Der Inhalt
des 4. Buches stammt teils aus der Zeit vor
Birgittas Abreise aus Schweden im Jahre 1349,
teils aus der Zeit ihres Aufenthaltes in Italien.
Inhalt
4. Buch
Die Zahlen stehen
für die Kapitel
Offenbarung in Schweden
1344-49.
1. Der Evangelist Johannes
tadelt König Magnus Eriksson und ermahnt ihn
zu einem frommeren Leben. Offenbarung, wahrscheinlich
in Schweden 1344-49.
2. Christus gibt seine Sorge
über die schlechten Christen und Heiden zu erkennen
und ermahnt seine Freunde, an ihrer Bekehrung
zu arbeiten. Offenbarung, wahrscheinlich in
Italien um 1350.
3. Birgitta fragt Christus,
wie weit das von Magnus Eriksson erworbene Schonen
mit Recht zu Schweden gehört, wie weit es richtig
war, dass Prinz Erik, Magnus’ älterer Sohn,
das Wahlreich Schweden erhielt, und wie weit
es richtig war, das Magnus’ jüngerer Sohn, Prinz
Håkon, das Erbreich Norwegen nach seinem Onkel
Håkon Håkonsson erhielt. Die erste Frage wird
mit ja beantwortet, die beiden letzteren mit
nein – der jüngere Sohn hätte das Wahlreich
bekommen sollen, und der ältere das Erbreich.
Offenbarung, wahrscheinlich in Schweden 1344-49.
4. Königin Blanka, die Gemahlin
von Magnus Eriksson, wird von Christus ermahnt,
ihre weltliche Lebensweise mit einer frommen,
asketischen zu vertauschen und eine Wallfahrt
nach Rom zu unternehmen. Offenbarung in Italien
1350 oder später.
5. Der Apostel Petrus klagt
Birgitta über den kirchlichen Verfall in Rom.
6. Der Apostel Paulus erzählt
Birgitta von seiner Bekehrung und beklagt den
kirchlichen Verfall in Rom.
7. Birgitta bezeichnet das
Jahr 1366 als Gericht über die Seele des italienischen
Adligen Nicolaus Acciajaoli. Dieser Mann, der
zu Lebzeiten zum Hof der Königin Johanna gehörte
und u.a. dadurch gesündigt hatte, dass er die
Heirat der Königin mit ihrem Neffen Ludwig von
Tarent beförderte, wird nun zum Fegefeuer verurteilt.
8. Der Schutzengel von Nicolaus
Acciajaoli beschreibt seine Plagen im Fegefeuer.
9. Ein Heiliger deutet an,
welche Möglichkeiten die Lebenden haben, die
Plagen Nicolaus Acciajaoli’s im Fegefeuer durch
Almosen und fromme Werke zu verkürzen.
10. Christus klagt Birgitta
über den kirchlichen Verfall in Rom.
11. Die hl. Agnes preist Gottes
Mutter und bittet sie, Birgitta Barmherzigkeit
zu zeigen. Maria verspricht ihrerseits, zu ihrem
Sohn Christus für Birgitta zu beten.
12. Maria erklärt Birgitta,
warum Gottes Freunde bald Trost erfahren, bald
Trübsal erleiden müssen.
13. Christus erklärt Birgitta
die Wichtigkeit, dass man für das zeitliche
Wohlergehen seiner Mitmenschen betet.
14. Christus erklärt Birgitta,
dass es dem Teufel nicht glücken wird, seine
eigenen schlechten Eingebungen mit den himmlischen
Botschaften zu vermischen, die ihr mitgeteilt
werden.
15. Christus erklärt, wie
er die Menschen, um sie zu erziehen, manchmal
Freude, manchmal Trauer empfinden lässt. Offenbarung,
gegeben 1350 in Italien.
16. Birgitta hat in ihrem
Hause einen Vogt aus Östergötland angestellt,
der eine Wallfahrt nach Rom gemacht hatte. Christus
erklärt ihr, dass dies unklug war, da der Mann
seine Wallfahrt nicht in frommer Absicht unternommen
hat. Offenbarung, gegeben wahrscheinlich in
Italien 1350 oder später.
17. Die hl. Agnes spricht
mit Birgitta über eine eingebildete Frau, die
diese kürzlich gesehen hatte. Birgitta soll
sich, sagt sie, um Weltverachtung, Demut und
Enthaltsamkeit bemühen – Tugenden, die im Gegensatz
zur Hoffart dieser Weltdame stehen.
18. Birgitta preist Maria;
Maria verspricht ihr, ihr die Gnadengaben aller
Tugenden zu erwirken.
19. Birgitta preist Maria,
die dafür verspricht, ihr die Gnadengaben der
Tugenden zu erwirken.
20. Die hl. Agnes ermahnt
Birgitta, ihre strenge Lebensführung nicht zu
ändern, aber auch keine übertriebene Askese
zu üben; gute geistliche Berater können sie
dabei anleiten. Weiter deutet Agnes an, wie
Gott den Menschen in der Stunde der Versuchung
hilft.
21. Maria schärft Birgitta
ein, wie wichtig es ist, dass die, die schon
gut sind, an der Besserung ihrer Mitmenschen
arbeiten.
22. Christus droht der jetzigen
sündigen Menschheit mit seiner strengen Strafe.
Er verspricht aber denen Barmherzigkeit, die
beizeiten umkehren. Offenbarung, gegeben in
Schweden 1344-49.
23. Der Evangelist Johannes
und die Jungfrau Maria sprechen von einem schwedischen
Zisterziensermönch, der ketzerische Ansichten
hat. Der Zusatz, der von Prior Petrus von Alvastra
verfasst ist, berichtet, dass der betreffende
Mönch seine Irrtümer auf Ermahnung von Birgitta
widerrufen hat. Offenbarungen, wahrscheinlich
1350 oder später in Italien gegeben.
24. Maria ermahnt Birgitta
zur Geduld, wenn sie auch andere ungeduldig
sieht.
25. Maria ermahnt Birgitta
zur Askese, aber in maßvoller Weise.
26. Maria erklärt, dass die
guten Werke, die man aus Pflicht zu Gehorsam
tut, doppelt wertvoll sind.
27. Maria spricht mit Birgitta
über eine scheinheilige Person.
28. Maria erklärt Birgitta,
worin die rechte Trübsal besteht.
29. Maria mahnt Birgitta und
ihre Freunde, nicht ihre strenge Lebensführung
aufzugeben.
30. Maria erklärt, dass man
nicht sündigt, wenn man feine und kostbare Kleider
trägt, wenn das notwendig ist.
31. Maria erklärt, dass der,
der für die Erlösung der Seelen arbeitet, himmlischen
Lohn erhalten wird, auch wenn die Arbeit wenig
sichtbare Frucht trägt (schwedische Zeit?).
Offenbarungen, gegeben 1350 oder später in Italien.
32. Maria lässt Petrus Olovsson
von Skänninge durch Birgitta sagen, dass sie
ihn reichlich für die Mühe belohnen soll, die
er für die dichterische und musikalische Ausgestaltung
des Stundengebets der Birgitta-Nonnen aufwendet.
Der Zusatz handelt von einer Versuchung zu Zweifeln
an Glaubenswahrheiten, durch die derselbe Petrus
Olovsson angefochten war.
33. Birgitta schreibt einen
Brief, in dem sie den früheren beispielhaften
Zustand bei den Priestern, dem Klostervolk und
den Laien Roms und dem jetzigen religiösen und
sittlichen Verfall dort beschreibt. Der Brief
ist an einen der Päpste gerichtet, die während
des langen Aufenthaltes Birgittas in Rom auf
dem Stuhl Petrie saßen – Clemens VI., Innocentius
VI., Urban V. oder Gregorius XI. Offenbarungen,
wahrscheinlich 1350 oder später in Italien gegeben.
34. Maria warnt einen schwedischen
Marschall durch Birgitta, der bisher ein sehr
sündhaftes Leben führte. Der Zusatz deutet seine
Bekehrung an. Nach Steffens Ansicht handelt
es sich um Gustav Tunason, der mit der Schwester
von Ulf Gudmarsson verheiratet war und Katharina
Ulfsdotter auf ihrer Romreise begleitete.
35. Christus erklärt, was
es für Sünden sind, die das Kommen des Heiligen
Geistes ins Menschenherz verhindern.
36. Christus klagt über die
schlechte Verwaltung seiner Berufung durch die
Klostermenschen und Ritter (schwedische Zeit?)
37. Christus droht der sündigen
Menschheit mit seiner baldigen Bestrafung und
hält eine Warnung für wenig nützlich.
38. Christus deutet an, wie
man sich Träumen und Eingebungen gegenüber verhalten
soll, die vom bösen Geist stammen.
39. Christus lehrt Birgitta,
wie man seinen Willen in Übereinstimmung mit
Gottes Willen bringen soll und über Gottes Anordnungen
nicht murren soll.
40. Christus erklärt Birgitta,
was ein guter und was ein schlechter Tod ist.
41. Maria sagt, dass die Macht
des Priesters, Sünden zu erlassen, nicht von
seiner persönlichen Würde oder Unwürde abhängt.
42. Maria deutet an, wie gute
Menschen andere durch ihre guten Sitten zu Gott
führen können.
43. Maria deutet an, welch
strenge Strafe verantwortungslose Priester zu
erwarten haben.
44. Christus spricht über
die Vergänglichkeit des Reichtums und der Macht
der Welt und über die Torheit, danach zu trachten.
Offenbarung, gegeben 1368 in Rom.
45. Birgitta richtet ein Schreiben
an Kaiser Karl IV.[1] bei seinem Besuch in Rom
im Jahre 1368. In dem Schreiben ermahnt sie
ihn, die frühere Demut, Enthaltsamkeit, Genügsamkeit
und Menschenliebe im Christlichen Europa wieder
herzustellen. Offenbarungen, wahrscheinlich
1350 oder später in Italien gegeben.
46. Unter Berufung auf die
alttestamentliche Erzählung von Nabot’s Weinberg
ermahnt Birgitta einen Adligen, unrechtmäßig
erworbene Güter zurückzugeben. Wenn er der Ermahnung
nicht folgt, hat er Strafe zu erwarten, sagt
sie.
47. Christus lehrt Birgitta,
wie man Versuchungen begegnen und sie überwinden
soll.
48. Durch Birgitta ermahnt
Christus einen König, unbestimmt welchen, für
die Vermehrung von Gottes Ehre und zur Befreiung
von Jerusalem aus der Gewalt der Ungläubigen
zu arbeiten. Offenbarung, gegeben 1367-70 in
Rom.
49. Himmlische Stimmen sprechen
zu Birgitta über den jetzigen kirchlichen Verfall
in Rom und über die Reformen, die der nach Italien
zurückgekehrte Papst durchführen soll. Die Offenbarung
dürfte Birgitta im Zusammenhang mit dem Besuch
Papst Urbans V. in Italien 1367-70 empfangen
haben. Offenbarungen, gegeben wahrscheinlich
1350 oder später in Italien.
50. Birgitta sieht die ganze
Menschheit vor Gottes Richterstuhl und bezeugt
die verschiedenen Strafen.
51. Birgitta bezeugt das Gericht
über die Seele einer verstorbenen Frau. Die
Frau wird zu einem schweren Fegefeuer verurteilt.
52. Birgitta bezeugt, wie
zwei verstorbene Ehegatten zur Hölle verurteilt
werden, und das u.a. deshalb, weil sie ihre
Ehe eingegangen sind, ohne auf Vorschriften
der Kirche über verbotene Wege zu achten.
53. Maria deutet an, dass
Jungfräulichkeit, Ehe und Witwenstand für sie
und ihren Sohn Christus wohlgefällig seien.
54. Maria spricht mit Birgitta
über die Bekehrung eines sündigen Mannes (Karl
Ulfsson?) und gibt diesem Mann Ratschläge für
die Zukunft, die ihm durch Birgitta überbracht
werden sollen.
55. Christus gibt sein Missfallen
über König Magnus Eriksson zu erkennen und deutet
den Erfolg seines Neffen Albrecht d.J. von Mecklenburg
auf Kosten von Magnus an. Man hat angenommen,
dass der im Kapitel erwähnte „Knirps“ Birgittas
Enkel Karl Ulfsson ist, der nach Meinung seiner
Großmutter väterlicherseits ein geeigneter Thronkandidat
gewesen wäre.[2]
56. Maria ermahnt einen gewissen
Mann durch Birgitta, nicht über seine Gegner
betrübt zu sein. Offenbarungen, gegeben 1350
oder später in Italien.
57. Maria sagt die Bestrafung
voraus, die das ungehorsame Rom treffen wird.
Offenbarungen, wahrscheinlich in Italien 1350
oder später gegeben.
58. Christus spricht von der
Ehre, die er den Priestern erwiesen hat, als
er ihnen vergönnte, die Gnadenmittel zu verwalten
und die Seelen zum Himmel zu führen. Er wirft
ihnen ihren jetzigen zügellosen Wandel vor und
droht ihnen mit schwerer Heimsuchung. Wegen
Marias Fürbitte verspricht er aber, sie noch
einmal zu warnen.
59. Christus deutet an, welche
Frömmigkeit und Weisheit sich für einen Priester
in seiner Kirche geziemen.
60. Birgittas demütiges Gebet
an Christus.
61. Der Teufel flößt Birgitta
Zweifel an der Gegenwart Christi in der verwandelten
Hostie ein. Christus offenbart sich, zerstreut
ihre Zweifel und lehrt sie, wie sie Versuchungen
dieser Art begegnen soll.
62. Christus spricht tadelnde
und strafende Worte über einen gewissen Priester,
der ein sündiges Leben führt.
63. Der Teufel flößt Birgitte
von neuem Zweifel an Christi Gegenwart in der
Hostie ein. Christus offenbart sich, und vor
diesem muss der Teufel seine Unwahrhaftigkeit
bekennen. Danach bestärkt Christus Birgitta
in ihrem Glauben an das Sakrament des Altars.
64. Maria beschreibt, wie
Gott es den Weltmenschen erlaubt, die Frommen
eine Zeitlang heimzusuchen und zu erproben,
wie er sie aber zuletzt selbst strafen wird.
65.
Maria schärft den Gottesfreunden
ihre Pflicht ein, unverdrossen an der Bekehrung
der Sünder zu arbeiten.
66. Maria lehrt Birgitta,
unnütze weltliche Gedanken und Einfälle abzuweisen.
67. Christus spricht mit Birgitta
über das Zusammenwirken von Gottes Gnade und
dem freien Willen des Menschen.
68. Maria spricht von einem
Priester (nach dem Zusatz handelt es sich um
einen Propst), der sehr darauf aus war, Reichtümer
zu sammeln, aber eines plötzlichen und unvorhergesehenen
Todes starb, ohne Gelegenheit zu haben, Rechenschaft
über sein Leben abzulegen.
69. Christus klagt über den
Hochmut, die Gewinnsucht und Unkeuschheit der
Priester.
70. Maria erzählt ausführlich
über Christi Leiden und seinen Tod. Dies ist
die zweite von Birgittas drei großen Passionserzählungen
(die beiden anderen sind I, 10 und VII, 16).Offenbarungen,
gegeben nach 1350 in Rom.
71. Cecilia, Birgittas jüngste
Tochter, hat die Klosterschule in Skänninge
verlassen, um eine Ehe einzugehen. Birgitta
stellt sich bei der Unterredung darüber die
Frage, welcher Stand dem Herrn am wohlgefälligsten
sei: Die Jungfrauenschaft, die Ehe oder der
Witwenstand. Christus antwortete ihr, dass eine
Frau ihm in all diesen drei Ständen gefallen
kann. Auch wenn die Jungfrauenschaft an und
für sich am höchsten stände.
72. Christus gibt Birgitta
und ihrer Tochter Katharina, die zusammen mit
ihr in Rom wohnt, geistliche Ratschläge. Offenbarungen,
wahrscheinlich nach 1350 in Italien gegeben.
Die nachfolgenden
Kapitel sind auf Seite 2
73.
Maria spricht mit Birgitta über einen schwedischen
Ritter, von dem Birgitta glaubte, er sei tot.
(Ausführlicher wird das Thema in Kap. 75 behandelt).
74.
Birgitta sieht in einer Ekstase, wie Maria und
verschiedene Heilige ihren Sohn Karl mit den
verschiedenen Kleidungsstücken bekleiden, die
zu einer Ritterrüstung gehören. Jedes Kleidungsstück
stellt eine besondere Tugend dar, der sich Karl
befleißigen soll. Maria spricht auch Gebete
vor, die er benutzen soll.
75.
Maria deutet Birgitta an, wie der Teufel versucht,
den Neubekehrten Menschen vom Pfad der Tugend
abzuziehen, aber wie Gottes Eingebungen auf
die Dauer stärker als die Anschläge des Teufels
sind. Sie kam in Kap. 73 auf den erwähnten Ritter
zurück, von dem Birgitta vermutete, er sei tot,
aber in Wirklichkeit war er nur geistlich tot.
Offenbarungen, wahrscheinlich 1344-49 in Schweden
eingegeben.
76.
Maria erklärt Birgitta, dass sie sich nicht
über die harte Gesinnung der Menschen beunruhigen
soll, denen sie ihre Botschaft übermitteln soll.
Weiter sagt Maria, dass keiner der jetzigen
Stände, weder Fürsten, Ritter oder Priester,
in Übereinstimmung mit den Verpflichtungen lebt,
die für diese Stände gelten.
77.
Birgitta bekennt Christus ihren Jubel über die
Gnadengaben, die er ihr beschert hat. Christus
schärft ihr die Verpflichtung ein, die sie hat,
Gottes Wort an andere weiter zu vermitteln.
Offenbarung, gegeben 1350 in Rom.
78.
Maria macht den päpstlichen Legaten Annibaldo
Ceccano durch Birgitta auf den kirchlichen Verfall
in Rom in der Zeit vor dem Jubeljahr 1350 aufmerksam.
Das Kapitel ist mit III, 10 so gut wie identisch.
Offenbarungen, gegeben nach 1350 in Rom.
79.
Ein Priester an einer der „Unserer Frau“ geweihten
Basiliken in Rom (S. Maria Maggiore, S. Maria
in Trastevere?) hat Birgitta um geistlichen
Rat gebeten. Birgitta erklärt sich bereit, seiner
Bitte zu entsprechen.
80.
Birgitta entwirft für denselben römischen Priester
ein Tagesprogramm.
81.
Maria spricht mit Birgitta über einen Ritter
aus Schonen, aus Halland und aus Schweden[3],
lässt sie ermahnen und warnen und erklärt in
diesem Zusammenhang, welche Tränen Gott wohlgefällig
sind.
Undatierbare Offenbarungen.
82.
Christus schärft Birgitta ein, wie wichtig eine
reine Sehnsucht, Weltverachtung und eine ständige
Betrachtung von Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit
ist.
83.
Christus erklärt, wie die Menschenseele als
ein Diener, ein Sohn und eine Ehefrau vor Gott
sein soll.
84.
Christus schärft die Pflicht der Frau ein, dem
Manne untertänig zu sein.
85.
Christus spricht mit Birgitta über einen Mann,
der seine Barmherzigkeit von sich abgewiesen
hat, und stattdessen seine Gerechtigkeit erfahren
muss.
86.
Maria spricht mit Birgitta über ihre Macht,
allen Menschen Gnade zu vermitteln.
87.
Christus ermahnt Birgitta und alle seine Getreuen,
alles um seinetwillen zu verlassen.
88.
Christus vergleicht die Gesinnung der Frommen
und der Weltmenschen mit gut ausgerüsteten oder
schadhaften Schiffen. Offenbarung, 1350 oder
später in Italien.
89.Christus
verordnet verschiedene Tugenden, verglichen
mit der Kleidung und den Waffen eines Ritters,
und schreibt Gebete vor. Das Kapitel ist zu
vergleichen mit IV, 74.
Undatierbare Offenbarungen.
90.
Christus beschreibt, wie er seine Getreuen mit
sich vereinigt hat, ihnen weltliches Begehren
abgenommen hat und ihnen die Lust zum Guten
eingegeben hat.
91.
Christus ermahnt Birgitta zur Demut.
92.
Christus beschreibt, wie seine Freunde mit ihm
vereint sind, wenn sie seinen Willen befolgen.
Offenbarung, um 1345 in Schweden.
93.
Christus spricht mit Birgitta über einen Mönch,
der aus selbstsüchtigen Beweggründen ins Kloster
gegangen ist und deshalb ein sehr mühsames Klosterleben
bekommen hat. Aus dem Zusatz geht hervor, dass
der Mönch sich infolge der Ermahnung Birgittas
auf dem Totenbett gebessert hat.
Undatierbare Offenbarungen.
94.
Christus gibt Birgitta Gebete, die gelesen werden
sollen, wenn sie sich ankleidet, wenn sie zu
Tisch geht und wenn sie zu Bett geht.
95.
Christus beschreibt die Sünden seiner Feinde
und sagt ihre baldige Bestrafung voraus.
96.
Christus spricht weiter über die Bestrafung,
die seinen Feinden bevorsteht.
97.
Christus ermahnt einen Prälaten durch Birgitta,
Demut und Eifer zur Errettung der Seelen zu
haben (Italienzeit?).
98.
Christus ermahnt seine Freunde, fleißig an der
Bekehrung der Bösen zu arbeiten.
99.
Christus deutet an, wie die jetzt lebenden Menschen
seine Pein erneuern.
100.
Christus ermahnt Birgitta zur Demut.
101.
Maria beschreibt die Liebe ihres Sohnes zu den
Menschen. Offenbarung in Italien nach 1350.
102.
Birgitta bezeugt das Urteil über die Seele eines
verstorbenen Mönchs. Der Mönch wird wegen Mangels
an Gehorsam und Gottesliebe zur Hölle verdammt.
Offenbarungen in Schweden um 1345.
103.
Der hl. Dionysius, Frankreichs Schutzheiliger[4]
bittet die Jungfrau Maria um Hilfe für das von
den Engländern bedrängte Frankreich. Die Situation
ist die des Hundertjährigen Krieges. Birgitta
hatte während ihrer Reise nach Westeuropa 1341-43
einen Eindruck von diesem Krieg bekommen und
vergaß nie, was sie da erlebte. Um 1346 reiste
Bischof Hemming von Åbo und Prior Petrus von
Alvastra in ihrem Auftrag nach Frankreich, um
Frieden zu vermitteln. Sie führten bei dieser
Gelegenheit Abschriften von diesem und den beiden
folgenden Kapiteln mit sich.
104.
Die Jungfrau Maria beklagte sich vor Christus
über die streitenden Könige von England und
Frankreich und bittet ihn, sich über das arme
Volk zu erbarmen, das vom Kriege heimgesucht
wird.
105.
Christus antwortet auf das Gebet seiner Mutter
und spricht seine Befehle an die beiden Könige
aus.
Undatierbare
Offenbarung.
106.
Christus tröstet Birgitta in der Stunde der
Versuchung und gibt Beispiele von Heiligen,
die ihren Glauben und ihre Standhaftigkeit unter
den Versuchungen bewahrt haben. Offenbarungen
in Italien nach 1350.
107.
Christus spricht mit Birgitta über einen sizilianischen
Mönch, der sich allen göttlichen Eingebungen
widersetzt hat, um stattdessen seinem eigenen
Willen zu folgen. Er ermahnt ihn, sich zu bekehren
und zu bessern. Aus dem Zusatz geht hervor,
dass der Mönch wirklich die von Birgitta übermittelte
Botschaft beherzigt hat.
Undatierbare
Offenbarungen.
108.
Christus preist die kluge, maßvolle Enthaltsamkeit,
die seine Mutter Maria, Johannes der Täufer
und Maria Magdalena geübt haben.
109.
Maria beschreibt, wie man unnütz verbrachte
Zeit durch fromme Werke wieder gutmachen kann.
110.
Christus lehrt Birgitta, gute und böse Eingebungen
zu unterscheiden und letztere zu vertreiben.
111.
Christus beschreibt Birgitta, was das geistliche
Gesetz, d.h. sein Wille, in sich schließt, und
welche Verpflichtungen und Belohnung es mit
sich bringt.
112.
Christus beschreibt die Hochmütigen und vergleicht
sie mit Schmetterlingen. Offenbarungen 1344-49
in Schweden.
113.
Christus tadelt einen schwedischen Ritter (Nikolaus
Ingevaldsson) für seine Gewinnsucht. Aus dem
Zusatz geht hervor, dass dieser Ritter, der
Birgitta vorher verhöhnt hatte, sich später
mit Birgitta versöhnte und einen frommen Tod
in Rom starb.
114.
Christus tadelt einen schwedischen Papst wegen
seiner knechtischen Furcht. Im Zusatz wird von
den Wallfahrten desselben Mannes in Italien
erzählt.
115.
Christus spricht mit Birgitta über eine
Person, die lange vom Teufel beherrscht war,
jetzt aber befreit werden soll.
Undatierbare
Offenbarungen.
116.
Christus klagt über die Missachtung, die die
Menschen ihm jetzt zeigen, und über die Sakramente,
die er gestiftet hat.
117.
Birgitta bezeugt, wie Gott einem Mann geistliche
Gnadengaben verspricht, der mit frommer Gesinnung
ein Vaterunser gelesen hat.
118.
Christus spricht vom Zusammenwirken von Gottes
Gnade und dem freien Willen des Menschen.
119.
Maria beschreibt die Herrlichkeit und Erniedrigung
ihres Sohnes.
120.
Christus schreibt Gebete vor, die gelesen werden
sollen, wenn die Seele eine Neigung für das
Liebliche oder Natürliche verspürt. Offenbarungen
in Schweden 1344-49.
121.Die
Bekehrung des Alvastramönches Gerekinus wird
Birgitta offenbart. Der Zusatz berichtet von
einem ekstatischen Erlebnis dieses Mönchs und
seinem Tod.
122.
Christus tadelt und warnt den weltlichen Knut
Folkesson einen Neffen von St. Brynolf, dem
Bischof von Skara. Der Zusatz berichtet von
der Feindschaft Herrn Knuts zu Birgitta und
von seinem plötzlichen Tod.
123.
Christus beschreibt, wie er Birgitta aus ihrer
Liebe zur Welt und der Herrschaft ihres Eigenwillens
zu sich gezogen hat. Offenbarung in Italien
nach 1350.
124.
St. Agnes beschreibt sieben Edelsteine in Birgittas
Krone, die Kränkungen darstellen, die Birgitta
geduldig ertragen hat. Offenbarungen, wahrscheinlich
1344-49 in Schweden.
125.
Christus beschreibt sieben Bischöfe und vergleicht
sie mit sieben verschiedenen Tieren. Der einzige
von ihnen, der namentlich genannt wird, ist
der siebente, Bischof Hemming von Åbo; der erste
und zweite werden als Bischof Thomas von Växjö
und Erzbischof Peter Tyrgilsson von Uppsala
identifiziert, während man in dem dritten Bischof
Ödgisl von Västerås vermuten kann.
126.
Maria und Christus erteilen einem schwedischen
Bischof ausführliche Ratschläge und Ermahnungen.
Sie sind großenteils eine Wiederholung von denen,
die in Buch III, 1-3 gegeben werden. Offenbarungen
in Italien nach 1350.
127.
Ein italienischer Eremit vom Benediktinerorden
begehrt Klarheit in der Frage, wie weit die
jetzige üppige Tracht der Benediktinermönche
als übereinstimmend mit Gottes Willen und der
Anordnung des hl. Benedikt bezeichnet werden
kann. Birgitta fragt Christus um Rat, und dieser
äußert sein Missfallen. Das Kapitel erzählt
weiter vom Tode eines Mönchs und seinem baldigen
Eintritt ins Himmelreich.
128.
Auf Marias Ermahnung rät Birgitta einem Benediktiner-Eremiten,
sein rein kontemplatives Leben manchmal zu unterbrechen,
um die Frucht seiner Betrachtung auch anderen
mitzuteilen, mit anderen Worten, ein apostolisches
Werk zu vollbringen.
129.
Christus ergänzt seine in Kapitel 2 gegebenen
Anweisungen für die, die an der Bekehrung der
schlechten Christen und der Heiden arbeiten
wollen. Wenn diese Offenbarung vielleicht aus
der schwedischen Zeit stammt, so gilt dies doch
nicht von dem Zusatz, der von Birgittas Erlebnis
in der italienischen Stadt Salerno erzählt,
wohin sie eine Wallfahrt unternommen hatte,
um die Reliquien des hl. Matthäus zu ehren.
130.
Christus ergänzt seine in Kapitel 125 gegebene
Beschreibung der schwedischen Bischöfe. Dazu
beschreibt sie noch einen Bischof, Birger Gregersson,
der 1366 Peter Tyrgilsson als Erzbischof von
Uppsala folgte.
131.
Bericht von Birgittas Erlebnis am italienischen
Wallfahrtsort Monte Gargano, wo die Engel Gegenstand
einer besonderen Huldigung bildeten.
Undatierbare
Offenbarungen.
132.
Christus spricht über die großen Verpflichtungen,
die er den Priestern auferlegt hat, und wie
schlecht sie diese Verpflichtungen erfüllen.
Durch ihren schlechten Lebenswandel kreuzigen
sie ihn von neuem, sagt er.
133.
Christus klagt über die Gewinnsucht, die Selbstsucht
und die Liederlichkeit der Priester und über
das schlechte Beispiel, das sie den Laien geben.
134.
Birgitta bezeugt das Gericht über die Seele
eines verstorbenen Priesters. Der Priester wird
wegen seiner Ausschweifungen und seiner Verhärtung
den Teufeln überlassen.
135.
Christus erklärt weiter, warum der im vorigen
Kapitel genannte Priester zur Hölle verurteilt
wird. Er schildert die Weltlichkeit der jetzigen
Priester und ihre Trägheit in Gottes Dienst.
Offenbarungen
in Italien nach 1350.
136.
Christus sagt ein paar zustimmende Worte über
Innocentius, Papst von 1352-62.
137.
Birgitta legt Papst Urban V. (1362-70), der
sich 1367-70 in Italien aufhielt, eine göttlich
inspirierte Bittschrift um Anerkennung der Regel
vor, die sie für die Mönche und Nonnen in Vadstena
verfasste. Sie bittet auch darum, dass der Papst
den Besuchern des neuen Klosters denselben Ablaß
gewähren möge, d.h. den Nachlaß zeitlicher Sündenstrafen,
wie er den Besuchern der Kirche S. Pietro in
Vincoli in Rom bewilligt wurde.
138.
Zu Anfang des Jahres 1370 hat Urban V. Pläne,
nach Avignon zurückzukehren, wo die Päpste seit
Beginn des Jahrhunderts residierten. Birgitta
sucht ihn damals in Fontefiascone auf und legt
ihm ein göttlich inspiriertes Schreiben vor,
in dem der Papst gewarnt wird. Italien zu verlassen.
139.
An Gregorius XI., Papst von 1370-78, der bis
auf weiteres in Avignon residierte, sendet Birgitta
– wahrscheinlich Anfang 1371 einen Brief. In
dem Brief erzählt sie, dass Maria sich ihr offenbart
habe und ständigen Schutz für Gregorius versprochen
habe, wenn er seine Residenz nach Rom verlegte
und mit der Reform der Kirche beginnen würde.
140.
Birgitta sendet etwas später einen neuen Brief
an Papst Gregorius XI. und wiederholt darin
die früher ausgesprochene Ermahnung, die päpstliche
Residenz zurück nach Rom zu verlegen, die Hauptstadt
der Kirche von altersher. Ihr Beichtvater Alfons,
früher Bischof von Jaen, und ihr Freund Graf
Nikolaus Orsini von Nola, befördern den Brief
zum Papst.
141.
Nach ihrer Pilgerfahrt nach Jerusalem befindet
sich Birgitta Anfang 1373 in Italien. Dort empfängt
sie am 26 Januar eine Offenbarung über Papst
Gregorius XI. Christus versichert ihr, dass
es dem Papst möglich wäre, von Frankreich nach
Rom überzusiedeln.
142.
Im Februar 1373 schreibt Birgitta, die sich
weiter in Neapel aufhält, einen Brief an Papst
Gregorius XI. Sie mahnt erneut in Gottes Auftrag,
seine Residenz nach Rom zu verlegen. „Komm also,
und zögere nicht!“ Alfons fährt mit dem Brief
nach Avignon und legt ihn dem Papst vor.
143.
Birgitta ist von Neapel nach Rom zurückgekehrt.
Von dort sendet sie im Juli 1373, ganz kurz
vor ihrem Tod[5], einen Brief an ihren Freund
Alfons, der sich noch in Avignon aufhält, und
bittet ihn, dem Papst den Inhalt des Briefes
mitzuteilen. Der Brief hat denselben Inhalt
wie der vorige. „Da der Papst zweifelt, ob er
nach Rom kommen müsste, um den Frieden wieder
herzustellen und meine Kirche zu reformieren,
so erkläre ich (Christus), es ist mein Wille,
dass er jetzt bis zum Herbst kommt, und kommt
um zu bleiben.“
144.
Birgitta schaut einen verstorbenen Papst (Urban
V.?) im Fegefeuer.
[1]. 1346-1378.
[2]. Steffen, S. 287 ff.
[3]. Schonen und Halland gehörten damals noch
zu Dänemark.
[4]. Gemeint ist Dionysius v. Paris, 1. Bischof
von Paris und Märtyrer; gest. wohl um 250.
[5]. Birgitta starb am 23.07.1373.
Hier beginnt das vierte
Buch der himmlischen Offenbarungen der hl. Birgitta
von Schweden.
Die Hölle
brennt so heiß, dass – wenn die ganze Welt mit
allem, was darin ist, brennen würde, so wäre
sie doch nicht damit zu vergleichen. Da beginnen
und enden alle ihre Rede mit „Weh!“ Die Finsternis
darum herum heißt Limbus. Beide sind sie aber
eine einzige Hölle, und der, der dort hineinkommt,
kann niemals bei Gott wohnen.
Oberhalb dieses Dunkels herrscht die schwerste
Pein des Fegefeuers, das die Seelen ertragen
können. Die Seelen werden da der Berührung mit
den Teufeln ausgesetzt und – um im Gleichnis
zu sprechen – mit giftigen Reptilien und wilden
Raubtieren. Dort herrscht Hitze und Kälte, dort
ist Dunkelheit und Qual, und all dies rührt
von der Pein in der Hölle her. Außerhalb des
Platzes gibt es einen anderen Platz, wo eine
geringere Pein herrscht, die nichts anderes
ist, als eine Entkräftung beim Aufhören einer
Krankheit.
Es gibt noch einen dritten und höheren Platz,
wo es keine andere Plage gibt als die Sehnsucht,
in Gottes Nähe und zu seinem Seligmachenden
Anblick zu gelangen. Die Seelen, die sich an
diesen drei Stellen aufhalten, nehmen Teil an
den Gebeten der Kirche und den guten Taten,
die auf der Welt getan werden, besonders von
ihren Freunden.
1. Kapitel |
|
Der Evangelist
Johannes tadelt König Magnus Eriksson
und ermahnt ihn zu einem frommeren Leben.
Offenbarung, wahrscheinlich in Schweden
1344-49.
Der Braut (Birgitta) zeigte sich
die Gestalt eines Mannes, dessen Haar
rings von Schmach umgeben war, und dessen
Leib mit Öl übergossen war; er war ganz
entblößt, aber schämte sich doch nicht[1].
Er sagte zur Braut: „Die Schrift, die
Ihr heilig nennt, sagt, dass keine Tat
unbelohnt bleiben wird. Das ist die
Schrift, die bei Euch „Bibel“ genannt
wird. Bei uns ist sie strahlend wie
die Sonne, kostbarer als Gold und fruchtbar
wie die Saat, die hundertfache Frucht
bringt.
Denn so wie Gold andere Metalle übertrifft,
so übertrifft die Schrift, die Ihr „die
heilige“ nennt, aber wir im Himmelreich
die goldene, alle anderen Schriften,
denn in ihr wird der wahre Gott geehrt
und gepriesen, werden die Toten der
Patriarchen im Gedächtnis bewahrt und
durch Eingebungen der Propheten erklärt.
Und deshalb, weil keine Tat ohne Belohnung
ist, so höre, was ich sage!
Der König, für den du bittest, ist vor
Gott ein Räuber und Verräter der Seelen
und ein unermesslicher Verschwender
von Reichtümern. Und weil kein Verräter
schlimmer ist als der, der den verrät,
der ihn liebt, so verrät dieser auf
geistliche Weise viele, denn er liebt
die Ungerechten fleischlich und erhöht
Unrechterweise die Gottlosen, bedrückt
die Gerechten und verschließt die Augen
vor Übertretungen, die bestraft werden
müssten.
Andererseits ist kein Räuber schlimmer
als der, der den verrät, der sein Haupt
in seinen Schoß legt. So hat dieser
König den Bauernstand traurig ausgeplündert,
der sozusagen in seinem Schoße ruhte,
indem er manchen die Güter wegnehmen
ließ und anderen untragbare Lasten auferlegte,
das Unrecht von manchen absichtlich
übersah und die Gerechtigkeit immer
nur sehr schlaff ausübte.
Drittens ist kein Dieb schlimmer als
der, der seinen Herrn bestiehlt, der
ihm alles anvertraut und ihm seine Schlüssel
übergeben hat. Aber dieser (König) hat
die Schlüssel zu Macht und Ehre empfangen,
die er auf ungerechte und verschwenderische
Weise benutzt hat; nicht zu Gottes Ehre.
Aber weil er aus Liebe zu mir auf manche
Dinge verzichtet hat, die ihm gefielen,
so rate ich ihm drei Dinge. Erstens,
dass er handeln soll, wie der verlorene
Sohn im Evangelium, der den Schweinetrog
verließ und zum Vater zurückkehrte.
Er soll nämlich Reichtum und Ehre verachten,
was im Vergleich mit dem Ewigen wie
ein Schweinetrog ist, und mit Demut
und Frömmigkeit zu Gott, seinem Vater,
zurückkehren. Zweitens soll er die Toten
ihre Toten begraben lassen und dem schmalen
Weg des gekreuzigten Gottes folgen.
Drittens soll er die schwere Last seiner
Sünden ablegen und den Weg einschlagen,
der anfangs schmal, aber am Ende voll
Freude ist.
Aber du magst verstehen, dass ich der
bin, der die goldene Schrift voll und
ganz verstanden hat und deshalb im Stande
war, sie zu erweitern. Ich wurde schimpflich
entblößt, aber nachdem ich das geduldig
ertrug, bekleidete Gott meine Seele
mit einem unvergänglichen Gewand. Ich
wurde auch mit Öl begossen, und deshalb
genieße ich nun das Öl der ewigen Freude.
Nächst der Mutter Gottes erhielt ich
den leichtesten Tod, nachdem ich ihr
Beschützer war, und mein Leichnam ruht
auf dem friedvollsten und sichersten
Platz.“
[1]. Nach der
Legende wurde der Evangelist Johannes
außerhalb von Rom in einem Kessel mit
Öl gekocht, ohne Schaden zu nehmen.
Er zeigt sich nun Birgitta in diesem
Aufzug. – König Magnus Eriksson verehrte
im Evangelisten Johannes seinen Schutzpatron.
Die Offenbarung gilt also ihm. |
2. Kapitel |
|
Christus gibt
seine Sorge über die schlechten Christen
und Heiden zu erkennen und ermahnt seine
Freunde, an ihrer Bekehrung zu arbeiten.
Offenbarung, wahrscheinlich in Italien
um 1350.
Dann bekam die Braut zwei Waagschalen
zu sehen, die über der Erde hingen.
Die Spitze, wo sie zusammengebunden
waren, ging bis hinauf in die Wolken,
und ihre Zirkel drangen durch den Himmel.
In der einen Waagschale war ein Fisch,
dessen Schuppen scharf wie ein Rasiermesser
waren, dessen Augen wie die eines Basilisken
waren, dessen Maul wie das eines Giftsprühenden
Einhorns war, und dessen Ohren wie der
schärfste Speer, ja wie Stahlklingen
waren.
In der anderen Waagschale war ein Tier,
dessen Fell wie Feuerstein war, dessen
gewaltiges Maul lodernde Flammen aussandte,
dessen Augenbrauen wie die schärfsten
Schwerter waren, dessen äußerst harte
Ohren die schärfsten Pfeile abschossen,
als ob sie ein straff gespannter Bogen
wären.
Dann zeigten sich drei Volksscharen
auf der Erde. Die erste war klein, die
zweite geringer, die dritte am aller
kleinsten. Ihnen rief eine Stimme vom
Himmel zu: „O meine Freunde, ich verlange
gewaltig nach dem Herzen dieses seltsamen
Tieres. Wenn es doch jemanden gäbe,
der mir das aus Liebe beschaffen würde!
Ebenso sehne ich mich sehr nach warmem
Fischblut. Wenn ich bloß einen Menschen
finden könnte, der mir das beschaffe!“
Eine Stimme aus den Volkshaufen antwortete
wie aus dem Munde aller: „O unser Schöpfer,
wie könnten wir dir das Herz eines solchen
Tieres geben? Seine Haut ist ja härter
als Feuerstein. Wenn wir uns seinem
Maul nähern, werden wir von dem Feuer
verbrannt, das dort brennt. Wenn wir
seine Augen betrachten, durchdringen
uns die Funken seiner Pfeile. Und wenn
es auch eine Hoffnung gäbe, das Tier
zu bekommen – wer könnte aber den Fisch
fangen? Seine Flossen und Schuppen sind
schärfer als Schwertspitzen. Seine Augen
bringen unsere Sehkraft zum Erlöschen.
Sein Maul spritzt unheilbares Gift auf
uns.“
Die Stimme vom Himmel antwortete und
sagte: „Freunde – das Tier und der Fisch
scheinen euch unüberwindlich, aber in
den Augen des Allmächtigen ist das leicht.
Jedem, der ein Mittel sucht, das Tier
zu bekämpfen, werde ich vom Himmel Weisheit
und Kraft bescheren. Jedem, der bereit
ist, für mich zu sterben, will ich mich
selbst zur Belohnung geben.“
Die erste Schar erwiderte: „Höchster
Vater, du bist der Geber alles Guten.
Wir sind deiner Hände Werk. Gern geben
wir dir unser Herz zu deiner Ehre. Das
übrige, was außerhalb des Herzens ist,
müssen wir zum Unterhalt des Leibes
und zur Erquickung benutzen. Und da
uns der Tod so hart erscheint, die Schwachheit
des Fleisches beschwerlich und unser
Wissen sehr gering ist, so lenke du
uns innerlich und äußerlich, nimm huldreich
an, was wir dir schenken, und vergilt
uns, so wie es dir gefällt.“
Die zweite Schar entgegnete: „Wir sind
uns unserer Schwachheit bewusst und
merken die Eitelkeit und Veränderlichkeit
der Welt. Deshalb wollen wir dir gern
unser Herz geben und legen all unseren
Willen in andere Hände, denn wir wollen
lieber anderen untertan sein, als das
Geringste von der Welt zu besitzen.“
Die dritte Schar gab zur Antwort: „Höre,
Herr, da du das Herz des Tieres haben
möchtest und nach dem Blut des Fisches
dürstest! Gern wollen wir dir unser
Herz schenken, und wir sind bereit,
für dich zu sterben. Verleih du Weisheit,
so werden wir eine Möglichkeit suchen,
das Herz des Tieres zu finden!“
Da sagte die Stimme vom Himmel: „Mein
Freund, wenn du das Herz des Tieres
erlangen willst, so treibe einen spitzen
Bohrer mitten durch deine Hände, nimm
dann das Augenlid des Walfisches und
kleb es mit mit dem stärksten Pech an
deine, nimm weiter eine Stahlplatte
und binde sie so an dein Herz, dass
die breite Oberfläche der Stahlplatte
deinem Herzen am nächsten kommt, zieh
die Nasenlöcher zusammen, zieh den Atem
tief im Halse ein und geh so mit geschlossenem
Mund und angehaltenem Atem mutig auf
das wilde Tier los. Wenn du zum Tier
hinkommst, so fasse es mit beiden Händen
an den Ohren. Seine Pfeile werden dir
dann nicht schaden, sondern durch die
offenen Nasenlöcher in deine Hände dringen.
Geh weiter mit geschlossenem Mund auf
das Tier los, und wenn du ihm ganz nah
auf den Leib gerückt bist, so blase
ihm deinen ganzen Atem ein. Dann werden
dir die Flammen des Tieres nicht schaden,
sondern werden in das Tier selbst eindringen
und es in Brand setzen. Gib genau Acht
auf die Schwertspitzen, die aus den
Augen des Tieres ragen! Drück sie hart
gegen deine eigenen Augen, die mit den
Augenlidern des Walfisches bewaffnet
sind! Bei dieser Berührung wird das
Schwert des Tieres sich entweder biegen
oder in sein Herz eindringen.
Gib auch genau Acht, wo das Herz des
Tieres schlägt! Befestige die Schneide
der Stahlplatte da, so dass sie durch
die Haut des Tieres dringt, die wie
Feuerstein ist! Und wenn der Feuerstein
dann bricht, so sollst du wissen, dass
das Tier verendet, und dass sein Herz
dann mir gehört. Wenn es ein Pfund wiegt,
werde ich dem, der sich bemüht hat,
hundert geben. Wenn der Feuerstein nicht
bricht, sondern das Tier dem Menschen
schadet, so werde ich den verletzten
Mann heilen und ihn auferwecken, wenn
er tot sein sollte.
Wer mir den Fisch verschaffen will,
soll mit einem Netz in Händen an den
Strand gehen – einem Netz, das nicht
mit Fäden zusammengebunden ist, sondern
mit dem kostbarsten Metall. Er soll
ins Wasser steigen, aber nicht weiter
als bis an die Knie, so dass ihm die
Wellen nicht schaden. Und er soll den
Fuß fest auf die Stelle setzen, wo fester
Boden ist, und wo der Sand ohne Schmutz
ist. Dann soll er sein eines Auge zumachen
und dieses geschlossene Auge dem Fisch
zuwenden, dessen Sehkraft wie die eines
Basilisken[1] ist; der wird dann nichts
gegen den Mann ausrichten können.
Dieser soll weiter einen Schild aus
Stahl auf den Arm nehmen; dann wird
der Schlangenbiss ihm nicht schaden.
Dann soll er sein Netz so hart und doch
so behutsam über den Fisch ausbreiten,
dass der Fisch die Netzfäden mit seinen
rasiermesserscharfen Flossen nicht zerschneiden
aber durch eine Kraftanstrengung daraus
entweichen kann. Wenn er den Fisch wahrnimmt,
soll er sein Netz hoch über ihn ausbreiten.
Wenn er den Fisch 10 Stunden über Wasser
hält, stirbt er. Er soll ihn dann zum
Strand tragen, ihn mit dem Auge ansehen,
das er nicht geschlossen hat, die Hand
auf ihn legen, ihm am Rücken öffnen,
wo das meiste Blut ist, und ihn so seinem
Herrn darbieten. Wenn der Fisch entkommt,
an einen anderen Strand schwimmt und
dem Mann mit seinem Gift schadet, so
bin ich imstande, die Wunde zu heilen.
Die Belohnung für das Blut wird nicht
geringer, als für das Herz des Tieres.“
Zuletzt sagte Gott: „Diese Waagschalen
bedeuten, als wenn jemand sagte: „Schone
und dulde! Warte und erbarme dich!“,
und als wenn jemand das Unrecht eines
anderen sehen würde und ihn ständig
ermahnte, mit dem Bösen aufzuhören.
So steige ich, Gott, der Schöpfer aller
Dinge manchmal wie eine Waagschale zum
Menschen nieder, indem ich ihn ermahne,
ihn schone und ihn durch Heimsuchungen
prüfe. Manchmal steige ich auch auf,
indem ich den Sinn der Menschen erleuchte
und entzünde und sie mit ungewöhnlicher
Gnade beschenke.
Dass das Verbindungsband der Waagschalen
bis zum Himmel reicht, das bedeutet,
dass ich, der Gott von allen, alle aufrecht
erhalte, sowohl Heiden als auch Christen,
Freunde wie Feinde, und sie mit meiner
Gnade erleuchte und besuche, wenn es
auch nur einige geben würde, die auf
meine Gnade reagieren würden, und ihren
Willen und Begehren vom Bösen abwenden
wollten.
