Anfang
des 3. Buches |
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Das
dritte Buch enthält zum großen Teil Ermahnungen und
Warnungen, die an die damalige Priesterschaft gerichtet
sind. Es ist teilweise in Schweden, teils in Italien
entstanden. Offenbarungen, die in Schweden 1344-49
entstanden. |
Inhalt
3. Buch
1. Durch Birgitta ermahnt Christus einen Bischof zu einer verantwortungsvollen Verwaltung seines Amtes. Er teilt ein Tagesprogramm mit, das der Bischof einhalten soll.
2. Christus setzt den „Bischofsspiegel“ fort. Er warnt den Bischof vor Versuchungen zu einem bequemen und genussreichen Leben.
3. Der Bischofsspiegel endet mit einer Ermahnung, die notwendigen Zurechtweisungen nicht zu versäumen und soweit wie möglich selbst die Leitung in die Hand zu nehmen, mit dem Versprechen einer himmlischen Belohnung. – Man kann mit Recht annehmen, dass Bischöfe wie Birger Gregersson von Uppsala, Nikolaus Hermansson von Linköping und Hemming von Åbo diesen Bischofsspiegel als Richtschnur für ihr Leben und ihre Wirksamkeit benutzt haben.
4. Maria schildert, wie ein pflichttreuer Domherr und ein pflichtvergessener Bischof gelebt haben, und welche Vergeltung sie nach ihrem Tode im Himmel empfangen haben. In ihrem Buch „Birgitta och hennes uppenbarelser“ hat Toni Schmid diese Personen mit Bischof Bo und dem Domherrn Nikolaus in Växjö identifiziert (S. 50-53).
Offenbarung, gegeben in Milano 1349.
5. Der heilige Ambrosius[1], früher Bischof von Milano, spricht zu Birgitta bei ihrem kurzen Besuch im Spätherbst 1349 und deutet auf den Machtmissbrauch der kirchlichen und weltlichen Regenten hin.
6. St. Ambrosius tadelt in scharfen Worten Giovanni Visconti, den derzeitigen Erzbischof in Milano[2], für dessen verweltlichtes Leben und droht ihm mit Gottes gerechter Strafe.
7. Die Jungfrau Maria rühmt Ambrosius und stimmt in seine Klage über Giovanni Visconti ein.
Offenbarungen, gegeben in Schweden 1344-49.
8. Jungfrau Maria warnt einen nicht genannten Magister, nach weltlicher Ehre und Gunst zu streben.
9. Maria die Möglichkeit für kluge Menschen, Gefahren und der Unvorsichtigkeit unkluger zu entgehen.
Offenbarungen, gegeben 1350 in Rom
10. Maria macht den in Avignon wohnenden Legaten des Papstes auf den Verfall aufmerksam, der unter der Priesterschaft in Rom zur Zeit des Jubeljahres 1350 herrscht.
11. Johannes der Täufer tadelt den vom Papst entsandten Legaten, Kardinal Annibaldo Ceccario, wegen seines prunkhaften Lebens. Der Zusatz deutet auf den unseligen Tod hin, der ihn nach seiner Abreise aus Rom ereilte.
Offenbarungen, die teils in Schweden 1344-49, teils in Italien in den Jahren nach 1360 erfolgten.
12. Jungfrau Maria und St. Agnes[3] geben durch Birgitta Ratschläge und Ermahnungen an Bischof Thomas in Växjö, der später Birgitta in Rom aufsuchte, sowie an Bischof Peter Tyrgilsson von Linköping. Ein paar Zusätze berichten Episoden von Bischof Thomas´ und Birgittas Zusammensein in Italien.
Offenbarungen, gegeben in Schweden 1344-49.
13. Maria ermahnt durch Birgitta Peter Tyrgilsson, Bischof von Linköping und später Erzbischof von Uppsala. Dieser wird ermahnt, sich treu für die Erlösung der Seelen einzusetzen, ohne eventuelle Unannehmlichkeiten oder Widerstände zu fürchten. Der Zusatz gehört in die Zeit nach 1366.
14. Maria tadelt im Beisein von Birgitta einen Bischof, der äußerlich demütig sein soll, aber in Wirklichkeit hochmütig und auf das Weltliche ausgerichtet ist. Der Bischof, der dem Dominikanerorden angehört, aber nicht mit Sicherheit identifizierbar ist (war es Peter Filipsson von Uppsala?) wird mit einem Schmetterling verglichen.
15. Maria tadelt noch einen schwedischen Bischof vom Dominikanerorden. Sie vergleicht ihn mit einer Stechfliege und beschuldigt ihn, einschmeichelnd und ehrgeizig zu sein. Man hat ihn mit Ödgisl Birgersson von Västerås identifiziert[4].
16. Es wird ein Dialog zwischen den beiden schwedischen Dominikanerbischöfen wiedergegeben. Der ältere, der „Schmetterling“, gibt hier dem jüngeren, der „Stechfliege“, seine Scheinheiligkeit und seine egoistische Berechnung zu.
17. Maria rühmt vor Birgitta den heiligen Dominicus[5], Stifter des Ordens, dem diese beiden Bischöfe angehörten. Dominicus lehrte seine Söhne Armut und Liebe zu den Seelen, sagt sie, aber die jetzigen Dominikaner wandeln im allgemeinen einen ganz anderen Weg.
18. Maria setzt ihre Klage über die schwedischen Dominikaner der damaligen Zeit fort, von denen gesagt wird, dass sie mehr auf weltliche Vorteile als auf Gottes Ehre und die Rettung der Seelen bedacht sind, und die u.a. für ihre jetzt geführte Lebensweise und für ihren Eifer getadelt werden, unnötig große und prachtvolle Kirchen zu bauen. Am Ende des Kapitels wird das Gericht über den älteren schwedischen Dominikanerbischof, den „Schmetterling“, angedeutet.
19. Christus lehrt Birgitta, wie sie schlechten und törichten Gedanken begegnen soll; weiter deutet er an, welche Lehre sie aus dem Ende des erwähnten Bischofs ziehen kann.
Offenbarungen, gegeben in Italien 1350.
20. Maria rühmt vor Birgitta den heiligen Benedikt[6] und die Absichten, die dieser bei der Stiftung seines Ordens hatte. Sie deutet an, dass die jetzigen Benediktiner vom hohen Ideal ihres Stifters abgefallen sind.
21. Maria fährt fort, den ursprünglichen benediktinischen Geist zu rühmen und den Abfall der jetzigen Benediktiner von diesem Geist zu tadeln. Sie deutet die Notwendigkeit einer Reform an.
22. Maria beschließt ihre Rede über die damaligen italienischen Benediktiner mit einer besonderen Klage über Arnold, Abt im Benediktinerkloster Farfa bei Rom. Birgitta besuchte dieses Kloster kurz nach ihrer Ankunft in Rom im Jahre 1350, beobachtete dessen Verfall und trug den Bewohnern des Klosters die himmlische Klage vor, die jedoch scheinbar nicht zu einer Nachfolge führte.
Offenbarungen, die nicht datiert werden können.
23.
Gott Vater spricht mit Birgitta über das Geheimnis der Dreieinigkeit.
24. Christus beschreibt Birgitta mit Hilfe eines Gleichnisses die guten und die zur Buße bereiten Sünder und die unbußfertigen.
25. Maria spricht mit Birgitta über Christi Beschneidung.
26. Christus erklärt Birgitta, welches Schicksal die gerechten Juden und die Heiden nach dem Tode trifft.
Offenbarung, gegeben in Rom um 1350.
27. Maria und Christus klagen bei Birgitta über die jetzige Zügellosigkeit und Gottlosigkeit in Rom und stellen sie in Gegensatz zu der früheren Heiligkeit der Stadt.
Undatierbare Offenbarungen.
28. Maria beschreibt Birgitta, was eine vollkommene Gottesliebe bedeutet.
29. Birgitta preist Maria. Maria sagt, das Rühmen sei berechtigt und hat Anlass zur Klage über die Verachtung, der ihr göttlicher Sohn jetzt von Priestern und weltlichen großen Männern ausgesetzt ist.
30. Die heilige Agnes preist Maria. Maria stimmt zu, klagt bei dieser Gelegenheit über die Schlechtigkeit der Menschen, weist aber darauf hin, dass sie die Guten nicht betrübt und verzagt machen darf.
31. Christus erzählt von einem scheinbar frommen Mann, der schließlich verdammt wurde, und von einem offenbar sündigen Mann, der die Gnade erhielt, sich zu bekehren, und so gerettet wurde. – Der schwache, von seinen Günstlingen abhängige König, von dem Christus im Gleichnis erzählt, dürfte Züge von Magnus Eriksson entlehnt haben. Der Arzt, der mit einer heilsamen Medizin zum König geschickt wurde, dürfte Birgitta darstellen.
32. Maria spricht mit Birgitta über ihre allgemeine Vermittlerschaft.
33. Dieses Kapitel, das wahrscheinlich aus der Zeit in Rom stammt, handelt von einem Mönch, der sagte, er sei bereit, Birgitta auf ihrer Fahrt nach Jerusalem zu begleiten.
34. Maria spricht mit Birgitta über eine kluge und maßvolle Enthaltsamkeit.
[1]. 339-397
[2]. 1290-1354, wurde 1329 zum Kardinal und Legaten in der Lombardei ernannt.
[3]. Märtyrerin; Lebensdaten unsicher (e. oder 4. Jhdt. n. Chr.).
[4]. Schmid, Birgitta och hennes uppenbarelser, S. 54.
[5]. Gründer des Dominikanerordens, geb. um 1170, gest. 6.8.1221 in Bologne.
[6]. Gemeint ist wohl der hl. Benedikt von Nursia, Einsiedler und Abt der Spätantike, auf den sich das benediktinische Mönchtum zurückführt, geb. um 480, gest. 547.
Hier beginnt das
dritte Buch der himmlischen
Offenbarungen der hl. Birgitta von Schweden.
Gottes
Sohn spricht mit den Worten: ”Wenn jemand ein
Vorgesetzter über andere ist, so soll er deshalb nicht
hochmütig sein, denn alle sind von demselben
Geschlecht, und alle Macht ist von Gott. Wenn der
Vorgesetzte gut ist, ist das von Gott zu seiner eigenen
Rettung und der von anderen so eingerichtet. Wenn er
schlecht ist, so beruht das auf Gottes Zulassung und
soll zur Prüfung des Untergebenen dienen. Wer gezwungen
ist oder wünscht, Vorgesetzter zu sein, der soll sich
den Untergebenen so zeigen, dass er zugleich vorbildlich
ist, was seine Sitten und seinen Wandel und das Maß an
Gerechtigkeit und Billigkeit betrifft. Und er soll genau
damit sein, dass er nicht durch Worte oder Beispiel oder
Machtmissbrauch anderen einen Anlass zur Sünde gibt.
Nichts reizt ja Gott so zum Zorn oder verlockt die
Menschen so zur Sünde, wie die Leichtfertigkeit der Prälaten.
Wenn der Priester Eli ein ebenso tüchtiger Priester wie
Pinehas und Mose gewesen wäre und seine Söhne
geistlich geliebt hätte, so wäre sein ganzes
Geschlecht gerettet worden.“
Offenbarungen,
die in Schweden 1344-49 entstanden.
1.
Kapitel |
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Durch Birgitta ermahnt
Christus einen Bischof zu einer
verantwortungsvollen Verwaltung seines Amtes. Er
teilt ein Tagesprogramm mit, das der Bischof
einhalten soll.
Jesus
Christus, Gott und Mensch, der zur Erde kam, um
Menschengestalt anzunehmen und die Seelen mit
seinem Blute zu erlösen, der mit seinem Licht
gezeigt hat, wie ein wahrer Lebenswandel ist, und
der die Pforte des Himmels geöffnet hat, der
sendet mich zu euch. „Höre“, sagte er,
„denn dir ist es vergönnt, geistliche Dinge zu
hören. Wenn dieser Bischof sich entschließt, den
schmalen Weg zu gehen, den nur wenige wandern, und
einer von den wenigen zu sein, soll er erst die
Last ablegen, die auf ihm liegt und ihn beschwert,
nämlich die Lust nach weltlichen Dingen. Die soll
er nur dazu benutzen, was er nötig braucht, nämlich
dafür, was für den anspruchslosen
Lebensunterhalt eines Bischofs erforderlich ist.
So tat es der gute Matthäus, der von Gott berufen
wurde; er ließ die schwere Bürde der Welt fahren
und fand stattdessen eine leichte Bürde.
Zweitens soll er gegürtet sein wie ein Reisender,
wie die Schrift sagt. Als Tobias zu seiner Fahrt
bereit war, fand er einen gegürteten Engel
dastehen. Was bedeutet das, dass der Engel gegürtet
war, anders, als dass jeder Bischof mit dem Gürtel
der Gerechtigkeit und göttlichen Liebe gegürtet
sein soll, und bereit sein, den Weg zu gehen, auf
dem der ging, der sagte: „Ich bin der gute
Hirte, der mein Leben für meine Schafe gibt.“
Er sollte auch mit seinen Worten bereit sein, die
Wahrheit zu sagen, und mit seinen Taten
Gerechtigkeit zu üben, sowohl gegen sich selbst
als auch gegen andere, und soll er wegen Drohungen
oder Schmähungen. aus falscher Freundschaft oder
falscher Furcht nicht von der Gerechtigkeit
abweichen. Zu jedem Bischof, der sich auf diese
Weise gegürtet zeigt, soll Tobias kommen, d.h.
rechtfertige Menschen, die seiner Lebensart folgen
wollen.
Drittens sollte er Brot und Wasser zu sich nehmen,
bevor er eine Fahrt antritt, wie es von Elia heißt,
dass er an seinem Kopfende Brot und Wasser fand,
als er aus dem Schlaf geweckt wurde. Was bedeutet
dies dem Propheten gegebene Brot anders, als das
leibliche und geistige Brot, das ihm zugeteilt
wurde? Denn in der Wüste wurde ihm leibhaftiges
Brot beschert.
Gott hätte den Propheten gewiss auch ohne
leibliche Speise ernähren und erhalten können,
aber er wollte ihm trotzdem wirkliches Brot
bescheren, damit der Mensch verstehen sollte, dass
es Gott wohlgefällig ist, wenn er einen mäßigen
Gebrauch von Gottes Gaben zur Erquickung des
Leibes macht. Der Prophet wurde außerdem von der
Eingießung des Geistes ernährt, als er 40 Tage
mit der Stärkung dieser Speise gehen musste. Und
wenn nicht eine innere Salbung der Gnade in seinen
Sinn gegossen wäre, wäre er sicher während der
Anstrengung der 40 Tage umgekommen, denn er war an
sich ein schwacher Mann, aber von Gott erhielt er
die Kraft, einen so langen Weg zu vollenden.
Da der Mensch von jedem Worte Gottes lebt,
ermahnen wir also den Bischof, ein Stück Brot zu
verzehren, d.h. Gott über alle Dinge zu lieben.
Dieses Brotstück wird er an seinem Kopfende
finden, d.h. weil seine Vernunft ihm sagt, dass er
seinen Gott über alles lieben soll, mehr als
alles andere, weil Gott ihn geschaffen und erlöst
hat, sowie auf Grund von Gottes langer Geduld und
Güte mit ihm.
Wir bitten ihn ja auch darum, etwas Wasser zu
trinken, d.h. im Innern die Bitterkeit von Christi
Pein zu bedenken. Denn wer vermag die Not von
Christi Menschlichkeit würdig zu bedenken, wie er
gelitten hat, als er bat, dass der Kelch des
Leidens ihm erspart bliebe, und als sein Schweiß
wie Blutstropfen zu Boden fiel? Soll der Bischof
also dieses Wasser zu dem Brot der Liebe trinken!
Dann soll er gestärkt werden, auf Jesu Christi
Weg zu wandeln. Wenn der Bischof nun, nachdem er
den Weg der Erlösung angetreten hat,
weiterwandern will, so ist es nützlich für ihn,
von der ersten Stunde am Tage an Gott von ganzem
Herzen zu danken, gewissenhaft an seine Werke zu
denken und Hilfe von Gott zu erbitten, seinen
Willen zu tun. Wenn er dann die Kleider angezogen
hat, soll er wie folgt beten: „Asche soll bei
Asche und Staub bei Staub sein.“ Aber nachdem
ich durch Gottes Vorsehung Bischof bin, bekleide
ich doch dich, meinen Leib, mit Kleidern, die von
Erde sind, nicht aus Hochmut oder um mich schön
zu machen, sondern um mich zu bedecken, damit
nicht meine Nacktheit zu sehen ist.
Ich kümmere mich nicht darum, ob meine Tracht
besser oder dürftiger ist; sie ist nur so, dass
das Bischofsgewand zu Gottes Ehre zu erkennen ist,
und die bischöfliche Autorität durch die Tracht
herausgestellt wird, zur Weisung und Erleuchtung
anderer Menschen. Daher bitte ich dich, mildester
Gott, dass du mir einen standhaften Sinn gibst, so
dass ich vom Wert der Asche und des Staubes hochmütig
werde oder töricht mit Farben des Staubes prunke.
Sondern verleihe mir Stärke, dass – wie die
Bischofstracht von anderen verschieden und auf
Grund von göttlicher Ermächtigung ehrenwerter
ist – dass die Tracht meiner Seele bei Gott
ebenso würdig erscheinen möge, und ich nicht zur
Strafe für unklugen und unwürdigen Gebrauch
meiner Vollmacht umso tiefer sinke oder zu meiner
Verdammnis meine Kleider umso schimpflicher
verliere, weil ich in eitler Weise eine ehrenwerte
Tracht getragen habe.“
Dann soll er die Hören lesen oder singen, denn
eine je höhere Würde ein Mensch erreicht hat,
eine umso größere Ehre soll er Gott erweisen.
Doch gefällt Gott ein reines Herz sowohl im
Schweigen als auch im Gesang, wenn der Mensch mit
anderen gerechten und nützlichen Arbeiten beschäftigt
ist. Nachdem er die Messe gelesen hat, mag der
Bischof sein Amt ausüben, und er soll genau
darauf achten, dass er sein Augenmerk nicht mehr
auf das Zeitliche als auf das Geistliche richtet.
Wenn er zu Tisch geht, soll er einen solchen
Gedenken haben: „O Herr Jesus Christus, der du
mir anbietest, diesen gebrechlichen Leib mit
leiblicher Speise zu erhalten, hilf mir, dass ich
meinen Körper wohl mit dem Notwendigen versehe,
aber dass sich das Fleisch nicht auf Grund von Überfluss
im Essen vermessen gegen die Seele auflehnt und
auf Grund unverständiger Enthaltsamkeit in deinem
Dienst erlahmt. Schenke mit eine passende Mäßigkeit,
so dass der Herr nicht zum Zorn über mein
Erdendasein gereizt wird.“
Wenn er bei Tisch sitzt, sei ihm eine maßvolle
Erquickung und ein Gespräch erlaubt, in dem
Leichtfertigkeit und Nichtigkeit vermieden werden
sollen. Und es soll kein solches Wort gesprochen
oder gehört werden, wodurch die Zuhörer zur Sünde
verlockt werden, sondern alles soll ehrbar sein
und der Seele zum Nutzen dienen. Denn so wie bei
einem irdischen Mahl alles geschmacklos ist, wo
Brot und Wein fehlen, so sind an einem bischöflichen
und geistlichen Tisch, wo gute Bildung und
Ermahnung fehlen, alle aufgetragenen Gerichte
geschmacklos für die Seele.
Und deshalb soll, damit man keine Gelegenheit zu
leerem Geschwätz erhalten soll, etwas bei Tisch
vorgelesen werden, wodurch die bei Tisch sitzenden
Gäste erbaut werden können. Wenn die Mahlzeit
beendet ist und man Gott für das Essen gedankt
hat, soll er wieder an seine Arbeit gehen oder Bücher
lesen, mit denen er seine Seele erquicken kann.
Nach dem Abendessen mag er sich mit den Freunden
seines Umgangs zerstreuen.
Aber wie eine Mutter, wenn sie ihr Kind entwöhnen
will, die Brust mit Asche oder etwas anderem
Bitteren bestreicht, bis das Kind sich von der
Muttermilch entwöhnt hat und sich an festere
Speise gewöhnt, so sollte der Bischof seine
Freunde und Diener mit solchen Worten zu Gott hin
lenken, aus denen sie lernen, Gott zu fürchten
und zu lieben, so dass er durch die ihm von Gott
verliehene Autorität ihr Vater und durch
geistliche Erziehung ihre Mutter sein kann.
Und wenn er weiß, dass einer von seinen
Hausangestellten bis zum Tod der Seele sündigt,
und dieser sich auch nach erfolgter Ermahnung
nicht bessert, soll er den entlassen. Denn er wird
von seiner Sünde ja nicht unbefleckt, wenn er ihn
aus zeitlichem Nutzen oder Bequemlichkeit behält.
Wenn er zu Bett geht, sollte er gewissenhaft die
Werke des vergangenen Tages und seine Stimmungen
prüfen und denken: O Gott, der du meinen Leib und
meine Seele geschaffen hast, schau in deiner
Barmherzigkeit auf mich und schenk mir deine
Gnade, so dass ich nicht durch übermäßig langes
Schlafen deinen Dienst versäume, und auch nicht
durch kurzen und unruhigen Schlaf in deinem Dienst
ermüde, und gib mir zu deiner Ehre den
angemessenen Schlaf, den du uns zur Erquickung des
Leibes verordnet hast, und schenke mir Kraft, so
dass mein Feind der Teufel mich nicht beunruhigt
oder mich von deiner Milde trennt.“
Wenn er aus dem Bett aufsteht, soll er sich mit
der Beichte reinigen, falls sich das Fleisch
einige Versäumnisse hat zu Schulden kommen
lassen, so dass nicht der Schlaf der nächsten
Nacht mit den Sünden der vergangenen begonnen
wird.“
|
2.
Kapitel |
Christus setzt den
„Bischofsspiegel“ fort. Er warnt den
Bischof vor Versuchungen zu einem bequemen und
genussreichen Leben.
Weiter
spricht Gottes Mutter: ”Sage dem Bischof,
wenn er den genannten Weg einschlägt, werden
ihm drei Schwierigkeiten begegnen: Erstens,
dass der Weg schmal ist, zweitens, dass es
stechende Dornen darauf gibt, drittens, dass
der Weg steinig und uneben ist. Gegen diese
drei Dinge will ich dir drei Ratschläge
geben. Der erste ist, dass der Bischof sich in
festere und sinnvoll genähte Gewänder für
den schmalen Weg kleidet. Der zweite ist, dass
er vor seinen Augen zehn Finger haben soll,
durch die er wie durch ein Gitter sehen soll,
so dass er nicht von den Dornen gestochen
wird. Der dritte ist, dass er seine Füße
vorsichtig setzt und bei jedem Schritt prüfen
soll, ob der hingesetzte Fuß seinen festen
Halt hat, so dass er nicht übereilt beide Füße
auf einmal setzen soll, sofern er sich nicht
vorher von der Beschaffenheit des Weges überzeugt
hat.
Was bedeutet der schmale Weg anders, als die
Bosheit verkehrter Menschen gegen die
Gerechten, solche Menschen, die rechtschaffene
Taten verspotten, die Wege der Gerechten und
richtige Ermahnungen verdrehen und alles
gering achten, was Demut und Milde heißt?
Gegen solche Menschen soll der Bischof sich
mit den Gewändern der Geduld und
Standhaftigkeit bekleiden, denn Geduld macht
das Schwere angenehm und bewirkt, dass man
zugefügte Schmähungen froh erträgt.
Und was bedeuten die Dornen, wenn nicht die
Widrigkeiten der Welt? Gegen diese soll er die
Finger der zehn Gebote Gottes und Gottes
Ratschläge benutzen, so dass er, wenn die
Dornen der Widrigkeit und Armut stechen, an
Christi Leiden und seine Armut denken soll.
Aber wenn der Dorn des Zornes und des Neides
sticht, dann soll er Gottes Liebe betrachten,
die er uns angeboten hat, zu bewahren. Die
wahre Liebe sucht nämlich nicht das ihre,
sondern stellt sich ganz in den Dienst für
Gottes Ehre und zum Nutzen des Nächsten.
Und dass er vorsichtig sein soll, wenn er die
Füße setzt, das bedeutet, dass er überall
verständige Furcht hegen sollte. Denn ein
guter Mensch muss gleichsam zwei Füße haben:
Der erste ist die Sehnsucht nach dem Ewigen,
und der zweite Widerwille gegen die Welt. Aber
die Sehnsucht nach dem Ewigen muss mit
Klugheit vereint sein, so dass er das Ewige
nicht nur für sich selbst ersehnt, als sei er
dessen würdig, sondern legt all sein
Verlangen, seinen Willen und seine Hoffnung
auf Belohnung in Gottes Hände.
Der Widerwille gegen die Welt muss vereint
sein mit Vorsicht und Furcht, so dass dieser
Widerwille nicht auf den Widrigkeiten der Welt
und der Unzufriedenheit mit dem Leben beruht,
und nicht darauf, dass er mehr Ruhe in diesem
zeitlichen Leben haben und von der für andere
so nützlichen Arbeit befreit werden will,
sondern nur auf der Abscheu vor der Sünde und
auf der Sehnsucht nach dem ewigen Leben.
Wenn er diese Schwierigkeiten auf dem Wege überwunden
hat, will ich den Bischof ferner vor drei
Feinden warnen, die auf seinem Wege sind. Der
erste Feind versucht, dem Bischof ins Ohr zu
zischen, um sein Gehör zu verstopfen. Der
andere steht vor ihm, um ihm in die Augen zu
stechen. Der dritte ist vor seinen Füßen,
ruft laut und hat eine Schlinge zur Hand, um
seine Füße einzuschnüren, wenn er sie vom
Boden hebt.
Der erste Feind sind die Menschen, oder die
Eingebungen, die versuchen, den Bischof vom
rechten Wege fortzuziehen, indem sie sagen:
„Warum belastest du dich mit so viel Arbeit,
und warum fährst du auf einem so schmalen
Weg? Weiche doch lieber ab und schlage den Weg
ein, an dessen Rändern Blumen wachsen, auf
dem so viele Menschen wandern. Was rührt es
dich, wie der oder die leben? Warum willst du
die zurechtweisen und verärgern, von denen du
geehrt und geliebt werden könntest? Wenn sie
dir und den Deinen nichts antun, was brauchst
du dich dann darum zu kümmern, wenn sie Gott
erzürnen, oder wie sie leben?
Wenn du selber gut bist, mag es genug sein;
was ist es deine Sache, über andere zu
urteilen? Mach lieber Geschenke und nimm
solche entgegen und nutze die Freundschaft der
Menschen, so dass du während deines Lebens
gepriesen und gut genannt wirst. Der andere
Feind will dich blenden, wie die Philister
Simson. Dieser Feind ist die Schönheit und
Besitz der Welt, Luxus an Kleidern und anderen
prachtvollen Dingen, Gunst und Ehre bei den
Menschen. Denn wenn solche Dinge sich anbieten
und die Augen entzücken, erblindet der
Verstand, erlischt die Liebe zu Gottes
Geboten, wird frei und mutwillig Sünde
begangen und die Sünde leicht vergessen,
nachdem sie begangen ist.
Deshalb soll der Bischof sich begnügen, wenn
er das Notwendige maßvoll besitzt. Nun halten
es nämlich viele, viele für bequemer, mit
Simson an der Mühle der Lust zu stehen, als
die Kirche nach der lobenswerten Ordnung des
Hirtenamtes zu lieben. Der dritte Feind ruft
laut, hat eine Schlinge in der Hand uns sagt:
Warum gehst du so vorsichtig und mit gesenktem
Haupt? Warum demütigst du dich selbst so
sehr, wenn du von so vielen geehrt werden könntest
und müsstest? Sei lieber Priester aus dem
Grunde, dass du unter den Ersten sitzen
kannst; sei Bischof aus dem Grunde, dass du
von so vielen wie möglich geehrt wirst! Gehe
auf größere Würden zu, dass du mehr bedient
wirst und mehr Ruhe genießen kannst! Sammle
Reichtümer, mit denen du anderen helfen
kannst, so dass du von ihnen getröstet werden
und überall früh sein kannst!“
Wenn nun die Seele solchen Begierden und
Eingebungen ausgesetzt ist, so erhebt sich
gleich das Verlangen wie mit dem Fuß eines bösen
Begehrens nach irdischer Lust, wodurch sie
derart von der Schlinge weltlicher Sorge
eingeschürt wird, dass sie sich kaum dazu
aufraffen kann, ihr Elend und die ewigen
Belohnungen oder Strafen zu betrachten. Und
das ist nicht verwunderlich, denn die Schrift
sagt: Wer ein Bischofsamt begehrt, begehrt ein
gutes Werk zu Gottes Ehre. Jetzt dagegen
streben die meisten nach Ehre und scheuen die
Arbeit, in der die ewige Gesundheit der Seele
liegt. Aus diesem Grunde soll der Bischof in
der Stellung bleiben, die er hat, und nicht
nach einer höheren trachten, ehe es Gott gefällt,
ihn mit einer solchen zu bekleiden.“
|
3.
Kapitel |
Der Bischofsspiegel
endet mit einer Ermahnung, die notwendigen
Zurechtweisungen nicht zu versäumen und soweit
wie möglich selbst die Leitung in die Hand zu
nehmen, mit dem Versprechen einer himmlischen
Belohnung. – Man kann mit Recht annehmen, dass
Bischöfe wie Birger Gregersson von Uppsala,
Nikolaus Hermansson von Linköping und Hemming
von Åbo diesen Bischofsspiegel als Richtschnur
für ihr Leben und ihre Wirksamkeit benutzt
haben.
