Anfang
des 2. Buches
Das
zweite Buch, das als Ganzes in die Zeit von
1344-49 in Schweden gehört, richtet sich
weitgehend an den Adel (die Ritterschaft) und
gibt oft dem Kreuzfahrerideal Ausdruck.
Inhalt 2. Buch
1.
Christus erklärt Birgitta, warum die
Lebensdauer der Menschen von so verschiedener Länge
ist und beschreibt, wie die Menschen, wenn sie
die Vernunft gebrauchen, zwischen Gut und Böse
wählen, was als Ergebnis eine verschiedene
Belohnung hat.
2. Christus fällt ein strenges Urteil über
einen plötzlich verstorbenen Priester, der sich
der Unzucht schuldig gemacht hatte und sicht
nicht gescheut hat, die Messe zu verrichten und
den Leib des Herrn im Zustand der Sünde zu
empfangen. Er deutet jedoch an, dass die Strafe
des Verstorbenen in gewissem Maß wegen der
Gebete Marias, seiner Mutter, gemildert werden könnte.
3. Maria beschreibt in Form von
Gleichnissen die verschiedene Art und Weise, in
der Christus von den schlechten Christen, von
den verhärteten Juden, von den verhärteten
Heiden, von den zur Busse bereiten Juden und
Heiden und den eifrigen Christen aufgenommen
wird. Die letztgenannten werden Birgitta als
Vorbild hingestellt.
4.
Christus droht den schlechten Christen mit
strenger Strafe, verspricht aber den Heiden Erlösung.
5. Christus spricht mit Birgitta von den
treulosen Juden, die er gern erlösen würde,
falls das möglich wäre, von den schlechten
Christen, die seine Gnade missbrauchen und die
Strafe zu erwarten haben, und von den Heiden,
die nach Erlösung hungern, denen er seine Huld
verspricht.
6. Durch Birgitta deutet Christus seinen
Freunden, den Predigern, an, wie undankbar es
ist, den verstockten Christen zu predigen, und
dass sie stattdessen ihre Aufmerksamkeit den
Heiden widmen sollten. Ebenso wie die drei
vorhergehenden Kapitel bildet auch dieses ein
Glied mit Birgittas Kreuzzugsverkündigung und
darf in Zusammenhang mit den russischen
Feldzugsplänen Magnus Eriksson’s gesetzt
werden. Im 8. Buch kehrt das Thema wieder.
7.
Christus beschreibt Birgitta, wie das
Klosterleben und die Ritterschaft (der Adel)
einmal eingerichtet waren. Diese beiden Stände,
klagt er, die hohe Verpflichtungen gegen Gott
und die Gesellschaft in sich bergen, werden
jetzt leider nicht in so großen Ehren gehalten,
wie früher.
8. Christus schildert den Prototyp der
schlechten Ritter, von denen es zu Birgittas
Zeit so viele gab.
9. Christus schildert das Leben des
schlechten Ritters und die Strafe, die er in der
Hölle zu erwarten hat.
10.
Christus setzt seine Klage über die schlechten
Ritter im damaligen Schweden fort. Durch
Birgitta will er sie ermahnen. Eine Garantie dafür,
dass Birgittas Worte göttlich inspiriert sind,
bilden die Untersuchungen von Mattias und
anderer Theologen, ferner Birgittas Fähigkeit,
dämonenbesessene Menschen zu heilen, und die
Macht des ihr nahestehenden Bischofs Hemming,
Frieden zu stiften.
11. Christus schildert den Lohn, der dem
guten Ritter im Himmel bevorsteht.
12. Christus ermahnt die schwedischen
Ritter, mit ihrem schlechten Leben aufzuhören
und sich zu ihm zu bekehren. Falls sie sich
gehorsam zeigen, verleiht er ihnen die Gnade,
stets ein gottesfürchtiges Leben zu führen und
schließlich das Himmelreich zu erben.
13.
Christus setzt durch Birgitta ein neues Ritual für
die Aufnahme in den Ritterstand fest. Diese
Aufnahme, die im Zusammenhang mit dem öffentlichen
Gottesdienst stattfindet, erinnert an die
Ablegung der ewigen Gelübde eines
Klostermenschen und vermittelt eine ideelle
Sicht auf die Pflichten und Verbindlichkeiten
der Ritterschaft. Die abschließende Zeile, die
nicht von Birgitta selbst herrührt, deutet
darauf hin, dass das Zeremoniell bei der
Aufnahme ihres Sohnes Karl zum Ritter erfolgte.
14. Christus gibt eine ausführliche
Beschreibung der Tugenden, die seine Freunde,
die Prediger, auszeichnen müssen, die den
Menschen seine Worte zu vermitteln haben. Das
Kapitel dürfte sich hauptsächlich an die
Birgitta nahestehenden Priester wenden, die von
ihrer Verkündigung ergriffen sind und ihr gern
helfen wollen, eine geistliche Erweckung in
Schweden hervorzurufen.
15. Christus beschreibt die Sehnsucht,
die die Frommen zur Zeit des Alten Testaments
nach der Ankunft des Messias hegten; er
schildert weiter, wie er zuletzt die Sehnsucht
stillte und kam, um die Welt zu erlösen. Nun
sind jedoch, fährt er fort, seine Lehren
vergessen, und die meisten Menschen gehen ihrem
Untergang entgegn. Seine Freunde, d.h. die
Prediger (d.h. die Birgitta nahestehenden
Prediger) sollen deshalb für die Erlösung der
Seelen arbeiten.
16.
Christus erklärt, warum er gerade Birgitta zu
seinem Sprachrohr erwählt und nicht andere, die
besser sind als sie.
17. Christus schildert in großen Zügen
die Heilsgeschichte: Wie Gott die Menschen
geschaffen hat, um die Plätze der gefallenen
Engel auszufüllen, wie er die gefallenen
Menschen dann durch die Patriarchen , durch Mose
und die Propheten und zuletzt durch seinen
eingeborenen Sohn unterwies, und wie er jetzt,
in diesen Tagen, seinen Willen durch Birgitta
kundtut. Das Kapitel schließt mit der Ermahnung
an einen ungenannten Prediger, die von Birgitta
gesprochenen Worte weiterzuvermitteln.
18. Christus bezeugt Birgittas’s Fähigkeit,
übernatürliche Dinge zu hören und zu sehen,
was jedoch wegen ihrer menschlichen Natur durch
Vermittlung natürlicher Bilder geschehen muss.
Er erklärt noch einmal, warum er gerade ihr und
nicht anderen einen Einblick in seine
Ratschlüsse vergönnt hat.
19.
Mit Hilfe eines der Bienenzucht entnommenen
Gleichnisses erklärt Christus Birgitta, warum
er die bösen Menschen leben und Erfolg haben lässt.
Die guten haben, wenn man tiefer sieht,
eigentlich Nutzen davon, sagt er. Dennoch
ermahnt er die Kirchenfürsten, Maßnahmen gegen
die schlechten Bienen, d.h. die bösen Menschen,
zu ergreifen. Maria, seine Mutter, rät denen,
die Christi Worte hören, sie zu beachten, damit
sie nicht der strengen Gerechtigkeit Christi
anheimfallen. Zuletzt klagt Christus darüber,
dass die Kreuzfahrer mehr daran denken, Land und
Reichtum zu gewinnen, als daran, die Heiden zum
Christentum zu führen. Die Klage dürfte hauptsächlich
die adligen schwedischen Krieger im Orient
betreffen.
20. Christus klagt über die Sünden der
Priesterschaft, der Ritterschaft (des Adels) und
die der Allgemeinheit, aber deutet doch an, dass
er noch manche Freunde in diesen drei Ständen
hat. Auf diese setzt er noch seine Hoffnung,
dass sie seinen Willen verwirklichen.
21. Maria beschreibt Birgitta ihre Trauer
bei der Abnahme Christi vom Kreuz. Dann erzählt
sie von einem Mann – nicht näher angegeben
– der nach einem schweren Seelenkampf Gott der
Welt vorgezogen hat, und durch Birgitta gibt er
diesem Mann den Rat zu einem gottesfürchtigen
Leben.
22.
Maria schildert Birgitta die falsche und die
wahre Weisheit, d.h. die Weltliebe und die
Gottesliebe, und ermahnt sie, an der letzteren
festzuhalten.
23. Maria stellt Birgitta und allen
anderen ihre Demut als mahnendes Beispiel hin.
24. Christus deutet die verschiedene Art
der Menschen an, auf seine Worte zu reagieren.
Er gibt Birgitta eine Lehre, die in den beiden
folgenden Kapiteln weiter entwickelt wird.
25.
Christus schärft Birgitta (und durch sie allen
seinen Auserwählten) die Notwendigkeit des
guten Willens, das gottesfürchtige Erwägen vor
einer Durchführung von Handlungen sowie die göttliche
Weisheit ein, d.h. das Bewusstsein der
Unausweichlichkeit des Todes und Gerichts.
26. Maria stellt den hl. Laurentius[1]
als Vorbild hin und ermahnt Birgitta, so wie
dieser der Welt zu entsagen und alles um Christi
willen zu ertragen. Christus setzt danach seine
begonnene Ermahnungsrede an Birgitta fort und
ermahnt sie, ihren Willen dem Willen Gottes
anzupassen und in Eintracht mit ihrem Nächsten
zu leben, Werke der Barmherzigkeit zu üben und
ein armes und entsagungsreiches Leben zu Führen.
27. Christus beendet seine
Ermahnungsrede, indem er auf den Nutzen von
Versuchungen hinweist, auf die Verpflichtung der
Guten, an der Bekehrung der Mitmenschen zu
arbeiten, sowie auf die Wichtigkeit dessen, dass
man gewissenhaft seine Sünden bekennt. Zuletzt
schärft er die Bedeutung der Hoffnung und der
Gottesliebe ein.
28.
Christus tröstet Birgitta, die unsicher
geworden ist, ob die von ihr gesprochenen Worte
wahr und von Gott eingegeben sind.
29. Johannes der Täufer schildert
Birgitta Gottes Liebe zur Menschenseele und
ermahnt sie, sich vorweltlichen Lockungen und
ehrgeizigen Gedanken in Acht zu nehmen.
30. Diese Offenbarung, die nach dem
Zusatz in Revelationes extra vagantes, Kap. 108
am 2. Februar 1349 in der Domkirche in Skara
empfangen wurde, hebt die Frömmigkeit des 1317
verstorbenen Bischofs von Skara Brynolf
Algottson hervor. Wie wir aus der Geschichte
wissen, gab dieser den Anlass zu einem neuen
Heiligenkult, der dem Heiligen Brynolf aus Västergötland
gewidmet war[2].
[1].
Röm. Märtyrer im 3. Jhdt. N.Chr..Erlitt das
Martyrium auf dem Rost.
[2]. Siehe T. Lundén: Sankt Brynolf, Bischof
von Skara. In: Credo 1945-46.
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Hier beginnt das
zweite Buch der himmlischen
Offenbarungen der hl. Birgitta von Schweden.
Es
gibt kein strengeres Leben als das des Ritters, wenn es
nach seiner wahren Einrichtung geführt wird. Denn die
christliche Ritterschaft wurde nicht für weltlichen
Besitz und Gewinnlust gestiftet, sondern um die Wahrheit
zu stärken und den Glauben zu verbreiten. Die Ritter,
die früher Waffen trugen, waren bereit, ihr Leben für
die Gerechtigkeit hinzugeben und ihr Blut für den
heiligen Glauben zu vergießen, den Bedürftigen zu
Gerechtigkeit zu verhelfen und die Bösen zu unterdrücken
und zu demütigen. Aber jetzt sind sie verkehrt. Sie
sind nämlich stolz auf ihre schönen Körper, sie
verlangen nach Reichtum, sie sind von Lüsternheit erfüllt,
und deshalb sollen die Leiber, auf die sie stolz sind,
von Schwert, Speer und Axt getötet werden. Und daher
ermahne ich sie, dass sie meine Barmherzigkeit suchen,
damit sie nicht von meiner Gerechtigkeit getroffen
werden, die fest ist wie ein Berg, brennend wie ein
Feuer, gefährlich wie der Donner und schnell wie ein
Bogen, der den Pfeil abschießt.“
1.
Kapitel |
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Christus erklärt
Birgitta, warum die Lebensdauer der Menschen von
so verschiedener Länge ist und beschreibt, wie
die Menschen, wenn sie die Vernunft gebrauchen,
zwischen Gut und Böse wählen, was als Ergebnis
eine verschiedene Belohnung hat.
Der Sohn
sprach zur Braut (Birgitta) und sagte: „Wenn
der Teufel dich versucht, so sage ihm diese drei
Dinge. Erstens: Gottes Worte können nichts
anderes sein, als wahr. Zweitens: Gott ist
nichts unmöglich. Drittens: Du, Teufel, kannst
mir nicht eine solche Liebesglut einflößen,
wie Gott sie mir gibt.“
Weiter sagte der Herr zur Braut: „Ich schaue
den Menschen auf dreifache Weise an. Erstens
sehe ich seinen Leib von außen, und wie er
beschaffen ist. Zweitens schaue ich seinen Sinn
innen, und was für Absichten er hat. Drittes
sehe ich sein Herz und was es begehrt. Denn so
wie die Möwe den Fisch im Meer sieht, in die
Tiefe sieht, wo er schwimmt, und auf die wütenden
Wogen acht gibt, so kenne und betrachte ich die
Wege aller Menschen und achte darauf, was einem
jeden zukommt, denn ich habe einen schärferen
Blick und weiß besser, was den Menschen berührt,
als was er von sich selber weiß.
Aber nachdem ich nun alles sehe und weiß, könntest
du mich fragen, warum ich nicht die Bösen
vernichte, ehe sie in der Tiefe der Sünde
landen. Darauf antworte ich selbst, der diese
Frage stellte: Ich bin der Schöpfer aller
Dinge, ich weiß alles im voraus, ja, ich weiß
und sehe beides, was geschehen ist und was
geschehe wird. Aber obwohl ich alles kann und
weiß, tue ich doch aus Gerechtigkeit nicht mehr
gegen die natürliche Veranlagung des Leibes,
als gegen die Veranlagung der Seele.
Jeder Mensch besteht nach der natürlichen
Beschaffenheit des Leibes, die ich im voraus
seit ewigen Zeiten kannte. Dass das Leben des
einen länger, das des anderen kürzer ist, das
beruht auf der Stärke oder Schwachheit der
Natur und auf der körperlichen Veranlagung.
Dass der eine blind, der andere lahm ist usw.,
das liegt nicht daran, dass ich es vorher weiß,
denn ich schaue im voraus alles so, dass keiner
deswegen schlechter hat, und mein Vorherwissen
schadet keinem Menschen.
Es beruht auch nicht auf dem Lauf und der
Stellung der Gestirne, sondern auf geheimer
Gerechtigkeit und der Unordnung der Hinfälligkeit
der Natur. Denn die Sünde und die Unordnung der
Natur verursachen in mannigfacher Weise
Gebrechen und Missbildungen in den Gliedern, und
das geschieht nicht deshalb, dass ich es will,
sondern deshalb, weil ich es aus Gerechtigkeit
geschehen lasse denn obwohl ich alles kann,
stehe ich der Gerechtigkeit nicht entgegen. Dass
jemand länger oder kürzer lebt, das liegt also
an der starken oder schwachen Disposition der
Natur, die ich im voraus sehe, so dass niemand
etwas dagegen machen kann.
Du wirst dies besser durch ein Gleichnis
verstehen. Denke dir, dass es zwei Wege gab, und
dass nur einer zu ihnen hinführte. Auf diesen
Wegen gab es unzählige Gräber, das eine gegenüber
dem anderen und über dem anderen. Der eine von
diesen beiden Wegen führte zum Schluss
geradewegs in den Abgrund hinab, und der andere
zuletzt hinauf in die Höhe.
Aber an der Weggabelung zwischen ihnen stand
geschrieben: „Wer diesen ersten Weg geht, wird
ihn mit Freude und fleischlicher Wollust
beginnen, aber ihn in großer Not und Scham
beenden. Wer dagegen diesen anderen Weg geht,
wird ihn mit einer kleinen und erträglichen
Arbeit beginnen, und ihn mit höchster Freude
und Jubel beenden.
Der, der den einen Weg einschlug, der zu den
beiden anderen führte, er war zuerst völlig
blind, aber als er an die Weggabelung kam, wo
die beiden neuen Wege begannen, da gingen ihm
die Augen auf, und er sah die Schrift, in der
das Ende dieser beiden Wege beschrieben wurde.
Als er die Schrift sah und stand und mit sich zu
Rate ging, zeigten sich ihm plötzlich zwei Männer,
die die Aufgabe hatten, über die beiden Wege
Wacht zu halten.
Als sie den Wanderer an der Weggabelung sahen,
sprachen sie miteinander und sagten: „Lass uns
nun genau sehen, welchen Weg er einschlägt, und
der von uns, dessen Weg er einschlägt, soll ihn
behalten.“ Der Wanderer überlegte sich das
Ende und die verschiedenen Verdienste der beiden
Wege, fasste einen klugen Entschluss und wählte
lieber den Weg, der mit kleinen Sorgen begann
und mit Freude endete, als den, der mit Freude
begann und mit Kummer endete. Er hielt es nämlich
für erträglicher und klüger, mit ein wenig
Arbeit am Anfang belastet zu werden, um zuletzt
eine feste und sichere Ruhe zu gewinnen.
Weißt du, was das bedeutet? Ich will es dir
deutlich sagen. Die beiden Wege sind das Gute
und das Böse, dem der Mensch auf seinem
Lebensweg begegnet. Es steht in seiner eigenen
Macht und seinem freien Willen, zu wählen,
welchen er will, wenn er ins Alter der Vernunft
kommt. Zu diesen beiden Wegen, nämlich zur Wahl
zwischen Gut und Böse, führt ein anderer Weg,
nämlich das Kindesalter, das zum Alter der
Vernunft hinführt.
Wer diesen Weg des Kindesalter wandert, ist noch
gleichsam blind, denn von Kindheit an und bis
der Mensch das Alter der Vernunft erreicht hat,
ist er sozusagen blind und kann nicht zwischen
Gut und Böse, zwischen Sünde und Tugend,
zwischen Gottes Gebot und dem Verbotenen
unterscheiden. Also ist der Mensch, solange er
diesen Weg wandert, d.h. während er seine
Kinderjahre erlebt, gleichsam blind.
Aber wenn er an den Kreuzweg kommt, d.h. ins
Alter der Vernunft, da werden ihm die Augen des
Verstandes geöffnet, denn dann kann er überlegen,
was besser ist: Etwas Sorge und dann ewige
Freude zu haben, oder etwas Freude und dann
ewigen Kummer zu haben. Und da sind die zugegen,
die genau auf seine Schritte acht geben, welchen
Weg er wohl einschlägt.
An den beiden Wegen sind viele Gräber, das eine
hinter dem anderen, und das eine vor dem
anderen, denn in der Jugend und im Alter stirbt
der eine früher, der andere später, einer
schon in jungen Jahren, ein anderer erst im
Alter. Daher kann das Ende dieses Lebens recht
gut durch Gräber bezeichnet werden, denn da
werden alle landen, der eine so und der andere
so, was die natürliche Veranlagung erfordert,
und was ich schon im voraus weiß. Denn wenn ich
jemanden gegen seine natürliche Veranlagung
fortnehmen würde, würde der Teufel gleich eine
günstige Gelegenheit gegen mich haben. Und
deshalb handele ich, damit der Teufel bei mir
nicht das Geringste gegen die Gerechtigkeit
finden kann, ebenso wenig gegen die natürliche
Veranlagung des Leibes, wie gegen die Seele.
Aber jetzt magst du meine Güte und mein
Erbarmen betrachten. Ich handle nämlich, wie
der Magister sagt[1], anständig gegenüber
denen, die keinen Anstand haben. Aus meiner großen
Liebe heraus gebe ich, wie es geschrieben steht,
das Himmelreich all denen, die getauft sind und
vor dem Alter der Vernunft sterben. Es gefiel
meinem Vater nämlich, solchen Menschen das
Himmelreich zu schenken.
Ja, in meiner Milde erweise ich auch den Kindern
der Heiden solche Barmherzigkeit. Denn die von
ihnen, die noch vor dem Alter der Vernunft
sterben, die können zwar gewiss nicht mein
Angesicht schauen, aber sie gelangen an einen
Platz, den du nicht wissen darfst, und wo sie
ohne Pein leben.
Aber die, die den ersten Weg zurückgelegt haben
und an den Kreuzweg kommen, wo die beiden neuen
Wege beginnen, d.h. in das Alter, wo sie
zwischen Gut und Böse unterscheiden können,
die haben die Möglichkeit zu wählen, was ihnen
am besten gefällt, und ihr Lohn wird nach der
Entscheidung ausfallen, die ihr eigener Wille
getroffen hat, denn sie können zu der Zeit die
Schrift lesen, die am Kreuzweg steht, nämlich
dass es besser ist, etwas Sorge am Anfang und
dann Freude zu haben, als Freude am Anfang und
zuletzt Kummer zu haben.
Es geschieht doch manchmal, dass manche
abgerufen werden, ehe die Natur des Leibes dafür
veranlagt ist. z.B. durch Totschlag, Trunksucht
und dergleichen, denn die Bosheit des Teufels
ist so groß, dass der betreffende Sünder eine
sehr lange Pein haben würde, wenn er länger
auf Erden leben würde. Und daher erfordert die
Gerechtigkeit und auch die Sünder, dass manche
schon vor der natürlichen Veranlagung von
Anfang an vorhanden, und es ist einem solchen
Menschen nicht möglich, sich dagegen
aufzulehnen.
Es geschieht auch manchmal, dass gute Menschen
abgerufen werden, ehe die Natur des Körpers
dazu veranlagt wäre, da ich eine so große
Liebe zu ihnen habe. Ja, es geschieht zuweilen,
dass sie auf Grund ihrer brennenden Liebe zu mir
und auf Grund der körperlichen Entbehrungen
abberufen werden, die sie sich um meinetwillen
auferlegt haben, wie ich es von Anfang an
gewusst habe, und wie es die Gerechtigkeit
erfordert. Daher handele ich ebenso wenig gegen
die natürliche Verlangung des Leibes, wie gegen
die der Seele.“
[1].
Wohl Birgittas Beichtvater, Magister Matthias.
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2.
Kapitel |
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Christus fällt ein
strenges Urteil über einen plötzlich
verstorbenen Priester, der sich der Unzucht
schuldig gemacht hatte und sicht nicht gescheut
hat, die Messe zu verrichten und den Leib des
Herrn im Zustand der Sünde zu empfangen. Er
deutet jedoch an, dass die Strafe des
Verstorbenen in gewissem Maß wegen der Gebete
Marias, seiner Mutter, gemildert werden könnte.
Gott
erschien erzürnt und sagte: „Das Werk meiner
Hände verschmäht mich mehr, das ich doch zu größerer
Ehre bestimmt hatte. Diese Seele, der ich alle Fürsorge
meiner Liebe bewiesen habe, hat mir drei Dinge
angetan. Sie wandte ihre Augen von mir ab und
wandte sie meinem Feinde zu. Sie richtete ihren
Willen ganz auf die Welt. Sie gab sich der
Zuversicht hin, frei gegen mich sündigen zu können.
Daher fällte ich ein schnelles Urteil über
sie, weil sie sich nicht darum kümmerte, an
mich zu denken. Weil sie ihren Willen gegen mich
richtete und sich einer falschen Hoffnung
hingab, habe ich ihr ihre Begierde vereitelt.“
Da rief ein Teufel und sagte: „Oh Richter,
diese Seele gehört mir!“ Der Richter
antwortete: „Was hast du gegen sie
vorzubringen?“
Er sagte: „Die Anklage, die du vorgebracht
hast, bildet meine Anklage: Sie hat dich, ihren
Schöpfer, verschmäht, und deshalb ist sie
meine Dienerin geworden. Und als sie so plötzlich
von der Welt entrückt wurde – wie konnte sie
dich da so plötzlich besänftigen? Als sie mit
einem gesunden Körper auf der Welt lebte,
diente sie dir nicht mit aufrichtigem Herzen,
denn sie liebte die geschaffen dinge mehr als
dich: sie hat die Krankheit nicht geduldig
getragen, und weil sie ihre Taten nicht überlegte,
wie sie hätte tun sollen, brannte sie gegen
Ende ihres Lebens nicht mit dem Feuer der Liebe,
und nachdem du sie so eilig abgerufen hast, gehört
sie mir.“
Der Richter antwortete: „Das plötzliche Ende
würde sie nicht richten, wenn nicht ihre Taten
böse wären; Der Wille ohne genau Überlegung
ist auf ewig verdammt.“
Da kam Gottes Mutter und sagte: „O mein Sohn,
der nachlässige Diener, hatte einen Freund, der
sehr vertraut mit dem Herrn und diesem lieb war;
könnte dieser Freund ihm beistehen? Oder könnte
er um seinetwillen erlöst werden, wenn dieser
Freund dich darum bittet?“
Der Richter antwortete: „Jede Gerechtigkeit
muss mit Barmherzigkeit und Weisheit vereint
sein; mit Barmherzigkeit, damit die Strenge
gemildert werden kann, mit Weisheit, damit
Unparteilichkeit gewahrt werden kann. Aber wenn
die Übertretung so war, dass sie nicht vergeben
werden kann, kann die Strafe um des Freundes
willen gemildert werden, doch so, dass die
Gerechtigkeit nicht verletzt wird.“
Da sagte die Mutter: „Mein gesegneter Sohn,
diese Seele hatte mich stets in Erinnerung,
zeigte mir Verehrung und hielt meinetwegen Feste
ab, obwohl sie dir gegenüber kalt war –
erbarme dich deshalb über sie!“ Der Sohn
entgegnete wieder: „Gesegnete Mutter; du
kennst und siehst alles in mir. Wenn Diese Seele
dich auch in Erinnerung hatte, tat sie das doch
mehr für zeitlichen Gewinn, als für
geistlichen. Meinen allerreinsten Leib
behandelte sie nicht wie sie hätte tun sollen,
denn ihr unreiner Mund hat die Herzlichkeit
meiner Liebe von ihm ferngehalten. Ihre Liebe
zur Welt und ihre Leichtfertigkeit hat ihm mein
Leiden verborgen. Allzu große Hoffnung auf
Vergebung, und dass sie es unterließ, an das
Ende zu denken, hat ihr Leben verkürzt.
Und obwohl er ständig tätig war und mich (im
Sakrament) empfing, besserte er sich dadurch
nicht sehr, weil er sicht nicht vorbereitete,
wie er hätte sollen. Wer einen guten Gast
empfangen und bei sich beherbergen will, muss ja
nicht nur die Herberge, sondern auch alle Geräte
in Ordnung bringen. Das hat dieser (Priester)
nicht getan, denn wenn er auch das Haus rein
gemacht hat, hat er es doch nicht würdig und
sorgfältig geschmückt, den Fußboden nicht mit
Blumen der Tugenden geschmückt und seine
Glieder nicht mit Enthaltsamkeit gefüllt.
Daher siehst du auch genau, was mit ihm
geschehen soll, und was er verdient hat. Denn
obwohl ich unangreifbar und unantastbar bin und
mit meiner Gottheit überall bin, ist es doch
sicher eine Freude, bei einem reinen Menschen zu
sein, wenn ich auch sowohl bei einem Guten als
auch bei einem Verdammten einkehre. Die Guten
empfangen nämlich meinen Leib[1], der
gekreuzigt wurde und zum Himmel auferstanden
ist, und durch das Manna und das Mehl der Witwe
angekündigt worden ist.
So handeln auch die Bösen, aber für die Guten
bewirkt es größere Kraft und stärke, während
sich die Bösen ein strengeres Urteil zuziehen,
weil sie sich nicht scheuen, obwohl sie unwürdig
sind, zu etwas so erhabenen hinzuzutreten.“
Der Teufel erwiderte: „Wenn er dir unwürdig
genaht ist, und sein Gericht dadurch schwerer
geworden ist – warum hast du ihm da gestattet,
zu dir zu kommen und dich, der so würdig ist,
zu berühren?“ Der Richter antwortete: „Du
fragst nicht aus Liebe, denn die hast du nicht,
sondern weil meine Kraft dich, um dieser Braut
(Birgitta) willen dazu zwingt, die es hört.
Sowie mich während meines Erdenlebens gute und
schlechte Menschen berührt haben, als ich meine
wahre Menschengestalt und meine geduldige Demut
zeigen wollte, so verzehren mich Gute und
Schlechte am Altar; die Guten zu größerer
Vollkommenheit, aber die Bösen, weil sie nicht
glauben können, dass sie verdammt sind, und
dass sie, nachdem sie diesen meinen Leib
empfangen haben, selbst ihren Willen ändern und
sich bekehren können, wenn sie wollen.
Und wie könnte ich eine größere Liebe zeigen,
als wenn ich, der Reinste, auch in das unreinste
Gefäß eingehe, wenn ich auch so wie die
leibliche Sonne nicht durch jemanden
verunreinigt werden kann? Diese Liebe verschmähst
du und deine Freunde, indem ihr eure Liebe gegen
mich verhärtet.“
Da sagte die Mutter noch einmal: „Mein guter
Sohn, so oft er zu dir getreten ist, hat er dich
gefürchtet, wenn auch nicht so, wie er sollte.
Er hat auch bereut, dass er dich verunehrt hat,
wenn auch nicht vollkommen. Dies, mein Sohn, mag
ihm um meinetwillen zum Gewinn gereichen.“ Der
Sohn antwortete noch einmal: „Ich bin, wie der
Prophet sagte, die wahre Sonne, weil besser als
die körperliche. Die kann keine Berge und das
Herz durchdringen, aber ich kann beides. Wenn
ein Berg der Sonne widersteht, dass sie nicht in
die Nähe der Erde gelangt, was steht entgegn,
wenn nicht die Sünde, dass diese Seele von
meiner Liebe erwärmt würde? Wenn ein Teil des
Berges abgetragen wird, ist doch die Folge, dass
das, was (der Sonne) am nächsten ist, seine Wärme
verliert. Und wenn ich in einen Teil einer
reinen Seele eingehe, welche Freude sollte es für
mich sein, wenn aus einem anderen Teil Gestank
aufsteigt? Daher muss das, was unrein ist,
verschwinden; dann wird die Lieblichkeit auf die
Schönheit folgen.“
Die Mutter erwiderte: „Es geschehe dein Wille
mit aller Barmherzigkeit!“
|
Erklärung
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Dieser
Priester wurde oft wegen seiner mangelnden
Enthaltsamkeit ermahnt, wollte sich aber nicht
bessern. Als er eines Tages auf die Wiese ging,
um sein Pferd zu striegeln, entstand ein
Unwetter, und er wurde vom Blitz getroffen und
starb. Sein ganzer Leib war jedoch unbeschädigt
bis auf den Intimbereich, der ganz und gar
verbrannt zu sein schien. Da sagte Gottes Geist:
„Tochter, die, welche von solchen bösen Lüsten
gefesselt werden, verdienen es, in ihrer Seele
von so etwas betroffen zu werden, was diesen
Mann an seinem Leibe widerfuhr.“
[1].
Bei der Kommunion.
|
3.
Kapitel |
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Maria beschreibt in Form
von Gleichnissen die verschiedene Art und Weise,
in der Christus von den schlechten Christen, von
den verhärteten Juden, von den verhärteten
Heiden, von den zur Busse bereiten Juden und
Heiden und den eifrigen Christen aufgenommen wird.
Die letztgenannten werden Birgitta als Vorbild
hingestellt.
Maria sagte:
„Dies ist eine merkwürdige Sache, dass der Herr
aller Dinge und der König der Ehren verachtet
ist. Er war wie ein Pilger auf Erden, indem er von
Ort zu Ort ging und wie ein Wanderer an die Tür
vieler Menschen klopfte, um aufgenommen zu werden.
Die Welt war nämlich wie ein Landgut, wo es fünf
Häuser gab. Als mein Sohn in seiner Pilgertracht
zu dem ersten Hause kam, klopfte er an die Tür
und sagte: „Mein Freund, öffne mir und laß
mich eintreten und bei dir rasten, so dass mir
nicht unversehens wilde Tiere schaden oder
Regenschauer über mich kommen. Gib mir von deinen
Kleidern, womit ich mich wärmen kann, denn ich
friere, und womit ich mich bedecken kann, denn ich
bin nackt. Gib mir von deinem Essen, womit ich
mich ernähren kann, denn ich bin hungrig. Gib mir
von deinem Trank, womit ich mich erquicken kann,
denn ich bin durstig. Wenn du das tust, wirst du
Lohn von deinem Gott erhalten.“
Da antwortete der, der im Haus war: „Du bist
sehr ungeduldig, deshalb kannst du dich nicht
anpassen und bei uns wohnen. Du bist sehr groß
gewachsen, daher können wir dich auch nicht
kleiden. Du bist sehr gierig, deshalb sind wir
nicht in der Lage, dich satt zu machen, denn deine
Gier ist bodenlos.“
Der Pilger Christus, der draußen war, ergriff das
Wort von neuem: „Mein Freund, laß mich doch
froh und freiwillig ein, denn ich kann mit einem
kleinen Platz auskommen. Gib mir von deinen
Kleidern etwas ab, denn es gibt in deinem Haus
kein Kleidungsstück, das so klein ist, dass es
nicht reichen würde, mich zu wärmen. Gib mir
etwas von deinem Essen ab, denn ich kann nur von
einem Krümel satt werden, und ein Tropfen Wasser
kann mir Kühlung und Kraft geben.“
Der Mann, der drinnen war, erwiderte von neuem:
„Wir kennen dich sehr gut – du bist demütig
mit Worten, aber hartnäckig im Bitten. Du
Scheinst bescheiden und leicht zu erfreuen zu
sein, aber bist doch unmäßig und nicht zufrieden
zu stellen. Du bist so verfroren, dass es äußerst
schwer ist, dich zu kleiden. Geh deines Weges, ich
kann dich nicht aufnehmen.“
Da ging der Herr zum zweiten Haus und sagte:
„Mein Freund, mach auf und sieh mich an. Ich
will dir geben, was du brauchst. Ich werde dich
gegen deine Feinde verteidigen.“ Der Mann im
Hause sagte: „Meine Augen sind krank, und es würde
ihnen schaden, wenn ich dich ansehen würde. Ich
habe Überfluß an allem und brauche das nicht,
was du anbietest. Ich bin mächtig und stark; wer
sollte mir da schaden können?“
Da kam er zum dritten Haus und sagte: „Mein
Freund, öffne deine Ohren und höre auf mich.
