Inhalt
-
Vorwort
-
Die
Art und Weise, immer vertraulich mit Gott umzugehen
-
Eine
Anleitung wie du alle deine Handlungen Gott recht
wohlgefällig machen kannst
-
Von
der Liebe Gottes und den Mitteln, dieselbe zu
erlangen
-
Gebet
-
Sichere
Merkmale, an denen man erkennen kann, ob man Gott
wahrhaft liebt
Vorwort
Auch wenn der hl.
Alfons Maria von Liguori (1696‑1787) eine
französische Vorlage benutzt hat, offenbart seine
Abhandlung “Die Art und Weise, immer vertraulich mit
Gott umzugehen” eine große Ähnlichkeit seiner
Spiritualität mit der der hl. Theresia vom Kinde Jesu,
in deren Jubiläumsjahr zum 100. Todestag wir uns
befinden. Im Manuskript C ihrer autobiographischen
Aufzeichnungen beschreibt die Heilige, wie sie ihren Weg
der geistlichen Kindschaft gefunden hat. Sie habe einen
neuen, geraden und kurzen Weg zur Heiligkeit gesucht und
sei dabei in der Heiligen Schrift auf die Worte
gestoßen: “Ist jemand ganz klein, so komme er zu mir”
(Spr 9,4). Dann fährt sie fort: “So kam ich denn,
ahnend, daß ich gefunden hatte, was ich suchte, und
weil ich wissen wollte, o mein Gott! was du dem ganz
Kleinen tätest, der deinem Ruf folgen würde, setzte
ich meine Erkundigungen fort, und schauen Sie, was ich
fand: ‑ Wie eine Mutter ihr Kind liebkost, so will
ich euch trösten; an meiner Brust will ich euch tragen
und auf meinen Knien euch wiegen! Ach! niemals sind
zartere, lieblichere Worte erfreuend an meine Seele
gedrungen.” Genau diese Worte aus dem Propheten Isaias
(66,13.12) führt der hl. Alfons an, um den zärtlichen
Empfang zu beschreiben, den Gott jenem bereitet, der
sich ihm mit dem Vertrauen, der Offenherzigkeit und der
Zärtlichkeit eines Kindes naht. Dann fährt er fort:
“Gleichwie eine Mutter ihre Freude daran findet, wenn
sie ihr geliebtes Kind auf den Schoß nehmen, es da
nähren und liebkosen kann, ebenso freut Sich Gott, wenn
Er auf gleiche Weise Seelen behandeln kann, die sich Ihm
ganz geschenkt haben und die auf Seine Güte all ihr
Vertrauen setzen."
Vielleicht als eine
Bestätigung dieser Spiritualität der geistlichen
Kindschaft darf die Tatsache gedeutet werden, daß Gott
seinen treuen Diener nach dessen Tod durch den Mund von
Kindern hat verherrlichen lassen. Über die erste Zeit
nach seinem Begräbnis schreibt sein Biograph Tannoja:
“Ein wahrhaft Verwunderung erweckender Umstand war der
Zulauf der vielen unschuldigen Kinder; sie kamen in
großer Menge, ließen sich bei dem Grab auf die Knie
nieder, empfahlen sich Alfonsen, nannten ihn einen
Heiligen, und küßten wiederholt den Stein mit allen
Beweisen der Andacht und der Liebe.” Dilgskron, dessen
Biographie wir dieses Zitat entnommen haben (Regensburg
1887, Bd. 2, S. 501), führt aus den Akten des
Seligsprechungsprozesses noch das Zeugnis von Kanonikus
Gaetano Fusco an, der sich am Tag nach der Beerdigung
des Heiligen ein Bildchen desselben verschafft hatte.
Dieser berichtet: “Ich ließ nun meinen Neffen
Giuseppe Fusco bringen.., und zeigte ihm in Gegenwart
der Verwandten das Bildchen. Der Knabe blickte es etwa
während der Zeit eines Ave Maria aufmerksam an, dann
fing er, trotzdem er noch im zartesten Alter stand und
kaum zu reden begonnen hatte, wie verzückt und außer
sich zu unserer höchsten Erstaunung und zu unserer
tiefsten Rührung zu rufen an: ‘Alfonso, Alfonso!’
Er deutete mit dem Finger auf das Bild, erhob seine
kleinen Hände und Augen zum Himmel und fuhr fort: ‘Im
Himmel, im Himmel!’ Und voll Entzückung, Freude und
Jubel wiederholte er dieselben Worte: ‘Alfonso,
Alfonso, der Heilige, der Heilige.’ (...) Bei diesem
ungewohnten, wunderbaren Schauspiele wurde ich wie die
Hausgenossen aufs Äußerste überrascht; einerseits
weil wir das Kind ganz flüssig sprechen, andererseits
weil wir aus seinem Munde einen Namen hörten, den es
weder damals noch früher, weder von uns noch von andern
Personen vernommen und so sprechen gelernt haben
konnte."
Die Beliebtheit der
heiligen Theresia von Lisieux zeigt, wie sehr der Weg
der geistlichen Kindheit den tiefsten Sehnsüchten des
auf die göttliche Liebe angewiesenen menschlichen
Herzens entspricht. Die Heilige wollte nach ihrem Tod
diesen Weg viele Seelen lehren. Möge dazu auch die
vorliegende Schrift des heiligen Alfons bei tragen, der
zwei Jahre vor der Geburt der kleinen Theresia zum
Kirchenlehrer ernannt wurde. Im Himmel gibt es ja keine
Konkurrenz unter den Heiligen, sondern nur vollendete
Harmonie im Zusammenwirken und in der Bezeugung des
Wortes des Herrn, das für alle Zeiten gilt: “Ich
preise Dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß
Du dies vor Weisen und Klugen verborgen, den Kleinen
aber geoffenbart hast” (Mt 11,25).
Wigratzbad, den 13.
August 1997, P. Engelbert Recktenwald
Die Art
und Weise, immer vertraulich mit Gott umzugehen
1. Als der heilige
Mann Job betrachtete, welche Sorge Gott fortwährend um
das Wohl der Menschen trägt, so daß es scheint, es
liege Ihm nichts mehr am Herzen, als uns zu lieben und
unsere Gegenliebe zu erlangen, rief er aus: “Was ist
der Mensch, daß du ihn erhebest, oder warum wendest du
dein Herz ihm zu” (Job 7,17).
Daraus sieht man, daß
man sich irrt, wenn man glaubt, man fehle an der
Achtung, die man der unendlichen Majestät Gottes
schuldig ist, wenn man sich Ihm mit großem Vertrauen
und voll Offenherzigkeit nähert. Freilich müssen wir
Gott voll Demut verehren und uns in Seiner Gegenwart
erniedrigen, besonders wenn wir daran denken, wie
undankbar wir gewesen sind und welche Beleidigungen wir
Ihm früher zugefügt haben, aber das darf uns dennoch
nicht abhalten, mit der innigsten und vertrauensvollsten
Liebe, deren wir nur fähig sind, mit Ihm umzugehen.
Gott ist die unendliche Herrlichkeit, aber Er ist auch
die unendliche Güte und Liebe. Wir können uns keinen
mächtigeren Herrn denken als Gott, aber wir können uns
auch niemanden vorstellen, der uns inniger lieben
könnte als Er. Gott ist nicht ungehalten auf uns, nein,
Er freut sich, wenn wir mit demselben Vertrauen, mit
derselben Offenherzigkeit und Zärtlichkeit, die ein
Kind zu seiner Mutter trägt, mit Ihm umgehen. Er selbst
lädt uns ein, uns Ihm zu nähern, und verspricht uns
den zärtlichsten Empfang: “An den Brüsten wird man
euch tragen, und auf den Knien euch liebkosen: wie
einen, der seine Mutter liebkoset, so will ich euch
trösten” (Is 66,12). Gleichwie eine Mutter ihre
Freude daran findet, wenn sie ihr geliebtes Kind auf den
Schoß nehmen, es da nähren und liebkosen kann, ebenso
freut sich Gott, wenn Er auf gleiche Weise Seelen
behandeln kann, die sich Ihm ganz geschenkt haben und
die auf Seine Güte all ihr Vertrauen setzen.
2. Sei überzeugt,
geliebte Seele, daß du keinen Freund, keinen Bruder,
keinen Vater, keine Mutter, keinen Gatten, daß du
niemanden hast, der dich mehr liebt als dein Gott. Die
Gnade Gottes ist jener Schatz, durch den wir aus
verächtlichen Geschöpfen und Knechten die geliebten
Freunde unseres Schöpfers werden: “Denn sie ist ein
unerforschlicher Schatz für die Menschen, wer ihn
benutzet, wird der Freundschaft Gottes teilhaftig” (Weish
14). Um unser Vertrauen zu vermehren, hat Gott Sich
selbst vernichtet, Er ist Mensch geworden, damit Er um
so vertraulicher mit uns umgehen könne: “Er wandelte
unter den Menschen” (Baruch 3,38).
Damit unser Vertrauen
zu Ihm wachse, ist er als Kind auf Erden erschienen, ist
er arm geworden, hat er am Kreuze sterben wollen, bleibt
Er unter den Gestalten des Brotes bei uns, wird er unser
Genosse auf Erden, vereinigt Er Sich aufs innigste mit
uns: “Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinket, der
bleibt in mir und ich bleibe in ihm” (Jo 6,56). Aus
dem allem siehst du, geliebte Seele, daß Seine Liebe zu
dir so groß ist, daß es scheint, Er liebe nur dich
alleine; so mußt denn auch du nichts anderes als Gott
allein lieben, so daß du Ihm mit der Braut im Hohenlied
zurufen könnest: “Mein Geliebter ist mein und ich bin
sein.” Gott hat sich ganz mir geschenkt, ich will Ihm
ganz angehören, Er hat mich als Gegenstand Seiner Liebe
erwählt, ich will nur Ihn alleine lieben: “Mein
Geliebter ist weiß und rot, auserwählt aus Tausenden”
(Hl 5,15).
3. Du mußt häufig zu
Gott sprechen: Warum liebst Du mich so sehr? Was findest
Du Gutes an mir? Hast Du vergessen, wie oft ich Dich
beleidigt habe? Wäre es möglich, daß ich in der Folge
etwas anderes liebte als Dich, mein höchstes Gut, mein
alles, der Du statt mich zur Hölle zu verdammen, wie
ich es verdient habe, mich mit Gnaden überhäufest.
Liebenswürdigster
Gott! Am meisten betrübt es mich, daß ich durch meine
früheren Sünden Dir, der Du eine unendliche Liebe
verdienst, mißfallen habe, und dieser Gedanke schmerzt
mich mehr, als wenn ich an die Strafe denke, die ich
dafür verdient habe. “Aber ein zerknirschtes und
gedemütigtes Herz wirst Du, o Gott nicht verachten” (Ps
50,19). O wenn ich doch in der Folge in diesem und in
jenem Leben nichts wünschte als Dich allein: “Was
habe ich im Himmel, und was liebe ich auf Erden außer
Dir, Gott meines Herzens und mein Teil in Ewigkeit” (Ps
72,26). Du allein bist und bleibst der alleinige Herr
meines Herzens, meines Willens, Du allein bist mein
einziges Gut, mein Himmel, meine Hoffnung, meine Liebe,
mein alles: “Gott meines Herzens, mein Teil in
Ewigkeit!"
4. Um dein Vertrauen
auf Gott, geliebte Seele, zu vermehren, so bedenke
häufig, wie liebevoll Er dich bisher geleitet, welche
Mittel Er angewandt hat, damit du der ungeordneten
Lebensweise, die du früher geführt, und der
Anhänglichkeit an irdische Dinge entsagen mögest, und
damit Er dich bewege, Ihn zu lieben. Wenn du
entschlossen bist, Gott zu lieben und Ihm so sehr zu
gefallen, als du es nur vermagst, so mußt du fürchten,
wenn du nur mit geringem Vertrauen dich deinem Gott
nahest. Die Barmherzigkeit, die Gott an dir geübt hat,
ist das sicherste Zeichen der Liebe, die Er zu dir
trägt. Es mißfällt aber Gott, wenn Seelen, die Ihn
wahrhaft lieben und die Er liebt, Ihm noch mißtrauen.
Wenn du also Seinem liebevollen Herzen gefallen willst,
so mußt du von heute an mit dem größten Vertrauen,
mit all der Zärtlichkeit, deren du fähig bist, mit
Gott umgehen: “Siehe, in meine Hände habe ich dich
gezeichnet, deine Mauern sind immerdar vor meinen Augen”
(Is 49,16). Warum fürchtest du dich, geliebte Seele?
Warum bist du so zaghaft? Ich, dein Gott, habe dich in
meine Hände gezeichnet, damit ich nie vergesse, dir
Gutes zu erweisen. Fürchtest du etwa deine Feinde?
Wisse, daß ich stets darauf bedacht bin, dich zu
verteidigen, da es mir unmöglich ist, dich zu
vergessen. Deshalb rief David jubelnd aus: “Herr, wie
mit einem Schilde hast Du mit Deinem guten Willen uns
gekrönt” (Ps 5,13). Wenn Du, o Herr, mit Deiner Güte
und Liebe uns verteidigst und von allen Seiten
beschützest, wer kann alsdann uns schaden? Aber vor
allem mußt du dein Vertrauen stärken durch den
Gedanken an das große Geschenk, das Gott gemacht, da Er
uns Jesum Christum gegeben hat: “Denn also hat Gott
die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn
dahingab” (Jo 3,16). Wie können wir auch nur
fürchten, ruft der Apostel aus, daß Gott uns noch
irgend ein Gut versagen werde, nachdem Er uns Seinen
eigenen Sohn geschenkt hat: “Für uns alle hat er ihn
gegeben, sollte er nicht auch mit ihm uns alles
geschenkt haben?” (Röm 8,32).
