Unter den Papieren einer
Tochter, die als Klosterfrau jung starb, fand man folgende Niederschrift:
Ich hatte eine Freundin, Anni,
(die) nach ihrer Verehelichung in ein Villenviertel von
München zog . Während ich im Herbst 1937 am Gardasee
meinen Urlaub verbrachte, schrieb mir meine Mutter:
Denke dir, Anni N. ist gestorben. Bei einem Autounfall
kam sie ums Leben. ...
Und mir träumte: Ich wollte in
die Hauskapelle, als ich mit dem Fuß beim Öffnen der
Zimmertür an einen Bund loser Breifblätter stieß. Sie
aufheben, Annis Schrift erkennen, einen Schrei ausstoßen,
war eins. ... Ihr Schreiben aus dem Jenseits setze ich
Wort für Wort her, wie ich es im Traum gelesen. Es
lautete also:
"Klara! Bete nicht für
mich. Ich bin verdammt. Wenn ich es dir mitteile...,
glaube nicht, es geschähe aus Freundschaft. Wie lieben
hier niemanden mehr. Ich tue es gezwungen. Tue es als
"Teil von jener Macht, die stets das Böse will,
und stets das Gute schafft". In Wahrheit möchte
ich auch dich in diesem Zustand landen sehen, worin ich
jetzt auf ewig Anker geworfen. ... Unser Wille ist im
Bösen - was ihr eben "böse" nennt -
versteinert. Selbst wenn wir etwas "Gutes
tun", wie ich jetzt, indem ich dir über die Hölle
die Augen aufreiße, geschieht es nicht in guter
Absicht.
Nach dem Plane der Eltern hätte
ich eigentlich gar nicht sein sollen. Es "passierte
ihnen eben ein Unglück". ... Wäre ich nicht
geworden! Könnte ich mich jetzt vernichten, diesen
Qualen entrinnen! Keine Wollust käme der gleich, womit
ich mein Dasein zerrisse wie ein Aschengewand, daß
seine Fetzen in nichts zerflattern. Aber ich muß sein.
Muß so sein, wie ich mich gemacht habe: mit verfehltem
Daseinsziel. ...
Recht beten hat mich niemand
gelehrt. Solche Wörter, wie Beten, Messe, Weihwasser,
Kirche schreibe ich mit einem inneren Ekel ohnegleichen!
Ich verabscheue das wie die Kirchenspringer, alle
Menschen und alle Dinge überhaupt. Denn aus allem erwächst
uns Qual. Jede, beim Hinscheiden empfangene Erkenntnis, jede
Erinnerung an Erlebtes und Gewußtes ist uns wie eine
Stichflamme. Und alle Erinnerungen drehen uns jene
Seite zu, die an ihnen Gnade war - die wir verschmähten.
Wie das peinigt! - Wir essen nicht, wir schlafen nicht,
wir gehen nicht mit Füßen. Seelisch angekettet starren
wir mit "Heulen und Zähneknirschen" auf unser
verpfuschtes Leben. Hassend und gepeinigt. Hörst du!
Wir trinken hier den Haß wie Wasser. Auch
gegeneinander. Am meisten hassen wir Gott. ...
Verstehst du jetzt, warum die Hölle
ewig währt? Weil unsere Hartnäckigkeit nie
wegschmilzt!
Gott war gegen
uns barmherzig dadurch, daß er auf Erden unseren
schlechten Willen nicht so sich ausleben ließ, als wir
dazu bereit gewesen wären.
Das hätte unsere Schuld und Strafe vergrößert. Er ließ
uns vorzeitig sterben - wie mich; oder andere mildernde
Umstände eintreffen.
Jetzt erweist er sich uns
barmherzig, indem er uns nicht zwingt, ihm näherzutreten,
als eben in diesem entfernten Höllenort, was die Qual
verringert. Jeder Schritt Gott näher verursachte mir größere
Pein als dir ein Schritt näher einem brennenden
Scheiterhaufen. ...
Alle, die
in der Hölle brennen, haben nicht gebetet oder nicht
genug gebetet. Das Gebet ist der erste Schritt zu Gott.
Es bleibt der entscheidende.
...
An den Einfluß des Teufels
glaubte ich nie... Nur viele Gebete anderer und meiner
selbst, verbunden mit Opfer und Leiden, hätten mich ihm
entreißen können. Und auch das nur allmählich. Gibt
es wenig äußerlich Besessene, so wimmelt
es von innerlich Besessenen.
...
Ich hasse auch den Teufel.
Dennoch gefällt er mir, weil er euch zu verderben
sucht; er und seine Helfershelfer, die mit ihm am Anfang
der Zeit gefallenen Geister. Sie zählen nach Millionen.
Sie schweifen auf der Erde umher, dicht, wie ein Mückenschwarm,
und ihr ahnt es kaum. Wir, die verworfenen Menschen,
haben euch nicht zu versuchen, das kommt den gefallenen
Geistern zu. Es vermehrt zwar ihre Qual noch jedesmal,
daß sie eine Menschenseele in die Hölle herunterreißen.
Aber was tut der Haß nicht! ...
Aber so ist es, wie ich einmal
als Kind in einer Predigt sagen hörte, daß Gott alles
Gute, das ein Mensch vollbringt, belohnt. Wenn er es im
Jenseits nicht vergelten kann, tut er es auf Erden. ...
Nicht alle Seelen leiden
gleichermaßen. Je boshafter undgrundsätzlicher jemand
gesündigt, umso schwerer wuchtet auf ihm Gottes
Verlust, würgt ihn die mißbrauchte Kreatur.
Die verdammten Katholiken
leiden mehr als Andersgläubige, weil sie meist mehr
Licht und Gnade empfingen und zertraten. Wer mehr gewußt
hat, leidet härter, als wer weniger erkannte. Wer aus
Bosheit gesündigt, leidet schärfer, als wer aus Schwäche
fiel. Aber keiner leidet mehr, als er es verdient hat.
...
(Nach dem Autounfall:)
Ich
erwachte im Augenblick meines Hinscheidens jäh aus dem
Dunkel. Sah mich wie von grellem Licht umflutet. Er war
am gleichen Ort, wo meine Leiche lag. Es geschah wie im
Schauspielhaus, wenn mit einem Mal die Lampen im Saale
verlöschen, der Vorhang auseinanderrauscht, schaurig
beleuchtet, eine ungeahnte Szenerie sich auftut. Die
Szenerie meines Lebens. Wie in einem Spiegel zeigte
meine Seele sich mir selbst. Die zertretenen Gnaden von
Jugend auf, bis zum letzten "Nein" Gott gegenüber.