Das Tier bezeichnet die, die die heilige
Taufe empfangen haben und ins Zeitalter
der Vernunft gekommen sind, aber die
Worte des Evangeliums nicht befolgen,
ohne ihr Herz und ihren Mund dem Irdischen
zugewandt haben, ohne an das Geistliche
zu denken. Der Fisch bezeichnet die
Heiden, die in den Wogen der Begierde
Umhärtreiben. Deren Blut ist gering,
d.h. ihr Glaube und ihr Verlangen nach
Gott ist klein. Daher möchte ich das
Herz des Tiers und das Blut des Fisches
haben, wenn es nur einige geben würde,
die in ihrer Liebe versuchen würden,
mir die zu verschaffen.
Die drei Scharen sind meine Freunde.
Die erste besteht aus denen, die die
Welt verständig benutzen, die zweite
aus denen, die ihr Eigenes verlassen
und demütig gehorchen, die dritte aus
denen, die bereit sind, für Gott zu
sterben.“
[1]. Auf orientalische
Vorstellungen zurückgehendes antikes
und mittelalterliches Fabelwesen mit
tödlichem Blick, das von einer Schlange
oder Kröte aus einem Hühnerei ausgebrütet
sein soll und meist als Hahn mit einem
Schlangenschwanz dargestellt wurde. |
3. Kapitel |
|
Birgitta fragt
Christus, wie weit das von Magnus Eriksson
erworbene Schonen mit Recht zu Schweden
gehört, wie weit es richtig war, dass
Prinz Erik, Magnus’ älterer Sohn, das
Wahlreich Schweden erhielt, und wie
weit es richtig war, das Magnus’ jüngerer
Sohn, Prinz Håkon, das Erbreich Norwegen
nach seinem Onkel Håkon Håkonsson erhielt.
Die erste Frage wird mit ja beantwortet,
die beiden letzteren mit nein – der
jüngere Sohn hätte das Wahlreich bekommen
sollen, und der ältere das Erbreich.
Offenbarung, wahrscheinlich in Schweden
1344-49.
O Herr“, sagte die Braut, „sei nicht
erzürnt, wenn ich frage. Ich habe aus
der Schrift gehört, dass nichts zu Unrecht
erworben werden darf, und dass nichts,
was man erworben hat, gegen die Gerechtigkeit
behalten werden darf. Nun hat dieser
König ein Land, von dem manche sagen,
dass er es mit Recht hat, andere sagen
das Gegenteil. Daher ist es verwunderlich,
wenn du ihm das duldest, was du bei
anderen verwirfst.“
Gott erwiderte: „Nach der Sintflut blieben
keine anderen Menschen übrig als die,
die in Noahs Arche waren. Von ihnen
stammt ein Geschlecht, das nach Osten
wanderte, und einige von diesem Geschlecht
kamen nach Schweden. Ein anderes Geschlecht
kam nach Westen, und davon stammten
einige, die nach Dänemark kamen. Die,
die zuerst begannen, das Land zu bearbeiten,
das nicht vom Wasser umgeben war, die
eigneten sich nichts von dem Land derer
an, die diesseits des Wassers und auf
den Inseln wohnten, sondern jeder begnügte
sich mit dem, was er gefunden hatte,
wie es über Lot und Abraham geschrieben
steht, dass Abraham sagte: „Wenn du
nach rechts gehst, werde ich mich nach
links halten.“
Das war, als ob er sagen wollte: „Was
du dir aneignest, das soll dir und deinen
Erben gehören.“ Dann kamen im Lauf der
Zeit Richter und Könige, die sich mit
ihren Ländern begnügten und nicht das
Gebiet von denen einnahmen, die auf
den Inseln und diesseits des Wassers
wohnten; ein jeder hielt sich in dem
Lande seiner Vorväter auf.“
Sie (Birgitta) fragte: „Wenn ein Teil
des Reiches durch irgendein Geschenk
verloren geht, soll der Teil nicht von
den Nachkommen zurückgefordert werden?“
Gott antwortete ihr: „In einem Reiche
wurde eine Krone verwahrt, die dem König
gehörte. Das Volk, das meinte, ohne
König nicht bestehen zu können, wählte
sich einen König und ließ dem gewählten
König die Krone zur Verwahrung; sie
sollte dann als Erbe an den kommenden
König übergehen. Wenn nun dieser gewählte
König einen Teil der Krone veräußern
wollte, so könnte und müsste der kommende
König sie sicher zurückverlangen, denn
von der Krone darf nichts abhanden kommen,
und der König darf zu seinen Lebzeiten
die Krone des Reiches nicht vermindern,
oder sie ohne einen vernünftigen Grund
aus der Hand geben, falls es einen solchen
geben sollte.
Denn was ist die Krone des Reiches anderes,
als die königliche Macht? Was ist das
Reich anderes, als das Volk, das darin
wohnt? Und was ist der König anderes,
als das Volk, das darin wohnt? Und was
ist der König anderes, als der Vormund
des Reiches und des Volkes, der die
Macht aufrecht erhält? Deshalb darf
der Bewahrer und Verteidiger der Krone
die Krone keinesfalls zum Nachteil für
den kommenden König teilen oder vermindern.“
Die Braut wandte ein: „Aber wenn der
König aus Notwendigkeit oder durch Gewalt
gezwungen wird, einen Teil der Krone
abzugeben?“ Gott erwiderte: „Wenn zwei
Männer in einen Streit geraten, und
der eine, der mächtiger ist, nicht nachgeben
will, wenn dem anderen nicht ein Finger
abgehackt wird – wem würde der abgehackte
Finger wohl gehören, wenn nicht dem,
der den Schaden erlitten hat?
So verhält es sich auch mit dem Reich.
Wenn ein König aus Zwang oder infolge
von Gefangenschaft das Reich um einen
Teil verkleinern würde, so kann es ein
künftiger König gewiss verlangen. Der
König ist nämlich nicht Herr der Krone,
sondern ihr Verwalter, und Not macht
kein Gesetz.“ Sie fragte: „Wenn der
König zu Lebzeiten einem Herrn einen
Teil der Krone überträgt, und wenn dieser
Herr und sein Nachfolger nach dem Tod
des Königs als sein Eigentum behalten
würde, müsste das dann nicht zurückgefordert
werden?“ Der Herr erwiderte: „Gewiss
müsste das Land an den gesetzlichen
Eigentümer zurückgehen.“
Sie fuhr fort: Wenn ein Teil der Krone
an jemanden verpfändet würde, um eine
Schuld zu tilgen, und dieser würde viele
Jahre lang die Steuern bezahlen und
dann sterben, wonach der Landstrich
in die Hände eines anderen kommt, der
gar kein Recht darauf hatte, nachdem
es ihm nicht geliehen oder verpfändet
wurde, sondern es durch einen Zufall
erhalten hat, es aber nicht ohne einen
Geldersatz zurückgeben will – was wäre
da zu tun?“
Der Herr sagte: „Wenn jemand einen Goldklumpen
in der Hand hält und zu dem, der bei
ihm steht, sagen würde: „Dieser Goldklumpen
gehört dir; wenn du ihn haben willst,
sollst du mir so und so viel Pfunde
geben“ – gewiss müssten ihm dann diese
Pfunde gegeben werden. Denn wenn ein
Land gewaltsam eingenommen und in Frieden
besessen wird, soll es auf kluge Weise
zurückverlangt werden und nach berechnetem
Schadenersatz zurückerworben werden.
Und ebenso, wenn der neugewählte König
auf einen Stein gehoben wird[1], um
vom Volk gesehen zu werden, das bedeutet,
dass er die Macht und Herrschaft für
die übrigen Teile des Reiches hat, so
gehört auch das Land in dem niederen
Teilen, sowohl durch erbliches Recht
als auch durch Kauf oder Rückkauf, zum
Reich. Deshalb soll der König bewahren,
was er bekommen hat, denn wenn er anders
handelt, kann es geschehen, dass er
die Herrschaft verliert und in einen
Untertanen verwandelt wird.“
Wieder sagte die Braut: „O Herr, zürne
nicht, wenn ich noch einmal frage. Dieser
König hat zwei Söhne und zwei Reiche.
In dem einen Reich wird der König mit
erblichem Recht eingesetzt, und in dem
anderen nach Ermessen des Volkes. Aber
jetzt ist man umgekehrt verfahren, denn
der jüngere Sohn wurde zum König im
Erbreich gewählt, und der ältere im
Wahlreich.“
Gott erwiderte: „Bei denen, die sie
gewählte haben, gab es drei unangebrachte
Eigenschaften, und die vierte war in
überreichem Maß vorhanden: Ungeordnete
Liebe, gespielte Klugheit, Schmeichelei
von törichten Menschen und Misstrauen
gegenüber Gott und dem Volk. Deshalb
erfolgte ihre Wahl gegen das Recht,
gegen Gott, gegen das Wohl des Staates
und den Nutzen der Allgemeinheit. Deshalb
ist es notwendig, damit der Frieden
zum Nutzen des Volkes bewahrt wird,
dass der ältere Sohn das Erbreich zurückerhält,
während das Wahlreich dem Jüngeren zufällt.
Ja, wenn man das, was geschehen ist,
nicht ändert, wird das Reich Schaden
nehmen, das Volk benachteiligt werden,
Unzufriedenheit wird sich erheben, und
die Tage der Söhne werden verbittert
werden, und ihre Reiche werden nicht
mehr Reiche sein – sondern es wird so
gehen, wie geschrieben steht: „Die Mächtigen
sollen von ihren Thronen gestürzt werden,
und die, die auf Erden wandern, sollen
erhöht werden.“
Siehe, ich lege dir ein Gleichnis von
zwei Reichen vor. In dem einen wird
gewählt, im anderen wird vererbt. Das
erste, wo gewählt wird, wird über den
Haufen geworfen und geplagt, nachdem
der rechte Erbe nicht gewählt wurde.
Schuld daran hatten die, die gewählt
haben, und die, die herrschsüchtig nach
dem Reiche trachten. Aber Gott straft
den Sohn nicht für die Sünden des Vaters
und zürnt auch nicht in Ewigkeit, sondern
übt Gerechtigkeit und hält diese auf
Erden und im Himmel. Daher wird dieses
Reich nicht zu seiner früheren Ehre
zurückfinden oder einen glücklicheren
Zustand erhalten, ehe nicht der rechte
Erbe auftritt, entweder von Seiten des
Vaters oder der Mutter.“
[1]. D.h. die
Mora-Steine in Uppland, wo die Königswahl
von altersher vor sich ging. |
4. Kapitel |
|
Königin Blanka,
die Gemahlin von Magnus Eriksson, wird
von Christus ermahnt, ihre weltliche
Lebensweise mit einer frommen, asketischen
zu vertauschen und eine Wallfahrt nach
Rom zu unternehmen. Offenbarung in Italien
1350 oder später.5. Der Apostel Petrus
klagt Birgitta über den kirchlichen
Verfall in Rom.
Christus spricht zur Braut: „Von
zwei Geistern werden Gedanken und Eingebungen
ins Herz der Menschen eingegossen, nämlich
von einem guten und einem bösen Geist.
Der gute Geist rät dem Menschen, an
das zukünftige Himmlische zu denken,
und das Zeitliche nicht zu lieben. Der
böse Geist rät dem Menschen, das Sichtbare
zu lieben, zu machen, dass die Sünde
leicht aussieht, er sendet Schwächen,
stellt das Beispiel schwacher Menschen
als Vorbild hin.
Sieh, ich will dir im Bild beschreiben,
wie die beiden Geister das Herz der
Königin entzünden, die du kennst und
über die ich früher mit dir gesprochen
habe. Der gute Geist gibt ihr diese
Gedanken ein: Reichtümer sind mit Mühe
verbunden, weltliche sind wie Wind,
fleischliche Genüsse wie ein Traum,
die Freude ist vergänglich und alles
Weltliche ist eitel; dagegen ist das
Gericht unausweichlich und der Peiniger
sehr hart.
Es scheint mir deshalb für den Menschen
sehr schwierig, strenge Rechenschaft
über vergängliche Reichtümer abzulegen,
geistliche Schandtaten als eitlen Wind
zu ernten, lange Trübsal für ein kurzes
Vergnügen zu ertragen und darüber Rechenschaft
vor dem abzulegen, der alles kennt,
noch ehe es zustande kommt. Deshalb
ist es sicherer, vieles aufzugeben und
damit weniger Rechenschaft abzulegen,
als in vielerlei Dinge verstrickt zu
werden und eine lange und mühevolle
Rechenschaft ablegen zu müssen.
Der böse Geist gibt den Menschen dagegen
solche Gedanken ein: Lass solche Gedanken
fahren, denn Gott ist milde und sehr
leicht zu besänftigen. Hab freimütig
das Gute und schenke großzügig, was
du hast. Du bist ja dazu geboren, Reichtümer
zu besitzen, und Reichtümer wurden dir
gegeben, damit du berühmt wirst, und
gib dem, der etwas von dir haben will.
Aber wenn du deine Reichtümer aufgibst,
musst du denen dienen, die dir jetzt
dienen; dein Ansehen wird dann geringer
und dein Ärger größer. Der arme Mensch
wandert nämlich ohne Freude.
Es ist schwer für dich, dich an neue
Sitten zu gewöhnen, dein Fleisch durch
fremde Gewohnheiten zu bändigen und
ohne eine Bedienung zu leben. Halte
daher an der Ehre fest, die du empfangen
hast, lebe königlich nach deinem Stande
und betreue dein Haus auf ehrsame Weise.
Wenn du deinen Wandeln änderst, wirst
du wegen Unstetigkeit getadelt. Fahre
fort, so zu leben, wie du begonnen hast,
so wirst du ehrenreich vor Gott und
Menschen.
Wieder gibt der gute Geist der Seele
dieser Königin seine Ratschläge ein,
indem er sagt: Ich kenne zwei Dinge,
die ewig sind, nämlich den Himmel und
die Hölle. Wer Gott über alles liebt,
wird nicht in den Himmel kommen. Auf
dem Weg zum Himmel ging der Menschgewordene
Gott selbst voran und bekräftige ihn
mit Zeichen und mit seinem Tod. O wie
ehrenreich ist doch das Himmlische,
wie bitter ist die Bosheit des Teufels,
und wie eitel das Irdische!
Diesem Gott folgte seine Mutter und
alle Heiligen, die lieber alle Qualen
ausstehen und auf alles verzichten wollten,
ja sogar sich selbst verachteten, um
nicht das Himmlische und Ewige zu verlieren.
Daher ist es sicherer, Ehre und Reichtümer
rechtzeitig zu verlassen, als bis zum
Ende daran festzuhalten, denn es kann
passieren, dass man die Erinnerung an
die Sünden vergisst, wenn die Schmerzen
bis zum Äußersten zunehmen. Und da werden
die, die sich nicht um meine Erlösung
kümmern, an sich raffen, was ich gesammelt
habe.
Die Eingebung des Teufels wendet dagegen
ein: Hör auf, so zu denken! Wir sind
schwache Menschen; Christus dagegen
ist Gott und Mensch. Wir brauchen unsere
Taten nicht mit denen der Heiligen zu
vergleichen, die ja größere Gnade von
Gott und Freundschaft mit ihm hatten.
Es reicht für uns, auf den Himmel zu
hoffen, in unserer schwachen Art zu
leben und unsere Sünden mit Almosen
und Gebeten wieder gutzumachen. Es ist
kindische und töricht, mit etwas Ungewohntem
zu beginnen und es dann nicht befolgen
zu können.
Die gute Eingebung antwortet von neuem:
Ich bin unwürdig, mit den Heiligen verglichen
zu werden. Doch ist es ist ganz sicher,
sich so allmählich auf die Vollkommenheit
hinzuarbeiten. Was sollte mich denn
daran hindern, mich an das Ungewöhnliche
zu wagen? Gott ist ja imstande, Hilfe
zu geben. Oft geschieht es ja, dass
irgendein armer Mann dem Wege eines
mächtigen und reichen Herren folgt.
Und wenn auch der vornehme Herr schneller
zur Herberge gelangt, eine leckere Kost
genießen und in einem weichen Bette
ruhen kann, kommt doch auch der Arme
zur selben Herberge, wenn auch später
und kann die Reste der Mahlzeit des
vornehmen Herrn genießen – das hätte
er nicht bekommen, wenn er seinem Wege
nicht gefolgt wäre, und seine Herberge
nicht aufgesucht hätte.
So sage ich auch jetzt, dass ich – wenn
ich auch nicht wert bin, mit den Heiligen
verglichen zu werden – doch den Weg
einschlagen will, den sie (die Heiligen)
gewählt haben, um zumindesten Teil an
ihren Verdiensten zu haben. Es sind
nämlich zwei Dinge, die meinen Sinn
beunruhigen. Erstens, dass der Hochmut
Macht über mich erhält, wenn ich in
meinem Vaterland bleibe. Die Liebe zu
meinen Verwandten, die um Hilfe bitten,
bedrückt meine Sehnsucht. Der Überfluss
an Personal und an Kleidern macht mir
Mühe. Daher ist es für mich bequemer
und ratsamer, vom Sitz des Hochmuts
herabzusteigen und meinen Leib mit einer
Pilgerfahrt zu demütigen, als in meinem
ehrenvollen Stande zu verweilen und
Sünde auf Sünde zu häufen.
Außerdem bedrücken mich die Armut und
die Hilferufe des Volkes; ich müsste
ihm beistehen, aber es belastet mich,
weil ich so nah dabei bin. Deshalb ist
mir ein guter Rat vonnöten.
Die böse Eingebung und die des Teufels
antwortet: Sich auf Pilgerfahrt zu begeben,
ist Sache unsteter Menschen. Barmherzigkeit
ist doch Gott wohlgefälliger als Opfer.
Wenn du aus deinem Vaterland verreist,
kommen gewinnsüchtige Leute, die von
dir haben sprechen hören, um dich auszuplündern
und dich gefangen zunehmen. So sollst
du statt Freiheit Gefangenschaft erleiden,
statt Ehre Schande, statt gemächlicher
Ruhe Unruhe und Trübsal.
Der gute Geist kommt nun mit dieser
Eingebung: Ich hörte über einen erzählen,
der gefangen genommen wurde, der in
einem Turme saß, und der in der Gefangenschaft
und Dunkelheit größeren Trost empfand,
als er je in seinem Überfluss und seiner
zeitlichen Freude verspürt hatte. Wenn
es daher Gott gefällt, mir Trübsal zu
schicken, so wird mir das zu größerem
Verdienst gereichen. Gott ist ja milde,
mich zu trösten und bereit, mir beizustehen,
vor allem wenn ich mein Land nur um
meiner Sünden willen verlasse, und um
Gottes Liebe zu gewinnen.
Die böse Eingebung und die des Teufels
antwortet erneut: Wenn du unwürdig bist,
Trost von Gott zu empfangen, und wenn
du ungeduldig warst, als es um Armut
und Demut ging, da wirst du die Strenge
bereuen, die du dir auferlegt hast,
denn du kommst dazu, einen Stock statt
eines Ringes in der Hand zu halten,
ein simples Tuch auf deinem Kopf statt
einer Krone, und einen schäbigen Sack
statt eines Purpurgewandes. Der gute
Geist antwortet: Ich habe gehört, dass
die heiligen Elisabeth, Prinzessin von
Ungarn[1], erzogen in Weichlichkeit
und vornehm verheiratet, große Armut
und Schmach ertrug, aber in der Armut
größeren Trost und eine herrlichere
Krone von Gott empfing, als wenn sie
in aller weltlichen Ehre und Freude
verblieben wäre.
Wieder flüstert die böse Eingebung:
Was willst du machen, wenn Gott dich
den Händen von Männern überlässt, die
deinem Körper Gewalt antun? Könntest
du das vor Scham ertragen? Müsstest
du nicht untröstlich über deinen Starrsinn
trauern, und deine ganze Sippe sich
schämen müssen? Und da kommst du gewiss
dazu, Ungeduld und Angst im Herzen zu
empfinden und Gott undankbar zu werden.
Du wirst dir geradezu den Tod wünschen.
Kannst du da noch wagen, dich zu zeigen,
wenn du in aller Munde so verspottet
wirst?
Der gute Gedanke antwortet wiederum:
Ich habe von den Schriften gehört, dass
die heiligen Jungfrau Lucia[2] in ein
Bordell überführt wurde, aber sie war
standhaft im Glauben, tröstete sich
mit Gottes Güte und sagte: Wie oft mein
Körper auch vergewaltigt wird, ich bin
doch eine Jungfrau, und meine Krone
wird verdoppelt werden. Und Gott sah
ihren Glauben und bewahrte sie unbeschadet.
So sage ich, dass Gott, der niemanden
über Vermögen versucht werden lässt,
meine Seele, meinen Glauben und meinen
Willen bewahren wird. Ich vertraue mich
ihm also ganz an. Sein Wille mit mir
geschehe!
Da diese Frau solchen Gedanken ausgesetzt
war, will ich sie zu drei Dingen ermahnen.
Erstens, dass sie sich erinnern soll,
zu welcher Ehre sie auserkoren ist.
Zweitens, welche Liebe ihr Gott in ihrer
Ehe bewiesen hat. Drittens, wie gnädig
sie in dieser Sterblichkeit bewahrt
wurde. Ferner will ich sie warnend an
drei Dinge erinnern. Erstens, dass sie
vor Gott Rechenschaft über ihr ganzes
zeitliches Eigentum ablegen wird – ja
sogar über das kleinste Scherflein,
wie sie es ausgegeben hat. Zweitens,
dass ihre Zeit sehr kurz ist, und dass
sie kein Wort weiß, bevor sie sterben
wird. Drittens, dass Gott die Herrscherin
nicht mehr als die Dienerin schont.
Deshalb rate ich ihr drei Dinge. Erstens,
das zu bereuen, was sie begangen hat,
und für ihre gebeichteten Sünden fruchtbringende
Besserung zu tun, und Gott von ganzem
Herzen zu lieben. Zweitens rate ich
ihr, der Pein des Fegefeuers verständig
auszuweichen. Denn so wie der, der Gott
nicht von ganzem Herzen liebt, eine
große Strafe verdient, so verdient der,
der seine Sünden nicht bessert, obwohl
er das kann, das Fegefeuer. Drittens
rate ich ihr, eine Zeitlang weltliche
Freunde Gott zuliebe zu verlassen und
sich, um der Pein des Fegefeuers zu
entgehen, sich an einen Platz begibt,
wo es einen Richtweg zwischen dem Himmel
und dem Tode gibt, weil es dort Ablässe
(d.h. Rettung für die Seelen) gibt,
die heiligen Päpste gegeben haben, und
die Gottes Heiligen durch ihr Blut bewirkt
haben.“
[1]. Geb. Burg
Sarospatak (Ungarn) 1207, gest. Marburg
17.11.1231. Schon 1235 wurde sie heilig
gesprochen. [2]. Märtyrerin aus Syrakus,
gest. 303(?), eine der bedeutendsten
Heiligen des Mittelalters. Sie weihte
sich nach einer Vision der hl. Agatha,
die ihr das Martyrium ankündigte, dem
jungfräulichen Leben. Sie verzichtete
auf ihren Besitz und ihre Ehe, worauf
sie ihr Bräutigam als Christin anzeigte.
Nach standhaftem Bekenntnis und vielerlei
überstandenen Folterungen wurde sie
durch das Schwert getötet. |
5. Kapitel |
|
Der Apostel
Petrus klagt Birgitta über den kirchlichen
Verfall in Rom.
Der
hl. Petrus spricht zu Christi Braut:
„Tochter, du glichst mir einem Pfluge,
der breite Furchen zieht und die Wurzeln
ausreißt. Das war sicher richtig. Denn
ich habe so gegen die Laster geeifert
und war so für die Tugenden entbrannt,
dass ich, wenn ich die ganze Welt hätte
zu Gott bekehren können, keinesfalls
mein Leben oder meine Kräfte gespart
hätte. Gott war mir so lieb, an ihn
zu denken, von ihm zu sprechen, für
ihn zu arbeiten, dass es mir bitter
war, an alles andere zu denken, als
an Gott.
Doch war auch Gott für mich bitter,
aber nicht seinetwegen, sondern meinetwegen.
Denn so oft ich daran dachte, wie sehr
ich gesündigt habe und wie ich ihn verleugnet
habe, habe ich bitterlich geweint, denn
ich hatte nun gelernt, vollkommen zu
lieben, und meine Tränen waren mir ebenso
angenehm, wie gutes Essen. Aber wenn
du mich bittest, dich an etwas zu erinnern,
antworte ich dir: Hast du nicht gehört,
wie vergesslich ich war? Ich war ja
vollkommen über Gottes Weg unterrichtet,
und mit einem Eid habe ich mich verpflichtet,
Gott treu zu sein und mit ihm zu sterben,
aber auf die Frage einer Frau hin verleugnete
ich die Wahrheit, und warum? Weil Gott
mich mir selber überlassen hat, und
ich mich selbst nicht kannte.
Aber was habe ich dann gemacht? Ich
dachte über mich selber nach und überlegte,
dass ich nichts von mir selbst aus war,
und ich stand auf und eilte auf die
Wahrheit zu – zu Gott, der mir die Erinnerung
an seinen Namen so tief ins Herz drückte,
dass ich ihn weder vor den Tyrannen
oder unter der Geißelung oder im Tode
vergessen konnte. So sollst auch du
es machen. Steh in Demut auf und geh
zum Meister der Erinnerung und begehre
eine Erinnerung von ihm. Er ist nämlich
der einzige, der alles kann. Ich will
dir aber helfen, dass du Teil hast an
dem Korn, das ich auf Erden ausgesät
habe.
Weiter sage ich dir, dass diese Stadt
Rom eine Stadt der Kämpfer war, und
ihre Straßen mit Gold und Silber belegt
waren. Nun sind die Saphirsteine in
Schmutz verwandelt, die Einwohner der
Stadt sind sehr wenige, ihr rechtes
Auge ist ausgeschlagen, und ihre rechte
Hand ist abgehauen; Kröte und Schlangen
wohnen bei ihnen, und wegen ihrer (geringen)
Gaben würden die sanftmütigen Tiere
nicht wagen, sich zu zeigen, oder meine
Fische würden nicht ihren Kopf erheben.
Daher sollen noch Fische in dieser Stadt
gesammelt werden, und wenn es auch nicht
mehr so viele werden wie früher, werden
sie doch ebenso lieblich und tapfer
sein, so dass bei ihrem Spiel die Kröten
und Frösche heruntersteigen, die Schlangen
zu Lämmern verwandelt werden, und die
Löwen wie Tauben an ihren Fenstern werden.“
Weiter fügt er hinzu: „Ich sage dir
weiter, dass man noch in deinen Tagen
den Ruf hören wird: „Es lebe Petri Stellvertreter!“,
und du ihn mit eigenen Augen sehen wirst,
denn ich werde den Berg der Wollust
untergraben, und die darauf sitzen wollen,
werden gegen die Hoffnung von allen
gezwungen kommen, denn Gott will mit
Barmherzigkeit und Wahrheit erhöht werden.“
|
6. Kapitel |
|
Der Apostel
Paulus erzählt Birgitta von seiner Bekehrung
und beklagt den kirchlichen Verfall
in Rom.
Der heiligen Paulus spricht zu Christi
Braut und sagt: „Tochter, du hast mich
mit einem Löwen verglichen, der unter
Wölfen aufgezogen wurde, aber den Wölfen
auf wunderbare Weise genommen wurde.
Ja Tochter, ich war wahrhaftig ein räuberischer
Wolf, aber aus einem Wolf machte Gott
mich zu einem Lamm, und das aus zwei
Gründen. Erstens durch seine große Liebe,
indem er seine Gefäße aus den Unwürdigen
und aus den Sündern seine Freunde macht.
Zweitens wegen der Gebete des allerseligsten
Stephanus, des ersten Märtyrers.
Ich will dir nämlich zeigen, wie ich
war und welche Absicht ich hatte, als
Stephanus gesteinigt wurde, und warum
ich seine Gebete verdiente. Ich habe
mich gewiss über die Pein des hl. Stephanus
nicht gefreut und sie genossen, und
ich beneidete ihn nicht um seine Ehre,
aber ich war doch darauf aus, dass er
sterben sollte, weil ich sah, soweit
ich es beurteilen konnte, dass er nicht
den rechten Glauben hatte. Als ich seinen
übermäßig großen Eifer und seine Geduld
sah, das Leiden zu ertragen, war ich
sehr betrübt darüber, dass er ungläubig
war, wo er doch tatsächlich höchst gläubig
war, und ich ganz und gar blind und
ungläubig, und ich hatte Mitleid mit
ihm und betete von ganzem Herzen darum,
dass seine bittere Pein ihm zur Ehre
und Belohnung dienen möge.
Deshalb war ich unter den ersten, die
Nutzen von seinem Gebet hatten, denn
durchsein Gebet wurde ich von den vielen
Wölfen entrückt und wurde zu einem sanften
Lamm. Daher ist es gut, für alle zu
beten, denn das Gebet des Gerechten
nützt denen, die am nächsten stehen
und am besten geeignet sind, die Gnade
zu empfangen. Aber nun klage ich darüber,
dass dieser Mann, der unter den Gelehrten
so beredt und so geduldig unter denen
war, die ihn steinigten, von vielen
Herzen ganz vergessen ist – und am meisten
von denen, die ihm Tag und Nacht dienen
sollten[1]. Sie bieten ihm ihre zerbrochenen,
leeren, schmutzigen und ekelhaften Gefäße
an. Deshalb werden sie, wie geschrieben
steht, mit doppelter Scham und Schande
bekleidet und aus dem Haus der Freude
ausgestoßen werden.“
[1]. D.h. den
Priestern. |
7. Kapitel |
|
Birgitta bezeichnet
das Jahr 1366 als Gericht über die Seele
des italienischen Adligen Nicolaus Acciajaoli.
Dieser Mann, der zu Lebzeiten zum Hof
der Königin Johanna gehörte und u.a.
dadurch gesündigt hatte, dass er die
Heirat der Königin mit ihrem Neffen
Ludwig von Tarent beförderte, wird nun
zum Fegefeuer verurteilt.
Ein Mensch, der im Gebet wachte und
nicht schlief, dachte, er sähe in einer
geistlichen Vision einen Palast von
unermesslicher Größe. Da gab es unzählige
Geschöpfe, in weiße, glänzende Kleider
gekleidet, und ein jedes von ihnen hatte
seinen eigenen Sitz. Ganz vorn im Palast
stand ein Richterstuhl, und es sah aus,
als würde dort eine Sonne sitzen. Der
Glanz der von der Sonne ausstrahlte,
war unermesslich lang, tief und breit.
Eine Jungfrau, die eine kostbare Krone
auf dem Kopf hatte, stand neben dem
thron. Und alle dienten der Sonne, die
auf dem Richterstuhl saß, und huldigten
ihr mit Hymnen und Lobgesängen.
Dann sah er einen Neger, schrecklich
an Aussehen und Gebärden. Er schien
voller Neid zu sein und war von großem
Zorn erfüllt, und er rief: „Du gerechter
Richter, verurteile meine Seele und
höre ihre Taten! Es bleibt nämlich nur
noch wenig von ihrem Leben übrig. Erlaube
mir auch, den Körper mit der Seele zu
strafen, bis sie voneinander getrennt
werden!“
Danach konnte ich sehen, dass einer
vor dem Richterstuhl stand, der wie
ein bewaffneter Ritter aussah. Er war
ehrbar und weise in seiner Rede und
besonnen und mild in seinen Gebärden.
Er sagte: „O Richter, sieh hier die
guten Werke, die er bis zu dieser Stunde
getan hat!“ Gleich hörte man eine Stimme
von der Sonne auf dem Richterstuhl:
„Hier ist die Last größer als die Tugend.
Es ist nicht gerecht, dass die Last
mit der höchsten Tugend vereinigt wird.“
Der Neger antwortete: „Es ist gerecht,
dass diese Seele mein wird. Denn wenn
sie etwas Lasterhaftes in sich hätte,
so gibt es bei mir alles Schlechte.“
Der Richter entgegnete: „Gottes Barmherzigkeit
folgt jedem Menschen bis zum Tode, ja
bis zum letzten Augenblick, und dann
steht das Gericht bevor. Aber bei dem
Mann, von dem wir jetzt sprechen, sind
Seele und Körper noch vereint, und er
hat die Auffassungsgabe noch.“
Der Neger fiel ein: „Die Schrift, die
nicht lügen kann, sagt: „Du sollst deinen
Gott über alles lieben, und deinen nächsten
wie dich selbst.“ Aber dieser Mann tat
alle seine Werke aus Furcht und nicht
aus Liebe, wie er sollte. Du wirst auch
feststellen, dass er wenig Reue über
die Sünden hatte, die er gebeichtet
hat. Das Himmelreich hat er nicht verdient;
folglich hat er die Hölle verdient.
Seine Sünden sind hier vor der göttlichen
Gerechtigkeit offenbart, weil er noch
nie eine von Gottesliebe eingegebene
Reue über die Sünden gespürt hat, die
er begangen hat.“
Der Ritter wandte ein: „Ja, ich habe
gehofft und geglaubt, dass er vor seinem
Tode noch wahre Reue spüren würde.“
Der Neger antwortete ihm: „Du hast all
die guten Taten gesammelt, die er getan
hat, und du kennst all die Worte und
Gedanken, die zur Rettung seiner Seele
dienen können. All dies, wie es auch
sein mag, ist nicht mit der Gnadengabe
zu vergleichen, die aus einer Reue besteht,
die aus Gottesliebe eingegeben und mit
Glauben und Hoffnung verbunden ist;
noch weniger kann es alle seine Sünden
auslöschen.
Denn Gott ist von Ewigkeit her so gerecht,
dass kein Sünder, der keine vollkommene
Reue empfunden hat, ins Himmelreich
eintreten darf. Es ist unmöglich, dass
Gott gerade gegen die Ordnung richtet,
die seit ewigen Zeiten in seinem Vorherwissen
beschlossen ist. Also muss diese Seele
zur Hölle verurteilt und mit mir vereinigt
werden, um ewig gepeinigt zu werden.“
Bei diesen Worten schwieg der Ritter
und erwiderte nichts.
Dann erschienen unzählige Teufel, wie
Funken, die aus einem brennenden Ofen
aufflogen; sie riefen mit einer Stimme
und sagten zu dem, der wie die Sonne
auf dem Richterstuhl saß: „Wir wissen,
dass du ein Gott in drei Personen bist,
dass du von Anfang an da warst und ohne
Ende sein wirst, und dass es keinen
anderen Gott gibt, als dich. Du bist
wahrhaftig die Liebe selbst, mit der
Barmherzigkeit und Gerechtigkeit vereint
sind. Du ruhtest von Anfang an in dir
selbst, ganz unvermindert und unveränderlich,
wie es Gott gebührt. Ohne dich ist nichts,
und es gibt nichts, das außer dir eine
Freude hat.
Deine Liebe hat auch die Engel aus nichts
anderem, als durch die Macht deiner
Gottheit geschaffen, und du hast so
gehandelt, wie die Barmherzigkeit es
vorschrieb. Aber da wir in unserem Inneren
von Hochmut, neid und Gier beseelt sind,
hat uns deine Liebe, die Gerechtigkeit
liebte, mit dem Feuer unserer Bosheit
aus dem Himmel hinunter in eine dunkel
unermessliche Tiefe verstoßen, die jetzt
Hölle genannt wird. So hat deine Liebe
damals gehandelt, und die soll auch
jetzt nicht von deinem gerechten Gericht
getrennt sein, ob das nach der Barmherzigkeit
oder nach Gerechtigkeit geschieht.
Wir sagen noch mehr: Wenn das, was du
mehr als alles geliebt hast, nämlich
die Jungfrau, die dich geboren hat und
die nie gesündigt hat, wenn sie eine
Todsünde begangen hätte und ohne göttliche
Reue gestorben wäre – so wäre ihre Seele
nie in den Himmel gekommen, sondern
wäre bei uns in der Hölle geblieben;
so liebst du die Gerechtigkeit. Deshalb,
o Richter, warum sprichst du uns nicht
diese Seele zu, so dass wir sie nach
ihren Taten strafen dürfen?“
Da ertönte ein Laut wie von einer Posaune,
und die es hörten, verstummten. Eine
Stimme sprach: „Schweigt still, ihr
Engel, Seelen und Dämonen alle, und
hört zu, was Gottes Mutter sagt!“ Gleich
zeigte sich die Jungfrau vor dem Richterstuhl,
und unter ihrem Mantel schien sie ein
paar große Gegenstände zu verbergen.
Sie sagte: „Ihr Feinde, ihr verfolgt
die Barmherzigkeit, und mit keiner Liebe
liebt ihr die Gerechtigkeit. Wenn auch
diese Seele einen Mangel an guten Taten
aufweist, was bewirkt, dass sie nicht
in den Himmel kommen sollte, so schaut
aber, was ich unter meinem Mantel habe!“
Als die Jungfrau beide Mantelschöße
aufhob, erschien unter dem einen etwas
wie eine kleine Kirche, in der sich
einige Mönche befanden, und unter dem
anderen Frauen und Männer, Ordensleute
und andere. Und sie riefen alle mit
lauter Stimme und sagten: „Erbarme dich,
gnadenreicher Gott!“
Dann wurde es still, und die Jungfrau
redete und sagte: „Die Schrift sagt:
„Wer einen vollkommenen Glauben hat,
kann damit Berge auf der Welt versetzen.“
Was können und müssen dann nicht die
Stimme derer tun, die Glauben hatten
und Gott mit brennender Liebe gedient
haben? Was sollten nicht auch die Freunde
Gottes tun, die er gebeten hat, Fürbitte
für ihn zu leisten, so dass er der Hölle
entgehen und in den Himmel kommen kann,
und der keinen anderen Lohn für seine
guten Taten begehrte, als das Himmelreich?
Sollen nicht alle ihre Tränen und Gebete
ihn ergreifen und erheben, so dass er
noch vor seinem Tode eine gottgegebene
Reue und zugleich Lieb empfindet? Ich
werde auch meine eigenen Gebete und
die Bitten all der Heiligen hinzufügen,
die es im Himmel gibt, und denen er
besondere Ehre erwiesen hat.
Die Jungfrau fügte hinzu: „Dämonen,
ich befehle euch mit der Macht des Richters,
darauf Acht zu geben, was ihr jetzt
an Gerechtigkeit seht!“ Da antworteten
sie alle wie aus einem Munde: „Wir sehen,
dass auf Erden Gottes Zorn durch ein
wenig Wasser und großes Wetter besänftigt
wird[1]. So bewegt auch dein Gebet Gott
zu Barmherzigkeit und Liebe.“ Dann hörte
man von der Sonne eine Stimme, die sagte:
„Auf die Gebete meiner Freunde hin soll
dieser Mann noch vor seinem Tode göttliche
Reue empfinden[2]. Er soll also nicht
in der Hölle landen, sondern zusammen
mit denen gereinigt werden, die im Fegefeuer
schwere Strafe leiden. Und wenn die
Seele gereinigt ist, soll sie zusammen
mit denen gereinigt werden, die auf
Erden Hoffnung und Glauben hatten, aber
nur geringe Liebe.“ Da machten sich
die Dämonen aus dem Staube.
Danach dachte die Braut, sie würde sehen,
dass sich eine dunkle und schreckliche
Stelle öffnen würde, wo da ein Ofen
zu sehen war, der innen brannte. Das
Feuer hatte nichts anderes zu tun, als
noch Teufel und lebende Seelen zu verbrennen.
Über diesem Ofen zeigte sich die Seele,
deren Urteil schon ergangen war. Die
Seele war am Ofen befestigt, und die
Seele stand aufrecht wie ein Mensch.
Sie stand nicht auf dem höchsten Platz
und auch nicht auf dem niedrigsten,
sondern gleichsam neben dem Ofen.
Ihre Gestalt war schrecklich und seltsam.
Das Feuer im Ofen schien sich durch
die Füße der Seele hindurch zu winden,
so wie Wasser durch eine Röhre aufsteigt;
es drückte sich fest zusammen und schob
über ihren Kopf in die Höhe, so dass
die Schweißtropfen Adern glichen, die
vom brennenden Feuer aufgeschwollen
waren. Die Ohren sahen aus wie Blasebälge
eines Schmiedes und setzten das Hirn
mit ihrem ununterbrochenen Blasen in
Bewegung. Die Augen zeigten sich zurückgewandt
und eingesunken, nach innen zu am Nacken
befestigt.
Der Mund war weit offen, und die Zunge,
die durch die Nasenlöcher ausgestreckt
war, hingen auf die Lippen herunter.
Die Zähne waren wie Eisennägel durch
den Gaumen befestigt. Die Arme waren
so lang, dass sie bis auf die Füße hinunterhingen,
und die beiden Hände schien etwas Fettes
mit siedendem Teer zusammenzupressen.
Die Haut, die die Seele bedeckte, schien
wie ein Tierfell über einem Körper zu
hängen, und sie war wie ein mit Samenflüssigkeit
übergossenes Leinenkleid. Dieses Kleid
war so kalt, dass jeder, der es sah,
schaudern musste. Eiter drang daraus
hervor, wie aus einer Wunde mit geronnenem
Blut, und der Gestank, der dabei auftrat,
war so widerlich, dass nicht einmal
der schlimmste Gestank auf der Welt
damit zu vergleichen war.
Nachdem sie diese Plage gesehen hatte,
hörte die Braut eine Stimme von der
Seele. Die schrie fünfmal „Wehe!“ und
weinte und rief mit aller Kraft: „Weh
mir für das erste,“ sagte sie, „dass
ich Gott für alle seine großen Tugenden
und die Gnade, die er mir erwiesen hat,
so wenig geliebt habe! Weh mir für das
zweite, dass ich die Gerechtigkeit nicht
so gefürchtet habe, wie ich hätte sollen!
Weh mir für das dritte, dass ich die
Lust des Leibes und meines sündhaften
Fleisches geliebt habe! Weh mir für
das vierte, wegen der Reichtümer der
Welt und meines Hochmuts! Weh mir für
das fünfte, dass ich jemals Ludwig und
Johanna gesehen habe!
Dann sagte der Engel zu mir: „Ich will
dir diese Vision erklären. Der Palast,
den du gesehen hast, ist ein Bild des
Himmels. Die vielen Geschöpfe, die auf
Thronen und in weiße, glänzende Kleider
gekleidet waren, sind die Seelen von
Engel und Heiligen. Die Sonne bezeichnet
Christus in seiner Göttlichkeit, die
Frau die Jungfrau, die Gott geboren
hat, der Neger den Teufel, der die Seele
anklagt, der Ritter den Engel, der die
Taten der Seele erzählte, und der Ofen
die Hölle, dessen Inneres so heiß brennt,
dass – wenn die ganze Welt mit allem,
was darinnen ist, brennen würde – so
könnte das doch nicht mit der Hitze
in diesem Ofen verglichen werden.
In dem Ofen hört man verschiedene Stimmen,
die alle gegen Gott anderen, und die
alle ihre Reden mit „Weh!“ beginnen
und enden. Die Seelen zeigen sich als
Menschen, deren Glieder erbarmungslos
ausgestreckt werden, und die niemals
eine Stunde Ruhe erhalten. Wisse auch,
dass das Feuer, das du im Ofen gesehen
hast, in ewigem Dunkel brennt, und dass
nicht alle Seelen, die dort brennen,
dieselbe Art von Plagen haben. Das Dunkel
um den Ofen herum heißt Limbus und geht
aus dem Dunkel hervor, das im Ofen herrscht;
sie beide bilden aber ein Gebiet und
eine Hölle, und wer dahin kommt, kann
niemals bei Gott wohnen.
Oberhalb dieses Dunkels herrscht die
schwerste Pein des Fegefeuers, das Seelen
ertragen können. Außerhalb des Platzes
gibt es einen anderen Platz, wo eine
geringere Pein herrscht, die nichts
anderes ist, als eine Verminderung der
Kräfte an Stärke und Schönheit und dergleichen.
Das ist, um in einem Gleichnis zu sprechen,
als ob jemand krank gewesen wäre, und
die Krankheit oder Plage aufgehört hätte,
aber er hatte noch keine Kräfte, sondern
musste diese so allmählich wiedergewinnen.
Es gibt noch einen dritten, höheren
Platz, wo keine andere Plage herrscht
als die Sehnsucht, zu Gott zu gelangen.
Damit du dies besser in deinem Sinn
verstehst, komme ich mit einem Gleichnis.
Stell dir vor, dass Kupfer mit Gold
vermischt wird und nun zusammen mit
dem Gold im heißesten Feuer brennt,
wo das Metall so lange gereinigt wird,
bis das Kupfer verzehrt ist und das
Gold in reiner Form übrig bleibt. Je
stärker und dicker das Kupfer ist, ein
umso heißeres Feuer braucht man, damit
das Gold klar wie Wasser wird und immer
glühen bleibt.
Dann bringt der Meister das Gold an
einen anderen Platz, wo es wirklich
Gestalt annehmen soll, um gesehen und
berührt zu werden. Danach schickt er
es zu einer dritten Stelle, wo es verwahrt
werden soll, um dem Eigentümer übergeben
zu werden. So ist es auch im geistlichen
Bereich. An der ersten Stelle, oberhalb
des Dunkels, herrscht die schwerste
Plage des Fegefeuers. Das war dort,
wo du sahst, dass die genannte Seele
gereinigt wird. Die Seelen werden dort
der Berührung durch die Teufel und –
um im Gleichnis zu sprechen – durch
giftige Reptilien und wilde Raubtiere
ausgesetzt. Da herrscht Hitze und Kälte,
da ist Dunkel und Qual, und dies alles
rührt von der Pein in der Hölle her.
Manche Seelen leiden größere, andere
kleinere Strafen, je nachdem, ob die
Sünden wiedergutgemacht sind oder nicht,
als die Seelen noch im Körper wohnten.
Dann führt der Meister – ich meine den
gerechten Gott – das Gold – ich meine
die Seelen – an andere Stellen, wo sie
nur aus Mangel an Kräften geplagt werden,
und dort müssen sie bleiben, wo sie
Hilfe bekommen, entweder von ihren besondern
Freunden, oder von den unaufhörlichen
Werken der heiligen Kirche. Je größere
Hilfe die Seele von ihren Freunden erhält,
desto schneller erholt sie sich und
wird von diesem Platz befreit.
Danach wird die Seele an einen dritten
Platz geführt, wo die einzige Plage
aus der Sehnsucht besteht, in die Gegenwart
und seine beseligende Betrachtung zu
gelangen. Hier bleiben viele und sehr
lange, mit Ausnahme derer, die – als
sie noch auf Erden lebten - die vollkommene
Sehnsucht hatten, in Gottes Nähe zu
gelangen, und ihn zu schauen.
Wisse auch, dass viele auf der Welt
so gerecht und unschuldig sterben, dass
sie gleich in Gottes Nähe und seinen
Anblick kommen. Und manche haben ihre
Sünden mit so vielen guten Taten gutgemacht,
dass ihre Seelen keine Plage erfahren
werden. Es sind jedoch nur wenige, die
nicht an den Platz gelangen, wo man
sich danach sehnt, zu Gott zu kommen.
