Das grösste Gebot ist
die Liebe
Die Liebe ist ein göttliches Gebot,
nämlich das Gebot Jesu:
«Ein
neues Gebot habe ich euch gegeben,
nämlich, dass ihr einander liebt.»
Die Gottes- und Nächstenliebe ist
nicht nur ein Gebot, sondern die
Erfüllung aller andern Gebote.
Im AT war es eines der Gebote, im NT
ist es das Gebot, das Hauptprinzip des
Christentums. |
Jesus und die Pharisäer |
Nachdem die Sadduzäer mit ihrer
Auferstehungstheorie bei Jesus eine
Abfuhr erlitten hatten, stellten ihn
die Pharisäer auf die Probe
(Mt 22,36f):
«Welches
Gebot ist das grösste im Gesetz?»
Jesus antwortete:
«Du
sollst den Herrn, deinen Gott, lieben
mit deinem ganzen Herzen, mit deiner
ganzen Seele und mit deiner ganzen
Vernunft
(Dtn 6,5).
Dies ist das erste und grösste Gebot.
Das andere aber ist diesem gleich: Du
sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst
»(Lev
19,18).
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Über dieses Thema hat der bekannte
Weihbischof von New York, Fulton J.
Sheen t, eindrücklich gepredigt und
geschrieben, wie Auszüge aus seinen
Büchern belegen
(Leben Jesu und Entscheidung für
Gott.). |
Des göttlich Liebenden
Abschiedsgruss
«Das
ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie
ich euch geliebt habe. Eine grössere Liebe hat
niemand, als der sein Leben hingibt für seine
Freunde.»
(Joh 15,12f)
Liebe ist die normale Beziehung der Zweige
untereinander; denn sie sind ja alle im
Weinstock verwurzelt. Seine Liebe kannte
überhaupt keine Grenzen.
Petrus versuchte es einst, der Liebe Grenzen
zu setzen, als er die Frage aufwarf, wie oft
er verzeihen müsse: «Etwa
siebenmal?» Der Heiland entgegnete ihm:
«Nein, sondern 70mal
7mal.» Unzählige Male also sollte er verzeihen
-hierauf darf keine mathematische Berechnung
angewendet werden. Auch ihre gegenseitige
Liebe sollte keine Grenzen kennen. Ein jeder
soll sich fragen: Wo findet sich eine Grenze
in Jesu Liebe? Sie kennt keine Grenze; denn er
ist gekommen, um sein Leben hinzugeben. Hier
sprach Jesus wieder einmal vom Zweck seines
Kommens: nämlich von der Erlösung. Das Kreuz
steht im Vordergrund. Er nimmt es in voller
Freiheit auf sich. Auf diese Feststellung legt
er besonderen Wert, weshalb er erklärte:
«Ich habe die Macht, mein Leben
hinzugeben.»
(Joh 10,
18)
Es ist also niemand imstande, es ihm
zu nehmen. Seine Liebe gleicht der
Sonne: Je näher man ihr kommt, um so
mehr wird man durchwärmt, um so
glücklicher wird man; die ihr aus dem
Wege gehen, werden nur mehr von ihrer
Helligkeit angestrahlt. Er konnte
seine Liebe nur dadurch zeigen, dass
er für andere starb. Sein Tod kann
nicht mit dem Tod eines Menschen, der
aus Liebe für einen anderen stirbt,
verglichen werden, auch nicht mit dem
Tod eines Soldaten für sein Vaterland,
weil der Mensch, der andere rettet,
schliesslich sowieso sterben muss.
Mochte das Opfer noch so gross sein:
es war lediglich eine vorzeitige
Abtragung einer Schuld, die auf alle
Fälle bezahlt werden musste. Unser
Herr hingegen musste nicht sterben.
Niemand war imstande, ihm das Leben zu
nehmen. Wenn er auch jene, für die er
starb, «Freunde»
nannte, so lag die Freundschaft auf
seiner, nicht auf unserer Seite; denn
als Sünder waren wir ja seine Feinde.
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Dieser Wahrheit gab Paulus später
Zeugnis, als er an die Römer schrieb,
dass er für uns starb, als wir noch
Sünder waren»
(Rom 5, 8).
Sünder können ihre Liebe zueinander
dadurch zeigen, dass einer für einen
anderen eine Strafe übernimmt.
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Auch Johannes
kam auf das zu sprechen, was er in
jener Nacht, an Jesu Brust gelehnt,
hörte:
«Daran haben wir die
Liebe erkannt, dass er für uns sein
Leben eingesetzt hat — auch wir sind
es schuldig, für unsere Brüder das
Leben einzusetzen.»