Mir war zumute wie einem Mörder, dem während der
Gerichtsverhandlung sein entseeltes Opfer vorgeführt
wird.
Bereuen? - Nie!
Mich schämen? Nie!
Aber auch auszuhalten vermochte
ich es nicht unter den Augen des von mir verworfenen
Gottes. So blieb nur eines, die Flucht... Wie Kain floh
vor Abels Leiche, so riß es meine Seele vor diesem
Anblick des Grauens hinweg.
Unter den
Papieren einer Klosterfrau, die jung starb,
fand sich folgende Niederschrift:
Ich hatte eine Freundin. Das heißt, wir
standen uns nahe vom gleichen kaufmännischen
Büro hier in München, wo wir nebeneinander
arbeiteten. Als sich Anni später verheiratete,
habe ich sie nie mehr gesehen. Es herrschte ja
im Grunde von jeher mehr Freundlichkeit als
Freundschaft zwischen uns. So vermisste ich
sie eigentlich wenig, als sie nach ihrer
Verehelichung in ein Villenviertel von München
zog, das weit von meiner Behausung entfernt
lag.
Während ich im Herbst 1937 am Gardasee meinen
Urlaub verbrachte, schrieb mir meine Mutter
gegen Ende der zweiten Septemberwoche: „Denke
dir, Anni N. ist gestorben. Bei einem
Autounfall kam sie ums Leben. Gestern wurde
sie im Waldfriedhof beerdigt”. Diese
Nachricht erschreckte mich. Ich wusste, dass
Anni nie recht religiös gewesen. War sie, als
Gott sie plötzlich abrief, vorbereitet?
Am
folgenden Morgen besuchte ich in der
Hauskapelle der Schwesternpension, wo ich
wohnte, die hl. Messe für sie, betete innig
für ihre Seelenruhe und opferte auch die hl.
Kommunion nach dieser Meinung auf. Aber den
ganzen Tag verspürte ich ein gewisses
Unbehagen, das sich gegen Abend noch steigerte
Ich schlief unruhig. Schließlich erwachte ich
wie von einem heftigen Pochen. Ich drehte das
Licht an. Die Uhr auf dem Nachttischchen
zeigte 10 Minuten nach Mitternacht. Doch
nichts war zu sehen. Kein Laut ging im Hause.
Nur die Wogen des Gardasees klatschten
eintönig an die Ufermauern des
Pensionsgartens. Vom Wind war nichts zu hören.
Und doch hatte ich beim Erwachen, außer dem
Pochen, ein windförmiges Geräusch zu vernehmen
geglaubt, ähnlich dem, wenn mir mein Chef im
Büro übelgelaunt einen lästigen Brief aufs
Pult wirft.
Ich besann mich einen Augenblick, ob ich
aufstehen sollte. Ach was, sagte ich mir
entschieden: „Das ist deine überhitzte
Phantasie vom Todesfall her”. Ich wandte
mich um, betete einige „Vaterunser” für die
Armen Seelen und schlief wieder ein. Und mir
träumte:
Ich sei am Morgen gegen 6 Uhr aufgestanden und
wollte in die Hauskapelle, als ich mit dem Fuß
beim Öffnen der Zimmertür an einen Bund loser
Briefblätter stieß. Sie aufheben, Annis
Schrift erkennen, einen Schrei ausstoßen, war
eins. Zitternd hielt ich die Blätter in
Händen. Ich begriff, dass ich in dieser
Stimmung kein „Vaterunser” über die Lippen
brächte. Zudem überfiel mich ein erstickendes
Gefühl.
So
wusste ich nichts Besseres zu tun, als ins
Freie zu flüchten. Ich ordnete etwas das Haar,
steckte den Brief ins Täschchen und verließ
das Haus. Draußen klomm ich den Weg empor, der
sich jenseits der Autostraße, der berühmten ‘Gardesana’,
zwischen Ölbäumen, Villengärten und
Lorbeerstauden bergan windet.
Der Morgen stieg leuchtend herauf. Sonst sog
ich hier alle hundert Schritte den herrlichen
Ausblick ein, der sich von hier auf den See
und die märchenschöne Gardainsel bietet. Die
sprichwörtliche Bläue des Wassers labte mich
immer wieder. Und wie ein Kind den Großvater,
so staunte ich sonst den grauen Monte Baldo
an, der sich am anderen Ufer langsam emporhebt
von den 64 Metern Seespiegelhöhe bis über
2200.
Jetzt hatte ich für all dies kein Auge.
Mechanisch ließ ich mich nach einer
Viertelstunde Wegs auf eine Bank fallen, die
an zwei Zypressen lehnte, wo ich noch am
Vortage belustigt Federers „Jungfer Therese”
gelesen. Zum erstenmal empfand ich nun die
Zypressen als Totenbäume, als was sie mich im
Süden, wo sie häufig vorkommen, vordem nie
angemutet.
Ich griff nach dem Brief. Die Unterschrift
fehlte. Aber es war unverkennbar Annis
Schrift. Selbst der weit ausgreifende ‘S’-Schnörkel
und das französisch geformte ‘T’ fehlten
nicht, das sie sich, um Herrn Gr. zu ärgern,
im Büro angeeignet hatte. Der Stil war nicht
der ihre. Wenigstens sprach sie nicht wie
gewöhnlich. Denn sie verstand ungemein
liebenswürdig zu plaudern und aus blauen Augen
neben ihrem niedlichen Stumpfnäschen zu
lachen. Nur wenn wir über religiöse Fragen
stritten, konnte sie giftig werden und dem
harten Tonfall dieses Briefes verfallen.
(Ich bin jetzt selbst in die aufgepeitschte
Sprechweise ihres Briefes hineingekommen).
Ihr Schreiben aus dem Jenseits setze ich Wort
für Wort her, wie ich es im Traum gelesen. Es
lautete also:
Klara,
bete nicht für mich!
Klara! Bete
nicht für mich. Ich bin verdammt! Wenn
es dir mitteile und dir des längern darüber
berichte, glaube nicht, es geschehe aus
Freundschaft. Wir lieben hier niemand mehr.