Die Mutter
Gottes sagte: ”Ich will dem Bischof darlegen,
was er für Gott tun soll, und was Gottes Ehre
ist. Jeder Bischof soll die Bischofsmitra in
seinen Armen gut verwahren, sie nicht für Geld
verkaufen, sie nicht anderen aus irdischer
Freundschaft überlassen und nicht aus Nachlässigkeit
oder Gleichgültigkeit verlieren.
Was bedeutet die Bischofsmitra anderes, als die
bischöfliche Würde und Macht, nämlich
Priester zu weihen und die Salbung vorzunehmen,
den Irrenden Zurechtzubringen und die Säumigen
durch sein Beispiel zu ermuntern? Und dass er
die Mitra wohl verwahrt in den Armen halten
soll, das bedeutet, dass er fleißig bedenken
soll, auf welche Weise und welche Bischofsmacht
er empfangen hat, wie er sie verwaltet hat,
welche Frucht sie bringen könnte, und was ihr
Ende sein könnte.
Wenn der Bischof nun bedenken will, auf welche
Weise er die Macht empfangen hat, soll er erst
darüber nachdenken, ob er das Bischofsamt nur für
sich selbst oder um Gottes Willen begehrt hat.
Wenn es nur für sich selber war, denn war sein
Begehren ohne Zweifel menschlich. Aber wenn es
um Gottes willen war, d.h. um Gott Ehre zu
machen, dann war sein Begehren verdienstvoll und
geistlich.
Wenn der Bischof dann bedenkt, wozu er das
Bischofsamt empfangen hat, so soll er sich
erinnern, dass es gewiss dafür war, dass er der
Vater der Armen sowie Tröster der Seelen und
ihr Mittler sein soll, denn das Eigentum des
Bischofs ist das der Seelen, und wenn es zu
keinem Nutzen verzehrt und töricht
verschleudert wird, werden diese Seelen nach
Rache über den ungerechten Verwalter rufen.
Welche Frucht der Bischofswürde das sein soll,
will ich dir sagen. Sie ist, wie Paulus sagt,
doppelt, nämlich leiblich und geistlich. Sie
ist körperlich, weil er auf Erden Gottes
Stellvertreter ist und deshalb, um Gottes Ehre
willen, von den Menschen auch wie Gott geehrt
wird. Im Himmel wird sie auf Grund der
Verherrlichung des Leibes und der Seele körperlich
und geistlich sein, denn da wird der Diener beim
Herrn sein – sowohl des bischöflichen Wandels
wegen, den er auf Erden führte, als auch der
beispielhaften Demut wegen, mit der er andere
zur Ehre neben sich gerufen hat.
Aber jeder, der die bischöfliche Tracht und Würde
trägt, aber den bischöflichen Lebenswandel
scheut, der soll sich doppelt schämen. Dass die
Bischofsmacht nicht verkauft werden darf, das
bedeutet, dass der Bischof nicht bewusst
simonitisch sein darf, sein Amt nicht wegen Geld
oder Menschengunst ausübt und nicht auf Bitten
der Menschen solchen Menschen zu Ämtern
verhelfen soll, von denen er weiß, dass deren
Leben schlecht ist.
Dass die Mitra anderen nicht aus Freundschaft überlassen
werden darf, das bedeutet, dass der Bischof
nicht die Sünden der Säumigen übersehen und
sie nicht ungestraft lassen darf, die er
zurechtweisen kann und muss, dass er die Sünden
seiner Freunde nicht um irdischer Freundschaft
willen verschweigen darf und auch die Sünden
seiner Untergebenen sich selber auf den Rücken
laden darf, denn der Bischof ist Gottes Wächter.
Dass der Bischof die Mitra nicht aus Versehen
verlieren darf, das bedeutet, dass der Bischof
nicht anderen überlassen soll, was er selbst zu
tun verpflichtet ist, und was er selbst in einer
mehr fruchtbaren Weise tun kann, und dass er
nicht aus körperlicher Bequemlichkeit das
anderen überlassen soll, was er selbst in
besserer Weise erledigen kann, denn zum
Bischofsamt gehört nicht Ruhe, sondern Arbeit.
Der Bischof soll auch nicht unkundig über das
Leben und die Sitten derer sein, denen er die Ämter
anvertraut, die zu besetzen ihm zukommen,
sondern er soll wissen und untersuchen, wie sie
die Gerechtigkeit beobachten, und ob sie ihre Ämter
mit Klugheit und nicht mit Gewinnsucht
verwalten.
Ferner will ich, dass du wissen sollst, dass der
Bischof, da er das Amt eines Schafhirten
innehat, eine Blütendolde in seinen Armen hat,
eine solche, deren Wohlgeruch von nah und fern
die Schafe lockt, froh dorthin zu springen.
Diese Blütendolde bezeichnet die göttliche
Verkündigung, die auszuüben Pflicht des
Bischofs ist. Die beiden Arme, auf denen er die
Blütendolde der göttlichen Verkündigung hält,
sind die für den einen Bischof notwendigen
Handlungen, nämlich die guten Taten in der Öffentlichkeit
und die guten Taten im Verborgenen. Die sollen
bewirken, dass die Schafe, die ihm in seinem
Bischofsbereich nahe stehen, Gott im Bischof
verherrlichen, wenn sie die Liebe des Bischofs
in seinen Taten sehen und sie in seinen Worten hören,
und die Schafe, die fern sind, sollen das
Verlangen spüren, dem Bischof nachzufolgen,
wenn sie sein Lob hören.
Denn das ist doch die schönste Blütendolde:
Sich der Wahrheit und Gottes Demut nicht zu schämen,
das Gute zu lehren und das, was man lehrt, auch
selbst zu tun, in Ehren demütig zu sein, und
fromm bei Verschmähungen. Wenn der Bischof
diesen Weg vollendet hat und bis ans Tor gelangt
ist, ist es notwendig für ihn, etwas in Händen
zu haben, was er dem höchsten König darreichen
kann. Daher soll er ein für ihn kostbares Gefäß
in Händen haben, und dies soll er dem höchsten
König leer darbieten. Dieses leere Gefäß, das
angeboten werden soll, ist sein Herz, und damit
es leer von aller Wollust und allem Trachten
nach vergänglichem Lob sei, soll er Tag und
Nacht arbeiten.
Wenn ein solcher Bischof in das Reich der
Herrlichkeit geleitet werden wird, wird Jesus
Christus, wahrer Gott und Mensch, ihm mit seiner
ganzen Heerschar von Heiligen entgegeneilen, und
dann wird er die Engel sagen hören: „Unser
Gott, unsere Freude und all unser Gut! Dieser
Bischof war rein im Fleisch und wacker in seinem
Tun; es ziemt sich daher für uns, ihn zu dir zu
führen, denn er hat sich täglich nach unserer
Gesellschaft gesehnt. Erfülle daher sein
Verlangen und vermehre unsere Freude durch seine
Ankunft!“
Dann werden auch die anderen Heiligen sagen:
„Gott, unsere Freude ist von dir und in dir,
und wir brauche auch nichts anderes. Doch unsere
Freude wird dadurch erweckt, dass die Seele
dieses Bischofs Freude empfindet, er, der sich
nach dir sehne, als er lebte. Er trug ja die
lieblichsten Blüten in seinem Munde, durch die
er unsere Anzahl erhöht hat[1], und in seinem
Wirken, durch das er die erquickte, die nah und
ferne wohnten. Gönne ihm daher, sich mit uns zu
freuen, und freue auch du dich über ihn, denn
du sehntest dich ja so sehr nach ihm, dass du um
seinetwillen sterben wolltest.“ Zuletzt wird
der Ehrenkönig zu ihm sagen: „Mein Freund, du
bist gekommen, um mir das Gefäß deines Herzens
zu übergeben, leer von dir selbst und deinem
eigenen Willen; ich will dich deshalb mit meiner
Freude und meiner Ehre erfüllen. Meine Freude
soll auch deine sein, und deine Ehre will ich
niemals enden lassen.“
[1]. D.h. durch seine
blumenreiche Predigt gewann er Seelen für Gott. |
4.
Kapitel |
Maria schildert, wie
ein pflichttreuer Domherr und ein
pflichtvergessener Bischof gelebt haben, und
welche Vergeltung sie nach ihrem Tode im
Himmel empfangen haben. In ihrem Buch
„Birgitta och hennes uppenbarelser“ hat
Toni Schmid diese Personen mit Bischof Bo und
dem Domherrn Nikolaus in Växjö identifiziert
(S. 50-53).
Gottes
Mutter sprach mit diesen Worten zur Braut des
Sohnes: ”Du weinst darüber, dass Gottes
Liebe zum Menschen sehr groß ist, aber die
Liebe der Menschen zu Gott dagegen so klein.
Ja, so ist es sicher. Denn wer ist der Herr
oder Bischof, der nicht ein größeres
Verlangen danach hat, die Herrschaft, Ehre von
der Welt und Reichtümer zu gewinnen, als den
Armen mit dem Werk seiner eigenen Hände
beizustehen? Und deshalb sollen, da die Herren
und die Bischöfe nicht zum Hochzeitsfest
kommen wollen, das für alle im Himmel
bereitet ist, stattdessen die Armen und
Kranken kommen, wie ich dir mit einem
Gleichnis zeigen will.
Es wohnte in einer Stadt ein weiser,
stattlicher und reicher Bischof. Er wurde
wegen seiner Schönheit und Weisheit gerühmt,
aber er dankte Gott nicht, wie er sollte, der
ihm diese Weisheit geschenkt hatte. Er wurde
auch wegen seiner Reichtümer gepriesen und
geehrt, und deshalb machte er viele Geschenke,
um weltliche Gunst zu gewinnen. Er wollte auch
noch viele Dinge haben, um noch großzügiger
Gaben schenken zu können und noch mehr geehrt
zu werden.
Dieser Bischof hatte in seinem Stift einen
gelehrten Kleriker, der bei sich dachte:
„Dieser Bischof liebt Gott weniger, als er
sollte. Sein ganzes Leben ist auf weltliche
Dinge gerichtet. Daher würde ich, wenn es
Gott gefällt, gern sein Bischofsamt haben, um
dadurch Gott zu ehren. Ich begehre das nicht
um der Welt willen, denn die Ehre der Welt ist
nichts anderes als Luft, auch nicht wegen der
Reichtümer, denn die sind schwer wie die
schwerste Bürde, auch nicht aus körperlicher
Bequemlichkeit oder zu meinem eigenen Nutzen,
denn es steht mir nur zu, eine vernünftige
Ruhe zu haben, so dass der Leib vermag, in
Gottes Dienst zu stehen – nein, ich begehre
das nur um Gottes Willen.
Und wenn ich auch höchst unwürdig bin,
irgendeine Ehre zu besitzen, würde ich doch
gern die Last des Bischofsamtes übernehmen,
um desto mehr Seelen für Gott zu gewinnen,
desto mehr mit meinem Wort und meinem Beispiel
zu gewinnen, und desto mehr durch die Besitztümer
der Kirche zu unterstützen. Denn Gott weiß,
dass ein schwerer Tod und eine bittere Pein
mir lieber zu ertragen wäre, als das
Bischofsamt. Ich kenne ja die Pein ebenso wie
andere, aber der, der das Bischofsamt begehrt,
begehrt doch ein gutes Werk.
Deshalb begehre ich gern die Ehre eines
Bischofs und die Bürde seines Amtes, aber
ebenso, wie ich den Tod herbeisehne. Nach Ehre
strebe ich, um dadurch Viele erlösen zu können,
und die Bürde erstrebe ich zu meiner eigenen
Erlösung und aus Liebe zu Gott und den
Seelen, und nur damit ich die Mittel der
Kirche freigebiger unter den Armen verteilen
kann, die Seelen freier unterweisen kann, die
Irrenden mit größerer Zuversicht anleiten
kann, meinen Leib vollkommener kasteien und
mich selbst gewissenhafter beherrschen kann,
zu Beispiel für andere.“
Dieser Domherr tadelte seinen Bischof klug und
heimlich. Der Bischof wurde jedoch über die
Worte verärgert, tadelte den Domherrn unklug
und öffentlich und prahlte damit, zu allem zu
taugen und maßvoll zu sein.
Der Domherr weinte über die Übertretungen
des Bischofs und ertrug geduldig seine Vorwürfe,
aber der Bischof verhöhnte das liebevolle
Verhalten und die Geduld des Domherrn und
sprach so schlecht über ihn, dass der Domherr
getadelt wurde und für närrisch und lügnerisch
angesehen wurde, aber der Bischof für
gerecht, klug und umsichtig.
So ging es eine Zeitlang. Der Bischof und der
Domherr starben und wurden vor Gottes
Richterstuhl gerufen. Vor Gottes Augen und im
Beisein der Engel war ein goldener Thron
aufgestellt, und vor dem Thron lagen eine
Mitra und ein vollständiges Ornat für einen
Bischof. Viele Teufel folgten dem Domherrn und
wollten gern eine Todsünde bei ihm finden,
aber beim Bischof waren sie so sicher, wie der
Fisch bei seinen Jungen, die er lebend unter
den stürmischen Wogen in seinem Bauch
verbirgt.
Viele Klagen wurden gegen den Bischof
vorgebracht, nämlich warum und mit welcher
Absicht er das Bischofsamt angenommen habe,
warum er hochmütig über das Gute der Seelen
gewesen sei, wie er die Seelen, die ihm
anvertraut waren, geleitet habe, und wie er
Gott für die Gnade belohnt habe, die er ihm
erwiesen hatte.
Als der Bischof nichts Rechtes auf die Klagen
antworten konnte, sagte der Richter: „Man
soll Dreck anstatt der Mitra auf das Haupt
setzen, Teer auf seine Hände streichen statt
Handschuhe, Schmutz auf seine Füße anstatt
Schuhe, und die Lumpen einer Dirne statt eines
Hemds und des bischöflichen Leinengewandes.
Anstelle von Ehre soll er Schande empfangen,
und die wilde Schar der Teufel soll seine
zahlreiche Dienerschaft werden.“
Dann setzte der Richter hinzu: „Auf das
Haupt des Domherrn soll eine Krone, strahlend
wie die Sonne, gesetzt werden, an seine Hände
vergoldete Handschuhe, an seine Füße Schuhe,
und über seine Kleider soll er in allen Ehren
mit dem Bischofsornat bekleidet werden.“ Und
als man ihn mit dem Bischofsornat bekleidet
hatte, wurde er gleich von der ganzen
himmlischen Heerschar ehrenvoll als ein
Bischof vor den Richter geführt. Aber der
Bischof wurde weggeführt wie ein Dieb, mit
einem Strick um den Hals, und der Richter
wandte seine Augen der Barmherzigkeit von ihm
ab, und dasselbe taten alle Heiligen.
Sieh, wie viel für ihren guten Willen auf
geistliche Weise die Würde erhalten, die von
denen verachtet wird, die leiblich dazu
berufen sind! All dies geschah in einem
Augenblick vor Gott, aber deinetwegen ist es
in Worten dargestellt. Vor Gott sind ja
tausend Jahre wie eine Stunde.
Täglich geschieht es, dass Gott, weil Bischöfe
und Herren nicht das Amt verwalten wollen, zu
dem sie berufen sind, sich arme Priester und Küster
erwählt, die nach bestem Gewissen leben und
zu Gottes Ehre gern die Seelen gewinnen würden,
wenn sie könnten, und soviel wie möglich tun
würden – und dafür die Plätze einnehmen
werden, die für die Bischöfe bereitet waren.
Gott ist nämlich so wie der, der eine
Goldkrone vor seiner Haustür aufhängt und
denen, die vorbeigehen, zuruft: „Ein jeder,
von welchem Stande er auch sein mag, kann
diese Krone erwerben, und wer am schönsten
mit Tugenden bekleidet ist, der wird sie
gewinnen.“
Du sollst auch wissen, dass – wenn die Bischöfe
und Herren nach den Erfordernissen irdischer
Weisheit weise sind – Gott doch weiser ist
als sie, und dies auch auf geistliche Weise,
und er erhöht die Demütigen und billigt
nicht die Hochmütigen. Du sollst aber auch
wissen, dass dieser gepriesene Domherr nicht
etwa selbst sein Pferd striegelte, wenn er
fahren sollte, um zu predigen oder zu seiner
Arbeit, und nicht selbst das Essen
zubereitete, wenn er essen wollte, sondern er
hatte Dienstleute und das Notwendige für
einen vernünftigen Unterhalt, und er hatte
auch Gelder – aber nicht, um eine
Gewinnsucht zu fördern. Denn auch wenn ihm
alle Besitztümer der Welt zugefallen wären,
hätte er keinen Pfennig ausgegeben, um den
Bischofstitel zu gewinnen. Er hätte auch
nicht für die ganze Welt auf das Bischofsamt
verzichtet, wenn es Gott gefallen hätte, es
ihm zu geben, sondern er richtete seinen
ganzen Willen auf Gott, bereit, zu Gottes Ehre
selbst geehrt zu werden, und für seine Liebe
zu Gott und seine Gottesfurcht erniedrigt zu
werden.“
|
Offenbarungen,
gegeben in Milano 1349
5.
Kapitel |
Der heilige
Ambrosius[1], früher Bischof von Milano,
spricht zu Birgitta bei ihrem kurzen Besuch im
Spätherbst 1349 und deutet auf den
Machtmissbrauch der kirchlichen und weltlichen
Regenten hin.
Es ist
geschrieben, dass Gottes Freunde riefen, indem
sie Gott baten, den Vorhang des Himmels zu
zerreißen und herabzusteigen, um sein Volk
Israel zu befreien. In gleicher Weise haben auch
Gottes Freunde in diesen Zeiten gerufen, indem
sie sagten: „Mildester Gott, wir sehen eine
unzählige Volksmasse in gefährlichen Stürmen
umkommen, weil Steuerleute gewinnsüchtig sind
und stets in die Länder segeln wollen, wo sie
meinen, größeren Gewinn holen zu können. Sie
steuern sich selber und das Volk dahin, wo die
Wogen am schlimmsten toben; Das Volk weiß
nicht, wo der sichere Hafen liegt, und deshalb
kommt eine unzählige Volksmasse kläglich um,
und nur sehr wenige erreichen den sicheren
Hafen. Darum bitten wir dich, König aller
Ehren, dass du geruhst, ein Licht über dem
Hafen anzustecken, so dass das Volk seinen
Gefahren entkommen kann, aufhört, den bösen
Befehlshabern zu gehorchen, und mit deinem
gesegneten Licht in den rechten Hafen geleitet
werden kann.“
Unter diesen Steuermännern verstehe ich all
die, die hier auf Erden weltliche oder
geistliche Macht haben. Denn die meisten von
ihnen lieben ihren eigenen Willen so sehr, dass
sie nicht darauf achten, was für ihre eigenen
Seelen und die ihrer Untertanen nützlich ist.
Sie stürzen sich freiwillig in die wildesten Stürme
der Welt, nämlich in die des Hochmuts, der
Gewinnsucht und der Unreinheit; Die Masse ahmt
ihre elenden Taten nach, indem sie glauben,
dadurch den rechten Weg einzuhalten, und so
vernichten diese Steuermänner sich selbst und
ihre Untergebenen, indem sie alles befolgen, was
deren Wille begehrt.
Und unter dem Hafen verstehe ich den Eingang zur
Wahrheit. Die ist jetzt für viele so
verdunkelt, dass wenn jemand den Weg zum Hafen
des himmlischen Vaterlandes zeigt, der das
allerheiligste Evangelium Christi ist, da sagen
sie, dass er lüge, und sie folgen lieber den
Taten derer, die sich lieber in allerlei Sünden
wälzen, als dass sie den Worten derer glauben,
die die Wahrheit des Evangeliums verkünden.
Unter dem Licht, das Gottes Freunde begehrten,
verstehe ich eine göttliche Offenbarung, die in
dieser Welt geschehen wird, auf dass Gottes
Liebe im Herzen der Menschen erneuert wird, und
seine Gerechtigkeit nicht vergessen wird. Und
deshalb hat es Gott um seiner Barmherzigkeit und
um der Bitten seiner Freunde willen gefallen,
dich im Heiligen Geist zu rufen, dass du auf
geistliche Weise siehst, hörst und verstehst,
auf dass du nach Gottes Willen anderen
offenbaren sollst, was du im Geist gehört
hast.“
|
6.
Kapitel |
St. Ambrosius tadelt
in scharfen Worten Giovanni Visconti, den
derzeitigen Erzbischof in Milano[2], für
dessen verweltlichtes Leben und droht ihm mit
Gottes gerechter Strafe.
Ich bin
Bischof Ambrosius, der ich mich dir offenbare
und in einem Gleichnis mit dir rede, da dein
Herz den Inhalt geistlicher Dinge nicht ohne
ein weltliches Gleichnis fassen kann. Es war
einmal ein Mann, der eine rechtmäßig
getraute Frau besaß, die sehr schön und klug
war. Aber das Dienstmädchen gefiel ihm mehr
als die Ehefrau, und aus diesem Anlass trafen
drei Dinge ein. Das erste war, dass ihn die
Worte und Gebärden des Dienstmädchens mehr
freuten, als die seiner Frau. Das zweite war,
dass er die Dienstmagd in die feinsten Kleider
kleidete und sich nicht darum kümmerte, dass
seine Frau zerlumpt ging und in einfache
Lumpen gekleidet war. Das dritte war, dass er
neun Stunden bei der Dienstmagd und nur die
zehnte bei seiner Frau verbrachte.
Denn die erste Stunde wachte er bei der
Dienstmagd und freute sich, auf ihre Schönheit
zu sehen. Die zweite Stunde schlief er in
ihren Armen. Die dritte Stunde nahm er freudig
körperliche Mühen zugunsten der Dienstmagd
auf sich. Die vierte Stunde genoss er nach der
Ermüdung des Körpers körperliche Ruhe bei
ihr. Die fünfte Stunde hatte er Unruhe und
Sorge um ihr Wohl im Sinn. Die sechste Stunde
genoss er bei ihr Sinnesruhe, denn er sah sich
von seiner Sorge um sie vollkommen ausgefüllt.
Die siebente Stunde fuhr der Brand des
fleischlichen Verlangens in ihn. Die achte
Stunde befriedigte er das Verlangen seiner
Lust mit ihr. Die neunte Stunde unterließ er
es, ein paar Dinge zu tun, die er doch gern hätte
tun wollen. Die zehnte Stunde tat er schließlich
ein paar Dinge, die er aber nicht gern tun
wollte. Und so blieb er nur eine einzige
Stunde bei seiner Frau.
Aber einer der Freunde seiner Frau kam zum
Ehebrecher, tadelte ihn streng und sagte:
„Wende die Liebe deines Sinnes deiner
ehelichen Gemahlin zu, liebe sie und kleide
sie, wie es sich gehört, und bleibe neun
Stunden bei ihr, und nur die zehnte bei der
Dienstmagd; sonst sollst du wissen, dass du
den schlimmsten Tod erleiden wirst.“
Unter diesem Ehebrecher verstehe ich einen
Vorsteher der Kirche, der ein bischöfliches
Amt hat, aber ein Hurenleben führt. In der
Tat, er ist durch ein geistliches Band so
vereint mit der heiligen Kirche, dass sie
seine liebste Braut sein sollte, aber doch
wandte er seine Liebe von ihr ab und liebte
die Dienstmagd – die Welt – viel mehr als
die Herrscherin, die Braut, die doch so schön
ist.
Und deshalb tut er drei Dinge. Das erste ist,
dass er sich mehr über die schmeichlerische
Huldigung der Welt freut, als über das
tugendhafte Benehmen der heiligen Kirche. Das
zweite ist, dass er allen Prunk liebt, den die
Welt zu bieten hat, sich aber wenig um den
Mangel kümmert, an dem der Punk der Kirche
geistlich und weltlich leidet. Das dritte ist,
dass er neun Stunden der Welt widmet, aber nur
die zehnte der heiligen Kirche. Denn die erste
Stunde wacht er fröhlich bei der Welt und
betrachtet wollüstig ihre Schönheit. Die
zweite Stunde schläft er süß in den Armen
der Welt, nämlich im Schutze hoher Mauern und
bewaffneter Wächter, und er hofft dadurch glücklich
die Sicherheit seines Leibes zu bewahren.
Die dritte Stunde erträgt er fröhlich körperliche
Mühen, um weltliche Vorteile zu gewinnen, so
dass er sich dadurch körperlich mit der Welt
amüsieren kann. Die vierte Stunde lässt er
gern seinen Körper nach seiner Mühe ruhen,
denn er hat schon reichlich von dem bekommen,
was ihm behagt. Die fünfte Stunde hat er in
vielfacher Weise Unruhe in seinem Sinn, denn
er will so scheinen, als ob er weise für
weltliche Dinge sorgen würde.
Die sechste Stunde genießt er ausgiebig die
Sinnesruhe, denn er sieht, dass seine Fürsorge
weltlichen Menschen allgemein gefällt. Die
siebente Stunde hört und sieht er die
Lustbarkeiten und stellt seinen Willen gern
darauf ein, so dass sein Herz dadurch von
einem ungeduldigen und unleidigen Brand
entflammt wird. Die achte Stunde führt er das
aus, was er vorher so heiß ersehnt hatte. Die
neunte Stunde unterlässt er es der Welt
zuliebe und zu keinem Nutzen, manche Dinge zu
tun, die ihm an sich lieb sind, damit es nicht
so aussieht, dass er die kränkt, die er
irdisch lieb hat.
Die zehnte Stunde führt er ein paar gute
Taten aus, aber nicht mit Freuden, sondern aus
Furcht, dass er einen schlechten und verächtlichen
Ruf erhält und schlecht beurteilt wird, wenn
er es aus irgendeinem Grund ganz unterlässt,
sie zu tun. Nur diese zehnte Stunde pflegt er
der heiligen Kirche zu widmen. Das Gute, das
er tut, tut er nicht aus Liebe, sondern aus
Furcht, weil er die Pein des Höllenfeuers fürchtet.
Und wenn es ihm möglich wäre, ewig auf der
Welt mit gesundem Körper und Überfluss an
weltlichen Dingen zu leben, würde er sich um
den Verlust der himmlischen Glückseligkeit
nicht kümmern.
Deshalb sage und versichere ich, und beteuere
es bei Gott, der ohne Anfang und ohne
irgendein Ende bleiben wird, dass – wenn er
nicht schleunigst wieder der heiligen Kirche
zuwendet und die neun Stunden bei ihr, aber
die zehnte bei der Dienstmagd, d.h. der Welt,
zubringt, so wird er einen ebenso schweren
geistlichen Schlag in seiner Seele erhalten,
wie die Person (um in einem weltlichen
Gleichnis zu sprechen) erhält, die so gefährlich
auf den Scheitel geschlagen wurde, dass sich
alles Fleisch im Körper bis hinab zur Sohle
auflöste, die Adern und die Sehnen barsten,
die Beine entzweigebrochen und das Mark erbärmlich
aus allen Ecken herausdrang. Und ebenso schwer
wie das Herz des Körpers gepeinigt wurde,
wird die elende Seele, die dem Schlag des göttlichen
Gerichts am nächsten ist, in der bittersten
Weise gepeinigt werden, da das Gewissen sich
unleidlich verletzt sieht und überall
gepeinigt wird.“
|
7.
Kapitel |
|
Die Jungfrau Maria rühmt
Ambrosius und stimmt in seine Klage über Giovanni
Visconti ein.
Die Schrift
sagt, dass der, der seine Seele auf dieser Welt
liebt, sie verlieren wird. Dieser Bischof liebte
seine Seele mit seiner ganzen Lust, und geistliche
Lust gibt es in seinem Herzen nicht. Deshalb kann
er sehr gut mit einem Blasebalg verglichen werden,
der voller Luftzug an der Esse ist. Denn wie der
Luftzug noch im Blasebalg vorhanden ist, nachdem
die Kohlen verglüht sind und das glühende Metall
rinnt, so bleibt doch diese Lust bei ihm, wie der
Luftzug im Blasebalg, und er achtet nicht darauf,
dass er seiner Natur alles gibt, was sie begehrt,
und dass er unnütz seine Zeit verschwendet. Denn
sein Wille ist voller Hochmut und weltlichem
Verlangen, und dadurch gibt er denen, deren Herz
verhärtet ist, Gelegenheit und Beispiel, zu sündigen,
so dass sie in Sünden verzehrt werden und wie
geschmolzenes Metall hinunter in die Hölle
rinnen.
So war dieser gute Bischof Ambrosius nicht
beschaffen. Sein Herz war in Wahrheit voll von göttlichem
Willen. Seine Ernährung und sein Schlaf waren
verständig; er blies alles Verlangen nach Sünde
fort und verbrachte seine Zeit auf nützliche und
ehrenwerte Weise. Er kann mit Recht ein Blasebalg
der Tugenden genannt werden, denn er heilte die
Wunden der Sünde mit Worten der Wahrheit, er entzündete
die kalten Menschen mit dem Beispiel seiner guten
Taten zu göttlicher Liebe, und die, die vor
Verlangen nach Sünde brannten, wurden durch sein
reines Leben abgekühlt. So half er vielen, dass
sie nicht in den Tod der Hölle eingingen, denn
das göttliche Verlangen blieb bei ihm, solange er
lebte.
Und dieser schlechte Bischof ist wie eine
Schnecke, die in demselben Schmutz liegt, in dem
sie geboren ist, und die den Kopf zu Boden
richtet. So liegt dieser Mann in der Unreinheit
der Sünde und vergnügt sich darin, und seine
Seele wird zum Weltlichen gezogen, nicht zum
Ewigen. An drei Dinge erinnere ich ihn. Erstens
daran, wie er das Priesteramt verwaltet hat.