Streck deine Hände aus und faß mich an. Öffne
deinen Mund und koste mich.“ Der Hausbesitzer
antwortete: Ruf lauter, damit ich dich gut hören
kann. Wenn du mild und sanft bist, will ich dich
zu mir nehmen.“
Dann ging der Herr zum vierten Haus, dessen Tür
etwa bis zur Hälfte offen stand, und sagte:
„Mein Freund, wenn du einsehen würdest, wie
nutzlos du deine Zeit verbrauchst, denn würdest
du mich zu dir eintreten lassen. Wenn du verstehen
und hören würdest, was ich für dich getan habe,
würdest du Mitleid mit mir empfinden. Wenn du
darauf achten würdest, wie sehr du mich gekränkt
hast, würdest du weinen und um Vergebung
bitten.“
Der im Hause war, sagte: „Wir sind gleichsam tot
vor Erwartung und Sehnsucht nach dir; hab deshalb
Mitleid mit unserem Elend, so werden wir uns gern
dir schenken. Sieh auf unsere Not und betrachte
die Drangsal unseres Leibes, dann werden wir
bereit zu allem sein, was du willst.“
So kam der Herr zum fünften Haus, das ganz und
gar offen stand, und sagte: „Mein Freund, hier möchte
ich gern eintreten. Aber du sollst wissen, dass
ich ein weicheres Bett begehre, als Daunenpolster
es zu bieten pflegen, eine größere Wärme, als
Wolle geben kann eine frischere Kost, als frisches
Fleisch von Tieren es bieten kann.“
Die Leute, die drinnen waren, sagten: „Der
Hammer liegt an unseren Füßen; mit dem wollen
wir gern unsere Füße und Beine kaputt schlagen
und dir das Knochenmark geben, das daraus
hervorquillt, um darauf zu ruhen, unsere
Eingeweide und all unser Inneres wollen wir dir
gern offen lassen: Tritt auch dort ein! Denn so
wie nichts weicher für dich ist, um auszuruhen,
als unser Mark, so gibt es nichts, was dir eine
bessere Wärme bieten kann, als unsere Eingeweide.
Unser Herz ist frischer als das Fleisch von
Tieren, und wir wollen es gern für dich
zerschneiden, wenn du nur bei uns eintrittst, denn
du bist lieblich zu schmecken und herrlich zu
genießen.“
Die Bewohner in den fünf Häusern bezeichnen fünf
menschliche Stände auf der Welt. Die ersten sind
die treulosen Christen, die sagen, dass die
Gerichte meines Sohnes ungerecht sind, seine
Verheißungen falsch und seine Gebote unmöglich
zu halten sind. Diese Leute sagen gotteslästerlich
in ihrem Denken und in ihrem Verstand zu den
Predigern meines Sohnes: „Allmächtig oder nicht
– er ist am allerlängsten, und deshalb ist er
unerreichbar. Er ist am allerweitesten und höchsten,
und deshalb kann man ihn nicht ermessen. Er ist am
ungeduldigsten, und deshalb kann man nicht mit ihm
wohnen.“
Sie sagen, er sei am längsten, weil sie faul in
der Arbeit und in der Liebe sind und nicht
versuchen, seiner Güte nahe zu kommen. Sie sagen,
er sei am weitesten, da ihre Gier kein Maß kennt.
Sie schützen immer einen Mangel vor und ahnen Böses,
bevor es kommt. Sie tadeln ihn als unersättlich,
nachdem Himmel und erde nicht bis zu ihm reichen,
abgesehen davon, dass er die besten Gaben vom
Menschen begehrt und fordert, dass man alles für
die Seele geben soll, was sie für den törichtesten
Befehl halten, und dass man weniger für den Körper
tun soll, was sie für ein großes Verderben
halten.
Sie sagen auch von ihm, dass er am ungeduldigsten
sei, da er die Sünder haßt und ihnen Dinge
schickt, die gegen ihren Willen sind. Sie sehen
nur das als schön und nützlich an, wozu die körperliche
Lust sie leitet.
Nun ist mein Sohn in Wahrheit allmächtig im
Himmel und auf Erden, der Schöpfer aller Dinge
und von niemandem geschaffen; er war vor allen da,
und nach ihm wird niemand kommen. Er ist gewiß am
längsten, höchsten und weitesten; innen, außen
und über alles. Aber obwohl er so mächtig ist,
will er doch in seiner Liebe mit dem Dienst des
Menschen bekleidet werden – er, der keinen
Bedarf an Kleidern hat, da er selber alles
bekleidet und selber ewig und unveränderlich mit
einiger Ehre und Würde bekleidet ist.
Er sehnt sich danach, mit der Liebe des Menschen
gesättigt zu werden – er, der doch das Brot der
Engel und Menschen ist, das alle erquickt und von
keinem etwas braucht. Er begehrt vom Menschen
Frieden, er, der Schöpfer und Erneuerer des
Friedens ist. Daher kann ihn jeder, der ihn mit
frohem Sinn empfangen will, sogar mit einem
Brotkrumen sättigen, wenn er gutwillig ist, ihn
sogar mit einem bloßen Faden bekleiden, wenn
seine Liebe brennend ist, seinen Durst sogar mit
einem Tropfen löschen, wenn sein Wohlwollen
richtig ist, und ihn in sein Herz aufnehmen und
mit ihm reden, wenn seine Frömmigkeit warm und
standhaft ist.
Gott ist nämlich Geist, und deshalb will er, dass
fleischliche Dinge in geistliche und vergängliche
Dinge in ewige verwandelt werden, dass ihm gegenüber
das getan und gezeigt wird, das man seinen
Gliedern (den Gläubigen) zeigt. Und er achtet
nicht nur auf das Werk oder die Fähigkeit des
Menschen, sondern auf seinen eifrigen Willen, und
in welcher Absicht eine Tat getan wird.
Aber je mehr mein Sohn sie durch heimliche
Eingebungen ruft, je mehr er sie durch seine
Prediger ermahnt, desto mehr verhärten sie ihre
Sinne gegen ihn. Sie hören ihn nicht, sie öffnen
ihm nicht gutwillig die Tür und lassen ihn nicht
durch Taten der Liebe Eintreten. Deshalb wird,
wenn ihre Zeit kommt, die falsche Hoffnung, mit
der sie sich vertrösten, zunichte werden, die
Wahrheit wird erhöht und Gottes Ehre offenbart
werden.
Die zweiten sind die verhärteten Juden. Sie
halten sich selbst in allen Dingen verständig und
halten ihre Weisheit für Gerechtigkeit. Sie
prahlen mit ihren Taten und halten sie für
ehrenwerter, als die von anderen. Wenn sie die
Taten meines Sohnes hören, halten sie diese für
verächtlich, wenn sie seine Worte und Gebote hören,
verachten sie sie. Sie halten sich für sündig
und befleckt, wenn sie etwas sehen oder hören,
was meinem Sohn gehört, und sie noch unglücklicher
und elender, wenn sie seine taten befolgen würden.
Aber so lange die Welt ihnen gewogen ist, halten
sie sich für höchst glücklich, und solange sie
frische Kräfte haben, halten sie sich am stärksten.
Daher soll ihre Hoffnung zunichte und ihre Ehre
zuschanden werden.
Die dritten sind die Heiden. Manche von ihnen
rufen täglich höhnisch: „Wer ist dieser
Christus? Wenn er so gütig ist, zeitliche Dinge
zu schenken, werden wir ihn gern annehmen. Wenn er
so milde ist, Sünden zu erlassen, wollen wir ihn
gern verehren.“
Aber sie haben die Augen ihres Verstandes
geschlossen, so dass sie Gottes Gerechtigkeit und
Barmherzigkeit nicht verstehen können. Sie halten
sich die Ohren zu, so dass sie nicht hören können,
was mein Sohn für sie und für alle getan hat.
Sie verschließen ihren Mund und fragen nicht
danach, was ihnen geschehen wird, und was ihnen nützt.
Sie verschließen ihre Hände und weigern sich,
danach zu streben und zu forschen, auf welche
Weise sie der Lüge entfliehen und die Wahrheit
finden können. Nachdem sie nichts verstehen und
sich in Acht nehmen wollen, während sie es doch können
und die Zeit dazu haben, werden sie mit ihren Häusern
fallen und vom Sturm weggefegt werden.
Die vierten sind die Juden und Heiden, die gerne
Christen sein wollten, wenn sie nur wüssten, was
meinem Sohn wohlgefällig sein würde, und wenn
sie irgendein Helfer hätten. Sie hören täglich
von den Völkern en den Nachbarländern und
verstehen aus dem inneren Ruf der Liebe und durch
Zeichen, wieviel mein Sohn getan hat, und dass er
für alle gelitten hat.
Daher rufen sie in ihrem Gewissen zu meinem Sohn:
„O Herr, wir haben gehört, dass du versprochen
hast, dich selber uns zu schenken. Daher warten
wir auf dich. Komm und löse dein Versprechen ein!
Wir verstehen ja und sehen, dass es bei denen, die
wie Götter verehrt werden, kein Gotteskraft, kein
Liebe zu den Seelen, keine lobenswerte Größe der
Keuschheit gibt. Bei ihnen finden wir nur körperliche
Freundschaft und Liebe für die Ehre dieser Welt.
Wir vernehmen dein Gesetz und hören von deinen
großen Wundertaten in aller Barmherzigkeit und
Gerechtigkeit. Wir hören die Aussprüche deiner
Propheten, dass sie dich erwarten haben, was sie
prophezeiten. Komm daher, du mildester Herr, denn
wir wollen uns dir gerne schenken, nachdem wir
verstehen, dass es bei dir die Liebe zu den Seelen
gibt, kluge Benutzung aller Dinge, vollkommene
Reinheit und ewiges Leben. Ja komm bald, denn wir
sind vor Sehnsucht nach dir wie tot, und erleuchte
uns!“
So rufen diese Menschen zu meinem Sohn. Und
deshalb ist auch ihre Tür halb offen, denn sie
haben den ehrlichen Willen zum Guten, sind aber
noch nicht bis zu seiner Wirkung vorgestoßen.
Diese Menschen verdienen, die Gnade und den Trost
meines Sohnes zu erhalten. Im fünften Haus sind
meine Freunde und die meines Sohnes, und die Tür
ihres Sinnes steht meinem Sohn ganz offen. Sie hören
meinen Sohn gern, wenn er sie ruft. Sie öffnen,
wenn er kommt. Mit dem Hammer der göttlichen
Gebote zerschlagen sie alles, was verkehrt bei
ihnen ist, und bereiten meinem Sohne einen
Ruheplatz, nicht auf Vogeldaunen, sondern in
Eintracht mit den Tugenden und unter Zügelung der
Begierde, was das Mark aller Tugenden ist.
Sie schenken meinem Sohn auch Wärme, nicht die,
die von Wolle stammt, sondern von einer so
brennenden Liebe, dass sie meinem Sohn nicht nur
all ihr Hab und Gut schenken, sondern auch sich
selbst. Ferner bereiten sie ihm eine Kost, die
frischer ist als alles Fleisch nämlich das
allervollkommenste Herz, womit sie nichts anderes
begehren oder lieben, als ihren Gott. In ihrem
Herzen wohnt der Herr des Himmels, und von ihrer
Liebe wird Gott köstlich erquickt – er, der
selber alles erquickt. Sie haben ihre Augen stets
auf die Tür gerichtet, so dass der Feind nicht
eintreten kann, die Ohren zum Herrn gewendet, und
die Hände bereit zum Kampf gegen den Feind.
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4.
Kapitel |
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Christus droht den
schlechten Christen mit strenger Strafe,
verspricht aber den Heiden Erlösung.
Gottes Mutter
sprach zum Sohn und sagte: „Mein Sohn, sieh,
deine Braut (Birgitta) weint darüber, dass deine
Freunde so wenig sind, aber deine Feinde so
viele.“ Der Sohn erwiderte: „Es steht
geschrieben, dass die Kinder erben werden. Es
steht auch geschrieben, dass eine Königin aus
fernem Land kam, um Salomos Reichtümer zu sehen
und seine Weisheit zu hören, und als sie das sah,
hatte sie kaum Worte für ihre Bewunderung. Aber
die, die in seinem Reich lebten, achteten nicht
auf seine Weisheit und bewunderten seine Reichtümer
nicht.
Ich vergleiche mich mit diesem Salomo, aber ich
bin viel reicher und weiser als er, denn von mir
stammt alle Weisheit, und von mir hängt es ab, ob
jemand weise ist. Meine Reichtümer sind ewiges
Leben und unaussprechliche Ehre. Die habe ich den
Christen versprochen und habe sie den Söhnen
angeboten, damit sie diese ewig besitzen sollen,
wenn sie mir nachfolgen und meinen Worten glauben
würden.
Aber sie achten nicht auf meine Weisheit; sie
verachten meine Taten und halten mein Versprechen
und meine Reichtümer für nichts. Was soll ich da
mit ihnen machen? Wahrlich – nachdem die Söhne
nicht das Erbe haben wollen, sollen die
Fremdlinge, d.h. die Heiden, es erhalten. Denn
diese werden kommen wie die fremde Königin, mit
der ich die ungläubigen Seelen meine, und sie
werden die Reichtümer meiner Ehre und meine Liebe
bewundern, so dass sie den Geist ihres Unglaubens
verlassen und von meinem Geist erfüllt werden.
Aber was soll ich mit den Kindern des Reiches tun?
Ja, wie ein kluger Töpfer, wenn er sieht, dass
das Gefäß das er erst aus Lehm geformt hat,
nicht schön und zu gebrauchen ist, es zu Boden
wirft und kaputt trampelt, so werde ich mit den
Christen verfahren. Sie sollten mir gehören, denn
ich habe sie zu meinem Abbild geschaffen und mit
meinem Blut erlöst, aber jetzt sind sie hässlich
und missgestaltet, und deshalb sollen sie wie
Staub zertreten und hinunter in die Hölle
geworfen werden.“
|
5.
Kapitel |
|
Christus spricht mit
Birgitta von den treulosen Juden, die er gern erlösen
würde, falls das möglich wäre, von den
schlechten Christen, die seine Gnade missbrauchen
und die Strafe zu erwarten haben, und von den
Heiden, die nach Erlösung hungern, denen er seine
Huld verspricht.
Ich bin Gott
– nicht ein Gott aus Stein oder Holz und nicht
von jemanden geschaffen, sondern aller Dinge Schöpfer,
der ohne Anfang und ohne Ende bleibt. Ich bin der,
der zur Jungfrau kam und mit der Jungfrau war und
die Göttlichkeit doch nicht verließ. Ich, der
mit menschlicher Gestalt in der Jungfrau war, während
die Göttlichkeit doch unverletzt blieb, ich
regierte gleichzeitig mit dem Vater und dem
Heiligen Geist im Himmel und auf Erden durch meine
Göttlichkeit. Ich habe die Jungfrau mit meinem
Geist entzündet – nicht so, dass mein Geist,
der sie entzündet hat, von mir getrennt wurde.
Nein, der sie entflammte, war zugleich im Vater
und in mir, dem Sohn, und der Vater und der Sohn
in ihm, und diese sind nicht drei Götter, sondern
einer.
Ich bin wie König David, der drei Söhne hatte.
Einer von ihnen hieß Absalom, und er trachtete
seinem Vater nach dem Leben. Der zweite von ihnen
trachtete nach seines Vaters Reich, und das war
Adonia. Der dritte erhielt das Reich, und das war
Salomo. Der erste bezeichnet die Juden. Die
trachten mir nämlich nach dem Leben, suchten
meinen Tod und verschmähten meinen Rat. Daher
kann ich jetzt, wo ich ihre Vergeltung sehe, wie
David von seinem toten Sohn sprechen: „Mein Sohn
Absalom!“ d.h. o Juden, meine Söhne – wo ist
nun eure Sehnsucht und Erwartung? Oh meine Söhne,
wo ist nun euer Ende? Ich habe Mitleid mit euch,
nachdem ihr Sehnsucht danach hattet, dass ich
kommen sollte – ich, von dem ihr durch so viele
Zeichen gehört habt, dass ich gekommen bin, und
nach dem ihr euch nach Flüchtigen gesehnt habt,
das nun insgesamt vergangen ist.
Aber jetzt sorge ich mich mehr über euch, wie
David, als er das erste Wort wiederholte, denn ich
sehe euer Ende im Elend des Todes. Daher sage ich
noch einmal aus höchster Liebe, wie David sagte:
„O mein Sohn, wer gönnt mir, dass ich für dich
sterben kann?“ David wusste nämlich genau, dass
er seine Toten nicht durch seinen eigenen Tod
auferwecken konnte, aber er zeigte das Gefühl
seiner väterlichen Liebe und das bereitwilligste
Verlangen seines guten Willens, und wenn es möglich
gewesen wäre, hätte er gern statt seines Sohnes
den Tod erlitten, obwohl er wusste, dass das unmöglich
war.
So sage ich jetzt: O meine Söhne, ihr Juden,
obwohl ihr einen bösen Willen gegen mich hattet
und gegen mich so viel getan habt, wir ihr
konntet, so würde ich doch gern, wenn es möglich
wäre und meinem Vater gefiele, noch einmal für
euch sterben, denn mich dauert euer Elend, das ihr
selbst als eine gerechte Strafe verursacht habt.
Ich habe euch ja mit Worten gesagt und mit
Beispielen gezeigt, was ihr tun sollt. Ich ging
vor euch her, wie eine Henne vor ihren Küken,
indem ich euch mit den Flügeln der Liebe schützte,
aber ihr habt alles verschmäht. Daher ist alles
vergangen, wonach ihr euch gesehnt habt. Euer Ende
ist im Elend, und alle eure Arbeit ist vergebens.
Mit Davids zweitem Sohn werden die schlechten
Christen bezeichnet. Adonia hat gegen seinen Vater
in dessen Alter gesündigt, denn er dachte bei
sich: „Mein Vater ist alt, und seine Kräfte
nehmen ab. Wenn ich etwas Unfreundliches zu ihm
sage, gibt er keine Antwort; wenn ich feindlich
handele, rächt er sich nicht; wenn ich etwas
gegen ihn unternehme, wird er es geduldig tragen.
Daher werde ich tun, was ich will.“
Dieser ging mit einigen Dienern seines Vaters
David in einen Hain, wo es ein paar Bäume gab,
damit er herrschen würde. Aber als die Weisheit
und der Wille des Vaters sichtbar wurde, änderte
sich der Plan des Sohnes, und die mit ihm waren,
begannen sich zu schämen. So handeln nun die
Christen gegen mich. Sie denken bei sich:
„Gottes Zeichen und Gerichte sind nicht so
offenbar wie früher; wir können reden, was wir
wollen, denn er ist barmherzig und achtet nicht
darauf. Laßt uns das tun, was uns gefällt, denn
er wird ja leicht verzeihen.“
Sie glauben nicht an meine Macht – als ob ich
jetzt nicht mehr die Macht hätte, das zu tun, was
ich früher wollte. Sie meinen, meine Liebe habe
abgenommen – also ob ich mich nicht über sie
erbarmen wollte, wie über ihre Väter. Sie
treiben Spott mit meinen Gerichtsurteilen und
halten meine Gerechtigkeit für eine Nichtigkeit.
Deshalb gehen sie mit ein paar von Davids Dienern
in den Wald, um mit Zuversicht zu regieren.
Was ist dieser Hain, in dem nur ein paar Bäume
stehen, wenn nicht die heiligen Kirche, die durch
ihre sieben Sakramente Bestand hat, wie durch ein
paar Bäume? In diese Kirche treten sie mit
einigen Dienern Davids ein, d.h. durch wenig gute
Taten, um Gottes Reich mit Zuversicht zu erhalten.
Sie tun nämlich ein paar kleine gute Taten, für
die sie sich darauf verlassen, dass sie – in
welcher Sünde sie auch stecken und welche Sünde
sie auch tun mögen – doch das Himmelreich wie
durch ererbtes Recht erhalten werden.
Aber so wie Davids Sohn, der das Reich gegen
Davids Willen gewinnen wollte, mit Schande
weggetrieben wurde, da er ungerecht war und es auf
unrechte Weise erstrebte, und das Reich einem
Weiseren und Besseren gegeben wurde, so sollen
diese aus meinem Reich vertrieben werden, und es
wird denen gegeben werden, die Davids Willen tun.
Denn keiner außer dem, der Liebe hat, kann mein
Reich gewinnen und keiner außer dem, der rein ist
und sich nach meinem Herzen richtet, kann mir, dem
Reinsten, nahen.
Davids dritter Sohn war Salomo. Er bezeichnet die
Heiden. Als Batseba hörte, dass ein anderer als
Salomo, dem David das Reich nach ihm versprochen
hatte, von manchen Leuten gewählt wurde, ging sie
zu David und sagte: „Herr, du hast mir
geschworen, dass Salomo nach dir regieren solle.
Aber jetzt ist ein anderer gewählt, und wenn es
in dieser Weise geht, werde ich als Ehebrecherin
zum Feuertod verurteilt, und mein Sohn wird als
unecht erklärt.“
Als David das hörte, erhob er sich und sagte:
„Ich schwör bei Gott, dass Salomo auf meinem
Stuhl sitzen und nach mir regieren soll.“ Und er
befahl seinen Dienern, dass sie Salomo auf den
Stuhl des Reiches erheben und verkünden sollten,
dass der, den David auserwählt hatte, König wäre.
Diese führten den Befehl ihres Herrn aus und erhöhten
Salomo zu großer Macht, aber alle die, die sich
mit seinem Bruder verschworen hatten, wurden
vertrieben und zu Knechten gemacht.
Wer ist nun diese Batseba, die sich als
Ehebrecherin ansehen würde, wenn ein anderer König
gewählt wurde, anders, als der Glaube der Heiden?
Es gibt nämlich keine schlimmeren Ehebruch, als
von Gott und dem rechten Glauben abzufallen und an
einen anderen Gott als an den Schöpfer aller
Dinge zu glauben.
Aber so wie Batseba kommen viele Heiden mit demütigem
und zerknirschtem Herzen zu Gott und sagen:
„Herr, du hast versprochen, dass wir in Zukunft
Christen sein würden; erfülle daher dein
Versprechen. Wenn ein anderer König, d.h. ein
anderer Glaube als deiner, über uns herrschen
wird, und wenn du dich von uns trennst, werden wir
elend zum Feuertod verurteilt und sterben wie die
Ehebrecherin, die sich einen Liebhaber anstelle
ihres rechtmäßigen Gatten genommen hat.
Und wenn du in Ewigkeit lebst, wirst du dennoch
von uns sterben und wir von dir, wenn du deine
Gnade von unserem Herzen fern hälst, und wir uns
dir durch unseren Irrglauben widersetzen. Erfülle
deshalb dein Versprechen, stärke uns in unserer
Schwachheit und erleuchte unsere Dunkelheit. Denn
wenn du länger zögerst, d.h. wenn du dich von
uns fernhältst, müssen wir vergehen.“
Nachdem ich dies gehört habe, will ich wie David
handeln und mich in meiner Gnade und
Barmherzigkeit erheben. Ich schwöre also bei
meiner Göttlichkeit, die mit meiner
Menschlichkeit verbunden ist, und bei meiner
Menschlichkeit, die in meinem Geist ist, der in
meiner Göttlichkeit und Menschlichkeit ist (und
diese drei sind nicht drei Götter, sondern
einer), dass ich mein Versprechen halten will.
Ich werde nämlich meine Freunde senden, die
meinen Sohn Salomo, d.h. die Heiden, in den Hain,
d.h. die Kirche, einführen werden, die sozusagen
durch die sieben Sakramente wie durch sieben Bäume
Bestand hat – nämlich die Taufe, die Buße, die
Konfirmation, das Sakrament des Altars, die
Priesterweihe, die Ehe und die letzte Ölung, und
sie werden auf meinem Stuhl verweilen, mit anderen
Worten, in dem rechten Glauben der heiligen
Kirche, aber die schlechten Christen sollen ihre
Diener sein.
Die ersten sollen sich an dem ewigen Erbteil und
der Lieblichkeit freuen, die ich ihnen bereiten
werde, aber die letzteren werden in ihrem Elend
jammern, das für sie schon in diesem Leben
beginnt und sich in Ewigkeit fortsetzt. Also
sollen meine Freunde, nachdem es nun Zeit ist, zu
wachen, nicht schlafen und ermüden, denn ein
ehrenvoller Lohn soll auf ihre Mühe folgen.“
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6.
Kapitel |
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Durch Birgitta deutet
Christus seinen Freunden, den Predigern, an, wie
undankbar es ist, den verstockten Christen zu
predigen, und dass sie stattdessen ihre
Aufmerksamkeit den Heiden widmen sollten. Ebenso
wie die drei vorhergehenden Kapitel bildet auch
dieses ein Glied mit Birgittas Kreuzzugsverkündigung
und darf in Zusammenhang mit den russischen
Feldzugsplänen Magnus Eriksson’s gesetzt
werden. Im 8. Buch kehrt das Thema wieder.
Der Sohn
(Christus) sagte: „Ich bin wie ein König, der
auf einem Felde stand und seine Freunde auf der
rechten Seite und seine Feinde auf der linken
hatte. Als sie nun in dieser Weise dastanden,
drang die Stimme eines Rufers auf die rechte
Seite, wo alle wohlbewaffnet standen, mit
festgebundenen Helmen und das Gesicht ihrem Herrn
zugewendet. Die Stimme rief: „Wendet euch zu mir
und glaubt an mich; ich habe euch Gold zu
schenken.“
Sie hörten die Stimme und wandten sich in die
Richtung, aus der sie kam, und als sie sich
gewendet hatten, sagte die Stimme erneut: „Wenn
ihr Gold sehen wollt, so bindet eure Helme ab, und
wenn ihr das besitzen wollt, so will ich euere
Helme wieder nach meinem Willen festbinden.“
Sie gehorchten ihm, und er band ihre Helme nach rückwärts,
so dass die Vorderseite mit dem Loch, wodurch sie
sehen konnten, in den Nacken kam, und die Rückseite
des Helms verdeckte ihre Augen, so dass sie nicht
sehen konnten. Und so führte sie dieser Rufer
blind hinter sich her.
Als dies geschah, teilten einige Freunde des Königs
ihrem Herrn mit, dass seine Männer von seinen
Feinden irregeleitet waren. Da sagte er zu seinen
Freunden: „Geht ihnen nach und ruft: „Bindet
eure Helme ab, dann werdet ihr gewahr, dass ihr
betrogen seid! Wendet euch zu mir, so will ich
euch in Frieden aufnehmen.“ Sie wollten jedoch
nicht hören, sondern machten sich darüber
lustig.
Als die Diener das hörten, erzählten sie es
ihrem Herrn, der sagte: „Nachdem diese mich
verschmäht haben, könnt ihr gleich auf die linke
Seite gehen und denen, die dort stehen, diese drei
Dinge sagen: „Der Weg, der zum Leben führt, ist
für mich bereit; die Tür ist offen, und der Herr
will euch selbst mit Frieden entgegenkommen.
Glaubt daher fest daran, dass der Weg bereitet
ist, und hofft standhaft, dass die Tür offen ist
und seine Worte wahr sind; eilt dem Herrn mit
Liebe entgegen, so wird er euch mit Liebe und mit
Frieden empfangen und euch zum ewigen Frieden führen.“
Die, welche die Worte der Boten hörten, glaubten
daran und wurden in Frieden aufgenommen.
Ich bin dieser König. Ich hatte die Christen auf
meiner rechten Seite, denn ich hatte ihnen das
ewige Gut bereitet. Da waren ihre Helme
festgebunden und ihre Gesichter mir zugewandt, als
sie den festen Willen hatten, meinen Willen zu tun
und meinen Geboten zu gehorchen, und ihr ganzes
Verlangen zum Himmel gerichtet war. Aber so
erklang auf der Welt die Stimme des Teufels, d.h.
der Hochmut, der ihnen die Reichtümer der Welt
und die fleischliche Lust zeigte.
Da wandten sie sich dahin und gaben ihr Begehren
und ihre Zustimmung der Hoffahrt hin. Sie legten
ihretwegen auch ihre Helme ab, als sie ihr
Begehren in die Tat umsetzten und das Zeitliche
vor das Geistliche setzten. Nachdem sie also die
Helme des göttlichen Willens und die Waffen der
Tugend abgelegt hatten, bekam der Hochmut so große
Macht über sie und machte sie seiner Herrschaft
so untertan, dass sie gern bis zum Ende sündigen
wollten, ja gern bis in Ewigkeit leben wollten, um
dann in Ewigkeit sündigen zu können.
Diese Hoffahrt hat sie so verblendet, dass die
Sehlöcher des Helmes, durch die sie sehen
sollten, sich jetzt im Nacken, und Dunkelheit vorn
an der Stirn befindet. Was sind die Löcher der
Helme anders, wenn nicht das Betrachten der
Zukunft und das nachdenkliche Beachten der
Gegenwart? Durch das erste Sehloch könnten sie
betrachten, wie lieblich die ewigen Belohnungen
sind, und wie schrecklich die künftigen Strafen
sind, und wie schrecklich Gottes Gerichte sind.
Durch das andere Sehloch sollten sie betrachten,
was von Gott vorgeschrieben und was verboten ist,
wie oft sie Gottes Gebote übertreten haben, und
wie sie Besserung üben sollten. Aber diese Löcher
sind jetzt im Nacken, wo nichts zu sehen ist, denn
das Betrachten der himmlischen Dinge ist in
Vergessenheit geraten. Die Liebe zu Gott ist
erloschen, aber die Liebe zur Welt hält man für
so lieblich und umfasst sie mit solcher Zärtlichkeit,
dass sie sie wie ein gut geöltes Rad zu allem führt,
was sie nur wollen.
Aber wenn meine Freunde meine Schande, den Abfall
der Seelen und die Herrschaft des Teufels sehen,
richten sie täglich ihre Gebetesrufe für diese
Unglücklichen an mich, und ihre Gebete sind durch
den Himmel und zu meinen Ohren gedrungen, und
bewegt von ihren Bitten habe ich ihnen Tag für
Tag meine Prediger gesandt, habe ihnen Vorzeichen
gezeigt und ihnen vielfältig meine Gnade
erwiesen. Sie haben jedoch das alles verachtet und
Sünde auf Sünde gehäuft.
Daher will ich meinen Dienern jetzt sagen und in
Wahrheit das vollenden, was ich sage: Meine
Diener, geht nun auf die linke Seite, nämlich zu
den Heiden, die bis jetzt in Verachtung lebten,
als ständen sie auf der linken Seite. Geht zu
ihnen hin und sagt: „Der Herr des Himmels und
der Schöpfer aller Dinge lässt euch dies sagen:
Der Weg zum Himmel steht euch offen; habt nur den
Willen, mit festem Glauben einzutreten. Das
Himmelstor steht euch offen; hofft nur fest und
tretet durch es ein. Der König des Himmels und
der Engel will euch selbst entgegenkommen und euch
Frieden und ewigen Segen schenken.
Geht ihm entgegen und nehmt ihn mit seiner Treue
auf, die er euch gezeigt hat, und mit der er den
Weg zum Himmel bereitet. Empfangt ihn mit der
Hoffnung, mit der ihr auf ihn hofft, denn jetzt
will er euch den Himmel schenken. Liebt ihn von
eurem ganzen Herzen, vollendet es in der Tat und
treten durch die Tore Gottes ein, aus denen die
Christen vertrieben werden sollen, die nicht durch
sie eintreten wollen, und sich durch ihre Taten
unwürdig machen. Ich sage euch in meiner
Wahrheit, dass ich meine Worte vollenden und sie
nicht aufgeben werde. Ich werde euch als meine
Kinder aufnehmen und euer Vater sein, da die
Christen mich nun schimpflich verschmäht haben.
Ihr meine Freunde, die ihr auf der Welt seid, könnt
also siegesgewiss voranschreiten, zu ihnen rufen,
ihnen meinen Willen verkünden und ihnen helfen,
so dass sie ausführen können. Ich werde in eurem
Herzen und eurem Munde sein. Ich werde euer Führer
im Leben sein und euch im Tode bewahren. Ich werde
euch nicht verlassen; schreitet mutig vorwärts,
denn durch die Arbeit wird die Ehre wachsen. Ich könnte
alles in einem Augenblick und mit einem Worte tun,
aber ich will, dass euer Lohn desto größer durch
den Kampf wird, und meine Ehre durch euren
Mannesmut wächst.
Wundert euch nicht darüber, dass ich rede. Denn
wenn der Weiseste auf Erden sehen könnte, wie die
Seelen Tat für Tag hinunter in die Hölle fahren,
so würde er sehen, dass sie an Anzahl mehr als
die Sandkörner des Meeres und die Kieselsteine am
Strande sind. Das ist gerecht, denn sie haben sich
von ihrem Gott und ihrem Herrn Getrennt. Deshalb
spreche ich darüber, dass der Anhang des Teufels
vermindert werden soll, dass man die Gefahr sieht
und meine Heerschar vermehrt werden soll;
vielleicht hören sie dann zu und hören mit ihren
Sünden auf.“
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7.
Kapitel |
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Christus beschreibt
Birgitta, wie das Klosterleben und die
Ritterschaft (der Adel) einmal eingerichtet waren.
Diese beiden Stände, klagt er, die hohe
Verpflichtungen gegen Gott und die Gesellschaft in
sich bergen, werden jetzt leider nicht in so großen
Ehren gehalten, wie früher.
Der Sohn
sprach zur Braut (Birgitta) und sagte: „Ich bin
der König der Krone. Weißt du vielleicht, warum
ich sage: „König der Krone?“ Gewiß war meine
Göttlichkeit ohne Anfang und wird ohne Ende sein
und besteht, und diese meine Göttlichkeit gleicht
einer Krone, da eine solche ohne Anfang und Ende
ist[1]. Aber wie in einem Reich die Krone für den
künftigen König aufbewahrt wird, so wurde meine
Göttlichkeit in meiner Menschengestalt bewahrt,
mit der sie gekrönt werden soll.