Ich tue es wie gezwungen. Tue es als ‘Teil von
jener Macht, die stets das Böse will, und
stets das Gute schafft’.
In Wahrheit möchte ich auch dich in diesem
Zustand landen sehen, worin ich jetzt auf ewig
Anker geworfen.
Sei nicht verdutzt über diese Absicht. Wir
denken hier so. Unser Wille ist im Bösen – was
ihr eben ‘böse’ nennt – versteinert. Selbst
wenn wir etwas ‘Gutes tun’, wie ich jetzt,
indem ich dir über die Hölle die Augen
aufreisse, geschieht es nicht in guter Absicht.
Erinnerst du dich noch, vor vier Jahren
lernten wir uns in München kennen. Du zähltest
23 und warst ein halbes Jahr in dem Büro, als
ich dort eintrat. Du halfst mir oft aus der
Verlegenheit; gabst mir als Anfängerin manch
guten Wink. Aber was heißt ‘gut’! – Ich lobte
damals deine ‘Nächstenliebe’. Lächerlich! Dein
Helfen entsprang reiner Großtuerei, wie ich
übrigens schon damals vermutete. – Wir
anerkennen hier nichts Gutes. An niemand.
Jugendliche Jahre
Meine Jungendzeit kennst du. Einige unerzählte
Lücken fülle ich hier aus. Nach dem Plane der
Eltern hätte ich eigentlich gar nicht sein
sollen. Es ‘passierte ihnen eben ein Unglück’.
Meine beiden Schwestern zählten bereits 14 und
15 Jahre, als dem Licht zustrebte. Wäre ich
nicht geworden! Könnte ich mich jetzt
vernichten, diesen Qualen entrinnen! Keine
Wollust käme der gleich, womit ich mein Dasein
zerrisse wie ein Aschengewand, dass seine
Fetzen in nichts zerflattern.
Aber ich muss sein. Muss so sein, wie ich mich
gemacht habe: mit verfehltem Daseinsziel.
Als Vater und Mutter, noch ledig, vom Lande in
die Stadt gezogen waren, hatten beide die
Fühlung mit der Kirche verloren. Es war auch
besser so. Sie schlossen sich kirchlich
ungebundenen Kreisen an. Bei einem
Tanzvergnügen lernten sie sich kennen und
‘mussten’ ein halbes Jahr später heiraten.
Bei der Trauung ist an ihnen nur so viel
Weihwasser hängengeblieben, dass es die Mutter
ein paarmal jährlich zur Sonntagsmesse in die
Kirche zog. Recht beten hat sie mich nie
gelehrt. Sie ging auf in Sorgen des Alltags,
trotzdem unsere Lage nicht drückend war.
Solche Wörter wie Beten, Messe, Weihwasser,
Kirche schreibe ich mit einem inneren Ekel
ohnegleichen! Ich verabscheue das wie die
Kirchenspringer, alle Mensch und Dinge
überhaupt. Denn aus allem erwächst uns Qual.
Jede beim Hinschied empfangene Erkenntnis,
jede Erinnerung Erlebtes und Gewusstes ist uns
eine Stichflamme.
Und alle Erinnerungen drehen jene Seite uns
zu, die an ihnen Gnade war. Die wir
verschmähten. Wie das peinigt!
– Wir essen nicht, wir schlafen nicht, wir
gehen nicht mit Füßen. Seelisch angekettet,
starren wir mit „Heulen und Zähneknirschen”
auf unser verpfuschtes Leben. Hassend und
gepeinigt. Hörst du! Wir trinken hier den Hass
wie Wasser. Auch gegeneinander.
Am meisten hassen wir Gott. Ich will es dir
begreiflich machen. Die Seligen im Himmel
müssen ihn lieben. Denn sie schauen ihn
schleierlos in seiner blendenden Schönheit.
Das beseligt sie unbeschreiblich. Wir wissen
das und diese Erkenntnis macht uns rasend.
Die Menschen auf Erden, die Gott aus Schöpfung
und Offenbarung erkennen, können ihn lieben;
gezwungen sind sie nicht. Der Gläubige –
knirschend schreibe ich es nieder – der
sinnend Christus am Kreuze ausgespannt
betrachtet, wird ihn lieben. Wem aber Gott nur
nahetritt als der Strafende, Rächende,
Gerechte, einst von uns Verworfene, im
Ungewitter, wie uns: der haßt ihn.
Mit der vollen Wucht seines bösen Willens.
Ewig. Kraft des freiwilligen Entschlusses, von
Gott abgewandt zu sein, womit wir unsere Seele
sterbend ausgehaucht. Und den wir auch jetzt
nicht zurückziehen und nie werden zurückziehen
wollen.
Verstehst du jetzt, warum die Hölle ewig
währt? Weil unsere Hartnäckigkeit nie
wegschmilzt!
Gottes
Barmherzigkeit den Verdammten gegenüber
Gezwungen füge ich bei, dass Gott selbst gegen
uns auch barmherzig ist. Ich sage ‘gezwungen’.
Denn schreibe ich diesen Brief auch gewollt,
ist es mir doch nicht gestattet zu lügen, wie
ich gerne möchte. Vieles bringe ich gegen
meinen Willen zu Papier. Auch die Flut der
Schmähungen, die ich ausspielen wollte, muss
ich herunterwürgen.
Gott war gegen uns barmherzig dadurch, dass er
auf Erden unsern schlechten Willen nicht so
sich ausleben ließ, als wir dazu bereit
gewesen wären. Das hätte unsere Schuld und
Strafe vergrößert. Er ließ uns vorzeitig
sterben, wie mich, oder andere mildernde
Umstände eintreten. Jetzt erweist er sich
gegen uns barmherzig, indem er uns nicht
zwingt, ihm näher zu treten, als eben in
diesem entfernten Höllenort, was die Qual
verringert.
Jeder Schritt Gott näher verursachte mir
größere Pein als dir ein Schritt näher einem
brennenden Scheiterhaufen. Du hast dich
entsetzt, als ich dir auf einem Spaziergang
einst erzählte, mein Vater habe wenige Tage
vor meiner Erstkommunion bemerkt: ‘Sorg,
Annerl, dass du ein hübsches Kleid bekommst;
das andere ist doch alles Schwindel’. Ich
hätte mich ob deinem Schreck fast selbst
geschämt. Jetzt lache ich darüber.