Zweitens daran, was dieses Wort im Evangelium
bedeutet: „Sie sind äußerlich wie Schafe, aber
innerlich wie reißende Wölfe.“ Drittens, warum
sein Herz so warm für das Zeitliche ist, aber so
kalt für den Schöpfer aller Dinge.“
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Offenbarungen,
gegeben in Schweden 1344-49
8.
Kapitel |
Jungfrau Maria warnt
einen nicht genannten Magister, nach
weltlicher Ehre und Gunst zu streben.
Die
Mutter spricht: ”Ich bin die, die von
Ewigkeit in Gottes Liebe war, und der Heilige
Geist war von meiner Kindheit an in
vollkommener Weise bei mir. Und wie du ein
Beispiel von der Nuss nehmen kannst, deren
Schale wächst und sich nach außen ausweitet,
so wie die Nuss sich innen ausweitet und wächst,
so dass die Nuss immer voll ist und sich
nichts Leeres in ihr findet, das in der Lage wäre,
von etwas ausgefüllt zu werden, das von außen
kommen – so war auch ich von Jugend an voll
vom Heiligen Geist, und nach dem Wachsen
meines Körpers und Alters erfüllte der
Heilige Geist mich ganz und gar und in so überreichem
Maße, dass er nichts Leeres in mir ließ, so
dass irgendeine Sünde darin eindringen könnte.
Und so bin ich die, die niemals eine Sünde
begangen hat, sei sie verzeihlich oder tödlich.
Ich war gewiss so brennend in der Liebe zu
Gott, dass mir nichts anderes gefiel, als
Gottes Willen zu erfüllen. Das Feuer der göttlichen
Liebe brannte nämlich in meinem Herzen.
Gesegnet sei Gott über alles, der mich mit
seiner Macht geschaffen hat, der mich mit der
Kraft des Heiligen Geistes erfüllte und eine
brennende Liebe zu mir hegte.
Aus dieser Glut seiner Liebe heraus sandte er
seinen Boten zu mir und ließ mich seinen
Willen verstehen, nämlich dass ich Gottes
Mutter werden sollte. Und als ich dies erfuhr,
dass dies Gottes Wille war, so ging gleich aus
der Glut der Liebe, die ich in meinem Herzen für
Gott hegte, das Wort wahren Gehorsams aus
meinem Mund, womit ich dem Boten antwortete:
„Mir geschehe nach deinem Wort.“ Und im
selben Augenblick wurde das Wort in mir
Fleisch, und Gottes Sohn wurde mein Sohn, und
so hatten wir zusammen einen Sohn, der
zugleich Gott und Mensch ist, so wie ich
Mutter und Jungfrau bin.
Als dieser mein Sohn, der der weiseste Mann
und wahrer Gott ist, Jesus Christus, in meinem
Mutterleib ruhte, erhielt ich von ihm eine so
große Weisheit, dass ich nicht nur die
Weisheit der Lehrer verstehen konnte, sondern
auch in ihr Herz blicken und beurteilen kann,
wie weit ihre Worte aus göttlicher Liebe oder
nur aus Bücherweisheit hervorgehen.
Verkünde du, die diese Worte hört, also dem
Magister, dass ich ihn nach drei Dingen fragen
werde. Als erstes, wie weit er wünscht,
lieber die weltliche Gunst und Freundschaft
des Bischofs zu besitzen, als seine Seele
geistlich vor Gott zu stellen. Zweitens, wie
weit er sich in seiner Seele freuen kann,
allein viele Goldstücke zu besitzen, als
garkeine. Drittens: Was ihm von diesen beiden
Dingen mehr zu gefallen scheint: Magister
genannt zu werden und unter den Ersten und
meistgeehrten Herren um weltlicher Ehre willen
zu sitzen, oder ein gewöhnlicher schlichter
Bruder genannt zu werden und unter den Letzten
zu sitzen.
Denn wenn er den Bischof mehr weltlich als
geistlich liebt, so folgt daraus, dass er ihm
lieber sagt, was er gern hört, als dass er
ihm all das Sündige verbietet, was ihn zu tun
gelüstet. Und wenn er sich mehr über den
Besitz vieler Goldmünzen freut als über
garkeine, so liebt er Reichtümer mehr als
Armut und scheint seinen Freunden auch zu
raten, dass sie lieber all das behalten
sollen, was sie erwerben können, als es
aufzugeben, was sie sehr gut entbehren könnten.
Aber wenn er sich über den Magistertitel um
weltlicher Ehre willen freut, und um unter den
Gelehrten zu sitzen, so liebt er ja den
Hochmut mehr als die Demut, und deshalb
scheint er für Gott mehr wie ein Esel, als
ein Magister zu sein. Denn er kaut dann leere
Strohhalme, was mit Büchergelehrsamkeit ohne
Liebe zu vergleichen ist, und ihm fehlt dann
der beste Weizen, der mit der Liebe zu
vergleichen ist. Die göttliche Liebe kann ja
nie in einem hochmütigen Herzen Fuß
fassen.“
Als sich der Magister dann entschuldigt und
gesagt hatte, dass er lieber die Seele des
Bischofs geistlich vor Gott stellen wolle,
dass er am meisten froh sein würde, keine
Goldmünzen zu besitzen, und dass er sich
drittens nichts aus dem Magistertitel mache,
erwiderte die Mutter wieder: „Ich bin die,
welche die Wahrheit aus Gabriels Munde hörte
und ihnen ohne Zweifel glaubte, und daher nahm
die Wahrheit auch Fleisch und Blut aus meinem
Körper an und blieb in mir. Ich gebar aus mir
dieselbe Wahrheit, die Gott und Mensch aus
sich selber ist. Und da die Wahrheit, die
Gottes Sohn ist, zu mir kommen, in mir wohnen
und von mir geboren werden wollte, so verstehe
ich vollkommen, wie weit im Mund der Menschen
Wahrheit ist, oder nicht.
Ich fragte den Magister nach drei Dingen, und
ich hätte auch gefunden, dass er mir gut
geantwortet hat, ob in seinen Worten Wahrheit
steckte. Aber da das nicht der Fall war, will
ich ihn vor drei anderen Dingen warnen. Das
erste ist, dass es manche Dinge gibt, die er körperlich
liebt und begehrt, und die wird er keinesfalls
bekommen. Das zweite ist, dass er das, was er
jetzt mit weltlicher Freude besitzt, bald
verlieren wird. Das dritte ist, dass die
Kleinen ins Himmelreich eingehen werden, aber
die Großen draußen bleiben, da die Pforte
eng ist.“
|
9.
Kapitel |
Maria
die Möglichkeit für kluge Menschen, Gefahren
und der Unvorsichtigkeit unkluger zu entgehen.
Die
Mutter spricht: ”Wenn auch der Blinde nichts
sieht, sondern kopfüber in die Grube fällt,
scheint trotzdem die Sonne im Glanze und der
Schönheit ihrer Klarheit, und wenn die
Menschen, die des Weges kommen und klares
Sehvermögen haben, diesen Glanz sehen, wünschen
sie sich Glück und weichen den Gefahren auf
ihrem Wege aus. Und wenn der Taube auch nicht
hört, stürzt doch die Lawine mit ihrem
gewaltigen Lärm gefährlich aus der Höhe über
ihm herab, während der, der hören kann, auf
sicherere Plätze flüchtet.
Und obwohl der Tote keinen Geschmack empfinden
kann, sondern unter den Würmern verwest, behält
das gute Getränk doch seinen süßen
Geschmack, über den sich der Lebende, der ihn
schmeckt, in seinem Herzen freut und Mut
fasst, sich an mannhafte Taten zu wagen.“
|
Offenbarungen,
gegeben 1350 in Rom
10.
Kapitel |
|
Maria macht den in
Avignon wohnenden Legaten des Papstes auf den
Verfall aufmerksam, der unter der Priesterschaft
in Rom zur Zeit des Jubeljahres 1350 herrscht.
Die Mutter
sagt: ”Fürchte dich nicht vor dem, was du nun
sehen wirst, und glaube nicht, dass es von einem bösen
Geist kommt. Denn so wie zwei Dinge kommen, wenn
die Sonne aufgeht, nämlich Licht und Wärme, die
nicht auf den dunklen Schatten folgen, so kommen
bei der Ankunft des Heiligen Geistes im Herzen
zwei Dinge, nämlich das Feuer der göttlichen
Liebe und das vollkommene Licht des heiligen
Glaubens. Diese beiden Dinge spürst du ja
gelegentlich. Keins von ihnen kann auf den Teufel
folgen, der mit einem dunklen Schatten zu
vergleichen ist. Sende deshalb meine Botschaft zu
dem, den ich dir nannte. Wenn ich auch sein Herz
und seine Antwort und den flinken Hintern seines
Leibes kenne, sollst du ihm trotzdem folgende
Worte senden.[1]
Ich will ihn darauf aufmerksam machen, dass auf
der rechten Seite das Gebäude der heiligen Kirche
so zerfallen ist, dass das höchste Gewölbe viele
Risse bekommen hat, die Anlass zu so gefährlichen
Einstürzen geben, dass viele, die darunter gehen,
ihr Leben verlieren. Manche von diesen Pfeilern,
die sich in die Höhe erheben sollten, beugen sich
jetzt hinunter zur Erde, und der ganze Boden ist
so voller Löcher, dass die Blinden, die
eintreten, gefährlich fallen, ja es passiert
zuweilen, dass sogar die, die klar sehen können,
zusammen mit den Blinden wegen der gefährlichen Löcher
in diesem Boden schwer hinstürzen. Deshalb ist
Gottes Kirche in einer sehr gefährlichen Lage.
Und was steht ihr, wenn sie sich in einem solchen
Zustand befindet, anders als Untergang bevor? Ich
versichere dir, dass - wenn sie keine Hilfe zum
Wiederaufbau erhält, ihr Fall so groß sein wird,
dass es in der ganzen Christenheit widerhallt.
Ich bin die Jungfrau, in deren Mutterleib Gottes
Sohn gewürdigt wurde, Platz zu nehmen, wobei
jedoch die ansteckende Lust des Körpers völlig
fehlte. Und dieser Sohn Gottes wurde aus meinem
verschlossenen Schoß zur größten Erquickung für
mich und ohne Schmerzen geboren.
Ich stand dann an seinem Kreuz, als er mit wahrer
Demut das Totenreich besiegte und den Himmel mit
seinem Herzblut öffnete. Ich war auch mit auf dem
Berg, als derselbe Gottessohn, der auch mein Sohn
ist, zum Himmel auffuhr. Ich kenne den ganzen
katholischen Glauben sehr gut, den er verkündigte
und alle die lehrte, die ins Himmelreich eingehen
wollen.
Ich stehe nun über der Welt mit meinem
eindringlichen Gebet, wie der Regenbogen sich über
den Wolken des Himmels herab zur Erde senkt und
sie mit seinen beiden Enden erreicht. Mit dem
Regenbogen meine ich mich selbst. Denn ich senke
mich auf die Bewohner der Erde herab und rühre
die Guten und die Bösen mit meinem Gebet an. Ich
beuge mich zu den Guten herab, damit sie beständig
dabei bleiben, das zu tun, was die heilige Kirche
gebietet, und zu den Bösen, dass sie nicht mit
ihrer Bosheit fortfahren und noch schlimmer
werden.
Ihm, den ich dir genannt habe, teile ich mit, dass
von einem Ende der Erde dunkle, schreckliche
Wolken aufziehen, um die Klarheit des Regenbogens
zu verdunkeln. Mit diesen Wolken meine ich solche,
die in ihrem Fleisch ein unzüchtiges Leben führen
und in ihrer Geldgier unersättlich und ohne Boden
wie die Tiefe des Meeres sind, und die ihre Güter
in unverständiger und verschwenderischer Weise
aus weltlicher Hoffart weggeben, wie der reißende
Strom sein Wasser ausgießt.
Diese drei Sünden werden jetzt von vielen
Vorstehern der Kirche begangen, und sie steigen
frech und abscheulich hinauf zum Himmel vor Gottes
Angesicht und verdunkeln mein Gebet, wie die
dunklen Wolken den klaren Regenbogen. Und die, die
stattdessen Gott zusammen mit mir besänftigen
sollten, erwecken also Gottes Zorn gegen sich
selber. Solche Menschen dürften in Gottes Kirche
nicht in höhere Ämter gelangen.
Wer also daran arbeiten will, dass das Fundament
der Kirche fest steht, und der wünscht, den
gesegneten Weinberg wieder herzustellen, den Gott
selbst mit seinem Blut begründet hat, aber hält
sich für zu schwach zu diesem Werk, so will ich,
die Himmelskönigin, ihm mit allen Engelscharen zu
Hilfe kommen, um die angegriffenen Wurzeln
auszureißen und die unfruchtbaren Bäume ins
Feuer zu werfen, um zu verbrennen, und an ihrer
Stelle frische und fruchtbringende Schösslinge zu
pflanzen. Mit dem Weinberg meine ich Gottes
Kirche, in der Demut und Liebe zu Gott erneuert
werden müssen.“
|
Zusatz |
Gottes
Sohn sagt über den Nuntius des Papstes: Ihr seid
zu einer Versammlung von großen Männern
gekommen, und ihr sollt zu etwas noch Höherem
aufsteigen. Daher ist der überaus verdienstreich,
der daran arbeitet, dass die Demut erhöht werde,
denn der Hochmut ist schon viel zu hoch gestiegen.
Große Ehre wird auch der erfahren, der Liebe zu
den Seelen hat, denn Ehrgeiz und Simonie herrschen
jetzt bei so vielen, so vielen.
Selig wird auch der genannt werden, der nach
seinem Vermögen daran arbeitet, dass die Laster
aus der Welt ausgerottet werden, denn die üben
jetzt eine größere Herrschaft aus, als gewöhnlich.
Es ist auch in hohem Maße nützlich, Geduld zu
haben und darum zu beten, denn viele, die jetzt
leben, werden erleben müssen, dass die Sonne sich
in zwei Teile teilt, dass die Sterne zuschanzen
werden, dass die Weisheit in Torheit verwandelt
wird, dass die Demütigen auf Erden Tränen vergießen
und die Übermütigen an die Macht kommen. Dies zu
verstehen und zu deuten, kommt den Weisen zu, die
das Unebene eben zu machen wissen und die Zukunft
voraussehen können. Obige Offenbarung wurde dem
Kardinal von Albano zugestellt, der damals
Priester war.
[1]. Wahrscheinlich
Kardinal Annibaldo Ceccano, der von Clemens VI. während
des Jubeljahres 1350 als Legat nach Rom gesandt
wurde.
|
11.
Kapitel |
Johannes der Täufer
tadelt den vom Papst entsandten Legaten,
Kardinal Annibaldo Ceccario, wegen seines
prunkhaften Lebens. Der Zusatz deutet auf den
unseligen Tod hin, der ihn nach seiner Abreise
aus Rom ereilte.
Die Braut
(Birgitta) sprach demütig im Gebet zu
Christus und sagte: ”O mein Herr Jesus
Christus, ich glaube so fest an dich, dass
auch wenn eine Schlange vor meinem Munde läge,
würde sie nicht hineinkommen, wenn du es
nicht zu meinen Gunsten erlauben würdest!“
Johannes der Täufer sagte: Er, der sich dir
zeigt, ist natürlich Gottes Sohn, von dem der
Vater in meinem Beisein Zeugnis ablegte und
sagte: „Dies ist mein Sohn.“ Er ist der,
von dem der Heilige Geist ausging, der sich in
Gestalt einer Taube über ihm zeigte, während
ich taufte. Er ist der wahre Sohn der Jungfrau
nach dem Fleisch, und ich berührte seinen
Leib mit meinen Händen. Glaube daher fest an
ihn und geh auf seinem Weg vorwärts, denn er
ist der, der den rechten Weg zum Himmel
zeigte, auf dem Arm und Reich zum Himmel
kommen können.
Aber jetzt kannst du fragen, wie der Reiche
beschaffen sein soll, um in den Himmel
einzugehen, wenn Gott selbst gesagt hat, es
sei leichter für ein Kamel, durch ein Nadelöhr
zu gehen, als dass ein Reicher zum Himmel
gelangt. Darauf antworte ich dir: Der Reiche,
der so beschaffen ist, dass er fürchtet, dass
etwas bei ihm zu unrecht erworben ist, der
Sorge hat, dass seine Besitztümer nicht unnütz
oder gegen Gott ausgegeben und verbraucht
werden, der irdischen Besitz und Ehre gegen
seinen Willen hat, der sich gern von ihnen
trennen würde, der betrübt ist, wenn Seelen
zu Schaden kommen und Gott verunehrt wird, und
der – wenn er auch durch Gottes Anordnung in
gewissem Ausmaß gezwungen ist, weltliche
Dinge zu besitzen, aber doch mit ganzem Fleiß
darüber wacht, dass man Gott lieb behält –
ein solcher Reicher bringt Frucht und ist
selig, reich und Gott lieb.
Aber so ist dieser reiche Bischof nicht; er
ist stattdessen wie ein Affe, der vier
Kennzeichen hat. Das erste ist, dass ihm
Kleider hergestellt werden, die bis zu seinem
Unterteil reichen und die oberen Teile
bedecken, während seine Schamteile ganz nackt
zu sehen sind. Sein zweites Kennzeichen ist,
dass er mit seinen Fingern übel riechende
Dinge anfasst und sie in seinen Mund führt.
Das dritte ist, dass er ein menschliches
Gesicht hat, aber die Farbe und der übrige Körper
der eines Tieres ist. Das vierte ist, dass –
obwohl er Hände und Füße hat, trampelt doch
mit Fingern und Händen im Schmutz herum.
Ja, dieser Bischof ist töricht, wie ein Affe,
neugierig auf die Nichtigkeiten der Welt und
in verdrehter Weise von lobenswerten Taten
abgewandt, denn er hat Gewänder, d.h. die
Bischofsweihen, die vor Gott sehr ehrenwert
und kostbar sind, und doch sehen seine
Schamteile nackt aus, denn seine
leichtfertigen Sitten und fleischlichen
Begierden werden von den Menschen gesehen und
erregen das Verderben der Seelen.
Dagegen sagt der berühmte Ritter, dass die
Schamteile der Menschen mit größerem Anstand
umgeben sein sollen, und meint damit, dass die
tierischen Triebe der Kleriker unter guten
Taten verborgen sein müssen, so dass die
Schwachen sich kein schlechtes Beispiel daran
nehmen. Der Affe fasst auch stinkende Sachen
an und riecht daran. Was tut der Finger
anders, als auf eine beschädigte Sache
hinzuweisen, so wie ich, als ich Gott in
Menschengestalt sah, mit dem Finger auf ihn
wies und sagte: „Sieh Gottes Lamm!“
Was sind die Finger des Bischofs anderes, als
seine lobenswerten Sitten, mit denen er
anderen Gottes Gerechtigkeit und Gottes Liebe
zeigen sollte? Aber nun zeigt er mit seinen
Werken, dass er reich, hochgeboren, weise in
weltlichen Dingen und freizügig mit Geldern
ist. Was ist das alles, wenn nicht dies
gleichsam die Finger in übel riechende Sachen
zu stecken? Denn sich des Fleisches und der
vielen Hausangestellten zu rühmen, was ist
das anderes, als sich wegen aufgeblasener Säcke
zu rühmen?
Der Affe hat, wie gesagt, auch ein
menschliches Gesicht, während seine übrige
Gestalt tierisch ist. So ist die Seele dieses
Bischofs mit Gottes Zeichen versehen, aber
entstellt durch seine eigene Gewinnsucht.
Viertens: Wie der Affe mit Füßen und Händen
den Schmutz berührt, und darin herumtrampelt,
so trachtet dieser mit seiner Begierde und
seinem Tun nach irdischen Dingen, wendet sein
Gesicht vom Himmlischen ab und beugt sich vor
dem Irdischen wie ein vergessliches Tier. Kann
ein solcher Mensch Gottes Zorn mildern?
Keineswegs – eher erweckt er Gottes
gerechten Zorn gegen sich.“
|
Zusatz |
Diese
Offenbarung handelt von einem Kardinallegaten
während des Jubeljahres. Gottes Sohn spricht:
„O du übermütiger Rechenkünstler, wo ist
nun dein Staat, die Pracht deiner Pferde? Du
wolltest nicht verstehen, während du Ehre
genossen hast, deshalb bist du jetzt verunehrt!
Antworte nun, obwohl ich alles weiß, auf das,
was ich frage, so dass diese neue Braut es hört!“
Und gleich zeigte sich etwas wie ein
schlotternder und nackter Mensch, seltsam
missgestaltet. Der Richter sagte zu ihm: „O
Seele, du hast doch gelehrt, die Welt und ihre
Reichtümer zu verachten – warum bist du
ihnen dann gefolgt?“ Die Seele erwiderte:
„Weil mir der ekelhafteste Gestank
angenehmer war, als dein überaus lieblicher
Wohlgeruch.“ Und nachdem er das gesagt
hatte, goss ein Neger einen Bottich mit
Schwefel und Gift über ihn aus.
Weiter sagte der Richter: „O Seele, du warst
eingesetzt, ein Leuchter für die Völker zu
sein. Warum hast du nicht mit deinem Wort und
Beispiel geleuchtet?“ Die Seele gab zur
Antwort: „Weil deine Liebe aus meinem Herzen
ausgetilgt war. Ich ging wie ein Mensch ohne
Gedächtnis und wie ein umherirrender Mann,
der das Nahe liegende betrachtet und nicht auf
das Zukünftige achtet.“
Nachdem sie das gesagt hatte, wurde die Seele
ihres Augenlichts beraubt. Und ein Neger, den
man neben ihr stehen sah, sagte: „O Richter,
diese Seele gehört mir; was soll ich tun?“
Der Richter entgegnete: „Reinige sie und
setze sie gleichsam unter Druck bis die
Ratsversammlung kommt, wo erörtert werden
soll, was die Abordnung ihrer Freunde und
Feinde vorzubringen hat.“ |
Offenbarungen,
die teils in Schweden 1344-49, teils in
Italien in den Jahren nach 1360 erfolgten.
12.
Kapitel |
Jungfrau Maria und
St. Agnes[3] geben durch Birgitta Ratschläge
und Ermahnungen an Bischof Thomas in Växjö,
der später Birgitta in Rom aufsuchte, sowie
an Bischof Peter Tyrgilsson von Linköping.
Ein paar Zusätze berichten Episoden von
Bischof Thomas´ und Birgittas Zusammensein in
Italien.
Die Braut
sagte: ”O mein Herr, ich weiß, dass niemand
zum Himmel eingeht, wenn der Vater ihn nicht
zieht. Zieh deshalb, mildester Vater, diesen
kranken Bischof zu dir, und du, Gottes Sohn,
gib deinen Beistand dazu, und du, Heiliger
Geist, erfülle diesen kalten und entblößten
Bischof deiner Liebe.“
Der Vater antwortete: „Wenn der, der zieht,
stark ist, aber die Sache, die gezogen wird,
allzu schwer ist, so wird die Arbeit sehr viel
schneller zerstört und lahm gelegt. Wenn der,
der gezogen wird, gebunden ist, kann er weder
sich selber helfen, noch der Ziehende. Wenn er
unrein ist, ist er verabscheuenswürdig, um
gezogen und berührt zu werden. Dieser Bischof
ist beschaffen wie der, der an einer
Wegegabelung steht und überlegt bei sich
selbst, welchen Weg er einschlagen soll.“
Die Braut erwiderte: „O mein Herr, steht
nicht geschrieben, dass niemand stetig in
diesem Leben steht, sondern entweder zu dem
hinweicht, was besser ist, oder zu dem, was
schlechter ist?“
Der Vater entgegnete: „Beides von dem kann
gesagt werden, denn er steht zwischen zwei
Wegen, nämlich dem der Freude und dem des
Schmerzes. Er wird beunruhigt von Angst vor
der ewigen Strafe und will die himmlische
Freude gewinnen, und doch scheint es ihm
schwer, den Weg vollkommen zu wandern, der zur
Freude führt. Er geht jedoch, wenn er ihm
folgt, den Weg, zu dem er eine heißere
Sehnsucht hat.“
Weiter sprach die heilige Agnes: „Dieser
Bischof ist wie der beschaffen, der zwischen
zwei Wegen stand, von denen er wusste, dass
der eine anfangs schmal, aber am Ende
freudevoll sein wird, und der andere eine
Zeitlang vergnüglich ist, aber zuletzt in
eine bodenlose und qualvolle Tiefe führt. Als
der Reisende dastand und über diese Wege
nachdachte, empfand er es verlockend, den Weg
zu gehen, der im Anfang vergnüglich war, aber
er bebte doch vor der bodenlosen Tiefe, und so
bekam er folgenden Gedanken: „Es muss doch
irgendeine Richtung bei diesem vergnüglichen
Wege geben; wenn ich den finde, kann ich lange
sicher wandern, und wenn ich ans Ende und an
die Tiefe gelange, wird sie mir nichts Böses
antun, wenn ich nur den Richtweg finde. So
ging er sicher auf dem Weg, aber als er an den
Abgrund kam, stürzte er elend ab, denn er
fand den Richtweg nicht, wie er gedacht hatte.
Männer, die in dieser Weise denken, findet
man heute viele. Sie denken so: „Es ist mühsam,
den schmalen Weg zu gehen, und schwer ist es,
den Eigenwillen und die weltliche Ehre
aufzugeben. Daher geben sie sich einer
falschen und gefährlichen Hoffnung hin.
„Lang ist unser Leben,“ sagen sie,
„Gottes Erbarmen ist sehr groß, die Welt
ist lieblich und zur Belustigung geschaffen,
daher steht dem nichts im Wege, dass ich die
Welt eine Zeitlang gebrauche, wie ich will,
denn wenn mein Leben sich seinem Ende zuneigt,
dann will ich Gott folgen. Es gibt ja einen
Richtweg auf dieser Welt nämlich Reue und
Beichte; wenn ich den finde, werde ich erlöst.“
Ein solcher Gedanke, nämlich bis zum Ende sündigen
zu wollen und erst dann zu beichten, ist eine
sehr schwache Hoffnung, denn sie kennen nicht
das Wort (des Richters), bevor sie fallen, und
manchmal werden sie zu allerletzt von einer so
schweren Plage befallen, oder nehmen ein so
schnelles Ende, dass sie in keiner Weise mehr
eine fruchtbringende Reue finden können. Und
das mit Recht, denn sie wollten das kommende
Unheil nicht voraussehen, als sie es noch
konnten, denn sie setzten nach ihrem Gutdünken
und ihrem Bestimmen die Zeit für Gottes
Erbarmen fest, und sie dachten nicht daran,
mit der Sünde Schluss zu machen, ehe sie sie
nicht länger genießen konnten.
In ähnlicher Weise stand auch dieser Bischof
zwischen diesen beiden Wegen. Nun nähert er
sich aber dem angenehmeren Weg, dem Weg des
Fleisches, und er hat gleichsam drei Blätter
vor sich, die er durchliest. Das erste Blatt
liest er mit Behagen und liest es ständig.
Das zweite liest er manchmal, aber nicht im
Vergnügen. Das dritte Blatt liest er selten,
und dann mit Schmerz.
Das erste sind die Reichtümer und
Ehrenbezeugungen, mit denen er sich amüsiert.
Das zweite ist die Furcht vor der Hölle und
dem kommenden Gericht, was ihn plagt. Das
dritte ist die Liebe zu Gott und die Furcht
des Sohnes, die er selten empfindet. Denn wenn
er bedenken würde, was Gott für ihn getan
hat und was er ihm schuldig ist, würde die
Liebe zu Gott nie in seinem Herzen
erlischen.“
Die Braut antwortete: „Oh meine Frau, bitte
für ihn!“ Da sagte die hl. Agnes. „Was
macht die Gerechtigkeit anders, wenn sie nicht
richtet, und was tut die Barmherzigkeit, wenn
sie nicht ruft und lockt?“
Gottes Mutter sagte: „So kann man zum
Bischof[1] sagen: „Wenn Gott auch alles tun
kann, muss der Mensch doch selbst mitwirken,
dass man vor der Sünde flieht, und die göttliche
Liebe erhalten bleibt. Es gibt drei Dinge, die
den Menschen instand setzen, der Sünde zu
entfliehen, und drei Mittel, durch die er die
Liebe erreichen kann. Die drei Dinge, womit
man der Sünde ausweicht, sind vollkommene
Reue, der Vorsatz, die Sünde nicht mehr zu
begehen, sowie Besserung nach dem Rat derer,
bei denen man sieht, dass sie die Welt verschmäht
haben.
Die drei Dinge, die dazu beitragen, dass man
die Liebe gewinnt, sind Demut, Barmherzigkeit
und Arbeit im Dienst der Liebe. Denn man
braucht dazu nicht mehr, dass einer ein
einziges Paternoster mit der Absicht liest,
die Liebe zu erlangen, damit ihm die Wirkung
der Liebe schneller als sonst erreichen kann.
Was den anderen Bischof[2] betrifft, über den
ich früher mit dir gesprochen habe, will ich
zuletzt sagen, dass die Gräben ihm sehr breit
scheinen, um darüber zu springen, dass die
Mauern sehr hoch sind, um sie zu übersteigen,
und dass die Regeln sehr streng sind, um sie
zu brechen. Deshalb stehe ich auch und warte
auf ihn, aber er hat seinen Kopf drei Scharen
zugewandt, die er mit Vergnügen betrachtet.
Die erste Schar tanzt und singt; zu der sagt
er: „Es gefällt mir, euch zu hören; wartet
auf mich!
