Geliebte im Herrn!
Vor wenigen Tagen haben
wir das neue Jahr begrüßt, und es ist von tiefer
Bedeutung, dass die Kirche an den Beginn des neuen
Jahres das Fest des Namens Jesu stellt. Im Namen Jesu
sollen wir alles beginnen, im Namen Jesu alles
durchführen und im Namen Jesu alles beschließen. Denn
unsere Hilfe ist im Namen des Herrn, und es ist kein
anderer Name unter dem Himmel gegeben, in dem wir das
Heil erlangen können. Jeder, der den Namen des Herrn
anruft, wird gerettet werden. Wir wollen deswegen am
heutigen Fest des Namens Jesu nachsinnen, was es heißt,
wenn der Apostel Paulus im Brief an die Hebräer
schreibt: „Christus gestern, heute und in Ewigkeit.“
Christus gestern, heute
und in Ewigkeit. Christus gestern, also auch im
vergangenen Jahr. Wir alle wissen, wie viel Schweres
über uns und andere Menschen in diesem vergangenen Jahr
gekommen ist, wie wir dem Weinen manchmal näher waren
als dem Lachen. Manchmal haben wir gedacht: Wenn es nur
erst vorüber wäre, und gelegentlich ist uns der Gedanke
gekommen: Es geht nicht mehr, ich schaffe es nicht mehr,
ich halte es nicht mehr aus. Und dann haben wir es doch
geschafft, wir haben es doch ausgehalten. Da war Gott
mit im Spiele. Wir haben im vergangenen Jahr geklagt,
wie wir in allen Jahren geklagt haben. Aber hat es nicht
auch manches Gute gegeben in diesem Jahre? Wir haben
gebetet in der Angst unseres Herzens, aber sind wir
nicht auch erhört worden? Es gibt wenig Menschen, die
zurückdenken. Vor einiger Zeit las ein Priester die
heilige Messe, und da fiel ihm ein junger, schmächtiger
Mann auf, der der Messe beiwohnte. Es traf sich, dass er
nach der heiligen Messe mit ihm ins Gespräch kam. Er
fragte ihn nach seinem Beruf. Der junge Mann erklärte,
er sei seit 5 Jahren arbeitslos. Er habe mit seiner
Familie Schweres durchgemacht. Der Priester wollte ihm
ein Trostwort geben, aber der Mann wehrte ab: „Ach,
wissen Sie“, sagte er, „anderen geht es noch schlimmer,
und ich habe mich immer noch satt essen können.“ Dieses
Wort hat der Priester nicht vergessen. Immer wenn er
frohe Stunden hatte, dachte er an diesen Mann und sagte
sich: „Andere haben es schlimmer.“ Und wenn er anfangen
wollte zu klagen, da hörte er das Wort: „Ich habe mich
immer noch satt essen können.“ Und das ist ja viel, denn
Millionen und Abermillionen können sich nicht satt
essen. Gestern ging die Meldung durch die Presse, daß
ein Sechstel der Menschheit sich nicht einmal satt
trinken kann. Ein Sechstel der Menschheit hat kein gutes
Trinkwasser.
Der Herrgott überschüttet
uns mit Wohltaten, aber wer dankt ihm? Im Gegenteil, die
Menschen tun oft, als wären sie die Beleidigten, als
wäre ihnen Gott etwas schuldig geblieben. „So viel ist
er mir in den 12 Monaten schuldig geblieben!“ O, meine
Freunde, was ist er uns schuldig geblieben? Wieso ist er
uns schuldig geblieben? Weil wir Sorgen, Kummer,
Ungemach, Unbill erlitten haben? Ja, wann hat uns denn
Gott jemals ein angenehmes und leichtes Leben
versprochen? Wie lauten die Verheißungen, die er uns
gegeben hat? „Wer mir nachfolgen will, der nehme sein
Kreuz auf sich und folge mir nach.“ „Der Jünger ist
nicht über dem Meister.“ „Haben sie mich verfolgt, dann
werden sie auch euch verfolgen.“ Und als es zur
Abschiedsstunde kam, in seinen Abschiedsreden, da sagte
er: „In der Welt habt ihr Drangsal.“ Also das hat uns
der Herr verheißen: „In der Welt habt ihr Drangsal.“
Was sind denn wir im
vergangenen Jahr Gott schuldig geblieben? Haben wir
wenigstens einen Fehler abgelegt? Haben wir eine Tugend
dazugewonnen? Sind wir bessere, edlere, feinere Christen
geworden? Schmücken wir mit unserer Persönlichkeit die
Kirche? Ein englischer Konvertit hat einmal geschrieben:
„Das ist Christus, mein Freund. Ich habe viel von ihm
gehört, aber ich kümmerte mich nicht um ihn. Täglich
erhielt ich seine Geschenke, aber niemals dankte ich
ihm. Oft schien er meine Freundschaft zu wünschen, aber
ich blieb kalt. Das ist Christus, mein Freund. Ich blieb
ihm viel schuldig.“ Daran sollen wir denken, an das
denken, meine Freunde, was wir unserem Herrn in der
Vergangenheit, im vergangenen Jahr schuldig geblieben
sind.
Christus gestern.
Christus heute. Unser Heiland ist keine Gestalt der
Vergangenheit. Er ist der Herr der Gegenwart. Er ist
gewiß gestorben und begraben worden, aber er ist auch
auferweckt worden. Der Tod konnte ihn nicht festhalten.
Wir wissen, daß Christus nach seiner Auferstehung nicht
mehr stirbt, dass der Tod über ihn fürder nicht
herrschen wird. Er lebt. Er lebt in der Herrlichkeit des
Vaters. Und er ist nicht untätig. Die Vergangenheit mit
uns Menschen hat ihn nicht müde und mürbe gemacht, wie
wir müde und mürbe werden, wenn wir erfolglos arbeiten.
Christus ist auch nicht verzagt wegen des Undanks der
Menschen, wie wir verzagt sind, wenn wir erleben, dass
die Menschen unsere Guttaten mit Undank vergelten. Wie
oft habe ich schon gehört: Es hat alles keinen Zweck,
wir geben unsere Bemühungen um diesen Menschen, um diese
Kinder auf. So verhält sich der Herr nicht. Er gibt
seine Bemühungen um uns nicht auf. Er lebt, um als
Fürbitter beim himmlischen Vater für uns einzutreten.
Sein Mittlerdienst hört nicht auf. Er wird auch nicht
unterbrochen und steht nicht auf Abruf. Er tritt
immerfort für uns ein. Immer, meine lieben Freunde, wenn
wir beten innerhalb und außerhalb der heiligen Messe:
„durch Christus, unseren Herrn“, appellieren wir an
seinen Mittlerdienst. Durch ihn soll unser Bitten, unser
Flehen, aber auch unser Lob und unser Dank zum Vater im
Himmel strömen.
Christus heute. Da müssen
wir natürlich auch fragen: Wie findet uns das Heute? Ist
Christus wirklich ganz in uns und mit uns? Leben wir im
Stande der heiligmachenden Gnade? Das ist eine Frage,
die uns durch Mark und Bein gehen muss. Die ganze Fülle
der Gnade und der Vorsehung ergießt sich eigentlich nur
auf den, der im Stande der Gnade ist. Warum? Weil nur er
die Türen offen hält für das Eintreten Gottes, weil er
nur allein imstande ist, die Gnade aufzunehmen, so dass
der Herr wirklich sie in uns hineinschütten kann. Gott
ist gut gegen alle Menschen, aber besonders gegen die,
die im Stande der Gnade sind. Fragen wir also: Gehören
wir Gott? Gehören wir der Vorsehung? Auf einem Kreuze
las ich einmal die Inschrift: „Das tat ich für dich! Was
tust du für mich?“ Diese Frage muss in unserem Herzen
brennen. Sie darf uns keine Ruhe lassen. Was tun wir für
ihn? Was tun wir für seine Ziele, für sein Reich? Was
tun wir in diesem Jahre? Im Buch von der Nachfolge
Christi steht der ergreifende Satz: „Jene arbeiten
geschäftiger an ihrem Verderben als du an deinem ewigen
Heil.“ Ist es nicht so? Jene arbeiten geschäftiger an
ihrem Verderben als du an deinem ewigen Heil.
Christus gestern,
Christus heute, Christus in Ewigkeit. Wir wissen nicht,
was das Jahr 2009 in seinem Verlaufe bringen wird. Es
läßt sich ja unsicher an. Wir denken an die Finanzkrise,
an die Wirtschafskrise, an die Immobilienkrise, an die
Arbeitsplatzkrise. Dunkle Schatten stehen auf und machen
uns Sorgen. Aber freilich, die größte Sorge ist nicht,
ob unsere Männer und Frauen Arbeit haben. Die größte
Sorge ist, dass Millionen in Gefahr stehen, den Glauben
zu verlieren. Es ist so wie in der Nachkriegszeit, wo
ich oft gehört habe, dass die Menschen sagten: „Wie kann
Gott das zulassen?“ Meine lieben Freunde, darüber wollen
wir ein wenig nachsinnen. Wie kann Gott das zulassen?
Bedenken wir: Gott läßt zu, dass Menschen ihn leugnen;
Gott läßt zu, dass Menschen sich nicht um ihn kümmern;
Gott läßt zu, dass Menschen ihn verspotten; Gott läßt
zu, dass Menschen seine Gebote mißachten. Aber niemand
fragt: Wie kann Gott das zulassen? Er hat seines eigenen
Sohnes nicht geschont, sondern ihn für uns alle
hingegeben. Er, der Wohltaten spendend durch die Lande
ging, wurde ans Kreuz geschlagen. Diejenigen, die seine
Wohltaten empfange hatten, riefen: „Kreuzige ihn!
Kreuzige ihn!“ Wenn Gott das zulassen kann, weshalb
wundern wir uns, dass er zuläßt, dass Arbeitslosigkeit
und Hungersnot entstehen? Warum soll Gott nicht
zulassen, was die Menschen zu verantworten haben? Wer
ruft denn die Krisen in der Welt herbei? Wer hat denn
die Bankenkrise und die Wirtschaftskrise zu
verantworten, Gott oder die Menschen? Und wollen die
Menschen nicht die Wirtschaft und die Politik nach ihrem
Gutdünken gestalten? Gott läßt es zu, er läßt sie ihre
Wege gehen. Würden sie sich nicht heftig wehren, wenn
Gott dauernd eingreifen würde, wenn sie ihre
Bilanzaktionen und Transaktionen planen? Sie wollen doch
frei sein. Sie wollen doch tun, was sie auf der
Universität und in ihrem bösen Herzen gelernt haben.
Wenn Gott die Menschen nicht hindert, Gewinne zu machen,
warum sollte er sie hindern, Verluste zu erleiden? Gott
läßt zu, dass die Menschen ihren Vergnügungen gegen
seinen Willen nachgehen. Wie würden sie ihn anklagen,
wenn er sie hindern würde, Unzucht zu treiben, Steuern
zu hinterziehen, schludrige Arbeit zu leisten? Dass dann
die Folgen für ihr Verhalten eintreten, ist
folgerichtig. Die Menschen tragen Verantwortung für ihr
Tun und Lassen. Gott kann und will sie ihnen nicht
abnehmen. Die Menschen müssen für ihre Sünden bezahlen
mit Aids und Herzinfarkt, mit gerichtlichen Anklagen und
Verurteilungen, mit Zusammenbrüchen und Unfällen. Warum
sollte Gott nicht zulassen, dass die Menschen die
Wirkung ihrer eigenen Taten spüren? Wie sollen sie denn
zur Besinnung kommen, wenn Gott verhindert, dass sie
erfahren, was sie angerichtet haben? Und noch eines. Ich
höre die Anklagen gegen Gott, aber, meine lieben
Freunde, haben sie einen Sinn und einen Zweck? Was wird
denn besser, wenn wir Gott anklagen? Welchen Nutzen hat
es, Gott zu beschuldigen? Wird nicht dadurch alles noch
schlimmer? Gilt nicht das Wort aus der Nachfolge
Christi: „Wenn du dein Kreuz unwillig trägst, legst du
auf dein Kreuz ein zweites Kreuz, machst die Bürde noch
einmal so schwer und wirst sie doch tragen müssen.“ Wenn
du dein Kreuz unwillig trägst, so legst du auf dein
Kreuz ein zweites Kreuz, machst die Bürde noch einmal so
schwer und wirst sie am Ende doch tragen müssen.
Vor einiger Zeit sagte
mir ein junger Freund: „Kann man denn von den Menschen
in ihrer Not verlangen, dass sie an Gott glauben? Ist es
überhaupt noch möglich, dass sie glauben?“ Ob es möglich
ist, meine lieben Freunde? Wollen wir den Herrgott nur
dann lieben, wenn wir satt gegessen haben? Wollen wir
nur dann an ihn glauben, wenn wir aufstehen vom Mahle,
ihn nur lieben wegen des warmen Rockes und des guten
Essens? Ich kann Ihnen eine kleine Geschichte erzählen,
keine erfundene, sondern eine wahre Geschichte. Ein
Vater hatte drei Söhne, und er begab sich immer wieder
in Abständen zu ihnen, und in den Taschen hatte er immer
etwas mitgebracht. So wurde er freudig und jubelnd
begrüßt. Aber einmal dachte er: Ich will einmal sehen,
wie sie mich aufnehmen, wenn ich mit leeren Händen
komme. Er ging also zu dem ersten Sohn. Die Kinder
stürmten heran und suchten in seinen Taschen, fanden
nichts und waren enttäuscht. Ebenso erging es ihm bei
dem zweiten Sohn. Beim dritten Sohn aber nahm man ihn
voll Freude auf und fragte nicht: Was hast du
mitgebracht, sondern sagte: Gut, dass du gekommen bist.
Da wurde es dem Vater warm ums Herz. So ähnlich
verhalten wir uns gegenüber dem Herrgott wie der erste
und der zweite Sohn. Wir suchen nicht ihn, sondern seine
Gaben. Wer jetzt die Liebe aufsagt, der hat ihn nie
geliebt.
Noch einmal zitiere ich
aus dem Buch der Nachfolge Christi: „Die Liebe fühlt
keine Last. Die Liebe scheut keine Arbeit.“ Das muss man
sich oft vorsagen, wenn man die Last fühlt, wenn man die
Arbeit scheut. Da habe ich ja keine Liebe. Die Liebe
fühlt keine Last, die Liebe scheut keine Arbeit.
Irgendwo lebte ein Priester, ein frommer Priester. Er
hatte einen Spruch, der ihm immer half: „Mit Jesus zu
zweit.“ Er sagte: „Ich bin nie allein. Ob ich glücklich
bin oder unglücklich, wir sind immer zwei. Mit Jesus zu
zweit. In der Arbeit, im Leid, im Gebet, mit Jesus zu
zweit.“ Und auf diese Weise ist er gestorben, mit Jesus
zu zweit.
Das sollten auch wir im
neuen Jahr uns angewöhnen. Wir sind nicht allein. Jesus
ist bei uns. Mit Jesus zu zweit ins neue Jahr. Unsere
Väter haben das Jahr – jedes Jahr – als annus Domini,
als Jahr des Herrn bezeichnet. Und so haben wir es ja an
unsere Häuser geschrieben. Und auch das Jahr 2009 ist
ein Jahr des Herrn. Mit Jesus zu zweit sei der Anfang;
mit Jesus zu zweit sei jede Stunde; mit Jesus zu zweit
wollen wir gehen bis zum Ende.
Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir haben soeben
vernommen, welches ein wesentlicher Inhalt des heutigen
Festes ist. Wir kennen den Bericht des Evangelisten
Matthäus über das Erscheinen der Weisen aus dem
Morgenlande, die gekommen sind, dem neugeborenen König
zu huldigen. Sie waren die Erstberufenen aus der
Heidenwelt. Die Hirten gehörten zum Volke Israel und
waren, wenn man so will, die Vertreter des schlichten,
innigen Glaubens. Die Weisen sind die ersten Gebildeten
an der Krippe. Die Heilige Schrift nennt sie „Magoi“. Es
sind verschiedene Übersetzungen für dieses Wort
vorgeschlagen worden, aber am wahrscheinlichsten ist es,
dass es sich um weise Männer handelt, die sich mit
Astronomie beschäftigten und, wie das damals üblich war,
mit der Astronomie auch mit der Astrologie. Diese beiden
Wissenschaften beherrschten sie, und deswegen vertrauten
sie sich der Führung eines Sternes an. Sie kamen, so
nimmt man an, aus dem Partherreich. Das war ein
gewaltiges Imperium, umfaßte etwa das heutige Persien,
Medien, Assyrien, also den Iran und das Zweistromland,
den Irak. Sie hatten also eine lange Reise hinter sich,
waren monatelang unterwegs.
Wann kamen sie? Als Zeit
wird ungefähr ein Jahr nach der Geburt Jesu angenommen.
Also wenn Sie an der Krippe die Weisen neben den Hirten
sehen, so ist das historisch gesehen nicht richtig. Sie
kamen nicht an die Krippe, sie kamen in ein Haus,
„oikia“ heißt es im griechischen Text. Die heilige
Familie war umgezogen aus der Höhle in ein Haus.
Wahrscheinlich hatte Josef Verwandte in Bethlehem, und
dann haben sie ihn, nachdem der Trubel vorüber war,
aufgenommen, und so fanden die Weisen das Jesuskind in
einem Hause mit Maria. Merkwürdigerweise ist von Josef
nicht die Rede.
Könige werden die Weisen
zum erstenmal von dem Kirchenschriftsteller Tertullian
genannt im 3. Jahrhundert. Wie kommt man darauf, dass
diese Weisen Könige gewesen sein könnten? Nun, man hat
eben im Alten Testament gelesen, dass die Könige von
Tarsis und von Saba kommen und Geschenke bringen. Die
Könige von Saba und Seba erscheinen. Und man hat dann
die Erfüllung dieser Weissagung im Kommen der Magier
gesehen. So kommen sie zu dem Namen Könige. Drei Könige.
Ja, warum drei? Man nimmt an, dass jeder ein Geschenk
brachte, und da es drei Geschenke waren, so vermutet
man, dass es auch drei Weise waren.
Das Kommen, das Verweilen
und das Gehen dieser Männer aus dem Morgenlande lehrt
uns, wie wir mit dem Kinde Mariens, das ja der auf Erden
erschienene Gott ist, umgehen sollen. Die Weisen kamen
in das Haus, in dem das Kind sich befand, und das erste,
was sie taten: Sie fielen nieder und beteten es an.
Meine lieben Freunde, das allein ist die Haltung, die
dem göttlichen Kinde angemessen ist: vor ihm
niederfallen und es anbeten. Wer sich weigert, das zu
tun, der gibt damit zu verstehen, dass er Herkunft und
Wesen des Kindes entweder nicht kennt oder ablehnt. Eine
andere sachgemäße Haltung als Niederfallen und Anbeten
gibt es gegenüber diesem Kinde nicht. Entweder ist das
Kind der menschgewordene Gott, oder es ist
uninteressant. Wenn es der Logos ist, der Fleisch
geworden ist, dann müssen sich vor ihm die Knie beugen
im Himmel, auf der Erde und unter der Erde, und dann
muss jede Zunge bekennen: „Jesus Christus ist der Herr.“
Die Weisen brachten dem
Herrn Geschenke, kostbare Geschenke: Gold, Weihrauch,
Myrrhe. Ich bin überzeugt, das war das Kostbarste, was
sie besaßen. Und darin liegt eine Lehre für uns:
Verschenken, meine Freunde, darf man nur das Beste.
Nicht, was man loswerden will, sondern das, von dem man
sich nur schwer trennen mag. Das gilt schon für das
Schenken unter Menschen, und erst recht gilt es
gegenüber Gott. Wir sollen ihm also unsere Jugend
schenken, nicht bloß das Alter. Wir sollen ihm unsere
Kraft übergeben, nicht bloß unsere Hinfälligkeit. Die
Weisen zeigen uns, wie man zum Herrn kommen soll: nicht
mit leeren Händen und vor allem nicht mit leerem Herzen.
Wir sollen ihm also darbringen unsere guten Werke:
Gebet, Fasten, Almosen. Irdische Güter können wir ihm
eigentlich nicht schenken, er ist ja der Herr von allem.
Er hat alles gegeben, und er ist ja der Obereigentümer.
Aber wenn er unsere materiellen Schätze nicht braucht,
so benötigen sie doch die Menschen, seine Geschöpfe, und
ihnen können wir irdische, wertvolle Dinge geben.
Das ist auch übrigens der
Grund, warum die Kirche festliche, feierliche, kostbare
Gotteshäuser baut. Sie dienen natürlich zuerst der
Verherrlichung Gottes, aber danach auch der Freude und
der Erhebung der Menschen. Die Anglikaner haben in
London ihre teuersten und kostbarsten Kirchen in die
Arbeiterviertel gebaut; sie wollten dadurch die Menschen
zu Gott erheben. Das Wichtigste freilich, was wir dem
Herrn schenken können, ist ein williges, ein bereites,
ein reines Herz. Ich sagte schon, in einem gewissen
Sinne kann man ihm nichts Irdisches schenken, aber das
Herz können wir schenken, denn das hat er noch nicht,
das müssen wir ihm geben. Also schenken wir ihm unsere
Gedanken, unser Gedächtnis, unser Gemüt und unseren
Willen.
Aber auch der Herr ließ
die Weisen nicht ziehen, ohne sie in reichem Maße zu
beschenken. So arm er äußerlich war, so reich war er,
der Herr der Welt. Und was schenkte er seinen Besuchern?
Er schenkte ihnen die Schätze der Gnade und
Barmherzigkeit. Das waren vor allen Zeiten und sind auch
heute noch die Gaben, die der Herr seinen Dienern
schenkt. Und Gott läßt sich an Freigebigkeit nicht
übertreffen. Wenn wir ein gutes Herz hätten und wenn wir
all das Flitterwerk abwürfen, das uns von ihm abhält, so
würde unsere Seele von seinen Schätzen erfüllt werden.
Denn das ist das Gesetz bei der Mitteilung der Gnade:
Gott gibt nach dem Maße unserer Empfänglichkeit. Ein
eiserner Grundsatz, der für das Gebet und für die
Sakramente und für das Meßopfer gilt: Gott gibt nach dem
Maße unserer Empfänglichkeit. Gewiß, die Sakramente
wirken kraft ihres Vollzuges, ex opere operato, wie die
Theologie sagt, also sie wirken kraft der vollzogenen
sakramentalen Handlung, nicht kraft des Glaubens, wie
die Protestanten meinen. Nein, die Sakramente wirken
kraft ihres Vollzuges. Aber diese Wirksamkeit ist weder
mechanisch noch magisch. Die Mitwirkung des Empfängers
wird ausdrücklich gefordert. Im Konzil von Trient heißt
es: „Er gibt die Gnade denen, non ponentibus obicem, die
kein Hindernis entgegensetzen. Non ponentibus obicem.
Die subjektive Disposition des Empfängers ist also
unerläßlich für die wirkliche Mitteilung der Gnade. Wer
nicht will, der hat schon. Es ist eine Lehre der Kirche,
dass die Sakramente wirken nach der Disposition des
Empfängers, dass das Maß der empfangenen Gnade abhängt
von der subjektiven Disposition.
Aber einmal abgesehen von
diesem kleinen Exkurs: An himmlischen Segnungen reich
verließen die Weisen das arme Haus, in dem sie Maria und
Josef gefunden hatten. In einem Traum – und Gott bedient
sich der Träume zur Mitteilung; Träume sind keine
Schäume – in einem Traum erhielt die Weisen den Befehl,
nicht mehr zu Herodes zurückzukehren. Darum zogen sie
auf einem anderen Weg in ihre Heimat zurück. Die Weise
hätten ja ebenso gut wie Petrus auf dem Berge Tabor
sagen können: „Herr, hier ist gut sein, hier wollen wir
bleiben, laß uns eine Hütte bauen.“ Nein, so sagten sie
nicht. Es drängte sie, das erste Gotteshaus auf Erden
wieder zu verlassen und die Apostel desjenigen zu
werden, dessen Höflinge sie gewesen waren. Der weitere
Lebensweg der Weisen ist uns nicht bekannt, aber wir
dürfen vermuten, dass sie von ihrem Erlebnis nicht
geschwiegen haben, dass sie davon berichtet haben und
dass auf diese Weise die erste Kunde von dem
neugeborenen König in den Orient gedrungen ist.
Welche Lehre ist das für
so viele Seelen, die in Ruhe und Schweigen vor Gott
verweilen möchten, die Gott aber zu apostolischer Arbeit
ruft? Die Ehre und die Sache des Herrn muss vor den
Neigungen zurücktreten: Nicht wie ich will, sondern wie
du willst. Der Mensch, jeder Mensch ist versucht, sich
die leichte, bequeme Tätigkeit herauszusuchen und die
schwere, anstrengende, ungesehene Arbeit zu fliehen.
Aber gerade das verwehrt uns das Beispiel der Weisen.
Keine Flucht in eine Nische, kein Aufsuchen einer
Idylle. Wenn es auf unsere Wahl ankommt, sollen wir die
beschwerliche Arbeit, die Gottes Ehre mehr fördert, der
leichten vorziehen. Das heißt missionarisch sein und
sich nicht im Kreise frommer Seelen erquicken. Erobern
und nicht sich von den guten Schäflein verwöhnen lassen.
So viele unter uns lieben den Frieden mehr als das
Kreuz. So viele suchen sich einen ruhigen Platz statt
die Walstatt des Kampfes. Diese Haltung entspricht nicht
dem Willen des Herrn. Er will, dass wir um seinetwillen
harte Arbeit leisten und den Kampf nicht scheuen. Hier
auf Erden ist weder der Ort noch die Zeit der Ruhe und
des Genießens. Hier müssen wir wirken aus Liebe zu Gott.
Er bereitet jenen, die für ihn gewirkt haben, einen
unendlichen Lohn im Himmel.
Herodes wartete
vergeblich auf die Rückkehr der Weisen. Sie waren längst
wieder nach Osten unterwegs. So vereitelte Gott das
Vorhaben der Bösen durch die Einfalt der Gerechten. Auch
wir kommen niemals in das himmlische Vaterland zurück,
wenn wir nicht einen anderen Weg einschlagen als den,
auf dem wir es verlassen haben. Auf welchem Wege haben
wir uns vom Himmel entfernt? Nun, auf dem Wege der
falschen Freuden, auf dem Wege der ungeordneten Genüsse,
die wir durch schlechten Gebrauch der Geschöpfe und
unserer Freiheit uns geleistet haben. Wir müssen gerade
den entgegengesetzten Weg einschlagen und uns zur
Bekehrung und Selbstverleugnung gewöhnen. Bekehrung, das
heißt Umkehr in religiöser und sittlicher Hinsicht,
nicht immer vom schlimmsten Sündenzustand, aber von
einem geringeren Zustand zu einem höheren. Wir alle
haben die Bekehrung nötig. Ich habe einmal gelesen: „Das
Geheimnis aller großen Prediger ist das Erlebnis ihrer
immerwährenden eigenen Bekehrung.“ Das Geheimnis aller
großen Prediger ist das Erlebnis ihrer immerwährenden
eigenen Bekehrung. Bekehrung und Selbstverleugnung.
Selbstverleugnung ist die Haltung, die dem natürlichen
Streben entgegengesetzt ist. Der Herr hat sie verlangt:
„Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst.“
Selbstverleugnung bedeutet also Neinsagen zu eigenen
Wünschen, zu eigenen Plänen, zu eigenen Neigungen.
Selbstverleugnung besagt Entwöhnung vom Angenehmen,
Übung des Harten. Selbstverleugnung verlangt
Enttäuschungen, Geringschätzung, Mißachtung, die uns
treffen, dankbar aus der Hand Gottes entgegennehmen.
Der täuscht sich, der
noch an Vergnügungen, an eigenen Ehren und am eigenen
Willen hängt. Das ist der Weg, auf dem wir zugrunde
gehen. Das ist der Weg, der uns in den Irrtum führt. Das
ist der breite Weg, der ins Verderben lenkt. Nein, unser
Streben nach Bequemlichkeit, unsere Empfindlichkeit in
bezug auf unsere Ehre, das Sich-Aufbäumen gegen jede
Abhängigkeit, sind das nicht sichere Zeichen dafür, dass
wir den neuen Weg noch nicht betreten haben? Erkennen
wir unsere Verirrung! Bitten wir den Herrn: „Gib mir, o
Gott, die Gnade, die gefährlichen Wege zu verlassen, die
ich bisher gewandelt bin. Laß mich den geraden Weg
betreten, der zum Himmel führt. Laß mich Bekehrung und
Abtötung üben. Laß mich ein rechter Jünger der Weisen
sein, die zum Jesuskind gekommen sind.“
Amen.
Geliebte im Herrn!
In Freiburg im Breisgau
ist ein zehnbändiges Lexikon erschienen, das „Lexikon
für Theologie und Kirche“. Dieses Lexikon will den
gesamten Wissensstoff, der die Theologie und benachbarte
Gebiete berührt, darbieten, zuverlässig darbieten. Das
Werk ist von der Deutschen Bischofskonferenz mit hohen
Summen bezuschußt worden. Der Hauptherausgeber ist
Walter Kasper, früherer Rottenburger Bischof und jetzt
Kardinal. Das Lexikon ist, wie der Name sagt, für
Theologie und Kirche bestimmt, also für die Wissenschaft
und für das Leben. Wer dieses Lexikon in die Hand nimmt,
der erwartet, darin sorgfältig und wissenschaftlich
einwandfrei über Glaube und Lehre der Kirche
unterrichtet zu werden. In der jüngsten Auflage nun vom
Jahre 1995 schreibt der Verfasser des Artikels „Drei
Könige“: „Die Historizität der Magiergeschichte wird
heute kaum noch behauptet.“ Ich wiederhole: „Die
Historizität (also die Geschichtlichkeit) der
Magiergeschichte wird heute kaum noch behauptet.“ Das
heißt nicht mehr und nicht weniger als: die Kirche und
die Gläubigen haben 2000 Jahre lang eine Legende, eine
fromme Erfindung für Geschichte gehalten. Jetzt endlich,
im Jahre 1995, ist das Licht aufgegangen und, so wird
formuliert: Die Historizität der Magiergeschichte wird
heute kaum noch behauptet.
