Diese bange Frage
ist wohl am Platze. Die wahre und reine Liebe ist selten
auf Erden, aber nicht weil die Menschen unfähig sind
dazu, sondern weil sie so tief vergraben und verschüttet
sind in ihrer Unlauterkeit und Selbstsucht, weil die
Menschen den Zugang zu ihr nicht finden und sie nicht
herausgraben aus ihrem Inneren, aus den Abgründen ihres
Herzens, so wie man einen goldenen Schatz herausgraben
kann, der dort im Dunkeln liegt. Aber dieser goldene
Schatz ist doch da, und weil er da ist, kann er auch
gehoben werden. Er ist so lange da, wie der Mensch ihn
nicht selbst wegwirft. Und wenn er seine goldschürfende
Arbeit auf Erden nicht verrichtet, dann muss sie drüben
nachgeholt werden. Das ist der innerste Sinn der
kirchlichen Lehre vom Reinigungsort, vom Fegfeuer, von
der Läuterung, wo die Seelen in unvorstellbarer Pein
endlich alles wegräumen müssen, was ihrer vollkommenen
Liebe und ihrem innersten Einssein mit dem göttlichen Du
noch im Wege steht.
Wahrlich nur in schweren,
tiefen Leiden kann diese Läuterung gelingen. Wir sehen
schon auf Erden, wie nur die Menschen, die selbst etwas
durchgemacht haben an Weh und Leid, reif und
aufgeschlossen werden für die wahre Liebe. Freilich,
nicht jedes Leid wirkt läuternd und reifend, aber jede
Seele, die reif geworden ist und lauter geworden ist,
die ist durch ein tiefes Leid gegangen. Jeder Mensch,
der ein herzliches und inniges Du sprechen kann, der hat
es gelernt in Stunden, wo er sein eigenes Ich nur noch
weinend aussprechen konnte.
So gehört also das
Fegefeuer zu den Letzten Dingen. Und es ist eines der
tröstlichen Worte in diesem Dogma, dass es auch nach dem
Tode noch eine Frist gibt, vielleicht eine unvorstellbar
lange, aber einmal doch zu Ende gehende, in der es uns
ermöglicht wird, durch alle irdischen Trübungen und
durch alle irdischen Hemmungen vorzudringen zu dem
großen, herrlichen Mysterium der ganz reinen, der ganz
guten Liebe.
Die katholische Kirche
lehrt aufgrund der Schrift und der Überlieferung, dass
es einen Reinigungszustand gibt und dass die dort
zurückgehaltenen Seelen durch die Fürbitten der
Gläubigen und besonders durch das Opfer der heiligen
Messe Hilfe finden. In diesem Glauben sind wir heute
hier versammelt. Wir denken an die Armen Seelen, wir
beten für sie, wir feiern das Messopfer für sie, wir
wenden ihnen Ablässe zu. Die Lehre vom Fegfeuer, eine
vergessene Lehre in der nachkonziliaren Kirche, ist für
unser Leben von großer Bedeutung. Denn das Dogma vom
Fegfeuer soll uns antreiben, dass wir in unseren Sünden
und Schwächen nicht erschlaffen. Das Dogma vom Fegfeuer
soll uns trösten, dass wir in unseren Sünden und
Schwächen nicht verzagen. Das Dogma vom Fegfeuer ist ein
wahrlich tröstliches Dogma. Die Armen Seelen leiden,
aber sie leiden nicht nur, sie freuen sich auch. Die
Freuden der Armen Seelen sind so zahlreich, so
unbeschreiblich, so unversieglich wie ihre Leiden.
Warum? Das Fegfeuer ist nicht eine Vorhölle, sondern ein
Vorhimmel. Die im Fegfeuer befindlichen Seelen sind
gerettet. Sie haben es geschafft. Sie besitzen die
Anwartschaft auf den Himmel, und niemand kann sie der
Hand Gottes entreißen.
So ist also der
Allerseelentag bei aller Bedenklichkeit und bei aller
Sorge auch ein froher Tag. Wir wollen an diesem Tage
beten: „Herr der Erbarmungen, gewähre den Seelen deiner
Diener und Dienerinnen den Ort der Erquickung, die
Seligkeit der Ruhe und die Klarheit des Lichtes. Milder
Jesus, Herrscher du, schenk den Armen Seelen ewige Ruh!“
Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir hatten begonnen, am
Fest Allerheiligen uns den Zustand der Ewigkeit vor
Augen zu führen Wir hatten gesagt: Dieser Zustand lässt
sich in drei Sätzen zusammenfassen, nämlich 1. Wir
werden leben. Tot und tot ist nicht aus und aus. 2. Wir
werden lieben. Der Himmel ist die Vollendung der Liebe.
Und 3. Wir werden wissen. Das ist das Thema unseres
heutigen Überlegens: Wir werden wissen. Die große Liebe
muss ja das große Wissen sein; denn nur wer liebt,
dringt wirklich in den Gegenstand seines Wissens, seines
Forschens ein. Es muss eine geheime Sympathie im
Menschen sein, damit er erkennen kann. Der Haß sieht
nur, was ihm gefällt. Die Liebe sieht das Ganze. Und im
Sinne einer Erhellung der Gesamtpersönlichkeit wird der
Mensch nur wissend in der Liebe.
Da unser Leben in der
Vollendung ein vollkommenes Lieben sein wird, wird es
auch ein vollkommenes Wissen sein. Es ist uns ja das
Gottschauen verheißen, und das hat etwas mit Wissen zu
tun. Aber dieses Gottschauen ist nicht nur ein
schattenloses Erkennen, es ist auch ein makelloses
Lieben. Es ist eine Erfüllung unserer Seele in jeder
Hinsicht, in ihren letzten Tiefen und Höhen. Auch unser
Bewusstsein wird ganz von diesem Wissen durchdrungen
sein. Es wird keine Verhüllung, keine Verschleierung,
keine Betäubung, keine Dumpfheit mehr sein. Was uns hier
auf Erden aus plausiblen Gründen verborgen bleibt,
nämlich das Unterbewußte und das Unbewußte, das wird in
der Ewigkeit aufspringen. Da werden die Abgründe unserer
Seele im taghellen Lichte unseres Wissens liegen, ja im
Wissen unserer Liebe. Alles, was je gut in uns war und
wie ein gutes Samenkorn in uns schlief, das wird
aufwachen; alle Gebete, alle guten Regungen, alle
Wünsche und alle Einsprechungen Gottes, alles wird mit
der ganzen Tröstung seiner Liebe uns bewusst werden.
Meine lieben Freunde,
dann wird endlich die Frage verstummen, die uns immer
entgegengehalten wird: Wo ist denn euer Gott? Dann
werden alle Fragen beantwortet sein, für die wir auf
Erden keine Antwort wussten. Dann werden alle Rätsel
gelöst sein, deren Lösung uns hier unmöglich schien.
Dann wird alles Unerklärliche geklärt sein, dann werden
alle Zweifel beseitigt sein, dann werden alle
bedrückenden Geheimnisse geöffnet sein. Dann werden auch
alle Klagen und Anklagen gegen Gott verstummen. Dann
werden wir begreifen, dass nicht ein augenloses
Schicksal unser Leben gelenkt hat, sondern dass Gott der
Herr der Lenker aller Geschicke war. Wir werden die
Fügungen und Führungen Gottes begreifen. Wir werden
erkennen, dass Gott der Herr des Zufalls war. Wir werden
die Vorsehung Gottes preisen.
Mit dieser vollen
Harmonie, die dann sein wird, ist es auch gegeben, dass
in unserer Seele nichts mehr sein wird, das nicht
eingefügt ist in das allbeherrschende Gesetz einer
wissend gewordenen Liebe. Es wird kein Zwiespalt mehr
sein zwischen unserem Erkennen und unserem Streben,
zwischen unserem Empfinden und unserem Wollen, zwischen
Pflicht und Neigung, zwischen äußerer Erscheinung und
innerer Wirklichkeit. Alles in uns wird emporgehoben
sein auf die Stufe einer großen Menschlichkeit, ja einer
gnadenvollen Göttlichkeit. Es wird nichts Hemmendes,
nichts Widerstrebendes mehr in uns sein, nichts
Untermenschliches und nichts Allzu-Menschliches.
Auf Erden beklagen wir,
dass wir den Anforderungen nicht genügen. Wir stellen so
viel Unfertiges, Mißlungenes, Unerreichtes, Mangelhaftes
fest in unserem Tun und Leben. Aber in der Ewigkeit wird
alles, was wir an Kräften und Anlagen besitzen,
entfaltet sein. Jede reine Sehnsucht, jede wirkliche
Liebe wird mit uns hinübergehen, um erfüllt zu sein. Wir
werden endlich ganz und gar Menschen geworden sein. Und
diese Ganzheit und Harmonie wird uns bewusst sein, und
wir werden leben bis in die letzte Faser unseres Seins
hinein. Das ist die vollkommene Seligkeit, die uns
erwartet. Sie ist eigentlich nur die Ausstrahlung der
großen Liebe, in der wir Gott besitzen.
Wir brauchen eigentlich
nicht viele Worte zu verlieren. Wer wirklich liebt,
weiß, was das bedeutet, und er weiß auch, was es
bedeutet, aus der Liebe zu leben. Es bedarf also keiner
krampfhaften Anstrengungen unseres
Vorstellungsvermögens, um die Formen und Umstände des
jenseitigen Lebens begreiflich zu machen. Es genügt, und
es muss uns genügen, dass wir alle Tiefen, alle
Inwendigkeiten, alle Möglichkeiten eines ganzen und
vollkommenen Lebens wirklich besitzen werden bis in
seine letzte Intensität und Stärke hinein. Es wird keine
Unerfülltheit mehr, kein bloßer Wunsch mehr, kein leerer
Traum, kein Mangel und keine Lücke mehr in uns sein.
Aber wie wird es sein mit
denen, die verloren gehen? Die in alle Ewigkeit von Gott
abgewandt sind? Selbstverständlich werden sie das große
Wissen, das die Liebe vermittelt, nicht besitzen. Aber
sie werden wissen, dass sie die Liebe und die Einheit
und die Harmonie und die Seligkeit nicht haben und in
alle Ewigkeit nicht haben werden. Das werden sie wissen.
Denn sie sind ja nicht wie ein Stein, der keine Liebe in
sich tragen kann. Nein, sie sind ein unendlicher Raum,
und dieser unendliche Raum wird leer sein. Ihre Leere,
ihre Ausgestoßenheit, ihre Verlassenheit wird die letzte
und äußerste Größe erreichen, die überhaupt möglich ist.
Sie wird durch nichts mehr zugedeckt und verschleiert
sein. In diesem Leben, meine lieben Freunde, macht sich
ja der Mensch immer seine Illusionen, seine vielleicht
gnädigen Illusionen. Auch im bösen und hasserfüllten
Menschen wird doch immer ein barmherziger Schleier über
ihn selbst fallen. Er macht sich selber etwas vor, um
nicht in seiner grauenhaften Bosheit erkannt zu werden,
in seiner Hohlheit, in seiner Hässlichkeit. Aber drüben
in jener anderen Welt gibt es für den liebeleeren
Menschen keine Verschleierung mehr. Nichts kann ihn mehr
trösten, kein Kind, kein Freund, keine Frau, kein Genuß,
keine Beschäftigung, kein Spiel. Er hat nur sich, sein
eigenes Ich, und das ist ein einziger ungeheurer Abgrund
von leerer Finsternis. Sein Bewusstsein wird entblößt
sein von jeder Täuschung. Er wird wissen, wie er ist.
Diese Erkenntnis wird ihn durchbohren mit der Wut der
Verzweiflung. Es bleibt ihm nichts verborgen von allem,
was in ihm ist, und das ist nur Minderwertigkeit und
Schuld und Erbärmlichkeit. Es ist nichts da, was ihn
trösten kann, keine Hoffnung, keine Freude. So kommt es,
dass die verlorenen Menschen in ihrer ewigen Hölle mit
einer verzehrenden Intensität fühlen, wie es um sie
steht. Jede Erbärmlichkeit, die in ihnen ist, wird ihnen
bewusst in ihrer wirklichen Gestalt. Es ist ein leeres,
ein sinnentleertes, ein gottloses und freudloses Leben.
Man kann wirklich sagen, es wäre besser, wenn ein
solcher Mensch nicht geboren worden wäre.
Das Leben der Verlorenen
ist ein unerforschliches Geheimnis. Auch die Phantasie
Dantes konnte dieses Geheimnis nicht aufdecken. Die
Bosheit ist ja unbegreiflicher als die Güte, und
deswegen ist auch die Finsternis unfassbarer als das
Licht. Wir können über diesen Zustand nur sagen: Er wird
das sichere und ewige Los derer sein, die freiwillig und
schuldhaft mit ganzem Willen sich von Gott abgewandt
haben und in dieser Gottentfremdung hinübergehen durch
das Tor des Todes. In diesem Augenblick wird ihr Zustand
der Lieblosigkeit verfestigt, die Unerfülltheit und die
Verlassenheit, der Zustand unheilbarer Zertrümmerung des
Menschenwesens.
Das, meine lieben
Freunde, sind die Letzten Dinge: Tod, Gericht, Himmel
und Hölle. Um ihretwillen ist der Mensch das Größte, was
es gibt außer Gott. Klein und armselig fängt das
Menschenleben an, schleppt sch dann eine Weile über die
Erde hin. Aber dann plötzlich wird es offenbar, was es
bedeutet. Es endet nicht im Nichts, sondern entweder in
einer unfassbaren Größe und Seligkeit oder in einem
unfassbaren Absturz. Der Mensch ist also umweht von der
Woge des Ewigen und Unendlichen. In einem Roman von
Dostojewski fällt ein heiliger Mann vor einem anderen
auf die Füße, den man für einen Verbrecher hält. Der
heilige Mann aber fällt auf die Füße vor ihm, umklammert
seine Knie. Warum? Er verehrt das ungeheure Leid, das
diesem Menschen bestimmt ist.
Wenn wir das Geschick
wüssten, das einen jeden von uns treffen wird, dann
müsste man auf den Erdboden niederfallen vor diesem
Menschen, entweder aus Ehrfurcht vor dem göttlichen
Glückswunder, das er einmal sein wird, oder aus
Entsetzen über den Dämon der Unseligkeit, der er einmal
sein wird. Man weiß es nur nicht. Aber eines von diesen
beiden wird sicher an jedem Menschen erfüllt sein, an
mir und an euch, ein Himmel oder eine Hölle. Was aber
auch mit uns einst geschehen mag, über allem wird die
unantastbare Gewißheit stehen: Die Barmherzigkeit des
Herrn ist von Ewigkeit und währt in alle Ewigkeit.
Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Kirche ist dazu von
Christus gegründet worden, dass sie sein Erlösungswerk
fortsetzt und den Menschen zuwendet. Der Mensch soll mit
göttlichem Leben erfüllt werden, und dann soll er aus
dieser Erfüllung die Welt gestalten. Ob der Kirche diese
Aufgabe gelingt, daran entscheidet es sich, ob sie ihre
gottgegebene Sendung erfüllt. Christliche
Persönlichkeiten zu schaffen, das ist ihre Sendung. Und
wenn das nicht gelingt, dann hat sie versagt.
Der Mensch ist Person,
d.h. also ein Wesen, das mit einer Seele ausgestattet
ist, das über Verstand und freien Willen verfügt. Aber
aus der Person soll eine Persönlichkeit werden. Was ist
der Unterschied? Nun, die Persönlichkeit ist die
Verwirklichung der Person, ihr Ausbau, ihre
Durchführung, ihre Vollendung. Viele Philosophen der
Vergangenheit und der Gegenwart haben sich bemüht
herauszufinden, worin die Persönlichkeit besteht. Und
sie haben manches gefunden, was wir akzeptieren können.
Wenn beispielsweise Theodor Adorno sagt, die
Persönlichkeit sei dadurch ausgezeichnet, dass sie
kritisches Bewusstsein und Rationalität gegenüber der
Massengesellschaft beweist, dann können wir das
akzeptieren. Kritisches Bewusstsein und Rationalität,
also Vernünftigkeit gegenüber der Massengesellschaft,
das ist nicht alles, was die Persönlichkeit ausmacht,
aber etwas, was zu ihr gehört. In der Zeit des
Nationalsozialismus traten Millionen Menschen – ich
meine, es sind 18 Millionen gewesen – in die NSDAP, in
die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, ein.
Das waren keine Bösewichte, nein. Sie passten sich nur
an, um Ruhe zu haben. Nach dem Kriege, bei der
Entnazifizierung, wurden sie als Mitläufer eingestuft.
Und gerade das ist es: diese feige Anpassung, dieses
geringe Widerstandspotential, das ist es, was den Wert
der Persönlichkeit mindert. Daß man sich als Mitläufer
der gängigen Meinung anpasst, dass man ein
Fernsehgewissen hat, das macht den Menschen aus, der
nicht zu einer Persönlichkeit heranwächst. Eine
Persönlichkeit sein heißt, ein eigenes Urteil sich
bilden, eine eigene Entscheidung fällen, ein Charakter
sein.
Es ist auch nicht falsch,
wenn Jürgen Habermas der Persönlichkeit die Kompetenz
zur Teilnahme an der Kommunikationsgesellschaft
zuspricht. Kompetenz, also Fähigkeit zur Teilnahme an
der Kommunikationsgesellschaft, an der Gesellschaft, die
eben miteinander kommuniziert. Wer etwas beiträgt zum
Verstehen der Menschen, wer sich beteiligt an der Lösung
der Aufgaben, der ist eine Persönlichkeit. Das ist nicht
falsch. Wir sind aufgerufen, die Aufgaben, die Gott uns
stellt, zu erfüllen.
Zunächst in der
Schöpfung. Der Mensch ist ja die Krone der Schöpfung.
Und die Persönlichkeit weiß um ihre Stellung in der
Schöpfung. Sie weiß darum, dass sie ein Verfügungsrecht
über die Dinge hat, das ihr der Schöpfer eingeräumt hat.
Der Mensch besitzt Eigentumsrecht. Der Mensch besitzt
einen Leib, für den er verantwortlich ist, den er
einsetzen kann, den er einem anderen schenken kann in
der Ehe. Der Mensch besitzt sein eigenes Geheimnis.
Niemand darf unbefugt in das Innere eines Menschen
eindringen. Der Mensch besitzt eine Überzeugung, die er
sich erworben hat. Der Mensch besitzt ein Gewissen. Die
Vorgänge in Hessen haben uns gezeigt, wie unsicher der
Gewissensbegriff unter den Menschen ist. Die Menschen
wissen nicht, was ein Gewissen ist. Sie wissen es nicht.
Das Gewissen ist doch nichts anderes als die
Empfangsstelle des Willens Gottes. Das Gewissen sagt
mir, was Gott von mir in jeder Situation getan wissen
will. Auch das Rasieren ist eine Gewissensentscheidung,
natürlich. Alles, was der Mensch tut, ist vom Gewissen
oder soll vom Gewissen bestimmt sein.
Der Mensch besitzt eine
Ehre, einen guten Ruf, den ihm niemand ungestört
entziehen darf. Der Mensch besitzt auch eine Freiheit,
eine Freiheit, sich selbst zu bilden, und diese Freiheit
soll er benutzen. Der Mensch, der von der Person zur
Persönlichkeit werden will, muss unermüdlich an sich
arbeiten.
Jeder von uns besitzt
Anlagen, Kräfte des Geistes und des Körpers. Aber diese
Anlagen sind uns gegeben, dass wir sie entwickeln, dass
wir sie entfalten, dass wir sie vollenden. Von jedem von
uns hat Gott ein Idealbild, und dieses Ideal sollen wir
erreichen, diesem Ideal sollen wir nachstreben. Wir
sollen alles, was Gott uns gegeben hat, zur
größtmöglichen Entfaltung bringen. Wir sollen das
Idealbild verwirklichen, das Gott seit Ewigkeit her von
uns in sich trägt.