Und alle die Seelen, die an diesen drei
Plätzen wohnen, haben an den Gebeten
und guten Werken der hl. Kirche teil,
die sie selbst zu Lebzeiten getan haben,
und von denen, die ihre Freunde nach
ihrem Tode tun. Wisse auch, dass – wie
die Sünden mannigfach und wechselnd
sind, so sind auch die Strafen mannigfach
und verschiedenartig. Wie sich der Hungrig
über das Essen freut, das an seinen
Mund kommt, ein Durstiger über den Trank
und ein Trauriger über die Freude, die
er erleben darf, ein Nackter über Kleidungsstücke
und ein Kranker, ins Bett zu kommen,
so freuen sich auch die Seelen und erhalten
Teil an dem Guten, das ihretwegen auf
der Welt getan wird.“
Der Engel fügt hinzu: „Gesegnet sei
der, der auf Erden den Seelen mit Gebeten,
guten Werken und mit körperlicher Arbeit
beisteht, denn Gottes Gerechtigkeit
kann nicht lügen, die sagt, dass die
Seelen nach dem Tode entweder mit der
Qual des Fegefeuers gereinigt werden
sollen, oder durch die guten Werke von
Freunden erlöst werden.“
Dann hörte man viele Stimmen aus dem
Fegefeuer sagen: „O Herr Jesus Christus,
gerechter Richter, sende deine Liebe
zu denen, die auf Erden geistliche Macht
haben, dann können wir noch mehr als
jetzt an ihrem Gesang, ihrer Lesung
und ihren Opfern teilhaben!“ Über dem
Raum, von wo aus dieser Ruf gehört wurde,
wurde etwas wie ein Haus sichtbar, und
daraus hörte man viele Stimmen, die
sagten: „Möge Gott die belohnen, die
uns in unserer Ohnmacht Hilfe senden!“
Aus dem Hause selbst sah man gleichsam
eine Morgenröte aufsteigen, aber unter
der Morgenröte zeigte sich ein Himmel,
der nicht von dem Glanz der Morgenröte
hatte, und vom Himmel hörte man eine
laute Stimme, die sagte: „O Herr Gott,
gib aus deiner unendlichen Macht denen
auf der Welt hundertfachen Lohn, die
uns mit ihren guten Werken zum Lichte
deiner Gottheit und zum Schauen deines
Angesichts erheben!“
[1]. Wie Steffen
anmerkt, ist dies sarkastisch und bedeutet
„Tränen“ und „leeres Geschwätz“.
[2]. Birgitta vertritt hier wie auch
an anderer Stelle die Auffassung, dass
Reue und Gottesliebe etwas sind, was
von Gott eingegeben ist und nicht vom
Menschen selbst herrührt – in bester
Übereinstimmung mit katholischer Dogmatik
und Moraltheologie. |
8. Kapitel |
|
Der Schutzengel
von Nicolaus Acciajaoli beschreibt seine
Plagen im Fegefeuer.
Weiter spricht der Engel und sagt:
„Die Seele, deren Lage du gesehen und
deren Gericht du gehört hast, ist in
der schwersten Pein im Fegefeuer. Die
Pein besteht darin, dass sie nicht weiß,
ob sie nach dem Ende des Fegefeuers
die himmlische Ruhe erlangen wird, oder
ob sie verdammt ist. Und das ist Gottes
Gerechtigkeit, denn sie besaß große
Klugheit und Unterscheidungsvermögen,
aber sie verwandte sie zu weltlichem
Gewinn und zum Nutzen des Leibes, nicht
zum Nutzen und zum geistlichen Gewinn
der Seele.
Er vergaß nämlich, an Gott zu denken,
so lange er lebte, und deshalb leidet
seine Seele jetzt die Hitze des Feuers
und zittert vor Kälte. Er ist durch
das Dunkel blind und schaudert dich
vor dem schrecklichen Anblick der Teufel;
er ist vom Schreien des Teufels taub,
hungert und durstet innerlich und ist
äußerlich mit Scham umhüllt.
Doch vergönnte Gott ihm nach dem Tode
eine Gnade, nämlich dass er von den
Teufeln nicht angefasst werden sollte,
denn nur zu Gottes Ehre verzieh er die
schweren Verbrechen, die seine schlimmsten
Feinde gegen ihn begangen haben; er
unterließ es, sich zu rächen und versöhnte
sich mit seinem schlimmsten Feinde.
Wisse auch, dass das Gute, das er getan
und was er versprochen hat, die Almosen
die er aus seinen recht mäßig erworbenen
Gütern gegeben hat – und vor allem die
Gebete der Gottesfreunde, die mindern
seine Pein und schenken ihm Kühlung,
so wie es in Gottes Gerechtigkeit bestimmt
ist. Andere Almosen, die er aus weniger
gut erworbenen Gütern gegeben hat, kommen
in geistlicher Weise denen zugute, die
sie vorher recht mäßig besessen haben…“
|
9. Kapitel |
|
Ein Heiliger
deutet an, welche Möglichkeiten die
Lebenden haben, die Plagen Nicolaus
Acciajaoli’s im Fegefeuer durch Almosen
und fromme Werke zu verkürzen.
Weiter sagte der Engel: „Du hast
vorhin gehört, dass dieser Mann kurz
vor seinem Tode durch Gebete der Freunde
Gottes eine gottesfürchtige und von
Liebe eingegebene Reue über seine Sünden
empfand, und die Reue hat ihn vor der
Hölle gerettet. Daher urteilt Gottes
Gerechtigkeit nach dem Tode, dass er
in den sechs Lebensaltern im Fegefeuer
brennen sollte, die er von der Stunde
an hatte, da er zum ersten Mal eine
bewusste Todsünde beging, und bis er
fruchtbare Reue aus Liebe zu Gott empfand,
soweit er keine Hilfe von den Lebenden
und von Gottes Freunden erhielt.
Das erste Alter war, dass er Gott nicht
wegen des Todes seines edlen Leibes
und wegen der mannigfachen Leiden liebte,
die Christus selbst für nichts anderes
ausgestanden hat, als für die Erlösung
der Seelen. Das zweite Alter war, dass
er seine eigene Seele nicht liebte,
wie ein Christ das tun sollte, und Gott
nicht dafür dankte, dass er getauft
wurde, und kein Jude oder Heide war.
Das dritte Alter war, dass er sehr genau
wusste, was Gott ihm zu tun befohlen
hatte, dass er aber nur wenig gewillt
war, das zu verwirklichen.
Das vierte Alter war, dass er seht wohl
wusste, was Gott denen verboten hat,
die in den Himmel kommen wollen, aber
doch frech dagegen handelte, indem er
nicht den Warnungen des Gewissens folgte,
sondern dem Begehren und Willen seines
Leibes. Das fünfte Alter war, dass er
nicht die Gnade nutzte und zu beichten
pflegte, was er hätte tun sollen, wo
er so lange Zeit hatte. Das sechste
Alter war, dass er sich nur wenig um
Gottes Leib[1] kümmerte und ihn nicht
fleißig empfangen wollte, nachdem er
sich der Sünde nicht enthalten wollte,
und keine Lust hatte, Christi Leib vor
Ende seines Lebens liebevoll anzunehmen.“
Dann zeigte sich ein Mann, der sehr
ritterlich anzusehen war. Seine Kleider
waren weiß und glänzend, wie die Alba
des Priesters, und er war mit einem
Leinengürtel umgürtet und hatte eine
rote Stola um den Hals und unter den
Armen. Er begann seine Worte folgendermaßen:
„Du, der du dies siehst, gib Acht und
behalte im Gedächtnis, was du siehst,
und was dir gesagt wird. Ihr, die ihr
auf Erden lebt, könnt Gottes Macht und
Anordnungen vor Beginn der Zeit nicht
in derselben Weise verstehen wie wir,
die bei ihm sind. Denn das, was bei
Gott in einem Augenblick geschieht,
das kann von euch nur mit Worten und
Gleichnissen auf irdische Weise verstanden
werden.
Ich bin einer von denen, der diesen
zum Fegefeuer verurteilten Mann mit
seinen Gaben ehrte, als er noch lebte.
Daher vergönnte mir Gott in seiner Gnade,
dass – wenn jemand tun will, wozu ich
rate, seine Seele auf einen höheren
Platz überführt werden kann, wo sie
ihre richtige Gestalt erhalten würde
und keine andere Qual als die empfinden
würde, als wie der sie leidet, der eine
schwere Krankheit hatte, und nun ohne
Kräfte daliegt, nachdem alle Beschwerden
verschwunden sind, der sich aber doch
freut, nachdem er sicher weiß, dass
er überleben darf.
Du hast ja gehört, dass seine Seele
einen fünffachen Weheruf ausstieß. Nun
will ich ihm stattdessen fünf trostreiche
Dinge sagen. Der erste Weheruf war,
dass er Gott so wenig geliebt hat. Damit
er von diesem Weh befreit wird, soll
man für seine Seele dreißig Kelche geben,
in denen Gottes Blut geopfert wird,
und womit Gott selbst hochgeehrt wird.
Der zweite Wehruf war, dass er Gott
nicht fürchtete. Um diese Sünde auszulöschen,
sollen dreißig Priester, nach menschlichem
Ermessen gottesfürchtig, ausgewählt
werden, und jeder von ihnen soll dreißig
Messen lesen, wenn er kann. Neun zu
Ehren der Märtyrer, neun für die Bekenner,
neun für alle Heiligen, eine für die
Engel, eine für die hl. Maria und eine
für die heiligen Dreifaltigkeit. Und
sie sollen eifrig für seine Seele beten,
so dass Gottes Zorn gemildert wird,
und seine Gerechtigkeit zur Barmherzigkeit
gewandelt wird.
Dir dritte Wehruf galt seinem Hochmut
und seiner Gewinnsucht. Um diese Widergutzumachen,
soll man dreißig arme Menschen aufnehmen,
ihnen demütig ihre Füße waschen und
ihnen Essen, Geld und Kleider geben,
woran sie sich erfreuen können. Und
die, die sie waschen, und die gewaschen
werden, sollen Gott demütig bitten,
dass dieser wegen seiner eigenen Demut
und seiner bitteren Pein (am Kreuz)
dieser Seele ihre Gewinnsucht und den
Hochmut verzeihen möge, der sie sich
schuldig gemacht hat.
Der vierte Wehruf galt der Wollust seines
Leibes. Wenn dafür jemand eine Jungfrau
und ebenso eine Witwe in ein Kloster
gibt und einer Jungfrau zu einer guten
Ehe verhilft und ihnen gleichzeitig
so viele Güter schenkt, dass sie ausreichend
zu essen und genügend Kleider hätten,
dann würde Gott die Sünde verzeihen,
die diese Seele zu Lebzeiten begangen
hat. Denn dies sind die drei Lebensstände,
die Gott erwählt und befohlen hat, dass
sie auf der Welt eingehalten werden.
Der fünfte Wehruf war, dass er viele
Sünden zum Schaden anderer begangen
hat: Er arbeitete ja mit aller Kraft
darauf hin, dass die beiden eben genannten
Personen, die nicht weniger nahe verwandt
waren, als wenn beide aus aller nächster
Verwandtschaft waren, zur Ehe zusammen
kommen sollten. Und diese Verbindung
betrieb er mehr aus eigenem Interesse,
als für das Reich, und ohne den Papst
um Erlaubnis zu fragen, und gegen die
lobenswerte Verordnung der hl. Kirche.
Viele sind deshalb Märtyrer geworden,
dass sie nicht duldeten, dass so etwas
gegen Gott und die Sitten der hl. Kirche
und christliche Sitten begangen wurde.
Wer diese Sünde ausmerzen will, soll
zum Papst gehen und sagen: „Ein Mann
(den Namen braucht er nicht zu nennen)
hat diese Sünde begangen; er hat sie
sicher in letzter Zeit bereut und hat
Ablass erhalten, hatte aber nicht mehr
Zeit, die Sünde wieder gutzumachen.
Legt mir dafür auf, welche Buße ihr
wollt und die ich leisten kann, denn
ich bin bereit, an seiner Stelle diese
Sünde gutzumachen.“ Wahrhaftig, auch
wenn ihm keine größere Buße als ein
Vaterunser auferlegt würde, so würde
das doch dieser Seele zu einer Abkürzung
der Pein des Fegefeuers helfen.“
[1]. D.i. die
Hostie. |
10. Kapitel |
|
Christus klagt
Birgitta über den kirchlichen Verfall
in Rom.
Gottes Sohn spricht die Worte und
sagt: „O Rom, für meine vielen Wohltaten
gibst du mir eine schlechte Vergeltung.
Ich bin Gott, der alles geschaffen hat,
und der meine unendlich Liebe durch
den schweren, grausamen Tod meines Leibes
offenbart hat, den ich freiwillig zur
Erlösung der Seelen erlitten habe. Es
gibt drei Wege, und auf denen wollte
ich zu dir gehen, aber du wolltest mich
wahrhaftig auf ihnen allen verraten.
Auf dem ersten Weg hängest du einen
großen Stein über mein Haupt, damit
er mich vernichten sollte. Auf den zweiten
Weg setztest du einen scharfen Speer,
der mich daran hindern sollte, zu dir
hin zu kommen. Auf dem dritten Weg grubst
du eine Grube, damit ich unvorsichtig
darin hineinfallen sollte und so erstickt
würde.
Aber das, was ich jetzt sage, darf nicht
wörtlich, sondern geistlich verstanden
werden. Ich spreche ja zu den Einwohnern
Roms, die so etwas machen, aber nicht
zu meinen Freunden, die nicht ihren
Taten folgen. Der erste Weg, auf dem
ich zum Herzen des Menschen komme, ist
die wahre Gottesfurcht, und darüber
hängte der Mensch einen gewaltigen Stein,
nämlich die große Vermessenheit des
harten Herzens, in der er nicht den
Richter fürchtet, dem niemand widerstehen
kann, sondern er denkt in seinem Herzen:
„Wenn die Gottesfurcht zu mir kommt,
wird die Vermessenheit meines Herzens
sie vernichten.“
Der zweite Weg, auf dem ich komme, ist
die Eingebung des göttlichen Rates,
die auch oft durch Predigt und Lehre
kommt. Auf diesem Wege setzt der Mensch
einen Speer gegen mich, wenn er sein
Vergnügen daran findet, gegen meine
Gebote zu sündigen und sich fest vornimmt,
in seinen Sünden zu verharren, bis er
nicht länger in der Lage ist, sie zu
betreiben. Das ist tatsächlich der Speer,
der Gottes Gnade daran hindert, zu ihm
zu kommen.
Der dritte Weg ist die Erleuchtung jedes
Menschenherzens durch den Heiligen Geist.
Dadurch kann der Mensch verstehen und
erwägen, wie viel ich für ihn getan
habe, und welch schwere Leiden ich um
seinetwillen auf mich genommen habe.
Auf diesem Wege gräbt er mir eine tiefe
Grube, indem er in seinem Herzen sagt:
„Das gefällt mir, das ist mir lieber,
als seine Liebe. Für mich reicht es
nämlich, an die Dinge zu denken, an
denen ich in diesem Leben Freude habe.“
Und so erstickt der Mensch die göttliche
Liebe mit meinen Taten, wie in einer
tiefen Grube.
Die Bewohner Roms tun mir in Wahrheit
all dies an und zeigen das fürwahr mit
Wort und Tat. Sie halten meine Worte
und Taten für nichts und schmähen mich,
meine Mutter und meine Heiligen, sowohl
im Scherz als auch im Ernst, in Freude
wie im Zorn, und bereiten uns Schimpf
an Stelle von Danksagung. Sie leben
gewiss nicht nach der Sitte der Christen,
wie es die heilige Kirche lehrt, denn
sie haben keine größere Liebe zu mir
als die Teufel, die lieber ihr Elend
und ihre Bosheit in Ewigkeit ertragen
wollen, als mich zu schauen und bei
mir in ewiger Ehre zu wohnen.
So sind vor allem die, die meinen Leib
nicht annehmen wollen, der auf dem Altar
in Brot verwandelt wird, wie ich es
selbst bestimmt hatte. Ihn anzunehmen,
hilft am allermeisten gegen die Versuchung
des Teufels.
O wie unglücklich sind doch die, die
– solange sie gesund sind – eine solche
Hilfe verschmähen und verabscheuen,
als wäre sie etwas Schlimmeres als Gift,
nachdem sie sich nicht von ihren Sünden
trennen wollen! Nun komme ich deshalb
auf einem für sie unbekannten Wege mit
der Macht meiner Göttlichkeit, um Rache
an denen zu nehmen, die meine Menschlichkeit
verachten.
Und so wie sie auf ihren Wegen drei
Hindernisse für mich bereitet haben,
so dass ich nicht zu ihnen kommen kann,
so werde ich ihnen drei andere Dinge
bereiten, deren Bitterkeit Lebende und
Tote vernehmen und schmecken sollen.
Mein Stein ist ein plötzlicher und unvorhergesehener
Tod, der sie so vernichten wird, dass
alles, an dem sie Vergnügen hatten,
hier unten verbleiben soll, und die
Seele allein gezwungen wird, zu meinem
Richterstuhl zu kommen.
Mein Speer ist meine Gerechtigkeit,
die sie so weit fort von mir jagen wird,
dass sie niemals meine Schönheit sehen,
die sie erschaffen hat. Meine Grube
ist die Finsternis der Hölle, in die
sie fallen werden, um dort in ewiger
Qual zu leben. Alle meine Engel im Himmel
und alle Heiligen werden sie verurteilen,
und die Teufel und alle Seelen in der
Hölle werden sie verdammen.
Mit ihnen bezeichne ich und von ihnen
sage ich dies, die so beschaffen sind,
wie oben gesagt ist, ob es Ordenspriester,
Weltpriester, Laien oder deren Frauen,
Söhne oder Töchter sind, die ein solches
Alter erreicht haben, dass sie verstehen,
dass Gott alle Sünden verboten hat,
und die sich trotzdem freiwillig in
Sünden verstricken, indem sie die Gottesliebe
ausschließen und die Gottesfurcht geringachten.
Doch habe ich noch denselben Willen
wie damals, als ich am Kreuze hing.
Ich bin derselbe, der ich war, als ich
dem Räuber, der um Barmherzigkeit bat,
alle seine Sünden verzieh und ihm die
Pforten des Himmels öffnete; aber für
den anderen Räuber, der mich verachtete,
den Zaun der Hölle offenließ; Dort soll
er ewig für seine Sünden gepeinigt werden.
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11. Kapitel |
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Die hl. Agnes
preist Gottes Mutter und bittet sie,
Birgitta Barmherzigkeit zu zeigen. Maria
verspricht ihrerseits, zu ihrem Sohn
Christus für Birgitta zu beten.
Agnes spricht: „O Maria, du Mutter
und Jungfrau über alle Jungfrauen, du
kannst mit Recht die Morgenröte genannt
werden, die von der wahren Sonne Jesus
Christus beleuchtet wurde. Aber soll
ich dich wegen deines königlichen Geschlechts,
oder für Reichtümer oder Ehre Morgenröte
nennen? Keineswegs. Nein, du magst mit
Recht wegen deiner Demut, wegen deines
Glaubenslichts oder wegen deines unvergleichlichen
Keuschheitsgelübdes Morgenröte genannt
werden.
Du hast nämlich die wahre Sonne angekündigt
und sie hervorgebracht. Du bist die
Freude der Gerechten, du vertreibst
die Teufel, du bist der Trost der Sünder.
Daher bitte ich dich um deiner Hochzeit
willen, die Gott mit dir in dieser Stunde
gefeiert hat, dass deine Tochter (Birgitta)
in der Verehrung und Liebe deines Sohnes
bleiben kann.“
Die Mutter Gottes antwortete: „Sag ihr,
die dies hört, wie du dies Hochzeit
auffasst!“ Agnes erwiderte: „Du bist
in Wahrheit Mutter, Jungfrau und Ehefrau.
Denn die schönste Hochzeit geschah in
dir zu der Stunde, als Gott sich in
dir mit der Menschlichkeit vereinigte,
ohne dass seine Göttlichkeit Schaden
litt oder vermindert wurde. So vereinigte
sich auch die Jungfräulichkeit und die
Mutterschaft, ohne dass die Reinheit
der Jungfräulichkeit Schaden nahm, und
du bist gleichzeitig Mutter und Tochter
für deinen Schöpfer geworden.
Heute hast du ihn zeitlich geboren,
der vom Vater ewig geboren war, und
der mit dem Vater alles bewirkt hat.
Der Heilige Geist war in dir, außerhalb
von dir und um dich her, und er machte
dich fruchtbar, als du dein Einverständnis
gabst, Gottes Botin zu sein. Dieser
Gottessohn, der heute von dir geboren
wurde, war schon in dir, ehe sein Sendbote
zu dir kam.
Sei deshalb barmherzig gegen deine Tochter.
Sie ist nämlich wie eine arme Frau,
die in einem Tal wohnte und nichts anderes
hatte, als ein paar kleine lebende Dinge,
wie Huhn oder Gans, aber sie hegte eine
so große Liebe zu dem Herrn, der auf
dem Berge oberhalb des Tales wohnte,
dass sie diesem Herrn auf dem Berge
aus Liebe all das Lebende anbot, was
sie besaß.
Der Herr antwortete dieser Frau: „Ich
habe Überfluss an allem, und ich brauche
das nicht, was dir gehört, aber vielleicht
machst du dieses kleine Geschenk aus
dem Grunde, dass du ein größeres als
Gegengabe erhältst.“ Sie antwortete
ihm: „Ich biete es nicht dafür, dass
du es gebrauchst, sondern dafür, weil
du mich arme Frau an deinem Berge bauen
und wohnen ließest, und dafür, dass
ich von deinen Dienern geehrt worden
bin. Ich biete dir nun das Wenige an,
was meine Freude ist, damit du siehst,
dass ich noch mehr tun würde, wenn ich
könnte, und dass ich nicht undankbar
für deine Gnade bin.“
Der Herr entgegnete: „Weil du mich mit
einer so großen Liebe liebst, will ich
dich auf meinen Berg hinaufnehmen und
dir und den Deinen jedes Jahr Kleider
und Essen geben.“ So ist deine Tochter
nun beschaffen. Sie hat dir nämlich
das einzig Lebendige gelassen, was sie
hatte – d.h. die Liebe zur Welt und
ihren Kindern. Deshalb kommt es deiner
Milde zu, für sie zu sorgen.“
Die Mutter antwortete der Braut des
Sohnes und sagte: „Tochter bleib standhaft!
Ich werde meinen Sohn bitten, dass er
dir jährlich Kost gibt und dich auf
den Berg erhebt, wo ihm tausend und
abertausend Engel dienen. Denn wenn
man alle Menschen rechnet, die von Adem
bis zu dem letzten Menschen am Ende
der Welt geboren sind, würde man mehr
als zehn Engel für jeden Menschen finden.
Die Welt ist gewiss nichts anderem gleich,
als einem Topf. Das Feuer und die Asche
unter dem Topf – das sind die Freunde
der Welt, während die Freunde Gottes
so wie das köstliche Essen im Topf sind.
Wenn der Tisch gedeckt ist, soll das
köstliche Essen dem Herrn dargebracht
werden, und er wird davon auch etwas
kosten. Der Topf wird zerbrochen werden,
aber das Feuer soll doch nicht verlöschen.“
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12. Kapitel |
|
Maria erklärt
Birgitta, warum Gottes Freunde bald
Trost erfahren, bald Trübsal erleiden
müssen.
Die Mutter sagt: „Gottes Freunde
sollen auf dieser Welt manchmal geistliche
Trübsal, manchmal geistliche Freude
erleben. Die geistliche Freude ist die
Eingießung des Heiligen Geistes, die
Betrachtung von Gottes großem Werk und
die Bewunderung seiner Geduld, und wie
all dies so lieblich in der Tat vervollkommnet
wird.
Geistliche Trübsal ist es, wenn unreine
und unerwünschte Gedanken den Sinn wider
Willen beunruhigen, wenn die Sinne sich
über Gottes Entehrung und den Schaden
der Seelen ängstigen, und wenn die Seele
aus vernünftiger Ursache gezwungen wird,
sich in zeitliche Sorgen und Kümmernisse
einzulassen. So dürfen Gottes Freunde
auch manchmal eine zeitliche Freude
erfahren, d.h. erbauliche Worte, ehrbares
Spiel oder andere Dinge, in denen nichts
Tadelnswertes oder Unpassendes ist.
Du sollst dies durch ein Gleichnis verstehen.
Wenn die Faust immer geschlossen ist,
würden entweder die Sehnen zusammengezogen
und schrumpfen, oder die Hand würde
alle Kraft verlieren. So ist es auch
mit geistlichen Dingen. Wenn die Seele
immer in Betrachtung verharrte, würde
sie entweder sich selbst vergessen und
in Hochmut versinken, oder es würde
auch ihre Ehrenkrone verringert. Daher
ist es so, dass Gottes Freunde manchmal
durch Eingießung des Heiligen Geistes
erfreut werden, manchmal mit Gottes
Zulassung Trübsal leiden, denn durch
die Mühsale werden die Wurzeln der Sünde
ausgerissen, und die Früchte der Gerechtigkeit
stetiger.
Aber Gott, der die Herzen sieht und
alles versteht, begrenzt doch die Versuchungen
seiner Freunde, so dass sie ihnen zum
Nutzen dienen, denn er lässt alles nur
in gerechter Weise und in rechtem Gewicht
und Maß geschehen. Also sollst du, weil
du im Geist Gottes berufen bist, dich
nicht über Gottes Langmut bekümmern,
denn es steht geschrieben, dass keiner
zu Gott kommt, wenn der Vater ihn nicht
zieht.
Der Hirte ruft und lockt die Schafe
ja mit einem Blumenstrauß heim, und
dann schließt er sorgfältig den Schafstall
ab, so dass die Schafe, auch wenn sie
drinnen herumspringen, gleichwohl nicht
hinauskönnen, denn der Stall hat ordentlich
gebaute Wände, ein hohes Dach und verschlossene
Türen. Daher gewöhnen sich die Schafe
daran, Heu zu fressen, so dass sie gefügig
werden und auch Heu aus der Hand des
Hirten fressen. So ist es auch mit dir
geschehen. Das, was dir vorher schwer,
ja unerträglich schien, ist dir nämlich
jetzt leicht geworden, so dass dich
jetzt nichts mehr so erfreut, wie Gott.“
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13. Kapitel |
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Christus erklärt
Birgitta die Wichtigkeit, dass man für
das zeitliche Wohlergehen seiner Mitmenschen
betet.
Der Sohn (Jesus Christus) spricht:
„Du möchtest wissen, warum ich den nicht
höre, von dem ich sehe, dass er viele
Tränen vergießt und den Armen um meiner
Ehre willen vieles gibt. Erstens antworte
ich dir: Da, wo zwei Quellen zusammenfließen,
geschieht es oft, dass sie in einen
einzigen Wasserlauf zusammenfließen,
und dass das Wasser der einen Quelle,
das trübe und unsauber ist, Schmutz
absondert, und das Wasser der anderen,
vorher so reinen Quelle verdirbt. Wenn
dies schmutzig geworden ist – wer kann
es dann trinken?
So ist es auch mit vieler Leute Tränen.
Mancher Leute Tränen entstehen nämlich
manchmal aus Nachgiebigkeit für die
Neigung der Natur, und manchmal aus
weltlicher Trübsal oder Furcht vor der
Hölle. Solche Tränen von Menschen sind
unrein und stinkend, denn sie entspringen
nicht aus Liebe zu Gott. Aber die Tränen
sind mir lieb, die aus der Betrachtung
von Gottes Wohltaten, der eigenen Sünden
und aus Liebe zu Gott hervorgehen. Solche
Tränen erheben die Seele vom Irdischen
zum Himmel und lassen den Menschen zum
ewigen Leben neugeboren werden.
Es gibt nämlich zwei Arten von Geburten,
die körperliche und die geistliche.
Die körperliche gebiert den Menschen
aus Unreinheit zur Unreinheit. Er beweint
die Schäden des Leibes und erträgt fröhlich
die Mühen der Welt. Ein Sohn solcher
Geburten ist nicht ein Sohn der Tränen,
der die Schäden der Seele beweint und
sich Sorgen darum macht, dass der Sohn
Gott nicht beleidigt. Eine solche Mutter
ist mit ihrem Sohn enger verwandt als
die, die auf fleischliche Weise gebiert,
denn durch eine solche Geburt wird das
selige Leben erworben.
Auf das zweite, nämlich dass er den
Armen Almosen gibt, antworte ich: Wenn
du deinem Sohn für das Geld deines Dieners
einen Rock kaufen würdest, würde da
der Rock mit Recht dem gehören, der
das Geld besaß? Ja, gewiss. So ist es
auch im geistlichen Bereich. Denn wer
seine Untergebenen oder seinen Nächsten
bedrückt, damit er mit deren Geldern
den Seelen seiner Lieben helfen kann,
der reizt mich mehr zum Zorn, als dass
er mich besänftig, denn ungerecht weggenommene
Güter nützen nur dem, der diese Güter
vorher zu Recht besessen hatte – und
nicht denen, für die sie ausgegeben
werden.
Aber weil dieser Mann dir Gutes getan
hat, müssen ihm auch geistlich und körperlich
Wohltaten erwiesen werden, geistliche
dadurch, dass für ihn Gebete an Gott
gerichtet werden, denn niemand kann
glauben, wie sehr Gebete von Demütigen
Gott gefallen, was ich dir durch ein
Gleichnis zeigen werde. Wenn jemand
einem König ein großes Silberstück anbieten
würde, würden die, die das gesehen haben,
sagen: „Das ist eine große Gabe.“ Wenn
jemand dagegen ein Pater noster für
den König lesen wurde, würde er verhöhnt
werden.
Vor Gott ist es umgekehrt, denn wenn
jemand ein Pater noster für die Seele
eines anderen betet, so ist das Gott
wohlgefälliger, als ein großes Geldstück.
Das geht klar daraus hervor, was mit
dem guten Gregorius geschah. Dieser
erhob ja durch sein Gebet den heidnischen
Kaiser zu einem höheren Amt.
Weiter sollst du ihm diese Worte sagen:
„Nachdem du Gutes an mir getan hast,
bete ich zu Gott, der alle belohnt,
dass er dir nach seiner Gnade vergelten
möge.“ Sag weiter zu ihm: „Lieber Freund,
zu einem rate ich dir, und um eins bitte
ich dich. Ich rate dir, das Auge deines
Herzens zu öffnen und die Unstetigkeit
und Eitelkeit der Welt zu betrachten.
Denk weiter daran, wie die Liebe zu
Gott in deinem Herzen erkaltet ist,
und wie schwer die Strafe ist, und wie
schrecklich das kommende Gericht.
Erwecke die Gottesliebe in deinem Herzen
zum Leben, richte all deine Zeit, dein
zeitliches Gut, deine Taten, Wünsche
und Gedanken auf Gottes Ehre hin, vertraue
deine Kinder Gottes Anordnung und seiner
Vorsehung an und lass deine Gottesliebe
sich nicht ihretwegen verringern.
Zweitens bitte ich, dass du in deinen
Gebeten bewirken möchtest, dass Gott,
der alles kann, dir Geduld schenken
und dein Herz mit seiner gesegneten
Liebe erfüllen möge.“
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14. Kapitel |
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Christus erklärt
Birgitta, dass es dem Teufel nicht glücken
wird, seine eigenen schlechten Eingebungen
mit den himmlischen Botschaften zu vermischen,
die ihr mitgeteilt werden.
Der Sohn (Jesus Christus) spricht:
„Warum fürchtest du dich und bist bekümmert
darüber, dass der Teufel etwas in die
Worte des Heiligen Geistes einmischt?
Hast du jemals gehört, dass der, der
seine Zunge zwischen die Zähne eines
wütenden Löwen steckte, sie ganz bewahrt
hat? Oder hat ein Mensch jemals aus
dem Schwanz einer Kreuzotter süßen Honig
gesaugt? Keinesfalls.
Aber was ist der Löwe oder die Schlange
anderes, wenn nicht der Teufel? Er ist
ein Löwe durch seine Bosheit, eine Schlange
durch ihre Schlauheit. Was ist die Zunge,
wenn nicht der Trost des Heiligen Geistes?
Und was ist es, die Zunge zwischen die
Zähne eines Löwen zu legen, wenn nicht,
Worte des Heiligen Geistes aufzusagen,
der sich zu Gunsten des Menschen und
zum Lobpreis in Zungengestalt offenbart
hat?
Wer also redet, um Gott zu loben und
Menschen zu gefallen, der wird gewiss
vom Teufel verwundet und betrogen, denn
seine Worte gehen nicht aus dem Mund
der Gottesliebe hervor, und die Zunge,
nämlich der Trost des Heiligen Geistes,
wird ihm weggenommen. Wer sich aber
nach nichts anderem sehnt, als nach
Gott, für den ist alles Irdische beschwerlich,
und sein Leib begehrt nichts anderes,
als etwas zu sehen oder zu hören, als
was Gott gehört, und seine Seele ergötzt
sich an der Eingebung des Heiligen Geistes.
Ein solcher Mensch kann nicht betrogen
werden, denn der böse Geist weicht dem
guten und wagt nicht, sich ihm zu nähern.
Aber was bedeutet es anders, Honig aus
dem Schwanz der Kreuzotter zu saugen,
als zu hoffen, von den Eingebungen des
Teufels den Trost des Heiligen Geistes
zu gewinnen, was doch auf keinen Fall
geschehen kann, weil der Teufel sich
lieber tausendmal töten lassen würde,
als der Seele ein einziges tröstendes
Wort zu geben, das ihm für das ewige
Leben nützen könnte.
Fürchte dich also nicht! Gott, der das
Gute in dir angefangen hat, wird es
nämlich zu einem guten Ende führen.
Du sollst aber wissen, dass der Teufel
wie ein Jagdhund ist, der von der Koppel
losgelassen ist. Wenn er sieht, dass
du nicht die Eingießung des Heiligen
Geistes hast, springt er dich mit seinen
Versuchungen und Eingebungen an. Aber
wenn du ihm etwas Hartes entgegenstellst,
das seinen Zähnen Schwierigkeiten macht,
oder ihm das Maul stopfst, dann wird
er gleich von dir Wegspringen und dir
nicht schaden.
Was ist nun das Harte, das man dem Teufel
entgegenhalten muss, anders als die
göttliche Liebe und der Gehorsam vor
Gottes Geboten? Wenn der Teufel sieht,
dass dies vollkommen in dir steckt,
dann knirscht er gleich mit den Zähnen,
d.h. sein Wille und sein Bemühen wird
zunichte, weil er sieht, dass du lieber
alle Mühsale leiden willst, als gegen
Gottes Gebote zu handeln.“
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15. Kapitel |
Christus erklärt,
wie er die Menschen, um sie zu erziehen,
manchmal Freude, manchmal Trauer empfinden
lässt. Offenbarung, gegeben 1350 in
Italien.
Gottes Sohn spricht: „Du möchtest
wissen, warum du hörtest, dass Gottes
ehrenwerter Freund von Trübsal heimgesucht
wird, aber Gottes Feind, von dem du
glaubtest, dass er geplagt werden müsste,
geehrt wird, wie es dir in einer anderen
göttlichen Vision gesagt wurde. Ich
antworte dir: Meine Worte sind sowohl
geistlich als auch körperlich zu verstehen.
Was ist weltliche Trübsal anders, wenn
nicht eine Vorbereitung und eine Erhöhung
zur Krone? Und was ist weltliches Glück
für den Mann, der die Gnade missbraucht,
wenn nicht ein Niedersteigen zum Verderben?
So enthalten Trübsale auf Erden eine
wahre Erhöhung zum Leben, aber auf der
Welt Erfolgt zu haben, bedeutet für
einen ungerechten Menschen ein wirkliches
Niedersteigen zur Hölle.
Daher will ich dir, um deine Geduld
mit dem Lernen von Gottes Wort zu stärken,
ein Gleichnis sagen. Er war eine Mutter,
die zwei Söhne hatte. Der eine war in
einem dunklen Gefängnis geboren und
hatte nichts anderes gesehen oder gekannt,
als Dunkelheit und Muttermilch. Der
andere dagegen war in einer kleinen
Stube geboren, aß menschliche Kost,
ruhte in einem Bett und wurde von einer
Amme bedient.
Zu dem, der im Gefängnis geboren war,
sagte die Mutter: „Mein Sohn, wenn du
aus dem Gefängnis herauskommen willst,
wirst du eine bessere Kost, ein weicheres
Bett und einen sichereren Aufenthaltsort
bekommen.“ Als der Knabe das hörte,
ging er hinaus, denn wenn die Mutter
ihm noch höhere Dinge versprochen hätte,
wie gute Pferde, ein Elfenbeinhaus oder
eine große Dienerschaft versprochen
hätte, hätte er das nicht geglaubt –
er kannte ja nur das Dunkel und die
Muttermilch. So verspricht auch Gott
manchmal kleine Dinge, womit er größere
Dinge meint, damit der Mensch durch
das Zeitliche lernen soll, an das Himmlische
zu denken.
Zu dem anderen Sohn sagte die Mutter
dagegen: „Mein Sohn, was nützt es dir,
in dieser elenden Hütte zu wohnen? Höre
auf meinen Rat, denn das wird dir zum
Nutzen dienen! Ich kenne zwei Städte.
In der einen haben die Einwohner unendliche
und unaussprechliche Freude sowie Ehren
ohne Grenze. In der anderen haben Kämpfer
Gefechtsübungen. Alle, die dort kämpfen,
werden Könige, und alle, die besiegt
werden, siegen trotzdem.“
Der Knabe hörte das und ging hinaus
auf den Kampfplatz. Er kam zurück nach
Hause und sagte zur Mutter: „Ich habe
auf dem Kampfplatz ein seltsames Spiel
gesehen. Manche wurden zu Boden geworfen
und niedergetrampelt, wurden ihrer Kleider
beraubt und verwundet, schwiegen alle
und spielten weiter, und keiner hob
den Kopf oder die Hand gegen die, die
ihn niederschlugen.“
Die Mutter antwortete: „Die Stadt, die
du gesehen hast, ist nur eine Vorstadt
zur Ehrenstadt. In dieser Vorstadt will
der Herr herausfinden, welche geeignet
sind, die Stadt der Ehre zu betreten.
Den, von dem er sieht, dass er der Tapferste
im Streit war, wird er am ehrenvollsten
in Herrlichkeit krönen. Deshalb gibt
es in dieser Stadt solche, die die prüfen
sollen, die in Herrlichkeit gekrönt
werden sollen. Du sahst, wie die Niedergeworfenen
ihrer Kleider beraubt wurden, verwundet
wurden und doch schwiegen, und das geschah
deshalb, weil unsere Kleider in unserer
dunklen Hütte beschmutzt wurden. Damit
sie rein werden, ist ein großer Kampf
und Mühe vonnöten.“
Der Knabe erwiderte: „Es ist schwer,
niedergeworfen zu werden und doch zu
schweigen; es scheint mir besser, in
meine Hütte zurückzukehren.“ Die Mutter
sagte zu ihm: „Wenn du in unserer Hütte
bleibst, werden in unserer Dunkelheit
und unserem Schmutz Würmer und Schlangen
gedeihen; du wirst entsetzt sein, ihre
Laute zu hören; ihr Biss wird all deine
Kraft zunichte machen, und ihre Gesellschaft
wird dich wünschen lassen, dass du nie
geboren bist.“
Der Junge hörte das und begehrte ein
körperliches Gut, obwohl die Mutter
das in geistlicher Weise gemeint hatte;
er wurde immer mutiger, und Tag für
Tag wuchs seine Sehnsucht, die Krone
zu gewinnen.
So handelt auch Gott. Denn er verspricht
und beschert zuweilen zeitliche Dinge.
Ja er verspricht fleischliche Dinge,
womit er geistliche meint, damit die
Seele durch die empfangenen Gaben zu
göttlichem Eifer erweckt wird und sich
durch das Geistliche Verständnis demütigt,
so dass sie nicht eingebildet und vermessen
wird.
So handelte Gott mit den Kindern Israel.
Denn erst versprach er und gab ihnen
zeitliche Dinge, und er tat mit ihnen
auch Wundertaten, damit sie dadurch
unterwiesen würden und das Unsichtbare
und Geistliche verstehen sollten. Nachdem
ihr Verstand eine größere Erkenntnis
über die Gottheit erlangt hatte, redete
Gott durch die Propheten dunkel und
schwer begreifliche Worte und mischte
ein paar tröstende und freudenreiche
darunter, indem er dem Volk versprach,
dass sie in ihr Vaterland zurückkehren
und einen ewigen Frieden genießen sollten,
und dass sie das Zerstörte wieder aufbauen
sollten. Obwohl das Volk dies fleischlich
verstand und all das Versprochene in
fleischlicher Weise haben wollte, wusste
und bestimmte doch Gott im voraus, dass
manches in fleischlicher Weise, manches
in geistlicher Weise vollendet werden
sollte.
Aber nun magst du fragen: „Warum hat
Gott, dem alle Zeiten und Stunden bekannt
sind, nicht deutlich und rechtzeitig
alles vorausgesagt, und warum hat er
manchmal eins gesagt, und etwas anderes
gemeint?“ Ich will dir antworten. Israels
Volk war fleischlich eingestellt, begehrte
nur das Fleischliche und konnte das
Unsichtbare nur durch das Sichtbare
verstehen. Daher hat es Gott gefallen,
sein Volk auf vielerlei Weise zu unterrichten,
so dass die, die seinen Verheißungen
glaubten, ihres Glaubens wegen desto
ehrenvoller gekrönt würden, die, die
Fortschritte im Guten gemacht haben,
desto eifriger werden sollten, die Trägen
von einem desto größeren Eifer für Gott
entzündet würden, die Übertreter aufhören,
noch mehr zu sündigen, die Beladenen
ihre Mühsale geduldiger tragen, die
Werktätigen froher aushalten und die
Wartenden desto ehrenvoller gekrönt
werden, damit sie an dem dunkeln Versprechen
festhalten.
Denn wenn Gott den fleischlich gesinnten
nur geistliche Dinge versprochen hätte,
so wären sie alle in ihrer Liebe zum
Himmlischen müde geworden. Und wenn
er nur fleischliche Dinge versprochen
hätte, was für ein Unterschied wäre
es dann zwischen Mensch und Tier gewesen?
Aber damit der sterbliche Mensch seinen
Leib richtig lenken und beherrschen
soll, schenkte der milde und weise Gott
ihm körperliche Dinge. Damit er nach
dem Himmlischen trachten soll, zeigte
er Wohltaten und himmlische Wunderwerke;
damit er fürchten soll, zu sündigen,
zeigte er seine schrecklichen Gerichte
und Eingebungen durch böse Engel. Und
damit der Erheller der Versprechen und
Geber der Weisheit besänftigt werden
soll und man sich nach ihm sehnt, vermischte
er dunkle und verwirrende Dinge mit
den tröstlichen.
So zeigt Gott noch heute geistliche
Zeichen durch körperliche Gleichnisse,
und wenn er von zeitlicher Ehre spricht,
meint er geistliche, damit alle Kunst
des Unterrichtens Gott allein zuerkannt
werde. Denn was ist weltliche Ehre anderes
als Wind, Mühe und Verminderung der
Freude an Gott? Was ist Trübsal anderes,
als eine Übung in Tugend? Und dem Gerechten
weltliche Ehre zu versprechen, was ist
es anderes, wenn nicht, ein geistliches
Gut zu verhindern? Weltliche Trübsal
zu versprechen, was ist das, wenn nicht
ein Heilmittel gegen eine Schwere Krankheit?
Deshalb, meine Tochter, können Gottes
Worte in verschiedener Weise verstanden
werden, aber man kann deswegen doch
keine Veränderlichkeit bei Gott erkennen,
sondern seine Weisheit mag bewundert
und gefürchtet werden. Denn so wie ich
durch die Propheten viele Dinge auf
körperliche Weise gesagt habe, die auch
körperlich in Erfüllung gingen, so habe
ich auch vieles in körperlicher Weise
gesagt, was auf geistliche Weise erfüllt
wurde oder zu verstehen ist. So handele
ich auch jetzt, und wenn diese Dinge
geschehen, werde ich dir ihre Ursachen
erzählen.“
|
16. Kapitel |
Birgitta hat
in ihrem Hause einen Vogt aus Östergötland
angestellt, der eine Wallfahrt nach
Rom gemacht hatte. Christus erklärt
ihr, dass dies unklug war, da der Mann
seine Wallfahrt nicht in frommer Absicht
unternommen hat. Offenbarung, gegeben
wahrscheinlich in Italien 1350 oder
später.
Die Mutter (Maria) spricht zur Braut
Christi: Warum habt ihr diesen Mann
empfangen, dessen Zunge so großsprecherisch
ist, dessen Leben unbekannt ist, und
dessen Sitten weltliche sind?“ Sie antwortete:
„Weil wir glaubten, er sei gut, und
weil ich keine Unannehmlichkeiten haben
wollte, weil ich einen Mann mit einer
bekannten bösen Zunge zurückgewiesen
habe. Aber wenn ich gewusst hätte, dass
es Gott missfiel, so hätte ich ebenso
wenig empfangen, wie eine Kreuzotter.“
Die Mutter sagte: „Dein guter Wille
hat seine Zunge und sein Herz bewacht,
so dass er euch keine Unruhe verursacht
hat. Aber der Teufel, der schlau ist,
hat euch einen Wolf im Schafspelz zugeführt,
um eine passende Gelegenheit zu finden,
euch zu stören und über euch zu schwätzen.“
Sie antwortete: „Es scheint uns, als
wäre er fromm und bußbereit; er besucht
ja Gräber von Heiligen und sagt, dass
er sich von Sünde fernhalten will.“
Die Mutter erwiderte: „Wenn es eine
Gans mit Federn gibt, sag mir – was
von beiden isst man dann, das Fleisch
oder die Federn? Verursachen die Federn
keinen Ekel, während das Fleisch doch
nährt und stärkt?
So verhält es sich auch geistlich mit
der heiligen Kirche. Sie ist nämlich
wie eine Gans, in der Christi Leib das
frische Fleisch bildet. Das Sakrament
ist sozusagen das Innere der Gans. Die
Flügel bezeichnen die Tugenden und Taten
der Märtyrer und Bekenner, die Daunen
bezeichnen die Liebe und Geduld der
Heiligen, aber die Federn bezeichnen
den Ablass, den heiligen bewillig und
erworben haben.
Jeder, der den Ablass in der Absicht
sucht, von seinen früheren Sünden entbunden
zu werden und trotzdem in seiner früheren
lasterhaften Gewohnheit bleibt, der
hat die Federn der Gans, von denen die
Seele weder ernährt noch gestärkt wird,
sondern die nur Erbrechen hervorrufen,
wenn sie verzehrt werden. Aber die,
die zum Ablass kommen, um dann die Sünden
zu unterlassen, zu Unrecht erworbenes
Gut zurückzugeben, den Schaden wieder
gutzumachen, den sie verursacht haben,
nicht mehr einen einzigen Pfennig mit
schamlosem Gewinn zu erwerben, nicht
einen einzigen Tag ohne nach Gottes
Willen zu verbringen, sich im Unglück
und im Glück Gottes Willen zu fügen
und auf die Ehre und Freundschaft der
Welt zu verzichten, - die werden die
Vergebung der Sünden erlangen, und sie
sind wie Engel in Gottes Augen.
Wer sich freut, Erlass von begangenen
Sünden erlangt zu haben, aber nicht
willens ist, die frühere Eitelkeit und
die ungeordnete Begierde seiner Sinne
aufzugeben, sondern das ungerecht erworbene
Eigentum behalten will, die Welt in
sich und den Seinen lieben will, über
die Demut lächelt, die weltlichen Gewohnheiten
nicht aufgibt und seinem Fleisch den
Überfluss nicht abgewöhnt, den bringen
die Federn – nämlich die Ablässe – zum
Erbrechen, d.h. dazu, Reue zu empfinden
und zu beichten, wodurch die Sünde getilgt
und Gottes Gnade erworben wird, und
er wird wie mit ein paar Federn aus
den Händen des Teufels in Gottes Schoß
fliegen – sofern er selbst mit seinem
guten Willen mitwirken will, das zu
erlangen.“
Sie (Birgitta) antwortete: „O Mutter
der Barmherzigkeit, bitte für diesen
Mann, dass er im Anblick seines Sohnes
Gnade fingen mag.“ Sie (Maria) sagte:
„Der Heiligen Geist besucht ihn, aber
es liegt etwas wie eine Steinplatte
vor seinem Herzen und hindert Gottes
Gnade, hineinzukommen. Gott ist wie
eine Henne, die die Eier wärmt, aus
denen lebende Küken hervorkommen. Alle
Eier, die unter der Henne sind, empfangen
ihre Wärme, dagegen nicht die Gegenstände,
die darum herum liegen. Und die Henne
zerbricht nicht selbst die Schale, unter
der die Jungen aufwachsen, sondern das
Küken versucht selbst, mit seinem Schnabel
Löcher darein zu hacken, und wenn die
Mutter das sieht, verschafft sie diesem
Jungen einen wärmeren Platz, wo es ganz
ausgebrütet werden kann.