Das einzige Vernünftige bei dem Schwindel war,
dass man uns erst mit zwölf Jahren zur
Kommunion zuließ. Ich war damals bereits
eingenommen genug von Weltlustigkeit, dass ich
das Religiöse leichten Herzens hintansetzte;
mir aus der Kommunion nicht viel machte. Dass
manche Kinder jetzt schon mit sieben Jahren
zur Kommunion gehen, versetzt uns in Wut. Wir
tun alles, den Leuten weiszumachen, es fehle
den Kindern an Verständnis dafür. Sie müssen
erst einige Todsünden begangen haben! Dann
schadet ihnen der weiße Herrgott nicht mehr
so, wie wenn Glaube, Hoffnung und Liebe – Pfui
darüber! – noch von der Taufe im Kindesherzen
lebendig sind. Erinnerst du dich, dass ich
diesen Standpunkt schon auf Erden vertreten?
Erinnerung an den Vater
Ich erwähnte meinen Vater. Er lag mit der
Mutter oft im Streit. Ich habe es dir nur
selten angetönt; ich schämte mich darob.
Lächerliches Ding, die Scham! Uns ist hier
alles gleich. Sie schliefen auch nicht mehr im
selben Zimmer, sondern ich bei der Mutter;
Vater in der Kammer nebenan, wo er jederzeit
nachts heimkommen konnte. Er trank viel und
vertrank unser ganzes Vermögen. Die beiden
Schwestern waren in Stellung und brauchten ihr
Geld selber, sagten sie. Die Mutter begann zu
verdienen.
Im letzten Lebensjahr hat Vater die Mutter oft
geschlagen, wenn sie ihm nichts geben wollte.
Gegen mich war er immer lieb. Eines Tages –
das habe ich dir erzählt, und du hast dich
damals über meine Verwöhntheit geärgert;
worüber hast du dich an mir nicht geärgert! –
eines Tages also trug er sogar zweimal
gekaufte Schuhe wieder zurück, sie
umzutauschen, weil mir Form und Absätze nicht
modern genug waren.
In der Nacht, wo ein Schlaganfall meinen Vater
zu Tode traf, geschah etwas, das ich aus Angst
vor einer unliebsamen Auslegung dir nie
anvertrauen mochte. Doch nun sollst du es
wissen. Es ist schon darum denkwürdig, weil
ich damals zum ersten Male von meinem jetzigen
Quälgeist angesprochen wurde.
Ich schlief in der Kammer bei meiner Mutter.
Ihre regelmäßigen Atemzüge verrieten ihren
tiefen Schlaf. Da hörte ich mich plötzlich
beim Namen rufen. Eine unbekannte Stimme
spricht: „Was ist, wenn der Vater stirbt!” Ich
liebte den Vater nicht mehr, seit er die
Mutter so grob behandelte; wie ich überhaupt
schon damals eigentlich niemand liebte,
sondern nur an einigen hing, die gut zu mir
waren. – Liebe ohne Aussicht auf irdischen
Gegengewinn lebt nur in den Seelen, die im
Stand der Gnade sind. Das war ich nicht. So
antwortete ich auf die geheimnisvolle Anrede,
ohne mir Rechenschaft zu geben, woher sie kam:
„Er stirbt doch nicht!”
Nach einer kurzen Pause wiederum dieselbe klar
vernommene Frage. – „Er stirbt doch nicht!”
entfuhr es mir abermals unwirsch. Zum dritten
Male wurde ich aufgefordert: „Was ist, wenn
der Vater stirbt?” Mir schwebte vor Augen, wie
Vater oft angetrunken heimkam, lärmte, die
Mutter misshandelte, wie er uns vor den Leuten
in eine missliche Lage gebracht. So schrie ich
trotzig „Dann ist es recht!” – Da wurde alles
still.
Am folgenden Morgen, als Mutter in Vaters
Zimmer aufräumen wollte, fand sie die Tür
verschlossen. Gegen Mittag brach man auf. Der
Vater lag halb angekleidet auf dem Bett, als
Leiche: Beim Bierholen im Keller muss er sich
erkältet haben. Er kränkelte schon seit langem.
Mädchenbund
Martha K. und du bewogen mich, dem Mädchenbund
beizutreten. Ich habe zwar nie ein Hehl daraus
gemacht, dass ich die Belehrungen der beiden
Leiterinnen, der Damen X, reichlich
pfarrermäßig fand. Die Spiele waren
unterhaltsam. Ich behauptete dabei bald, wie
du weißt, eine führende Rolle. Das behagte
mir. Auch die Ausflüge gefielen mir.
Ich ließ mich selbst einige Male bewegen, zur
Beichte und Kommunion zu gehen. Eigentlich
hatte ich nichts zu berichten. Gedanken und
Reden fielen bei mir nicht auf die
Waagschale... Zu gröberer Taten war ich noch
nicht weit genug. Du mahntest mich einmal:
„Anni, wenn du nicht betest, gehst du
verloren!” Ich betete freilich wenig. Und auch
das nur ungern. Du hattest nun allerdings
recht. Alle, die in der Hölle brennen, haben
nicht gebetet oder nicht genug gebetet. Das
Gebet ist der erste Schritt zu Gott. Es bleibt
der entscheidende. Besonders das Gebet zu
derjenigen, die Christi Mutter war, deren
Namen wir nicht nennen. Die Andacht zu ihr
entreißt dem Teufel zahlreiche Seelen, die ihm
die Sünde unfehlbar in die Hände gespielt
hätte.
Beten –
ist das Leichteste
Wütend fahre ich fort – weil ich muss – :
Beten ist das Leichteste, was der Mensch tun
kann auf Erden. Und gerade an dieses
Leichteste hat Gott das Heil geknüpft. Wer
beharrlich betet, dem gibt er allmählich so
viel Licht, stärkt ihn dermaßen, dass sich
auch der versumpfteste Sündenbock schließlich
endgültig erheben kann. Und steckte er bis zum
Halse im Schlamme. Ich habe in den letzten
Lebensjahren überhaupt nicht mehr recht
gebetet und so mich der Gnaden beraubt, ohne
die niemand selig wird.