Man kann auch statt
Persönlichkeit sagen: Charakter. Richtig verstanden, ist
die Persönlichkeit ein Mensch mit einem Charakter. Den
Charakter hat der Mensch nicht von vornherein, er muss
sich ihn erwerben. Die Gründung des Charakters ist eine
innere Umwandlung, die dem schwankenden Zustand der
Triebe und der Begehrungen ein Ende macht. Einen
Charakter erwerben heißt eine Wiedergeburt erleben. Wer
Charakter hat, besitzt auch Prinzipien, Grundsätze,
Maximen, nach denen er sein Leben gestaltet. Er ist kein
schwankendes Rohr, sondern er steht da wie eine Säule.
Er ruht auf seinen Prinzipien.
Das Höchste, was der
Mensch erreichen kann, ist der sittlich schöne
Charakter. Er wird gebildet durch die Ehrfurcht vor dem
Heiligen, durch den Widerwillen gegen alles Unreine,
Unzarte, Unfeine, durch die Liebe zum Reinen, Guten und
Wahren. Wer eine edle Persönlichkeit geworden ist,
verabscheut alles Schäbige, Gemeine, die böse Lust, die
Rachsucht, die Schadenfreude, die Unehrlichkeit. Die
edle Persönlichkeit herrscht über alle Lüste, über
Schaulust, Gaumenlust, Geschlechtslust. Die edle
Persönlichkeit besitzt ein stetes Pflichtbewußtsein. Sie
bildet sich aus, ihren Charakter, und die
Charakterbildung ist wichtiger als jede andere Bildung.
Als die letzten Wahlen in Bayern waren, da wusste eine
Zeitung zu melden, dass sich vor allem die sogenannten
Gebildeten von der Christlich-Sozialen Union abgewandt
hätten. Ich habe da meine Zweifel, und zwar aufgrund
meiner Erfahrungen. Wer sind diese Gebildeten? Die mit
Ach und Krach ein Abitur gemacht haben, die mit Ach und
Krach ein Studium hinter sich gebracht haben, denen es
aber häufig an Charakterbildung fehlt? Und
Charakterbildung ist wichtiger als Geistesbildung.
Das ist also die Aufgabe,
die uns als Persönlichkeiten gestellt ist: die eigenen
Schwächen überwinden, die Sünden und die Neigungen zur
Sünde überwinden, die Hauptsünden bekämpfen: Stolz,
Zorn, Geiz, Neid, Unkeuschheit, Unmäßigkeit, Trägheit.
Tugenden erwerben, Fertigkeiten im Guten, rastlos an
sich selbst arbeiten, dass wir demütige,
vertrauensvolle, ehrliche und gütige Menschen werden.
Ja, die Früchte des Geistes, wie sie Paulus im
Galaterbrief aufzählt, die Früchte des Geistes
erbringen: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Güte,
Treue, Sanftmut, Mäßigkeit, Enthaltsamkeit, Keuschheit.
Das ist unsere Aufgabe, meine lieben Freunde, diese
Früchte zu erbringen, Persönlichkeiten zu werden, wie
sie Gott sehen will.
Dazu gehört auch eine
feste Lebensordnung. Der unvergessliche Mainzer Bischof
Ketteler hat einmal im Jahre 1871 in seinem
Fastenhirtenbrief geschrieben: „Nichts ist für den
Menschen notwendiger als eine feste Lebensordnung, ein
fester, bestimmter, wohlüberlegter Plan, nach dem wir
unser tägliches Leben einrichten und unsere Pflichten
erfüllen. Ohne solche Lebensordnung“, so fährt er fort,
„hängt alles, was wir täglich Gutes tun, vom Zufall ab,
von unseren Launen, von unserer Stimmung, von den
wechselnden Einflüssen, von den äußeren Verhältnissen.“
Eine wesentliche
Eigenschaft der edlen Persönlichkeit möchte ich noch
eigens herausheben, nämlich den Ruf zur
Nachkommenschaft. Der Mensch ist über sich selbst
hinausgewiesen. Die edle Persönlichkeit ist gefordert.
Sie soll sich über sich hinaus fortpflanzen. „Kinder
sind eine Erweiterung der Persönlichkeit“, schreibt
einmal der große Papst Leo XIII. Kinder sind eine
Erweiterung der Persönlichkeit. Also ist es verwerflich,
aus Feigheit, aus Faulheit, aus Bequemlichkeit auf die
Ehe oder auf Kinder in der Ehe zu verzichten. Wer sich
diesem Rufe Gottes entzieht, der kann keine edle
Persönlichkeit werden. Im 2. Jahrhundert verfasste
Justinus eine Verteidigungsschrift für die Christen
gegen die Angriffe der Heiden. In dieser
Verteidigungsschrift steht der Satz: „Wir Christen gehen
grundsätzlich entweder die Ehe ein um der Kinder willen,
oder wir verzichten auf die Ehe und leben enthaltsam.“
Was immer man auch sagen mag: Die Ehe ist um der Kinder
willen eingesetzt. Und die Rede, dass Kinder ein Segen
Gottes sind, ist unbestreitbar richtig. Jedes Kind, das
geboren wird, bringt von Gott die Botschaft, dass er
nicht an der Menschheit verzweifelt.
Gewiß, Kinder sind eine
Last. Aber die Religion hilft diese Last tragen. Wer
Gott im Hause hat, der bringt leichter zehn Kinder fort
als einer, der Gott nicht im Hause und nur ein oder zwei
Kinder hat. Kinder verlangen Entsagung, verlangen Opfer.
Aber da gilt das Wort der rumänischen Königin Silva:
„Wer sich in der Ehe nicht opfern will, wer sich für die
Kinder nicht opfern will, der soll nicht heiraten.“
Die Persönlichkeit drängt
es sodann, ihren Anteil zu leisten an der Wohlfahrt der
Gesellschaft, des Volkes. Es drängt sie, ein Werk zu
schaffen. Die Kultur ist ja die Frucht der Arbeit von
Persönlichkeiten, oft von großen Persönlichkeiten, von
Entdeckern und Erfindern, von Männern der Wissenschaft
und der Technik. Dadurch unterscheidet sich der Mensch
vom Tier. Das Tier baut seine Höhle oder sein Nest heute
genauso wie vor 3000 Jahren. Da ist gar kein Fortschritt
festzustellen. Der Mensch aber schreitet fort. Er
entdeckt Neues, er schafft Neues, er setzt Werke in die
Welt, die den Menschen zum Nutzen sind. Ich denke etwa
an die großen Unternehmer. Ja, auch das muss einmal
gesagt werden: Diese Arbeitgeber, die dem Volke dienende
Werke schaffen, wie sind sie doch oft edle
Persönlichkeiten, etwa ein Deichmann, der Inhaber der
vielen Schuhgeschäfte, eine edle Persönlichkeit, der
nicht nur die Bevölkerung mit Schuhen versorgt, sondern
auch seine Angestellten mit höchster Achtung und
Ehrfurcht behandelt. Und auch die Arbeitnehmer müssen
wir preisen. Ich denke oft in Dankbarkeit an die
Müllmänner. Was erweisen diese Männer, die diese
schwere, schmutzige Arbeit verrichten, uns einen
unermesslichen Dienst! Man muss an italienische Zustände
denken, um zu begreifen, was passieren würde, wenn die
Müllmänner ihren Dienst einstellen würden.
In der Arbeit
verwirklichen wir uns selbst. In der Arbeit dienen wir
der Gesellschaft. In der Arbeit leisten wir Gott den
schuldigen Gehorsam. Für die Arbeit und für das Gebet,
das zur Arbeit gehört und auch Arbeit ist, gelten drei
Sätze: 1. Bete, als hülfe kein Arbeiten. Arbeite, als
hülfe kein Gebet! 2. Laß deine Arbeit ein Gebet sein und
dein Gebet eine Arbeit! 3. Willst du nicht arbeiten, so
hilft auch kein Beten. Aus gemeinsamer Arbeit, aus dem
Zusammenwirken aller Arbeitgeber und Arbeitnehmer
entsteht ein Werk, wird das Volkswohl gefördert, wird
das Volkstum erhalten. Aber das alles wird von der
großen Klammer umfasst, nämlich dem Dienste Gottes. Die
Persönlichkeit weiß, dass sie immer vor Gott steht. Ich
wiederhole, was ich am Anfang sagte: Im Gewissen spricht
immer Gott zu uns. Jede Handlung, ohne Ausnahme, muss
eine Gewissensentscheidung sein, d.h. muss sich vor Gott
rechtfertigen lassen. Unsinn, zu sagen, in der Politik
komme es auf das Gewissen nicht an. Ja, da kommt es sehr
wohl auf das Gewissen an. Es kommt bei allem Tun und
Lassen auf das Gewissen an.
Wir stehen also vor Gott
allezeit und ohne Ausnahme, bei Tag und bei Nacht. Und
wir haben die Aufgabe, unser Leben und unser Werk dem
Herrn zu weihen. „Ich weihe mein Werk dem König.“ Die
vollendete Persönlichkeit weiß darum, dass sie betend
und arbeitend vor Gott steht, dass sie ihre
Lebensaufgabe nur erfüllt, wenn sie sie im Angesichte
Gottes erledigt. Groß ist der Mensch schon in der
Schöpfung als Person. Noch größer ist er in der
Erlösung. Gott, du hast den Menschen wunderbar
erschaffen, aber noch wunderbarer erneuert, nämlich
durch die Annahme der Menschennatur in Christus. Durch
diese Menschwerdung wird der Mensch fähig, das
dreipersönliche Leben Gottes mitzuerleben. Er glaubt
nicht nur an Gott, er gehorcht nicht nur Gott, nein, er
ist in das Herz Gottes aufgenommen. Er ist tatsächlich
ein Bruder Christi. Er ist tatsächlich ein Sohn oder
eine Tochter Gottes, er ist tatsächlich ein Träger des
Heiligen Geistes. Die wahre christliche Persönlichkeit
lebt das übernatürliche Leben in Christus und bringt es
in ihrem ganzen Tun zum Ausdruck. Gott mit der Zunge
verherrlichen kann man nicht immer. Ihn durch das Leben
verherrlichen, das kann man immer. Die Heiligkeit
besteht nicht darin, dass man Außergewöhnliches
unternimmt. Die Heiligkeit besteht darin, dass man das
Alltägliche und Gewöhnliche gut im Namen Gottes
vollbringt. Der unvergessliche große Apostel Berlins,
Carl Sonnenschein, hat einmal den schönen Satz
geschrieben: „Des Katholiken charakteristisches Zeichen
soll sein, dass er die Religion lebt, nicht dass er von
ihr redet.“
Die christliche
Persönlichkeit weiß auch um den Dienst am Nächsten. Sie
ist von der Nächstenliebe geprägt. Wir sind verbunden
mit allen Menschen, und wir sind verantwortlich für sie.
Wir müssen diese Verbundenheit pflegen. Die Heiden der
ersten Jahrhunderte haben von den Christen gesagt:
„Seht, wie sie einander lieben!“ Das war etwas Neues.
Seht, wie sie einander lieben! Und der Bischof Ignatius,
der im Jahre 107 in Rom den Löwen vorgeworfen wurde,
schreibt in einem seiner Briefe, die römische Kirche sei
die Vorsitzende des Liebesbundes. Also das ist die
Kirche: nicht nur Bürokratie, nicht nur Amt, sondern
Liebesbund. Und Paulus sagt von sich: „Die Liebe Christi
drängt uns.“
Das muss das Motiv sein,
weswegen man für Gott arbeitet, weswegen man den
priesterlichen Dienst tut: Die Liebe Christi drängt uns.
Das haben ja edle Persönlichkeiten aller Zeiten gewusst
und getan. In der nächsten Woche werden wir das
Gedächtnis der heiligen Elisabeth feiern. Diese edle
Frau, die sich im Dienst des Nächsten verzehrt hat,
leuchtet wie ein Fanal durch alle Jahrhunderte. Je mehr
wir edle Persönlichkeiten sind, desto mehr können wir
auch anderen nützen. Der Mensch dient nämlich dem
anderen zunächst dadurch, dass er etwas ist, und erst
danach, dass er etwas tut. Je mehr wir edle, vollkommene
Persönlichkeiten sind, umso mehr können wir anderen
nützlich sein. Es hat einmal einer gesagt: „Der Mensch
vermag alles, was er vermag, durch seine
Persönlichkeit.“ Das mag übertrieben sein. Aber es ist
tatsächlich so: Das Beste, was ein Mensch für den
anderen tun kann, ist darin gelegen, dass er etwas für
ihn ist.
So stehen wir also, meine
lieben Freunde, als Persönlichkeiten vor Gott und vor
den Menschen. Wir wollen keine Mitläufer sein, wir
sollen keine Massenmenschen werden, wir wollen uns nicht
von der Weltanschauung des Fernsehers bestimmen lassen,
sondern wir wollen aus dem Grunde der Religion
emporwachsen, verbunden durch die Gnade mit dem
dreifaltigen Gott, eingedenk unserer Pflichten und immer
im Gehorsam gegen unser Gewissen Gott dienen und so auf
diese Weise mithelfen, dass wir die Erlösung Christi in
dieser Welt vollenden
Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir hatten am vergangenen
Sonntag versucht, die Aufgabe der Kirche am einzelnen
Menschen uns vor Augen zu führen. Wir sagten: Der Mensch
ist Person, aber er soll zur Persönlichkeit werden. Und
damit er das wird, soll die Kirche mit ihren Kräften
mithelfen. Sie soll den Menschen formen, dass er die
Anlagen, die in ihm sind, entfaltet, dass er die Talente
nutzt, dass er dem Idealbild nahe kommt, das Gott von
ihm trägt.
Die christliche
Persönlichkeit aber bleibt nicht allein. Sie wächst
durch die Ehe, durch die Familie, durch die Kinder. Sie
wird zur Bauzelle der Kirche. Das soll das Thema unserer
heutigen Überlegungen sein. Wir wollen fragen, wie die
Kirche die Familie nach dem Willen Gottes sieht und wie
Kirche und Familie zusammengehören. Ja, ist es denn
notwendig, meine lieben Freunde, dass wir nach dem
gottgewollten Sinn der Familie fragen? Ist das
notwendig? Ist mit dem Namen Familie nicht schon vieles
in uns wach, das Heimweh nach dem Elternhaus, Vater und
Mutter, Heimat und Elternliebe? Quillt das nicht alles
in uns auf. Gewiß. Und doch, unsere Zeit krankt vor
allem an der Familie. Warum? Der Mensch von heute scheut
das Opfer. Das ist seine Grundbefindlichkeit und seine
Grundkrankheit: Er scheut das Opfer. Die Familie aber
ist auf selbstlosen Verzicht aufgebaut, und so sucht
sich der Mensch von heute der Familie zu entziehen, er
sucht sie nach seinem Gutdünken umzugestalten. Ehereform
heißt das Losungswort unserer Zeit, und wir wissen, wie
diese Ehereform aussieht. Immer weitere Lockerung der
Institution der Ehe, nichteheliches Zusammenleben,
Zivilehe, Ehescheidung, homosexuelle Verbindungen, die
als Ehe ausgegeben werden. Ja, Ehereform tut not, aber
nach den ewigen Normen Gottes! Auf die Gedanken Gottes
über der Ehe kommt es an. Danach muss alles
zurückstreben, und wenn eine wirkliche, umfassende
Erneuerung der Ehe zustande gebracht werden soll, dann
kann es nur nach den Absichten Gottes geschehen.
Die Staaten arbeiten
fortwährend Gesetzesentwürfe aus. Statistische Ämter
lassen verzweiflungsdüstere Statistiken ausgehen. Die
anderen christlichen Kirche schweigen, ducken sich,
geben der menschlichen Schwäche nach. Die Synagoge beugt
sich, die Moschee beugt sich und der Protestantismus
beugt sich. Die Wogen der Leidenschaft schlagen hoch,
der Irrtum herrscht. In dieser Brandung steht nur ein
einziger Fels fest, der Fels unserer Kirche. Meine
lieben Freunde, wenn es eines Beweises bedürfte, dass
die Kirche vom Heiligen Geist geleitet ist, dann würde
dieser Beweis dadurch geliefert, dass die Kirche
unbeirrt zu dem Gesetz der Ehe feststeht, wie Gott es
gewollt hat. Das ist für mich ein überzeugender
Gottesbeweis.
Die Familie ist erstens
nach Gottes Willen ein heiliger Lebensquell. Gott will,
dass die Menschen die Erde bevölkern, dass sie sie
bebauen, dass sie sein Werk vollenden. Und wie Gott
überhaupt Menschen heranzieht zum Ausbau der Welt, so
ruft er auch zur Fortpflanzung des Geschlechtes. Er legt
geheimnisvolle Kräfte in den Menschen hinein, und er
treibt sie an durch gewaltige Triebe der Natur. Eltern
sollen sich dem Schöpfer weihen zu heiligem Dienst. Sie
sollen ihm Menschenkinder schenken, dass er sie
beglücke. Sie werden also mit ihrem Leib zu einem
heiligen Werkzeug, das dem freien Belieben des Menschen
entzogen ist. Nur nach dem Willen und Plan des Schöpfers
können und dürfen die Menschen darüber verfügen, nach
dem Gesetz der Ehe. Es sei noch einmal ausdrücklich
gesagt: Es gibt keine legitime geschlechtliche
Betätigung außerhalb der gültigen Ehe.
Gott ist es, der den
Ehevertrag schließt und die Menschen in das Heiligtum
hineinführt. Und von diesem Heiligtum gilt das Wort:
„Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht
trennen.“ „Du sollst das Gesetz der Ehe nicht brechen“,
so heißt es im Buche Exodus, im 2. Buche Moses. Die Ehe
ist schon von Natur aus ein geheiligter Vertrag. Dieser
heilige Charakter ergibt sich aus ihren Zwecken, nämlich
Kindern das Leben zu schenken und die Gatten
zusammenzuführen, und aus ihrem Ursprung, nämlich sie
ist von Gott geschaffen. Sie alle wissen, was die
Menschen aus diesem Heiligtum gemacht haben. Aus der
Stätte des Lebens wird die Gruft des Todes. Wo
quellendes Leben hervorspringen soll, da schließt sich
oft das Tor hinter den Gatten: Kinderlosigkeit,
Kinderarmut. 11 Prozent aller deutschen Frauen, aller
jungen deutschen Frauen, wollen keine Kinder. 26 Prozent
aller jungen Männer wollen keine Kinder. Was hat die
großen Völker der Geschichte aus dem Geschichtsbuch
gestrichen? Ihre Kriege? O nein, meine lieben Freunde.
Aber in dem Augenblick, wo sie anfingen, das Kind zu
fürchten, da ging es mit ihnen bergab.
Hohe Verantwortung hat,
wer sich zu dem ehelichen Bunde entschließt, wer zu dem
heiligen Dienst in der Schöpferwerkstatt Gottes bereit
ist. Heilige Ehrfurcht muss jeden erfüllen, der in
dieses Heiligtum eintritt, denn die Ehe ist der Quell
des Lebens. Die Familie ist ein heiliger Lebensquell.
Sie ist zweitens eine
heilige Gemeinschaft, und zwar zunächst für die Gatten.
Es wird im 1. Buch der Heiligen Schrift ergreifend
geschildert, wie der erste Mensch einsam war. Es fehlte
ihm etwas, er suchte etwas, und er wusste nicht, was.
„Es ist nicht gut“, sagt der Herr, „dass der Mensch
allein sei. Laßt uns ihm eine Gehilfin machen, die ihm
gleiche.“ Und da ist der erste Mensch beglückt, als er
seine Frau sieht und als der Ehesegen über ihn
gesprochen wird: „Wachset und mehret euch!“ Wachset
selbst zuerst aneinander in gegenseitiger Hilfe. Werdet
in der Gemeinschaft stark, den Lebensweg zu gehen. Einer
trage des anderen Last. Es ist keine Kleinigkeit, meine
lieben Freunde, allein zu stehen, aber Gott will, dass
normalerweise und in aller Regel der Mensch sich zum
Menschen findet, damit sie in Gemeinschaft aneinander
emporwachsen, sich Stütze seien und Hilfe und in der
Tugend miteinander wachsen. Der Schöpfer hat uns eben
füreinander geschaffen, Mann und Frau, Wesen
verschiedener Art, zusammen ergänzen sie sich, finden
sie sich in Harmonie. Gesetze, selbst die bestgemeinten,
bewirken wenig, wenn nicht die Menschen die Haltungen
lernen, die nun einmal für das Leben notwendig sind, die
vor allem für ein gedeihliches, gottgefälliges Leben
notwendig sind, also die Tugenden, das sind Fertigkeiten
im Guten, die wir brauchen.