So besucht Gott alle mit seiner Gnade.
Aber die, die so denken: „Wir wollen
uns der Sünde enthalten, und soviel
wir können, wollen wir nach Vollkommenheit
streben,“ – die besucht der Heiligen
Geist immer öfter, damit sie umso vollkommener
das Gute tun. Aber die, die ihren ganzen
Willen Gott anvertrauen, und die nicht
das Allergeringste gegen Gottes Liebe
tun wollen, sondern ihr folgen, die
nach größerer Vollkommenheit streben,
die sich nach dem Rat demütiger Menschen
richten, um klugerweise gegen die Triebe
ihres Fleisches anzukämpfen, die birgt
Gott unter sich, wie die Henne ihre
Küken. Er macht sein Joch für sie leicht
und hilft ihnen in ihren Schwierigkeiten.
Aber die, die ihrem eigenen Willen folgen
und meinen, dass das wenig Gute, das
sie tun, Lohn vor Gott verdient, die
nicht nach höherer Vollkommenheit streben,
sondern daran festkleben, was dem Herzen
Vergnügen macht, die ihre Schwächen
mit dem Beispiel anderer entschuldigen
und mit dem Hinweis auf die Schlechtigkeit
anderer über ihre Sünden hinweggehen
– die werden Gottes Küken nicht, denn
sie sind nicht willens, ihre Herzenshärte
zu überwinden, sondern wenn sie könnten,
würde sie gern lange leben, um lange
in der Sünde verharren zu können.
So handelte der Gute Zachäus nicht,
auch nicht Magdalena, sondern weil sie
mit allen Gliedern gegen Gott verstoßen
hatten, so gaben sie ihm auch mit allen
Gliedern Genugtuung für ihre Sünden,
und weil sie zu ihrem tödlichen Schaden
zu Ehrenbezeugungen der Welt aufgestiegen
waren, stiegen sie nun demütig herab
zur Weltverachtung, denn es ist schwer,
gleichzeitig Gott und die Welt zu lieben.
Wer das tut, ist wie ein Tier, das vorn
und hinten Augen hat, und dem geht es
schlecht, wie vorsichtig es auch ist.
Aber die, die wie Zachäus und Magdalena
sind, die haben den besseren Teil erwählt.“
|
Erklärung |
Dieser Mann war
ein Vogt in Östergötland. Er kam 1350
während des Jubeljahres nach Rom, doch
mehr aus Furcht, als aus Liebe. Von
ihm sagte Christus im Rom: „Ein Jeder,
der einer Gefahr entgangen ist, möge
sich vorsehen, dass er nicht wieder
in sie hineingerät. Die Seeleute, die
zu große Zuversicht in den Hafen haben,
leiden ja Schiffbruch. Daher mag dieser
sich vorsehen, dass er nicht wieder
in seine frühere Stellung kommt. Wenn
er sich nicht vorsieht, wird er das
verlieren, was erstrebenswert ist, und
was er gesammelt hat, wird bei Fremden
landen. Seine Kinder werden nicht erben,
und er selbst erleidet einen schmerzhaften
Tod unter Fremden.“
Als er umgekehrt war, wurde er jedoch
wieder Steuererheber, und alles, was
gesagt war, traf ein. |
17. Kapitel |
Die hl. Agnes
spricht mit Birgitta über eine eingebildete
Frau, die diese kürzlich gesehen hatte.
Birgitta soll sich, sagt sie, um Weltverachtung,
Demut und Enthaltsamkeit bemühen – Tugenden,
die im Gegensatz zur Hoffart dieser
Weltdame stehen.
Agnes
spricht zur Braut Christi: „Du sahst
heute eine hochmütige Frau in einem
Wagen des Hochmuts.“ Die Braut antwortete:
„Ja, ich sah sie, und ich wurde wie
von Sinnen, denn Fleisch und Blut, Staub
und Dreck wollen gelobt werden, wo sie
sich mit Recht demütigen sollten. Was
ist ein solch Aufsehen erregender Staat
anders, als eine verschwenderische Vergeudung
von Gottes Gaben, eine Bewunderung der
Menge, eine Plage der Gerechten, und
Verarmung der Armen, eine Erzürnung
Gottes, ein Vergessen seiner selbst,
ein Erwerben des Künftigen Gerichts
und ein Schaden für die Seelen?“
Agnes erwiderte: „Freue dich, Tochter,
dass du von so etwas frei bist! Ich
will dir nun einen anderen Wagen beschreiben,
wo du sicher ruhen kannst. Der Wagen,
in dem du sitzen sollst, ist Stärke
und Geduld in Trübsal. Denn, wenn der
Mensch beginnt, sein Fleisch zu zügeln
und seinen ganzen Willen Gott anzuvertrauen,
da wird entweder der Sinn durch Hochmut
beunruhigt, wodurch der Mensch sich
über sich selbst erhebt, so dass er
sich wie Gott und wie gerechte Menschen
rechnet, oder er wird auch von Ungeduld
und Unklugheit bedrückt, so dass er
wieder in die alten Sünden zurückfällt
oder in seinen Kräften geschwächt wird,
so dass er für Gottes Arbeit ungeeignet
wird. Daher ist es notwendig, mit kluger
Geduld zu handeln, so dass man nicht
aus Ungeduld zurückfällt oder aus Unklugheit
beharrt, sondern sich den Kräften und
den Zeiten anpasst.
Das erste Rad an diesem Wagen ist der
vollkommene Wille, alles Gott zu übergeben
und nichts anderes als Gott zu begehren.
Es gibt ja viele, die das Zeitliche
aufgeben, um von ihren Beschwerden loszukommen,
die aber doch alles haben, das ihnen
von Nutzen ist und zur Freude dient.
Ihr Rad läuft nicht so, wie es sollte,
denn wenn Armut sie plagt, möchten sie
von allem genügend haben; wenn schwere
Rückschläge eintreffen, wünschen sie
sich Glück; wenn sie Beschimpfung trifft,
murren sie über Gottes Anordnung und
wünschen sich Ehre und Anerkennung;
wenn man ihnen befiehlt, etwas zu tun,
was ihnen zuwider ist, wollen sie ihre
eigene Freiheit. Daher hat Gott an dem
Willen Gefallen, der nicht sein Eigenes
sucht, sei es im Glück oder im Unglück.
Das zweite Rad ist die Demut, wo der
Mensch sich alles Guten für unwürdig
hält, indem er sich jede Stunde seine
Sünden vor Augen hält und sich in Gottes
Augen für strafbar hält. Das dritte
Rad besteht darin, Gott klug zu lieben.
Der liebt klug, der sich selbst kasteit,
seine Laster hasst, sich über die Sünden
seiner Nächsten und seiner Verwandten
Sorgen macht, sich über ihre geistlichen
Fortschritte auf dem Weg zu Gott freut
nicht wünscht, dass sein Freund nur
zu seinem eigenen Nutzen lebt, sondern
um Gott zu dienen und sich wegen seines
weltlichen Erfolges fürchtet, weil er
wie Gott vielleicht dadurch kränken
konnte. Ja, der liebt klug, der die
Laster hasst, niemanden für dessen Gunst
oder Ehrenbezeugung begünstigt und die
Menschen mehr liebt, bei denen er sieht,
dass sie eifriger in ihrer Liebe zu
Gott sind.
Das vierte Rad ist die kluge Beherrschung
des Fleisches. Wer in der Ehe lebt und
denkt: „Schau, das Fleisch lockt mich
in unordentlicher Weise; wenn ich nach
dem Fleisch lebe, so weiß ich ganz sicher,
dass mir der Schöpfer des Fleisches
zürnt, der zuschlagen und Krankheit
schicken kann, der richtet und tötet.
Daher will ich aus Liebe zu Gott und
aus Furcht vor ihm von selbst mein Fleisch
zügeln und in gebührender und geordneter
Weise zu Gottes Ehre leben. Ja, wer
so denkt und Gottes Hilfe begehrt, dessen
Rad ist Gott wohlgefällig.
Aber wenn ein Mensch der Enthaltsamkeit
denkt: „Schau, das Fleisch verlockt
mich zur Schwelgerei, und auch der Ort,
die Zeit, die Güter und das Alter bieten
sich an, die Lust vollkommen auszunützen,
doch will ich es mit Gottes Hilfe unterlassen,
um eines zufälligen Vergnügens willen
und gegen mein heiliges Gelübde zu sündigen.
Sicher ist es groß, was ich Gott gelobt
habe – arm bin ich zur Welt gekommen,
und noch ärmer werde ich sie verlassen,
und ich muss vor Gottes Richterstuhl
Rechenschaft über alles ablegen, was
ich getan habe. Um Gott nicht zu kränken,
um meinem Nächsten keinen Anstoß zu
geben und mich selbst zum Meineidigen
zu machen, will ich also enthaltsam
leben.“
Die Enthaltsamkeit eines solchen Menschen
verdient großen Lohn. Aber wenn jemand
in Ehre und Genüssen lebt und denkt:
„Schau, ich habe Überfluss an allem,
aber der Arme leidet Mangel, und doch
haben wir ein und denselben Gott. Was
habe ich da verdient, und was hat er
verbrochen? Was ist das Fleisch anderes,
als Futter für die Würmer, und was sind
so viele Genüsse anderes, als Ekel und
Anlass zu Krankheit, Zeitverlust und
Versuchung zur Sünde? Ich will daher
mein Fleisch zügeln, so dass nicht die
Würmer ihr Verlangen darin finden, so
dass ich nicht ein noch schlimmeres
Gericht erleide, und dass ich nicht
die Zeit der Buße töricht Verstreichen
lasse. Und da mein schlecht erzogenes
Fleisch sich nicht so leicht wie der
Arme an einfache und ordinäre Dinge
gewöhnen kann, ohne die man leicht leben
kann, so dass der Leib sein Auskommen,
aber keinen Überfluss hat.“
Wer so denkt und in seinem Tun versucht,
es zu verwirklichen, so gut er kann,
der kann sowohl ein Bekenner als auch
Märtyrer genannt werden, denn es ist
bezeichnend für das Märtyrertum, Zugang
zu Genüssen zu habe, aber sie doch zu
verschmähen, Ehre zu genießen, aber
sie doch zu verachten, unter den Menschen
groß zu sein, aber von sich selbst am
wenigsten zu halten, wahrlich ein solches
Rad gefällt Gott sehr.
Sieh, Tochter, nun habe ich dir den
Wagen beschrieben, dessen Kutscher dein
Engel ist, sofern du seinen Zaum und
sein Joch nicht von deinem Hals abwirfst,
seine Heilbringenden Eingebungen nicht
verschmähst, oder deine Sinne und dein
Herz nicht auf nichtige und leichtfertige
Dinge richtest.
Nun will ich auch mit dir über den Wagen
sprechen, in dem diese Frau gesessen
hat. Der Wagen ist gewiss ihre Ungeduld
gegenüber Gott, denn sie murrt über
seine heimlichen Gerichte, wenn es nicht
nach ihrem Behagen geht. Sie sieht mit
Unwillen auf ihren Nächsten, nachdem
sie dessen Güter nicht bekommen kann.
Sie ist auch ungeduldig, wenn es sie
selbst betrifft, denn sie zeigt ungeduldig,
was sie im Herzen verborgen hat.
Das erste Rad an diesem Wagen ist der
Hochmut, denn sie hält sich selbst für
mehr als andere und verurteilt andere,
verachtet die Demütigen und trachtet
nach Ehrenplätzen. Das zweite Rad ist
Ungehorsam gegen Gottes Gebote; dadurch
wird sie verleitet, ihre Schwachheit
zu entschuldigen, über ihre Sünde schnell
hinwegzugehen und, vermessen genug,
die Bosheit ihres Herzens zu verteidigen.
Das dritte Rad ist das Verlangen nach
zeitlichen Dingen; dadurch wird sie
verleitet, das, was sie besitzt, verschwenderisch
auszugeben, sich selbst und das Zukünftige
zu vergessen; es ist Furcht im Herzen
und Lauheit in der Liebe zu Gott. Das
vierte Rad ist ihre Liebe zu sich selbst,
die sie von der Verehrung und der Furcht
vor ihrem Gott abhält und dazu führt,
dass sie nicht auf ihr Ende und ihr
Gericht achtet.
Der Kutscher auf diesem Wagen ist der
Teufel, der sie munter und dreist in
allem macht, was er ihrem Herzen eingibt,
dass sie es tun soll. Die beiden Pferde,
die den Wagen ziehen, sind die Hoffnung
auf ein langes Leben und der Wille,
bis zuletzt zu sündigen. Das Zaumzeug
ist die Scham, zu beichten. Mit der
Hoffnung auf ein langes Leben und dem
Willen, in der Sünde zu verharren, zieht
dieses Schamgefühl ihre Seele von dem
rechten Wege ab und belastet sie so
mit schweren Sünden, dass weder Furcht,
Schamgefühl oder Ermahnung sie dazu
befähigt, sich zu erheben. Wenn sie
glaubt, fest und sicher zu stehen, stürzt
sie hinab in die Tiefe, sofern Gottes
Gnade ihr nicht hilft.“
|
Zusatz |
Weiter
spricht Christus über dieselbe Frau
und sagt: „Sie ist eine Kreuzotter,
die die Zunge einer Hure, Drachengalle
im Herzen und das bitterste Gift im
Liebe hat. Daher werden ihre Eier giftig.
Glücklich die, die ihre Bürde nicht
erfahren müssen.“ |
18. Kapitel |
Birgitta preist
Maria; Maria verspricht ihr, ihr die
Gnadengaben aller Tugenden zu erwirken.
Liebliche
Maria“, sagte die Braut, „gesegnet seist
du mit ewigem Segen, denn du warst Jungfrau
vor der Entbindung, Jungfrau nach der
Entbindung, Jungfrau mit deinem Verlobten,
zweifellos Jungfrau, als dein Bräutigam
zweifelte. Deshalb sei du gesegnet,
denn du warst Mutter und Jungfrau, du
allein warst Gott am allerliebsten,
du allein warst reiner als alle Engel,
du allein warst mit dem Apostel am meisten
von Glauben erfüllt, du allein warst
am traurigsten im Herzweh, am edelsten
in Enthaltsamkeit unter allen Bekennern,
am höchsten in Enthaltsamkeit und Keuschheit
unter allen Jungfrauen. Deshalb segnet
dich alles droben im Himmel und unten
auf Erden, denn durch dich ist Gott
der Schöpfer Mensch geworden, durch
dich findet der Gerechte Gnade, der
Sünder Vergebung, der Tote Leben, und
der Geächtete kehrt in sein Vaterland
zurück.“
Die Jungfrau (Maria) erwiderte: „Es
steht geschrieben, dass - als Petrus
Zeugnis von meinem Sohn ablegte, dass
er Gottes Sohn sei, diese Antwort erhielt:
„Selig bist du, Simon, denn Fleisch
und Blut haben dir dies nicht offenbart.“
Ebenso sage ich jetzt, dass deine fleischliche
Seele dir diesen Gruß nicht offenbart
hat, sondern Er, der ohne Anfang war
und ohne Ende sein wird.
Deshalb sollst du demütig sein; dann
werde ich dir barmherzig sein. Johannes
der Teufer wird lieb zu dir sein, wie
er versprochen hat, Petrus wird milde
zu dir sein, Paulus wird stark wie ein
Kämpfer sein. Ja, dann wird Johannes
dir sagen: „Tochter, sitz auf meinen
Knien“, Petrus wird dir sagen: „Tochter,
öffne deinen Mund, so will ich dich
mit leiblicher Kost sättigen.“ Paulus
wird dich kleiden und mit den Waffen
der Liebe ausrüsten, und ich, die Mutter
ist, werde dich meinen Sohn verstellen.
Doch, meine Tochter, dies kannst du
auch auf geistliche Art verstehen. Denn
mit Johannes, was „Gottes Gnade“ bedeutet,
wird wahrer Gehorsam bezeichnet. Er
war und ist gewiss liebenswert. Johannes
war seinen Eltern auf Grund seiner wunderbaren
Gnade liebenswert, für die Menschen
Grund seiner einzigartigen Verkündigung,
für Gott wegen der Heiligkeit seines
Lebens und seines Gehorsam. Ja, er gehorchte
in seiner Jugend, gehorchte im Glück
und Unglück, blieb gehorsam und demütig,
als er Ehren ernten konnte, und war
gehorsam noch im Tod.
Daher sagt der Gehorsam: „Sitze auf
meinen Knien“, d.h. steig nieder zur
Demut, und du wirst es hoch haben, verlass
das, was hübsch aussieht, aber in Wahrheit
bitter ist, und du wirst es lieblich
haben. Gib deinen eigenen Willen auf,
wenn du klein sein willst, verachte
das Irdische, und du wirst himmlisch
werden; verschmähe das Überflüssige,
und du wirst geistlichen Überfluss haben.
Mit Petrus ist jedoch der Glaube der
heiligen Kirche gemeint. Denn so wie
Petrus standhaft bis zuletzt blieb,
so wird der Glaube der heiligen Kirche
ewig standhaft bleiben. Daher sagt Petrus,
nämlich der heilige Glaube: „Öffne deinen
Mund, und du wirst die üppigste Kost
erhalten“, d.h. öffne den Verstand deiner
Seele, und du wirst in der heiligen
Kirche die lieblichste Kost finden –
nämlich den Leib des Herrn im Sakrament
des Altars, das neue Gesetz und das
alte, die Auslegungen der Lehrer, die
Geduld der Märtyrer, die Demut der Bekenner,
die Reinheit der Jungfrauen und den
Grund aller Tugenden.
Suche daher den heiligen Glauben in
der Kirche des hl. Petrus, halte ihm
im Gedächtnis und bringt ihn mit guten
Taten zur Vollendung. Mit Paulus wird
Geduld bezeichnet. Er brannte nämlich
in seinem Eifer gegen die, die den heiligen
Glauben bekämpfen, froh in Leiden, beharrlich
in Hoffnung, geduldig in Krankheiten,
mitfühlend mit den Trauernden, demütig
in seinen Tugenden, freigebig gegenüber
den Armen, barmherzig gegen die Sünder,
Meister und Lehrer aller, der bis zuletzt
in Gottes Liebe verharrte.
Deshalb wird Paulus, nämlich die Geduld,
dich mit den Waffen der Tugenden versehen,
denn die wahre Geduld, die auf das Beispiel
und die Geduld Christi und seiner Heiligen
gegründet und gestärkt ist, die zündet
die Gottesliebe im Herzen an, feuert
die Seele an, mit Stärke zu handeln,
macht den Menschen demütig, milde, barmherzig,
brennend für das Himmlische, wachsam,
wenn es sie selbst betrifft, und beharrlich
in dem, was sie begonnen hat.
Infolgedessen werde ich, die Mutter
der Barmherzigkeit, jeden Menschen zu
meinem Sohn hinführen, der auf den Knien
der Demut Gehorsam leistet, der den
Glauben mit lieblicher Kost sättigt
und die Geduld mit den Waffen der Tugenden
kleidet, und mein Sohn wird ihn mit
der Krone seiner Lieblichkeit krönen.
In ihm ist nämlich eine unergründliche
Stärke vorhanden, eine unvergleichliche
Weisheit, eine unsagbare Sittsamkeit
und eine wunderbare Liebe. Und deshalb
wird niemand ihn aus seinen Händen reißen
können.
Wenn ich auch nur mit dir rede, meine
Tochter, meine ich mit dir doch alle,
die dem heiligen Glauben mit Werken
der Liebe folgen. Denn so wie unter
einem Manne Israel alle Israeliten verstanden
wurden, so sind mit dir alle wahrhaft
Gläubigen gemeint.“
|
19. Kapitel |
Birgitta preist
Maria, die dafür verspricht, ihr die
Gnadengaben der Tugenden zu erwirken.
O liebliche Maria, du neue Schönheit,
du allerklarste Schönheit! Komm du mir
zu Hilfe, so dass meine Hässlichkeit
abgewaschen, und meine Liebe entzündet
wird! Drei Dinge verleihen nämlich dem
Haupte deine Schönheit. Sie reinigt
das Gedenken, so dass zweitens das Gehörte
mit Freude behalten werden kann, und
so dass drittens Gottes gehörte und
bewahrte Worte mit Eifer ausgebreitet
und weiter zur Kenntnis des Nächsten
gebracht werden.
Deine Schönheit beschert auch dem Herzen
drei Dinge. Erstens nimmt sie die so
harte Bürde der Trägheit fort, wenn
man deine Liebe und Demut betrachtet.
Zweitens gibt sie den Augen Tränen,
wenn man deine Armut und Geduld beachtet.
Drittens verleiht sie dem Herzen die
innerliche Glut der Lieblichkeit, wenn
man mit Ernst an deine Güte und Milde
denkt. O meine Frau, du bist in Wahrheit
die kostbarste Schönheit, die Schönheit,
die man am meisten begehrt, denn du
bist den Schwachen zur Hilfe gegeben,
den Betrübten zum Trost und allen zur
Mittlerin.
Also tun alle, die gehört haben, dass
du geboren werden sollst, und die wissen,
dass du jetzt geboren bist[1], recht
daran, zu rufen: „Komm, du klarste Schönheit,
und erleuchte unser Dunkel! Komm, du
kostbarste Schönheit, und nimm unsere
Schmach fort! Komm, du lieblichste Schönheit,
und lindere unseren bitteren Schmerz!
Komm, du mächtigste Schönheit, und löse
uns aus unsere Gefangenschaft! Komm,
du ehrbarste Schönheit, und wisch unsere
widerliche Unreinheit ab!“
Gesegnet und verehrungswürdig sei deshalb
eine so herrliche Schönheit! Alle Patriarchen
wünschen, sie zu sehen, alle Propheten
sangen und weissagten von ihr, und alle
Auserwählten freuen sich über sie.“
Die Mutter antwortete: „Gesegnet sei
Gott, meine Schönheit, die dir eingab,
solche Worte zu sprechen! Darum sage
ich dir, dass die urälteste, die ewige
und allerlieblichste Schönheit, die
mich gemacht und geschaffen hat, dich
stärken wird. Die älteste und doch neue
Schönheit, die alles erneuert, die in
mir war und von mir ausging, wird dich
wunderbare Dinge lehren, die begehrenswerteste
Schönheit, die alle erfreut und glücklich
macht, wird deine Seele mit ihrer Liebe
entzünden. Vertraue deshalb auf Gott!
Wenn sich die himmlische Schönheit zeigt,
wird nämlich alle irdische Schönheit
zuschanden und wird für Dreck gehalten.“
Danach sagte Gottes Sohn zur Mutter:
„O gesegnete Mutter, du bist wie ein
Goldschmied, der ein schönes Werk herstellt.
Alle, die das Werk sehen, freuen sich
und opfern Gold oder kostbare Steine,
damit das Werk vollendet werden kann.
So schenk du, die von allen geliebte
Mutter, dem Menschen Hilfe, der versucht,
zu Gott aufzusteigen, und du lässt keinen
deinen Trost entbehren. Deshalb kannst
du mit Recht Blut von Gottes Herzen
genannt werden. Denn so wie alle Glieder
des Leibes Leben und Kraft durch das
Blut empfangen, so werden durch dich
alle von der Sünde zum Leben erweckt
und können Gott in einer fruchtbareren
Weise dienen.“
[1]. Die Offenbarungen
dürfte eine Betrachtung zu Marias Geburtstag
(8. September) sein. |
20. Kapitel |
Die hl. Agnes
ermahnt Birgitta, ihre strenge Lebensführung
nicht zu ändern, aber auch keine übertriebene
Askese zu üben; gute geistliche Berater
können sie dabei anleiten. Weiter deutet
Agnes an, wie Gott den Menschen in der
Stunde der Versuchung hilft.
Agnes spricht: „O Tochter, steh fest
und weiche nicht zurück, denn eine stechende
Schlange liegt hinter deinen Fersen,
und geh auch nicht weiter voran als
nötig ist, denn eine scharfe Speerspitze
liegt vor dir, und von der wirst du
verwundet werden, wenn du weiter vorgehst,
als richtig ist.
Aber was heißt das, zurückzuweichen,
wenn man nicht in der Stunde der Versuchung
bereut, dass man einen strengeren und
gesunden Wandel eingeschlagen hat, aber
doch wieder zum dem Altgewohnten zurückkehren
will und die Sinne sich an schmutzigen
Gedanken erfreuen lässt? Wenn so etwas
dem Sinn gefällt, so verdunkelt das
alles Gute und zieht das Verlangen ganz
allmählich von allem Guten ab.
Und du sollst auch nicht weiter vorangehen,
als angemessen ist, d.h. dich über deine
Kräfte anstrengen oder anderen in guten
Taten mehr nachzueifern, als in der
Kraft deiner Natur liegt. Denn Gott
hat von Ewigkeit verordnet, dass der
Himmel für Sünder durch Werke der Liebe
und der Demut offen gelassen wird, wobei
Maß und Überlegung bei allem eingehalten
wird.
Aber nun rät der missgünstige Teufel
dem unvollkommenen Menschen, über seine
Kräfte zu fasten, ungewöhnliche und
undurchführbare Dinge zu versprechen
und dem nachzueifern, was vollkommen
ist, indem er seine schwachen Kräfte
nicht berücksichtigt, und die Folge
ist, dass der Mensch das schlecht begonnene
Werk mit immer schwächeren Kräften fortsetzt
– mehr aus Scham vor den Menschen als
für Gott, oder dass er auch bald durch
Unklugheit und Schwäche ermattet.
Deshalb magst du dich selber an dir
selber messen, d.h. auf deine Stärke
und Schwachheit Acht geben, denn manche
sind von Natur aus stärker, andere schwächer.
Manche brennen durch Gottes Gnade mehr,
andere sind aus guter Gewohnheit eifriger.
Daher solltest du dein Leben nach ihrem
Rat einrichten, damit dich nicht die
Schlange sticht, weil du dich vorher
nicht besinnst, oder die Spitze des
vergifteten Schwertes, d.h. die höchst
giftige Eingebung des Teufels, kann
deinen Sinn betrügen, so dass du entweder
das scheinen willst, was du gar nicht
bist, oder etwas haben möchtest, was
über deine Kräfte und deine Macht geht.
Es gibt nämlich manche, die glauben,
das Himmelreich durch ihre Verdienste
zu gewinnen, und die verschont Gott
durch seinen heimlichen Ratschluss vor
den Versuchungen des Teufels. Es gibt
andere, die glauben, mit ihren Werken
vor Gott gutzumachen, was sie gesündigt
haben, und dieser ganze Irrtum von ihnen
ist verwerflich. Denn auch wenn der
Mensch seinen Leib hundertmal töten
würde, könnte er bei Gott nicht eins
für tausend wiedergutmachen, denn Er
verleiht das Können und den Willen,
Er schenkt die Zeiten und Gesundheit.
Er ist es, der erhöht und demütigt,
und alles ist in seine Hände gelegt.
Dafür soll nur ihm Ehre erwiesen werden,
und keine Menschenverdienste gelten
vor Gott etwas.
Aber nun möchtest du über die Frau Bescheid
wissen, die gekommen war, um Vergebung
ihrer Sünden zu erlangen, aber verführt
wurde. Ich antwortete dir: Es gibt manche
Frauen, die enthaltsam leben, aber doch
den Menschen nicht lieben, der keine
großen Wünsche hat oder gewaltsam versucht
wird, und der gern mit einer ehrenhaften
Ehe einverstanden wäre, wenn sie sich
ihm bieten würde, der aber – da das
Große ihm nicht angeboten wird – das
Kleine nun verschmäht.
Deshalb gibt die Enthaltsamkeit manchmal
Anlass zu Hochmut und Vermessenheit,
weshalb es auch mit Gottes Zulassung
geschieht, dass sie fallen, wie du ja
auch hörtest. Aber wenn jemand die Absicht
hat, dass er um alles in der Welt nicht
ein einziges Mal beschmutzt werden will,
so wäre es ja auch unmöglich, dass ein
solcher schändlichen Dingen anheim fallen
würde. Wenn Gott in seiner verborgenen
Gerechtigkeit zulassen würde, dass ein
solcher Mensch fällt, so würde ihn dies
mehr zur Belohnung als zur Sünde führen,
wenn es gegen seinen Willen passieren
würde.
Deshalb sollst du sicher wissen, dass
Gott so wie ein Adler ist, der von der
Höhe auf das niedrige blickt, und der
sich, wenn er etwas von der Erde aufsteigen
sieht, gleich wie ein geschleuderter
Stein darauf stürzt. Wenn der Adler
etwas Giftiges oder ihm Feindliches
sieht, so durchbohrt er es wie ein Pfeil,
und wenn etwas Unreines von oben auf
ihn tropft, schüttelt er es heftig ab,
wie die Gans es tut, und entfernt es
von sich. So macht es auch Gott, wenn
er sieht, dass sich das Herz der Menschen
entweder durch die Gebrechlichkeit des
Fleisches oder die Versuchungen des
Teufels gegen den Willen des Geistes
gegen Gott auflehnen will. Durch Eingebung
von Reue und Buße macht Gott das gleich
wie ein geschleuderter Stein zunichte
und bewirkt, dass der Mensch zu Gott
und zu sich selbst zurückkehrt. Und
wenn das Gift des fleischlichen Begehrens
oder nach Reichtum ins Herz eindringt,
so durchbohrt Gott gleich den Sinn mit
dem Pfeil seiner Liebe, so dass der
Mensch nicht in seiner Sünde beharrt
und von Gott getrennt wird. Und wenn
etwas von der Unreinheit des Hochmuts
oder vom Schmutz der Wollust die Seele
besudelt hat, so wirft er dies sogleich
wie eine Gans durch die Standhaftigkeit
des Glaubens und der Hoffnung fort,
damit die Seele nicht in ihren Lastern
verharrt, oder die mit Gott vereinte
Seele angesteckt wird. Deshalb sollst
du, meine Tochter, bei all deinem Begehren
und deinen Werken Gottes Barmherzigkeit
und Gerechtigkeit betrachten und stets
dein Ende bedenken.“
|
21. Kapitel |
Maria schärft
Birgitta ein, wie wichtig es ist, dass
die, die schon gut sind, an der Besserung
ihrer Mitmenschen arbeiten.
Gesegnet seist du, mein Gott, der
dreifaltig und einer ist, dreifach in
Personen und einer im wesen. Du bist
selbst die Güte und die Weisheit, die
Schönheit und die Macht, die Gerechtigkeit
und Wahrheit, durch die alles existiert,
lebt und erhalten wird. Du bist in Wahrheit
wie die Blume, die für sich selbst auf
dem Felde wächst, und von der alle,
die sich der Blume nahen, einen leiblichen
und süßen Geschmack empfangen, Erquickung
im Herzen, Freude am Schauen und Stärkung
in den übrigen Gliedern.
So werden alle, die dir nahen, schöner,
indem sie die Sünde aufgeben, weiser
indem sie deinen Willen und nicht den
des Fleisches befolgen, gerechter, indem
sie sich nach dem Nutzen für die Seele
und nach Gottes Ehre richten. Schenk
mir deshalb, mildester Gott, das zu
lieben, was dir gefällt, mannhaft den
Versuchungen zu widerstehen, alles Irdische
zu verachten und dich beständig im Gedächtnis
zu behalten.“
Die Mutter erwiderte: „Diesen Gruß hat
der gute Hieronymos[1] dir erworben,
der die falsche Weisheit verließ und
die wahre Weisheit fand, der weltliche
Ehre verschmähte und Gott selbst gewann.
Selig ist ein solcher Hieronymus, selig
sind die, die seiner Lehre und seinem
Leben nachfolgen. Er liebte die Witwen,
war ein Spiegel für die, die sich in
der Tugend vervollkommnten, und war
der Lehrer aller Wahrheit und Reinheit.
Aber sag nun, Tochter, was ist es, das
dich in deinem Herzen bekümmert?“
Sie (Birgitta) antwortete: „Dieser Gedanke
kommt mir: „Wenn du Gott bist, magst
du dir mit deiner Güte selbst genügen.
Warum brauchst du andere zu richten
und ermahnen, oder die zu belehren,
die besser sind – das passt doch nicht
zu deiner Stellung. Von diesem Gedanken
wird die Seele so verhärtet, dass sie
sich selbst vergisst und ganz in ihrer
Gottesliebe erkaltet.“
Die Mutter antwortete: „Dieser Gedanke
zieht viele, die Fortschritte gemacht
haben, von Gott ab, denn der Teufel
hindert die Guten daran, mit den Bösen
zu sprechen, damit letztere keine Reue
spüren. Er hindert auch die Guten daran,
mit denen zu reden, die besser sind,
damit sie nicht auf einen höheren Platz
aufrücken. Denn wenn die Guten die Lehre
der Guten gehört haben, rücken sie zu
höheren Verdiensten und Plätzen auf.
So sollte der Hofbeamte, der Jesaja
las, zu seiner der kleineren Strafen
in der Hölle kommen[2]. Aber Philippus
begegnete ihm, lehrte ihn den Weg zum
Himmel und hob ihn auf einen seligen
Platz. So wurde auch Petrus zu Kornelius
geschickt[3]. Wenn Kornelius früher
gestorben wäre, wäre er sicher seines
Glaubens wegen zu einem Trost gekommen,
aber nun kam Petrus und führte ihn zur
Pforte des Lebens. Ebenso kam Paulus
zu Dionysius[4] und führte ihn zu einem
seligen Lohn.
Also sollen Gottes Freunde nicht in
Gottes Dienst ermüden, sondern daran
arbeiten, dass der böse Mensch besser
werde, und der gute Mensch noch größere
Vollkommenheit erlangt. Denn wer gewillt
ist, es allen Vorbeigehenden ins Ohr
zu flüstern, dass Jesus Christus in
Wahrheit Gottes Sohn war, und wer so
viel er kann, zur Bekehrung anderer
tat, der soll – auch wenn sich nur wenige
oder keine bekehren – doch denselben
Lohn erhalten, als wenn alle bekehrt
wären.
Ich will dies außerdem durch ein Gleichnis
erklären. Wenn zwei Knechte auf Befehl
ihres Herrn in dem härtesten Berge graben
würden, und der eine echtes Gold fände,
der andere aber nichts, so hätten beide
für ihre Arbeit und für ihren Einsatz
denselben Lohn verdient. Paulus bekehrte
ja mehr Menschen als die anderen Apostel,
die weniger bekehrt haben, doch hatten
alle denselben Willen – aber Gottes
Verordnung ist verborgen. Deshalb soll
man nicht den Mut sinken lassen, auch
wenn nur wenige oder keine Gottes Wort
annehmen. Denn wie die Dornen die Rose
verstecken und wie der Esel seinen Herrn
weiterfährt, so nütz der Teufel (der
Dorn der Sünde) den Auserwählten (den
Rosen) durch den Stich der Trübsal,
damit sie nicht durch Vermessenheit
des Herzens in unnütze Zügellosigkeit
verfallen, und leitet sie wie der Esel
hin zu Gottes Trost und zu einer größeren
Belohnung.“
[1]. Kirchenlehrer,
geb. um 347 – ca. 419.
[2]. Apostelgesch. 8,26 ff.
[3]. Apostelgesch. 10,1.
[4]. Apostelgesch. 17, 34. |
22. Kapitel |
Christus droht
der jetzigen sündigen Menschheit mit
seiner strengen Strafe. Er verspricht
aber denen Barmherzigkeit, die beizeiten
umkehren. Offenbarung, gegeben in Schweden
1344-49.
Der Sohn spricht: „Wenn ich betrübt
sein könnte, so könnte ich jetzt mit
Recht sagen, dass ich es bereue, den
Menschen geschaffen zu haben. Der Mensch
ist nämlich jetzt wie ein Tier, das
freiwillig ins Netz läuft, denn soviel
man auch ruft, so folgt er doch der
Begierde seines Willens. Und man kann
dem Teufel nicht völlig unterstellen,
dass er den Menschen mit Gewalt zu sich
zieht, denn der Mensch geht selbst mit
seiner Schlechtigkeit voraus. Wie Jagdhunde,
die erst in der Koppel geführt werden,
kommen sie rascher an die Beute als
der Hundeführer, weil sie daran gewöhnt
worden sind, das Wildbret zu packen
und zu zerreißen.
So ist auch der Mensch, an die Sünde
gewöhnt und von ihr verhext, mehr bereit
zu sündigen, als der Teufel ihn zu versuchen.
Das ist nicht verwunderlich, denn es
war lange her, dass der apostolische
Stuhl, das Haupt der Welt, Gott durch
die Heiligkeit seines Lebenswandels
und sein Beispiel Gott besänftigt hatte,
wie er es früher tat, und deshalb sind
die übrigen Glieder der Kirche schwach
und kümmerlich geworden. Und man bedenkt
nicht, warum Gott, der so reich ist,
arm und bloß geworden ist: Das ist er
ja geworden, um uns zu lehren, dass
das Vergängliche verachtet und das Himmlische
geliebt werden soll.
Aber dass der Mensch, der von Natur
aus arm ist, durch falsche Reichtümer
reich geworden ist, das möchten alle
nachmachen, und es sind wenig, die es
nicht nachahmen. Deshalb wird der Pflüger
kommen, ausgesandt vom Allmächtigen
und geschärft vom Allerweißesten. Er
fragt nicht nach Grundbesitz und nach
körperlicher Schönheit, fürchtet nicht
die Kraft der Starken, zittert nicht
vor Drohungen der Fürsten und sieht
die Person nicht an, und er wird das
Fleisch der Menschen säen (?) und das
Haus der Geister niederreißen, die Leiber
den Würmern überlassen, und die Seelen
dem, dem sie gedient haben.
Deshalb sollen meine Freunde, zu denen
ich dich sende, mannhaft und hurtig
arbeiten, denn das, wovon ich rede,
wird nicht erst in den letzten Tagen
geschehen, wie ich vorher sagte, sondern
schon in diesen Tagen. Viele von denen,
die jetzt leben, werden es mit ihren
Augen sehen, und so wird vollendet werden,
was geschrieben steht: „Die Ehefrauen
sollen Witwen werden, und ihre Kinder
vaterlos, und alles, was Menschen begehren,
wird ihnen genommen werden.“
Doch werde ich, der barmherzige Gott,
die aufnehmen, die mit Demut zu mir
kommen. Denen, die mit ihren Werken
die Früchte der Gerechtigkeit vollkommen
machen, werde ich mich selber schenken,
denn es ist richtig, dass das Haus gereinigt
wird, in das der König eingehen wird,
um dass das Glas geputzt wird, so dass
der Trank klar funkeln kann, und dass
das Korn fest gedroschen wird, um von
den Grannen getrennt zu werden.
Aber wie der Sommer nach dem Winter
kommt, so werde ich auch nach den Leiden
Trost bescheren, nämlich denen, die
geringe sein wollen, und die das Himmlische
höher schätzen, als das Irdische. Doch
– wie der Mensch nicht zur selben Stunde
geboren wird und stirbt, so wird dies
alles erst vollendet, wenn die Zeit
kommt. Du sollst aber wissen, dass ich
mit manchen nach dem Sprichwort handeln
werde: „Schlag ihn auf den Hals und
lass ihn laufen, und soll der Schmerz
ihn dazu bringen, sich zu beeilen.“
Mit anderen werde ich verfahren, wie
geschrieben steht: „Tu deinen Mund auf,
und ich werde ihn füllen.“ Aber zu anderen
werde ich tröstend und ermunternd sagen:
„Kommt, ihr Unwissenden und Einfältigen,
und ich will euch Redegabe und Weisheit
schenken, so dass die Redegewandten
nicht dagegen ankönnen.“
So habe ich es in diesen Tagen gemacht:
Ich habe die Einfältigen mit meiner
Weisheit erfüllt, und sie widerstehen
nun den Gebildeten. Ich habe die Großsprecherischen
und Mächtigen vertrieben, und sie sind
schleunigst davongegangen. Das ist nicht
verwunderlich, denn, wie du gehört hast,
habe ich den Weisen befohlen, den Schlangen
die Zunge abzuschneiden, und sie wollten
nicht. Und die Mutter.[1]….. will die
Münder nicht austrocknen, wie ich gemahnt
hatte, um das Feuer der Begierde im
Herzen des Kindes auszulöschen. Deshalb
habe ich sie in ihrer Stunde des Glücks
niedergemacht und ihre Zungen abgeschnitten.“
[1]. Modern, som
var allmogens ris – unverständlich. |
23. Kapitel |
Der Evangelist
Johannes und die Jungfrau Maria sprechen
von einem schwedischen Zisterziensermönch,
der ketzerische Ansichten hat. Der Zusatz,
der von Prior Petrus von Alvastra verfasst
ist, berichtet, dass der betreffende
Mönch seine Irrtümer auf Ermahnung von
Birgitta widerrufen hat. Offenbarungen,
wahrscheinlich 1350 oder später in Italien
gegeben.
Der Evangelist Johannes sagte zur
Mutter Gottes: „Höre, du Jungfrau und
Mutter eines einzigen Sohnes und nicht
von mehreren, du Mutter des eingeborenen
Gottessohnes, dem Schöpfer und Erlöser
aller! Höre (ich weiß ja, dass du hörst),
wie sehr dieser Mann vom Teufel betrogen
ist, wie sehr er sich bemüht, das Unmögliche
zu gewinnen, wie er vom Geist der Lüge
unterwiesen wurde, und wie weit er sich
von Gott in Gestalt eines Schafs und
mit dem Herz eines Löwen entfernt hat!
Ich habe gelehrt, dass es drei sind,
die im Himmel und auf Erden Zeugnis
ablegen – nämlich der Vater, der Sohn
und der Heilige Geist. Aber über diesen
Mann bezeugt der böse Geist, dass er
ganz und gar so scheinheilig geworden
ist, dass der Vater ihn mit seiner Macht
nicht stärkt, der Sohn mit seiner Weisheit
ihn nicht besucht, und der Heiligen
Geist ihn mit seiner Liebe nicht entzündet.
Das ist nicht verwunderlich, denn er
strebt nach Macht gegen die Macht des
Vaters, er will weise sein gegen die
Weisheit des Sohnes, und er ist entflammt
– aber in anderen Weise, als wie der
Heiligen Geist es tat. Bitte deshalb
deinen Sohn, dass er schleunigst abberufen
wird, so dass nicht auch mehrere andere
verloren gehen, oder dass er für seinen
Irrtum auch bald demütige Buße tut.“
Die Mutter antwortete: „Hör du, die
du Jungfrau bist, obwohl du ein Mann
und keine Frau bist[1]. Du bist die,
die Gott gewürdigt hat, mit dem leichtesten
Tod nächst mir von der Welt abzurufen.
Ich bin gleichsam bei der Trennung der
Seele vom Körper eingeschlafen und in
ewiger Freude erwacht.
Das war nicht verwunderlich, denn ich
trauerte bitterer als andere beim Tode
meines Sohnes, und deshalb hat es Gott
gefallen, mich mit dem leichtesten Tode
von der Welt zu trennen. Du warst mir
am nächsten unter den Aposteln, du hast
größere Beweise als andere für die Liebe
meines Sohnes erfahren, die Pein meines
Sohnes war für dich bitterer als für
die anderen, denn du sahst ihn näher
als sie, und nachdem du länger als deine
Mitbrüder gelebt hast, bist du sozusagen
durch ihrer aller Tod zur Märtyrerin
geworden. Deshalb hat es Gott gefallen,
dich mit dem leichtesten Tod nächst
mir von der Welt abzurufen, denn die
Jungfrau wurde damit einer Jungfrau
anvertraut. Daher soll es ohne Verzögerung
so gehen, wie du es gewünscht hast.
Doch will ich meiner Tochter zeigen,
wie dieser Mann[2], vom dem wir sprechen,
beschaffen ist. Er ist sicher wie ein
Diener bei einem Münzschmied. Mit letzterem
ist der Teufel gemeint, der seine Münzen
umschmelzt und hämmert – d.h. den, der
ihm mit seinen Eingebungen und Versuchungen
bearbeitet, bis er ihn so bekommt, wie
er will. Und wenn er den Willen des
Menschen verdorben hat und ihn zur Fleischeslust
und Weltliebe erniedrigt hat, so drückt
er ihm gleich sein Bild und seine Inschrift
auf, denn dann geht aus den äußeren
Zeichen allzu gut hervor, wen der Mensch
mit seinem ganzen Herzen liebt.
Aber wenn der Mensch das Begehren seiner
Sinne in der Tat vollkommen macht und
sich mehr in weltliche Dinge einmischen
will, als es seiner Stellung zukommt,
ja wenn er noch mehr tun würde, wenn
er nur könnte, da zeigt sich, dass die
Münze des Teufels vollkommen ist. Gottes
Münze ist von Gold und glänzend, biegsam
und kostbar. So glänzt jede Seele, die
Gottes Stempel trägt, von göttlicher
Liebe, biegsam durch ihre Geduld, und
kostbar durch ihre ständigen guten Taten.
Eine gute Seele wird also durch Gottes
Güte „umgeschmolzen“ und unter vielen
Heimsuchungen geprüft, durch die die
Seele ihren Ursprung und ihre Anfälligkeit
und Gottes Milde und Geduld mit ihr
kennenlernt. Und sie wird Gott umso
wertvoller, je demütiger, geduldiger
und gewissenhafter sie erfunden wird.
Die Münze des Teufels ist dagegen aus
Kupfer und Blei. Sie ist aus Kupfer,
denn das hat eine gewisse Ähnlichkeit
mit Gold; sie ist biegsam, aber nicht
wie Gold, sondern härter. So scheint
die Seele des Ungerechten ihr selbst
gerecht zu sein. Er verurteilt alle,
stellt sein eigenes Ich vor alles andere
und ist nicht bereit zu Werken der Demut,
aber weichlich bei seinen eigenen Taten,
schwer von dem abzubringen, was ihm
eingefallen ist, wichtig für die Welt,
aber verächtlich vor Gott.
Von der Münze des Teufels kann man auch
sagen, dass sie aus Blei ist, denn sie
ist hässlich, weich und biegsam sowie
schwer. So ist die Seele des Ungerechten
hässlich mit ihren unkeuschen Begierden,
schwer in weltlicher Gewinnsucht, und
biegsam wie ein Strohhalm für alles,
was der Teufel dem Sinn eingibt, ja
manchmal auch noch rascher, zu sündigen,
als der Teufel mit seinen Versuchungen.
So ist dieser Diener des Münzschmieds
beschaffen, denn er ist es müde geworden,
die Klosterregel zu beachten, wie er
es doch gelobt hat, und er dachte sich
aus, den Menschen durch eine vorgespielte
Heiligkeit zu gefallen, um heimlich
sein Fleisch lecker mästen zu können.
Und rasch betörte der Teufel dann auch
seine Seele mit lügnerischen Träumen,
so dass er seinen Glauben daran setzte,
was unmöglich ist und nicht geschehen
wird. Nun wird sein Leben verkürzt werden,
und die Ehre, nach der er verlangte,
wird er nicht gewinnen.
Wenn man irgendeine neue Münze findet,
soll man sie aber zu einem weisen Mann
schicken, der wiegen kann und genügend
Kenntnis vom Aussehen einer Münze hat.
Aber wie finden wir den? Und wenn wir
ihn finden werden, kümmert er sich wenig
oder gar nicht darum, wieweit die Münze
unecht oder echt ist. In einem solchen
Fall gibt es einen einzigen Ausweg,
wie ich dir durchein Gleichnis erklären
will.
Wenn man einem Hunde einen Gulden vorlegen
würde, so würde er sich nicht darum
kümmern, ihn zu nehmen, aber wenn man
ihn mit einem Fett einschmieren würde,
so würde er es ohne Zweifel tun. So
verhält es sich auch hier. Wenn man
zu einem weisen Mann geht und sagt:
„Der da ist ein Ketzer, so befasst er
sich nicht damit, denn seine Gottesliebe
ist ganz erkaltet. Aber wenn man sagte:
„Er hat viele Gulden“, so würden alle
gleich dahin eilen. Daher wird es bald
so gehen, wie Paulus sagt: „Ich will
die Weisheit der Weisen zunichte machen
und demütigen, aber die Demütigen will
ich erhöhen.“
Doch kannst du, meine Tochter, den Heiligen
Geist an sieben Dingen von dem unreinen
unterscheiden. Zum ersten bewirkt Gottes
Geist, dass die Welt ihren Wert für
den Menschen verliert, der in seinem
Herzen dann dies alles für Luft ansieht.