Ich hatte zwei Diener; der eine war Priester, der
andere Laie. Petrus war der erste, und er hatte
das Priesteramt inne. Paulus dagegen war Laie.
Petrus war in seiner Ehe gebunden, aber als er
sah, dass die Ehe nicht mit dem Amt des Priesters
zusammenpassen würde und bedachte, dass die
Tugend seines Sinnes durch mangelnde
Enthaltsamkeit gefährdet werden könnte, so
trennte er sich von der sicher zugelassenen Ehe,
indem er sich vom Bett seiner Frau enthielt, und
mit vollkommenem Sinn an mir festhielt. Paulus
hielt Keuschheit ein und bewahrte sich unbefleckt
vom ehelichen Bett.
Sieh, welche Liebe ich diesen beiden bewiesen
habe! Dem ersten, Petrus, gab ich die Schlüssel
des Himmelreichs, so dass das, was immer er auf
Erden band und löste, auch im Himmel gebunden und
gelöst sein sollte. Dem anderen, Paulus, schenkte
ich, dass er Petrus an Ehre und Würde gleich sein
sollte. Denn so, wie sie auf Erden gleich und
vereint waren, so sind sie jetzt im Himmel vereint
und in ewiger Ehre verherrlicht. Denn obwohl ich
gerade diese beiden erwähnt habe, verstehe ich
unter ihnen und mit ihnen meine anderen Freunde.
Denn wie ich einst im Gesetz nur zu Israel wie zu
einem einzigen Menschen geredet habe, so habe ich
doch das ganze Volk Israel mit diesem Namen
bezeichnet. So verstehe ich nun unter diesen
beiden mehrere – ja die, die ich mit meiner Ehre
und Liebe erfüllt habe.
Als eine Zeitlang vergangen war, begann sich das Böse
jedoch zu vervielfachen und das Fleisch zu
erkranken und mehr zum Bösen hinzuneigen. Deshalb
erwies ich den beiden Ständen, den Priestern und
den Laien, Barmherzigkeit, die ich meine, wenn ich
Petrus und Paulus sage, und ich erlaubte den
Priestern, Kirchengüter in maßvoller Weise für
das leibliche Wohl zu nutzen, damit sie umso
eifriger und fleißiger in meinem Dienst werden
sollten. Ich habe auch den Laien gestattet, Ehen
nach der Sitte der Kirche zu haben.
Unter den Priestern war es ein guter Mann, der bei
sich selbst so lachte: „Das Fleisch zieht mich
zu schlechtem Begehren und die Welt zu schädlichen
Ansichten, und der Teufel legt mir auf mannigfache
Weise einen Hinterhalt zur Sünde. Daher will ich,
damit ich nicht vom Fleisch und von Begierde
unterdrückt werde, mir in allen meinen Handlungen
Mäßigkeit auferlegen, und maßvoll in Erquickung
und in Ruhe sein. Ich will gebührende Zeit mit
Arbeit und Gebet verbringen und mein Fleisch mit
Fasten zügeln.
Zweitens will ich, damit die Welt mich nicht von
der Gottesliebe abbringt, alles verlassen, was von
der Welt ist, weil es ja doch vergänglich ist. Es
ist sicherer, Christus in Armut nachzufolgen.
Drittens will ich mich, damit der Teufel mich
nicht betrügt, der stets das Falsche für wahr
erklärt, der Leitung eines anderen unterordnen
und diesem gehorchen. Ich will all meinen
Eigenwillen ablegen und mich zu allem bereit
machen, was mir von dem anderen befohlen wird[2].
Das war er, der in das erste Kloster eintrat, in
lobenswerter Weise dort verblieb und sein Leben so
führte, dass er von anderen nachgeahmt wurde.
Der Stand der Laien war eine Zeitlang gut
eingerichtet. Manche von ihnen bearbeiteten das
Land und waren fleißig und auf den Äckern bei
der Arbeitet. Anderen segelten auf Schiffen und führten
Handelswaren in andere Länder, damit die
Fruchtbarkeit eines Gebietes der Armut eines
anderen zu Hilfe kommen sollte. Andere betrieben
Handwerk und übten verschiedene Künste aus.
Unter diesen gab es einige Verteidiger meiner
Kirche, die jetzt Hofmänner genannt werden. Diese
nahmen die Waffen, um die heilige Kirche zu
verteidigen und deren Feinde zu bekämpfen. Unter
diesen Hofmännern gab es einen guten Mann, meinen
Freund, der bei sich dachte: „Ich bearbeite
nicht den Boden wie ein Landmann. Ich arbeite
nicht auf den Wogen des Meeres wie ein Kaufmann.
Ich betreibe auch kein Handwerk, wie ein guter
Arbeiter.
Was soll ich da machen? Mit welchen Arbeiten soll
ich meinem Gott dienen? Ich habe ja keine Manneskräfte
bei der Arbeit in der Kirche. Mein Körper ist
schwach und zu zart, um Wunden zu ertragen. Meine
Hand ist zu klein, um Feinde zu schlagen. Mein
Sinn hat es schwer, sich zu den himmlischen Dingen
zu erheben. Was soll ich da machen? Ja, ich weiß,
was ich tun werde. Ich will aufstehen und unter
einem weltlichen Fürsten einen festen Eid
ablegen, mit meinen Kräften und meinem Blut den
Glauben der heiligen Kirche zu verteidigen.“
Als dieser mein Freund zum Fürsten kam, sagte er:
„Herr, ich gehöre zu den Verteidigern der
Kirche. Mein Körper ist allzu schwach, um Wunden
zu ertragen, meine Hand zu schwächlich, um
zuzuschlagen, mein Sinn ist unbeständig, wenn es
gilt, an das Gute zu denken. Mir gefällt der
eigene Wille, und die Ruhe lässt mich nicht wie
eine feste Mauer Gottes Haus stützen. Daher
verpflichte ich mich mit einem öffentlichen Eid
unter dem Gehorsam gegen die heiligen Kirche und
dich, o Fürst, dass ich sie alle Tage meines
Lebens verteidigen werde. Weil mein Sinn und Wille
vielleicht zu schwach sind, sich zum Kampf zu
entschließen, muß und kann ich auf Grund meines
Eides doch gezwungen werden, zu arbeiten.“
Der Fürst antwortete ihm: „Ich will mit dir zum
Haus des Herrn gehen und Zeuge für deinen Eid und
dein Versprechen sein.“ So kamen beide zu meinem
Altar, und mein Freund beugte vor meinem Altar die
Knie und sagte: „Ich bin allzu schwach in meinem
Fleisch, um Wunden zu ertragen. Der eigene Wille
ist mir sehr lieb. Meine Hand ist zu schwach, um
zuzuschlagen. Daher verspreche ich nun Gehorsam
gegenüber Gott und dir, der mein Vorgesetzter
ist, in dem ich mich mit einem festen Eid
verpflichte, die heilige Kirche gegen ihre Feinde
zu verteidigen und Gottes Freunde zu unterstützen,
den Witwen, vaterlosen Kindern und den treuen
Dienern Gottes Gutes zu tun, und nie etwas zu tun,
was gegen die Kirche Gottes und gegen ihren
Glauben ist.
Weiter verpflichte ich mich, deiner Mahnung zu
folgen, wenn ich Fehler mache, so dass ich mich,
da ich zum Gehorsam verpflichtet bin, umso besser
vor Sünden und dem Eigenwillen in Acht nehmen
kann, deinen und Gottes Willen umso eifriger und
leichter befolgen kann und wissen kann, dass es für
mich viel verdammenswerter und verächtlicher als
für andere ist, wenn ich den Gehorsam verletze
und mich erdreiste, mich deinen Geboten
entgegenzustellen.“
Nachdem dieses Gelübde an meinem Altar abgelegt
war, dachte der Fürst natürlich nach und
bestimmte ihm zum Zeichen, dass er seinem
Eigenwillen abgeschworen hatte, eine Kleidung, die
sich von anderen weltlichen Trachten unterschied,
und damit er wissen sollte, dass er einen
Vorgesetzten hatte und ihm gehorchen musste. Der Fürst
legte auch ein Schwer in seine Hände und sagte:
„Mit diesem Schwert sollst du die Feinde Gottes
schlagen und töten.“
Und er legte einen Schild in seinen Arm, indem er
sagte: „Mit diesem Schild sollst du dich gegen
die Wurfspitze der Feinde verteidigen und das, was
man dir zufügt, geduldig ertragen, so dass eher
der Schild zerbricht, als dass du die Flucht
ergreifst.“ Im Beisein meines Priesters gelobte
mein Freund, all dies treu zu befolgen, und nach
Ablegung des Gelübdes reichte ihm der Priester
meinen Leib[3] zur Kraft und Stärke, so dass mein
Freund, durch meinen Leib mit mir vereint, sich
niemals von mir trennen würde. So war mein Freund
Georg und viele andere, und solche Männer müssen
auch Ritter sein, die auf Grund ihrer Würde und
Tracht, wegen ihrer Taten und der Verteidigung des
heiligen Throns, ihren Namen haben sollten.
Hör nun, was meine Feinde dagegen tun, was meine
Freunde vorher taten. Meine Freunde, die gingen
ins Kloster aus kluger Furcht und göttlicher
Liebe. Aber die, die jetzt im Kloster sind, die
gehen aus Hoffahrt und Gewinnsucht in die Welt
hinaus, und sie haben ihren eigenen Willen und tun
das, was für den Leib angenehm ist. Es ist
gerecht, dass die, die in einem solchen Willen
sterben, die himmlischen Freuden nicht
kennenlernen oder gewinnen sollen, sondern
stattdessen die Pein in der Hölle ohne Ende.
Wisse auch, dass die Klosterbrüder, die gegen
ihren eigenen Willen und aus göttlicher Liebe Prälaten
werden, nicht zu dieser Anzahl gerechnet werden
sollen. Und die Ritter, die meine Waffen trugen,
waren bereit, ihr Leben für die Gerechtigkeit
hinzugeben und ihr Blut für den heiligen Thron zu
vergießen; sie verschafften denen, die es
brauchten, Gerechtigkeit und unterdrückten und
demütigten die Bösen.
Aber jetzt – höre, wie verkehrt sie sind! Nun
gefällt es ihnen mehr aus Hoffahrt, Gewinnsucht
und Neid nach den Eingebungen des Teufels im Krieg
zu sterben, als nach meinen Geboten zu leben, um
die ewige Freuden zu erhalten. Daher werde ich
allen, die mit einem solchen Willen sterben, ihren
Lohn nach gerechtem Urteil geben – ihre Seelen
werden auf ewig die Gesellschaft des Teufels genießen.
Aber die, die mir dienen, sollen mit der
himmlischen Heerschar einen Lohn ohne Ende
empfangen. Diese Worte habe ich, Jesus Christus,
gesprochen, ich, der wahrer Gott und Mensch ist,
eins mit dem Vater und dem Heiligen Geist, immer
Gott.“
[1].
Wegen ihrer runden Form.
[2]. D.h. die Klostergelübde – Keuschheit,
Armut und Gehorsam, die hier beschrieben werden.
[3]. In der Kommunion.
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8.
Kapitel |
|
Christus schildert den
Prototyp der schlechten Ritter, von denen es zu
Birgittas Zeit so viele gab.
Ich bin der
wahre Herr. Kein Herr ist vornehmer als ich oder
war vor mir oder wird es nach mir sein, sondern
alle Herrschaft ist von mir oder durch mich. Daher
bin ich wahrer Herr, und keiner soll von Rechts
wegen außer mir allein Herr genannt werden, denn
von mir ist alle Macht. Ich sagte dir vorher, dass
ich zwei Diener habe, von denen der eine mannhaft
einen lobenswerten Wandel führte und ihn noch
mannhafter vollendete; unzählige andere sind ihm
danach in dem gleichen Wandel und der gleichen
Ritterschaft gefolgt. Nun will ich dir sagen, wer
zuerst vom Bekenntnis zu dieser Ritterschaft, die
von mir meinem Freund[1] gestiftet wurde,
abgefallen ist. Seinen Namen sage ich dir nicht,
denn du kennst ihn nicht mit Namen, aber ich will
dir zeigen, wie seine Absicht und sein Begehren
war.
Einer, der Ritter werden wollte, kam zu meinem
Tempel, und als er eintrat, hörte er diese
Stimme: „Wenn du Ritter werden willst, musst du
diese drei Dinge haben. Erstens musst du glauben,
dass das Brot, das auf dem Altar zu sehen ist,
wahrer Gott und Mensch ist, der Schöpfer Himmels
und der Erde.
Zweitens musst du nach Annahme der Ritterschaft größeren
Verzicht auf deinen Willen üben, als wie du
vorher gewohnt warst. Drittens darfst du dich um
weltliche Ehre kümmern. Ich will dir dann göttliche
Freude und ewige Ehre schenken.“
Als er dies hörte und stand und diese drei Dinge
überlegte, hörte er in seinem Sinne eine andere,
ganz gemeine Stimme, die drei Dinge nannte, die im
Gegensatz zu den drei erstens standen. „Wenn du
mir dienen willst“, sagte er, „so will ich dir
drei andere Dinge schenken. Ich will dich das
besitzen lassen, was du siehst, dass du darauf hörst,
was dir gefällt, und das erhältst, was du
begehrst.“
Als er das hörte, dachte er: „Der erste Herr
befiehlt mir, etwas zu glauben, was ich nicht
sehe, und verspricht etwas, was ich gar nicht
kenne. Er befiehlt mir, mich von den Vergnügungen
fernzuhalten, die ich doch begehre und auch sehe.
Er befiehlt mir, auf das Unsichere zu hoffen. Der
andere dagegen verspricht mir die Ehre der Welt,
die ich sehe, und das Vergnügen, das ich begehre;
er verbietet mir auch nicht, das Angenehme zu hören
und zu sehen. Gewiß, es ist besser für mich, ihm
zu folgen, das zu haben, was ich sehe und benutzen
kann, und dessen ich sicher bin, als auf das
Unsichere zu hoffen.“
Der Mann, der so dachte, begann zuerst, von der
wahren Ritterschaft abzuweichen. Er vernachlässigte
den wahren Rittereid und brach sein Gelübde. Er
warf mir den Schild der Geduld vor meine Füße,
und das Schwert der Verteidigung des Glaubens warf
er aus seinen Händen und ging so aus meinem
Tempel fort.
Die gemeine Stimme sagte zu ihm: „Wenn du, wie
ich sagte, mein sein willst, so muß du mit aller
Hoffart auf dem Felde und den Straßen vorgehen,
und so wie dieser Herr die Seinen aufforderte, in
allen Dingen Demut zu üben, so soll keine Art von
Prahlsucht dich verlassen. Und so wie dieser mit
Gehorsam eintrat, so sollst du nicht dulden, dass
jemand höher ist als du, und deinen Scheitel
nicht in Demut senken.
Nimm das Schwert zu dem Zweck in die Hände, das
Blut deines Nächsten und deines Bruders zu vergießen
und sein Eigentum zu erwerben. Setz den Schild auf
den Arm zu dem Zweck, dein Leben hinzugeben, um
Ehre zu gewinnen. Statt des Glaubens, den dieser
hat, sollst du den Tempel deines Körpers lieben,
so dass du auf keine Wollust verzichtest, die dir
gefällt.“
Auf solche Dinge richtete dieser Mann seinen
Willen und seine Absicht, und sein Fürst legte in
dem Raum, der dazu bestimmt war[2], seine Hand auf
seinen Nacken. Denn kein Raum schadet einem, wenn
sein Wille gut war, oder nützt jemandem, wenn die
Absicht schlecht war.
Nachdem die Wort, die seine Ritterschaft bekräftigten,
gesagt waren, ging dieser fort und übte seine
Ritterschaft mit aller weltlichen Hoffart aus,
dass er, der Elend, wenig darauf achtete, dass er
jetzt zu mehr als vorher und zu einem strengeren
Leben verpflichtet war. Unzählige Ritterscharen
folgten und folgen diesem Ritter in Übermut und
sinken tiefer in den Abgrund als andere, nachdem
sie den Rittereid geschworen hatten.
Aber nun kannst du fragen: Viele wollen auf der
Welt erhöht und groß genannt werden, aber sie
haben dennoch keine Macht – sollen diese für
ihren bösen Willen ebenso hart bestraft werden
wie die, die all den Erfolg hatten, den sie wünschten?
Darauf antworte ich dir: Wer den vollkommenen
Willen hat und tut, was in seiner Macht steht,
damit er auf der Welt erhöht werden kann,
weltliche Ehre erwerben und mit einem eitlen Namen
genannt werden kann, dem es aber auf Grund meines
heimlichen Gerichts nicht erlaubt wird, das Ziel
seines Willens zu erreichen, wird – das
versichere ich dir – für diesen bösen Willen
ebenso hart bestraft wie der, der seinen Willen in
die Tat umsetzte, sofern dieser Wille nicht durch
Buße zurechtgerückt wird.
Siehe, über zwei, die vielen sehr bekannt sind,
sage ich dir ein Gleichnis: Einer von ihnen hatte
nach seinem Willen Erfolg und gewann fast all das,
was er begehrte. Der andere hatte den gleichen
Willen, hatte aber keinen Erfolg. Der erste gewann
weltliche Ehre, liebte den Tempel seines Leibes in
aller Wollust und schaltete und waltete, wie er
wollte. In allem, woran er Hand anlegte, hatte er
Glück.
Der andere von ihnen war ihm gleich im Willen,
aber er hatte weniger Ehre. Er würde das Blut
seines Nächsten gern hundertmal vergossen haben,
wenn er damit seine Lust zufrieden stellen könnte.
Er tat, was er konnte und setzte seinen Willen
durch, wie es ihm behagte. Diese beiden leiden
dieselbe schreckliche Strafe. Wenn sie auch nicht
beide zur selben Zeit und zur selben Stunde
gestorben sind, spreche ich doch von der Seele
eines einzigen wie von zweien, denn die Verdammnis
von beiden ist ein und dieselbe, und bei der
Trennung von Körper und Seele und beim Austritt
der Seele war die Stimme von beiden ein und
dieselbe.
Als die Seele also den Leib verließ, sagte sie
zum Körper: „Sag mir, wo ist nun der behagliche
Anblick für die Augen, den du mir versprochen
hast, wo ist die Wollust, die du mir gezeigt hast,
wo sind die angenehmen Worte, die du mir befohlen
hast, zu verwenden?“
Der Teufel war sogleich zur Stelle und erwiderte:
Der versprochene Anblick ist nur Staub; die Worte
sind nichts anderes als Luft, und die Wollust ist
bloß Schmutz und Verdorbenheit, das dient dir zu
gar nichts.“ Da rief die Seele: „Wehe, wehe
– so elend bin ich betrogen! Ich sehe drei
Dinge. Ich sehe nämlich, dass er, der mir im
Sinnbild des Brotes verheißen wurde, der König
und Herr aller Herren ist. Ich sehe, was er
versprochen hat, und das ist unaussprechlich und
unergründlich. Ich höre nun, dass die
Enthaltsamkeit, die er angeraten hat, sehr nützlich
gewesen ist.“ Und er rief noch lauter mit
dreifachem Weh: „Wehe, sagte er, dass ich
geboren wurde! Weh, dass mein Leben auf Erden so
lange gedauert hat! Weh mir, denn ich muß im
ewigen Tode leben, der niemals enden kann!“
Sieh, welche Elend die Elenden für ihre
Gottesverachtung und für das vergängliche Glück
erhalten werden! Danke mir dafür, meine Braut
(Birgitta), dass ich dich vor einem so großen
Elend bewahrt habe! Gehorche meinem Geist und den
Auserwählten!“
[1].
D.i. der heilige Georg.
[2]. D.h. während er diese weltlichen Gedanken
hegte, schlug sein König ihm in der Kirche zum
Ritter.
|
9.
Kapitel |
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Christus schildert das
Leben des schlechten Ritters und die Strafe, die
er in der Hölle zu erwarten hat.
Jede Zeit in
diesem Leben ist nur wie eine Stunde für mich.
Daher ist das, was ich dir nun sage, immer in
meinem Vorherwissen enthalten gewesen. Ich sagte
dir vorher, dass es einer war, der eine wahre
Ritterschaft begann, und ein anderer, der sie
schamlos verlassen hat. Der von der wahren
Ritterschaft abgewichen ist, warf mir seinen
Schild vor meine Füße und das Schwert neben
mich, als er sein Gelübde und seinen heiligen
Dienst gebrochen hat.
Was bezeichnet nun den Schild, den er weggeworfen
hat, wenn nicht den rechten Glauben, mit dem er
sich gegen die Feinde des Glaubens und seiner
Seele verteidigen sollte? Und was sind meine Füße,
mit denen ich zum Menschen gehe, wenn nicht die göttliche
Freude, mit der ich den Menschen zu mir ziehe, und
die Geduld, mit der ich ihn geduldig ertrage?
Diesen Schild warf er weg, als er beim Eintritt in
meinen Tempel bei sich dachte: „Ich will dem
Herren folgen, der mir nicht zu irgendwelcher
Enthaltsamkeit geraten hat, sondern der mir gibt,
was ich begehre, und der mich auch das hören lässt,
was den Ohren behagt.“
So warf er also den Schild meines Glaubens fort,
als er seinem eigenen Willen mehr folgen wollte
als dem meinen, als er das Geschaffene mehr
liebte, als den Schöpfer. Wenn er einen rechten
Glauben gehabt hätte, wenn er geglaubt hätte,
dass ich allmächtig bin, dass ich gerecht urteile
und ewige Ehre schenke, dann hätte er sich nicht
nach etwas anderem gesehnt als mir, nichts anderes
gefürchtet, als mich.
Aber er hat seinen Glauben weggeworfen, und das
vor meine Füße, als er, nachdem er meinen
Glauben verachtet und ihn für nichts gehalten
hat, weder nach meiner Freude fragte oder auf
meine Geduld Acht gab. Weiter hat er auch das
Schwert an meiner Seite hingeworfen. Was
bezeichnet dieses Schwert anderes als die
Gottesfurcht, die ein wahrer Ritter stets in
seinen Händen, d.h. in seinen Taten haben soll?
Und was bezeichnet meine Seite anderes, als meine
Fürsorge und meinen Schutz, mit dem ich meine
Kinder umhege und verteidige, wie die Henne ihre Küken,
so dass ihm nicht der Teufel schaden kann, oder
unerträgliche Gefahren zustoßen? Aber dieser
Mann hat das Schwert meiner Furcht weggeworfen,
als er sich nicht mehr darum kümmerte, an meine
Macht zu denken und nicht auf meine Liebe und
Geduld acht gab. Er warf es neben mir hin, als ob
er sagen wollte: „Ich habe keine Furcht und kümmere
mich nicht um deine Verteidigung, denn was ich
besitze, das stammt von meinem Fleiß und meiner
vornehmen Herkunft.“
Er hat auch das Gelübde gebrochen, das er mir
gegeben hatte. Was ist das wahre Gelübde, das der
Mensch Gott geben soll? Gewiß die Werke der
Liebe, denn was immer der Mensch auch tut, soll er
aus Liebe zu Gott tun. Aber er hat das gebrochen,
als er die Gottesliebe zur Eigenliebe verkehrte
und all seine eigene Lust vor die künftige und
ewige Freude setzte.
Sieh, so hat er sich von mir getrennt und hat den
Tempel meiner Demut verlassen. Alle Leiber der
Christen, in denen Demut herrscht, sind nämlich
mein Tempel. Aber die, bei denen Hoffart herrscht,
sind nicht mein Tempel, sondern der des Teufels,
der sie nach seinem Willen dazu treibt, nach
weltlichen Dingen zu trachten. Nachdem er aus dem
Tempel meiner Demut weggegangen ist und den Schild
des heiligen Glaubens und das Schwert meiner
Furcht weggeworfen hat, ist er mit allem Übermut
ins Feld gegangen, hat sich in aller Wollust und
in der Begierde seines Eigenwillens geübt, und
nachdem er die Furcht vor mir verschmähte, nahm
er an Sünde und an bösen Lastern zu.
Aber als er an das äußerste Ende seines Lebens
kam und die Seele den Leib verlassen sollte, stürmten
Teufel auf sie zu und drei Stimmen aus der Hölle
tönten ihr entgegen. Die erste sagte: „Sollte
das nicht der sein, der von der Demut abgewichen
ist und uns in aller Hoffart gefolgt ist? Wenn er
an Hoffart zwei Fuß höher steigen könnte als
wir, um uns sogar zu übertreffen und an Hoffart
der erste zu sein, so hätte er das gern getan.“
Die Seele antwortete darauf: „Ja, ich bin
derselbe.“ Da antwortete ihr die Gerechtigkeit:
„Das ist die Vergeltung für deine Hoffart, dass
du von dem einen Teufel zum andern fallen sollst,
bis du in die unterste Hölle kommst. Und wie es
keinen Teufel gab, der nicht seine sichere Strafe
wusste, die ihn für jeden unnützen Gedanken und
jede unnütze Tat treffen würde, so sollst du
keiner Strafe deiner Plagegeister entgehen,
sondern die Gemeinheit und Bosheit von allen
erfahren.“
Die zweite Stimme rief: „Sollte dies nicht der
sein, der sich von der Ritterschaft getrennt hat,
die er Gott gelobte, und sich unserer Ritterschaft
angeschlossen hat?“ Die Seele erwiderte: „Ja,
ich bin dieselbe.“ Und die Gerechtigkeit sagte:
„Das ist deine Belohnung, dass ein jeder, der
deiner Bosheit folgt, mit seiner Bosheit und Pein
deine Plage und Pein erhöhen soll und dich bei
seinem Kommen mit einer tödlichen Wunde treffen
soll. Denn so wie der, der schon eine schwere
Wunde hatte, unerträglich geplagt werden und Weh
über Weh rufen soll, wenn ihm Wunde auf Wunde
zugefügt wird, bis sein ganzer Leib voller Wunden
ist – so soll Elend auf Elend über dich kommen.
Dein Schmerz soll ständig erneuert werden, deine
Plage soll niemals enden, und dein Weh niemals
vermindert werden.“
Die dritte Stimme rief: „Sollte das nicht der
sein, der den Schöpfer für das Geschaffene
vertauschte, die Liebe zum Schöpfer für die
Liebe zu sich selbst?“ Die Gerechtigkeit
antwortete: „Ja, das ist er.“ Daher sollen
sich ihm gleichsam zwei klaffende Galgen auftun.
Durch den einen soll jede Pein zu ihm kommen, die
für all seine Sünden bestimmt ist, von der
kleinsten Sünde bis zur größten, nachdem er
seinen Schöpfer gegen seine Wollust vertauscht
hat.
Durch den anderen soll jede Mühe und Scham zu ihm
kommen, und nie soll ihm göttlicher Trost oder
Liebe nahen, denn er hat sich selbst statt seines
Schöpfers geliebt. Daher soll sein Leben ohne
Ende sein, und seine Strafe ohne Ende, und alle
Heiligen sollen ihr Antlitz von ihm abwenden.
Sieh, meine Braut, wie unglücklich die werden
sollen, die mich verschmähen, und was für einen
großen Schmerz sie sich für ein wenig Wollust
einhandeln.“
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10.
Kapitel |
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Christus setzt seine
Klage über die schlechten Ritter im damaligen
Schweden fort. Durch Birgitta will er sie
ermahnen. Eine Garantie dafür, dass Birgittas
Worte göttlich inspiriert sind, bilden die
Untersuchungen von Mattias und anderer Theologen,
ferner Birgittas Fähigkeit, dämonenbesessene
Menschen zu heilen, und die Macht des ihr
nahestehenden Bischofs Hemming, Frieden zu
stiften.
Es steht im
Gesetz Moses geschrieben, dass Mose, als er das
Vieh in der Wüste hütete, einen Dornbusch sah,
der in Flammen stand, aber nicht vom Feuer
verzehrt wurde, wobei er bebte und sein Antlitz
verhüllte. Da sagte eine Stimme aus dem Busch zu
ihm: „Die Not meines Volkes ist zu meinen Ohren
gedrungen, und ich habe Mitleid mit ihnen, denn
sie werden durch härteste Knechtschaft bedrückt.“
Ich, der nun mit dir redet, bin die Stimme, die
damals aus dem Busch rief. Das Elend meines Volkes
ist bis zu meinen Ohren gedrungen. Was war mein
Volk, wenn nicht Israel? Unter diesem Volk
verstehe ich die Ritter auf der Welt, die sich zu
meiner Ritterschaft bekannt haben, und die mir gehören
sollten, aber schwer vom Teufel heimgesucht
werden.
Aber was hat Pharao mit meinem Volk Israel in Ägypten
gemacht? Sicher drei böse Dinge. Erstens, dass
sie beim Bau seiner Mauern keine Hilfe von den
Strohsammlern erhielten, mit deren Hilfe sie die
Ziegelsteine hätten machen können, sondern sie
mussten sich selbst Stroh in der Gegend sammeln,
wo sie konnten[1].
Zweitens, dass die Bauarbeiter keinen Lohn für
ihre Arbeit erhielten, obwohl sie die
vorgeschriebene Anzahl Steine erreicht hatten.
Drittens, dass sie von den Aufsehern schwer
geplagt wurden, wenn sie die übliche Anzahl nicht
beibringen konnten. Dieses mein Volk hat dem
Pharao in seiner höchsten Bedrückung zwei Städte
gebaut.
Wer ist dieser Pharao, wenn nicht der Teufel, der
mein Volk plagt, d.h. die Ritter, die mein Volk
sein sollen? Ich sage in Wahrheit, dass – wenn
die Ritter in der Ordnung und Einrichtung, die
zuerst von meinem Freund begonnen wurde, stehen
bleiben würden, so würden sie zu meinen
allerliebsten Menschen gehören. Denn so wie
Abraham als allererster mein Gebot über die
Beschneidung empfing, und nachdem er es befolgt
hatte, mein liebster Freund wurde, so werden die,
die dem Glauben Abrahams und seinen Taten folgten,
meiner Liebe zu ihm und seiner Ehre teilhaftig.
So haben mir unter anderen Ständen die Ritter nur
besonders gefallen, weil sie versprochen hatten,
mir das zu opfern, was sie am liebsten behalten würden,
nämlich ihr Blut. Ja, durch dieses Versprechen
haben sie mir in hohem Maße gefallen, so wie
Abraham durch die Beschneidung. Und sie wurden täglich
durch die Einhaltung ihres Versprechens und durch
die Ausübung der heiligen Liebe gereinigt.
Aber jetzt werden diese Ritter vom Teufel in jämmerlicher
Knechtschaft gehalten, der ihnen tödliche Wunden
zufügt, ja sie in Strafe und Pein versetzt. Auch
die Bischöfe der Kirche bauen auf ihn, so wie die
Kinder Israels die beiden Städte bauten. Die
erste Stadt ist die Mühe des Leibes und die unnötige
Anstrengung, weltliche Dinge zu erwerben. Die
zweite ist die Unruhe und der aufgeregte Zustand
der Sinne – sie gönnen es sich nämlich nie,
von weltlichen Begehren auszuruhen. Äußerlich
herrscht bei ihnen Mühe, und im Innern Unruhe und
Angst, was das Geistliche belastet.
Aber so wie Pharao mein Volk nicht mit dem
Notwendigen versah, Ziegelsteine zu machen, und
ihnen nicht die Felder gab, auch keinen Wein und
andere notwendige Dinge, sondern das Volk musste
das mit Schmerzen und betrübten Herzen selbst
beschaffen, so verfährt der Teufel jetzt mit
ihnen: Obwohl sie für ihn arbeiten und mit ganzem
Herzen an der Welt hängen, können sie doch nicht
verwirklichen, was sie begehren, und können nicht
den Durst ihres Verlangens stillen. Daher brennen
sie innerlich vor Schmerz und äußerlich vor Mühsal.
Ich habe deshalb Mitleid mit ihrer Not: Dass meine
Ritter und mein Volk für den Teufel Häuser bauen
und unaufhörlich arbeiten, dass sie nicht
erreichen können, was sie begehren, dass sie sich
vor unnötigen Dingen ängstigen und für diese
Angst nicht die Frucht des Segens ernten, sondern
schändliche Vergeltung.
Als Mose zum Volk gesandt wurde, gab Gott ihm aus
dreifacher Ursache ein Zeichen. Erstens verehrte
ein jeder in Ägypten seinen besonderen Gott, und
die, die Götter genannt wurden, waren unzählige.
Daher war es richtig, dass ein Zeichen geschehen
sollte, damit man, seit das wunderbare Zeichen und
Gottes Macht gezeigt wurde, durch Zeichen an einen
einzigen Gott und an einen einzigen Schöpfer
aller Dinge glauben sollten, und damit alle Abgötter
sich als falsch erweisen sollten.
Zweitens wurde Mose ein Zeichen in einem Bild
gegeben, das meinen künftigen Leib darstellen
sollte. Denn was bezeichnete der Dornbusch, der
brannte, aber nicht verzehrt wurde, anderes, als
die vom Heiligen Geist befruchtete und ohne Sünde
gebärende Jungfrau? Ich bin gewiss aus diesem
Busch hervorgegangen. Ich habe von Marias jungfräulichem
Leib Menschengestalt angenommen.
Ebenso bezeichnete die Schlange, die Mose als
Zeichen gegeben wurde, meinen Leib. Drittens wurde
Mose ein Zeichen gegeben, um die Wahrheit dessen
zu bekräftigen, was geschehen sollte, so dass
Gottes Wahrheit umso wahrer und sicherer bewiesen
würde. Das, was das Zeichen bedeutete, ging zu
seiner Zeit ja in Erfüllung.
Aber nun sende ich meine Worte zu den Kindern
Israels und zu den Rittern, für die es aus drei
Gründen garnicht nötig ist, dass Zeichen
geschehen. Erstens dafür, dass man jetzt durch
die Heilige Schrift und mannigfache Zeichen einen
einzigen Gott verehrt, den Schöpfer aller Dinge.
Zweitens dafür, dass sie nicht länger hoffen,
dass ich noch geboren werden soll – sie wissen
ja doch genau, dass ich geboren bin, dass ich
Menschengestalt ohne Sünde angenommen habe,
nachdem die ganze Schrift vollendet ist.