Der Bundespräsident hat
in diesen Tagen von den Bankiers eine dieser Tugenden
eingefordert. Er sagte, die Bankiers müssten Demut
lernen. O wie richtig! Aber Demut ist natürlich nur eine
Tugend, die wir erlernen müssen. Verantwortung
füreinander, Dienst füreinander, Zurücktreten
voreinander. Wie ist das so notwendig in einer jeden
Ehe! Und eine Weggemeinschaft muss es sein bis ans Ende,
auf dass die Liebe lauter und reifer werde. Die
Sinnlichkeit, die die Menschen oft zueinander führt,
trägt eine Ehe nicht, die Stimmung, der äußere Eindruck
muss weichen einer tiefen Zuneigung der Seelen, die sich
gefunden haben. Das ist aber nur möglich, wenn sie
wissen, dass sie unzertrennlich zueinander gehören, dass
sie alles miteinander tragen müssen, auch das Kreuz
ihrer Ehe. Denn Sie wissen es ja, meine lieben Freunde,
jeder Mensch will auch getragen werden. Jeder Mensch hat
sogar etwas Unerträgliches an sich. Das muss man in der
Ehe lernen: einander tragen, einander ertragen. Aber in
der Festigkeit des Ehebandes haben sie eben die
Garantie, dass dieses Tragen sinnvoll ist und dass es
bis zum Ende reichen wird. So ist die Treue gesichert
durch die Festigkeit des Ehebandes. Die Verlockungen zur
Untreue schwinden angesichts der Festigkeit des
Ehebandes. Die ängstliche Besorgnis, ob der andere in
der Not oder im Alter oder in der Krankheit oder im
Unglück weggehen wird, diese Besorgnis weicht dann. Tür
und Tor ist verschlossen, die Gatten wissen: Wir gehören
zusammen bis zum letzten Atemzug.
Zu den Eltern, zu den
Gatten gesellt sich das Kind, ein bleibendes Denkmal
ihrer Liebe. Ihm sollen sie den Weg bahnen in der
Familie, sollen es an ihre Hand nehmen und die erste
Wegstrecke begleiten. Erziehung der Kinder ist
naturgegeben Aufgabe der Familie. Darum lässt auch der
Schöpfer das Kind so viele Jahre hilflos sein. Er zeigt
damit, dass es eben angewiesen ist auf die Eltern, auf
die Familie. Arme Kinder, die Vater oder Mutter nicht
kennen! Sie werden einer kommunalen Pflege oder einer
staatlichen Pflege ausgeliefert, aber sie haben keinen
Vater und keine Mutter. Auch um des Kindes willen hat
der Schöpfer das Band der Ehegatten unauflöslich
geknüpft. Heilige Weggemeinschaft wird die Familie durch
das Leben hin zu Gott. Es soll am Ende des Lebens einmal
so sein, dass die Eltern vor Gott hintreten können und
sagen: „Herr, keines von denen, die du mir gegeben hast,
habe ich verloren.“ O große Verantwortung! Was aus einem
Kinde wird, was aus einem Menschen wird, das entscheidet
sich zum Großteil in der Kindheit, in der Jugend, und
diese Verantwortung kann keine Macht der Welt den Eltern
abnehmen. Denn Gott hat sie ihnen gegeben. Die Pflicht
und damit das Recht der Erziehung liegt in erster Linie
bei den Eltern. Und wenn sie es noch nicht können, dann
müssen sie es lernen. Die Menschen bereiten sich auf
alles vor, vor allem auf den Beruf. Viele Jahre gehen
sie in die Schule, gehen in die Lehre. Bereiten sie sich
auch vor auf die Ehe, auf die Familie, auf die Erziehung
von Kindern? Rüsten sie sich selbst aus mit den
Tugenden, die notwendig sind, um einem Kind das Leben zu
schenken und es zu erziehen? Niemand darf die Eltern aus
ihrem Erziehungsrecht verdrängen.
Und drittens ist die
Familie der Lebensraum für den wachsenden Menschen. Eine
Pflanze muss guten Boden haben und Platz, damit sie
wachsen kann. Ein Mensch braucht auch eine solche
Pflanzstätte, damit er gedeihen kann. Das ist das
Elternhaus, das Heim, die Familie, dieses unfassbare
Wunder von Wohlwollen, Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit,
Schönheit, Sonnigkeit, ja auch von Zärtlichkeit, um
dessentwillen wir ein lebenslanges Heimweh nach dem
Vaterhaus in uns tragen. Glücklich jene Menschen, die
ein solches Heim haben, die in ein solches Heim
hineingeboren wurden. Glücklich jene jungen Menschen,
die sagen: Am schönsten ist es bei uns zu Hause. Aber
wie arm sind die jungen Menschen, wenn der Vater oder
die Mutter das Haus verlassen und draußen ihr Glück
suchen, ihre Freude suchen! Wenn sie nicht imstande oder
nicht willens sind, das Heim zu schaffen, in dem sich
alle wohlfühlen können.
Niemand, meine lieben
Freunde, schätzt Ehe und Familie so hoch wie unsere
Kirche. Niemand hat ihr zu allen Zeiten und vor allem in
der Not so wirkungsvoll geholfen wie sie. Schon die
Naturehe ist ein Heiligtum; die christliche Ehe
übersteigt es noch bei weitem. Denn die christliche Ehe
hat ja die Aufgabe, Bürger für das Reich Gottes
hervorzubringen, Mitbürger der Heiligen, Hausgenossen
Gottes. Und deswegen gehört der Mensch eben zwei
Gemeinschaften an, der Familie und der
Gottesgemeinschaft der Kirche. Beide gleich notwendig,
beide gleich wesentlich. Als Menschenkind gehört er zur
Familie, als Gotteskind gehört er zur Kirche. Durch
diese gemeinsamen Aufgaben zueinander hingeordnet
gehören Kirche und Familie zusammen. Aber ihre
eigentliche Verbindung ist in der Sakramentalität der
Ehe gegeben. Im Epheserbrief ist diese Sakramentalität
vom Apostel Paulus ausgesprochen. Er sagt von der Ehe:
„Sie ist ein Geheimnis, und dieses Geheimnis ist groß im
Hinblick auf die Beziehung der Ehe zu Christus und
seiner heiligen Kirche.“
Die Ehe ist ein Abbild
der Verbindung von Christus zur Kirche. So wie Christus
die Kirche liebt, so sollen die Gatten einander lieben.
Wie liebt denn Christus die Kirche? Ja bis zur Hingabe
des Lebens, bis zum Vergießen des Blutes, bis zum
letzten Seufzer am Kreuze. So liebt Christus die Kirche.
Kann man Erhabeneres, kann man Höheres über die Ehe
sagen, als was hier uns gelehrt wird: die Ehe ein Abbild
der Verbindung Christi mit der Kirche? Wenn die Eheleute
ihren Bund schließen, wird durch diesen Bund jenes
heilige Ineinander gestaltet, das Christus und die
Kirche verbindet. Wir können auch noch ein anderes
herrliches Bild uns vor Augen führen. Die Kirche ist ja,
wiederum nach dem Zeugnis des Apostels Paulus, der Leib
Christi. Und wenn immer in der Kirche neue Glieder
hervorgebracht werden, dann sind das auch Zellen, neue
Zellen am Leibe Christi. Durch jedes Kind, das geboren
und zur Taufe geführt wird, entsteht eine neue
Lebenszelle, und der Ehevertrag wird zum heilswirksamen
Zeichen. Er gibt den Gatten das ständige Anrecht auf
Gottes Hilfe in allen Lagen. Deswegen ist es eben nicht
egal, meine lieben Freunde, ob man zusammenlebt ohne
Trauschein, wie man heute sagt, oder ob man sich unter
den Segen Gottes beugt, ob man die Gnadenquellen fließen
lässt. Es ist nicht egal.
Gehören Ehe und Familie
seinshaft zusammen, dann folgt aus dem gemeinsamen Sein
auch das Wirken füreinander. Zunächst einmal: Was gibt
die Kirche der Familie? In einem Elternhaus stand der
schöne Spruch: „Wo Glaube, da Liebe, wo Liebe, da
Friede, wo Friede, da Gott, wo Gott, keine Not.“ O wie
wahr, meine Freunde! Wo Glaube, da Liebe, wo Liebe, da
Friede, wo Friede, da Gott, wo Gott, keine Not. Wo der
katholische Glaube in einer Ehe und Familie lebt, da
weiß man um das Heiligtum der Ehe und die hohen
Aufgaben. Da stehen Eltern und Kinder in heiliger
Ehrfurcht voreinander, da ruht die Familie auf dem
festen Grunde des Rechtes und der Gottesordnung, da ist
Gehorsam eine selbstverständliche Haltung der Jugend.
Und da ist die liebevolle Sorge um die Kinder
selbstverständlich, eine heilige Gewissenspflicht. Ja,
wo Glaube, da Liebe, wo Liebe, da Friede, wo Friede, da
Gott, wo Gott, keine Not.
Und wieviel Freude trägt
die Kirche in die Familie hinein! Der Tag der Trauung
ist und soll ein Tag der Freude sein. Wo die rechte
Vorbereitung auf diesen Tag gehalten wird, da kann er
auch nur ein Tag der Freude sein. Und dann kommen die
Tage froher Kindtaufen. Was ist es beglückend, ein
solches Kindlein in den Armen zu tragen! Meine lieben
Freunde, was ist das beglückend! Dann die herrlichen
Wochen, die vorhergehen, bis die Kinder zur Ersten
Heiligen Kommunion geführt werden. Und jedes Jahr wird
es wieder Weihnachten und man sammelt sich um die Krippe
und um den Lichterbaum. Wieviel Liebe geht doch von
dieser Krippe in die Familie hinein! Und all die frohen
Feste und Bräuche des Kirchenjahres. Wahrhaftig, was
gibt die Kirche der Familie! Wenn das Kreuz in die
Familie einzieht, da wird es im Geiste Christi getragen
in Geduld. Liebe schließt sich enger zusammen. Liebe
flieht nicht vor dem Kreuz. Gemeinsam trägt man das
schwerste Leid. Und wenn einen die Krankheit ereilt und
der Tod kommt, dann tritt der Priester in das Haus und
sagt: „Friede diesem Hause!“ Christliche Familien
bleiben ja über den Tod miteinander verbunden. Wir
glauben an die Gemeinschaft der Heiligen. Wir wissen,
dass unsere Verstorbenen leben, und wir wissen, dass sie
für uns beten. Ach, was ist der Allerseelentag ein
glücklicher Tag, wo wir uns an unsere lieben
Verstorbenen erinnern und ihnen durch unsere Fürbitte
helfen.
Was gibt aber auch die
Familie der Kirche? Nun, die Familie gibt der Kirche
Wachstum. Aus den Familien wächst die Kirche, wie freut
sich der Pfarrer, der gute Pfarrer, wenn sich die
Taufregister füllen, wenn er sieht, wie aus dem
Lebenswillen opferbereiter Eltern die Gemeinden wachsen,
wie dadurch sich das Reich Gottes auf der Erde
ausbreitet. Als unsere heilige Kirche noch kraftvoll und
lebendig war, da hat in Holland der katholische
Bevölkerungsteil aus einer Minderheit sich zu einer
Mehrheit erhoben. Die holländischen Familien hatten zu
Beginn des 20. Jahrhunderts und noch bis in die 30er
Jahre 8 bis 10 Kinder. Dann kam der große Zusammenbruch,
und die Kinder blieben aus. Der Protestantismus in
Holland triumphierte: Die biologische Gegenreformation
ist beendet. Die biologische Gegenreformation ist
beendet. Wahrhaftig, sie ist beendet.
Die Kirche weiß, dass nur
aus guten Familien ganze Christen werden können.
Diejenigen, auf die man sich als Priester verlassen
kann, kommen in aller Regel aus intakten Familien. Nur
gesunde christliche Familien können uns unsere Helfer in
der Seelsorge bereitstellen. In den christlichen
Familien fehlt das Familiengebet nicht, da wird die
Weihe des religiösen Lebens auf den Alltag übertragen.
Das gegenseitige Beisammensein eines ehrbaren Vaters,
einer opferbereiten Mutter, einer reinen Jugend wirkt
sich segensvoll aus. Ohne Rückhalt in der Familie gibt
es keine nachhaltige Seelsorge.
Das Teuerste aber, was
die gute Familie der Kirche schenkt, sind gute Priester
und gute Ordensleute. Die Berufe kommen von Gott, aber
Gott bedient sich der menschlichen Werkzeuge. Auch hier
setzt die Gnade die Natur voraus. Der Priesterberuf will
nun einmal besondere Wachstumsbedingungen.
Mein unvergesslicher
Oberhirt, Ferdinand Piontek, hat einmal eine Predigt
gehalten mit dem Thema: „Ihr Eltern, betet täglich:
Lieber Gott, lass uns so leben, dass aus unserer Familie
ein Priester hervorgehen kann.“ Lieber Gott, lass uns so
leben, dass aus unserer Familie ein Priester hervorgehen
kann. Nur auf dem Boden einer reinen Ehe, in einer
glaubensfrohen Luft kann ein Priesterberuf gedeihen. Und
was ist es Ergreifendes, wenn aus einer solchen Familie
ein Priester hervorgeht! Wenn Vater und Mutter dem
Altare einen Sohn schenken, dann haben sie mehr getan,
als wenn sie eine Kirche gebaut hätten.
Christus will König sein
in der Familie. Sein Gesetz, sein Geist, seine Liebe
sollen in der Familie herrschen. Sein Gnadenleben soll
sie durchfluten. Ich sehe ein trautes Familienheim. Am
Ehrenplatz prangt das Bild des Heilandes, des göttlichen
Herzens, das versprach, die Familien zu segnen, in denen
das Bild seines Herzens aufgestellt ist. Ich sehe, wie
die Kinder sich um Eltern versammeln und gemeinsam
beten. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt
sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Ich sehe, wie
wenigstens eines am Sonntag den Heiland heimträgt aus
der Kirche im Herzen, in einer heiligen Kommunion. In
der Tat, eine solche Familie ist ein Stück Kirche, ein
lebendiges Organ am Leibe Christi. Von diesem Hause gilt
das Wort der Heiligen Schrift: „Diesem Hause ist Heil
widerfahren.“
Amen.
Geliebte im Herrn!
Vor 50 Jahren feierte ich
täglich die heilige Messe in der Kirche der
Mädchenschule zu Freising. Die Schule wurde von Nonnen
geführt, von Armen Schulschwestern. Eines Tages im
Advent kam die Frau Rektorin zu mir und sagte: „Die
Kinder fragen im Advent immer wieder. Wie wurden denn
die Kinder vor Christus gerettet? Wie haben sie denn das
Heil erlangt, wo es noch keine Taufe gab? Wie wurden sie
von der Erbsünde befreit?“ Sie sehen, wie wach und
lebendig damals Kinder waren, dass sie auf solche Fragen
gestoßen sind. Und tatsächlich muss man sich ja auch
fragen: Ja, gab es für die Menschen vor Christus, ohne
Christus, vor der Taufe, ohne Taufe Heil? Oder mussten
sie verloren gehen? Aber wie stimmt dann überein, dass
im 1. Timotheusbrief steht: „Gott will, dass alle
Menschen selig werden und zur Erkenntnis der Wahrheit
kommen.“ Alle, nach oder vor Christus. „Wir haben unsere
Hoffnung gesetzt“, heißt es in demselben Brief, „auf den
lebendigen Gott, den Retter aller Menschen.“ Vor
Christus und nach Christus. Und noch einmal im 1.
Timotheusbrief: „Christus hat sich selbst als Lösegeld
hingegeben für alle.“
Wir wissen, dass das
Heil, also die heiligmachende Gnade und der Himmel, die
Freuden des Himmels, dass das Heil nur gewonnen wird
durch den Anschluß an Jesus Christus. Vor dem Hohen Rate
in Jerusalem hat Petrus bekannt: „Es ist kein anderer
Name gegeben unter dem Himmel, in dem die Menschen selig
werden können, als der Name Jesu Christi.“ Die
Verbindung mit Jesus wird hergestellt durch Glaube und
Taufe. Der Herr sagt es selber: „Wer glaubt und sich
taufen lässt, wird gerettet werden.“ Aber wie werden
diejenigen gerettet, die Christus nicht kannten und die
die Taufe nicht hatten? Werden sie auch durch Glaube und
Taufe gerettet? Muss man vielleicht diese
Rettungsmöglichkeit ausweiten, muss man vielleicht das
Verständnis dieser beiden Elemente, Glaube und Taufe,
vertiefen, um zu begreifen, wie die Menschen vor
Christus und ohne Christus gerettet werden konnten? Ich
bin überzeugt, dass eine solche Auslegung sachgemäß und
notwendig ist. Was ist Glaube? Der Glaube ist das feste
Vertrauen auf das, was man erhofft, das Überzeugtsein
von Dingen, die man nicht sieht. Gab es einen solchen
Glauben schon vor Christus? Ja. Es war nicht der Glaube
an den gekommenen Christus, es war der Glaube an den
kommenden Christus. Wir glauben an Jesus, der erschienen
ist; unsere Vorväter in grauer Vorzeit hofften auf
Jesus, der kommen würde. Also der Glaube war auch damals
möglich. Und der Herr hatte die Menschen nicht ohne
Hoffnung gelassen. Schon nach dem Sündenfall im
sogenannten Protevangelium, im ersten Evangelium, hat er
ihnen gesagt, dass er Feindschaft setze zwischen dem
Satan und der Frau und ihrem Nachkommen, und dass ein
Schlangentreter kommen werde, der der Schlange den Kopf
zertreten werde. Dieses Protevangelium ist niemals
widerrufen worden, und der Herr hat seine Verheißungen
immer wieder erneuert und bekräftigt.
Also, die Menschen vor
Christus waren nicht ohne göttliche Hilfe. In dieser
Zeit wurden die Menschen durch das sacramentum naturae
von der Erbsünde befreit, durch das Natursakrament. Und
worin bestand es? Es bestand in einem Akt des Glaubens
an den künftigen Erlöser. Indem die Eltern ihr hoffendes
Vertrauen auf Gott setzten, auf den kommenden Erlöser,
wurden ihre Kinder, ihre unmündigen Kinder
gerechtfertigt und geheiligt. Ihre, der Eltern Sehnsucht
und Zuversicht rettete, ohne dass sie es wussten, auch
ihre Kinder. Diese Hoffnung verschaffte ihren Kindern
das Heil. Die Erwachsenen wurden selbstverständlich
ebenso durch diesen Glauben und diese Hoffnung
gerechtfertigt. Dazu kam, wenn man will, eine Art
Natursakrament, dass sie das ganze Leben aus der Hand
Gottes annahmen. Indem sie sich unter das Gericht Gottes
stellten, erkannten sie Gott als Richter an. Der Mann
wurde gerechtfertigt durch die Mühen und Plagen der
Arbeit, durch den Kampf bis zur Aufreibung der Kräfte.
Die Frau wurde gerechtfertigt durch die Wehen der
Mutterschaft, durch die häuslichen Plagen, durch die
Geduld in der Ausdauer. Diese Folgen der Erbsünde
dienten als eine Art Natursakrament der Heiligung der
vor Christus lebenden Erwachsenen und ihrer Kinder.
Später kam dann zu dem
Glauben als bleibendem Element die Beschneidung hinzu.
Die Beschneidung war das ordentliche Mittel zur
Reinigung von der Erbsünde. Die Menschen, die
beschnitten wurden, wurden dadurch Jahwe, dem Gott des
Alten Bundes, geweiht. Sie wurden zum Bundesvolk
geführt, in das Jahwe-Volk aufgenommen. Die Beschneidung
war das Bundeszeichen. Und wer beschnitten ist, der war
rein und gehörte zum Bundesvolke. In diesem Sinne hat
einmal der große Papst Innozenz III. geschrieben: „Die
Erbschuld wurde durch das Geheimnis der Beschneidung
nachgelassen, und so wurde die Gefahr der Verdammnis
vermieden.“ Die Heilszeichen vor Abraham waren
Naturzeichen. Die mit Abrahams Berufung von Gott
verfügten Heilszeichen waren Geschichtszeichen, also
Elemente der geschichtshaften Selbsterschließung Gottes.