Die zweite steht und hält Ausschau; zu der
sagt er: „Es gefällt mir, zu sehen, was ihr
seht, denn das macht mir großes Vergnügen!“
Die dritte freut sich und ruht sich aus, und
er sucht mit ihr zusammen Ruhe und Ehre. Aber
auf der Welt zu tanzen und zu singen – was
ist das anderes, als von der einen zeitlichen
Freude zur anderen zu fahren, von dem einen
Ehrgeiz zum anderen?
Dazustehen und Ausschau zu halten – was ist
das anderes, als die Seele von der Betrachtung
des Göttlichen abzuwenden und an das Sammeln
und Ausgeben zeitlicher Dinge zu denken?
Auszuruhen – was ist das anderes, als die
Ruhe des Leibes zu haben?
Nun ist der Bischof auf einen hohen Berg
gestiegen, um diese drei Scharen zu
betrachten, und er kümmert sich nicht um die
Worte, die ich ihm gesandt habe, oder um
diesen Abschluss der Worte, nämlich, dass
wenn er sein Versprechen hält, werde ich auch
meines halten.“
Die Braut erwiderte: „O holdreichste Mutter,
geh nicht von ihm weg!“ Die Mutter sagte zu
ihr: „Ich werde nicht von ihm fortgehen, ehe
der Staub den Staub aufnimmt. Und wenn er die
Regeln bricht, will ich ihm wie eine Dienerin
begegnen und ihm wie einer Mutter helfen.“
Und sie setzte hinzu: „Tochter, du denkst
daran, welche Belohnung dieser Domherr in
Orleans erhalten hätte, wenn sein Bischof
sich bekehren würde. Ich antworte dir: Wie du
siehst, dass der Erdboden Kräuter und Blumen
von verschiedener Gestalt und verschiedenen
Arten hervorbringt, so hätten alle Menschen,
wenn sie von Anbeginn der Welt auf ihrem
vorgesehenen Platz stehen geblieben wären,
einen herrlichen Lohn empfangen. Denn jeder,
der in Gott lebt, geht von der einen Freude zu
anderen, nicht weil er Unlust mitbringt,
sondern weil das Vergnügen ständig wächst,
und die unaussprechliche Freude unaufhörlich
erneuert wird.“
|
Erklärung |
Dieser
Bischof war in Växjö. Als er in Rom war, war
er sehr beunruhigt und wollte heimkehren. Die
Braut (Birgitta) hörte da im Geist: „Sage
dem Bischof, dass sein Hier bleiben nützlicher
ist, als seine Eile, abzureisen. Die von
seinem Gefolge, die vorher abgereist waren,
sollen erst später kommen, als er. Wenn er
daher ins Vaterland zurückgekehrt ist, wird
er meine Worte bestätigt finden.“
Alles ging also in dieser Weise vor sich. Denn
als er heimkehrte, fand er den König gefangen
und das ganze Reich in Unordnung. Die Herren
im Gefolge, die vorausgefahren waren, wurden
unterwegs behindert und kamen erst viel später
an. „Wisse auch, dass die Frau, die im
Gefolge des Bischofs ist, gesund heimkehren
wird, aber sie wird nicht im Vaterlande
sterben.“ So ging es auch, denn sie kam noch
ein zweites Mal nach Rom und starb und wurde
dort begraben.[3] |
Zusatz |
Als
Frau Birgitta vom Berg Monte Gargano in die
Stadt Manfredonia im Reich Apulien kam, war
dieser Bischof in ihrem Gefolge, und da
geschah es, dass er vom Pferde stürzte und
sich so schwer verletzte, dass zwei Rippen
brachen. Als er am Morgen mit Frau Birgitta
nach Sankt Nikolaus in Bari reisen sollte,
rief er sie zu sich und sagte: „O meine
Frau, es ist sehr schwer für mich, hier ohne
euch zu bleiben. Und es ist für euch auch
sehr beschwerlich, meinetwegen hier zu
bleiben, besonders wegen dieser Friedensstörer.
Ich beschwöre euch um der Liebe Jesu Christi
Willen, dass ihr für mich zu Gott betet und
meine geplagte Seite berührt. Ich hoffe nämlich,
dass meine Schmerzen durch die Berührung
eurer Hand gelindert werden.“
Aus Mitleid in Tränen aufgelöst, sagte sie:
„O mein Herr, man hat eine unrichtige
Auffassung von mir, denn ich bin die größte
Sünderin in Gottes Augen. Aber wollen wir
alle zu Gott beten, so wird er euren Glauben
belohnen.“ Als sie sich nach verrichtetem
Gebet erhob, berührte sie die Seite des
Bischofs, und sagte: „Der Herr Jesus Christi
heile dich.“ Gleich verschwand der Schmerz,
der Bischof stand auf und folgte Frau Birgitta
auf dem ganzen Weg, bis sie nach Rom zurückgekehrt
war.
[1]. Bischof Thomas von
Växjö.
[2]. Bischof Petrus Tyrgilsson von Linköping;
vergl. die folgende Offenbarung.
[3]. Frau Kristina Sigmundsdotter, verheiratet
mit dem Adligen Ulf Åbjörnsson. Vgl. VI, 39. |
Offenbarungen,
gegeben in Schweden 1344-49
13.
Kapitel |
Maria ermahnt durch
Birgitta Peter Tyrgilsson, Bischof von Linköping
und später Erzbischof von Uppsala. Dieser
wird ermahnt, sich treu für die Erlösung der
Seelen einzusetzen, ohne eventuelle
Unannehmlichkeiten oder Widerstände zu fürchten.
Der Zusatz gehört in die Zeit nach 1366.
Gottes
Mutter spricht zur Braut des Sohnes und sagt:
”Dieser Bischof bittet mich in seiner Liebe.
Deshalb soll er das tun, was mir am
allerliebsten ist. Ich weiß von einem Schatz,
und wer ihn hat, wird niemals arm werden. Wer
ihn sieht, wird niemals Trübsal oder den Tod
kennen lernen, und wer ihn haben möchte, wird
das, was er begehrt, mit jubelnder Freude
bekommen.
Dieser Schatz ist in einer festen Burg hinter
vier Riegeln verwahrt. Außen an der Burg sind
hohe, dicke und große Mauern, und außerhalb
der Mauern sind zwei tiefe und breite Gräben.
Daher bitte ich ihn, dass er in einem einzigen
Sprung über beide Gräben springen soll, mit
einem einzigen Schritt über die Mauern
steigt, alle Riegel mit einem einzigen Schlage
zerbricht und mir so dieses kostbare Kleinod
bringt.
Was dies bedeutet, will ich dir sagen. Bei
euch wird dies ein Schatz genannt, was selten
in Gebrauch genommen und nur selten weggerückt
wird. Der Schatz, von dem ich spreche, ist das
Wort und die kostbaren Werke meines liebsten
Sohnes, die er vor und während seines Leidens
getan hat, sowie die erstaunlichen Taten, die
er tat, als das Wort in meinem Körper Fleisch
wurde, und die er jetzt noch tut, wenn das
Brot auf dem Altar täglich in der Kraft von
Gottes Wort dasselbe Fleisch wird. All dies
ist der kostbarste Schatz, und der ist jetzt
so vergessen, dass sich nur sehr wenige daran
erinnern und ihn zu ihrer Vervollkommnung
anwenden. Der Leib von Gottes ehrenreichem
Sohn ruht in einer befestigten Burg, nämlich
in der Kraft seiner Göttlichkeit. Denn so wie
eine Burg gegen Feinde Schützt, so schützt
die Macht der Gottheit meines Sohnes den Leib
seiner Menschlichkeit, dass kein Feind ihm
schaden kann.
Die vier Riegel sind vier Sünden, die von der
Teilnahme und der Güte der Kraft des Leibes
Christi ausgeschlossen sind. Der erste ist der
Hochmut und die Lust auf weltliche Ehre. Der
zweite ist die Lust auf weltliche Besitztümer.
Der dritte ist das schmähliche Begehren, den
Leib unmäßig mit Unzucht und Schwelgerei zu
füllen. Der vierte ist der Zorn, der Neid und
die Gleichgültigkeit für die eigene Erlösung.
Viele lieben diese vier und haben sie als
Gewohnheit, und daher sind sie weit von Gott
getrennt. Denn sie sehen und empfangen Gottes
Leib (im Abendmahl), aber ihre Seelen sind so
fern von Gott wie Diebe, die stehlen möchten,
aber an das begehrte Gut wegen der starken
Riegel nicht herankönnen. Deshalb sagte ich,
dass er die Riegel mit einem einzigen Schlag
zerbrechen sollte.
Der Schlag bedeutet der Eifer für die Seelen,
indem dieser Bischof sozusagen die Sünden mit
Taten der Gerechtigkeit und mit göttlicher
Liebe zerbrechen soll, so dass der Sünder,
wenn die Riegel seiner Laster zerbrochen sind,
an diesen kostbaren Schatz herankommen kann.
Und wenn er auch nicht alle Sünder zu
schlagen vermag, so soll er doch tun, was er
kann, und vor allem die Menschen züchtigen,
die ihm Untergeben sind. Dabei soll er nicht
Hoch oder Niedrig, Vettern oder Verwandte,
Freunde oder Feinde schonen.
So handelte der heilige Thomas von England[1],
der um seiner Gerechtigkeit willen viele
Verfolgungen ausstand und zum Schluss einen
gewaltsamen Tod erlitt, weil er nicht darauf
verzichtete, die Betreffenden mit dem
kirchlichen Recht zu schlagen, damit ihre
Seelen eine geringere Strafe leiden sollten.
Dem Leben dieses Mannes soll der Bischof
folgen, so dass alle, die ihn hören,
verstehen können, dass er sowohl seine
eigenen Sünden als auch die von anderen
hasst. Da soll ein solcher Schlag des göttlichen
Eifers hoch über allen Himmeln, bis hinauf zu
Gott und seinen Engeln gehört werden, dass
viele sich bekehren und bessern werden, indem
sie sagen: „Er hasst nicht uns, sondern
unsere Sünden; wollen wir uns also bekehren
und Gottes und seine Freude werden.“
Die drei Mauern, die die Burg umgeben, sind
drei Tugenden. Die erste besteht darin, das
aufzugeben, was amüsant für den Leib ist,
und Gottes Willen zu tun. Die zweite besteht
darin, um der Wahrheit und Gerechtigkeit
willen lieber Schmähungen und Schaden zu
erdulden, als weltliche Ehre und weltliches
Eigentum zu haben, aber die Wahrheit zu
verleugnen. Die dritte besteht darin, weder
das Leben noch seine Güter zur Erlösung
eines Christen zu schonen, wer immer es auch
sei.
Aber pass auf, was der Mensch jetzt tut. Er
meint, dass diese Mauern so hoch sind, dass er
sie auf keine Weise übersteigen kann. Deshalb
naht sich das Herz der Menschen diesem
ehrenreichen Leibe (Christi) nicht beharrlich,
und auch nicht ihre Seelen, denn die sind fern
von Gott. Deshalb bat ich meinen Freund, dass
er mit einem einzigen Schritt über die Mauern
steigen sollte.
Ihr nennt das einen Schritt machen, wenn man
die Füße weit voneinander setzt, um den Körper
schnell vorwärts zu bringen. So ist es auch
mit einem geistlichen Schritt. Wenn der Leib
auf der Erde, aber die Liebe des Herzens im
Himmel ist, da werden diese drei Mauern überstiegen,
denn dann gefällt es dem Menschen in der
Betrachtung des Himmlischen, seinen eigenen
Willen aufzugeben, Widerstand und Verfolgung
um der Gerechtigkeit willen zu erdulden und
sogar für Gottes Ehre willig zu sterben.
Die beiden Gräben außerhalb der Mauern sind
die Schönheit und die Nähe der Welt sowie
das Vergnügen durch weltlich gesinnte
Freunde. In diesen Gräben halten sich viele
sehr gern auf und kümmern sich nie darum,
Gott im Himmel sehen zu dürfen. Die Gräben
sind breit und tief; breit, weil das Wollen
solcher Menschen weit von Gott entfernt ist;
tief, weil sie viele in der Tiefe der Hölle
festhalten. Deshalb müssen diese Gräben mit
einem einzigen Sprunge übersprungen werden.
Was beinhaltet die geistliche Hoffnung
anderes, als sein ganzes Herz von dem zu
trennen, was nichtig ist, und vom Irdischen
ins Himmelreich „zu springen“?
Sieh, nun habe ich dir gezeigt, wie die Riegel
zerbrochen und die Mauern überstiegen werden;
Jetzt will ich zeigen, wie der Bischof mir
dieses kostbare Ding, was es je gegeben hat,
überreichen soll. Die Gottheit war und ist
von Ewigkeit und ohne Anfang, denn man kann
weder einen Anfang noch ein Ende darin finden.
Die Menschengestalt dagegen war in meinem Leib
und nahm Fleisch und Blut von mir an. Daher
ist die Menschengestalt (Christi) das
Kostbarste, was je gewesen ist und ist.
Wenn daher die Seele des Gerechten mit Liebe
Gottes Menschengestalt in sich aufnimmt, und
Gottes Leib die Seele erfüllt, so ist da das
kostbarste, was es je gegeben hat. Denn obwohl
die Gottheit drei Personen ohne Anfang und
ohne Ende in sich birgt, nahm der Sohn doch
seinen gesegneten Leib von mir an, als ihn der
Vater mit der Göttlichkeit und dem Heiligen
Geist zu mir sandte.
Aber jetzt will ich demselben Bischof zeigen,
wie er dem Herrn diese kostbarste Sache überbringen
soll. Wo immer Gottes Freund einen Sünder
findet, in dessen Worten sich nur eine geringe
Liebe zu Gott und eine große Liebe zur Welt
findet, da ist die Seele leer von Gott, und
deshalb sollte Gottes Freund Liebe zu Gott
haben und betrübt darüber sein, dass die
Seele, die doch mit dem Blut des Schöpfers
erlöst ist, kein Freund Gottes ist, und er
sollte sich über die elende Seele erbarmen
und gleichsam zwei Stimmen haben, mit denen er
Gott bittet, sich über die Seele zu erbarmen,
und eine andere, mit der er der Seele ihre
Gefahr zeigt.
Wenn er diese beiden, Gott und die Seele
vereinen, und sie zu einem machen kann, dann
überbringt er mit seinen liebevollen Händen
Gott die größte Kostbarkeit. Denn wenn
Gottes Leib, der in mir war, und die Seele des
Menschen, die von Gott geschaffen ist, in der
Einheit der Freundschaft zusammenkommen, so
ist dies das, was mir am allerliebsten ist.
Und das ist nicht verwunderlich, denn ich war
zugegen, als mein Sohn, dieser ehrenvolle
Ritter, aus Jerusalem hinausging, um den Kampf
zu kämpfen, der so hart und schwer war, dass
sich alle Sehnen in seinen Armen dehnten, sein
Rücken blau und blutig wurde, seine Füße
von Nägeln durchbohrt wurden, seine Augen und
Ohren mit Blut gefüllt wurden, sein Hals
niedergebeugt wurde, als er den Geist aufgab,
und sein Herz von der Lanzenspitze durchbohrt
wurde. So gewann er die Seelen mit dieser großen
Pein, und nun thront er in Herrlichkeit und
steckt seine Arme nach den Menschen aus, aber
es gibt sehr wenige, die ihm die Braut
bringen.[2] Daher sollte Gottes Freund nicht
das Leben oder seine Güter behalten, sondern
anderen seine Hilfe reichen und sie meinem
Sohn überbringen.
Sag demselben Bischof ferner, dass – wenn er
mich zu seinem lieben Freund heben will, so
will ich ihm meine Treue schenken und mich mit
ihm durch ein einziges Band verbinden. Gottes
Leib, der in mir war, soll nämlich seine
Seele mit großer Liebe in sich aufnehmen, so
dass, wie der Vater mit dem Sohne in mir war,
der meinen Leib und meine Seele in sich barg,
und wie der Heilige Geist, der im Vater und im
Sohne ist, immer mit mir war und auch meinen
Sohn in sich hatte – so soll auch mein
Diener durch denselben Geist gebunden sein.
Denn wenn er Gottes Pein liebt und seinen Leib
zutiefst im Herzen hat, dann soll er auch
Christi Männlichkeit besitzen, die er die
Gottheit in sich und nach außen hat, und Gott
wird in ihm sein und er in Gott, so wie Gott
in mir ist, und ich in ihm. Wenn mein Diener
und ich einen Gott haben, dann haben wir auch
ein Liebesband: Den Heiligen Geist, der ein
Gott mit dem Vater und dem Sohne ist.
Füge noch ein Wort hinzu. Wenn dieser Bischof
sein Gelübde an mich hält, werde ich ihm
helfen, solange er lebt. Am letzten Tage
seines Lebens will ich ihn beschützen und ihm
beistehen und seine Seele zu Gott führen und
sagen: „O mein Gott, dieser Mann hat dir
gedient und mir gehorcht; deshalb führe ich
dir seine Seele zu.“
O Tochter, woran denkt wohl der Mensch, der
seine Seele verachtet? Hätte Gott Vater mit
seiner unfassbaren Gottheit seinen
unschuldigen Sohn eine so harte Pein in seiner
Menschengestalt leiden lassen, wenn er nicht
dieses tiefe Verlangen und die Sehnsucht nach
den Seelen gehabt hätte und ihnen diese ewige
Ehre hätte bereiten wollen?“
Diese Offenbarung handelt von einem Bischof in
Linköping, der später Erzbischof wurde.[3]
Über denselben liest man in Buch VI, Kap. 22,
das beginnt: „Dieser Prälat.“ Von diesem
handelt auch die Stelle: „Der Bischof, über
den du weinst, kam in ein leichtes Fegefeuer.
Daher sollst du überzeugt sein, dass –
obwohl er viele Gegner auf der Welt hatte,
diese ihr Urteil empfangen haben, er bei mir für
seinen Glauben und seine Reinheit geehrt
werden soll.“
[1]. Thomas Beckett,
Erzbischof von Canterbury, ermordet 1170.
[2]. Mit der Braut ist wohl die Seele gemeint.
[3]. Petrus Tyrgilsson, gest. 1366. |
14.
Kapitel |
Maria tadelt im
Beisein von Birgitta einen Bischof, der äußerlich
demütig sein soll, aber in Wirklichkeit hochmütig
und auf das Weltliche ausgerichtet ist. Der
Bischof, der dem Dominikanerorden angehört,
aber nicht mit Sicherheit identifizierbar ist
(war es Peter Filipsson von Uppsala?) wird mit
einem Schmetterling verglichen.
Die
Mutter spricht zur Braut des Sohnes und sagt:
”Du bist ein Gefäß, das der Besitzer füllt
und der Meister leert, und doch ist es ein und
derselbe, der es füllt und leert. Denn so wie
der, der das Gefäß gleichzeitig mit Wein,
Milch und Wasser füllt, Meister genannt würde,
wenn er jede dieser gemischten Flüssigkeiten
getrennt und sie zu ihrer eigenen Natur zurückgeführt
hat, so habe ich, die Mutter und Herrin von
allen, es mit dir getan und tue es noch. Denn
vor einem Jahr und einem Monat wurden dir
viele Dinge gesagt, die nun alle sozusagen in
deiner Seele gemischt sind, und es wäre
abscheulich, wenn sie auf ein Mal ausgegossen
würden, nachdem ihr Ende unbekannt ist. Daher
trenne ich sie erst so allmählich, wie es mir
gefällt.
Erinnerst du dich vielleicht, dass ich dich zu
einem Bischof sandte, den ich meinen Diener
genannt habe? Wir können ihn mit einem Falter
vergleichen, der breite Flügel mit weißer,
roter und blauer Farbe hat, der dick ist und,
wenn man den Falter berührt, an den Fingern
kleben bleibt wie Asche. Dieser hat einen
kleinen Körper, aber ein großes Maul, zwei Fühler
in der Stirn und eine heimliche Stelle im
Bauch, durch die die Unreinheit des Bauches
ausgeschieden wird.
Die Flügel dieses Insekts, d.h. dieses
Bischofs, sind seine Demut und sein Hochmut.
Denn er scheint äußerlich in Worten und
Benehmen, in Kleidung und in Taten demütig,
aber innen wohnt der Hochmut, der ihn seiner
eigenen Ansicht nach groß, von vermeintlicher
Ehre aufgeblasen, begierig auf die Gunst der
Menschen und vermessen ist, so dass er seinen
eigenen Nutzen dem der anderen vorzieht und
den von anderen verurteilt.
Mit diesen beiden Flügeln fliegt er, nämlich
mit der Demut, die er den Menschen zeigt,
damit er allen gefällt und in aller Munde
ist, und mit seinem inneren Hochmut, wodurch
er sich für heiliger als viele andere hält.
Die drei Farben der Flügel sind drei Arten
seiner Erscheinung, die seine schlechten
Eigenschaften verbergen. Denn die rote Farbe
bedeutet, dass er ständig über Christi
Leiden und die Wundertaten disputiert, damit
er heilig genannt werden kann, und doch ist
dies fern von seinem Herzen, denn das behagt
ihm keineswegs.
Die blaue Farbe bedeutet, dass er sich äußerlich
nicht um zeitliche Dinge zu kümmern scheint,
sondern gut für die Welt und ganz himmlisch
zu sein scheint, wie das Blau ja auch das
Aussehen des Himmels hat, aber sicher hat
diese andere Farbe vor Gott keine größere
Beständigkeit und Festigkeit und bringt nicht
mehr Frucht als die erste.
Die weiße Farbe bezeichnet ihn als klösterlich
an Kleidern und lobenswert an Sitten, aber es
liegt in Wirklichkeit in dieser dritten Farbe
ebenso viel Süßigkeit und Vollkommenheit,
wie in den beiden ersten. Ebenso wie die Farbe
des Falters dick ist und an den Händen klebt,
aber nichts als Staub in den Händen zurücklässt,
so scheinen seine Werke bewundernswert zu
sein, denn er möchte damit einzigartig
dastehen, aber sie sind leer und bringen ihm
keinen Nutzen, weil er den nicht aufrichtig
sucht und liebt, der es wert ist, geliebt zu
werden.
Die beiden Fühler sind sein doppelter Wille,
denn er möchte ein Leben ohne Beschwer in
dieser Welt haben, aber nach dem Tode doch das
ewige Leben, damit er teils seine große Ehre
auf Erden nicht verliert, teils aber
vollkommener im Himmelreich gekrönt wird.
Dieser Bischof ist einem Schmetterling sehr ähnlich,
der mit dem einen Fühler nur an den Himmel
denkt und mit dem anderen an die Erde, und der
doch, wenn er auch könnte, nicht das
Geringste zu Gottes Ehre vollbringen würde.
So glaubt und denkt sich dieser, Gottes Kirche
mit seinem Wort und Beispiel zu nützen, als
ob er nicht auch ohne sie zurechtkommen würde,
und er nimmt an, dass Weltmenschen durch seine
Verdienste geistlich gefördert würden.
Und daher denkt er so, wie der Ritter nach
beendetem Kampf: „Wenn ich doch fromm und
demütig genannt werde, warum soll ich dann
ein strengeres Leben beginnen? Und wenn ich
mich durch ein paar angenehme Dinge versündige,
ohne die ich nun einmal nicht angenehm leben
kann, so sollen mich meine größeren
Verdienste und meine Taten entschuldigen. Wenn
das Himmelreich sogar durch einen Trank kalten
Wassers zu gewinnen ist – ist es dann
notwendig, mehr zu arbeiten, als angemessen
ist?“
Der Falter hat auch einen weiten Mund, aber
seine Fresslust geht noch viel weiter. Ja,
wenn er alle Fliegen außer einer schlucken könnte,
so würde er Lust haben, diese letzte zu
verschlingen. Ebenso würde dieser (Bischof),
wenn er einen Pfennig über die vielen, die er
schon bekommen hat, hinaus bekommen könnte,
diesen Pfennig annehmen – und zwar so, dass
es nicht bemerkt würde, sondern verborgen
bliebe, aber der Hunger seiner Geldiger würde
nie gestillt werden.
Der Schmetterling hat ferner einen heimlichen
Abfluss für seine Unreinheit. So zeigt dieser
(Bischof) ungehemmt seinen Zorn und seine
Ungeduld, so dass seine heimlichen Dinge doch
für andere sichtbar sind. Ferner ist seine
Liebe so gering, wie der Leib des Falters
klein ist. Denn was ihm an Größe in der
Liebe fehlt, das wird ganz durch die Breite
und Spannweite der Flügel wettgemacht.“
Die Braut erwiderte: „Wenn er nur einen
Funken Liebe hat, ist immer Hoffnung für sein
Leben und seine Erlösung.“ Und die Mutter
entgegnete: „Was für eine Liebe hatte
Judas, als er – nachdem er seinen Herrn
verraten hatte, sagte: „Ich habe gesündigt,
denn ich habe unschuldig Blut verraten?“ Er
wollte sicher, dass es so aussehen sollte, als
ob er Liebe gehabt hätte, aber er hatte
keine.“
|
15.
Kapitel |
|
Maria tadelt noch einen
schwedischen Bischof vom Dominikanerorden. Sie
vergleicht ihn mit einer Stechfliege und
beschuldigt ihn, einschmeichelnd und ehrgeizig zu
sein. Man hat ihn mit Ödgisl Birgersson von Västerås
identifiziert.
Weiter
spricht die Mutter zur Braut und sagt: ”Ich habe
dir noch einen anderen Bischof gezeigt, den ich
”Hirten der Herde” genannt habe. Ihn
vergleichen wir am besten mit einer Stechfliege,
die die Farbe des Erdbodens hat, die mit lautem
Brummen fliegt und die unerträglich sticht, wo
immer sie sich hinsetzt.
So hat dieser Hirte auch die Farbe des Erdbodens,
denn obwohl er ja zur Armut berufen wurde, würde
er doch lieber reich als arm sein, lieber andere
lenken, als sich unterordnen, lieber seinen
eigenen Willen haben, als dadurch in Zucht
genommen werden, dass er anderen gehorcht. Er
fliegt auch mit lautem Geräusch, denn anstelle
von frommen Predigten fließt er über von
wortreicher Beredsamkeit, statt über die Lehre
von geistlichen Dingen disputiert er über
nichtige Dinge der Welt, und anstatt der heiligen
Einfachheit seines Ordens zu folgen, rühmt er die
Eitelkeit der Welt und eifert ihr nach.
Er hat außerdem zwei Flügel, d.h. er denkt an
zwei Dinge. Das erste ist, dass er allen schöne
und angenehme Worte sagt, damit er von allen
geehrt wird. Das zweite ist, dass er will, dass
alle sich ihm beugen und ihm gehorchen. Weiter
sticht die Bremse scheußlich, und in ähnlicher
Weise sticht dieser Bischof zum Verderb der Seele.
Denn obwohl er Arzt der Seelen ist, klärt er die,
die zu ihm gehen, nicht über ihre Gefahr und ihre
Krankheit auf und benutzt nicht das
Amputiermesser, sondern er macht ihnen schöne
Worte, damit er sanft genannt wird und von
niemandem gemieden wird.
Sieh, mit diesen beiden Bischöfen ist es etwas
sehr Sonderbares. Der eine sieht nach außen arm,
einsam und demütig aus, damit er „geistlich“
genannt wird. Der andere wünscht sich, weltliche
Dinge zu besitzen, damit er barmherzig und
freigebig genannt wird. Der eine will ein
Habenichts scheinen, und möchte doch heimlich
alles zu besitzen. Der andere will offen vieles
haben, damit er viel verschenken kann und dann
sehr geehrt wird. Daher wird es gehen, wie ein
allgemeines Sprichwort sagt: Weil mir diese so
dienen, dass ich es nicht sehe, will ich sie so
belohnen, dass sie es nicht sehen.
Du möchtest wissen, warum solche (Bischöfe) für
ihre Verkündigung gerühmt werden. Ich antworte
dir: Manchmal spricht ein Böser für Gute, und
bei diesen wird Gottes guter Geist eingegossen,
nicht weil der Lehrer gut ist, sondern durch die
Worte des Lehrers, in denen Gottes guter Geist zu
den Frommen unter den Hörern redet. Manchmal
spricht auch ein Guter für Böse, die dann durch
das, was sie hören, gut werden, sowohl auf Grund
von Gottes gutem Geist, als auch durch die Güte
des Lehrers.
Manchmal spricht auch ein kalter Mensch für
Kalte, damit die kalten Zuhörer das, was sie gehört
haben, zu abweisenden glühenden Menschen bringen,
so dass diese, wenn sie es hören, noch mehr glühend
werden. Deshalb darfst du nicht betrübt sein, zu
welchen du auch gesendet werden magst, denn Gott
ist wunderlich und wirft Menschen das Gold unter
die Füße, setzt aber das Schmutzige den
Sonnenstrahlen aus.“
|
16.
Kapitel |
Es wird ein Dialog
zwischen den beiden schwedischen
Dominikanerbischöfen wiedergegeben. Der ältere,
der „Schmetterling“, gibt hier dem jüngeren,
der „Stechfliege“, seine Scheinheiligkeit
und seine egoistische Berechnung zu.
Der Sohn
spricht zur Braut und sagt: ”Was glaubst du,
ist die Ursache, dass dir diese beiden (Männer)
gezeigt werden? Etwa deshalb, weil ihre Sünde
und ihr Verderben Gott gefallen? Keineswegs.
Das geschieht stattdessen deshalb, damit
Gottes Geduld und Ehre desto offenbarer
werden, und die Hörer Gottes Gericht fürchten.