Zweitens macht er Gott für die Seele
lieb und wird jede fleischliche Lust
zum Verlöschen bringen. Drittens gibt
er Geduld und die Lust, Gott allein
die Ehre zu geben. Viertens erweckt
er den Sinn, die Mitmenschen zu lieben
und auch mit Feinden Mitleid zu haben.
Fünftens schenkt er Keuschheit und Enthaltsamkeit
auch von erlaubten Dingen. Sechstens
lässt er den Menschen in allen Widerwärtigkeiten
auf Gott vertrauen und sich deren rühmen.
Siebtens schenkt er das Verlangen, erlöst
zu werden und lieber bei Christus zu
sein, als auf der Welt Erfolg zu haben
und von ihr befleckt zu werden.
Der böse Geist bewirkt dagegen sieben
andere Dinge. Erstens macht er, dass
der Mensch die Welt schön findet und
das Himmlische verachtet. Zweitens macht
er, dass der Mensch sich nach Ehrenbezeugungen
sehnt und sich selbst vergisst. Drittens
erweckt er Hass und Ungeduld im Herzen.
Viertens bringt er den Menschen dazu,
Gott zu trotzen und auf seinen eigenen
Vorsätzen zu bestehen. Fünftens lässt
er den Menschen seine Sünden für unbedeutend
halten und sie entschuldigen. Sechstens
macht er das Herz unstet und das Fleisch
unrein. Siebtens macht er dem Menschen
Hoffnung auf ein langes Leben und flößt
ihm Scham ein, zu beichten. Gib daher
genau Acht auf deine Gedanken, so dass
du nicht von diesem Geist betrogen wirst.“
|
Erklärung |
Dieser Mann war
Priester des Zisterzienserordens. Nachdem
er 18 Jahre abtrünnig war, bereute er
das und kehrte zum Kloster zurück. Er
behauptete, es sei unmöglich, dass einer
verdammt werden könne, dass Gott mit
einem Mensch auf dieser Welt reden könne,
und dass jemand Gottes Angesicht vor
dem Jüngsten Gericht sehen kann.
Als Frau Birgitta dies hörte, sagte
der Heiligen Geist zu ihr: „Geh zu diesem
Bruder und sag zu ihm: „O Bruder, du
siehst nicht, was ich sehe, nämlich
dass der Teufel noch in deinem Alter
deinen Sinn und deine Zunge gebunden
hält. Gott ist ewig, und ewig ist seine
Vergeltung. Wende dich daher schleunigst
mit deinem ganzen Herzen zu Gott und
dem wahren Glauben, denn du wirst sicher
nicht von diesem Bett aufstehen, sondern
sterben. Aber wenn du glaubst, wirst
du ein ehrenvolles Gefäß Gottes werden.“
Er brach in Tränen aus, dankte Frau
Birgitta und besserte sich vollständig,
dass er bei seinem Heimgang die Brüder
zusammenrief und sagte: „O meine Brüder,
ich bin gewiss, dass der barmherzige
Gott meine Reue angenommen hat und mir
Verzeihung schenken wird. Betet für
mich! Ich glaube alles was die Heiligen
Kirche glaubt.“ Und nachdem er das Sakrament[3]
empfangen hatte, entschlief er.
[1]. So wörtlich,
doch unverständlich.
[2]. Wie später gesagt wird, war es
ein Priester im Zisterzienserorden.
[3]. Die letzte Ölung.
|
24. Kapitel |
Maria ermahnt
Birgitta zur Geduld, wenn sie auch andere
ungeduldig sieht.
Die Mutter spricht: „Wenn ein Ölkrug
aufgewärmt wird und das Öl sich ausbreitet
und wächst, steigen Dampf – und Schaumbildungen
auf, manchmal kleinere, und sinken wieder
schnell herunter. Alle die, die um das
Ölfass herumstehen, wissen, dass solche
Dämpfe rasch abnehmen, und dass es an
der Stärke und Erhitzung des Öls liegt,
dass so etwas daraus aufsteigt. Sie
warten daher geduldig auf das Ende und
auf die abschließende Bereitung des
Öls. All denen, die um den Krug herumstehen
und die Nase zu nah an das siedende
Gebräu halten, geschahen zwei Sachen:
Entweder niesen sie heftig, oder sie
bekommen starke Kopfschmerzen[1].
So ist es auch im geistlichen Leben.
Denn es passiert manchmal, dass das
Herz mancher Leute aufschwillt und sich
auf Grund von Übermut und Ungeduld seines
Sinnes überhebt. Anständige Männer geben
darauf Acht und sehen ein, dass so etwas
entweder von der Unbeständigkeit des
Sinnes oder von einer fleischlichen
Regung herrührt. Daher ertragen sie
geduldig die Wort und warten auf das
Ende, denn sie wissen ja, dass nach
dem Sturm wieder Ruhe eintritt, und
dass die Geduld größer ist als der,
der Städte einnimmt, denn diese Tugend
überwindet der Mensch in sich selbst,
was am allerschwersten ist.
Aber die, die sehr ungeduldig sind und
harte Worte wiedergeben und nicht auf
den ehrenvollen Lohn der Geduld achten,
oder darauf, wie verächtliche die Gunst
der Welt ist – bei denen wird die Sinnesruhe
schwach, und sie geraten wegen ihrer
Ungeduld in Versuchungen, denn sie halten
die Nase zu dicht an den dampfenden
Krug, d.h. sie lassen ihr Herz sich
zu sehr über Worte bekümmern, die bloß
leeres Wetter sind.
Wenn ihr daher manche seht, die ungeduldig
sind, solltet ihr mit Gottes Hilfe euren
Mund bewachen, so dass ihr wegen ungeduldiger
Worte nicht das Gute aufgebt, das ihr
begonnen habt, sondern es auf sich beruhen
lasst, als ob ihr es nicht gehört habt
– bis die, die eine Gelegenheit dazu
finden wollen, mit Worten ausdrücken,
was sie im Herzen meinen.“
[1]. Das Gleichnis
ist vom Ölbrauen in einem mittelalterlichen
schwedischen Haushalt genommen und ist
typisch für seine Verfasserin, die Frau
eines Großbauern in Östergötland. |
25. Kapitel |
Maria ermahnt
Birgitta zur Askese, aber in maßvoller
Weise.
Die Mutter spricht: „Du sollst wie
eine Braut sein, die am Bettvorhang
steht, und die bereit ist, auf den Willen
des Bräutigams zu hören, sobald er sie
ruft. Dieser Bettvorhang ist der Körper,
den die Seele umgibt, und der ständig
gewaschen, erprobt und gezüchtigt werden
muss. Der Körper ist ja wie ein Esel,
der mäßige Kost braucht, damit er nicht
in Geilheit gerät und die Arbeit vernünftig
abwägt, damit er nicht hochmütig wird
und ständig Schläge bekommt, damit er
nicht widerspenstig wird.
Steh also am Bettvorhang, d.h. am Körper
und nicht im Körper und kümmere dich
in deinem Begehren nicht um das Fleisch,
sondern versorge den Leib mit maßvollem
Lebensunterhalt, denn der Mensch steht
am Körper, nicht im Körper, der seinen
Leib vom wollüstigen Überfluss an Nahrung
fernhält – aber nicht von dem, was notwendig
ist.
Steh auch hinter dem Bettvorhang, indem
du den Genuss des Fleisches verschmähst,
fördere Gottes Ehre und widme dich Gott
ganz. So standen die, die ihre Leiber
wie Kleider vor Gott niederlegten, und
die jede Stunde bereit für Gottes Willen
waren, wenn es Gott gefiel, sie zu berufen
– für sie war ja der Weg zu ihm, den
sie immer gegenwärtig hatten, auch nicht
lang, und ihre Hälse drückten keine
schwere Lasten, denn sie verschmähten
alles, und nur doch ihre Körper waren
auf der Welt.
Deshalb schweben sie leicht und ungehindert
auf zum Himmel, da sie das abgelegt
hatten, gewannen sie, was sie ersehnt
hatten. So tat dieser einen gefährlichen
Fall, stand klugerweise wieder auf,
verteidigte sich mannhaft, kämpfte standhaft
und hielt tapfer aus. Deshalb sollst
du nun auf ewig gekrönt werden, und
er ist dabei, Gott zu schauen.“
|
26. Kapitel |
Maria erklärt,
dass die guten Werke, die man aus Pflicht
zu Gehorsam tut, doppelt wertvoll sind.
Der Baum hat viele Blüten, aber alle
kommen nicht zur Vollendung. Ebenso
gibt es viele tugendhafte Taten, aber
doch verdienen nicht alle himmlischen
Lohn, sofern sie nicht mit Klugheit
geschehen. Denn fasten, beten und Plätze
der Heiligen zu besuchen, das sind tugendhafte
Taten, aber wenn sie nicht mit der Gesinnung
getan werden, dass der Mensch glaubt,
mit seiner Demut in den Himmel zu kommen
und sich alles in allem für einen unnützigen
Diener hält und Klugheit in allem hat,
was er tut, so haben sie wenig Wert
für die Ewigkeit.
Stell dir zwei Männer vor. Der eine
steht unter Gehorsam, der andere hat
seinen freien Willen. Wenn der, der
frei ist, fastet, wird er einen einfachen
Lohn empfangen. Aber wenn der, der unter
Gehorsam steht, an einem Fastentage
nach der Verordnung der Regel Fleisch
isst, aber auf Grund des Gehorsams doch
lieber fasten sollte, sofern die Gehorsamspflicht
nicht dagegen spricht, so soll dieser
doppelten Lohn empfangen, einen für
seinen Gehorsam und einen dafür, dass
er auf seinen eigenen Wunsch verzichtet
und seinen Willen nicht erfüllt bekam.
Deshalb solltest du wie eine Braut sein,
die das Hochzeitshaus in Ordnung bringt,
ehe der Bräutigam kommt; zweitens sollst
du sein wie eine Mutter, die die Kleider
fertig macht, ehe das Kind geboren wird;
drittens wie ein Baum, der Blüten trägt,
bevor die Früchte kommen; viertens wie
ein reines Gefäß, das ordentlich geputzt
wird, bevor der Trank eingegossen wird,
um ihn aufzunehmen.“
|
27. Kapitel |
Maria spricht
mit Birgitta über eine scheinheilige
Person.
Die Mutter spricht: „Dieser Mann
sagt, er würde mich lieben, aber er
kehrt mir den Rücken zu, wenn er mir
dient. Und wenn ich mit ihm spreche,
sagt er: „Was sagst du?“ Er wendet seine
Augen von mir ab und sieht darauf, was
ihm besser gefällt. Er ist seltsam bewaffnet
– wie der, der in einem leibhaftigen
Kriege stand, aber die Öffnung des Helmvisiers
im Nacken hatte, der den Schild, der
am Arm hängen sollte, an den Achseln
hängen hatte, dessen Mantel, der dazu
bestimmt war, Körper und Brust zu schützen,
unter ihm im Sattel lag, und dessen
Sattelriemen auch nicht festgebunden
waren, wie es sein müsste, sondern lose
auf dem Pferde hingen.
So ist dieser Mann geistlich vor Gott
bewaffnet. Und deshalb kann er nicht
zwischen Freunde und Feind unterscheiden
und kann dem Feind auch keinen Schaden
zufügen. Der andere, der mit ihm kämpft,
ist so wie der, der schlau überlegt:
„Ich will im Kampf bei den Letzten sein,
so dass ich mich in den Büschen verstecken
kann, wenn die Vordersten die Schlacht
verlieren, aber wenn sie die Schlacht
gewinnen, will ich so schnell herbeikommen,
dass ich zu den Vordersten gerechnet
werde.“ Daher handelte er, der in den
Krieg zog, nach menschlicher Weisheit
und nicht aus göttlicher Liebe.“
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28. Kapitel |
Maria erklärt
Birgitta, worin die rechte Trübsal besteht.
Die Mutter spricht: „Wer einen Brotteig
hat, muss kräftig kneten und daran arbeiten.
Aber der Herrschaft wird Weizenbrot
vorgesetzt, während das Volk ein etwas
weniger gutes Brot erhält, und eine
dritte Art von Brot, das noch schlechter
ist, wird den Hunden gegeben. Unter
der Teigarbeit verstehe ich die Trübsal,
denn der geistlich gesinnte Mensch ist
hochbetrübt darüber, dass Gott von seiner
geschaffenen Welt nur wenig Ehre erhält,
und dass diese wenig Liebe spürt.
All die, die auf diese Weise betrübt
sind, die sind der Weizen, worüber sich
Gott und die ganze Heerschar des Himmels
freut. All die, die über weltliches
Unglück betrübt sind, die sind gleichsam
das geringere Brot, und doch reicht
das für viele, das Himmelreich zu erhalten.
Aber die, die darüber betrübt sind,
dass sie nicht all das Böse tun können,
das sie wollen – die sind Brot für die
Hunde, die es in der Hölle gibt.“
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29. Kapitel |
Maria mahnt
Birgitta und ihre Freunde, nicht ihre
strenge Lebensführung aufzugeben.
Die Mutter spricht: „All diese, die
du um euch herum stehen siehst, das
sind eure geistlichen Feinde und Geister
des Teufels. Denn die, die (….? stänger)
haben, in denen Schlingen sichtbar sind,
das sind die, die euch in Todsünden
stürzen wollen. Die von denen du siehst,
dass sie Haken in Händen haben, sind
die, die euch vom Dienst für Gott zurückhalten
wollen, damit ihr ermüden sollt, Gutes
zu tun. Aber die, die gezackte Werkzeuge
wie Gabeln haben, mit denen der Mensch
das hervorzieht und betreibt, was er
sich wünscht, das sind die, die euch
überreden, dass ihr irgendwelche Werke
über eure Kräfte unternehmt, ob es nun
Wachen, Fasten, Gebete, Arbeiten sind,
oder unverständiges Ausgeben eurer Gelder.
Da diese Geister also so versessen darauf
sind, euch zu schaden, sollt ihr an
diesem Willen festhalten, nämlich Gott
nicht beleidigen zu wollen, und ihr
sollt Gott um Hilfe gegen ihre Grausamkeiten
bitten, denn dann werden ihre Drohungen
euch keinen Schaden zufügen.
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30. Kapitel |
Maria erklärt,
dass man nicht sündigt, wenn man feine
und kostbare Kleider trägt, wenn das
notwendig ist.
Es steht geschrieben, dass der gute
Apostel Paulus von sich sagte, ein kluger
Mann vor dem Kaiser zu sein, der Petrus
gefangen genommen hatte, und der Petrus
einen armen Mann genannt hat. Und damit
hat Paulus nicht gesündigt, denn seine
Worte dienten zu Gottes Ehre.
So ist es auch mit denen, die Gottes
Wort hören und davon reden wollen. Denn
wenn sie nicht zu den Herrn kommen können,
weil sie nicht genug feine Kleider haben,
so sündigen sie nicht, wenn sie sich
in die Gewänder kleiden, die sie besitzen.
Sie sollen nur in ihrem Willen und in
ihrem Herzen das Gold, die feine Kleidung
und die teuren Steine nicht für kostbarer
als die Altgewohnten Kleider halten,
denn alles, was kostbar aussieht, ist
nur Staub.
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31. Kapitel
Maria erklärt, dass der,
der für die Erlösung der Seelen arbeitet, himmlischen
Lohn erhalten wird, auch wenn die Arbeit wenig
sichtbare Frucht trägt (schwedische Zeit?).
Offenbarungen, gegeben 1350 oder später in Italien.
Gottes
Mutter sagt: „Wenn jemand einen Arbeiter mietet,
um zu arbeiten, und zu ihm sagt: „Bring Sand
vom Strand und untersuche jede Bürde, ob du
vielleicht darin ein Goldkorn entdecken kannst,
so wird der Lohn des Arbeiters nicht geringer,
wenn er nichts findet, als wenn er viel entdecken
würde.
So ist es auch mit dem, der mit göttlicher Liebe
mit Wort und Tat zum Nutzen der Seelen arbeiten:
Sein Lohn wird nicht geringen, wenn es ihm auch
nicht gelingt, manche zu bekehren, als wenn
er viele bekehrt. Der Lehrer hat ja dieses Gleichnis
vorgebracht: „Der Krieger, der auf Befehl seines
Herrn in den Krieg zog und den Willen hatte,
tapfer zu kämpfen, aber verwundet und ohne einen
Gefangenen zurückkehrte, der soll, wenn er auch
im Krieg verloren hat, für seinen guten Willen
nicht weniger Lohn erhalten, als wenn er den
Sieg errungen hätte.“
So ist es auch mit Gottes Freunden. Denn für
jedes Wort und jede Tat, die sie für Gott tun
und dafür tun, dass die Seelen gebessert werden
sollen, und für jede Stunde der Trübsal, die
sie für Gott leiden, werden sie die Krone empfangen,
ob sie viele bekehren oder keinen.
32. Kapitel
Maria lässt Petrus Olovsson
von Skänninge durch Birgitta sagen, dass sie
ihn reichlich für die Mühe belohnen soll, die
er für die dichterische und musikalische Ausgestaltung
des Stundengebets der Birgitta-Nonnen aufwendet.
Der Zusatz handelt von einer Versuchung zu Zweifeln
an Glaubenswahrheiten, durch die derselbe Petrus
Olovsson angefochten war.
Die Mutter sagt:
„Es gibt ein Sprichwort bei auch, das lautet:
„Mit so etwas kannst du mich aus dem Lande jagen.“
So sage ich jetzt auch. Es gibt keinen so großen
Sünder auf der Welt, dass ich nicht gleich bereit
bin – wenn er nur in seinem Herzen spricht,
dass mein Sohn, der Schöpfer und Erlöser aller,
von ihm im Herzen innig geliebt wird – wie eine
liebvolle Mutter zu ihrem Sohn zu kommen, ihn
zu umarmen und zu sagen: „Was gefällt dir, mein
Sohn?“
Und mag er sich auch bis zur tiefsten Pein der
Hölle schuldig gemacht haben – wenn er nur gewillt
sein würde, sich nicht um die Ehre der Welt
oder um die Begierde und Lust des Fleisches
zu kümmern, was die Kirche verurteilt, und nichts
anderes begehrte, als allein seinen Lebensunterhalt,
so würden er und ich und bald gut vertragen.
Sag ihn also, der den Lobgesang auf mich schreibt,
nicht zu seinem eigenen Ruhm oder für seinen
eigenen Lohn, sondern zum Lobe dessen, der für
seine Taten alles Lob verdient – dass, wie die
Fürsten der Welt ihren Lobrednern eine zeitliche
Belohnung geben, so will ich ihn geistlich belohnen.
Denn so wie eine einzige Silbe viele Noten über
sich hat, so gefällt es Gott, ihm für jede Silbe
im Gesang Kronen zu schenken, und es wird ihm
gesagt werden: „Sieh, der Lobsänger kommt, der
einen Gesang komponiert, ohne an ein zeitliches
Gut zu denken, nur für Gott allein.“
Erklärung
Dieser
Mann wurde versucht, an der heiligen Dreieinigkeit
zu zweifeln. In einer Ekstase sah er etwas wie
drei Frauengesichter. Die erste sagte: „Viele
Ehen habe ich mit angesehen, aber nie habe ich
eine dreifache in einer einzigen gesehen.“ Die
andere erwiderte: „Wenn drei eins sind, so muss
das eine vorher und das andere nachher, oder
zwei in einem sein.“ Die dritte äußerte: „Die
können sich nicht selbst gemacht haben – wer
hat sie dann gemacht? „Da sagte der Heilige
Geist offen: „Lasst uns zu ihm gehen und Wohnung
bei ihm beziehen.“ Und beim Erwachen war er
von der Versuchung befreit.
Dann sagte Christus zu Frau Birgitta: „Ich bin
dreifaltig und einer. Ich will dir zeigen, was
des Vaters Macht, die Weisheit des Sohnes und
die Kraft des Heiligen Geistes ist.“ Und diese
Offenbarung ist da abgeschlossen, wo sie von
der Kanzel gesprochen wird.
Weiter sagte Christus: „Sag zu ihm, dass er
bei mir ein größeres Verdienst mit seiner Krankheit
als mit seiner Gesundheit erwerben wird. Denn
Lazarus wurde edler durch sein Leiden, und Hiob
wurde mehr geliebt wegen seiner Geduld. Doch
missfallen mir die von meinen Auserwählten nicht,
die gesund sind, denn deren Herz ist immer bei
mir, und ihr Leib übt immer kluge Enthaltsamkeit
und fromme Arbeit.“
33. Kapitel
Birgitta schreibt einen
Brief, in dem sie den früheren beispielhaften
Zustand bei den Priestern, dem Klostervolk und
den Laien Roms und dem jetzigen religiösen und
sittlichen Verfall dort beschreibt. Der Brief
ist an einen der Päpste gerichtet, die während
des langen Aufenthaltes Birgittas in Rom auf
dem Stuhl Petrie saßen – Clemens VI., Innocentius
VI., Urban V. oder Gregorius XI. Offenbarungen,
wahrscheinlich 1350 oder später in Italien gegeben.
Verehrter Herr!
Verkünde dem Papst unter anderen Dingen, in
welch bedauernswerter Lage sich Rom, das früher
körperlich und geistlich so glücklich war, sich
jetzt befindet! Jetzt ist es unglücklich, körperlich
und geistlich. Körperlich, weil die weltlichen
Fürsten, die seine Verteidiger sein sollten,
seine wildesten Räuber geworden sind. Deshalb
sind seine Häuser niedergebrochen, und viele
Kirchen ganz verlassen, die Gebeine von gesegneten
Heiligen bewahren, die durch ehrenreich, wunderbare
Kunstwerke strahlen, und deren Seelen in Gottes
Reich herrlich gekrönt werden.
Diese Tempel der Heiligen haben ihre Dächer
und Tore verloren und sind in heimliche Häuser
von Menschen, Hunden und wilden Tieren verwandelt.
Geistlich ist diese Stadt unglücklich, denn
viele Bestimmungen, die heilige Päpste durch
Eingebung des Heiligen Geistes zu Gottes Lob
und zur Erlösung der Seelen in der Kirche erlassen
haben, sind nun aufgehoben, und stattdessen
hat man durch Eingebung des bösen Geistes leider
viele neue Unsitten angenommen, um Gott zu verschmähen
und die Seelen zu verdammen.
Es gab eine Verordnung in der heiligen Kirche,
dass Kleriker (Priesterkandidaten), die die
heiligen Weihen empfangen wollten, ein heiliges
Leben führen sollten, fleißig und fromm Gott
dienen und anderen durch ihre guten Werke den
Weg zum himmlischen Vaterland zeigen sollten
– denen gab man die Einkünfte der Kirche.
Aber anstelle dieser Gewohnheit der Kirche ist
ein schwerer Missbrauch aufgekommen, indem man
die Güter der Kirche Laien gibt, die sich keine
Ehefrauen nehmen, während sie den Namen „Domherrn“
führen, die aber ungescheut in ihren Häusern
Mätressen am Tage und nachts in ihren Betten
haben, wobei sie frech erklären: „Es ist uns
nicht erlaubt, in einer Ehe zu leben, weil wir
Domherren sind.“
Auch Priester, Diakonen und Subdiakone haben
früher die Schmach eines unkeuschen Lebenswandels
tief verabscheut, aber nun freuen sich manche
von ihnen offen, dass ihre Mätressen mit schwellendem
Mutterleib unter andere Frauen gehen. Ja sie
schämen sich nicht einmal, wenn ihre Freunde
zu ihnen sagen: „Sieh, Herr, bald wird euch
ein Sohn oder eine Tochter geboren werden.“
Solche Leute müssten mit größerem Recht Kupplerknechte
des Teufels als geweihte Priester des höchsten
Gottes genannt werden.
Die heiligen Väter, Benedikt und andere, haben
mit Zulassung der Päpste Ordensregeln gestiftet
und Klöster gebaut, wo die Äbte mit den Brüdern
zu wohnen pflegten, fromm die nächtlichen und
täglichen Stundengebete verrichteten und die
Mönche gewissenhaft unterwiesen, ein züchtiges
Leben zu führen. Es war sicher schön, zu der
Zeit Klöster aufzusuchen, wo die Mönche Gott
Tag und Nacht mit ihrem Gesang Lob und Ehre
erwiesen.
Lasterhafte Menschen besserten sich dadurch,
dass sie ihr schönes Leben sahen, die guten
wurden durch die göttliche Unterweisung der
Väter gestärkt, und die Seelen im Fegefeuer
erhielten durch ihre frommen Gebete die selige
Ruhe. Da wurde der Mönch in größten Ehren gehalten,
der seine Regel am besten einhielt, ja er war
von Gott und Mensch geehrt. Aber wer sich nicht
daran kümmerte, die Regel zu halten, der konnte
sicher sein, Scham und Schande zu erfahren.
Damals konnte jeder Mensch von der Tracht her
unterscheiden, wer Mönch war.
Aber als Ersatz für diese höchst ehrenwerte
Ordnung ist jetzt vielerorts eine verwerfliche
Unsitte aufgekommen. Die Äbte weilen nämlich
sehr oft in ihren Schlössern und wo immer es
ihnen gefällt, innerhalb und außerhalb der Stadt.
Daher ist es jetzt beschwerlich, Klöster zu
besuchen, denn nur sehr wenig Mönche scheinen
zur Zeit des Gottesdienstes im Chor zu sein,
ja manchmal überhaupt keine. Deshalb wird dort
jetzt wenig gelesen, manchmal wird nichts gesungen,
und an vielen Tagen wird keine Messe gehalten.
Durch ihren schlechten Ruf werden gute Menschen
betrübt, und die schlechten werden durch den
Umgang mit ihnen noch schlechter. Es ist zu
befürchten, dass sehr wenige Seelen durch die
Gebete solcher Mönche wenig Freude in ihren
Qualen finden. Und viele Mönche haben auch ein
eigenes Haus in der Stadt, und wenn ihre Freunde
zu Besuch kommen, umarmen sie ihre eigenen Kinder
und sagen fröhlich: „Schau her, mein Sohn!“
Jetzt kann man kaum noch einen Mönch an seiner
Tracht erkennen, denn der Rock, der früher bis
hinunter zu den Füßen reichte, kann jetzt kaum
die Knie bedecken. Ihre Ärmel, die früher ordentlich
genäht und weit waren, sind jetzt eng und zugeknöpft,
und ein Schwert statt einem Griffel und Schreibtafel
hängt an ihrer Seite. Ja, man kann beim Mönch
kaum ein einziges Kleidungsstück finden, das
auf seinen Stand hinweist, sondern ein Skapulier,
das übrigens oft verdeckt wird, so dass man
es nicht sieht, ganz als ob es eine Schande
wäre, ein Mönchskleidungsstück zu tragen. Manche
schämen sich nicht einmal, Panzer und andere
Waffen unter dem Rock zu tragen, damit sie nach
Einbruch der Dunkelheit machen, was sie wollen.
Es hat heiligen Männer gegeben, die ihre großen
Reichtümer aufgegeben und angefangen haben,
nach der Ordensregel in Armut zu leben, ja die
alle Gewinnsucht verschmäht haben und dafür
nichts eigenes mehr haben wollten. Sie verabscheuten
die Hoffart und den Prunk der Welt, kleideten
sich in die ärmlichsten Gewänder, legten alle
fleischliche Lust ab und führten ein reines
Leben.
Sie und ihre Mitbrüder wurden Bettelmönche genannt,
und ihre Regeln wurden auch von den Päpsten
bestätigt, die sich darüber freuten, dass es
manche gab, die zu Gottes Ehre und zum Nutzen
der Seelen eine solche Lebensweise auf sich
nehmen wollten. Aber jetzt ist es traurig zu
sehen, wie sogar diese Regeln in verwerfliche
Unsitten verwandelt worden sind und keineswegs
so gehalten werden, wie Augustinus, Dominicus
und Franziskus sie durch Eingebung des Heiligen
Geistes diktiert haben – diese Regeln, die viele
Reiche und Vornehme lange Zeiten treu eingehalten
haben.
Jetzt trifft man wirklich viele, die reich genannt
werden, und die doch ärmer an Geld und Kostbarkeiten
sind als die, die gelobt haben, in Armut zu
leben. So erzählte das Gerücht von ihnen. Daher
haben die meisten von ihnen Eigentum, was ihnen
ihre Regel doch verbietet, und sie freuen sich
mehr über ihren verwerflichen Reichtum als über
heilige, ehrenvolle Armut. Und sie prahlen damit,
dass ihre Tracht aus ebenso teurem Stoff gemacht
ist, wie die von reichen Bischöfen.
Der heilige Gregorius und andere Heilige bauten
Nonnenklöster zu dem Zweck, dass Frauen dort
streng eingeschlossen werden sollten, dass sie
kaum noch am Tage zu sehen waren. Aber jetzt
herrscht an diesen Stellen eine sehr schwere
Unsitte, indem die Tore ohne weiteres für Priester
und Laien geöffnet werden, die die Schwestern
gern einlassen – ja sogar des nachts. Daher
gleichen diese Stellen mehr Bordellen, als heiligen
Nonnenklöstern.
Es gab auch eine Bestimmung in der heiligen
Kirche, dass keiner dafür Geld annehmen sollte,
dass er die Beichte hörte. Jedoch war es Penitentiariern
erlaubt, Geld für Schreibarbeiten anzunehmen,
wie es auch gebührlich ist, wenn es Personen
betrifft, die Bescheinigungen brauchen. Aber
stattdessen hat sich nun die Unsitte eingeschlichen,
dass reich Menschen bezahlen, so viel sie wollen,
wenn sie gebeichtet haben, und Arme gezwungen
werden, ein Übereinkommen mit dem Beichtvater
zu treffen, ehe sie gehört werden. Und wenn
die Beichtväter die Absolution mit dem Munde
ausgesprochen haben, schämen sie sich nicht,
das Geld mit ihren Händen in die Börse zu stopfen.
Es wurde weiter in der Kirche festgelegt, dass
jeder Mensch mindestens einmal im Jahre seine
Sünden beichten und den Leib Christi (in der
Kommunion) empfangen sollte. Das betraf Laien;
Priester und Ordensleute sollten es mehrmals
im Jahre tun. Ferner war es bestimmt, dass die,
die nicht enthaltsam leben konnten, in der Ehe
leben sollten. Drittens, dass alle Christen
(außer die, die schwer krank waren oder sich
in schwerer Bedrängnis befanden), während des
Vierzig-Tage-Fastens fasten sollten, an den
Quatembertagen und an den Vigilien an großen
Feiertagen; diese Fastentage sind immer noch
fast allen sehr gut bekannt.
Viertens war es bestimmt, dass alle sich an
Feiertagen von weltlicher Arbeit enthalten sollten.
Fünftens war bestimmt, dass kein Christ Geld
oder dergleichen durch Wucher erwerben sollte.
Aber gegen diese fünf guten Bestimmungen haben
sich fünf schändliche und äußerst schädliche
Unsitten eingeschlichen. Die erste ist, dass
es für jeden Menschen, der Beichte ablegt und
Christi Leib empfängt, hundert andere Personen
gibt, die das Alter der Vernunft erreicht haben
und in Rom sterben, oder dass jemand in Rom
stirbt, ohne jemals Beichte abgelegt oder Christi
Leib empfangen zu haben…
Die zweite Unsitte ist, dass viele zwar gesetzliche
Ehefrauen nehmen, aber wenn sie in irgendeine
Uneinigkeit mit ihren Frauen geraten, so verlassen
sie sie für solange Zeit, wie es ihnen behagt,
ohne eine kirchliche Zustimmung einzuholen,
und anstelle der Ehefrauen nehmen sie Mätressen,
die sie auch in Ehren halten und lieben. Manche
haben nicht einmal Hemmungen, in ihrem Haus
eine Geliebte zusammen mit der Ehefrau zu haben,
und freuen sich, zu hören, dass sie gleichzeitig
Kinder im selben Haus zur Welt bringen.
Die dritte Unsitte ist, dass viele gesunde Menschen
während des Vierzig-Tage-Fastens Fleisch essen,
und es sind sehr wenig, die sich mit einer Mahlzeit
am Tag begnügen. Und es gibt manche, die am
Tage auf Fleisch verzichten und solches Essen
zu sich nehmen, was während des Fastens erlaubt
ist, aber nachts essen sie in heimlichen Lokalen
doch Fleisch. Ja das tun sowohl Priester als
auch Laien, und sie gleichen so den Mohammedanern,
die am Tage fasten, aber nachts Fleisch essen.
Die vierte Unsitte ist, dass – obwohl manche
Handwerker auf Arbeit an Feiertagen verzichten
– doch manche Reiche ihre Tagelöhner auch an
Feiertagen in die Weingärten schicken, um zu
arbeiten, auf den Feldern zu pflügen, in den
Wäldern Holz zu schlagen und Sachen Heimzuschaffen,
und auf diese Weise genießt armes Volk an Feiertagen
nicht mehr Ruhe, als an Werktagen. Die fünfte
Unsitte ist, dass Christen so wie Juden Wucher
betreiben, ja die christlichen Wucherer sind
geradezu gieriger, als die Juden.
Es war ferner in der Kirche bestimmt, dass solche
Menschen, die nun beschrieben sind, in den Bann
getan werden sollen. Aber jetzt ist stattdessen
die Unsitte aufgekommen, dass sich viele nicht
mehr vor dem Bann, als vor dem Segen fürchten.
Auch wenn sie wissen, dass sie öffentlich im
Bann stehen, so verzichten sie nicht auf den
Kirchenbesuch oder den Verkehr und das Gespräch
mit anderen Menschen. Es gibt wenige Priester,
die Gebannten verbieten, zur Kirche zu gehen:
Wenige sind es, die es unterlassen, mit Gebannten
zu verkehren und mit ihnen zu sprechen, wenn
sie mit ihnen durch irgendein Freundschaftsband
verbunden sind. Und wenn sie reich sind, so
verweigert man den Gebannten kein kirchliches
Begräbnis.
Daher solltet Ihr Euch nicht darüber wundern,
Herr, dass ich Rom unglücklich nenne, nachdem
dort solche Unsitten und vieles andere, was
in scharfem Widerspruch zu den kirchlichen Bestimmungen
steht, dort im Schwange sind. Es ist infolgedessen
zu befürchten, dass der katholische Glaube binnen
kurzem untergeht, sofern nicht jemand kommt,
der Gott ungeheuchelt über alles liebt und seinen
Nächsten wie sich selbst, um alle Missbräuche
abzuschaffen. Habt deshalb Mitleid mit der Kirche
und mit denen in ihrer Priesterschaft, die Gott
von ganzem Herzen lieben und alle schlechten
Sitten verabscheuen; sie sind durch die Abwesenheit
des Papstes sozusagen vaterlos geworden, aber
haben doch wie Söhne die Residenz des Vaters
verteidigt, haben den Verrätern klug widerstanden
und haben trotz vieler Leiden ausgeharrt.
34. Kapitel
Maria warnt einen schwedischen
Marschall durch Birgitta, der bisher ein sehr
sündhaftes Leben führte. Der Zusatz deutet seine
Bekehrung an. Nach Steffens Ansicht handelt
es sich um Gustav Tunason, der mit der Schwester
von Ulf Gudmarsson verheiratet war und Katharina
Ulfsdotter auf ihrer Romreise begleitete.
Es scheint mir,
als hätte ich Menschen stehen sehen und Riemen
in Ordnung bringen. Andere standen und befassten
sich mit Pferden; andere schmiedeten Zangen,
anderen bauten einen Galgen. Als ich dies sah,
zeigte sich eine Jungfrau, die aussah, als wäre
sie betrübt, und sie fragte, ob ich dies verstünde.
Ich antwortete, dass ich es nicht verstehe.
Da sagte sie: „All das, was du hier gesehen
hast, ist die geistliche Strafe, die für die
Seele dessen bereitet wird, den du kennst. Die
Riemen sind dazu da, das Pferd anzubinden, die
seine Seele wegschleppen sollen. Die Zangen
dienen dazu, seine Nase, seine Augen, Ohren
und Lippen zu verstümmeln, und der Galgen, um
ihn aufzuhängen.“
Als ich darüber betrübt war, sagte die Jungfrau:
„Sei nicht betrübt! Noch ist es nämlich Zeit:
Er kann, wenn er will, die Riemen zerreißen,
die Pferde umwerfen, die Zangen wie Wachs zerschmelzen
und den Galgen abbrechen. Und wenn er eine richtig
brennende Liebe zu Gott bekommt, werden ihm
diese Plagezeichen zur größten Ehre dienen.
Der Riemen, womit er verächtlich gebunden werden
sollte, sollen dann in goldene Gürtel verwandelt
werden; anstatt der Pferde, mit denen er durch
die Straßen geschleppt werden sollte, sollen
ihm Engel zugesandt werden, die ihn vor Gottes
Angesicht führen; anstatt der Zangen, mit denen
er schmachvoll verstümmelt werden sollte, wird
seiner Nase ein lieblicher Wohlgeruch geschenkt
werden, seinem Mund ein herrlicher Geschmack,
seinen Augen der schönste Anblick, und seinen
Ohren die lieblichste Melodie.“
Erklärung
Dieser
Mann war Marschall des Königs. Er kam mit einer
solchen Demut und Zerknirschung nach Rom, dass
er mit entblößtem Haupt eifrig zu den Stationskirchen
herumging und Gott und andere bat, für ihn zu
beten, dass er nicht in sein Vaterland zurückkehren
wollte, wenn es ihm passieren würde, in seine
früheren Sünden zurückzufallen.
Gott hörte seine Stimme, denn als er Rom verlassen
hatte und nach Montefiascone kam, wurde er dort
krank und starb. Von ihm handelt eine andere
Offenbarung: „Siehe, Tochter, was Gottes Barmherzigkeit
tut, und was der gute Wille tut! Diese Seele
war im Maul des Löwen, aber der gute Wille hat
ihn den Zähnen des Löwen entrissen, und jetzt
ist er schon auf dem Weg zum Himmel und wird
an all dem Guten teilhaben, was in Gottes Kirche
geschieht.“
35. Kapitel
Christus erklärt, was
es für Sünden sind, die das Kommen des Heiligen
Geistes ins Menschenherz verhindern.
O liebster Jesus,
Schöpfer von allem, was geschaffen ist! „O dass
diese Menschen die Glut deines Heiligen Geistes
erkennen und verstehen würden! Dann würden sie
umso mehr nach dem Himmlischen trachten und
das Irdische umso eifriger verabscheuen.“ Und
gleich wurde mir im Geist geantwortet: „Ihre
Ausschweifungen und ihre Maßlosigkeit stehen
den Besuchen des Heiligen Geistes entgegen.
Denn Unmäßigkeit im Essen und Trinken und bei
Gastmählern mit Freunden verhindern, dass der
Heilige Geist ihnen lieb wird und dass sie die
weltlichen Genüsse satt werden.
Eine zu große Fülle von Gold und Silber, Gefäßen,
Kleidern und Einkünften verhindern, dass der
Geist meiner Liebe ihr Herz entzündet. Eine
zu große Menge an Bediensteten, Pferden und
Vieh verhindert, dass der Heilige Geist ihnen
nahe kommt. Daher wissen sie nichts von der
Süßigkeit und dem lieben Besuch, womit ich,
der Gott ist, heiligen Seelen und meine Freunde
besuche.
36. Kapitel
Christus klagt über die
schlechte Verwaltung seiner Berufung durch die
Klostermenschen und Ritter (schwedische Zeit?)
Hör nun, was
meine Feinde tun, und wie sie sich von dem trennen,
was meine Freunde früher getan haben. Meine
Freunde, die gingen aus kluger Furcht und göttlicher
Liebe ins Kloster. Aber die, die jetzt in den
Klöstern sind, die gehen aus Hochmut und Gewinnsucht
in die Welt hinaus; sie folgen ihrem eigenen
Willen und tun, was ihrem Leib behagt. Daher
ist es auch gerecht, dass die, die in einem
solchen Willen sterben, die himmlische Freude
nicht kennenlernen und empfangen, sondern stattdessen
die ewige Pein in der Hölle.
Du sollst auch wissen, dass die Klostermenschen,
die gegen ihren eigenen Willen gezwungen werden,
Vorsteher zu werden, das aber nur aus göttlicher
Liebe werden, nicht zu dieser Zahl gerechnet
werden sollen. Und die Ritter, die früher Waffen
trugen, waren bereit, ihr Leben für die Gerechtigkeit
hinzugeben und ihr Blut für den heiligen Thron
(Gottes) zu vergießen; sie verhalfen denen,
die es brauchten, zu ihrem Recht und unterdrückten
und demütigten die Bösen.
Aber höre nun, wie verkehrt sie geworden sind.
Jetzt gefällt es ihnen mehr, aus Übermut, Gewinnsucht
und Neid nach den Eingebungen des Teufels im
Krieg zu sterben, als nach meinen Geboten zu
leben, um die ewige Freude zu gewinnen. Daher
sollen alle, die in einem solchen Willen leben,
ihren Lohn durch ein gerechtes Urteil erhalten,
d.h. zum Lohn sollen sie dem Teufel übergeben
und auf ewig mit ihm vereint werden. Aber die,
die mir dienen, sollen ihren Lohn mit der himmlischen
Heerschar in Ewigkeit erhalten.
37. Kapitel
Christus droht der sündigen
Menschheit mit seiner baldigen Bestrafung und
hält eine Warnung für wenig nützlich.
Der Sohn (Jesus
Christus) spricht: „Tochter, wie verhält die
Welt sich jetzt?“ sie antwortet: „So wie ein
offener Sack, zu dem alle laufen, und wie ein
Mann, der läuft, sich aber nicht darum kümmert,
was hernach geschehen wird.“
Der Herr erwiderte: „Daher ist es gerecht, dass
ich mit meinem Pflug über die Welt gehe, über
Heiden und Christen. Ich werde weder Alt noch
jung, Arme und Reich schonen, sondern jeder
wird beurteilt werden, wie er verdient hat,
und ein jeder wird in seiner Sünde sterben,
und sein Haus wird leer ohne Bewohner dastehen.
Und doch werde ich es noch nicht zur Ausführung
bringen.“
Sie (Birgitta) entgegnete: „O Herr, zürne nicht,
wenn ich spreche. Sende einige deiner Freunde,
um sie zu ermahnen und sie vor der Gefahr zu
warnen!“ Und der Herr sagte: „Es steht geschrieben,
dass der reiche Mann in der Hölle, der an seiner
eigenen Erlösung verzweifelte, darum bat, dass
jemand geschickt werden sollte, um seine Brüder
zu warnen, damit sie nicht auch umkämen. Aber
er bekam die Antwort: „Keinesfalls wird das
geschehen. Sie haben ja Mose und die Propheten;
von denen können sie es lernen.“
Ebenso sage ich jetzt: Sie haben die Evangelien
und die Aussagen der Propheten, sie haben das
Wort und Beispiel der Kirchenlehrer, sie haben
Verstand und Vernunft, all das sollen sie also
anwenden, dann sollen sie erlöst werden. Denn
wenn ich dich schicken würde, könntest du nicht
so laut rufen, dass du gehört würdest. Wenn
ich meine Freunde schickte, sind es so wenige,
dass man sie kaum hören würde, wenn sie riefen.
Ich werde aber meine Freunde zu denen senden,
zu denen es mir gefällt, und sie sollen den
Weg für Gott bereiten.“
38. Kapitel
Christus deutet an, wie
man sich Träumen und Eingebungen gegenüber verhalten
soll, die vom bösen Geist stammen.
Der Sohn spricht:
„Warum wirst du von frohen Träumen so munter,
und von traurigen Träumen so bedrückt? Habe
ich dir nicht gesagt, dass der Teufel missgünstig
ist, und dass er ohne Gottes Zulassung nicht
mehr tun kann, als ein Strohhalm vor deinen
Füßen? Ich habe dir auch gesagt, dass er der
Vater und Erfinder der Lüge ist, und dass er
in all seine Unwahrheiten etwas Wahrheit mischt.
Deshalb sage ich, dass der Teufel nicht schläft,
sondern umhergeht, um eine Gelegenheit zu finden,
dich zu Fall zu bringen.
Deshalb sollst du dich vorsehen, dass der Teufel
dich nicht betrügt, der durch sein feines Wissen
das Innere des Menschen durch die äußeren Bewegungen
erforscht. Denn manchmal sendet er deinem Herzen
frohe Träume, damit du eitle Freude spüren sollst,
damit du in deinem Missmut etwas Gutes unterlässt,
was du tun könntest, und unglücklich und sorgenvoll
wirst, ehe noch die Trübsal kommt.
Manchmal gibt der Teufel auch dem Herzen des
betrogen ist und der Welt gefallen möchte, viele
falsche Dinge ein, wodurch viele sich betrügen
lassen, wie es mit den falschen Propheten gegangen
ist. Und das passiert dem Menschen, der etwas
anderes mehr liebt, als Gott. So geschieht es,
dass vieles Wahre unter vielen falschen Worten
steckt, denn der Teufel könnte nie betrügen,
wenn er nicht Wahres mit Falschem mischen würde.
Dass das so der Fall ist, darüber bekam man
ja ein Zeugnis durch den vom Teufel Besessenen,
den du gesehen hast: Wenn er auch bekannte,
dass nur einer Gott ist, zeigten doch seine
schamlosen Gebärden und seine übrigen Aussprüche,
dass der Teufel in ihm steckte.
Aber nun könntest du fragen, warum ich dem Teufel
erlaube, zu lügen. Ich antworte: Das habe ich
zugelassen und lasse ich wegen der Sünden des
Volkes und der Priester zu; sie wollen nämlich
wissen, was Gott nicht will, dass sie es wissen
sollen, und sie wollten Erfolg haben, als Gott
sah, dass dies nicht zu ihrer Erlösung dienen
würde. Deshalb lässt Gott der Sünden wegen vieles
zu, was nicht passieren sollte, wenn der Mensch
nicht die Gnade und seine Vernunft missbrauchen
würde.
Aber die Propheten, die nichts anderes als Gott
begehrten und Gottes Wort nicht anders als Gott
zuliebe sprechen wollten, die ließen sich nicht
betrügen, sondern sprachen Worte der Wahrheit
und liebten sie. Aber wenn auch nicht alle Träume
beachtet werden sollen, sollen doch auch nicht
alle verschmäht werden. Denn manchmal gibt Gott
auch den bösen Menschen gute Dinge ein und offenbart
ihnen ihren Heimgang, damit sie mit ihren Sünden
aufhören. Manchmal gibt er auch die guten Dinge
im Traum ein, damit sie sich in der Liebe zu
Gott vervollkommnen.
Daher sollst du, so oft dir so etwas passiert,
dein Herz nicht darauf achten lassen, sondern
überdenke und beurteile es mit Hilfe deiner
klugen, geistlichen Freunde oder schließe es
aus deinem Herzen aus, als hättest du es nicht
gesehen, denn wer an so etwas Vergnügen hat,
wird ständig nur betrogen und betrübt. Steh
also fest in deinem Glauben an die heilige Dreieinigkeit,
liebe Gott von ganzem Herzen, sei gehorsam im
Glück und Unglück, überhebe dich in Gedanken
nicht über jemanden, fürchte dich, auch wenn
du Gutes tust, glaub nicht, dass du klüger seist
als andere, stelle deinen ganzen Willen Gott
anheim und sei bereit zu allem, was Gott will!
Dann brauchst du keine Träume zu fürchten, denn
wenn sie froh sind, solltest du ihnen nicht
glauben oder sie begehren, sofern du nicht merken
kannst, dass sie Gottes Ehre bezeichnen. Und
wenn sie traurig sind, solltest du dich nicht
betrüben, sondern dich ganz deinem Gott anvertrauen.“
Dann sprach die Mutter: „Ich bin die Mutter
der Barmherzigkeit, die Kleider für die schlafende
Tochter bereitet, Essen für die Tochter, die
sich kleidet, und die Krone und alles Gute für
die Tochter, die arbeitet.“
39. Kapitel
Christus lehrt Birgitta,
wie man seinen Willen in Übereinstimmung mit
Gottes Willen bringen soll und über Gottes Anordnungen
nicht murren soll.