Dann kam die Zeit des
Mosaischen Gesetzes. Für die Zeit des Mosaischen
Gesetzes gab es neben der Beschneidung noch andere
vorchristliche Sakramente, z.B. das Osterlamm oder die
Speiseopfer, ein Vorbild der Eucharistie, Waschungen und
Reinigungen, Vorbilder des Bußsakramentes, Segnungs- und
Weiheriten, Vorbilder der Weihesakramentes. Es gab also
auch schon vor Christus eine bestimmte Art von
Sakramenten. Zusammen mit dem Glauben haben sie die
Menschen, die sich ihnen gläubig unterwarfen, heiligen
können.
Wohl waren die
alttestamentlichen Sakramente den neutestamentlichen
ähnlich, aber die Unähnlichkeit ist größer als die
Ähnlichkeit. Es bestanden beträchtliche Unterschiede.
Das Wesen der neutestamentlichen Sakramente besteht
darin, dass sie bewirken, was sie anzeigen. Sie
bewirken, was sie anzeigen. Also wenn der Priester
spricht: „Der Leib Christi“, dann ist das der Leib
Christi; und wenn das Taufwasser über das Kind rollt,
dann wird es gereinigt. Die Riten des Alten Testamentes
hatten diese Kraft nicht. Sie waren aus sich nicht
rechtfertigungsfähig. Kraft ihres Vollzuges haben sie
nicht die Gnade verliehen, sondern nur eine äußere,
gesetzliche Reinheit. So hat das Konzil von Florenz im
Jahre 1439 erklärt: „Die Sakramente des Alten Bundes
vermittelten nicht die Gnade, sondern sie wiesen nur
darauf hin, dass sie durch Christus gegeben werden
müsse.“ Deswegen konnte auch Paulus die
Kulteinrichtungen des Alten Testamentes als schwache und
armselige Elemente abtun. Sie waren nicht imstande, die
innere Gewissensreinheit zu verschaffen. Sie konnten nur
eine äußere, gesetzliche Reinheit bewirken. „Im ersten
Zelt“, heißt es im Hebräerbrief, „werden Gaben und Opfer
dargebracht, welche den Dienenden in seinem Gewissen
nicht vollkommen reinigen können.“ Und an einer anderen
Stelle heißt es: „Das Blut von Böcken und Stieren und
die Asche einer Kuh sind unfähig, die Gewissen zu
reinigen, sie heiligen nur zur Reinheit des Fleisches.“
Das ganze Alte Testament
war eben ein Erzieher auf Christus hin. Im Alten
Testament ist das Neue Testament verborgen, und im Neuen
Testament ist das Alte Testament zur Klarheit gebracht.
Die Gerechtigkeit Gottes, durch die der Gläubige zum
Heil geführt wird, ist im Alten Testament verhüllt, im
Neuen Testament enthüllt. Und so sind die Sakramente des
Alten Testamentes Typen, d.h. Vorbilder, Schattenrisse,
entfernte Entwürfe der Sakramente des Neuen Testamentes.
Sie waren ein Bekenntnis des Glaubens zum kommenden
Erlöser. Unter Mitwirkung aktueller Gnaden erweckten sie
im Empfänger das Bewußtsein der Sündhaftigkeit und den
Glauben an den kommenden Erlöser. Dadurch disponierten,
bereiteten sie den Empfänger vor zum Empfang der
heiligmachenden Gnade und bewirkten so die innere
Heiligung. Die alttestamentlichen Sakramente waren also
schwache Schattenrisse der neutestamentlichen. Aber sie
waren doch – und das ist ihr Größe – ein objektives
Bekenntnis des Glaubens an den kommenden Erlöser. Und
Gott nahm dieses Bekenntnis zum Anlaß, die
Heiligungsgnade regelmäßig zu geben.
Es bleibt also dabei: Die
Altväter wurden durch den Glauben an das Leiden Christi,
der in seiner vollen Gestalt ihnen noch verborgen war,
gerechtfertigt, genauso gut wie wir. Aber die Sakramente
des Alten Bundes hatten aus sich keine Kraft, sondern
sie mussten durch das gläubige Empfangen der Empfänger
gewissermaßen mit Gnade aufgeladen werden, um die
Heiligung zu bewirken. Das Alte Gesetz schenkte nicht,
wie das Neue, den Heiligen Geist. Dennoch gab es eben
aufgrund des Glaubens und der gläubigen Unterwerfung
unter Gottes Willen auch im Alten Bunde Gerechte,
Menschen, welche die Liebe und die Gnade des Heiligen
Geistes hatten. Die Kirchenväter sprechen oft davon,
dass es Gerechte von Adam an gegeben hat, „vom gerechten
Abel an bis zum letzten Erwählten“. Es gab also auch vor
dem Erscheinen Christi Gerechtfertigte. Ja, im
Hebräerbrief wird von den „Martyrern des Alten Bundes“,
also z.B. von den Makkabäischen Brüdern, gesagt: „Sie
alle, bewährt als Zeugen des Glaubens, wurden erfunden
in Christus.“ Obwohl sie ihn noch gar nicht kannten,
haben sie ihr Martyrium im gläubigen Vertrauen auf den
kommenden Erlöser bestanden. Nicht das Gesetz machte sie
gerecht, sondern der Glaube. Weil sie den verheißenen
Erlöser erwarteten, wurden sie gerechtfertigt.
Wir haben also, meine
lieben Freunde, das Verständnis dafür gewonnen, dass
immer und nur der Glaube rechtfertigt. Wer zu Gott
kommen will, muss glauben, dass er ist und dass er
denen, die ihn suchen, ein Vergelter wird. Das ist ein
ehernes Gesetz, das vom Hebräerbrief aufgestellt wurde.
Es rettet immer der Glaube, im Alten wie im Neuen Bunde,
aber in je verschiedener Weise. Im Alten Bunde ist der
Glaube die Antwort des Menschen auf das verheißene Heil,
im Neuen Testament ist er die Antwort auf das gewährte
Heil. Der Heilsmittler ist immer Christus, und alle, die
im Alten Bunde sich an Gott gehalten haben, haben auf
Christus gehofft. Aber ihre Sehnsucht nach dem
vollendeten Heil. das noch unter Schleiern verborgen
war, wurde erst erfüllt im Neuen Bunde. „Das, was wir
jetzt christliche Religion nennen“, hat einmal der
heilige Augustinus geschrieben, „war der Sache nach auch
bei den Alten und fehlte vom Anbeginn des
Menschengeschlechtes nicht, bis Christus im Fleische
erschien. Von da an begann die wahre Religion, die schon
immer da war, die christliche zu heißen.“
Die ersten Sakramente,
die alttestamentlichen Sakramente, waren nur Hinweise
auf den kommenden Christus. Als Christus sie mit seinem
Kommen erfüllte, wurden sie abgeschafft, und sie wurden
abgeschafft, weil sie erfüllt waren.
Meine lieben Freunde, wir
stehen in der schönen, ergreifenden Zeit des Advents, wo
wir die so vertrauten und inhaltsreichen Adventslieder
singen. „O komm, o komm, Emmanuel, nach dir sehnt sich
dein Israel. In Sünd und Elend weinen wir und flehn und
flehn hinauf zu dir.“ Das ist der Gesang des
alttestamentlichen Volkes gewesen. O komm, o komm,
Emmanuel, nach dir sehnt sich dein Israel. O komm, du
wahres Licht der Welt, das unsre Finsternis erhellt. Wir
irren hier in Trug und Wahn. O führ uns auf den Lichtes
Bahn.
Amen.
Geliebte im Herrn!
Im Jahre 735 v. Chr.
verbanden sich der König Phakee vom Nordreich, Israel,
und der König von Damaskus, Rasin, also der Syrerkönig,
um gegen den Assyrerkönig Tiglatpileser zu Felde zu
ziehen. Sie bestürmten auch den König des Südreiches von
Juda, dass er sich ihnen anschließe. Aber der König
Achaz lehnte ab. Er hatte andere Pläne. Da überzogen sie
das Südreich mit Krieg und wollten den König Achaz
absetzen und einen anderen, nämlich den Sohn des Tabul,
an seiner Stelle einsetzen. Die Kunde von den
heranrückenden Heeren entsetzte Jerusalem. „Da bebte das
Herz des Königs und seines Volkes, gleich wie die Bäume
des Waldes vor dem Winde beben.“ In dieser Angst und Not
ergeht das Wort des Herrn an den Propheten Isaias, er
soll zum Könige sagen: „Sieh dich vor und halte dich
ruhig! Hab keine Furcht. Dein Herz soll nicht zagen vor
diesen zwei rauchenden Brandscheidtstummeln.“ Das König
soll also ruhig abwarten, der Angriff der beiden
Verbündeten ist nicht zu fürchten, ihre Pläne werden
nicht gelingen, das Nordreich wird sich nicht erweitern
können, und der König von Damaskus wird ebenso sein
Reich nicht vergrößern können. Aber das Südreich muss
Vertrauen fassen. Es muss Glauben haben an Gott. Im
mangelnden Vertrauen liegt seine große Gefahr. „Wenn ihr
nicht glaubt, habt ihr keinen Bestand mehr“, sagt der
Prophet zum König.
Und Gott ging noch
weiter. Er gewährte Achaz ein Zeichen. Der König kann
sich ein außerordentliches Ereignis wählen, gleich
welcher Art, Gott wird es in Erfüllung gehen lassen. Und
daran soll er erkennen, dass die Pläne der beiden
Verbündeten scheitern werden. Und siehe da, der König
lehnt es ab, ein Zeichen zu fordern. Er begründet das
mit seiner Frömmigkeit. Er will Gott nicht versuchen,
sagt er. Aber das war nicht der wahre Grund. Der
richtige Grund war: Was Gott von ihm erwartete, war ihm
lästig. Der Vorschlag des Propheten, Ruhe zu halten und
auf Gott zu vertrauen, lief seinen politischen Plänen
zuwider. Er hatte nämlich vor, den Assyrerkönig
Tiglatpileser zu Hilfe zu rufen. Und er führte diesen
Plan auch aus. Mit dieser Ablehnung hat der König Gott
beleidigt, und so kündigt ihm der Prophet Unglück an.
Assyrer und Ägypter werden das Südreich, Juda,
beherrschen. Aber Gott geht von seinem Plane nicht ab.
Er bleibt dabei, ein Wunderzeichen zu geben. Was ist das
für ein Zeichen? Eine Jungfrau wird als Jungfrau einen
Sohn gebären, der heißt Emmanuel, das bedeutet: Gott mit
uns. Dieser Knabe ist das lebendige Zeichen, dass Gott
das Südreich, Juda, in höchster Gefahr nicht verlässt.
So sicher wie das Emmanuelszeichen eintreten wird, so
sicher wird das Land von seinen jetzigen Feinden befreit
werden. Der Knabe wird ein armes Leben führen, Dickmilch
und Honig wird er essen, also die Speise der Armen, und
das wird so lange gehen, bis er zum Vernunftgebrauch
gelangt ist. Dann wird die Gefahr vorüber sein, dann ist
die nationale Not vorbei und Juda ist gerettet.
Wie Gott gesprochen
hatte, so trat es ein. In den Jahren 734 bis 732 v. Chr.
kam der Assysrerkönig Tiglatpileser nach Damaskus und
nach Israel. Er verwüstete die Länder und führte viele
Menschen in die Gefangenschaft. Aber das Reich Juda war
gerettet. Wir können annehmen, dass das von Gott
angekündigte Zeichen damals eingetreten ist. Es hat eine
Jungfrau einen Knaben geboren, und es wurde ihm der Name
Emmanuel gegeben, und für die Dauer seiner Unmündigkeit,
seines mangelnden Vernunftgebrauches hat Juda unter der
Bedrückung gelitten, aber dann war die nationale Not
vorbei.
Und doch: Dieses Zeichen
700 Jahre v. Chr. war nur ein Schattenriß für ein
anderes Zeichen. Diese jungfräuliche Mutter von damals
war nur ein Vorentwurf einer anderen jungfräulichen
Mutter, und dieser gottgesegnete Knabe war nur der
Schattenriß eines anderen Knaben. Diese Stelle Is 7,14
ist messianisch zu verstehen. So hat das Christentum von
Anfang an diese prophetische Stelle bei Isaias
begriffen. Es hat sie von Anfang an auf den Messias
gedeutet. Im Matthäusevangelium lesen wir anschließend
an die Botschaft des Engels, die an Josef erging, wo er
über das Geheimnis Mariens aufgeklärt wurde: „Dies alles
ist geschehen, damit die Schrift erfüllt werde, was vom
Herrn durch den Propheten gesagt wurde: „Siehe, die
Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und
seinen Namen wird man nennen Emmanuel, das heißt: Gott
ist mit uns.“
Die Prophezeihungen des
Isaias sind in hebräischer Sprache geschrieben, und das
entscheidende Wort, auf das es hier ankommt, ist das
Wort „alma“. Dieses hebräische Wort bedeutet Jungfrau.
Damit ist nicht gemeint die Frau des Königs Achaz oder
die Frau des Propheten Isaias. Nein, es handelt sich um
eine Jungfrau, nicht um eine verheiratete, in
Geschlechtsgemeinschaft mit ihrem Manne stehende Frau.
Die Juden haben von Anfang an diese Deutung der
Isaias-Stelle bekämpft, mit allen Mitteln. Sie haben an
erster Stelle behauptet, die griechische Übersetzung des
hebräischen Textes habe das Wort „alma“ falsch
wiedergegeben. Alma sei unrichtig übersetzt mit „die
Jungfrau“, es müsse vielmehr heißen : „die junge Frau“.
Dieser Einwand, meine lieben Freunde, ist nicht
berechtigt. Denn wir können Stellen im Alten Testament
nachweisen, in denen „alma“ die unberührte, junge,
heiratsfähige Frau bezeichnet, das unberührte,
heiratsfähige Mädchen. Ein Beispiel: Rebecca. Von ihr
wird gesagt: Das Mädchen war sehr schön, und sie war
klug, und sie war ledig, aber sie hatte noch keinen Mann
erkannt. Und dann heißt es: „alma“. Rebecca war eine
alma, eine Jungfrau. An zweiter Stelle können wir darauf
hinweisen, dass der Zusammenhang, in dem die Stelle Is
7,14 steht, die Bedeutung Jungfrau verlangt. Denn ein
außerordentlicher Vorgang, ein unerhörter Vorgang, eben
ein Zeichen, liegt nur dann vor, wenn eine Jungfrau als
Jungfrau empfängt und gebiert. Das ist ein einmaliger,
wunderbarer Vorgang. Es wäre nichts Großes, nichts
Kennzeichnendes, es wäre kein Zeichen, wenn eine junge
Frau nach der Empfängnis durch ihren Mann geboren hätte.
Das ist ja der gewöhnliche Lauf der Dinge. Etwas
Alltägliches kann kein Zeichen sein. Die Kirchenväter,
von Justin dem Martyrer angefangen, haben die Stelle Is
7,14 messianisch ausgelegt. Sie betonen, dass die Worte
so zu verstehen sind, dass die Mutter des Emmanuel als
Jungfrau – als Jungfrau! – empfangen und gebären werde.
Die Prophezeiung des Isaias ist in Maria erfüllt worden.
Wir beten im Glaubensbekenntnis: „Geboren aus Maria, der
Jungfrau.“ Wir bekennen die immerwährende
Jungfräulichkeit Mariens. Das bedeutet: Maria war
Jungfrau vor der Geburt Jesu, sie war Jungfrau während
der Geburt Jesu, und sie war Jungfrau nach der Geburt
Jesu. Das ist ein großes Geheimnis; das ist schwer zu
erklären; das bereitet dem Verstand Schwierigkeiten.
Ohne weiteres, gern zugegeben. Aber eines dürfen wir
niemals tun, wie es die Frau Ranke-Heinemann in Essen
getan hat, nämlich diese Stelle umdeuten. Es handelt
sich hier um einen biologischen Sachverhalt, nicht bloß
um einen geistig zu verstehenden Sachverhalt.
Unerbittlich gegen alle Abschwächungen und Verdrehungen
hält die Kirche daran fest: Maria ist Jungfrau auch im
biologischen Sinne.
Die beiden Texte, die
davon sprechen, geben in scheuer Zurückhaltung lediglich
die nüchterne Tatsache an, keine Spekulation, keine
romantische Legende. Der Vorgang der Empfängnis wird
überhaupt nicht beschrieben. Für diesen Glauben und für
diese Tatsache haben wir die unwiderleglichen Zeugnisse
des Matthäus und des Lukas. Ihre Berichte sind
voneinander unabhängig, aber sie bezeugen beide
dasselbe: Maria ist die jungfräuliche Mutter Jesu. Der
Evangelist Lukas, der allen des Lebens Jesu Ereignissen
von Anfang an nachgegangen ist, berichtet, dass der
Engel Gottes zu einer Jungfrau gesandt wurde, um ihr die
Empfängnis und die Geburt eines Sohnes zu verkündigen.
Es ist anzunehmen, dass Lukas mit Maria selbst
gesprochen hat, dass er sie befragt hat und dass sie ihm
die Umstände dieser Empfängnis erzählt hat. Und wenn er
nicht selber mit ihr gesprochen hätte, haben andere mit
ihr gesprochen. Sie haben es von Maria erfahren; Maria
hat ihnen ihr Erlebnis berichtet. Der Besuch des Engels
bei Maria – und nicht bei Josef – also umgekehrt, als es
bei Zacharias und Elisabeth war, und die Umstände der
Empfängnis bezeugen, dass Josef nicht der leibliche
Vater Jesu ist. Wenn die Mitwelt ihn dafür hält, dann
erklärt sich das aus ihrer Unkenntnis. Die Menschen
wissen nicht um das Geheimnis. Außerdem ist Josef in
jedem Falle der gesetzliche Vater Jesu, weil er ja Maria
geheiratet hatte. Maria war verlobt, das heißt nach dem
damaligen Sprachgebrauch verheiratet, aber noch nicht
heimgeführt, noch nicht mit Josef zusammengekommen. Die
strengen altjüdischen Auffassungen erklären dann auch
das Verhalten des Josef. Er stellte vor dem
Zusammenkommen fest, dass sie empfangen hatte. Das
machte ihn unruhig, ja bedenklich. Er dachte daran, die
Ehe nicht aufzunehmen. Erst ein Engel musste ihn über
den Ursprung des Kindes, das Maria empfangen hatte,
aufklären; dann war er beruhigt, dann fand er sein
Gleichgewicht wieder.
Gegen die
Jungfräulichkeit Mariens im katholischen, im biblischen
Verständnis wenden sich der Unglaube und der Irrglaube,
leider auch der überwiegende Teil des Protestantismus.
Auch in diesem Punkte sind wir mit den getrennten
Brüdern nicht einig. Die Einwände, die gegen die
jungfräuliche Empfängnis Mariens erhoben werden, stammen
nicht aus wissenschaftlichen Argumenten, sondern sie
gründen auf der grundsätzlichen Ablehnung des Wunders.