Man kann keinen besseren und sichereren Glauben
haben als den, der von mir und meinen heiligen
Predigern verkündet worden ist. Ich habe aber
drei Dinge mit dir gemacht, durch die man dir
glauben kann. Erstens, dass meine Worte wahr sind
und nicht vom wahren Glauben (der Kirche)
abweichen. Zweitens, dass auf mein Wort hin der
Teufel von dem besessenen Mann gewichen ist.
Drittens, dass ich einem die Macht gab, die
entzweiten Herzen zu gegenseitiger Liebe zu
bekehren[2]. Daher magst du auch nicht zweifeln,
was die betrifft, die an mich glauben werden.
Denn die, die an mich glauben, die glauben auch an
meine Worte. Die, für die ich wohlschmeckend bin,
die finden auch meine Worte wohlschmeckend. Daher
steht geschrieben, dass Mose, als Gott mit ihm
redete, sein Antlitz bedeckte. Du sollst dein
Antlitz aber nicht bedecken. Ich will dir schließlich
das Bild meines Leibes zeigen, so wie es im Leiden
und vor dem Leiden war, und wie es nach der
Auferstehung war, als Magdalena, Petrus u.a. ihn
gesehen haben. Du wirst auch meine Stimme hören,
die im Busch zu Mose geredet hat; es ist dieselbe,
die jetzt in deiner Seele spricht.“
[1].
2. Mose 5, 6-19.
[2]. D.h. Birgittas Freund, Bischof Hemming von Åbo.
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11.
Kapitel |
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Christus schildert den
Lohn, der dem guten Ritter im Himmel bevorsteht.
Ich habe
vorher mit dir vom Ende und der Qual des Ritters
gesprochen, der zuerst von der Ritterschaft
abwich, die er mir gelobt hatte. Jetzt erzähle
ich dir in einem Gleichnis (denn sonst könntest
du das Geistliche nicht verstehen), von der Ehre
und dem Ansehen dessen, der zuerst die wahre
Ritterschaft begann, und sie noch mannhafter
vollendet hat.
Als dieser Freund von mir sein Lebensende
erreichte und die Seele den Körper verlassen
sollte, da wurden fünf Legionen Engel gesandt, um
ihm entgegenzugehen. Unter diesen kamen auch unzählige
Teufel, um herauszufinden, ob sie irgendein Recht
auf ihn hätten, denn sie sind voller Bosheit und
lassen die Seele nie in Ruhe.
Da ertönte aber eine Stimme klar und hell im
Himmel, und sie sagte: „Sollte das, Herr Vater,
nicht der sein, der sich deinem Willen
verpflichtet und ihn vollkommen verwirklicht
hat?“ Und da antwortete er selbst in seinem
Bewusstsein: „Der bin ich wahrhaftig.“
Dann hörte man drei Stimmen. Die erste sprach im
Namen der Gottheit und sagte: „Habe ich dich
nicht geschaffen und habe dir Leib und Seele
gegeben? Du bist mein Sohn, und du hast den Willen
deines Vaters getan; komme daher jetzt zu deinem
allermächtigsten Schöpfer und allerliebsten
Vater, denn dir soll das ewige Erbe gegeben
werden, da du der Sohn bist. Dir soll das Erbteil
des Vaters gegeben werden, nachdem du ihm gehorcht
hast. Ja komm, du Liebster, zu mir, und ich will
dich mit Freude und Ehre empfangen.“
Die andere Stimme hörte man im Namen der
Menschengestalt, und sie sagte: „Mein Bruder,
komm zu deinem Bruder, denn ich habe mich für
dich im Kampf geopfert; ich habe mein Blut für
dich vergossen; komm zu mir, denn du hast meinen
Willen befolgt; komm zu mir, denn du hast dein
Blut für meines vergossen. Du warst bereit, Tod für
Tod und Leben für Leben zu geben. Komm daher, du,
der mir in deinem Leben nachgefolgt bist, komm nun
zu meinem Leben und zu meiner Freude, die kein
Ende nehmen wird. Ich erkenne dich nämlich in
Wahrheit als meinen Bruder an.“
Die dritte Stimme hörte man im Namen des Geistes
(es sind aber nicht drei Götter, sondern einer).
„Komm mein Ritter“, sagte sie. „Du warst
innerlich so beneidenswert, dass ich mich danach
sehnte, bei dir zu wohnen. Du warst äußerlich so
mannhaft, dass du es wert warst, dass ich dich
verteidige. Geh deshalb aus der Ruhelosigkeit
deines Leibes in die Ruhe ein. Geh um deines
besorgten Sinnes willen in den unaussprechlichen
Trost ein. Geh für deine Liebe und deinen
mannhaften Kampf in mich selbst ein, und ich will
bei dir wohnen, und du bei mir. Komm also, du
vortrefflicher Ritter, zu mir, denn du hast nichts
anderes begehrt als mich; komm, und ich werde dich
mit göttlicher Lust erfüllen.“
Danach ließen sich die fünf Engelslegionen wie
mit fünf Stimmen hören. Die erste sagte: „Wir
wollen vor diesem vortrefflichen Ritter hergehen
und seine Waffen vor ihm hertragen, d.h. wir
wollen unserem Gott seinen Glauben zeigen, denn er
unerschütterlich bewahrte und gegen die Feinde
der Gerechtigkeit verteidigt hat.“
Die zweite sagte: „Wir wollen seinen Schild vor
ihm hertragen, d.h. wir wollen unserem Gott seine
Geduld zeigen, die unserem Gott gewiss bekannt
ist, aber durch unser Zeugnis noch ehrenreicher
wird. Denn mit seiner Geduld hat er nicht nur Rückschläge
geduldig ertragen, sondern Gott sogar dafür
gedankt.“ Die dritte Stimme sagte: „Wir wollen
vor ihm hergehen und unserem Gott sein Schwert vor
Augen halten, d.h. wir wollen ihm seinen Gehorsam
zeigen, mit dem er im Guten und im Bösen nach
seinem gegebenen Versprechen gehorchte.“ Die
vierte Stimme sagte: „Kommt! Wir wollen unserem
Gott sein Pferd zeigen, d.h. Zeugnis für seine
Demut ablegen. Denn wie das Pferd den Leib des
Menschen trägt, so ging seine Demut vor und
hinter ihm her und führte ihn zu jedem guten
Werk. Der Hochmut fand sich bei ihm nicht ein, und
daher ist er sicher geritten.“
Die fünfte Stimme sagte: „Kommt! Wir wollen
unserem Gott seinen Helm zeigen, d.h. Zeugnis für
seine göttliche Sehnsucht ablegen, die er nach
Gott gehabt hat. Er dachte gewiss in seinem Herzen
jede Stunde an Gott; ihn führte er im Munde, ihn
in Taten, ihn begehrte er über alles. Um Gottes
Liebe und Ehre willen zeigte er sich tot für die
Welt. Wollen wir das also unserem Gott zeigen,
denn dieser Mann ist es wert, für eine kleine Mühe
ewige Ruhe zu erhalten und sich mit seinem Herrn
zu freuen, nachdem er sich so sehr und so oft
gesehnt hat.“
Mit solchen Stimmen und einem wunderbaren
Engelschor wurde mein Freund zur ewigen Ruhe
geleitet. Als die Seele das sah, jubelte sie Im
Innern und sagte: „Selig bin ich, dass ich
einmal geschaffen wurde! Selig bin ich, denn ich
habe meinem Gott gedient, den ich jetzt sehe.
Selig bin ich, denn ich habe eine Freude und eine
Ehre ohne Ende.“
Sieh, so kam mein Freund zu mir, und mit einem
solchen Lohn wurde er beschenkt. Und wenn auch
nicht alle ihr Blut für meinen Namen vergossen
haben, sollen sie doch denselben Lohn erhalten,
wenn sie bereit sind, ihr Leben für mich
hinzugeben, wenn sich die Gelegenheit bietet und
der Glaube dies verlangt. Sieh, wie viel der gute
Wille tut!“
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12.
Kapitel |
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Christus ermahnt die
schwedischen Ritter, mit ihrem schlechten Leben
aufzuhören und sich zu ihm zu bekehren. Falls sie
sich gehorsam zeigen, verleiht er ihnen die Gnade,
stets ein gottesfürchtiges Leben zu führen und
schließlich das Himmelreich zu erben.
Ich bin der
wahre König. Und niemand ist würdig, König
genannt zu werden, außer mir, denn von mir stammt
alle Ehre und Macht. Ich bin der, der den ersten
Engel verdammte, der auf Grund von Übermut,
Gewinnsucht und Neid gefallen ist. Ich bin der,
der Abel und Kain und die ganze Welt verurteilte,
indem ich um der Sünde der Menschen willen die
Sintflut schickte. Ich bin der, der das Volk
Israel in Gefangenschaft geraten ließ und es mit
wunderbaren Zeichen daraus befreite.
In mir ist alle Gerechtigkeit und war und ist es
noch, ohne Anfang und Ende, und sie nimmt niemals
bei mir ab, sondern bleibt immer wahr und unveränderlich
in mir bestehen, und wenn auch meine Gerechtigkeit
jetzt in dieser Zeit etwas milder scheint, und
Gott in der Ausübung seiner Richtermacht
geduldiger, so bedeutet das doch keine Veränderung
meiner Gerechtigkeit, denn die ändert sich
niemals, sondern eine größere Manifestation
meiner Liebe.
Mit derselben Gerechtigkeit und derselben Wahrheit
im Urteil richte ich nun die Welt, wie damals, als
ich mein Volk den Ägyptern dienen ließ und ihnen
Plagen in der Wüste schickte. Aber bevor ich
Menschengestalt annahm, war die Liebe, die ich in
meiner Gerechtigkeit hatte, verborgen wie ein
Licht, das von einer Wolke verdeckt oder überschattet
ist.
Als ich Menschengestalt angenommen hatte, wurde
das einst gegebene Gesetz gewiss verändert, aber
die Gerechtigkeit änderte sich doch nicht,
sondern zeigte sich deutlicher, ja sie trat in
hellerem Licht in der Liebe durch Gottes Sohn
hervor, und dies auf dreifache Weise. Erstens
wurde ja das Gesetz gemildert, das für die
ungehorsamen und verhärteten Menschen hart und
schwer für die hochmütigen war, die gedemütigt
werden mussten. Für das andere litt und starb ja
Gottes Sohn.
Drittens scheint sich das Gericht sozusagen jetzt
länger als vorher durch die Barmherzigkeit
hinauszuziehen und milder gegen die Sünder zu
sein. Es schien ja sehr hart und streng für die
ersten Voreltern zu sein, gegen die, die in der
Sintflut umkamen, und gegen die, die in der Wüste
starben. Dieselbe Gerechtigkeit ist nun bei mir
und war es schon von Ewigkeit her, aber jetzt
tritt mehr die Barmherzigkeit und Liebe zutage,
die damals klug in Gerechtigkeit verborgen war und
sich barmherzig zeigte, wenn auch mehr verhüllt,
denn ich habe nie, und tue es auch jetzt nicht,
Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit oder Milde ohne
Gerechtigkeit geübt.
Aber nun kannst du fragen: Wenn ich Barmherzigkeit
bei aller Gerechtigkeit habe, wie zeigt sich dann
meine Barmherzigkeit gegenüber den Verdammten?
Ich antworte dir mit einem Gleichnis. Stell dir
vor, dass ein Richter zu Gericht sitzt, und sein
Bruder dorthin kommt, um verurteilt zu werden. Der
Richter sagt zu ihm: „Du bist mein Bruder und
ich dein Richter, und wenn ich dich auch innig
liebe, kann ich doch nicht gegen die Gerechtigkeit
verstoßen, und das wäre auch unpassend. Du
siehst in deinem Gewissen die ganze Gerechtigkeit
nach deinen Verdiensten, und danach müsstest du
verurteilt werden. Wenn es möglich wäre, gegen
die Gerechtigkeit zu handeln, würde ich gern die
festgesetzte Strafe für dich leiden.“
Ich bin so, wie dieser Richter. Der Mensch ist
durch seine Menschengestalt mein Bruder. Wenn er
zu meinem Gericht kommt, sagt ihm sein Gewissen
seine Schuld an, und er versteht auch, was für
eine Schuld es ist, für die er verurteilt wird.
Aber weil ich gerecht bin, antworte ich der Seele
in einem Gleichnis und sage zu ihr: „Du siehst
in deinem Gewissen alle Gerechtigkeit; sag also,
was du verdienst!
Da antwortet die Seele mir: „Mein Gewissen sagt
mir mein Urteil, und das ist die gerechte Strafe,
die ich verdient habe, weil ich dir nicht gehorcht
habe.“ Da antworte ich der Seele: „Ich, dein
Richter, habe um deinetwillen alle Pein auf mich
genommen, ich habe dich auf deine Gefahr und
ebenso auf den Weg hingewiesen, den du gehen
solltest, um der Pein zu entgegen. Es war nämlich
gerecht, dass du, ehe die Schuld gesühnt ist,
nicht in den Himmel gelangen sollst, und deshalb
habe ich es auf mich genommen, sie für dich zu sühnen,
denn du selbst warst nicht in der Lage, zu leiden.
Durch die Propheten habe ich dir gezeigt, was mir
geschehen würde, und nicht der kleinste Punkt von
dem, was die Propheten vorausgesagt hatten, blieb
unerfüllt. Ich habe dir alle Liebe gezeigt, die
ich konnte, damit du dich an mich wenden solltest.
Aber nachdem du dich von mir abgewandt hast, hast
du nun eine gerechte Behandlung verdient, denn du
hast die Barmherzigkeit verachtet. Ich bin aber
doch noch so barmherzig, dass ich – wenn es mir
möglich wäre, noch einmal zu sterben, so würde
ich lieber für dich noch einmal dieselbe Pein
erdulden, die ich einmal am Kreuz erlitt, als dich
von einer solchen Gerechtigkeit verurteilt zu
sehen.
Die Gerechtigkeit sagt jedoch, es sei unmöglich,
dass ich noch einmal sterbe. Die Barmherzigkeit
sagt, wenn es möglich wäre, würde ich gerne für
dich sterben. Sieh, wie barmherzig ich sogar mit
den Verdammten bin, und wie liebevoll! Alles, was
ich tue, das tue ich ja, um meine Liebe zu zeigen.
Von Anfang an habe ich den Menschen geliebt, auch
wenn es so aussah, dass ich erzürnt war, aber
niemand kümmert sich um meine Liebe oder achtet
auf sie.
Weil ich gerecht und barmherzig bin, ermahne ich
also die, die Ritter genannt werden, dass sie
meine Barmherzigkeit suchen, so dass sie nicht von
meiner Gerechtigkeit getroffen werden, die beständig
und unerschütterlich wie ein Berg ist, brennend
wie ein Feuer, gefährlich wie ein Donner und plötzlich
wie ein Bogen ist, der gespannt ist, um einen
Pfeil abzuschießen.
Ich ermahne sie auf dreifache Weise: Erstens wie
ein Vater seine Kinder, dass sie sich zu mir
bekehren sollen, weil ich ihr Vater und ihr Schöpfer
bin; dass sie zu mir zurückkehren, so dass ich
ihnen das väterliche Erbe gebe, das ihnen durch
Erbrecht zusteht, dass sich bekehren sollen. Denn
wenn ich auch verachtet bin, werde ich sie doch
mit Freude empfangen und ihnen mit meiner Liebe
entgegeneilen.
Zweitens bitte ich sie wie ein Bruder, dass sie
sich an meine Wunden und meine Taten erinnern,
dass sie sich bekehren sollen; dann werde ich sie
ein Bruder aufnehmen. Drittens bitte ich wie ein
Herr, dass sie zu ihrem Herrn zurückkehren, dem
sie ihr Vertrauen geschenkt haben, dem sie dienen
sollen, und dem sie sich mit einem Eid verbunden
haben.
Also, ihr Ritter, kehrt zu mir, eurem Vater, zurück,
der euch mit Liebe aufgezogen hat. Schaut mich an,
euren Bruder, der euch um euretwillen
gleichgeworden ist. Bekehrt euch zu mir, eurem
gutten Herrn. Es ist ja eine große Schande, einem
anderen Herrn seine Treue und seine Dienste zu
schenken. Ihr habt mir das Versprechen gegeben,
dass ihr meine Kirche verteidigen und den Unglücklichen
helfen werdet, und seht – nun stellt ihr euch in
den Dienst meines Feindes! Ihr holt sogar mein
Banner nieder und zieht das Banner eines Feindes
auf. Also, ihr Ritter, kehrt mit aufrichtiger
Demut zu mir zurück, die ihr im Übermut von mir
abgewichen seid! Wenn es euch schwer scheint,
etwas für mich zu leiden, so betrachtet, was ich
für euch getan habe! Um euretwillen ging ich auf
blutenden Füßen zum Kreuz, für euch hatte ich Hände
und Füße durchbohrt; für euch habe ich keines
meiner Glieder geschont, und doch vergesst ihr das
alles und geht fort von mir. Kehrt also zurück,
so werde ich euch drei Dinge zu Hilfe geben.
Erstens – Stärke gegen körperliche und
geistliche Feinde. Zweitens Mannesmut, so dass ihr
nichts fürchtet außer mir, und es für angenehm
halten, für mich zu arbeiten. Drittens werde ich
euch Weisheit schenken, mit der ihr den wahren
Glauben und Gottes Willen verstehen sollt. Kehrt
also zurück, und steht mannhaft fest.
Ich, der euch ermahne, bin ja der, dem die Engel
dienen, der eure gehorsamen Väter befreite, der
die Ungehorsamen verdammt und die Hochmütigen
gedemütigt hat. Ich war der erste im Krieg, der
erste im Leiden. Folgt mir also nach, so dass ihr
nicht wie Wachs im Feuer aufgelöst werdet. Warum
habt ihr euer Gelübde für nichts abgelegt? Warum
verachtet ihr den Eid? Bin ich geringer und
wertloser als eure irdischen Freunde, denen ihr
die Treue haltet, die ihr ihnen versprochen habt?
Aber was mich betrifft, den Spender des Lebens und
der Ehre und den Bewahrer der Gesundheit, haltet
ihr nicht das Gelübde, das ihr mir gegeben habt.
Daher, ihr guten Ritter, führt euer Versprechen
aus, und wenn ihr das mit der Tat nicht könnt, so
versucht es zumindesten mit dem Willen – dann
will ich aus Mitleid mit der Knechtschaft, in der
euch der Teufel hält, euren Willen für die Tat
nehmen. Wenn ihr mit Liebe zu mir zurückkehrt, so
arbeitet für den Glauben meiner Kirche, und ich
werde euch mit meiner ganzen Heerschar wie ein
guter Vater entgegeneilen.
Ich werde euch zur Belohnung fünf gute Dinge
schenken. Erstens soll die ewige Ehre nie aus
eurer Hörweite weichen. Zweitens soll Gottes
Angesicht und Ehre nie aus eurem Blickfeld
weichen. Drittens soll Gottes Lob nie aus eurem
Mund verstummen. Viertens soll eure Seele alles
haben, was sie wünscht, und niemals etwas anderes
wünschen als das, was sie besitzt. Fünftens
sollt ihr nie von eurem Gott getrennt werden,
sondern eure Freude soll ohne Ende währen, und
euer Leben soll ohne Ende in Freude leben.
Seht, ihr Ritter, so soll die Belohnung aussehen,
wenn ihr meinen Glauben verteidigt und mehr für
meine Ehre als für eure eigene arbeitet. Erinnert
euch, wenn ihr Verstand habt, dass ich Geduld mit
euch habe, und dass ihr mir eine solche Schmach
zufügt, wie ihr sie selbst von einander nicht
ertragen wolltet.
Aber obwohl ich alles durch meine Macht vermag,
und wenn auch die Gerechtigkeit nach Rache über
euch ruft, soll euch doch meine Barmherzigkeit,
die in Weisheit und Güte besteht, noch schmerzen.
Sucht deshalb die Barmherzigkeit, denn ich
beschere das aus Liebe, worum ich demütig bitten
sollte.“
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13.
Kapitel |
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Christus setzt durch
Birgitta ein neues Ritual für die Aufnahme in den
Ritterstand fest. Diese Aufnahme, die im
Zusammenhang mit dem öffentlichen Gottesdienst
stattfindet, erinnert an die Ablegung der ewigen
Gelübde eines Klostermenschen und vermittelt eine
ideelle Sicht auf die Pflichten und
Verbindlichkeiten der Ritterschaft. Die abschließende
Zeile, die nicht von Birgitta selbst herrührt,
deutet darauf hin, dass das Zeremoniell bei der
Aufnahme ihres Sohnes Karl zum Ritter erfolgte.
Ich bin mit
dem Vater und dem Heiligen Geist ein Gott, aber
drei an Personen. Der eine trennt sich nicht vom
andern und sondert sich nicht ab, sondern der
Vater ist im Sohn und Geist, und der Sohn im Vater
und dem Geist, und der Geist in ihnen beiden.
Die Gottheit schickte ihr Wort durch ihren Engel
Gabriel zur Jungfrau Maria, und nichts desto
weniger war derselbe Gott mit Gabriel, und noch
vor Gabriel war er bei der Jungfrau. Aber als das
Wort vom Engel gesagt wurde, wurde das Wort in der
Jungfrau Fleisch und Blut.
Dieses Wort bin ich, der mit dir redet. Der Vater
sandte mich durch sich selbst mit dem Heiligen
Geist in den Schoß der Jungfrau – nicht so,
dass die Engel Gottes Anblick oder seine Gegenwart
entbehren mussten – nein: Ich, der Sohn, der mit
dem Vater und dem Heiligen Geist in dem jungfräulichen
Schoß war, ich war derselbe im Himmel mit dem
Vater und dem Heiligen Geist im Angesicht der
Engel, der alles lenkt und aufrecht erhält,
obwohl meine Menschengestalt, die nur von mir, dem
Sohn, angenommen wurde, im Mutterleib Marias
weilte.
Ich, der also ein Gott in göttlicher und
menschlicher Gestalt ist, verschmähe es nicht,
mit dir zu reden, um meine Liebe zu zeigen und den
heiligen Glauben zu stärken. Und wenn auch meine
Menschengestalt bei dir zu sein und mit dir zu
reden scheint, ist es doch richtiger, zu sagen,
dass deine Seele und dein Bewusstsein bei mir und
in mir ist, denn nichts ist für mich unmöglich
oder zu schwer, weder im Himmel noch auf Erden.
Ich bin nämlich wie ein mächtiger König, der
mit seiner Heerschar zu einer Stadt kommt und alle
Plätze besetzt und alles einnimmt. So erfüllt
meine Gnade alle deine Glieder und stärkt sie
alle. Ich bin in dir und außerhalb von dir. Wenn
ich auch mit dir spreche, bin ich doch derselbe in
meiner Herrlichkeit. Was sollte auch schwer für
mich sein, der alles mit meiner Macht aufrecht erhält,
alles mit meiner Weisheit verordnet und alles mit
meiner Tugend beherrscht?
Ich bin also ohne Anfang und ohne Ende, ein Gott
mit dem Vater und dem Heiligen Geist. Zur Erlösung
der Menschen nahm ich Menschengestalt an, während
die Göttlichkeit unversehrt blieb; ich wurde in
Wahrheit gepeinigt, bin von den Toten auferstanden
und zum Himmel aufgestiegen, und nun rede ich in
Wahrheit mit dir.
Ich sprach vorher mit dir von der Ritterschaft,
die mir früher sehr lieb war. Sie war mir so
lieb, weil sie mit mir durch das Band der Liebe
verbunden war, denn mit ihrem Gelübde haben sich
die Ritter verpflichtet, ihr Leben für mein Leben
und ihr Blut für mein Blut hinzugeben, und daher
war ich eins mit ihnen und habe sie mit mir in
einem Band und in einer Gemeinschaft verbunden.
Aber nun klage ich über diese Ritter, die mir gehören
sollten, dass sie sich von mir abgewendet haben.
Ich bin gewiss ihr Schöpfer und Erlöser, und ich
bin auch ihr Helfer. Ich habe den Leib und die
Glieder für sie geschaffen, und alles, was es auf
Erden gibt, habe ich zu ihrem Nutzen gemacht. Ich
habe sie mit meinem Blut erlöst, ich habe ihnen
mit meinem Leiden das ewige Erbteil erkauft. Ich
verteidige sie in allen Gefahren, ich schenke
ihnen Kraft, zu handeln und zu arbeiten. Aber nun
haben sie sich von mir abgewandt. Sie halten mein
Leiden für nichts, sie vergessen meine Worte,
durch die ihre Seele erfreut und genährt werden müsste.
Sie verachten mich, und mit ihrer Seele und ihrem
ganzen Begehren ziehen sie es vor, ihren Leib
hinzugeben und es zum Lobpreis der Menschen
verwunden zu lassen, ihr Blut zur Befriedigung
ihrer Gewinnsucht zu vergießen, und gern für das
Weltliche und für teuflische und verfängliche
Worte zu sterben.
Obwohl sie sich so von mir abgewandt haben, ist
doch meine Barmherzigkeit und meine Gerechtigkeit
bei ihnen. Denn durch meine Barmherzigkeit schütze
ich sie, so dass sie nicht dem Teufel überantwortet
werden, und durch meine Gerechtigkeit ertrage ich
sie geduldig. Und wenn sie jetzt noch zu mir zurückkehren
sollten, werde ich sie froh empfangen und ihnen
freudig entgegeneilen.
Sag also zu dem, der mir seine Ritterschaft wieder
zuwenden will, dass er sich auf diese Weise von
neuem unter meinen Schutz stellen kann. Der, der
ein Ritter werden will, soll mit seinem Pferd und
seiner Rüstung zum Kirchhof gehen und dort das
Pferd stehen lassen, denn das ist nicht für die
Hoffart der Menschen geschaffen, sondern zum
Nutzen des Lebens, zur Verteidigung und zum
Gebrauch bei der Bekämpfung von Gottes Feinden.
Dann soll der Ritter seinen Mantel anlegen, dessen
Band über die Stirn gelegt werden soll, so dass
der Ritter wie der Diakon seine Stola zum Zeichen
für Gehorsam und göttliche Geduld anlegt, den
Mantel anziehen und das Band über die Stirn legen
soll – zum Zeichen für gelobte Ritterschaft und
den Gehorsam, den er leisten muß, um mein Kreuz
zu verteidigen. Das Banner der weltlichen Macht
mag vor ihm hergehen, so dass er weiß, dass er
der irdischen Macht in allem gehorchen soll, was
nicht gegen Gott ist.
Wenn er auf den Kirchplatz gekommen ist, sollen
ihm die Priester mit dem Kirchenbanner
entgegenkommen, auf dem mein Leiden und meine
Wunden abgebildet sein sollen, zum Zeichen dafür,
dass er Gottes Kirche und den Glauben verteidigen
und auch den Kirchenführern gehorchen soll. Aber
wenn er die Kirche betrifft, soll das Banner der
zeitlichen Macht außerhalb der Kirche bleiben und
mein Banner vor ihn in die Kirche gehen – zum
Zeichen dafür, dass die göttliche Macht vor der
weltlichen kommt, und man sich mehr um geistliche
Dinge als um zeitliche kümmern soll.
Wenn die Messe bis zum Agnus Die gelesen ist, soll
der weltliche Vorgesetzte, der König oder ein
anderer – zum Ritter am Altar vortreten und
sagen: „Willst du Ritter werden?“ Wenn dieser
dann antwortet: „Ja“, soll der Vorgesetzte
hinzufügen: „Gelobe dann Gott und mir, dass du
den Glauben verteidigen und ihrem Vorstand in
allem gehorchen willst, was zur Ehre Gottes
dient.“
Wenn der Ritter dann antwortete: „Ja“, soll er
ihm ein Schwert in seine Hände legen und sagen:
„Siehe, ich übergebe das Schwert in deine Hände,
damit du dein Leben für den Glauben und für
Gottes Kirche nicht schonst, und dass du Gottes
Feinde niederwirfst und Gottes Freunde
verteidigst.“ Dann soll er ihm einen Schild
geben und sagen: „Sieh, ich gebe dir einen
Schild, damit du dich gegen Gottes Feinde
verteidigst, Witwen und vaterlosen Kindern Hilfe
leistest, und in allem Gottes Ehre mehrst.
Danach soll er ihm seine Hand an den Hals legen
und sagen: „Sieh, du bist nun dem Gehorsam und
der Macht der Kirche unterworfen. Sieh nun zu,
dass du so, wie du dich durch ein Versprechen
gebunden hast, du es auch in der Tat erfüllst.“
Danach soll er ihm den Mantel und sein Band über
ihn legen, so dass er täglich im Gedächtnis
haben soll, was er Gott gelobt hat, und dass er
sich durch diesen Ausspruch nach Ansicht der
Kirche mehr als andere verpflichtet hat, Gottes
Kirche zu verteidigen.
Nachdem dies vollbracht und das Agnus Die verlesen
ist, soll der Priester, der die Messe feiert, ihm
meinen Leib reichen, damit er den Glauben der
heiligen Kirche verteidigt. Ich werde in ihm sein,
und er in mir. Ich werde ihm Hilfe leisten, so
dass er stark wird, und ihn mit der Flamme meiner
Liebe erleuchten, so dass er nichts anderes mehr wünscht
als mich und nichts anderes fürchtet als mich,
seinen Gott.
Wenn er auf gut Glück draußen im Felde ist und
sich dort die Ritterschaft für meine Ehre und um
meinen Glauben zu verteidigen, auf sich nimmt, so
soll ihm das doch nützen, wenn seine Absicht
recht war. Ich bin ja durch meine Macht an jedem
Ort, und alle können durch rechte Absicht und
guten Willen mit mir rechnen. Aber ich bin die
Liebe, und niemand kann zu mir kommen, wenn er
keine Liebe hat.
Deshalb befehle ich auch niemandem, all dies zu
tun, denn sonst würde er mir nur aus Furcht
dienen. Aber die, welche die Ritterschaft auf
diese Weise auf sich nehmen wollen, die können
mir gefallen. Es würde sich gehören, dass sie,
die gleichsam aus Hochmut von der wahren Ausübung
der Ritterschaft abgewichen sind, sich nun willig
zeigen würden, durch Demut wieder zur Ausübung
der wahren Ritterschaft zurückzukehren.“
Man glaubt, dieser Ritter sei Herr Karl gewesen,
der Sohn der hl. Birgitta.
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14.
Kapitel |
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Christus gibt eine ausführliche
Beschreibung der Tugenden, die seine Freunde, die
Prediger, auszeichnen müssen, die den Menschen
seine Worte zu vermitteln haben. Das Kapitel dürfte
sich hauptsächlich an die Birgitta nahestehenden
Priester wenden, die von ihrer Verkündigung
ergriffen sind und ihr gern helfen wollen, eine
geistliche Erweckung in Schweden hervorzurufen.
Ich bin wie
ein guter Goldschmied, der seinen Diener sendet,
sein Gold auf Erden zu verkaufen, und ihm sagt:
”Du musst drei Dinge tun. Erstens darfst du mein
Gold nicht anderen als denen überlassen, die
klare und reine Augen haben. Zweitens darfst es
nicht denen überlassen, die kein Gewissen haben.
Drittens sollst du mein Gold für zehn Pfund mit
doppeltem Gewicht zum Kauf anbieten. Wer sich
weigert, mein Gold zweimal zu wiegen, der soll es
nicht haben.
Mein Feind hat jedoch drei Pläne gegen mich, vor
denen du dich in Acht nehmen sollst. Erstens möchte
er dich träge und faul machen, mein Gold vorzuführen
und zu zeigen. Zweitens wünscht er meinem Golde
etwas Falsches beizumischen, so dass die, die mein
Gold sehen und es prüfen, glauben, dass es
Schmutz und Verderben ist. Drittens legt er seinen
Freunden die Wort in den Mund, mit denen sie dir
widerstehen und eigensinnig versichern können,
dass mein Gold nicht gut sei.“
Sieh, ich bin wie dieser Goldschmied. Ich schmiede
alles, was im Himmel und auf Erden ist – nicht
mit Hammer und Werkzeug, sondern mit meiner Macht
und Kraft. Alles, was da ist und gewesen ist und
kommen wird, weiß ich im voraus. Nicht einmal der
kleinste Wurm oder das kleinste Samenkorn ist ohne
mich da oder kann ohne mich bestehen, und es gibt
nichts, was so klein ist, dass es sich vor meinem
Vorherwissen verbergen kann, denn alles ist von
mir, und alles ist in meinem Vorherwissen
enthalten.
Unter allem, was ich getan habe, sind doch meine
Worte, die ich mit meinem eigenen Mund gesprochen
habe, das Allerwertvollste – wie Gold unter den
übrigen Metallen. Daher sollen meine Diener, mit
denen ich mein Gold durch die Länder schicke,
drei Dinge tun. Erstens sollen sie mein Gold nicht
denen anvertrauen, die keine klaren und reinen
Augen haben.
Aber nun kannst du fragen: Was bedeutet das, einen
klaren Blick zu haben? Ja, der sieht klar, der die
göttliche Weisheit und göttliche Liebe hat. Aber
wie kann man das erkennen? Ja, das ist gewiss
deutlich zu sehen. Wer im Einvernehmen mit dem
lebt, was er versteht, wer sich von der Eitelkeit
und Neugier der Welt zurückzieht, wer nichts so
eifrig sucht wie seinen Gott, der hat einen klaren
Blick. Ihm soll mein Gold anvertraut werden.
Der dagegen, der Weisheit besitzt, aber keine göttliche
Liebe, das zu tun, was er versteht, der Mensch
gleicht einem Blinden, der scheinbar die Augen auf
Gott gerichtet hat, aber in Wirklichkeit richtet
er sie auf die Welt und dreht Gott den Nacken zu.
Zweitens soll mein Gold nicht dem überlassen
werden, der kein Gewissen hat. Wer hat aber ein
Gewissen, wenn nicht der, der das Zeitliche und
Vergängliche dem Ewigen anpasst, der die Seele im
Himmel und den Leib auf Erden hat, der täglich
daran denkt, wie er das Erdenleben verlassen wird
und Gott Rechenschaft über seine Taten ablegen
soll? Ihm soll mein Geld anvertraut werden.
Drittens soll mein Diener mein Gold für zehn
Pfund anbieten, doppelt gewogen. Was wird mit der
Waage bezeichnet, auf der das Gold gewogen wird,
wenn nicht das Gewissen? Was bedeuten die Hände,
die etwas wägen müssen, anderes, als den guten
Willen und das Verlangen? Was bedeuten die
Gewichte, wenn nicht die körperlichen und
geistlichen Taten?