5. “Meine Lust ist
es, bei den Menschenkindern zu sein” (Spr 8,31). Das
Herz des Menschen ist, so zu sagen, ein Paradies für
Gott. Gott liebt dich, so liebe denn auch du deinen
Gott. Es gewährt Ihm Freude, wenn Er bei dir sein kann;
lasse es denn auch deine Freude sein, mit Ihm vereinigt
zu leben und dein ganzes Leben hindurch bei dem zu
bleiben, in dessen liebenswürdigster Gesellschaft du
die selige Ewigkeit zuzubringen hoffst.
6. Gewöhne dich denn
also, geliebte Seele, ganz allein und verborgen,
vertraulich und voll Zuversicht mit Gott zu reden,
gleichwie mit deinem teuersten und geliebtesten Freunde.
Wie gesagt, es ist ein großer Irrtum, wenn man meint,
zaghaft und wie ein ängstlicher Sklave, der furchtsam
und zitternd seinem Herrn nahet, mit Gott umgehen zu
müssen. Aber man würde sich noch mehr irren, wenn man
meinte, der Umgang mit Gott sei bitter und langweilig:
“Denn sein Umgang hat nichts Bitteres und seine
Gesellschaft nichts Widriges” (Weish 7,16). Frage jene
Seelen, die wahrhaft Gott lieben, und sie werden dir
bekennen, daß sie in den Leiden des Lebens keinen
größeren Trost finden als den liebevollen Umgang mit
Gott.
7. Man verlangt nicht
von dir, daß du unausgesetzt deinen Geist anstrengst,
und deshalb deinen gewöhnlichen Beschäftigungen und
der erlaubten Erholung entsagest, man will nichts
anderes, als daß, ohne deine gewöhnlichen
Beschäftigungen zu verlassen, du dich gegen Gott ebenso
verhältst wie gegen jene, die du liebst und die dich
lieben.
8. Gott ist immer in
deiner Nähe, Er ist in deinem Herzen: “Denn in Ihm
leben wir, und bewegen uns und sind wir” (Apg 17,28).
Du brauchst dich nicht durch einen Dritten anmelden zu
lassen, denn Gott wünscht, daß du dich voll Vertrauen
unmittelbar an Ihn wendest. Rede mit Ihm von deinen
Geschäften, von deinen Plänen, von deinen Leiden, von
deinen Ängsten, von allem, was dein ist. Tue das mit
großem Vertrauen und offenherzig, denn Gott pflegt
nicht mit denen zu reden, die sich nicht zuerst an Ihn
wenden; auch würden sie Ihn nicht verstehen, da sie
sich nicht an Seinen Umgang gewöhnt haben. Darüber
beklagt sich Gott im Hohenlied (Hl 8,8), da Er fragt:
“Unsere Schwester ist klein, was sollen wir mit ihr
tun?” Ihre Liebe ist so gering, was soll ich tun, sie
versteht mich noch nicht! Wenn wir Gottes Gnade
verachten, dann will Er, daß wir in Ihm einen
mächtigen und furchtbaren Herrn kennenlernen, aber
solange wir Ihn lieben, will er, daß wir Ihn gleich wie
unseren geliebtesten Freund behandeln, und daß wir voll
Vertrauen und ohne alle Scheu mit Ihm reden.
9. Es ist wahr, daß
du Gott immer die größte Ehrfurcht erweisen mußt,
aber wenn Er dir die Gnade erzeigt und dir deutlich
Seine Gegenwart und Seinen Wunsch zu erkennen gibt, daß
du mit Ihm, der dich über alles liebt, redest, dann
mußt du offen und voll Vertrauen ausrufen: “Gott
kommt denen zuvor, die nach Ihm verlangen, um sich ihnen
zu zeigen” (Weish 6,14). Wenn du Ihn wahrhaft zu
lieben begehrst, so wartet Er nicht ab, daß du Ihm
entgegengehst, nein, Er kommt dir zuvor und bietet dir
die Gnaden und Heilsmittel an, derer du bedarfst. Er
wartet nur darauf, daß du Ihn anredest, um dir zu
zeigen, wie nahe Er dir ist, und wie bereit Er ist, dich
zu erhören und zu trösten.
10. Weil Gott
unermeßlich ist, so ist Er allenthalben gegenwärtig;
aber Er befindet sich an zwei Orten auf eine ganz
besondere Weise, nämlich im Himmel, wo Er in Seiner
Glorie, die Er den Heiligen mitteilt, thronet ‑
und auf Erden, in einer demütigen Seele, die Ihn liebt:
“Denn er wohnt bei denen, die zerknirscht und
demütigen Geistes sind” (Is 57,15). Obschon Gott in
Seiner Herrlichkeit im Himmel wohnt, so verschmäht Er
es dennoch nicht, Tag und Nacht Sich mit Seinen treuen
Dienern in Einöden und stillen Kammern zu unterhalten,
um ihnen daselbst jene göttlichen Tröstungen zukommen
zu lassen, deren einzige alle Freuden der Welt weit
übertrifft, und die man nur deshalb nicht wünscht,
weil man sie nicht kennt: “Verkostet und seht, denn
der Herr ist süß” (Ps 33,9).
11. Freunde kommen an
festgesetzten Stunden zusammen, um sich miteinander zu
unterhalten, müssen sich aber wieder trennen; allein
wenn du willst, brauchst du dich nie von Gott zu
trennen: “Du wirst ruhen, und dein Schlaf wird süß
sein, denn der Herr ist zu deiner Rechten” (Spr 4).
Gott wacht an deiner Seite, wenn du schläfst, Er
verläßt dich nicht, Er denkt unausgesetzt an dich,
damit wenn du in der Nacht erwachest, Er durch Seine
Einsprechungen mit dir reden, von dir einige Akte der
Liebe, der Hingabe in Seinen Willen und der Danksagung
empfangen könne, und damit Er auf solche Weise Seine
süße und liebevolle Unterhaltung mit dir nie
unterbreche. Ja, manchmal läßt dich Gott sogar,
während du schläfst, Seine Stimme vernehmen, damit,
nachdem du erwacht bist, du sogleich Seinen Willen
erfüllen könnest: “Im Traum will ich zu ihm reden”
(Nm 12,6).
12. Früh Morgens,
wenn du erwachst, erwartet dich der Herr, um einige
Worte der Liebe und des Vertrauens von dir zu vernehmen,
Er wartet, um deine ersten Gedanken und alle Handlungen,
die du den Tag über aus Liebe zu Ihm verrichten, um
alle Leiden, die du, um Ihn zu verherrlichen, erdulden
willst, in Empfang zu nehmen. Aber gleichwie Er alsdann
nie ermangelt, Sich einzustellen und dich zu wecken, so
darfst auch du nie unterlassen, Ihn sogleich liebevoll
anzublicken und dich zu freuen über die fröhliche
Nachricht, daß dein Gott nicht mehr, gleich wie zu
jener Zeit, da die Sünde dich von Ihm trennte, fern
ist, du mußt dich alsbald freudig daran erinnern, daß
Er dich liebt, daß Er deine Liebe begehrt, daß Er
Selbst dir zuruft: “Du sollst den Herrn, deinen Gott
lieben, aus deinem ganzen Herzen” (Nm 6,5).
13. Mache es nicht wie
die meisten Menschen, fliehe niemals die süße
Gegenwart Deines Gottes, rede mit Ihm, sooft du kannst,
denn Er wird deshalb nie ungeduldig und ungehalten,
gleich den Herren dieser Welt; wenn du Ihn wahrhaft
liebst, so wirst du Ihm auch jedesmal etwas mitzuteilen
haben. Erzähle Ihm alles, was dich und deine
Angelegenheiten betrifft, gleich als ob du einen guten
Freund vor dir hättest. Du mußt nicht meinen, Gott
gleiche einem mächtigen Fürsten, der nur mit vornehmen
Leuten umgehen will, und der nur über wichtige
Angelegenheiten reden mag. Gott läßt Sich gerne zu uns
herab, Er freut Sich, wenn wir Ihm unsere kleinsten und
unbedeutendsten Angelegenheiten mitteilen. Er liebt dich
so sehr und trägt so große Sorge um dich, daß es
scheint. Er habe an nichts anderes als an dich allein zu
denken. Er ist so sorgfältig auf deinen Vorteil
bedacht, daß es scheint, als ob Seine Vorsehung Ihm nur
dazu diene, dir beizustehen, Seine Allmacht, dir zu
helfen, Seine Barmherzigkeit und Güte, Mitleid mit dir
zu tragen, dir Gutes zu tun, und durch Seine zarte Liebe
dein Vertrauen, deine Liebe zu gewinnen. So öffne du
Ihm denn auch ganz freimütig dein Inneres und bitte
Ihn, Er wolle dich also leiten, daß du immer aufs
vollkommenste Seinen heiligen Willen erfülltest, und
daß alle deine Wünsche und Pläne nichts anderes
bezwecken als Sein Wohlgefallen: “Bitte Gott, daß er
deine Wege leite, und daß alle deine Anschläge in ihm
verbleiben” (Tob 4,20).
14. Wende nicht ein,
daß es unnötig sein würde, Gott deine Bedürfnisse
mitzuteilen, da Er sie besser kenne, als wir selbst. Er
kennt sie, aber Er handelt gegen uns, als ob Er nichts
wisse von all dem, was wir Ihm verschweigen, und um was
wir bei Ihm keine Hilfe suchen. Unser Heiland wußte,
daß Lazarus gestorben war, aber Er gab dies erst zu
erkennen, nachdem Magdalena es Ihm gesagt hatte, worauf
Er sie alsbald mit dem Versprechen tröstete, daß ihr
Bruder auferstehen werde.
15. Auch mußt du,
wenn eine Krankheit, eine Versuchung oder Verfolgung
über dich kommt, alsbald zum Gebete deine Zuflucht
nehmen, damit der Herr dir beistehe. Es genügt, wenn du
Ihm zurufst: Blicke auf mich, o Gott, denn ich werde
geplagt. Er wird dich alsdann gewiß trösten, oder dir
wenigstens Kraft geben, geduldig dein Leiden zu
ertragen, was dir oft nützlicher sein wird, als wenn Er
dich ganz davon befreie. Sage Ihm, welche Gedanken dich
peinigen, was du fürchtest, warum du traurig bist,
sprich zu Ihm: O mein Gott! Auf Dich setze ich alle
meine Hoffnung, ich opfere Dir dies Leiden auf, ich
ergebe mich ganz in Deinen heiligen Willen, habe Mitleid
mit mir, befreie mich von der Last, die mich
niederdrückt, oder gib mir wenigstens Kraft, sie zu
tragen. Das Versprechen, das Er im Evangelium gegeben
hat, alle Leidenden zu trösten und ihnen, sooft sie zu
Ihm ihre Zuflucht nehmen, beistehen zu wollen, wird Er
alsdann erfüllen: “Kommt zu mir alle, die ihr
mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken”
(Mt 12,18).
16. Gott wird nicht
unwillig, wenn du in deinen Leiden Trost bei deinen
Freunden suchst, aber Er will, daß du hauptsächlich zu
Ihm deine Zuflucht nehmest. Hast du dies unterlassen, so
mußt du wenigstens, nachdem du bei den Geschöpfen
Hilfe gesucht und keinen Trost gefunden hast, dich zu
deinem Schöpfer wenden und Ihm sagen: Herr, die
Menschen haben nur Worte, sie können mich nicht
trösten, ich entsage jetzt ihren Tröstungen, Du allein
bist meine Hoffnung, meine Liebe. Tröste mich, o mein
Gott! Gib, daß mein Trost darin bestehe, jetzt zu tun,
was Dir am meisten gefällt, ich bin bereit, dies Leiden
mein ganzes Leben hindurch zu erdulden, ich will es die
ganze Ewigkeit ertragen, wenn es Dir also gefällt,
stehe Du mir nur bei.
17. Fürchte nicht,
daß du Gott mißfallest, wenn du manchmal dich
zärtlich bei Ihm beklagst und Ihm sagst: Herr, warum
bist Du so fern von mir? Du weißt, mein Gott, daß ich
nichts anderes als Deine Liebe begehre, komme mir aus
Liebe zu Hilfe, verlasse mich nicht! Dauert dein Leiden
zu lange, ist deine Angst allzu groß, so mußt du dich
dem betrübten und sterbenden Jesus am Kreuze
vereinigen, und um Barmherzigkeit flehen und ausrufen:
“Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?”