Wir sehen, der Unglaube
hat Weihnachten erreicht. Aufschlußreich ist die
Feststellung des Verfassers, die Geschichtlichkeit des
Berichts von den Weisen werde „heute“ kaum noch
behauptet. Was heißt „heute“? Das heißt, früher wurde
die Geschichtlichkeit sehr wohl behauptet, aber heute
ist es anders. Wenn wir in der 1. Auflage dieses
Lexikons nachschauen aus dem Jahre 1931, so lesen wir
dort, dass überhaupt kein Zweifel besteht an dem
Erscheinen der Magier und dass alle Ableitungen, etwa
aus dem hellenistischen Mitraskult, fehl am Platze sind.
In der 2. Auflage von 1959 heißt es: „Die Kirche hat
immer an der Geschichte von den Magiern als einem
historischen Ereignis festgehalten.“ Heute, sagt der
Verfasser des erwähnten Artikels, ist es anders. Ich
frage: Seit wann ist für unser Verständnis der Heiligen
Schrift und somit für unseren Glauben maßgebend, was
heute behauptet wird? Wir gläubigen Christen sind nicht
von heute, wir sind 2000 Jahr alt. Was heute behauptet
wird, das kann morgen verworfen werden. Der Wind der
Meinungen dreht sich schnell. Wir halten uns an das, was
immer bleibt, und das ist die Wahrheit. Die Wahrheit
veraltet nicht.
Ich frage weiter: Was
besagt es, dass die Geschichtlichkeit heute „kaum noch“
behauptet wird? Kaum, das heißt, es gibt doch noch
welche, die die Geschichtlichkeit behaupten. Und seit
wann entscheiden über Geschichtlichkeit und
Ungeschichtlichkeit Behauptungen von Theologen? Wir
nehmen unseren Glauben doch nicht von Theologen
entgegen, sondern vom Heiligen Geist durch die
Vermittlung der Kirche. Das ist die Glaubensquelle.
Der Abfall zum Unglauben
ist zwar erschütternd groß in unserer Zeit, aber er hat
keineswegs alle berufenen Verkünder des Glaubens erfaßt.
Und Gott sei es gedankt, auch im Bereich des
Protestantismus gibt es gläubige Theologen. Ich ziehe
die „Theologische Realenzyklopädie“ heran, ein
gewaltiges Werk der evangelischen Wissenschaft. In
diesem Lexikon „Theologische Realenzyklopädie“ vom Jahre
1982 schreibt der Verfasser des Artikels „Drei Könige“:
„Nichts hindert daran, in dem Bericht ein historisches
Ereignis zu erkennen.“ Ich wiederhole: „Nichts hindert
daran, in dem Bericht ein historisches Ereignis zu
erkennen.“ Wir freuen uns über diese Feststellung, denn
sie entspricht unserer wissenschaftlichen Überzeugung
und unserem Glauben.
Wenn die Weisen nicht
nach Bethlehem gekommen sind, gibt es natürlich auch
keinen Stern, der ihnen den Weg gewiesen hat. Dann sind
alle Überlegungen darüber, was für ein Stern es gewesen
sein könne, müßig. Aber siehe da, die
Naturwissenschaftler früherer Zeiten und unserer Zeit
sind anderer Meinung als die ungläubigen Theologen. Sie
halten nach wie vor daran fest, dass ein Stern den
Weisen den Weg nach Bethlehem gewiesen hat. Das hat
schon Johannes Kepler im 16. Jahrhundert getan, der
große Astronom und Physiker, und das tun heutige
Astronomen und Astrophysiker. Sie sind von dem Geschwätz
irrlichternder Theologen unbeeindruckt. Sie sind
überzeugt, dass Matthäus Geschichte berichtet, wenn er
erzählt, dass ein Stern die Männer aus dem Orient zu
Christus führte.
Nun hat man freilich
Überlegungen angestellt, was für ein Stern es gewesen
sein könne. Es kommen drei verschiedene Möglichkeiten in
Frage. Es könne ein Komet gewesen sein. Ein Komet ist
ein Himmelskörper, der in der Sonnennähe große Mengen
flüchtiger Gase und auch feste Teilchen freisetzt. Es
könne, so sagt man, auch eine Nova gewesen sein. Eine
Nova ist ein alter Stern – der Name ist eigentlich nicht
richtig. Eine Nova ist ein alter Stern, der aber
plötzlich einen gewaltigen Lichtesausbruch zeitigt,
tausend- bis millionenfach mehr Licht wird auf einmal
von diesem Stern ausgestrahlt. Das wäre eine Nova. Die
wahrscheinlichste Lösung liegt darin, dass sich der
Königsstern Jupiter und der Judenstern Saturn im
Sternbild der Fische getroffen haben. Ein Treffen von
Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische scheint die
wahrscheinlichste Lösung zu sein für den Stern von
Bethlehem. Warum? Jupiter galt als der Königsstern, also
als der hervorragendste unter den Sternen. Saturn galt
als der Judenstern. Noch heute gebrauchen ja die
Engländer für den Samstag den Ausdruck „saturday“, d.i.
Saturnstag. Beide Planeten kreisen um die Sonne. Der
Jupiter in 12 Jahren, der Saturn in 30 Jahren. Und dabei
überholen sie sich und stehen manchmal in einer Linie,
und das nennt man Konjunktion, Verbindung. Kepler hat
als erster auf diese Konjunktion aufmerksam gemacht. Er
sagte: Die große Konjunktion hat sich im Jahr 7 v. Chr.
ereignet, und er meinte, dass diese Konjunktion etwas
mit dem Stern der Weisen zu tun habe. Aber jetzt wird
man freilich fragen: Wie stimmt denn das mit dem Jahr 7?
7 v. Chr. soll Christus geboren sein? Ja, warum nicht?
Unsere Zeitrechnung ist nämlich falsch angesetzt. Sie
stammt von dem Mönch Dionysius Exiguus, und dieser Mönch
hat im Jahre 525 willkürlich das Jahr 1 mit der Geburt
Christi angesetzt. Es bestehen also gar keine Bedenken,
die Geburt Jesu in das Jahr 7 (oder auch 6) zu verlegen.
Man hat Forschungen
angestellt nach den Bewegungen der Planeten und ist
dabei auf Keilschrifttafeln in Sippar gestoßen. Sippar
liegt im heutigen Irak. In diesen Keilschrifttafeln von
Sippar am Euphrat, wo eine Ausbildungsstätte für
Astronomen sich befand, in diesen Keilschrifttafeln ist
die große Konjunktion vom Jahre 7 v. Chr. verzeichnet.
Die Weisen aus dem Morgenlande, die nach unserer Annahme
sternkundig waren, wußten darum, dass sich Jupiter und
Saturn im Sternbild der Fische begegnen. Und dreimal,
dreimal dicht aneinander vorübergingen. Sie hatten neben
ihrem astronomischen Wissen auch astrologische
Tendenzen. Sie haben also aus den Sternbewegungen
Geschicke auf Erden abgeleitet. Das Sternbild der Fische
stand für sie für Wasser, für Länder am Wasser, also
Syrien und Palästina. Jupiter deutete auf den König, auf
den Weltherrscher, und Saturn auf die Juden. So haben
sie also angenommen, dass ein König der Juden erscheinen
werde, und das war der Anlaß für die Weisen aus dem
Morgenlande, aufzubrechen, um dem Stern zu folgen. Sie
hatten erfahren, dass die Juden auf einen Messias hoffen
und von ihm Befreiung von dem doppelten Joch erwarten,
das ihnen durch Herodes und die römischen Besatzer
auferlegt war. Es schien, als ob mit dem dreimaligen
Zusammentreffen der beiden Planeten die Geburt eines
neuen Königs angezeigt werde.
Tatsächlich gibt es drei
solche Konjunktionen von Jupiter und Saturn. Die erste
Ende Mai des Jahres 7, die zweite im Juli des Jahres 7
und die dritte im November des Jahres 7. Man nimmt an,
dass sie bei der zweiten Konjunktion im Juli
aufgebrochen sind, sich auf den Weg gemacht haben, um zu
prüfen, ob ihre Deutung der Himmelserscheinung sich
bewahrheitete. Es ist besonders bedeutsam und
bemerkenswert, dass Jupiter und Saturn vom 12. bis 14.
November stillstanden, weniger als eine Vollmondbreite
von einander entfernt waren. Und wer in diesen Tagen in
der Abenddämmerung von Jerusalem nach Bethlehem ging,
dem wiesen die zwei Planeten am Südhimmel den Weg. Ja,
kurz vor dem Ziel standen sie direkt über dem Ort still,
glänzten sie direkt über dem Ort. Es scheint also, dass
diese astronomischen Beobachtungen und Berechnungen den
Bericht des Matthäus vollgültig bestätigen.
Es ist also nichts mit
der Unwissenschaftlichkeit, die zugleich Unglaube ist,
die uns der Verfasser des Artikels „Drei Könige“ in dem
berühmten „Lexikon für Theologie und Kirche“ vorsetzen
will. Wir sind überzeugt: Der Stern von Bethlehem hat
wirklich geleuchtet. Die Weisen aus dem Morgenlande sind
ihm wirklich gefolgt. Sie haben wirklich Jesus und seine
Mutter gefunden; sie sind auf die Knie gefallen und
haben das Krippenkind angebetet. Wir können nur hoffen
und bitten, dass die Gnade des Jungfrauensohnes auch den
Verfasser dieses Artikels im „Lexikon für Theologie und
Kirche“ erreiche und sein Herz anrühre, damit auch er
komme, niederfalle und anbete.
Amen.
Geliebte im Herrn!
„Wer die Jugend hat, der
hat die Zukunft.“ So sagt ein Wort, das seit jeher einen
großen Wahrheitsgehalt für sich gehabt hat. Wer die
Jugend hat, der hat die Zukunft. Wer hat die Jugend? Sie
kennen alle in Ihrem Umkreis Jugendliche und wissen, wie
es in ihnen und um sie aussieht. Die Gefahren der Jugend
sind ungeheuer, und viele, zu viele Jugendliche gleiten
ab, erliegen den Gefahren und gehen Gott und seiner
Kirche verloren. Ein Kommunist hat einmal höhnend
gerufen: „Die alten Leute überlassen wir euch; die
Jugend ist unser. Mit uns zieht die neue Zeit!“ Und ein
Mann namens Joseph Goebbels, Propagandaminister des
Dritten Reiches, hat das Wort geprägt: „Früher sagte
man: Wer die Jugend hat, der hat die Zukunft. Wir drehen
das Wort um und sagen: Wer die Zukunft hat, der hat die
Jugend!“
Wer, meine lieben
Freunde, wird die Jugend haben? Welcher Anteil wird
unserer Kirche daran beschert sein? Wir wissen, die
Kirche ist die von Gott berufene Erzieherin der Jugend.
Sie hat ein Erziehungsrecht, sie hat eine
Erziehungsaufgabe, sie hat ein Erziehungsziel, und sie
hat die Erziehungsmittel. Die Kirche hat ein
Erziehungsrecht. Der Herr selbst hat es ihr gegeben, als
er sprach: „Gehet hin, zieht zu allen Völkern, lehret
sie und macht sie zu meinen Jüngern.“ Das ist die
Erziehungsurkunde, die Gott selbst der Kirche
ausgestellt hat. Und er hat ihr verheißen: „Ich bin bei
euch alle Zeit bis ans Ende der Welt.“ Mit dieser
Urkunde hat Christus die übernatürliche Mutterschaft der
Kirche begründet. Denn wer die Taufe spendet und dadurch
aus Geschöpfen Gotteskinder macht, und wer die Lehre
Christi vermittelt an Menschen, die vorher an andere
Götter geglaubt haben, der ist wahrhaftig mit einer
geistlichen Mutterschaft ausgestattet. Die Kirche hat
ein Erziehungsrecht, weil sie die geistliche Mutter der
Kinder, der Menschen ist.
Die Kirche hat ein
Erziehungsziel. Man muss wissen, wohin man die Menschen
führen will. Es muss eine Richtung angegeben werden. Und
das Erziehungsziel der Kirche liegt fest. Es ist das
erlöste Gotteskind. Aus Adam sind wir, aus Christus zu
sein ist unsere heilige Berufung. Die Kirche will die
Menschen dazu führen, dass sie ihr Knie vor Christus
beugen, dass sie dem Gekreuzigten ähnlich werden, dass
sie Christus in sich ausbilden. Vor einiger Zeit kam
einmal ein junger Mann in ein Kartäuserkloster. Die
Kartäuser sind bekanntlich der strengste Orden der
katholischen Kirche. Der Prior fragte ihn: „Was suchen
Sie hier? Was wollen Sie werden?“ Der junge Mann
antwortete: „Ich möchte Christus nachfolgen und ein
guter Kartäuser werden.“ Der Prior entgegnete: „Sie
sollen Christus werden! Sie sollen ein zweiter Christus
werden. Sie sollen so werden, wie Christus war.“ Das ist
eigentlich nicht nur Aufgabe eines guten Kartäusers; es
ist die Sendung einer jeden Christen. Er soll ein
Christus werden. Das ist das Erziehungsziel der Kirche.
Die Kirche besitzt aber
auch die Erziehungsmittel. Das erste und oberste
Erziehungsmittel der Kirche ist die Gnade. Gnade ist
jede geistliche Gabe, die Gott uns zu unserem
übernatürlichen Ziele verleiht: die heiligmachende Gnade
und die helfende Gnade. Der Mensch ist schwach, aber in
der Gnade wird er stark. „Alles“ – alles! – sagt der
Apostel, „alles vermag ich in dem der mich stärkt.“ Man
kann nur staunen, wenn Menschen sagen und klagen: Ich
schaffe es nicht, ich kann die Gebote nicht halten. Sie
sind zu schwer für mich. Du kannst, wenn du willst! Du
kannst, weil du mußt! Und die Gnade ist bei dir. Alles
kann ich in dem, der mich stärkt.
Die Gnade Gottes wird von
uns aufgenommen, und sie vermag uns zu Helden zu machen.
Es ist tatsächlich richtig, wenn Friedrich Nietzsche uns
zuruft: „Wirf den Helden in deiner Seele nicht weg!“
Heldenverehrung ist uns aufgegeben. Wir sollen keine
Kaninchenseelen sein, sondern großherzige, weitherzige
Menschen, die nach hohen Zielen streben, die sich nicht
mit Billigem zufrieden geben, keine Schleimer, keine
Angeber, sondern Menschen, die nach dem heldischen Ideal
streben, das Christus ihnen vorgelebt hat. Dieses Ziel
müssen wir im Auge behalten. Wirf den Helden in deiner
Seele nicht weg! Unser Ziel muss sein die Ehre Gottes
und das Heil der Menschen. Das ist das höchste Ziel, das
einem Menschen gesetzt werden kann.
Die Kirche ist Erzieherin
mit ihrer Lehre. Meine lieben Freunde, auf die letzten
Fragen, die dem Menschen gestellt sind, weiß die Kirche
eine Antwort. Mit ihrer Lehre gibt sie eine
abschließende, eine befriedigende, eine den Menschen
wahrhaft erfüllende Antwort. In ihrer Lehre von Gott,
dass Gott existiert, dass er der allmächtige Schöpfer,
dass er der barmherzige Vater ist, dass er rettet und
richtet, dass unser Leben in seiner Hand ruht, dass wir
geschaffen sind, ihm zu dienen und ihn zu lieben, dass
wir ihn aber auch fürchten wegen seiner Heiligkeit und
wegen seiner Gerechtigkeit. Das alles vermittelt uns die
Kirche. Sie belehrt uns über den Menschen, dass er nicht
eine sinnlose Leidenschaft ist, dass er nach dem Bilde
Gottes geschaffen ist, dass er unsterblich ist, dass
Gott ihm die Welt anvertraut hat zu treuen Händen, dass
er einst Rechenschaft legen muss von seiner Verwaltung,
das lehrt uns die Kirche. Sie lehrt uns auch, wie wir
sittlich handeln sollen, dass unser Handeln nur gut ist,
wenn es drei Bedingungen gehorcht, wenn es drei
Kriterien erfüllt. Die Handlung selbst muss erstens
sittlich einwandfrei sein, es müssen zweitens ihre
Umstände sittlich einwandfrei sein, und es muss drittens
der Zweck sittlich einwandfrei sein. Handlung, Umstände,
Zweck . „Bonum ex integra causa, malum ex quolibet
defectu.“ So haben wir in unserem Studium gelernt. Das
Gute ist nur dann vorhanden, wenn alle drei Elemente
zusammenkommen. Wenn nur eines fehlt, ist die Handlung
nicht mehr gut. Um ein Beispiel zu bilden: Wer einen
Todkranken zu Hause hat, der in jedem Augenblick betreut
werden muss, der muss eben von seinen Angehörigen
verlangen, dass sie bei ihm bleiben. Und wenn sie
darüber die Messe versäumen, dann ist das keine Sünde.
Die Umstände gebieten eben in einem solchen Falle, dass
man bei dem Sterbenden bleibt. Bonum ex integra causa,
malum ex quolibet defectu. Die Kirche lehrt uns auch,
dass es in sich schlechte Handlungen gibt, die durch
keinen noch so guten Zweck geheiligt werden. Gott
verspotten ist immer schlecht, auch wenn man dadurch
sein Leben retten kann. Es gibt in sich schlechte
Handlungen, die durch keinen noch so guten Zweck
geheiligt werden.
Die Kirche ist Erzieherin
in ihrem Gottesdienst. Mancher von uns denkt mit Freude
an Gottesdienste in seiner Jugend zurück, an feierliche,
an erhebende Gottesdienste, an ergreifende Prozessionen.
Mir sagte einmal eine alte Dame: „Ich freue mich immer
schon auf das Fronleichnamsfest, auf die schöne
Prozession, die in meiner Jugend einen unauslöschlichen
Eindruck in mir hervorgerufen hat.“ Und der Sonntag,
meine lieben Freunde, dass die Kirche uns den Sonntag
schenkt, was ist das ein erzieherischer Gut, der
Sonntag, der geheiligt werden muss, der nicht nur von
Arbeit freizuhalten ist (von Erwerbsarbeit), sondern der
auch durch Gebet und Gottesdienst geheiligt werden muss.
Das ist es, was Sie Ihren Kindern von Jugend auf
einerziehen müssen, dass sie den Sonntag heiligen. Der
Sonntagsgottesdienst muss dem jungen Menschen zu einer
lieben und selbstverständlichen Gewohnheit werden, ohne
Ausnahme, ohne Auswahl. Jede Nichterfüllung des
Sonntagsgebotes schwächt die Kraft, das Gebot am
nächsten Sonntag zu erfüllen. Die Gründe für das
Fernbleiben vom Gottesdienst werden immer schwächer. Der
katholische Christ geht religiöse zugrunde, wenn er den
Sonntagsgottesdienst ausfallen läßt. Der Mensch
verkommt, wenn er keine Feierkleider mehr anzieht.
Die Kirche erzieht durch
die heilige Beicht. O meine Freunde, welches wichtige,
welches unersetzliche Erziehungsmittel ist die gute
Beicht! Welch ein Glück ist es, beichten zu dürfen, denn
Beicht macht leicht. Dass das Kind sich seiner Fehler
bewußt wird, dass es sie bereuen lernt, dass es sie
ausspricht, das ist ein ganz elementares
Erziehungsmittel. Der erfahrene Jugendseelsorger weiß,
was durch die Beichte an Werten geschaffen und an Unheil
verhindert worden ist. Gutes wecken, Anlagen fördern,
das ist die Kraft und die Wirkung der heiligen Beicht.
Wieviel Mut wird Jugendlichen gemacht, wenn sie in der
Beichte das wunderbare Wort hören: „Deine Sünden sind
dir vergeben.“ Welche Not wird ihnen abgenommen. O meine
lieben Freunde, ich halte es für eines der
verderblichsten Ergebnisse der nachkonziliaren
Entwicklung, dass die Beicht zum verlorenen Sakrament
geworden ist. Ich habe andere Erfahrungen. Ich habe als
Seelsorger eine große Schar von Jugendlichen gehabt, von
Jungen und Mädchen, die alle vier Wochen treu, redlich,
vollständig und aufrichtig ihre Sünden gebeichtet haben.
Ich habe es erlebt. Das ist tröstlich. Aber natürlich
Beichte als sakramentales Geschehen, nicht Bußandacht.
Die Bußandacht ist der Abtreiber des Bußsakramentes.
Persönliches Bekenntnis, nicht allgemeine Geständnisse;
Einzelabsolution, nicht Kollektivabsolution. Wer sich
nicht regelmäßig von der Schuld befreien läßt, meine
lieben Freunde, verhärtet im Gewissen. Die Beichte
schafft zu ihrem Teil den katholischen Menschen,
demütig, ehrfürchtig, einsichtig, schuldbewußt.
Und was soll ich sagen
über die heilige Kommunion als Erziehungsmittel? Hier
tritt der göttliche Erzieher selber an, um den Menschen
zu erziehen. In der frühen und häufigen und würdigen
heiligen Kommunion nimmt er die Erziehungsaufgabe in
seine Hände. Wir wissen von Tarcisius, der als
Christusträger in den Tod gegangen ist in der Kraft des
heiligen Sakramentes. Die heilige Kommunion ist ein
unüberbietbares Heilmittel – richtig angewendet! Das
heißt: mit gehöriger Disposition, mit Vorbereitung, mit
Selbstprüfung, mit vorhergehender Beicht, mit
ehrfürchtigem Empfang. Mir graut, wenn ich sehe, daß die
heilige Kommunion ausgeteilt wird, wie man im Kino die
Kinokarten austeilt. In der heiligen Kommunion wächst
die lebendige persönliche Beziehung zu Christus. Da wird
Zweisprache gehalten mit dem Herrn, der in unser Herz
kommt. Da wachsen wahrhaftig Christus und Christ
zusammen.
Die Kirche hat ein
Erziehungsrecht, sie hat ein Erziehungsziel, sie hat
eine Erziehungsaufgabe und die Erziehungsmittel. Aber
sie ist nicht die einzige Erzieherin. Neben sie treten
zwei andere, nämlich die Familie und der Staat. Die
Familie ist nach Gottes Willen ein unersetzlicher
Erzieher. Diejenigen, die dem Kind das Leben schenken,
sind auch berufen, berechtigt und befugt, dem Kinde die
Erziehung zu vermitteln. Es gibt ein natürliches
Erziehungsrecht der Eltern und der Familie. Und wenn die
Eltern und die Familie auf dem Stande sind, den Gott von
ihnen haben will, dann sind die die wichtigste
Erzieherin neben der Kirche. Freilich, wir müssen
Familien haben, die dieser Aufgabe gewachsen sind. Wir
wissen alle, dass die Familie in die Krise geraten ist.
Verbindungen ohne Dauer. Der Fußballspieler Lothar
Matthäus, so spottete eine Zeitung, „der Lothar Matthäus
hat seinen vierten Bund für das Leben geschlossen.“ Den
vierten Bund für das Leben! Und wie sieht es mit dem
Herrn Sarkozy aus? Solche Patchwork-Familien, wie man
heute sagt, sind kaum berufen, die Erziehungsarbeit zu
leisten, die man Familien zumuten muss. Wir haben so
viele Familien, wo die Kinder abgeschoben werden. Die
Eltern haben keine Zeit für sie; sie müssen Geld
verdienen. Wir haben so viele Familien, wo deswegen
nicht erzogen wird, weil die Eltern selber nicht erzogen
sind. Wie soll man andere erziehen, wenn man selbst
nicht erzogen ist? Viele wissen auch nicht, wie man
Kinder erziehen soll. Dressur ist keine Erziehung.
Dressur ist für Tiere angemessen, aber nicht für
Menschen. Erziehung ist nur dann vorhanden, wenn in den
Zöglingen heilsame Gewohnheiten und Überzeugungen
gebildet werden, Überzeugungen, also fest verwurzelte
Lebensanschauungen, die niemals erlöschen. In den Seelen
der Kinder muss die Gewißheit und die Berechtigung der
Religion und der Gebote Wurzeln schlagen. Die Kinder
müssen die Einsicht gewinnen, die Einsicht, dass Gebet
und Gottesdienst unerläßlich sind. Sie müssen geführt
werden, dass sie die Gebote als Schutz und als Fürsorge
Gottes begreifen. Grundsätze müssen die Kinder
vermittelt erhalten. Kein Tag ohne Gebet, kein Sonntag
ohne Messe, kein Fest ohne sakramentale Beicht. Und den
Willen muss man in ihnen üben, den Willen. Denn der
Wille entscheidet über unser Schicksal. Ein fester Wille
tut überall Wunder. Wir müssen also den Willen bilden,
den Willen stählen, den Willen üben, indem man Ziele
setzt und nicht nachläßt, bis sie erreicht sind. Ziele
müssen erreichbar sein, aber erreichbare Ziele muss man
auch erreichen. Man muss sich Überwindungen vornehmen
und darf nicht aufhören, bis es geschafft ist. Die
Eltern müssen den Kinder Eigenschaften vorleben, die sie
an ihnen sehen möchten. Sie müssen die Tugenden
erziehen, die sie den Kindern anerziehen möchten. Sie
müssen vorleben, nicht bloß vorsagen.
Ich habe vor mir, meine
lieben Freunde, eine Todesanzeige um einen Vater. In
dieser Todesanzeige heißt es: „Wir trauern um den
Menschen, der uns warmherzig umsorgt hat, der uns Werte
vermittelt und sie gelebt hat, der uns immer ein Vorbild
war.“
Zur Familie tritt
ergänzend der Staat hinzu. Er soll das Gemeinwohl
fördern, und dazu gehört eben auch, dass er die Familie
schützt, dass er Maßnahmen ergreift, um die Familien in
den Stand zu setzen, die Erziehungsarbeit zu leisten.
Dass er auch die Familie überwacht, denn wie wir wissen,
ist der Mißbrauch und das Unrecht an Kindern weit
verbreitet. Die Kinder müssen nach menschenwürdigen
Grundsätzen erzogen werden. Im Notfall muss der Staat
einer Familie die Kinder entziehen. Er muss über die
öffentliche Sittlichkeit wachen, im Fernsehen, im
Internet. Meine lieben Freunde, das ist unsere westliche
Welt: In England, Schottland und Wales fahren 600
Omnibusse durch die Straßen, und auf ihnen sind Schilder
angebracht: „Wahrscheinlich gibt es keinen Gott. Mach
dir keine Sorgen mehr, genieße das Leben.“ 600 Omnibusse
mit dieser Aufschrift! Und in Spanien macht man es nach.
In Barcelona fahren sie herum, in Madrid fahren sie
herum, und bald werden sie in Genua herumfahren. Das ist
unsere westliche Welt. Mit der wollen wir den Osten und
den Islam überzeugen. Da kann man nur lachen!
Der Staat ist auch
verantwortlich für die Schule. Die Schule ist notwendig,
denn Bildung ist unentbehrlich. Bildung ist die
Fähigkeit, Wesentliches vom Unwesentlichen zu
unterscheiden. Nicht die Bildung ist dem Glauben feind,
sondern die Halbbildung. Nicht das Wissen ist eine
Gefahr, sondern das ungenügende Wissen. Nichts sitzt so
tief wie die Oberflächlichkeit. In diesen Tagen haben 68
Schulleiter in Berlin-Mitte einen Brief an den
Bürgermeister geschrieben, an den Herrn Wowereit, über
die unhaltbaren Zustände in ihren Schulen. Kriminalität,
Angriffe auf Lehrer, Schmierereien, das ist die
Wirklichkeit der Schulen in Berlin-Mitte. Der Staat hat
sich bei der Erziehung einer Sache besonders angenommen,
nämlich der Sexualerziehung. Es ist nicht falsch, Kinder
über das Geheimnis der Geschlechtlichkeit aufzuklären,
Kindern zu vermitteln, was es um Zeugung und was es um
Geschlechtslust ist. Aber es genügt nicht, ihnen
Praktiken für die Empfängnisverhütung beizubringen,
sondern sie müssen auch über die sittlichen Normen
unterrichtet werden, denen die Sexualität untersteht.
Bloße Kenntnisse über die Vermeidung der Empfängnis sind
keine geeignete Sexualerziehung. Die Sexualerziehung
muss zur Enthaltsamkeit führen, zur Beherrschung des
Triebes. Auch die Erholung, meine lieben Freunde, ist
eine Notwendigkeit. Die Freizeit muss sein, aber sie
muss der Menschenwürde entsprechen und mit der
Sittlichkeit übereinstimmen. Die Erholung darf nicht
Gelegenheit zum Abgleiten ins Böse bieten. Sie darf
nicht Gelegenheit für die Sünde bieten. Wer mit dem
Teufel scherzen will, der wird sich nicht lange freuen
können mit Christus. Mit der Schlange spielt man nicht
ohne Gefahr. Und ich halte nichts davon, die Parole
auszugeben, zu genießen. Die Genußsucht frißt alles, am
meisten das Glück. „Genießen macht gemein“, sagt einer,
der es verstehen mußte, nämlich Goethe. Genießen macht
gemein. Genießen ist ein gefährliches Wort. „Wir leben,
um uns auszubilden“, schreibt einmal der Dichter Theodor
Storm. Jede Freude, die gegen Gott streitet, verwandelt
sich in eine Plage.
Meine lieben Freunde,
die Zöglinge sind unser kostbarstes Gut. Was wir ihnen
vermitteln, das ist das Pfand, das wir in ihre Seelen
legen, mit dem wir einmal vor Gott treten sollen. Wir
sollen ihm sagen können: „Keinen von denen, die du mir
gegeben hast, habe ich verloren. Alle habe ich zu dir
geführt, mein Gott.“ Wir können nicht abwarten, bis
später das Leben für die Religion erzieht. Nein, die
Religion muss für das Leben erziehen. Meine lieben
Freunde, laßt den Kindern das Himmelreich der Religion!
Amen.
Geliebte im Herrn!
Alle Welt spricht von der
Finanzkrise, und sie wächst sich aus zu einer
Wirtschaftskrise. Die Wirtschaftskrise droht in eine
Rezession einzumünden, und es gibt Fachleute, die aus
der Rezession einen wirtschaftlichen Zusammenbruch
befürchten. In einem gewissen Sinne kann man sagen: Die
Wirtschaft ist unser Schicksal.
Die Krise ist von
Menschen gemacht. Sie haben entweder fahrlässig oder gar
vorsätzlich gehandelt. Wo Menschen handeln, gibt es
Handlungsanweisungen, gibt es Normen. Die Trägerin der
Normen muss auch auf diesem Gebiete die Kirche sein. Die
Kirche ist Normträgerin für alle Bereiche des
menschlichen Handelns. Keiner ist ausgenommen. Es gibt
ein Evangelium für die Wirtschaft. Es gibt eine
katholische Wirtschaftsethik. Es gibt eine katholische
Soziallehre.