1 Jo 3,16 |
Unser Heiland aber übernahm nicht nur
die Strafe, sondern auch die Schuld,
und zwar so, als wäre sie seine eigene
gewesen. Zudem war der Tod, dem er
entgegenging, völlig verschieden von
dem seiner Blutzeugen: diese haben ja
das Beispiel seines Todes und die
Aussicht auf die Herrlichkeit, die er
verheissen hat. Aber am Kreuz sterben
inmitten einer Schar von
erbarmungslosen und spottenden
Menschen; am Kreuz sterben, und zwar
ohne dazu verpflichtet zu sein,
-solches ist der Höhepunkt der Liebe.
Die Apostel konnten damals solche
Tiefen der Liebe nicht begreifen;
später wohl. Petrus, der damals von
solcher Opferliebe noch keine Ahnung
hatte, sah dann später während der
römischen Christenverfolgung seine
Schäflein in den Tod gehen und konnte
sie ermuntern: |
«Es ist Gnade,
wenn man um des Gewissens willen vor Gott
Trübsal zu erdulden und Unrecht zu leiden hat.
Was für ein Ruhm wäre es, wenn ihr euch
vergangen hättet und würdet nun die Züchtigung
dafür ertragen? Handelt ihr dagegen recht und
müsst ihr deshalb leiden, und traget dies in
Geduld, so ist das Gnade von Gott. Dazu wurdet
ihr ja berufen. Auch Christus hat gelitten; er
tat es für euch, um euch ein Beispiel zu
hinterlassen, damit ihr seinen Fussstapfen
folget.»
(1 Petr 2,19f)
Uneigennützigkeit:
die Entfaltung der Liebe
... Es gibt
fünf Arten, seinen Mitmenschen zu lieben.
1.
Einmal die berechnende Liebe, die man
jemand schenkt, well er uns nützlich sein
kann. «Er kann
zum Einkaufspreis bekommen.»
«Er weiss, wo man
Nerze mit Rabatt bekommt.» Das Schicksal
dieser Liebe ist: sie geht zu Ende, sobald der
Nutzen aufhört.
2. Eine
andere Art ist die romantische oder
geschlechtliche Liebe, die Zuneigung
zueinander der Freude wegen, die der andere
uns bereitet. Das «
Ich» wird in das «Du»
hineinprojiziert, und obwohl man vorgibt, das
«Du» zu lieben, so liebt man damit
in Wirklichkeit doch das «
Ich». Weshalb viele moderne Ehen unerträglich
werden, ist oft dadurch verursacht, dass man
nicht eine Persönlichkeit heiratet, sondern
ein Erlebnis. Man verliebt sich in eine
Ekstase oder ein Abenteuer, aber man liebt den
Kuchen nur, so lange er verzuckert ist.
3.
Die dritte Art Liebe ist die demokratische
Liebe, die sich auf der Gleichheit vor dem
Gesetz gründet. Die anderen werden geehrt,
weil sie Mitbürger sind; oder ihre Vorrechte
werden anerkannt, damit umgekehrt auch unsere
respektiert werden. Man trägt aber zum
Wohlergehen der anderen nur bei, um für sich
selbst dadurch Vorteile zu verschaffen. Die
demokratische Liebe reicht aber nur bis zu
einem bestimmten Punkt; im Konkurrenzkampf
wird sie oft zurückgehalten oder unter dem
Vorwand, die andere Person sei unserer
Zuneigung «nicht
würdig», entkräftet. Die demokratische Liebe
unterliegt oft grossen Belastungen, wenn im
Wahlkampf z. B. die Kandidaten einander
minderwertige Politiker nennen. So etwas gibt
es auf der ganzen Welt nicht: «einen billigen
Politiker».
4. Die
vierte Art Liebe, der die Dichter viel
Anregung verdanken, ist die Menschenliebe. Sie
ist Liebe zur ganzen Menschheit. Ein Mangel
dieser Art Liebe besteht darin, dass sie mehr
eine theoretische als eine wirkliche Liebe
ist; eher eine Liebe auf Distanz, als eine
unmittelbare Hilfeleistung. Es ist eine
historische Tatsache, dass Personen, die ihre
Liebe zur Menschheit am lautesten verkündet
haben, es sehr schwer fanden, einzelne
Menschen zu lieben. «Die Menschheit» ist wie
eine Photomontage: sie stellt niemanden im
einzelnen dar. Dostojewski veranschaulicht die
Unzulänglichkeit dieser Art Liebe: Ich liebe
die Menschheit, aber ich wundere mich über
mich selbst. Denn je mehr ich die Menschheit
im allgemeinen liebe, desto weniger liebe ich
den Menschen im einzelnen. In meinen Träumen
mache ich enthusiastische Pläne für den Dienst
an der Menschheit und würde vielleicht sogar
eine Kreuzigung auf mich genommen haben, wenn
es plötzlich notwendig gewesen wäre. Aber
trotzdem kann ich nicht, wie ich aus Erfahrung
weiss, zwei Tage lang mit demselben Menschen
in einem Raum zusammenleben. Sobald jemand in
meine Nähe kommt, stört seine Persönlichkeit
meine Selbstgefälligkeit und schränkt meine
Freiheit ein. In 24 Stunden fange ich an, den
besten Menschen zu hassen; den einen, weil er
zu viel Zeit zum Essen braucht; den anderen,
weil er erkaltet ist und sich ständig die Nase
putzt. In dem Augenblick werde ich feindselig
gegen die Menschen, wo sie mir nahe kommen.