(Mt 27,46). Deine Leiden müssen dir dazu dienen, dich
immer mehr vor Gott zu verdemütigen, wenn du bedenkest,
daß, wer Gott beleidigt hat, keinen Trost verdient, und
um dein Vertrauen zu vermehren, da du weißt, daß Gott
uns alle Leiden für unser Bestes schickt oder daß Er
sie deshalb zuläßt: “Alles wirkt ihnen zum Guten”
(Röm 8,28). Wenn du aber von Mißtrauen und Angst
gepeinigt wirst, so rufe voll Zuversicht aus: “Der
Herr ist mein Licht und mein Heil, wen sollte ich
fürchten?” (Ps 26). Du mußt meinen Verstand
erleuchten. Du mußt mich retten, auf Dich vertraue ich:
“Auf Dich, Herr, hoffe ich, lasse mich nimmermehr
zuschanden werden” (Ps 30,1). Du mußt dich mit dem
Gedanken beruhigen, daß niemand, der auf Gott sein
Vertrauen gesetzt hat, verlorengegangen ist: “Keiner,
der auf den Herrn gehofft hat, ist zuschanden geworden”
(Sir 2,10). Bedenke, daß Gott dich mehr liebt, als du
selbst dich lieben kannst, was fürchtest du denn also?
Tröste dich mit den Worten Davids: “Der Herr sorgt
für mich” (Ps 39,18). Herr, ich übergebe mich ganz
Dir, ich will nur daran denken, wie ich Dich lieben, wie
ich Dir wohlgefallen kann; siehe, ich bin bereit zu tun,
was Du von mir verlangst. Du wünschest nicht nur, daß
es mir wohlergehe, nein, Du selbst trägst Sorge für
mein Bestes, mögest Du selbst die Mittel für mein Heil
ausfindig machen. Ich verlasse mich auf Dich, ich will
mich stets auf Dich verlassen, denn Du willst, daß ich
immer alle meine Hoffnung auf Dich allein setze: “Ich
schlafe in Frieden und ruhte, denn Du, Herr, hast mich
vollkommen festgestellt in der Hoffnung” (Ps 479).
18. “Denket gut von
dem Herrn” (Weish 1). Der Weise lehrt uns durch diese
Worte, daß unser Vertrauen auf die göttliche
Barmherzigkeit weit größer als die Furcht vor Gottes
Gerechtigkeit sein muß, weil Gott uns unendlich lieber
Wohltaten als Strafen zukommen läßt, denn nach dem
heiligen Jakobus “erhebt sich die Barmherzigkeit über
das Gericht” (Jak 2,13). Deshalb lehrt uns der heilige
Petrus, daß, wenn wir uns fürchten wegen unseres
zeitlichen oder ewigen Wohlergehens, wir uns unbedingt
der Barmherzigkeit Gottes hingeben müssen, da Er die
größte Sorge für uns trägt: “Alle eure Sorgen
werfet auf ihn, denn er sorget für euch” (Petr 5,7).
Wenn wir das bedenken, so erkennen wir, daß David Recht
hatte, wenn er sagte: “Unser Gott ist ein Gott voll
der Sorge, uns selig zu machen” (Ps 67,21); was nach
der Auslegung Bellarmins sagen will, daß es Gottes
eigentliches Geschäft ist, nicht zu verdammen, sondern
alle selig zu machen, und daß, obgleich Er denen, die
Ihn verachten, Seine Ungnade drohe, Er doch sicher Seine
Barmherzigkeit allen verheiße, die Ihn fürchten, nach
den Worten Mariens: “Seine Erbarmung kommt über jene,
die ihn fürchten” (Lk 2). Ich stelle dir, geliebte
Seele, alle diese Texte der Heiligen Schrift vor Augen,
damit, wenn der Gedanke dich ängstigt, du könnest
nicht selig werden, du seiest nicht auserwählt, dich
der Blick auf die Verheißungen, die Gott dir fürs
ewige Leben gegeben hat und Sein Wunsch, dich zu retten,
wenn du entschlossen bist, Ihm zu dienen, Ihn zu lieben,
deine arme Seele tröste.
19. Geht es dir gut,
so mußt du ja nicht dem Beispiel der meisten
undankbaren und untreuen Menschen folgen, die zur Zeit
der Leiden zu Gott ihre Zuflucht nehmen, die aber, wenn
heitere Tage folgen, Ihn vergessen und verlassen.
Beweise du alsdann Gott dieselbe Treue, die du einem
geliebten Freunde, der Teil an deinem Glücke nimmt,
beweisen würdest; teile Ihm alsbald deine Freude mit,
preise Ihn, danke Ihm, bekenne, daß alles Gute von Gott
kommt, erfreue dich deines Glücks deshalb, weil Seine
Liebe es dir bereitet hat, da du dich dann nur in Ihm
freust und in Ihm allein Trost findest: “Ich will mich
freuen in dem Herrn und frohlocken in Gott meinem
Heiland” (Hab 3,18).
Ich preise Dich, o
mein Jesus! Ich will Dich stets preisen für die vielen
Gnaden, die Du mir erwiesen hast, obgleich ich wegen der
Dir zugefügten Beleidigungen vielmehr Strafe verdient
hätte. Ich danke Dir, o Herr! Ich will nie die
Wohltaten vergessen, die Du mir ehemals erwiesen hast,
und die Du mir jetzt noch zukommen läßt, damit ich,
die ganze Ewigkeit hindurch, Dich deshalb lobe und
preise.
20. Wenn du Gott
wahrhaft liebst, geliebte Seele, so mußt du dich mehr
über Seine als über deine eigene Seligkeit freuen. Wer
einen Freund recht innig liebt, hat größere Freude an
dem Glück desselben als an dem eigenem Wohlergehen. Die
Erkenntnis von der unendlichen Glückseligkeit deines
Gottes ist dein größter Trost, du mußt oft zu Ihm
sprechen und sagen: Lieber Gott, ich freue mich mehr
über Deine Seligkeit als über mein eigenes
Wohlergehen, denn ich liebe Dich mehr als mich selbst.
21. Du kannst Gott
auch einen Beweis deines Vertrauens zu Ihm geben, wenn
du, nachdem du einen Fehler begangen hast, dich nicht
schämst, alsbald Ihm zu Füßen zu fallen und Ihn um
Verzeihung zu bitten. Bedenke, daß Gottes Wunsch, den
Sündern zu verzeihen, so groß ist, daß, nachdem sie
sich von Ihm entfernt haben, Er ihren Verlust beklagt,
und wieder liebevoll zu Sich ruft: “Warum wollt ihr
sterben, Haus Israels... Bekehret euch und lebet” (Ez
18,31). Er verspricht jeder Seele, die Ihn verlassen
hat, sobald sie in Seine Arme zurückkehrt, sie
freundlich wieder aufnehmen zu wollen: “Wendet euch zu
mir, und ich werde mich zu euch wenden” (Ez 18).
Möchten es also doch die Sünder begreifen, mit welcher
Liebe der Herr sie erwartet, um ihnen zu verzeihen: “Es
wartet der Herr, sich eurer zu erbarmen” (Is 30,18).
Möchten sie begreifen, wie sehr Er wünscht, sie
bekehrt zu sehen, wie gerne Er ihnen die Strafe
ersparte, wie gerne Er sie umarmen und an Sein Herz
drücken möchte. Er beteuert: “So wahr ich lebe, ich
habe kein Wohlgefallen am Tode des Gottlosen, sondern
daß der Gottlose sich bekehre von seinem Wege und lebe”
(Ez 33,11). Und er fügt hinzu: “Kommt und klaget
über mich, wenn eure Sünden wie Scharlach wären,
sollen sie weiß werden wie Schnee, und wenn sie rot wie
Purpur wären, sollen sie weiß werden wie Wolle" (Is
1,18). Als ob Er sagte: Bereut es, ihr Sünder, daß ihr
mich beleidigt habt, und kehrt zu Mir zurück. Klagt
über Mich, wenn Ich euch nicht sogleich verzeihe,
tadelt Mich, behandelt Mich wie einen Wortbrüchigen;
aber nein, Ich halte Mein Versprechen, wenn ihr kommt,
so seid überzeugt, daß, wenn auch euer Gewissen durch
eure Sünden noch so schwarz wäre, Ich es durch Meine
Gnade alsbald weiß wie Schnee machen werde.
22. Gott selbst
erklärt uns, daß, wenn eine Seele es bereut, Ihn
beleidigt zu haben, Er alle ihre Sünden vergißt: “Ich
will aller seiner Missetaten nicht mehr gedenken” (Ez
18,22). Wende also, sobald du einen Fehler begangen
hast, sogleich deine Augen auf Gott, erwecke einen
Liebesakt, bekenne deine Schuld, hoffe stets, daß Er
dir verzeihen werde, und sage Ihm: “Herr, siehe, den
du liebst, der ist krank” (Jo 11,3), dies Herz, das Du
liebst, ist krank, ist voll Wunden, heile mich, denn ich
habe vor Dir gesündigt. Du selbst suchst die
reumütigen Sünder auf, siehe hier einen großen
Sünder, der Dich sucht, um Dir zu Füßen zu fallen;
das Übel ist geschehen, was soll ich jetzt tun? Du
willst nicht, daß ich verzage; selbst nachdem ich
gesündigt habe, willst Du noch mein Bestes. Ich liebe
Dich, ja mein Gott, ich liebe Dich von ganzem Herzen, es
reut mich, daß ich Dir mißfallen habe, ich nehme mir
fest vor, es nie wieder zu tun, Du bist ja mein süßer,
mein sanftmütiger, mein barmherziger Gott! Lasse mich,
wie früher Magdalena, jene trostreichen Worte
vernehmen: “Deine Sünden sind dir vergeben", und
stärke mich, damit ich Dir in der Folge treu bleibe.
23. Hast du einen
Fehler begangen, so mußt du auch, um nicht den Mut zu
verlieren, alsbald auf Jesus am Kreuz blicken, du mußt
dem himmlischen Vater Seine Verdienste aufopfern und auf
Verzeihung hoffen, da Gott, um dir deine Sünden zu
vergeben, Seinen eigenen Sohn nicht verschont hat. Du
mußt mit Vertrauen zu Ihm sagen: “Blicke auf Deinen
Gesalbten.” Bedenke, o mein Gott, daß Dein eigener
Sohn für mich gestorben ist, aus Liebe zu Ihm vergib
mir. Vergiß nie, geliebte Seele, die Lehre, die dir
alle geistlichen Seelenführer geben, jedesmal, nachdem
du einen Fehler begangen hast, sollte dies auch
hundertmal am Tage geschehen, schnell zu Gott deine
Zuflucht zu nehmen, und darauf dich alsbald zufrieden zu
geben; tust du das nicht, so wirst du mutlos und unruhig
werden wegen des begangenen Fehlers, du wirst dich immer
weniger mit Gott unterhalten, der Wunsch, Ihn zu lieben,
wird immer mehr in dir erkalten, dein Vertrauen wird
abnehmen, und du wirst geringe Fortschritte auf dem Weg
des Heils machen. Wenn du hingegen dich als bald an Gott
wendest, wenn du Ihn um Verzeihung bittest, wenn du Ihm
versprichst, dich zu bessern, so werden deine Fehler
sogar dazu beitragen, deine Liebe zu Gott zu vermehren.
Die Freundschaft zwischen Menschen wird oft weit enger,
wenn, nachdem einer den andern beleidigt hat, der
Fehlende sich demütigt und um Verzeihung bittet. So
mußt du es mit Gott machen, du mußt machen, daß deine
Fehler dazu beitragen, dich immer mehr in der Liebe zu
Gott zu befestigen.
24. Treue Freunde
beraten sich miteinander, wenn ihnen Zweifel vorkommen,
du mußt ein Gleiches mit Gott tun, du mußt Ihn bitten,
Er wolle dich erkennen lassen, was Er von dir wünscht:
“Gib, o Herr, dein Wort in meinen Mund, rate meinem
Herzen, was ich tun soll” (Jdt 9,18). Sage mir, was
ich tun, was ich antworten soll, ich will Dir folgen:
“Rede, o Herr, denn dein Knecht hört” (1 Kg 3,10).
25. Du mußt aber
nicht nur die eigene, sondern auch die Not anderer
vertrauensvoll Gott anempfehlen. Wie wohlgefällig muß
es Gott sein, wenn Er sieht, daß du manchmal deinen
eigenen Vorteil vergißt, um Ihm das Elend anderer,
besonders derer, die schwer bedrängt sind,
anzuempfehlen; wenn du Ihn bittest, Er wolle Mitleid
haben mit Seinen geliebten Seelen im Fegfeuer, die nach
dem Anschauen ihres Gottes seufzen, Er wolle Sich der
armen Sünder erbarmen? O mein Gott! Du bist so
liebenswürdig, Du verdienst unendliche Liebe, wie
kannst Du gestatten, daß so viele Seelen in der Welt,
denen Du so viel Gutes tust, Dich nicht kennen, nicht
lieben wollen, Dich beleidigen und verachten! Bewirke, o
liebenswürdiger Gott, daß alle Dich kennen und lieben:
“Geheiligt werde Dein Name, zu uns komme dein
Reich": möchten doch alle Deinen heiligen Namen
anbeten, möchte Deine Liebe in allen Herzen wohnen.
Lasse mich nicht von Dir gehen, ohne daß Du mir eine
Gnade für diese armen Seelen, für die ich jetzt bitte,
gewährt hast.
26. Man sagt, daß im
Fegfeuer eine besondere Strafe jene erwartet, die hier
auf Erden nur geringe Begierde gehabt haben, in den
Himmel zu kommen, und das mit Recht, denn sie geben
dadurch zu erkennen, daß sie wenig Wert auf das
unschätzbarste Glück: das ewige Leben setzten, das
Jesus Christus uns durch Seinen Tod erworben hat.