Aber komm nun und höre etwas Seltsames! Der jüngere
Bischof fragt den Älteren und sagte: „Höre
mich, Bruder, und antworte mir! Du warst ja
zum Joch des Gehorsams verpflichtet; warum
hast du das aufgegeben? Du hast ja doch die
Armut und das Klosterleben gewählt – warum
hast du die verlassen? Als du ins Kloster
gegangen bist, hast du ja gezeigt, dass du für
die Welt tot warst; warum hast du dich dann
nach dem Bischofsamt gesehnt?“
Der Ältere erwiderte: „Der Gehorsam der
mich lehrte, untertänig zu sein, fiel mir
schwer, und deshalb sehnte ich mich nach
Freiheit. Das Joch, von dem Gott sagt, dass es
lieblich sei, wurde mir bitter, und daher
suchte und wählte ich die leibliche Ruhe. Die
Demut bei mir war vorgetäuscht, und daher
begehrte ich die Ehre. Und weil es besser ist,
zu fahren als zu ziehen, begehrte ich das
Bischofsamt.“
Der Jüngere fragte von neuem: „Warum hast
du deinen Bischofsstuhl mit weltlicher Ehre
geschmückt? Warum hast du durch weltliche
Klugheit keine Reichtümer gesammelt? Warum
hast du das, was du hattest, nicht nach den
Begriffen weltlicher Ehre verwaltet? Warum
hast du dich äußerlich so erniedrigt, und
warum wurdest du nicht von weltlichem Ehrgeiz
angetrieben?
Der Ältere gab zur Antwort: „Ich habe
meinen Bischofsstuhl nicht mit weltlicher Ehre
geschmückt, weil ich hoffte, dann noch mehr
geehrt zu werden, wenn ich demütig und
geistlich gesinnt auftreten würde, als wenn
ich weltlich gesinnt erscheinen würde. Und
damit ich von weltlichen Menschen gelobt würde,
wollte ich so scheinen, als ob ich alles
verschmähen würde, aber damit ich von den
geistlich Gesinnten geliebt würde, zeigte ich
mich demütig und fromm. Ich habe es also
unterlassen, mit weltlicher Klugheit Reichtümer
zu sammeln, damit geistliche Männer nicht an
mir herumnörgeln und mich wegen meiner
Weltlichkeit verachten würden. Ich habe auch
nicht freigebig Geschenke gemacht, weil ich es
meiner Bequemlichkeit wegen vorzog, mit
wenigen Menschen zusammen zu sein, statt mit
vielen. Und es machte mir mehr Freude, wenn
ich etwas Gold im Kasten hatte, als eigenhändig
etwas auszugeben.“
Wieder fragte der Jüngere: „Sag mir, warum
gabst du einem Esel aus dem unreinen Bottich
ein köstliches und angenehmes Getränk? Warum
gabst du dem Bischof Unrat aus dem
Schweinetrog? Warum hast du deine Krone mit Füßen
getreten? Warum hast du den Weizen ausgespuckt
und stattdessen Unkraut gekaut? Warum hast du
andere von ihren Stricken befreit, aber dich
selbst mit Fußfesseln gebunden? Warum
brachtest du für anderer Leute Wunden
Medizin, aber deine eigenen Wunden hast du
noch verschlimmert.[1]
Der Ältere antwortete: „Ich gab dem Esel
einen köstlichen Trank aus dem unreinen und
verachteten Bottich, denn nachdem ich
literarisch gebildet war, dachte ich mehr
daran (und damit glaubte ich, weltliche Ehre
zu erhalten), die heiligen Sakramente an den
Altären zu handhaben, als mich mit weltlichen
Sorgen und Kümmernissen zu befassen. Und weil
den Menschen mein heimliches Leben unbekannt
war, aber bekannt für Gott, wurde ich von
einer gewaltigen Vermessenheit ergriffen und
habe so Gottes Gerechtigkeit und sein
schreckliches Gericht über mich
verschlimmert.
Zweitens sage ich dir, dass ich dem Bischof
Unrat aus dem Schweinetrog gegeben habe, denn
ich stellte die Lust meiner Natur zufrieden
und ließ ihr freien Lauf, war aber in der
Enthaltsamkeit nicht standhaft. Drittens
erwidere ich, dass ich die Bischofskrone unter
die Füße gesetzt habe, denn es gefiel mir
mehr, im Hinblick auf die Gunst der Menschen
Barmherzigkeit zu üben, als für Gottes Ehre
und Liebe Gerechtigkeit walten zu lassen.
Viertens sage ich, dass ich den Weizen
ausgespuckt und Stroh gekaut habe, denn ich
habe Gottes Wort nicht aus Liebe zu Gott verkündet,
und es leuchtete mir nicht ein, selbst das zu
tun, was ich andere zu tun lehrte. Zum Fünften
antworte ich, dass ich mich selbst gebunden
habe, als ich andere befreite, denn ich
befreite die, die mit Reue zu mir kamen, aber
das, was sie reuevoll beweinten und weinend
zugaben, das gefiel mir, es sogar noch zu
vollenden.
Zum sechsten antworte ich, dass ich andere mit
heilendem Öl gesalbt habe, aber mich selbst
mit tödlichem Gift, denn indem ich einen
reinen Wandel lehrte, besserte ich andere,
aber verschlechterte mich selbst; für das,
was ich anderen vorschrieb, wollte ich nämlich
selber keinen Finger rühren. Und daher
erschlaffte, verdorrte ich in dem, wobei ich
andere genesen sah, denn es gefiel mir mehr,
den begangenen Sünden noch mehr Sündenlast
aufzubürden, als sie durch Besserung zu
erleichtern.“
Danach hörte man eine Stimme, die sagte:
„Danke Gott, dass du nicht auch zu diesen
giftgefüllten Bottichen gehörst, die, wenn
sie zerbrochen werden, selbst zu Gift
werden.“ Und da wurde gleich verkündet,
dass der eine von diesen (Bischöfen) tot sei.
[1]. Vielleicht eine
Anspielung darauf, wie Birgitta sich kasteite:
Sie tropfte nämlich manchmal heißes Wachs
auf ihren bloßen Arm, so dass Wunden
entstanden, und kratzte dann mit den Nägeln
in den Wunden, so dass sie nicht heilen
konnten. |
17.
Kapitel |
Maria rühmt vor
Birgitta den heiligen Dominicus[5], Stifter
des Ordens, dem diese beiden Bischöfe angehörten.
Dominicus lehrte seine Söhne Armut und Liebe
zu den Seelen, sagt sie, aber die jetzigen
Dominikaner wandeln im allgemeinen einen ganz
anderen Weg.
Weiter
spricht Gottes Mutter zur Braut, indem sie
sagt: ”Ich habe gestern zu dir über zwei (Männer)
gesprochen, die der Regel von Sankt Dominicus
angehörten. Sicher hatte dieser Dominicus
meinen Sohn zu seinem liebsten Herrn, und
mich, seine Mutter, liebte er mehr, als sein
eigenes Herz. Diesem Heiligen zeigte mein
Sohn, dass es drei Dinge auf der Welt gab, die
ihm missfielen, nämlich der Hochmut, die
Gewinnsucht und das fleischliche Begehren.
Der heilige Dominicus bewirkte mit tiefen
Seufzern Hilfe und Mittel zur Verminderung
dieser drei Dinge, und Gott erbarmte sich über
seine Tränen und gab ihm ein, ein Gesetz und
eine Lebensregel zu verfassen, in der dieser
Heilige drei gute Dinge als Mittel gegen drei
böse Dinge auf Erden festlegte. Denn als
Mittel gegen die Lust der Gewinnsucht
bestimmte er, nichts zu besitzen, außer mit
Einwilligung seines Priors.
Gegen den Hochmut legte er fest, eine demütige
und schlichte Tracht zu haben. Gegen die unmäßige
Gier des Fleisches bestimmte er Enthaltsamkeit
und eine bestimmte Zeit, sich zu beherrschen.
Er verordnete für die Brüder auch einen
Prior, der darauf achten sollte, dass Frieden
gehalten und über die Einigkeit gewacht
werden soll. Ferner wollte er seinen Brüdern
ein geistliches Zeichen geben und drückte
ihnen durch seine Lehre und die Kraft seines
Beispiels sozusagen ein geistliches, rotes
Kreuz unter ihren linken Arm am Herzen, indem
er sie lehrte und ermahnte, sich beständig an
Gottes Leiden zu erinnern und eifrig Gottes
Wort zu predigen – nicht der Welt zuliebe,
sondern aus Liebe zu Gott und den Seelen.
Er lehrte sie auch, lieber untertänig sein zu
wollen, als zu herrschen, den eigenen Willen
zu hassen, geduldig Schmähungen zu ertragen
und nach nichts anderem zu trachten, als nach
Nahrung und Kleidern, die Wahrheit von Herzen
zu lieben und sie mit dem Mund zu verkünden,
nicht eigenes Lob zu suchen, sondern immer
Gottes Wort auf den Lippen zu haben und es zu
lehren, es nicht aus Furcht zu verschweigen,
oder es nur um Menschengunst willen zu sagen.
Als die Zeit seiner (geistlichen) Verlobung
nahte, die mein Sohn ihm im Geist gezeigt
hatte, kam er unter Tränen zu mir, seiner
Mutter, und sagte: „Oh Maria, Himmelskönigin,
du, die Gott zur Hilfe bei der Vereinigung
seiner Gottheit und Menschlichkeit erwählte,
du bist die makellose Jungfrau und die allerwürdigste,
makellose Mutter, du bist die Übermächtige,
aus der die Gottesmacht hervorging.
Höre mich, der zu dir betet! Ich fliehe zu
dir, weil ich weiß, dass du am allermächtigsten
bist. Nimm meine Brüder an, die ich unter
meinem engen Skapulier[1] aufgezogen und genährt
habe, und beschütze sie unter deinem weiten
Mantel. Lenke und erquicke sie, so dass der
alte Feind nicht Macht über sie gewinne, und
dass er den neuen Weinberg nicht verderben
kann, denn die rechte Hand deines Sohnes
gepflanzt hat.
O meine Frau, was meine ich mit dem engen
Skapulier, das aus einem Kleidungsstück für
die Brust und einem anderen für den Rücken
besteht, anders als die doppelte Art, in der
ich meine Brüder gesehen habe? Ich hatte ja
Tag und Nacht Sorge um sie, wie sie Gott mit
vernünftiger und löblicher Gemessenheit
dienen würden, und ich habe auch für sie
gebetet, dass sie nichts von der Welt begehren
sollten, was Gott missfällt, oder ihren Ruf
von Demut und Frömmigkeit bei ihren Nächsten
beflecken würde. Nachdem die Stunde meiner
Belohnung nun bevorsteht, überlasse ich dir
meine Brüder; Unterweise sie wie Söhne und
beschütze sie, wie eine Mutter.“
Nach diesen und anderen Worten wurde Dominicus
zu Gottes Ehre berufen. Ich antwortete ihm so,
indem ich in einem Gleichnis redete: „O
Dominicus, geliebter Freund, nachdem du mich
mehr geliebt hast, als dich selbst, will ich
jetzt deine Söhne, unter meinem weiten Mantel
verteidigen und lenken, und alle, die deiner
Regel treu bleiben, sollen erlöst werden.
Mein weiter Mantel ist meine Barmherzigkeit,
die ich niemandem verweigere, der darum
bittet; alle, die bitten, werden im Schoß
meiner Barmherzigkeit Schutz bekommen.“
Was glaubst du nun, meine Tochter, was die
Regel des Dominicus ist? Sicher Demut,
Enthaltsamkeit und Weltverachtung. Die, die
diese drei Tugenden annehmen, in ihnen
beharren und sie lieben, sollen niemals
verdammt werden, und es sind diese, die die
Regel des hl. Dominicus einhalten.
Aber nun höre etwas Seltsames! Dominicus übergab
seine Söhne unter meinen weiten Mantel, uns
siehe, es ist unter meinem weiten Mantel nun
mehr Platz, als es unter seinem engen
Skapulier war. Doch hatten zu Dominicus
Lebzeiten nicht einmal alle seine Schafwolle
und seine Sitten.
Durch ein Gleichnis will ich dir ihre Sitten
besser zeigen. Wenn Dominicus aus der Himmelshöhe,
wo er jetzt wohnt, herabsteigen und zu dem
Diebe sagen würde, der sich aus dem Tal
hervorschleicht und die Schafe besieht, um sie
zu schlachten und sie zu vernichten: „Warum
rufst du zu meinen Schafen und führst sie
weg, wenn ich durch die deutlichsten Zeichen
weiß, dass sie mir gehören? So könnte der
Dieb antworten: „Warum, Dominicus, erhebst
du Anspruch auf etwas, was dir nicht gehört?
Du tust ja unrechtmäßig Gewalt, dir etwas
anzueignen, was anderen gehört.“
Wenn Dominicus erwidern würde, er habe sie
aufgezogen, gezähmt, geleitet und gelehrt, würde
der Dieb sagen; „Wenn du sie aufgezogen und
belehrt hast, so habe ich sie mit lieblichen,
schmeichlerischen Worten zu ihrem eigenen
Willen zurückgeführt. Wenn du für sie das
Milde mit dem Strengen vermischt hast, so habe
ich sie schmeichelnder gelockt und ihnen
gezeigt, was sie mehr erfreut – und siehe,
nun laufen mehrere meiner Stimme und meinem
Futter nach. Und daher kenne ich die Schafe
als die meinen an, die mir williger folgen,
denn sie haben ihren freien Willen, dem zu
folgen, der sie lockt.“
Wenn Dominicus nun entgegnen würde, dass
seine Schafe mit einem roten Zeichen im Herzen
gekennzeichnet wären, würde der Dieb sagen:
„Meine Schafe sind mit meinem Zeichen
versehen, das im rechten Ohr bei ihnen
eingeschnitten ist, und nachdem mein Zeichen
besser sichtbar und deutlicher als deines ist,
so erkenne ich sie als meine Schafe.“
Dieser Dieb ist der Teufel, der sich viele
Schafe von Dominicus angemaßt hat, die ein
Zeichen im rechten Ohr tragen, weil sie nicht
die Worte des Lebens hören, die sagen, dass
der Weg zum Himmelreich Schmal ist, sondern
die begierig auf das hören, was sie gern
haben. Aber die Schafe von Dominicus sind
wenige, die das rote Zeichen im Herzen tragen,
das sich mit Liebe an Gottes Pein erinnert,
eifrig Gottes Wort predigt und ein heiliges
Leben in aller Keuschheit und Armut führen.
Denn das ist die Regel von Dominicus, wie man
zu sagen pflegt: All sein Hab und Gut auf dem
Rücken zu tragen, nichts besitzen zu wollen,
was die Regel nicht erlaubt, das Überflüssige
nicht nur aufzugeben, sondern manchmal auch
auf das zu verzichten, was zulässig und
notwendig ist, um das Fleisch zu
beherrschen.“
[1]. Von manchen Mönchsorden
getragener, über Brust und Rücken bis zu den
Füßen reichender Überwurf in Form eines
breiten Tuchstreifens oder zweier Stücke aus
Tuch, die durch über die Schulter führende Bänder
zusammengehalten werden. |
18.
Kapitel |
Maria setzt ihre
Klage über die schwedischen Dominikaner der
damaligen Zeit fort, von denen gesagt wird,
dass sie mehr auf weltliche Vorteile als auf
Gottes Ehre und die Rettung der Seelen bedacht
sind, und die u.a. für ihre jetzt geführte
Lebensweise und für ihren Eifer getadelt
werden, unnötig große und prachtvolle
Kirchen zu bauen. Am Ende des Kapitels wird
das Gericht über den älteren schwedischen
Dominikanerbischof, den „Schmetterling“,
angedeutet.
Die
Mutter spricht zur Braut und sagt: ”Ich habe
dir gesagt, dass alle, die nach der Regel des
Dominicus leben, unter meinem Mantel sind.
Jetzt sollst du hören, wie viele das sind.
Wenn Dominicus von dem Platz der himmlischen
Freuden, wo er jetzt in Wahrheit glückselig
ist, herabsteigen und rufen würde: „O
geliebte Brüder, folgt mir, denn vier gute
Dinge sind euch vorbehalten, nämlich Ehre als
Belohnung für die Demut, ewiger Reichtum für
die Armut, Sättigung ohne Überdruss als
Belohnung für Enthaltsamkeit und ewiges Leben
für die Weltverachtung, so würde ihn kaum
jemand hören. Aber wenn stattdessen der
Teufel aus dem Abgrund aufsteigen und vier
Entgegengesetzte Dinge ausrufen würde, indem
er sagte: „Dominicus hat euch vier Dinge
versprochen, aber schaut auf mich, ich zeige
euch mit der Hand, was ihr begehrt, denn ich
biete Ehre, ich habe Reichtümer in der Hand,
Wollust ist für euch bereit, und die Welt
wird für euch köstlich zu genießen sein.
Nehmt also das, was ich anbiete, benutzt das,
was sicher ist und lebt mit Freuden, so dass
ihr euch zusammen nach dem Tode freuen könnt.“
Ja, wenn diese beiden Stimmen jetzt in der
Welt ertönen würden, so würden mehr der
Stimme des Teufels und Räubers nachlaufen,
als der Stimme meines herrlichen Freundes
Dominicus. Und was soll ich von den Brüdern
des Dominicus sagen? Sicher sind es wenige,
die seine Regel einhalten, und noch weniger,
die seiner Fußspur folgen, denn alle hören
nicht auf ein und dieselbe Stimme, weil sie
nicht alle zum gleichen Geschlecht gehören,
auch weil sie nicht alle von Gott sind und
alle erlöst werden könnten, wenn sie
wollten, sondern weil sie alle nicht auf die
Stimme von Gottes Sohn hören, der sagt:
„Kommt zu mir, und ich will euch erquicken,
indem ich mich euch selber schenke.“
Was soll ich nun von den Brüdern sagen, die
der Welt wegen nach dem Bischofsamt trachten
– ob sie zur Regel des Dominikus gehören?
Keineswegs. Aber die, die das Bischofsamt aus
einem vernünftigen Grunde übernommen haben
– sollen die von der Regel des Dominicus
ausgeschlossen werden? Sicher nicht. Der hl.
Augustinus lebte ja nach der Mönchsregel, ehe
er Bischof wurde, und in seinem Bischofsstand
gab er das reguläre Leben nicht auf, obwohl
er zu einer höheren Würde aufstieg.
Er nahm die Ehre, nämlich gegen seinen
Willen, nicht mit der Aussicht, Ruhe zu
bekommen, sondern sicher mehr Arbeit, denn als
er sah, dass er Seelen gewinnen konnte, gab er
Gottes wegen gern seinen eigenen Willen und
die leibliche Ruhe auf, um für seinen Gott
noch mehr Seelen zu gewinnen. Deshalb gehören
die, die das Bischofsamt erstreben und
annehmen, um desto besser Seelen zu gewinnen,
zur Regel des Dominicus, und ihr Lohn wird
doppelt sein, teils weil sie auf die
Annehmlichkeit der Regel verzichtet haben,
teils weil sie zu der Bürde des Bischofsamts
berufen wurden.
Daher schwöre ich bei Gott, bei welchem die
Propheten schworen, nicht auf Grund von
Ungeduld, sondern um Gott zum Zeugen für
seine Worte zu nehmen – ja, so sage ich nun
und schwöre bei demselben Gott, dass über
die Brüder, die die Regel des Dominicus
verachtet haben, ein mächtiger Jäger mit
wilden Hunden kommen wird.
Stell dir vor, dass der Diener zu seinem Herrn
sagt: „Auf deine Wiese sind viele Schafe
gekommen, deren Fleisch befleckt ist, deren
Wolle zottelig und schmutzig ist, deren Milch
unbrauchbar und deren Brunst unersättlich
ist. Befehle also, dass diese weggetrieben
werden sollen, so dass die Weide nicht für
die nützlichen Schafe verdorben wird, und
dass die guten Schafe nicht durch das störrische
Verhalten der schlechten beunruhigt werden.“
Der Bauer würde darauf antworten: „Mach die
Gitter zu, so dass keine anderen als die
hineinkommen, bei denen es für mich nützlich
ist, sie aufzuziehen und zu füttern, und die
friedlich und sittsam sind.“ So sage ich,
dass erst einige Gitter, doch nicht alle
geschlossen werden, und dann wird der Jäger
mit den Hunden kommen, und er wird die Wolle
(der Tiere) nicht vor Pfeilen oder ihre Leiber
nicht vor Verletzungen schonen, bevor ihr
Leben endet. Dann sollen die Wächter kommen,
und sie werden genau nachsehen und darauf
achten, zu welcher Sorte die Schafe gehören,
die auf die Weide des Herrn gelassen werden
Soll.“ Da antwortete die Braut und sagte: O
meine Frau, zürne nicht, wenn ich die frage:
Wenn nun der Papst die strengen Regeln für
sie mildert, sind die dann zu tadeln, wenn sie
Fleisch oder etwas anderes essen, was ihnen
vorgesetzt wird?“
Die Mutter antwortete: „Der Papst dachte an
die Schwachheit und die Mängel der
Menschennatur, die ihm einige vorhielten, und
erlaubte ihnen, vernünftig Fleisch zu essen,
damit sie geschickter und eifriger würden, zu
predigen und zu arbeiten – aber nicht dafür,
dass sie sich weichlicher und schlaffer zeigen
sollten, und deshalb wollen wir den Papst
entschuldigen, dass er diese Erlaubnis gegeben
hat.“
Die Braut sagte erneut: „Dominicus
bestimmte, keine Kleider von den besten zu
haben, aber auch nicht von dem schäbigsten
Zeug, sondern von mittlerer Sorte. Sind sie
dann zu tadeln, wenn sie sich in feine Gewänder
kleiden?“ Die Mutter antwortete: „Dominicus,
der die Regel aus dem Geist meines Sohnes
verfasste, schrieb vor, dass sie nicht Kleider
aus den feinsten und teuersten Stoffen haben
sollten, damit sie nicht wegen ihrer schönen
und kostbaren Tracht getadelt oder abgelehnt
oder hochmütig werden.
Er bestimmte aber auch, dass sie keine Gewänder
aus den schäbigsten und härtesten Stoffen
tragen sollten, damit sie nicht wegen der
harten Tracht beim Einschlafen nach der Arbeit
zuviel beunruhigt würden. Sondern er
bestimmte, dass sie maßvolle und notwendige
Kleider haben sollten, von denen sie nicht
hochmütig werden könnten, und in denen sie
nicht eitel werden, aber durch die sie die Kühle
des Körpers vertreiben und zu ständiger
Vervollkommnung der Tugenden kommen können.
Und deshalb können wir Dominicus für seine
Verordnungen loben, müssen aber seine Brüder
tadeln, d.h. die, welche ihre Gewänder wegen
nichtiger Dinge und nicht aus nützlichen
Erfordernissen verändern.“
Die Braut sagte weiter: „Sind die Brüder
nicht zu tadeln, die deinem Sohn hohe und
teuere Kirchen bauen? Oder sind die zu tadeln
und zu verurteilen, wenn sie viel betteln, um
solche Bauten vollenden zu können?“
Die Mutter erwiderte: „Wenn die Kirche so
breit ist, dass sie die aufnimmt, die
eintreten, wenn ihre Mauern so in die Höhe
wachsen, dass die, die darin sind, es nicht
eng haben, wenn die Mauern so stark und dick
sind, dass sie nicht durch Einwirkung des
Klimas aufspringen, und wenn das Dach so fest
und dicht ist, dass es nicht dadurch tropft,
so haben sie genug gebaut.
Denn Gott hat mehr Gefallen an einem demütigen
Herzen in einer bescheidenen Kirche, als an
hohen Mauern wo zwar die Körper drinnen sind,
aber die Herzen draußen. Daher brauchen sie
ihre Kisten nicht mit Gold und Silber für die
Bauarbeit zu füllen, denn was hat es Salomo
genützt, einen so kostbaren Tempel zu
besitzen, wenn er vergaß, den zu lieben, für
den er ihn erbaut hat?“
Nachdem man dies alles gesagt und gehört
hatte, rief gleich der ältere Bischof, von
dem vorher die Rede war, und sagte: „O, o,
o! Die Bischofsmitra ist fort, und nun wird
das sichtbar, was darunter verborgen war. Wo
ist nun der ehrenwerte Bischof, wo der ehrwürdige
Priester, wo der arme Bruder? Der Bischof ist
sicher fort, der mit Öl zu seinem
apostolischen Amt und zur Reinheit des
Lebenswandels gesalbt wurde, da ist noch der
Diener, der mit fettem Dreck beschmutzt ist.
Fort ist auch der Priester, der mit heiligen
Worten geweiht wurde, damit er das leblose und
tote Brot in den lebensspendenden Gott
verwandelten sollte; übrig blieb der heimtückische
Verräter, der ihn aus Geldgier verkaufen
sollte, der alle aus Liebe erlöst hat. Fort
ist ebenso der arme Bruder, der mit einem Eid
auf die Welt verzichtet hatte.
Nun bin ich für meinen Hochmut und meine
Prahlerei verdammt, und doch muss ich die
Wahrheit sagen: Dass dieser gerechte Richter,
der mich verurteilt hat, mich lieber durch den
so bitteren Tod hat retten wollen, den er am
Stamm des Kreuzes erlitt. Aber die
Gerechtigkeit, gegen die er ja nicht handeln
konnte, habe ich bestritten – dass ich nämlich
anders verurteilt würde, als ich es jetzt
erfahre.“
|
19.
Kapitel |
Christus lehrt
Birgitta, wie sie schlechten und törichten
Gedanken begegnen soll; weiter deutet er an,
welche Lehre sie aus dem Ende des erwähnten
Bischofs ziehen kann.
Der Sohn
spricht zur Braut: ”Warum betrübst du dich
und bist bekümmert, Tochter?“ Sie
antwortete: „Weil ich von vielen
verschiedenen und unnützen Gedanken
heimgesucht werde, die ich nicht verjagen
kann, und weil ich beunruhigt bin, als ich von
deinem schrecklichen Gericht hörte.“
Der Sohn erwiderte: „Das ist wahre
Gerechtigkeit. Denn wie du dich früher gegen
meinen Willen an weltlicher Begier belustigt
hast, so stellen sich jetzt viele verschiedene
Gedanken ein, dich gegen deinen Willen
heimzusuchen. Doch sollst du dich mit Klugheit
fürchten und fest auf mich vertrauen, deinen
Gott, dass – wenn auch der Sinn an den sündigen
Gedanken kein Gefallen hat, sondern du gegen
sie kämpfst und sie verabscheust, so bewirken
sie die Reinigung und Krone der Seele.
Aber wenn es dich gelüstet, eine wenn auch
kleine Sünde zu begehen, die du als Sünde
begreifst, und du sie im Vertrauen auf deine
frühere Enthaltsamkeit und in vermessenem
Vertrauen auf die Gnade tust, und du dann
nicht von Reue ergriffen wirst oder dich
besserst, so sollst du wissen, dass es eine
Todsünde werden kann. Wenn daher der Sinn von
einer Begierde zur Sünde gepackt wird, so
sollst du gleich bedenken, wohin sie führt,
und es bereuen. Denn nachdem die Natur des
Menschen Schaden genommen hat, tritt die Sünde
auf vielerlei Weise durch ihre Krankheit
hervor.
Es gibt ja keinen Menschen, der nicht
zumindesten lässliche Sünden begeht. Aber
der barmherzige Gott hat dem Menschen ein
Heilmittel gegeben, nämlich über jede
begangene Sünde zu trauern, und darüber,
dass er vielleicht nicht für jede gebesserte
Sünde Genüge geleistet hat. Denn nichts
hasst Gott so, als – wenn du um die Sünde
weißt, dich aber nicht darum scherst, oder
dich wegen ein paar Verdienste grosstust, als
ob Gott deretwegen irgendeine Sünde dulden würde,
die du tust, weil er ohne dich nicht geehrt
werden kann. Oder, als ob er dir erlauben
kann, etwas Böses zu tun, weil du viel Gutes
getan hast, wo du doch, wenn du auch
hundertfach etwas Gutes für eine einzige
schlechte Sache getan hast, Gott seine Liebe
und Güte nicht völlig wiedergutmachen
kannst.
Hab daher wohlweislich Furcht, und wenn du die
Gedanken nicht verhindern kannst, so sei
zumindesten geduldig und geh mit deinem Willen
gegen sie an. Du wirst nämlich für sie nicht
verurteilt, wenn sie nur entstehen, denn du
kannst ja nur verhindern, dass du Lust an
ihnen findest. Aber auch wenn du den Gedanken
gar nicht zustimmst, sollst du Furcht haben,
so dass du nicht aus Hochmut zu Fall kommst.
Jeder, der fest steht, tut das nur mit Gottes
Kraft. Daher ist die Furcht ein Eingangstor
zum Himmel, denn viele sind in Sünde gefallen
und haben ihren eigenen heraufbeschworen, weil
sie es nicht für nötig hielten, Gott zu fürchten
und sich schämten, es vor Menschen zu
beichten, was sie sich nicht scheuten, vor
Gott zu sündigen. Wer sich daher nicht darum
kümmert, für eine kleine Sünde um
Verzeihung zu bitten, den werde ich auch nicht
für würdig halten, dass seine Sünde
vergeben wird, und so vermehren sich die Sünden,
indem man sie wiederholt begeht, so dass das,
was verzeihlich und entschuldbar wäre, falls
man es bereut hat, sehr schwer wird, wenn man
es vergisst und ihm nur geringes Gewicht
beimisst, was du an dieser Seele sehen kannst,
die verdammt ist.