Hier erhalten wir keine Gnade mehr. Doch
selbst, wenn wir sie erhielten, hohnlachend
wiesen wir sie zurück. Alle Schwankungen des
Erdendaseins haben im Jenseits aufgehört. Bei
euch auf Erden kann der Mensch vom Stand der
Sünde in den Stand der Gnade rutschen. Von der
Gnade in die Sünde fallen. Oft aus Schwäche;
zuweilen aus Bosheit. Mit dem Tod hat dieses
in der Unvollkommenheit des irdischen Menschen
fußende Auf- und Abtanzen ein Ende gefunden.
Der Endzustand ist erreicht.
Schon mit den zunehmenden Jahren werden die
Sprünge kleiner. Es ist wahr, bis zum Tode
kann man sich Gott zuwenden oder ihm den
Rücken kehren. Doch fast zwangsläufig
entschließt sich der Mensch mit den letzten,
verzitternden Willensregungen vor dem
Verscheiden so, wie er es im Leben gewohnt
war. Gute oder böse Gewohnheit ward zur
zweiten Natur. Diese reisst ihn fort.
So auch mich. Ich lebte seit Jahren von Gott
abgekehrt. So entschied ich mich beim letzten
Gnadenruf gegen Gott. Nicht, dass ich oft
sündigte, ward mir zum Verhängnis, sondern
dass ich nicht mehr aufstehen wollte. Du hast
mich mehrmals zum Anhören der Predigt und zum
Lesen frommer Bücher gemahnt. Ich fände keine
Zeit dazu, lautete regelmäßig mein Bescheid.
Hätte ich meine innere Unsicherheit noch
vermehren sollen?
Ich muss übrigens feststellen: als es einmal
so weit war, wie kurz vor meinem Austritt aus
dem Mädchenbund, da wäre es mir ungeheuer
schwer gefallen, einen anderen Weg
einzuschlagen. Ich fühlte mich unsicher und
unglücklich. Doch vor der Umkehr starrte eine
Mauer. Das musst du nicht erkannt haben. Du
hast es dir so einfach vorgestellt, da du
einmal sagtest: „Leg doch eine gute Beicht ab,
Anni, und alles ist wieder gut!” Ich ahnte,
dass es so wäre. Aber Welt, Teufel und Fleisch
hielten mich schon zu fest in den Klauen.
An den
Einfluss des Teufels glaubte ich nie
An den Einfluss des Teufels glaubte ich nie.
Und jetzt bezeuge ich, dass er solche
Menschen, wie ich damals einer war, gewaltig
beeinflusst. Nur viele Gebete anderer und
meiner selbst, verbunden mit Opfer und Leiden,
hätten mich ihm entreißen können.Und auch das
nur allmählich. Gibt es wenig äußerlich
Besessene, so wimmelt es von innerlich
Besessenen. Der Teufel kann denen, die sich
seinem Einfluss hingeben, den freien Willen
nicht rauben. Doch zur Strafe für ihren
gleichsam grundsätzlichen Abfall von Gott
lässt dieser es zu, dass der ‘Böse’ sich in
ihnen einnistet.
Ich hasse auch den Teufel. Dennoch gefällt er
mir, weil er euch zu verderben sucht; er und
seine Helfershelfer, die mit ihm am Anfang der
Zeit gefallenen Geister. Sie zählen nach
Millionen. Sie schweifen auf der Erde umher,
dicht wie ein Mückenschwarm, und ihr ahnt es
kaum.
Wir, die verworfenen Menschen, haben euch
nicht zu versuchen; das kommt den gefallenen
Geistern zu.
Es vermehrt zwar ihre Qual noch jedesmal, dass
sie eine Menschenseele in die Hölle
herunterreissen. Aber was tut der Hass nicht!
Trotzdem ich gottferne Pfade beschritt, ging
Gott mir nach. Ich ebnete der Gnade den Weg
durch natürliche Liebesdienste, die ich durch
Neigung meines Naturells nicht selten
verrichtete.
Zuweilen lockte mich Gott in eine Kirche. Da
empfand ich es wie Heimweh. Als ich die
kränkelnde Mutter pflegte, trotz der Arbeit im
Büro tagsüber, und mich wirklich einigermaßen
aufopferte, wirkten diese Lockungen Gottes
mächtig. Einmal, in der Spitalkirche, wohin du
mich über die Mittagszeit mitgenommen, überkam
es mich so, dass es nur einen Schritt zu
meiner Bekehrung gebraucht hätte. Ich weinte.
Aber dann flutete die Weltfreude wieder über
die Gnade hinweg. Der Weizen erstickte in den
Dornen.
Mit der Erklärung, Religion sei Gefühlssache,
wie es im Geschäft immer hieß, schob ich auch
diese Gnadenerneuerung, gleich den übrigen,
unter den Tisch. Du hast mich einmal getadelt,
weil ich, anstatt einer Kniebeugung bis zum
Boden, nur einen formlosen Knicks machte, du
hieltest dies für Trägheit, schienst nicht zu
vermuten, dass ich bereits damals nicht mehr
an die Gegenwart Christi im Sakrament glaubte.
Jetzt glaube ich daran, aber rein natürlich,
so wie man an ein Ungewitter glaubt, wovon man
die Folgen wahrnimmt.
Ich habe
mir selbst eine Religion zurechtgelegt
Inzwischen hatte ich mir selbst eine Religion
zurechtgelegt. Ich hielt zur Ansicht, die bei
uns im Geschäft gang und gäbe war, die Seele
erstehe nach dem Tode in einem anderen Wesen.
So wandre sie endlos weiter (Reinkarnation).
Damit war die bange Frage nach dem Jenseits
zugleich untergebracht und mir unschädlich
gemacht.
Warum hast du mich nicht ans Gleichnis vom
reichen Prasser und armen Lazarus erinnert,
die der Erzähler, Christus, unverzüglich nach
dem Tode, den einen zur Hölle, den andern zum
Paradies fahren lässt? Aber was hättest du
erreicht. Nicht mehr als mit deinen anderen
bigotten Reden (Luk 16,19).
Allmählich bastelte ich mir selbst einen Gott
zurecht; ausgestattet genug, um ‘Gott’ zu
heißen; mir fern genug, um keine Beziehungen
zu ihm unterhalten zu müssen; verschwommen
genug, um sich nach Bedürfnis, ohne meine
Religion zu wechseln, zum pantheistischen
‘Weltgott’ ausdehnen oder zum deistischen
‘Hagestolz ’ verdichten zu lassen.