Deshalb mußt du denn auch häufig, geliebte Seele, nach
dem Himmel seufzen und vor Gott bekennen, daß die Zeit,
in der du Ihn nicht von Angesicht zu Angesicht sehen
kannst, dir entsetzlich lang vorkomme; Du mußt dich
danach sehnen, diesen Ort der Verbannung, wo die Sünde
herrscht und wo wir stets in Gefahr sind, Gott zu
verlieren, verlassen zu können, um in deiner wahren
Heimat, wo die Liebe herrscht und wo du deinen Gott aus
allen deinen Kräften lieben wirst, anzugelangen. O mein
Gott, solange ich hier auf Erden lebe, bin ich immer in
Gefahr, Dich zu verleugnen, Deine Liebe zu verlieren;
wann wird die selige Stunde schlagen, da ich diese Welt,
auf der ich Dich doch immer beleidige, verlassen kann,
um mich ganz mit Dir zu vereinigen, ohne Furcht, mich je
wieder von Dir zu trennen? Auf solche Weise sehnte sich
die heilige Theresia nach ihrer Vereinigung mit Gott,
sie freute sich, wenn sie die Glocke schlagen hörte,
und dachte alsdann, daß wieder eine Stunde
vorübergegangen sei, in der sie Gott hätte beleidigen
können. Ihre Sehnsucht nach dem Tode und nach dem
Anschauen ihres Gottes war so groß, daß sie aus
Sehnsucht nach dem Tode starb, weshalb sie denn auch in
einem ihrer Lieder ausrief: Ich sterbe, weil ich nicht
sterben kann!
27. Aus allem, was ich
bis jetzt gesagt habe, geliebte Seele, geht hervor, daß,
wenn du dem liebevollen Herzen deines Gottes gefallen
willst, du suchen mußt, so gut du es vermagst, dich
unausgesetzt und voll Vertrauen mit Ihm zu unterhalten;
alsdann wird der Herr nicht ermangeln, dir zu antworten
und auf gleiche Weise mit dir zu reden. Die Ohren deines
Leibes werden zwar nicht die Stimme Gottes vernehmen,
aber wenn du der Unterhaltung mit den Geschöpfen
entsagst, wenn du ganz allein mit Gott redest, so wird
Er auf sehr verständliche Weise deinem Herzen
antworten: “Ich will sie in die Wüste führen und zu
ihrem Herzen reden” (Oseas 2,14). Gott wird dich
belohnen, und ‑ durch Einsprechungen, durch innere
Erleuchtungen, durch Erkenntnis Seiner Güte, durch
süße Rührungen des Herzens, durch Versicherung, daß
dir deine Sünden vergeben seien, durch Vorgeschmack des
himmlischen Friedens, durch die Hoffnung, bald in den
Himmel zu kommen, durch innere Seligkeit, durch jene
Süßigkeit, die nur eine Frucht der Gnade sein kann,
durch liebevolle Vereinigung mit dir, ‑ dein
Vertrauen auf Ihn vergelten. Er wird jene Liebessprache
reden, die nur jene verstehen, die der Herr liebt, und
die nichts anderes als Gott suchen.
28. Damit du dir
alles, was ich bis jetzt gesagt habe, leicht ins
Gedächtnis zurückrufen könnest, so will ich dir hier
eine Anleitung zusammenstellen, wie du alle deine
Handlungen Gott recht wohlgefällig machen kannst:
Eine
Anleitung wie du alle deine Handlungen Gott recht
wohlgefällig machen kannst
Wenn du des Morgens
aufwachst, so muß dein erster Gedanke auf Gott
gerichtet sein. Du mußt alles, was du den Tag über tun
und leiden wirst, Ihm aufopfern; du mußt Ihn bitten,
daß Er dir mit Seiner Gnade beistehe, und die Meinung
machen, alle Ablässe, die du den Tag über erlangen
kannst, zu gewinnen. Darauf mußt du dein Morgengebet
verrichten, Gott danken, Akte der Liebe erwecken, Ihn um
seinen Beistand bitten und dir stets vornehmen, den
gegenwärtigen Tag zuzubringen, als ob es der letzte
deines Lebens wäre. Der Pater Saint Jure lehrt, daß
man des Morgens sich gleichsam mit Gott verabreden
müsse, daß jedesmal, wenn man ein gewisses Zeichen
macht, zum Beispiel, wenn man die Hand aufs Herz legt,
oder den Himmel oder ein Kruzifix anblickt, man die
Meinung mache, zugleich einen Akt der Liebe, der Hingabe
in Gottes Willen und ähnliche Anmutungen zu erwecken.
Nachdem du hierauf deine Seele in die Seitenwunde deines
Heilandes unter den Schirm Mariens verborgen hast, damit
Sie dich den Tag über in Schutz nehme, mußt du, ehe du
zu arbeiten anfängst, wenigstens eine halbe Stunde lang
beten oder eine Betrachtung anstellen; du mußt vor
allem die Schmerzen und die Verachtung, die Christus
während Seines Leidens zu erdulden hatte, zum
Gegenstande deiner Betrachtung wählen; denn die Seelen,
die Gott lieben, betrachten am liebsten hierüber, weil
das Leiden Christi am meisten die Liebe Gottes in uns
entzündet. Willst du Fortschritte im geistlichen Leben
machen, so mußt du dir vor allem drei Andachtsübungen
angelegen sein lassen: die Andacht zum Leiden Christi,
zur allerseligsten Jungfrau Maria und zum
allerheiligsten Altarsakrament. Während du betest,
mußt du auch oft Akte der Reue, der Liebe zu Gott, der
Hingabe in Seinen Willen erwecken. Pater Caraffa pflegte
zu sagen, daß ein eifriger Akt der Liebe Gottes, den
man am Morgen verrichtet, genüge, um uns den Tag über
eifriger im Dienste Gottes zu erhalten.
29. Ehe du eine andere
Beschäftigung, zum Beispiel die Studien oder
Handarbeit, je nachdem es dein Stand von dir fordert,
beginnst, mußt du ja nicht vergessen, am Anfang einer
jeden Arbeit sie Gott aufzuopfern und Ihn zu bitten,
damit Er dir beistehe, sie ohne Fehler zu verrichten.
Auch unterlasse nicht, manchmal einen Blick auf dein
Inneres zu werfen und dich durch Liebesakte mit Gott zu
vereinigen, wie das die heilige Katharina von Siena zu
tun pflegte. Tue alles, was du tust, mit Gott und für
Gott. Verläßt du dein Haus oder dein Zimmer, oder
kehrst du in dasselbe zurück, so empfiehl dich jedesmal
durch ein “Gegrüßt seist Du Maria” der
Muttergottes. Begibst du dich zum Essen, so opfere
vorher das Vergnügen oder den Wiederwillen, den die
Speisen oder Getränke, welche man dir vorsetzen wird,
in dir erregen könnten, Gott auf; hast du gegessen, so
sprich: “Herr, wie viel Gutes erweisest Du mir, der
ich Dich so oft beleidigt habe!” Vergiß ja nicht, den
Tag über eine geistliche Lesung und einen Besuch zum
allerheiligsten Altarsakrament und zur allerheiligsten
Jungfrau zu machen, bete deinen Rosenkranz, prüfe dich
am Abend, wie du den Tag zugebracht hast, erwecke die
Akte Glaube, Liebe, Hoffnung, Reue, und mache einen
festen Vorsatz, dich zu bessern und im Leben und Sterben
die heiligen Sakramente zu empfangen, mache zugleich die
Meinung, alle Ablässe, die du gewinnen kannst, zu
erlangen. Wenn du zu Bette gehst, so bedenke, daß du
verdient hättest, in der Hölle zu brennen, umarme dein
Kruzifix und sage: “Ich schlafe in Frieden und
Ruhe."
[30. Es folgen einige
Beispiele für Ablässe. Wegen der neuen Ablaßordnung
sind diese Beispiele aber überholt]. 31. Damit du immer
gesammelt und mit Gott vereinigt bleiben könnest, mußt
du in allem, was du siehst und hörst, etwas aufzufinden
suchen, was dein Gemüt zu Gott erheben oder dich an die
Ewigkeit erinnern könne. Gießt man Wasser aus einer
Flasche, so bedenke, daß auf gleiche Weise deine Tage
verfließen und du dich stets dem Tode näherst. Siehst
du ein Licht, das aus Mangel an Öl verlöscht, so
bedenke, daß dein Leben einst ebenso enden wird.
Erblickst du ein Begräbnis oder Leichen, so erinnere
dich daran, daß ein gleiches Los dich erwartet. Siehst
du, wie die Großen dieser Welt in deiner Gegenwart sich
über ihre Würden und Reichtümer erfreuen, so
bemitleide ihre Torheit und sage: “Mein Gott genügt
mir, diese verlassen sich auf Wagen und jene auf Rosse,
wir aber rufen den Namen des Herrn an” (Ps 19,8). Sie
suchen ihren Ruhm in Eitelkeiten, ich will ihn in der
Gnade Gottes und in Seiner Liebe suchen. Hält man
feierliche Totenämter und Leichenbegängnisse vornehmer
Herren, so bedenke: Was nützt ihnen alle diese Pracht,
wenn sie in der Hölle sind? Wandelst du am Ufer des
Meeres und findest du es ruhig oder wild bewegt, so
stelle Vergleichungen an zwischen einer Seele, die im
Stande der Gnade, und einem Herzen, das durch die Sünde
von Gott getrennt ist. Findest du einen verdorrten Baum,
so denke daran, daß eine Seele, die Gott nicht liebt,
ins Feuer geworfen zu werden verdient. Hast du
Gelegenheit, gegenwärtig zu sein, wenn ein schwerer
Verbrecher, zitternd vor Angst und Scham, sein Urteil
empfängt, so bedenke, welche Angst der Sünder dereinst
vor dem Richterstuhl Jesu Christi ausstehen wird.
Überfällt dich Furcht, wenn es blitzt und donnert, so
denke an die Peinen, welche die Verdammten in der
Hölle, wo sie das Donnern des göttlichen Zornes
beständig vernehmen, ausstehen müssen. Hörst du, daß
ein zum Tode Verurteilter händeringend ausruft: “So
kann ich denn also nicht mehr dem Tode entgehen!",
so denke alsbald an die Verzweiflung einer Seele, die,
zur Hölle verdammt, laut aufschreit: “Kein Mittel
bleibt mir übrig, dem ewigen Untergang zu
entfliehen!"
32. Erblickst du eine
schöne Gegend, das Meer, Blumen, Früchte und andere
Gegenstände, deren Anblick das Auge ergötzt, so mußt
du ausrufen: Wenn Gott schon hier auf Erden so schöne
Geschöpfe hervorgebracht hat, damit ich Ihn liebe, o
wie ganz andere Freuden wird Er mir als dann im Himmel
bereitet haben! Die heilige Theresia sagte, daß, wenn
sie liebliche Hügel und freundliche Täler erblickte,
es ihr schien, als ob dieselben ihr ihren Undank gegen
Gott vorwürfen, und der Stifter der Trappisten, der Abt
Rancé, ward durch die schönen Werke Gottes an seine
Verpflichtung, Ihn zu lieben, erinnert. Gleich ihm rief
schon der heilige Augustin aus: ,,Himmel und Erde, alles
sagt mir, daß ich Dich lieben soll!” Man erzählt,
daß ein frommer Mann, der Blumen und Kräuter auf dem
Felde fand, sie mit seinem Stocke schlug und ausrief:
“Schweigt, haltet mir nicht länger meinen Undank
gegen Gott vor, ich habe euch verstanden. Schweigt und
laßt mich in Frieden.” Wenn die heilige Maria
Magdalena von Pazzi einen schönen Apfel oder eine
liebliche Blume betrachtete, so spürte sie, daß das
Feuer der Liebe Gottes sich in ihrem Herzen entzündete,
da sie bedachte, daß Gott von aller Ewigkeit her daran
gedacht habe, diesen Apfel, diese Blume zu erschaffen,
um ihr einen Beweis Seiner Liebe zu geben.
33. Flüsse und Bäche
erinnern dich daran, daß, gleichwie diese Gewässer
unausgesetzt dem Meere zueilen, so auch du nie aufhören
darfst, nach Gott, deinem alleinigen und höchsten Gute,
zu streben. Wenn du reitest oder fährst, so sage zu dir
selbst: “Siehe, diese unschuldigen Tiere ermüden
sich, um mir zu dienen; lasse ich es mich auch etwas
kosten, um Gott zu dienen, um Ihm wohlzugefallen?”
Erblickst du einen Hund, der um ein elendes Stück Brot
seinem Herrn so treu dient, so bedenke, welche
Verpflichtung du hast, Gott treu zu bleiben, Ihm, der
dich erschaffen hat und der dich fortwährend erhält,
bewahrt und mit so großen Wohltaten überhäuft. Hörst
du den Gesang der Vögel, so sprich: “Geliebte Seele,
vernimmst du nicht das Lob Gottes, das diese kleinen
Geschöpfe verkündigen, was tust du, lobst du Ihn auch
durch Liebesakte?” Kräht der Hahn, so denke daran,
daß auch du, gleichwie Petrus, deinen Gott verleugnet
und Seinen Schmerz und Seine Tränen erneuert hast.