Denn zuerst begeht der Mensch verzeihliche und
entschuldbare Sünden, aber dann vermehrt er
seine Sünde durch Gewohnheit, indem er sich
auf ein paar gute Taten verlässt, die er
getan hat, als ob ich nicht auch auf kleine Sünden
achten und sie verurteilen würde. Und so
verstrickt sich die Seele durch die Gewohnheit
eines ungeordneten Begehrens und brachte die sündige
Lust nicht zurecht und drängte sie zurück,
ehe das Gericht vor der Tür stand, und der
letzte Augenblick sich nahte. Als das Ende
sich näherte, spürte ihr Gewissen plötzlich
Unruhe und Schrecken, und sie machte sich
Sorgen, dass sie bald sterben würde, und
zitterte davor, von dem kleinen, zeitlichen
Gut getrennt zu werden, das sie liebte.
Gott hat nämlich bis zur letzten Minute
Nachsicht mit dem Menschen und wartet darauf,
zu sehen, ob der sündige Mensch möglicherweise
seinen ganzen Willen, der ja ganz frei ist,
von der Neigung zur Sünde lösen will. Aber
wenn der Wille sich nicht bessert, verstrickt
sich die Seele und wird bis ins Unendliche
gebunden. Denn der Teufel, der weiß, dass
jeder nach seinem Gewissen und Willen
beurteilt werden wird, strengt sich meist bis
zum Äußersten beim Menschen an, damit die
Seele verwirrt und von der rechten Absicht
abgewendet wird, die Gott zugesteht, nachdem
die Seele sich weigerte, zu wachen, als sie es
hätte tun sollen.
Du sollst auch nicht allzu viel darauf geben,
wenn ich jemanden Freund oder Feind nenne, wie
ich diesen Mann vorher genannt habe, denn auch
Judas wurde „Freund genannt, und
Nebukadrezar „Diener“. Denn wie ich selbst
gesagt habe: „Ihr seid meine Freunde, wenn
ihr tut, was ich euch gebiete“, so sage ich
jetzt: „Die sind meine Freunde, die mir
folgen, und die meine Feinde, die mich und
meine Gebote verachten und mich verfolgen.“
Hat nicht David, nachdem ich von ihm gesagt
hatte, dass ich in ihm einen Mann nach meinem
Herzen gefunden hätte, durch Totschlag gesündigt?
Salomo, dem so wunderbare Dinge geschenkt und
verheißen wurden, gab seine Güte auf, und
wegen seiner Undankbarkeit wurde die Verheißung
nicht in ihm erfüllt, sondern in mir, Gottes
Sohn.
So wie daher ein Ende für dein Diktat gesetzt
wird[1], so setze ich diesen Abschluss für
meine Rede: Wenn jemand meinen Willen tut und
seinen eigenen aufgibt, soll er als Erbteil
das ewige Leben erhalten. Aber wenn einer
meine Worte hört und sie doch nicht in Taten
umsetzt, wird er als ein untauglicher und
undankbarer Diener gerechnet.
Aber du sollst auch nicht verzagen, wenn ich
jemanden „Feind“ nenne, denn sobald ein
Gegner seinen Willen ändert und ihn auf das
Gute ausrichtet, wird er Gottes Freund. War
nicht Judas einer unter den Zwölfen, als ich
sagte: „Ihr seid meine Freunde, die ihr mir
gefolgt seid; ihr sollt auf zwölf Thronen
sitzen?“ Bei dieser Gelegenheit folgte Judas
mir, und trotzdem wird er nicht unter den Zwölfen
sitzen.
Wie werden da Gottes Worte erfüllt? Ich
antworte dir: Gott, der Herz und Willen der
Menschen sieht, urteilt und belohnt nach dem,
was er sieht. Der Mensch urteilt dagegen nach
dem, was er am Gesicht eines anderen sieht.
Damit der Gute nicht überheblich und der Böse
verzagen soll, hat Gott sowohl Gute wie Böse
zum Apostelamt berufen, ebenso, wie er täglich
Gute und Böse zu Ehrenämtern beruft, damit
alle, die ein Amt mit rechter Lebensart ausüben,
im ewigen Leben geehrt werden sollen.
Der dagegen, der die Ehre, aber keine
Verpflichtungen hat, soll eine Zeitlang geehrt
werden, aber in Ewigkeit verworfen werden.
Weil Judas mir nicht mit ganzem Herzen folgte,
galten die Worte „Ihr, die ihr mir gefolgt
seid,“ nicht für ihn, denn er hielt nicht
bis zur Stunde der Belohnung aus, sondern sie
gelten denen, die ausgehalten haben, in
Gegenwart und Zukunft.
Der Herr, vor dessen Blicken alles offen
liegt, spricht nämlich manchmal in Form der
Gegenwart, was in die Zukunft gehört, und
spricht manchmal von dem, was noch geschehen
soll, als ob es schon getan sein würde.
Manchmal mischt er auch das Vergangene mit dem
Zukünftigen und benutzt das Vergangene für
das Zukünftige, so dass niemand sich erkühnt,
den unveränderlichen Ratschluss der
Dreieinigkeit zu ergründen.
Höre noch ein Wort. Viele sind berufen, aber
wenige auserwählt. So war dieser Mann zum
Bischofsamt berufen, aber nicht auserwählt,
denn er war gegen Gottes Gnade undankbar.
Daher war er wohl dem Namen nach Bischof, aber
nicht nach Verdienst, und er wird zu denen
gerechnet werden, die hinunterfahren, und
nicht zu denen, die hinaufsteigen.“
|
Zusatz |
Gottes
Sohn redet, indem er sagt: „Du möchtest
wissen, meine Tochter, warum der eine Bischof
ein so stilles Ende hatte, der andere ein so
schreckliches, denn die Mauer stürzte ein und
vernichtete ihn ganz, und er überlebte nur
noch kurze Zeit, und in der Zeit litt er die
größte Plage.
Ich antworte dir: Die Schrift sagt, oder
richtiger, ich selbst habe gesagt, dass der
Gerechte, welchen Tod er auch erhält, vor
Gott gerecht ist; Weltmenschen halten den für
gerecht, der ein schönes Ende ohne Plage und
Schande hat, aber Gott hält den für gerecht,
der durch eine lange Askese erprobt ist oder
um der Gerechtigkeit willen Verfolgung leidet.
Denn Gottes Freunde werden auf dieser Welt
geplagt, entweder, damit sie eine geringere
Strafe in der kommenden erleiden, oder damit
sie eine größere Krone im Himmel empfangen.
Petrus und Paulus starben um der Gerechtigkeit
willen, aber Petrus auf eine bitterere Weise
als Paulus, weil er das Fleisch mehr als
Paulus liebte und weil er die Oberhoheit über
meine Kirche empfangen hatte, und sich mir
durch einen bittereren Tod hätte angleichen müssen.
Weil Paulus mehr die Askese liebte und mehr
arbeitete, empfing er wie ein berühmter
Ritter das Schwert[2], denn ich ordne alles
nach Verdienst und Maß.
Deshalb ist es nicht ein verächtlicher Tod,
sondern der Wille und die Absicht des
Menschen, der vor Gottes Richterstuhl krönt
oder verurteilt. Ebenso ist es mit diesen
beiden Bischöfen, denn der eine erlitt eine
bittere Plage und einen schimpflicheren Tod,
und das führte bei ihm zu einer geringeren
Strafe, wenn auch nicht zur Herrlichkeit
nachdem er nicht gutwillig litt. Der andere
dagegen erhielt ein ehrenvolles Ende, und das
geschah durch meine heimliche Gerechtigkeit,
aber das gereichte ihm nicht zu ewiger
Belohnung, weil er seinen Willen nicht
besserte, als er lebte.“
[1]. D.h. was Gott
Birgitta diktiert, und was sie gleichzeitig
ihrem Sekretär diktiert.
[2]. D.h. den Tod durchs Schwert. |
Offenbarungen,
gegeben in Italien 1350
20.
Kapitel |
Maria rühmt vor
Birgitta den heiligen Benedikt[6] und die
Absichten, die dieser bei der Stiftung seines
Ordens hatte. Sie deutet an, dass die jetzigen
Benediktiner vom hohen Ideal ihres Stifters
abgefallen sind.
Die
Mutter spricht: ”Tochter, es steht
geschrieben, dass der, der fünf Pfund
empfangen hat, fünf andere Pfunde dazu
erworben hat. Was ist das Pfund anderes, als
die Gabe des Heiligen Geistes? Manche
empfangen ja Weisheit, andere Reichtum, andere
Freundschaft bei den Reichen, aber alle
sollten ihrem Herrn den doppelten Gewinn davon
zurückgeben, nämlich von der Weisheit die Fähigkeit,
sich selbst und anderen zum Nutzen zu leben
und die Unterweisung weiterzugeben, und von
Reichtümern und anderem zeitlichen Gut die
Bereitschaft, sie verständig zu gebrauchen
und anderen barmherzig beizustehen.
So vervielfachte dieser gute Abt Benedikt die
Gnadengabe, die er empfangen hatte, indem er
alles verschmähte, was vergänglich war,
zwang sein Fleisch, dem Geist zu gehorchen,
und nichts über die göttliche Liebe stellte.
Außerdem floh er hinaus in die Einöde, weil
er fürchtete, dass seine Ohren durch das Hören
von etwas Unnützem und die Augen durch das
Anschauen nutzbringender Dinge befleckt werden
könnten, und so ahmte er den nach, der schon
vor seiner Geburt im Mutterleib jubelte, als
er die Ankunft seines allerhuldreichsten Erlösers
vernahm.[1]
Gewiss hatte Benedikt die Seligkeit des
Himmels auch draußen in der Einöde
empfangen, denn die Welt war für ihn tot, und
sein Herz war ganz erfüllt von Gott, aber es
gefiel Gott doch, Benedikt zu dem Berge zu
berufen, damit er umso mehr Menschen bekannt würde,
und damit durch sein Beispiel mehrere zu einem
vollkommenen Leben angehalten werden sollten.
Der Leib dieses heiligen Mannes war wie ein
Sack aus Erde, in dem das Feuer des Heiligen
Geistes enthalten war, das alle Feuer des
Teufels von seinem Herzen ausschloss. Denn wie
das irdische Feuer von zwei Dingen entzündet
wird, nämlich von der Luft und vom Blasen des
Menschen, so geht der Heilige Geist entweder
durch persönliche Eingebung oder durch
irgendeine menschliche Handlung oder durch
irgendeinen göttlichen Ausspruch, der den
Sinn zu Gott weckt, in die Seele des Menschen
ein.
Ebenso besucht auch der Geist des Teufels die
Seinen, aber die sind weit getrennt. Denn der
Heilige Geist entzündet wohl die Seele, Gott
zu suchen, verbrennt den Menschen aber nicht körperlich;
er spendet Licht durch reine Ehrbarkeit, aber
verdunkelt nicht den Sinn durch das Böse. Der
böse Geist dagegen flößt dem Sinn ein
verzehrendes Verlangen nach dem Fleischlichen
und eine unerträgliche Bitterkeit ein. Er
verdunkelt auch die Seele, so dass sie nicht
selbst sehen kann, und drückt sie trostlos
auf das Irdische herunter.
Deshalb rief Gott Benedikt zum Berge, damit
das gute Feuer, was in ihm war, mehrere
entflammen sollte, und dann rief Benedikt
mehrere andere Funken zu sich und machte durch
Gottes Geist aus ihnen ein gewaltiges Feuer.
Und er stellte für sie eine Klosterregel aus
Gottes Geist zusammen, durch die viele ebenso
vollkommen wurden, wie er selbst. Nun sind
zwar viele Brände von St. Benedikts Feuer
ausgebreitet; sie liegen überall verstreut
und haben Kälte statt Wärme und Dunkel statt
Licht. Aber wenn sie im Feuer zusammengefasst
wären, würden sie überall Feuer und Wärme
von sich geben.“
[1]. Diese Offenbarung
steht im Zusammenhang mit Birgittas Besuch im
Kloster Farfa (etwa 70 km nördl. von Rom in
der Gegend von Terni) kurz nach ihrer Ankunft
in Italien. |
21.
Kapitel |
Maria fährt fort,
den ursprünglichen benediktinischen Geist zu
rühmen und den Abfall der jetzigen
Benediktiner von diesem Geist zu tadeln. Sie
deutet die Notwendigkeit einer Reform an.
Die
Mutter spricht: ”Ich habe dir vorher gesagt,
dass der Leib des hl. Benedikt wie ein Sack
war, der gezüchtigt und gelenkt wurde, aber
selbst nicht lenkte. Seine Seele war wie ein
Engel, der große Wärme ausstrahlte, wie ich
dir in einem Gleichnis zeigen will. Stell dir
drei Feuer vor, von denen das erste mit Myrrhe
angesteckt wurde und einen lieblichen
Wohlgeruch von sich gab. Das zweite war mit dürrem
Holz angezündet und gab glühende Kohle und
eine helle klare Flamme. Das dritte war mit
Olivenzweigen angesteckt und gab eine Flamme,
Licht und Wärme.
Unter diesen drei Feuern verstehe ich drei
Personen, und mit den drei Personen drei Zustände
auf der Welt. Das erste war der Zustand derer,
die unter dem Eindruck von Gottes Liebe ihren
eigenen Willen in die Hände anderer übergaben,
die statt der Eitelkeit und des Hochmuts der
Welt Armut und Schmach auf sich nahmen, und
die statt Unmäßigkeit Enthaltsamkeit und
Reinheit liebten. Diese hatten ihr Feuer von
der Myrrhe, denn wie die Myrrhe bitter ist,
aber die Dämonen vertreibt und den Durst löscht,
so war deren Askese bitter für den Körper,
aber ließ das ungeordnete Begehren erlöschen
und machte die ganze Macht der Dämonen
zunichte.
Der andere Zustand ist der von denen, die so für
sich selber dachten: Warum lieben wir die Ehre
der Welt, wo sie doch nichts anderes ist als
Luft, die in die Ohren bläst? Warum lieben
wir das Gold, wenn es nichts anderes ist, als
Staub? Was ist das Ende des Fleisches als
Verwesung und Asche? Was nützt es uns, nach
irdischen Dingen zu trachten, wenn alles doch
Eitelkeit ist? Deshalb wollen wir nur dafür
leben und arbeiten, dass Gott in uns geehrt
werde, und dass andere durch unsere Worte und
unser Beispiel zur Gottesliebe entzündet
werden.
Solche Menschen hatten ihr Feuer von dürrem
Holz, denn die Liebe zur Welt war für sie
tot, und jeder von ihnen gab die glühende
Kohle der Gerechtigkeit und die klare Flamme
der heiligen Verkündigung von sich. Der
dritte Zustand war der von denen, die vor
Liebe zu Christi Leiden glühten und mit ihrem
ganzen Begehren wünschten, für Christus
sterben zu dürfen.
Diese hatten ihr Feuer vom Olivenbaum. Denn
wie die Olive Fettigkeit und größere Wärme
in sich hat, wenn sie angezündet wird, so
waren diese ganz und gar vom Fett der göttlichen
Gnade gesättigt, durch die sie das Licht der
göttlichen Weisheit, den heißeren Brand der
Liebe und die Stärke des ehrbarsten Wandels
von sich gaben.
Diese drei Feuer breiteten sich weit und breit
aus. Das erste von ihnen entzündete sich in
den Eremiten und den Menschen mit reinem
Lebenswandel, wie Hieronymus schreibt, der,
inspiriert vom Heiligen Geist deren Leben
wunderbar fand, und wert, ihm nachzufolgen.
Das zweite Feuer wurde in den Bekennern und
Lehrern entzündet, das dritte in den Märtyrern,
die ihr Fleisch für Gott verschmähten –
auch andere hätten es verschmäht, wenn sie
Hilfe von Gott erhalten hätten.
Zu einigen von diesen drei Feuern oder
Menschen in dieser Lage wurde der heilige
Benedikt gesandt. Er blies die drei Feuer zu
einem zusammen, so dass die, die unklug waren,
erleuchtet würden, die, die kalt waren, entzündet
würden, und die, die warm waren, noch heißer
würden. Und so begann mit diesen Feuern
Benedikts Ordensleben, das einen jeden nach
seiner Veranlagung und seinem Fassungsvermögen
auf den Weg zur Erlösung und der ewigen Glückseligkeit
führte.
Aber wie die Lieblichkeit des Heiligen Geistes
vom Sack des heiligen Benedikt ausging,
wodurch viele Klöster erneuert wurden, so ist
der Heilige Geist aus vielen Säcken seiner Brüder
gewichen, denn da ist die Glut der Asche
erloschen, und die Brände liegen rings
verstreut und geben weder Wärme noch Glanz
von sich, sondern nur den Qualm der Unreinheit
und Gelüste.
Doch hat mir Gott zur Freude vieler Menschen
drei Funken gegeben, unter denen ich mehrere
verstehe. Der erste ist durch die Wärme und
den Glanz der Sonne aus Kristall entsprungen,
und der hat nun in dem dürren Holz einen
festen Platz gefunden, damit dadurch ein großes
Feuer entstehen sollte. Der zweite ist aus dem
harten Feuerstein gesprungen, der dritte aus
dem unfruchtbaren Baum, der mit seinen Wurzeln
wuchs und seine Blätter ausbreitete.
Mit dem Kristall, das ein kalter und spröder
Stein ist, wird die Seele bezeichnet, die,
obwohl sie kalt für Gottes Liebe ist, doch
mit ihrem Willen und ihrem Begehren nach
Vollkommenheit strebt und Gott bittet, ihr zu
helfen. Deshalb trägt dieser Wille sie zu
Gott und erreicht, dass ihre Heimsuchungen erhöht
werden, durch die ihre bösen Triebe erkalten,
bis Gott das Herz erleuchtet, und sich die an
Wollust arme Seele so festigt, dass sie jetzt
nur noch zu Gottes Ehre leben will.
Mit dem Feuerstein wird dagegen der Hochmut
bezeichnet. Denn was ist härter als der
Hochmut bei dem Menschen, der sich wünscht,
von allen gelobt zu werden, und trotzdem demütig
und fromm erscheinen möchte? Was ist
verabscheuungswürdiger als die Seele, die
sich in allen ihren Gedanken für mehr als
andere hält und es nicht erträgt, von
jemandem zurechtgewiesen oder belehrt zu
werden?
Doch beten viele, die so eingebildet sind, demütig
zu Gott, dass der Hochmut und der Ehrgeiz aus
ihren Herzen fortgenommen werden möge.
Deshalb wirkt Gott mit ihrem guten Willen
zusammen, entfernt das Hinderliche aus ihrem
Herzen und schenkt manchmal sanfte, angenehme
Dinge, durch die die beiden vom Irdischen
abgelenkt und angespornt werden, das
Himmlische zu suchen.
Mit dem unfruchtbaren Baum ist schließlich
die Seele gemeint, die, in Hochmut aufgezogen,
nur für die Welt Früchte trägt und begehrt,
die Welt und alle ihre Ehren zu besitzen. Doch
wirft sie, weil sie den ewigen Tod fürchtet,
viele Sprösslinge der Sünde ab, die sie
aufziehen würde, wenn sie diese Furcht nicht
haben würde. Daher naht sich Gott der Seele
auf Grund dieser rechtmäßigen Furcht und
schenkt ihr seine Gnade, so dass der unnütze
Baum fruchtbar werden möge. – Mit solchen
Funken sollte also das Ordensleben des
heiligen Benedikt erneuert werden, das jetzt
vielen verlassen und verachtet scheint.
|
22.
Kapitel |
Maria beschließt
ihre Rede über die damaligen italienischen
Benediktiner mit einer besonderen Klage über
Arnold, Abt im Benediktinerkloster Farfa bei
Rom. Birgitta besuchte dieses Kloster kurz
nach ihrer Ankunft in Rom im Jahre 1350,
beobachtete dessen Verfall und trug den
Bewohnern des Klosters die himmlische Klage
vor, die jedoch scheinbar nicht zu einer
Nachfolge führte.
Weiter
spricht die Mutter zur Braut: „Was siehst du
Sträfliches bei diesem, der hier steht?“
Sie erwidert: „Dass er nur sehr selten die
Messe liest.“ Die Mutter antwortete ihr:
„Deshalb soll er nicht verurteilt werden. Es
gibt nämlich viele (Priester), die an ihre
Arbeiten denken und daher klug darauf
verzichten, die Messe zu lesen, und die doch
deshalb nicht weniger wohlgefällig sind. Aber
was siehst du bei diesem noch mehr?“
Sie sagte: „Dass er nicht die Kleider hat,
die vom Heiligen Benedikt vorgeschrieben
sind.“ Die Mutter sagte zu ihr: „Es
geschieht oft, dass eine Gewohnheit begonnen
wird. Alle, die wissen, dass sie schlecht ist
und ihr doch folgen, sind strafwürdig. Die
dagegen lobenswerte Satzungen nicht kennen und
sich gern mit schlichteren Gewändern begnügen
würden, sofern die lange Gewohnheit nicht so
mächtig ist, die sollen nicht rasch und
unbarmherzig verurteilt werden.
Aber höre nun zu, so will ich dir mitteilen,
dass er wegen drei anderer Dinge Strafe
verdient. Erstens, dass sein Herz, in dem Gott
weilen sollte, in der Brust der Dirnen steckt.
Zweitens, weil er das wenige, was er besaß,
verlassen hat und das viele begehrte, was
andere haben; dass er gelobt hat, sich selber
aufzugeben, und doch ganz seinem eigenen
Willen folgt. Drittens deshalb, da Gott seine
Seele schön wie ein Engel schuf, und er
deshalb ein engelhaftes Leben führen sollte,
aber seine Seele ist nun wie der Engel, der
durch seinen Übermut von Gott abgefallen ist.
Er ist groß unter den Menschen, aber wie er
vor Gott ist, das weiß Gott. Gott ist nämlich
wie der, der etwas in der Faust versteckt hat
und es vor anderen verbirgt, bis er die Faust
öffnet. So erwählt Gott die schwachen und
verbirgt ihre Krone in diesem Leben, bis er
einem jeden nach seinen Taten vergilt.“
|
Erklärung |
Dies
war ein sehr weltlicher Abt, der sich nicht um
die Seelen kümmerte, und der schnell und ohne
Sakrament starb. Über ihn sagt der Heilige
Geist: „O Seele, du hast die Welt geliebt,
und jetzt nimmt die Erde dich zurück. Du
warst tot in deinem Leben, und jetzt sollst du
mein Leben nicht bekommen und nicht an mir
teilhaben, denn du hast die Gesellschaft von
dem geliebt, der durch seinen Hochmut von mir
abgefallen ist und die wahre Demut verachtet
hat.[1]
[1]. Die Offenbarung
bezieht sich auf Abt Arnold im
Benediktinerkloster Farfa, das Birgitta kurz
nach ihrer Ankunft in Rom besuchte.
|
Offenbarungen,
die nicht datiert werden können.
23.
Kapitel |
|
Gott Vater spricht mit
Birgitta über das Geheimnis der Dreieinigkeit.
O du mein
lieblichster Gott, ich bitte dich für die Sünder,
zu denen ich selbst gehöre, dass du geruhst, dich
ihrer zu erbarmen.“ Gott Vater antwortete:
„Ich höre und kenne deinen Willen. Deshalb soll
das Gebet deiner Liebe erfüllt werden, und zwar
deshalb, wie Johannes in der Epistel des Tages
sagt – oder eher, ich durch Johannes: „Drei
sind es, die auf Erden Zeugnis ablegen: Der Geist,
das Wasser und das Blut, und drei im Himmel, der
Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Drei geben
dir Zeugnis. Denn der Heilige Geist, der dich im
Mutterleib bewahrt hat, bezeugt für deine Seele,
dass du Gottes durch den Glauben bist, den deine Väter
auf deinen Wegen bei der Taufe bekannt haben. Das
Wasser der Taufe gibt dir Zeugnis, dass du durch
Wiedergeburt und Reinigung von Adams Sünde die
Tochter der Menschlichkeit Christi bist. Christi
Blut, durch das du erlöst bist, schenkt dir auch
das Zeugnis, dass du die Tochter der Gottheit bist
und durch das Sakrament der Kirche von der Gewalt
des Teufels geschieden bist. Und wir Vater, Sohn
und Heiliger Geist, drei Personen, aber eins nach
Wesen und Macht, bezeugen dir, dass du durch den
Glauben zu uns gehörst, ebenso auch alle, die dem
rechten Glauben der heiligen Kirche folgen.
Und zum Zeugnis dafür, dass du unseren Willen
tust, sollst du hingehen und Christi Leib und Blut
aus der Hand des Priesters empfangen, auf dass der
Sohn es dir bezeugen kann, dass du sein bist,
dessen Leib du zur Stärkung der Seele annimmst,
damit der Vater, der im Sohn ist, dir das Zeugnis
geben kann, dass du dem Vater und dem Sohn gehörst,
und dass auch der Heilige Geist, der im Sohn und
Vater ist, und der Geist in ihnen beiden, der
bezeugen kann, dass du diesen dreien angehörst,
die durch den wahren Glauben und die Liebe eins
sind.“
|
24.
Kapitel |
Christus beschreibt
Birgitta mit Hilfe eines Gleichnisses die
guten und die zur Buße bereiten Sünder und
die unbußfertigen.
O mein
Herr Jesus Christus, ich bitte dich, dass dein
Glaube sich über die Ungläubigen ausbreiten
möge, dass die Guten in deiner Liebe entzündet
werden, und dass die Bösen gebessert werden mögen.“
Der Sohn erwiderte: „Du bist darüber betrübt,
dass Gott allzu wenig Ehre hat, und du wünschst
von deinem ganzen Herzen, dass Gottes Ehre
vollkommen werde. Daher will ich dir ein
Gleichnis erzählen, aus dem du verstehen
magst, dass Gott auch durch die Bosheit
schlechter Menschen geehrt wird, wenn auch
nicht durch ihr Verdienst und ihren Willen.
Es war nämlich eine weise und schöne
Jungfrau, reich und tugendhaft, die neun Brüder
hatte. Jeder von ihnen liebte seine Schwester
wie sein eigenes Herz, und das Herz eines
jeden war sozusagen in ihr. In dem Reich, wo
die Jungfrau wohnte, war es so bestimmt, dass
der, der andere ehrte, selbst geehrt wurde,
wer raubte, sollte selbst beraubt werden, und
wer Gewalt anwendete, enthauptet werden
sollte.
Der König des Landes hatte drei Söhne. Der
erste von diesen liebte die Jungfrau und bot
ihr goldene Schuhe und goldene Schärpen, Gold
für die Finger der Hand und eine Krone für
den Scheitel an. Der zweite begehrte das
Eigentum der Jungfrau und plünderte sie aus.
Der dritte begehrte ihre Jungfräulichkeit und
versuchte, ihr Gewalt anzutun.
Diese drei Königssöhne wurden von den neun
Brüdern der Jungfrau gefangen genommen und
vor den König geführt. Die Brüder sagten
zum König: „Deine Söhne haben unsere
Schwester begehrt. Der erste ehrte sie und
liebte sie von ganzem Herzen. Der zweite plünderte
sie aus. Der dritte hätte gern sein Leben
hingeben wollen, wenn er ihr hätte Gewalt
antun können. Und sie wurden gerade zu der
Stunde gefangen genommen, als sie fest
entschlossen waren, das zu vollbringen.“
Als der König das hörte, antwortete er:
„Alle sind sie meine Söhne, und ich liebe
sie alle ebenso sehr. Doch kann ich weder
gegen die Gerechtigkeit handeln, sondern ich
habe vor, über meine Söhne wie über meine
Diener zu urteilen. Komm daher, du mein Sohn,
der die Jungfrau ehrte, und empfange mit
deinem Vater Ehre und Krone. Aber du, mein
Sohn der das Eigentum der Jungfrau haben
wollte, und sie ausgeplündert hast, du wirst
im Gefängnis sitzen, bis das Geraubte zurückerstattet
ist. Ich habe das Zeugnis über dich gehört,
dass du deine Tat bereut hast und das zurückgeben
wolltest, was du geraubt hast, aber nicht dazu
gekommen bist, weil das schnelle und
unvorhergesehene Gericht dir zuvorkam. Deshalb
sollst du im Gefängnis bleiben, bis das
letzte Scherflein zurückerstattet ist.
Aber du mein Sohn, du hast alles versucht, die
Jungfrau zu vergewaltigen, aber hast dein Tun
nicht bereut, und daher sollst du auf die
gleiche Weise geplagt werden, wie du Mittel
angewendet hast, um zu versuchen, die Jungfrau
zu kränken.“ Alle Brüder der Jungfrau
antworteten: „Lob sei dir, Richter, für
deine Gerechtigkeit. Wenn es in deiner
Gerechtigkeit keine Tugend und keine
Unparteilichkeit und Liebe gegeben hätte, so
hättest du nie in dieser Weise geurteilt.“
Diese Jungfrau bedeutet die heilige Kirche,
die so eingerichtet ist, dass sie hoch und
edel in ihrem Thron ist, schön in den sieben
Sakramenten, lobenswert in ihren Sitten und
Tugenden und hold in ihrer Frucht ist, weil
sie den wahren Weg zur Ewigkeit zeigt. Diese
heilige Kirche hat gleichsam drei Söhne, und
mit ihnen sind viele gemeint. Der erste
bezeichnet die, die Gott von ganzem Herzen
lieben. Der zweite bezeichnet die, die
zeitliche Dinge zu seiner Ehre lieben. Der
dritte bezeichnet die, die ihre eigene Lust
vor Gott stellen.
Die Jungfräulichkeit der Kirche bezeichnet
die Menschenseelen, die nur durch die Macht
der Gottheit geschaffen sind. Der erste Sohn
schenkt goldene Schuhe, wenn er Reue über
seine Übertretungen und Versäumnisse
empfindet. Er bietet Kleider an, wenn er auf
die Vorschriften des Gesetzes achtet und den
Rat des Evangeliums beachtet, so weit er kann.