Sie sind also weltanschaulicher Art. Sie scheitern an
der rationalen Deutung der Texte. Was sagen die
ungläubigen Theologen? Sie sagen, der Glaube an die
jungfräuliche Empfängnis Mariens sei aus der Stelle Is
7,14 entwickelt, abgeleitet, ausgesponnen worden. Sie
sei also gar nicht passiert, sondern sei eine Erfindung,
eine Erfindung derer, die die Stelle Is 7,14 gelesen und
falsch ausgelegt haben. Meine Freunde, hier wird die
Wirklichkeit auf den Kopf gestellt. In Wahrheit ist der
Sachverhalt genau umgekehrt. Weil die jungfräuliche
Empfängnis Mariens eine Tatsache war, begriff man beim
Lesen des Alten Testamentes, dass sie dort, nämlich in
Is 7,14, angedeutet, ja vorherverkündet war. Das Leben
Jesu und seiner Mutter lag wie ein offenes Buch vor den
Jüngern und den Aposteln. Die Christen lasen aufgrund
dieser Tatsachen das Alte Testament. Da gingen ihnen die
Augen auf, denn sie erkannten, dass das, was an Jesus
und Maria geschehen war, im Alten Bunde vorherverkündet,
vorbereitet worden war. Dabei stießen sie auch auf den
Text Is 7,14. Was dort verheißen war, das sahen sie, das
war in Jesus und Maria erfüllt. Matthäus enthüllt also
den Juden den richtigen Sinn von Is 7,14. Dies geschieht
als Schriftbeweis für eine feststehende Tatsache. Ein
Zeugnis, also etwas, was man selbst erlebt und erkannt
hat, wird hier geliefert. Ein Zeugnis aber kann keine
Quelle für ein Zitat sein.
Die jüdische Polemik sah
in der Jungfrauengeburt die Folge eines ehebrecherischen
Verhältnisses Marias mit einem römischen Legionär
Panthera. So steht es bis heute in den jüdischen
Büchern: Jesus das Erzeugnis eines ehebrecherischen
Verhältnisses Mariens mit dem römischen Legionär
Panthera. Diese Feindseligkeit hat die ganze
mittelalterliche Geschichte bestimmt, und wir dürfen uns
über die Zurückhaltung der Christen gegenüber den Juden
nicht wundern, denn sie lasen in den jüdischen Büchern
Schmähungen über unseren Heiland Jesus Christus, vor
allem in dem Buch Toledot Jeschu, in dem
mittelalterlichen Volksbuche Toledot Jeschu. Da wird
Jesus als Betrüger und als Verbrecher hingestellt.
Andere, die das Wunder
nicht zugeben wollen, verweisen auf die Tatsache, dass
in den Evangelien von Brüdern und Schwestern Jesu die
Rede ist. Nach deren Meinung hätte Maria vor der Geburt
Jesu und nach der Geburt Jesu andere Kinder gehabt. Es
wäre also alles ganz natürlich zugegangen, und eines
dieser Kinder sei eben Jesus gewesen. Was ist dazu zu
sagen? In der Heiligen Schrift ist wohl von Brüdern und
Schwestern Jesu die Rede. Aber das sagen dieselben
Evangelisten, die von der jungfräulichen Empfängnis Jesu
berichten. Sie würden sich ja selbst widersprechen, wenn
sie die Brüder und Schwestern Jesu so verstehen würden
wie die Feinde des Glaubens. Unter den orientalischen
Völkern war es üblich und ist es üblich, unter Brüdern
und Schwestern die gesamte nähere Sippe zu verstehen.
Die gesamten näheren Verwandten werden als Brüder und
Schwestern bezeichnet. Ein Beispiel: Abraham war der
Onkel des Lot. Die Hirten des Abraham gerieten mit den
Hirten des Lot in Streit um die Weidegründe, wo sie die
Tiere hinführen. Da machte Abraham den Vorschlag: „Wir
trennen uns. Du gehst zur Rechten und ich zur Linken,
denn wir sind ja Brüder.“ Sie waren aber gar nicht
Brüder, denn Abraham war der Onkel des Lot und Lot war
der Neffe des Abraham. Aber trotzdem sagt Abraham: „Wir
sind ja Brüder.“ Da sehen Sie, dass der Sprachgebrauch
von Schwestern und Brüdern nicht bedeutet, dass es sich
um Blutsverwandte im ersten Grad der Seitenlinie
handelt, sondern um Sippenangehörige, Cousins, Cousinen.
An keiner Stelle der Heiligen Schrift werden die
sogenannten „Brüder“ oder „Schwestern“ Jesu als Kinder
Mariens, der Mutter Jesu, bezeichnet. Warum nicht? Weil
sie eben eine andere Mutter hatten. Nach der Himmelfahrt
Jesu waren im Abendmahlssaal die Apostel versammelt mit
den Frauen, auch mit Maria, der Mutter Jesu, und seinen
Brüdern. Warum sagt denn der Verfasser der
Apostelgeschichte nicht: Mit Maria, der Mutter Jesu und
seiner Brüder? Nein, so sagt er nicht: Mit Maria, der
Mutter Jesu, und seinen Brüdern. Ja, weil eben diese
Brüder eine andere Mutter haben. Die angeblichen Brüder
Jesu erscheinen, wenn sie namentlich aufgeführt werden,
immer in derselben Reihenfolge: Jakobus, Joseph, Simon,
Judas. Wir wissen aber aus anderen Stellen, dass Jakobus
und Joseph eine andere Mutter hatten, die auch Maria
hieß, die aber eindeutig von der Mutter Jesu verschieden
ist. Der Name Maria war damals sehr häufig. Deswgen
standen unter dem Kreuze mehrere Marien. Auch die Frau
von Magdala hieß ja Maria, Maria Magdalena.
Noch ein letztes Argument
gegen die Behauptung, Maria habe mehreren Kindern das
Leben geschenkt: Der sterbende Heiland vertraut seine
Mutter dem Johannes an. Das kann doch wohl nur so
erklärt werden, dass Maria jetzt allein stand. Das
heißt, Josef war gestorben, und Kinder waren nicht
vorhanden. Denn wenn Maria andere Kinder gehabt hätte,
wäre es deren Pflicht gewesen, sich ihrer Mutter
anzunehmen. Dann hätte nicht ein Fremder diese Sorge
übernehmen müssen.
Nein, meine lieben
Freunde, Maria war und bleibt die jungfräuliche Mutter.
Über die geschichtliche Tatsache hinaus hat die
jungfräuliche Empfängnis Jesu eine große Bedeutung. Sie
hat Hinweischarakter. Weil mit Gottes Hilfe ein ganz
ungewöhnliches Heil den Menschen werden sollte, darum
geschah die ungewöhnliche Geburt aus der Jungfrau. Indem
Gott dieses Zeichen gab und kein Mensch die Empfängnis
Jesu bewirkte, deutete er die einzigartige Wesensart des
Kindes an. Der Jungfrauensohn war der Messias, aber
nicht ein Messias aus irdischem Geblüte, sondern ein
Messias göttlicher Art. Also: Nicht die Gottessohnschaft
Jesu ist von der Jungfrauengeburt abhängig, sondern
umgekehrt: Die Jungfrauengeburt ist eine Folge der
Gottessohnschaft Jesu. Sie hat Hinweischarakter. Maria
war überrascht, war ratlos über die Ankündigung, die der
Engel ihr machte. Deswegen fragte sie: „Wie soll das
geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Der Engel
verwies sie auf Gottes Allmacht.
Meine lieben Freunde, wir
haben auch heute auf diese Frage keine andere Antwort
als die eine: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“
Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir leben in der
Gegenwart, und wir glauben die Vergangenheit zu kennen.
Aber die Zukunft ist uns verschlossen. Allein der Herr
der Zukunft, der Herr aller Zeiten, nämlich Gott, kann
uns einen Blick in die kommenden Wirklichkeiten
eröffnen. Und er hat es getan in der Apokalypse, in der
Offenbarung des Apostels Johannes. Eines geht aus dieser
Offenbarung mit Sicherheit hervor: Es wird nicht immer
besser auf Erden, es wird immer schlimmer! Je näher wir
dem Ende kommen, um so schrecklicher werden die
Ereignisse, die auf Erden sich zutragen werden. Die
Apokalypse enthüllt uns die steigende Macht und das
machtvolle Wirken Satans und seiner Satelliten – in
Bildern. Aber diese Bilder können und müssen gedeutet
werden. Bei der Deutung kann man in die Irre gehen. In
jedem Falle ist ein Wahrheitskern in diesen Bildern
enthalten.
Und so sieht Johannes am
Himmel ein Zeichen. Ein großer Drache, ein roter Drache
mit sieben Häuptern, zehn Hörnern und sieben Kronen auf
seinen Häuptern. Der Drache ist die widergöttliche
Macht. Er ist das dämonische Wesen, in dem alles
zusammengefasst ist, was gottfeindlich ist. Der Drache
ist die Schlange, der Teufel, der Satan. Unter dem Bilde
des Drachen schildert uns der Apostel Johannes das
Auftreten Satans in der Endzeit. Die Hörner, die Köpfe
und die Kronen deuten auf übermenschliche Macht und
übermenschlichen Geist. Beides besitzt Satan in Fülle:
übermenschliche Macht und übermenschlichen Geist. Dieser
Drache entfaltet eine ungeheure äußere Macht. Er ist
tatsächlich der Herrscher der Welt. Die ganze Welt betet
ihn an, beugt ihr Knie vor ihm, alle jene, deren Namen
nicht im Lebensbuche des Lammes eingetragen sind.
Satan hat Dienstmänner,
zwei irdische Dienstmänner, Menschen. Sie werden in der
Apokalypse dargestellt unter dem Bilde von Tieren. Darin
wird das Irrationale, das Grausame, das Fremdartige
dieser Herrscher ausgedrückt. Johannes sieht zuerst ein
Tier aus dem Meere aufsteigen. Auch dieses Tier hat
sieben Häupter, zehn Hörner und zehn Kronen auf den
Hörnern, und auf den Häuptern stehen gotteslästerliche
Namen. Dieses Tier, also der widergöttliche Herrscher,
besitzt eine unerhörte Macht. Sie wird angedeutet mit
den Hörnern und mit den Kronen. Macht imponiert den
Menschen immer, und so gehen sie vor dem Herrscher in
die Knie. Das Tier empört sich gegen Gott; es möchte
sich an seine Stelle setzen. Es möchte ihn entthronen,
und deswegen tut es seinen Mund auf zu Lästerungen wider
Gott, seine Wohnung und die Himmelsdinge.
Was Johannes hier sagt,
ist von Paulus in ähnlicher Weise gelehrt worden. Im 2.
Thessalonicherbrief sagt er: „Der Sieg Christi kommt,
aber zuvor muss der Mensch der Gottlosigkeit offenbar
werden, der sich über alles erhebt, was Gott oder
Heiligtum heißt, der sich sogar in den Tempel Gottes
setzt und sich für Gott ausgibt.“ Der gottfeindliche
Herrscher äfft Christus nach. Er spielt den vom Tode
Erstandenen. Er behauptet, das Zentralwunder des
Christentums wiederholen zu können.
Neben das Tier aus dem
Meere tritt das Tier von der Erde. Es hat nur zwei
Hörner wie ein Lamm, aber es redete wie ein Drache. Die
ganze Gewalt des ersten Tieres übt es unter dessen Augen
aus und bewirkt, dass die Erde und ihre Bewohner das
erste Tier anbeten, dessen Todeswunde geheilt wurde. Der
äußere Schein und das innere Wesen dieses Tieres gehen
auseinander. Nach außen scheint es harmlos, sanftmütig
wie ein Lamm, aber innerlich ist es voll Bosheit und
Haß. Das Tier von der Erde ist das willige Werkzeug des
gottlosen Herrschers. Es ist sein Propagandist, es
verleitet nämlich die Bewohner der Erde zur Anbetung des
ersten Tieres. Und um seine Verkündigung zu
unterstützen, wirkt es große Schauwunder. Durch diese
Schauwunder, durch diese Zeichen – es lässt sogar Feuer
vom Himmel fallen – verführt es die Bewohner, sich ein
Bild es ersten Tieres zu machen, und es empfängt die
Macht, dem Bilde des Tieres Leben zu verleihen, so dass
es redet. Das Zusammenwirken der beiden Tiere wirkt
lähmend auf die Menschen. Sie meinen, dass Widerstand
zwecklos ist. Sie denken: Es ist alles verloren.
So wird es am Ende sein.
Aber, meine lieben Freunde, die Endereignisse werfen
ihre Schatten in die Gegenwart voraus. Was am Ende in
furchtbarer Gewalt und Macht sich darbieten wird, das
ist in gewisser Hinsicht immer schon gegenwärtig. Wie
könnte sonst Johannes, also am Ende des 1. Jahrhunderts,
schreiben, dass jetzt schon die Antichristen unter uns
sind? Das ist ein Zeichen dafür, dass jede Epoche, dass
jede Zeit mit dem Kommen, mit dem Auftreten von
Antichristen rechnen muss. Erst beim letzten werden wir
wissen, dass es der letzte ist, aber zuvor müssen wir
stets damit rechnen, dass es der letzte sein könnte.
Der Drache arbeitet mit
den Waffen der Lüge und der Lästerung. Er führt eine
neue Liturgie ein. Sie gilt seiner Auferstehung von den
Toten. Die ganze Erde verführt er, ihn anzubeten. Er
stellt sich als den Einzigartigen, als den
Unüberwindlichen dar. „Wer ist gleich dem Tiere und kann
mit ihm kämpfen?“ Die ganze Welt staunt über das Tier,
und man betet den Drachen an, der dem Tiere die Macht
gegeben hat, und das Tier: Wer ist dem Tiere gleich? Wer
kann mit ihm streiten? Mit dieser satanischen Liturgie
gelingt es ihm, die Menschen für sich zu gewinnen. Große
Zeichen und Wunder geben der Verführung den Anstrich der
Wahrheit. Lästerungen gegen Gott entströmen dem riesigen
Maul des Tieres. Auch hier, meine lieben Freunde, können
wir fragen: Ist dieser Zustand nicht in gewisser
Hinsicht eine Gegenwart? Wir Älteren haben die Zeit des
Nationalsozialismus erlebt. Und wer damals die
Apokalypse gelesen hat, der konnte den Eindruck
gewinnen, dass das Tier aus dem Meere sich in Hitler
verkörpert und das Tier von der Erde in Josef Goebbels,
denn er war es, der die Menschen verführt hat, ich
möchte sagen: fast zur Anbetung des Herrschers über
Europa.
In unserer Zeit ist die
Lüge frech. Sie weiß, dass sie lügt, aber sie schämt
sich nicht. Sie hat das Lügen gelernt und die Scham
verlernt. Darin offenbart sich der Zusammenhang unserer
Zeit mit der Schilderung der Apokalypse. Wir stammen
aber aus der Wahrheit. Wir sind dem zugehörig, der die
Wahrheit selbst ist. Wir hören auf seine Stimme, die aus
der Wahrheit ist. Und deswegen kommt so viel auf die
Wahrheit an. Nicht wenige Menschen, auch meine
Schulkameraden, fragen mich manchmal: Ja, warum ist denn
der Papst so unversöhnlich, warum beharrt er so auf der
Wahrheit, auf seiner Wahrheit? Warum gibt es nicht die
Einigung? Meine lieben Freunde, weil wir Anhänger und
Diener dessen sind, der gekommen ist, der Wahrheit
Zeugnis zu geben. Deswegen darf kein Deut und kein Jota
von der Wahrheit abgegangen werden. Wir müssen der
Wahrheit Zeugnis geben und dürfen von ihr nicht um einen
Millimeter abweichen.
Satan herrscht als
Despot. Seine ungeheure Macht benutzt er zur Knechtung
der Erde. Seine Untertanen sind seine Sklaven. Wehe dem,
der sich ihm nicht unterwirft! Er sorgt dafür, dass nur
noch kaufen und verkaufen kann, wer das Zeichen des
Tieres an der Stirn trägt. Wer das Bild des Tieres nicht
anbetet, der wird von ihm mit dem Tode bestraft. Er
verfällt nicht bloß den Boykott, nein, er verhungert und
erfriert.
Der Satan weiß, dass man
vom Negativen allein nicht leben kann. Er ist schlau.
Und deswegen sucht er den Menschen Felder der
Befriedigung zu belassen. Welche Felder sind das? Er
gibt den Menschen die Leidenschaften frei. Er entfesselt
die Triebwelt, damit sie dann umso eher und sicherer
nach seiner Pfeife tanzen. Der Mensch, der der
Leidenschaft verfallen ist, ist stets am leichtesten zu
beherrschen. Der Mensch der Leidenschaft verübt sogar
Verbrechen, um seiner Leidenschaft frönen zu können. Ich
meine, dass dieser Zustand heute weitgehend erreicht
ist. Denken Sie an das 19., auch noch an das 20.
Jahrhundert, als die stärkste Leidenschaft des Menschen,
nämlich die Geschlechtslust, in bestimmter Hinsicht
unter Strafe gestellt war. Es gab einen Paragraphen, der
den Ehebruch unter Strafe stellte; es gab einen
Paragraphen, der die Homosexualität unter strenge Strafe
stellte, mit Zuchthaus bestrafte. Alles haben die
heutigen Dienstmänner Satans freigegeben. Die
Leidenschaft wuchert, das Laster ist frech, und wenn
heute die Strafen noch bestünden, dann müsste so mancher
Ministerpräsident hinter Gitter kommen!
Dem Geiste des
Libertinismus und dem Terror der Gewalt setzen wir
Christen den Geist der Freiheit entgegen. Wer sich Gott
ausgeliefert hat, der ist frei, frei von seinen
Leidenschaften, frei von der Verführung, stark gegenüber
der Verlockung, auch fest gegenüber der Drohung. Der
gläubige Mensch bewahrt sich die Freiheit des Denkens
und die Freiheit des Urteils. Er lässt sich nicht
fesseln vom Zeitgeist, von den Strömungen, von den
Tendenzen der Zeit. Er behauptet sich gegenüber
unlauteren Mehrheiten.
Wir wissen nicht, meine
lieben Freunde, wann das Ende gekommen ist. Wir werden
es erst wissen, wenn die Endzeit eingetreten ist. Aber
auch, wenn die Ereignisse noch fern sein sollten,
verliert die Prophezeiung der Apokalypse nicht ihren
Wert. Denn diese Ereignisse sind eben in gewisser
Hinsicht immer schon gegenwärtig. Sie werfen ihre
Schatten voraus. Immer ist das Geheimnis der Bosheit am
Werke. Immer steht die gottfeindliche Macht gegen das
Christentum auf. Immer hat die gottfeindliche Gewalt
ihre Propheten, entfaltet eine anmaßende Äußerlichkeit,
bläht sich auf und schreckt. Weil es so ist, kann
Johannes am Ende des 1. Jahrhunderts schreiben: „Schon
jetzt gibt es viele Antichristen.“ Und fast 2000 Jahre
später, im 19. Jahrhundert, schrieb der englische
Kardinal Newman: „Die Sache Christi liegt immer im
Todeskampf; die Heiligen sind immer im Verschwinden und
Christus ist immer im Kommen.“
Ist aber vielleicht, so
kann man fragen, unsere Zeit dem Ende näher als frührer
Epochen? Bereitet sich dieser Zustand vielleicht jetzt
schon vor? Wie steht es um die Globalisierung, von der
heute so oft die Rede ist? Was besagt Globalisierung?
Nun, sie besagt zunächst einmal die Entstehung
weltweiter Märkte, die zunehmende Internationalisierung
des Handels, der Kapitalmärkte, der Produktmärkte, der
Dienstleistungsmärkte, die internationale Verflechtung
der Volkswirtschaften. Infolge der Globalisierung hängt
jedes Land vom anderen ab. Wenn Amerika Schnupfen
bekommt, haben wir die Grippe. Die gegenwärtige
Finanzkrise, die in eine Wirtschaftskrise mündet, zeigt
uns, wie gefährlich die Globalisierung ist. Ich bin aber
überzeugt, dass die Globalisierung nicht nur das
Wirtschaftliche, das Materielle ergreift, sondern auch
das Geistige. Es besteht die Befürchtung, dass die
Globalisierung zu einer Vereinheitlichung der Kultur
führen könnte. Aber das wird nicht die christliche
Kultur sein. Die Globalisierung macht es den Feinden des
Christentums leicht, ihre gottfeindlichen Parolen zur
Herrschaft zu bringen. Sie springen von einem Land ins
andere. Sie sind miteinander vernetzt. Wir erleben eine
weltweite Entchristlichung. In diesen Tagen hat der
englische Erzbischof Murphy O’Connor ein Buch
geschrieben, in dem er auf die Entwicklung in
Großbritannien hinweist. Es besteht in England ein
unfreundliches Klima für die Gläubigen. Religion wird
immer mehr als ein Ausdruck persönlicher Exzentrik
gesehen. Die Intoleranz der liberalen Skeptiker wächst.