Erster und oberster Punkt
dieser Lehre ist, dass die Menschen die irdischen Dinge
im Lichte der ewigen Werte betrachten müssen. „Was nützt
es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber
Schaden leidet an seiner Seele?“ Die Wesensaufgabe des
Menschen ist, auf Erden sein Heil zu wirken für die
Ewigkeit. Dieser Wesensaufgabe kommt er nur nach, wenn
er mit einer gewissen Gelassenheit die irdischen Dinge
betrachtet. Er muss über den Dingen stehen. Den Himmel
kann man gewinnen, ob man reich oder arm ist. Vielleicht
hat schon der heilige Joseph gedacht: Warum muss der
Gottessohn in einer Höhle zur Welt kommen? Warum muss er
jahrelang, jahrzehntelang schwere Handarbeit leisten?
Wäre es nicht viel rationeller, viel nützlicher, wenn er
frühzeitig seine Lehrtätigkeit und seine
Heilungstätigkeit aufnähme?
Die Kirche weiß, dass die
Güter der Erde für alle Menschen da sind. Jeder Mensch
soll das Lebensnotwendige haben. Darüber hinaus aber
darf ein jeder sich durch Fleiß und Sparsamkeit etwas an
Eigentum erwerben. Das Eigentum ist ein Grundrecht des
Menschen. Die Kirche hat das Privateigentum immer als
ein natürliches Recht der Menschen verteidigt. Wenn
nämlich das Privateigentum ungebührlich belastet oder
leichtfertig bedroht wird, dann liegt darin eine
Beeinträchtigung der Schaffensfreude, des
Unternehmungsgeistes und der Selbstverantwortung.
Eigentum muss sein. Aber es gilt auch das, was im
Artikel 14 unserer deutschen Verfassung steht: „Eigentum
verpflichtet.“ Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der
Allgemeinheit dienen. Das Privateigentum hat Schranken.
Das Gemeinwohl steht höher als das Wohl des Einzelnen.
Dieser muss bereit sein, mit Rücksicht auf das
Gemeinwohl die nötigen Opfer an Hab und Gut zu bringen.
Diese echt christlich-katholische Soziallehre hat in
Deutschland ihren Probierfall bestanden, als nach dem
Kriege Millionen Menschen in das Restdeutschland
strömten, die ihren Besitz, die ihr gesamtes Eigentum
verloren hatten. Der Lastenausgleich war eine Tat der
christlich-katholischen Soziallehre, dass diejenigen,
die ihren Besitz gerettet haben, denen mitteilen, die
ihren Besitz verloren haben. Die Kirche mahnt auch zu
ernstem Wirtschaftsstreben. Es heißt nicht nur: Bete, es
heißt auch: Arbeite! Wer das Gebet versäumt, begeht
einen Fehler, aber auch der, der die Arbeit versäumt.
Die Kirche will, dass der Mensch schafft, dass er
arbeitet und dass er die Arbeit zur Ehre Gottes
verrichtet. „Alles meinem Gott zu Ehren.“ Arbeit im
Dienste Gottes nach dem Maß der Anlagen ist ein
göttliches Gebot. Die Kirche lehrt auch das Ethos der
Arbeit. Man soll die Arbeit nicht nur als „verfluchte
Maloche“ ansehen, sondern soll sie als einen Dienst an
der Gestaltung der Schöpfung begreifen, man soll sie zur
höheren Ehre Gottes verrichten.
Noch ist diese Wahrheit
nicht überall durchgedrungen. Vor einiger Zeit hat man
eine Untersuchung vorgenommen, wie die Arbeitnehmer zur
Arbeit stehen. Da ergab es sich, dass 87 Prozent, dass
87 Prozent keine echte Verpflichtung gegenüber ihrer
Arbeit verspüren. 69 Prozent arbeiten lediglich nach
Vorschrift, und 18 Prozent haben die innere Kündigung
schon vollzogen. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis,
dass durch dieses Verhalten der Arbeitnehmer in
Deutschland jährlich ein Schaden von 245 Milliarden Euro
entsteht.
Besonders leidvoll sind
die Verhältnisse im öffentlichen Dienst. Auch darüber
liegen Untersuchungen vor, genaue Untersuchungen. Nach
diesen Untersuchungen sind die Vollzeitkräfte im
öffentlichen Dienst nur zu 53 Prozent ausgelastet und
die Teilzeitkräfte nur zu 47 Prozent. Diese Zahlen geben
zu denken. Sie zeigen, dass wenig Engagement in die
Arbeit und Drückebergerei weit verbreitet sind. Klar ist
das Ziel jeder Wirtschaftsordnung: Es muss das
Gesamtwohl sein. Die Wirtschaft muss dem Volke dienen.
Sie darf nicht einigen wenigen nützen. Die Wirtschaft
muss dem Volke zum Leben verhelfen. Nicht nur an den
eigenen Vorteil denken, nicht mit einem mörderischen
Mammonismus und Raubtierkapitalismus darf man leben,
sondern mit einer Haltung, die sich aus der christlichen
Soziallehre ergibt. Das Wort von der „sozialen
Marktwirtschaft“ ist ein gutes Wort. Es vereint nämlich
die Vorteile des Strebens (Marktwirtschaft) mit der
Rücksicht auf den Schwachen (soziale Marktwirtschaft).
Sie steht in der Mitte zwischen dem menschenverachtenden
Kapitalismus und dem mörderischen Sozialismus.
Der christliche
Sozialethiker weiß, dass die Träger des
Wirtschaftslebens immer nur die freien schaffenden
Persönlichkeiten sind: der Unternehmer. Das
Unternehmertum ist eine Auswirkung der freien
schaffenden Persönlichkeit. Der Unternehmer gründet und
leitet ein Unternehmen. Er unternimmt etwas, und dadurch
geschieht etwas. Das Unternehmertum ist der Motor der
wirtschaftlichen Entwicklung. Der dynamische Unternehmer
setzt Innovationen, Neuerungen am Markte durch. Diese
Neuerungen werden später nachgeahmt und schaffen für
eine ganze Millionenschar von Menschen Werte, werden
also in breiter Form verwertet. Ein solcher Unternehmer
ist – und Sie kennen ihn alle – Heinz Horst Deichmann,
der größte Schuheinzelhändler in Europa. Er fing nach
dem Kriege mit einem Geschäft in Essen an. Heute hat das
Unternehmen 2.200 Filialen, verkauft jährlich 112
Millionen Paar Schuhe, beschäftigt 25.000 Mitarbeiter
und hat einen Umsatz von 2,71 Milliarden Euro. Deichmann
ist ein Unternehmer, dem selbst Gewerkschaften nichts
Nachteiliges nachreden können. Er sagt von sich selbst:
„Wir haben eine gute und motivierte Mannschaft, die eine
überdurchschnittliche Pro-Kopf-Leistung erwirtschaftet.“
Und er sagt: „Wir möchten, dass es den Mitarbeitern gut
geht und sie sich im Unternehmen wohlfühlen.“ Er erklärt
weiter: „Für uns gilt der Satz: Das Unternehmen muss den
Menschen dienen. Das bezieht sich gleichermaßen auf die
drei Bereiche Kunden, Mitarbeiter und Menschen, die in
Not geraten sind. Wir geben das, was wir können.“ Das
ist ein vorbildlicher Unternehmer. Er ist auch ein
religiöser Mensch.
Die Frage des Lohnes, des
Gehaltes, der Bezahlung, steht unter bestimmten
Postulaten. Es soll die Wertschöpfung durch die Arbeit
vergolten werden. Deswegen fordert die Kirche den
„gerechten Lohn“. Wann ist ein Lohn gerecht? Nun,
zunächst einmal muss der Lohn der Arbeitsleistung
entsprechen. Für ein größeres Maß von Arbeit gebührt ein
höherer Lohn. Der Lohn soll auch einem genügsamen,
rechtschaffenen Menschen zum Unterhalt dienen. Es muss
ein Mindestmaß an Lohn bezahlt werden, damit das zum
Leben Erforderliche damit beschafft werden kann. Wir
haben jetzt diese Debatte um den Mindestlohn. Beide
Seiten bringen berechtigte Überlegungen in die Debatte
ein. Die einen sagen: Der Lohn muss dem Menschen und der
Arbeit würdig sein. Die anderen sagen: Der Lohn darf
einen Betrieb nicht überfordern, denn wenn der Betrieb
überfordert wird, geht er pleite, und dann verlieren wir
Arbeitsplätze. In diesem Spagat muss eine Lösung
gefunden werden, eine Lösung, die beiden Forderungen
entspricht. Die Kirche hat ein soziales Evangelium. Sie
hat die Lohnunterdrückung, den Lohnraub, die
Lohnvorenthaltung als „himmelschreiende Sünde“
bezeichnet, als himmelschreiende Sünde, das heißt als
eine Sünde von solcher Bosheit, dass sie zum Himmel um
Rache ruft. Es ist also eine Sünde, den Arbeiter, den
Arbeitnehmer auf seinen Lohn warten zu lassen, ihm den
Lohn unter allerhand Vorwänden zu schmälern. Ausbeutung
und Unterdrückung des Arbeitnehmers sind dadurch
ausgeschlossen. Im Mittelalter, meine lieben Freunde, im
geschmähten Mittelalter, gingen die Klagen um Lohn allen
anderen Klagen im Gerichte vor. Sie mußten innerhalb von
drei Tagen erledigt werden.
Es liegt im Interesse des
Arbeitgebers, dass die Arbeitnehmer gut und ausreichend
entlohnt werden, weil nur so auf Arbeitswilligkeit und
Fleiß der Arbeitnehmer zu rechnen ist. Besondere Gaben
und Fähigkeiten, die in den Arbeitsprozeß eingebracht
werden und die einen Vorsprung gegenüber vergleichbaren
Arbeitnehmern begründen, dürfen besonders entlohnt
werden. Schließlich ist auch die Frage der Ersetzbarkeit
oder der Unersetzlichkeit zu bedenken. Damit wird ja
heute das hohe Einkommen von Managern gerechtfertigt.
Aber es ist eine wohl gerechtfertigte Überzeugung, dass
die Schere zwischen hohen und niederen Einkommen zu groß
ist. Managergehälter in zweistelliger Millionenhöhe
bringen sozialen Unfrieden in unser Land. Solche
Gehälter sind aber, wie Sie wissen, an der Tagesordnung.
Herr Ackermann bezieht 14 Millionen, Herr Zetsche
bezieht 10 Millionen, Herr Reizle bezieht 8 Millionen im
Jahr.
Unter den gegebenen
Bedingungen ist es nicht zu vermeiden, dass Menschen
sich unterscheiden in der Anlage, in den Fähigkeiten,
aber auch natürlich im Fleiß. Und so gibt es im
Wirtschaftsleben solche, die führen, und andere, die
geführt werden, die mitschaffen. Das ist unaufhebbar.
Wie immer Sie die Wirtschaft gestalten wollen, der
Unterschied zwischen führenden Persönlichkeiten und
geführten läßt sich nicht ausschalten, und es wäre
ungerecht, wenn der Führung nicht der entsprechende Lohn
würde. Aber freilich, diese unvermeidlichen Gegensätze
sollten nicht in einen Klassenkampf ausarten. Der
Klassenkampf ist der Krieg der einen gegen die anderen.
Die Kirche hat immer dem Ständewesen das Wort geredet.
Das heißt, die in einem bestimmten Beruf, in einer
bestimmten Berufssparte arbeiten, sollen sich als
solidarisch spüren, sollen diese Berufssparte als ihr
Eigentum ansehen, für die sie sich mit besten Kräften
einsetzen ohne mörderische Gegensätze.
Ausdruck des
Klassenkampfes ist der Streik. Der Streik ist die
gemeinsame Arbeitsniederlegung als Kampfmaßnahme, um
eine Forderung durchzusetzen oder um sich gegen eine
Benachteiligung zu wehren. Der Streik ist ein schweres
Übel für die Streikenden selbst, für die bestreikten
Arbeitgeber und für die unbeteiligten Dritten. Deswegen
kann der Streik nur zulässig sein, wenn er als letztes
Mittel eingesetzt wird, um ein wertvolles Ziel zu
erreichen. Es müssen die üblen Folgen gegenüber dem
Ziel, das erstrebt wird, abgewogen werden. Und das ist,
so scheint es, nicht immer der Fall. Wir haben den
langen Streik der Lokomotivführer erlebt, die mit hohen
Lohnforderungen sich durchsetzen wollten und sich auch
durchgesetzt haben. Meine lieben Freunde, wer eine
Monopolstellung besitzt wie die Lokomotivführer und wer
diese Monopolstellung ohne Rücksichtnahme auf die
Öffentlichkeit ausnutzt, der handelt unrecht. Die Bahn
hat eine Monopolstellung und mit ihr die
Lokomotivführer. Ihr Streik schädigt nur sekundär den
Arbeitgeber, er schädigt die Allgemeinheit. Millionen-
wenn nicht Milliardenwerte sind durch diesen Streik
zugrunde gegangen. Das war nicht immer so. Bis 1993
waren die Lokomotivführer Beamte. Beamte dürfen nicht
streiken, und durch die Beamteneigenschaft wurde dieser
Streik 143 Jahre vermieden. Dann hat man meines
Erachtens übelberaten die Beamteneigenschaft
abgeschafft. Nicht die Lokführer haben die
Beamteneigenschaft aufgegeben, sondern der Staat wollte
es so. Und was ist die Folge davon? Nun erheben die
Lokführer eigene Forderungen, jetzt schon wieder 6,5
Prozent, nicht wahr, und suchen diese Forderung mit
Streikdrohung oder mit Streikführung durchzusetzen.
Der Staat kann die
Wirtschaft nicht sich selbst überlassen. Er muss dazu
beitragen, dass die Menschen zu sozialer Gesinnung
erzogen werden. Er soll dafür sorgen, dass die
Angehörigen des Volkes in die Lage versetzt werden, sich
das zum Leben Erforderliche ungestört zu erwerben. Der
Staat kann freilich die private Anstrengung und Bemühung
und Sorge nicht abnehmen. Die Selbstverantwortung, die
Eigeninitiative und die persönliche Freiheit sind dem
Menschen aufgegeben. Der Staat muss aber dort
eingreifen, wo die Kräfte des Einzelnen versagen und wo
es das Gemeinwohl fordert. Der Staat muss den
wirtschaftlich Schwachen stützen. Er muss ihn vor
Schaden bewahren, z.B. ungemessene Arbeitszeit
verbieten, übertriebene Inanspruchnahme der Arbeitskraft
untersagen, die Sonntagsarbeit einschränken, die Arbeit
in gesundheitsschädlichen Räumen zumindest in Grenzen
halten, die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen
überwachen. Der Staat muss auch den wirtschaftlich
Schwachen sicher stellen gegen Krankheit, Unfall,
Arbeitsunfähigkeit. Seit 1883 sind in Deutschland
vorbildliche Sozialgesetze geschaffen worden. Sie
verbinden sich mit dem Namen Bismarck, aber Bismarck war
ja nur der Kanzler der damaligen Zeit. Ausgearbeitet
wurden die Gesetze von Parlamentariern, und darunter
spielten die katholischen Parlamentarier der
Zentrumspartei eine maßgebende Rolle.
Im Jahre 1941, meine
lieben Freunde, nahmen wir in der Schule die
Sozialgesetzgebung durch. Ich meldete mich und sagte:
„Daran hat der katholische Abgeordnete Graf von Galen
einen führenden Anteil.“ Da wurde der Lehrer wild: „Hier
betreiben wir deutsche Geschichte und keine
konfessionelle“, sagte er. „Wenn dir das nicht paßt,
mußt du dir eine andere Schule suchen.“ Es stimmte aber,
was ich sagte. Graf von Galen war der führende
Parlamentarier, der die Sozialgesetzgebung durchgesetzt
hat. Und in der Weimarer Republik war es ebenso. Acht
Jahre lang, von 1920 bis 1928, war ein katholischer
Priester Sozialminister, Heinrich Brauns. Ihm ist die
Sozialgesetzgebung der Weimarer Republik zu verdanken.
Es gibt eine
Wirtschaftsmoral. Die Wirtschaft, das wirtschaftliche
Handeln stehen unter moralischen Gesetzen. Was sittlich
unzulässig ist, das muss auch wirtschaftlich verfehlt
sein. Auch hier wurde eine Umfrage unter den Managern
getätigt, und die kam zu interessanten Ergebnissen.
Jeder dritte Spitzenmanager vertritt die Haltung, nach
der Moral nicht teilbar ist. Wenn man sich auf
unmoralische Aktivität einläßt, korrumpiert man nicht
nur sich selbst, sondern auch das Unternehmen. Ich
zitiere einen Vorstand: „Sie können kein guter Kaufmann
sein, wenn Sie nicht moralisch sauber sind. Das geht
nicht, das kriegen Sie nicht hin. Sie machen kurzfristig
Geschäfte, aber auf lange Sicht nicht.“ Aber nur ein
Drittel, nur ein Drittel der Manager teilt diese
Ansicht. Zwei Drittel sind der gegenteiligen Ansicht,
man könne in der Wirtschaft nicht nach ethischen
Gesichtspunkten handeln. Ich zitiere einen dieser
Manager: „Die großen Konzerne wissen auch, dass
Schmiergeld und Bestechung etwas ganz Normales außerhalb
der Bundesrepublik sind. Ob es die feine Art ist? Ich
halte es nicht gerade für das Optimum, aber es ist
etwas, was in der globalen Welt möglich ist und
vielleicht sogar erwartet wird.“ Ein anderer sagt: „Es
gibt Länder, da müssen Sie entscheiden, ob Sie Business
machen oder ob Sie nicht Business machen. Wenn Sie
Business machen, dann gibt es einfach Praktiken, die für
unsere moralischen Begriffe nicht in Ordnung sind.“
Dass solche Praktiken
nicht nur in den arabischen Ländern üblich sind, sondern
auch in Deutschland, erfahren wir durch die großen
Wirtschaftsprozesse. Ich erinnere Sie an den bedeutenden
Prozeß gegen die Manager vom Volkswagenwerk. Die
Vorstände des Volkswagenwerkes haben den Vorsitzenden
des Gesamtbetriebsrates, Volkert, mit knapp zwei
Millionen Euro – ja wie soll ich sagen – gekauft oder
bestochen oder beschenkt. Sie haben einem ihrer Manager
gesagt: „Erfüllen Sie Volkert jeden Wunsch ohne
Grenzen!“ Und das ist geschehen. So hat Volkert also
knapp zwei Millionen Euro eingestrichen, ihm wurden
Lust- und Luxusreisen bewilligt, er erhielt einen
Scheinvertrag für seine brasilianische Geliebte. Das
Motto war: „Geht es Volkert gut, geht es Volkswagen
gut.“ Sie sehen, dass es mit der Moral auch in unseren
Breiten vielfach nicht weit her ist.
Aber zum Schluß will ich
noch auf das Entscheidende zu sprechen kommen, nämlich
auf das christliche Liebesgebot. Denn das ist ja nun die
Seele aller Tätigkeit im wirtschaftlichen Bereich. Die
Kirche erzieht zu wahrer Nächstenliebe, und sie
veranlaßt uns, dem Nächsten zu helfen. Wer nicht nach
seinem Vermögen dem notleidenden Nächsten hilft, der
sündigt gegen die Liebe, unter Umständen schwer. Die
Menschen denken, es gäbe nur die Sünden gegen das 6.
Gebot. Nein, es gibt sehr viele, es gibt unzählige
Sünden gegen das Liebesgebot. „Was ihr meinem Nächsten
nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan.“ Das
Gericht erfolgt nach dem Maß der Liebe. Wer Vermögen
besitzt in dieser Welt und seinen Bruder in Not sieht,
ihm aber das Herz verschließt, wie kann in dem die Liebe
Gottes wohnen? „Meine Kinder“, sagt der Apostel
Johannes, „laßt uns lieben, nicht mit der Zunge, sondern
in Tat und Wahrheit.“
Amen.
Geliebte im Herrn!
Silvester und Neujahr
sind zunächst einmal ein astronomisches Ereignis. Die
Drehung der Erde um die Sonne vollendet sich in 365
Tagen, etwas mehr, so dass wir in 4 Jahren ein
Schaltjahr haben. Diese Drehung hat sich jetzt wieder
einmal vollendet, so dass wir bürgerlich ein neues Jahre
beginnen. Kirchlich haben wir längst das neue Jahr
begonnen, nämlich am 1. Adventssonntag. Das Kirchenjahr
beginnt am 1. Sonntag im Advent; aber das bürgerliche
Jahr fängt heute an, und das ist nicht unbeachtlich für
uns. Wir wollen auch mit unseren Mitbürgern in Frieden
und in Gemeinschaft leben, deswegen auch ihnen von
Herzen den Segen Gottes, den Schutz Gottes und das
Geleit Gottes im Neuen Jahr wünschen.
Wir sind Passagiere,
Passagiere auf der Erde, die sich als Trabant um die
Sonne dreht. Es ist keine Chance, dass wir aus diesem
Erdball aussteigen könnten. Die Astronauten versuchen
zwar fortwährend neue Wege zu finden zu den Gestirnen,
die außerhalb der Erde kreisen, aber es besteht keine
Aussicht, dass wir jemals auswandern könnten auf einen
anderen Stern. Die Erde ist unser Schicksal, und sie
bleibt unser Schicksal für die ganze Dauer unseres
Lebens. Wie lange ist das? 20, 40, 60, vielleicht auch
in dem einen oder anderen Fall 100 Jahre. Der große
Planer und Schöpfer hat es so gefügt, dass wir
Passagiere in diesem Kreis, den die Erde um die Sonne –
eigentlich ist es ja eine Ellipse – vollzieht, dass wir
Passagiere in diesem Kreise sind. Passagiere eines
Flugzeugs müssen untereinander verträglich sein. Wenn
sie sich nämlich nicht vertragen untereinander und mit
den Piloten, dann kann das zu einer Katastrophe führen.
So bändigen sie also ihren Egoismus und fügen sich in
die Fahrt- und Sitzordnung. Auch wir Passagiere auf der
Erde müssen uns zusammenfügen und müssen uns vertragen.
Wie wenig das geschieht, wissen wir alle aus der
Geschichte, wie die Nationen und die Stämme streiten um
Ölfelder, um Erdgasfelder, um Weidegründe, um
Goldvorkommen. Diese Streitereien haben mit einfachen
Kampfmitteln begonnen, mit Keule und mit Speer, und sie
haben zu modernen Kampfmitteln geführt, zu Raketen, zu
Bomben, ja zu der schrecklichen Möglichkeit, unseren
Planeten zu vernichten mit Wasserstoffbomben.
Der Herr und Schöpfer hat
es deswegen angeordnet, dass wir gut zueinander sein
sollen, dass wir uns vertragen sollen. Aber er hat auch
die Möglichkeit, die Freiheit uns eingeräumt, böse zu
sein, niederträchtig, hochmütig, anmaßend. Und
wahrhaftig, es gibt genügend Bosheiten im kleinen
Bereich und genügend Bosheiten im großen Bereich.
Dennoch, die Guttaten müssen doch wohl größer sein als
die Bosheiten, denn sonst wäre die Erde längst in ein
Tohuwabohu zurückgesunken, sonst wäre längst die
Erdbevölkerung ausgerottet. Sie ist aber dauernd
gewachsen, und sie nimmt laufend zu, was doch ein
Zeichen ist, dass die furchtbaren Möglichkeiten der
Zerstörung bisher jedenfalls gebannt wurden.
Und nicht nur das. Der
ewige Sohn Gottes wirkt ein auf die Erde mit seiner
Macht. Er hat uns nicht allein gelassen. Er schickt uns
seinen Geist, damit wir unter seiner Führung auf dieser
Erde einen gedeihlichen Verlauf nehmen. Mit Feuerzungen
ist er am Pfingstfesttag herabgekommen, und er hört
nicht auf, die Herzen zu entflammen, dass die Menschen
einander vertragen und gut zueinander sind. Wir können
an dieser Stelle auch einmal von den vielen großen
Hilfeleistungen sprechen, welche die Völker dieser Erde
einander gewähren, vor allem die Völker des christlichen
Europas. Wenn irgendwo eine Katastrophe ist, zuerst an
der Stelle sind immer die europäischen Völker mit ihren
Hilfslieferungen, mit ihren Menschen, die den Bedrängten
zu Hilfe eilen. Ich meine, das ist ein Zeichen Gottes,
daß so viel Hilfsbereitschaft immer noch unter uns ist.
Es ist erstaunlich, was auch unser Vaterland immer
wieder an Hilfe leistet in aller Welt, ob es im Kosovo
ist oder am Hindukusch oder jetzt am Horn von Afrika, wo
unsere Seeleute die Piraten, die Seeräuber, zu bekämpfen
versuchen. Jedes Jahr werden aus Deutschland Milliarden
Euro an Entwicklungshilfe an die Völker in Asien und
Afrika entrichtet. Ärzte, Agronomen, Techniker eilen in
diese Länder und suchen die Lebensverhältnisse zu
bessern. An der Spitze natürlich unsere Missionare,
Männer und Frauen, die den Menschen das Wertvollste
bringen, was sie bringen können, nämlich die Botschaft
von unserem Gott und Heiland.
Er ist erschienen, um uns
das Heil zu schenken. Er ist gekommen, um die Bosheit
von der Erde wegzunehmen. Wir sind nicht verlassen, denn
er ist geblieben. Das ist es ja, meine lieben Freunde,
er ist geblieben. Er hat sich nicht zurückgezogen; er
will unter uns weilen, bei uns verharren. Und wir sollen
von seiner Wärme erwärmt, von seinem Licht erleuchtet,
von seiner Kraft gestärkt werden, auch im neuen Jahr.
Denn wir sollen ja unser Leben so gestalten, dass wir
würdig werden, in seine Gemeinschaft aufgenommen zu
werden. Unsere Aufgabe auf Erden ist es doch, Gott zu
dienen, Gott zu lieben, seinen Willen zu erfüllen und
dadurch in den Himmel zu kommen. Das ist unsere Aufgabe
auf Erden, durch die Befolgung seiner Gebote würdig zu
werden, in seine Herrlichkeit aufgenommen zu werden.
Wir wissen nicht, wie
lange unser Leben noch dauert. Es kann in diesem Jahre
zu Ende gehen. Alle Menschen müssen sterben,
unweigerlich. Und deswegen sollten wir uns drei Gedanken
im neuen Jahr zueigen machen. 1. Der Gedanke an den Tod
sollte uns nicht entmutigen. Wir gehören zu dem, der den
Tod überwunden hat. Wir sind mit ihm in der Taufe
zusammengewachsen, und er verläßt uns nicht, wenn der
Körper seinen Dienst versagt. Wir gehören zu ihm im
Leben und im Sterben. Im Leben versinken wir nicht, weil
wir gehalten werden vom Kreuzesholz, und im Sterben
gehen wir nicht unter, weil wir hineinsterben in Gott,
weil wir in die Hände Gottes fallen. Und deswegen sich
nicht entmutigen lassen durch den Gedanken an den Tod.
Die heilige Theresia von Lisieux hat einmal das schöne
Wort gesagt, als man sie fragte, ob sie sich vor dem
Stern fürchte: „Nein“, sagte sie, „vor dem Sterben
fürchte ich mich nicht. Zum Sterben braucht es keinen
Mut, aber zum Leben braucht es Mut.“ Was ist das eine
Auffassung! So wollen wir also heute beten, wie der
Kardinal Newman gebetet hat: „O Herr, laß mich sterben
zu der Zeit und auf die Weise, die am meisten zu deiner
Ehre und am besten für mein Heil ist.“ Laß mich sterben
zu der Zeit und auf die Weise, die am meisten zu deiner
Ehre und am besten für mein Heil ist. 2. Der Gedanke an
den Tod soll uns ermutigen. Er soll uns Mut geben zu
arbeiten, tätig zu sein, die Frist zu nutzen, die uns
Gott bereitet hat. Immer daran denken, dass die Zeit
nicht wiederkehrt, also nützlich die Zeit verbringen,
die Zeit auskaufen, wie der Apostel Paulus sagt. Das
heißt, keine Zeit verlieren, keine Zeit vergeuden. Die
Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über
das Leben. Und sich nicht wundern, wenn unser Lebensweg
über Ströme und lauernde Klippen führt. Einen anderen
Weg gibt es nicht. „Du hast die Reise zu Himmel
angetreten, um dort ein Reich in Empfang zu nehmen, und
da fragst du, ob es auch Unannehmlichkeiten auf dieser
Pilgerreise gibt. Schämst du dich nicht?“ hat einmal der
heilige Johannes Chrysostomus gepredigt. Deswegen also
mit Mut in das neue Jahr gehen, das Beste hoffen, aber
auf das Schlimmste gefaßt sein. In allem auf den Herrn
vertrauen. 3. Der Gedanke an den Tod soll uns trösten.
Wir sind ja nicht Gefangene, die nach Sibirien
geschleppt werden. Wir gehen heim, wir gehen zu Gott.
Auf uns wartet der himmlische Vater. Sein Sohn hat uns
Quartier bereitet, eine Wohnung, die dann bezogen wird,
wenn der Leib des Todes zerfällt. Und so meine ich
dürfen wir am 1. Tage des neuen Jahres mit dem
schlesischen Dichter Joseph von Eichendorff sprechen:
„Die Welt mit ihrem Glanz und Glücke will ich ein Pilger
froh bereit betreten nur wie eine Brücke zu dir, Herr,
überm Strom der Zeit.“
Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Kirche, so haben wir
am vergangenen Sonntag gehört, hat ein Evangelium für
die Wirtschaft. Es gibt ein Wirtschaftsevangelium, eine
Wirtschaftslehre der Kirche, es gibt ein soziales
Evangelium, eine Soziallehre der Kirche. Die Kirche hat
aber auch ein Evangelium für das Geistesleben. Die
Anwürfe und die Einwände gegen die Kirche als
Geistesmacht sind bekannt. Die Sozialisten sprachen von
der „Macht der Verdummung“, und noch heute hört man,
dass die Kirche ein Hindernis der Geistesfreiheit, der
freien Forschung und der freien Lehre sei. Das Wort
Dogma weckt bei manchen Erregung und Widerstand. Wir
wollen deswegen, meine lieben Freunde, heute uns über
das Verhältnis der Kirche zum Geist, zur Wissenschaft
Klarheit verschaffen. Wir wollen fragen, wie die Kirche
zum Wissen steht, wie sie uns zum Glauben führt und wie
sich Wissen und Glaube zueinander verhalten.