Dieser ‘Gott’ hatte mir keinen Himmel zu
schenken und keine Hölle zu verabfolgen. Ich
ließ ihn in Ruhe. Darin bestand meine Anbetung
an ihn. ‘Was man liebt, das glaubt man gern!’
Im Lauf der Jahre hielt ich mich ziemlich von
meiner Religion überzeugt. Es ließ sich damit
leben. Nur eines hätte ihr das Genick
gebrochen: ein tiefes langes Leid. Und dieses
Leid kam nicht! Verstehst du jetzt, was es
heißt: „Wen Gott liebt, den schlägt er?”
Der
Freundin den Buben ausgespannt
Es war an einem Sommertag im Juli, als der
Mädchenbund einen Ausflug nach A.
veranstaltete. Der Ausflug wäre mir schon
recht gewesen. Aber das blöde Gerede und
fromme Getue! Ein anderes Bild als das der
Gnadenmutter von A. stand seit kurzem auf dem
‘Altar’ meines Herzens: der flotte Max N. vom
Kaufhaus nebenan. Wir hatten kurz vorher
mehrmals miteinander geschäkert. Eben für
jenen Sonntag hatte er mich zu einem Ausflug
eingeladen. Die, mit der er gewöhnlich ging,
lag im Krankenhaus.
Er hatte wohl gemerkt, dass ich ein Auge auf
ihn geworfen. Ihn zu heiraten dachte ich
damals noch nicht. Er war zwar wohlhabend,
aber mir zu freundlich gegen alle möglichen
Mädchen. Und ich wollte bis dahin immerhin
noch einen Mann, der mir allein gehörte: nicht
nur Frau, sondern einzige Frau sein. Ein
gewisser natürlicher Abstand blieb ja stets
eigen.
Beim erwähnten Sonntagsausflug überbot sich
Max in Liebenswürdigkeiten. Keine pfäffischen
Gespräche wurden geführt wie bei euch. Andern
Tags, im Büro, hast du mir Vorwürfe gemacht,
weshalb ich nicht mit euch nach A. gegangen.
Ich schilderte dir mein Sonntagsvergnügen.
Deine erste Frage lautete: „Warst du in der
Messe?” – Närrin, wie konnte ich, da die
Abfahrt schon auf 6 Uhr verinbart war!
Weißt du noch, wie ich gereizt hinzufügte:
„Der liebe Gott denkt nicht so kleinlich wie
eure Pfaffen!” Jetzt muss ich bekennen: Gott
nimmt es bei all seiner endlosen Güte genauer
als sie alle.
Nach jenem ersten Ausflug mit Max kam ich noch
einmal in den Bund. An Weihnachten für die
Feier. Es zog mich manches zurück. Aber
innerlich war ich euch schon entfremdet. Kino,
Tanz, Ausflüge, eins folgte aufs andere. Max
und ich zerstritten uns zwar einige Male. Doch
ich wusste ihn immer wieder an mich zu
fesseln.
Äußerst lästig fiel mir die Nebenbuhlerin,
die, aus dem Spital zurückgekehrt, sich wie
rasend gebärdete. Eigentlich zu meinem Glück,
denn meine vornehme Ruhe machte mächtigen
Eindruck auf Max und gab schließlich den
Ausschlag, mich vorzuziehen. Ich hatte es
verstanden, sie bei ihm schlecht zu machen,
kühl redend; äußerlich sachlich, innerlich
Gift speiend. Solche Gefühle und solches Tun
bereiten trefflich auf die Hölle vor. Sie sind
teuflisch im besten Sinn des Wortes.
Warum erzähle ich das? Um zu berichten, wie
ich von Gott endgültig loskam. Nicht dass es
übrigens sehr oft zu letzten Vertraulichkeiten
zwischen mir und Max gekommen wäre. Ich
begriff, dass ich mich in seinen Augen
herabsetzte, wenn ich mich vor der Zeit
austrinken ließe. Deshalb hielt ich zurück.
Aber an sich war ich, sooft ich es für
nützlich erachtete, jederzeit zu allem bereit.
Ich musste Max erobern. Dazu war nichts zu
teuer. Zudem liebten wir uns allmählich, da
wir beide manch wertvolle Eigenschaften
besaßen, die wir aneinander achten konnten.
Ich war gewandt, tüchtig, gute
Gesellschafterin. So bekam ich Max fest in die
Hand. dass ich ihn wenigstens in den letzten
Monaten vor der Heirat, allein besaß.
Darin bestand mein Abfall von Gott, ein
Geschöpf zu meinem Abgott zu erheben. Nirgends
kann das so allumfassend geschehen wie bei der
Liebe zu einem Menschen des anderen
Geschlechts, falls diese Liebe im Irdischen
stecken bleibt. Das macht ihren Reiz aus,
ihren Stachel und ihr Gift.
‘Die Anbetung’ die ich Max zollte, wurde mir
zur gelebten Religion. Es war die Zeit, wo ich
im Büro giftig über Kirchenspringen,
Geistliche, Ablässe, Rosenkranzgeplapper und
ähnlichen Krimskram herfiel. Du hast dich mehr
oder weniger geistreich bemüht, diese Dinge in
Schutz zu nehmen, scheinbar nicht ahnend, dass
es sich bei mir zutiefst gar nicht um diese
Dinge drehte, dass ich vielmehr einen
Stützpunkt gegen mein Gewissen suchte – ich
brauchte ihn damals noch –, um meinen Abfall
auch verstandesmäßig zu rechtfertigen.
Im Grunde revoltierte ich gegen Gott. Das
sahst du nicht ein. Du hieltest mich immer
noch für katholisch. Ich wollte auch so
heißen; zahlte sogar die Kirchensteuer. Eine
gewisse ‘Rückenversicherung’ konnte ja nicht
schaden, dachte ich. Deine Antworten mochten
zuweilen treffend sein. An mir glitten sie ab,
weil du nicht recht haben durftest!
Angesichts dieser zerschnittenen Beziehungen
war unser Trennungsschmerz gering, als wir
durch meine Verheiratung auseinanderkamen.