Er bietet einen Gürtel an, wenn er sich fest
vornimmt, in Enthaltsamkeit und Keuschheit
auszuharren. Er setzt einen Ring auf die Hand
der Jungfrau, wenn er fest daran glaubt, was
die heilige Katholische Kirche lehrt, nämlich
das kommende Gericht und das ewige Leben.
Der Stein des Ringes ist die Hoffnung, in der
er beständig hofft, dass keine Sünde so
verabscheuungswürdig ist, dass sie nicht
durch Buße und den Willen zur Besserung
ausgetilgt werden kann. Er setzt die Krone auf
den Scheitel der Jungfrau, wenn er die wahre
Liebe hat. So wie es viele verschiedene Steine
in der Krone gibt, so gibt es viele
verschiedene Tugenden in der Liebe. Aber das
Haupt der Seele oder Kirche, das ist mein
Leib. Jeder, der diesen meinen Leib liebt und
ehrt, der wird mit Recht Gottes Kind genannt.
Deshalb hat ein jeder, der die heilige Kirche
und seine Seele in dieser Weise liebt, neun Brüder.
Die Brüder sind die neun Engelchöre, denn
mit ihnen wird er das Erbe übernehmen, und
ihre Gesellschaft wird er im ewigen Leben
genießen. Diese Engel empfangen die heilige
Kirche nämlich mit aller Liebe, als ob sie im
Herzen eines jeden wäre. Es sind ja nicht die
Steine und die Wände, die die heilige Kirche
ausmachen, sondern es sind die Seelen der
Gerechten, und deshalb freuen sich die Engel
über ihre Ehre und sind darüber so glücklich,
wie über ihre eigene.
Der zweite Bruder oder Sohn bezeichnet die,
die die Einrichtung der heiligen Kirche
verachten, die für die Ehre der Welt und die
Liebe des Fleisches leben, die die Schönheit
der Tugenden entstellen und nach ihrem eigenen
Willen leben, aber doch gegen Ende ihres
Lebens bereuen und Zerknirschung über ihre
schlechten Taten empfinden. Die sollen im
Fegefeuer gereinigt werden, bis sie durch die
Werke und Gebete der Kirche mit Gott versöhnt
werden.
Der dritte Sohn bezeichnet die, die ihre
eigene Seele zu Fall bringen und sich nicht
darum kümmern, ob sie ewig verloren geht,
wenn sie hier nur ihre Lust befriedigen können.
Über solche Menschen fordern die neun Engelchöre
Gerechtigkeit, denn sie haben es abgelehnt,
umzukehren und Buße zu tun. Wenn Gott
Gerechtigkeit übt, loben ihn deshalb die
Engel für seine unbeugsame Unparteilichkeit.
Aber wenn Gottes Ehre vollkommen wird, dann
freuen sie sich seiner Tugend, dass er auch
die Bosheit schlechter Menschen zu seiner Ehre
nützt. Daher sollst du, wenn du böse
Menschen siehst, mit ihnen Mitleid haben, dich
aber über Gottes ewige Ehre freuen. Denn
Gott, der nichts Böses will, weil er Schöpfer
aller Dinge ist und in Wahrheit in sich selbst
Güte ist, er lässt doch als der gerechteste
Richter vieles geschehen, wofür er im Himmel
und auf Erden für seine Unparteilichkeit und
seine verborgene Güte geehrt wird.“
|
25.
Kapitel |
Maria spricht mit
Birgitta über Christi Beschneidung.
Die
Mutter spricht und sagt: „Ich klage zuerst
darüber, dass dieses unschuldigste Lamm, das
am allerbesten gehen konnte, heute eingesperrt
wurde. Heute schwieg das kleine Kind, das am
allerbesten reden konnte. Heute wird das
unschuldigste Kind beschnitten, das nie gesündigt
hat, und wenn ich auch nicht erzürnt werden
kann, scheine ich doch darüber zornig zu
sein, dass der höchste Herr, der ein kleines
Kind geworden ist, von seinen Geschöpfen
vergessen und verachtet wird.“[1]
[1]. Dieses Stück kann
als eine kurze Predigt zum Neujahrstag, dem
Fest der Beschneidung Christi, angesehen
werden. Maria beschreibt, wie Gottes Sohn
seine Herrlichkeit im Himmel verließ, um ein
kleines, hilfloses Kind zu werden. |
26.
Kapitel |
Christus erklärt
Birgitta, welches Schicksal die gerechten
Juden und die Heiden nach dem Tode trifft.
Der Sohn
spricht: ”Ich bin der Schöpfer Himmels und
der Erde, eins mit dem Vater und dem Heiligen
Geist, wahrer Gott. Denn Gott ist der Vater,
Gott ist der Sohn, Gott ist der Heilige Geist,
und doch nicht drei Götter, sondern drei
Personen, und ein Gott. Aber nun könntest du
fragen: Warum sind es nicht drei Götter, wenn
es drei Personen sind? Ich antworte dir, dass
Gott nichts anderes ist als die Macht, die
Weisheit und die Güte, von der alle Macht
unter und über dem Himmel und außerdem alle
Weisheit und alle Güte stammt, die man sich
denken kann.
So ist Gott dreifaltig und doch einer, drei an
Personen, aber eine nach der Natur. Denn die
Macht und Weisheit, die ist der Vater, von dem
alles ist, und der vor allem ist, und er hat
die Macht von keinem anderen, als von sich
selber und in Ewigkeit. Macht und Weisheit
sind auch der Sohn, ebenso wie der Vater,
nicht von sich selbst aus mächtig, sondern
vom Vater in mächtiger und unaussprechlicher
Weise geboren, Anfang vom Anfang, und niemals
irgendwie vom Vater getrennt.
Macht und Weisheit sind auch der Heilige
Geist, der vom Vater und dem Sohne ausgeht,
der ewig mit dem Vater und dem Sohn ist und
ihnen gleich an Majestät und Macht. Es ist
also ein Gott und drei Personen, denn die drei
haben eine Natur, eine Wirksamkeit und einen
Willen, eine Ehre und Macht.
Gott ist einer nach seinem Wesen, und doch
sind die Personen getrennt. Denn der Vater ist
ganz und gar im Sohn und Geist, der Sohn ist
ganz und gar im Vater und im Geist, der Geist
ist ganz und gar in ihnen beiden, in einer
einzigen Gottesnatur, nicht als ob einer früher
oder später wäre, sondern auf
unaussprechliche Weise. Da gibt es kein Früher
oder Später, nichts Größeres oder Kleineres
als das Andere, nichts auf andere Weise,
sondern alles ist unaussprechlich und gleich.
Deshalb steht mit Recht geschrieben, dass Gott
wunderbar und hoch zu loben ist.
Nun muss ich aber darüber klagen, dass ich für
viele wenig gelobt werde und unbekannt bin,
denn alle suchen ihren eigenen Willen, aber
wenige suchen meinen. Aber sei du standhaft
und demütig und überhebe dich nicht in
deinen Gedanken, wenn ich dir Gefahren von
anderen zeige, und verrate ihren Namen nicht,
sofern ich es dir nicht befehle. Es gereicht
ihnen nicht zur Schande, wenn dir ihre
Gefahren gezeigt werden, sondern damit sie
sich bekehren und Gottes Gerechtigkeit und
Barmherzigkeit kennen lernen.
Und du sollst ihnen nicht wie Verdammten aus
dem Wege gehen, denn wenn ich dir auch heute
sage, dass einer höchst erbärmlich ist, so
bin ich doch bereit, ihm zu vergeben, wenn er
mich morgen mit Zerknirschung und dem Willen
anruft, sich zu bessern. Und von dem, von dem
ich gestern sagte, dass er höchst niederträchtig
ist, so sage ich doch heute, dass er mein
liebster Freund wegen seiner Zerknirschung
ist, ja so lieb, dass – wenn seine
Zerknirschung von Dauer ist – ich ihm nicht
nur die Sünde verzeihen, sondern ihm auch die
Sündenstrafe erlassen will.
Du wirst dies durch ein Gleichnis verstehen.
Wenn zwei Quecksilberkugeln schnell
aufeinander stoßen und nicht mehr als eine
Haaresbreite bei ihrer Vereinigung fehlt, so wäre
Gott doch imstande, zu bewirken, dass sie sich
nicht vereinigen. Ebenso würde ein Sünder,
wenn er noch so fest in teuflischen Taten
verwurzelt wäre, doch Vergebung und
Barmherzigkeit empfangen, wenn er Gott mit
Zerknirschung und dem Willen, sich zu bessern,
anrufen würde.
Aber nun könntest du fragen, wo ich so
barmherzig bin, warum ich mich nicht über die
Heiden und Juden erbarme, von denen doch
manche für Gott sterben würden, wenn sie im
rechten Glauben unterwiesen würden. Ich
antworte dir, dass ich allen Barmherzigkeit
erweise, sowohl Heiden als auch Juden, und
dass nicht ein Geschöpf ohne meine
Barmherzigkeit gelassen wird. Denn die, die hören,
dass ihr Glaube nicht der wahre ist, und
eifrig nach dem wahren Glauben trachten, und
die, die meinen, dass der Glaube, den sie
haben, der beste sei, weil ihnen nie etwas
anderes gepredigt wurde, und die mit aller
Kraft tun, was sie können, deren Gericht wird
mit einer gewissen Barmherzigkeit erfolgen.
Denn das Gericht ist zweifach – nämlich für
die, die verdammt werden und für die, die erlöst
werden sollen. Die Christen, die verurteilt
werden, erhalten ein Gericht ohne Erbarmen:
Ewige Pein, ewige Finsternis und ein gegen
Gott verhärteter Wille. Das Gericht derer,
die erlöst werden sollen, wird dagegen sein:
Der Anblick Gottes, die Verherrlichung in
Gott, und für Gott Gutes zu tun. Davon sind
die Bösen und die falschen Christen so wie
die Heiden und Juden ausgeschlossen, die,
obwohl sie nicht den rechten Glauben hatten,
doch ihr Gewissen für den Richter hatten, und
glaubten, dass er, den sie verehrten und erzürnten,
Gott war.
Die Heiden und Juden dagegen, deren Wille und
Tun gerecht und gegen die Sünde gerichtet
war, die sollen ebenso wie die weniger
schlechten Christen ein barmherziges Gericht
in ihren Strafen erhalten, weil sie die
Gerechtigkeit liebten und die Sünde hassten.
Aber sie werden nicht die Freude erhalten,
Gott und seine Herrlichkeit zu schauen; die können
sie nicht sehen, weil sie nicht getauft sind,
denn ein zeitlich begrenztes Urteil Gottes hat
sie zurückgehalten, so dass sie die Erlösung
nicht auf fruchtbare Weise suchen und
erhalten. Aber wenn sie nichts gehindert hat,
den wahren Gott zu suchen und getauft zu
werden, sind sie vielleicht weder aus Furcht
oder Mühe, weder durch Verlust von Eigentum
und Ehre zurückgehalten, sondern nur durch
das Hindernis, das die menschliche Schwachheit
darstellt.
Deshalb werde ich, der den Cornelius[1] und
den Zenturio gesehen hat, ehe sie getauft
wurden, diese reichlicher und vollständiger
zu belohnen wissen, wie ihr Glaube es
erfordert. Denn das eine ist die Unkenntnis
des Bösen, etwas anderes die Unkenntnis der
Frömmigkeit und Schwierigkeit. All das kann
Gott beurteilen, er, der alle Herzen kennt.
Ich, der ohne Anfang ist, von Ewigkeit her
geboren und von neuem auf zeitliche Art
geboren ist, als die Zeit vollendet war, ich
wusste ja von Anfang an, die Verdienste aller
zu belohnen, und ich gebe einem jeden nach
seinem Verdienst. Nicht einmal das geringste
Gute, das zu Gottes Ehre getan wird, wird
unbelohnt bleiben. Daher sollst du Gott
vielmals danken, weil du von christlichen
Eltern und zur Zeit der Erlösung geboren
bist, denn viele haben es ersehnt, das zu
sehen und zu empfangen, was den Christen
angeboten wird, und haben es doch nicht
erhalten.“
[1]. Acta 10. |
Offenbarung,
gegeben in Rom um 1350
27.
Kapitel |
Maria und Christus
klagen bei Birgitta über die jetzige Zügellosigkeit
und Gottlosigkeit in Rom und stellen sie in
Gegensatz zu der früheren Heiligkeit der
Stadt.
Birgittas
Gebet zu Maria: „O Maria, obwohl ich unsanft
war, rufe ich doch zu dir um Hilfe, und ich
bitte dich, dass du geruhst, für diese
erhabenste und heiligste Stadt Rom zu bitten.
Ich sehe nämlich leibhaftig, dass einige der
Kirchen, in deren Gebeine der Heiligen ruhen,
aufgegeben sind. Manche werden noch besucht,
aber das Herz und die Sitten ihrer Vorsteher
sind weit von Gott entfernt. Bewirke daher
Liebe zu ihnen, denn ich habe aus den
Schriften gehört, dass jeder Tag im Jahr
siebentausend Märtyrer hier im Rom hat. Und
deshalb – obwohl die Seelen nicht weniger
Ehre im Himmel haben, wenn ihre Gebeine auf
Erden auch vergessen sind, bitte ich dich,
dass deinen Heiligen und ihren Reliquien auf
Erden größere Ehre erwiesen und so die Frömmigkeit
des Volkes aufgeweckt wird.“
Die Mutter erwiderte: „Wenn du ein Stück
Land vermessen würdest, das 400 Fuß lang und
ebenso breit ist, und es ganz und gar mit
reinem Weizenkorn so dicht besäen würdest,
dass kein größerer Abstand zwischen den Körnern
als eine Fingerbreite wäre, und jedes Korn
dann hundertfache Frucht bringen würde, so hätte
es doch seit der Zeit, als Petrus mit Demut
nach Rom kam, noch mehr Märtyrer und Bekenner
in Rom gegeben – und bis zu der Zeit, als
Celestinus den Thron des Hochmuts verließ und
zu seinem Einsiedlerleben zurückkehrte.[1]
Aber ich spreche von den Märtyrern und
Bekennern, die den wahren Glauben gegen den
Aberglauben und Demut gegen den Hochmut
predigten, und die für die Wahrheit des
Glaubens starben (oder zu sterben bereit
waren). Denn Petrus und so viele andere waren
so glühend und eifrig, Gottes Wort bekannt zu
machen, dass sie – wenn sie für jeden
Menschen besonders hätten sterben können –
das gern getan hätten. Doch waren sie ängstlich,
dass sie aus ihren Augen fortgenommen werden könnten,
die sie mit Worten des Trostes und der Verkündigung
erquickten, denn sie wollten lieber deren Erlösung,
als ihr eigenes Leben und ihre eigene Ehre.
Sie waren auch vorsichtig, und deshalb traten
sie zur Zeit der Verfolgung nur heimlich auf,
um desto mehr Seelen sammeln und gewinnen zu können.
Zwischen diesen beiden, nämlich Petrus und
Celestinus, waren nicht alle gute Menschen,
und auch nicht alle schlecht. Laß uns sie in
drei Kategorien einteilen, wie du heute
gelernt hast[2]: Positiv, Komparativ und
Superlativ, d.h. die Guten, die Besseren und
die Besten. Zur ersten Kategorie gehörten
die, die so dachten: „Wir glauben, was die
heilige Kirche vorschreibt. Wir wollen nicht
betrügen, sondern das zurückerstatten, was
mit Betrug erworben ist, und wir wünschen von
ganzem Herzen, Gott zu dienen.“
Ähnliche Menschen gab es auch zur Zeit des
Romulus, des Gründers von Rom, die Gott
gehorchten, soweit sie es konnten, und
dachten: „Wir verstehen und wissen durch die
geschaffenen Lebewesen, dass Gott der Schöpfer
aller Dinge ist; ihn wollen wir deshalb über
alles lieben.“ Und viele dachten so: „Wir
haben von den Hebräern gehört, dass sich
ihnen der wahre Gott durch offenbare
Vorzeichen gezeigt hat.
Und deshalb würden wir, wenn wir wüssten,
auf wen wir eigentlich hoffen sollen, das
gerne tun.“
All diese gehörten sozusagen zur ersten
Kategorie. Aber zu einer günstigen Zeit kam
Petrus nach Rom, und er erhob manche zu der
positiven Kategorie, andere zur komparativen,
andere zur Superlativen. Die, die den wahren
Glauben annahmen und im Stand der Ehe oder
einem anderen lobenswerten Stande lebten, die
gehörten zur positiven Kategorie. Die, die
aus Liebe zu Gott ihr Eigentum verließen, die
mit Worten, Beispielen und Taten anderen
Menschen gute Vorbilder gaben, wie man leben
soll, und die nichts über Christus setzten,
die gehörten zum komparativen Grad. Die, die
aus Liebe zu Gott ihr eigenes Fleisch
opferten, gehörten zum Superlativen Grad.
Aber laß uns in diesen drei Kategorien
suchen, wo es jetzt eine brennende Liebe zu
Gott gibt. Laß uns unter den Rittern und
Gelehrten suchen, laß uns unter dem
Klostervolk und den Weltverächtern suchen,
die doch zur komparativen und Superlativen
Kategorie gehören sollten, und sicher werden
wir nur sehr wenige finden, die eine solche
Liebe haben. Denn es gibt kein strengeres
Leben als das des Ritters, wenn es in seiner
wahren Einrichtung Bestand hat.
Wenn es dem Mönch vorgeschrieben ist, eine
Kutte zu tragen, so ist es dem Ritter
vorgeschrieben, das zu tragen, was schwerer
ist, nämlich den Panzer. Wenn es dem Mönch
schwer fällt, gegen die Wollust des Fleisches
anzukämpfen, so ist es für den Ritter
schwerer, gegen bewaffnete Feinde vorzugehen.
Wenn dem Mönch ein hartes Bett vorgeschrieben
ist, so ist es schwerer für den Ritter, in
der Waffenrüstung auszuruhen. Und wenn der Mönch
durch seine Askese geängstigt und geplagt
wird, so ist es härter für den Ritter, ständig
von der Angst um sein Leben geplagt zu werden.
Denn die christliche Ritterschaft wurde nicht
für weltliche Habsucht oder Gewinnlust ins
Leben gerufen, sondern um die Wahrheit zu
verteidigen und den wahren Glauben zu
verbreiten. Und deshalb soll der Stand des
Ritters und des Mönchs in der Superlativen
oder komparativen Kategorie enthalten sein.
Aber jetzt sind alle Kategorien von ihrer
lobenswerten Einrichtung abgefallen, denn die
Liebe zu Gott ist in ein Verlangen nach dem
Weltlichen verwandelt worden. Denn wenn es
riskant wäre, dass von diesen dreien ein
Goldpfennig abgezogen würde, würden die
meisten lieber die Wahrheit verschweigen, als
dass sie reden und damit den Pfennig verlieren
würden.“
Nun sprach die Braut und sagte: „Ich sah
weiter so etwas wie viele Gärten auf Erden,
und ich sah Rosen und Lilien in den Gärten.
Und auf einer ausgedehnten Stelle im Garten
sah ich einen Acker, hundert Schritt lang und
ebenso viele breit. In jedem Schritt waren
sieben Weizenkörner gesät, und jedes Korn
trug Hunderdfache Frucht. Dann hörte ich eine
Stimme, die sagte: „O Rom, Rom, deine Mauern
sind zerbrochen. Daher sind deine Tore ohne
Bewachung, deine Gefäße werden verkauft,
deine Altäre hat man aufgegeben. Der Wein,
das Opfer und der Weihrauch wird im Vorgarten
verbrannt, und deshalb geht der heilige, höchst
liebliche Wohlgeruch nicht mehr vom
Allerheiligsten aus.“
Und gleich zeigte sich Gottes Sohn und sagte
zur Braut: „Ich werde dir den Inhalt dessen
sagen, was du gesehen hast. Die Erde, die du
sahst, bezeichnet jeden Ort, wo sich jetzt der
christliche Glaube findet. Die Gärten
bezeichnen die Plätze, an denen Gottes
Heilige ihre Kronen gewonnen haben. Doch gab
es auch im Heidentum, d.h. in Jerusalem und an
anderen Orten viele Auserwählte Gottes, aber
diese Plätze wurden dir jetzt nicht gezeigt.
Der Acker, der hundert Fuß lang und ebenso
breit war, bezeichnet Rom. Denn wenn alle Gärten
in der ganzen Welt zusammengestellt und mit
Rom verglichen würden, wäre Rom sicher (ich
spreche jetzt auf menschliche Weise) ebenso
reich an Märtyrern wie sie, nachdem diese
Stadt für Gottes Liebe auserwählt ist.
Der Weizen, den du auf jedem Schritt gesehen
hast, bezeichnet die, die durch Kasteiung
ihres Leibes, durch Reue und unschuldigen
Lebenswandel in den Himmel eingegangen sind.
Die Rosen sind die Märtyrer, die rot von dem
Blut sind, das sie an verschiedenen Plätzen
vergossen haben. Die Lilien sind die Bekenner,
die den heiligen Glauben mit Wort und Tat bekräftigt
haben.
Aber jetzt kann ich über Rom sprechen, wie
die Propheten über Jerusalem gesprochen
haben. Früher wohnte in dieser Stadt
Gerechtigkeit, und ihre Fürsten waren Fürsten
des Friedens. Jetzt ist sie der Sünde anheim
gefallen, und ihre Fürsten sind Totschläger.
O Rom, wenn du deine Geschichte kennen würdest,
würdest du sicher weinen und dich nicht
freuen. Rom war in früheren Tagen wie ein
Stoff, gefärbt mit der schönsten Farbe, und
mit den kostbarsten Fäden gewebt. Seine Erde
war gefärbt mit roter Farbe, nämlich mit dem
Blut der Märtyrer, und zusammengewebt, nämlich
mit den Gebeinen der Heiligen vermischt. Jetzt
dagegen sind seine Tore verlassen, denn ihre
Verteidiger und Wächter haben sich weltlichem
Begehren zugewandt.
Seine Mauern sind niedergerissen und ohne
Bewachung, denn man achtet nicht auf das
Verderben der Seelen, sondern die
Priesterschaft und das Volk, das Gottes Mauern
bildet, zersplittert sich, um das zu tun, was
dem Fleische nützlich ist. Die heiligen Gefäße
werden schimpflich veräußert, denn Gottes
Sakrament wird für Pfennige und weltliche
Gunst ausgeteilt.
Die Altäre sind verlassen, denn die Priester,
die das Messopfer in den Gefäßen darbringen,
haben ihre Hände leer von Gottes Liebe und
die Augen auf die Opfergaben gerichtet, und
obwohl sie den wahren Gott in Händen haben,
ist doch das Herz von Gott leer, und
stattdessen mit weltlicher Nichtigkeit gefüllt.
Das Allerheiligste, wo früher das höchste
Opfer dargebracht wurde, bezeichnet die
Sehnsucht, sich bei Gott Wohlzufühlen und ihn
zu schauen, wodurch die Liebe zu Gott und dem
Nächsten mit allem Wohlgeruch der
Enthaltsamkeit und Tugend wachsen würde. Aber
jetzt wird das Opfer im Vorgarten, d.h. der
Welt vertan, denn die Liebe zu Gott ist in
mangelnde Enthaltsamkeit und weltliche
Eitelkeit verwandelt worden.
So ist Rom leibhaftig, wie du gesehen hast,
denn viele Altäre sind verödet, die
Opfergabe wird in Wirtshäusern verschleudert,
und die Opfernden widmen sich mehr der Welt,
als Gott. Doch sollst du wissen, dass seit der
Zeit des demütigen Petrus und bis
Bonifatius[3] den Thron des Hochmuts bestieg,
unzählige Seelen zum Himmel aufgefahren sind.
Nicht einmal jetzt ist Rom jedoch ohne Freunde
Gottes, und wenn sie Hilfe hätten, würden
sie zum Herrn rufen, und er würde sich über
sie erbarmen.“
[1]. Papst Celestinus V.
dankte 1294 ab.
[2]. Bezieht sich wohl darauf, dass Birgitta
in späteren Jahren auch Lateinunterricht
genoss.
[3]. Papst Bonifatius VIII, Papst von
1294-1303. |
28.
Kapitel |
Maria beschreibt
Birgitta, was eine vollkommene Gottesliebe
bedeutet.
Die
Mutter spricht zur Braut und sagt: ”Ob du
mich liebst, meine Tochter?” Sie antwortete:
„Lehre mich zu lieben, meine Frau, denn
meine Seele ist befleckt von einer falschen
Liebe und verführt von einem tödlichen Gift,
und deshalb vermag sie nicht, die wahre Liebe
zu begreifen.“
Die Mutter sagte: „Ich will dich belehren.
Es gibt vier Städte, in denen es vier Flammen
gibt – wenn sie nun alle „Flammen“
genannt werden sollen, denn nur die Liebe, wo
Gott und die Seele in wahrer Einheit der
Tugenden vereint sind, kann mit Recht so
genannt werden. Die erste Stadt ist die Stadt
der Prüfung, die die Welt ist, in die der
Mensch versetzt wird, um herauszufinden, ob er
Gott liebt oder nicht, damit er seine
Krankheit kennen lernt und sich Tugenden
aneignet, durch die er wieder zu Ehren kommen
kann, so dass er, nachdem er auf Erden geläutert
ist, desto ehrenvoller im Himmel gekrönt
werden kann.
In dieser Stadt gibt es eine ungeordnete
Liebe, wenn das Fleisch mehr geliebt wird, als
die Seele, wenn das Zeitliche eifriger begehrt
wird als das Geistliche, wenn das Laster
geehrt und die Tugend verachtet wird, wenn die
Pilgerreise schöner als die Heimat empfunden
wird, und wenn der arme, sterbliche Mensch
mehr als Gott gefürchtet und geehrt wird, der
in Ewigkeit regiert.
Die zweite Stadt ist die Stadt der Reinigung.
Dort wird der Schmutz der Seele abgewaschen.
Es gefiel Gott nämlich, solche Plätze
einzurichten, wo der, der nachlässig und übermütig
war, als er seinen freien Willen hatte, vor
seiner Krönung gereinigt werden soll, doch
mit Furcht. In dieser Stadt gibt es eine
unvollkommene Liebe, denn man liebt Gott in
der Hoffnung, dass man aus der Gefangenschaft
befreit wird – nicht mit innerlicher Liebe,
und das auf Grund von Plage und Bitterkeit bei
der Buße für die Sünde.
Die dritte Stadt ist die Stadt der Pein. Das
ist die Hölle. Dort gibt es die Liebe aller
Schlechtigkeit, aller Unreinheit, allen Neides
und aller Verhärtung. Gott regiert auch in
dieser Stadt, indem er Gerechtigkeit übt
durch das rechtmäßige Maß an Strafen, und
indem er die Wut der Teufel bändigt, so dass
sie keinen über das abgewogene Maß peinigen,
das für jeden einzelnen nach seinem Verdienst
bestimmt ist. Denn so wie manche der
Verdammten mehr gesündigt haben, andere
weniger, so sind auch Maße für die gerechte
Strafe aller festgelegt.
Alle Verdammten werden sicher im Dunkel
eingeschlossen, doch nicht alle auf dieselbe
Weise. Denn Dunkel ist vom Dunkel geschieden,
Schrecken von Schrecken, Feuer vom Feuer. Überall
steuert und lenkt Gott ja in Gerechtigkeit und
Barmherzigkeit, und das auch in der Hölle, so
dass die, die absichtlich gesündigt haben,
auf eine Weise gestraft werden, die, die aus
Schwachheit sündigten, in anderer Weise, und
die, die nur im Fluch der Erbsünde gefangen
gehalten wurden, auf eine dritte Art.
Die Plage dieser letztgenannten besteht in der
Verweigerung, Gott und das Licht der Auserwählten
zu schauen, und sie erhalten Barmherzigkeit
und Freude in dem Maße, dass sie nicht zu den
schrecklichen Strafen kommen, nachdem sie
keine bösen Taten begangen haben. Wenn Gott
nicht alles in bestimmter Anzahl und Maß
verteilt hätte, hätte der Teufel nie das
rechte Maß, die Seelen zu peinigen.
Die vierte Stadt ist die Stadt der Ehre. Dort
herrscht völlige und wohlgeordnete Liebe,
denn man begehrt nichts anderes als Gott und
um Gottes willen. Damit du zu dieser Stadt der
Vollkommenheit gelangst, musst du eine
vierfache Liebe haben, nämlich eine
wohlgeordnete, reine, wahre und vollkommene.
Wohlgeordnet ist die Liebe, womit das
Leibliche nur um des Unterhalts willen geliebt
wird, die Welt nicht wegen des Überflusses,
der Nächste Gott zuliebe, der Freund zur
Reinheit des Lebenswandels und der Feind um
der Belohnung willen.
Rein ist die Liebe, wenn das Laster nicht
zugleich mit der Tugend geliebt wird, wenn die
schlechte Gewohnheit verschmäht und die Sünde
nicht leichtgenommen wird. Wahr ist die Liebe,
wenn Gott mit allem Verlangen und von ganzem
Herzen geliebt wird, wenn man bei allen
Handlungen an Gottes Ehre und an die Furcht
vor ihm denkt, wenn man sich nicht im
Vertrauen auf gute Werke auf irgendeine Sünde
einlässt, auch nicht die kleinste, wenn man
weise Maß hält, so dass man nicht vor allzu
großem Eifer ermüdet, wenn man nicht aus
Kleinmut und Unkenntnis von Versuchungen eine
Neigung zur Sünde aufkommen lässt.