Es ist eine offenkundige
Tatsache, dass der Mensch nach dem Wissen strebt. Er
will im Bilde sein, er will hinter die Dinge kommen, er
will sich Klarheit verschaffen, er will in seinem Geiste
ein treues Abbild der Wirklichkeit vorfinden; dann nur
findet er seinen Wissensdurst gestillt. Aber es gibt
viele Menschen, die nicht wissen wollen, die sich gegen
das Wissen sperren. Warum? Aus welchen Gründen? Weil
Wissen auch eine Last sein kann. Wer weiß, kann nicht
mehr so tun, als ob er nicht wüßte. Das Wissen stellt
Forderungen an den Menschen, vor allem das Wissen um die
sittlichen Grundsätze. Und da kann es geschehen, dass
jemand, um der Konsequenz des Wissens zu entgehen, das
Wissen madig macht. „Was ist Wahrheit?“ sagte Pilatus im
Gespräch mit Jesus. Man will der Konsequenz der Wahrheit
ausweichen.
Leider ist auch die
Lehre, die von Martin Luther in die Welt gebracht wurde,
an der Abneigung gegen die Wissenschaft nicht
unschuldig. Nach ihm ist ja der Mensch ganz und gar
verderbt, sein Erkennen und sein Wollen ist derart
geschwächt, dass er nichts mehr wissen und nichts mehr
wollen kann. Er sprach von der „Hure Vernunft, die nach
dem Bock Aristoteles stinkt“. Die „Hure Vernunft, die
nach dem Bock Aristoteles stinkt“. Und diese Haltung ist
keineswegs erloschen. In der Französischen Revolution
wurde eines Tages der berühmte Chemiker Lavoisier zur
Hinrichtung geführt. Und was sagte ein Revolutionär
dazu? „Die Revolution braucht keine Gelehrten.“
Gegen diese irrigen
Meinungen hat die Kirche immer am Wert des Wissens und
der Wissenschaft festgehalten, hat sie die Kraft des
Geistes verteidigt, das Weltall und Gott zu erkennen.
Sie hat an dem Licht und der Kraft des Geistes
festgehalten, die uns Sicherheit verschaffen kann über
viele Gegenstände. Gott hat ja den menschlichen Geist
als Abbild seines Geistes geschaffen, nach seinem
Ebenbild, so dass er über die Erkenntnisfähigkeit
verfügt, dass er die Dinge nach ihrem Wesen erfassen
kann, dass er sie so erkennen kann, wie der göttliche
Künstler sie erdacht hat. Die Kirche hat eine Fülle von
Gelehrten hervorgebracht, angefangen von Justin dem
Martyrer aus dem 2. Jahrhundert, über Augustinus, Thomas
von Aquin, Albertus Magnus, Duns Scotus und wie sie alle
heißen, diese großen Theologen. Aber auch auf dem Gebiet
des profanen Wissens hat die Kirche viele, viele
Gelehrte, die sie hervorgebracht hat. Von dem
französischen Gelehrten, der die Hygiene erfunden hat,
dessen Name mir im Augenblick entglitten ist, von ihm
stammt das schöne Wort: „Ich bin gläubig gewesen wie ein
bretonischer Bauer, und wenn ich noch mehr geforscht
hätte, wäre ich gläubig geworden wie eine bretonische
Bäuerin.“ Pasteur heißt der Gelehrte, Pasteur, von dem
ja das Wort pasteurisieren herkommt. Er hat dieses
schöne Wort von der Versöhntheit von Glauben und
Wissenschaft gesprochen. Die Kirche hat Schulen
errichtet. Lange, lange, bevor der Staat daranging, an
das Schulwesen zu denken, gab es kirchliche Schulen in
den Klöstern, in den Domstiften, in den Stiftskapiteln.
Sie hat die Universitäten errichtet. Die Universitäten
sind eine Schöpfung der Kirche, und sie wurden in den
Zeiten des Mittelalters alle mit einer päpstlichen Bulle
eröffnet und gegründet.
Die Kirche weiß
allerdings auch um die Gefährdung des menschlichen
Verstandes. Sie weiß, dass er in die Irre gehen kann,
und sie wendet sich gegen einen törichten Wissensstolz,
der als Ergebnis der Wissenschaft ausgibt, was in
Wirklichkeit gar kein Ergebnis ist. Es gibt viele
Irrtümer in der Wissenschaft. Jahrtausendelang haben die
Menschen gemeint, die Sonne drehe sich um die Erde. Erst
der Domherr, jawohl, der Domherr Kopernikus in
Frauenburg in Ostpreußen hat im Jahre 1543 die These
ausgestellt, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Den
Beweis konnte er nicht bringen. Den Beweis hat erst
Johannes Kepler erbracht mit den Keplerschen Gesetzen.
Seitdem ist dieser Irrtum korrigiert.
Es gibt aber nicht nur
Irrtümer der Wissenschaft, es gibt auch Fälschungen. Im
britischen Naturhistorischen Museum in London wurde
lange ein Bernstein gezeigt, in dem eine Fliege
eingelassen war, und man behauptete, dieser Bernstein
mit der Fliege sei 38 Millionen Jahre alt. Ein Student –
ein Student – hat den Bernstein untersucht und entdeckte
einen feinen Haarriß. Man ging dann daran, diesen
Gegenstand näher zu betrachten. Es stellte sich heraus,
dass es eine Fälschung war. Man hatte ein Stück
Bernstein zersägt und die Fliege darin eingefügt. Im
Jahre 1912 wurde in Piltdown in England ein Knochen
gefunden, den man als den ältesten Engländer ansah.
Diesem Knochen, oder dem Mann, der ihn getragen hatte,
getragen haben sollte, wurde sogar ein Denkmal gesetzt:
Der älteste Engländer. Im Jahre 1955 kam man darauf,
dass es sich um eine raffinierte Fälschung handelte. Mit
der Fluoranalyse hat man erkannt, dass der Knochen aus
dem 20. Jahrhundert stammte.
Das sind bedauerliche
Vorgänge, die uns skeptisch machen können gegen
voreilige Angaben, es handle sich um Ergebnisse der
Wissenschaft. Vor wenigen Jahren flog ein Deutscher,
nämlich Jan Hendrik Schön, aus einem amerikanischen
Laboratorium heraus. Warum? Er hatte lauter Meßdaten
gefälscht. Die Amerikaner waren ihm auf die Spur
gekommen, weil die Meßdaten zu schön aussahen, und sie
waren ohne Ausnahme frei erfunden. Aber nicht genug
damit, meine lieben Freunde. Vor kurzer Zeit mußte in
Frankfurt an der Universität der Professor für
Anthropologie seinen Hut nehmen und die Universität
verlassen. Es handelt sich um Professor Potsch. Warum?
Er hatte bewußt falsche Knochen angegeben, Mißbrauch mit
geistigem Eigentum betrieben, behauptet, er könne mit
seiner Methode das Alter von Knochen bestimmen. Er war
aber gar nicht fähig dazu. Er mußte mit Schimpf und
Schande die Universität Frankfurt verlassen. Die
Wissenschaft, die ehrlich betrieben wird und ihre
Grenzen erkennt, ist unserer Achtung gewiß. Aber die
Wissenschaft, die den Mund zu voll nimmt, die sogar zu
Fälschungen greift, um ihre angeblichen Ergebnisse zu
beweisen, verdient unsere Verachtung.
Die Kirche hat die
Irrtumsfähigkeit des Menschen erlebt in den vielen
Irrlehren, die sie 2000 Jahre lang erlebt und bekämpft
hat. Der weise griechische Philosoph Plato hat einmal
gesagt: „Wir müssen warten, dass irgend einer kommt und
uns unterrichtet über die Art und Weise, wie wir im
Hinblick auf die Götter und die Menschen zu handeln
haben. Nur ein Gott kann uns Aufklärung geben.“ Plato
wußte offenbar um die Grenzen des menschlichen
Erkennens, und so erwartete er, dass ein Gott den Weg zu
den übersinnlichen, zu den metaphysischen Wirklichkeiten
uns erschließt. Und so ist es tatsächlich geschehen.
Gott selbst hat sich aufgemacht, den Menschen zu
belehren. Er wollte dafür sorgen, dass wir ohne Irrtum
und sicher die Wahrheit in den grundlegendsten Fragen
des Lebens besitzen, dass wir die tiefsten Geheimnisse
ahnend begreifen. Er schenkt uns seine Offenbarung und
erhält sie lebendig und unverfälscht durch seine Kirche.
Auf dem Weg des Glaubens finden wir zu dieser Wahrheit.
Gott ist ein Geist, und ein Geist kann sich mitteilen,
so kann Gott seine Wahrheit einem Geschöpf schenken. Er
tut es zunächst einmal, indem er uns unsere
Denkfähigkeit verleiht. Aber er kann auch in der Seele
des Menschen Erkenntnisse hervorrufen. Er kann
unmittelbar zu uns reden. Er kann unseren Geist
befruchten und belehren. Er kann dem Empfänger der
Offenbarung das Licht geben, dass er Wahrheiten
aufnimmt, die von oben stammen, auf die er selbst nie
gekommen wäre. So wird die Offenbarung der Weg zur
Wahrheit. Auf dem Weg der Offenbarung gewinnen wir
untrügliche Sicherheit über Gegenstände, die wir mit
unserem natürlichen Vermögen nicht erreichen können. Wir
nennen diese Erkenntnisse Glaubenswahrheiten, und der
Weg zu ihnen ist der Glaube, also eine Annahme von
Wahrheiten auf die Autorität Gottes hin, der nicht irren
und nicht täuschen kann. Gott hat zu wiederholten Malen
zu uns geredet durch die Propheten. Ihr Wort ist
Wahrheit, ihre Verkündigung ist von Gott eingegeben.
Zuletzt aber hat er zu uns geredet durch seinen Sohn. Er
ist der Inbegriff der Wahrheit. Er kann von sich selber
sagen: „Ich bin die Wahrheit.“ Und er konnte uns Kunde
bringen von Gott, weil er am Herzen des Vaters geruht
hat. Das Wort ist Fleisch geworden. „Durch Jesus
Christus kam die Wahrheit“, schreibt Johannes in seinem
Evangelium. Er, der eingeborene Sohn, der am Herzen des
Vaters geruht hat, er hat uns geoffenbart. Und dem
Nikodemus, der ihn des Nachts besuchte, sagt unser
Heiland: „Ich sage dir: Wir reden, was wir wissen und
tun kund, was wir gesehen haben.“ Es gibt eine
Offenbarung durch den Sohn Gottes, der unter uns
erschienen ist. Auf eine solche Offenbarung kann der
Mensch nur antworten mit der vorbehaltlosen Hingabe des
Glaubens.
Den Weg der Offenbarung
gehen wir an der Hand der Kirche. Meine lieben Freunde,
wenn die Kirche nicht wäre, wäre die Offenbarung längst
verfälscht, nach den Gelüsten der Menschen gemodelt,
wäre sie längst mit Irrtum vermischt worden. Nein, dass
trotz der menschlichen Irrtumsfähigkeit die Wahrheit
erhalten bleibt, das besorgt durch Gottes Heiligen Geist
die Kirche. Durch die heilige Kirche halten wir an der
Wahrheit fest. Dieser Geist erinnert uns an alles, was
Jesus gesagt und gelehrt hat. Paulus kann mit Recht
sagen: „Ich weiß, wem ich geglaubt habe.“
Glaube und Wissen sind
keine Gegensätze, denn sie stammen beide aus dem Vater
des Lichtes. Es sind zwei Wege, die zur Wahrheit führen,
die menschliche Wissenschaft mit der Leuchte des
Verstandes, die göttliche Wissenschaft mit dem Licht der
Offenbarung. Kirche und Verstand haben beide denselben
Ausgangspunkt und dasselbe Ziel, denn ihr Ausgangspunkt
ist Gott und ihr Ziel ist Gott. Es ist unmöglich, dass
zwischen Wissen und Glauben ein Widerspruch entstehen
könnte. Wenn sich irgendwo Glaube und Wissen stoßen,
dann kann das zwei Ursachen haben, entweder weil die
Kirche ihre Schranken überschritten hat oder weil die
Wissenschaft ihre Grenzen nicht eingehalten hat.
Scheinbarer Widerstreit zeigt sich immer nur dann, wenn
etwas als geoffenbarte Wahrheit ausgegeben wird, was
keine solche ist, oder wenn etwas als sichere
Wissenschaft hingestellt wird, was keine solche ist. Der
christliche Glaube ist nicht blind. Die Rede vom blinden
Glauben ist keine katholische Aussage. Unser Heiliger
Vater wird nicht müde, die Notwendigkeit der Vernunft
für den Glauben aufzuzeigen. Immer wieder kommt er
darauf zu sprechen, dass sich Glaube und Vernunft
ergänzen. Er wird nicht müde, die Zusammengehörigkeit
von Glaube und Wissen hervorzuheben. Wir müssen das
Erforschbare, auch im Glauben, zu erforschen suchen. Wir
dürfen nicht vorzeitig die Geistestätigkeit, die
Verstandestätigkeit einstellen.
Einer der Vorgänger des
Heiligen Vaters, nämlich der Apostel Petrus, hat das
schon in seinem ersten Briefe geschrieben: „Seid
allezeit zur Verantwortung bereit einem jeden gegenüber,
der von euch Rechenschaft über eure Hoffnung fordert.“
Wir sollen in der Lage sein, denen, die uns Fragen
stellen, denen, die uns verspotten, Antwort zu geben,
begründete Antwort, so dass sie auch zum Glauben finden
können. Der Glaube bewahrt den Verstand vor Irrtümern
und vervollkommnet ihn mit reichen Erkenntnissen. Als
Papst Pius XII. noch Nuntius in Berlin war, unterhielt
er sich einmal mit Albert Einstein, dem Begründer der
Relativitätstheorie. „Ich achte die Religion“, sagte
Einstein, „aber ich glaube an die Mathematik. Und bei
Ihnen, Eminenz, wird es umgekehrt sein.“ Pacelli
antwortete: „Sie irren. Religion und Mathematik sind für
mich nur verschiedene Austragsformen derselben
göttlichen Exaktheit.“ Einstein war erstaunt: „Aber wenn
die mathematische Forschung nun eines Tages ergäbe, dass
gewisse Erkenntnisse der Wissenschaft denen der Religion
widersprechen?“ Pacelli antwortete lächelnd: „Ich
schätze die Mathematik so hoch, dass Sie, Professor, in
diesem Falle nicht aufhören würden, nach dem
Rechenfehler zu suchen.“
Es ist keine Mauer
aufzurichten zwischen dem religiösen und dem
wissenschaftlichen Leben. Wir brauchen Gott nicht zu
vergessen, wenn wir in die Lehrsäle gehen. Das
Evangelium stützt die Vernunft, die Vernunft verneint
das Evangelium nur, wenn sie sich selber untreu wird.
Der große Münchener Physiker und Nobelpreisträger Werner
Heisenberg hat einmal gesagt: „Der erste Trunk aus dem
Becher der Wissenschaft macht atheistisch, aber auf dem
Grund des Bechers wartet Gott.“
Amen.
Der Staat ist eine
Herrschaftsordnung, durch die ein Volk auf abgegrenztem
Gebiet durch hoheitliche Gewalt zur Wahrung gemeinsamer
Güter verbunden wird. Die Kirche hat auch ein Evangelium
für den Staat. Sie hat eine eigene Staatslehre
ausgebildet, über die wir uns heute Gedanken machen
wollen. Wir wollen drei Fragen stellen und sie zu
beantworten versuchen, nämlich
1. Was lehrt die Kirche
über den Staat?
2. Was gibt die Kirche
dem Staat?
3. Was erwartet sie vom
Staat?
Die Lehre der Kirche vom
Staat hob an im Neuen Testament. Da wurde nämlich Jesus
von den Juden die verfängliche Frage gestellt: „Meister,
ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen?“
Verfänglich deswegen: Wenn Jesus sagte: „Ja“, dann
schien er die römische Knechtschaft über das jüdische
Volk anzuerkennen. Wenn er sagte: „Nein“, konnten sie
ihn bei der römischen Macht verklagen. Der Herr
durchschaute ihre Arglist und sagte: „Zeigt mir die
Steuermünze! Wessen Bild und Aufschrift ist es?“ Sie
antworteten: „Des Kaisers.“ Der Herr folgert daraus:
Wenn ihr im römischen Reiche lebt, wenn ihr seine
Vorteile in Anspruch nehmt, z.B. das Geldwesen, dann
müßt ihr auch die Pflichten erfüllen. Gebt also dem
Kaiser, was des Kaisers ist. Selbstverständlich auch:
Gebt dem Tempel, was dem Tempel gehört, gebt Gott, was
Gottes ist.
Die Urkirche hatte es
nicht leicht, denn sie wurde 300 Jahre, wenn auch mit
Unterbrechungen, verfolgt. Und was hat die Urkirche über
den Staat gelehrt? Paulus schreibt an die Gemeinde in
Rom, die ja unmittelbar unter der Unterdrückung des
römischen Staates leben mußte: „Jeder sei der
obrigkeitlichen Gewalt untertan; denn es gibt keine
Gewalt, die nicht von Gott stammt. Wer sich demnach
gegen die Gewalt auflehnt, ist ein Aufrührer gegen die
Anordnung Gottes. Der Aufrührer aber zieht sich das
Strafgericht Gottes zu.“ Das schrieb Paulus, als in Rom
Nero regierte! Diese Grundlehre ist dann von der Kirche
durch ihre großen Theologen entfaltet worden, durch
Augustinus, durch Thomas. Sie hat alle die falschen
Staatsauffassungen abgelehnt, der Staat sei nur ein
Notbehelf oder der Staat beruhe auf einem
Gesellschaftsvertrag oder der Staat sei überflüssig.
Nein, die Kirche lehrt: Der Staat ist Gottes Anordnung.
Der Mensch ist zur Gemeinschaft berufen, er hat den
Trieb zur Geselligkeit, er hat auch die Schwäche, die
nach Hilfe ruft. Und deswegen muss eine Zusammenfassung
des Volkes im Staat erfolgen. Es ist notwendig, dass die
Gemeinschaft durch eine staatliche Gewalt
zusammengehalten wird. Nicht die Nützlichkeit allein
oder das Diesseits erklären den Staat, begründen seine
Autorität. Nein, der Ursprung des Staates ist in Gott,
dem Schöpfer und Ziel aller Dinge.
Aber freilich, man darf
den Staatsbegriff auch nicht überspannen. Es gibt kein
ausschließliches Recht des Staates über die Bürger. In
der Zeit des Dritten Reiches haben wir gelernt: „Du bist
nichts, dein Volk ist alles.“ Nicht ganz. So stimmt es
nicht. Nein, der Mensch besitzt auch eine
Selbständigkeit, einen Eigenstand, ein eigenes Wesen,
einen eigenen Wert, denn er ist von Gott als Einzelwesen
geschaffen und zur Ewigkeit berufen. Die Selbständigkeit
des Einzelmenschen darf auch vom Staate nicht angetastet
werden. Der Mensch ist berufen, durch sein eigenes
Bemühen sein Heil zu wirken.
Der Staat hat seinen
Stand unter Gottes Gesetz. Gott hat nicht nur den
Sternen ihre Bahnen angeordnet, und er hat nicht nur dem
Einzelmenschen seine Gebote gegeben, sondern auch der
Staat steht unter den Geboten Gottes. Er steht unter den
Geboten des Naturrechtes, und das Naturrecht hat seinen
Ursprung in Gott, dem Schöpfer der Natur. Der Staat wie
der Einzelne steht vor Gott, ist ihm verantwortlich. Er
ist gebunden an Gerechtigkeit und Recht. Seine eigenen
Gesetze sind eigentlich nur Anwendungen der Urrechte,
die Gott ihm zugesprochen hat. Wenn er Gesetze erläßt,
dann ist er verpflichtet, sich an das Naturrecht zu
halten. Also beispielsweise was die Familie angeht, was
die Ehe betrifft. Die Familie mit ihrem Recht ist dem
Staat vorgegeben und nicht bloß aufgegeben.
Der Staat ist souverän.
Das ist eine richtige Aussage. Souverän heißt: Der Staat
hat keine irdische Gewalt über sich. Er ist der Höchste
in seinem eigenen Bereich. Die Souveränität hat Gott ihm
gegeben. Das Recht des Staates, souverän zu entscheiden,
stammt von Gott. Aber nicht die Staatsform. Die
Staatsform dürfen die Menschen bestimmen. Es gibt keine
von Gott verpflichtend vorgeschrieben Staatsform. Die
Kirche und ihre Lehre sind nicht auf eine bestimmte
Staatsform festgelegt. Die parlamentarische Demokratie
ist kein Dogma. Wenn die Gerechtigkeit nicht verletzt
wird, ist den Völkern die Wahl der Regierungsform
überlassen. Es kann durchaus sein, dass manche Völker
der Ansicht sind: Für uns paßt die parlamentarische
Demokratie nicht. Es ist ein Irrtum zu meinen, die
Übertragung der Macht an eine gewählte Mehrheit könne
die Gefahr von Unrecht und Gewalt bannen. Nein, meine
Freunde, Mehrheiten können genauso diktatorisch sein wie
ein einzelner Despot. Schauen Sie nach Berlin! Der
rot-rote Senat weigert sich, den Religionsunterricht als
ordentliches Lehrfach zuzulassen. Er weigert sich. Wenn
sich aber ein Volk für eine bestimmte Staatsform
entschieden hat, muss man sich ihr unterordnen. Eine
Grenze gibt es nur da, wo die Gesetze des Staates gegen
Gottes Gesetze verstoßen. Wo die Gesetze eines Staates
mit den Geboten Gottes in Widerspruch stehen, da gilt
der Satz: Gottesrecht bricht Staatsrecht.
Welches sind nun vom
Naturrecht die Aufgaben des Staates? Nun erstens, er
soll für Recht und Gerechtigkeit sorgen. Es muss also
jedem das Seine geschehen. Die Erdengüter müssen richtig
und gerecht verteilt werden, so dass jeder zu leben hat.
Es darf keine Bürger zweiter Klasse geben. Mein
Großvater hat noch das Kaiserreich erlebt, und er sagte
mir eines Tages: „Junge, im Kaiserreich fing der Mensch
erst beim Reserveoffizier an.“ Etwas übertrieben, aber
nicht viel. Etwas übertrieben, aber nicht viel. In der
Zeit des Kaiserreiches konnte man in einer satirischen
Zeitschrift einmal ein Bild sehen. Da stand ein Leutnant
vor einem gemeinen Soldaten und fragte ihn: „Wo gehst du
hin?“ „Ich gehe zum Speisen.“ Da belehrte ihn der
Leutnant: „Merke dir, Majestät, der Kaiser, speist, ich
esse und du frißt.“ Noch schlimmer war es im Dritten
Reich. In der Zeit des Nationalsozialismus war der
Katholik von vorneherein verdächtig, ein Bürger zweiter
Klasse. Vor 40 Jahren traf ich einmal einen
Rechtsprofessor aus Bonn namens Hermann Josef Conrad.
Wir kamen ins Gespräch. Ich sagte: „Ich habe einmal eine
Doktorarbeit aus dem Jahre 1934 in der Hand gehabt von
einem Hermann Conrad.“ Da sagte er: „Das bin ich auch.
Aber ich habe damals das „Josef“ weggelassen, weil ein
gläubiger Katholik von vorneherein keine Aussicht hatte,
die akademische Laufbahn mit Erfolg zu beschreiten.“ Der
Staat ist zur Gerechtigkeit gegenüber allen seinen
Staatsbürgern verpflichtet. Aber vergessen Sie nie,
meine Freunde: In Deutschland ist das Vorurteil gegen
die katholischen Christen unausrottbar.
Die zweite Aufgabe des
Staates ist bezeichnet mit dem Wort Kulturstaat. Jeder
einzelne muss durch den Staat die Möglichkeit erhalten,
eine Kulturleistung zu erbringen. Es müssen Schulen
bereitgestellt werden, es muss die Geistigkeit gepflegt
werden, es müssen aber auch Wissenschaft und Kunst
gefördert werden. Die öffentliche Sittlichkeit muß
hochgehalten werden. Der Staat muss dafür sorgen, das
die Atmosphäre nicht vergiftet wird, dass die sittliche
Verseuchung des Volkes nicht um sich greift. Wir alle
wissen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegenüber
dieser Aufgabe versagt. In unserem Staate vollzieht sich
seit Jahrzehnten ein beispielloser sittlicher
Niedergang. Ein großer Teil der Jugend ist geradezu
verwahrlost. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn ich
behaupte: Unser Staat versagt vor der Aufgabe, die
Sittlichkeit zu schützen.
Die dritte Aufgabe des
Staates ist, das materielle Wohlergehen der Bürger auf
seine Weise zu besorgen, also gesunde Lebensverhältnisse
zu schaffen, Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten, das
Verkehrswesen, die Post, Straßen und Bahnen, also kurz
gesagt: das Gesamtwohl des Volkes zu befördern. Das ist
die katholische Staatslehre.
Die zweite Frage lautet:
Was gibt die Kirche dem Staat? An erster Stelle gibt sie
ihm die besten Bürger, die es überhaupt gibt. Es gibt
keinen besseren Bürger als den gläubigen,
praktizierenden Christen. Der Christ ist immer ein
pflichtbewußter Bürger gewesen. Er betet nicht nur für
sich, sondern auch für die Staatslenker. Er ist bereit,
in der Notzeit Hilfe zu leisten. Er zahlt seine Steuern.
Er bemüht sich nach Kräften, am Gemeinwesen
teilzunehmen, wählen zu gehen, in den kommunalen oder
anderen Vertretungen mitzuarbeiten. Katholische Christen
sind auch immer zufriedene Untertanen gewesen. Sie sind
nicht ständig unruhig und gierig, nicht mißmutig und
verdrossen. Sie stellen nicht laufend höhere Forderungen
an den Staat. Katholische Christen sind regelmäßig
bescheiden und genügsam. Ja, das ist unser gläubiges
Volk, von dem ich so angetan bin, das ich liebe und für
das ich arbeite. Das ist unser gläubiges Volk.
Katholische Christen wissen, dass das irdische Leben
nicht endgültig ist, dass es Vorbereitung für das ewige
Leben ist. So sehen sie im Besitzen und Genießen nicht
das höchste Gut. Katholische Christen sind auch
dienstwillig. Die Arbeit für andere ist ihnen ein
Bedürfnis, eine Pflicht. Sie wissen sich dem höchsten
Herrn zur Rechenschaft verpflichtet. Sie haben ein
Gespür für Verantwortung. Ich habe meine ersten Jahre in
der ostdeutschen Diaspora als Priester zugebracht. Mir
ist immer aufgefallen, dass in den Krankenhäusern die
meisten Krankenschwestern katholisch waren, obwohl die
Katholiken nur etwa 6 Prozent der Bevölkerung
ausmachten. Das will auch etwas heißen.
Zweitens: Die Kirche
stützt die Staatsautorität. Indem sie sie im Willen
Gottes verankert, sorgt sie dafür, dass diese Autorität
respektiert wird. Die Kirche stützt die Staatsautorität.
Der heilige Petrus, der erste Papst, mahnt: „Seid
untertan aller menschlichen Ordnung um Gottes willen.
Seid untertan aller menschlichen Ordnung um Gottes
willen. Sei es dem König als dem obersten Herrn, sei es
den Statthaltern, die von ihm gesandt sind.“ Wenn es
besser werden soll im Staate, dann müssen wir bessere
Menschen schaffen.
Die dritte Frage lautet:
Was erwartet die Kirche vom Staat? Nun, sie erwartet an
erster Stelle die Anerkennung ihrer Selbständigkeit. Die
Kirche ist eine vollkommene Gesellschaft. Das heißt: Sie
ist von Gott mit allen Mitteln ausgestattet, um ihr Ziel
zu erreichen, um ihr Werk zu vollbringen. Sie ist kein
Teil des Staates, sie ist auch keine Dienerin des
Staates. Sie steht nicht unter dem Staat, sie steht ihm
gegenüber.
Zu allen Zeiten der
Kirchengeschichte hat es Versuche gegeben, die Kirche
dem Staat dienstbar zu machen. Denken Sie an die Kirche
in Byzanz. Die Kaiser in Byzanz haben den sogenannten
Cäsaropapismus begründet, d.h. sie wollten gleichzeitig
Kaiser und Papst sein. Diesem Cäsaropapismus hat die
katholische Kirche sich niemals gebeugt. Deswegen ihre
Kämpfe im Mittelalter mit den deutschen Kaisern. Denken
Sie an Heinrich IV. Er wollte alle Bischofsstühle und
alle Abtsstühle besetzen mit seinen Kreaturen. Er
achtete nicht auf Würdigkeit und Frömmigkeit, sondern
darauf, dass sie tapfere Kriegsmänner waren. Man kann
sich denken, was für Kerle von ihm auf die
Bischofsstühle gesetzt wurden. Dagegen haben sich die
Päpste, vor allem Gregor VII., entschieden gewandt.
Anders die nichtkatholischen Religionsgemeinschaften.
Die protestantischen Religionsgemeinschaften waren stets
willige Lakaien der Landesherren, ihrer „Oberbischöfe“.
Die russische Kirche war immer eine Dienerin des
Staates. Sie hat den Zaren gedient, den Bolschewiken,
und sie dient jetzt dem Putin und dem Medwedjew. Sie ist
nichts anderes als der verlängerte Arm der russischen
Politik. Das muss einmal ausgesprochen werden. Und der
Staat gibt ihr Privilegien im Zigarettenhandel und im
Alkoholhandel. Das sind Tatsachen.
Die Kirche, unsere Kirche
wehrt sich dagegen, die Gläubigen, das Volk Gottes, in
den Dienst des Staatszweckes zu stellen, die Kirche zum
verlängerten Arm des Staates zu machen. Den Versuch hat
es immer wieder gegeben – in Frankreich unter dem König
genauso wie unter der Französischen Revolution. Die
Französische Revolution hat der Kirche bekanntlich das
ganze Eigentum genommen und sich zur Besoldung – zur
Besoldung! – der Geistlichen verpflichtet. Und als die
Geistlichen nicht taten, was sie wollte, hat sie ihnen
die Besoldung entzogen. Wehe, wenn die Kirche vom Staat
abhängig wird! Dann muss sie so tanzen, wie der Staat
pfeift.