Siehst du das Haus oder den Ort, wo du früher
gesündigt hast, so bitte Gott: “Der Sünden meiner
Jugend und meines Unverstandes gedenke nicht” (Ps
24,7).
34. Betrachtest du ein
reizendes Tal, so bedenke, daß gleichwie dasselbe durch
das von den Bergen herabfließende Wasser befruchtet
wird, die Gnaden vom Himmel nur in demütige Seelen
niedersinken und die Stolzen leer ausgehen. Eine schön
gezierte Kirche sei dir das Bild einer Seele, die in der
Gnade Gottes ist, und die wahrhaft ein Tempel Gottes
genannt zu werden verdient. Das Meer stellt die
Unendlichkeit und Größe Gottes vor. Siehst du Feuer
oder Lichter auf dem Altar, so sage zu dir selbst: “Seit
wie langen Jahren hätte ich verdient, in der Hölle zu
brennen? Du, o mein Gott, hast mich bis heute verschont;
gib, daß mein Herz, gleichwie dies Holz oder diese
Lichter, von Liebe zu Dir entbrenne.” Bewunderst du
den Sternenhimmel, so sage mit dem heiligen Andreas
Avellino: “Einst werde ich hoch über diesen Sternen
erhaben stehen!"
35. Um dich recht oft
an die Geheimnisse des Lebens unsers Erlösers zu
erinnern, mußt du jedesmal, wenn du Heu oder eine
Krippe oder einen Stall erblickst, an das Jesukindlein
in Bethlehem denken. Siehst du eine Säge, einen Hobel,
einen Hammer, so stelle dir Jesus vor, wie Er in der
Werkstätte des heiligen Joseph arbeitet. Seile,
Stricke, Ketten, Dornen und Nägel müssen dir das
Leiden und den Tod deines Heilands ins Gedächtnis
zurückrufen. Begegnete der heilige Franz von Assisi
einem Lamme, so fing er an zu weinen und sagte: “Für
mich ließ sich mein Herr Jesus, gleichwie ein Lamm, zum
Tode führen. “Erblickst du einen Altar, einen Kelch
oder Meßgewänder, so denke sogleich an die Liebe Jesu
Christi, der Sich dir im Altarssakramente geschenkt hat.
36. Den Tag über
mußt du dich oft, gleichwie die heilige Theresia, Gott
aufopfern und Ihm sagen: “Siehe Herr, hier bin ich,
mache mit mir, was Dir immer gefällt, sage mir, was Du
von mir verlangst, ich bin zu allem bereit.” Erwecke,
sooft du kannst, Liebesakte zu Gott, denn die heilige
Theresia sagt, daß dieselben dem Holze gleichen und im
Herzen das Feuer der göttlichen Liebe unterhalten.
Begehst du einen Fehler, so demütige dich und suche
durch einen desto eifrigeren Liebesakt, dich wieder vom
Falle aufzurichten. Stößt dir ein Ungemach zu, so
opfere Gott dieses Leiden auf, und ergib dich in Seinen
heiligen Willen, gewöhne dich daran, in allen
Widerwärtigkeiten zu dir selbst zu sagen: “Dies ist
jetzt Gottes Wille und darum will ich es auch.” Es
gibt keinen Gott angenehmeren Liebesakt als die Ergebung
in Seinen Willen.
37. Du mußt auch, ehe
du einen Entschluß faßt oder andern einen wichtigen
Rat erteilst, dich jedesmal vorher Gott anempfehlen.
Wiederhole, sooft du kannst, mit der heiligen Rosa von
Lima die Bitte: “Herr, hilf mir, überlasse mich nicht
mir selbst!” Blicke oft auf ein Kruzifix oder auf ein
Bild Mariens, rufe die heiligen Namen Jesus und Maria
aus, und das besonders in der Zeit der Versuchungen.
Gott, der unendlich gut ist, wünscht nichts mehr, als
uns Seine Gnade mitzuteilen, und Pater Alvarez sah eines
Tages unseren Heiland, die Hände voll Gnaden, und
suchend, wem Er sie mitteilen könne; aber Gott will,
daß wir Ihn um Seine Gnade bitten: “Bittet, und ihr
werdet empfangen.” Tun wir das nicht, so zieht der
Herr Seine Hand von uns, bitten wir Ihn hingegen, so
teilt Er uns mit, was immer wir wünschen: “Wer, der
ihn angerufen hat, ist verschmäht worden?” (Sir
2,10). David sagt, daß Gott barmherzig und sehr
barmherzig gegen die ist, die Ihn anrufen: “Du bist
gütig und mild und von großer Erbarmung für alle, die
dich anrufen” (Ps 8,55). Wie gut und freigebig beweist
Sich der Herr gegen alle, die Ihn liebevoll suchen: “Gut
ist der Herr denen, die auf ihn hoffen, der Seele, die
ihn sucht” (Ps 8,55). “Wenn jene, die ihn nicht
gesucht haben, ihn finden” (Röm 10,20), um wieviel
leichter wird Ihn alsdann der finden, der Ihn sucht, um
sich ganz Seinem Dienste zu weihen.
38. Die heilige
Theresia sagt, daß die Gerechten auf Erden in der Liebe
den Seligen im Himmel gleichen müssen, gleich ihnen
müssen sie nur mit Gott beschäftigt sein, sie müssen
an nichts anderes denken und nichts anderes wünschen,
als Seine Ehre, Seine Liebe. ‑ So auch du,
geliebte Seele! Gott sei hier auf Erden deine Seligkeit,
Er sei der einzige Gegenstand deiner Neigungen und das
Ziel aller deiner Handlungen und Wünsche, bis daß du
im Himmel, wo alle deine Begierden Befriedigung finden,
Ihn dereinst vollkommen und unaufhörlich lieben wirst.
Von der
Liebe Gottes und den Mitteln, dieselbe zu erlangen.
1. Weil unser guter
Gott uns so lieb hat, so wünscht Er innig, daß auch
wir Ihn lieben, und deshalb hat Er uns nicht nur durch
so häufig wiederholte Einladungen in der Heiligen
Schrift, Ihn zu lieben, und durch so viele allgemeine
und besondere Wohltaten zur Liebe Gottes zu bewegen
gesucht, sondern Er hat uns sogar das ausdrückliche
Gebot erteilt, Ihn zu lieben, und hat der Seele, die Ihn
nicht liebt, die Hölle gedroht, der, die Ihn liebt, den
Himmel verheißen. Gott will, daß alle sich retten,
daß keiner verloren gehe, wie uns das die heiligen
Apostel Petrus und Paulus nur allzu deutlich gelehrt
haben: “Gott, welcher will, daß alle Menschen selig
werden” (1 Tim 2,4). “Er hat Geduld mit euch und
will nicht, daß jemand verlorengehe, sondern daß sich
alle zur Buße wenden” (2 Petr 3,9). Wenn aber Gott
alle selig haben will, warum hat er dann die Hölle
erschaffen? Nicht deshalb, damit wir verdammt würden,
sondern damit die Welt Gott liebe. Wenn ungeachtet der
Hölle die meisten Menschen lieber die Verdammnis
wählen, als daß sie Gott lieben, wer würde Ihn da
wohl lieben, wenn es keine Hölle gäbe! Deshalb hat
denn auch der Herr denen, die Ihn nicht lieben wollen,
ewige Strafen gedroht, damit, wenn man Ihn nicht
gutwillig lieben will, man Ihn wenigstens aus Furcht
liebe, um die Hölle zu vermeiden.
2. Oh mein Gott, wie
glücklich, wie hochgeehrt würde sich wohl ein Mensch
schätzen, dem sein König sagen würde: Liebe mich,
denn ich liebe dich. Ein Fürst wird sich indes wohl
hüten, seinen Untertan um seine Liebe zu bitten. Aber
Gott, die unendliche Güte, der Herr aller Dinge, die
Allmacht, die Weisheit selbst, ein Gott, der unendliche
Liebe verdient, der uns mit zeitlichen und geistigen
Wohltaten überhäuft hat, Er läßt Sich so tief herab,
uns um unsere Liebe zu bitten, Er ermahnt, Er befiehlt
uns, Ihn zu lieben, sollte Seine Bitte unerfüllt
bleiben? “Was verlangt der Herr, dein Gott, von dir,
als daß du den Herrn, deinen Gott, fürchtest ‑
und ihn liebst” (Dt 10,12). Deshalb ist denn auch der
Sohn Gottes auf Erden gekommen und hat unter uns
gewandelt, wie Er selbst es uns lehrt: “Ich bin
gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen, und was will ich
anderes, als daß es brenne” (Lk 12,49). Merken wir
uns diese Worte: “und was will ich anderes, als daß
es brenne!", als ob ein Gott, der in Sich selbst
unendlich glücklich ist, ohne unsere Liebe nicht
glücklich sein könne.
3. Wir dürfen also
nicht zweifeln, daß Gott uns liebt, daß er uns sehr
lieb hat. Weil er uns nun also liebt, so will Er, daß
auch wir Ihn von ganzem Herzen lieben, und ruft deshalb
einem jeden von uns zu: “Du sollst den Herrn deinen
Gott lieben aus deinem ganzen Herzen” (Dt 6), worauf
Er hinzufügt: “Es sollen diese Worte in deinem Herzen
sein, du sollst sie betrachten, wenn du in deinem Hause
sitzest und wenn du auf der Reise bist, wenn du dich
niederlegst und wenn du aufstehst, und sollst sie wie
ein Zeichen an deine Hand binden und vor deinen Augen
haben und an die Pfosten und Türen deines Hauses
schreiben” (Dt 6). Wir müssen in allen diesen Worten
den Wunsch und die Sorge bemerken, die Gott hat, damit
jeder von uns Ihn liebe. Er will, daß die Worte, durch
die Er uns Seine Liebe befiehlt, tief in unser Herz
eingeschrieben seien, und damit wir sie nie vergessen,
will Er sogar, daß wir sie zu Hause, auf der Reise,
beim Schlafengehen und beim Aufstehen betrachten, ja, Er
will sogar, daß ein äußeres Zeichen, das wir in den
Händen tragen, uns immer an Seinen Befehl erinnere.
4. Der heiligen Gregor
von Nazianz sagt: “O seliger Pfeil, der zugleich Gott,
den Bogenschützen, in unser Herz bringt", das
heißt, wenn Gott einen Pfeil Seiner Liebe in ein Herz
schießt, wenn Er nämlich auf besondere Weise unseren
Verstand erleuchtet, daß wir Seine Güte und Seine
Liebe zu uns und Seinen Wunsch, daß auch wir Ihn
lieben, erkennen, so kommt in demselben Augenblicke Gott
selbst mit diesem Liebespfeile in unser Herz, weil Er,
der ihn uns sendet, die Liebe selbst ist: “denn Gott
ist die Liebe", sagt der heilige Johannes.
Gleichwie ein Pfeil in dem Herzen, das er verwundet hat,
steckenbleibt, so bleibt auch Gott, wenn Er eine Seele
mit seiner Liebe verwundet, immer mit derselben
vereinigt. Suchen wir uns denn also zu überzeugen, o
Menschen, daß nur Gott uns wahrhaft liebe. Die Liebe
unserer Freunde und all derer, die sagen, daß sie uns
lieben (ausgenommen jene, die uns nur um Gottes willen
lieben), ist keine wahre Liebe, es ist eigennützige
Liebe, in der man, um irgend eines eigennützigen
Zweckes willen, liebt. Ja, mein Gott, ich erkenne es,
daß Du allein mich liebst, und das nicht um Deines
Vorteils willen, sondern allein um Deiner Güte und um
der Liebe willen, die Du zu mir trägst, und ich
Undankbarer, ich habe niemandem so viel Kummer und
Schmerz verursacht wie Dir, der Du mich so sehr geliebt
hast. O mein Jesus, laß nicht zu, daß ich wieder
undankbar gegen Dich sei, Du allein hast mich wahrhaft
geliebt, auch ich will die noch übrigen Tage meines
Lebens Dich wahrhaft lieben. Ich rufe Dir mit der
heiligen Katharina von Genua zu: “Oh meine Liebe, nur
keine Sünde mehr, nur keine Sünde mehr, Dich allein
will ich lieben und nichts außer Dir."
5. Der heilige
Bernhard sagt, daß eine Seele, die wahrhaft Gott liebt,
nichts anders lieben könne, als was Gott will. Bitten
wir denn also Gott, daß Er uns mit Seiner Liebe
verwunde, weil eine dadurch verwundete Seele nichts
anderes wollen kann, als was Gott will und allen
Wünschen der Eigenliebe entsagt hat. Wenn wir uns so
ganz von uns selbst losschälen und uns unbedingt Gott
schenken, so geben wir Gott jenen Pfeil, womit Ihn, wie
Er es selbst erklärt, Seine Braut, die heilige Seele,
verwundet hat: “Du hast mein Herz verwundet, meine
Schwester, meine Braut” (Hl 5,7).
6. Wie schön drückt
sich hierüber der heilige Bernhard aus: “Lernen wir
denn also unsere Herzen wie Pfeile Gott zusenden.”