Aber vollkommen ist die Liebe, wenn dem
Menschen nichts so lieb ist wie Gott. Das fängt
in diesem Leben an, gelangt aber im Himmel zur
Vollkommenheit. Liebe daher diese vollkommene
und wahre Liebe, denn ein jeder, der sie nicht
hat, wird gereinigt werden – auch wenn er
treu, eifrig, demütig und in der Taufe
wiedergeboren ist; sonst wird er in die Stadt
des Schreckens gelangen.
Denn wie es ein Gott ist, so gibt es in der
Kirche Petri einen Glauben, eine Taufe und
eine vollkommene Ehre und Belohnung. Deshalb
muss der, der zu dem einzigen Gott gelangen
will, einen Willen und eine Liebe mit dem
einen Gott haben. Daher sind die Menschen
niederträchtig, die sagen: „Es reicht zu,
wenn ich im Himmel der Geringste bin; ich will
gar nicht vollkommen sein. „O, welch törichter
Gedanke! Wie könnte dort jemand unvollkommen
sein, wo alle vollkommen sind, manche durch
die Unschuld ihres Lebens, manche durch die
Unschuld ihrer Kindheit, manche durch ihre
Reinigung, manche durch ihren Glauben und
guten Willen?“
|
29.
Kapitel |
Birgitta preist
Maria. Maria sagt, das Rühmen sei berechtigt
und hat Anlass zur Klage über die Verachtung,
der ihr göttlicher Sohn jetzt von Priestern
und weltlichen großen Männern ausgesetzt
ist.
Gesegnet
seist du, Maria, Gottes Mutter! Du bist
Salomos Tempel, dessen Wände vergoldet waren,
dessen Dach schimmerte, dessen Boden mit den
teuersten Steinen belegt war, dessen ganze
Anlage strahlend schön war, dessen ganzes
Innere wohlduftend und lieblich anzuschauen
war. Du kannst sicher in jeder Weise mit
Salomos Tempel verglichen werden, in dem der
wahre Salomo wandelte und saß, und in den er
die Bundeslade und die Lichtstöcke
aufstellte, um zu leuchten.
So bist du, gesegnete Jungfrau, der Tempel für
den Salomo, der Frieden zwischen Gott und dem
Menschen stiftete, der die Strafbaren wieder
versöhnte, der den Toten Leben schenkte von
dem harten Vogt befreite. Dein Leib und deine
Seele wurden sicher der Tempel der Gottheit,
worin es das Dach der göttlichen Liebe gab,
unter dem Gottes Sohn vom Vater zu dir ausging
und mit Freude bei dir wohnte. Der Boden des
Tempels war dein schön geordnetes Leben und
deine beharrliche Ausübung der Tugenden.
Dir fehlte keine Ehrbarkeit, denn alles in dir
war beständig, alles war demütig, alles war
fromm, alles war vollendet. Die Wände des
Tempels waren Quadersteine, denn du wurdest
nicht vor irgendeinem Schimpf beleidigt,
wurdest nicht von irgendeiner Ehre zum Hochmut
verleitet, wurdest nicht durch irgendwelche
Ungeduld beunruhigt und hast nichts anderes
begehrt, als Gottes Ehre und Liebe. Die Gemälde
deines Tempels war die ständige Erweckung
durch den Heiligen Geist, wodurch deine Seele
so erhoben wurde, dass es keine Tugend gab,
die nicht vollständiger und vollkommener in
dir, als in irgendeinem anderen geschaffenen
Wesen war. In diesem Tempel wandelte also
Gott, als er die Lieblichkeit seines Besuches
in deine Glieder eingoss, und er weilte da,
als sich die Göttlichkeit mit dem Menschentum
vereinigte.
Darum seist du gesegnet, allerseligste
Jungfrau! In dir wurde der große Gott ein
kleiner Wicht, der allerälteste Herr ein
schwacher kleiner Sohn, der ewige Gott und
unsichtbare Schöpfer ein sichtbares,
geschaffenes Lebewesen. Deshalb bitte ich dich
(denn du bist die mildeste und mächtigste
Frau): Sieh mich an und erbarme dich über
mich! Du bist ja die Mutter für Salomo, aber
nicht für ihn, der Davids Sohn war, sondern für
den, der Davids Vater und Salomos Herr ist,
der den wunderbaren Tempel erbaute, der dich
in Wahrheit bezeichnet hat.
Der Sohn soll die Bitte seiner Mutter erhören,
besonders die von einer solchen und so großen
Mutter. Bewirke deshalb, dass der kleine Wicht
Salomo, der sozusagen in dir schlief, in mir
wach sein möge, so dass mich nicht das
Begehren nach irgendeiner Sünde bedrängen möge,
so dass mich nicht das Begehren nach
irgendeiner Sünde bedrängen möge, sondern
dass meine Zerknirschung über begangene Sünden
beständig sei, und meine Buße fruchtbar. Ich
habe ja nur eins, was mir zum Verdienst
gereicht, und das ist ein einzigens Wort:
„Erbarme dich, Maria“, denn mein Tempel
steht ganz und gar im Gegensatz zu deinem. Er
ist nämlich verdunkelt von Lastern,
beschmutzt von Wollust, zerstört von Würmern
des Verlangens, unstet durch Hochmut und hinfällig
durch weltliche Nichtigkeiten.
Die Mutter erwiderte: „Gesegnet sei Gott,
der deinem Herzen eingab, diesen Gruß
auszusprechen, damit du verstehen sollst, eine
wie große Güte und Lieblichkeit es bei Gott
gibt! Aber warum vergleichst du mich mit
Salomo und seinem Tempel, wenn ich die Mutter
für ihn bin, dessen Ahnen weder Anfang noch
Ende haben, und von dem man liest, dass er
weder Vater noch Mutter hatte, nämlich
Melchisedek? Denn er wird beschrieben, dass er
Priester war[1], und Gottes Tempel gehört zu
den Priestern, und deshalb bin ich die Mutter
des Oberpriesters und auch Jungfrau.
Ich sage dir in Wahrheit, dass ich sowohl
Mutter für Salomo als auch für den Priester
bin, der Frieden stiftete. Denn Gottes Sohn,
der ja auch mein Sohn ist, ist sowohl Priester
und König der Könige. In meinem Tempel
kleidete er sich geistlich mit den Priestergewändern,
in denen er das Opfer für die Welt
darbrachte. In der königlichen Stadt wurde er
mit einer königlichen, aber schmerzhaften
Krone gekrönt. Draußen kämpfte er Schlacht
und Streit wie der stärkste Kämpe.
Nun muss ich jedoch darüber klagen, dass mein
Sohn von den Priestern und den Königen
vergessen ist. Die Könige rühmen sich ja
ihrer Paläste, ihrer Heere, ihres Erfolges
und ihrer Ehre auf der Welt.
Die Priester sind hochmütig wegen der Güter
der Seelen und wegen zeitlicher Besitztümer.
Denn wie du sagtest, dass der Tempel mit Gold
bemalt ist, so sind die Tempel der Priester
mit weltlichen Nichtigkeiten und Neugier
bemalt, denn bei ihrem Oberhaupt herrscht
Simonie, die Bundeslade ist weggeführt, die
Lampen der Tugenden erloschen, der Tisch der
Gottesfurcht ist aufgegeben.“
Die Braut erwiderte: „O Mutter der
Barmherzigkeit, erbarme dich über sie und
bitte für sie.“ Die Mutter sagte zu ihr:
„Von Anfang an hat Gott die Seinen so sehr
geliebt, dass er nicht nur die Gebete für
sich selber hört, sondern auch andere
erfahren Gebetserhörungen ihretwegen. Deshalb
sind dafür, dass Gebete für andere erhört
werden sollen, zwei Dinge notwendig, nämlich
der Wille, die Sünde abzulegen, und der
Wille, sich im Guten zu vervollkommnen. Ein
jeder, der diese beiden Dinge hat, wird Nutzen
von meinen Gebeten haben.“
[1]. Psalm 110,4; Hebr.
5,6 u. 10, 6,20; 7,11,15 u. 17 Nach Genesis
14,18 ff begrüßt Melchisedek, König von
Salem, und Priester des El den Abraham mit
Speisen und segnet ihn, woraufhin Abraham ihm
den Zehnten gibt. Vgl. Lexikon für Theologie
und Kirche Bd. VII/1998, Sp. 79-81. |
30.
Kapitel |
|
Die heilige Agnes preist
Maria. Maria stimmt zu, klagt bei dieser
Gelegenheit über die Schlechtigkeit der Menschen,
weist aber darauf hin, dass sie die Guten nicht
betrübt und verzagt machen darf.
Die heilige
Agnes spricht zur Braut und sagt: „Tochter,
liebe die Mutter der Barmherzigkeit! Sie ist nämlich
wie die Blume oder Simse[1], deren Gestalt wie ein
Schwert ist, und die zwei sehr scharfe Schneiden
und eine scharfe Spitze hat, und an Höhe und
Breite alle anderen Blumen übertrifft. So ist
Maria die Blume aller Blumen und die Blume, die im
Tal entsproßte und sich über alle Berge
ausbreitete, ja die Blume, die in Nazareth wuchs
und auf den Bergen Libanons erblühte.
Diese Blume war höher als alles andere, denn die
gesegnete Königin des Himmels übertraf jedes
Geschöpf an Würde und Macht. Maria hatte auch
die beiden schärfsten Schwertkanten, nämlich die
Betrübnis des Herzens bei der Pein des Sohnes und
den standhaften Kampf gegen die Angriffe des
Teufels (sie war nämlich niemals mit der Sünde
einverstanden). Der alte Mann[2] sagte mit Recht
voraus, als er sagte: „Ein Schwert wird durch
deine Seele gehen.“ Sie ertrug nämlich auf
geistliche Art ebenso viele Schwerthiebe, die sie
voraussah, und sah ihren Sohn Wunden und Schmerzen
leiden.
Maria übertraf außerdem an Breite, nämlich
Barmherzigkeit, alle anderen. Denn sie war und ist
so mild und barmherzig, dass sie lieber alle Trübsale
ertragen würde, als dass die Seelen nicht erlöst
würden. Jetzt, da sie mit ihrem Sohn vereint ist,
vergisst sie ihre angeborene Güte nicht, sondern
erstreckt ihre Barmherzigkeit auf alle, sogar die
allerschlechtesten. Wie Himmel und Erde von der
Sonne erleuchtet und erwärmt wird, so gibt es
niemanden, der keine Milde von der holden Maria
erfährt, wenn er darum bittet.
Maria hatte ferner eine scharfe Spitze, und das
war die Demut. Durch sie gefiel sie auch dem
Engel, indem sie antwortete, sie sei des Herren
Magd, obwohl sie ja zur Herrscherin erkoren war.
Durch diese Demut empfing sie Gottes Sohn, denn
sie wollte nicht, dass die Hochmütigen bestraft würden.
Durch (die Demut) stieg sie auch zum höchsten
Himmelsthron auf, denn sie liebte nichts anderes
als Gott. Tritt daher leibhaft vor und begrüße
die Mutter der Barmherzigkeit, denn nun kommt
sie.“ Nun zeigte sich Maria und sagte: „Du
hast von einem Substantiv gesprochen, Agnes –
nun füge auch ein Adjektiv hinzu!“ Agnes sagte:
„Wenn ich sagen würde ‚die Allerschönste’
oder ‚Allertugendreichste’, so würde das
niemandem mit größerem Recht zukommen, als dir,
die die Mutter der Erlösung aller Menschen
ist.“
Gottes Mutter entgegnete der hl. Agnes: „Es ist
wahr, was du gesagt hast, dass ich mächtiger als
alle anderen bin. Dafür will ich ein Adjektiv und
ein Substantiv hinzufügen, nämlich: Das
sprechende Rohr des Heiligen Geistes. Aber komm,
du Sprachrohr, und hör mir zu! Du bist bekümmert
darüber, dass man unter Menschen diese Redensart
hört: ‚Laßt uns nach unserer Lust leben, denn
Gott ist leicht zu besänftigen. Laßt uns die
Welt und ihre Ehre genießen, so lange wir es können,
denn die Welt ist ja um der Menschen willen
gemacht.“
Wahrlich, meine Tochter, eine solche Redensart
geht nicht aus Gottes Liebe hervor und führt auch
nicht zur Gottesliebe. Trotzdem vergisst Gott
deshalb seine Liebe nicht, sondern zeigt trotz der
Undankbarkeit der Menschen stets seine Güte. Denn
er ist wie ein Kunstschmied, der ein vornehmes
Werk schmiedet und der manchmal das Eisen glühend
macht, manchmal es abkühlt. So hat Gott, dieser
größte Kunstschmied, der die Welt aus nichts
geschaffen hat, dem Adam und seinen Nachkommen
seine Liebe.
Die Menschen sind jedoch in ihrer Liebe zu Gott so
sehr erkaltet, dass sie Gott für nichts achteten
und viele schwere Sünden begingen. Daher zeigte
Gott sein Erbarmen durch sanfte Ermahnungen, aber
dann doch eine Gerechtigkeit durch die Sintflut.
Nach der Sintflut schloß Gott aber seinen Bund
mit Abraham, gab diesem Zeichen für seine Liebe
und Huld, führte sein Volk unter den größten
Zeichen und Wundertaten (aus Ägypten), gab dem
Volk durch seinen eigenen Mund Gesetze, bekräftigte
seine Worte und bestätigte sie mit deutlichsten
Zeichen.
Als das Volk im Lauf der Zeit erkaltete und auf
solchen Unfug verfiel, dass es sogar Abgötter
verehrte, wollte der gute Gott die Kalten noch
einmal erwärmen und sandte der Welt seinen
eigenen Sohn, der sie den rechten Weg zum Himmel
lehrte und ihnen die wahre Demut zeigte, der sie
folgen sollten. Nun ist er von vielen völlig
vergessen, aber er bietet uns doch immer noch
Worte seines Erbarmens an.
Es soll aber nicht alles auf einmal vollendet
werden, jetzt ebenso wenig wie früher. Denn ehe
die Sintflut kam, wurde das Volk zur Buße
ermahnt, und diese Buße wartete Gott ab. So wurde
auch Israel, ehe es das verheißene Land betreten
durfte, erst erprobt, und die Verheißung wurde
eine Zeitlang aufgeschoben. Sicher hätte Gott
sehr gut das Volk in vierzig Tagen herausführen können
und nicht die Zeit auf vierzig Jahre zu verlängern
brauchen, aber Gottes Gerechtigkeit erforderte,
dass sich die Undankbarkeit des Volkes zeigen
sollte, dass Gottes Barmherzigkeit offenbar werden
und das spätere Volk sich umso mehr demütigen
sollte.
Wenn nun jemand wissen möchte, warum Gott sein
Volk so geplagt hat, oder warum eine Plage ewig
dauern sollte, wenn der sündige Lebenswandel
nicht ewig dauern kann, so wäre das eine große
Vermessenheit, ebenso wie der vermessen ist, der
mit seinen Gedanken und seinem Verstand zu
verstehen und zu begreifen sucht, wie Gott ewig
sein kann.
Wahrlich, Gott ist ewig und unbegreiflich, und in
ihm ist ewige Gerechtigkeit und Vergeltung, ebenso
wie unerforschliche Barmherzigkeit. Wenn Gott
nicht gegen die ersten Engel Gerechtigkeit geübt
hätte, wie sollte man dann seine Gerechtigkeit
kennen lernen und wissen, dass er alles
unparteiisch richtet? Und wenn er dem Menschen
keine Barmherzigkeit gezeigt hätte, indem er ihn
erschuf und durch unzählige Vorzeichen gerettet
hat – wie könnte man dann seine große Güte
und seine grenzenlose, vollkommene Liebe kennen
lernen?
Und deshalb gibt es bei Gott, weil er ewig ist,
eine ewige Gerechtigkeit, zu der nichts hinzugefügt
oder weggenommen werden kann. So wie der Mensch
sich ausdenkt, sein Werk auf eine bestimmte Weise
oder an einem bestimmten Tag zu tun, so offenbart
Gott, wenn er seine Gerechtigkeit oder
Barmherzigkeit üben will, dies in der Zeit, denn
von Ewigkeit ist alles bei ihm da, vergangene und
zukünftige Dinge. Deshalb sollen Gottes Freunde
in ihrer Gottesliebe geduldig ausharren und sich
nicht beunruhigen und betrüben, wenn sie auch
sehen, dass weltliche Menschen Erfolg haben.
Gott kann mit einer guten Wäscherin verglichen
werden, die ein unsauberes Kleid in die Wellen
legt, damit es durch die Berührung mit dem Wasser
reiner und weißer wird, aber gleichzeitig genau
auf den Wellengang achtet, dass das Kleid nicht
versinkt. So legt Gott in diesem Leben seine
Freunde in die Wogen der Armut und der Trübsal,
durch die sie für das ewige Leben gereinigt
werden können, aber er schaut genau darauf, dass
sie nicht durch allzu viel Sorgen und unerträgliche
Trübsal untergehen.“
[1]. An feuchten, sumpfigen
Stellen wachsendes Riedgras.
[2]. D.i. Simeon im Tempel (Luk. 2,35). |
31.
Kapitel |
Christus erzählt von
einem scheinbar frommen Mann, der schließlich
verdammt wurde, und von einem offenbar sündigen
Mann, der die Gnade erhielt, sich zu bekehren,
und so gerettet wurde. – Der schwache, von
seinen Günstlingen abhängige König, von dem
Christus im Gleichnis erzählt, dürfte Züge
von Magnus Eriksson entlehnt haben. Der Arzt,
der mit einer heilsamen Medizin zum König
geschickt wurde, dürfte Birgitta darstellen.
Gottes
Sohn spricht zur Braut und sagt: ”Ein Arzt
kommt in ein fernes, unbekanntes Land, wo der
König nicht regierte, sondern regiert wurde,
weil er ein Hasenherz hatte, und deshalb glich
er einem gekrönten Esel, als er auf dem Thron
saß. Sein Volk gab sich der Schwelgerei hin,
vergaß die Ehrbarkeit und Mäßigkeit und
hasste alle, die ihm Ratschläge im Hinblick
auf das kommende Gute gaben.
Der Arzt stellte sich dem König vor, sagte,
er wäre aus einem schönen Land und sei
gekommen, weil er die Krankheit der Menschen
verstand. Der König wunderte sich über den
Mann und seine Rede und antwortete: „Ich
habe zwei Männer im Gefängnis. Sie sollen
morgen enthauptet werden. Der eine kann kaum
noch atmen, während der andere jetzt kräftiger
und dicker ist, als er ins Gefängnis
eingeliefert wurde. Geh deshalb zu ihnen hin
und sieh dir ihr Gesicht an, um zu erfahren,
wessen körperlicher Zustand besser ist.“
Der Arzt ging zu ihnen, sah sie an und sagte
dann zum König: „Der Mann, von dem Ihr
sagt, er sei kräftig, ist fast wie ein toter
Mann und kann nicht mehr leben, aber für den
anderen besteht gute Hoffnung.“ Der König
fragte ihn: „Wodurch hast du das
erfahren?“ Der Arzt sagte: „Weil der eine
voll von schlechten Flüssigkeiten und schädlichem
Wetter erfüllt ist, kann er nicht geheilt
werden, aber der andere, der völlig erschöpft
ist, kann leicht durch milde und gesunde Luft
kuriert werden.“
Da sagte der König: „Ich werde meine
Adligen und weisen Männer zusammenrufen,
damit sie deine Weisheit und Tüchtigkeit
sehen, und du in ihren Augen ehrenreicher
bist.“ Der Arzt erwiderte: „Tu das auf
keinen Fall! Du weißt ja, dass dein Volk
neidisch auf anderer Leute Ehre ist und den
mit Worten verfolgt und heruntermacht, dem es
mit Taten nicht schaden kann. Warte
stattdessen, so werde ich dir meine Weisheit
offenbaren, wenn du allein in deiner Kammer
bist, denn so bin ich unterwiesen und gelehrt:
Nämlich meine größte Weisheit im
Verborgenen zu haben, und geringe Weisheit in
der Öffentlichkeit. Ich suche in Deinem
Dunkel keine Ehre, wo ich im Lichte meines
Vaterlandes geehrt werden kann. Es ist auch
jetzt nicht die Zeit, um zu heilen, ehe der
Sonnenwind zu blasen anfängt, und die Sonne
sich im Süden zeigt.“
Der König antwortete ihm: „Wie kann das in
meinem Land geschehen? Hier geht die Sonne nur
sehr selten auf, weil wir am Entferntesten in
der Welt wohnen, und bei uns herrscht stets
der Nordwind. Aber was nützt mir deine
Weisheit, und so lange auf Heilung zu warten?
Ich sehe ja, dass du sehr reich an Worten
bist.“
Der Arzt entgegnete: „Es steht dem Weisen
nicht an, übereilt zu handeln. Aber damit ich
dir nicht verdächtig oder verhasst erscheine,
so magst du diese beiden Männer in meine
Gewalt geben, und ich werde sie an die Grenzen
deines Reiches führen, wo die Luft gesünder
ist, und da wirst du sehen, was die Taten und
die Worte taugen.“
Der König erwiderte: „Wir sind von
wichtigeren und nützlicheren Dingen in
Anspruch genommen – warum hältst du uns
davon ab? Was nützt uns deine Kunst? Wir
freuen uns stattdessen über das Gute, was
vorhanden ist, was wir sehen und besitzen.
Nach dem Zukünftigen, das ungewiss ist,
danach trachten wir nicht. Doch magst du diese
beiden Männer nehmen, wie du möchtest, und
wenn du mit ihnen etwas Großartiges und
Bewundernswertes zeigst, so werden wir dich
loben und lassen dich preisen und ehren.“
Der Arzt bekam also die beiden Männer und führte
sie dahin, wo die Luft mild war. Der eine
starb, aber der andere kam durch die angenehme
Luft zu Kräften und lebte wieder auf.
Dieser Arzt bin ich. Ich wollte die Menschen
heilen und sandte dazu durch dich meine Worte
in die Welt. Obwohl ich die Krankheiten vier
Menschen sah, zeigte ich dir doch zwei
Menschen, durch die du meine Gerechtigkeit und
Barmherzigkeit bewundern konntest. Ich habe
dir nämlich einen gezeigt, den der Teufel nur
heimlich besaß und den er doch in Ewigkeit
peinigen wollte, einen, dessen Taten den
Menschen gerecht erschien, und die als solche
gelobt wurden.
Ich zeigte dir auch einen anderen, den der
Teufel offensichtlich beherrschte, und ich
sagte, dass er zu gegebener Zeit erlöst
werden würde, obwohl dies Menschen nicht
offenbart wurde, wie du glaubst. Denn es war
die göttliche Gerechtigkeit, dass – wie der
böse Geist so allmählich über ihn zu
herrschen begann, so sollte er sich auch allmählich
von ihm zurückziehen, und er fuhr auch damit
fort, sich zurückzuziehen, bis sich dessen
Seele vom Körper trennte.
Der Teufel kam mit ihm zum Richterstuhl. Der
Richter sagte zu ihm: „Du hast ihn gereinigt
und gesiebt wie Weizen. Aber nun kommt es mir
zu, ihn wegen seiner Beichte mit einer
doppelten Krone zu krönen. Weiche also von
jetzt ab von ihm, den du so lange gereinigt
hast!“ Dann sagte er zur Seele: „Komm, glückselige
Seele, und schau mit geistlichem Sinn meine
Ehre und Freude!“
Aber zu der anderen Seele sagte er: „Weil
sich bei dir kein Glaube gefunden hat und du
doch als ein treuer Christ gepriesen und berühmt
wurdest, und weil die vollkommenen Werke der
Gerechten bei dir nicht anzutreffen waren,
sollst du auch nicht den Lohn der treuen
Christen bekommen. Du fragtest, als du noch
lebtest, warum ich für dich sterben wollte
und mich deinetwegen so sehr demütigen
wollte.
Darauf antworte ich dir jetzt, dass der Glaube
der heiligen Kirche wahr ist; er führt sie in
den Himmel. Deshalb sollen dein Unglaube und
deine törichte Liebe dich zunichte machen,
und du wirst im Hinblick auf die geistlichen,
ewigen Dinge zu nichts werden.
Dass der Teufel sich von dem anderen nicht zurückzog,
so dass es alle sahen, darauf antworte ich,
dass diese Welt im Vergleich mit dem
Tabernakel, in dem Gott wohnt, nur wie ein
simpler Schuppen ist, und dass das Volk Gott
erzürnt. Deshalb zog er sich nachher zurück,
so wie er später eingezogen ist.“
|
32.
Kapitel |
Maria spricht mit
Birgitta über ihre allgemeine
Vermittlerschaft.
Die
Mutter spricht zur Braut und sagt: „Ein
Mann, der Edelsteine suchte, fand einen
Magnet, den er aufhob und unter seine Kleinode
versteckte. Mit dessen Hilfe führte er das
Schiff in einen sicheren Hafen. So suchte auch
mein Sohn viele Heilige wie Edelsteine, aber wählte
nur mich zu seiner Mutter, damit die Menschen
durch mich in den Hafen des Himmels geführt
werden sollten. Wie der Magnet das Eisen
anzieht, so ziehe also ich das harte Herz zu
Gott. Daher brauchst du dich nicht zu
beunruhigen, wenn dein Herz sich manchmal hart
anfühlt, denn das geschieht dafür, dass die
Krone deiner Belohnung noch größer werden
soll.“
|
33.
Kapitel |
Dieses Kapitel, das
wahrscheinlich aus der Zeit in Rom stammt,
handelt von einem Mönch, der sagte, er sei
bereit, Birgitta auf ihrer Fahrt nach
Jerusalem zu begleiten.
Gottes
Sohn spricht zur Braut: „Du möchtest über
zwei Personen Bescheid wissen. Der eine war
wie ein Quaderstein, der andere ein
Jerusalem-Pilger, aber keiner von ihnen
erreichte das, was du gehofft hattest. Der
erste, zu dem du geschickt wurdest, war in
dem, was er begriff, beständig und fest wie
ein Quaderstein, aber doch gelinde zweifelnd,
wie Thomas. Deshalb probierte er den Wein, da
es noch nicht die Zeit war, da die
Schlechtigkeit der Menschen vollkommen war,
aber trank ihn nicht.
Von dem anderen sagte ich, dass er euch nach
Jerusalem folgen sollte. Das geschah deshalb,
dass ihr seine wirkliche Beschaffenheit
erkennen solltet, der von seinem Ruf her
gerecht und heilig genannt wurde. Denn er ist
in seiner Tracht ein Mann mit reinem Leben und
von Beruf Mönch, aber abfällig in seinen
Sitten, Priester in seiner Würde, aber ein
Sklave der Sünde; er steht im Rufe eines
Pilgers ist in seiner Absicht aber ein
Herumtreiber, dem Rufe nach ein Fahrer nach
Jerusalem, aber eher ein Reisender nach
Babylon.
Dazu reiste er gegen den Gehorsam und die
Bestimmungen der Kirche ab, und er ist ganz
von Ketzerei befleckt, so dass er glaubt und
sagt, er sei der künftige Papst, der alles
wieder herstellen würde. Auch seine Bücher
bezeugen das. Deshalb wird er plötzlich
sterben und, sofern er sich nicht warnen lässt,
zur Gesellschaft des Vaters der Lüge gehören.
Deshalb sollst du dich nicht beunruhigen, wenn
etwas dunkel gesagt wird, oder wenn das vorher
erwähnte nicht so geschieht, wie du es dir
denkst, denn Gottes Wort kann auf verschiedene
Weise verstanden werden. Und so oft das
geschieht, werde ich dir die Wahrheit davon
erklären. Aber nun will ich, dass Gott, der
wahre Jerusalemfahrer, dein Führer auf der
Reise sein soll.“
|
Erklärung |
Gottes
Geist spricht: „Du hast gehört, dass er tot
ist, von dem ich dir sagte, dass er ein
Quaderstein und gelinder Zweifler war. Du
sollst daher wissen, dass er nicht zu denen
gehörte, die Gott in der Wüste versuchte,
auch nicht zu denen, die Zeichen begehrten wie
der Prophet Jona, und auch nicht zu denen, die
eine Verfolgung gegen mich ins Werk setzten,
sondern zu denen, die Eifer und Liebe hatten,
doch nicht vollkommen.“ |
34.
Kapitel |
|
Maria spricht mit
Birgitta über eine kluge und maßvolle
Enthaltsamkeit.
Gottes Mutter
spricht: „Wenn jemand einen Ring erhält, der für
den Finger allzu eng ist, und er dann seinen Feind
um Rat fragt, was er tun soll, so antwortet der:
„Der Finger soll abgehauen werden, so dass man
den Ring darauf setzen kann.“ Sein Freund sagt
dagegen: „Keineswegs. Man soll besser den Ring
mit einem Hammer erweitern.“
Und wenn einer das Getränk eines mächtigen Herrn
mit einem unreinen Trank vermischen will und
seinen Feind um Rat fragt, so antwortet der:
„Schneide von dem Tuch alles ab, was unrein ist,
und wo du etwas Sauberes findest, kannst du das
Getränk deines Herrn damit vermischen.“
Aber sein Freund sagt: „Keinesfalls soll man so
verfahren. Man soll lieber das Tuch reinigen und
waschen, und dann das Getränk durchlaufen
lassen.“ So ist es auch mit geistlichen Dingen.
Unter dem Ring versteht man die Seele, mit dem
Tuch den Leib. Also muss die Seele, die an Gottes
Finger sein soll, mit dem Hammer der Klugheit und
Reinigung, erweitert werden, und der Leib soll
nicht getötet werden, sondern durch
Enthaltsamkeit gereinigt werden, so dass Gottes
Wort durch ihn ausgegossen wird.“
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