Kirche und Staat sind
unterschieden, können nicht in eins gesetzt werden. Sie
sind unterschieden, aber sollen einträchtig
zusammenarbeiten, denn es sind dieselben Menschen, die
ihnen anvertraut sind. Also ist die Eintracht zwischen
Kirche und Staat erwünscht. Darüber hinaus hat die
Kirche einen Öffentlichkeitsauftrag, wie man das heute
nennt, einen Öffentlichkeitsauftrag. Das heißt: Sie hat
dem Staat die Gebote Gottes vorzuhalten. Sie muss den
Staat an seine Aufgabe, die er vor Gott hat, erinnern.
Sie muss ihn erinnern, dass er an Rechte gebunden ist,
die er nicht erfindet, sondern die er vorfindet. Der
Staat muss dem Evangelium die Wege ebnen. Er muss die
Gottlosigkeit bannen, und auch die Staatslenker müssen
ihre Knie vor Gott beugen. Es ist ein Frevel, wenn
Staaten sich verhalten, als ob es keinen Gott gäbe. Die
Oberherrlichkeit Gottes gilt auch für den Staat. Die
Sorge für die Religion ist nach Aristoteles die erste
Aufgabe des Staates. Man täusche sich nicht, meine
lieben Freunde. Der religionslose Staat wird, wenn er
sich auswirkt, notwendig zum sittenlosen Staat. Wo die
Zehn Gebote nichts mehr gelten, da werden zehntausend
Staatsgesetze keine Rechtsordnung begründen.
Die Kirche ist auch der
Anwalt der Menschen, wenn der Staat sich Übergriffe
leistet. Der Staat ist irrtumsfähig, und die Kirche hat
die heilige Aufgabe, ihm zu sagen: Es ist dir nicht
erlaubt! Und sie hat es getan. Es ist ganz unwahr, wenn
behauptet wird, die Kirche habe in der Zeit des
Nationalsozialismus geschwiegen oder der Papst habe
geschwiegen. Die Kirche hat geredet, deutlich; ich habe
die Zeit miterlebt, bewußt, und ich kann es bezeugen:
Die Kirche hat nicht geschwiegen! Sie ist dem Staat
entgegengetreten mit seinem Unrecht. Die Kirche hat das
Recht und die Freiheit, für Leib und Leben, für Ehre und
Gewissen der Untertanen einzutreten, damit sie nicht dem
Staat, dem entarteten Staat, dem „kältesten aller
Ungeheuer“, wie Friedrich Nietzsche sagt, ausgeliefert
sind.
Der demokratische Staat
ist in gewisser Hinsicht ebenso gefährdet wie der
autoritäre Staat. Wieso? Bei ihm hängt alles ab von
Wahlen und Mehrheiten. Da wird man gewählt, wenn man den
Menschen viel verspricht und wenn man den Gegner
verteufelt. Das ist die Weise, wie man Wahlen gewinnen
muss. Die Regierungen und die Parteien sind darum
ständig in Gefahr, das zu tun, was eingängig, beliebt
und leicht ist, und nicht das, was notwendig, aber
schwer ist. So kommt es, wie wir es ja erlebt haben, zum
Abbau aller Gesetze, welche die Sittlichkeit schützen
sollen. Die Menschen wollen eben diese Gesetze nicht,
also schafft man sie ab. Die Kirche mahnt, aber sie wird
nicht gehört. So wird der Weg weitergehen. Ich fürchte,
es ist der Weg in den Abgrund.
Amen.
Kirche und Volk. Wenn ich
dieses Thema nenne, dann schallt mir ein vielgestaltiger
Chor entgegen. Das Wort Volk und Volkstum können manche
nicht ertragen. Ihr eigenes Ich ist das einzig Wahre und
Interessante: Fortschritt, Genuß, Moderne. Das sind ihre
Schlagworte, und danach leben sie. „Was habe ich vom
Volk?“ so sagen sie. Ihnen genügt die Gesellschaft
Gleichgesinnter zu Vergnügen und Geschäft. Sie wissen
auch nichts mit der Vergangenheit anzufangen. Was früher
war, das interessiert sie nicht. Ja, viele Deutsche
glauben sich jetzt dadurch modern zu machen, dass sie
das Volk als Spucknapf benutzen.
Was sagt uns die Kirche
zu dem Thema „Kirche und Volk“? Zunächst: Was heißt
Volk? Volk ist eine Gruppe von Menschen, die eine
ideelle Einheit bilden, die durch Geschichte, Sprache,
Kultur und vielleicht auch manchmal Religion zu einer
Einheit zusammengeschlossen werden, die also durch Blut
und Umwelt, durch Sprache und Kultur, Schicksal und
Aufgabe verbunden werden, die bilden das Volk. Und
dieses Volk zu lieben, ist eine heilige Pflicht, ist
Pietät, ist Auftrag Gottes. Die Liebe zum eigenen Volk
ist eine sittliche Pflicht, und zwar Liebe in Gesinnung
und Tat. Wir sollen unser Volk durch unser Verhalten
lieben, ihm Ehre machen. Wir sollen uns zu unserem Volk
bekennen. Ich kann die Rede nicht mehr hören: „Ich
schäme mich für unser Volk.“ Ich kann sie nicht mehr
hören! Schämen kann ich mich nur für mich selbst und für
meine eigenen Untaten und Missetaten, aber nicht für die
Untaten und Missetaten anderer. Was Einzelne oder viele
getan haben, das ist nicht das deutsche Volk. Es gibt
keine Kollektivschuld.
Der menschgewordene
Gottessohn hat uns das beste Beispiel für die Liebe zum
Volk gegeben. Er spricht die Sprache seines Volkes, das
Aramäische. Er versteht es, die Umwelt und die
Beschäftigung seiner Zuhörer in seine Reden
hineinzunehmen. Er beschränkt seine Wirksamkeit nur auf
dieses Volk. „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des
Hauses Israel gesandt“, so weist er die fremde Frau ab.
Und was soll ich sagen, als er auf den Halden vor
Jerusalem saß mit seinen Jüngern am Palmsonntag und
hinunterschaute auf die Stadt, die in der Abendsonne vor
ihm lag, da war der Tempel, der vor Marmor und Gold
glänzte, da waren die Paläste, da waren die vielen
Häuser. Aber der Heiland legte die Hand vor seine Augen
und weinte. Er weinte über sein Volk: „Ach, wenn du es
doch erkannt hättest, was dir zum Frieden dient! Jetzt
aber ist es verborgen vor deinen Augen. Deine Feinde
werden kommen, dich mit einem Wall umgeben, sie werden
von allen Seiten dich bedrängen, sie werden deine Kinder
zu Boden schmettern und keinen Stein auf dem anderen
lassen.“ So sehr liebte Jesus sein Volk, dass er über es
weinte.
Und Paulus war ein Jude
durch und durch. Er leidet unter der Verblendung seines
Volkes. „Groß ist meine Trauer“, schreibt er im
Römerbrief, „unaufhörlich der Kummer meines Herzens.
Gern wollte ich selber mit dem Fluch beladen sein, fern
von Christus statt meiner Brüder, meiner
Stammesgenossen.“ Er redet nicht einer Aufgabe der
völkischen Eigenart das Wort, sondern jeder soll so
leben, wie er geboren ist. „Der Jude soll sich als Jude
bekennen, er soll es nicht verbergen, und der Heide soll
Heide bleiben insofern, als er nicht beschnitten werden
soll.“ Das schreibt er an die Korinther in dieses
Völkermischmasch, in diese Hafenstadt. Dankbar das
Überkommene pflegen, es sorgsam weitergeben, das ist
Gottes Wille, so denkt Paulus.
Die Kirche hat das Volk
und die völkische Eigenart immer geschützt und gepflegt.
Im Jahre 1215, meine lieben Freunde, im Jahre 1215 hat
das IV. Laterankonzil verordnet, dass jedem Volk der
Glaube in seiner Sprache nahegebracht werde. Die
Bischöfe sollen darauf achten, dass den verschiedenen
Stämmen in ihrer Sprache gepredigt wird. Schutz
völkischer Minderheiten in fremden Staaten, Recht auf
Muttersprache und Sitte, dafür setzt sich die Kirche im
Rahmen des Naturgesetzes ein. Volk und Volkstum stehen
bei ihr in hohem Ansehen. Katholisch sein und seinem
Volke in Treue ergeben sein, das ist kein Gegensatz,
sondern heilige Pflicht. In meiner Heimat, im Erzbistum
Breslau, gab es in Oberschlesien Gemeinden, in denen die
Bevölkerung auch polnisch sprach. Der Bischof von
Breslau hat immer dafür gesorgt, auch in der
Verfolgungszeit des Dritten Reiches, dass diesen
Menschen das Evangelium auch in polnischer Sprache
gelehrt wurde. Als im Jahre 1939 Tausende, Abertausende
polnische Kriegsgefangene und Zivilarbeiter nach
Deutschland kamen, wurde den katholischen Priestern
verboten, Seelsorge an ihn auszuüben. Die Priester haben
sich an dieses Verbot nicht gehalten. Viele haben diese
Übertretung mit Haft bezahlen müssen, auch in der
Diözese Mainz. Der Pfarrer von Alzey namens Nau wanderte
ins Gefängnis, weil er den Polen die Beichte abnahm.
Was tut die Kirche für
das Volk? O sehr viel, meine lieben Freunde. Sie lehrt
das Volk die heiligen Gesetze Gottes, sie lehrt das Volk
Verantwortung für das kommende Geschlecht. Wo im Lichte
des katholischen Glaubens das Leben verstanden wird, wo
das Gewissen geschärft wird, wo das Kreuz anerkannt
wird, da ist auch der Wille zum Kind, da stirbt ein Volk
nicht. Es war immer der Ruhm des katholischen
Volksteils, dass sein Kinderreichtum größer war als bei
den Nichtkatholiken. Es war so, meine lieben Freunde,
aber es ist nicht mehr so! Wenn es heute nicht mehr so
ist, dann ist das eine Schande und ein verräterisches
Zeichen, wie sehr das katholische Volk sich der Umwelt
angepaßt hat. Heute haben die nichtkatholischen Schweden
mehr Kinder als das katholische Italien und als das
katholische Spanien.
Das Volk wächst geistig
auch aus seiner Umwelt. Wer da den Einfluß der Kirche
schildern wollte, der müßte auf ihre Tätigkeit im
sozialen Bereich hinweisen, auf ihre Kulturarbeit,
Pflege der Sprache. In welcher Sprache haben denn unsere
Vorfahren von Christus gehört? Ja, in der deutschen
Sprache, in der altdeutschen oder mitteldeutschen
Sprache, den Heliand, den sie in der sächsischen Sprache
gelesen haben, oder die Evangelien von Otfried, die
Dichtungen Notkers. Es ist eine Legende, dass erst
Luther die Heilige Schrift den Deutschen zugänglich
gemacht habe. Man rechnet mit einem Bestand von 3.600
Handschriften deutschsprachiger Bibeln vor Luther, 3.600
Handschriften deutschsprachiger Bibeln vor Luther. Und
die Druckwerke nehmen es auch damit auf. Von 1466, wo
die Buchdruckerkunst erfunden wurde, bis 1521 gab es 14
hochdeutsche und 4 niederdeutsche Bibeln, 14
hochdeutsche Drucke, 4 niederdeutsche Drucke, außerdem
zahlreiche Drucke von einzelnen Büchern. Man soll
aufhören mit dem Märchen, dass erst Luther dem deutschen
Volke die Bibel gegeben habe.
Freilich muss ein Volk
auch in der Notzeit zusammenhalten. Es muss eine innere
Verbindung bestehen, und die Solidarität muss sich in
der Notzeit zeigen. Immer wider hat es in solchen Zeiten
des Druckes und der Not Hunderttausende, Millionen
gegeben, die sich bewährt haben. Es ist nicht wahr, dass
unser Volk in der Notzeit versagt habe. Hunderttausende
haben den durch Bombenkrieg um ihre Heimat, um ihr Heim
gebrachten Menschen ein Asyl geboten. Nicht alle. Es gab
auch unrühmliche Ausnahmen. In Garmisch lebte ein Mann,
den Sie alle kennen, der Komponist Richard Strauss. Er
hatte in Garmisch eine Villa mit 19 Zimmern. Richard
Strauss weigerte sich, auch nur einen Ausgebombten
aufzunehmen. Er war vom katholischen Glauben abgefallen,
das sei nur dazugesagt. In Notzeiten lehrt die Kirche
die Menschen das Dulden, das Helfen, die Nächstenliebe.
Sie lehrt in dem Volksgenossen den Menschenbruder
erkennen, den Bruder auch in Christus, und das
überwindet die Not.
Aber das Volkstum gibt
auch der Kirche etwas. Das Christentum ist so reich, die
Offenbarung ist so unerschöpflich, dass es gewissermaßen
aller Stämme auf dieser Erde bedarf, um die letzten
Feinheiten aus dieser Fülle herauszuarbeiten. Wir
brauchen die Slawen, wir brauchen die Neger, wir
brauchen die Indianer, wir brauchen die Völker Europas
und Asiens, wir brauchen alle, damit der Reichtum der
Offenbarung zutage gefördert wird. Auch unser Volk hat
der Offenbarung etwas zu geben. Unser Volk hat viel dazu
getan, um die Offenbarung, um das Christentum zu
erschließen. Die mittelalterliche Mystik, die Kunst des
Mittelalters, das fromme deutsche Gemüt hat der Kirche
viel gegeben. Welches Volk hat Kirchenlieder von solcher
Fülle und Innigkeit wie unser deutsches Volk? Deutsche
Tatkraft hat mehr als einmal in schwerster Zeit das
Papsttum frei gemacht von unwürdigen Fesseln. Die
deutschen Päpste waren immer eine Zierde auf dem Stuhl
Petri. Deutsche Missionare haben das Christentum
hinausgetragen in die weiten Afrikas, Asiens und
Amerikas. Es war ein schwerer Schlag, der die Kirche
traf, als die unselige Glaubensspaltung einen großen
Teil des Volkes losriß von der Kirche. Kein Freund des
Christentums war es, nämlich Friedrich Nietzsche, der
einmal gesagt hat: „Wenn man nicht fertig wird mit dem
Christentum, die Deutschen werden daran schuld sein.“ O
wie richtig! Wenn man nicht fertig wird mit dem
Christentum, die Deutschen werden daran schuld sein.
Aber die Kirche sieht
freilich auch die Schwächen. Sie kann ja vergleichen
zwischen den verschiedenen Völkern, und sie sieht die
Stärken und die Schwächen eines jeden Volkes. Sie weiß
auch, zu welcher Höhe die Völker geführt werden sollen.
Wir können nicht leugnen, dass es unserem Volk leicht an
Klarheit fehlt, dass Leidenschaftlichkeit schnell das
ruhige Urteil trübt. Wir wissen um unsere Kritiksucht,
um unsere Besserwisserei, die uns das demütige,
kindliche Glauben schwer macht. Wir pflegen so sehr das
Eigene und Persönliche, dass wir die objektive Wahrheit
nur schwer finden und festhalten. Da muss die Kirche uns
erziehen und vor Einseitigkeiten bewahren. Wir neigen
auch zu Übertreibungen. Das Zweite Vatikanische Konzil
hat die Errichtung von Initiativkreisen, von
unternehmerischen Gruppen, von missionarischen
Verbindungen angeregt. Was hat man in Deutschland daraus
gemacht? Das ebenso lächerliche wie gefährliche,
anmaßende und aufmüpfige Rätesystem, eine Bürokratie mit
Sitzungen und Protokollen, eine andere Hierarchie, die
neben die Hierarchie göttlichen Rechtes tritt. Das
Zweite Vatikanische Konzil hat in der
Liturgiekonstitution Art. 36 § 1 gelehrt: „Der Gebrauch
– der Gebrauch! der Gebrauch! – der lateinischen Sprache
ist in den lateinischen Riten beizubehalten.“ Das ist
ein Jussiv, ein Befehlswort. Was haben die Deutschen
daraus gemacht? Der Gebrauch der lateinischen Sprache
muss verschwinden, und er ist verschwunden.
Unsere deutschen Denker
haben oft unserem Volke einen Spiegel vorgehalten.
Friedrich Nietzsche hat einmal geschrieben: „Der
Deutsche versteht sich auf die Schleichwege zum Chaos.“
Wie richtig! Und Goethe: „Die Deutschen gehen jeder
seinem Kopfe nach, jeder sucht sich selbst genugzutun,
er fragt nicht nach dem anderen.“ Wie richtig! Und
Görres: „Immer haben die Deutschen mehr Erbitterung
gegeneinander als gegen den wahren Feind gezeigt.“ Wie
richtig! Der Geist der Zwietracht ist in unserem Volke
wahrhaftig zu Hause. Der deutsche Papst wird seit Wochen
von allen Seiten angegriffen, beschimpft, verdächtigt,
verunglimpft. Aber die deutschen Katholiken stellen sich
nicht wie ein Mann hinter ihn, sondern ein Teil fällt
ihm in den Rücken, heult mit den Wölfen. Dabei tun sich
die Räte unrühmlich hervor. Und die Herren Bischöfe? Ein
Teil von ihnen distanziert sich vom Papst, kritisiert
den Papst, läßt ihn im Regen stehen. Das ist die
deutsche Zwietracht!
Die Kirche tritt auch
jeder Vergötzung des eigenen Volkes entgegen, jeder
Überheblichkeit, die man mit dem Fremdwort Chauvinismus
zusammenfaßt. Es ist doch so, dass alle Völker ihre
spezifischen Begabungen haben, dass man von jedem Volke
etwas lernen kann, dass sich Stärken und Schwächen eines
jeden Volkes durch Lernen von anderen Völkern
ausgleichen lassen. Wir können von Franzosen und von
Italienern manches uns aneignen. Mir sagte einmal ein
Kellner, ein Kellner in Mainz, der weit herumgekommen
war: „Wenn ich in Sizilien auf der Straße umkippe, da
strömen die Menschen herbei, um mich zu retten. In
Deutschland gehen sie vorbei.“ So sagte mir ein
deutscher Kellner.
Es muss eine Gemeinschaft
zwischen den Völkern sein, ein Verstehen, eine Achtung.
Die Kirche Christi pflegt diesen Geist, schon deswegen;
weil sie ein gemeinsames Oberhaupt hat. Polnische
Bischöfe, italienische Bischöfe haben sich demonstrativ
hinter unseren Heiligen Vater gestellt. Es sei ihnen
gedankt.
Wir haben aber auch ein
Gnadenleben, das in allen der Kirche Zugehörigen lebt
und das sie miteinander verbindet. Im Geiste der
Verbundenheit haben die europäischen Völker sich dem
Islam entgegengestemmt und ihn ferngehalten. Was wäre
aus Europa geworden, wenn der Islam es überrannt hätte?
Nur die Reichsidee und die gemeinsame Abwehrpflicht
haben jahrhundertelang den Erbfeind Europas
ferngehalten. Aber die Reichseinheit zerfiel, als die
Reformation die Einheit des Glaubens zerrissen hat. Der
Schaden, den die Religionsänderung über unser Volk
gebracht hat, kann überhaupt nicht übertrieben werden.
Die sogenannte Reformation war ein Verhängnis für unser
Vaterland. Der Protestantismus hat das Deutsche Reich
ruiniert. Luther ist der Zerstörer der deutschen
Reichsnation. Das sage nicht ich, das sagt der
Lutherforscher Josef Lortz. Wenn die deutschen Bischöfe
heute überlegen, wie sie sich an der Feier des
Reformationsjubiläums im Jahre 2017 beteiligen wollen,
so sage ich ihnen: Wir haben da nichts zu feiern! Wir
wissen, was aus der Kirchenspaltung kam: der
Dreißigjährige Krieg, der Nationalismus,
Nationalitätenüberhebung, Nationalitätenstolz,
Nationalitätenhaß. Sie taumelten hinein, die Völker, in
den Ersten Weltkrieg. Ein furchtbarer Gewaltfrieden
wurde geschlossen. Die Demütigung und die Ausplünderung
des deutschen Volkes durch den Frieden von Versailles
haben die Keime für das Heraufkommen des Nazitums
gelegt. Der katholische Politiker Ludwig Kaas hat das
richtige Wort geprägt: „Hitler ist nicht in Braunau am
Inn, Hitler ist in Versailles geboren.“ Dann kam der
Nationalsozialismus mit seiner Gewaltbereitschaft, mit
seiner Verachtung anderer Völker, mit seiner Irrlehre
von den Herrenmenschen und dem Untermenschen. Die Kirche
hat gemahnt und gewarnt, sie hat die Verfolgung
Unschuldiger als Unrecht gebrandmarkt, aber sie wurde
nicht gehört, sie wurde verdächtigt. Man hat sie als die
„überstaatliche Macht“ neben das Judentum und die
Freimaurerei gestellt. Überstaatliche Macht, also
staatsfeindlich. Die Nazis wollten unser Land mächtig
und groß machen. Sie haben es zugrundegerichtet wie
niemand je zuvor. Sie versprachen, unser Volk zur Blüte
zu führen, sie haben es in ein namenloses Elend
gestürzt. Jetzt ist man dabei, Europa zu bauen. Wir
bejahen den Europagedanken, aber wir haben Bedenken, die
wir nicht verbergen können: die vielen, die unglaublich
vielen Behörden und Beamten, die Kommissare und
Abgeordneten, dieser Aufwand von Milliarden Euro, das
macht mich skeptisch. Ich halte es für kindlich, Europa
nur durch Änderung von Regierungen und
Wirtschaftsordnungen und Strukturen bauen zu wollen. Nur
eine wirkliche Wandlung der Gesinnung, eine Bekehrung
kann Europa schaffen, kann Europa retten. Ich sehe eine
solche Wandlung nicht. Ich sehe mit Sorge nach Brüssel
und Straßburg. Dort sind dieselben Kräfte und Strömungen
am Werke, die wir ja aus unserer Heimat kennen:
Parteigunst, Parteigeist, Parteigegensatz. Daraus soll
ein einiges Europa werden? Die Religion wird
ausgegrenzt, der Katholizismus niedergehalten. Woher
will das verwaltete Europa seine Grundsätze und seine
Grundwerte beziehen, wenn nicht aus der Religion?
Meine lieben Freunde, ein
Genesen der Völker aus ihren Krisen ist nur möglich,
wenn sie über Grenzen und Meere sich die Hand reichen
und in christlichem Verstehenwollen, im Geiste
christlicher Gerechtigkeit und Liebe eine Einheit
werden, wenn Christus Herr wird und König im Bunde der
Völker.
Amen.
Das Christentum hat auch
die Arbeit erlöst. Es gibt ein Evangelium der Arbeit. Im
Heidentum ist ein Schwanken zwischen Geringschätzung der
Arbeit und Verachtung der Arbeit festzustellen. Das
hatte seinen Grund darin, dass die schweren, die
körperlichen, dir schmutzigen Arbeiten den Sklaven
überlassen wurden, und die Sklaven waren eine verachtete
Volksklasse. Sie mußten die schweren Arbeiten
verrichten, damit die anderen der Muße und dem Müßiggang
sich überlassen konnten.
Das Christentum hat die
Würde der Arbeit hergestellt. Die christliche Lehre hat
die Ehre und die Erhabenheit der Arbeit ins Bewußtsein
der Menschen gehoben; denn sie hat Arbeit und Tugend
verbunden. Sie hat so der Freiheit der Arbeit, also der
Aufhebung der Sklaverei, den Weg bereitet. Wenn einmal
die Arbeit eine Würde hat, dann kann sie nicht als
verächtliches Geschäft, das nur für Sklaven geeignet
ist, gelten. Die Kirche ist so tatsächlich die Urheberin
der Aufhebung der Sklaverei geworden. Der Herr selber
hat ja Handarbeit verrichtet, jahre-, jahrzehntelang.
Und sein Apostel Paulus war ein Intellektueller, aber er
hat das Gewerbe des Zeltmachers gelernt, und er hat es
ausgeübt. In seinem 2. Brief an die Thessalonicher
schreibt er: „Wir haben Tag und Nacht hart und schwer
gearbeitet, um keinem von euch zur Last zu fallen. Nicht
als ob wir kein Recht dazu hätten, nämlich von euch
unterhalten zu werden, sondern um euch ein Beispiel zu
geben, dem ihr folgen sollt.“ Paulus hat die Handarbeit
nicht verschmäht, sondern sich damit seinen
Lebensunterhalt verdient. Die Kirchenväter haben sein
Beispiel und seine Lehre aufgenommen, etwa der heilige
Augustinus, der ein eigenes Buch über die Arbeit der
Mönche geschrieben hat. In diesem Buche spricht er
davon, dass die Christen eine große Gemeinschaft bilden,
in der jeder einzelne arbeiten muss, nicht nur für sich,
sondern auch für die anderen.
Im Mittelalter sind die
großen christlichen Ideen von der Arbeit in
bewundernswerter Weise verwirklicht worden. Im
Mittelalter war jede ehrliche Arbeit angesehen und
verbürgte ein entsprechendes Auskommen. Die Arbeit galt
als Gottesdienst, und sie wurde als ein sozialer, also
für die Gesellschaft geleisteter Dienst, als ein Amt im
Dienste Gottes angesehen. Es gab eine vorbildliche
Organisation der Arbeiter in den Zünften, in den
Bruderschaften. Die Kirche hat stets den Schutz des
Arbeiters sich angelegen sein lassen. Daher kommt das
Zinsverbot. Im Mittelalter war es den Christen, nicht
den Juden, aber den Christen verboten, Zins zu nehmen,
weil das Zinsnehmen als arbeitsloses Einkommen galt, und
arbeitsloses Einkommen war verpönt. Den Päpsten der
beiden letzten Jahrhunderte verdanken wir die großen
Enzykliken, Rundschreiben über die Arbeit. Im Jahre 1891
bahnbrechend – bahnbrechend! – das große Evangelium der
Arbeit von Papst Leo XIII., „Rerum Novarum“, ein
Dokument von überragender Weisheit. Ich kann mich
erinnern, wie ich als Knabe in der Zeit des Dritten
Reiches mir diese Enzyklika besorgt habe und besorgen
konnte; sie war tatsächlich noch zu haben. Dann kam die
große Enzyklika „Quadragesimo Anno“ von Pius XI. im
Jahre 1931 und schließlich die Enzyklika „Mater et
Magistra“ von Johannes XXIII. im Jahre 1961. Es gibt
eine christliche, eine katholische Soziallehre, die auf
drei Prinzipien aufruht: auf dem Personalprinzip, auf
dem Subsidiaritätsprinzip und auf dem
Solidaritätsprinzip – Personalprinzip,
Subsidiaritätsprinzip und Solidaritätsprinzip.
Arbeit ist die mit
persönlicher Anstrengung, mit persönlichem Kräfteaufwand
verbundene, sozial nützliche Betätigung. Unter Arbeit im
wirtschaftlichen Sinne versteht man die Betätigung zum
Zwecke der Güterherstellung. Es gibt eine vorethische,
eine wirtschaftliche Bedeutung der Arbeit. Jedermann
sieht ein, dass man, um sich zu erhalten, arbeiten muss.
Die Pflicht, sich zu erhalten, bedingt die Pflicht, zu
arbeiten, sonst kann man das Leben nicht fristen, sonst
kann man die nötigen Bedarfsmittel nicht erwerben. Die
Arbeit soll wirtschaftlich sein, d.h. man soll mit dem
möglichst geringsten Mittel den größten wirtschaftlichen
Erfolg herausholen. Das ist kein unchristliches Prinzip,
das Prinzip der Wirtschaftlichkeit.
Die Kirche ist immer eine
Feindin des Müßigganges und der Trägheit gewesen. Papst
Leo XIII. schreibt in seiner Enzyklika „Rerum Novarum“:
„Die Kirche ist inimica inertiae desidiaeque“, eine
Feindin der Trägheit und des Müßigganges. Sie sieht vor
allem die sittliche Bedeutung der Arbeit. Sie sieht den
Wert der Arbeit für die Entwicklung der sittlichen
Persönlichkeit. Die Arbeit ist die große Erzieherin der
Menschen. Sie führt sie zu Tugenden, die den meisten
fremd wären, wenn sie nicht arbeiten würden. Also: Sie
erzieht zur Selbstzucht, zur Selbstverleugnung, zur
Selbstbescheidung; sie erzieht zur Gewissenhaftigkeit,
zur Ordnungsliebe, zur Pünktlichkeit. Die Arbeit erzieht
zur Umsicht, zur Energie, zur Beharrlichkeit. Die Arbeit
lehrt uns Sparsamkeit, Verantwortungsgefühl, Sinn für
Autorität, denn bei der Arbeit muss man sich
unterordnen. Vollendet wird die sittliche Betrachtung
der Arbeit durch die religiöse. Die religiöse Auffassung
der Arbeit lehrt uns die Arbeit als ein Mittel erkennen,
das wir nötig haben, um das letzte Ziel zu erreichen.
„Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ Das steht
in der Heiligen Schrift. Angesichts dieser Bedeutung der
Arbeit ist es schwer zu verstehen, dass Menschen die
Arbeit fliehen, dass sie die Arbeit verwünschen, dass
sie sich der Arbeit entziehen. In den letzten
Jahrzehnten hat man beobachten müssen, dass manche,
vielleicht viele Menschen ohne durchschlagenden Grund
aus der Berufsarbeit frühzeitig, vorzeitig ausscheiden.
Sie entziehen sich damit einer Pflicht, die ihnen von
Gott und der Gesellschaft auferlegt ist. Sie tragen
nicht mehr zum Gemeinwohl bei durch ihre Berufsarbeit,
wozu sie doch bestimmt sind.
Die christliche
Auffassung wirkt der materialistischen Wertung der
Arbeit entgegen. Für den Materialisten ist die Arbeit
nur Lohnquelle und Mittel, um sich dem Genuß widmen zu
können. Da büßt die Arbeit ihre Würde ein und wird zum
erniedrigenden Joch, das man angeblich nur für andere
schleppen muss. Da wird die Arbeit zur Ware, die man
verkauft an den Arbeitgeber. Nein, Arbeit ist niemals
bloße Ware, meine lieben Freunde. Das heißt, ihren
unzertrennlichen Zusammenhang mit der Persönlichkeit des
Menschen verkennen. Sie ist ein Stück der menschlichen
Identität. Sie soll ihm nicht nur den Unterhalt
gewähren, sondern sie adelt ihn auch. Es ist tatsächlich
ein Adel in der Arbeit.