Wer mein Gold, nämlich meine Worte, kaufen will,
soll also mit gutem Willen auf der Waagschale
seines Gewissens abwägen und darauf achten, dass
zehn Pfund – gut nach meinem Willen abgewogen
– für mein Gold ausbezahlt werden. Das erste
Pfund ist die besonnene Sicht des Menschen, die
darin besteht, dass der Mensch bedenkt, wie groß
der Unterschied zwischen körperlicher und
geistlicher Betrachtungsweise ist, welch geringer
Nutzen in körperlicher Schönheit und Sichtweise
ist, welche Vornehmheit in der Schönheit und
Herrlichkeit der Engel und der himmlischen Mächte
liegt, die alle Sterne des Himmels an Glanz übertrifft,
und welcher Liebreiz und welche Freude der Seele
in Gottes Geboten und seiner Ehre liegt.
Dieses Pfund, nämlich das des körperlichen und
des geistlichen Schauens, was in Gottes Geboten
und seiner Ehre liegt, soll nicht gleichmäßig
gewogen werden, sondern das geistliche Schauen
muss ein größeres Gewicht als das körperliche
haben und in der Waagschale schwerer wiegen, denn
die Augen müssen zwar offen für die Bedürfnisse
der Seele und des Leibes sein, aber geschlossen für
Nichtigkeit und Leichtsinn.
Das zweite Pfund ist das gute Hören. Der Mensch
soll nämlich bedenken, wozu leichtsinnige, närrische
und spaßhafte Worte dienen; sie sind in der Tat
nichts anderes als Nichtigkeit und Luft, die sich
verflüchtigt. Daher soll er auf Gottes Lob und
seinen Lobgesang sowie auf die Worte und Taten der
Heiligen hören; er soll das hören, was für die
Seele und den Leib notwendig ist und zu einer
guten Erbauung dient. Dieses Hören soll auf der
Waagschale schwerer wiegen, als das Hören auf
leichtfertige Dinge. Wenn dieses gute Hören mit
dem anderen auf die Waagschale gelegt wird, soll
es das ganze Gewicht halten, und das andere soll
wie leere Luft in die Höhe fliegen und sich verflüchtigen.
Das dritte Pfund ist das Pfund des Mundes. Der
Mensch soll auf der Waage seines Gewissens die
erbaulichen und ehrbaren Worte wägen und
bedenken, wie nützlich und anständig sie sind.
Er soll auch auf die eitlen und unnützen Worte
Acht geben, wie schädlich und nutzlos sie sind,
und soll eitle Worte vermeiden und die guten
lieben.
Das vierte Pfund ist der Geschmack. Was ist der
Geschmack der Welt anderes, als Elend? Er ist am
Anfang Mühe, Schmerz in der Fortsetzung und
Bitterkeit am Ende. Der Mensch soll also den
geistlichen Geschmack genau gegen zeitlichen
abwiegen. Der geistliche wird mehr wiegen als der
zeitliche, denn der geistliche Geschmack hört nie
auf, wandelt sich nie in Überdruss und vermindert
sich nie. Dieser Geschmack beginnt hier auf der
Welt mit der Zügelung der Lust und mit der maßvollen
Lebensweise, und er dauert ohne Ende im Himmel, im
Genießen Gottes und seiner Herrlichkeit.
Das fünfte Pfund ist das Pfund des Gefühls. Der
Mensch soll erwägen, wie viel Kummer und Elend er
an seinem Leib empfindet, wie viel Unruhe von der
Welt, wie viel Widerwärtigkeiten von Seiten
seiner Mitmenschen; überall bemerkt er Elend. Er
soll auch erwägen, welche Ruhe die Seele, der gut
beherrschte Sinn besitzt, und wie angenehm es ist,
sich nicht um unnötige Dinge zu kümmern – dann
wird er überall Erquickung finden.
Wer also gut abwiegen will, soll das geistliche
und körperliche Gefühl auf die Waage legen und
so abwiegen, dass das geistliche mehr wiegt, als
das körperliche Empfinden. Dieses geistliche Gefühl
beginnt und setzt sich fort in Geduld bei widrigen
Dingen und im treuen Gehorsam gegen Gottes Gebot,
und dauert ewig in der stillsten Freude und im
Frieden. Wer aber die leibliche Ruhe und das Gefühl
der Welt und ihrer Freude höher wertet als das
ewige, der ist nicht wert, mein Gold zu berühren,
oder meine Freude zu genießen. Das sechste Pfund
ist das Tun des Menschen. Der Mensch soll in
seinem Gewissen das geistliche und das körperliche
Tun genau abwiegen: Das erste führt zum Himmel,
das letztere zur Welt; das erste zu einem ewigen
Leben ohne Plage, das letztere zu großer Trübsal
und Pein. Wer mein Gold begehrt, soll das
geistliche Tun und Lassen, das in meiner Liebe ist
und zu meiner Ehre dient, höher bewerten als das
körperliche Tun, denn geistliche Dinge bleiben
bestehen, aber körperliche vergehen.
Das siebente Pfund ist die Einteilung zur Zeit.
Eine gewisse Zeit wandte der Mensch an, sich nur
mit geistlichen Dingen zu befassen, eine gewisse
Zeit für die Bedürfnisse des Leibes, ohne die er
ja nicht leben kann und was auch zu dem
Geistlichen gerechnet werden kann, wenn es vernünftig
angewendet wird, um das auszuüben, was für den Körper
nützlich ist. Und da der Mensch einmal
Rechenschaft über seine Zeit wie für seine Taten
ablegen muss, mag die Zeit für geistliche Arbeit
mehr wiegen, als die körperliche Arbeit. Und die
Zeit soll so eingeteilt werden, dass das
Geistliche höher eingeschätzt wird als das
Zeitliche, und man soll keine Zeit verrinnen
lassen, ohne es zu prüfen und gleichmäßig
abzuwiegen, was gerecht ist.
Das achte Pfund ist die rechte Verwaltung des
erlaubten zeitlichen Gutes, so dass der, der reich
ist, den Armen mit frommer Liebe geben kann, so
weit er es vermag. Aber nun kannst du fragen: Was
soll der Arme geben, der nichts besitzt? Ja, er
soll den guten Willen haben und bei sich denken:
„Wenn ich etwas hätte, so würde ich gern
geben.“ Dann soll ihm dieser Wille als Tat
angerechnet werden.
Aber wenn der Wille des Armen so ist, dass er gern
zeitliche Dinge ebenso wie andere haben möchte,
aber armen Menschen doch nur sehr wenig und das
Allerschlechteste geben würde, dann soll ihm ein
solcher Wille als eine sehr kleine Tat angerechnet
werden. Soll also der reiche Mann, der Güter
besitzt, Taten mit Liebe tun; Wer nichts hat, soll
den Willen haben, zu geben, und es wird ihm nützen.
Aber der, der das Zeitliche mehr wiegen lässt als
das Geistliche, der mir einen Pfennig schenkt,
aber hundert für die Welt und tausend für sich
selbst, der wiegt nicht richtig, und ein solcher
Mann ist unwürdig, mein Gold zu haben. Denn ich,
der alles gegeben hat und auch in der Lage ist,
alles wieder wegzunehmen, hat den wertvolleren
Teil verdient. Das Zeitliche ist zum Nutzen und
Notwendigen des Menschen geschaffen, nicht für
den Überfluss.
Das neunte Pfund ist das genaue Beachten der Zeit,
die vergangen und verflossen ist. Der Mensch soll
also seine Taten betrachten, was und wie viele sie
gewesen sind, und wie er Besserung für sie getan
hat, und wie würdig das war. Er möge auch
beachten, dass die guten nicht womöglich weniger
als die schlechten sind, und wie er überlegen
soll, ob seine schlechten Taten mehr als seine
guten sind, so dass er von dem vollkommenen Willen
beseelt ist, sich zu bessern und wahre Reue über
die begangenen Sünden zu empfinden. Und wenn
diese Reue wahr und fest ist, so wiegt sie vor
Gott mehr, als alle seine Sünden.
Das zehnte Pfund ist das Betrachten und die
Einstellung auf die kommende Zeit, ob der Mensch
eine solche Absicht hat, dass er nichts anderes
lieben will als das, was von Gott ist, und nichts
anderes begehrt als das, von dem er weiß, dass es
Gott gefällt, und dass er alle Trübsal gern und
geduldig tragen will, ja sogar die Qual der Hölle,
ob Gott Freude daran hätte und ob es Gottes Wille
wäre, dass er das tut. Dieses Pfund überwiegt
alles, und durch dieses Pfund werden alle
kommenden Dinge bewältigt. Jeder, der also diese
zehn Pfund gibt, der soll mein Gold besitzen.
Aber wie ich sagte, will der Feind die Menschen,
die mein Gold bei sich tragen, in dreifacher Weise
daran hindern. Erstens will er sie träge machen.
Nun ist die körperliche Faulheit eine Sache, und
die geistliche eine andere. Die körperliche ist
vorhanden, wenn der Körper zu faul ist, um zu
arbeiten, um aufzustehen und dergleichen. Die
geistliche Trägheit ist vorhanden, wenn der
geistliche Mensch die Süße meines Geistes und
meine Gnade spürt und lieber allein in dieser Süßigkeit
bleiben möchte, als zu anderen zu gehen und ihnen
zu helfen, so dass auch sie an derselben Süßigkeit
teilhaben.
Haben nicht Petrus und Paulus die Süßigkeit
meines Geistes im Übermaß besessen? Sie hätten,
wenn es mir angenehm gewesen wäre, mit der
inneren Süße, die sie hatten, lieber in der
tiefsten Tiefe der Erde verborgen liegen wollen,
als hinaus in die Welt zu gehen. Aber damit auch
andere an ihrer Süße teilhaben könnten, und
damit sie auch andere erbauen könnten, zogen sie
es vor, lieber zum Nutzen und zum Vorteil anderer
und zur Vermehrung ihrer eigenen Ehre hinaus zu
gehen, als allein zu bleiben und nicht andere mit
der Gnade zu stärken, die sie selbst empfangen
haben.
So sollen auch meine Freunde heutzutage, obwohl
sie lieber allein sein wollen und sich an der Süße
erfreuen, die sie haben, hinausgehen, so dass auch
andere an ihrer Freude teilhaben. Denn so wie
einer, der Überfluss an zeitlichen Gütern hat,
sie nicht einsam genießt, sondern sie auch
anderen überlässt, so sollen meine Worte und
meine gnade nicht verborgen bleiben, sondern für
andere ausgegossen werden, so dass auch sie davon
erbaut werden.
Meine Freunde können nämlich drei Arten von
Menschen helfen. Erstens den Verdammten, zweitens
den Sündern (d.h. denen, die in Sünde geraten,
aber wieder aufstehen), drittens denen, die fest
im Guten stehen. Aber nun magst du fragen, wie
jemand den Verdammten helfen kann, die nicht der
Gnade wert sind – es ist ja für sie unmöglich,
zur Gnade zurückzukehren?
Darauf will ich in einem Gleichnis antworten.
Stell dir vor, dass es im allertiefsten Abgrund
unzählige Gräber gäbe, in die der, der in die
Tiefe hinabfällt, notwendigerweise stürzen muss.
Wenn jemand eines dieser Gräber zustopfen würde,
würde der Fallende auf Grund dieser Verstopfung,
nicht so tief hinunterstürzen, wie er fallen würde,
falls kein Grab verstopft wäre. Denn obwohl
solche Leute durch meine Gerechtigkeit und ihre
eigene Hartgesottene Bosheit zu einer
vorgeschriebenen und im voraus bestimmten Zeit
verdammt werden würden, wird die Strafe doch
leichter für sie, wenn sie durch jemanden von
irgend etwas Bösem abgehalten und zu etwas Guten
ermuntert würden.
Sieh, wie barmherzig ich sogar mit den Verdammten
bin! Wenn die Barmherzigkeit auch dafür sprechen
würde, sie zu schonen, so spricht doch die
Gerechtigkeit und ihre Bosheit dagegen. Zweitens können
sie denen helfen, die fallen und wieder aufstehen,
wenn sie ihnen beibringen, wie sie wieder
aufstehen können, ihnen Warnungen vor dem Fallen
geben, sie unterweisen, wie sie sich
vervollkommnen und ihren Begierden widerstehen können.
Erstens können sie den Gerechten und Vollkommenen
nützlich sein. Können denn auch diese fallen? Ja
gewiss, aber zur Erhöhung ihrer Ehre und zur
Schande des Teufels. Denn wie ein Ritter, der im
Kriege leicht angeschlagen ist, durch diesen
Schlag weiter angefeuert und noch mehr ermuntert
wird, zu kämpfen, so werden meine Auserwählten
durch die Versuchung des teuflischen Widersachers
zu geistlicher Bemühung und Demut angehalten, und
dazu, umso eifrigere Fortschritte zu machen, die
Krone der Ehre zu gewinnen. Daher sollen meine
Worte nicht von meinen Freunden verborgen werden,
denn viele könnten, wenn sie von meiner Gnade hören,
noch mehr entflammt werden, mich zu lieben.
Zweitens arbeitet mein Feind darauf hin, dass mein
Gold auf Grund irgendeines Fehlers dem Dreck
gleichen könnte. Daher soll der Schreiber, wenn
etwas aufgeschrieben werden soll, zwei treue
Menschen oder einen mit bewährtem Gewissen als
Zeugen berufen, und nachdem diese das Geschriebene
geprüft haben, soll er es weitersenden, an wen er
will, denn wenn es ohne Beglaubigung in die Hände
von Feinden gerät, könnte etwas dazugetan
werden, wodurch die Worte der Wahrheit bei
schlichten Menschen verachtet werden könnten.
Drittens legt mein Feind seinen Freunden in den
Mund, dass mein Gold verhindert werden sollte.
Daher sollen meine Freunde denen, die dagegen
reden, sagen: „Mit dem Gold der offenbarten
Worte ist es so, als ob es nur drei Worte geben würde.
Sie lehren nämlich, recht zu fürchten, fromm zu
lieben und weise nach dem Himmlischen zu trachten.
Prüft die Worte und untersucht sie, und
widersprecht uns doch, wenn ihr findet, dass es
sich anders verhält!“
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15.
Kapitel |
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Christus beschreibt die
Sehnsucht, die die Frommen zur Zeit des Alten
Testaments nach der Ankunft des Messias hegten; er
schildert weiter, wie er zuletzt die Sehnsucht
stillte und kam, um die Welt zu erlösen. Nun sind
jedoch, fährt er fort, seine Lehren vergessen,
und die meisten Menschen gehen ihrem Untergang
entgegn. Seine Freunde, d.h. die Prediger (d.h.
die Birgitta nahestehenden Prediger) sollen
deshalb für die Erlösung der Seelen arbeiten.
Du möchtest
wissen, warum ich so spreche, und warum ich dir so
bedeutsame Dinge gezeigt habe. Meinst du, ich habe
das für dich allein getan? Nein, gewiss nicht,
sondern zur Unterweisung und Erlösung anderer,
denn die Welt war so wie eine Einöde, wo es nur
einen einzigen Weg gab, und der führte in den
tiefsten Abgrund.
Aber in dem Abgrund gab es zwei Räume. Der eine
war so tief, dass er gar keinen Boden unter sich
hatte, und die, die dort hineinkamen, sind nie
wieder herausgekommen. Der andere war nicht so
tief wie der erste und nicht ebenso schrecklich,
und die, die dort hineinkamen, hatten Hoffnung,
Hilfe zu erhalten; sie hatten eine Sehnsucht und
ein Langdauerndes Verlangen, aber kein Elend; sie
spürten wohl das Dunkel, aber keine Qual.
Die, die in diesem zweiten Raum wohnten[1], riefen
täglich zu einer herrlichen, naheliegenden Stadt,
die voll von allem Guten und allen Vergnügungen
war. Sie riefen laut, denn sie kannten den Weg,
den sie in die Stadt gehen würden, aber der öde
Wald war so dicht und eng verwachsen, dass sie
deshalb nicht imstande waren, ihn zu durchdringen
und auch nicht die Kraft hatten, sich einen Weg zu
bahnen.
Und was riefen sie? Gewiss, sie riefen so: „O
Gott, komm und hilf, zeige den Weg und gib uns
Licht, denn wir harren auf dich. Bei keinem
anderen gibt es für uns Erlösung, als bei
dir.“ Dieser Ruf drang auf zum Himmel und an
meine Ohren und rührte mich zur Barmherzigkeit.
Ich wurde von so einem brennenden Ruf bewogen und
begab mich als Pilger hinaus in die Einöde.
Aber bevor ich meine Fahrt und meine Arbeit
begann, erscholl eine Stimme vor mir und sagte:
„Die Axt ist schon an den Baum gelegt.“ Diese
Stimme kam von Johannes dem Täufer, der vor mir
in die Wüste gesandt wurde, und der jetzt rief:
„Die Axt ist schon an den Baum gelegt“ – als
ob er sagen wollte: „Jetzt soll der Mensch
bereit sein, denn die Axt ist jetzt bereit, und
der ist gekommen, der sozusagen den Weg in die
Stadt bereiten und alle Hindernisse beseitigen
soll.
Aber als ich kam, arbeitete ich von Sonnenaufgang
bis Sonnenuntergang, denn seitdem ich
Menschengestalt annahm und bis zum Tode am Kreuz
bewirkte ich die Erlösung des Menschen. Schon am
Anfang meines Eintritts in diese Einöde musste
ich vor meinen Feinden fliehen, nämlich vor dem
Verfolger Herodes; dann wurde ich vom Teufel
versucht und litt Verfolgungen durch die Menschen.
Dann stand ich mannigfache Mühen aus, aß und
trank und erfüllte ohne Sünde andere
Erfordernisse – zur Stärkung des Glaubens und
zum Beweis dafür, dass ich wahre Menschennatur
angenommen habe.
Als ich dann den Weg in die Stadt bahnte, nämlich
zum Himmel, und das hinderliche Gestrüpp wegräumte,
stachen mich die spitzesten Dornen in die Seite,
schreckliche Nägel verletzten meine Hände und Füße,
und meine Zähne und Wangen wurden böse
geschlagen. Aber ich ertrug es geduldig und wich
nicht zurück, sondern drängte nur umso eifriger
vor, wie wenn ein vom Hunger bedrängtes Tier
einen Pfeil gegen sich gerichtet sieht und sich
nur aus Hunger auf einen Menschen und den Speer stürzt.
Und je tiefer der Mensch den Speer in die
Eingeweide des Tiers bohrt, desto heftiger stürzt
es sich selber gegen den Speer (nur aus Sehnsucht
nach einem Menschen), bis seine Eingeweide und der
ganze Körper durchbohrt sind. So brannte ich vor
so großer Liebe zu den Seelen, dass ich, als ich
all die bitteren und schrecklichen Qualen sah und
spürte, doch umso mehr brannte, als der Mensch
willens war, mich zu töten, und hatte umso größeren
Eifer, das Leiden zur Erlösung der Seelen zu
erdulden. So ging ich also in der Wüste dieser
Welt unter Mühsal und Elend weiter und bereitete
den Weg mit meinem Blut und meinem Schweiß.
Ja, die Welt kann wirklich eine Wüste genannt
werden, denn jede Tugend ist darin verdorrt, so
dass nur eine Einöde von Lastern übrig blieb, in
der es nur einen einzigen Weg gab und dazu ein
Weg, auf dem alle hinab ins Reich des Todes geführt
wurden, die Verdammten zur Verdammnis, aber die
Guten nur ins Dunkel. Ich hörte also barmherzig
ihre lange Sehnsucht nach der kommenden Erlösung
und kam wie ein Pilger, um zu arbeiten. Unerkannt
in meiner Macht und Gottheit habe ich den Weg
bereitet, der zum Himmel führt.
Meine Freunde, die diesen Weg sahen und die
Schwierigkeiten meiner Arbeit und die Freude
meiner Seele sahen, freuten sich und folgten mir
in großer Zahl und lange Zeit. Aber nun ist die
Stimme verwandelt, die rief: „Seid bereit!“
Mein Weg ist anders geworden; Unkraut und Dornen
sind wieder gewachsen, und man hat aufgehört,
darauf zu gehen.
Der Weg zur Hölle ist dagegen offen und breit,
und die meisten gehen ihn. Doch mein Weg ist noch
nicht ganz vergessen, denn meine wenigen Freunde
gehen aus Sehensucht nach dem himmlischen
Vaterland auf ihm, indem sie wie Vögel von einem
Busch zum anderen fliegen, und sie dienen mir
heimlich und mit Furcht, denn auf dem Weg der Welt
zu gehen, scheint für alle Lust und Freude zu
sein.
Weil mein Weg so schmal und der Weg der Welt breit
geworden ist, rufe ich also in der Wüste, d.h.
der Welt, zu meinen Freunden, dass sie die Dornen
und Disteln auf dem Weg entfernen, der zum Himmel
führt, und den Weg für die freimachen, die ihn
wandern wollen. Denn wie geschrieben steht:
„Selig sind die, die mich nicht gesehen haben,
und mir doch geglaubt haben, so sind die selig,
die jetzt meinen Worten glauben und sie mit ihrem
Tun vollenden.
Ich bin gewiss wie eine Mutter, die ihrem
verirrten Sohn entgegeneilt, ihm ein Licht zeigt,
so dass er den Weg sehen kann, die ihn liebevoll
auf dem Weg begegnet und ihn für ihn verkürzt,
die ihn umarmt und sich freut. So will ich meinen
Freunden und allen, die zu mir zurückkehren,
liebevoll entgegeneilen und ihr Herz und ihre
Seelen zu göttlicher Weisheit erleuchten. Ich
will sie mit allen Ehren umarmen und sie in den
himmlischen Hof führen, der keinen Himmel über
sich und keine Erde unter sich hat. Dort gibt es
nur das Schauen Gottes, keine Speise und Trank,
sondern göttliche Freude. Aber den Bösen wird
der Weg zur Hölle überlassen; dort sollen sie
eintreten, um nie wieder herauszukommen; sie
werden keine Ehre und Freude mehr haben und mit
ewiger Not und Schmach erfüllt werden.
Daher spreche ich diese Worte und zeige meine
Liebe, damit die, die sich verirrt haben, zu mir
zurückkehren und mich kennenlernen – ihren Schöpfer,
den sie vergessen haben.“
[1].
D.h. die Gerechten zur Zeit des Alten Testaments.
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16.
Kapitel
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|
Christus erklärt, warum
er gerade Birgitta zu seinem Sprachrohr erwählt
und nicht andere, die besser sind als sie.
Viele möchten
wissen, warum ich mit dir und nicht anderen rede,
die ein besseres Leben führen und mir längere
Zeit gedient haben. Ich will dir darauf mit einem
Beispiel antworteten. Es ist ein Herr, der mehrere
Weingärten hat, die in mehreren verschiedenen
Gegenden liegen, und der Wein eines jeden
Weingartens hat seinen Geschmack von der Gegend,
aus der er stammt. Wenn der Wein zubereitet ist,
trinkt der Herr der Weinberge manchmal von dem
mittelmäßigeren und leichteren Wein, nicht immer
von dem stärkeren.
Wenn nun einer von denen, die dabei sind und das
sehen, sagen würde: „Herr, warum willst du das
tun?“ so wird der Herr erwidern, dass ihm gerade
der Wein schmeckte und war ihm bei der Gelegenheit
angenehmer, und er verschmäht doch deshalb nicht
die besseren Weine, sondern hält sie zu seiner
Ehre und seinem Nutzen zurück, um sie bei
passender Gelegenheit anzuwenden – einen jeden
zu dem Zweck, der dazu passt.
So verfahre ich mit dir. Ich habe viele Freunde,
deren Leben mir lieblicher als Honig ist,
angenehmer als jeder Wein und für mein Auge
heller als die Sonne ist. Trotzdem habe ich
beschlossen, dir meinen Geist zu schenken, weil es
mir so gefiel – nicht deshalb, weil du besser
bist als sie oder mit ihnen vergleichbar bist,
oder weil deine Verdienste wertvoller sind als
ihre – sondern deshalb, weil ich es so wollte.
Ich mache aus unweisen Menschen weise und Gerechte
aus den Sündern, und ich verachte die anderen
nicht, weil ich dir solche Gnade erwiesen habe,
aber ich hebe sie lieber für eine andere Ehre
oder zu einem anderen Nutzen für mich auf, je
nachdem, wie es die Gerechtigkeit erfordert. Demütige
dich deshalb in allen Dingen und beunruhige dich
über nichts, als über deine Sünden. Liebe alle
Menschen, auch die, die dich offensichtlich hassen
und verleumden, denn sie bereiten dir die Möglichkeit,
eine größere Krone zu gewinnen.
Drei Dinge schreibe ich dir vor, zu tun. Drei
Dinge schreibe ich dir vor, sie nicht zu tun. Drei
Dinge erlaube ich dir, zu tun. Drei Dinge rate ich
dir, zu tun.
Erstens schreibe ich dir vor, drei Dinge zu tun:
Nichts anderes zu ersehnen, als deinen Gott, allen
Hochmut und alle Vermessenheit abzulegen, stets
die Wollust des Fleisches zu hassen. Drei Dinge
befehle ich dir, nicht zu tun: Eitle und
leichtfertige Worte zu lieben, dich durch Unmäßigkeit
im Essen und durch Überfluß in anderen Dingen
schuldig zu machen und die Freude und Oberflächlichkeit
der Welt zu lieben.
Drei Dinge erlaube ich dir: Einen angemessenen
Schlaf zu deinem Wohlbefinden, mäßige Wachen zur
Übung des Körpers, ein mäßiges Essen zur Stärkung
und Aufrechterhaltung des Körpers. Drei Dinge
rate ich dir: Erstens, arbeite am Fasten und an
guten Taten, für die das Himmelreich als Lohn
verheißen wird. Zweitens, dass du das, was du
besitzt, zu Gottes Ehre anwendest. Drittens, stets
zwei Dinge in deinem Herzen zu bedenken: Was ich für
dich getan habe, als ich für dich litt und starb
(dieser Gedanke erweckt Liebe zu Gott), ferner
meine Gerechtigkeit und das künftige Gericht (das
erweckt in der Seele Furcht).
Eine vierte Sache zum Schluß. Was ich
vorschreibe, befehle, anrate und erlaube, und das
heißt, zu gehorchen, wozu du ja verpflichtet
bist, das schreibe ich dir vor, weil ich dein Gott
bin. Das befehle ich dir auch, dass du nicht
anderes handelst, weil ich dein Herr bin. Das
erlaube ich dir, weil ich dein Bräutigam bin. Das
rate ich dir, weil ich dein Freund bin.“
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17.
Kapitel
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Christus schildert in
großen Zügen die Heilsgeschichte: Wie Gott die
Menschen geschaffen hat, um die Plätze der
gefallenen Engel auszufüllen, wie er die
gefallenen Menschen dann durch die Patriarchen ,
durch Mose und die Propheten und zuletzt durch
seinen eingeborenen Sohn unterwies, und wie er
jetzt, in diesen Tagen, seinen Willen durch
Birgitta kundtut. Das Kapitel schließt mit der
Ermahnung an einen ungenannten Prediger, die von
Birgitta gesprochenen Worte weiterzuvermitteln.
Gottes Sohn
sprach zur Braut (Birgitta) und sagte:
„Glaubst du standhaft, dass das, was der
Priester in Händen hält, Gottes Leib ist?“
Sie erwiderte: „So wie ich standhaft glaube,
dass das Wort, das zu Maria gesandt wurde, in
ihrem Schoße Fleisch und Blut geworden ist, so
glaube ich auch, dass das, was ich jetzt in den
Händen des Priesters sehe, wahrer Gott und
Mensch ist.
Der Herr antwortete ihr: „Ich, der mit dir
spricht, ist derselbe, der ewig in der Gottheit
bleibt, und der im Mutterleib der Jungfrau
Menschengestalt annahm, ohne die Göttlichkeit
zu verlieren. Meine Göttlichkeit kann mit Recht
eine Tugend genannt werden, denn darin gibt es
zwei Dinge, - nämlich die allermächtigste
Macht, aus der jede Macht stammt, und zweitens
die allerweiseste Weisheit, von der und in der
alle Weisheit ist. In dieser Gottheit sind gewiß
all die Dinge, die es gibt, vernünftig und
weise geordnet enthalten. Denn es gibt im Himmel
keinen einzigen Titel, der nicht in ihr und von
ihr eingerichtet und vorausgesehen ist. Und es
gibt auf Erden nicht ein einziges Staubkorn,
nicht einen einzigen Funken in der Hölle, der
außerhalb seiner Verordnung steht, und der sich
vor seinem Vorherwissen verbergen könnte.
Vielleicht möchtest du wissen, warum ich sagte:
„Ein einziger Titel im Himmel“? Ja, wie der
Titel die Vervollkommnung des geschriebenen
Wortes ist, so ist Gottes Wort die Vollendung
aller Dinge und zur Ehre aller Dinge
eingerichtet. Aber warum sagte ich „Ein
einziges Staubkorn auf Erden“, wenn nicht
deshalb, weil alles Irdische vergänglich ist?
Und doch besteht es nicht ohne Gottes Verordnung
und Vorausschau, wie klein es auch sein mag.
Und warum sagte ich „Ein einziger Funken in
der Hölle“, wenn nicht darum, dass es in der
Hölle nichts anderes gibt, als Neid? Denn wie
der Funke aus dem Feuer hervorgeht, so geht alle
Bosheit und aller Neid von den unreinen Geistern
aus, so dass sie und ihre Anhänger immer
Missgunst hegen, aber nie irgendwelche Liebe.
Weil die vollkommene Weisheit und Macht bei Gott
ist, so ist alles so eingerichtet, dass es
nichts gegen Gottes Macht auszurichten vermag,
und von nichts kann man behaupten, es sei unklug
gemacht, sondern alles ist vernünftig
geschaffen, so dass es für eine jede Sache
passen würde.
Die Gottheit kann also in Wahrheit Tugend
genannt werden. Seine größte Tugend zeigte
Gott bei der Erschaffung der Engel. Er schuf sie
nämlich sich selbst zur Ehre und ihnen selbst
zur Freude, damit sie Liebe und Gehorsam haben
sollten – Liebe, womit sie nichts anderes als
Gott lieben sollten, Gehorsam, womit sie Gott in
allem gehorchen sollten.
Manche Engel gingen irre und lehnten sich sündhaft
gegen diese beiden Dinge auf. Sie richteten
ihren Willen nämlich gerade gegen Gott
entgegen, so dass die Tugend ihnen verhasst
wurde, und das, was gegen Gott gerichtet war,
ihnen lieb ward. Auf Grund dieser wirren
Willensbewegung haben sie ihren Fall verdient,
nicht deshalb, weil Gott es für sie bestimmt
hatte, sondern weil sie selbst sich diesen Fall
auf Grund von Zügellosigkeit in ihrer Weisheit
bereitet hatten.
Als Gott also sah, welche Verminderung durch
deren Sünde in seiner himmlischen Heerschar
veranlasst worden war, lieb Gott noch einmal
seine Tugend erkennen, indem er den Menschen mit
Leib und Seele schuf. Seinem Körper gab er zwei
gute Dinge, nämlich die Freiheit, das Gute zu
tun und dem Bösen auszuweichen, denn nachdem
mehrere Engel nicht hätten geschaffen werden
sollen, war es gerecht, dass der Mensch nun auch
die Freiheit haben sollte, zur Würde der Engel
aufzusteigen, wenn er wollte.
Auch der Seele des Menschen gab er zwei gute
Dinge, nämlich den Verstand, das Hinderliche
vom Hinderlichen und das bessere vom Besten zu
unterscheiden, und zweitens Stärke, im Guten
festzustehen. Als der Teufel diese Liebe Gottes
zum Menschen sah, dachte er neidisch bei sich
selbst: „Sieh, nun hat Gott etwas Neues
gemacht, das zu unserem Platz aufsteigen und
sich das erkämpfen kann, was wir verschmäht
und verlassen haben. Wenn wir es fertig bringen,
ihn zu Fall zu bringen und irre zu leiten, wird
der Mensch im Kampf ermüden und kann dann nicht
zu einer so hohen Würde aufsteigen.
Dann dachten die Teufel einen raffinierten Plan
aus, betrogen den ersten Menschen durch ihre
Bosheit und gewannen durch gerechte Zulassung
Macht über ihn. Aber wie und wann wurde der
Mensch besiegt? Sicher, als er die Tugend aufgab
und das Verbotene tat, und als ihm das
Versprechen der Schlange mehr gefiel, als der
Gehorsam gegenüber mir. Wegen dieses
Ungehorsams durfte er auch nicht im Himmel sein,
nachdem er Gott verachtet hatte, aber auch nicht
in der Hölle, denn mit Hilfe des Verstandes
wurde seine Seele genau dessen inne, was er
getan hatte, und er wurde von Reue über die
begangene Sünde ergriffen.
Daher bestimmte der tugendreiche Gott, der das
Elend des Menschen sah, das wie ein Gefängnisplatz
für ihn war, dass der Mensch seine Schwachheit
ablegen und seinen Ungehorsam wieder gutmachen
sollte, bis er verdienen würde, zu der Würde
aufzusteigen, die er verloren hatte. Das überlegte
der Teufel, und jetzt wollte er die Seele des
Menschen durch Ungehorsam töten. Er senkte
seinen Schmutz in die Seele ein und verdunkelte
den Verstand des Menschen so, dass er weder
Liebe für Gott noch Furcht vor ihm empfand.
Gottes Gerechtigkeit geriet in Vergessenheit,
sein Gericht wurde verachtet und bewirkte
nichts; Gottes Güte und sein Gaben wurden
vergessen.
Daher wurde Gott nicht mehr geliebt, und so
standen die Menschen mit ihrem verdunkelten
Gewissen im Elend und fielen noch schlimmer als
vorher. Aber obwohl der Mensch sich in dieser
Lage befand, war doch Gottes Tugend nicht von
ihm gewichen, sondern zeigte seine
Barmherzigkeit und seine Gerechtigkeit: Seine
Barmherzigkeit, als Gott den Menschen – nämlich
Adam und Eva und anderen guten Menschen –
zeigte, dass sie nach einer bestimmten Zeit
Hilfe erhalten sollten, wodurch ihre innere
Liebe zu Gott erweckt wurde. Seine Gerechtigkeit
zeigte er durch die Sintflut zur Zeit Noahs,
wodurch Gottesfurcht in die Herzen eingegossen
wurde.