Wenn eine Seele sich nämlich ganz Gott schenkt, so
schwingt sie gewissermaßen ihr Herz wie einen Pfeil zu
dem Herzen Gottes empor, worauf Gott selbst erklärt,
daß diese Seele, die sich Ihm ganz geschenkt hat, Ihn
zu ihrem Gefangenen gemacht habe. Darum üben sich alle
Seelen, die sich Gott ganz geschenkt haben, im Gebete,
sie geben sich ganz Gott und suchen immer von neuem
durch Stoßgebete sich mit Gott zu vereinigen. Sie rufen
häufig aus: “Mein Gott und mein alles, ich will nur
Dich und nichts anderes.” ‑ "Mein Gott, ich
schenke mich ganz Dir, und wenn ich mich nicht ganz Dir
übergebe, so nimm Du selbst mich.” ‑ “Und
wen, o mein Jesus, könnte ich nur lieben wollen außer
Dir, der Du für mich gestorben bist.” ‑ “Ziehe
mich Dir nach, o mein Heiland, reiße mich aus dem
Schlamm meiner Sünden heraus und ziehe mich ganz zu
Dir.” ‑ "Binde mich, o Herr, mit den Ketten
Deiner Liebe, damit ich Dich nie wieder verlasse.”
‑ “Ich will ganz Dir angehören, mein Gott, hast
Du mich verstanden? Ich will ganz Dein, ganz Dein sein;
Du selbst mußt dies bewirken.” ‑ “Was könnte
ich nur anderes wollen als Dich, meine Liebe, mein
alles!” ‑ “Da Du willst, daß ich Dich liebe,
so gib mir auch die notwendigen Kräfte, um Dir zu
gefallen, wie Du es wünschst. Wen als Dich könnte ich
auch nur lieben wollen, der Du eine unendliche Güte
bist und eine unendliche Liebe verdienst.” ‑ “Du
hast mir den Wunsch eingeflößt, Dein zu sein, vollende
Dein Werk.” ‑ “Was will ich anderes in der
Welt als Dich, der Du das höchste Gut bist? Ich schenke
mich Dir unbedingt, nimm mich an und mache, daß ich Dir
bis zu meinem Tode treu bleibe.” ‑ “Ich will
Dich hier auf Erden innig lieben, um Dich die ganze
Ewigkeit hindurch lieben zu können."
Jesu mein,
Geliebter mein,
Sieh, ich will
nur Dich allein;
Gott, ich schenk
mich gänzlich Dir,
Mach’ nur, was
Du willst mit mir.
7. Wie glücklich ist
jene Seele, die in Wahrheit sagen kann: “Mein
Geliebter ist mein und ich bin sein” (Hl 2,6). Gott
hat sich mir ganz geschenkt, ich habe mich ganz ihm
geschenkt, ich gehöre nicht mehr mir selbst an, ich
gehöre ganz und gar meinem Gott an. Wer wahrhaft so
reden kann, sagt der heilige Bernhard, der ist bereit,
lieber die Peinen der Hölle zu dulden (wenn dies
möglich wäre, ohne sich von Gott zu trennen), als
einen Augenblick von Gott getrennt zu bleiben. O weIch
ein großer Schatz ist die Liebe Gottes, o selig, wer
ihn besitzt; er trage alle Sorge und wende alle Mittel
an, um ihn zu erhalten und zu vermehren; wer hingegen
diesen großen Schatz noch nicht besitzt, der muß sein
Möglichstes tun, um ihn zu erlangen.
8. Das erste Mittel
zur Liebe Gottes besteht darin, daß man sich von allen
irdischen Neigungen befreie. Die Liebe Gottes findet
keinen Raum in einem Herzen, das voll irdischer Dinge
ist. Je mehr Irdisches im Herzen ist, desto weniger
Liebe Gottes kann darin herrschen. Wer also sein Herz
mit der Liebe Gottes zu erfüllen wünscht, der muß vor
allem die irdischen Neigungen daraus entfernen. Um selig
zu werden, muß man den heiligen Paulus nachahmen, der,
um die Liebe Christi zu erlangen, alle Güter dieser
Welt wie Kot betrachtete: “Alles achte ich wie Kot,
damit ich Christum gewinne” (Phil 3,8). Bitten auch
wir den Heiligen Geist, daß er uns mit seiner heiligen
Liebe entflamme, damit auch wir alsdann alle
Reichtümer, Freuden, Ehren und Würden dieser Welt, um
derentwillen die meisten Menschen verlorengehen,
verachten, und sie als das, was sie sind, als Eitelkeit
und bloßen Dunst und Unrat erkennen.
9. Wenn die Liebe
Gottes in einem Herzen einkehrt, dann setzt man keinen
Wert mehr auf das, was die Welt hoch schätzt: “Gäbe
auch ein Mensch alle Habe seines Hauses für die Liebe,
für nichts würde man es achten” (Hl 8,7). Der
heilige Franz von Sales sagt, daß, wenn ein Haus
brennt, man das Gerät zum Fenster hinauswirft, das
heißt, wenn ein Mensch von der Liebe entzündet ist,
dann sucht er selbst, ohne daß man ihn in der Predigt
oder im Beichtstuhl dazu ermahnen müsse, sich von
weltlichen Gütern, von Ehren, Reichtümern und allem
Irdischen zu entblößen, um nichts anders mehr als Gott
zu lieben.
10. Gilbertus sagt,
daß es einem Herzen, das wahrhaft Gott liebt, schwer
und unerträglich sei, seine Liebe zwischen Gott und den
Geschöpfen zu teilen, und der heilige Bernhard
behauptet, daß die Liebe Gottes unverschämt sei, weil
Gott in einem Herzen, das ihn liebt, keinen Genossen
seiner Liebe dulde, da er allein das Herz besitzen will.
Verlangt Gott etwa zuviel, wenn er will, daß die Seele
nichts anderes als ihn liebe? Die unendliche
Liebenswürdigkeit muß allein geliebt werden, sagt der
heilige Bonaventura. Da Gott die unendliche Güte und
Liebenswürdigkeit ist, welche eine unendliche Liebe
verdient, so hat er Recht, wenn er verlangt, daß ein
Herz, das er gerade deshalb erschaffen hat, damit es Ihn
liebe, Ihm auch wirklich ganz angehöre, denn bloß
deshalb, um allein geliebt zu werden, hat Gott alles
für dieses Herz getan, wie das der heilige Bernhard
sagt, da er von der Liebe spricht, die Gott zu ihm
trägt: “Alles hat Er für mein Bestes hingegeben.”
Das kann und muß ein jeder von uns sagen, wenn er an
Jesus Christus denkt, der für jeden von uns Sein Leben
und Sein Blut aufgeopfert hat, als Er am Kreuz von
Schmerzen verzehrt starb, und der uns nach Seinem Tode
Seinen Leib, Sein Blut, Seine Seele, ganz Sich selbst im
allerheiligsten Altarsakrament hinterlassen hat, damit
Er eine Speise und ein Trank unserer Seelen werde und
dadurch einen jeden von uns aufs engste mit Sich
vereinige.
11. Glücklich die
Seele, sagt der heilige Gregor, die dahin gelangt, daß
ihr alles unerträglich ist, was nicht Gott ist, den sie
allein liebt. Deshalb muß sie sich von aller
Anhänglichkeit an die Geschöpfe hüten, damit diese
nicht einen Teil dessen rauben, was Gott allein besitzen
will. Wenn solche Anhänglichkeit auch erlaubt wäre,
wie z.B, die Liebe zu Verwandten und Freunden, so muß
man doch gar wohl bedenken, was der heilige Philipp Neri
sagt, daß wir nämlich alle Liebe, die wir den
Geschöpfen schenken, Gott rauben.
12. Wir müssen,
gleichwie die Braut im Hohenlied, verschlossene Gärten
werden. “Ein verschlossener Garten bist du, meine
Schwester” (Hl 4). Jene Seelen, die den Zugang zu den
Neigungen irdischer Dinge nicht öffnen, sind
verschlossene Gärten. Wenn also ein Geschöpf Teil an
unserem Herzen nehmen will, so müssen wir ihm den
Zugang versagen und zu Jesus eilen und sprechen: “O
mein Jesus, Du allein genügst mir, ich will nichts
anderes, als Dich lieben! Gott meines Herzens und mein
Teil in Ewigkeit, Du sollst der einzige Herr meines
Herzens, meine einzige Liebe sein.” Deshalb dürfen
wir denn auch nie aufhören, Gott um Seine heilige Liebe
zu bitten, denn der heilige Franz von Sales lehrt uns:
“Die reine Liebe Gottes verzehrt alles, was nicht Gott
ist, um alles in Sich umzuwandeln."
13. Das zweite Mittel
zur Liebe Gottes ist die Betrachtung des Leidens
Christi, denn es ist gewiß, daß Jesus Christus nur
deshalb so wenig in der Welt geliebt wird, weil die
undankbaren Menschen es versäumen, wenigstens von Zeit
zu Zeit zu betrachten, wieviel Jesus für sie gelitten
hat, und die Liebe, mit der Er für sie gelitten hat.
Der heilige Gregor sagt, es scheine eine Torheit zu
sein, daß ein Gott für uns Elende sterbe, und dennoch
sei es eine Glaubenswahrheit, “daß Christus uns
geliebt und Sich als ein Opfer für uns hingegeben hat”
(Eph 5,2). “Denn er hat uns geliebt und uns gewaschen
von unseren Sünden mit seinem Blute” (Apk 1).
14. Der heilige
Bonaventura ruft aus: “O mein Gott, Du hast mich so
sehr geliebt, daß es scheint, Deine Liebe zu mir mache,
daß Du Dich selbst hassest.” Ja, Er hat uns sogar mit
Seinem heiligen Leib in der heiligen Kommunion speisen
wollen, so daß nach dem Ausspruch des heiligen Thomas
Gott sich so tief vor uns gedemütigt hat, als ob Er
unser Knecht und als ob jeder von uns Sein Gott wäre.
15. Das bewog denn
auch den Apostel auszurufen: “Die Liebe Christi
drängt uns", ja, sie drängt, sie zwingt uns
gewissermaßen, Ihn zu lieben. O mein Gott, was tun die
Menschen nicht aus Liebe zu den Geschöpfen, die sie
gerne haben, und ein Gott von unendlicher Güte, von
unendlicher Schönheit, der für jeden von uns am Kreuze
hat sterben wollen, wird so wenig geliebt! Ahmen wir
doch alle den heiligen Paulus nach, der ausrief: “Es
sei ferne von mir, mich zu rühmen, außer in dem Kreuze
unseres Herrn Jesus” (Gal 6,14). Denn welche größere
Ehre kann man mir in der Welt erweisen als die, daß ein
Gott aus Liebe zu mir sein Leben hat aufopfern, sein
Blut hat vergießen wollen. So muß ein jeder sprechen,
der den Glauben hat. ‑ Wenn jemand den Glauben
hat, wie kann er dann noch etwas anderes als Gott
lieben. O mein Gott, wie ist es möglich, daß eine
Seele, die Christum am Kreuz betrachtet, der mit drei
Nägeln daran geheftet, aus Liebe für uns vor Schmerz
stirbt, wie ist es möglich, daß sie sich nicht
hingezogen und gewissermaßen gezwungen sehe, Jesus aus
allen Kräften zu lieben.
16. Das dritte Mittel,
um zur vollkommenen Liebe Gottes zu gelangen, ist die
Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes bei allem, was
uns zustößt. Der heilige Bernhard sagt, daß, wer Gott
wahrhaft liebt, nichts wollen könne, als was Gott will.
Manche sagen freilich, sie seien ganz ergeben bei allem,
was Gott anordne, aber wenn ihnen etwas Widerwärtiges
oder eine unangenehme Krankheit zustößt, so können
sie sich nicht zufrieden geben. So machen es aber nicht
jene Seelen, die wahrhaft in den Willen Gottes ergeben
sind; sie sagen: So gefällt es, so hat es dem Geliebten
gefallen, und beruhigen sich sogleich. Der heiligen
Liebe, sagt der heilige Bonaventura, ist alles süß.
Jene Seelen wissen, daß Gott alles, was in der Welt
geschieht, entweder anordnet oder zuläßt, und deshalb
beugen sie sich demütig unter seinem Willen, es möge
was immer geschehen, und bleiben zufrieden bei allem,
was Gott anordnet. Denn obgleich Gott manchmal nicht
will, daß die anderen uns verfolgen und Böses tun, so
will Er dessenungeachtet aus heiligen Absichten, daß
wir geduldig jene Verfolgungen, jenen Schaden leiden.
17. Die heilige
Katharina von Genua sagte: Wenn Gott mich in den
tiefsten Abgrund der Hölle hinabgestürzt hätte, so
würde ich dennoch sagen: Es ist gut hier sein. Ich
würde ausrufen: Es genügt mir, daß mein Geliebter es
will, daß ich hier sei, denn Er liebt mich mehr als
alle anderen und weiß, was mir am nützlichsten ist. Es
ruht sich gut in den Armen des göttlichen Willens.