Manche überschätzen die
Handarbeit. Da kann ich Ihnen ein eigenes Erlebnis
erzählen. Nach dem Kriege waren in meiner Heimat die
Bahnstrecken unbrauchbar gemacht worden durch deutsche
Pioniere, die Weichen waren gesprengt, die Brücken
zerstört. Der Verkehr lief nicht mehr. Alles, was Hände
hatte, mußte antreten zur Arbeit, um die Verkehrswege
wieder herzustellen. Auch die Inspektoren und die
Sekretäre am Bahnhof mußten arbeiten, mußten mit der
Hand arbeiten. Und ein Gleisbauarbeiter, der das ganze
Leben nichts anderes getan hatte als Gleise zu bauen,
sagte voll höhnischer Genugtuung. „Jetzt müssen die
Herren Beamten auch einmal arbeiten.“ Für ihn war also
Arbeit nur die Bemühung mit Hacke und Schaufel. Andere
Arbeit vermochte er nicht anzuerkennen. Das ist ganz
falsch. Es muss Arbeit mit den Händen getan werden,
sonst könnte keiner von uns leben. Es muss aber auch
Arbeit mit dem Gehirn getan werden, sonst wäre unser
Leben nicht lebenswert. Meistens kann nicht derselbe
Mensch beides zugleich leisten; deswegen muss eine
Arbeitsteilung stattfinden. Auch die Arbeit des
Seelsorgers ist notwendig, und sie ist schwere Arbeit.
Das zeigt sich z.B. darin, dass die Lebenserwartung der
katholischen Priester um 10 Jahre geringer ist als die
der evangelischen Geistlichen.
Die christliche
Auffassung der Arbeit wehrt der materialistischen
Überschätzung der ruhelosen Betriebsamkeit. Die Kirche
ist auch für die Erhebung der Seele und für die
Arbeitsruhe eingetreten. Welch ein Segen ist der
christliche Sonntag! Als die Französische Revolution den
Sonntag abschaffte und die Zehn-Tage-Woche einführte, da
haben selbst die ungläubigen Arbeiter dagegen
protestiert und sich geweigert, dieser obrigkeitlichen
Maßnahme nachzukommen. Der Sonntag schlägt die Tore auf
zur Erhebung der Seele und zur Erholung.
Die Arbeit ist eine
Pflicht. Sie ist ein verpflichtendes Gebot Gottes, und
zwar jede mit persönlichem Kräfteaufwand verbundene
nützliche Betätigung im sozialen Interesse. In diesem
weiteren Sinne ist ein jeder Mensch zur Arbeit
verpflichtet. Im Sinne der Berufsarbeit und der
Erwerbsarbeit ist auch die Menschheit zur Arbeit
gehalten, denn ohne diese Tätigkeiten gibt es keine
Erhaltung der menschlichen Gesellschaft. Es müssen alle
notwendigen und nützlichen Tätigkeiten körperlicher und
geistiger Art berufsmäßig besorgt werden. Die
Gesellschaft kann ohne sie nicht bestehen.
Auch für den einzelnen
ist die Arbeit eine unbedingte Notwendigkeit. Gott hat
ihn zur Arbeit geschaffen. Er hat in ihn den Drang, sich
zu betätigen, hineingelegt. Er hat zu diesem Zwecke
seine Glieder gebildet. Der Träge vereitelt die
Bestimmung des Menschen und das Ziel seiner Erschaffung.
Die Arbeit ist auch ein Mittel zur sittlichen
Selbstveredelung. Ohne die recht getane Arbeit
verkümmert die menschliche Persönlichkeit. Vom sozialen
Gesichtspunkt aus ist immer das Mitwirken an den
Segnungen der Kultur, aber auch an den Aufwand der
Arbeit gefordert. Wir haben das Beispiel des Herrn, der
selbst gearbeitet hat. Wir haben das Vorbild des
Apostels, der den Anspruch auf Unterhalt nicht
wahrgenommen hat, um selbst zu arbeiten.
Wir sehen die Arbeit
freilich auch als Strafe und Buße, denn die Arbeit ist
mühsam. Die Arbeit kann auch erfolglos sein. Die Arbeit
kann auch mißlingen. Da sieht man, dass die Arbeit auch
Strafe und Buße ist, dass sie Mühsal mit sich bringt und
dass sie uns den Schweiß auspreßt. Dennoch bleibt Würde
und Segen der Arbeit gewahrt. „Arbeit ist das
Zauberwort, Arbeit ist des Glückes Seele“, so hat ein
Dichter einmal geschrieben. „Arbeit ist des Friedens
Hort, nur die Arbeit kann erretten, nur die Arbeit
sprengt die Ketten. Arbeit macht die Völker frei.“
Wir Christen haben noch
ein besonderes Motiv für die Arbeit, nämlich wir wissen,
dass wir einmal Rechenschaft ablegen müssen über unser
Leben. Wir wissen, dass wir dem Herrn auch einmal die
Verantwortung zurückgeben müssen, die wir für unseren
Körper und für unseren Geist gehabt haben. Wir müssen
Rechenschaft ablegen, wie wir unsere Kräfte gebraucht
haben, wie wir gearbeitet haben. Der Gedanke an die
Ewigkeit macht nicht arbeitsscheu, sondern er macht
arbeitsfroh und arbeitswillig. Die Lebensaufgabe des
Menschen schließt die Erwerbsarbeit ein. Nur so kann man
normalerweise den Lebensunterhalt gewinnen, nur so kann
man sich vor dem schädlichen Müßiggang bewahren, nur so
kann man die niederen Leidenschaften zügeln, nur so kann
man den Verbindlichkeiten, die wir gegenüber anderen
haben, nachkommen. Es ist eine beliebte Floskel, die
Mönche zu verspotten, dass sie angeblich Faulenzer
seien. Eine solche Rede kann nur von denen kommen, die
niemals Klöster kennengelernt haben. Auch in den
Klöstern wird gearbeitet. Die Ordensleute sind keine
Faulenzer. Die Menschen, die das beschauliche Leben
gewählt haben, gehen nicht müßig. Sie arbeiten, sie
arbeiten viel, sie arbeiten unermüdlich. Sie müssen die
Bedürfnisse ihres Hauses und ihrer Gemeinschaft
befriedigen, sie müssen auch um Mildtätigkeit besorgt
sein. Noch immer klopfen die Bettler an die Türen der
Klöster und nicht an die Büros der Parteien. Die
Trappisten in Mariawald stellen den beliebten
Klosterlikör her, die Kapuzinerinnen in Mainz backen die
Hostien für die heilige Messe. Auch das Gebet ist
Arbeit, ist anstrengende, ist mühsame Arbeit. Deswegen
beten die Menschen so ungern, weil diese Arbeit so
schwer ist. Die dem geistlichen Leben hingegebenen
Personen nehmen diese schwere Arbeit auf sich, bei Tage
und manche auch in der Nacht.
Die Arbeit bedingt eine
bestimmte Ordnung. Sie bedarf der Ordnung. Hinsichtlich
des Gegenstandes der Arbeit muss man dem Notwendigen den
Vorzug geben, dann dem Nützlichen und zum Schluß erst
dem Angenehmen. Der gesamten Arbeit muss ein Plan
zugrunde liegen. Nur so kann die Arbeit gelingen. Es ist
eine Arbeitsorganisation notwendig, nicht nur im
Betrieb, sondern auch im Leben des Einzelnen. Das
Christentum veredelt die Arbeit. Das Christentum hält
nichts von dem Slogan: „Wer Arbeit kennt und sich nicht
drückt, der ist verrückt.“ Das ist ein elendes Wort, das
wir abweisen. Das Christentum erkennt alle berechtigten,
natürlichen Motive, um zu arbeiten, an, also die Sorge
für den Unterhalt, die Entfaltung der Persönlichkeit,
die Förderung der Kultur. Aber sie hat auch noch höhere
Motive. Sie lehrt uns mitarbeiten mit dem Schöpfer Gott,
der nicht aufhört zu arbeiten, indem er die Welt erhält.
Mitarbeit mit dem Schöpfer Gott. Sie lehrt uns, die
Arbeit im Geiste der Buße gebrauchen. Wenn die Arbeit
mühsam ist, wenn uns etwas mißlingt, dann denken wir:
Ich habe es verdient, Gott hat mich mit Recht etwas
mißlingen lassen. Die Arbeit ist auch ein Opfer, das wir
Gott darbringen, und es ist ein Werk, das er uns
anschafft und das er einmal lohnen wird. Der Apostel
Paulus mahnt uns, alle Arbeit zur Ehre Gottes zu
verrichten. „Was ihr tut, das tut von Herzen gern, weil
es für den Herrn und nicht für die Menschen geschieht.“
Weil es für den Herrn und nicht für die Menschen
geschieht.
Ein Problem, ich weiß es,
ist die mangelnde Arbeitsfreude. Die Freudigkeit der
Arbeit ist ein kräftiges Mittel, gern zu arbeiten. Wer
an seiner Arbeit Freude hat, der liebt die Arbeit, der
schätzt sie. Aber freilich, die mechanische Teilarbeit,
der viele nachgehen müssen, wo die Befriedigung fehlt,
wo man den Erfolg nicht sieht, die Hemmnisse der Arbeit,
z.B. die eingeschränkte Möglichkeit aufzusteigen,
sondern immer nur auf derselben Stufe verharren muss,
die fehlende Mitbestimmung bei der Arbeit, die harte
oder verächtliche Behandlung bei der Arbeit, die
ungenügende Entlohnung, die mangelnde Schätzung der
Arbeit, das viele Reglementieren, das alles kann die
Arbeitsfreudigkeit hemmen. Auch die zu lange
Arbeitszeit. Im Jahre 1944, meine lieben Freunde, mußte
ich in die Fabrik gehen, in die Rüstungsfarbrik. Wir
hatten einen Arbeitstag von 12 Stunden, von früh um 6
bis abends um 7, in der Woche 72 Stunden, mit einer
Stunde Mittagspause. Und am Sonntag fuhren wir an die
Grenze und mußten Panzergräben ausheben. Da kann
Arbeitsfreudigkeit schwerlich gedeihen. Entscheidend
ist, dass dem Arbeiter, dem Arbeitnehmer Gerechtigkeit
widerfährt, dass zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
eine wahre christliche Gemeinschaft herrscht, dass die
natürlichen Mittel auf diese Weise erhoben werden in
eine höhere Sphäre und die Menschen zur Arbeit nicht nur
veranlaßt, sondern auch motiviert werden. Arbeit und
Pflichterfüllung sind das Fundament jedes wahren inneren
Glückes. Es ist ein Glück, meine lieben Freunde,
arbeiten zu dürfen. Arbeitslosigkeit ist ein Unglück,
Arbeitsunfähigkeit ist ebenfalls ein Unglück, und auch
Flucht vor der Arbeit ist ein Unglück. Arbeit ist das
einzige, aber auch das ausreichende Mittel gegen alles
Weh des Lebens. Wer nach einem großen Leid viel arbeiten
muss, der hat den schwersten Teil desselben schon
überwunden. Arbeit ist ein Mittel zum Tragen des
Kreuzes. Meist tut uns im Leid keine Trostarznei not,
sondern Arbeit, Bewegung, Betätigung. Wir sollen jeden
Tag – jeden Tag! – am Morgen beten: „O Herr, laß mich
arbeiten zu deiner Ehre, zum Heile meiner Seele und zum
Segen für meine Mitmenschen.“
Amen.
Geliebte im Herrn!
Soeben haben wir
vernommen, wie der Versucher an den Herrn herantrat, um
ihn zu Fall zu bringen. Auch der Herr ist dem Kampf
unterworfen geblieben. Die Angriffe Satans blieben ihm
nicht erspart. Und so ist auch uns wie ihm der Kampf
aufgegeben, der Kampf gegen den bösen Feind. Und wir
wollen an diesem 1. Fastensonntag uns zum Thema wählen:
Die Sünde und die Freude. Ja, paßt das zusammen? werden
Sie sagen, Sünde und Freude? Ist die Sünde nicht die
Freudenmörderin? Ja, das ist sie. Gott ist die Freude,
die absolute Freude, die wesenhafte Freude, und wer sich
ihm widersetzt, der kann – metaphysisch ausgeschlossen –
nicht in der Freude leben. Es ist metaphysisch
ausgeschlossen, dass jemand, der sich Gott widersetzt,
in der Freude leben kann. Vielmehr erwächst jedem
Menschen aus der Sünde seine eigene Züchtigung. Sein
Vergehen schlägt zugleich in seine Strafe um. Neben dem
Lustbecher sinnlicher Genüsse liegt der Revolver der
Verzweiflung. So ist es immer gewesen, und so ist es
auch heute. Die Sünde kann nicht froh machen. Die Sünde,
so sagt der heilige Pfarrer von Ars, ist der Henker des
lieben Gottes in unserem Herzen und der Mörder der
Seele. Sie reißt uns aus dem Himmel und versetzt uns in
die Hölle. Es ist klar, keine Sünde kann uns glücklich
machen, und keine Krankheit ist so schlimm wie die
Sünde.
Und dennoch möchte ich
heute die Sünde und die Freude miteinander in Verbindung
bringen und möchte sagen: Die Sünde ist nicht das
Schlimmste, sondern das, was nach ihr kommt. Nicht das,
was der Mensch im Augenblick der Sünde tut, ist das
Gefährlichste, sondern das, was nachher in seiner Seele
vorgeht. Überlegen wir einmal, wie es zur Sünde kommt.
Erst lockt sie die Seele mit ihrem gleißenden Glanz, der
Mensch gibt nach, und nachher ergreift ein tiefes
Unbehagen seine Seele. Was hast du getan! Es ist ein
Mürrischwerden der Seele, ein Mürrischwerden gegen sich
selbst, gegen Gott und gegen alles. Gleichzeitig zieht
die Mutlosigkeit in die Seele ein. Es ist verständlich:
Vor jeder Sünde gibt es einen Kampf. Wenn noch ein Funke
von Religion in der Seele lebt, dann wehrt sie sich
gegen die Sünde, und wenn sie doch fällt, kommt gleich
der Gedanke: Wozu aller Kampf? Wozu aller Widerstand? Es
ist doch alles umsonst. Die Opfer, die ich gebracht
habe, das Gute, das ich getan habe, alles ist dahin,
denn ich habe mich von Gott losgesagt.
Was geschieht, wenn der
Mensch sündigt? Er verfällt in einen Zustand, der Gott
mißfällt. Es ist der Zustand der Sündenschuld. Ihm folgt
die Strafschuld. Sündenschuld und Strafschuld sind die
beiden unmittelbaren Folgen der Sünde. Dazu kommt: Wer
immer Gott durch eine schwere Sünde beleidigt, verliert
im gleichen Augenblick alles, was er aus Christi
Kreuzestod an Verdiensten erhalten hat. Es wird ihm jede
Möglichkeit genommen, in den Himmel zu kommen. Es ist
eine Stimmung, wie wir sie in der Inflation erlebt
haben. Da hat mancher brave Mann gesagt: Nun habe ich
mein ganzes Leben geschafft, aber jetzt bin ich am Ende
und stehe wie ein Bettler da. Ein Bankrott. Aber noch
schlimmer als der irdische Bankrott ist der himmlische
Bankrott, der seelische Bankrott, die Ermattung, die
Mutlosigkeit, die sich in der Seele ausbreitet nach der
Sünde. Welches ist die tiefste Quelle der Mutlosigkeit?
Der zerbrochene Stolz. Der Mensch kann und will sich
nicht daran gewöhnen, dass er ein armes, gebrechliches
Wesen ist. Es sagte mir einmal ein Mann: „Seit 31 Jahren
begehe ich diese Sünde, immerfort und immer wieder. Ich
komme nicht davon los. Ich schaffe es nicht.“ Ist das
wahr? Kann er wirklich nicht davon loskommen? Nein und
tausendmal nein. Er kann, wenn er will. Er kann, weil er
muss. Das ist das Furchtbarste, wenn jemand meint, es
gebe für ihn keine Möglichkeit der Umkehr. Es gibt eine
solche Möglichkeit. Dem Menschen, der tut, was in ihm
ist, versagt Gott nicht seine Gnade. Der Mensch muss nur
einen Entschluß fassen; er muss ihn durchhalten, er muss
ihn erneuern. Er muss, wenn die Versuchung kommt, sich
daran erinnern. Er muss wirklich aufstehen von der Sünde
und einen entschiedenen Willen haben, die sündhafte
Neigung zu überwinden. Er muss die Gelegenheit – die
Gelegenheit! – zur Sünde meiden. Er muss die Mittel –
die Mittel! – zur Überwindung der Sünde anwenden. Also
nicht mutlos werden aus falschem Stolz, aus Trotz.
Aber es gibt noch einen
zweiten Grund der Mutlosigkeit, nämlich man kennt die
Barmherzigkeit Gottes nicht. Wohl hat der Herr alles für
uns getan. Überall hängt sein Kreuz, und überall steht
der Tabernakel. Jedes Kreuz und jeder Tabernakel erzählt
von der Liebe Gottes. Und was erzählt das Kreuz? Was
erzählt der Tabernakel? Die Sünde gibt wohl einen Grund
zur Reue, aber nicht einen Grund zur Mutlosigkeit. Es
ist schlimm, wenn man zugeben muss: Es war alles
umsonst, alle Opfer, alle Gebete, alle Taten der Liebe.
Es gilt das furchtbare Wort, das beim Propheten Ezechiel
steht: „Wenn sich der Gerechte von seiner Gerechtigkeit
abwendet und Böses tut, aller seiner Gerechtigkeit wird
nicht mehr gedacht werden.“ Es ist schrecklich, eine
Todsünde zu begehen. Aber jetzt geschieht das andere.
Der Sünder geht in sich, er legt eine reuige Beicht ab,
er bekehrt sich. Es wird über ihn das „Absolvo te“
gesprochen. Da geschieht ein Wunder, ein Wunder in der
Seele, ein himmlisches Wunder, viel zu wenig bekannt im
gläubigen Volke, nämlich alle die guten Werke, die
Gebete jeder angstvollen Stunde, die Hilfe für einen
entfernten Verwandten, all das lebt in der Seele wieder
auf. Die im Stande der Gnade verrichteten guten Werke,
die durch die Sünde unwirksam gemacht wurden, leben
wieder auf, wenn der Sünder sich bekehrt. Das ist eine
Wahrheit, die in jedem guten Katechismus steht, nämlich:
„Zugleich mit der heiligmachenden Gnade werden alle
Verdienste wiedergegeben, die durch die schweren Sünden
verlorengegangen sind.“ Und das ist unser Glück, meine
lieben Freunde, denn wir brauchen Verdienste. Es ist
nicht gleichgültig, ob wir Verdienste haben. Nach den
Verdiensten werden wir gerichtet. „Ich war hungrig, und
ihr habt mich gespeist. Ich war durstig, und ihr habt
mich getränkt. Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters und
nehmt in Besitz das Reich!“
Es ist eine herrliche
Totenerweckung in der Seele, wenn der Mensch sich
bekehrt. Und da ist es ganz falsch, zu sagen: Jetzt muss
ich wieder von vorn anfangen. Nein, du fängst nicht von
vorn an, du fängst da an, wo du standest, ehe du die
Sünde begingst. Machen wir uns das einmal an einem
Beispiel klar. Es war einer ein gutes Kind, ein frommes
Kind, ein unschuldiges Kind, und die Reinheit hat aus
seiner Seele geleuchtet und aus seinen Augen. Dann ging
das Kind in das Leben hinaus, und seine Seele ist
verlumpt und verkommen. So hat das Kind, der Junge, das
Mädchen, der Mann, die Frau die Jahre zugebracht, aber
in seinem letzten Stündlein sagt er sich aufrichtig los
von seinem Sündenleben und ergreift Gott. Auch dieser
Mensch fängt nicht von vorn an. Er fängt da an, wo er
als Kind stehengeblieben ist. All die Gebete, die Werke
der Kindesliebe wachen wieder auf in seiner Seele, gehen
mit der scheidenden Seele vor seinen Richter und fordern
ihren Lohn. „Die Gottlosigkeit“, auch das steht beim
Propheten Ezechiel, „wird dem Gottlosen nicht schaden an
dem Tage, da er sich bekehrt von seiner Gottlosigkeit.“
Ach, was ein Trost, ach, was ein Glück! Ein Gedanke von
unbegreiflicher Schönheit. Wer kann vergeben, wie Gott
vergibt, so alles vergessen, was man ihm angetan. Gott
will nicht, dass jemand verlorengeht, sondern dass alle
zur Sinnesänderung kommen. „Wahrhaftig“, so heißt es
noch einmal beim Propheten Ezechiel, „ich habe kein
Wohlgefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass der
Gottlose sich von seinen Sünden bekehrt und lebt.
Bekehret euch, bekehret euch von eurem bösen Herzen!“
Wenn ein Priester zu
einem Kranken kommt und dieser legt eine lange, schwere
Beicht ab, dann fragt der Kranke manchmal: „Ist jetzt
wirklich alles gut?“ Es ist alles gut. Auch wir dürfen
das annehmen, nein: wir wissen, wenn wir gut gebeichtet
haben, wenn wir uns wahrhaft bekehrt haben. Gott ist
wieder gut. Er ist so gut, wie er vorher zu mir gewesen
ist, als ich ohne Sünde lebte. Die Gottlosigkeit wird
dem Gerechten nicht schaden an dem Tage, da er sich
bekehrt von seiner Gottlosigkeit.
Ein Heiliger hat einmal
in einem Briefe an eine vertraute Person geschrieben,
was er wohl tun würde, wenn er, der Heilige, in eine
schwere Sünde fällt. Wir horchen auf. Ein Heiliger eine
schwere Sünde? Er müßte doch verzweifeln, wenn er sieht,
wie sein ganzes jahrelanges Streben durch einen
Fehltritt vernichtet wird. Und was schrieb der Heilige?
„Ich würde bereuen und dann wieder anfangen, dem
Herrgott zu dienen mit derselben Ruhe, als hätte ich ihn
niemals beleidigt.“ Wie kann ein Heiliger so reden? Wie
ist das möglich? Weil er die Barmherzigkeit Gottes
kennt, viel besser als wir. Was wissen wir von Gottes
Barmherzigkeit? Jetzt verstehen Sie, meine lieben
Freunde, warum ich sagte: Nicht die Sünde ist das
Gefährlichste, sondern das, was nachher in unserer Seele
vorgeht; dass wir nicht an die Barmherzigkeit Gottes
glauben, dass wir wie ein törichtes Kind sind, das nicht
zurückkommen will. Eine Ordensschwester, die in einem
Waisenhaus arbeitete, wo auch verwahrloste Kinder
aufgenommen wurden, erzählte einmal: „Wir hatten ein
solches Kind, einen Knaben aus einer verwahrlosten
Familie bei uns. Eines Tages lief er fort. Wir suchten
ihn, wir fanden ihn nicht. Der Knabe blieb verschwunden.
Nach 14 Tagen hatte ich im Garten zu tun. Da hörte ich
meinen Namen rufen. Da stand der Knabe in völlig
verwahrlostem Zustand.“ Von weitem nur rief er den Namen
der Schwester. Die Schwester sagte: „Ich werde das Bild
nie vergessen. Ich ging hin und nahm ihn bei der Hand.“
„Komm, Kind“, sagte sie, „komm. Es ist gut, dass du
wiederkehrst. Wir haben schon lange auf dich gewartet.“
Sie führte ihn ins Haus, die Schwestern tadelten ihn
nicht, sie straften ihn nicht, sie taten so, als wäre
nichts gewesen. Wie dieses törichte Kind ist unsere
Seele. Äußerlich scheint sie trotzig, aber schauen wir
nur tief hinein, dann sehen wir die Mutlosigkeit. Wenn
es wirklich einmal vorkäme, dass eine Verirrung nie
gesühnt wird und dass sie auch im Tode nicht bereut
wird, dann hat das seinen Grund in der Angst vor Gott,
in der Angst vor der eigenen Schwäche.
So mancher scheint ein
erklärter Feind des Glaubens zu sein. So mancher
abgefallene Priester weiß so entschieden zu reden, um
seinen Abfall zu vereidigen. Aber seine Seele ist doch
nur wie ein Kind, das am Tor steht und nicht wagt
hineinzukommen. Das ist der größte Fehler, dass man
nicht an die Barmherzigkeit Gottes glaubt. Aber Gottes
Barmherzigkeit ist glaubwürdig, sie ist glaubwürdig
gemacht worden durch das Opfer von Golgotha. Im Buche
des Propheten Isaias steht geschrieben: „Den ganzen Tag
halte ich meine Arme ausgestreckt.“ Wir wissen, von wem
das gesagt ist. Wir wissen, wer der ist, der die Arme
ausgestreckt hält. Es ist unser Heiland am Kreuze. Warum
hält er sie ausgesteckt? Um uns einzuladen, zu ihm zu
kommen, um uns einzuladen, an sein Herz zu gelangen, um
uns einzuladen, aus seinen Wunden das Heil zu schöpfen,
um uns einzuladen, uns in seine Arme schließen zu
lassen.
Amen.
Geliebte im
Herrn!
Seit Wochen
sind wir Zeugen, Beteiligte und Leidende eines
aufwühlenden Streites innerhalb und außerhalb unserer
Kirche. Es geht um die Aufhebung einer Kirchenstrafe, um
eine unangebrachte Äußerung, um Beschimpfungen des
Heiligen Vaters und um Verdächtigungen unserer Kirche.
Von allen Seiten treten die alten Feinde der heiligen
Religion zum Sturme an. Nur vordergründig wird uns
eingegeben und vorgemacht, dass es um den Gnadenakt des
Papstes geht. In der Tiefe ist es ein Kampf um den
christlichen, um den katholischen Glauben. Die Feinde
der Kirche wollen, etwas vereinfacht dargestellt, nichts
anderes, als unsere Kirche in eine weitere
protestantische Denomination verwandeln. Bei diesem
Bemühen muss zuerst und zuoberst die Gestalt Jesu ihrer
göttlichen Hoheit entkleidet werden. Wenn sie fällt,
stürzt alles andere hinterher!
So setzen die ungläubigen
Theologen unserer Zeit dort an, wo die ungläubigen
Theologen des 19. Jahrhunderts aufgehört hatten. Im
Jahre 1835/36 ließ der protestantische Theologe David
Friedrich Strauß in Tübingen sein Buch erscheinen: „Das
Leben Jesu“. In diesem Buche wird Jesus als eine
mythische Gestalt dargestellt. Das heißt, was in den
Evangelien geschrieben steht, ist eine Verklärung eines
bloßen Menschen, ist eine künstliche Aufsteigerung eines
Menschen wie du und ich. Die Gestalt Jesu ist nach
Strauß von verblendeten Anhängern Jesu erfunden worden.
Diese Verirrungen haben bis heute ihre Nachahmer
gefunden. Neben mir in Mainz hat der protestantische
Theologe Herbert Braun gelehrt. Und was lehrte er?
„Jesus ist ein jüdischer Lehrer und ein Vorbild mit
prophetischen Zügen.“ Ein jüdischer Lehrer und ein
Vorbild mit prophetischen Zügen. Mehr nicht, das ist
alles. Die Verfehlungen gegen die Wirklichkeit Jesu
haben auch im katholischen Lager ihre Anhänger gefunden.
In Saarbrücken lehrte jahrzehntelang der Irrlehrer Ohlig
Katholische Theologie. Und was lehrte er von Jesus?
„Jesus ist ein archetypisches Modell wahrer
Menschlichkeit.“ Ein archetypisches Modell wahrer
Menschlichkeit. Also ein echter Mensch, aber ein bloßer
Mensch.
In diese Reihe gehört
auch der Schweizer Theologe Hans Küng. Es wird wenige
Bestandteile der katholischen Glaubens- und Sittenlehre
geben, die Küng nicht anzweifelt oder ablehnt. Aber
davon soll heute nicht die Rede sein. Ich beschränke
mich darauf, seine Ansicht über Jesus Ihnen vorzutragen.
Seine Irrlehre fängt damit an, dass er den dreieinigen
Gott leugnet. Er unterschiebt den Christen – den
Christen! – den Glauben an drei Götter. Gleichzeitig
zeigt er Sympathie für die Gotteslehre des Islam. Aus
der Leugnung des dreieinigen Gottes ergibt sich die
Zerstörung der Lehre von Christus. Jesus ist für Küng
ein persönlicher Botschafter, Vertrauter, Freund Gottes.
Botschafter, Vertrauter, Freund Gottes. Ja, meine lieben
Freunde, das sind sehr viele gewesen, das sind alle
Heiligen gewesen, Botschafter, Freunde und Vertraute
Gottes! Er nennt ihn auch einen „Sachwalter“. Sachwalter
ist auch Moses gewesen und sind die Propheten gewesen.
Die Apostel und die Bischöfe sind ebenfalls Sachwalter
Gottes. Offen geredet: Für Küng ist Christus nicht mehr
als ein Mensch. Er entkleidet den Heiland seiner
göttlichen Würde. Die Folge dieser Leugnung zeigt sich
im Inhalt der Predigt Jesu. Sie geht über eine Sache,
nicht über eine Person. „Nicht sich selbst verkündet
Jesus.“ Über diesen Satz wollen wir heute nachdenken.
Über diesen Satz von Küng: „Nicht sich selbst verkündet
Jesus.“ Ja, was verkündet er denn nach Küng? Den Vater
im Himmel, das Reich Gottes, aber nicht sich selbst
verkündet Jesus. Küng leugnet damit einen fundamentalen
Glaubenssatz unserer Kirche. Wer auch nur einen
Glaubenssatz leugnet, verfällt der Exkommunikation. Küng
ist der Exkommunikation wiederholt, immer wieder
verfallen. Aber kein Mensch kümmert sich darum. Kein
Bischof spricht davon, dass Küng ein Exkommunizierter
ist. Über die armen Kerle, die unerlaubt die
Bischofsweihe empfangen haben, fällt man her. Der
Theologe Küng leugnet grundwesentliche Wahrheiten des
christlichen Glaubens und wird nicht als
Exkommunizierter angesehen. Er eilt von Ehrung zu
Ehrung. Die Freimaurer geben ihm einen Preis und viele
andere.