Aber es bestätigte sich immer wieder: je mehr
ich den einzelnen Menschen verabscheue, desto
glühender wurde meine Liebe zur Menschheit.
5.
Diese vier niederen Arten der Liebe übersteigt
die christliche Liebe. In den Worten unseres
Heilands ist sie zusammengefasst: «Ein neues
Gebot gebe Ich euch, dass ihr einander liebet,
wie Ich euch geliebt habe.» Was ist neu an
diesem Gebot? Gebot nicht auch das Alte
Testament »Liebet einander»? Haben nicht alle
Morallehrer durch die Jahrhunderte hindurch
sich für die Uneigennützigkeit eingesetzt? Was
ist das Neue daran? Zwei Dinge sind neu: 1.
die Art, wie unser Herr uns liebte, nämlich,
bis zur Selbstaufopferung. 2. Es ist neu, weil
es ein Gebot ist. Indem Christus es zu einem
Gebot erhob, unterschied unser göttlicher
Heiland zwischen gern haben und
lieben. Zuneigung ist Sache des Gefühls,
des Temperaments, der Drüsen, des Empfindens
und über diese haben wir nur wenig oder gar
keine Kontrolle. Lieben aber ist Sache des
Willens und daher der Beherrschung
unterworfen. Es gibt bestimmte Dinge, die wir
nicht ertragen, und wir können nichts dafür,
dass sie uns nicht gefallen. Ein Beispiel:
einige können dicke Frauen in Wollkleidern
nicht ertragen; andere dulden keine Oliven in
einem Martini-Cocktail. Ich mag Hühner nicht.
Das sind instinktive Reaktionen, die wir nicht
ganz kontrollieren können. Wenn wir aber
Zuneigung in Willen umwandeln, können wir sie
kontrollieren und sogar auf das ausdehnen, was
wir nicht mögen. Die Liebe ist dann keine
Schwärmerei mehr, sondern eine Tugend; keine
krampfhafte Begeisterung, sondern eine
bleibende Verbindung von Hilfsbereitschaft,
Zuneigung und Hingabe. Das Gebot ist nicht nur
neu, weil es zum Willen spricht, sondern auch,
weil das Vorbild solcher Liebe GOTT selbst
ist: «Wie Ich euch geliebt habe.» Er
liebte uns, obwohl wir Sünder waren. Wenn uns
jemand Unrecht tut, sagen wir bald: «Du hast
meine Liebe verwirkt; ändere dich, dann werde
ich dich wieder lieben.» Unser göttlicher
Heiland aber sagt: “Liebe deinen Nächsten, und
er wird sich ändern. Lass deine Liebe die
schöpferische Kraft für seine Besserung sein.»
Es war Liebe, die Er Petrus schenkte in der
Nacht, als er Ihn verleugnete und die Petrus'
Wandlung bewirkte. Es ist überliefert, dass
Petrus hinausging und so sehr weinte, dass
sich Furchen ,in seine Wangen gruben, denn er
hatte Jemandem wehe getan, den er liebte. Der
Herr gab uns den Prüfstein für die Liebe, als
er sagte: «Liebet eure Feinde!» Wir
sollen nichts dafür erwarten, sondern gerade
inmitten der Anfeindung und Verfolgung weiter
lieben. Die Liebe ist selbstlos, wenn sie
trotz Hass anhält. Indem der Heiland die
Nächstenliebe vom Willen und nicht vom Gefühl
abhängig machte, nahm unser ErIöser die Liebe
aus dem engen Kreis des «Selbst» heraus,
verbannte sie aus der «Ich»-Festung und setzte
sie in ihrer Ganzheit an die Seite des andern
Menschen. Er forderte, so weit in der
Selbstverleugnung zu gehen, dass wir allein um
Seinetwillen für den andern Menschen sorgen
und nicht in irgendeiner anderweitigen
Absicht. So überbrücken wir die Kluft und
werden Eigentum eines andern. Ob unsere Liebe
wirklich selbstlos ist, können wir erkennen,
indem wir sie mit der Liebe, die wir den Toten
entgegenbringen, vergleichen. Hier besteht gar
keine Möglichkeit der Belohnung, der
Vergeltung der Freundschaft, der Freude noch
des Vorteils. Wenn die Liebe jedoch ohne
Gegenliebe fortdauert, dann ist es echte
Zuneigung. Die Natur fordert von uns, auf
andere zu achten; Christus gebietet uns, Liebe
dort zu verbreiten, wo wir sie nicht
antreffen. So werden wir
jedermann liebenswert finden.
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