18. Deshalb müssen
wir denn auch immer mit David bitten: “Herr, lehre
mich deinen Willen tun", wenn Du willst, daß ich
selig werde, und deshalb kann man keinen vollkommeneren
Akt der Liebe Gottes machen, als wenn man mit dem
heiligen Paulus bei seiner Bekehrung ausruft: “Herr,
was willst du, daß ich tue” (Apg 9,6). Sage mir, o
mein Gott, was Du von mir verlangst, ich bin bereit, es
zu tun. SoIch ein Akt ist mehr wert, als tausendmal
fasten und sich geißeln. In allen unseren Werken,
Wünschen und Gebeten müssen wir den Willen Gottes
erfüllen. Wir müssen die allerseligste Jungfrau Maria,
unsere Fürsprecherin, wir müssen unseren Schutzengel
bitten, daß sie uns von Gott die Gnade erlangen, Seinen
Willen zu erfüllen. Wenn etwas geschieht, was unserer
Eigenliebe schmerzt, so können wir durch einen Akt der
Ergebung in den Willen Gottes große Schätze von
Verdiensten erlangen, wir müssen uns alsdann daran
gewöhnen, mit Christus zu antworten: “Sollte ich den
Kelch, den mir mein Vater gegeben hat, nicht trinken?
Ja, Vater, denn also ist es dir angenehm gewesen",
es hat Dir also gefallen, auch ich bin damit zufrieden,
oder mit Job: “Wie es dem Herrn gefallen hat, also ist
es geschehen, der Name des Herrn sei gebenedeit."
19. Das vierte Mittel,
um von der Liebe zu Gott entzündet zu werden, ist das
betrachtende Gebet. Die ewigen Wahrheiten sieht man
nicht mit den Augen des Leibes, wie die sichtbaren
Gegenstände auf Erden, sondern im Geiste durch die
Betrachtung. Wenn wir nun also nicht einige Zeit dazu
anwenden, die ewigen Wahrheiten zu betrachten, besonders
unsere Pflicht, Gott zu lieben, wie er es verdient,
sowohl wegen der vielen Wohltaten, die er uns erwiesen,
als auch wegen der Liebe, die Er zu uns getragen hat, so
werden wir schwerlich die Neigungen zu den Geschöpfen
verlieren, um all unsere Liebe Gott zu schenken. Im
Gebete läßt uns Gott erkennen, wie verächtlich alles
Irdische und wie wertvoll die himmlischen Güter sind,
da entzündet Er die Herzen der Seinen, die Ihm nicht
widerstehen, mit seiner Liebe. Manche Seelen beklagen
sich, daß sie das Gebet üben und dennoch Gott in
demselben nicht finden. Das kommt daher, weil sie ihr
Herz noch voll irdischer Anhänglichkeit haben. “Wende
dein Herz von den Geschöpfen ab", sagt die heilige
Theresia, “und suche Gott, so wirst du Ihn gewiß
finden.” “Voll Güte ist der Herr gegen den, der ihn
sucht” (Klgl 3,5). Um Gott im Gebet zu finden, muß
man sein Herz von den Neigungen an irdische Dinge
losschälen, alsdann spricht Gott gewiß zu uns: “Ich
will sie in die Wüste führen und zu ihrem Herzen
sprechen” (Hl 2,14). “Aber", sagt der heilige
Gregor, “um Gott zu finden, genügt es nicht, daß der
Leib, nein, auch die Seele muß in der Einsamkeit
sein", weshalb der Herr zur heiligen Theresia eines
Tages sprach: “Ich würde gerne zu manchen Seelen
reden, aber die Welt macht so viel Lärmen in ihren
Herzen, daß sie meine Stimme nicht hören können.”
Wenn eine von irdischen Dingen losgeschälte Seele
betet, o wie schöne Dinge sagt ihr dann nicht Gott. Er
läßt sie erkennen, wie sehr Er sie liebt, die Seele
von Liebe brennend, spricht zwar nicht, aber wie beredt
ist alsdann nicht ihr Stillschweigen. Wenn man vor Liebe
zu Gott still schweigt, sagt man Gott mehr, als wenn man
alle menschliche Beredsamkeit anwendete, denn jeder
Seufzer deckt das Innerste der Seele auf; dann kann die
Seele nicht satt werden, auszurufen: “Mein Geliebter
ist mein und ich bin Sein."
20. Das fünfte
Mittel, um zu einem hohen Grade der Liebe Gottes zu
gelangen, ist das Bittgebet. Wir sind arm an allem, aber
wenn wir bitten, sind wir reich, weil Gott versprochen
hat, alles, um was wir Ihn bitten, zu erfüllen: “Bittet,
und es wird euch gegeben werden” (Mt 7,1). Kann wohl
ein Freund seinem Freund ein größeres Zeichen seiner
Liebe geben, als daß er ihm sagt: Erbitte dir, was
immer du wünschst, ich will es dir geben. Und das sagt
Gott einem jeden von uns. Gott ist der Herr aller Dinge,
Er verspricht uns, uns alles zu geben, um was wir Ihn
bitten. Bleiben wir also arm und elend, so ist das
unsere Schuld, weil wir uns nicht die Gnaden erbeten
haben, derer wir bedürfen. Das betrachtende Gebet ist
deshalb beinahe notwendig, um selig zu werden, weil,
wenn wir nicht betrachten und uns dagegen fortwährend
mit weltlichen Dingen beschäftigen, wir wenig an unser
Seelenheil denken; aber wenn wir betrachten, so erkennen
wir die Bedürfnisse unserer Seele, und dann bitten wir
um Gnade, die Gott uns sicher gewährt.
21. Die Heiligen haben
ihr ganzes Leben im Gebet zugebracht, und alle Gnaden,
durch die sie heilig geworden, haben sie durchs Gebet
erlangt. Wollen wir also selig und heilig werden, so
müssen auch wir immer an der Pforte der göttlichen
Barmherzigkeit anklopfen und um die Almosen, die uns zu
unserem Unterhalt notwendig sind, Gott bitten. Brauchen
wir Demut, so bitten wir darum, wir werden alsdann bald
demütig sein; brauchen wir Geduld in Leiden, so bitten
wir darum, und wir werden bald geduldig sein. Wünschen
wir Gott zu lieben, so bitten wir Ihn darum, denn Er hat
uns versprochen: “Bittet und es wird auch gegeben
werden.” Gott kann Sein Versprechen nicht unerfüllt
lassen. Um unser Vertrauen auf die Kraft des Gebetes
noch zu vermehren, hat Christus uns versprochen, daß
der Vater uns alle Gnaden, die wir in Seinem Namen, das
heißt, entweder aus Liebe zu Ihm oder um Seiner
Verdienste willen erbitten, geben werde: “Wahrlich,
wahrlich ich sage euch, wenn ihr den Vater in meinem
Namen um etwas bittet, so wird er es euch geben” (Jo
16,23). Und an einem andern Orte sagt Er: “Wenn ihr
mich um etwas bittet in meinem Namen, das will ich tun”
(Jh 14,14). Und das deshalb, weil der Glaube uns lehrt,
daß Christus dieselbe Macht hat wie Gott Selbst, weil
Er der Sohn Gottes ist.
22. Ich begreife
nicht, wie eine Seele, die den Glauben hat, sie möge
auch noch so kalt in der Liebe Gottes sein, nicht von
Liebe zu Jesus entzündet werde, wenn sie auch nur
oberflächlich betrachtet, was die Heilige Schrift von
der Liebe sagt, die Christus uns in Seinem Leiden und im
allerheiligsten Altarsakrament bewiesen hat. Als Isaias
Jesu Leiden betrachtete, rief er aus: “Wahrlich, er
trägt unsere Krankheiten und lädt auf sich unsere
Schmerzen, denn er ist verwundet um unserer Missetat
willen, zerschlagen um unserer Sünden willen” (Is
5,34). Der Glaube lehrt uns, daß Christus alle
Schmerzen und Peinen, die wir verdienten, hat dulden
wollen, um uns von der ewigen Verdammnis zu befreien,
und hat Er das nicht aus Liebe zu uns getan? ‑ Ja,
sagt der heilige Paulus, “Christus hat uns geliebt und
sich für uns dahingegeben” (Eph 5). Er, “der uns
geliebt und uns gewaschen hat von unseren Sünden in
seinem Blut” (Apk 5,1). Und als Christus das
allerheiligste Altarsakrament einsetzte, sprach Er zu
uns allen: “Nehmet hin und esset, denn dies ist mein
Leib” (1 Kor 11,15). Nachdem Er vorher gesagt hatte:
“Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der
bleibt in mir und ich in ihm” (Jo 6,56). Wie kann ein
gläubiger Christ das lesen und sich nicht gedrängt
fühlen, seinen Heiland zu lieben, der, nachdem Er Sein
Blut und Seinen Leib aus Liebe für uns aufgeopfert, uns
im allerheiligsten Sakrament des Altars diesen selben
Leib hinterlassen hat, damit er eine Speise unserer
Seele sei, und sich ganz mit uns in der Kommunion
vereinige.
23. Jesus Christus
zeigt Sich uns in Seinem Leiden mit drei Nägeln an ein
Kreuz geheftet, mit Blut bedeckt und vor Schmerz
sterbend. Warum zeigt Sich unser Heiland in einem so
traurigen Zustande? etwa bloß um unser Mitleid zu
erregen? Nein, nicht so sehr deshalb, als damit wir Ihn
lieben. Wenn Christus uns sagt, daß Er uns von Ewigkeit
her geliebt habe: “Mit ewiger Liebe liebe ich dich”
(Jer 31,1), so sollte das ein hinlänglicher Grund für
uns sein, Ihn zu lieben. Da nun aber der Herr sah, daß
das nicht hinreichte, unser laues Herz zu Seiner Liebe
zu bewegen, so hat Er uns durch die Tat zeigen wollen,
wieweit Seine Liebe zu uns ging, indem Er Sich uns
zeigte voll Wunden und vor Schmerz sterbend, damit wir
aus Seinem Leiden Seine unendliche und zarte Liebe
erkennen möchten, was der heilige Paulus so schön
durch jene Worte ausdrückt: “Er hat uns geliebt und
sich selbst für uns dahingegeben."
Gebet
O meine gekreuzigte
Liebe, o mein liebenswürdigster Jesus, ich glaube und
bekenne, daß Du der wahre Sohn Gottes, der Heiland der
Welt bist. Ich bete Dich aus dem Abgrund meines Elends
an und danke Dir, daß Du für mich einen so
schmerzlichen Tod hast erdulden wollen, um mir das Leben
der Gnade zu erlangen. O treuester Freund, o
liebevollster Vater, o liebenswürdigster Herr und
Heiland! Dir verdanke ich mein Heil, meine Seele, meinen
Leib, alles, was ich besitze. Du hast mich von der
Hölle befreit, Du hast mir Vergebung meiner Sünden
erlangt, Du hast mir die Hoffnung, in den Himmel zu
kommen, geschenkt. Aber ich Undankbarer, statt Dich zu
lieben, habe ich Dich von neuem beleidigt, ungeachtet so
vieler Beweise Deiner Liebe und Barmherzigkeit; zur
Strafe verdiente ich, Dich nicht mehr lieben zu dürfen.
Aber nein, mein Jesus, wähle jede andere Strafe, nur
nicht diese. Wenn ich Dich auch früher verachtet habe,
so liebe ich Dich doch jetzt, so wünsche ich doch, Dich
jetzt von ganzem Herzen zu lieben! Aber Du weißt, daß
ich ohne Deinen Beistand nichts vermag. Da Du selbst mir
befiehlst, daß ich Dich liebe und da Du mir alle Gnaden
verleihen willst, wenn ich Dich nur in Deinem Namen
darum bitte, so erscheine ich jetzt voll Vertrauen auf
Deine Güte und auf Dein Versprechen vor der Pforte
Deiner Barmherzigkeit und bitte Dich um der Verdienste
Deines bitteren Leidens willen vor allem um Vergebung
meiner Sünden, die ich von ganzem Herzen bereue, weil
ich Dich, unendliche Güte, dadurch beleidigt habe.
Vergib sie mir und verleihe mir zugleich die
Beharrlichkeit in deiner Gnade bis zu meinem Tode.
Verleihe mir, o Herr, Deine heilige Liebe! Oh mein
Jesus, meine Hoffnung, einziger Gegenstand meiner Liebe,
entzünde in meiner Seele jenes Licht der Wahrheit und
jenes Feuer der Liebe, das Du durch Deine Ankunft hast
auf die Erde bringen wollen. Erleuchte mich, damit ich
immer mehr erkenne, wie sehr Du verdienst, geliebt zu
werden, damit ich erkenne, wie unendlich Du mich geliebt
hast, indem Du so viel für mich hast leiden, indem Du
sogar für mich hast sterben wollen. Bewirke, daß jene
Liebe, mit der Dich Dein ewiger Vater liebt, auch in
mein Herz einkehre, bewirke, daß, gleichwie Seine Liebe
in Dir ist und eins mit Dir ist, auch ich durch wahre
Liebe zu Dir in Dir sei, und daß ich durch vollkommene
Vereinigung meines Willens mit Deinem Willen eins mit
Dir werde. Verleihe mir also, o Jesus, die Gnade, daß
ich Dich von ganzem Herzen liebe, daß ich Dich immer
liebe, und daß ich Dich immer um die Gnade bitte, Dich
zu lieben, damit, wenn ich in Deiner Liebe sterbe, ich
in den Himmel komme, um Dich da mit der vollkommensten
Liebe zu lieben, und um nie wieder aufzuhören, Dich zu
lieben, da ich Dich dann die ganze Ewigkeit hindurch
besitzen werde. O Mutter der schönen Liebe,
allerseligste Jungfrau Maria, meine Fürsprecherin,
meine Mutter, meine einzige Hoffnung nach Jesus, Du
liebst Gott mehr als alle anderen Geschöpfe, und Du
wünschst nichts mehr, als daß alle Ihn lieben, aus
Liebe zu Deinem Sohne, der für mich vor Deinen Augen
hat sterben wollen, bitte Ihn für mich und erlange mir
die Gnade, Ihn immer und von ganzem Herzen zu lieben.