Gegen die Verirrungen
dieser bodenlosen Theologie halten wir uns an die
historischen Zeugnisse. Mit geht es darum, zu zeigen,
dass der Satz „Nicht sich selbst verkündet Jesus“
grundfalsch ist. Er verfehlt das Wesen Jesu. Wir wollen
fragen: Wie hat sich Jesus von Nazareth verstanden? Der
Anspruch Jesu begegnet im Evangelium an vielen Stellen.
Zunächst bei der Heilung des Gelähmten. Sie kennen die
Geschichte. Vier Männer bringen einen Gelähmten zu
Jesus, lassen ihn durch das abgedeckte Dach des Hauses
vor ihn hin, und als Jesus ihren Glauben sieht, da sagt
er zu dem Gelähmten: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir
vergeben.“ Die Schriftgelehrten, die dabeistehen, sind
entsetzt und denken im Stillen: Wie kann dieser Mensch
so reden? Er lästert Gott. Wer kann Sünden vergeben
außer Gott? Wie reagiert Jesus auf diese Einrede? Er
sagt zu den Schriftgelehrten: „Ihr sollt erkennen, dass
der Menschensohn Macht hat, auf Erden Sünden zu
vergeben.“ Und er beweist diesen Anspruch, indem er zu
dem Gelähmten sagt: „Steh auf, nimm dein Bett und geh
nach Hause!“ Und der Mann stand auf, nahm sein Bett und
ging nach Hause. Jesus hat Vollmacht. Das Wort Vollmacht
begegnet mehrfach im Zusammenhang mit Jesus. Als die
Zuhörer seine Predigt hörten, da sagten sie: „Das ist
eine Rede in Vollmacht. Er spricht nicht so wie unsere
Schriftgelehrten.“ Und als ihn eine Sünderin bei einem
Gastmahl salbt und ihr Jesus sagt: „Deine Sünden sind
dir vergeben“, da denken die Geladenen: Wer ist denn
der, dass er sogar Sünden vergibt? Jesus, so sehen wir,
ist Inhaber einer Vollmacht. Er beansprucht diese
Vollmacht, er bejaht sie. Es ist eine doppelte. Es ist
die Vollmacht im Tun, und es ist die Vollmacht im Reden.
Sündenvergebung und Glaubensgesetzgebung sind Gottes
Sache. Jesus nimmt sie für sich in Anspruch. Er stellt
sich damit an die Seite Gottes.
Bei den drei ersten
Evangelisten findet sich die Erzählung von dem
öffentlichen Auftreten Jesu in seiner Heimatstadt, in
Nazareth. Er läßt sich eine Schriftrolle geben. Es ist
der Prophet Isaias. Und da liest er vor: „Der Geist des
Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er
hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute
Nachricht bringe“ und schließt: „Heute hat sich das
Schriftwort, das ihr gehört habt, in mir erfüllt.“ Die
Zuhörer staunen. Ist das nicht der Sohn des Joseph? Als
Jesus dann weiterspricht, und zwar provozierend, da
geraten sie in Wut, wollen ihn den Abhang
hinunterstürzen, auf dem ihre Stadt erbaut war. Er aber
schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg.
Hier begegnet wieder der Anspruch Jesu: Heute – heute! –
ist dieses Schriftwort in Erfüllung gegangen, nämlich in
ihm. In ihm, in seinem Reden, in seinem Auftreten ist
dieses Schriftwort erfüllt. Er ist der von Gott Gesalbte
und Gesandte Wenn er redet, dann redet Gott. Wenn er
auftritt, dann erscheint Gott. Aber Küng sagt: „Nicht
sich selbst verkündet Jesus.“
Jesus weist darauf hin,
dass er eine Stelle beim Endgericht einnimmt. „Wer sich
vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem wird sich auch
der Menschensohn vor den Engeln Gottes bekennen. Wer
mich aber vor den Menschen verleugnet, der wird auch vor
den Engeln Gottes verleugnet werden.“ Jesus bringt mit
diesen Worten das Bekenntnis zu ihm mit dem Urteil am
Letzten Gericht zusammen. Er erhebt einen Anspruch, der
alle gängigen Kategorien von Rabbis und Propheten
übersteigt. So hat noch niemand geredet in Israel. Das
Verhalten zu ihm entscheidet über das endzeitliche
Schicksal des Menschen. Die Engel Gottes sind hier
gemeint als die Boten und Diener und Helfer beim Letzten
Gericht. Sie führen die Befehle Gottes aus über die zu
richtenden Menschen, aber wer ihnen die Aufträge gibt,
das ist Jesus. In der Stellung zu ihm entscheidet sich,
ob sie, die Gerichteten, auf die rechte, die gerettete
Seite oder auf die linke, die untergehende Seite
gestellt werden. Jesus ist der Weltrichter. Von ihm
hängt das ewige Schicksal der Menschen ab. Aber Küng
sagt: „Nicht sich selbst verkündet Jesus.“
Die Sprüche über die
Nachfolge Jesu künden ebenfalls sein Selbstbewußtsein,
das in dieser radikalen Weise kein Prophet Israels in
Anspruch genommen hat. „Wer Vater oder Mutter mehr liebt
als mich, ist meiner nicht wert. Wer Sohn oder Tochter
mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.“ Da kommt
einer und sagt: „Herr, laß mich zuerst heimgehen und
meinen Toten begraben, meinen Vater.“ Jesus entgegnet
ihm: „Laß die Toten ihre Toten begraben, du komm und
folge mir nach!“ So kann nur sprechen, wer Herr ist über
alle irdischen Bindungen und familiären Verhältnisse.
Diese Souveränität kommt nur einem zu, Gott. Aber Küng
sagt: „Nicht sich selbst verkündet Jesus.“
Niemals hätte ein Jude
sagen können: „Größeres als der Tempel ist hier.“ Das
sagt Jesus. Größeres als der Tempel ist hier, nämlich in
ihm. Der Tempel ist das Heiligtum in Israel, ist das
größte Heiligtum. Er ist der Ort der besonderen
Gegenwart Gottes. Jesus bestreitet die Heiligkeit des
Tempels nicht, aber er ist dem Tempel weit überlegen.
Der Tempel ist Menschenwerk, er aber ist Gottes Sohn. Er
ist Gott in menschlicher Gestalt, und deswegen: „Mehr
als der Tempel ist hier.“ Aber Küng sagt: „Nicht sich
selbst verkündet Jesus.“
Der unerhörte Anspruch
Jesu gipfelt in seinem Bekenntnis vor dem Hohen Rat. Da
wird er gefragt: „Bist du der Messias, der Sohn des
Hochgelobten?“ Jesus antwortet: „Ich bin es. Ihr werdet
den Menschensohn zur Rechten Gottes sitzen und kommen
sehen mit den Wolken des Himmels.“ Wer zur Rechten
Gottes sitzt und mit den Wolken des Himmels kommt, das
ist nicht ein irdischer, nicht ein menschlicher Messias,
das ist der Gottessohn, der am Herzen des Vaters ruht.
Er ist der einziggeborene Sohn Gottes. Aber Küng sagt:
„Nicht sich selbst verkündet Jesus.“
Der unerhörte Anspruch
Jesu begegnet selbstverständlich auch im
Johannesevangelium. Ich erinnere an die vielen
Ich-Aussagen im Johannesevangelium. „Ich und der Vater
sind eins.“ „Wer mich sieht, der sieht den, der mich
gesandt hat.“ „Keiner kommt zum Vater, es sei denn durch
mich.“ „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ „Ich
bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ „Ich bin das
Brot des Lebens.“ Aber Küng sagt: „Nicht sich selbst
verkündet Jesus.“
Zum Anspruch Jesu gehört
auch sein Zäsur- und Erfüllungsbewußtsein. Sein
Erscheinen, sein Wirken macht einen Einschnitt aus, eine
Zäsur in der Weltgeschichte und in der Heilsgeschichte.
Was vorher war, ist Vorbereitung, was in ihm ansetzt,
ist Erfüllung. Das Vorhergehende ist zu Ende, das
Endgültige nimmt seinen Anfang. Dieser Anfang ist
niemand anderes als Jesus selbst. Aber Küng sagt: „Nicht
sich selbst verkündet Jesus.“
Hierher gehört auch die
Anfrage des Täufers. Er schickt zwei Jünger zu Jesus.
Sie sollen ihn fragen, ob er es ist, auf den sie warten
oder ob ein anderer kommen soll. „Meldet dem Johannes,
was ihr seht und was ihr hört: Blinde sehen, Lahme
gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen
auf, Armen wird die Heilsbotschaft verkündet, und Heil
dem, der sich an mir nicht ärgert.“ Das Harren, das
Warten, das Ausschauen nach Gottes Kommen ist zu Ende.
Christ, der Retter, ist da! In ihm sind die unerhörten
Ankündigungen der Propheten erfüllt. „Wenn ich – wenn
ich! – die Dämonen mit dem Finger Gottes austreibe, ist
folglich das Reich Gottes bei euch angelangt.“ Also
Christus verkündet nicht nur das Reich Gottes, er bringt
das Reich Gottes. In ihm ist es gegenwärtig. „Wenn cih
die Dämonen mit dem Finger Gottes austreibe, ist
folglich das Reich Gottes bei euch angelangt.“ Der Satan
und seine Dämonen sind mächtig, aber ein Mächtigerer ist
über sie gekommen. Er entreißt dem Satan die von ihm
geplagten Menschen. Er erscheint in Macht und
Herrlichkeit. In Jesus, in seinem Erscheinen, in seinem
Wirken bricht Gottes Reich an. Er ruft es nicht nur aus,
er bringt es in seiner Person zur Gegenwart. Aber Küng
sagt: „Nicht sich selbst verkündet Jesus.“
Das eigentliche Thema der
Predigt Jesu ist seine eigene Person. Mit dem
Heroldsruf: „Erfüllt ist die Zeit und nahe gekommen die
Herrschaft Gottes“, eröffnet das Evangelium das Wirken
Jesu. Es ist ein typischer Eröffnungstext, der das
Zäsur- und Erfüllungsbewußtsein Jesu klassisch zum
Ausdruck bringt. Die Verheißungs- und Wartezeit ist
vorbei. Ein Neues beginnt: „Kehrt um und glaubt dem
Evangelium!“
Ich hoffe, meine lieben
Freunde, Sie haben begriffen, wie falsch der Satz ist,
den der Irrlehrer Küng schreibt: „Nicht sich selbst
verkündet Jesus.“ Das Gegenteil ist richtig. Sich selbst
verkündet Jesus als den wahren Sohn Gottes. Jesus
predigt nicht bloß das Heil, er ist das Heil. Er ist der
Heiland der Welt.
Amen.
Geliebte im Herrn!
Am vergangenen Sonntag
haben wir erkannt, dass Jesus von Nazareth den höchsten
Anspruch erhebt, den ein Mensch überhaupt erheben kann,
nämlich den Anspruch, Gott gleich zu sein. Er sagt von
sich, dass er der wesenhafte Sohn Gottes ist. Wir wollen
am heutigen Sonntag fragen, welche Folgerungen sich aus
diesem Anspruch Jesu ergeben.
Erstens die Folgerung für
sich selbst. Jesus wirkte im Lande und Volke der Juden.
Er selbst war ein Jude, seine Mutter war eine Jüdin. Er
war in die Erwerbsgesellschaft seines Volkes
eingegliedert. Er war ein „Tekton“, wie das griechische
Wort heißt, also ein Bauhandwerker, ein Zimmermann
vielleicht. Und sein Vater, sein Pflegevater, der
heilige Joseph, war ebenfalls ein „Tekton“, ein
Bauhandwerker, ein Zimmermann. Und dieser Mann aus
Galiläa, den sie alle kannten und dessen Familie ihnen
nicht unbekannt war, erhebt nun den Anspruch, nicht bloß
ein Prophet, nicht bloß der Messias, sondern der
wesenhafte Sohn Gottes zu sein. Diesen Anspruch hat er
untermauert durch zwei Vorgänge. Einmal, indem er
erklärte: „Ich bin der Herr über den Sabbath.“ Der
Sabbath ist die Ordnung Gottes, und wer die Ordnung
Gottes auslegt und bestimmt, der steht an der Seite
Gottes. Und zum anderen war er ein Mensch, der Sünden
vergab. „Damit ihr wißt, dass der Menschensohn auf Erden
die Macht hat, Sünden zu vergeben“, sprach er zu dem
Gichtbrüchigen: „Steh auf, nimm dein Bett und geh nach
Hause!“ Und er stand auf, nahm sein Bett und ging nach
Hause. Vor dem Prozeß Jesu schon gab es keinen Zweifel,
welchen Anspruch er erhob. Aber in dem Prozeß vor dem
Hohen Rat hat er diesen Anspruch noch einmal vor der
jüdischen Obrigkeit bekräftigt. „Ich beschwöre dich beim
lebendigen Gott: Bist du der Messias, der Sohn des
Hochgelobten?“ Der Herr antwortet: „Du sagst es, ich bin
es!“ Und damit war der Schuldgrund geliefert, um ihn zu
verurteilen. Die Juden haben begriffen, welchen Anspruch
Jesus erhob. Herr Küng hat es nicht begriffen. Die
Gottessohnschaft Jesu war der Grund seiner Verfolgung
bis zum Tode. Er wurde als ein anmaßender, als ein
angemaßter Sohn Gottes zum Tode verurteilt, als
Verführer. Zweimal kommt im Lukasevangelium das Wort
„Verführer“ vor. „Er verführt das Volk.“ Und diese
Bezeichnung ist Jesus geblieben. Noch heute findet sich
im jüdischen Talmud die Rede davon. „Jesus hat gezaubert
und das Volk verführt und es abtrünnig gemacht.“ Da
steht heute noch im jüdischen Talmud. Was an Jesus
Anstoß erregte, das war, dass er sich an die Seite des
lebendigen Gottes stellte. Wer diesen Anspruch zerstört,
der zerstört die Wirklichkeit unseres Herrn und
Heilandes. Wenn, wie gewissen Kathederchristen
behaupten, Jesus über sich nichts Besonderes und nichts
Unerhörtes gedacht hat, wenn seine Hoheitsansprüche nur
kirchlich nachösterlich sind, wie diese Herren Theologen
behaupten, dann fehlt dem christlichen Glauben jeder
Anspruch auf Hoheit und auf Maßgeblichkeit. Der Anspruch
Jesu kann nur dann anerkannt werden, wenn er so gefaßt
wird, wie er ihn selbst erhoben hat.
Eine zweite Folgerung aus
dem Anspruch Jesu ist die Lehre von Jesus. Es gibt im
Christentum nicht nur eine Lehre vom Reiche Gottes, die
Jesus vorgetragen hat. Nein, es gibt eine Lehre über
Jesus, die von ihm selbst stammt, eine Christologie, wie
man es nennt. Und diese Lehre über Jesus beginnt sich zu
erheben von Anfang an. Er hat nämlich seinen Anspruch
untermauert und bekräftigt durch seine Worte und seine
Taten. Als er in der Synagoge von Nazareth predigte, da
wunderten sich die Zuhörer und sagten: „Woher hat er
denn dies? Was ist das für eine Weisheit, die ihm
verliehen wurde?“ Mit dieser Frage fängt die Lehre über
Jesus an. Die Zeitgenossen Jesu begriffen, dass
menschliche Kategorien nicht ausreichten, um sein Wesen
zu beschreiben. Und Jesus hat keinen Deut nachgegeben.
Er sagt den Juden: „Ihr seid von unten, ich bin von
oben. Ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser
Welt.“ Kein Wunder, dass sie fragten: „Wer bist du?“ Sie
begriffen, dass hier eine Wirklichkeit vor ihnen stand,
die alle menschlichen Kategorien weit, weit überstieg.
Dazu kamen die unerhörten Wunder, die Jesus wirkte. Sie
riefen erst recht die Frage wach, wer er sei. Als er den
Gelähmten heilte, da gerieten alle außer sich und
sprachen: „So etwas haben wir noch nie gesehen.“ Das
unerhört Neue, das die Menschen an Jesus wahrnahmen,
rief nach einer Erklärung. Als er den Taubstummen
geheilt hatte, gerieten sie ganz außer sich vor Staunen
und sagten: „Er hat alles wohl gemacht. Die Tauben macht
er hören und die Stummen reden.“ Das waren Taten, die
sie noch nie erlebt hatten. Da mußte sich das Nachdenken
regen: Was ist denn das für einer, der diese Taten
vollbringt? Als Jesus einen Besessenen heilte, fragten
die Leute: „Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht.
Er gebietet sogar den unreinen Geistern, und sie
gehorchen ihm.“ Das Aufsehenerregende an Jesus war, dass
er bei seinen Machttaten keine schamanischen Praktiken
anwendete, sondern allein durch sein Wort hat er die
mächtigen Dämonen vertrieben. Die Dämonen gehorchten
ihm. Wenn die unreinen Geister ihn sahen, fielen sie vor
ihm nieder und schrieb: „Du bist der Sohn Gottes!“ Sie
hatten eben ein höheres Wissen als die Menschen. Auch
die Gegner Jesu mußten sich mit seinem Anspruch
befassen. Denken wir an die Heilung des blindgeborenen
Mannes. Sie selbst, die Pharisäer und Schriftgelehrten,
waren schnell fertig mit ihrem Urteil: Der Mann hält den
Sabbath nicht. Der ist nicht von Gott. Doch das
erstaunliche Wunder ließ ihnen keine Ruhe. So fragten
sie den Geheilten: „Was sagst du von dem Manne, der dir
die Augen geöffnet hat?“ Er antwortete: „Er ist ein
Prophet.“ Das war nicht falsch, denn Jesus war ein
Prophet, aber er war mehr als ein Prophet.
Die Heilungswunder und
erst recht die Naturwunder haben Jesu Wesen den
Angehörigen, den Jüngern und der Volksmenge geoffenbart.
Als er über den See wandelte und zu ihnen ins Schiff
stieg, da gerieten sie außer sich vor Staunen: Wie ist
so etwas möglich? Wer kann so etwas? Wer vermag das? Im
Seesturm riefen die Jünger um Hilfe. Er stand auf, gebot
dem Wind und den Wellen: „Schweige! Verstumme!“ Und da
legte sich der Wind, und das Seebeben ließ nach. Es
entstand eine große Stille. Da sprachen die Jünger
zueinander: „Was ist denn das für einer, dass ihm Wind
und See gehorchen?“
Zum Nachdenken über Jesus
zwingt die Zeitgenossen sein Auftreten. Es zwingen sie
seine Worte, seine Taten. Es zwingen sie sein Anspruch
und seine Persönlichkeit. Man mußte sich Gedanken
machen, wer er ist und woher er gekommen war. Aus der
Offenbarung Jesu und aus dem Nachdenken über die
Offenbarung Jesu entstand die Christologie, die Lehre
von Jesus. Selbstverständlich kam die Auferstehung dazu.
Jetzt erst hatte Gott sein Ja zum Leben, Leiden und
Sterben dieses Mannes gesprochen. Die Auferstehung ist
das Ja Gottes zu dem Anspruch Jesu. Aber die
Christologie, das Nachdenken über Jesus, setzte schon
während seines irdischen Lebens ein.
Die dritte Konsequenz ist
der Ursprung der Kirche. Da kommen Theologen her und
sagen: Der Ursprung der Kirche liegt beim Pfingsttag. O
nein, meine Freunde, o nein. Pfingsten war ein wichtiges
Ereignis für die Gemeinde Jesu. Da erfüllte sich ja die
Verheißung Jesu, dass er den Geist senden werde, wenn er
zum Vater gegangen sein würde. Aber diese Aufsehen
erregende Geistausgießung schafft nicht die Kirche, sie
macht sie in besonderer Weise lebendig. Die Kirche wird
am Pfingsttag nicht erzeugt, sondern der Menschheit
vorgestellt. Pfingsten ist nicht die Geburt der Kirche,
sondern ihr Erscheinen in der Öffentlichkeit. Der
Ursprung der Kirche liegt in der Lebenszeit Jesu. Wenn
Jesus der Messias ist, dann gehört zu ihm unweigerlich
eine Gemeinde, denn der Messias ward ja gesandt, um ein
Volk zu sammeln und zu Gott zu führen. Ein Messias ohne
Volk ist eine absurde Vorstellung. Sein Wirken war von
der Art, dass es die Menschen anzog. Sie wollten ihn
hören und von ihren Krankheiten geheilt werden. „Alle
Leute versuchten ihn anzurühren“, schreibt der
Evangelist Lukas, „denn eine Kraft ging von ihm aus und
heilte alle.“ Viele, die ihn hörten, wurden für ihn
gewonnen. Manche von den Geheilten wurden seine
dankbaren Gefolgsleute. Der Herr selber hat Menschen
aufgefordert, sich ihm anzuschließen. Er bestellte
Jünger, er sammelte Apostel. Wer das leugnet, verfehlt
sich gegen die Wahrheit. Seine Apostel machte er zu
Menschenfischern, d.h. sie sollten hinausgehen und
Anhänger für ihn werben. Sie waren die Kirche des
Anfangs. Und es haben sich viele zu Jesus gehalten.
Mögen ihn auch manche nach der Kreuzigung verlassen
haben, so sind ihm doch viele auch über das Kreuz hinaus
treu geblieben. Das zeigt sich nach seiner Auferstehung.
Paulus schreibt, dass er fünfhundert Brüdern auf einmal
erschienen ist. Das ist eine gewaltige Menge,
fünfhundert Brüdern auf einmal. Und als der Apostel
Matthias gewählt wurde, da waren 120 Männer beisammen.
Also: Die Kirche ist ein Produkt Jesu. Aber schon in
seiner irdischen Wirklichkeit, in seinem Wandeln in
Galiläa und in Judäa hat er sie gesammelt.
Die vierte Folgerung aus
dem Anspruch Jesu ist das Wort vom Kreuz. Der Anspruch,
Sohn Gottes zu sein, brachte ihm den Tod. Es war der Tod
am Kreuze. Aber weil der Gekreuzigte wieder lebendig
wurde, sahen die Christen im Kreuz ihr Heil beschlossen.
Der Herold des Kreuzes ist vor allem der Apostel Paulus.
„Das Wort vom Kreuz“, schreibt er einmal, „ist denen,
die verloren gehen, Torheit, uns aber, die gerettet
werden, ist es Gottes Kraft. Wir verkündigen Christus,
den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis, den Heiden
eine Torheit, uns aber, den Berufenen, Gottes Kraft und
Gottes Weisheit.“
Die Kreuzigung war kein
vermeidbarer Unfall. Sie war auch nicht bloß
„Prophetenschicksal“, wie Walter Kasper meint. Nein, sie
war der Gipfelpunkt seines Wirkens, wie es der
himmlische Vater beschlossen hatte. Christus mußte
leiden. So wird immer wieder im Evangelium und in der
Apostelgeschichte gesagt. Er mußte leiden, um durch sein
Sterben stellvertretende Genugtuung für die Sünden der
Menschen zu leisten. Er mußte leiden, um durch seinen
Gehorsam den Ungehorsam der Menschen zu sühnen. Er mußte
leiden, um durch seinen Opfertod die Menschen
loszukaufen und mit Gott zu versöhnen. Aber durch seinen
Gehorsam im Leiden hat er sich die Erhöhung verdient.
Das ist einer der zentralen Begriffe in der
Christologie, der Begriff der Erhöhung. Er besagt die
Erweckung Jesu aus dem Tode, seine Aufnahme in den
Himmel und sein Leben in Herrlichkeit zur Rechten des
Vaters. Das nennt die Heilige Schrift Erhöhung. Und von
dieser Erhöhung hat Paulus uns einen wunderbaren Hymnus
hinterlassen im Philipperbrief: „Er war Gott gleich. Er
hielt aber nicht an seiner Gottgleichheit fest wie an
einem Raube, sondern er entäußerte sich, wurde im
Äußeren erfunden wie ein Mensch. Er erniedrigte sich, er
wurde gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze.
Darum (wegen des Gehorsams) hat Gott ihn auch erhöht und
ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, auf
dass im Namen Jesu alle Knie sich beugen im Himmel, auf
der Erde und unter der Erde und alle bekennen: Jesus
Christus ist der Herr in der Herrlichkeit Gottes des
Vaters.“
Eine fünfte Folgerung
ergibt sich aus dem Anspruch Jesu für die Juden. Das
Judentum ist Vorbereitung, Mutterschoß und Zeugnis für
das Christentum. Die Vorbereitung lag in dem Bund, den
Gott mit dem Volke Israel schloß, damit es Empfänger und
Hüter der übernatürlichen Offenbarung sei und den Kult
des wahren Gottes erhalte, vor allem in der Prophetie,
die den Messias verkündet. Und auch darin war es eine
Vorbereitung für das Christentum, dass es feste
Gebetsriten ausbildete. Das Judentum war Mutterboden für
das Christentum, denn Jesus stammt dem Fleische nach aus
den Juden. Und die Heilige Schrift des Alten Testamentes
ist auch das heilige Buch der Christen geblieben. Die
Psalmen wurden das Gebetbuch der Kirche. Wir Priester
dürfen jeden Tag aus diesem Buch beten.
Zeuge wurde das Judentum
für das Christentum durch das Evangelium aus den
Propheten, aus der Prophetie und durch den
alttestamentlichen Schriftbeweis. Wie oft heißt es im
Evangelium und in der Apostelgeschichte und in den
Briefen der Apostel: „So steht geschrieben.“ Er wurde
hingerichtet, er wurde begraben, er stand auf „gemäß
der Schrift“. Auch die immer fortdauernde Existenz des
Judentums ohne Tempel und ohne Opfer ist ein Zeugnis für
das Christentum. Doch das jüdische Volk als ganzes hat
sich dem Messias nicht angeschlossen. Es hat ihn in der
Mehrheit abgelehnt. Jesus wurde von ihm verworfen, Das
hat zur Folge, dass der Weinberg ihm weggenommen wurde.
Das Weinberg-Gleichnis ist das Zeugnis dafür, dass das
Volk Israel seinen Anspruch, das auserwählte zu sein,
verloren hat. Israel ist nicht mehr Träger der
göttlichen Privilegien und Verheißungen. Der Alte Bund
ist zu Ende; Jesus begründet den Neuen Bund. Der Alte
Bund war vorläufig, vergänglich. Charakteristisch für
ihn war der tötende Gesetzesbuchstabe. Der Neue Bund ist
endgültig, unvergänglich. Charakteristisch für ihn ist
der lebendigmachende Geist. Der Alte Bund war nur ein
Schattenbild des Neuen. Der Neue Bund ist der bessere,
der fehlerlose, der ewige. Der Alte Bund war mangelhaft,
unvollkommen, der Neue Bund ist vollkommen. Wir singen
mit vollem Recht beim Tantum ergo: „Laßt uns tief
gebeugt verehren ein so großes Sakrament. Dieser Bund
wird ewig währen, und der Alte hat ein End.“
Der Träger des Neuen
Bundes ist Jesus. In keinem anderen ist das Heil zu
finden. Durch ihn wird jeder, der glaubt,
gerechtfertigt. Der Christusglaube allein verschafft
Anteil am messianischen Heil. Die Kirche trägt die
Verheißungen des Herrn weiter. Sie ist die Kirche aus
Juden und Heiden. Sie ist das neue Israel nach dem
Geiste. Der Christusglaube ist die Vollendung des
Judentums. Und zum Christusglauben wollten die Apostel
die Juden führen. Die Urkirche hat sich um die Juden
gemüht. Sie hat sich bei ihrer Mission immer zuerst an
die Juden gewandt. Aber diese wollten die Trennung. Sie
steinigten den Stephanus, sie verfolgten die Christen,
sie stießen Paulus aus der Synagoge. Sie zeigten sich in
jener Gesinnung verhärtet, über die Jesus geweint und
sein Wehe gerufen hat. Von den ungläubig gebliebenen
Juden wurden die zum Christentum übergetretenen seit
etwa dem Jahre 100 im täglichen Synagogengebet
verflucht. Die Christen wurden aus den Synagogen
verbannt und gestoßen. Jeder Verkehr mit ihnen wurde
verboten. In aller Welt machten die Juden gegen die
Christen Stimmung. Während des Bar-Kochba-Aufstandes im
Jahre 132 wurden die Christen in Palästina blutig
verfolgt, weil sie sich von der Revolte fernhielten. Die
Christenverfolgungen im römischen Reich gingen teilweise
auf Anzeigen von Juden zurück.
Die Kirche freilich hat
niemals gleiches mit gleichem vergolten. Nach dem
Vorbild Christi, Petri und Pauli hat die Kirche die
Juden entschuldigt. In der Apostelgeschichte heißt es
schon: „Sie haben es aus Unwissenheit getan.“ Das ist
eine Entschuldigung. So betet die Kirche für die Juden;
sie schützt sie und sie missioniert sie. Die Kirche hat
stets Recht und Pflicht festgehalten, die Juden zu dem
gekommenen Messias Jesus zu bekehren. Wenn heute von
vielen protestantischen und manchen katholischen
Christen die Judenmission abgelehnt wird, so ist das
eine Mißachtung des Missionsbefehls Christi.
Paulus freilich hat eine
Hoffnung. Er hofft auf die endliche Wiedervereinigung
von Kirche und Synagoge. In den Kapiteln 9-11 im
Römerbrief spricht er davon, dass sich am Ende die
Judenschaft zu Christus bekehren werde. Das ist eine
ungeheuerliche Hoffnung. Wir können uns nicht
vorstellen, wie das geschehen soll. Wir wissen nicht,
wann dieser Vorgang seinen Anfang nimmt und wann er
beendet ist. Aber eines wissen wir: Bei Gott ist kein
Ding unmöglich.
Amen.
Geliebte im Herrn!
Unser Heiland hat
Verständnis für die irdischen Bedürfnisse der Menschen.
Die Massen, die zu ihm gekommen waren, hatten Hunger,
und er stillt diesen Hunger mit einem unaussprechlichen
Wunder. Die Menschen waren zweifellos dankbar, und
deswegen haben sie gleich am nächsten Morgen sich wieder
zu ihm begeben, weil sie hofften, erneut von ihm
gesättigt zu werden. Aber der Herr denkt nicht nur an
die irdischen Bedürfnisse der Menschen, sondern auch an
ihre himmlische Berufung. Und deswegen sagt er zu ihnen:
„Ihr seid gekommen, weil ihr gestern von dem Brot, von
dem guten Brot, gegessen habt. Ich aber bitte euch, ich
mahne euch: Kümmert euch um die Speise, die für das
ewige Leben fortwirkt und von der man nicht mehr hungrig
wird.“ Das ist ja immer die Gefahr, in der wir Menschen
uns befinden, nämlich über den irdischen Bedürfnissen
die himmlische Ausrichtung zu vergessen. Der Herr kennt
die irdischen Bedürfnisse, aber er verpflichtet uns auf
das himmlische Ziel. Er sagt zu den Massen: „Sorgt euch
nicht um die Dinge, die immer wieder hungrig machen,
sondern kümmert euch um das Brot der Seele, um das Brot
vom Himmel, das ich selbst bin und das ich euch
darreiche.“ Denn dieses Brot macht das wahre Glück des
Menschen aus. Und das soll das Thema unserer heutigen
Überlegung sein, nämlich das Glück, das die wunderbare
Seelenspeise, die heilige Kommunion, uns verschafft.