Die Mutter
sprach zu ihrem Sohn Jesus und sagte: „Unsere
Tochter ist wie ein Lamm, das sein Haupt ins
Maul des Löwen legt.“ Der Sohn antwortete ihr:
„Es ist besser, dass das Lamm das Haupt ins
Maul des Löwen legt, so dass es ein Fleisch
und Blut mit dem Löwen wird, als dass das Lamm
Blut aus dem Fleisch des Löwen saugt. Dann würde
der Löwe zornig werden, und das Lamm, das sonst
Gras zu fressen hat, würde krank werden. Aber
weil du, liebste Mutter, die vollkommene Weisheit
und alle Klugheit in deinem Mutterleib getragen
hast, kannst du sie verstehen lassen, was der
Löwe, und was das Lamm ist.“
Die Mutter erwiderte: „Gesegnet seist du, mein
Sohn, du der ewig beim Vater bleibt und, obwohl
du zu mir herabgestiegen bist, dich nie vom
Vater getrennt hast. Du bist gewiss der Löwe
aus dem Stamme Juda. Du bist aber auch das unbefleckte
Lamm, auf das Johannes mit seinem Finger zeigt.
Also legt der Mensch sein Haupt ins Maul des
Löwen, der all seinen Willen Gott anvertraut
und der auch, wenn er könnte, ihn nicht vollenden
würde, sofern er nicht weiß, dass er dir gefällt.
Aber der Mensch saugt das Blut des Löwen, der
ungeduldig über deine Gerechtigkeit und deine
Verordnung ist, der wünscht und danach strebt,
etwas anderes zu erhalten, als was du ihm bestimmt
hast, und der in einem anderen Stand und einer
anderen Stellung leben will, als was dir gefällt,
und was für ihn möglich ist. Durch solche Menschen
wird Gott nicht besänftigt, sondern zum Zorn
gereizt. Denn wie das Gras das Futter des Lammes
ist, so sollte der Mensch sich mit bescheidenen
Dingen und einem bescheidenen Stand begnügen.
Und deshalb lässt Gott wegen der Undankbarkeit
und Ungeduld der Menschen vieles geschehen,
was nicht gegen das Wohlsein der Menschen geschehen
würde, wenn sie geduld wären. Gib daher, meine
Tochter, Gott deinen Willen anheim, und wenn
du manchmal weniger geduldig bist, solltest
du zu Reue und Buße aufstehen, denn die Buße
ist gleichsam eine gute Wäscherin von fleckigen
Kleidern, und die Reue bleicht die Kleider aus.“
40. Kapitel
Christus erklärt Birgitta,
was ein guter und was ein schlechter Tod ist.
Gottes Sohn
sprach: „Fürchte dich nicht, meine Tochter!
Diese kranke Frau wird nicht sterben, denn ihre
Werke gefallen mir.“ Als sie starb, sagte Gottes
Sohn nochmals: „Sieh, Tochter, es ist wahr,
was ich dir sagte. Sie ist nicht tot, denn ihre
Ehre ist groß. Die Trennung von Leib und Seele
bei den Gerechten ist nämlich nur ein Schlaf,
denn sie wachen zum ewigen Leben. Dagegen kann
man vom Tode sprechen, wenn die Seele vom Körper
geschiedenist, in einem ewigen Tode lebt.
Sicher geben nicht viele Acht auf das kommende
und möchten einen christlichen Tod sterben.
Was ist nun ein christlicher Tod, wenn nicht,
so zu sterben, wie ich gestorben bin – unschuldig,
willig und geduldig? Bin ich etwa deshalb wert,
verachtet zu werden. Weil mein Tod verächtlich
und schwer war? Oder sind meine Auserwählten
töricht, weil sie verächtlich Dinge ertrugen,
oder wollte das Glück oder der Lauf der Sterne
das? Keineswegs. Sondern ich und meine Auserwählten,
wir ertrugen schwere Dinge, um durch Wort und
Beispiel zu zeigen, dass der Weg zum Himmel
schwer ist, und damit man fleißig denken sollte:
Was für eine Reinigung müssen die Bösen erhalten,
wenn die Auserwählten und Unschuldigen so schwer
gelitten haben?
Du solltest also wissen, dass der Mensch verächtlich
und schlimm stirbt, der zügellos gelebt hat
und mit dem Willen zur Sünde stirbt, der auf
der Welt Erfolg hat und länger leben möchte,
aber vergisst, Gott zu danken. Aber wer Gott
von ganzem Herzen liebt und unschuldig mit einem
verächtlichen Tod geplagt wird, oder von einer
langen Krankheit belastet wird, der lebt und
stirbt selig, denn ein bitterer Tod vermindert
die Sünde und die Sündenstrafe und erhöht die
Krone der Belohnung.
Sieh, ich erinnere dich nun an zwei, die nach
menschlichem Ermessen eines schmählichen und
bitteren Todes starben, die aber nicht erlöst
worden wären, wenn sie nicht durch meine große
Barmherzigkeit einen solchen Tod erhalten hätten.
Aber weil der Herr die im Herzen Zerknirschten
nicht zweimal straft, daher gelangen sie nur
Krone.
Deshalb brauchen Gottes Freunde nicht betrübt
zu sein, wenn sie zeitlich geplagt werden oder
eines bitteren Todes sterben, denn es ist am
seligsten, eine Stunde zu trauern und auf der
Welt Trübsal zu haben, damit man nicht in ein
schweres Fegefeuer gerät, woraus es kein Entrinnen
gibt, und wo keine Zeit mehr ist, zu wirken.“
41. Kapitel
Maria sagt, dass die Macht
des Priesters, Sünden zu erlassen, nicht von
seiner persönlichen Würde oder Unwürde abhängt.
Die Mutter
spricht: „Geh zu dem hin, der das Amt des Sündenerlasses
hat. Wie aussätzig der Türhüter auch sein mag,
kann er die Tür doch ebenso gut wie ein Gesunder
öffnen, sofern er die Schlüssen hat. So verhält
es sich auch mit dem Ablass und dem Sakrament
des Alters: Wie der Priester auch sein mag,
kann er doch von den Sünden lösen, wenn er rechtlich
das Amt des Sündenerlasses innehat. Daher soll
niemand verschmäht werden.
Doch ich sage dir zwei Dinge voraus. Das eine
ist, dass er nicht erhalten wird, was er leiblich
liebt und begehrt. Das zweite ist, dass sein
Leben rasch enden wird. Und wie die Ameise,
die sich Tag und Nacht mit einem Korn abmüht,
manchmal, wenn sie den Ameisenhaufen erreicht,
hinfällt und am Eingang stirbt, wobei das Korn
dann draußen bleibt, so wird der sterben, wenn
er anfängt, die Frucht seiner Arbeit zu erlangen,
und er wird für seine vergebliche Arbeit entehrt
und bestraft.“
42. Kapitel
Maria deutet an, wie gute Menschen
andere durch ihre guten Sitten zu Gott
führen können.
Die Mutter spricht: „Gottes Freunde sollen wie
zwei Türpfosten sein, durch die andere eintreten
sollen. Deshalb soll genau beachtet werden,
dass kein scharfer oder harter Gegenstand den
Eintretenden Widerstand leistet, so dass sie
dadurch eingeklemmt werden. Was bezeichnen nun
die Türpfosten, wenn nicht ehrbare Sitten, gerechte
Taten und erbauliche Worte, die bei Gottes Freunde
täglich auftreten sollen? Daher soll genau beachtet
werden, dass nicht etwas Hartes, d.h. ein Schimpfwort
oder leichtfertiges Wort, im Mund von Gottes
Freunde angetroffen wird, oder in ihren Werken
etwas Weltliches festzustellen ist, weswegen
die, die hineingehen wollen, zurückweichen und
sich scheuen, einzutreten.“
43. Kapitel
Maria deutet an, welch strenge Strafe
verantwortungslose Priester zu erwarten
haben.
Die Mutter spricht: „Diese Leute sind wie ein
Wurm, der die schönste Frucht sieht und sich
nicht darum kümmert, ob die Frucht verdirbt
oder herunterfällt, wenn er nur die Wurzeln
oder das, was dem Boden am nächsten ist, anknabbern
kann. So ist es auch mit diesen: Sie kümmern
sich nicht darum, dass die Seelen vergehen,
wenn sie nur ihren Verdienst und ihr zeitliches
Gut gewinnen. Daher wird die Gerechtigkeit meines
Sohnes über sie kommen, und sie werden schnell
dahingerafft werden.“
Sie (Birgitta) antwortete: „Alle Zeit ist ja
vor Gott nur wie ein Augenblick, wie lang sie
uns auch scheinen mag. Daher ist die Geduld
deines Sohnes auch mit den Ungerechten groß.“
Die Mutter erwiderte: „Ich sage dir in Wahrheit:
Ihr Gericht soll nicht aufgeschoben werden,
sondern kommt mit Schrecken über sie, und sie
sollen von ihren Genüssen getrennt und in Scham
und Schande versenkt werden.“
44. Kapitel
Christus spricht über die Vergänglichkeit
des Reichtums und der Macht der Welt und
über die Torheit, danach zu trachten.
Gottes Sohn spricht: „Höre du, die sich nach
den Stürmen der Welt nach dem Hafen sehnt! Keiner,
der auf dem Meer ist, braucht sich zu fürchten,
wenn der mit ihm ist, der den Winden verbieten
kann, zu rasen und abzuziehen, und den harten
Schären, aufzuweichen, und der den Sturmwogen
befehlen kann, dass sie das Schiff in den ruhigen
Hafen führen. Manche Menschen auf der Welt sind
wie ein Schiff, indem sie ihren Leib über die
Wogen der Welt führen – zum Trost für manche
und zur Betrübnis für andere, denn der freie
Wille des Menschen lenkt manche Seelen zum Himmel
und andere in die Tiefe der Hölle.
Der Wille, der nichts inniger zu hören wünscht,
als Gottes Ehre, und der für nichts anderes
zu leben wünscht, als Gott zu dienen – der Wille
gefällt Gott, und bei einem solchen Willen bleibt
Gott gern, indem er alle Gefahren der Seele
abwehrt und die Schären unschädlich macht, unter
denen die Seele oft in Gefahr schwebt. Aber
was sind die Schären, wenn nicht das böse Begehren?
Es ist ja angenehm, die Reichtümer der Welt
zu betrachten und zu besitzen, sich über die
Ehre seines Leibes zu freuen und das zu schmecken,
was dem Fleisch Vergnügen macht. Durch so etwas
schwebt die Seele oft in Gefahr.
Aber wenn Gott im Schiff ist, da weicht dies
alles auf und löst sich auf, und die Seele verschmäht
das alles, denn alle leibliche und irdische
Schönheit ist wie ein Glas, das außen bemalt
ist, aber innen voll von Erde ist, und das,
wenn es zerbricht, keinen größeren Nutzen als
die schwarze Erde hat, die nur geschaffen ist,
dass der Mensch sie zu keinem anderen Zweck
besitzen soll, als sich den Himmel dafür kaufen
zu können. Jeder Mensch, der… alle Glieder seines
Körpers kasteit und die niedrige Lust seines
Fleisches verabscheut, kann also sicher ruhen
und mit Freuden erwachen, denn Gott ist zu jeder
Stunde bei ihm.“
45. Kapitel
Birgitta richtet ein Schreiben an Kaiser
Karl IV.[1] bei seinem Besuch in Rom im
Jahre 1368. In dem Schreiben ermahnt sie
ihn, die frühere Demut, Enthaltsamkeit,
Genügsamkeit und Menschenliebe im
Christlichen Europa wieder herzustellen.
Offenbarungen, wahrscheinlich 1350 oder
später in Italien gegeben.
Ich klage eurer kaiserlichen Majestät nicht
nur in meinem Namen, sondern auch im Namen vieler
von Gottes Auserwählten, dass es vier Schwestern
gab, Töchter eines mächtigen Königs, die alle
auf ihren väterlichen Gütern ihren Sitz und
Macht besaßen. Und alle, die die Schönheit dieser
Schwestern sehen wollten, erhielten Trost von
ihrer Schönheit und gute Beispiele von ihrer
Frömmigkeit.
Die erste Schwester hieß Demut bei der Anordnung
aller Dinge, die getan werden sollten. Die zweite
Schwester hieß Enthaltsamkeit von allem sündigen
Umgang. Die dritte Schwester hieß Genügsamkeit
ohne allen Überfluss. Die vierte Schwester hieß
Liebe beim Leiden des Nächsten. Diese vier Schwestern
werden jetzt auf den Gütern ihrer Väter unterdrückt,
von fast allen ausgebeutet und verachtet. An
ihren Plätzen sind vier unecht Schwestern eingesetzt;
sie leiten ihre Herkunft von einer sündhaften
Verbindung her, und sie werden jetzt Frauen
genannt.
Die erste Frau heißt Hochmut, um die Welt zu
beherrschen (? täckes) Die zweite Frau heißt
Lust – nach allem fleischlichen Begehren. Die
dritte Frau heißt Überfluss über alles Notwendige
hinaus. Die vierte Frau heißt Simonie, und vor
ihrer Falschheit vermag fast niemand sich zu
schützen, denn ob das, was sie erhält, nun zu
Recht oder Unrecht erworben ist – sie nimmt
doch alles begierig an. Diese vier Frauen widersprechen
Gottes Gebot und wollen es ausschalten, und
viele Seelen bringen sie in ewige Verdammnis.
Aus diesem Grunde, Herr, um der Lieb willen,
die euch Gott bewiesen hat, hilf den vier oben
genannten Schwestern, die „Tugenden“ genannt
werden. Die aus der Tugend selbst, Jesus Christus,
dem nächsten König, hervorgegangen sind, und
die in der heiligen Kirche, die Christi Erbgut
ist, unterdrückt werden. Hilf ihnen, dass sie
bald wieder erhöht werden, und die Laster unterdrückt
werden, die auf der Welt „Frauen“ heißen, denn
diese sind Verräterscharen der Seelen und sind
aus Laster, dem Verräter Teufel geboren.“
46. Kapitel
Unter Berufung auf die alttestamentliche
Erzählung von Nabot’s Weinberg ermahnt
Birgitta einen Adligen, unrechtmäßig
erworbene Güter zurückzugeben. Wenn er der
Ermahnung nicht folgt, hat er Strafe zu
erwarten, sagt sie.
Herr, ich warne Euch vor der Gefahr für Eure
Seele, indem ich Euch daran erinnere, wie von
einem König im Alten Testament erzählt wird,
dass er den Weinberg eines Mannes haben wollte
und ihm den vollen Wert für den Weingarten anbot.
Aber weil es dem Besitzer nicht gefiel, den
Weinberg zu verkaufen, bemächtigte sich der
erzürnte König des Weinbergs mit Unrecht und
Gewalt. Dann sprach der Heilige Geist durch
den Mund eines Propheten zu ihm und urteilte,
dass der König und die Königin zur Strafe für
dieses Unrecht den schmachvollsten Tod sterben
würden. Das ging für sie auch in Erfüllung,
und ihre Kinder hatten auch keine Freude am
Besitz dieses Weinberges.
Nun sollt ihr, die ihr Christen seid und vollständigen
Glauben habt und sicher wisst, dass Gott jetzt
wie damals derselbe ist und ebenso mächtig und
gerecht wie damals ist, ohne jeden Zweifel wissen,
dass – wenn ihr zu Unrecht etwas besitzen wollt,
indem ihr den Besitzer zwingt, gegen seinen
Willen zu verkaufen oder ihm nicht den Wert
dafür gebt, so wird euch dieser mächtige und
gerechte Richter strafen.
Ihr sollt auch fürchten, dass ein ebenso schmerzhaftes
Gericht über euch kommt wie das, von dem erzählt
wird, dass es diese Königin betroffen hat, und
dass eure Kinder durch das zu Unrecht Erworbene
nicht reich werden sollen, sondern eher mit
Armut geplagt werden. Daher ermahne ich dich
um des Leidens Jesu Christi willen, der deine
Seele mit seinem teuren Blut erlöst hat, dass
du deine Seele nicht selbst wegen irgendwelcher
vergänglicher Dinge verderben sollst, sondern
allen, die durch dich oder deinetwegen zu Unrecht
Schaden erlitten haben, vollständige Wiedergutmachung
leistest und ihnen wiedererstattest, was du
zu Unrecht erworben hast – ihnen zum Trost,
die jetzt Kummer leiden, und anderen zum Vorbild,
wenn du Gottes Freundschaft gewinnen willst.
Gott ist mein Zeuge, dass ich dies nicht von
mir selbst aus schreibe, denn ich kenne dich
ja nicht, sondern das, was einer gewissen Person
passiert ist, hat mir göttliches Mitleid mit
deiner Seele eingegeben und mich getrieben,
dies zu schreiben. Dies Person hörte nämlich
– nicht im Schlaf, sondern im Wachen und während
sie betet – die Stimme eines Engels sagen: „Björn,
Björn, du bist sehr vermessen gegen Gott und
die Gerechtigkeit. Du willst dein Gewissen in
dir betäuben, so dass dein Gewissen völlig schweigt,
und der Wille redet und handelt. Daher wirst
du bald vor Gottes Richterstuhl zum Gericht
geladen werden, und da wird dein Wille still
sein und dein Gewissen reden und dich nach Recht
und Billigkeit verurteilen.“
47. Kapitel
Christus lehrt Birgitta, wie man
Versuchungen begegnen und sie überwinden
soll.
Der Sohn spricht: „Wenn der Feind an die Tür
klopft und schlägt, sollt ihr nicht sein wie
die Ziegen, die gegen die Mauer laufen, und
auch nicht wie Schafböcke, die sich auf ihre
Füße stellen und sich mit den Hörnern stoßen,
sondern sollt wie Küken sein, die, wenn sie
einen Raubvogel in der Luft sehen, der ihnen
schaden will, unter die Federn ihrer Mutter
flüchten, um sich darunter zu verstecken.
Und wer ist euer Feind, wenn nicht der Teufel,
der gegen alle guten Taten missgünstig ist und
sozusagen an die Tür klopft und schlägt, wenn
er mit Versuchungen auf den Sinn des Menschen
einwirkt, manchmal ihn durch Zorn beunruhigt,
manchmal mit herabsetzenden Reden, manchmal
mit Ungeduld und Missvergnügen gegen Gottes
Gerichte, wenn nicht alles nach dem Wunsch des
Menschen geht? Er schlägt und beunruhigt euch
auch fleißig mit zahllosen Gedanken, damit ihr
von Gottes Dienst abgelenkt werdet, und eure
guten Taten vor Gott verdunkelt werden.
Daher sollt ihr – was eure versuchenden Gedanken
es auch sein mögen – euren Platz nicht verlassen
und nicht wie Ziegen sein, die gegen die Mauer
laufen, d.h. kein hartes Herz haben oder anderer
Leute Taten in euren Herzen verurteilen, denn
oft ist der, der heute schlecht ist, morgen
gut. Stattdessen sollt ihr eure Hörner senken
und stille stehn und lauschen, d.h. demütig
sein und euch fürchten, indem ihr Geduld habt
und betet, dass das, was schlecht begonnen hat,
zum Besseren gewendet wird.
Ihr sollt auch nicht wie Böcke sein, die ihre
Hörner schwenken, d.h. ihr sollt nicht ein Wort
auf das andere und ein Schimpfwort auf das andere
geben, sondern sollt geduldig still stehen und
still sein, d.h. die Begierde des Fleisches
kräftig zurechtweisen, so dass ihr euch bedenkt,
wenn ihr redet und antwortet, und euch zur Geduld
zwingt, denn ein rechtschaffener Mensch soll
sich selbst besiegen und auch auf zulässiges
Reden verzichten, um Schwätzereien zu vermeiden,
und es unterlassen, anderen zu kränken.
Denn wer mit seinen Seelenregungen zu sehr ausdrückt,
was er empfindet, scheint sich gewissermaßen
selbst gehemmt zu haben und die Unbeständigkeit
seines Sinnes gezeigt zu haben, und deshalb
wird er die Krone nicht erlangen, nachdem er
nicht eine Zeitlang Geduld haben wollte. Hätte
er Geduld gehabt, hätte er seinen Bruder gewinnen
können, der ihn kränkte, und hätte sich selbst
eine größere Krone bereitet.
Was sind die Flügeln der Henne, wenn nicht Gottes
Macht und Weisheit? Ich bin sicher wie eine
Henne, denn die Küken, die meiner stimme nachlaufen,
d.h. sich unter meinen Flügeln bergen wollen,
verteidige ich gegen die Hinterlist des Teufels
kräftig und rufe sie mit meinen Eingebungen
klug zur Erlösung. Und was sind die Federn,
wenn nicht meine Barmherzigkeit, denn wer sie
empfängt, kann ebenso sicher wie das Küken sein,
das unter den Schwingen seiner Mutter Schutz
findet.
Seid also wie die Küken, die nach meinem Willen
laufen, und sagt in allen Versuchungen und Unglücksfällen
mit Wort und Tat: „Gottes Wille geschehe!“,
denn ich verteidige die mit meiner Macht, die
sich auf mich verlassen. Ich erquicke sie mit
meiner Barmherzigkeit, erhalte sie mit meiner
Geduld, besuche sie mit meinem Trost, erleuchte
sie mit meiner Weisheit und belohne sie hundertfach
in meiner Liebe.
48. Kapitel
Durch
Birgitta ermahnt Christus einen König,
unbestimmt welchen, für die Vermehrung von
Gottes Ehre und zur Befreiung von Jerusalem
aus der Gewalt der Ungläubigen zu arbeiten.
Offenbarung, gegeben 1367-70 in Rom.
Gottes Sohn spricht: „Wenn dieser König mich
ehren will, so sollte er erstens meine Verunglimpfung
vermindern und meine Ehre erhöhen. Meine Verunglimpfung
besteht gewiss darin, dass meine Gebote, die
ich vorgeschrieben habe, und meine Worte, die
ich persönlich geredet habe, verachtet und von
vielen für nichts gehalten werden. Wenn er mich
lieben will, soll er also hinfort größere Liebe
zu den Seelen aller Menschen haben, denn für
sie habe ich den Himmel mit meinem Herzblut
aufgetan.
Ja, wenn er die Ruhe, die bei Gott ist, mehr
begehrt, als sein väterliches Erbe zu erweitern,
dann wird er wahrhaftig größere Lust und Hilfe
von Gott erhalten, den Ort Jerusalem, wo mein
toter Leichnam ruhte, wiederzuerhalten.
Du, der dies hört, solltest ihm weiter sagen:
Ich war es, Gott, der ihn hat krönen lassen.
Daher kommt es ihm auch zu, meinem Willen mehr
zu folgen und mich über alles zu ehren und zu
lieben. Wenn er das nicht tut, so sollen seine
Tage verkürzt werden, und die, die ihn Fleisch
lieben, sollen mit Trübsal von ihm getrennt
werden, und sein Reich wird in mehrer Teile
zerstückelt.“
49. Kapitel
Himmlische
Stimmen sprechen zu Birgitta über den
jetzigen kirchlichen Verfall in Rom und über
die Reformen, die der nach Italien
zurückgekehrte Papst durchführen soll. Die
Offenbarung dürfte Birgitta im Zusammenhang
mit dem Besuch Papst Urbans V. in Italien
1367-70 empfangen haben. Offenbarungen,
gegeben wahrscheinlich 1350 oder später in
Italien.
Es schien einem Menschen, als wäre er in einem
großen Kirchenchor. Und es erschien eine große
und strahlende Sonne, und es waren wie zwei
Kanzeln im Chor, die eine zur Rechten und die
andere zur Linken, beide in weitem Abstand von
der Sonne, und zwei Strahlen gingen von der
Sonne zu den beiden Kanzeln aus.
Da hörte er eine Stimme von der Kanzel, die
auf der linken Seite war, und die Stimme sagte:
„Heil dir, König in Ewigkeit, Schöpfer und Erlöser
sowie gerechter Richter! Sieh, dein Statthalter,
der auf deinem Stuhl in der Welt sitzt, hat
nun seinen Stuhl auf den alten, früheren Platz
zurückverlegt, wo der erste Papst, der Apostelfürst
Petrus, gesessen hat.“
Eine Stimme antwortete von der hohen Kanzel
und sagte: „Wie kann man die heiligen Kirche
betreten, wenn die Bohrlöcher der Tür voller
Rost und Erde sind? Die Tür ist ja deshalb zur
Erde geneigt, weil es keine Stelle in den Bohrlöchern
gibt, wo man die Scharniere befestigen kann,
die die Tür oben halten würden. Ferner sind
die Scharniere ganz ausgedehnt und nicht gebogen,
so dass sie die Tür oben halten können. Der
Boden ist vollkommen aufgegraben und in tiefe
Löcher verwandelt, die wie die tiefsten Brunnenschächte
sind und keinen Boden haben. Das Dach ist mit
Teer bestrichen, lodert von Schwefelfeuer und
tropft von dichtem Regen. Von dem schwarzen
und dichtem Rauch, der aus den tiefen Löchern
und vom tropfenden Dach aufsteigt, sind alle
Wände befleckt, und ihre Farben sehen aus wie
Blut, mit fauligem Eiter gemischt. Deshalb geziemt
es sich für einen Freunde Gottes nicht, in einem
solchen Heiligtum zu wohnen.“
Die Stimme von der linken Kanzel antwortete:
„Lege nun geistlich aus, was du leiblich gesagt
hast.“ Da sagte die andere Stimme: „Der Papst
wird mit der Tür verglichen und so bezeichnet.
Mit den Bohrlöchern der Tür ist die Demut gemeint,
die ebenso frei von allem Hochmut sein muss,
wie das Bohrloch von Rost, so dass nichts darin
zu sehen ist, das nicht zu dem demütigen Amt
das Papstes gehört. Aber jetzt sind die Bohrlöcher,
d.h. die Demut, so voll von Überfluss, Reichtümern
und Vorrat, das für nichts anderes aufbewahrt
wird, als den Hochmut, dass nichts demütig aussieht,
den alle Demut ist in weltlichen Prunk verwandelt.
Daher ist es kein Wunder, dass der Papst, der
mit der Tür gemeint ist, zu weltlichen Dingen
geneigt ist, die mit Rost und Erde bezeichnet
werden. Der Papst soll daher mit der wahren
Demut bei sich selbst beginnen, und zuerst mit
seinem Prunk an Kleidern, Gold, Silber und Silbergefäßen,
Pferden und anderem Zubehör, indem er von all
dem nur das behält, was notwendig ist, aber
das andere den Armen und besondern denen schenkt,
von denen er weiß, dass sie Gottes Freunde sind.
Dann sollte er sich maßvoll mit seinem Personal
beschränken und nur die Diener haben, die notwendig
sind, nämlich die sein Leben schützen. Denn
obwohl es in Gottes Hand steht, wann er ihn
zum Gericht rufen will, so ist es doch berechtig,
dass er Diener hat, die die Gerechtigkeit aufrecht
halten, so dass er die demütigen kann, die sich
gegen Gott und gegen die heiligen Bräuche der
Kirche auflehnen.
Mit den Scharnieren, die in die Tür eingesetzt
werden, sind die Kardinäle gemeint, die so hingegeben
an alle Hoffart, Gewinnsucht und fleischliches
Begehren sind, wie möglich. Daher soll der Papst
Hammer und Zange in die Hand nehmen und Kardinäle
nach seinem Willen zurechtbiegen, indem er ihnen
nicht gestattet, mehr an Kleidern und Personal
und Zubehör zu haben, als was die Notwendigkeit
und der Lebensunterhalt erfordert. Er mag sie
zuerst mit der Zange biegen, d.h. mit milden
Worten, göttlichem Rat und väterlicher Liebe,
aber wenn sie nicht gehorchen wollen sollte
er zum Hammer greifen, indem er ihnen seine
Strenge zeigt und tut, was er vermag (jedoch
nicht gegen die Gerechtigkeit), bis sie nach
seinem Willen zurechtgebogen sind.
Mit dem Boden sind jedoch die Bischöfe und Weltpriester
gemeint, deren Gewinnsucht keine Grenzen hat,
und von deren Übermut und lasterhaftem Leben
Rauch aufsteigt, vor dem alle Engel im Himmel
und alle Freunde Gottes auf Erden Abscheu empfinden.
Das kann der Papst in vielen Punkten bessern,
wenn er einem jeden erlaubt, das Notwendige
zu haben, aber keinen Überfluss, und jedem Bischof
befiehlt, auf den Lebenswandel seiner Priesterschaft
zu achten, so dass jeder, der seinen Wandel
nicht bessern und Enthaltsamkeit üben will,
seine Einkünfte ganz verliert. Denn es ist Gott
lieber, dass an dem Platz (des Altars) gar keine
Messe gelesen wird, als dass unzüchtige Hände
Gottes Leib berühren.
50. Kapitel
Birgitta sieht die ganze Menschheit vor
Gottes Richterstuhl und bezeugt die
verschiedenen Strafen.
Es schien mir, als ob ein König auf dem Richterstuhl
sitzen würde, und jeder lebende Mensch vor ihm
stünde. Jeder Mensch hatte zwei Personen, die
bei ihm standen: Der eine von diesen schien
ein bewaffneter Ritter zu sein, und der andere
ein schwarzer Neger. Vor dem Richterstuhl stand
ein Büchergestell, und auf diesem lag ein Buch,
so beschaffen, wie ich es früher gesehen hatte
(Buch 8, kap. 48).
Es kam mir so vor, als ob die ganze Welt vor
dem Büchergestell stehen würde, und ich hörte
den Richter zu diesem bewaffneten Ritter sagen:
„Und gleich fielen all die, die genannt waren,
nieder. Manche von ihnen lagen eine längere
Zeit, andere eine kürzere, bevor die Seelen
vom Körper getrennt wurden.
Aber all das, was ich da sah und hörte, das
vermag ich nicht zu fassen, denn ich hörte auch
Gerichte über viele, die noch leben, aber bald
abgerufen werden sollten. Doch sagte mir der
Richter dies: „Wenn die Menschen Besserung für
ihre Sünden leisten, so werde ich das Urteil
mildern.“ Ich sah auch viele verurteilt werden;
manche zum Fegefeuer, andere zu ewiger Qual.
51. Kapitel
Birgitta
bezeugt das Gericht über die Seele einer
verstorbenen Frau. Die Frau wird zu einem
schweren Fegefeuer verurteilt.
Es kam mir vor, als ob eine Seele von dem Ritter
und dem Neger, den ich vorher schon gesehen
hatte, vor den Richter geführt wurde. Und es
wurde mir gesagt: „All das, was du jetzt siehst,
das geschah mit dieser Seele zu der Stunde,
als sie vom Körper geschieden wurde.“ Als die
Seele vor den Richter geführt wurde, stand sie
allein, denn sie war nicht in den Händen von
einem von denen, die sie vorgeführt hatten.
Sie stand nackt und traurig da und wusste nicht,
wohin sie gehen sollte.
Dann schien es mir, als ob jedes Wort in dem
Buch auf all das antworten würde, was die Seele
sprach. Als nun der Richter und seine ganze
Heerschar zuhörte, redete zuerst der bewaffnete
Ritter und sagte: „Es ist nicht gerecht, dass
die Sünden die Seele veranlassen sollten, sich
zu schämen, die ja mit der Beichte gebessert
worden sind. (Ich, der dies sah, wusste da sehr
genau, dass der Ritter, der da redete, schon
alles in Gott wusste; er sprach nur, damit ich
es verstehen konnte).
Da wurde aus dem Buch der Gerechtigkeit geantwortet:
„Wenn diese Seele ihre Beichte abgelegt hat,
folgte ihr keinerlei Zerknirschung, die solche
Sünden aufwiegen würde, und auch keine richtige
Wiedergutmachung. Daher soll sie jetzt über
das trauern, was sie nicht gebessert hat, als
sie es noch konnte.“
Als das gesagt war, brach die Seele in so bitteres
Weinen aus, dass sie fast zu zerbrechen schien.
Die Tränen sah man, obwohl die Stimme nicht
zu hören war. Dann sprach der König zur Seele
und sagte: „Dein Gewissen soll nun die Sünden
offenbaren, auf die keine Wiedergutmachung erfolgte.“
Da erhob die Seele ihre Stimme und rief so laut,
dass man sie über fast die ganze Welt hören
konnte: „Weh mir! Ich habe nicht nach Gottes
Gebot gehandelt, das ich hörte und gekannt habe.“
Und sich selbst anklagend, fügte sie hinzu:
„Ich habe Gottes Gericht nicht gefürchtet.“
Es wurde ihr aus dem Buch geantwortet: „Daher
sollst du dich nun vor dem Teufel fürchten.“
Und sogleich begann die Seele sich zu fürchten
und zu zittern, als ob sie sich auflösen würde,
und sie sagte: „Ich hatte fast keine Liebe zu
Gott, und deshalb habe ich nur wenig Gutes getan.“
Da wurde ihr gleich aus dem Buch geantwortet:
„Deshalb ist es auch gerecht, dass du dem Teufel
näher kommst, als Gott, denn der Teufel hat
dich mit seinen Versuchungen zu sich gelockt.“
Die Seele erwiderte: „Ich verstehe nun, dass
alles, was ich getan habe, nach den Eingebungen
des Teufels geschah.“
Es wurde aus dem Buch geantwortet: „Die Gerechtigkeit
gebietet, dass es das Recht des Teufels ist,
dir all das, was du getan hast, mit Trauer und
mit Trübsahl zu vergelten.“ Die Seele sagte:
„Es gab bei mir vom Scheitel bis zur Sohle nichts,
was ich nicht mit Hoffart kleidete. Manche eitle
und hochmütige Kleidungsstücke habe ich selbst
erfunden, und mit anderen folgte ich der Landessitte,
und ich habe meine Hände und mein Gesicht nicht
bloß deshalb gewaschen, dass sie sauber sein
sollten, sondern auch, dass Menschen sie als
schön loben sollten.“
Es wurde aus dem Buch geantwortet: „Die Gerechtigkeit
sagt, dass es das Recht des Teufels ist, dir
zu vergelten, was du verdient hast, denn du
hast dich so geschmückt und geputzt, wie er
es dir eingab und vorschrieb.“ Wieder sagte
die Seele: „Mein Mund hat sich oft zu leichtfertigen
Worten geöffnet, da ich anderen gefallen wollte.
Und mein Begehren hat all das ersehnt, was der
Schande und Schmähung der Welt nicht folgte.“
Es wurde aus dem Buch geantwortet: „Dafür soll
dir sie Zunge ausgezogen und deine Zähne verkrümmt
werden; all das, was dir missfällt, soll auf
dich gesetzt werden, und all das, was dir behagt,
soll dir genommen werden.“ Die Seele sagte:
„Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass sich
viele an dem, was ich tat, ein Beispiel genommen
haben, und dass viele meine Sitten nachahmten.“
Es wurde aus dem Buch geantwortet: „Deshalb
ist es gerecht, dass ein jeder, der bei einer
solchen Sünde ertappt wird, für die du bestraft
wirst, dieselbe Pein wie du erleiden sollst
und dir Gesellschaft leistet. Und deine Plage
soll mit der Ankunft eines jeden erhöht werden,
der das Böse nachgeahmt hat, was du ausgedacht
hast.“
Nachdem dies gesagt war, schien es mir, als
würde eine Fessel wie eine Krone an das Haupt
der Seele gebunden und so fest zusammengeschnürt,
dass der Nacken und das Antlitz eins wurden,
die Augen fielen aus ihren Höhlen und hingen
mit ihren Sehnen auf die Wangen herunter, das
Haar vertrocknete, als wäre es vom Feuer verbrannt,
das Hirn zersprang und floss durch die Nasenlöcher
und Ohren aus, die Zunge wurde ausgestreckt
und die Zähne eingedrückt, die Armknochen wurden
zerschlagen und wie Stricke zusammengeschnürt,
die Hände wurden …. (?fläddes) und um den Hals
gebunden, die Brust und der Bauch wurden so
hart gegen den Rücken gedrückt, dass die Rippen
brauchen und das Herz mit allen Eingeweiden
herausfiel, die Hüften hingen an den Seiten
herunter, und die Brustbeine wurden ausgezogen,
wie ein dünner Draht aus einem Knäuel heraus
ausgewickelt wird.
Da sagte der Neger: „O Richter, nun sind die
Sünden der Seele bestraft, wie es gerecht war.
Vereinige uns nun beide, mich und die Seele,
so dass wir nie getrennt werden!“ aber der bewaffnete
Ritter antwortete: „Höre, Richter! Du, der alles
weiß, sollst nun den letzten Gedanken und die
Letzte Sehnsucht hören, die diese Seele am Ende
ihres Erdenlebens hatte. Sie dachte nämlich
in ihrer allerletzten Stunde: „O, wenn Gott
mir noch ein wenig Zeit zu leben ließe, so würde
ich gern Besserung für meine Sünden tun, ihm
bis zum Lebensende dienen und ihn niemals mehr
erzürnen!“
Das, o Richter, dachte und wollte sie. Erinnere
dich auch, o Herr, dass dieser Mensch nicht
mehr so lange lebte, dass er zur vollkommenen
Einsicht und zum Bewusstsein dessen kam, was
er getan hatte. Deshalb, o Richter, bedenke
seine Jugend und erweise Barmherzigkeit!“ Da
wurde aus dem Buch der Gerechtigkeit geantwortet:
„Wenn sie zuallerletzt solche Gedanken hegte,
verdient sie nicht die Hölle.“
Der Richter sagte: „Um meines Leidens willen
soll der Seele der Himmel Offengelassen werden,
nachdem sie erst so lange Zeit im Fegefeuer
gereinigt ist, wie sie leiden müsste, sofern
sie durch die Werke lebender Menschen keine
Hilfe erhält.“
Erklärung
Diese Frau
gelobte vor einem Priester Jungfräulichkeit.
Sie verheiratete sich dann und starb im Kindbett.
52. Kapitel
Birgitta
bezeugt, wie zwei verstorbene Ehegatten zur
Hölle verurteilt werden, und das u.a.
deshalb, weil sie ihre Ehe eingegangen sind,
ohne auf Vorschriften der Kirche über
verbotene Wege zu achten.
Ich sah einen Mann, dessen Augen ausgerissen
waren, aber doch an zwei Sehnen auf die Wangen
herunterhingen. Er hatte Ohren wie ein Hund,
eine Nase wie ein Pferd, einen Mund wie der
wildeste Wolf; seine Hände waren wie die größten
Elch klauen und seine Füße wie Klauen eines
Geiers.
Ich sah auch eine Frau neben ihm stehen. Ihre
Haare waren wie ein Dorngestrüpp, ihre Augen
befanden sich im Nacken, ihre Ohren waren abgeschnitten,
ihre Nase war voller Eiter und Fäulnis, ihre
Lippen waren wie Schlangenzähne in der Zunge
war ein Giftstachel, die Hände waren wie zwei
Fuchsschwänze, und die Füße wie zwei Skorpione.
Als ich das sah (ich war da nicht in einen Traum
versenkt, sondern wach) sagte ich: „O, was ist
das?“ Und gleich sprach eine lieblich klingende
Stimme zu mir, die so trostreich war, dass all
meine Furcht verschwand. Sie sagte: „Du, die
dies sieht – was glaubst du, was das ist?“ Ich
antwortete: „Ich weiß nicht, wie weit die, die
ich sehe, Teufel oder wilde Tiere sind, die
zu einem solchen Stamm von Wildtieren gehören,
oder Menschen, die so von Gott geschaffen sind.“
Da antwortete mit die Stimme: „Es sind keine
Teufel, denn die Teufel haben keine Leiber,
wie du siehst, dass diese sie haben. Es sind
keine wilden Tiere, sondern sind aus Adams Stamm
hervorgegangen. Aber sie sind auch nicht in
dieser Weise von Gott geschaffen, sondern sie
treten vor Gott in dieser entstellten Weise
auf, die der Teufel ihren Seelen gegeben hat,
und für deine Augen nimmt sich das körperlich
aus. Ich werde dir jedoch den geistlichen Gehalt
davon verraten.
Die Augen des Mannes scheinen dir ausgerissen
und an zwei Sehnen zu hängen. Unter den zwei
Sehnen sollst du zwei Dinge verstehen: Erstens,
dass er zwar glaubte, dass Gott in Ewigkeiten
lebt, zweitens, dass er aber auch glaubte, dass
seine eigenen Seele nach dem Tode des Körpers
auf ewig leben würde, entweder im Guten oder
im Bösen.
Mit den beiden Augen sollst du zwei andere Dinge
verstehen: Erstens, dass er überlegt haben sollte,
wie er die Sünde vermeiden sollte, zweitens,
wie er gute Werke verwirklichen sollte. Diese
beiden Augen sind ausgerissen, denn er tat seine
guten Werke nicht aus Verlangen nach der himmlischen
Herrlichkeit und ging der Sünde auch nichts
aus Angst vor der Pein der Hölle aus dem Weg.
Er hat auch Hundeohren, denn wie der Hund nicht
auf den Namen seines Herren oder auf den von
jemand anderes so sehr wie auf seinen eigenen
Namen achtet, wenn er diesen nennen hört, so
kümmerte sich dieser Mann auch nicht so sehr
um die Ehre von Gottes Namen, wie um die Ehre
seines eigenen Namens.
Er hat auch eine Nase wie ein Pferd, denn wie
das Pferd gern an dem Dreckt riecht, den es
ausgeworfen hat, so fand es dieser Mann sehr
angenehm, nachdem er eine Sünde begangen hatte,
die für Gott ein abscheulicher Dreck ist, an
ihren Gestank zu denken.
Er hat weiter einen Mund, wie der Wildeste Wolf.
Denn obwohl der Wolf seinen Magen und sein Maul
mit dem gefüllt hat, was er sah, möchte er doch
auch noch das verschlingen, von dem er mit seinen
Ohren vernimmt, dass es lebt. So war es auch
mit diesem Mann, denn wenn er all das besessen
hätte, was er mit den Augen sah, so hätte er
doch auch noch das begehrt, von dem er hörte,
dass es anderes besitzen.
Er hat auch Hände, wie die stärksten Elch klauen.
Wenn der Elch wütend wird, zerreißt er mit seinen
Klauen das Tier, wenn er es kann, und in seinen
heftigen Zorn kümmert es ihn nicht, wohin die
Eingeweide oder das Fleisch geraten, wenn er
nur dem anderen Tier das Leben nehmen kann.
So war es auch mit diesem Mann, denn als er
zornig war, scherte es ihn nicht, ob die Seele
seines Feindes zur Hölle fuhr oder wie sein
Leib im Tode geplagt wurde – wenn er ihm nur
das Leben nehmen konnte.
Er hat schließlich Füße wie ein Geier. Wenn
der Geier etwas in den Klauen hält, was er fressen
will, umklammert er es mit seinem Fuß so kräftig,
dass der Fuß seine Kräfte vor Schmerz verliert,
und so lässt er das, was er gehalten hatte,
fallen, als ob er davon nichts gewusst hätte.
So war es auch mit diesem Mann, denn das, was
er zu Unrecht besaß, das wollte er bis in den
Tod behalten, als er alle seine Kräfte verlor
und gezwungen wurde, es loszulassen.
Das Haar der Frau sah aus wie ein Dornengestrüpp.
Mit dem Haar, das auf dem Scheitel wächst und
das Gesicht das Menschen schmückt, wird der
Wille bezeichnet, der sich innig danach sehnt,
dem höchsten Gott zu gefallen. Ein solcher Wille
schmückt die Seele auch vor Gott. Aber da es
der Wille dieser Frau ist, in erster Linie dieser
Welt zu gefallen, ja noch mehr als dem höchsten
Gott, sieht ihr Haar aus wie ein Dornengestrüpp.
Ihre Augen befinden sich im Nacken, denn sie
wendet die Augen ihres Sinnes von dem ab, was
Gott ihr in seiner Güte doch bewiesen hat, als
er sie erschuf, sie erlöst und mannigfacher
Weise treu für sie sorgte, aber sie betrachtete
immer nur das Vergängliche, von dem sie sich
doch jeden Tag mehr und mehr entfernen muss,
bis es ihrem Blick ganz entschwindet.
Ihre Ohren sehen – geistlich gesehen – abgeschnitten
aus, denn sie kümmert sich überhaupt nicht darum,
die Lehre des heiligen Evangeliums oder die
Predigt zu hören. Ihre Nase ist voller Fäulnis,
denn wie der liebliche Wohlgeruch in angenehmer
Weise durch die Nase zum Gehirn zieht, damit
das Hirn dadurch gestärkt wird – so bringt diese
Frau durch ihre Begierde all das, was dem Körper
gefällt und ihn stärkt, gierig zur Verwirklichung.
Ihre Lippen sahen aus wie Schlangenzähne, und
in der Zunge war ein Giftstachel. Wenn die Schlange
ihre Zähne fest zusammenpresst, um den Stachel
zu schützen, so dass er nicht durch irgendeinen
Zufall zerbrochen wird, so fließt Schmutz von
ihrem Maul herunter auf die Zähne, da das Maul
und die Zähne an verschiedenen Stellen sind.
Ebenso verschließt diese Frau ihre Lippen vor
der aufrichtigen Beichte, damit sie das Vergnügen
der Sünde nicht aufgeben müsste, das ein giftiger
Stachel für ihre Seele ist, und doch tritt der
Sündenschmalz vor Gott und seine Heiligen offen
ans Licht.
Ich sprach vorhin mit dir über das Verdammensurteil
über eine Ehe, die gegen die Verordnungen der
Kirche eingegangen ist. Nun werde ich dich genauer
über diese Gatten unterrichten. Du hast die
Hände der obengeannten Frau in Form von Fuchsschwänzen
und ihre Füße in Form von Skorpionen gesehen.
Denn so wie sie mit all ihren Gliedern und Begierden
falsch gerichtet war, so weckte sie mit ihren
leichtfertigen Händen und dem Gang ihrer Füße
die Lust des Fleisches und stach die Seele ihres
Mannes schlimmer als ein Skorpion.
Und siehe, zur selben Stunde zeigte sich ein
Neger, der einen Dreizack in der Hand hielt
und an einem Fuß die schärfsten Klauen hatte,
und er rief und schrie: „Richter, nun ist meine
Zeit gekommen! Ich habe gewartet und war still,
aber jetzt ist es Zeit, zu handeln!“ Und gleich
bekam ich zu sehen, wie ein Mann und eine Frau,
beide nackt, sich vor dem Richter zeigten, der
mit seiner unzähligen Heerschar auf dem Thron
saß.
Der Richter sagte zu ihnen: „Sagt, was ihr gehört
habt, obwohl ich alles weiß!“ Der Mann erwiderte:
„Wir standen unter dem Ehebann der Kirche, aber
wir kümmerten uns nicht darum und haben es verachtet.“
Der Richter sagte: „Nachdem ihr dem Herrn nicht
habt gehorchen wollen, ist es gerecht, dass
ihr die Grausamkeit des Henkers erfahrt.“
Und gleich steckte der Neger eine Kralle in
beider Herzen und drückte sie so hart zusammen,
dass sie wie in eine Presse gesetzt schienen.
Der Richter sagte: „Siehe, Tochter, so etwas
verdienen die, die sich bewusst von ihrem Schöpfer
wegen dem, was er geschaffen hat, entfernen.“
Weiter sagte der Richter zu den beiden: „Ich
gab euch einen Sack, damit ihr mir leckere Früchte
sammelt; was habt ihr nun zu bringen?“
Die Frau erwiderte: „O Richter, wir haben die
Genüsse des Bauches gesucht, aber nichts anderes
als Schande geerntet.“ Da sagte der Richter
zum Henker: „Vergilt ihnen, was gerecht ist!“
Dieser steckte gleich seine andere Kralle in
beider Mägen und verletzte sie so schwer, dass
alle Eingeweide durchstochen schienen.