Aber der Teufel hörte dennoch nicht auf, den
Menschen zu beunruhigen, sondern er griff ihn
mit zwei anderen Sünden an. Erstens gab er ihm
einen Irrglauben, dann Verzagtheit ein, damit
die Menschen Gottes Wort nicht glauben, sondern
meinen sollten, dass seine Wundertaten allein
auf dem Schicksal beruhen – Mutlosigkeit, dass
sie nicht auf die Erlösung und darauf hoffen
sollten, die verlorene Ehre wiederzugewinnen.
Aber der tugendreiche Gott unterließ es nicht,
zwei Heilmittel gegen diese beiden zu schenken.
Denn gegen die Verzagtheit schenkte er die
Hoffnung, indem er Abraham bei Namen nannte und
versprach, dass er durch seine Saat ernährt
werden sollte, und dass er ihn und seine
Glaubensgenossen in das verlorene Erbteil zurückführen
würde.
Dazu bereif er Propheten, denen er die Art und
Weise und den Platz für ihre Befreiung und die
Zeit für sein Leiden offenbarte. Gegen die
andere Sünde, nämlich den Irrglauben, redete
Gott zu Mose, zeigte ihm das Gesetz und seinen
Willen und vervollkommnte seine Worte mit
Zeichen und Taten.
Aber die Bosheit des Teufels war doch noch nicht
zu Ende, sondern er verleitete den Menschen zu
noch schlimmeren Dingen. Er gab ihm zwei andere
Dinge ins Herz ein: Erstens, zu denken, dass das
Gesetz höchst unerträglich sei, und dass es
Unruhe verursacht, wenn man es befolgt.
Zweitens, dass es gleichsam unglaublich scheinen
würde, ja äußerst schwer zu glauben, dass
Gott aus Liebe leiden und sterben wollte.
Gegen diese beiden Einflüsterungen schenkte
Gott wiederum zwei Heilmittel. Erstens sandte
er, damit der Mensch durch die Härte des
Gesetzes nicht verunsichert werden solle, seinen
Sohn in den Schoß der Jungfrau, der
Menschengestalt annahm, das vollendete, was zum
Gesetz gehörte, und dann das eigentliche Gesetz
leichter machte.
Gegen die andere Sünde zeigte Gott die allergrößte
Tugend, denn der Schöpfer starb für die
Geschaffenen, und der Gerechte für die
Ungerechten, und der Unschuldige wurde bis zum
letzten Augenblick gepeinigt, wie es von den
Propheten vorausgesagt war.
Aber die Schlechtigkeit des Teufels hörte noch
immer nicht auf: Er erhob sich noch einmal gegen
den Menschen und gab ihm zwei andere Dinge ein.
Erstens gab er seinem Herzen ein, dass meine
Worte zum Gegenstand von Spott und Hohn gemacht
werden sollten, zweitens, dass meine Taten in
Vergessenheit geraten sollten.
Gegen diese beiden nahm sich Gottes Tugend vor,
noch zwei Heilmittel zu zeigen. Erstens, dass
meine Worte wieder zu Ehren gebracht werden und
meine Taten zum Vorbild genommen werden sollen.
Daher leitete dich Gott in seinem Geist und verkündigte
durch dich seinen Willen auf Erden für seine
Freunde, besonders aus zwei Gründen. Erstens,
damit Gottes Erbarmen gezeigt werden sollte,
wodurch die Menschen lernen sollten, sich an
Gottes Liebe und sein Leiden zu erinnern,
zweitens, dass man auf Gottes Gerechtigkeit
achten und die Strenge meines Gerichtes fürchten
soll.
Sage deshalb zu diesem Mann, dass er – nachdem
nun meine Barmherzigkeit gekommen ist, sie ins
Licht stellen soll, so dass die Menschen lernen,
Barmherzigkeit zu suchen und sich vor dem
Gericht in Acht zu nehmen. Sag ihm weiter, dass,
obwohl meine Worte aufgeschrieben sind, sie doch
erst verkündet und dann in die Tat umgesetzt
werden müssen.
Du wirst dies besser durch ein Gleichnis
verstehen: Als Mose das Gesetz empfangen sollte,
war der Stab bereit und die Tafeln in Ordnung
gebracht, aber er tat mit diesem Stab keine
Wunderwerke, ehe es notwendig war und die Zeit
es erforderte. Als die rechte Zeit gekommen war,
da zeigten sich Wunderwerke, und meine Worte
offenbarten sich durch Taten.
So war es auch, als das neue Gesetz kam: Erst
wuchs mein Leib und schritt bis zum reifen Alter
vor; dann wurden die Worte gehört. Aber obwohl
die Worte gehört wurden, hatten sie doch keine
Kraft und Stärke in sich, ehe die Taten kamen,
und sie waren nicht vollkommen, ehe ich mit
meinem Leiden alles vollbrachte, was die
Propheten über mich offenbart hatten. So ist es
auch jetzt. Denn wenn auch die Worte meiner
Liebe aufgeschrieben sind und auf der Welt
ausgeführt werden sollten, haben sie doch keine
Macht, ehe sie ins vollständige Licht
kommen.“
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18.
Kapitel
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Christus bezeugt
Birgittas Fähigkeit, übernatürliche Dinge
zu hören und zu sehen, was jedoch wegen ihrer
menschlichen Natur durch Vermittlung natürlicher
Bilder geschehen muss. Er erklärt noch einmal,
warum er gerade ihr und nicht anderen einen
Einblick in seine Ratschlüsse vergönnt hat.
Drei
wunderbare Dinge habe ich mit dir (Birgitta)
gemacht. Du siehst nämlich mit geistlichen
Augen, du hörst mit geistlichen Ohren, und du
spürst mit deiner körperlichen Hand meinen
Geist in deiner lebendigen Brust[1]. Das
Gesicht, das du schaust, zeigt sich dir nicht
so, wie es wirklich ist. Denn wenn du die
geistliche Schönheit der Engel und der heiligen
Seelen sehen würdest, würde es dein Körper
auf Grund der seelischen Freude über das
Geschaute nicht ohne Schaden ertragen, es zu
sehen, wie ein zersprungenes Gefäß. Und würdest
du die Teufel sehen, wie sie sind, würdest du
entweder nur mit großem Schmerz leben oder auf
Grund ihres schrecklichen Anblicks eines plötzlichen
Todes sterben.
Daher werden dir geistliche Dinge als körperliche
gezeigt. Du schaust die Engel und die Seelen in
Gestalt von Menschen, die Leben und Seele haben,
denn die Engel leben mit seinem Geist. Die
Teufel erscheinen dir in einer Gestalt, die zum
Tode führt und tödlich ist, wie in Gestalt von
Tieren und anderen unvernünftigen Geschöpfen,
denn die haben einen sterblichen Geist, und wenn
ihr Leib stirbt, so stirbt auch der Geist. Die
Teufel dagegen sterben nicht im Geist, sondern
leben ohne Ende und sterben ohne Ende.
Geistliche Worte werden dir in Form von
Gleichnissen gesagt, denn sonst könnte dein
Geist sie nicht fassen. Aber wunderbarer als all
das andere ist das, dass du spürst, wie sich
mein Geist in deinem Herzen regt.“
Sie (Birgitta) antwortete: „O du mein Herr,
Sohn der Jungfrau, warum hast du es für wert
gehalten, eine so schlichte Witwe zu besuchen?
Ich bin ja arm an allen guten Taten, geringen an
Verstand und Kenntnissen, und während einer
langen Zeit in alle Sünden verstrickt.“
Er antwortete ihr: „Ich habe drei
Eigenschaften. Erstens kann ich den Armen reich
und den Unweisen, der mit geringem Verstand
ausgerüstet ist, ganz weise und verständig
machen. Ich vermag auch, Alter in Jugend zu
verwandeln. Denn wie der Vogel Phoenix dürre
Zweige zu seinem Nest im Tal trägt, und unter
diesen auch Zweige von einem Baum holt, der äußerlich
von Natur aus dürr und inwendig doch warm ist,
wenn glühende Sonnenstrahlen in ihn eindringen,
so dass er entzündet wird – was zur Folge
hat, dass alle anderen Zweige angezündet werden
– so sollst du Tugenden sammeln, durch die du
von Sünden erneuert werden kannst.
Unter diesen musst du einen Baum haben, der
innen warm und außen trocken ist, d.h ein
reines Herz, in dessen äußerer Hülle alle
weltliche Lust verdorrt ist, und dessen Inneres
voll von aller Liebe ist, so dass du nichts
anderes begehrst und ersehnst, als mich. Dann
wird das Feuer meiner Liebe darin eindringen,
und davon wird es von allen Tugenden entflammt
werden, so dass du gleichsam im Feuer von den Sünden
gereinigt wirst und wie ein erneuerter Vogel
auferstehst, nachdem du die Haut der Lust
abgelegt hast.“
[1].
Während der Ekstase fühlte Birgitta manchmal,
als ob sich unter ihrem Herzen etwas Lebendes rührte.
Vgl. u.a. das 88. Kapitel im 7. Buch.
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19.
Kapitel
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Mit Hilfe eines der
Bienenzucht entnommenen Gleichnisses erklärt
Christus Birgitta, warum er die bösen Menschen
leben und Erfolg haben lässt. Die guten haben,
wenn man tiefer sieht, eigentlich Nutzen davon,
sagt er. Dennoch ermahnt er die Kirchenfürsten,
Maßnahmen gegen die schlechten Bienen, d.h. die
bösen Menschen, zu ergreifen. Maria, seine
Mutter, rät denen, die Christi Worte hören,
sie zu beachten, damit sie nicht der strengen
Gerechtigkeit Christi anheimfallen. Zuletzt
klagt Christus darüber, dass die Kreuzfahrer
mehr daran denken, Land und Reichtum zu
gewinnen, als daran, die Heiden zum Christentum
zu führen. Die Klage dürfte hauptsächlich die
adligen schwedischen Krieger im Orient
betreffen.
Ich bin
dein Gott. Mein Geist hat dich gelehrt, zu hören,
zu sehen und zu fühlen: Meine Worte zu hören,
Gleichnisse zu sehen und meinen Geist mit der
Freude und Frömmigkeit der Seele zu spüren. In
mir ist alle Barmherzigkeit und Gerechtigkeit,
und in der Gerechtigkeit Barmherzigkeit.
Ich bin wie der, der seine Freunde von sich
abfallen und in einer fürchterlichen Tiefe
versinken sieht, aus der es unmöglich ist, sich
wieder zu erheben. Zu diesen Freunden rede ich
durch die, die die Schrift verstehen. Ich rede
durch Geißelhiebe und warne sie im voraus vor
ihren Gefahren, aber sie gehen dennoch in die
Irre und achten nicht auf meine Worte. Meine
Worte sind nur wie ein einziges Wort, und das
ist: „Sünder bekehre dich zu mir!“ Du
begibst dich nämlich in Gefahr, denn es gibt
Fallen auf dem Wege, und wegen des Dunkels
deines Herzens sind sie für dich verborgen.“
Dieses Wort von mir wird verachtet, dieses
Erbarmen von mir wird vergessen. Aber obwohl ich
so barmherzig bin, dass ich die ermahne, die sündigen,
bin ich doch so gerecht, dass – wenn auch alle
Engel auf sie einwirken, könnten sie doch nicht
umkehren, wenn sie ihren Willen nicht selbst auf
das Gute richten würden. Aber wenn sie selber
ihren Willen zu mir wenden und mir mit dem
Verlangen ihrer Seele zustimmen würden, so könnten
sie nicht einmal alle Teufel zurückhalten.
Es gibt ein Insekt im Anwesen seines Herrn, das
Biene heißt. Beinen erweisen ihrer Königin
dreifache Verehrung und empfangen von ihr
dreifaches Gute. Erstens bringen Bienen ihrer Königin
alle Süßigkeit, die sie sammeln können.
Zweitens stehen sie und fliegen nach ihrem
Befehl aus, und wohin sie fliegen oder fahren,
gilt immer ihre Liebe und Ergebenheit der Königin.
Drittens folgen sie ihr, bleiben ständig bei
ihr und deinen ihr. Für diese drei Dinge haben
Bienen ein dreifaches Gut von ihrer Königin.
Erstens erhalten sie durch ihre Stimme ein
sicheres Zeichen für die Zeit, um auszufliegen
und zu arbeiten. Zweitens haben sie von ihr die
Leitung und gegenseitige Liebe: Durch ihre
Gegenwart und Herrschaft und durch die Liebe,
die sie zu ihnen hat und sie zu ihr, wird eine
jede mit der anderen in Liebe vereint, und jede
freut sich über den Wohlstand und den
Fortschritt des anderen.
Drittens werden sie durch die gegenseitige Liebe
und die Freude ihrer Königin fruchtbar. Denn
wie die Fische, wenn sie im Meer miteinander
spielen, ihre Eier ausstoßen, die ins Meer
fallen und Frucht bringen, so werden die Bienen
durch gegenseitige Liebe und die Liebe und
Freude ihrer Königin auch fruchtbar. Aus dieser
ihrer Liebe geht durch meine seltsame Kraft eine
gleichsam tote Saat hervor, die durch meine Göttlichkeit
Leben erhalten wird.
Der Imker, der Besitzer der Bienen, hat Sorge um
seine Bienen und sagt zu seinem Diener: „Mein
Diener“, sagt er, „ich meine, dass einige
meiner Bienen krank sind und nicht
ausfliegen.“ Der Diener antwortet: „Ich
verstehe mich nicht auf diese Krankheit, aber
wenn es so ist, frage ich dich, wie ich das
wissen kann.“ Der Imker erwidert: „An drei
Zeichen kannst du ihre Krankheit oder ihr
Gebrechen verstehen. Erstens daran, dass sie
kraftlos und müde beim Fliegen sind, und das
kommt daher, dass sie ihre Königin verloren
haben, von der sie Frohsinn und Stärke haben würden.
Zweitens daran, dass sie zu ungewissen und
unbestimmten Zeiten ausfliegen, und das liegt
daran, dass sie kein Zeichen aus der Stimme
ihrer Königin haben. Drittens daran, dass sie
keine Liebe zu ihrem Bienenkorb haben, weshalb
sie auch leer zu ihm zurückkommen, sich selber
satt machen und keine Süßigkeit heimbringen,
von der sie in Zukunft leben können.
Die Bienen dagegen, die frisch und tauglich
sind, sind in ihrem Fluge fest, zuverlässig und
kräftig; sie haben ihre bestimmte Zeit,
auszufliegen und zurückzukehren und Wachs mit
heimzubringen, ihre Zellen zu bauen, und Honig
zu essen haben.“
Da antwortete der Diener seinem Herrn: „Wenn
sie also unnütz und krank sind, warum lässt du
sie dann länger leben und tötest sie nicht?“
Der Imker erwidert: „Ich lasse aus drei Gründen
leben, denn sie tun dreifachen Nutzen, wenn auch
nicht aus eigenem Verdienst. Erstens halten sie
die Zellen, die in Ordnung gebracht sind,
besetzt, so dass keine Wespen kommen und die
leeren Plätze einnehmen und andere gute und nützliche
Bienen beunruhigen.
Zweitens bewahre ich sie auf, damit andere,
fruchtbare Bienen durch die Bosheit der
schlechten Bienen noch fruchtbarer und eifriger
bei der Arbeit werden. Denn wenn die fruchtbaren
Bienen sehen, wie die unfruchtbaren und
schlechten nur für ihren eigenen Gewinn
arbeiten, so werden sie selber umso eifriger, für
ihre Königin zu sammeln – je mehr sie sehen,
dass die schlechten eifriger für ihren eigenen
Gewinn arbeiten.
Drittens helfen die schlechten Bienen den guten
bei der gemeinsamen Verteidigung. Es gibt nämlich
ein Insekt, die Wespe, die Bienen zu fressen
pflegen, und wenn Bienen merken, dass sie kommt,
so hassen sie sie alle, und wenn die schlechten
Bienen die Wespe nur aus Neid und um ihr Leben
zu schützen, hassen, während die guten das aus
Liebe und Gerechtigkeit tun, so arbeiten doch
gute und schlechte Bienen gemeinsam, um die
Wespe zu besiegen. Wenn alle schlechten Bienen
fort wären und nur die guten übrig wären, so
würde die Wespe die Bienen schneller überwältigen,
weil sie weniger sind.
Und deshalb, sagt der Imker, dulde ich die unnützen
Bienen. Aber wenn der Herbst kommt, werde ich für
die guten Bienen sorgen und sie von den
schlechten trennen, die – wenn sie außerhalb,
des Bienenkorbes gelassen werden, vor Kälte
sterben werden, aber wenn sie drinnen sind,
werden sie vor Hunger eingehen, weil sie es versäumt
haben, zu sammeln, als sie es gekonnt hätten.“
Ich der Herr, Schöpfer aller Dinge, ich bin der
Besitzer und Herr dieser Bienen. Aus meiner
innerlichen Liebe und aus meinem Blut habe ich
mir einen Bienengarten erbaut – nämlich die
heiligen Kirche, wo sich die Christen in der
Einheit des Glaubens und der gegenseitigen Liebe
sammeln und wohnen sollen. Ihre Wohnplätze sind
ihre Herzen, in denen die Süße der guten
Gedanken und Wünsche wohnen sollen. Diese Süßigkeit
soll sich mit dem Betrachten meiner Liebe bei
der Erschaffung und des Menschen vereinen, mit
meiner Geduld im Ertragen und meiner
Barmherzigkeit beim Zurückrufen und der
Wiederherstellung des Menschen.
In diesem Bienenstock, der heiligen Kirche, gibt
es zwei Arten von Menschen; sie gleichen zwei
Arten von Bienen. Die erste Art sind die
schlechten Christen, die nicht für mich,
sondern nur für sich selber sammeln, die leer
nach Hause kommen und die Bienenkönigin nicht
kennen, da sie Stacheln anstelle von Süßigkeit
und Gewinnsucht statt Liebe haben.
Die guten Bienen sind dagegen die guten
Christen, und diese bezeugen mir dreifache
Verehrung. Erstens haben sie mich als Oberhaupt
und Herr und bieten mir süßen Honig an, d.h.
Werke der Liebe, die sehr köstlich für mich
und nützlich für sie selbst sind. Ferner
richten sie sich auch nach meinem Willen; ihr
Wille steht nach meinem Willen, ihr ganzes
Denken ist auf mein Leiden gerichtet, und ihr
ganzes Wirken auf meine Ehre.
Drittens folgen sie mir, d.h. sie gehorchen mir
in allem, wo immer sie auch sind, ob drinnen
oder draußen, in Trauer oder in Freude; ihr
Herz ist stets mit meinem Herzen verbunden. Dafür
haben sie dreifache Kraft und Gnade von mir.
Erstens erhalten sie von der Stimme meiner Kraft
und Eingebung die angemessene und sichere Zeit
– Nacht zur zeit der Nacht und Licht zur zeit
des Lichts. Sie verwandeln auch die Nacht in
Licht, d.h. Freude der Welt zu ewiger Freude,
und vergängliche Freude in ewiges Glück.
Sie sind vernünftig in allem, denn sie wenden
das, was vorhanden ist, zu lebensnotwendigen
Zwecken; sie sind standhaft in Widrigkeiten,
vorsichtig im Erfolg, maßvoll in der Pflege des
Leibes, gewissenhaft und umsichtig im Handeln.
Zweitens haben sie wie gute Bienen gegenseitige
Liebe, so dass sie alle ein und dasselbe Herz für
mich haben, ihren Nächsten lieben, wie sich
selbst, aber mich über alles, und mehr als sich
selbst.
Drittens werden sie durch mich fruchtbar. Was
heißt es, fruchtbar zu sein, wenn nicht meinen
Heiligen Geist zu haben, und von ihm erfüllt zu
werden? Denn wer ihn nicht hat, sondern seine Süße
entbehrt, ist unfruchtbar und unnütz; ein
solcher Mensch fällt und wird zunichte. Der
Heiligen Geist dagegen entzündet den, der bei
ihm wohnt, mit göttlicher Liebe, öffnet den
Sinn des Verstandes, treibt die Hoffart und Unmäßigkeit
aus und erweckt das Verlangen nach Gottes
Verehrung und zum Verachten der Welt.
Die unfruchtbaren Bienen kennen diesen Geist
nicht, und daher verachten sie die Leitung und
entziehen sich der Einheit und Gemeinschaft der
Liebe. Sie sind leer an guten Taten, sie
verwandeln Licht in Dunkel, Trost in Weinen,
Freude in Schmerz. Jedoch lasse ich sie aus drei
Gründen leben. Erstens deshalb, dass keine
Wespen, d.h. Ungläubige, in ihre vorbereiteten
Wohnungen eindringen. Denn wenn die bösen
Menschen auf einmal ausgeschaltet würden, würden
nur recht wenige übrig bleiben, und weil es nur
so wenige sein würden, würden die Ungläubigen,
da sie in der Mehrzahl sind, bei ihnen
eindringen, sich bei ihnen ansiedeln und sie
viel plagen.
Zweitens dulde ich sie, weil die guten geprüft
werden sollen. Durch die Bosheit der Schlechten
wird nämlich die Standhaftigkeit der Guten auf
die Probe gestellt. In Misserfolgen wird
ersichtlich, wie geduldig ein jeder ist, aber
wie stetig und maßvoll jeder im Glück ist.
Obwohl sich die Laster manchmal unter den
Gerechten einschleichen, und die Tugenden ihnen
oft Anlaß zu Hochmut geben, wird es also den
Schlechten zugestanden, mit den Guten
zusammenzuleben, damit die Guten nicht durch
allzu viel Freude leichtsinnig werden oder in
Sorglosigkeit einschlafen, und damit sie die
Augen fleißig auf Gott richten. Denn wo weniger
Kampf ist, da gibt es auch geringeren Lohn.
Drittens werden sie geduldet, um den Christen zu
helfen, so dass Heiden oder andere ungläubige
Feinde ihnen nicht schaden, sondern sie umso
mehr fürchten, je mehr es sind, die gut zu sein
scheinen. Und wie gute Menschen aus
Gerechtigkeit und göttlicher Liebe dem Bösen
widerstehen, so tun es auch die Bösen, aber nur,
um ihr Leben zu schützen und Gottes Zorn zu
entfliehen. Und so helfen alle Bösen und Guten
einander gegenseitig, so dass die Schlechten um
der Guten willen geduldet werden, und die Guten
auf Grund der Bosheit der Schlechten ehrenvoller
gekrönt werden.
Betreuer der Bienen sind Kirchenvorsteher und Fürsten
der Erde, gute und böse. Zu den guten Betreuern
rede ich, ihr Gott und Hüter, und ermahne sie,
dass sie meine Bienen recht betreuen, auf ihren
Ausgang und Eingang Acht zu geben und sie
aufmerksam zu machen, ob sie krank oder gesund
sind. Wenn sie so etwas vielleicht nicht
beurteilen können, so gebe ich ihnen drei
Zeichen, wodurch sie das lernen können.
Unnütz sind die Bienen, die träge im Fliegen
sind, zu unregelmäßigen Zeiten fliegen und
heimkommen, ohne Süßigkeiten mit sich zu führen.
Träge im Fliegen sind die, die sich mehr um das
Zeitliche als um das Ewige kümmern und mehr den
Tod des Leibes als den der Seele fürchten. Ein
solcher Mensch spricht so zu sich selber:
„Warum soll ich Unruhe haben, wenn ich Ruhe
haben kann? Warum soll ich mich in die Gewalt
des Todes begeben, wenn ich leben kann?“ Sie,
die Elenden, bedenken nicht, dass ich, der allmächtige
König der Ehren, die Gestalt der Ohnmacht
angenommen habe.
Ich bin auch der Ruhigste, ja selbst die wahre
Ruhe, und doch nahm ich um ihretwillen Mühe und
Unruhe auf mich, ja habe sie durch meinen Tod
befreit. Ungeordnet betreffs der Zeit sind die,
deren Begehren das Irdische sucht, die
leichtfertige Dinge reden, die nur für ihren
eigenen Nutzen arbeiten, und deren Zeit so ist,
wie der Leib es haben will. Sie haben keine
Liebe zu ihrem Bienenstock und sammeln keine Süßigkeit.
Gewiß tun sie für mich ein paar gute Werke,
aber bloß aus Furcht vor Strafe.
Wenn sie auch manche gute Werke aufzuweisen
haben, lassen sie doch nicht ihren Eigenwillen
und die Sünde. Sie möchten Gott auf die Weise
besitzen, dass sie die Welt aber doch nicht
aufgeben, oder irgendwelchen Mangel leiden oder
Sorge haben. Solche Bienen laufen ja mit leeren
Füßen heim, denn sie laufen zwar, doch unklug,
fliegen auch, aber nicht mit der gehörigen
Liebe.
Daher werden, wenn der Herbst kommt, d.h. die
Zeit der Trennung kommt, die unnützen Bienen
von den guten getrennt und sollen für ihre
Selbstsucht und Gewinnsucht von ewigem Hunger
geplagt werden. Für ihre Verachtung Gottes und
ihre Trägheit im Guten sollen sie durch übermäßig
große Kälte geplagt werden und doch nicht
erfrieren.
Meine Freunde sollen sich jedoch vor der
dreifachen Bosheit der schlechten Bienen in Acht
nehmen. Erstens davor, dass deren Unreinheit
ihnen in die Ohren dringt, denn die schlechten
Bienen sind vergiftet; sie haben keinen Honig
und sind leer an Süßigkeit, sind aber überreich
an vergifteter Bitterkeit. Zweitens sollen sie
ihre Augäpfel vor deren Flügeln in Acht
nehmen, denn sie sind spitz wie Nadeln. Drittens
sollen sie auf ihren Körper achten, dass er
nicht bloß und deren Schwänzen ausgesetzt ist,
denn da haben sie Stacheln, mit denen sie sehr
unangenehm stechen.
Was dies bedeutet, das können die Weisen erklären,
die auf ihre Sitten und Begierden achten. Aber
die, die dies nicht verstehen können, sollten
die Gefahr fürchten und ihrer Gesellschaft und
ihrem Beispiel aus dem Wege gehen – sonst müssen
sie das durch Erfahrung lernen, was sie nicht
durchs Hören lernen wollen.“
Dann sprach die Mutter (Maria): „Gesegnet
seist du, mein Sohn, der ist und der war und der
ewig dasein wird! Dein Barmherzigkeit ist rührend,
und deine Gerechtigkeit groß. Es scheint mir
– um in einem Gleichnis zu reden – dass es
nun mit dir so ist, als ob eine Wolke am Himmel
aufsteigen würde, und ein leichter Wind der
Wolke voranging. In der Wolke zeigte sich so
etwas wie etwas Dunkels, und einer, der außer
Hause war und den leichten Wind spürte, blickte
auf, sah das Dunkel in der Wolke, dachte und
sagte sich: „Diese dunkle Wolke scheint mir
einen kommenden Regen anzukündigen“, worauf
er den klugen Entschluß fasste und sich eilig
in ein Versteck begab, um Schutz vor dem Regen
zu erhalten.
Andere dagegen, die blind waren oder vielleicht
nicht auf den leichten Wind achteten oder sich
vor dem Dunklen in der Wolke fürchteten,
begannen nachzuforschen, was diese Wolke
bedeutete. Die Wolke wuchs nämlich über den
ganzen Himmel und kam mit einem gewaltigen
Donner und Blitz von so starker Wirkung, dass
viele bei diesem Donner ums Leben kamen und all
das Äußerliche und Innere des Menschen vom
Feuer verzehrt wurde, so dass nichts mehr übrig
blieb.
Diese Wolke, mein Sohn, sind deine Worte, die
oft sehr dunkel scheinen und schwer zu glauben
sind, nachdem man sie nicht oft gehört hat, und
nachdem sie zu Ungebildeten gesprochen und nicht
durch Vorzeichen zu erklären waren. Diesen
Worten ging mein Gebet und dein Erbarmen voraus,
mit dem du dich über alle erbarmst und wie eine
Mutter alle zu dir lockst. Dies Erbarmen ist in
Geduld und im Ertragen sanft und mild wie der
leichteste Wind und warm in der Liebe, denn du
mahnst ja die, die dich zum Zorn reizen, zur
Barmherzigkeit und bietest denen, die dich
verschmähen, Milde an.
Also sollten alle, die diese Worte hören, die
Augen auftun und mit Verstand sehen, von wo die
Worte ausgegangen sind. Sie sollen ergründen,
ob die Worte Barmherzigkeit und Demut verkündet
haben. Sie sollten untersuchen, ob die Worte das
Gegenwärtige oder Zukünftige verkündet haben,
die Wahrheit oder Falschheit. Wenn sie finden,
dass sie wahr sind, sollten sie mit göttlicher
Liebe in ein Versteck fliehen, nämlich zu der
wahren Demut, denn wenn die Gerechtigkeit kommt,
dann wird die Seele vor Schreck vom Körper
geschieden, und Feuer wird die Seele in sich
einschließen, und die Seele wird innerlich und
äußerlich brennen – brennen, aber nicht
verzehrt werden. Deshalb rufe ich die Königin
der Barmherzigkeit zu den Bewohnern der Welt,
dass sie die Augen auftun und die Barmherzigkeit
sehen.
Ich ermahne und bitte sie wie eine Mutter, rate
ihnen wie eine Herrscherin. Wenn die
Gerechtigkeit kommt, wird es nämlich unmöglich
sein, noch Widerstand zu leisten. Seid daher
fest im Glauben, betrachtet in eurem Gewissen
die Wahrheit und ändert euren Willen; dann wird
er, der Worte der Liebe gesprochen hat, auch
Werke und Zeichen der Liebe zeigen.“
Dann sprach der Sohn zu mir und sagte: „Ich
habe dir vorher betreffs der Bienen gezeigt,
dass sie von ihrer Königin ein dreifaches Gut
besitzen. Ich sage dir jetzt, dass die
Kreuzfahrer, die ich an die Grenzen der
christlichen Länder gestellt habe, solche
Bienen sein sollen. Aber nun kämpfen diese
gegen mich, denn die kümmern sich nicht um die
Seelen, und erbarmen sich nicht über die
Menschen, die sich vom Irrtum zum katholischen
Glauben und zu mir zurückgekehrt sind. Sie
belasten sie mit Arbeit, berauben sie der
Sakramente und schicken sie so mit größerem
Schmerz zur Hölle, als wenn sie in ihrem alten
Heidentum geblieben wären. Ferner kämpfen sie
nur, um ihre Hoffart auszubreiten und ihre
Gewinnsucht zu erhöhen. Daher wird für sie die
Zeit kommen, da ihre Zähne eingeschlagen
werden, ihre rechte Hand verstümmelt wird und
ihr rechter Fuß zerschnitten wird, damit sie
leben und sich selbst kennenlernen können.“
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20.
Kapitel
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Christus klagt über
die Sünden der Priesterschaft, der Ritterschaft
(des Adels) und die der Allgemeinheit, aber
deutet doch an, dass er noch manche Freunde in
diesen drei Ständen hat. Auf diese setzt er
noch seine Hoffnung, dass sie seinen Willen
verwirklichen.
Es erschien
eine große himmlische Heerschar, zu der der
Herr (Christus) redete und sagte: „obwohl ihr
alles in mir kennt und wisst, so will ich mich
doch, weil es mir so gefällt, bei euch über
die Dinge beklagen. Erstens, dass die so
lieblichen Bienenkörbe, die von Ewigkeit gebaut
waren und von denen unnütze Bienen ausgingen,
jetzt leer sind.
Zweitens, dass die unermessliche Tiefe, denen
weder Steine noch Bäume widerstehen können, ständig
offen ist, so dass die Seele dort hinabsteigen,
wie der Schnee vom Himmel auf die Erde fällt.
Und wie der Schnee sich vor dem Angesicht der
Sonne in Wasser auflöst, so lösen sich die
Seelen von allem Guten, fallen schweren Strafen
anheim und werden zu jeder Pein erneuert.
Drittens klage ich darüber, dass es nur so
wenige sind, die darauf achten, dass die Plätze
leer sind, von denen die bösen Engel abgefallen
sind, und die auf den Abfall und die Verirrung
der Seelen Acht geben. Darüber klage ich mit
Recht.
Ich habe von Anfang an drei Männer ausgewählt.
Darunter verstehe ich die dreifachen Stände auf
der Welt. Erstens habe ich den Priester auserwählt,
der meinen Willen mit seiner Stimme ausrufen und
sie mit seinem Tun auch zeigen soll. Zweitens wählte
ich den Verteidiger aus, der meine Freunde mit
seinem Leben verteidigen und zu jeder Mühe um
meinetwillen bereit sein soll. Drittens wählte
ich den Arbeiter aus, der mit seinen Händen
arbeiten und mit seiner Arbeit die Menschen ernähren
soll.
Aber der erste, nämlich der Priester, ist jetzt
aussätzig und stumm geworden, denn jeder, der
beim Priester nach der Schönheit seiner Sitten
und Tugend sucht, er weicht zurück, wird durch
das, was er da sieht, verwirrt und fürchtet
sich, wegen des Aussatzes seines Hochmuts und
seiner Gier zu ihm zu kommen. Und der, der den
Priester hören will, findet, dass er stumm ist,
mich zu loben, aber redselig, wenn es um sein
eigenes Lob geht.
Wie soll man dann den Weg finden, der zu dieser
lieblichen Süße führt, wenn der, der
vorangehen sollte, schwach und ohnmächtig ist,
und der, der rufen sollte, stumm ist? Wie soll
man da Kenntnis über diese himmlische
Lieblichkeit erhalten? Der zweite, d.h. der
Verteidiger, lebt im Herzen und hat leere Hände,
denn er zittert vor den Schmähungen der Welt
und vor dem Verlust seiner Ehre. Er hat leere Hände,
denn er tut keine geistlichen Taten, sondern
alles, was er tut, das tut er für die Welt.
Wer soll dann mein Volk verteidigen, wenn der,
der das Haupt sein sollte, sich fürchtet? Der
dritte ist wie ein Esel, der den Kopf hängen lässt
und still auf seinen vier Füßen dasteht. Ja,
das Volk ist in Wahrheit wie ein Esel, denn es
begehrt nichts anderes als das Irdische; es
vergisst das Himmlische und sucht das Vergängliche.