Endgültiger Weggang von Gott
Vor der Trauung beichtete ich noch einmal und
kommunizierte. Es war eben vorgeschrieben. Ich
und mein Mann dachten hierin gleich. Warum
sollten wir diese Förmlichkeit nicht
erledigen? Wir erledigten sie wie eine andere
Förmlichkeit. Ihr nennt das unwürdig. Nach
jener ‘unwürdigen Kommunion’. Kommunion hatte
ich mehr Ruhe im Gewissen. Es war übrigens die
letzte.
Unser Eheleben verlief im allgemeinen recht
harmonisch. Wir waren in allen Punkten so
ziemlich derselben Meinung. Auch darin, dass
wir uns die Last von Kindern nicht aufbürden
wollten. Im Grunde hätte zwar mein Mann gerne
eines gehabt – natürlich nicht mehr. Ich
wusste ihn schließlich auch davon abzubringen.
Kleider, feine Möbel, Teestuben, Autofahrten
und ähnliche Zerstreuungen lagen mir näher. Es
war ein vergnügtes Erdenjahr zwischen der
Trauung und meinem jähen Tode.
Jeden Sonntag fuhren wir aus oder machten
Besuche bei Verwandten des Mannes. (Meiner
Mutter schämte ich mich jetzt). Diese
schwammen genau so an der Oberfläche des
Daseins wie wir.
Innerlich fühlte ich mich freilich nie
glücklich, mochte ich äußerlich noch so
lachen. Es nagte immer ein unbestimmtes
‘Etwas’ an mir. Ich hätte gewollt, dass nach
dem Tode, der selbstredend noch lange
ausbleiben sollte, alles aus wäre.
Aber so ist es, wie ich einmal als Kind in
einer Predigt sagen hörte, dass Gott alles
Gute, das ein Mensch vollbringt, belohnt. Wenn
er es im Jenseits nicht vergelten kann, tut er
es auf Erden.
Ich machte unerwartet eine Erbschaft (von
Tante Lotte). Meinem Mann glückte es, sein
Gehalt bedeutend zu vermehren. Ich konnte
unsere neue Wohnung reizend einrichten. Das
Religiöse dämmerte nur noch ferne. Die
Kaffeehäuser in der Stadt, die Hotels, wo wir
auf Reisen einkehrten, brachten uns Gott nicht
nahe. Alle, die dort verkehrten, lebten wie
wir, von außen nach innen, nicht von innen
nach außen.
Besuchten wir auf Ferienreisen einen berühmten
Dom, suchten wir uns am bloßen Kunstgehalt der
Meisterwerke zu laben. Den religiösen Hauch,
den sie, besonders die mittelalterlichen,
ausstrahlten, verstand ich dadurch zu
neutralisieren, dass ich mich über irgend
einen Nebenumstand der Besichtigung zu ärgern
verstand. Einen unsauber gekleideten oder
unbeholfenen Klosterbruder, der uns führte: –
den ‘Skandal’, dass fromm sein wollende Mönche
Likör verkaufen; das ewige Gebimmel zum
Gottesdienst, wo es doch nur ums Geldmachen
gehe.
Hölle?
So wusste ich die Gnade, sooft sie anklopfte,
immer wieder abzuweisen. Besonders ließ ich
meinem Unmut freien Lauf bei gewissen
altertümlichen Höllendarstellungen, auf
Friedhöfen oder anderswo, wo der Teufel die
Seelen in Rot- und Weißglut röstet, und seine
Genossen mit langen Schwänzen ihm neue Opfer
herbeischleppen.
Klara, die Hölle kann verzeichnet, sie kann
nicht übertrieben werden! Das Höllenfeuer habe
ich stets besonders aufs Korn genommen. Du
weißt, wie ich dir bei einem Gespräch darüber
einst ein Streichholz unter die Nase hielt und
höhnte: Riecht es so? Du bliesest die Flamme
rasch aus. Hier löscht sie niemand. Ich sage
dir: Feuer, wovon die Bibel spricht, heißt
nicht Gewissensqual. Feuer heißt ‘Feuer’. Es
ist wörtlich zu verstehen, was jener gesagt
hat: „Weichet von mir, ihr Verfluchten, ins
ewige Feuer!” Wörtlich!
Wie kann der Geist vom stofflichen Feuer
berührt werden, fragst du. Wie kann auf Erden
deine Seele leiden, wenn du den Finger in die
Flamme hältst? Es brennt ja auch nicht die
Seele; doch welche Qual verspürt der ganze
Mensch! Ähnlich sind wir hier seelisch ans
Feuer gebunden, unserem Wesen nach und unseren
Fähigkeiten nach. Unsere Seele entbehrt ihres
natürlichen Flügelschlages: wir können nicht
denken, was wir wollen und nicht wie wir
wollen.
Schau nicht blöd auf diese Zeilen; denn dieser
Zustand, der euch nichts sagt, versengt mich,
ohne mich zu verzehren. Unsere größte Qual
besteht darin, genau zu wissen, dass wir Gott
nie schauen werden. Wie das peinigen kann, da
es einem auf Erden so gleichgültig? – Solange
das Messer auf dem Tisch liegt, lässt es einen
kalt. Man sieht seine Schärfe; fühlte sie
nicht. Doch führe das Messer ins Fleisch und
du schreist auf vor Schmerz. Jetzt fühlen wir
Gottes Verlust; vorher sahen wir ihn nur.
Nicht alle Seelen leiden gleichermaßen. Je
boshafter und grundsätzlicher jemand
gesündigt, um so schwerer wuchtet auf ihm
Gottes Verlust, würgt ihn die missbrauchte
Kreatur. Die verdammten Katholiken leiden mehr
als Andersgläubige, weil sie meist mehr Licht
und Gnade empfingen und zertraten. Wer mehr
gewusst hat, leidet härter, als wer weniger
erkannte. Wer aus Bosheit gesündigt, leidet
schärfer, als wer aus Schwäche fiel. Aber
keiner leidet mehr, als er es verdient hat.
Oh, dass dies nicht wahr wäre, so dass ich
einen Grund zum Hassen hätte!
Du hast mir einmal gesagt, niemand komme in
die Hölle, ohne es zu wissen. Einer Heiligen
sei dies geoffenbart worden. Ich lachte
darüber, verschanzte mich aber dann doch
wieder hinter diese Erklärung. So wird
nötigenfalls Zeit genug zu einer Schwenkung
bleiben, sagte ich mir im stillen.