Der Richter sagte: „Sieh, so etwas verdienen
die, die das Gesetz übertreten und die Durst
auf Gift statt auf Medizin haben.“ Weiter sagte
der Richter zu den beiden: „Wo ist mein Schatz,
den ich euch anvertraut habe, damit ihr ihn
vermehrt?“ Beide antworteten: „Wir haben ihn
unter unsere Füße gelegt, denn wir suchten den
irdischen und nicht den ewigen Schatz.“
Da sagte der Richter zum Henker: „Vergilt ihnen,
was du kannst und sollst!“ Dieser steckte gleich
seine dritte Klaue in ihr Herz, ihre Mägen und
Füße, so dass alles wie ein einziger Ball aussah.
Und der Neger fragte: „Herr, wohin soll ich
mit ihnen gehen?“ der Richter antwortete: „Es
kommt dir nicht zu, aufzusteigen oder dich zu
freuen!“ Nach diesen Worten verschwanden der
Mann und die Frau gleich unter großem Gejammer
aus den Augen des Richters. Der Richter sagte:
„Freue dich, Tochter, dass du mit solchen Leuten
nichts zu tun hast!“
53. Kapitel
Maria deutet
an, dass Jungfräulichkeit, Ehe und
Witwenstand für sie und ihren Sohn Christus
wohlgefällig seien.
Hör du,“ sagte Gottes Mutter, „die du von ganzem
Herzen Gott bittest, dass deine Söhne Gott gefallen
mögen. Ein solches Gebet ist Gott in Wahrheit
wohlgefällig. Denn es gibt sonst keine Mutter,
die meinen Sohn über alles liebt, und die für
ihre Söhne dasselbe wie du begehrt, wozu ich
nicht bereit wäre, zur Verwirklichung ihrer
Bitten zu helfen. Es gibt auch sonst keine Witwe,
die Gott ständig um Hilfe bittet, zu Gottes
Ehre bis zum Tod in ihrem Witwenstand zu bleiben
– deren Willen ich nicht gleich bereit sein
würde, zu erfüllen, denn ich war gleichfalls
eine Witwe, nachdem ich einen Sohn auf Erden
hatte, der keinen leiblichen Vater hatte.
Es gibt auch sonst keine Jungfrau, die ihre
Jungfräulichkeit für Gott bis zu ihrem Tod bewahren
möchte, die ich nicht bereit wäre, zu schützen
und zu stärken, denn ich bin in Wahrheit Jungfrau.
Du brauchst dich nicht zu wundern, warum ich
dies sage. Es steht nämlich geschrieben, dass
David Saul’s Tochter begehrte, als sie noch
Jungfrau war, aber er nahm sie zu sich, als
sie Witwe war.
Weiter hatte er Uria’s Frau, als ihr Mann noch
lebte. Doch war Davids Lust nicht ohne Sünde.
Aber die geistliche Lust meines Sohnes, er,
der Davids Herr ist, die ist ohne alle Sünde.
So wie diese drei Lebensweisen, nämlich Jungfräulichkeit,
Witwenstand und Ehe, David auf körperliche Weise
gefielen, so gefällt es meinen Sohn, sie in
geistlicher Weise in seiner allerkeuschesten
Lust zu haben. Daher ist es nicht verwunderlich,
dass ich sie mit meiner Hilfe dazu bringe, meinen
Sohn geistlich zu lieben, denn seine Lust steht
zu ihnen.“
54. Kapitel
Maria spricht mit Birgitta über die
Bekehrung eines sündigen Mannes (Karl
Ulfsson?) und gibt diesem Mann Ratschläge
für die Zukunft, die ihm durch Birgitta
überbracht werden sollen.
Worte einer Mutter an die Tochter über die glückliche
geistliche Wiedergeburt eines Sohnes, der vorher
in den hässlichsten Sünden steckte; eine Geburt,
die sie durch die Gebete und Tränen von Gottes
Dienern bewirkte).
Sieh den Sohn der Tränen, der nun geistlich
neu von der Welt geboren ist, er, der vorher
auf fleischliche Weise von seiner Mutter auf
der Welt geboren ist. Denn wie die Hebamme,
die das Kind aus dem Schoß der Mutter zieht,
zuerst den Kopf herauszieht, dann die Hände,
und dann den ganzen Körper, so habe ich es mit
ihm um der Tränen und Gebete meiner Freunde
Wille gemacht. Ich habe ihn gewiss aus der Welt
gezogen, so dass er nun – geistlich gesehen
– wie ein neugeborenes Kind ist.
Daher muss er geistlich und körperlich erzogen
werden. Der, zu dem ich dich gesandt habe, muss
ihn nämlich mit seinen Gebeten aufziehen und
ihn mit seinen guten Werken und Ratschlägen
schützen. Aber die Frau, über die man mit dir
gesprochen hat, wird für ihn beten und ihn geistlich
beschützen und auch darauf achten, dass er körperlich
das Lebensnotwendige hat, denn er ist so tief
in Todsünden geraten, dass alle Teufel in der
Hölle vom ihm sagten: „Lasst uns den Mund auftun,
so dass wir ihn mit unseren Zähnen beißen und
verschlingen können, falls er kommen sollte.
Lasst uns auch die Hände ausstrecken, um ihn
zu verletzen und zu zerreißen, und wollen wir
auch die Füße bereit halten, um auf ihn zu trampeln
und ihm Tritte zu versetzen.“
Deshalb wurde dir gesagt, dass er nun geistlich
neu geboren ist, denn er ist jetzt aus der Gewalt
der Teufel befreit, wie du wohl aus den Worten,
die du gehört hast, verstehen kannst, dass er
mit Herz und Leib Gott über alles liebt.“
55. Kapitel
Christus gibt
sein Missfallen über König Magnus Eriksson
zu erkennen und deutet den Erfolg seines
Neffen Albrecht d.J. von Mecklenburg auf
Kosten von Magnus an. Man hat angenommen,
dass der im Kapitel erwähnte „Knirps“
Birgittas Enkel Karl Ulfsson ist, der nach
Meinung seiner Großmutter väterlicherseits
ein geeigneter Thronkandidat gewesen wäre.
Worte einer Mutter an die Tochter, wie sie um
der Bitten von Dienern Gottes einen gewissen
Knirps lieben und ihn mit geistlichen Waffen
bewaffnen will.)
Erinnere dich, dass über Mose geschrieben steht,
dass die Tochter des Königs ihn im Wasser fand
und ihn wie ihren Sohn liebte. Es steht in der
biblischen Geschichte auch geschrieben, dass
derselbe Mose ein Land durch die Vögel gewann,
die die giftigen Schlangen verzehrten. Ich bin
die Tochter des Königs von Davids Stamm, und
ich will dieses Kerlchen lieben, den ich in
Wogen der Tränen fand, die für seine Seele vergossen
wurden, die im Schrein seines Körpers eingeschlossen
war.
Die Menschen, von denen ich gesprochen habe,
sollen ihn erziehen, bis er in das Alter kommt,
da ich ihn bewaffnen will und senden, um das
Land des Himmelskönigs zu gewinnen. Denn ich
will ihn so ausrüsten, dass von ihm gesagt werden
kann: „Dieser hat gelebt wie ein Mann und ist
gestorben wie ein Krieger, und ist als ein guter
Ritter zum Gericht gekommen.“
Zusatz
Gottes
Sohn spricht: „Wenn ein hungriges Tier von der
Beute ferngehalten wird, wartet es im Abstand,
eine Gelegenheit zu finden, um zu seiner Beute
zurückzukehren. Wenn sich eine solche Gelegenheit
nicht bietet, kehrt es in seine Höhle zurück.
So bin ich mit dem Fürsten dieses Landes verfahren.
Ich habe ihn durch meine Wohltaten ermahnt,
ich ermahnte ihn mit Worten und mit Schlägen,
aber er wurde desto undankbarer und vergesslicher,
je milder ich mich ihm zeigte.
Deshalb werde ich ihn jetzt unter die Krone
und auf den (? Fotapallen) legen, nachdem er
nicht in der Krone stehen wollte. Ich will einen
ekligen Wurm zu ihm und zu seinen Augendienern
schicken, einer, der von einer Kreuzotter und
einem verschlagenen Fuchs geboren ist, und der
wird das Land und seine Einwohner in Unfrieden
stürzen und den Einfältigen an den Federn zupfen;
er wird die Spitzen erklettern und die Hochmütigen
niederwerfen und zertrampeln. Aber das Kerlchen,
das meine Freunde aufgezogen haben, werde ich
auf einen anderen Weg führen, bis er einen Platz
erreicht hat, der ehrenvoller ist.“
Weiter spricht Gottes Sohn: „Es wird von diesem
Kerlchen gesagt werden, dass er wie ein Mann
gelebt und wie ein tapfer Ritter gekämpft hat,
und er wird wie ein Gottesfreund gekrönt werden.
O Tochter, was glauben die Frauen, die damit
grosstun, dass ihre Kinder immer übermütiger
werden? Das ist ja doch keine Ehre, sondern
eine Schande, denn sie ahmen den König des Übermutes
nach. Aber eine Ehre ist dies, und der ist ein
ehrenvoller Ritter, der sich rühmt, dass er
Gott all die Ehre bereitet, die er kann, und
versucht, noch mehr zustande zu bringen, und
der bereit ist, all das zu leiden, was Gott
will, dass er leiden soll. Ein solcher Mann
ist ein Ritter Gottes, und er wird mit dem Ritter
des Himmels gekrönt werden.“
56. Kapitel
Maria ermahnt
einen gewissen Mann durch Birgitta, nicht
über seine Gegner betrübt zu sein.
Die Mutter Maria spricht: „Warum ist diese (Frau)
betrübt? Der Vater schlägt den Sohn ja manchmal
mit einer leichten Rute. Deshalb brauchte sie
nicht betrübt zu sein.“
57. Kapitel
Maria sagt die Bestrafung voraus, die das
ungehorsame Rom treffen wird.
Die Mutter (Maria) spricht: „Rom ist wie ein
Acker, über dem Disteln aufgewachsen sind. Daher
muss er zuerst mit einem scharfen Eisen gereinigt
werden, dann mit Feuer, und darauf mit ein paar
Ochsen umgepflügt werden. Ich werde mit euch
so verfahren, wie der, der Gewächse an einen
anderen Platz verpflanzt. Denn dieser Stadt
soll eine solche Strafe bereitet werden, als
ob ein Richter sagen würde: „Zieh die ganze
Haut ab, press alles Blut aus dem Fleisch heraus,
schneide alles Fleisch in Stücke und zerschlage
die Knochen, so dass alles Mark herausfließt.“
58. Kapitel
Christus spricht von der Ehre, die er den
Priestern erwiesen hat, als er ihnen
vergönnte, die Gnadenmittel zu verwalten und
die Seelen zum Himmel zu führen. Er wirft
ihnen ihren jetzigen zügellosen Wandel vor
und droht ihnen mit schwerer Heimsuchung.
Wegen Marias Fürbitte verspricht er aber,
sie noch einmal zu warnen.
Der Sohn (Jesus Christus) spricht: „Ich bin
wie ein Herr, der in dem Lande treu gekämpft
hat, wohin er zur Wallfahrt gezogen ist, und
mit Freunden in sein Vaterland zurückkehrte.
Dieser Herr besaß einen sehr kostbaren Schatz.
Indem er ihn betrachtete, wurde seine Augen
hell entflammt, wurden Traurige getröstet und
wurden Kranke genesen, und Tote wurden in seinem
Beisein auferweckt.
Damit der Schatz ehrenvoll und sicher verwahrt
werden sollte, wurde ein herrliches, prachtvolles
Haus gebaut und vollendet, das eine stattliche
Höhe und sieben Treppen hatte, auf denen man
zum Hause und dem Schatz aufstieg. Der Hausherr
überließ diesen Schatz seinen Dienern, um ihn
zu betrachten und zu betreuen, damit er sicher
und hübsch verwahrt würde, so dass die Liebe
des Hausherrn zu seinen Dienern und die Treue
der Diener gegen ihren Herrn gesehen werden
sollte.
Die Zeit verging. Der Schatz begann verachtet
zu werden, das Haus wurde nur noch selten aufgesucht,
die Wächter wurden lau und gleichgültig, und
die Liebe des Hausherrn geriet in Vergessenheit.
Der Hausherr beratschlagte mit seinen vertrauten
Freunden, wie man einer solchen Undankbarkeit
begegnen solle.
Einer von ihnen antwortete: „Es steht geschrieben,
dass die Richter und Wächter des Volkes, wenn
sie säumig sind, im Sonnen schein gehenkt werden
sollen. Aber dir gehören die Barmherzigkeit
und das Gericht; du schonst alle, denn alles
ist dein, und du erbarmst dich über alle.“
Ich bin dieser Herr, von dem das Gleichnis erzählt.
In meiner Menschengestalt trat ich als Pilger
auf Erden auf, während ich doch in meiner Göttlichkeit
im Himmel und auf Erden mächtig war. Aus Eifer
für die Rettung der Seelen habe ich auf Erden
einen so schweren Kampf ausgestanden, dass alle
Sehen in meinen Händen und Füßen zerrissen.
Als ich die Welt verließ und zum Himmel auffuhr,
von dem ich doch in göttlicher Weise nie entfernt
war, gab ich der Welt das alleredelste Gedenken,
nämlich meinen hochheiligen Leib. Wie das alte
Gesetz sich der Arche rühmen konnte, des Mannes,
der Gesetzestafeln und verschiedener Hochzeitsbräuche,
so sollte sich der neue Mensch über das neue
Gesetz freuen – nicht wie früher über einen
Schatten, sondern über die Wahrheit, d.h. über
meinen gekreuzigten Leib, der sein Vorbild im
Gesetz hatte.
Damit mein Leib in Ehren gehalten werden sollte,
richtete ich ein Haus ein, d.h. die heiligen
Kirche; dort sollte er verwahrt und benutzt
werden. Zu seinen Wächtern bestimmte ich die
Priester, die im Amt noch über den Engeln stehen,
denn ihn, den die Engel in ihrer Verehrung fürchten
und berühren, den berühren die Priester mit
den Händen und dem Mund.
Ich habe auch die Priester mit einer siebenfachen
Ehre geehrt, das wird mit den sieben Treppen
angedeutet. Erstens sollten sie meine Bannerträger
und durch die Reinheit des Sinnes und des Leibes
meine besonderen Freunde sein, denn die Reinheit
nimmt den ersten Platz bei Gott ein; ihm darf
kein Befleckter nahen.
Wenn den Priester im alten Bund erlaubt wurde,
in der Zeit, da sei nicht opferten, wie Verheiratete
zu leben, so war dies nicht verwunderlich, denn
sie hatten nur die Schale, nicht den Kern der
Nuss. Aber da nun die Wahrheit gekommen ist
und die früheren Bilder gewichen sind, muss
man sich auch im höchsten Grad um seine Reinheit
bemühen, umso mehr, als ja der Nusskern so viel
süßer als die Schale ist. Zum Zeichen für diese
Enthaltsamkeit lassen sich die Kleriker ihre
Tonsur schneiden, so dass die Last nicht Herr
über ihre Seele oder ihr Fleisch wird.
Auf der zweiten Treppe werden die Kleriker so
geformt, in aller Demut wie Engel zu werden,
denn durch die Demut der Sinne und des Leibes
gewinnt man Eintritt in den Himmel und bändigt
den hochmütigen Teufel. Zum Zeichen dafür wird
den Klerikern verordnet, Dämonen auszutreiben,
denn der demütige Mensch wird zum Himmel erhoben,
von dem der arrogante Teufel durch seinen Übermut
herabgefallen ist.
Auf der dritten Treppe wird den Klerikern befohlen,
durch ihr ständiges Lesen der heiligen Schriften
Gottes Schüler zu sein. Dafür legt der Bischof
ihnen ein Buch in die Hände, wie der Ritter
ein Schwert erhält, damit sie wissen, was sie
tun sollen, nämlich durch Gebet und Betrachtung
zu versuchen, Gottes Zorn auf sein Volk abzuwenden.
Auf der vierten Treppe werden die Kleriker zu
Wächtern von Gottes Tempeln und zu Leitern der
Seelen eingesetzt. Deshalb gibt der Bischof
ihnen Schlüssel, damit sie Sorge um die Errettung
ihrer Brüder tragen und sie durch Wort und Beispiel
die, die schwach sind, dazu bringen, vollkommener
zu werden.
Auf der fünften Treppe werden sie zu Aufsehern
und Betreuern des Alters bestimmt, so dass sie,
nachdem sie dem Altere dienen, von dem leben
können, was zum Alter gehört, und sich nie mit
irdischen Dingen befassen, außer wenn dies ihr
Amt erfordert.
Auf der sechsten Treppe werden sie bestimmt,
apostolische Männer zu sein, die evangelische
Wahrheit zu verkünden und ihre Sitten in Übereinstimmung
mit ihrer Verkündigung zu bringen.
Auf der siebenten Treppe werden sie eingesetzt,
Mittler zwischen Gott und den Menschen zu sein,
indem sie meinen Leib opfern: Dieser Auftrag
hilft den Priestern sozusagen zu mehr Würde
als den Engeln.
Aber jetzt klage ich darüber, dass diese Treppen
zerbrochen sind, denn man liebt den Hochmut
statt der Demut, die Unreinheit anstatt der
Reinheit, die Lesungen des Gotteswortes beachtet
man nicht mehr, sondern stattdessen das Buch
der Welt. Die Altäre sehen verlassen aus. Gottes
Weisheit wird als Dummheit angesehen, um das
Wohler gehen der Seelen kümmert man sich nicht.
Und damit nicht genug – sie werfen meine Kleider
weg und vernichten meine Waffen. Auf dem Berge
habe ich Mose gezeigt, welche Gewänder von den
Priestern des Alten Bundes getragen werden sollten.
In Gottes himmlischer Wohnung gibt es gewiss
nicht irgendetwas Materielles, aber das Geistliche
kann nur durch körperliche Gleichnisse erfasst
werden, und deshalb zeigt sich auch das Geistige
in körperliche Form, damit man wissen sollte,
welch große Ehrfurcht und Reinheit die beachten
sollten, die selbst die Wahrheit besitzen –
nämlich meinen Leib. Denn die, die die schattenhaften
Vorbilder verwaltet haben, haben eine so große
Reinheit und Ehrfurcht gehabt.
Aber warum habe ich Mose eine solche Kleiderpracht
gezeigt? Doch dafür, dass der Schmuck und die
Schönheit der Seele dadurch gelehrt und gezeigt
werden sollen. Denn wie es sieben Gewänder des
Priesters gibt, so soll die Seele, die zu Gottes
Leib hintritt, sieben Tugenden besitzen, ohne
die es keine Erlösung gibt. Das erste Kleidungsstück
der Seele ist Reue und Beichte. Damit wird das
Haupt bedeckt.
Das zweite ist das Verlangen nach Gott sowie
Keuschheit. Das dritte ist die Arbeit zu Gottes
Ehre und Geduld in Widrigkeiten. Das vierte
besteht darin, nicht am Lob oder Tadel der Menschen
zu hängen, sondern nur an Gottes Ehre. Das fünfte
ist die Enthaltsamkeit des Fleisches sowie aufrichtige
Demut. Das sechste ist das Nachdenken über Gottes
Wohltaten und die Furcht vor seinen Gerichten.
Das siebente besteht darin, Gott über alles
zu lieben und in dem Guten fortzufahren, das
man begonnen hat.
Jetzt sind aber diese Kleider abgelegt und verachtet.
Anstatt zu beichten, möchte man die Sünde gern
entschuldigen und sie für leicht ansehen, an
Stelle von Keuschheit liebt man ein loses Leben,
an Stelle von Arbeit zum Wohl der Seele Arbeit
zum Wohl des Leibes, statt Gottes Ehre liebt
man weltliche Ehrsucht und Hoffart, statt preiswerter
Sparsamkeit Überfluss an allem, an Stelle von
Gottesfurcht vermessene Geringachtung von Gottes
Gerichten. Statt Gott über alle Dinge zu lieben,
zeigen die Priester eine grenzenlose Undankbarkeit.
Deshalb werde ich sie mit meinem Zorn heimsuchen,
wie ich durch den Propheten gesagt habe, und
die Heimsuchungen werden ihnen Verstand verleihen.“
Da sagte die Mutter der Barmherzigkeit, die
dabei war: „Gesegnet seist du, mein Sohn, für
deine Gerechtigkeit! Zu dir, der alles weiß,
spreche ich wegen dieser deiner Braut. Du willst
ja, dass sie das Geistliche verstehen soll,
und das kann sie nur durch Gleichnisse erfassen.
Ehe du durch mich Menschengestalt annahmst,
sagtest du in deiner Göttlichkeit, dass du –
wenn du zehn gerechte Männer in der Stadt finden
könntest, dich um ihretwillen über die ganze
Stadt erbarmen würdest.
Aber jetzt gibt es unzählige Priester, die dich
durch das Opfern Deines Leibes besänftigen.
Um deretwillen solltest du dich also über die
erbarmen, die sich nur auf wenig Gutes berufen
können. Darum bitte ich dich, die dich in deiner
Menschengestalt geboren hat, und all deine Auserwählten
bitten dich mit mir darum.“
Der Sohn erwiderte: „Gesegnet seist du, und
gesegnet seien die Worte deines Mundes! Du siehst,
dass ich sie in dreifacher Weise auf Grund eines
dreifachen Gutes schone, das im Opfer meines
Leibes liegt. So wie der freche Übergriff des
Judas bewirkte, dass drei gute Dinge bei mir
zutage traten, so kommen den Seelen durch die
Darbringung dieses Opfers drei Dinge zugute.
Erstens ging meine bewundernswerte Geduld daraus
hervor, dass ich – obwohl ich wusste, dass Judas
mich verraten wollte – ihn nicht aus meiner
Gesellschaft verstieß. Zweitens zeigte ich meine
Macht, als der Verräter und alle, die bei ihm
waren, auf ein einziges Wort von mir zu Boden
fielen. Drittens offenbarte sich die göttliche
Weisheit und Liebe, als ich seine Bosheit und
die des Teufels in die Erlösung der Seelen umwandelte.
In der selben Weise kommen durch das Opfer der
Priester drei gute Dinge. Erstens wird von der
ganzen Heerschar des Himmels meine Geduld gepriesen,
dass ich in den Händen eines guten und schlechten
Priesters derselbe bin. Ich achte ja nicht auf
die Person, und es sind keine Verdienste der
Menschen, die dieses Sakrament bewirken, sondern
meine Worte.
Zweitens nützt dieses Opfer allen, von welchem
Priester es auch dargebracht wird. Drittes kommt
es auch den Opfernden selbst zugute, wie schlechte
sie auch sein mögen, denn wie meine Feinde bei
einem einzigen Wort, das ich sagte, „Ich bin’s!“
körperlich zu Boden fielen, so fliehen auch
die Teufel mit ihren Versuchungen von den Seelen
der Opfernden, wenn meine Worte „Das ist mein
Leib“ ausgesprochen werden, und sie wagen auch
nicht, sie so heftig zu versuchen, sofern die
Opfernden nicht wieder sündigen möchten.
So schont meine Barmherzigkeit alle und erträgt
alles, aber meine Gerechtigkeit ruft doch nach
Rache. Ja, sie ruft täglich, aber du siehst
sehr gut, wie viele es sind, die mir Antwort
geben. Doch werde ich noch weiter Worte meines
Mundes aussenden, und die, die darauf hören,
sollen ihre Tage in einer Freude beschließen,
die so leiblich ist, dass sie weder ausgesprochen
noch zu denken ist.
Aber die, die nicht darauf hören, die werden,
wie geschrieben ist, sieben Plagen in der Seele
und sieben am Körper erfahren. Sie werden sie
erleben, wenn sie lesen und bedenken, was geschehen
ist, damit sie nicht überrascht werden, wenn
sie sie erfahren.“
59. Kapitel
Christus deutet an, welche Frömmigkeit und
Weisheit sich für einen Priester in seiner
Kirche geziemen.
Der Sohn spricht: „Drei Dinge kommen einem Priester
zu. Erstens Gottes Leib zu weihen, zweitens,
die Reinheit des Fleisches und des Geistes zu
besitzen, drittens, für seine Gemeinde zu sorgen.
Aber jetzt kannst du fragen, was es nütz, eine
Kirche zu haben, wenn man keine Gemeinde hat.
Ich antworte dir, dass der Priester, der den
Willen hat, allen zu nützen und aus Liebe zu
Gott zu predigen, eine so Weitreichende Gemeinde
hat, als ob er die ganze Welt besäße, denn wenn
er zur ganzen Welt sprechen würde, würde er
sich diese Mühe keinesfalls ersparen.
Daher soll der gute Wille ihm als Tat angerechnet
werden. Denn Gott erspart seines Auserwählten
wegen der Undankbarkeit der Hörer oft die Mühe
des Predigens, und doch gehen sie ihres Lohnes
nicht verlustig, denn ihr Wille ist ja gut gewesen.
Es steht dem Priester auch zu, ein Buch und
Öl zu haben: Das Buch, um die Ungelehrten zu
unterrichten, und heiliges Öl, um die Kranken
zu salben. Denn so wie leibliche und geistliche
Weisheit im Buch enthalten ist, so sollte der
Priester die Weisheit haben, sich selber zu
beherrschen, damit das Fleisch nicht zügellos
wird und seine Gemeindeglieder daran Anstoß
nehmen.
Und er sollte auch der Begierde der Welt aus
dem Wege gehen, weswegen die Ehre der Kirche
verachtet wird, und soll die Sitte der Weltmenschen
vermeiden, durch die die Würde der Priesterschaft
verunehrt wird. Geistliche Weisheit ist es,
die Ungebildeten zu unterweisen, die Ungezogenen
zu tadeln und die anzuspornen, die Fortschritte
im Guten machen.
Mit dem Öl wird jedoch die Süße des Gebetes
und gute Beispiele bezeichnet. Denn wie das
Öl fetthaltiger als das Brot ist, so ist das
Gebet der Liebe und das Beispiel des guten Lebenswandels
erfolgreicher, die Menschen zum Guten zu bewegen,
und ihre Fettigkeit ist kräftiger, Gott zu besänftigen.
Ich sage dir wahrhaftig, meine Tochter, dass
der Name des Priesters groß ist, denn er ist
der Engel und der Mittler des Herrn, aber sein
Amt ist noch größer, denn er berührt den unfassbaren
Gott mit seinen Händen, und die niedrigeren
Dinge werden in seiner Hand mit den himmlischen
vereint.“
60. Kapitel
Birgittas demütiges Gebet an Christus.
Birgitta spricht): „Gesegnet seist du, mein
Schöpfer und Erlöser! Zürne nicht, wenn ich
mit dir spreche, wie ein Verletzter zum Arzt,
ein Betrübter zum Tröster, ein Armer zum Reichen
und einem, der im Überfluss lebt. Der Verletzte
sagt ja: „O Arzt, empfinde keinen Ekel vor mir,
der ich verletzt bin, denn du bist mein Bruder.
O bester Tröster, verschmähe mich nicht, denn
ich bin bedrückt und geplagt, sondern schenk
meinem Herzen Ruhe und meinen Sinnen Freude.“
Der Arme sagt jedoch: „O du reicher Mann, der
an nichts Mangel leidet, schau auf mich, denn
ich schwebe durch Hunger und Entbehrung in Gefahr.
Betrachte mich, denn ich bin nackt, und schenk
mir Kleider, damit ich mich wärmen kann.
So sage ich: „O allmächtiger und bester Herr,
ich sehe die Wunden meiner Sünden und bin mir
deren bewusst, durch die ich von Kindheit an
zerrissen bin, und ich seufze, weil ich Zeit
unnütz vergeudet habe. Die Kräfte reichen nicht
mehr zur Arbeit, denn sie sind durch eitle Dinge
erschöpfte. Daher bitte ich dich, der die Quelle
aller Güte und allen Erbarmens ist, erbarme
dich über mich! Berühre mein Herz mit der Hand
deiner Liebe, denn du bist der beste Arzt; tröste
meine Seele, denn du bist ein guter Tröster.“
61. Kapitel
Der Teufel flößt Birgitta Zweifel an der
Gegenwart Christi in der verwandelten Hostie
ein. Christus offenbart sich, zerstreut ihre
Zweifel und lehrt sie, wie sie Versuchungen
dieser Art begegnen soll.
Als Christi Leib erhöht wurde, zeigte sich der
Braut (Birgitta) die allerhässlichste Gestalt
und sagte: „Glaubst du wirklich, du beschränktes
Wesen, dass diese Brotscheibe Gott ist? Er wäre
ja schon vor langer Zeit aufgegessen, auch wenn
er der größte Berg wäre. Keiner von den weisen
Juden, die von Gott Weisheit empfangen haben,
glaubt das. Nein, niemand kann glauben, dass
Gott sich herablässt, von dem unreinsten Priester
berührt und geliebt zu werden, der ein Hundeherz
besitzt. Und damit du einsehen kannst, dass
er wahr ist, was ich sage, sollst du wissen:
Dieser Priester gehört mir; wenn ich will, kann
ich ihn zu mir nehmen, und das in einem einzigen
Augenblick.“
Da zeigte sich gleich ein guter Engel, und der
sagte: „O Tochter, gib dem Toren in seiner Torheit
keine Antwort! Er, der sich dir gezeigt hat,
ist der Vater der Lüge. Aber nun sei bereit,
denn unser Bräutigam naht.“ Und der Bräutigam
Jesus kam, und er sagte zum Teufel: „Warum beunruhigst
du meine Tochter und Braut? Ich nenne sie Tochter,
weil ich sie geschaffen habe, und Braut, weil
ich sie erlöst habe und sie mit mir in meiner
Liebe vereinigt habe.“
Der Teufel erwiderte: „Ich rede, weil ich Erlaubnis
dazu bekommen habe, und damit sie in deinem
Dienst erkalten soll.“ Der Herr sagte: „Das
musste sie letzte Nacht erleben, als du ihre
Augen und übrigen Glieder zusammendrücktest
und mehr getan hast, wenn du Erlaubnis gehabt
hättest. Aber so oft sie deinen Einflüsterungen
widersteht, wird ihre Krone vergrößert werden.
Aber weil du, Teufel, gesagt hast, dass ich
schon seit langem aufgegessen wäre, auch wenn
ich ein Berg wäre, so sollst du mir etwas sagen,
während diese Tochter, die ja leiblich ist,
zuhört. Die Schrift sagt. Als es dem Volke schlecht
ging, wurde eine Kupferschlange erhöht, und
jeder, der von der Schlange gebissen war, wurde
geheilt, wenn er sie ansah. Ob diese heilende
Macht von Kupfer ausging, von der Schlangengestalt,
von der Güte Moses, oder von Gottes heimlicher
Kraft?“
Der Teufel entgegnete: „Diese heilende Macht
stammte einzig und allein von Gottes eigener
Kraft und vom Glauben des gehorsamen Volkes
– es glaubte nämlich fest, dass Gott, der alles
aus Nichts gemacht hat, auch alles tun konnte,
was vorher nicht da war.“
Weiter sagte Gott: „Sag mir, Teufel, als der
Stab eine Schlange wurde – geschah das, weil
Mose das befahl, oder weil Gott es befahl? Geschah
das, weil Mose heilig war, oder weil Gottes
Wort so sprach?“ Der Teufel erwiderte: „Was
war Mose anderes als ein Mensch, von sich aus
schwach, aber von Gott gerechtfertigt? Auf sein
Wort, das Gott befahl und aussprach, wurde der
Stab zur Schlange. Es war Gott, der es in Wirklichkeit
befahl, und Mose war ein geduldiger Diener.
Denn vor Gottes Befehl und Wort war der Stab
ein Stab, aber als Gott es befahl, wurde der
Stab tatsächlich eine Schlange, so dass sogar
Mose Angst bekam.“
Da sagte der Herr zur Braut, die das sah: „So
ist es auch jetzt auf dem Altar. Vor den Worten
des Sakraments ist das Brot, was auf den Altar
gelegt wird, Brot – aber wenn die Worte „Hoc
est corpus meum“ ausgesprochen werden, wird
es Christi Leib, den sowohl die Guten als auch
die Schlechten in Wirklichkeit nehmen und empfangen,
einer ebenso wie tausend, aber doch nicht mit
derselben Wirkung, denn der gute Mensch empfängt
es zum Leben, aber der schlechte zum Gericht.
Der Teufel sagte, dass Gott durch die Unreinheit
des opfernden Priesters befleckt wurde, aber
das ist sicher falsch. Denn wenn ein aussätziger
Diener die Schlüssel seinem Herrn übergibt,
oder wenn ein Kranker die Arzneien der stärksten
Kräuter verlangt, so schadet das dem nicht,
dem sie gereicht werden, weil dieselbe Kraft
darin ist, wer sie auch verlangt. So wird auch
Gott durch die Schlechtigkeit eines schlechten
Dieners nicht schlecht, und durch einen guten
Diener auch nicht besser, denn er ist unwandelbar
und immer derselbe.
Der Teufel sagte, dass der Priester schon bald
sterben würde, und das weiß er durch die Schlauheit
seiner Natur und aus äußeren Ursachen. Doch
kann er ihn nicht festnehmen, wenn ich es nicht
erlaube. Jedoch gehört dieser Priester ihm,
sofern er sich nicht bessert, und das drei Gründen.
Der Teufel sagte ja, dass er stinkende Glieder
und ein Hundeherz habe, und er ist wirklich
stinkend und fieberkrank, denn er hat äußere
Wärme und innere Kälte, unerträglichen Durst
und Müdigkeit in allen Gliedern, Überdruss gegen
Brot und Abscheu vor allem Süßen.
Er ist nämlich warm für die Welt, aber kalt
gegenüber Gott, durstet nach Fleischeslust,
hat aber Abscheu gegen die Schönheit der Tugenden,
träge, wenn es um Gottes Gebete geht, aber eifrig
zu allem, was von Fleisch ist. Daher ist es
nicht verwunderlich, dass mein Leib ihm gar
nicht anders schmeckt, als Brot, das im Ofen
gebacken ist, denn ihm schmeckt keine geistliche
Nahrung, sondern fleischliche.
Wenn er das Agnus Die gelesen und meinen Leib
in seinem aufgenommen hat, weicht deshalb auch
die Macht des Vaters und die höchst liebliche
Gegenwart des Sohnes von ihm, und wenn er die
heiligen Gewänder abgelegt hat, weicht auch
die Milde des Heiligen Geistes, die das Band
der Verbindung ist, so dass ihm nur die Form
des Brotes und die Erinnerung daran verbleibt.
Doch darfst du nicht denken, dass er oder irgend
ein anderer schlechter Mensch ohne Gott ist.
Obwohl Gott vom ihm weicht und ihm keinen größeren
Trost schenkt, fährt er doch damit fort, ihn
zu ertragen und ihn gegen den Teufel abzuschirmen.
Der Teufel sagte, dass keiner von den weisen
Juden das glauben wird. Darauf erwidere ich:
Diese Juden sind wie die beschaffen, die das
rechte Auge verloren haben und – geistlich gesehen
– mit beiden Füßen hinken. Daher sind sie auch
unweise und werden bis zum Ende so verbleiben.
Es ist also nicht verwunderlich, dass der Teufel
ihr Herz blind macht und verhärtet und sie zu
schamlosen Dingen und zu dem verlockt, was gegen
den Glauben verstößt.
Daher sollst du, sooft dir ein solcher Gedanke
über Christi Leib (im Abendmahl) in den Sinn
kommt, das deinen geistlichen Freunden erzählen
und standhaft im Glauben sein, denn du kannst
dessen ganz gewiss sein, dass der Leib, den
ich aus dem Leib der Jungfrau angenommen habe,
der gekreuzigt wurde und der im Himmel herrscht,
derselbe ist, der sich auf dem Altar befindet,
und den gute und schlechte Menschen empfangen.
Denn wie ich mich den Jüngern in einer fremden
Gestalt gezeigt habe, die nach Emmaus gingen,
obwohl ich doch wahrer Gott und wahrer Mensch
war und durch verschlossene Türen zu den Jüngern
hineingingen, so zeige ich mich auch den Priestern
in einer fremden Gestalt, damit der Glaube Verdienst
hat und die Undankbarkeit der Menschen offenbar
werden soll. Das ist nicht verwunderlich, denn
ich bin jetzt noch derselbe wie damals, als
ich die Macht meiner Gottheit durch schreckliche
Zeichen zeigte. Aber da sagten die Menschen
trotzdem: „Lasst uns Götter machen, die vor
uns hergehen können“.
Ich zeigte den Juden auch meine wahre Menschengestalt,
und die haben sie gekreuzigt. Ich bin täglich
derselbe auf dem Altar, und doch wird gesagt:
„Diese Kost bereitet uns Ekel und Versuchungen.“
Kann eine Undankbarkeit größer sein als die,
Gott mit der Vernunft fassen zu wollen und zu
wagen, seine heimlichen Gerichte und Mysterien
zu beurteilen, die er in seiner eigenen Hand
hat?
Deshalb will ich mit unsichtbarer Wirkung und
in sichtbarer Form den Ungelehrten und Demütigen
zeigen, was die sichtbare Form des Brotes ohne
Brot und ohne Substanz ist, was die Substanz
in ihrer Form ist, und was die Teilung in der
Form ohne Substanz ist, und warum ich so viel
Unwürdiges und Hässliches in meinem Leib ertrage,
damit die Demütigen erhöht und die Hochmütigen
zu Schaden werden sollen.“
62. Kapitel
Christus spricht tadelnde und strafende
Worte über einen gewissen Priester, der ein
sündiges Leben führt.
Als ein Priester einen Toten begrub, der dreieinhalb
Jahre bettlägerig gewesen war, hörte die Braut
(Birgitta), wie der Geist zum Priester sagte:
„Mein Freund, was tust du? Wie kannst du dich
erdreisten, den Toten zu berühren, wenn deine
Hände voller Blut sind? Warum rufst du seinetwegen
zum Allmächtigen, wenn deine Stimme wie die
der Kröten ist? Wie kannst du dich erdreisten,
den Richter seinetwegen zu behelligen, wenn
dein Verhalten und deine Sitten mehr denen eines
Taschenspielers gleichen, als denen eines frommen
Priesters? Deshalb soll die Kraft von meinen
Worten dem Toten helfen, aber nicht dein Tun,
und sein Glaube und seine lange Geduld werden
ihm die Krone verschaffen.“
Weiter sagte der Geist zur Braut: „Dessen Hände
sind blutig, denn alle seine Werke sind fleischlich.
Er kann den Toten mit ihnen nicht berühren,
denn er kann ihm nicht mit seinen Verdiensten
helfen, sondern nur mit der Würde des Sakraments.
Gute Priester helfen den Seelen nämlich auf
zwei Arten: Teils mit der Kraft von Gottes Leib
(in der Kommunion), teils mit der Liebe, von
der sie entzündet sind. Seine Stimme ist wie
die von Kröten, denn sie ist voll von schmutzigen
Taten und ganz und gar auf die Wollust des Fleisches
ausgerichtet.
Daher steigt sie nicht zu Gott empor, der durch
die Stimme der Reue und der Beichte des Demütigen
besänftig werden möchte. Seine Sitten sind wie
die eines Taschenspielers. Denn was tut der
Gaukler anderes, als sich nach den Sitten der
Weltmenschen zu richten? Was singt er anders
als dies: „Lasst uns essen und trinken, und
gute Tage in diesem Leben haben?“
So handelt dieser, denn er ahmt alle in Tracht
und Taten nach, um allen zu gefallen, und mit
dem Beispiel seines ausschweifenden Lebens mahnt
er alle zur Unmäßigkeit, indem er sagt: „Lasst
uns essen und trinken, denn unsere Kraft ist
des Herren Freude.“ Es reicht uns, wenn wir
an die Ehrenpforte kommen. Wenn ich daran gehindert
werde, einzutreten; es ist genug für mich, wenn
ich an der Pforte sitze; ich will gar nicht
vollkommen sein.“
Eine solche Einstellung und Lebensweise ist
eine schwere Verirrung, denn niemand kommt in
die Ehrenpforte, ohne vollkommen oder vollkommen
gereinigt zu sein, und niemand wird die Ehre
außer dem, der sie voll und ganz begehrt und
fleißig dafür arbeitet, wenn er kann. Doch gehe
ich, der Herr von allen, zu diesem Priester
ein, aber ich werde doch nicht eingeschlossen
und auch nicht befleckt. Ich gehe hinein wie
ein Bräutigam, und ich gehe hinaus als Richter,
um den zu richten, der mich verachtet hat, als
er mich (in der Kommunion) verzehrte.
Deshalb werde ich, wie ich sagte, mit sieben
Plagen über die Priester kommen: ihnen soll
all das genommen werden, was sie geliebt haben,
sie sollen von Gottes Augen verwiesen und in
seinem Zorn gerichtet werden, sie sollen überlassen
und ohne Unterlass gepeinigt werden, von allen
verachtet werden, alles Gute verlieren, aber
Überfluss an allem Bösen haben. Ebenso wie die
Kinder Israel sollen sie von sieben anderen
leiblichen, bösen Sachen geplagt werden.
Deshalb brauchst du dich nicht wundern, wenn
ich Nachsicht mit den Bösen habe, oder wenn
etwas Unwürdiges mit meinem Sakrament zu geschehen
scheint, denn um meine Geduld und die Undankbarkeit
der Menschen zu zeigen, ertrage ich alles bis
zum Ende. Und du sollst nicht denken, dass eine
solche Unwürdigkeit, wie du sie von dem gehört
hast, der (die Hostie) ausspuckte, mit meinem
Leib geschieht, sondern so etwas geschieht,
um die Undankbarkeit der Menschen zu offenbaren
und zu zeigen, dass sie unwürdig sind, etwas
so Heiliges zu empfangen.
Weiter sagte der Geist zu der Seele des Toten:
„O Seele, freue dich und juble, denn dein Glaube
hat dich vom Teufel geschieden, deine Einfalt
hat den langen Weg durchs Fegefeuer für dich
abgekürzt, und deine Geduld hat dich zur Ehrenpforte
geführt. Meine Barmherzigkeit wird dich hineinführen
und dich krönen.“
63. Kapitel
Der Teufel flößt Birgitte von neuem Zweifel
an Christi Gegenwart in der Hostie ein.
Christus offenbart sich, und vor diesem muss
der Teufel seine Unwahrhaftigkeit bekennen.
Danach bestärkt Christus Birgitta in ihrem
Glauben an das Sakrament des Altars.
Der Braut (Birgitta zeigte sich ein Teufel mit
langem Bauch und sagte: „Was glaubst du, Frau,
und an welche großen Dinge denkst du? Ich weiß
viel, und ich will meine Worte mit offenkundigen
Gründen bekräftigen, Ich rate dir, damit aufzuhören,
an das Unglaubliche zu denken und stattdessen
an das zu glauben, was deine Sinne dir bezeugen.
Siehst du nicht mit deinen Augen und hörst mit
deinen leiblichen Ohren den Laut, wenn die aus
leibhaftem Brot gemachte Hostie gebrochen wird?
Hast du nicht gesehen, wie sie ausgespuckt wurde,
unsanft berührt und auf die Erde geworfen wurde?
Ja, vieles andere, was ungehörig ist, geschieht
damit, was ich nicht dulden würde, wenn es gegen
mich verübt würde. Und auch wenn es möglich
wäre, dass Gott im Munde des Gerechten sein
könnte – wie könnte er zu den Ungerechten eingehen,
deren Gewinnsucht ohne Boden und Maß ist?“
Unmittelbar nach dieser Versuchung zeigte sich
Christus in menschlicher Gestalt, und sie sagte
zu ihm: „Herr Jesus Christus, ich danke dir
für alles, und besonders für drei Dinge: Erstens
dafür, dass du meine Seele bekleidest, indem
du ihr Reue und Buße eingibst, wodurch jede
Sünde, wie schwer sie auch sein mag, ausgetilgt
wird.
Zweitens dafür, dass du meine Seele am Leben
erhältst, indem du ihr die Liebe zu dir und
die Erinnerung an dein Leiden in sie eingießt;
dadurch wird sie erfreut, wie von der besten
Kost.
Drittens dafür, dass du alle tröstest, die dich
in deiner Trübsal anrufen. Erbarme dich daher
über mich, o Herr, und hilf meinem Glauben,
denn obwohl ich es verdient hätte, dem Betrug
des Teufels zum Opfer zu fallen, glaube ich
doch, dass er nichts ohne deine Zulassung vermag,
und dass deine Zulassung nicht ohne Trost ist.“
Da sagte Christus zum Teufel: „Warum sprichst
du mit meiner neuen Braut?“ Der Teufel antwortete
ihm: „Weil sie mit mir verbunden war und ich
immer noch hoffe, sie in mein Netz zu verstricken.
Sie war mit verbunden, als sie mit meinen Ratschlägen
einverstanden war und mehr danach strebte, mir
zu gefallen, als dir, ihrem Schöpfer. Ich gab
Acht auf ihre Wege, und die sind mir niemals
aus dem Sinn gekommen.“
Der Herr sagte: „Du bist ein Ränkeschmied und
kundschaftest aller Menschen Wege aus.“ Der
Teufel sagte: „Ja, ich bin ein Späher, aber
im Dunkel, denn dunkel hast du mich gemacht.“
Der Herr fragte: „Wann hast du das gesehen,
und wie bist du dunkel geworden?“
„Ich sah“, erwiderte der Teufel, „als du mich
wunderschön geschaffen hast, aber weil ich unbedacht
in deinen Strahlenglanz drängte, wurde ich wie
der Basilisk davon geblendet. Ich habe dich
gesehen, als ich deine Schönheit begehrte. Ich
habe dich in meinem Gewissen gesehen und kannte
dich, als du mich verwarfst. Ich kannte dich
auch, als du Menschengestalt annahmst, und ich
tat, was du mir erlaubtest. Ich kannte dich,
als du bei deiner Auferstehung meine Gefangenen
berührtest. Ich spüre täglich deine Macht, womit
du mich verhöhnst und mich beschämst.“
Der Herr sagte: „Wenn du mich kennst und die
Wahrheit über mich weißt, warum lügst du da
meinen Auserwählten etwas vor, wenn du die Wahrheit
über mich weißt? Habe ich nicht gesagt, dass
der, der mein Fleisch isst, in Ewigkeit leben
wird? Und dennoch sagst du, dass es unwahr ist,
und dass niemand mein Fleisch isst. Also würde
mein Volk ja eine schlimmere Abgötterei betreiben,
als der, der Steine und Holzstücke verehrt.
Aber nun sollst du, obwohl ich alle Dinge weiß,
mir auf diese Frage antworten, so dass sie,
die hier steht, und die das Geistliche nur durch
Gleichnisse verstehen kann, es hört: Thomas
berührte mich ja nach meiner Auferstehung –
war der Leib, den er da berührte, geistlich
oder körperlich? Wenn er körperlich war, wie
konnte er dann durch verschlossene Türen kommen?
Und wenn er geistlich war, wie konnte er dann
für körperliche Augen sichtbar sein?“
Der Teufel erwiderte: „Es ist schwer, zu reden,
wenn ihm von allen misstraut wird und er gegen
seinen Willen gezwungen wird, die Wahrheit zu
sagen. Dennoch werde ich – wenn auch gezwungen
– reden und bekennen, dass du nach deiner Auferstehung
geistlich und körperlich vorhanden warst. Deshalb
kannst du auf Grund der ewigen Kraft deiner
Gottheit und des geistlichen Vorrangs des verherrlichten
Fleisches überall eintreten und überall sein.“
Gott sagte weiter: „Als Moses Stab in eine Schlange
verwandelt wurde, war sie da nur wie eine Schlange,
oder war sie ganz und gar eine Schlange, inwendig
und äußerlich? Und diese Körbe mit Brot und
Brotstücken – enthielten die richtiges Brot
oder nur etwas, das wie Brot aussah?“
Der Teufel antwortete: „Der ganze Stab wurde
eine Schlange, alles in den Körben war Brot,
und alles geschah durch deine Kraft, alles durch
deine Macht.“
Der Herr sagte: „Sollte es wohl schwerer für
mich sein, ein solches Wunder jetzt zu wirken,
als damals, ja ein noch größeres Wunder, wenn
es mir gefiele? Wenn der verherrlichte Leib
damals durch geschlossene Türen zu den Aposteln
treten konnte, warum kann er da nicht auch jetzt
in den Händen der Priester sein? Sollte es meiner
Gottheit irgendwelche Mühe bereiten, das Unterste
mit dem Himmlischen, das Irdische mit dem Höchsten
zu vereinen? Keineswegs.