Es hat gleichsam vier Füße, denn es hat nur
einen geringen Glauben und eine leere Hoffnung,
drittens keine guten Taten und viertens den
vollkommenen Willen zur Sünde. Daher steht ihm
der Mund stets zur Schwelgerei und zur Begierde
offen. Seht, meine Freunde, wie kann die
unermessliche Tiefe durch solche Leute
vermindert werden, und wie kann die Honigwabe
gefüllt werden?
Da antwortete Gottes Mutter: „Gesegnet seist
du, mein Sohn! Deine Klage ist berechtigt. Ich
und deine Freunde können dir für das
Menschengeschlecht nichts anderes geben, als ein
einziges Wort; durch das es erlöst werden kann,
und das ist: „Erbarme dich, Jesus Christus,
Sohn des lebendigen Gottes!“ Das rufe ich, und
das rufen deine Freunde.“
Der Sohn erwiderte: „Deine Worte sind in
meinen Ohren lieblich, schmecken mir angenehm im
Mund und dringen mit liebe in mein Herz. Ich
habe einen Priester, einen Verteidiger und einen
Bauern. Der erste ist lieblich wie die Braut,
die der ehrenwerteste Bräutigam von ganzem
Herzen mit göttlicher Liebe ersehnt. Seine
Stimme soll wie die Stimme sein, die in den Wäldern
durch Ruf und Rede als Echo widerhallt.
Der zweite soll bereit sein, sein Leben für
mich hinzugeben, und soll die Schmähungen der
Welt nicht fürchten. Ihn werde ich mit den
Waffen des Heiligen Geistes bewaffnen. Der
dritte soll einen so festen Glauben haben, dass
er sagen kann: „Mein Glaube ist so fest, dass
ich das, was ich glaube, gleichsam sehen kann,
und ich hoffe auch auf alles, was Gott
versprochen hat.“ Er soll den Willen haben,
das Gute zu tun, im Guten fortzuschreiten und
dem Bösen auszuweichen.
In den Mund des ersten dieser drei Männer will
ich drei Worte legen, die er rufen soll. Erstens
soll er rufen: „Wer Glauben hat, soll mit
seiner Tat das tun, was er glaubt.“ Zweitens:
„Der, dessen Hoffnung fest ist, soll in allem
Guten standhaft sein.“ Drittens: „Wer
vollkommen und innig liebt, soll eine brennende
Sehnsucht haben, das sehen zu dürfen, was er
liebt.“
Der zweite soll stark wie ein Löwe bei der
Arbeit sein, gewissenhaft darin, Versuchungen
auszuweichen, standhaft und beharrlich. Der
dritte soll klug sein wie die Schlange, die auf
dem Schwanz stehen und den Kopf zum Himmel heben
kann. Diese Männer sollen meinen Willen voll
erfüllen, und andere sollen ihnen folgen. Und
wenn ich auch nur von dreien spreche, meine ich
damit doch viele.“
Dann sprach er zur Braut (Birgitta) und sagte:
„Steh standhaft fest, laß dich von der Welt
oder von Schmähungen nicht betrüben, denn ich,
der allen Schimpf und jede Schmähung hört, bin
dein Gott und Herr.“
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21.
Kapitel
|
Maria beschreibt
Birgitta ihre Trauer bei der Abnahme Christi vom
Kreuz. Dann erzählt sie von einem Mann –
nicht näher angegeben – der nach einem
schweren Seelenkampf Gott der Welt vorgezogen
hat, und durch Birgitta gibt er diesem Mann den
Rat zu einem gottesfürchtigen Leben.
Maria
sagte: „Fünf Dinge solltest du bedenken,
meine Tochter. Erstens, dass alle Glieder meines
Sohnes im Tode erstarrten und erkalteten, und
dass das Blut unter der Qual aus seinen Wunden
trat und geronnen an allen seinen Gliedern
klebte. Zweitens, dass er so bitter und
unbarmherzig ins Herz gestochen wurde, dass der,
der stach, nicht eher aufhörte, als bis der
Speer die Rippen berührte und beide Teile des
Herzens am Speer klebten.
Bedenke drittens, wie er vom Kreuz abgenommen
wurde. Die beiden Männer, die ihn vom Kreuz
abnahmen, gebrauchten drei Leitern, von denen
eine bis zu den Füßen reichte, eine andere
wurde unter den Schultern und Armen aufgestellt,
und eine dritte reichte bis zur Mitte des Körpers.
Der erste Mann stieg hinauf und hielt ihn um die
Taille. Der zweite stieg auf der anderen Leiter
auf und zog erst den Nagel aus der einen Hand;
dann drehte er die Leiter nach der anderen Seite
und zog den Nagel aus der anderen Hand. Diese Nägel
reichten weit über den Stamm des Kreuzes
hinaus.
So stieg er, der die Last des Körpers hielt,
sachte und vorsichtig herab, und der andere
stieg auf die Leiter, die bis zu den Füßen
reichte, und zog die Nägel aus den Füßen. Und
als der Körper den Boden berührte, fasste
einer von ihnen den Körper am Kopf, ein anderer
an den Beinen, aber ich, der seine Mutter war,
hielt ihn in der Mitte, und so trugen wir ihn zu
einer Steinplatte, die von mir mit einem reinen
Leinentuch überdeckt war.
Darin wickelte ich den Körper ein, aber ich nähte
das Leinentuch nicht zusammen, da ich sicher
wusste, dass er nicht im Grab verwesen würde.
Dann kamen Maria Magdalena und andere heiligen
Frauen, und so zahlreiche heiligen Engel, wie
die Staubkörner ihrem Schöpfer Dienst erweisen
wollten. Welche Trübsal ich empfand, kann
niemand beschreiben. Ich war wie eine Frau, die
eben ein Kind geboren hat, und deren Glieder
alle nach der Entbindung zittern, und die sich,
obwohl sie vor Schmerz kaum atmen kann, doch von
Herzen freut, so viel sie kann, da sie weiß,
dass das Kind, das sie geboren hat, nie mehr in
dasselbe Elend zurückkehren wird, von dem es
ausgegangen ist.
So war es auch mit mir: Obwohl ich über die Maßen
betrübt über den Tod meines Sohnes war, freute
ich mich doch in meiner Seele, weil ich wusste,
dass er nun nicht mehr sterben, sondern in
Ewigkeit leben würde, und so wurde meine Trauer
mit etwas Freude vermischt. Ich kann ihn
Wahrheit sagen, dass – als mein Sohn begraben
war, gleichsam zwei Herzen in einem Grabe waren.
Ist nicht gesagt, dass – wo dein Schatz ist,
da ist auch dein Herz? So weilten meine Gedanken
und mein Herz stets im Grabe meines Sohnes.“
Dann sagte die Mutter Gottes: „Ich will dir
durch ein Gleichnis sagen, in welchem Zustand
dieser Mann sich befand, und wie er jetzt
beschaffen ist. Es ist so, als ob eine Jungfrau
mit einem Mann verlobt ist, und vor ihr stünden
zwei junge Männer, von denen der eine von der
Jungfrau gerufen wurde und zu ihr sagt: „Ich
rate dir, dass du ihm nicht glauben sollst, mit
dem du verlobt bist, denn er ist hart in seinen
Taten, säumig im Belohnen und gierig nach
Geschenken. Glaube also lieber mir und den
Worten, die ich dir sage. Ich werde dir einen
anderen zeigen, der nicht hart ist, sondern in
allem milde. Er gibt dir gleich, was du haben möchtest,
ja er schenkt dir überreichlich, was dir genügt
und die gefällt.“
Als die Jungfrau das hörte, dachte sie bei sich
und antwortete: „Deine Worte sind lieblich
anzuhören. Selbst bist du sanft und hübsch;
ich glaube, es ist ratsam, deinen Worten zu
folgen.“ Und als sie den Ring vom Finger nahm,
um ihn dem Jüngling zu reichen, sieht sie im
Ring eine Inschrift mit drei Sätzen. Der erste
lautet: „Wenn du an die Spitze des Baumes
kommst, sollst du dich vorsehen, dass du nicht
einen vertrockneten Zweig als Stütze nimmst,
denn dann kannst du fallen.“ Der andere
lautet: „Hüte dich, dass du nicht einen Rat
von einem Feind annimmst!“ Der dritte: „Leg
nicht dein Herz zwischen die Zähne des Löwen!“
Als die Jungfrau dies sieht, zieht sie die Hand
zurück, hält den Ring fest und denkt: „Diese
drei Sätze, die ich sehe, bedeuten vielleicht,
dass er, der mich zur Braut haben will, nicht
treu ist. Mir scheint, als wären seine Worte
eitel, und dass er voller Haß ist und mich töten
will.
Und während sie das denkt, schaut sie wieder
auf den Ring und sieht da eine andere Inschrift,
die auch aus drei Sätzen besteht. Der erste
lautet: „Gib ihm das, was er dir gab.“ Er
andere: „Gig Blut für Blut.“ Der dritte:
„Nimm dem Besitzer nicht fort, was sein eigen
ist.“
Als die Jungfrau das sah und hörte, denkt sie
bei sich wieder: „Die letzten drei Sätze
lehren mich, wie ich vor dem Tode fliehen soll,
die folgenden drei, wie ich das Leben behalten
soll. Da ist es richtig, dass ich lieber den
Worten des Lebens folge.“ So fasst die
Jungfrau einen klugen Entschluß und ruft ihren
Diener zu dem, der sich zuerst mit ihr verlobt
hatte. Und als dieser sich nahte, entfernt sich
der, der sie betrügen wollte.
So ist die Seele dieses Mannes. Sie ist mit
ihrem Gott verlobt. Die beiden Jünglinge, die
vor ihr standen, sind Freunde Gottes und Freunde
der Welt. Freunde der Welt sind bisher diesem
Mann nähergekommen, und sie haben mit ihm über
Reichtümer und Ehre der Welt gesprochen. Er hat
ihnen beinah den Ring seiner Liebe gereicht und
wollte ihnen in allem gehorchen. Aber als die
Gnade meines Sohnes ihm zu Hilfe kam, sah er
eine Inschrift, d.h. er hörte Worte der
Barmherzigkeit, und daraus begriff er drei
Dinge. Erstens, dass er sich hüten soll, zu
hoch hinauf zu steigen und sich auf vergängliche
Dinge zu stützen, denn dann würde ihm ein umso
größerer Fall drohen. Zweitens verstand er,
dass es auf der Welt nichts anderes gibt, als
Schmerz und Kummer. Drittens, dass die Belohnung
des Teufels schlecht ist.
Dann sah er eine andere Inschrift, d.h. er hörte
Gottes trostreiche Worte. Erstens, dass er das
Seinige Gott schenken sollte, von dem er alles
hat. Zweitens, dass er seine körperlichen
Dienste dem geben soll, der sein Blut für ihn
vergossen hat. Drittens, dass er seine Seele
keinem anderen schenken sollte als Gott, der ihn
geschaffen und erlöst hat. Wenn er das hört
und genau bedenkt, gefällt er dem Diener Gottes
und kommt ihm nahe, und der Diener der Welt rückt
von ihm ab.
Aber nun ist seine Seele wie eine Jungfrau, die
sich kürzlich aus den Armen ihres Bräutigams
erhoben hat, und die drei Dinge braucht. Erstens
schöne Kleider, so dass sie von den Dienern des
Königs nicht verspottet wird, wenn ein Fehler
in ihren Kleidern bemerkt wird. Zweitens muß
sie tüchtig sein und dem Willen ihres Bräutigams
gehorchen, so dass in ihren Handlungen nichts
Unehrenhaftes entdeckt wird, und sich der Bräutigam
ihretwegen schämen muß. Drittens soll sie so
rein sein, dass der Bräutigam nicht einen
einzigen Fleck bei ihr findet, wegen dem sie
verachtet und verstoßen werden könnte.
Sodann sollte sie jemanden haben, der sie zum
Bett ihres Bräutigams führt, so dass sie nicht
verkehrt oder in den schweren Eingang geht. Aber
der, der Brautführer ist, sollte zwei Dinge
haben. Erstens sollte er von dem gesehen werden,
der ihm folgt. Zweitens sollte das zu hören
sein, was er sagt, und wohin er geht.
Aber die, die einem Vorausgehenden folgt, muß
drei Dinge haben. Erstens sollte sie beim
Nachfolgen nicht saumselig und träge sein.
Zweitens soll sie sich nicht vor seinem Vorgänger
verstecken. Drittens soll sie gewissenhaft auf
die Fußspur des Vorausgehenden achten und ihm
genau folgen. Damit ihre Seele zum Gemach des Bräutigams
gelangen kann, ist es also notwendig, dass sie
von einem Brautführer geleitet wird, der sie glücklich
hin zu Gott, ihrem Bräutigam führt.“
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22.
Kapitel
|
Maria schildert
Birgitta die falsche und die wahre Weisheit,
d.h. die Weltliebe und die Gottesliebe, und
ermahnt sie, an der letzteren festzuhalten.
Maria
sagte: „Es steht geschrieben, dass der, der
weise sein will, Weisheit von einem Weisen
lernen sollte.“ Daher sage ich dir in einem
Gleichnis: Einer, der Weisheit lernen wollte,
sah zwei Meister vor sich stehen, und er sagte
zu ihnen: „Gern will ich Weisheit lernen, wenn
ich nur wüsste, wohin sie mich führt, und
welchen Nutzen und welches Ziel sie hat.“ Der
eine Lehrer antwortete: „Wenn du meiner
Weisheit folgen willst, wird sie dich auf den höchsten
Berg führen, aber auf dem Wege wirst du harte
Steine unter den Füßen spüren, und schwer und
steil wird es beim Aufstieg werden.
Wenn du nach dieser Weisheit strebst, wirst du
das gewinnen, was nach außen dunkel, aber
inwendig strahlend klar ist. Wenn du sie festhältst,
wirst du haben, was du willst. Sie läuft um
dich herum wie ein Zirkel und zieht dich mehr
und mehr, immer schöner und liebevoller zu
sich, bis du eines Tages von allen Seiten von
Freude durchflutet wirst.“
Der andere Meister sagte: „Wenn du meiner
Weisheit folgst, wird sie dich in ein blühendes
Tal hinabführen, reich an allen Früchten der
Erde. Auf dem Wege ist es weich unter den Füßen,
und wenig Mühe ist es beim Niedersteigen. Wenn
du in dieser Weisheit beharrst, wirst du das
besitzen, was nicht dauert, sondern bald ein
Ende hat, und wenn das Buch zu Ende gelesen ist,
wird sowohl das Buch wie auch das Gelesene
zunichte werden, und du wirst leer zurückgelassen.“
Als er das hörte, dachte er: „Ich höre hier
zwei seltsame Dinge. Wenn ich den Berg
hinaufsteige, werden meine Füße müde und mein
Rücken schwer. Wenn ich das gewinne, was nach
außen dunkel ist – was soll mir das nützen?
Und wenn ich nach etwas strebe, was kein Ende
hat, wann soll ich da Erquickung finden? Der
zweite Meister verspricht das, was äußerlich
strahlend klar, aber nicht von Dauer ist, und
sagt, dass die Weisheit mit dem Lesen ein Ende
nimmt. Was habe ich für Nutzen davon, was nicht
von Dauer ist?“
Als er so in seiner Seele überlegte, erschien
plötzlich ein dritter Mann zwischen den beiden
Meistern, und der sagte: „Wenn der Berg auch
hoch und schwer zu besteigen ist, so gibt es
doch eine lichte Wolke über dem Berge, und von
der wirst du Kühlung empfangen. Wenn das, was
man dir versprochen hat, nach außen dunkel ist,
so kann das doch beseitigt werden, und dann
wirst du das Gold gewinnen, das innen darin
verborgen liegt und es mit ewiger Freude
besitzen.
Diese beiden Meister bedeuten zwei Arten von
Weisheit, nämlich die geistliche und
fleischliche. Die geistliche besteht darin, den
eigenen Willen Gott zu überantworten und mit
ihrem ganzen Verlangen und ihrem Tun nach der
himmlischen zu trachten. Man kann nämlich nicht
von wirklicher Weisheit sprechen, wenn nicht die
Tat mit den Worten übereinstimmt.
Diese Weisheit führt zum seligen Leben. Aber
diese Weisheit ist ein steiniger Weg beim Vorwärtsschreiten
und steil beim Aufstieg. Es scheint nämlich
hart und „steinig“, seinen Begierden zu
widerstehen, und es ist schwer, auf gewohnte Genüsse
zu verzichten und nicht die Ehrung der Welt zu
lieben. Aber obwohl das so schwer ist, soll doch
ein jeder bedenken, dass die Zeit kurz und die
Welt vergänglich ist. Und wer sein Verlangen
stets auf Gott richtet, darf die Wolke über dem
Berg sehen, nämlich den Trost des Heiligen
Geistes.
Wer keinen anderen Tröster sucht als Gott, wird
dieses Trostes würdig sein. Wie hätten alle
Auserwählten Gottes sonst so schwere und
bittere Dinge begonnen, wenn nicht Gottes Geist
mit dem guten Willen des Menschen wie mit einem
guten Werkzeug zusammengearbeitet hätte?
Der gute Wille führte diesen Geist zu ihnen;
die göttliche Liebe, die sie zu Gott hatten,
hat ihn eingeladen, denn sie arbeiteten mit
ihrem Willen und Begehren, bis sie stark an
Taten wurden. Aber als sie den Trost des Geistes
gewonnen hatten, erhielten sie auch gleich das
Gold der göttlichen Freude und Liebe, womit sie
nicht nur viele Widerstände ertrugen, sondern
sich auch freuten, sie zu ertragen – mit dem
Gedanken an Belohnung.
Diese Freude scheint den Liebhabern der Welt
dunkel, denn diese lieben das Dunkel, aber für
die, die Gott lieben, ist sie heller als die
Sonne und strahlend klarer als das Gold. Denn
sie durchdringen das Dunkel der Sünden und
steigen auf zum Berge der Geduld, wobei sie die
Wolke des Trostes betrachten, die kein Ende
nehmen wird, sondern die in dieser Welt beginnt
und wie ein Zirkel umläuft, bis sie zur
Vollendung kommt.
Die Weisheit der Welt dagegen führt ins Tal des
Elends, das durch seinen Reichtum an Dingen blühend
erscheint, schön durch die Ehre, die es bietet,
weich durch seine Wollust. Diese Weisheit nimmt
schnell ein Ende und hat keinen anderen Nutzen
außer dem Wenigen, das man vorübergehend sah
und hörte.
Also, meine Tochter, suche Weisheit bei dem
Weisen, d.h. bei meinem Sohn. Er ist gewiß die
Weisheit, von der alle Weisheit stammt, und der
Zirkel, der nie endet. Ich rufe zu dir wie eine
Mutter zu ihrem Sohn: Habe die Weisheit lieb,
die inwendig wie Gold und nach außen verächtlich
ist; inwendig glühend vor Liebe, aber nach außen
hin mühsam und doch fruchtbar an Taten ist, und
wenn du über deine Bürde betrübt bist, wird
Gottes Geist dein Tröster sein.
Geh deshalb voran und streng dich an – wie der
Mann, der weitermacht, bis er sich an die Arbeit
gewöhnt hat, und gehe nicht zurück, bis du die
Spitze des Berges erreicht hast. Nichts ist nämlich
so schwer, dass es nicht durch eine stetige und
vernünftige Fortsetzung leicht wird, und nichts
ist beim Beginn eines Unternehmens so ehrenwert,
dass es nicht durch die Unvollkommenheit des
Abschlusses verdunkelt würde.
Schreite also zu der geistlichen Weisheit voran;
sie wird dich zu körperlichen Mühen, zu
Weltverachtung, vorübergehender Trübsal und
ewigem Trost hinführen. Die Weisheit der Welt
dagegen ist trügerisch und stechend; sie führt
dich nur zum Sammeln zeitlicher Dinge und zur
Ehre im jetzigen Leben, aber zuletzt zu äußerstem
Elend, wenn man sich nicht genau in Acht nimmt
und sich vorsieht.“
|
23.
Kapitel
|
Maria stellt Birgitta
und allen anderen ihre Demut als mahnendes
Beispiel hin.
Viele möchten
wissen, warum ich mit dir spreche. Sicher
deshalb, dass meine Demut offenbar werde. Denn
wie das Herz sich nicht über ein krankes Glied
im Körper freut, bevor es die Gesundheit nicht
wiedererlangt hat und sich noch mehr freut,
nachdem es wieder hergestellt ist, so bin ich,
wenn ein Mensch sündigt, aber sich von ganzem
Herzen und mit wahrer Besserung zu mir zurückkehrt,
gleich bereit, den Zurückgekehrten zu
empfangen, und ich achte nicht darauf, wie viel
er gesündigt hat, sondern auf die Absicht und
den Willen, den er hat, wenn er zurückkehrt.
Ich werde von allen „Mutter der
Barmherzigkeit“ genannt. In Wahrheit, meine
Tochter, hat mich die Barmherzigkeit meines
Sohnes barmherzig gemacht, und sein Erbarmen,
das ich sah, hat mich mitleidig gemacht. Deshalb
wird der unglücklich werden, der sich nicht an
die Barmherzigkeit wendet, solange er kann. Komm
also, du meine Tochter, und birg dich unter
meinem Mantel. Der ist nach außen hin verächtlich,
aber inwendig aus drei Gründen nützlich.
Erstens schützt er gegen stürmisches Wetter.
Zweitens schützt er vor der schneidenden Kälte.
Drittens hält er den Regen ab.
Dieser Mantel ist meine Demut. Er scheint für
die, die die Welt lieben, verächtlich, und sie
halten es für Torheit, ihm zu folgen. Aber was
ist verächtlicher, närrisch genannt zu werden
und nicht wütend zu sein oder auf eine Rede zu
antworten? Was ist schmählicher, als alles
Fortzugeben und dann an allem Mangel zu leiden?
Was ist unter den Weltmenschen schmerzhafter,
als ein zugefügtes Unrecht zu übersehen und
sich für unwürdiger zu halten, als alle
anderen?
So, meine Tochter, war meine Demut; das war
meine Freude und mein ganzer Wille, denn ich
dachte nicht daran, jemand anderes zu gefallen
als meinem Sohn, und diese Demut hilft denen,
die mir folgen, auf dreifache Weise. Erstens
gegen Krankheiterregendes und stürmisches
Wetter, d.h. gegen Schimpfen und mangelnde
Achtung der Menschen.
Denn wie stürmisches und hartes Wetter den
Menschen von allen Seiten bedrängt und umwirft
und ihn abkühlt, so werfen Schmähungen leicht
einen Menschen nieder, der ungeduldig ist und
nicht auf die Zukunft achtet, und treiben die
Liebe aus seiner Seele fort. Wer aber fleißig
auf meine Demut achtet und alles bedenkt, was
ich, die Frau von allen, zu hören bekam, der
sollte meinen Lobpreis und nicht den seinen
suchen. Er sollte bedenken, dass Worte nichts
anderes sind als Luft, und da wird er schnell
Erquickung finden.
Denn warum sind Weltmenschen so ungeduldig bei
Worten und Schmähungen, wenn nicht deshalb,
weil sie mehr ihr eigenes als Gottes Lob suchen,
und sich keine Demut bei ihnen findet? Ihre
Augen sind ja blind für ihre Sünden. Obwohl
die geschriebene Gerechtigkeit sagt, dass man
auf Schimpfworte nicht hören oder sie ohne
Grund ertragen soll, ist es tugendhaft und
lobenswert, Gott zuliebe ein zugefügtes Unrecht
geduldig anzuhören und zu ertragen.
Zweitens schützt meine Demut gegen schneidende
Kälte, d.h. gegen weltliche Freundschaft. Es
gibt nämlich eine Freundschaft, mit der der
Mensch um dieser zeitlichen Dinge willen geliebt
wird, so wie die, die so reden: „Mach du mich
satt, so will ich dich in diesem Leben sättigen,
denn ich kümmere mich nicht darum, wer dich
nach dem Tode Sattmachen wird. Ehre du mich, so
will ich dich ehren, denn es berührt mich
wenig, welche Ehre in der Zukunft kommen
wird.“ Eine solche Freundschaft ist kalt und
ohne Gottes Wärme, hart wie gefrorener Schnee,
wenn es darum geht, den bedürftigen Mitmenschen
zu lieben und Mitleid mit ihm zu haben, und
unfruchtbar an Lohn. Denn wenn sich die
Gesellschaft auflöst und die Tafel aufgehoben
wird, da ist gleich der Nutzen aller
Freundschaft zu Ende, und ihre Frucht ist leer.
Wer aber meiner Demut folgt, der tut allen Gott
zuliebe Gutes, sowohl Feinden als auch Freunden;
seinen Freunden, weil sie treu an Gottes Ehre
festhalten, seinen Feinden, weil sie Gottes
Geschöpfe sind und vielleicht auch gut werden.
Drittens schützt das Betrachten meiner Demut
gegen Regenschauer und Unreinheit im Wasser, das
aus den Wolken kommt. Denn die Wolke entsteht
aus der Feuchtigkeit und den Dünsten, die aus
der Erde austreten, die mit der Wärme zum
Himmel aufsteigen und sich dort oben verdichten,
und aus der Wolke, die so entsteht, gehen drei
Dinge hervor: Regen, Hagel und Schnee. Diese
Wolke ist Sinnbild für den Leib des Menschen,
der aus Unreinheit hervorgeht.
So wie die Wolke besitzt der Körper drei Dinge.
Er kann nämlich hören, sehen und fühlen.
Daraus, dass der Körper sehen kann, hat zur
Folge, dass er auch begehrt, was er da sieht: Güter,
schöne Gesichter und ausgedehnte Besitzungen.
Was ist das alles, als wie Regen, der aus den
Wolken strömt? Das Begehren, zu sammeln,
befleckt die Seele, versetzt sie durch Kummer in
Unruhe, lenkt sie durch unnütze Gedanken ab und
beunruhigt sie, dass sie das Gesammelte wieder
verliert.
Daraus, dass der Körper hören kann, folgt natürlich,
dass er sein eigenes Lob und die Freundschaft
der Welt hört. Er hört all das, was angenehm
und nützlich für den Leib ist, aber schädlich
für die Seele. Was ist dies alles, wenn nicht
wie Schnee, der schnell wieder schmilzt? Er
macht die Seele kalt für Gott und verhärtet
gegen Demut.
Daraus, dass der Körper fühlen kann, folgt,
dass er gern seine eigene Lust und
Bequemlichkeit spürt. Was ist dies anderes, als
wie Hagel, der aus dem unreinen Wasser
zusammengefroren ist? Das macht die Seele
unfruchtbar für das Geistliche, stark für das
Weltliche und nachgiebig, wenn es die Genüsse
des Körpers gilt. Daher sollte ein jeder, der
sich vor dieser Wolke schützen möchte, zu
meiner Demut fliehen und ihr nacheifern. Denn
durch sie wird er gegen das Verlangen des Sehen
geschützt, so dass er sich nicht danach sehnt,
was unzulässig ist; er wird gegen die Lust des
Hörens verteidigt, so dass er nichts hört, was
wahrheitswidrig ist; er wird gegen die Wollust
des Fleisches verteidigt, so dass er nicht in
Versuchung zu unerlaubten Dingen fällt.
Ich sage dir in Wahrheit, dass dies Betrachtung
meiner Demut wie ein guter Mantel ist, der die wärmt,
die ihn tragen, nämlich die, die ihn nicht
allein in Gedanken tragen, sondern auch mit der
Tat. Der Mantel des Körpers wärmt ja nicht
wenn er nicht getragen wird, und meine Demut nützt
auch denen nichts die nur daran denken, sondern
nur dem, der nach seinem geringen Vermögen
versucht, ihr nachzueifern.
Daher sollst du, meine Tochter, dich mit all
deinen Kräften mit dieser Demut kleiden. Die
Frauen der Welt tragen Mäntel, die nach außen
Hoffart zeige, aber inwendig wenig Nutzen.
Vermeide diese Kleider ganz und gar, denn wenn
die frühere Liebe zur Welt für dich nicht
verblasst, wenn du nicht beständig an Gottes
Barmherzigkeit gegen dich und an deine
Undankbarkeit ihm gegenüber denkst, wenn du
nicht stets daran denkst, was du getan hast und
was du tust, und welches Urteil du dafür
verdienst, so kannst du dir den Mantel meiner
Demut nicht aneignen. Denn warum habe ich mich
so sehr gedemütigt, und warum verdiente ich
eine so große Gnade, wenn nicht deshalb, weil
ich dachte und wusste, dass ich von mir selbst
aus garnichts war oder hatte? Deshalb wollte ich
auch nichts von meinem eigenen Ruhm wissen,
sondern nur von dem des Gebers und Schöpfers.
Fliehe daher, meine Tochter, unter den Mantel
meiner Demut, und denke, dass du sündiger als
alle anderen bist. Denn auch wenn du manche Böse
siehst, so weißt du ja nicht, was noch aus
ihnen werden wird, oder in welcher Absicht oder
mit welchem Wissen sie dies tun, ob es nur aus
Schwachheit oder mit festem Vorsatz geschieht.
Halte dich also nicht für besser als andere und
verurteile andere nicht in deinem Herzen.
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24.
Kapitel
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Christus deutet die
verschiedene Art der Menschen an, auf seine
Worte zu reagieren. Er gibt Birgitta eine Lehre,
die in den beiden folgenden Kapiteln weiter
entwickelt wird.
Maria
sprach: „Stell dir vor, dass es eine große
Volksmenge gibt, und dass jemand in ihre Nähe
geht, auf Rücken und Armen schwer von einer großen
Bürde belastet und die Augen voller Tränen,
und dass er so den Blick auf die Volksmenge
wirft, um zu sehen, ob sich möglicherweise
jemand um ihn kümmern und seine Last
erleichtern könnte. So war ich, denn ich wurde
von der Geburt meines Sohnes an bis zu seinem
Tod von Trübsal heimgesucht.
Ich trug die größte Last auf meinem Rücken,
indem ich ständig mit frommer Arbeit beschäftigt
war und geduldig alles trug, was mir passierte.
Ich musste eine schwere Last auf meinen Armen
tragen, denn ich litt mehr Trübsal und
Herzensqual, als irgendein anderes geschaffenes
Wesen. Meine Augen waren voll Tränen, als ich
die Glieder meines Sohnes betrachtete, die in
Zukunft einmal gepeinigt und von Nägeln
durchbohrt werden würden, und ebenso, als ich
all das für ihn in Erfüllung gehen sah, was
ich von den Propheten hatte sagen hören.
Aber nun werfe ich den Blick auf alle, die auf
Erden sind, um zu sehen, ob es vielleicht einige
gibt, die Mitleid mit mir haben und meinen
Schmerz bedenken, aber ich finde nur sehr
wenige, die an meine Trübsal und meinen Schmerz
denken. Deshalb sollst du, meine Tochter, obwohl
ich von vielen vergessen bin, mich doch nicht
vergessen, sondern meinen Schmerz ansehen und
mir nachstreben, so viel du kannst. Betrachte
meine Qual und meine Tränen, und sei traurig
darüber, dass Gottes Freunde so wenige sind.
Steh stark; sieh, mein Sohn kommt!“
Und er kam sogleich und sagte: „Ich, der mit
dir spricht, bin dein Gott und Herr. Meine Worte
sind gleichsam Blüten eines guten Baumes, und
wenn auch alle Blüten aus ein und derselben
Baumwurzel kommen, entwickeln sie sich doch
nicht alle zur Frucht. Sie sind meine Worte wie
Blüten, die aus der Wurzel der göttlichen
Liebe stammen. Viele nehmen sie entgegen, aber
sie tragen keine Frucht bei allen und reifen
nicht bei allen. Denn manche nehmen sie für
eine Zeitlang an, aber werfen sie dann fort,
weil sie meinem Geist gegenüber undankbar sind.
Andere nehmen sie an und bewahren sie auf, da
diese Menschen voller Liebe sind, und bei ihnen
bringen sie Früchte göttlichen und heiligen
Wandels.
Aber du, meine Braut, da du mit göttlichem
Recht mein geworden bist, solltest drei Häuser
haben. Im ersten muß es die notwendigen Dinge
geben, die dem Körper zur Nahrung dienen. Im
zweiten die Kleider die den Körper äußerlich
bedecken. Im dritten die nötigen Geräte zum
Nutzen des Hauses.
Im ersten sollte es drei Dinge geben, nämlich
Brot, Trank und Zukost. Im zweiten sollte es
auch drei Dinge geben, nämlich Kleider aus
Leinen, Wolle und dem Tun der Seidenraupen. Im
dritten soll es auch drei Dinge geben: Geräte
und Gefäße, die mit Flüssigkeit gefüllt
sind, lebende Werkzeuge, mit denen lebende Wesen
transportiert werde – nämlich Pferde, Esel
und dergleichen Tiere, sowie Fahrzeuge, die
durch lebende Wesen in Bewegung gesetzt
werden.“
|
25.
Kapitel
|
Christus schärft
Birgitta (und durch sie allen seinen Auserwählten)
die Notwendigkeit des guten Willens, das gottesfürchtige
Erwägen vor einer Durchführung von Handlungen
sowie die göttliche Weisheit ein, d.h. das
Bewusstsein der Unausweichlichkeit des Todes und
Gerichts.
Ich, der
jetzt mit dir spricht, bin der Schöpfer aller
Dinge und von niemandem geschaffen. Vor mir war
nichts, und nach mir kann auch nichts sein, denn
ich war immer da und bin es immer. Ich bin
ebenfalls der Herr, dessen Macht niemand
wiederstehen kann, und von dem alle Macht und
alle Herrschaft stammt. Ich spreche mit dir, wie
ein Mann zu seiner Frau sagt: Meine Frau, wir müssten
drei Häuser haben. Im ersten Hause muß sich
Brot, Getränke und Zukost befinden.
Aber nun kannst du fragen, was dieses Brot
bedeutet. Ich meine nicht das Brot, das auf dem
Altar ist; das ist gewiß Brot, ehe die Worte
Hoc est corpus meum darüber ausgesprochen sind,
aber wenn diese Worte gesprochen sind, ist es
kein Brot mehr, sondern mein Leib, den ich von
der Jungfrau annahm, und der wirklich and Kreuz
genagelt wurde. Diese Brot meine ich hier nicht,
sondern das Brot, das wir in unserem Hause
sammeln müssen, ist der gute und ehrliche
Wille.