Der Ausspruch stimmt. Ich kannte vor meinem
jähen Ende die Hölle zwar nicht so, wie sie
ist. Kein Irdischer kennt sie. Aber ich war
mir genau bewusst: Wenn du stirbst, gehst du
gegen Gott ins Jenseits hinüber. Du wirst die
Folgen tragen. Ich machte nicht kehrt, wie
schon gesagt, fortgespült von der Gewohnheit.
Aus jener Gleichmäßigkeit heraus, mit der die
Menschen je älter, je mehr handeln.
Mein Tod
Mein Tod trat so ein. Vor einer Woche wars –
ich spreche nach eurer Zählung, denn am
Schmerz gemessen, könnte ich ebensogut schon
10 Jahre in der Hölle brennen – vor einer
Woche also machten mein Mann und ich an einem
Sonntag den für mich letzten Ausflug.
Strahlend war der Tag angebrochen. Ich fühlte
mich wohl wie selten. Ein unheimliches
Glücksgefühl durchrieselte mich. Da plötzlich,
bei der Heimfahrt, wurde mein Mann von einem
heranbrausenden Auto geblendet. Er verlor die
Führung.
Jessses (= Jesus!) – durchzuckte es
mich. Nicht als Gebet, nur als Schrei. Ein
zerquetschter Schmerz presste mich zusammen. –
Verglichen mit den jetzigen, eine Bagatelle.
Dann schwanden mir die Sinne.
Seltsam, an jenem Morgen war in mir
unerklärlicherweise der Gedanke aufgestiegen:
Du könntest wieder einmal in die Messe.
Es klang wie ein Flehen. Klar und bestimmt
schnitt mein „Nein” den Gedankenfaden ab.
„Damit muss endlich Schluss gemacht werden.
Ich übernehme alle Folgen”. Jetzt trage ich
sie.
Was nach meinem Tode geschah, wirst du wissen.
Das Schicksal meines Mannes, das meiner
Mutter, was mit meiner Leiche vorging und der
Hergang meines Begräbnisses sind mir in den
Einzelheiten durch natürliche Erkenntnis, die
wir hier haben, bekannt.
Was sonst auf Erden vorgeht, wissen wir nur
verschwommen. Was uns aber irgendwie nahelag,
kennen wir. So sehe ich auch deinen Aufenthalt.
Ich selber erwachte im Augenblick meines
Hinscheidens jäh aus dem Dunkel. Sah mich wie
von grellem Licht umflutet. Es war am gleichen
Ort, wo meine Leiche lag. Es geschah wie im
Schauspielhaus, wenn mit einmal die Lampen im
Saale verlöschen; der Vorhang
auseinanderrauscht; schaurig beleuchtet eine
ungeahnte Szenerie sich auftut. Die Szenerie
meines Lebens. Wie in einem Spiegel zeigte
meine Seele sich mir selbst. Die zertretenen
Gnaden von Jungend auf, bis zum letzten „Nein
” Gott gegenüber.
Mir ward zumute wie einem Mörder, dem während
der Gerichtsverhandlung sein entseeltes Opfer
vorgeführt wird. – Bereuen?
Mich schämen?! Nie!
Aber auch auszuhalten vermochte ich es nicht
unter den Augen des von mir verworfenen
Gottes. So blieb nur eines, die Flucht. – Wie
Kain floh vor Abels Leiche, so riss es meine
Seele vor diesem Anblick des Grauens hinweg.
Das war das besondere Gericht! Der unsichtbare
Richter sprach: „Weiche!”
Da fuhr meine Seele wie ein schwefelgelber
Schatten hinab an den Ort ewiger Qual.
So endete Annis Brief. Die letzten Worte waren
fast unleserlich. Da, was war das? In den
scharfen Akzent der Zeilen, die ich zu lesen
geglaubt, klang mild ein Glockenton.
Ich fuhr auf. Ich lag noch in meinem Zimmer.
Das Frührot blickte durchs Fenster. Von der
Pfarrkirche klang das „Aveläuten” herüber.
Also war alles nur ein Traum gewesen? – Nie
fühlte ich je den Trost des „Engelgrußes”, wie
nach diesem Traum. Langsam betete ich die drei
„Gegrüßet”. Da wurde es mir ganz klar: An ihr
musst du festhalten, an der gebenedeiten
Mutter des Herrn, Maria kindlich verehren,
willst du nicht das Los erleiden, das dir –
wenn auch nur im Traume eine Seele
geschildert, die Gott nie schauen wird.
Noch zitternd von der schrecklichen Nacht
stand ich auf, kleidete mich hastig an, eilte
stiegenab in die Hauskapelle. Das Herz pochte
mir bis zur Kehle hinauf. Die mir zunächst
knieenden wenigen Gäste sahen mich wohl an.
Aber sie mochten sich denken, weil ich über
die Stiege gelaufen, scheine ich so ‘erhitzt’.
Eine gütige ältere Dame aus Budapest,
leidgeprüft, gebrechlich wie ein Kind,
kurzsichtig, doch eifrig im Gottdienen und
weitsichtig in geistlichen Dingen, meinte am
Nachmittag im Garten lächelnd zu mir:
„Fräulein, der Heiland will nicht im
Schnellzug bedient sein”. Aber dann gewahrte
sie gleich, dass etwas anderes mich bewegt
hatte und noch bewegte. Begütigend fügte sie
bei: „Nichts soll dich ängstigen – Sie kennen
das Sprüchlein der heiligen Theresia? – Nichts
dich erschrecken, Alles vergeht – Gott bleibt
derselbe – Geduld erreicht alles – Wer Gott
besitzt – dem kann nichts fehlen – Gott allein
genügt!”
Während sie das leis und so gar nicht lehrhaft
flüsterte, war mir, als lese sie in meiner
Seele. „Gott allein genügt!” Ja, er soll mir
genügen, hienieden und drüben. Ich will ihn
dort einst besitzen, mag es hier noch so viele
Opfer kosten. Ich will die Prüfungen des
Erdenlebens bestehen und an der Liebe zu Gott
festhalten, damit ich, Ihn immer besitze, der
allein Friede, Freude und Glück ist, während
alle Erdenfreuden vergehen.