Nein, so wie deine Bosheit, du Vater der Lüge,
die allergrößte ist, so übersteigt meine Liebe
alles und wird es immer tun. Auch wenn einer
dieses Sakrament (die Hostie) zu verbrennen
scheint und ein anderer es unter die Fußte tritt,
so kenne ich doch allein den Glauben von allen
und richte alles mit Maß und Geduld ein. Ich
der etwas aus Nichts macht und das Sichtbare
aus dem Unsichtbaren, ich kann auch etwas Sichtbares
in einem Zeichen und einer Form zeigen, obwohl
es in Wahrheit unter dem Schleier eines Zeichens
ist, aber etwas anderes zu sein scheint.“
Der Teufel entgegnete: „Dass dies wahr ist,
erfahre ich täglich, wenn die Menschen, die
meine Freunde sind, sich von mir trennen und
deine Freunde werden. Was soll ich noch mehr
sagen? Der Diener, der sich selbst überlassen
wird, zeigt in seinem Willen deutlich, was er
tun und lassen sollte, wenn er nur könnte.“
Wieder sprach Gottes Sohn: „Glaube, meine Tochter,
dass Christus der Erneuerer und nicht der Verderber
des Lebens ist; wahr, ja selbst die Wahrheit,
und kein Lügner; die ewige Macht, ohne die nichts
gewesen ist und nichts werden wird! Wenn du
den Glauben hast, dass ich in den Händen des
Priesters bin, so kannst du wissen, dass ich
– auch wenn der Priester zweifelt – doch wirklich
in seinen Händen bin, auf Grund Glaubens der
anwesenden Gläubigen und auf Grund der Worte,
die ich selbst gesagt und bestimmt habe. Ein
jeder, der mich annimmt, nimmt die Gottheit
und die Menschengestalt sowie die Form des Brotes
an.
Was ist Gott anderes, wenn nicht das Leben und
die Lieblichkeit, das strahlende Licht, die
erquickende Güte, die urteilende Gerechtigkeit
und erlösende Barmherzigkeit? Was ist meine
Menschengestalt anderes, wenn nicht der flinkeste
und geschmeidigste Körper, die Vereinigung von
Gott und Mensch, das Haupt aller Christen? Also
empfängt ein jeder, der an Gott glaubt und seinen
Leib annimmt, die Gottheit selbst, denn er empfängt
das Leben. Er empfängt auch die Menschengestalt,
in der Gott und Mensch vereinigt sind, mit der
Gestalt des Brotes, denn der, der in seiner
eigenen Gestalt vorborgen ist, wird unter einer
anderen zur Prüfung des Glaubens empfangen.
Auch der schlechte Mensch empfängt dieselbe
Gottheit, aber zu seinem Gericht und nicht zu
seiner Freude. Er empfängt auch die Menschengestalt,
die doch wenig wohlwollend gegen ihn gestimmt
ist, sowie die Gestalt des Brotes, denn mit
der sichtbaren Gestalten empfängt er die verborgene
Wahrheit, die ihn aber nicht mit ihrer Süße
erquickt. Denn wenn er mich an seinem Mund und
seine Zähne führt, ist das Sakrament vollendet,
und ich weiche mit meiner Göttlichkeit und Menschengestalt
von ihm, so dass nur die Form des Brotes bei
ihm bleibt.
Nicht so, dass ich auf Grund der Stiftung des
Sakraments bei den Schlechten nicht ebenso wie
bei den Guten anwesend bin, sondern so, dass
die schlechten Menschen nicht dieselbe Wirkung
wie die Guten erfahren. Im Opfer selbst wird
dem Menschen das Leben, nämlich Gott selber,
dargeboten, und das Leben tritt auch bei den
Bösen ein, aber bleibt nicht bei ihnen, weil
sie das Böse nicht aufgeben. Für sie bleibt
nur eine Wahrnehmung der Brotgestalt mit ihren
Sinnen, aber das Brot bringt ihnen keinen Nutzen,
denn sie denken über dieses Verzehren nichts
anderes, als dass sie die Gestalt von Brot und
Wein gesehen und gespürt haben, ganz so, als
ob ein mächtiger Herr in das Haus von irgend
jemandem getreten sei, und man sich zwar an
seine Gestalt erinnert, aber die Anwesenheit
seiner Güte vergessen hat.“
64. Kapitel
Maria beschreibt, wie Gott es den
Weltmenschen erlaubt, die Frommen eine
Zeitlang heimzusuchen und zu erproben, wie
er sie aber zuletzt selbst strafen wird.
Die Mutter (Maria) spricht: „Mein Sohn ist wie
ein armer Bauer, der weder Ochsen noch Esel
hatte, selbst sein Holz und anderen Geräte aus
dem Walde holte, die zur Verrichtung der Arbeit
notwendig waren, und der unter anderen Geräten
auch Ruten nach Hause brachte, die für zwei
Dinge nützlich sind: Einen ungehorsamen Sohn
damit zu strafen, und die vom Frost Erstarrten
aufzuwärmen.
So ist mein Sohn, der Herr und Schöpfer von
allen, am allerärmsten geworden, um alle mit
den ewigen, unvergänglichen Reichtümern reich
zu machen. Er hat auf seinem Rücken die schwerste
Last, nämlich das bittere Kreuz, getragen, und
mit seinem Blut hat er die Sünden aller gereinigt
und ausgelöscht.
Unter seinen übrigen Werken wählte er auch das
Gerät der Tugenden; d.h. tugendhafte Männer,
durch die unter Mitwirkung des Heiligen Geistes
das Herz vieler Menschen zur Gottesliebe entzündet
und der Weg der Wahrheit offenbart wurde. Er
wählte auch die Rute aus, und damit sind die
Liebenden der Welt gemeint, durch die Gottes
Söhne und Freunde zu ihrer Erziehung und Reinigung
gezüchtet werden, und damit sie sich besser
in Acht nehmen und besser belohnt werden.
Ferner wärmen die Rutenzweige die erstarrten
Kinder, und Gott wird durch ihr Feuer auch erwärmt.
Aber wie? Ja, wenn weltlich eingestellte Menschen
Gottes Freunde und die betrüben, die Gott nur
aus Furcht vor Strafe lieben. Und wenn die,
die da betrübt werden, sich immer eifriger zu
Gott hinwenden und die Nichtigkeit der Welt
begreifen, so hat Gott Mitleid mit ihrer Trübsal
und beschert ihnen Freude und Liebe.
Aber was soll mit den Rutenzweigen geschehen,
nachdem die Kinder gezüchtigt worden sind? Ja,
die sollten ins Feuer geworfen werden, um zu
verbrennen. Gott verschmäht nämlich auch dann
nicht sein Volk, wenn er es den Händen der Bösen
überlässt, sondern wie ein Vater seinen Sohn
erzieht, so benutzt Gott die Bosheit der Gottlosen
für die Krönung und Belohnung seiner Freunde.“
65. Kapitel
Maria schärft den Gottesfreunden ihre
Pflicht ein, unverdrossen an der Bekehrung
der Sünder zu arbeiten.
Die Mutter (Maria) spricht: „Du sollst sein
wie eine leere Schale, die geeignet ist, gefüllt
zu werden – nicht so flach, dass das, was darin
enthalten ist, ausfließt, und auch nicht so
voll, dass man den Boden nicht mehr sieht. Diese
Schale ist dein Körper, der leer ist, wenn er
vor dem Begehren der Wollust frei ist. Er ist
mäßig weit, wenn das Fleisch vernünftig in Zucht
gehalten wird, damit die Seele imstande bleibt,
um den geistigen und körperlichen Menschen stark
genug zum Arbeiten zu erhalten. Die Schale ist
ohne Boden, wenn das Fleisch nicht durch irgendeinen
Verzicht in Zucht gehalten wird, sondern der
Körper alles bekommt, was er begehrt.
Aber höre, was ich sage! Mein Diener brachte
ein unbedachtes Wort vor, als er sagte: „Was
kommt es mir zu, etwas zu sagen, was nichts
mit meiner Stellung zu tun hat?“ Ein solcher
Ausspruch gebührt sich für einen Diener Gottes
nicht. Denn jeder, der die Wahrheit hört und
sie kennt, ist frevelhaft, wenn er sie verschweigt
– sofern er nicht ganz abgewiesen wird.
Es gab nämlich einmal einen Herrn, der eine
starke Burg besaß, in der es vier gute Dinge
gab: Frisches Essen, das allen Hunger vertreibt,
frisches Wasser, das allen Durst löscht, lieblichen
Duft, der alle giftigen Dünste vertreibt, und
notwendige Waffen, die geeignet waren, jeden
Feind niederzuschlagen.
So verging die Zeit, und während der Burgherr
auf etwas anderes achtete, wurde die Burg belagert.
Als er das merkte, sagte er zu seinem Herold:
„geh und rufe mit lauter Stimme meinen Rittern
zu: „Ich, der Herr, werde meine Burg befreien,
und jeder, der mir freiwillig folgt, wird mit
mir in der Herrlichkeit sein und ebenso wie
ich in Ehren stehen. Aber wer im Kampfe fällt,
den werde ich zu dem Leben erwecken, das weder
Mangel noch Sorge hat, und ich werde ihm bleibende
Ehre und nie versiegenden Überfluss schenken.“
Als der Diener diesen Befehl erhalten hatte,
rief er auch, aber er rief weniger kräftig,
als er sollte, so dass der Ruf nicht bis zu
dem tapfersten Ritter drang Dieser ließ deshalb
den Kampf bleiben. Was soll der Herr nun mit
dem Ritter tun, der gern gekämpft hätte, aber
die Stimme des Herolds nicht gehört hat? Sicher
wird er ihn für seinen Willen belohnen. Aber
der säumige Herold wird nicht ohne Strafe davonkommen.
Diese Burg ist die heilige Kirche, erbaut mit
dem Blute meines Sohnes. Dort ist sein Leib
(die Hostie), die allen Hunger vertreibt, das
Wasser der evangelischen Weisheit, der Wohlgeruch
des Beispiels seiner Heiligen und die Waffen
seines Leidens. Diese Burg ist jetzt von Feinden
belagert, denn in der heiligen Kirche gibt es
viele, die mit ihrer Stimme meinen Sohn verkünden,
ihm aber mit ihren Sitten widersprechen, ja
die mit ihrem Willen dem widersprechen, was
sie mit dem Munde sagen, indem sie sich nicht
im das himmlische Vaterland kümmern, wenn sie
nur ihre Lust befriedigen können. Daher dürfen
Gottes Freunde nicht ermüden, damit Gottes Feinde
sich vermindern, denn ihre Belohnung wird nicht
zeitlich sein, sondern eine solche, die kein
Ende hat.“
66. Kapitel
Maria lehrt
Birgitta, unnütze weltliche Gedanken und
Einfälle abzuweisen.
Die Mutter
(Maria) spricht: „Welchen Schaden leidet man,
wenn man einen Stich von einer Nadel oder einem
Eisen in den Kleidern bekommen hat, aber das
Fleisch selbst nichts abbekommen hat? Ebenso
wenig schaden zeitliche gute Dinge, wenn sie
mit Klugheit gehandhabt werden und die Einstellung
des Besitzers nicht fehlgerichtet ist. Beobachte
deshalb dein Herz, dass deine Absicht gut ist,
denn durch dich sollen Gottes Worte anderen
vermittelt werden.
Denn wie der Mühlteich manchmal das Wasser behält
und es manchmal fließen lässt, wenn es gebraucht
wird, so musst du, wenn verschiedene Gedanken
und Versuchungen kommen, genau Acht geben, dass
das, was nichtig und rein weltlich ist, abgetan
wird, aber das, was göttlich ist, ständig bedach
wird. Es steht ja geschrieben, dass die unteren
Wasser abflossen, aber die oberen fest wie eine
Mauer standen. Die unteren Wasser sind Gedanken
des Fleisches und der unnützen Begierden, die
Fortschwimmen müssen und nicht beachtet werden
sollen, aber die oberen Wasser sind Gottes Eingebungen
und Worte heiliger Männer, die fest wie eine
Mauer in deinem Herzen stehen sollten, so dass
sie nicht irgendwelche Versuchungen aus deinem
Herzen entfernt werden.“
67. Kapitel
Christus spricht mit Birgitta über das
Zusammenwirken von Gottes Gnade und dem
freien Willen des Menschen.
Der Sohn spricht zur Braut: „Ich bin ein Gott
mit dem Vater und dem Heiligen Geist. In der
Vorausschau meiner Gottheit sind alle Dinge
von Anfang an und seit Jahrhunderten vorausgesehen
und bestimmt. Und alle Dinge, die körperlichen
und geistlichen, haben ihre bestimmte Struktur
und Anordnung, und alles steht und läuft, nachdem
es in meinem Vorherwissen angeordnet und bestimmt
ist.
Da kannst du von drei Dingen her verstehen.
Wenn du auf die achtest, die leben, so findest
du, dass es die Frau ist, die gebärt, und nicht
der Mann. Wenn du auf die Bäume achtest, so
findest du, dass die süßen süße Früchte und
die bitteren bittere Früchte bringen. Was die
Himmelskörper betrifft, legen Sonne, Mond und
alle Sterne ihre Bahn so zurück, wie es in meiner
Göttlichkeit vorherbestimmt ist. So sind auch
die vernunftbegabten Seelen meiner Göttlichkeit
bekannt, und ich weiß im voraus, wie sie werden
sollen. Aber mein Vorherwissen schadet ihnen
doch in keiner Weise, denn ich habe ihnen die
Bewegung des freien Willens gegeben, d.h. den
freien Willen und die Macht, zu wählen, was
ihnen gefällt.
So wie die Frau gebärt und nicht der Mann, so
muss also auch die Seele, Gottes gute Frau,
mit Gottes Hilfe gebären, denn die Seele ist
dazu erschaffen, dass sie sich in Tugenden vervollkommnet
und durch die Aussaat der Tugenden fruchtbar
wird, so dass sie in die Arme der göttlichen
Liebe geschlossen werden kann. Aber jetzt ist
die Seele in ihrem Ursprung aus der Art geschlagen
und bringt ihrem Schöpfer keine Frucht; sie
handelt gegen Gottes Verordnungen und ist daher
unwürdig, Gottes Süße zu schmecken.
Zweitens tritt Gottes unveränderliche Anordnung
in den Bäumen hervor, von denen die süßen süße
Früchte bringen, aber die bitteren bittere.
In der Dattel gibt es zwei Dinge, nämlich Süßigkeit
und einen harten Kern. So ist es von Ewigkeit
vorhergesehen, dass – wo immer der Heilige Geist
wohnt – da verliert alle weltliche Belustigung
ihren Wert, und da wird alle weltliche Ehre
mühevoll. Und der Heilige Geist verleiht diesem
Herzen so große Stärke und Härte, dass es nicht
von irgendeiner Ungeduld zerbricht, nicht von
irgendeinem Unglück niedergeworfen wird und
sich nicht durch irgendeinen Erfolg überhebt.
Ebenso ist es von Ewigkeit her vorausgesehen,
dass – wo immer der Dorn des Teufels ist – da
gibt es eine Frucht, die außen rot ist, aber
inwendig voll Unreinheit und Stacheln. Die flüchtige
Lust, die der Teufel bereitet, scheint nämlich
lieblich zu sein, ist aber voller Dornen und
Trübsal. Denn je mehr einer im Irdischen verstrickt
ist, durch eine umso größere Bürde der Rechenschaft
wird er belastet. So wird – wie jeder Baum nach
der Beschaffenheit der Wurzel und des Stammes
Frucht bringt – jeder Mensch nach der Absicht
seines Tuns gerichtet.
Drittens haben alle Elemente die Ordnung und
Bewegung, die ihnen von Ewigkeit her bestimmt
ist, und sie bewegen sich nach dem Willen ihres
Urhebers. So muss sich auch jedes vernunftbegabte
Wesen nach der Bestimmung seines Schöpfers bewegen
und seinen Willen danach richten. Aber wenn
der Mensch das Gegenteil tut, ist es offenbar,
dass er seinen freien Willen missbraucht, und
wo die Unvernunft herrschen darf, da entartet
der vernunftbegabte Mensch und verschlimmert
sein Gericht, weil er nicht die Vernunft gebraucht.
Deshalb soll der Mensch auf seinen Willen achten,
denn ich will dem Teufel kein größeres Unrecht
tun, als meinen Engel. So wie Gott von seiner
keuschen Braut die unaussprechliche Süße fordert,
so will ja der Teufel von seiner Braut Stacheln
und Dornen haben. Aber der Teufel kann keine
Macht über den Menschen gewinnen, wenn dessen
Wille nicht verdorben wird.“
68. Kapitel
Maria spricht von einem Priester (nach dem
Zusatz handelt es sich um einen Propst), der
sehr darauf aus war, Reichtümer zu sammeln,
aber eines plötzlichen und unvorhergesehenen
Todes starb, ohne Gelegenheit zu haben,
Rechenschaft über sein Leben abzulegen.
Die Mutter (Maria) spricht: „Es gibt ein kleines
Tier, das „Fuchs“ genannt wird, und das eifrig
ist, all seinen Lebensunterhalt zu beschaffen,
und voller Falschheit ist. Er stellt sich manchmal
an, als ob er schliefe und tot wäre, damit die
Vögel sich auf ihn setzen, und er sie umso leichter
fangen und fressen kann, je unvorsichtiger sie
dasitzen. Er gibt auch auf den Flug der Vögel
Acht, und die er vor Müdigkeit auf dem Boden
oder unter einem Baum sitzen sieht, die fängt
er und frisst sie auf. Aber die mit beiden Flügeln
fliegen, beschämen ihn und machen seine Arbeit
vergeblich.
Dieser Fuchs ist der Teufel, der ständig Gottes
Freunde verfolgt, und vor allem die, die die
Bitterkeit seiner Bosheit und das Gift seiner
Ungerechtigkeit nicht haben. Er stellt sich
manchmal, als schliefe er und wäre tot, denn
manchmal lässt er den Menschen von schwereren
Versuchungen frei, damit er vergessen soll,
auf die kleineren zu achten, so dass er ihn
umso leichter betrügen und umgarnen kann. Manchmal
lässt er auch das Laster wie eine Tugend und
die Tugend wie ein Laster aussehen, damit der
verwirrte Mensch sich etwas unvorsichtig verhält
und verloren geht, sofern die Klugheit ihm nicht
zu Hilfe kommt.
Das kannst du auch durch ein Gleichnis verstehen.
Barmherzigkeit ist nämlich manchmal eine Sünde,
d.h. wenn sie geübt wird, um den Menschen zu
gefallen. Die Kraft der Gerechtigkeit ist ungerecht,
wenn sie aus Gewinnsucht und aus Ungeduld ausgeübt
wird. Die Demut ist Hochmut, wenn sie darauf
zielt, dass man auf sich aufmerksam macht und
von Menschen gesehen wird. Die Tugend der Geduld
scheint vorhanden zu sein und ist es doch nicht,
wenn der Mensch sich für ein Unrecht rächen
könnte, es aber bleiben lässt, weil er noch
nicht den geeigneten Zeitpunkt findet, sich
zu rächen.
Manchmal schickt der Teufel auch Trübsale und
Anfechtungen, damit der Mensch über die Maßen
schwermütig und betrübt werden soll, und manchmal
lässt er das Herz sich mit Angst und Kummer
füllen, so dass der Mensch im Dienste Gottes
erschlafft, oder unvorsichtig wie er ist – von
kleinen Sünden in große fällt.
Auf diese Weise wurde dieser Mann, von dem ich
spreche, vom Fuchs betrogen. Denn in seinem
Alter hatte er alles, was er sich wünschte,
er sagte, er sei glücklich und wollte lange
leben, aber so wurde er ohne Sakrament abgerufen,
und ohne dass er Rechenschaft über seine Werke
und Sachen abgelegt hatte. Wie die Ameise sammelte
er Tag und Nacht, aber nicht für das Vorratshaus
des Herrn. Und als er zum Eingang des Schobers
kam, wohin er das gesammelte Korn bringen wollte,
da starb er und überließ anderen die Frucht
seiner Mühe.
Denn wer zur Erntezeit nicht fleißig für mich
sammelt, der bekommt keine Gelegenheit, sich
über die Saat zu freuen. Selig sind daher die
Vögel des Herrn, die nicht unter den Bäumen
der weltlichen Genüsse schlafen, sondern auf
den Bäumen der himmlischen Sehnsucht, denn wenn
sie die Versuchung des bösen Fuchses, des Teufels,
packt, fliegen sie schnell mit ihren beiden
Flügeln davon, nämlich mit der demütigen Beichte
und der Hoffnung auf die Hilfe des Himmels.“
Erklärung
Christus, Gottes Sohn, spricht: „Dieser Propst
ist ein Bischofsamt. Daher soll der, der in
den lieblichen Obstbaum steigen will, um köstliche
Früchte zu ernten, befreit von aller Bürde sein,
umgürtet und stark genug sein, um zu pflücken,
und ein reines Gefäß haben, in dem er die Früchte
niederlegen kann. So soll sich dieser nun bemühen,
seinen Leib mit Tugenden zu schmücken, indem
er ihm das Notwendige gibt, aber keine Überfluss,
indem er Gelegenheiten zur Zuchtlosigkeit und
Gewinnsucht aus dem Wege geht und sich als ein
reiner Spiegel und als Vorbild für unvollkollkommene
Menschen zeigt. Sonst wird er von einem schrecklichen
Fall, einem plötzlichen Ende und Plage von meiner
Hand betroffen.“ All dies ist eingetroffen.
69. Kapitel
Christus
klagt über den Hochmut, die Gewinnsucht und
Unkeuschheit der Priester.
Der Sohn (Jesus
Christus) spricht: „An drei Dingen kannst du
beurteilen, ob das Wasser einer Quelle nicht
gut ist. Erstens, wenn es nicht die rechte Farbe
hat. Zweitens, ob es trübe ist. Drittens, ob
es stillsteht und nicht in Bewegung ist, indem
es allen Schmutz aufnimmt und ihn nicht absondert.
Unter diesem Wasser verstehe ich die Sitten
und das Herz der Kleriker. Sie müssten auf Grund
ihrer guten Sitten köstlich zu trinken sein
wie Quellen und sich dem Schmutz der Sünden
verschließen. Die rechte Farbe des Klerikers
ist ja wahre Demut; er müsste sich in Gedanken
und Taten umso mehr demütigen verhalten, je
größere Verpflichtung er sieht, um für Gott
zu arbeiten. Denn wo Hochmut ist, da ist die
Farbe des Teufels, die das Wasser ebenso abscheulich
ansehen lässt, als ob eine aussätzige Hand das
Wasser aus der Quelle schöpfen würde. So bewirkt
der Hochmut, dass manche Werke des Klerikers
schmutzig aussehen.
Das Wasser ist trübe, wenn der Kleriker gewinnsüchtig
ist und sich nicht mit dem Notwendig begnügt.
So wie er sich selber unnütz ist und sich bloß
Angst macht, so ist er für andere durch das
Beispiel seiner Gier schädlich. Drittens ist
das Wasser unrein, wenn es Schmutz aufnimmt,
ihn aber nicht abstößt, was daher kommt, dass
sein Abfluss versperrt ist, so dass das Waser
stillsteht. So ist der Priester unrein, der
in seinem Herzen und seinem Körper die Wollust
des Fleisches liebt, und nicht durch wahre Reue
das Unreine abstößt, mit dem er behaftet ist.
Denn wie ein Fleck am Körper überall hässlich
und unschön ist, aber am meisten im Gesicht,
so muss die Unreinheit allen verhasst sein,
aber am allermeisten für die, die zu höheren
Würden berufen sind. Daher sollen die Kleriker
für mein Werk ausgewählt werden, die sich nicht
durch wortreiche Weisheit auszeichnen, sondern
durch Demut und Reinheit, die selbst tugendhaft
leben und andere mit Wort und Beispiel unterrichten,
denn auch eine aussätzige Hand kann nützlich
für mein Werk sein, wenn nur die Absicht gut
ist, und die Hand des Geistes nicht fehlt.“
70. Kapitel
Maria erzählt
ausführlich über Christi Leiden und seinen
Tod. Dies ist die zweite von Birgittas drei
großen Passionserzählungen (die beiden
anderen sind I, 10 und VII, 16).
Die Mutter
(Maria) spricht: „Als die Pein meines Sohnes
bevorstand, waren Tränen in seinen Augen und
Schweiß auf seinem Körper, aus Furcht vor dem
Leiden. Und er wurde gleich aus meinen Blicken
entrückt, und ich sah ihn nicht wieder, bevor
er hinausgeführt wurde, um gegeißelt zu werden.
Er wurde da zu Boden gestoßen und erhielt einen
so heftigen und grausamen Stoß, dass sein Haupt
schwankte und die Zähne zusammenschlugen, und
er wurde so hart auf den Hals und die Wange
geschlagen, dass der Laut des Schlagens bis
zu meinen Ohren drang.
Danach zog er sich auf Befehl des Henkers seine
Kleider aus, umfasste freiwillig die Geißelsäule,
wurde mit einem Riemen festgebunden und mit
einer stacheligen Geißel verletzt, deren Stacheln
eingedrückt und herausgezogen wurden, so dass
sie seinen ganzen Körper zerpflügten. Beim ersten
Geißelhieb erhielt ich gleichsam einen Stoß
ins Herz und fiel in Ohnmacht.
Als ich nach einer Weile erwachte, sah ich seinen
zerschlagenen Körper. Er war ganz nackt gewesen,
als er gegeißelt wurde. Da sagte einer seiner
Gegner zu den diensthabenden Bütteln: „Wollt
ihr diesen Mann ohne ein Urteil töten und die
Ursache zu seinem Tode werden?“ Und mit diesem
Worten schnitt er das Band ab.
Als mein Sohn von der Säule losgekommen war,
wandte er sich zuerst zu seinen Kleidern, aber
man gönnte ihm nicht einmal Zeit, sich anzukleiden,
denn als man ihn weiterschleppte, war er noch
dabei, seine Arme in die Ärmel zu stecken. Die
Schritte, die er von der Säule ging, an der
er angebunden stand, waren mit Blut gefüllt,
so dass ich an dem Blut alle Schritte, die er
tat, sehr gut erkennen konnte. Er trocknete
sein blutiges Antlitz mit dem Mantel ab.
Nachdem er verurteilt war, wurde er hinausgeführt,
wobei er sein Kreuz trug. Aber als er es unterwegs
trug, bekam er einen Ersatzmann. So kam er an
den Platz der Kreuzigung, und dort lagen ein
Hammer und vier spitze Nägel bereit. Gleich
zog er sich auf Befehl die Kleider aus, und
man reichte ihm ein kleines Leinenkleid, mit
dem er die Lenden bedeckte, und was er selbst,
gleichsam damit getröstet – mithalf, sich umzubinden.
Das Kreuz war aufgerichtet und sein Querbalken
aufgerichtet, so dass der Schnittpunkt des Kreuz
unter seinen Achseln war. Das Kreuz gab dem
Haupt keinen Ruhepunkt, und die Tafel mit der
Inschrift war auffallend an beiden Armen des
Kreuzes oberhalb seines Hauptes befestigt.
Auf Befehl legte er sich mit dem Rücken auf
das Kreuz, und darum gebeten, streckte er erst
die rechte Hand aus und danach die andere, die
nicht bis zum anderen Ende des Querbalkens reichte,
sondern grausam ausgedehnt werden musste. Und
die Füße wurden ebenso bis zu den Bohrlöchern
ausgespannt, übereinandergelegt und da, wo die
Knochen am härtesten waren, mit zwei Nägeln
am Stamm des Kreuzes befestigt, wie man es auch
mit den Händen gemacht hatte.
Beim ersten Hammerschlag wurde ich außer mir
vor Schmerz und feil in Ohnmacht, und als ich
wieder zu mir kam, sah ich meinen Sohn gekreuzigt.
Ich hörte, wie Menschen miteinander sprachen.
Einige fragten: „Wieso hat er sich schuldig
gemacht? Diebstahl, Raub oder Lüge?“ Andere
antworteten, dass er ein Lügner war.
Man drückte die Dornenkrone fest auf sein Haupt,
so dass sie bis mitten über die Stirn ging,
viele Blutströme flossen von den Dornenstichen
nieder auf sein Angesicht und füllten die Haare,
die Augen und den Bart, so dass man fast nichts
anderes sah, als Blut in seinem Antlitz, und
er konnte mich, die neben dem Kreuz stand, auch
nicht sehen, wenn er nicht das Blut dadurch
entfernte, dass er die Augenlider zusammendrückte.
Er vertraute mich seinem Jünger an, hob die
Stimme gleichsam aus der Tiefe der Brust, hob
das Haupt, wandte die weinenden Augen gen Himmel
und rief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast
du mich verlassen?“ Die Stimme konnte ich nie
vergessen, bevor ich in den Himmel kam. Sein
Ausruf war mehr aus Rührung über meinen Schmerz
veranlasst, als über seinen eigenen.
Nun kam die Leichenblässe in die Glieder, die
man am Blut erkennen konnte; die Wangen sanken
ein bis zu den Zähnen, die Rippen wurden beinah
bloß, und man konnte sie zählen, die Brust sank
zum Rücken hin ein, nachdem alle Flüssigkeit
ausgeflossen war, die Nase wurde dünner und
das Herz brach, wobei sein ganzer Körper bebte
und sein Kinn auf die Brust fiel.
Außer mir, sank ich zu Boden. Der Mund öffnete
sich bei ihm, als er starb, so dass man die
Zunge, die Zähne und das Blut darin sehen konnte.
Die Augen waren halb offen und nach unten gerichtet,
und der tote Körper hing schlaff und lose da.
Die Knie bogen sich nach einer Richtung, und
die Füße bogen sich über den Nägeln wie Türhaken
in eine andere Richtung.
Ein paar Menschen, die da standen, sagten höhnisch:
„Nun ist dein Sohn tot, Maria!“ Aber andere,
die größeren Verstand besaßen, sagten: „O Frau,
die Pein deines Sohnes ist nun zu seiner ewigen
Ehre beendet!“
Eine kurze Zeit später öffnete man seine Seite,
und als die Lanze herausgezogen wurde, zeigte
sich an der Spitze dunkles Blut, so dass man
daran erkennen konnte, dass das Herz durchstochen
war.
Der Stich ging auch durch mein Herz, und es
war sonderbar, dass es nicht brach wie seines.
Andere gingen davon, aber ich konnte nicht fortgehen,
sondern mir war es wie ein Trost, als sein Leib
vom Kreuz abgenommen wurde, und ich konnte ihn
berühren und ihn in meinen Schoß legen, die
Wunden abdecken und das Blut abtrocknen. Dann
schlossen meine Finger seinen Mund, und ich
drückte ihm ebenso die Augen zu. Aber seine
Steifgewordenen Arme konnte ich nicht biegen;
sie konnten also nicht über der Brust zusammengelegt
werden, sondern über dem Magen. Die Knie konnte
ich auch nicht ausstrecken, sondern sie standen
hoch, wie sie am Kreuz steif geworden waren.“
Weiter sagte die Mutter: „Du kannst meinen Sohn
nicht zu sehen bekommen, so wie er im Himmel
ist. Aber du sollst wissen dürfen, wie er in
körperlicher Gestalt hier auf Erden war. Er
war so anmutig in seinen Gesichtszügen, dass
niemand, auch wenn er Herzenskummer hatte, sein
Antlitz sehen konnte, ohne durch seinen Anblick
getröstet zu werden. Die Gerechten hatten daran
geistliche Freude, und sogar die Schlechten
vergaßen ihre weltlichen Sorgen, so lange sie
ihn betrachteten. Und deshalb pflegten die Leidenden
zu sagen: „Lasst uns gehen und Maria’s Sohn
sehen, so dass wir wenigstens die Stunde Linderung
verspüren.“
Im zwanzigsten Jahre seines Lebens war er vollkommen
an männlicher Größe und Kraft. Er hatte die
Durchschnittslänge der damaligen Menschen, war
nicht besonders füllig, sondern wohlgebaut mit
Sehnen und Knochen. Sein Haar, seine Augenbrauen
und sein Bart waren von hellbrauner Farbe, und
der Bart war so lang wie eine Handbreit. Die
Stirn war weder vor – noch zurückgesetzt, sondern
gerade. Die Nase war von normaler Größe, weder
zu klein noch zu groß.
Seine Augen waren so klar, dass sogar seine
Gegner Freude daran hatten, ihn zu betrachten.
Die Lippen, die nicht dick waren, waren rot
und klar. Das Kinn war nicht vorgeschoben oder
zu lang, sondern schön und von männlicher Größe.
Die Wangen waren ein wenig füllig. Seine Hautfarbe
war weiß, mit hellrot gemischt, und seine Gestalt
war gerade. Es gab keinen Fleck auf seinem ganzen
Körper; das konnten die bezeugen, die ihn ganz
nackt gesehen und ihn gegeißelt haben, als er
an der Säule festgebunden war. Niemals ist irgendein
Wurm an ihn gekommen, und auch keinerlei Unordnung
oder Unsauberkeit in seinem Haar.
71. Kapitel
Cecilia,
Birgittas jüngste Tochter, hat die
Klosterschule in Skänninge verlassen, um
eine Ehe einzugehen. Birgitta stellt sich
bei der Unterredung darüber die Frage,
welcher Stand dem Herrn am wohlgefälligsten
sei: Die Jungfrauenschaft, die Ehe oder der
Witwenstand. Christus antwortete ihr, dass
eine Frau ihm in all diesen drei Ständen
gefallen kann. Auch wenn die
Jungfrauenschaft an und für sich am höchsten
stände.
Gottes Sohn
spricht zur Braut: „Antworte mir auf vier Dinge,
nach denen ich dich fragen werde. Wenn jemand
seinem Freunde einen fruchtbaren Weinstock gäbe,
den der Geber ebenso gern in seinem Haus behalten
würde, weil er Freude daran hätte, ihn anzuschauen
und daran zu riechen – was würde da der Geber
antworten, wenn der, dem der Weinstock geschenkt
wurde, ihn bitten würde, ihn an einen anderen
Platz zu pflanzen, wo er mehr Frucht bringen
würde?
Sie antwortete: „Wenn der Geber ich aus Liebe
geschenkt hat und verständig wäre und seinem
Freund etwas Gutes gönnen würde, so würde er
diesen mit dem Weinstock tun lassen, was er
will und zu ihm sagen: „Mein Freund, obwohl
ich Freude an dem Weinstock habe, würde ich
mich doch freuen, nachdem er mir jetzt nicht
viel Frucht bringt, dass du ihn, wenn du willst,
an einen Platz setzt, der fruchtbarer ist.“
Der Herr fragte wiederum: „Wenn ein Vater und
eine Mutter ihre junge Tochter einem jungen
Mann geben würden und die Jungfrau einverstanden
wäre, ihn zu nehmen, aber der Jüngling nicht
auf ihre Frage antwortet, ob er sie haben wolle
oder nicht – wäre da die Jungfrau nicht verlobt,
nachdem der Jüngling seinen Willen nicht zu
erkennen gab?“
Der Herr sagte drittens: „Ein Edelgeborener
Jüngling stand zwischen drei Jungfrauen und
sagte zu ihnen, dass diejenige von den dreien,
die das Wort aussprach, das seine innigste Liebe
erwecken könnte, die sollte das Glück gewinnen,
dass der Jüngling sie am meisten liebt. Da sagte
die erste Jungfrau: „Ich liebe diesen Jüngling
so warm, dass ich lieber sterben würde, als
mich mit einem anderen beflecken.“
Die zweite sagte: „Lieber als ein einziges Wort
zu sagen, das gegen seinen Willen ist oder ihn
verletzen würde, will ich alle Qualen leiden.“
Die dritte sagte: „Lieber als die kleinste Beschimpfung
oder den kleinste Schaden zu sehen, der ihm
widerfährt, will ich selber allen Schaden und
die bittersten Plagen erdulden.“ Sag mir nun,
sagte der Herr, welche von diesen drei Jungfrauen
hat den Jüngling am meisten geliebt, und welche
sollte den ersten Platz in seiner Liebe einnehmen?“
Sie antwortete: „Es scheint mir, als ob sie
alle ihn gleich zärtlich lieben würden, denn
sie hatten alle dieselbe Herzenseinstellung
für ihn, und deshalb wären sie alle seiner Liebe
gleichermaßen wert.“
Der Herr sagte viertens: „Es war eine Person,
die ihren Freund um Rat fragte: „Ich habe ein
sehr fruchtbares Weizenkorn. Wenn es in die
Erde gesät wird, gibt es vielen Weizen als Frucht.
Aber jetzt bin ich sehr hungrig; was scheint
dir klüger – dass ich es aufesse, oder dass
ich es in die Erde aussäe?“ Der Freund erwiderte:
„Der Hunger kann auf andere Weise gestillt werden.
Es ist nützlicher für dich, dass das Korn gesät
wird.“ Und der Herr fügte hinzu: „O Tochter,
scheint es dir nicht auch so, dass der Hunger
ertragen werden muss und das Korn gesät wird,
so dass es vielen nützt?
Weiter sagte der Herr: „Diese vier Aussagen
betreffen dich. Deine Tochter, die du versprochen
hast, mir du versprochen hast, mir zu geben
und es auch getan hast, ist nämlich wie ein
Weinstock. Weil ich nun einen geeigneteren Platz
für sie weiß, will ich sie dort empfangen, wo
es mir gefällt. Und du solltest nicht betrübt
darüber sein, dass du mit diesem Wechsel einverstanden
warst. Du gabst mir deine Tochter, aber ich
habe dir nicht gezeigt, was mir am besten gefiel,
ihr Jungfrauenstand oder ihre Ehe, oder wie
weit dein Opfer mir gefiel oder nicht. Und da
du deiner Sache sicher bist, sollte das, was
ungewiss geworden war, verändert und verbessert
werden.“
Weiter sagte der Herr: „Die Jungfräulichkeit
ist gut und steht am höchsten, denn sie ist
wie die Engel, wenn sie nur auf verständige
und passende Weise eingehalten wird. Aber wenn
das eine ohne das andere da ist, d.h. die Jungfräulichkeit
des Fleisches, aber nicht des Sinnes, so ist
die Jungfräulichkeit entstellt. Denn eine demütige
und fromme Ehefrau ist mir lieber, als eine
hochmütige und unverschämte Jungfrau. Eine ehrbare
Hausfrau, die in Gottesfurcht nach ihrem Stande
lebt, kann ebenso große Verdienste sammeln,
wie eine tüchtige und bescheidene Jungfrau.
Denn obwohl es groß ist, im Feuer der Prüfung
zu sein und doch nicht zu brennen, ist es doch
ebenso groß, außerhalb des Feuers der Enthaltsamkeit
zu sein, aber lieber im Feuer sein zu wollen
und in größerer Liebe zu Gott außerhalb des
Feuers zu brennen, als was der tut, der im Feuer
steckt.
Siehe, ich lege dir ein Gleichnis von drei Frauen
vor. Susanna war verheiratet, Judith war Witwe,
Thekla war Jungfrau. Sie führte ein anderes
Leben und hatte andere Pläne, und doch erhielten
sie alle auf Grund ihrer verdienstvollen Werke
denselben Lohn. Als Susanna von den Priestern
bedrängt wurde, wollte sie (so sehr liebte sie
Gott) lieber sterben, als gegen ihren ehelichen
Stand sündigen. Und weil sie mich immer so fürchtete,
als sei ich anwesend, so verdiente sie, sowohl
gerettet zu werden und ihrer Rettung wegen verherrlicht
zu werden.
Als Judith meine Verunehrung und die Bedrückung
ihres Volkes sah, regte sie sich so auf, dass
sie sich aus Liebe zu Gott nicht nur Schimpf
und Schande aussetzte, sondern bereit war, meinetwegen
Plagen zu erdulden. Und Thekla, die Jungfrau
war, wollte lieber diese bitteren Qualen leiden,
als ein einziges Wort gegen mich zu sprechen.
Obwohl diese drei dieselbe Art von Werken ausführten,
sind sie doch gleich am Verdienst. Daher können
mir beide – Jungfrauen und Witwen – ebenso gefallen,
wenn nur ihre Sehnsucht nach mir steht, und
ihr Leben gut ist.“
Weiter sagte der Herr: „Ob deine Tochter im
Jungfrauenstand oder Ehestand lebt, das ist
mir gleich lieb, wenn sie sich nur nach meinem
Willen richtet. Denn was nützt es ihr, wenn
sie ihren Leib verschließt, aber mit ihren Sinnen
draußen weilt? Und was ist ehrenvoller: Nur
für sich zu leben, oder anderen zu nützen?
Ich, der alles weiß und vorhersieht, tue jedoch
nichts ohne Grund, und daher wird sie durch
die erste Frucht nicht zu dem beabsichtigten
Ziele kommen, denn die Frucht stammt aus Furcht,
und auch nicht die zweite, denn die stammt aus
Trägheit, sondern durch die mittlere, denn die
hat eine maßvolle Liebesglut und die Frucht
der Ehrbarkeit. Aber der, der sie nehmen wird,
sollte drei Dinge haben, nämlich ein Haus, Kleider
und Nahrung, um sie damit zu versorgen.“
Erklärung
Der Sohn spricht: „Du möchtest wissen, warum
diese Jungfrau nicht in der Weise zur Ehe gekommen
ist, wie du gehofft hast. Ich will dir mit einem
Gleichnis antworten. Ein vornehmer Mann beschloss,
seine Tochter einem zu geben, der arm war. Aber
als dieser Arme kommen sollte, um sich mit der
Jungfrau zu verloben, hatte er gegen die Gesetze
des Staates verstoßen, und deshalb wurde er
mit Schande von den Mitbürgern vertrieben und
bekam die Jungfrau nicht, wie er ersehnte.
So bin ich mit dem Herrscher dieses Landes verfahren,
denn ich hatte ihm versprochen, dass er Großtaten
vollbringen würde. Aber er hielt mehr fest an
meinen Feinden, und daher bekam er nicht, was
ich ihm versprochen hatte.
Aber nun kannst du fragen, ob ich das Zukünftige
nicht vorausgesehen habe? Ja, ich habe es vorausgesehen,
wie man es auch über Mose und sein Volk liest,
aber ich habe es gezeigt, und ich zeige noch
viel, damit die Menschen sich zum Guten wenden,
wissen, was zu tun ist, und geduldig warten.
Doch sollst du wissen, dass ein Weh verschwunden
ist, aber ein anderes soll über die Undankbaren
in diesem Reiche kommen, und dann wird mein
Segen über die kommen, die demütig um mein Erbarmen
bitten. Wisse auch, dass es dieser Jungfrau
nützt, sich nach meinem Rat und dem der Klugen
zu richten.“
Diese Jungfrau, glaubt an, ist Frau Cecilia
gewesen, eine Tochter der hl. Birgitta.
72. Kapitel
Christus gibt
Birgitta und ihrer Tochter Katharina, die
zusammen mit ihr in Rom wohnt, geistliche
Ratschläge.
Der Sohn (Jesus
Christus) sagte zur Braut: „Es waren zwei Schwestern,
Martha und Maria, die einen Bruder hatten, Lazarus.
Ich weckte ihn für sie von den Toten auf, und
er diente mir dann mehr als vorher. So war es
auch mit seinen Schwestern: Obwohl sie schon
vor der Auferweckung des Bruders dienstbereit
und eifrig waren, mir zu dienen, waren sie doch
viel eifriger und hingegebener als vorher.
In ähnlicher Weise habe ich jetzt geistlich
mit euch gehandelt. Denn ich habe euren Bruder
auferweckt, d.h. eure Seele, der vier Tage tot
gelegen hatte und schon roch, und der sich von
mir durch Übertretung meiner Gebotsworte entfernt
hatte; böse Lust, weltliche Vergnügen und Gefallen
an Sünde hatte er.
Es waren aber vier Gründe, die mich bewogen,
Lazarus aufzuwecken. Der erste war, dass er
mein Freund war, als er lebte. Der zweite war
die Liebe seiner Schwestern. Der dritte war,
dass Maria durch ihre Demut, als sie meine Füße
wusch, verdient hat, dass sie sich so, wie sie
sich meinetwegen vor den Augen der Tischgäste
erniedrigt hatte, auch vor den Augen vieler
freuen und geehrt werden sollte.
Der vierte Grund war, dass die Ehre meiner Menschen
gestalt offenbart werden sollte. Diese vier
Dinge waren nicht in euch, denn ihr habt die
Welt mehr als sie geliebt. Deshalb ist meine
Barmherzigkeit größer gegen euch, die ihr nicht
mit irgend welchen Verdiensten Barmherzigkeit
verdient habt, als gegen diese Schwestern. Ja,
sie ist ebenso viel größer, wie der geistliche
Tod gefährlicher ist, als der körperliche, und
die Auferstehung der Seele ehrenvoller ist,
als die des Leibes.
Daher müsst ihr, weil meine Barmherzigkeit größer
ist als eure Werke, mich mit der wärmste Liebe
ins Haus eures Sinnes aufnehmen, wie es diese
Schwestern taten, indem ihr nichts so sehr liebt
wie mich, indem ihr all eure Zuversicht auf
mich setzt, auch demütigt wie Maria und täglich
eure Sünden beweint, euch scheut, demütig unter
den Hochmütigen und enthaltsam unter den Zuchtlosen
zu leben, und anderen nach außen zu zeigen,
wie sehr ihr mich im Inneren liebt. Ihr sollt
auch so wie diese Schwestern ein Herz und eine
Seele sein, sollt stark genug sein, das Weltliche
zu verschmähen und bereit zu Gottes Lob sein.
Wenn ihr das tut, werde ich, der euren Bruder
– d.h. eure Seele – auferweckt hat, ihn verteidigen,
dass er nicht von den Juden ums Leben gebracht
wird. Denn was hätte es Lazarus genützt, vom
zeitlichen Tode auferweckt zu werden, wenn er
dann in diesem Leben nicht ehrenhaft gelebt
hätte, um desto ehrenvoller zum anderen und
ewigen Leben aufzuerstehen?
Aber wer sind die Juden, die Lazarus ums Leben
bringen wollen, wenn nicht die, die sich darüber
ärgern, dass ihr besser lebt als sie, die gelehrt
haben, von hohen Dingen zu reden, aber wenig
Gutes tun und um der Gunst der Menschen willen
dir Werke ihrer Vorgänger desto schändlicher
verachten, je weniger sie das Wahre und Hohe
verstehen wollen?
Es gibt viele solche Leute, die verstehen, über
die Tugenden zu disputieren, aber sie nicht
dadurch beachten, dass sie zuchtvoll leben.
Daher sind ihre Seelen in Gefahr, denn es sind
viele Worte, aber Taten sieht man nicht. Haben
meine Prediger so gehandelt? Keineswegs. Sie
haben die Sünder gewiss ermahnt, aber nicht
mit hohen Worten, sondern mit wenigen und liebvollen,
und sie waren bereit, ihr Leben für deren Seelen
hinzugeben. Daher empfingen andere Liebe um
ihrer Liebe willen.
Denn die Liebesglut des Lehrers unterrichtete
die Seelen der Hörer besser als Worte.
Aber nun reden viele Menschen hohe und schwer
begreifliche Worte über mich, aber keine Frucht
folgt daraus. Der wind allein kann ja kein Holz
anzünden, wenn das Feuer nicht mitwirkt. Deshalb
werde ich euch vor diesen Juden schützen und
bewahren, so dass ihr nicht durch deren Worte
oder Taten verlockt werdet, von mir abzufallen.
Ich werde euch nicht in dem Maß verteidigen,
dass ihr nicht irgendein Unglück erleidet, aber
so, dass ihr nicht auf Grund von Ungeduld zu
Grunde geht. Habt also euren Willen bereit,
so werde ich ihn mit meiner Liebe entzünden.“
Die nachfolgenden Kapitel des
4. Buches sind auf Seite 2
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