Darum bitte ich Dich, und ich hoffe, daß Du meine Bitte
erfüllen werdest. Amen.
Sichere
Merkmale, an denen man erkennen kann, ob man Gott
wahrhaft liebt.
In der Heiligen
Schrift wird die Liebe Gottes mit dem Feuer verglichen.
Als unser Heiland uns im Evangelium erklärte, Er sei
auf die Erde gekommen, um uns Seine heilige Liebe
mitzuteilen, bediente Er Sich des Ausdrucks, Er sei
gekommen, um ein Feuer zu bringen: “Ich bin gekommen,
Feuer auf die Erde zu werfen", und Gott selbst gibt
der Seele in der Offenbarung den Rat, von Ihm Gold zu
kaufen, das im Feuer geläutert ist, das heißt, die
heilige Liebe Gottes.
Das Feuer hat die
doppelte Eigenschaft, daß es den Hindernissen
widersteht, und daß es, anstatt zu verlöschen, dadurch
nur wächst und immer mehr um sich greift, denn es ist
Feuer, es will tätig sein. Daraus können wir also zwei
sichere Merkmale, ob die Liebe Gottes in uns wohnt,
kennenlernen: ob wir nämlich wirken und dulden.
Arbeiten wir also immer für unseren lieben Gott,
wenigstens dadurch, daß wir die gute Meinung machen, in
allem seinen göttlichen Willen zu erfüllen, durch
alles, was wir tun, nur Ihm gefallen zu wollen; leiden
wir gerne aus Liebe zu Ihm alle Widerwärtigkeiten,
Armut, Trübsale, Krankheiten, so daß diese Leiden,
statt uns von Gott zu entfernen, uns immer enger mit Ihm
vereinigen ‑ alsdann besitzen wir die Liebe
Gottes, dann ist unsere Liebe ein Feuer, das tätig ist,
das den Hindernissen widersteht. Ist das aber nicht der
Fall, so besitzen wir nicht die wahre Liebe Gottes, so
haben wir eine falsche Liebe, eine Liebe auf der Zunge,
nicht im Herzen, vor welcher uns der heilige Johannes
warnt: “Meine Kindlein, lasset uns nicht mit Worten
und nicht mit der Zunge lieben, sondern mit der Tat und
Wahrheit."
Wo die Liebe nicht
tätig ist, da ist keine Liebe, sagt der heilige Gregor,
und Jesus Christus lehrt uns: “Wer meine Gebote hat
und sie hält, der ist es, der mich liebt.” Alles
Bittere und Furchtbare, sagt der heilige Augustinus,
wird durch die Liebe leicht und als ob es nicht mehr
wäre. Wenn wir also mittelst der guten Meinung immer
für Gott arbeiten, wenn wir Seine Gebote halten, wenn
wir sie genau halten, wenn wir mit den göttlichen
Geboten auch noch die Gebote der Kirche beobachten, die
Pflichten unseres Standes und unsere besonderen
Verpflichtungen erfüllen, wenn wir großmütig und
freudig, aus Liebe zu Gott, die Widerwärtigkeiten
besiegen, sie mögen auch noch so unangenehm sein
‑ alsdann besitzen wir die Liebe Gottes, dann ist
unsere Liebe ein Feuer, das tätig ist, das den
Hindernissen widersteht. Ist das aber nicht der Fall, so
besitzen wir nicht die wahre Liebe Gottes, so haben wir
eine falsche Liebe, eine Liebe auf der Zunge, nicht im
Herzen: “Meine Kindlein, lasset uns nicht mit Worten
und nicht mit der Zunge lieben, sondern mit der Tat und
Wahrheit."
Setzen wir den Fall,
wir könnten einen Gewinn machen, aber er ist ungerecht,
wir könnten uns ein Vergnügen verschaffen, aber es ist
unerlaubt, die Erfüllung der Pflichten unseres Standes
ist beschwerlich, die Mühe, die uns ein unternommenes
Werk verursacht, macht, daß wir den Mut verlieren. Aus
Liebe zu Gott suchen wir jenen Gewinn nicht, entsagen
wir jenem Vergnügen, tun wir alles, bringen wir alles
zu Stande ‑ wir besitzen die Liebe Gottes, denn
unsere Liebe ist ein Feuer, das tätig ist. Tun wir
indes das Gegenteil, so ist unsere Liebe nicht die wahre
Liebe Gottes, so ist sie eine falsche Liebe, eine Liebe
auf der Zunge, nicht im Herzen: “Meine Kindlein,
lasset uns nicht mit Worten und mit der Zunge lieben,
sondern mit der Tat und Wahrheit."
Ganz unerwartet kommt
ein großes Leiden über uns, man macht uns einen
Prozeß, von dem unser ganzes Vermögen abhängt; wir
verlieren plötzlich jene Person, auf die wir all unsere
Hoffnung setzten, die unsere einzige Stütze war.
Sogleich opfern wir alle diese Leiden Gott auf, wir
ertragen sie sogar freudig ‑ wir besitzen die
Liebe Gottes, denn unsere Liebe ist ein Feuer, das den
Hindernissen widersteht. Tun wir indes das Gegenteil, so
ist unsere Liebe nicht die wahre Liebe Gottes, so ist
sie eine falsche Liebe, eine Liebe auf der Zunge, nicht
im Herzen: “Meine Kindlein, lasset uns nicht mit
Worten und mit der Zunge lieben, sondern mit der Tat und
Wahrheit."
Es ist indes ein weit
zuverlässigeres Zeichen, daß man Gott liebe, wenn man
für Ihn leidet, als wenn man für Ihn arbeitet, denn
derjenige, der arbeitet, bemüht sich für den, den er
liebt, was freilich ein Zeichen der Liebe ist; indes
der, der aus Liebe leidet, alle seine Aufmerksamkeit auf
den Gegenstand seiner Liebe richtet, und darüber sich
ganz selbst vergißt, was ein Zeichen ist, daß dieser
mehr liebt als jener.
Gott wollte deshalb
auch die Liebe des heiligen Mannes Job durch Leiden
prüfen. Job trug gewiß immer eine sehr große Liebe zu
Gott, aber wann gab er das am meisten zu erkennen? Etwa
als er, von einer zahlreichen Nachkommenschaft umgeben,
im Überfluß an allen irdischen Gütern lebte, oder da
er vollkommen gesund war? Gewiß auch damals, denn auch
damals erkannte er, daß alles von Gott komme; er dankte
dem Herrn dafür, brachte Ihm Opfer dar, erfüllte seine
Pflichten gegen seine Kinder, indem er sie zurechtwies,
und immer für sie betete, damit sie nicht etwa Gott
durch ihre Sünden beleidigten. Denn er sprach: es
möchten vielleicht meine Söhne gesündigt haben. Aber
die Größe seiner Liebe zu Gott zeigte sich erst dann,
als Gott, um seine Liebe zu prüfen, ihm in einem
Augenblick alle seine Güter nahm, als Er plötzlich
alle seine Kinder tötete, ihn seiner Gesundheit
beraubte, ihn mit Wunden bedeckte, so daß er, auf einem
Misthaufen hingestreckt, mit einem Scherben die Eiter
aus seinen Wunden drücken mußte. In all diesen Leiden,
bei all diesem Unglück wiederholte Job fortwährend mit
unüberwindlicher und für alle Zeiten denkwürdiger
Geduld: “Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es
genommen, wie es dem Herrn gefallen hat, also ist es
geschehen, der Name des Herrn sei gebenedeit."
Doch warum reden wir
von Job? Auch Jesus Christus, als Er Seinen Leiden
entgegenging, sagte den Aposteln: Meine lieben Apostel,
damit die Welt erkenne, daß ich den Vater liebe ‑
steht auf, lasset uns von hinnen gehen, ‑ das ist
also ein sicheres Zeichen, daß man wahrhaft Gott liebe:
die Geduld, die Geduld, gerne alles um Gottes willen
leiden.
Was die Heiligen
gesagt und getan haben, bestätigt uns diese Wahrheit.
Die heilige Theresia pflegte zu sagen: “Leiden oder
sterben", die heilige Maria Magdalena von Pazzi
hingegen: “Leiden und nicht sterben", und der
heilige Johannes vom Kreuz rief aus: “Leiden und
schweigen."
Die heiligen Märtyrer
forderten selbst ihre Henker auf, sie zu peinigen, sie
ermunterten die wilden Tiere, sie zu verschlingen. Die
heilige Lidwina litt geduldig 33 Jahre lang eine
peinliche Krankheit, die heilige Franziska ertrug
freudig die ungerechte Verweisung ihres Gemahls und die
Einziehung all ihrer Güter, und der heilige Johannes
vom Kreuz ließ sich bereitwillig neun Monate lang
einkerkern und litt während dieser Zeit die größten
Peinen und Qualen.
Geduld, Geduld ist
also ein sicheres und unfehlbares Zeichen, daß man Gott
liebt; wenn man nämlich leidet, gerne alles leidet um
Gottes willen.
Wie glücklich, wie
selig ist jener, der in sich diese beiden sicheren
Zeichen der wahren Liebe Gottes erkennt: die guten Werke
und die Geduld, der gerne für unseren großen Gott
wirkt und leidet, er selbst wird erkennen, daß die
heilige Liebe Gottes in seinem Herzen wohnt. Alles Gold
der Welt ist im Vergleich mit einem ganz geringen Grad
der heiligen Liebe Gottes nichts mehr als ein wenig
Staub, denn alles Gold ist im Vergleich mit ihr
schlechter Sand, ja, alle Reichtümer sind nach dem
Ausspruch der heiligen Schrift im Vergleiche mit einem
geringen Grad der Liebe Gottes wie nichts zu achten: “Ich
hielt den Reichtum für nichts im Vergleich mit ihr” (Weish
7,8).
Aber was ist das Gold,
was sind alle Reichtümer dieser Welt, da sogar die
größten übernatürlichen Gaben Gottes ohne die
heilige Liebe für nichts zu achten sind? Das lehrt uns
der heilige Paulus, der selbst aus Erfahrung am besten
die heilige Liebe Gottes kannte und deshalb ihren hohen
Wert zu schätzen wußte. Er ruft aus: Wenn ich die Gabe
aller Sprachen besäße, wenn ich nicht nur die Sprachen
der Menschen, sondern auch die wunderbare Sprache,
welche die Engel untereinander reden, verstände: Wenn
ich die Sprachen der Menschen und Engel redete ‑
aber die heilige Liebe Gottes nicht hätte, so wäre ich
wie ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Wenn
ich die Gabe der Weissagung hätte und wüßte alle
Geheimnisse und besäße alle Wissenschaft, und wenn ich
alle Glaubenskraft hätte, so daß ich Berge versetzen
könnte, aber hätte die Liebe nicht, so wäre ich
nichts. Die heilige Liebe Gottes ist die Königin aller
Tugenden, die da herrscht und in Ewigkeit herrschen
wird.
Nach unserem Tode wird
unser Glaube seine Belohnung erhalten, denn er wird
schauen, was er geglaubt hat, aber im Himmel hört der
Glaube auf.
Nach unserem Tode wird
die Hoffnung ihren Lohn empfangen, denn sie wird
besitzen, was sie gehofft hat, aber im Himmel gibt es
keine Hoffnung mehr.
Auch die Liebe Gottes
wird nach dem Tode ihren Lohn empfangen, sie wird in
Ewigkeit herrschen, denn sie wird im Himmel dazu
gelangen, mit unendlicher Seligkeit, die ganze Ewigkeit
hindurch jenen Gott zu lieben, den sie auf Erden geliebt
hat.
Selig, selig ist
jener, der diese beiden sicheren Kennzeichen: die guten
Werke und die Geduld besitzt, der gerne für seinen Gott
wirkt und leidet, er selbst wird erkennen, daß die
heilige Liebe Gottes in seinem Herzen wohnt. ‑
Lieben wir denn also
alle, lieben wir alle Gott auf die genannte Weise, haben
wir Gott bei allem, was wir tun, vor Augen, suchen wir
in all unseren Handlungen nur die Befolgung Seines
Willens, suchen wir in allem nur Sein Wohlgefallen,
ertragen wir nicht nur geduldig, sondern freudig alles,
was unsere Eigenliebe, was unsere Empfindlichkeit
verletzt.
Bedenken wir, daß der
Herr uns nur deshalb erschaffen und in die Welt gesetzt
hat, damit wir unseren Gott lieben. Alle unsere Sorge,
alle unsere Bemühungen müssen also darauf gerichtet
sein, dies unser einziges Ziel zu erlangen. Wir müssen
nur auf die Liebe Gottes Wert legen und Gott häufig und
dringend bloß allein um Seine Liebe bitten: Gib mir nur
Deine Liebe, o Herr, nur Deine Liebe, o Herr, und Deine
Gnade verleihe mir, dann bin ich reich genug und bitte
Dich um nichts weiter. ‑ Darum bat der große
heilige, von Liebe zu Gott entzündete Ignatius.
|