Der aggressive Atheismus breitet sich immer mehr aus. Im
Januar ist geplant, in London Busse fahren zu lassen,
auf denen ein Schild angebracht ist: „Gott existiert
wahrscheinlich nicht. Mach es dir auf der Erde schön!“
In anderen Ländern ist
die Lage nicht günstiger. Ich schaue mit Besorgnis auf
ein Land,, das mir immer besonders am Herzen gelegen
hat, auf Spanien. In Spanien wird der Atheismus immer
aggressiver und immer erfolgreicher. Er kämpft gegen das
Kreuz in den Schulen, er versucht die Kirche aus der
Öffentlichkeit zu verdrängen, er diffamiert ihre
Verkündigung. In den meisten Parlamenten stehen
unchristliche, achristliche, antichristliche Koalitionen
einem kleinen Häuflein treu gebliebener Christen
gegenüber. Vergessen wir nie, was sich in Straßburg
zugetragen hat. Der gläubige italienische Katholik
Buttiglione konnte nicht Kommissar in Brüssel werden,
weil er ein gläubiger Katholik ist. Die Bischöfe der
Vereinigten Staaten schauen mit Besorgnis und Misstrauen
auf Herrn Obama. Sie wissen, dass er ein entschiedener
Anhänger der Freigabe der Abtreibung ist.
Alle diese Ereignisse
werden in der Endzeit mit unvorstellbarerer
Furchtbarkeit und umfassender Grausamkeit über die Erde
hereinbrechen. Noch ist es nicht ganz so weit. Aber es
könnte sein, dass unsere Generation noch diese Schrecken
erlebt. Wir sind in einer Situation zwischen Sturm und
Sturm. Es ist nicht leicht, für Christus zu kämpfen.
Grausamkeiten entsetzlicher Art stehen uns bevor. Ich
denke manchmal, wenn ich das Müllfahrzeug durch die
Straßen fahren sehe: Was würden wir wohl antworten, wenn
uns die Wahl gelassen würde zwischen Christus, oder in
ein Müllfahrzeug gesteckt und dort zermalmt zu werden.
Wir haben die Aufgabe,
übernatürliches Apostolat zu üben, Christus in Liebe zu
dienen. Es ist der Inhalt des Evangeliums, dass unser
Kampf nicht gegen Menschen geht, sondern gegen die
Mächte der Finsternis und den Weltherrscher des Bösen.
Darum, meine lieben Freunde, nehmen wir die
Waffenrüstung Gottes auf! Es ist die Rüstung, es sind
die Waffen der Liebe und der Wahrheit. Nur mit der Liebe
und der Wahrheit können wir dem Bösen widerstehen.
Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Adventszeit schaut
aus auf ein vergangenes Ereignis, nämlich die Geburt
unseres Heilandes Jesus Christus in Bethlehem. Aber der
Advent hat auch noch eine andere Richtung. Er schaut aus
auf die Wiederkunft des Herrn, auf die zweite Ankunft.
Die erste geschah in Armut, die zweite wird geschehen in
Macht. Der zweiten Ankunft des Herrn sind verschiedene
Ereignisse zugeordnet. Eines der für unser Verstehen am
schwersten zugänglichen Ereignisse ist die Auferstehung
der Toten.
Als Paulus in Athen, also
in der Stadt der Bildung, von der Auferstehung der Toten
sprach, da lachten sie ihn aus und sagten: „Wir wollen
dich ein andermal hören.“ Paulus aber kann nicht
aufhören, von dem zu sprechen, was der Herr ihm
aufgetragen hat. Und er hat ihm aufgetragen, zu
verkünden: Es ist einer gesetzt, der die Toten aus den
Gräbern rufen wird. Es ist Jesus Christus, unser Herr
und Heiland. Und so nimmt er denn im 1. Brief an die
Korinther Stellung zu dieser Frage. Er hat in diesem
Brief verschiedene andere Gegenstände behandelt: die
Eucharistiefeier, die Ehe, die Gaben des Geistes. Aber
jetzt kommt er zu sprechen auf die Auferstehung der
Toten. „Die Toten werden auferstehen.“ Warum und
weshalb? Weil sie Christus folgen, weil Christus ihnen
vorangegangen ist. Er ist der neue Adam, und was am
neuen Adam geschieht, muss an allen Adamskindern
geschehen. So wie im alten Adam alle sterben, müssen im
neuen Adam alle auferstehen.
Gott wird die Leiber der
Verstorbenen auferwecken, um seine Gerechtigkeit zu
zeigen und um den Erlöser zu verherrlichen. Die
Auferstehung deutet die Gerechtigkeit des Herrn an, weil
eben nicht bloß die Seele belohnt wird oder bestraft
wird, sondern auch der Leib, der ja das Werkzeug der
Seele ist. So ist die Vergeltung erst vollkommen, wenn
auch der Leib in die Vergeltung einbezogen wird. Erst da
ist die Gerechtigkeit des Herrn gesichert. Christus
wollte aber auch den Menschen vollständig erlösen, nicht
nur dem Geiste nach, sondern auch dem Leibe nach. Bliebe
die Auferstehung des Leibes aus, so wäre die Erlösung
nur eine halbe, aber Gott macht keine halben Sachen. Die
Toten werden also leibhaft auferstehen.
Doch jetzt kommt dann die
Schwierigkeit, der Einwand: Wie werden sie auferstehen?
Wie ist der Leib, mit dem sie auferstehen werden? Der
Apostel gibt darauf folgende Antwort: Gott gibt und
schafft die Körper und den Leib ganz wie er will.
Verschiedene Leiber für die Fische, für die Vögel, für
die Menschen. In seiner Reichtumsfülle und in seiner
absoluten Macht gibt es keine Grenzen schöpferischen
Gestaltens und Umgestaltens. Freilich muss man, wenn man
versucht, die Auferstehung der Toten zu erklären,
bedenken: Gottes Wundertat übertrifft, übersteigt
menschliche Einsicht und muss sie übersteigen. Wenn
Gottes Macht das Verstehen der Menschen nicht
überstiege, dann wäre es keine göttliche Macht mehr,
dann könnte der Mensch sich diese Macht aneignen. Es
muss ein Rest bleiben, der Gott vorbehalten ist, weil er
Gott ist.
Aber die Daseinsweise des
Auferstehungsleibes – zugegeben – bereitet dem Denken
Schwierigkeiten. Denn es ist eine doppelte Tatsache zu
beachten. Der Auferstehungsleib ist einerseits mit dem
gegenwärtigen Leibe identisch; er ist andererseits von
dem gegenwärtigen Leibe verschieden. Das ist kein
Widerspruch, denn die Identität und die Verschiedenheit
bezieht sich auf verschiedene Gegenstände. Der
Auferstehungsleib ist mit dem gegenwärtigen Leib
identisch, weil er der Leib dieser Person ist. Er ist
der Leib dieses Menschen, der geboren wurde und der mit
einem Leibe durch die Zeitlichkeit ging. Der
Auferstehungsleib bleibt der Leib desjenigen Menschen,
der bei der Geburt einen solchen Leib auf die Erde
gebracht hat. „Dieses Verwesliche“, sagt Paulus, „muss
anziehen die Unverweslichkeit, und dieses Sterbliche
muss anziehen die Unsterblichkeit.“ Die Menschen werden
in ihren eigenen Leibern auferstehen. Sie werden
dieselben Leiber, und nicht fremde, wiederbekommen.
Ebensowenig wie die Seele eine andere ist, ist auch der
Leib total verschieden von dem Leibe, den wir auf Erden
getragen haben. Dass der Auferstehungsleib wesentlich
identisch ist mit dem irdischen Leibe, das sieht man
daraus, dass der Leib Christi, des Auferstandenen, die
Wundmale behalten hat. Der Apostel Thomas durfte seine
Hand in die Seite legen und die Finger in die Wunden der
Hände und der Füße. Wegen der wesentlichen Identität des
Auferstehungsleibes mit dem jetzigen Leib konnten
Perpetua und die übrigen Martyrer, als sie hingerichtet
wurden, als sie grässlich und grausam zu Tode kamen, als
sie von den Heiden begafft wurden, sagen: Ja, seht uns
nur gut an, damit ihr uns wiedererkennt bei der
Auferstehung von den Toten!
Der Auferstehungsleib
wird aber freilich verwandelt sein. Der eine, mit sich
identische Leib wird eine veränderte Gestalt besitzen.
Das versucht Paulus in mehreren Ansätzen
herauszuarbeiten. Er sagt erstens: Es ist ein Leib der
Unverweslichkeit und der Freiheit von allem Leid. Einen
solchen Leib kennen wir auf Erden nicht. Unser
gegenwärtiger Leib ist anfällig, hinfällig, ach, allzu
anfällig und allzu hinfällig. Er ist vergänglich, der
Krankheit, dem Schmerz, den Leiden und dem Tod
unterworfen. Und nach dem Tode verwest er. Aus diesem
Unterschied ergibt sich die wesentliche Andersartigkeit
des Auferstehungsleibes. Er ist frei von den Bindungen
und Belastungen des irdischen Leibes. Er ist
leidensunfähig und schmerzensunfähig. Weil er
unverweslich ist, ist er auch unsterblich. Der
Auferstehungsleib ist unsterblich. Und diese
Auferstehungswirklichkeit, meine lieben Freunde,
bereitet sich jetzt schon vor, auf zweifache Weise,
nämlich einmal, wie im Paradiese die Frucht des
Lebensbaumes dem Körper die Unsterblichkeit mitteilen
sollte, so ist es jetzt die heilige Kommunion, die das
Unterpfand der Auferstehung und der Unsterblichkeit ist.
Jawohl, so ist es. Die Kommunion setzt uns Keime ein,
Unsterblichkeitskeime, und diese Keime werden sich
entfalten bei der Auferstehung der Toten. Und ein
zweites: Wir haben einen Kern des Auferstehungsleibes in
uns durch den Heiligen Geist. Der Heilige Geist, der in
uns lebt, ist der Kern des geistlichen Leibes, der jetzt
schon auf Erden sich vorbereitet.
Zweitens: Es wird ein
Leib voll Glanz und Herrlichkeit sein, ein Leib der
Klarheit. Die Lichtfülle Gottes wird durch ihn
hindurchscheinen. Er wird von unaussprechlicher
Schönheit sein. Der Glanz von Tabor wird über jedem
Leibe erstrahlen. Der jetzige Leib ist dem gegenüber
unansehnlich. Die Schönheit auf Erden ist selten. Und
selbst dort, wo sie vorhanden ist, fehlen Schatten
nicht. Mit welchen Mitteln muss die dürftige Schönheit
oft aufrechterhalten werden! Und sie nimmt ab. Die
Schönheit verliert sich im Laufe des Lebens, und im Tode
stirbt auch sie. „Auch das Schöne muss sterben“, sagt
Friedrich Schiller. Der Auferstehungsleib dagegen ist
von unvergänglicher Schönheit. Seine Schönheit strahlt
die Schönheit der Seele wider. Die vom Heiligen Geist
erfüllte, die durchleuchtete und durchfeuerte Seele ist
fleckenlos, und so fleckenlos und makellos wird auch der
Leib, der Auferstehungsleib, sein.
Es ist drittens ein Leib
voll Kraft und Beweglichkeit. Er ist also nicht träge
und ermüdbar; er ist nicht schwach und matt; er ist
nicht debil und bresthaft; er bewegt sich mit
Leichtigkeit und Schnelligkeit, nicht mühsam und mit
Anstrengung. Wir wissen nur allzu gut, wie schwach unser
gegenwärtiger Leib ist, wie erdenschwer, wie ermüdbar,
wie gebrechlich, wie gefährdet, wie hinfällig, wie
kränklich. Wie rasch ermatten wir bei der Arbeit! Wie
schnell nehmen wir Keime in uns auf, die uns krank
machen! Der Auferstehungsleib ist kraftvoll und stark.
Er ist geschmeidig und leichtfüßig. Der
Auferstehungsleib lässt in seiner Kraft nicht nach und
vergeht nicht.
Es ist deswegen viertens
ein Leib von wahrhaft geistiger Art. Das heißt: Der
Auferstehungsleib besitzt Eigenschaften, die wir jetzt
nur vom Geiste kennen. Darum die Unverweslichkeit und
der Glanz und die Kraft. Sie kommen von der verklärten
Seele her, mehr noch, vom Geiste Gottes, der unsere
Seele durchströmt. Unser gegenwärtiger Leib ist irdisch,
stofflich, aus Teilen zusammengesetzt, materiell und
deswegen vom Zerfall bedroht, dem er einmal unterliegen
wird. Der Auferstehungsleib ist dem Geist unterworfen,
frei von irdischen Begierden, rein und lauter, in voller
Harmonie mit der Seele.
Nun könnte, meine lieben
Freunde, jemand sagen: Das klingt alles so fremd, so
phantastisch, beinahe unglaublich. Laufen wir hier
Phantastereien nach oder stehen wir hier auf festem
Grund? Dass wir keinen Phantastereien nachlaufen, ergibt
sich daraus, dass es Menschen gibt, die schon einmal
einen solchen Auferstehungsleib kennengelernt haben. Es
sind die Jünger Jesu. Bereits auf dem Berge Tabor
erhielten sie einen Vorgeschmack der Wirkung der
Auferstehung, als Jesus, d.h. sein Leib vor ihnen
verklärt wurde. Markus gebraucht hier das Wort
„verwandelt“. Der Evangelist sagt, der Leib Jesu wurde
„verwandelt“. Es brach gewissermaßen die göttliche
Lichtfülle durch ihn hindurch. Er nahm die
Erscheinungsform und die Daseinsform an, die den
Himmlischen vorbehalten ist. Das Geschehen von Tabor ist
kein Märchen; es ist von drei Jüngern zweifelsfrei
bezeugt worden.
Richtig erlebt haben die
Jünger den Auferstehungsleib nach der Auferstehung des
Herrn. Er trug und trägt alle die Eigenschaften in sich,
die wir eben geschildert haben. Augenzeugen haben Jesus
gesehen, nicht einmal, sondern mehrmals, nicht einer,
sondern viele, fünfhundert Brüder auf einmal. Sie können
uns erklären, wie der Auferstehungsleib Jesu beschaffen
war. Er hatte vier Eigenschaften, nämlich er war
leidensunfähig, er war leuchtend wie die Sonne, er war
schnell wie der Gedanke, und er war durchdringend, so
dass er bei verschlossenen Türen eingehen konnte. Haben
Sie schon einmal beobachtet, wie oft von dem
auferstandenen Jesus gesagt wird, er sei nicht erkannt
worden? Ich kann 4 Stellen nennen, wo das geschieht. Als
Maria Magdalena am Grabe Jesu war und Jesus ihr
erschien, da hielt sie ihn für den Gärtner. Die
Emmausjünger sind mit dem auferstandenen Herrn
gewandert, aber er erschien ihnen in anderer Gestalt.
Sie erkannten ihn nicht. Erst beim Brotbrechen fiel es
wie Schuppen von ihren Augen. Als Jesus den elf Jüngern
auf einem Berg in Galiläa erschien, da zweifelten
einige. Sie waren sich seiner Identität nicht sicher.
Und als der reiche Fischfang in dem See von Tiberias
geschah und Jesus am Rande, am Ufer stand, da wussten
die Jünger nicht, dass es Jesus war. Erst Johannes
begriff plötzlich durch den reichen Fischfang: Es ist
der Herr. Wie erklärt sich denn dieses Nicht-Kennen? Es
erklärt sich daraus, dass der auferstandene Jesus eine
andere Gestalt angenommen hat. Er ist nicht als der
erschienen, der auf Erden in Galiläa und Judäa mit den
Jüngern gewandelt ist, sondern er hat eine andere
Gestalt angenommen, gewiß nicht die Lichtgestalt des
Himmels, aber auch die andere Gestalt, die ihn auf Erden
sprechen, essen und erscheinen ließ, auch diese andere
Gestalt war verändert gegenüber der Gestalt, die Jesus
hatte, als er mit den Jüngern in den Tagen seines
öffentlichen Wirkens wanderte.
Der verklärte Leib Jesu
besaß und besitzt die erwähnten Eigenschaften nicht für
sich allein. Was an Jesus geschieht, muss an denen
geschehen, die zu Jesus gehören. Ich sagte schon: Er ist
der Stammvater, er ist der neue Adam. Und alle, die zum
neuen Adam gehören, müssen in die Gemeinschaft des
Verklärungsleibes mit Jesus eintreten. Wir sollen als
seine Brüder und Schwestern auch dem Leibe nach an
seiner Auferstehungsherrlichkeit teilnehmen. Wenn der
Herr wiederkommt, wenn das große Ereignis eintritt, auf
das wir harren, dann wird er die Menschen verwandeln,
dann wird er die Leiber der Menschen verwandeln, am
Jüngsten Tage, am Letzten Tage, am Auferstehungstage, da
wird der Tod überwunden werden, auch für den Leib, und
wir werden strahlend und herrlich auferstehen,
vergleichbar der Herrlichkeit des auferstandenen
Heilandes. Deswegen, meine lieben Freunde, lassen Sie
uns nicht zweifeln! Lassen Sie uns nicht irrewerden an
der Verkündigung unserer Kirche! Wir wollen gläubig im
Glaubensbekenntnis bekennen: „Ich glaube an die
Auferstehung der Toten.“ Wir wollen nicht müde werden,
auf die Auferstehung des Leibes zu hoffen. Wir wollen
auch nicht müde werden, uns durch würdigen Umgang mit
unserem Leibe auf die Auferstehung vorzubereiten.
Sie haben vielleicht
schon einmal den Namen des Philosophen und Historikers
Josef von Görres gehört. Er zählt zu uns. Er lebte ja in
Koblenz und war später in München. Als sein Sterbetag
kam, ließ sich Josef von Görres aus den Briefen des
Apostels Paulus vorlesen. Man las die Stelle: „Gesät
wird in Verweslichkeit, auferweckt wird in
Unverweslichkeit.“ Da ging ein Leuchten über das Antlitz
des Josef von Görres, und mit verklärter Stimme sprach
er. „Jetzt ist’s genug. Jetzt wird alles seinen rechten
Gang gehen.“
Amen.
Geliebte, zur Feier der
Geburt unseres Herrn und Heilandes Versammelte!
„Seht, ich verkünde euch
eine große Freude: Heute ist euch in der Stadt Davids
der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“
Das ist die Botschaft der Weihnacht. Es ist die Rede von
einer Geburt und von der Freude, die diese Geburt
auslöst. „Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland
geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Wir fragen:
Wem ist der Heiland geboren? Die Antwort muss lauten:
allen, allen die ihn aufnehmen, die bereit sind, sich
seiner Gnade und Wahrheit zu öffnen. Für sie alle gilt
das Wort: Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland
geboren, welcher ist Christus, der Herr. Dennoch können
wir verschiedene Gruppen ausmachen, Gruppen von
Menschen, denen die Geburt des Heilandes besonders nahe
gehen sollte, die sich ihrer in besonderer Weise
erinnern sollten, für die er, so meine ich, in
besonderer Weise geboren wurde.
Die erste Gruppe ist die
der Schuldbeladenen. Das sind wir alle, denn ein jeder
von uns muss sprechen: „Ich bin in Sünde geboren. In
Schuld empfing mich meine Mutter schon.“ Auch der
Vollkommenste unter uns muss bedenken, dass vor Gott die
Himmel der Himmel nicht rein sind. „Wenn wir sagen, wir
hätten keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die
Wahrheit ist nicht in uns“, schreibt der Apostel
Johannes. Wir sind Sünder: Aus der Sünde entsteht die
Schuld. Die Sünde ist eine gottwidrige Handlung, die
Schuld ist ein gottwidriger Zustand. Die Schuld liegt
wie eine Last auf dem sündigen Menschen. Meine Freunde,
lassen Sie sich nicht täuschen, wenn es heute Menschen
gibt, die diese Last nicht empfinden. Dann hängt das
damit zusammen, dass sie Gott nicht kennen. Sie haben
den Maßstab verloren für ihr Leben und damit auch für
ihre Schuld. Aber die Schuld rächt sich; sie rächt sich
in Alpträumen der Nacht, sie rächt sich in Neurosen und
Psychopathien. Die verdrängte Schuld rächt sich immer,
ganz unabhängig vom Empfinden des Menschen. Nach
Schiller – und damit hat er recht – ist das größte Übel
die Schuld.