Denn die Kommunion ist eine Quelle der Freude, ein
Geheimnis der Kraft und ein Unterpfand der künftigen
Herrlichkeit.
Eine Quelle der Freude
ist die heilige Kommunion. Sie stillt den Glückshunger
der Menschen nach Gott. Ich höre die Mahnung aus dem
Buche der Nachfolge Christi: „Was der Zeit unterworfen
ist, das gebrauche. Was ewig ist, danach strebe! Es kann
dich doch kein zeitliches Gut sättigen, denn du bist
nicht geschaffen, das Zeitliche zu genießen.“ Ist es
wirklich so, meine Freunde, was hier in der Nachfolge
Christi steht: „Es kann dich doch kein zeitliches Gut
sättigen, denn du bist nicht geschaffen, das Zeitliche
zu genießen“? Stimmt es, dass die Menschen nach Gott
verlangen? Ist es wahr, dass jedes Herz unruhig ist, bis
es ruht in Gott? Es sieht nicht so aus. Viele Menschen
scheinen ohne Gott, ohne Gebet, ohne Gottesdienst, ohne
Glauben auszukommen. Sie falten die Hände nicht, und sie
betreten das Haus Gottes nicht. Sie trachten nicht nach
dem Himmel, sondern sie begnügen sich mit der Erde. Es
hat den Anschein, sie sehnen sich nicht nach Gott; sie
brauchen Gott nicht. Die Geschöpfe reichen aus, um sie
glücklich zu machen. Wie kommt es, dass es Menschen
gibt, die allein in den Genüssen der Erde ihre
Befriedigung suchen, die nicht nach Gott ausschauen? Wie
kommt es? Der Grund ist darin gelegen, dass die Menschen
ihre natürliche Verwiesenheit auf Gott mißachten,
übergehen, unterdrücken. Wer sich mit Essen und Trinken,
mit Arbeit und Vergnügen ausgefüllt vorkommt, der hat
seine Seele systematisch verkümmern lassen. Der Mensch
hat eine religiöse Anlage, aber er kann sie
unterdrücken. Es ist möglich, dass die Menschen ihre
religiöse Anlage nicht pflegen. Sie entfernen sich von
jeder religiösen Praxis. Ich habe einmal einen
Fleischermeister getroffen, der sagte, er könne nicht
mehr das Vaterunser beten. Sie sind der Religion
entwöhnt, sie haben Gott vergessen. Sie sind fertig mit
Gott. Aber Gott ist nicht fertig mit ihnen! Der Mensch
bleibt auf seinen Schöpfer und sein Ziel hingerichtet,
und diese Ausrichtung macht sich unweigerlich bei der
einen oder anderen Gelegenheit bemerkbar. Diese Menschen
wehren sich gegen die Erinnerung an Gott, aber Gott läßt
sich immer wieder erinnert werden. Ich habe einmal
erlebt in einer Bank in Mainz, wie ein Herr die
Angestellten rügte, weil sie an ihrem Arbeitsplatz eine
Adventskerze aufgestellt hatten. Ihn störte die
Adventskerze. Sie störte sie, weil sie ihn an Gott
erinnerte. Ich war auch einmal Zeuge beim Mittagessen in
einem Gasthaus, wie ein Mann in Erregung geriet, als die
Glocken der benachbarten Kirche anfingen, zum Engel des
Herrn zu läuten. Das Glockengeläut störte ihn. Der Ruf
zum Gebet war ihm lästig. Der Mensch mag fertig sein mit
Gott, aber Gott ist nicht fertig mit dem Menschen. Wenn
die Atheisten angeblich glücklich sind in ihrer
Gottlosigkeit, warum lassen sie dann die Gläubigen nicht
in Ruhe? Warum wollen sie ihnen den Glauben nehmen, den
sie ja angeblich abgeschüttelt haben?
Während der
Schreckensherrschaft der Französischen Revolution
drangen die Gotteshasser auch in die Bretagne vor, das
katholische Kerngebiet von Frankreich. Sie haben dort
alles zu zerstören versucht, was sie als Denkmäler des
Aberglaubens ansahen. Da fragten sie einen der Bretonen,
wann er endlich von seinem Aberglauben lassen werde. Der
Bretone antworte: „Wir hören erst auf zu beten, wenn ihr
die Sterne vom Himmel holen könnt.“
Dieser Gott, an den wir
glauben, ist nicht fern von uns. Damit wir ihn ganz nahe
wissen, hat er das Sakrament des Altares in seiner
unscheinbaren Brotsgestalt eingesetzt. Wer den
eucharistischen Heiland in der rechten Gesinnung in sein
Herz aufnimmt, der ist gefeit gegen Unfrieden und innere
Zerrissenheit, gegen Seelenangst und Trostlosigkeit. Der
heilige Laurentius, der bekanntlich auf einem Rost zu
Tode gebracht wurde, auf einem glühenden Rost, der
heilige Laurentius verlor in diesen Qualen seine
Heiterkeit nicht. Augustinus hat sich gefragt, woher er
die Heiterkeit nahm. Er gab zur Antwort: „Dieser
Märtyrer war trunken vom Kelche der Eucharistie.“ Er war
trunken vom Kelche der Eucharistie.
Immer wieder jubelt die
Kirche: „Brot vom Himmel hast du ihnen gegeben, das alle
Süßigkeit in sich enthält.“ Wahrhaftig, wer mit
ungetrübtem Glauben dieses Sakrament empfängt, der hat
eine tiefe, eine heilige, eine edle Freude, die ihm
niemand nehmen kann. Als der berühmte spanische Theologe
Franz Suarez die heiligen Sterbesakramente empfangen
hatte, da rief er verklärten Blickes aus: „Ich hätte nie
gedacht, dass Sterben so süß sein kann.“
Die Eucharistie, eine
Quelle der Freude, aber auch ein Geheimnis der Kraft.
Meine lieben Freunde, wovon haben sich denn unsere
Missionare, die bis zum Tode gerackert haben, womit
haben sie sich denn aufrecht erhalten in den Eiswüsten
der Arktis, bei den Eskimos, wo sie von einem Lager ins
andere mit Hundeschlitten geeilt sind, wovon haben sie
denn gelebt? Sie lebten von der Eucharistie. Sie lebten
von der heiligen Kommunion. Sie lebten vom Meßopfer.
Oder gedenken wir jener Männer und Frauen, die sich der
Aussätzigen gewidmet haben, damals zu der Zeit, wo es
kein Mittel gegen Aussatz gab. Da ging der junge,
starke, stämmige Flame Damian Deveuster nach Molokai auf
die Insel der Aussätzigen und hat dort für seine
Aussätzigen gewirkt, bis die Krankheit ihn ergriffen und
verzehrt hatte. Am 8. Dezember 1881 schrieb Damian
Deveuster in einem Briefe: „Ohne das heiligste
Altarsakrament würde ich das Dasein hier nicht
aushalten. Aber jetzt, da Jesus bei mir ist, bin ich
immer aufgeräumt und wohlgemut und arbeite gern für das
Wohl meiner Aussätzigen.“ Sie alle sind Nachfolger der
Blutzeugen Christi, die in den Jahrhunderten der
grausamen Unterdrückung durch heidnische Cäsaren der
Kirche die Freiheit errungen haben, nicht dadurch, dass
sie Schlachten schlugen, sondern dadurch, dass sie sich
zum Opfer brachten. Wir wissen, dass sie die heiligste
Eucharistie mit sich nahmen in ihre Häuser, damit sie im
Augenblick der Gefahr sich mit dem Leibe des Herrn
kräftigen konnten. Tarcisius, Pankratius, das sind die
Heiligen der Eucharistie. Und auch die Bekenner, die den
inneren Kampf ausfechten mußten, haben sich aus der
heiligen Eucharistie genährt. Jede Nation hat ihre
heiligen Bekenner, Italien den heiligen Aloisius, Polen
den heiligen Stanislaus Kostka, Ungarn den heiligen
Stephan, Deutschland den heiligen Johannes Berchmans.
Sie sind Bürgen der formenden Kraft des eucharistischen
Herrn. Die Erfahrung lehrt, dass es kein wirksameres
Mittel gegen die Gefahren und die Schwächen der Jugend
gibt als den regelmäßigen Empfang der heiligen
Eucharistie. Sie ist tatsächlich das Brot der Starken;
sie ist der Wein, der reine Menschen ersprießen läßt.
Vor dem Empfang der heiligen Kommunion stärkt uns, die
wir ringen, der Gedanke: Ich will den Herrn in mein Herz
aufnehmen, also muss ich lauter wandeln. Nach dem
Empfang der heiligen Kommunion festigt uns die
Erinnerung: Ich habe den Herrn in mein Herz aufgenommen,
ich will, ich darf ihn nicht verlieren. Die eigene
Leistung ist mit der heiligen Kommunion unlöslich
verbunden. Aber die eigene Leistung geschieht in der
Kraft Christi. Sie ist nur möglich mit der helfenden
Gnade. Wenn wir aufnahmefähig sind für das Kraftgeschenk
des Herrn, dann überströmt uns die Gnade. So wie die
Kraft einer Senders von der Feinheit des Empfängers
abhängt, so kann auch im innersten Leben der Seele nur
die eigene Empfänglichkeit die unendliche Segenskraft
des Herrn aufnehmen. Es ist ein eherner Grundsatz der
katholischen Sakramentenlehre: Die Sakramente wirken
nach Maßgabe der Disposition des Empfängers. Die
Sakramente wirken nach Maßgabe der Disposition des
Empfängers. Disposition ist die Empfänglichkeit, die
Willigkeit, die Bereitschaft. Sie ist die Frucht der
eigenen Anstrengung und der Gnade. Wenn also Jesus uns
fragt: Was willst du, dass ich tun soll? dann antworten
wir eben: Herr, dass ich sehe, wenn mich Zweifel
bedrängen. Herr, dass ich rein werde, wenn die
Versuchung gegen mich anstürmt. Herr, dass ich gerettet
werde, wenn mich der Abscheu über meine Sünde verzehren
möchte.
Die heilige Kommunion,
eine Quelle der Freude, ein Geheimnis der Kraft, aber
auch ein Unterpfand der künftigen Herrlichkeit. Von dem
russischen Dichter Dostojewski stammt das schöne Wort:
„Nur durch den Glauben an seine Unsterblichkeit erfaßt
der Mensch den ganzen vernünftigen Sinn seines Daseins
auf Erden.“ Der Glaube an die Unsterblichkeit ist für
ein Gelingen unseres irdischen Lebens unentbehrlich. Es
gibt ein ewiges Leben, meine Freunde. Gott hat es
verheißen, Christus hat es versprochen, die Vernunft
bestätigt es. Dieses ewige Leben aber wird schon im
zeitlichen Leben grundgelegt. Es wird ein Keim in uns
eingesenkt für das ewige Leben, und das ist die heilige
Kommunion. Der Martyrerbischof Ignatius von Antiochien
nannte die heilige Kommunion in seinen Abschiedsbriefen
ein „pharmakon taes athanasias“. Das ist ein
griechisches Wort und heißt: ein Heilmittel der
Unsterblichkeit, ein „pharmakon taes athanasias“. Hier
wird also begonnen, was nach dem Tode aus diesem Keim
entsprießen soll, nämlich das ewige Leben. Hier schon
vergöttlicht das himmlische Brot den Menschen auf eine
geheimnisvolle, tiefinnere Weise. Hier ist wahrhaftig
der Gott der Liebe, der uns verbindet mit Jesus. „Wer
mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der hat das ewige
Leben – der hat das ewige Leben – und ich werde
ihn auferwecken am Jüngsten Tage.“ Die Kommunion ist
tatsächlich ein Vorauskosten des ewigen Lebens. „Wir
haben den Himmel in uns“, sagt die heilige Theresia,
„denn der Herr des Himmels wohnt in uns.“ Johannes
Chrysostomus, der Prediger und Lehrer der Eucharistie,
hat einmal geschrieben: „Jesus Christus ist der Herr.
Durch seinen eucharistischen Leib bin ich nicht mehr
Staub und Asche. Durch seinen Leib werde ich den Himmel
erwerben und alle seine Güter des ewigen Lebens, das Los
der Engel und den Umgang mit Christus.“
Im Kriege wurde einmal
ein adeliger junger Mann von einer tödlichen Seuche
ergriffen. Ein Kamerad stand an seinem Lager, als er
starb. Er konnte der Frau des Verstorbenen melden, dass
er ganz selig gewesen sei, als der Priester ihm die
heilige Kommunion reichte, ja, dass er gerufen habe mit
erstickender Stimme: „Das ist das Leben!“ Wahrhaftig,
das ist das Leben. So frohlockt der Gläubige, und so
muss der Ungläubige erschaudern: Das ist der Tod.
O meine Freunde, halten
wir uns an den eucharistischen Heiland, dann werden wir
gehalten. Halten wir gläubig fest, was das Buch von der
Nachfolge Christi einmal schreibt: „So steht denn keine
Heiligkeit fest, wenn du, Herr, deine Hand zurückziehst.
So nützt denn keine Weisheit, wenn du nicht regierst. So
hilft denn keine Tapferkeit, wenn du nicht beistehst. So
dauert denn keine Keuschheit, wenn du sie nicht
schützest. So nützt denn keine eigene Wachsamkeit, wenn
dein heiliges Auge nicht wacht. Denn wenn uns deine Hand
losläßt, dann versinken wir und gehen wir unter. Wenn
uns aber deine Hand anfaßt, dann kommen wir ans Land und
leben.“
Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Religion ist keine
Macht mehr im öffentlichen Leben. In der Politik, in der
Kunst, in der Literatur spielt die Religion so gut wie
keine Rolle. Welches ist der Grund für diese klägliche
Lage der heiligen Religion? Ich will zwei Gründe namhaft
machen, erstens die Feindschaft der Ungläubigen,
zweitens die Gleichgültigkeit der Gläubigen.
Der erste Grund für die
unbedeutende Rolle, die unsere Religion in der
Öffentlichkeit spielt, ist der Unglaube, ist die
Feindschaft der Ungläubigen. Es sind Einzelpersonen, oft
in einflußreicher Stellung, und Vereinigungen von
Personen, die den Kampf gegen die Religion auf ihre
Fahne geschrieben haben. Es gibt Menschen, die eine
unbegreifliche Freude daran haben, anderen die Religion
zu entreißen. In Mastershausen im Hunsrück lebt Herr
Herbert Steffen. Er hat seine Firma Steffen-Möbel
verkauft und das dafür gewonnene Geld in eine Stiftung
eingebracht, die Giordano-Bruno-Stiftung. Mit dieser
Stiftung finanziert er antichristliche, antikatholische
Unternehmungen. Die Atheisten und Religionsfeinde haben
sich eigene Organisationen geschaffen. Das Zentrum
dieser Organisationen ist diese Stiftung von Herrn
Steffen in Mastershausen. Verbunden haben sich die
Freidenker, der Bund für Geistesfreiheit, die
Humanistische Union und der Humanistische Verband. Auf
allen Ebenen und mit allen Mitteln bekämpfen sie die
Religion, natürlich und immer an erster Stelle die
katholische Kirche; denn der Teufel hält sich an die
Profis, nicht an die Amateure.
Der Kampf wird geführt
einmal durch Schriften, Broschüren, Bücher. Aus der
Fülle der Druckwerke nenne ich nur einige wenige. Der
Autor Karlheinz Deschner schreibt im Augenblick den 10,
Band – den 10. Band! – seiner „Kriminalgeschichte des
Christentums“, wo er also zu Gerichte sitzt über das
Christentum in seiner zweitausendjährigen Geschichte.
Vor kurzem erregte großes Aufsehen das Kinderbuch von
Schmitt-Salomon. „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das
kleine Ferkel.“ So heißt das Buch: „Wo bitte geht’s zu
Gott? fragte das kleine Ferkel.“ In diesem Buche werden
alle Religionen, also nicht nur die christliche, sondern
auch das Judentum und der Islam radikal niedergemacht.
Man kann sich die schlimme Wirkung dieses Buches
vorstellen, wenn man daran denkt, was es bedeutet, wenn
etwa ein Kommunionkind davon Kenntnis nimmt, dass es
darin als „Menschenfresser“ bezeichnet wird, weil es den
Leib des Herrn empfängt. Menschenfresser! Seit Monaten
ist ein Bestseller das Buch „Sakrileg“ von Dan Brown. In
diesem Buche wird das Bild Jesu systematisch
verzeichnet, ein Geflecht von kulturellen,
künstlerischen und esoterischen Legenden. Hier wird eine
antichristliche Lehre verkündet, die vielen Lesern
Verdächtigungen und schwere Vorwürfe gegen das
Christentum und die katholische Kirche einredet. Das
Buch ist auch verfilmt worden, und dieser Film, der 100
Millionen – 100 Millionen! – Dollar gekostet hat, dieser
Film wird in allen Ländern gezeigt, von den USA
angefangen bis nach Singapur. Jesus Christus, so heißt
es dort, hatte ein Verhältnis mit Maria Magdalena; seine
Nachfahren leben heute noch.
Auch das Musiktheater
wird in den Dienst der antikatholischen Kampagne
gestellt. Seit 200 Jahren gibt es antichristliche, vor
allem antikatholische Theaterstücke. Sie erinnern sich
vielleicht, dass die Oper „Don Carlos“ von Giuseppe
Verdi gern dazu hergenommen wird, gegen die katholische
Kirche zu agitieren, obwohl jedermann weiß aus der
Geschichte, aus der wahren Geschichte, dass Carlos ein
verhängnisvoller Mann war, den sein Vater, König Philipp
II., mit Recht so behandelt hat, wie er ihn behandelt
hat. Aber in der Gegenwart ist es wieder noch massiver
gekommen. In Berlin, in der Staatsoper, wird die Oper
„Faust“ von Charles Gounod aufgeführt. Diese Oper wird
von den Inszenierenden als ein antikatholisches Machwerk
dargestellt. Faust und Mephisto tragen Mönchskutten, und
im 3. Akt ist Mephisto ein Priester. In England läuft
seit Monaten die Oper „Jerry Springer“. In dieser Oper
werden achttausend Obszönitäten und Flüche gezählt.
Achttausend Obszönitäten, also geschlechtliche
Anspielungen, und Flüche. Adam und Eva, Jesus, Maria und
Joseph treten in der Hölle auf. Jesus selbst nennt sich
in der Oper „ein bißchen schwul“. Auch das Kabarett, und
das ist seit langem bekannt, tritt in den Dienst der
antikatholischen Hetze. In Mainz das Unterhaus! Dort
wird häufig gegen die katholische Kirche gegeifert. Im
Augenblick tritt dort Volker Pispers auf. Von ihm wird
unserer Kirche fälschlich unterstellt eine
Schutzgelderpressung, indem sie nämlich Kirchensteuer
einzieht. Dort fällt unter anderem der Satz: „Man muss
nicht unbedingt den Holocaust leugnen, um in den Himmel
zu kommen.“ Ein solcher unglaublicher Unsinn und Quatsch
wird von diesem Herrn auf die Bühne gebracht. Die
katholische Kirche, so behauptet er, ist die Erfinderin
der Angst. Das sehen jeden Abend in der ausverkauften
Phönixhalle Hunderte von Leuten.
Auch die Schule wird zum
Kampfplatz gegen die Religion gemacht. Immer neu wird
von den Religionsfeinden darauf hingearbeitet, die
Religion aus der Schule zu vertreiben. Wenn Lehrer oder
Eltern von Schülern es fordern, muss das Kreuz aus dem
Schulsaal entfernt werden. Es wird offene Propaganda für
die Abmeldung vom Religionsunterricht gemacht. In Berlin
wird von mutigen Christen versucht, Religion als
ordentliches Schulfach einzuführen, aber ich gebe der
Kampagne keine Aussicht. Der Senat und alle
Kirchenfeinde werden es verhindern, dass Religion
ordentliches Schulfach in Berlin wird. Dafür hat der
Humanistische Verband in Berlin eine atheistische Schule
eingerichtet. Das ist möglich! Und Sie wissen ja auch,
wie es in Rundfunk, Fernsehen, Presse, Internet
aussieht. Die Sendungen und Meldungen über Religion und
Kirche sind fast nur mit Reizthemen besetzt: Zölibat,
Frauenordination, Empfängnisverhütung, Verfehlungen von
Priestern. Vom Papst wissen die Menschen eigentlich nur
eines, nämlich dass er gegen Kondome ist. Dass die
Kirche jahraus, jahrein den Weg Christi lehrt, dass sie
sein Evangelium verkündet, dass sie das Opfer Christi
feiert, dass sie den Willen Gottes den Menschen
unterbreitet, dass sie Gottesliebe und Nächstenliebe
lehrt, das alles fällt unter den Tisch. Die Feinde
suchen der Kirche unaufhörlich Abbruch zu tun. Wer alle
diese Lästerungen, Schmähungen, Verleumdungen und
Anwürfe hört und sieht, wie soll der in seinem Glauben
froh bleiben?
Die Kirche in Deutschland
ist schutzlos und wehrlos. Ihre Proteste verhallen
ungehört, ihre Richtigstellungen der Lügen und
Verleumdungen werden nicht zur Kenntnis genommen. Uns
schützt kein Gesetz, kein Gericht, keine
Bundesprüfstelle für jugendgefährdendes Schrifttum. Die
Folgen dieser Verhältnisse sind offensichtlich: Der
Glaube ist keine Macht mehr im öffentlichen Leben.
Der erste Grund ist die
Feindschaft der Ungläubigen. Der zweite Grund ist die
Gleichgültigkeit der Gläubigen. Gläubige sollen
Überzeugung für ihren Glauben haben, sie sollen Eifer
für ihn bezeigen, sie sollen begeistert von ihm sein.
Aber es sind Unzählige, allzu Viele, die weder
Überzeugung noch Eifer noch Begeisterung und keine Liebe
zur Religion haben. Woher kommt diese Gleichgültigkeit?
Nun, sicher auch aus dem Hasten und Jagen, aus dem
Treiben, das die Menschen so in Anspruch nimmt. Man
braucht sich ja nur einmal an eine Großstadtstraße zu
stellen am Abend, um zu sehen, wie die Menschen an einem
vorbeihasten. Die Menschen, die so in diesem Treiben
aufgehen und untergehen, die können gar keine religiösen
Gedanken mehr fassen. Der Kampf um das Goldene Kalb
nimmt sie vollkommen in Beschlag. Das zehrt alle höheren
Kräfte im Menschen auf. Religion braucht Ruhe, braucht
Stille, braucht Besinnung. Noch niemals in der deutschen
Geschichte ist die Arbeitszeit so niedrig wie heute
gewesen. Aber die dadurch gewonnene Muße wird nicht zum
Gebet und zur religiösen Bildung benutzt. Die Menschen
wissen wenig oder nichts von der Schönheit, vom
Reichtum, vom Glück der Religion. Was man nicht kennt,
das kann man auch nicht schätzen. Tragen wir dazu bei,
meine lieben Freunde, dass die Menschen unsere Religion
kennen lernen, dass sie sie schätzen lernen, dass sie
sie lieben lernen.
Dazu kommen die vielen
lockenden Stimmen, die aus dieser Welt heraustönen, die
uns entgegenrufen von den Plakaten oder vom Fernsehen,
die heraustönen aus den Vergnügungslokalen, aus den
Diskotheken. Alles predigt Lust, Vergnügen, Eitelkeit.
Fortwährend werden die Menschen aufgefordert zu
genießen, sich auszuleben, sich nichts entgehen zu
lassen, ob das Essen oder Trinken oder Geschlechtslust
ist. Die Lust regiert das Leben allzu vieler Menschen.
Vor kurzem wurde eine Untersuchung angestellt über den
Zusammenhang zwischen sexuell aggressiver Musik und dem
Zeitpunkt des ersten Geschlechtsverkehrs. Es besteht ein
solcher Zusammenhang zwischen sexuell aggressiver Musik
und dem frühen, allzu frühen Zeitpunkt des ersten
Geschlechtsverkehrs. Unter dem Ansturm der Verlockungen
und Versuchungen wird die leise Stimme des Gewissens,
aber auch der laute Ruf der Glocken nicht mehr gehört.
Die Religion fällt aus dem Blickfeld der Menschen
heraus.
In anderen Ländern tobt
eine blutige Verfolgung, aber bei uns gibt es auch eine
Verfolgung, wenn auch vorläufig noch unblutig. Nicht mit
blutigen Waffen wird gekämpft, sondern mit
schmeichelndem, süßem Gift. Gott wird häufig überhaupt
nicht mehr erwähnt, um so mehr aber die Kirche. Und wer
die Kirche madig macht, der trifft Gott, denn die Kirche
ist der Herold Gottes. Wer den Herold verunglimpft, der
entwertet die Botschaft.
Die Menschen haben fast
nichts mehr im Sinne als Sport und Putz, den Tarif und
den Beruf. Diese Verfolgung entreißt der Kirche
Hunderttausende, ja Millionen. Wir haben in Deutschland
kaum noch 15 Prozent praktizierende katholische
Christen. Hunderttausend gehen jedes Jahr verloren durch
Mischehen, und die Abfälle gehen in die Zehntausende.
Dazu kommt der Mangel an religiöser Erziehung im
Elternhaus. Er läßt sich schwer nachholen. Was das
Elternhaus einmal versäumt hat, das ist kaum wieder
einzubringen. Vor einiger Zeit kam ein Kind aus der
Religionsstunde nach Hause und sagte zum Vater: „Vater,
ich bin gar nicht so fromm erzogen wie die anderen
Kinder. Die anderen Kinder wissen viel mehr von der
Religion als ich.“ Der Vater hat darüber gelacht; er hat
es scherzweise am Biertisch erzählt. Der Vater weiß
nicht, was es heißt, verantwortlich für eine Kinderseele
zu sein. Es ist die furchtbare Verantwortung für die
Menschen, die uns anvertraut sind.
Es gibt ein Wort der
Heiligen Schrift, das die ganze Tragik des
gleichgültigen Menschen in sich faßt: „Ich weiß, spricht
der Heilige Geist, dass du weder kalt noch warm bist. O
wärest du doch kalt oder warm. Da du aber lau bist und
nicht kalt oder warm, so bin ich daran, dich aus meinem
Munde auszuspucken. Du sprichst: Wohlhabend bin ich und
reich. Ich brauche nichts. Du weißt nicht, dass du elend
bist und arm, blind und nackt.“ Mit einer Sprache, die
man nicht wieder vergißt, hat hier der Heilige Geist die
ganze Armut des im Glauben erkalteten Herzens
geschildert. Es ist, als würde der Heiland heute
hintreten zu der ungezählten Schar der Menschen, die
ganz zufrieden ist, wenn sie am Ersten ihr Gehalt
bekommt, abends ins Theater geht und alle Jahre einmal
oder mehrmals in Urlaub fährt. Es ist, als würde der
Herr zu ihnen sprechen: „Ihr denkt, ihr seid reich und
braucht nichts. Ihr wißt nicht, dass ihr elend seid und
erbärmlich.“ Und es ist, als ob der Heiland durch unsere
Kaufhäuser ginge und dort die Menschen sähe, die ihre
Lust im Kaufen und Verkaufen finden, für die Erwerben
und Besitzen das höchste Glück bedeutet. Es ist, als ob
er zu ihnen spräche: „Ihr sprecht: Wohlhabend bin ich
und reich, und ihr wißt nicht, dass ihr arm und blind
seid.“ Und zu den Leuten, die den Sonntag auf dem
Sportplatz verbringen, würde der Herr wohl heute sagen:
„Ihr meint, ihr braucht sonst nichts, und wißt nicht,
dass ihr elend seid und arm, blind und nackt.“
Meine lieben Freunde, die
im Glauben gleichgültige Seele ist und bleibt eine Seele
ohne Heimat und Vaterhaus, eine Seele, die nicht weiß,
wohin sie gehört. „O dass ihr doch warm oder kalt wäret.
Doch weil ihr lau seid, will ich euch ausspucken aus
meinem Munde.“ Das ist das Los der Menschen, die nicht
wissen, wem sie gehören. In der Welt können sie nicht
aufgehen, denn ihre Gottgehörigkeit läßt sich nicht
abschütteln. Das Glück der Kinder Gottes kennen sie
nicht, weil sie sich nicht darum gemüht haben. Vor
einiger Zeit erzählte in einer kleinen Gesellschaft eine
brave katholische Frau ihre Lebensgeschichte. Sie sagte:
„Es gab eine Zeit in meiner Jugend, in der ich zu großer
Gleichgültigkeit und Lauheit neigte. Da besuchte ich
eines Tages einen nahen Verwandten, einen bekannten
Künstler. Er hatte bereist die Schwelle des Alters
überschritten. Im Glauben war er fast völlig erstorben.
Ich fragte ihn in meinem Leichtsinn: Sag mal, wie soll
ich’s mit der Religion halten? Ich fühle mich beengt
durch alle die Vorschriften des Glaubens. Da sah mich
der alte Herr schweigend mit einem langen Blick an, und
dann sagte er mit eigenartiger Betonung: Maria, behalte,
was du hast, denn du hast nichts an dessen Stelle zu
setzen. Die Frau schloß ihre Erzählung: Diese Worte habe
ich nicht vergessen.“ Vielleicht hat es dem alten Mann
auch gedämmert, was er verloren hat, als er seinen
Glauben preisgab. Was hat er eingetauscht dafür, als er
den Glauben hingegeben hat? „Du hast nichts an dessen
Stelle zu setzen!“ Keine Wärme, keine Liebe, keine
Heimat.
Darum, meine Lieben
Brüder und Schwestern, behaltet, was ihr habt. Haltet
euren Glauben fest mit ganzem, starkem Herzen. Betet,
dass Gott euren Glauben bewahre und behüte, und betet
für eure gleichgültigen Brüder und Schwestern!
Amen. |