Niemand kann sich selbst
von der Schuld befreien, denn die Sünde schafft einen
Zustand, eine Unordnung nicht bloß zwischen Menschen,
sondern auch zwischen Gott und den Menschen. Der Mensch
kann Gott nicht nötigen, die verratene Freundschaft
wieder aufzunehmen; er kann Gott nicht zwingen, das
zerrissene Band wieder zu knüpfen. Er kann nur rufen,
flehen, bitten: Komm, laß nach die Übeltaten deines
Volkes. Und Gott läßt sich erbitten. Er kommt und trägt
unsere Last. Sein Name schon ist sein Programm: Jesus,
das heißt Erlöser.
Die Sünde ist Empörung
gegen Gott. So mußte als Heilmittel also der Gehorsam
gegen Gott seine Stelle finden. Jesus hat im Gehorsam
gegen den Vater im Himmel den Leib, die Seele eines
Menschen angenommen. „Für uns Menschen und um unseres
Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen.“ Er hat
bei seiner Menschwerdung das von der Sünde zerfressene
Leben auf sich genommen. Er hat sich im ganzen Leben im
Gehorsam gegen den Vater ausgezeichnet und dadurch die
Sündhaftigkeit überwunden. Den Ungehorsam der Sünde hat
er durch seinen Gehorsam wieder gut gemacht. Seine
Gehorsamstat ist stärker als die Schuld der Menschen.
Wenn auch die Schuld noch so groß ist, durch die Macht
der Heiligkeit des Herrn ist die Schuld überwindbar.
Keine Dunkelheit ist so tief, dass der Strahl dieser
Sonne sie nicht erreichte. Er ist der wahre „sol
invictus“, die unbesiegte Sonne, die niemals von der
Dämmerung überwältigt wird. In der Oper „Fidelio“ von
Ludwig van Beethoven gibt es ein ergreifendes Bild. Da
öffnet sich der Kerker, heraus tappen blinzelnd und
unsicher die schwankenden Gestalten der Gefangenen. Und
als sie begreifen, was vor sich geht, dass sie ans Licht
der Sonne treten dürfen, da bricht es auch ihnen wie
erlöster Jubel: „O welche Wonne, zu schauen das Licht
der Sonne!“ Diese Szene aus der Oper ist ein
weihnachtliches Bild. Der neugeborene Heiland macht uns
frei von der Schuld, er sagt dem Schuldbeladenen: Alles
gebe ich hin, alles verkaufe ich, um deine Seele zu
kaufen.
Wie glücklich dürfen wir
sein, dass es eine Befreiung von der Last der Schuld
gibt! Wie dankbar müssen wir sein, dass Gott sich selbst
aufgemacht hat, um uns von der Sünde zu befreien. Es
schweige Mohammed, es schweige Buddha, es schweige
Laotse. Was vermögen sie gegenüber der Menschwerdung
eines Gottes?
Die Sünde ist eine Last.
Sie drückt den Menschen nieder. Sie kann Menschen zur
Verzweiflung treiben. Ich habe einmal gelesen, dass zwei
japanische Mädchen sich in einen Vulkan gestürzt haben,
weil sie mit ihrer Schuld nicht fertig wurden. Es gibt
einen, der mit der Schuld fertig wird, unseren Heiland.
Wer immer im Vertrauen und in Reue sich ihm zuwendet,
wer sich mit zerknirschtem Herzen an ihn klammert, der
wird frei von Schuld. „Ihr wißt, dass er erschienen ist,
die Sünde hinwegzunehmen“, schreibt der Apostel
Johannes. „Er hat alle unsere Missetaten vergeben, er
hat den wider uns lautenden Schuldschein ans Kreuz
geheftet“, schreibt der Apostel Paulus, der Theologe des
Kreuzes. Ans Kreuz geheftet hat er den Schuldschein und
ihn dadurch ausgelöscht und vernichtet. In ihm haben wir
die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden.
Und diese Erlösung hebt an mit der Menschwerdung. So
können wir, meine lieben Freunde, heute allen
Schuldbeladenen mit den Engeln zurufen: „Ihr
Schudbeladenen, stoßt auf die Tore, tretet heraus aus
der Finsternis, kommt zum Licht, zur Sonne, zur Sonne
des Heiles, welche ist Christus, der Herr!“ Und dann
wird die Welt wahrlich neu. In dem Bühnenstück von Carl
Zuckmayer „Des Teufels General“ spricht der General
Harras: „Wo aber ein Mensch sich erneuert, da wird die
Welt neu geschaffen.“ Jawohl, so ist es. Wo ein Mensch
sich erneuert in der Gnade des Herrn, da wird die Welt
neu geschaffen. Diese Erneuerung ist das Werk unseres
Heilandes.
Und wir können ihm dabei
helfen, meine lieben Freunde. Wir können seine Hände
werden, wir können sein Mund werden. Nur müssen wir uns
den Menschen zuwenden, müssen ihnen sagen, was sie tun
und lassen sollen, um des Heiles teilhaftig zu werden.
Wir müssen unseren Glauben weitertragen, wir dürfen
nicht davon schweigen. Wir dürfen auch nicht von dem
schweigen, was die Menschen nicht hören wollen. Der
Heilige Vater macht es uns vor. Er spricht davon, das
homosexuelle Betätigung eine tödliche Sünde ist. Wir
sollen die Menschen aufklären, wir sollen sie bitten,
mahnen, einladen, umzukehren von der Sünde, ein
sündhaftes Verhältnis aufzugeben. Wir sollen durch unser
Beispiel auf die Menschen einwirken, es ihnen vormachen,
es ihnen zeigen, wie ein Christ lebt. Und wenn Wort und
Beispiel nicht helfen, können wir für die Menschen immer
noch beten und sühnen, auf dass Gott ihnen hilft, sich
von der Sünde zu befreien. Es gilt ihnen wahrhaft das
Wort: Heute ist euch, ihr Schuldbeladenen, der Heiland
geboren. Er ist gekommen, um euch von der Schuld zu
befreien.
Es gibt aber auch, meine
ich, eine zweite Gruppe, denen der Heiland in besonderer
Weise geboren ist. Es sind die Einsamen. Der Mensch ist
zur Gemeinschaft geschaffen. Schon für den ersten
Menschen war es auf die Dauer unerträglich, allein zu
sein. Und so hat Gott ihm eine Gefährtin geschaffen. Der
Mensch braucht die Gemeinschaft, er sucht die
Gemeinschaft. Er findet sie in den natürlichen
Gemeinschaften, in Ehe und Familie, oder in
organisierten Gemeinschaften wie Vereinen, Clubs, Orden,
Parteien. Aber nicht jedes Zusammensein befreit von der
Einsamkeit. Allein sind häufig auch solche, die in einer
Gemeinschaft leben. Die Nähe der Körper allein schafft
keine Gemeinschaft. Die Nähe der Körper allein befreit
nicht von der Einsamkeit. Die Nähe der Körper allein
bringt keine Verbundenheit. Die Seelen müssen zueinander
finden. Da sind junge Burschen, junge Mädchen, sie haben
ein Elternhaus, sie leben in der Familie. Aber es hält
sie nicht an ihrem Herd. Sie verbringen Abend für Abend
bei Freunden, bei einer Blase, in der Disco. Da sind
jungverheiratete Ehepaare. Es fehlt nicht an materiellem
Wohlstand, aber es klagt der Mann, es klagt die Frau:
Ach, ich bin ja so allein! Mit meinem Mann, mit meiner
Frau kann ich nichts reden, der Mann, die Frau hat keine
Zeit für mich. So mancher seufzt: Ich habe keinen
Menschen, der mich versteht, der sich meiner annimmt,
der gut ist zu mir. Es gibt so viele Einsame, heute
vielleicht mehr als früher, nicht nur die
Alleinstehenden, sondern auch die Verwitweten, die
Verlassenen, die Verstoßenen. In dieser Nacht ergeht an
sie die Botschaft: Euch ist heute der Heiland geboren.
Dieser Heiland versteht sich auf Einsamkeit. Um den
Einsamen nahe zu sein, um sie in ihrer Einsamkeit zu
trösten, ist der Herr selbst einsam geworden. Er hat
nicht bloß die Schuld, er hat auch die Einsamkeit der
Menschen auf sich genommen, um sie hinwegzutragen. In
einer einsamen Höhle ward er geboren, in Einsamkeit
weilte er in Ägypten, einsam war er selbst in Nazareth,
auch wenn liebende Eltern ihn umsorgten, denn Gott ist
auf Erden immer ein Fremdling. Als er seinen Eltern
erklärte, weswegen er im Tempel von Jerusalem
zurückgeblieben war, da verstanden sie nicht, was er mit
diesen Worten sagen wollte. Während seiner öffentlichen
Wirksamkeit waren die Jünger um ihn, aber wer so von
Gottes Auftrag erfüllt ist wie unser Heiland Jesus
Christus, der bleibt einsam, auch wenn Menschen um ihn
sind. Wie oft registriert der Evangelist das
Unverständnis der Jünger! Als er ihnen sein Leiden
ankündigte, da – drei Ausdrücke gebraucht Lukas – da
verstanden sie ihn nicht, die Worte waren für sie dunkel
und sie erfaßten sie nicht. Dreimal sucht Lukas die
furchtbare Einsamkeit des Heilands zu erklären in seiner
Leidensankündigung. Unverstandensein macht immer einsam.
Einsam war er auch mit seinem Gott. In den ganzen
Evangelien ist keine Stelle, die uns berichtet, dass er
mit seinen Jüngern gebetet hätte. Auf einsamen Bergen
hielt er Zwiesprache mit seinem Gott, er ganz allein.
Einsam ist er durch das Leben gegangen. Viele glaubten
an ihn; sie sahen ja die Wunder, die er wirkte. Aber, so
bemerkt der Evangelist Johannes, er vertraute sich ihnen
nicht an, denn er wußte, was im Menschen ist. Er kannte
die Wankelmütigkeit des Menschen. Er wußte, dass sie
heute „Hosianna“ rufen und morgen „Kreuzige ihn!“ Einsam
war er in seinen Leiden am Ölberg, als die Jünger
schliefen, die er doch gebeten hatte, mit ihm zu wachen.
Einsam war er bei den Verhören und Mißhandlungen, als
alle Jünger flohen und einer ihn verleugnete. Einsam war
er am Kreuze. Da erfüllte sich das Wort: „Man stirbt für
sich allein.“
Die Einsamkeit des
Gottessohnes, meine lieben Freunde, hat erlöserische
Bedeutung. Auch durch seine Einsamkeit hat er uns
erlöst, zuerst von Schuld und Sünde, aber auch von der
unaufhebbaren Einsamkeit, die mit der menschlichen
Existenz gegeben ist. Es gibt eine Einsamkeit, die kein
Mensch dem anderen nehmen kann. In diese Einsamkeit
tritt der Gottessohn ein. Es ist eine Wahrheit und kein
Wahn: Der Heiland ist den Einsamen nahe.
Es war Weihnachten 1945
in einem Kriegsgefangenenlager im Ural. Es waren
Arbeitstage wie alle anderen. Bei den Russen galt immer
nur „Rabota, Rabota“ – Arbeit, Arbeit. Die Gefangenen
hatten von der kargen Verpflegung einiges abgespart. Und
so gab es ein für ihre Begriffe festliches Essen. Die
Baracke hatten sie mit Tannenzweigen geschmückt. Sogar
einige Kerzen waren aufgetrieben worden für den kleinen
Christbaum. Das alles war nicht ohne Widerspruch
geschehen. Die russische Lagerleitung hatte es zwar
genehmigt, aber unter den Kameraden selbst regten sich
heftige Stimmen dagegen. Einer bat flehentlich, in
diesen Tagen doch ja jede Erinnerung an Weihnachten zu
unterlassen. Nur nicht daran denken, sagte er, nur nicht
daran denken. Das ist die einzige Art, wie ich es
überstehen kann. Wenn ihr eine Feier macht, halte ich es
nicht mehr aus und bringe mich um. Er hat sich nicht
umgebracht, nicht nur, weil er im entscheidenden
Augenblick zu feige war, sondern weil das weihnachtliche
Licht, das in der Finsternis leuchtet, auch in seine
Seele gefallen war. Sie waren ganz einsam, ganz allein
in der Weite Rußlands, die Männer in der dreckigen
Baracke. Auf Erden war keine Macht, die ihnen helfen
konnte oder auch nur helfen wollte. Von Urwäldern
umgeben, waren sie verschollen und preisgegeben. Aber
als sie das Weihnachtsevangelium vernahmen, da ging es
ihnen wie ein Wunder auf: Gott hat derer nicht
vergessen, die im Finstern sind gesessen. Es war einer,
der an sie dachte, der um sie wußte, einer, der mehr
Macht hatte als die Geheimpolizei und als Stalin.
Er ist den Einsamen immer
nahe. Er ist ihnen auch insofern nahe, als er Menschen
eingibt, sich der Einsamen anzunehmen. Er ruft Menschen
auf, die Einsamen nicht zu vergessen. Er ist erschienen,
um das Feuer der Nächstenliebe aus den Herzen zu
schlagen. Der Heiland kommt den Einsamen zu Hilfe, indem
er unsere Gewissen aufrüttelt und sagt: Mach auf, denk
an den einsamen Bruder, denk an die einsame Schwester.
Laß sie nicht in der Kälte und in der Einsamkeit stehen!
Und er tut noch mehr. Er setzt sich mit den Einsamen
gleich. Jetzt klopft nicht mehr die lästige Nachbarin an
unsere Pforte, jetzt belästigt uns nicht mehr ein
lästiger Freund, nein, es ist der Herr selber. Es ist
der Herr, der sich uns nähert und der alle verbitterten
Herzen lösen und in sie einsteigen will.
Ich meine, es ist noch
eine dritte Gruppe von Menschen, denen der Herr in
besonderer Weise geboren ist. Es sind die Armen. Es gibt
zwei Gruppen von Armen, die materiell Armen und die
geistig Armen. Der Herr hat um die Armut gewußt. „Arme
habt ihr immer bei euch“, hat er einmal gesagt. So ist
es. Bis heute gibt es die zwei Gruppen der Armen, die
materiell Armen und die geistig Armen. Es gibt hunderte
Millionen von Menschen, die nicht genug zu essen und zu
trinken haben, denen sauberes Wasser fehlt, deren sich
kein Arzt annimmt, die kein Heim über dem Kopf haben und
die auf der Flucht sind. Immer neue Wellen spült die
Weltgeschichte an den Strand. Wir haben die Elendszüge
noch nicht vergessen, die aus dem Osten kamen, die
Millionen Vertriebenen von der Ostsee bis zum Schwarzen
Meer. Und auch heute sind wieder Zehntausende auf der
Flucht, in Uganda, im Sudan, in Indien. Auch in unseren
Landen gibt es viele Menschen, die das Lebensnotwenige
nicht haben, arme Menschen, arme Eltern, arme Kinder.
Freilich noch schlimmer
als die materielle Armut ist die seelische Armut.
Seelisch arm sind jene, die Gott nicht kennen, die
keinen Glauben haben, denen der Darwinismus die Lichter
ausgelöscht hat. Seelisch arm sind jene, die Christus
nicht kennen, die seine Gottheit leugnen, die ihn zu
einem galiläischen Wanderprediger degradieren. Arm sind
auch jene, die nicht wissen und nicht wissen wollen,
dass sich der Himmel immer wieder öffnet, um eine
Botschaft zu den Menschen dringen zu lassen. Ich war
einmal Zeuge, wie ein Theologieprofessor, ein
katholischer Theologieprofessor sagte: „Ich halte nichts
von Fatima.“ Darauf entgegnete ihm eine fromme Frau: „Da
sind Sie aber arm!“ Arm sind auch alle jene, die dem
Egoismus frönen, die nur um sich selbst kreisen, deren
Gott der Bauch ist, die dem Genuß verfallen sind. Arm
sind jene, die zur edlen, reinen Liebe unfähig sind, die
Herzlosen, die Hartherzigen, die Mitleidlosen. Arm sind
die Haltlosen, die Willenlosen, die Charakterlosen, die
Hasser, die Neider, die Geizigen. Arm sind alle, die
nicht reich an Tugenden sind. Manche wissen es gar
nicht, wie arm sie sind. In Laodicea zur Zeit des
Apostels Johannes, da war einer, der von sich sagte, er
sei reich und begütert und benötige niemanden. Der
Apostel Johannes war anderer Ansicht. Er schrieb ihm:
„Du bist unglücklich und elend und arm und blind.“
In einer gewissen
Hinsicht sind wir alle arm, ganz arm. Was ist das
bißchen Schönheit, Begabung, Ansehen anderes als Tünche
über unserem Elend? Aber es ist einer, der die Armen
reich machen kann, denn den Armen wird gesagt: „Heute
ist euch der Heiland geboren.“ Durch seine Armut hat er
uns erlöst. Arm war er im Stalle von Bethlehem, arm war
er im Haus von Nazareth, arm wanderte er durch die
Fluren von Galiläa und Judäa. Es sprach ihn einmal einer
an und sagte: „Ich will dir folgen, wohin du gehst.“ Da
gab ihm der Herr zur Antwort: „Die Füchse haben Höhlen,
und die Vögel des Himmels haben Nester, aber der
Menschensohn hat nicht, wohin er sein Haupt legen kann.“
Er hat die Armut auf sich genommen und sie fortgetragen.
Er hat die Armut geteilt und sie dadurch innerlich
überwunden. Denn das ist das Christentum nicht, dass ein
reicher Mann kommt und die Armen reich macht, sondern
dass der Ärmste von allen die Amen reich macht. Er
wollte für sich arm sein, um uns reich zu machen. Er,
der allen Nahrung gab, hungerte. Er, der allen Trunk
geschaffen hat, dürstete. Auf seiner Erdenwanderung ward
er müde, er, der sich selbst zum Weg zum Himmel gemacht
hat. So ergeht heute auch die Botschaft an die Armen:
Euch ist der Heiland geboren, der Heiland der Armen.
Aus dem vorigen
Jahrhundert wird eine aufschlußreiche Begebenheit
berichtet. Ein Invalide fiedelte auf seiner Geige ein
paar armselige Weisen herunter und bettelte. Die
Menschen gingen vorüber. Selten fiel ein Geldstück in
seinen Hut. Da kam einer, nahm die Geige aus der Hand
und spielte. Die Menschen standen und horchten. Bald war
der Hut mit Geldstücken gefüllt. Als der Mann ging, es
war Paganini, der große Geiger, der berühmte Künstler,
von dem ganz Europa spricht, da kamen dem Bettler Tränen
der Freude. Diese Begebenheit ist ein Gleichnis. Der
Heiland ist den Armen geboren, um sie reich zu machen,
und er hat uns reich gemacht, reich an Gnade und
Wahrheit. Die Armut an Gnade und Wahrheit konnte nur er
hinwegnehmen. Und dazu ist er gekommen, sie
fortzutragen.
Er will freilich, dass
wir uns an seinem Erlösungswerk beteiligen. Er will in
uns die Liebe zu den Armen wecken. Viele Erbitterte und
Enttäuschte müssen erst wieder an den Menschen glauben
lernen, bevor sie an Gott glauben können. Wegen der
Menschen sind sie irregeworden an Gott. So sollen sie
durch Menschen wieder zu Gott finden.
Der weise Mahatma Gandhi
hat einmal das schöne Wort gesprochen: „Den Hungernden
muss Gott in der Form des Brotes erscheinen.“
Wahrhaftig, den Hungernden muss Gott in der Form des
Brotes erscheinen. Das hat unsere Kirche verstanden.
Seit 2000 Jahren hat sie eine Liebestätigkeit
hervorgerufen, die ihresgleichen sucht in der Welt.
Strohfeuer der Nächstenliebe, vorübergehende
Anwandlungen brennen auf allen Herden. Als ewige Lampe
brennt die Liebestätigkeit nur im Heiligtum des
Glaubens.
Es kommt nicht, meine
lieben Freunde, auf die Größe der Gabe an. Entscheidend
ist die Gesinnung. Ja, wenn es an materiellen Mitteln
fehlt, kann sogar die Gesinnung die Gabe ersetzen. Der
russische Dichter Turgenjew erzählt: „Ich wanderte die
Straße entlang, da hielt mich ein alter, gebrechlicher
Bettler an. Ich suchte in allen Taschen, aber o weh, ich
hatte weder Geld noch Uhr, nicht einmal ein Taschentuch
eingesteckt. Ich hatte nichts drin. Doch der Bettler
wartete noch immer. Die ausgestreckte Hand zitterte.
Verwirrt, bewegt erfaßte ich sie und sagte bedrückt.
,Sei nicht böse, Bruder, ich habe nichts.’ Der Bettler
richtete seine entzündeten Augen auf mich, lächelte und
drückte meine Hand. ,Macht nichts, Bruder’, sprach er
leise. ,du wolltest geben, dafür danke ich dir.’
Turgenjew beendet seine Erzählung mit dem Satz: Ich
begriff, dass auch ich ein Almosen erhalten hatte.“
Meine lieben Freunde,
Weihnachten ist heute, Weihnachten, das innige Fest, das
schöne Fest, das deutsche Fest. Halten wir uns an die
tiefe und eigentliche Freude der Weihnacht: „Heute ist
euch der Heiland geboren.“ Diese Freude bleibt. Der
Christbaum fällt ab, die Geschenke werden alt, die
Feiertage gehen vorüber. Aber der Ruf verhallt nicht:
„Seht, ich verkünde euch eine große Freude: Heute ist
euch der Heiland geboren, welcher ist Christus, der
Herr.“
Amen.
Geliebte im Herrn!
„Das Wort, das ewige Wort
des Vaters, der Logos, die zweite Person in Gott, ist
Fleisch geworden.“ So meldet uns das Evangelium nach
Johannes. Das ewige, persönliche Wort des ewigen Vaters
ist hörbar geworden. Und wie ist es hörbar geworden? Es
ist das Weinen eines Kindes, es ist das Lachen eines
Kindes, in dem dieses Wort hörbar geworden ist. So
klingt also das Wort Gottes auf Erden, wie Kinderworte
klingen. Das große Licht ist aufgegangen. In der
Dunkelheit leuchtet ein Licht, wie es die Propheten
vorausverkündet haben. Aber siehe, das Licht, das in
dieser Nacht um Mitternacht aufging, das waren die
Augensterne eines Kindes. „Ein Kind ist uns geboren, ein
Sohn ist uns geschenkt.“ Gott ist so groß, dass er klein
werden kann; Gott ist so mächtig, dass er wehrlos werden
kann; Gott ist so gut, dass er auf seinen göttlichen
Glanz verzichten kann. Es scheint, dass sich in Christus
etwas erfüllt hat, was unser deutscher Dichter Clemens
von Brentano einmal so ergreifend ausgedrückt hat:
„Welch Geheimnis ist ein Kind! Gott ist auch ein Kind
gewesen. Weil wir Gotteskinder sind, kam ein Kind, uns
zu erlösen. Welch Geheimnis ist ein Kind!“ Und dann
fährt er fort: „Welche Würde hat ein Kind! Sprach das
Wort doch selbst die Worte: Die nicht wie die Kinder
sind, gehen nicht ein zur Himmelspforte. Welche Würde
hat ein Kind!“ Wahrhaftig, jetzt können wir sehen, wie
Gott ist. So liebenswürdig ist Gott wie ein Kind. Ein
Kind kann man nur lieben, ein Kind weckt unwiderruflich
unsere Liebe. Ein Mensch, der die Kinder nicht lieb hat,
kann kein guter Mensch sein. Was wird das Herz eines
Menschen noch rühren, wenn die Seele eines Kindes ihn
nicht mehr rührt?
Ein Kind ist schön.
Warum? Weil es ein Anfang ist, eine Verheißung, ein
Aufgang. Es ist noch nicht verbraucht, es ist noch nicht
verdorben. Es ist noch nichts vergangen, noch nichts
verwelkt, alles ist noch ein Beginn. Und so will Gott
uns sagen: Seht, so bin ich. Der ewige Anfang, der ewige
Aufgang, die ewige Jugend. Die Philosophen haben Gott
als „nunc stans“ definiert, als das „stehende Jetzt“.
Sie wollten damit zum Ausdruck bringen, dass in Gott
keine Gegenwart und keine Zukunft und keine
Vergangenheit ist, sondern dass in ihm alles ständiger,
stehender Augenblick ist, der nie vergeht. Von Gott wird
nie etwas vergehen, nie etwas verbraucht werden. Er ist
immer Anfang. Er besitzt seine ganze Herrlichkeit ohne
Anfang und ohne Ende. Es gibt ein geheimnisvolles Wort
im Johannesevangelium, und die Übersetzer tun sich
schwer damit. Dieses Wort heißt, jedenfalls nach einer
bestimmten Übersetzung: „Ich bin der Anfang, der zu euch
redet.“ Ich bin der Anfang, der zu euch redet, der ewige
Anfang, der Aufgang, die unsterbliche Jugend, die
Unvergänglichkeit. So ist unser Gott, so schön wie die
Jugend, so schön wie ein Kind.
Und so liebenswürdig ist
Gott wie ein Kind, so liebewerbend. Am leichtesten wird
es uns doch, ein Kindlein zu lieben. Wir können nicht
sagen, warum wir es nicht lieben sollen. Nun ist Gott in
der Gestalt eines Kindes zu uns gekommen, damit wir ihn
lieben können. Es muss ihm unendlich viel daran gelegen
sein, dass er in seiner erfinderischen Weisheit darauf
gekommen ist, einen Weg zu finden, auf dem uns die
Gottesliebe leicht werden kann. Und sie wird uns leicht,
wenn wir Gott in der Gestalt eines Kindes vor uns sehen.
So ist er als Kindlein zu uns gekommen. Jetzt haben wir
keinen Grund mehr und keine Ausrede mehr, wir könnten
Gott nicht lieben. Wir können ihn lieben. Dieses Kind,
dieses Gotteskind müssen wir lieben.
Jetzt verstehen wir auch,
warum im Evangelium der Ruf an uns ergeht: „Wenn ihr
nicht umkehrt und werdet wie Kinder, werdet ihr nicht in
das Himmelreich eingehen.“ Worin besteht denn das Werden
wie ein Kind? „Wer sich erniedrigt wie dieses Kind, der
ist der Größte im Himmelreich!“ Was soll mit dieser
Erniedrigung gesagt sein? Sich abwenden von Ehrgeiz und
Eifersucht, von Angeberei und Stolz, sich demütigen,
seiner Kleinheit, seiner Hilfsbedürftigkeit eingedenk
sein, Argwohn und Mißtrauen ablegen, offen und
vertrauend sein, das heißt Werden wie ein Kind. Christus
liebt das Kind, dessen Natur er selbst als Kind dem
Leibe und der Seele nach angenommen hat. Er liebt das
Kind als Lehrer der Demut, als Vorbild der Sanftmut, als
Verkörperung der Unschuld. Je tiefer wir uns vor diesem
Kindlein beugen, desto mehr wird es uns zu sich erheben.
„Werden muss ich wie ein Kind“, so fährt noch einmal
Clemens von Brentano fort, „werden muss ich wie ein
Kind, wenn ich will zum Vater kommen. Kinder, Kinder,
kommt geschwind, ich werd gerne mitgenommen. Ich muss
werden wie ein Kind.“
Liebevoll ist Gott wie
ein Kind. Kinder sind immer dankbar. Der dankbarste
Liebesempfänger ist immer ein unverdorbenes Kind. Ein
Kind ist unendlich dankbar für jedes gute Wort, für
jedes Zeichen der Liebe und Zuneigung. Es schenkt seine
Liebe gern dem, der es liebt. Ende des 18. Jahrhunderts
wurde der französische König Ludwig XVI. mit dem
Fallbeil hingerichtet. Er hinterließ einen Sohn. Der
junge Sohn wurde einem Flickschuster zur Erziehung
übergeben. Der Schuster behandelte den Königssohn
grausam. Als er ihn eines Tages wieder mißhandelte, da
entriß ihm der anwesende Arzt das Kind und drückte es an
seine Brust. Am folgenden Tage gab das Kind dem Arzt
zwei Birnen, die es sich vom Munde abgespart hatte, und
sagte: „Sie haben mir gestern Ihre Teilnahme bezeugt.
Nehmen Sie diese Birnen als kleine Zeichen des Dankes.
Sie machen mir dadurch eine Freude.“ Dem Arzt traten die
Tränen in die Augen, als er von dem armen Königssohn die
Birnen als Zeichen des Dankes entgegennahm.
Gott ist in der Gestalt
einer Kindes zu uns gekommen. Er will uns sagen: Seht,
so bin ich wie dieses Kind. Ihr braucht mir nur ein
gutes Wort zu geben, ihr braucht euch nur meiner
anzunehmen, ihr braucht mich nur gern zu haben, und ich
gehöre euch wie ein Kind. Er kommt mit keinem anderen
Angebot zu uns, als uns zu gehören. Ein Kind ist uns
geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Nichts anderes will
er, als uns geschenkt sein. Das ist das Ziel seiner
Weltschöpfung und seiner Welterlösung. Das ist das Ziel
seines ganzes Heilsweges, nämlich dass er uns gehören
will, dass er uns Arme in sein Herz schließen will.
Selbst wenn er Gebote gibt, selbst wenn er droht, selbst
wenn er straft, er will das alles nur, um uns gehören zu
können, um die Tore aufzusprengen, die in unsere Seele
führen. Er will uns geschenkt werden, sonst will er gar
nichts. Menschen wollen uns gebrauchen, auch mißbrauchen,
wollen uns benutzen, auch ausnutzen. Nichts dergleichen.
Er will nur, dass wir ihn aufnehmen. „Welch ein Bote ist
ein Kind“, um noch einmal Clemens von Brentano zu
zitieren, „welch ein Bote ist ein Kind! Jedes Wort, das
es erquicket, bis zum Himmelsgarten rinnt, wo das Wort
ward ausgeschicket. Welch ein Bote ist ein Kind! In der
Krippe lag ein Kind. Ochs und Esel es verehren. Wo ich
je ein Kindlein find, will ichs lieben, pflegen, lehren.
In der Krippe lag ein Kind.“
O, meine lieben Freunde,
dass doch in dieser Weihnacht unsere Herzen geöffnet
seien! Dass wir doch das Krippenkind in unsere Herzen
aufnehmen möchten! Dass wir ihm eine Wohnung bereiten!
In meiner Heimat singt man zu Weihnachten ein schönes
Lied: „O Jesulein zart, dein Kripplein ist hart, o
Jesulein zart.“ Wir wollen ihm ein weiches Kripplein
bereiten in unseren Herzen. Wir wollen in der Gesinnung
der Kinder zu ihm rufen: „O Jesus, durch seine Ankunft
erlöse uns. Durch deine Geburt erlöse uns. Durch deine
Kindheit erlöse uns.“
Amen.
Geliebte im Herrn!
Weihnachten ist das Fest
des Heilands der Welt. Hirten haben den Himmel offen
gesehen, den Lobgesang der Engel gehört. Sie ließen ihre
Herden im Stich und eilten zu dem Ort, wo das Kind in
der Krippe lag. Sie fanden es und beteten es an. Die
Welt hat von diesem Vorgang nichts gespürt. Für sie
blieb der Himmel verschlossen wie immer. Der
Glorienschein brach nicht durch zu ihr. Die Engel sangen
für sie nicht, der Ruf verhallte ungehört: „Ehre sei
Gott in der Höhe und Friede den Menschen seiner Gnade!“
Trotzdem hat dieses
übersehene Geschehen von Bethlehem die Welt verändert.
Dreihundert Jahre, nachdem die Hirten den Lobgesang der
Engel vernommen hatten, hatte das Christentum das
römische Weltreich besiegt. Aus griechischem Geist und
aus römischem Ordnungssinn erstand die Zivilisation, in
der wir heute noch leben. Das Christentum ist mit Europa
zutiefst verwurzelt. Das Herz der westlichen Welt
schlägt im Christentum, wenn man sich auch selten
darüber Rechenschaft gibt. Europa ist zutiefst
christlich; seine Seele ruht im Christentum. Wenn das
Christentum verschwindet und verdunstet, dann schlägt
auch das Herz Europas nicht mehr. Wenn das Christentum
unterdrückt oder ausgelöscht wird, dann verliert Europa
seine Seele. Ohne Christus sinkt unser Land zurück ins
Heidentum, nicht in das alte Heidentum, das in der
Erwartung des Erlösers stand, sondern in das neue,
verkümmerte, verderbte und verdorbene Heidentum, das den
Erlöser verworfen hat.
Es ist keine Frage, dass
seit Jahrzehnten die Entchristlichung Europas im Gange
ist. Immer mehr Christen verlieren den Glauben, trennen
sich von der Kirche, geben jede religiöse Praxis auf.
Darüber können die vollen Kirchen am Heiligen Abend
nicht hinwegtäuschen. Weihnachten ist eine
Ausnahmesituation. Man hat in diesen Tagen eine Umfrage
veranstaltet, wie viele Anhänger einer jeden Partei zu
Weihnachten den Gottesdienst besuchen. Man höre und
staune: An der Spitze steht die FDP. 56 % der
FDP-Anhänger besuchen Weihnachten des Gottesdienst, 55 %
der CDU, 42 % der Grünen, 39 % der SPD, 25 % der Linken.
Insgesamt hatten 40 % der Deutschen vor, Weihnachten in
die Kirche zu gehen. Das ist erfreulich, aber es ist
kein Grund zur Beruhigung.
1. Was tun die 40 Prozent
zu Weihnachten in der Kirche? Sind sie gläubigen Sinnes
zum Gottesdienst geeilt? Verstehen sie zu beten? Wissen
sie um das Geschehen der heiligen Messe? Wie sind sie
daran beteiligt?
2. Wo sind die 40 Prozent
an den anderen Sonntagen des Jahres? Und was ist mit den
60 Prozent, die nicht einmal an Weihnachten den Weg zum
Gotteshaus finden? Die Frankfurter Allgemeine Zeitung
hat einen Reporter losgeschickt, um in Frankfurt die
vorweihnachtliche Stimmung unter den Christen
auszuloten. Der Reporter hat mehrere Pfarreien besucht.
Er schreibt in seinem Bericht: „Nur die ersten Reihen
sind insgesamt gut gefüllt.“ Ein Pfarrer einer Pfarrei
in Frankfurt erklärte ihm: „Ohne Menschen mit
Migrationshintergrund, also Kroaten, Schwarze,
Amerikaner, ohne Menschen mit Migrationshintergrund
könnte man den Laden dichtmachen.“ Nur 6 bis 7 Prozent
der in der Gemeinde lebenden Katholiken besuchen am
Sonntag den Gottesdienst.
3. Vergessen wir nicht:
Wir Christen sind nicht mehr allein mit den
Nichtchristen unserer Zunge. Unter uns leben zahlreiche
entschiedene Gegner des Christentums aus Asien und
Afrika. Wir haben 54 Millionen Mohammedaner in Europa,
54 Millionen. Sie sehen in Christus, dem Krippenkind,
nicht den Heiland der Welt, denn auf ihrer Moschee in
Jerusalem steht geschrieben: „Gott hat keinen Sohn!“ Das
ist die Ansage, die Kampfansage an das Christentum.
Der, welcher in jener
Nacht geboren wurde, wurde 30 Jahre später vor den
Stadtmauern Jerusalems gekreuzigt und begraben. Dass der
Tod am Kreuze nicht das Ende war, dass er auferstand und
dass er von Petrus und den übrigen Jüngern gesehen
wurde, das ist der Beginn der christlichen Predigt. „Wir
können nicht aufhören zu reden von dem, was wir gesehen
und gehört haben.“ Nur von der Auferstehung her
verstehen wir den Karfreitag, und nur weil zwischen
Auferstehung und Karfreitag ein unzerreißbarer
Zusammenhang besteht, ist die Nacht von Bethlehem für
uns der Beginn des Heiles geworden. „Krippe und Kreuz“,
sagte mir einmal eine alte Lehrerin, „sind der Inhalt
und die Kraft meines Lebens.“ Die Erinnerung an die
Nacht von Bethlehem ist zu einem Hauptfeste geworden, in
Deutschland zum innigsten Feste überhaupt. Jetzt ist es
möglich, die Sehnsucht eines jeden Menschen nach einem
vollen, nach einem glücklichen, nach einem befriedeten
Leben zu erfüllen. Jetzt ist es tatsächlich möglich, was
Papst Leo der Große in der Christnacht des Jahres 445
gepredigt hat, dass sich das erfüllt. Jetzt kann das
geschehen, nämlich: „Die Sünde kehrt zurück zur
Unschuld. Was alt war, wird neu. Fernstehende werden an
Kindes Statt angenommen. Fremdlinge treten das Erbe an.
Aus Gottlosen werden Gerechte, aus Geizigen Mildtätige,
aus Unenthaltsamen Jünger der Keuschheit und aus jenen,
welche die Welt liebten, werden Anhänger des
Himmlischen.“
O, ich weiß, meine
Freunde, das sogenannte „moderne Denken“ ist gewöhnt,
sich nur an das zu halten, was man sehen, hören, messen
und zählen kann. Aber der versteht sehr wenig, der nur
das versteht, was man messen und zählen kann. Die
Weihnachtsbotschaft sprengt das herkömmliche Denken. Die
ersten zwei Kapitel des Lukasevangeliums erzählen
wunderbare Begebenheiten in wundersamen Wendungen. Ihr
Inhalt steht im Widerspruch zur Alltäglichkeit. Es wird
den Menschen Erlösung und Friede verheißen. Es ist das
Urteil Gottes, dass der Mensch mit seinem Wissen und
Können, mit seiner Gewalt nicht zum Ziele kommt, sondern
dass Gott sich selbst aufmachen muss, um den Menschen zu
retten.
Wenn alle Arbeit haben,
wenn alle versorgt sind, wenn alle Tische gedeckt sind,
ist die Seele noch immer leer. Der Mensch hat eine
bleibende Ausrichtung auf Gott, und solange er ihr nicht
nachkommt, gelangt er nicht zur Erfüllung. Es gibt eine
unaustilgbare, unaufhebbare Verwiesenheit des Menschen
auf Gott. Ob er sich ihr stellt oder ob er sie zu
unterdrücken sucht, die Gottgehörigkeit des Menschen ist
unzerstörbar. Und das ist, meine Freunde, das ist und
das bleibt die Chance der Kirche. Ihre Aufgabe wird nie
überflüssig werden. Wir Priester werden nie ersetzbar
sein. Unsere Botschaft wird nie entbehrlich sein. Was
die Kirche verkündet, ist immer gültig und immer
unerläßlich. Die Kirche ist die einzige Institution,
welche die tiefste Sehnsucht des Menschen befriedigen,
welche die umfassende Antwort auf die Frage nach Wert
und Sinn des Lebens geben kann. Es kommt nur darauf an,
die Menschen von Notwendigkeit und Nutzen des
Christentums zu überzeugen.
Das ist genau unsere
Aufgabe. An uns ist es, durch Wort und Beispiel die
Unruhe in den Menschen wach zu halten, zu verhindern,
dass sie sich allzu häuslich auf dieser Erde einrichten,
dass sie sich mit Arbeit, Genießen und Faulenzen
zufrieden geben. „Die Welt ist eine Brücke. Gehe
hinüber, aber baue dein Haus nicht auf ihr!“ So klagt
ein versprengtes Jesuswort, das nicht in den Evangelien
steht. „Die Welt ist eine Brücke. Gehe hinüber, aber
baue dein Haus nicht auf ihr!“ Wir müssen, jeder an
seiner Stelle, versuchen und dürfen nicht aufhören, die
Menschen von der Wahrheit zu überzeugen, dass sie von
Gott und für Gott geschaffen sind. Wir müssen sie davon
überzeugen, dass wahr ist, was die heilige Theresia von
Avila so begeistert gesungen hat: „Ich bin dein, bin für
dich in dieser Welt. Wie verfügst du über mich?“
Amen. |