Wenn das vergängliche Brot rein und unverfälscht
ist, hat es zwei gute Eigenschaften. Erstens stärkt
es und gibt allen Adern und Sehnen Kraft.
Zweitens zieht es alle Unreinheit des Inneren an
sich und entfernt sich damit aus dem Körper, so
dass der Mensch gereinigt wird. So ist es mit
dem reinen Willen. Erstens gibt er kraft. Denn
wenn der Mensch nichts anderes will als das, was
mit Gott zu tun hat, nichts anderes arbeitet als
zu Gottes Ehre, und mit seinem ganzen Begehren
danach trachtet, sich von der Welt zurückzuziehen
und mit Gott vereint zu sein, so bestärkt
dieser Wille den Menschen im Guten, erhöht
seine Gottesliebe, macht, dass die Welt ihren
Wert für ihn verliert, stärkt seine Geduld und
befestigt ihn in der Hoffnung die ewige Ehre zu
gewinnen, so dass er sich mit Freuden in alles
findet, was ihm zustößt.
Zweitens nimmt der gute Wille alle Unreinheit
fort. Was ist die Unreinheit, die der Seele
schadet, wenn nicht der Hochmut, Gewinnsucht und
Geilheit? Aber wenn die Unreinheit des Hochmuts
oder einer anderen Sünde dem Menschen in den
Sinn kommt, so weicht sie doch, wenn der Mensch
so denkt: „Hochmut ist eitel, denn es gehört
sich nicht, dass der Empfänger für die guten
Gaben gerühmt wird, sondern der Geber.
Gewinnsucht ist vergänglich, denn alles
Irdische vergeht. Geilheit ist nichts anderes
als Gestank; deshalb will ich sie nicht haben,
sondern den Willen meines Gottes befolgen,
dessen Belohnung niemals endet, und dessen Gut
auch niemals altert.“ Dann wird die Versuchung
alles Hochmuts und der Gewinnlust weichen, und
der gute Wille im Guten verharren.
Das Getränkt, das wir in unserem Häusern haben
sollten, ist das Überwiegen der Gottesfurcht
bei allem, was zu tun ist. Der zeitliche Trank
hat zwei gute Eigenschaften. Erstens bewirkt er
eine gute Verdauung. Denn wenn sich jemand
vornimmt, etwas Gutes zu tun und vorher überlegt
und genau abwägt, welche Ehre Gott davon
erhalten soll, welchen Nutzen es für den Nächsten
und welchen Gewinn für die Seele es haben wird,
und das nicht tun will, sofern er nicht
einsieht, dass sein Werk einen göttlichen
Nutzen haben wird, so wird dieses Werk guten
Erfolg haben, wie eine gute Verdauung.
Und dann sieht er auch bald ein, wenn etwas
Unkluges bei dem Werk eintreffen könnte, was
getan werden soll, da rückt er das gleich
zurecht, wenn er etwas Dummes dabei sieht, und
sein Werk wird dann auch richtig, vernünftig
und erbaulich für die Menschen. Denn wenn
jemand bei seinem Tun keine gottesfürchtige Überlegung
hat und nicht den Nutzen und Gottes Ehre sucht,
so wird seine Arbeit, auch wenn sie eine
Zeitlang Erfolg hat, doch zuletzt zunichte
werden, sofern die Absicht nicht berichtigt
wird.
Zweitens löscht ein Getränk den Durst. Welcher
Durst ist aber schlimmer, als die Sünde der bösen
Lust und des Zornes? Wenn der Mensch bedenkt,
welcher Nutzen daraus entsteht und wie elend das
Ganze endet, aber welchen Lohn er empfangen
wird, wenn er widersteht, so wird dieser böse
Durst doch gleich durch Gottes Gnade ausgelöscht;
der Mensch vernimmt die Wärme der göttlichen
Liebe und des guten Verlangens, und Freude
entsteht darüber, dass er das nicht getan hat,
was ihm in den Sinn kam. Er erforscht, wie er
sich in Zukunft vor den Dingen in Acht nehmen
kann, durch die er hätte zu Fall kommen können,
sofern ihm nicht das Nachdenken hilft, und er
wird immer genauer, wenn es gilt, sich vor so
etwas in Acht zu nehmen. Dies, meine Braut, ist
das Getränk, das in unserem Speiseschrank
gesammelt werden sollte.
Drittens muß es da auch Zukost geben. Erstens
gibt es einen besseren Geschmack im Mund, und
der Körper erhält größeren Nutzen, als wenn
das Brot allein da wäre. Zweitens schenkte es
einen größeren Genuß und besseres Blut, als
wenn das Brot und das Getränk allein da wäre.
So ist es auch mit der geistlichen Zukost. Was
ist diese Zukost? Gewiß die göttliche
Weisheit. Denn wenn einer den guten Willen hat,
nichts anderes will als das, was mit Gott zu tun
hat, und gottesfürchtig überlegt, so dass er
nichts tut, wenn er nicht zuerst weiß, dass es
zu Gottes Ehre dient, so schmeckt die Weisheit
ihm sehr gut.
Nun kannst du fragen, was göttliche Weisheit
ist. Viele sind ja einfältig und können nur
ihr „Vater unser“, und das kaum richtig.
Andere haben große Bücherbildung und
tiefsinniges Wissen; ob das nicht die göttliche
Weisheit ist? Keineswegs. Göttliche Weisheit
liegt nämlich nicht besonders in Bücherbildung,
sondern im Herzen und im guten Lebenswandel.
Wer fleißig den Weg zum Tod bedenkt, wie dieser
Tod ist und das Gericht nach dem Tode, der ist
weise. Wer das eitle Wesen und den Überfluß
der Welt verwirft, sich mit dem begnügt, was
notwendig ist und für Gottes Ehre arbeitet, so
viel er kann, der ist die Zukost der Weisheit,
mit deren Hilfe der gute Wille und das gottesfürchtige
Überlegen besser schmeckt.
Denn wenn der Mensch an den Tod und an die
Nacktheit des Todes denkt, wenn er Gottes
schreckliches Gericht bedenkt, wo nichts
verborgen und nichts ungestraft gelassen wird,
und wenn er die Ungeständigkeit und Eitelkeit
der Welt überdenkt, wird er sich da nicht
freuen und einen lieblichen Geschmack im Herzen
darüber empfinden, dass er seinen Willen Gott
überlassen und sich von Sünden ferngehalten
hat? Wird nicht das Fleisch gestärkt und das
Blut verbessert werden, d.h. alle seelische
Schwachheit, Trägheit und lose Sitten –
vertrieben und das Blut der göttlichen Liebe
erneuert werden?
Denn dann bedenkt der Mensch doch, dass es vernünftiger
ist, das zu lieben, was ewig ist, als das, was
vergänglich ist. Also liegt göttliche Weisheit
nicht so sehr in Büchergelehrsamkeit, sondern
in guten Werken. Viele sind nämlich weise, wenn
es um die Welt und ihr eigenes Begehren geht,
aber ganz unklug, wenn es Gottes Gebot und
Willen und das Zügeln ihres Leibes geht. Diese
sind nicht weise, sondern unklug und blind, denn
sie kennen nur das, was vergänglich und vorübergehend
nützlich ist, aber sie verachten und vergessen
das Ewige.
Andere sind unklug, wenn es darum geht, die Genüsse
der Welt und ihre Ehre zu suchen, aber weise
sind die, die betrachten, was von Gott ist, und
in seinem Dienst brennen. Diese sind in Wahrheit
weise, denn Gottes Gebot und Willen schmecken
ihnen. Sie sind in Wahrheit erleuchtet und haben
offene Augen, denn sie denken stets daran, wie
sie zum wahren Leben und zum wahren Licht
gelangen werden.
Die anderen dagegen wandern im Dunklen, denn es
scheint ihnen angenehmer, im Dunkel zu sein, als
den Weg zu suchen, auf dem sie zum Licht
gelangen können. Laß uns deshalb, meine Braut,
in unseren Häusern diese drei Dinge sammeln, nämlich
den guten Willen, das gottesfürchtige Überlegen
und die göttliche Weisheit. Dies ist es nämlich,
über das man sich freuen sollte. Wenn ich dich
auch ermahne, bezeichne ich doch in dir meine
Auserwählten auf der Welt, denn die Seele des
Gerechten ist meine Braut, und ich bin ihr Schöpfer
und Erlöser.“
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26.
Kapitel
|
Maria stellt den hl.
Laurentius[1] als Vorbild hin und ermahnt
Birgitta, so wie dieser der Welt zu entsagen und
alles um Christi willen zu ertragen. Christus
setzt danach seine begonnene Ermahnungsrede an
Birgitta fort und ermahnt sie, ihren Willen dem
Willen Gottes anzupassen und in Eintracht mit
ihrem Nächsten zu leben, Werke der
Barmherzigkeit zu üben und ein armes und
entsagungsreiches Leben zu Führen.
Maria
sagte: „Befestige den Brustschmuck des Leidens
meines Sohnes auf dir, so wie der hl. Laurentius
es tat. Er dachte nämlich so in seinem Sinn:
„Mein Gott ist mein Herr, und ich bin sein
Diener. Der Herr Jesus Christus wurde seiner
Kleider beraubt und verspottet – wie würde es
dann passen, dass ich, sein Diener, auf üppige
Art gekleidet wäre? Er wurde gegeißelt und ans
Holz genagelt – es gehört sich also nicht,
dass ich, der sein Diener ist (wenn ich nun
wirklich sein Diener bin), ohne Plage und Trübsal
bin.
Als er (Laurentius) über der Glut ausgestreckt
wurde, als das schmelzende Fett ins Feuer
tropfte und das Feuer alle seine Glieder anzündete,
erhob er die Augen zum Himmel und sagte:
„Gesegnet seist du, mein Gott und mein Schöpfer,
Jesus Christus! Ich spüre, dass ich in meinen
Lebenstagen nicht gut gelebt habe, und ich sehe
ein, dass ich wenig für deine Ehre getan habe.
Aber da deine Barmherzigkeit so groß ist, bitte
ich dich, dass du nach deiner Barmherzigkeit an
mir handelst.“ Und mit diesen Worten wurde die
Seele vom Körper getrennt.
Sieh, meine Tochter: Er, der meinen Sohn so
innig liebte und zu seiner Ehre so viel
erduldete, hielt sich dennoch für unwürdig,
das Himmelreich zu gewinnen! Wie könnten dann
die, die nach seinem Willen leben, dessen würdig
sein? Betrachte daher ständig das Leiden meines
Sohnes und seiner Heiligen! Denn sie litten dies
alles nicht ohne Grund, sondern um anderen ein
Beispiel zu geben, wie man leben soll, und um zu
zeigen, welch schwere Strafen mein Sohn den Sündern
auferlegt, er, der nicht will, dass keine
einzige Sünde ohne Buße bleibt.
Dann kam der Sohn, redete und sprach zur Braut:
„Ich sagte dir vorher, was es in unserem Häusern
geben soll. Unter anderen Dingen muß es da
Kleider von dreifacher Art geben. Erstens
Leinenkleider, die von der Erden stammen und
dort gewachsen sind. Ferner Felle, die von den
Tieren stammen. Drittens Seide, die von den
Seidenraupen kommt.
Das Leinen-Kleid hat zwei gute Eigenschaften.
Erstens ist es weich und behaglich für den
nackten Körper. Zweitens verliert es nicht
seine Farbe, sondern je öfter es gewaschen
wird, desto sauberer wird es. Die andere
Kleidersorte, nämlich Fell, hat auch zwei
Eigenschaften. Erstens bedeckt es die Bloße,
zweitens wärmt es gegen die Kälte. Die dritte
Kleidersorte, nämlich Seide, hat auch zwei
Eigenschaften. Erstens sieht sie sehr hübsch
und fein aus, zweitens ist sie sehr teuer zu
kaufen.
Das Leinenkleid, das geeignet ist, ganz nah am Körper
getragen zu werden, bezeichnet Frieden und
Eintracht. Das soll die fromme Seele mit ihrem
Gott haben: sie soll Frieden mit ihrem Gott
haben, soll nichts anderes wollen, als was Gott
will, und ihn nicht durch ihre Sünden reizen,
denn es herrscht kein Frieden zwischen Gott und
Seele, wenn sie nicht vor der Sünde flieht und
das böse Begehren nicht gezügelt wird.
Sie muß auch Frieden mit ihrem Nächsten haben,
d.h. ihm nichts Böses zufügen, sondern ihm
helfen, wenn sie kann, und ihm verzeihen, wenn
er ihr Unrecht getan hat. Denn was beunruhigt
und quält die Seele schlimmer, als immer
Begierde nach Sünde zu haben und nie davon
genug zu bekommen, immer danach zu begehren und
niemals satt zu werden? Und was sticht die Seele
bitterer, als dem Höchsten zu zürnen und ihn
um seine Güter zu beneiden? Daher soll die
Seele mit Gott und dem Nächsten Frieden haben,
denn nichts kann mehr beruhigen, als der Sünde
aus dem Weg zu gehen und sich um weltliche Dinge
nicht zu kümmern. Nichts ist auch angenehmer,
als sich über das Gut des Nächsten zu freuen,
und ihm dasselbe zu wünschen, wie sich selbst.
Dieses Leinenkleid sollte ganz nah am Körper
getragen werden, denn dem Herzen, in dem Gott
ruhen will, ist der Friede näher als andere
Tugenden, und dort sollte er zuerst wohnen.
Dieser Frieden kommt ebenso wie das Linnen aus
der Erde und ist da gewachsen, denn der wahre
Friede und die Geduld entsteht durch das
Betrachten der eigenen Schwachheit. Der Mensch,
der von der Erde stammt, möge also seine eigene
Schwachheit betrachten; er gerät gleich in
Zorn, wenn er beleidigt wird, und ist gleich
betrübt, wenn er irgendeinen Schaden leidet.
Wenn er das bedenkt, wird er einem anderen
nichts antun, was er selbst nicht dulden kann,
und er wird bei sich selber denken: „So wie
ich, ist auch mein Nächster schwach; so wie ich
so etwas nicht dulden will, so kann er es auch
nicht.“
Da verliert der Frieden seine Farbe nicht, d.h.
seine Haltbarkeit, sondern wird umso
wahrhaftiger, denn wenn der Mensch die
Schwachheit des Nächsten in sich selbst
betrachtet, macht ihn das bereit, zugefügtes
Unrecht zu ertragen. Aber wenn der Friede
irgendwie durch Ungeduld getrübt wird, so wird
er bei Gott umso heller, je öfter und je
schneller er durch Reue und Buße reingewaschen
wird. Und der Mensch wird auch froher und
behutsamer etwas zu ertragen, je öfter er sich
reinwäscht, nachdem er verbittert war, denn er
freut sich ja auf die Belohnung, die er für
seine Friedfertigkeit zu erlangen hofft, und
nimmt sich umso gewissenhafter in Acht, dass er
nicht durch Ungeduld zu Fall kommt.
Das andere Kleidungsstück, nämlich das Fell,
bezeichnet Werke der Barmherzigkeit. Fallkleider
werden aus dem Fell von toten Tieren
hergestellt. Wer sind diese Tiere anderes, wenn
nicht meine Heiligen, die einfältig wie Tiere
sind? Mit ihrem Fellkleid müssten die Seelen
bedeckt werden, d.h. sie sollten ihren Werken
der Barmherzigkeit nacheifern und sie tun.
Diese Felle tun zwei gute Dinge. Erstens
bedecken sie die Blöße der sündigen Seele und
machen sie rein, so dass sie mir nicht befleckt
vor Augen treten kann. Zweitens schützt sie die
Seele vor Kälte. Was ist die Kälte der Seele
anderes, wenn nicht die Verhärtung der Seele
gegen meine Liebe? Gegen diese Kälte taugen
Werke der Barmherzigkeit, die die Seele
bekleiden, so dass sie nicht vor Kälte vergeht.
Durch sie besucht nämlich Gott die Seele, und
sie kommt Gott beständig näher.
Das dritte Kleid, nämlich die Seide, die von
Seidenraupen hergestellt wird und sehr teuer zu
kaufen ist, bezeichnet die reine Enthaltsamkeit.
Die ist nämlich in den Augen Gottes, der Engel
und der Menschen schön. Sie ist auch teuer zu
erkaufen, denn es scheint dem Menschen schwer,
seinen Mund von vielem und unnütz gem Reden zu
enthalten. Es erscheint ihm schwer, das Begehren
seines Fleisches nach unmäßigem Überfluß und
von Üppigkeit zu zügeln, und es erscheint ihm
schwer, gegen seinen eigenen Willen anzugehen.
Aber wenn das auch schwer ist, ist es doch überaus
nützlich und schön.
Deshalb, meine Braut – mit dir meine ich alle
Gläubigen – laß uns im anderen Hause Frieden
mit Gott und dem Nächsten sammeln, Werke der
Barmherzigkeit, die darin bestehen, mit den
Elenden Mitleid zu haben und ihnen beizustehen,
und Enthaltsamkeit von Begierden, was – obwohl
sie wertvoller als andere Ding ist – auch schöner
ist, ja so schön, dass keine andere Tugend ohne
sie schön zu sein scheint. Diese Enthaltsamkeit
soll man von den Raupen abgucken, d.h. durch das
Bedenken seiner Sünden gegen mich, ihren Gott,
gegen meine Demut und Enthaltsamkeit, ich, der
ich um des Menschen willen bleich wie eine Raupe
wurde.
Der Mensch sollte nämlich in seiner Seele
bedenken, wie und wie oft er gegen mich gesündigt
hat, und in welcher Weise er sich gebessert hat
– und dabei soll er entdecken, dass er mit
keiner Enthaltsamkeit und keine Mühe das
ausreichend bessern kann, was er mir so oft
angetan hat. Er sollte auch meine Pein und die
meiner Heiligen bedenken, wozu wir dies alles
ertragen haben, und er möge wahrhaftig
verstehen, dass, wenn ich so schwere Dinge von
mir und meinen Heiligen verlange, die mir
gehorsam waren, eine umso schwerere Strafe von
denen fordern werde, die mir nicht gehorchen.
Also soll die gute Seele sich willig
Enthaltsamkeit auferlegen und bedenken, wie böse
ihre Sünden sind, die an der Seele wie Würmer
nagen, und wie sich von den elenden Raupen
kostbare Seide entwickelt, nämlich reine
Enthaltsamkeit in allen ihren Gliedern, worüber
sich Gott und die ganze himmlische Heerschar
freut. Wenn sie das sammelt, wird sie ewige
Freude verdienen, und wenn ihr diese
Enthaltsamkeit nicht beigestanden hätte, hätte
sie ewigen Kummer erhalten.“
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27.
Kapitel
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Christus beendet seine
Ermahnungsrede, indem er auf den Nutzen von
Versuchungen hinweist, auf die Verpflichtung der
Guten, an der Bekehrung der Mitmenschen zu
arbeiten, sowie auf die Wichtigkeit dessen, dass
man gewissenhaft seine Sünden bekennt. Zuletzt
schärft er die Bedeutung der Hoffnung und der
Gottesliebe ein.
Gottes Sohn
sprach zur Braut und sagte: ”Ich sagte dir
vorher, dass sich in dem dritten Haus Geräte
von dreierlei Art befinden sollten. Zuerst Gefäße,
in denen Flüssigkeiten enthalten sind. Zweitens
Werkzeuge, mit denen das Land außerhalb des
Hauses bearbeitet werden kann, wie Egge und Axt
und solche, mit denen zerbrochene Dinge
repariert werden können. Drittens lebende
Tiere, wie Esel, Pferde und dergl., mit denen
lebende und tote Dinge befördert werden können.
Aber im ersten Haus, wo die Flüssigkeiten sind,
muß es Geräte von drei Sorten geben. Erstens
Gefäße oder Behälter, in denen Flüssigkeiten
wie Wasser, Öl und Wein aufbewahrt werden. Im
zweiten Behälter oder Gefäße, in denen
bittere und festere Dinge wie Senf, Mehl und
solche Dinge aufgehoben werden.
Kannst du verstehen, was dies bedeutet? Die Flüssigkeiten
bezeichnen sicher gute und schlechte Gedanken
der Seele. Der gute Gedanke ist nämlich wie ein
liebliches Öl und wie ein angenehmer Wein, aber
der schlechte Gedanke ist wie bitterer Senf,
denn er macht die Seele bitter und unruhig. Und
wie der Mensch bisweilen starke Getränke
braucht, die – wenn sie auch nicht viel zum
Unterhalt des Körpers beitragen – doch zur
Reinigung und Heilung des Körpers und Gehirns
dienen – so machen schlechte Gedanken die
Seele sicher nicht fett und machen sie nicht
satt, wie es das Öl der guten Gedanken tut,
aber sie tragen doch zur Reinigung der Seele
bei, wie der Senf zu der des Hirns. Denn wenn
nicht manchmal schlechte Gedanken aufsteigen würden,
wäre der Mensch ein Engel und kein Mensch, und
er würde glauben, dass er alles von sich selber
hätte.
Daher ist es notwendig, damit der Mensch seine
Schwachheit versteht, die er von sich selber
hat, und seine Stärke, die er von mir hat, dass
ich ihn in meinem großen Erbarmen manchmal von
schlechten Gedanken versuchen lasse, die –
soweit der Mensch ihnen nicht zustimmt, eine
Reinigung für seine Seele und ein Schutz für
seine Tugenden sind. Und wenn sie auch bitter
wie Senf zu ertragen sind, so heilen sie doch in
hohem Maß die Seele und führen sie zum ewigen
Leben und zur Gesundheit, die er nicht ohne
Bitterkeit gewinnen kann.
Daher muß das Gefäß der Seele, in dem gute
Gedanken verwahrt werden sollen, fleißig in
Ordnung gehalten und ständig gereinigt werden,
denn es ist nützlich, dass auch schlechte
Gedanken entstehen, zur Prüfung und zu größerem
Verdienst des Menschen, aber die Seele soll
genau darauf achten, dass sie ihnen nicht
beipflichtet und sich an ihnen erfreut – sonst
wird die Süßigkeit der Seele ausgegossen, und
nur die Bitterkeit bleibt übrig.
Auch in dem zweiten Haus soll es zwei Arten von
Geräten geben. Erstens solche zum Gebrauch außer
Haus, mit denen die Erde draußen für die Saat
bereitet und Unkraut vernichtet wird, wie Pflug
und Egge. Zweitens Werkzeuge, die nützlich sind
für das, was innerhalb und außerhalb des
Hauses notwendig ist, wie eine Axt und dergl.
Die Geräte, mit denen das Land bearbeitet wird,
bezeichnen die Sinne des Menschen, die zum
Nutzen des Menschen wie der Pflug für den Boden
eingerichtet sein sollen. Schlechte Menschen
sind wie der Erdboden, denn sie denken immer nur
an das Irdische. Sie sind zu dürr, um Reue für
ihre Sünden zu empfinden, denn die Sünde
rechnen sie für nichts. Sie sind kalt in der
Gottesliebe, denn sie suchen nichts anderes, als
ihren Willen. Sie sind schwerfällig, Gutes zu
tun, aber rasch dabei, die Ehre der Welt zu
suchen. Daher soll der gute Mann sie durch seine
äußeren Sinne veredeln, wie ein guter Bauer
die Erde mit dem Pflug verbessert. Erst soll er
sie mit seinem Mund veredeln, indem er das zu
den Menschen sagt, was für die Seele nützlich
ist, und sie lehrt, den Weg des Lebens zu gehen,
und mit der Tat das Gute tut, das er kann, so
dass sein Nächster durch Worte unterwiesen und
ermuntert wird, Gutes zu tun.
Dann soll er mit den übrigen Gliedern seinen Nächsten
veredeln, damit dieser Frucht bringt, und zwar
mit einfältigen Augen, die das nicht sehen, was
das Ehrgefühl verletzt, damit sein unverschämter
Nächster lernt, in allen Gliedern sittsam zu
sein. Er soll ihn mit Ohren veredeln, die etwas
Unpassendes nicht hören, und mit Füßen, die
schnell dabei sind, Gottes Werke zu tun. Dem auf
diese Weise bearbeiten Boden will ich, Gott,
durch die Arbeit des Landmanns den Regen meiner
Gnade geben, und der Arbeiter wird sich über
die Frucht der vorher dürren Erde freuen, wenn
dort die Saat zu spießen beginnt.
Die Werkzeuge, die erforderlich sind, um die
Dinge innerhalb des Hauses zu bearbeiten, wie
die Axt und dergleichen, bezeichnen die kluge
Absicht zum Handeln und gottesfürchtig darauf
Achtzugeben. Denn das Gute, das der Mensch tut,
soll er nicht wegen Ehrenbezeugungen der
Menschen tun, sondern aus göttlicher Liebe zur
ewigen Vergeltung. Deshalb soll der Mensch seine
Werke genau prüfen und untersuchen, in welcher
Absicht oder für welchen Lohn er sie tut, und
wenn er da irgendwelche Hoffart in seinem Tun
findet, so soll er sie gleich mit der Axt der
Klugheit abhauen, so dass er – wie er außerhalb
des Hauses seinen Nächsten veredelt, der
sozusagen außerhalb des Hauses ist, d.h. der
auf Grund seiner bösen Taten außerhalb der
Gemeinschaft meiner Freunde ist, so soll er im
Innern Frucht durch göttliche Liebe bringen.
Denn wie der Bauer, der kein Werkzeug hat, womit
er kaputte Sachen reparieren kann, bald sehen muß,
dass seine Arbeit vergeblich ist, so gelangen
auch die Werke des Menschen nicht zur
Vollkommenheit, wenn er sie nicht mit Klugheit
prüft, wie sie erleichtert werden könnten,
wenn sie allzu mühsam scheinen, und wie sie in
Ordnung gebracht und verbessert werden können,
wenn sie irgendwie entzweigegangen sind. Deshalb
soll man nicht nur fleißig am Äußeren
arbeiten, sondern auch das Innere gewissenhaft
beobachten, wie und in welcher Absicht
gearbeitet wird.
Im dritten Haus soll es lebende Geräte geben,
die tote und lebende Dinge transportieren –
wie Pferde, Esel und andere Tiere. Diese
Werkzeuge sind das wahre Sündenbekenntnis. Dies
ist es nämlich, was das Lebende und Tote in
Bewegung setzt. Was bezeichnet das Lebende
anders als die Seele, die durch meine Gottheit
geschaffen ist und in Ewigkeit lebt?
Durch das wahre Bekenntnis kommt man Gott täglich
immer näher. Denn wie das Tier umso stärker
wird, Lasten zu tragen, und schöner anzusehen
ist, je sorgsamer und besser es gefüttert wird,
so stärkt das Bekenntnis auch die Seele, je öfter
es geschieht, und je gewissenhafter die Seele
Rechenschaft über das Geringste und das Größte
ablegt, und sie gefällt Gott so sehr, dass er
die Seele in Gottes Herz hineinführt.
Und was bezeichnet das Tote, das das Bekenntnis
auch befördert, anderes als die guten Werke,
die durch die Todsünde sterben? Denn die guten
Werke, die durch Todsünden sterben, sind tot für
Gott – nichts Gutes kann Gott nämlich
gefallen, wenn nicht zuerst die Sünde durch den
vollkommene Willen oder das Tun zurechtgebracht
wird.
Süße und stinkende Dinge können ja nicht
gleichzeitig in einem Gefäß stecken. Aber wenn
jemand seine guten Taten durch Todsünden
zunichte macht und dann ein wahres Bekenntnis über
die begangenen Sünden ablegt, mit dem Willen,
sich zu bessern und sich in Zukunft in Acht zu
nehmen, so werden die guten Werke, die vorher
tot waren, durch das Bekenntnis und die Tugend
der Demut gleich wieder zum Leben erweckt und
gereichen dem Mann zum Gewinn für die ewige Erlösung.
Wenn er stirbt, ohne ein Sündenbekenntnis
abgelegt zu haben, können die guten Werke gewiß
nicht sterben oder zunichte werden, aber er kann
auf Grund der Todsünde auch ihretwegen nicht
das ewige Leben gewinnen. Doch können sie eine
leichtere Strafe für ihn oder Erlösung für
andere bewirken, wenn er diese guten Taten mit göttlicher
Absicht und zu Gottes Ehre getan hat. Aber wenn
er diese Werke für weltliche Ehre und zum
eigenen Nutzen getan hat, dann werden diese
Taten zunichte, wenn der, der sie getan hat,
stirbt, denn er hat ja seinen Lohn von der Welt
erhalten, für die er gearbeitet hat.
Deshalb, meine Braut (mit dir meine ich alle
meine Freunde), wollen wir in unseren Häusern
die Dinge sammeln, durch die Gott mit der
frommen Seele geistlich erfreut werden will. Im
ersten Haus sollten wir zuerst das Brot des
ehrlichen Wollens sammeln, indem wir nichts
anderes wollen als das, was Gott will, ferner
das Getränk des göttlichen Erwägens, indem
wir uns nichts anderes vornehmen, ohne an Gottes
Ehre zu denken, drittens die Zukost der göttlichen
Weisheit, indem wir stets daran denken, was
geschehen wird, und wie das Gegenwärtige
geordnet werden soll.
Im zweiten Haus sollen wir Frieden mit Gott
sammeln, indem wir uns von Sünden fernhalten,
und Frieden mit dem Nächsten haben, indem wir
uns von Zwist fernhalten. Weiter Werke der
Barmherzigkeit, mit denen wir dem Nächsten nützlich
sind; drittens vollkommene Enthaltsamkeit, womit
wir das bezähmen, was den Frieden stören will.
Im dritten Haus sollen wir vernünftige und gute
Gedanken sammeln, um unser Haus innen auszuschmücken,
zweitens wohl gezügelte und bezähmte Sinne, um
unsere Freunde nach außen hin zu erleuchten.
Drittens ein wahres Sündenbekenntnis, wodurch
wir wieder aufleben können, falls wir krank
werden.
Aber wenn auch die Häuser da sind, kann das
Gesammelte doch nicht darin verwahrt werden,
wenn sie keine Türen haben, und die Türen können
nicht ohne Scharniere hängen und nicht ohne
Schlösser aufgeschlossen werden. Deshalb muß,
damit das Gesammelte unbeschädigt bleibt, im
Hause eine Tür angebracht werden, in der festen
Hoffnung, dass nicht irgendwelchen Feinden
eingebrochen wird.
Diese Hoffnung soll zwei Angelpunkte haben, was
bedeutet, dass der Mensch nicht verzagen soll,
Ehre zu gewinnen, sondern sich in jeder Widerwärtigkeit
mit Gottes Barmherzigkeit trösten und auf
bessere Dinge hoffen soll. Das Türschloss soll
aber die göttliche Liebe sein, womit die Tür
versiegelt werden soll, so dass kein Feind
hineinkommen kann. Denn was nützt es, eine Tür
ohne Schloß und eine Hoffnung ohne Liebe zu
haben. Wenn jemand auf ewigen Lohn und auf
Gottes Barmherzigkeit hofft, aber dabei Gott
nicht liebt und fürchtet, dann hat er sozusagen
eine Tür ohne Schloß, durch dir der Todfeind
eindringen kann, wann er will, und ihn töten
kann.
Die richtige Hoffnung liegt darin, dass der, der
hofft, auch das Gute tut, was er kann. Er kann
ja das Himmlische nicht gewinnen, wenn er das
Gute gewusst hat und es hätte tun können, aber
es nicht wollte. Wenn aber jemand versteht, dass
er in dir Irre gegangen ist und nicht das getan
hat, was er gekonnt hätte, so soll er den guten
Willen haben, das Gute zu tun, was er kann, und
wenn er es mit der Tat nicht tun kann, so soll
er fest hoffen, dass er Gott auch durch seinen
guten Willen und die göttliche Liebe nahen
kann.
Also muß die Tür d.h. die Hoffnung, durch göttliche
Liebe befestigt werden, und wie das Schloß
innen viele Zacken hat, so dass es der Feind
nicht öffnen kann, so muß man in der göttlichen
Liebe darauf achten, Gott nicht zu verletzen,
und sich liebevoll fürchten, nicht von ihm
abzuirren, weiter brennend darum besorgt zu
sein, wie Gott geliebt werden, und wie man ihm
nachfolgen kann. Außerdem soll man betrübt
sein, dass man nicht so viel tun kann, wie man
es gern wollte, und wozu man sich verpflichtet hält,
und man soll Demut haben, so dass der Mensch im
Hinblick auf seine Sünden das Gute, das er tut,
für nichts erachtet. Mit diesen Zacken muß das
Schloß gesichert werden, so dass nicht der
Teufel das Schloß der Liebe leicht öffnen und
seine eigenen falsche Liebe hineinstecken kann.
Der Schlüssel, mit dem das Schloß geöffnet
und verschlossen wird, soll unsere Sehnsucht
nach Gott allein sein, im Zusammenwirken mit göttlicher
Liebe und göttlichem Wirken, so dass der
Mensch, auch wenn er es könnte, nichts außer
Gott haben will, und dies um seiner großen
Liebe willen. Diese Sehnsucht schließt Gott in
der Seele ein und die Seele in Gott, denn beider
Wille ist ein und derselbe.
Nur Mann und Frau, d.h. Gott und die Seele,
sollen diesen Schlüssen haben, so dass Gott, so
oft er will, eintreten und sich am Guten, d.h.
den Tugenden der Seele erfreuen will, dank dem
Schlüssel beständiger Sehnsucht freien
Eintritt haben kann. Und so dass auch die Seele,
so oft sie in Gottes Herz eingehen will, das
frei können soll, da sie nichts anderes
ersehnt, als Gott. Dieser Schlüssel wird durch
die Wachsamkeit der Seele und das Wachen über
ihre Demut aufbewahrt, wodurch sie Gott all das
Gute zuschreibt, das sie besitzt, und der Schlüssel
wird auch durch Gottes Macht und Gottes Liebe
aufbewahrt, so dass die Seele nicht vom Teufel
betört wird. Siehe, meine Braut, wie groß
Gottes Liebe zur Seele ist! Steh deshalb fest
und tu meinen Willen!“
|
28.
Kapitel
|
Christus tröstet
Birgitta, die unsicher geworden ist, ob die von
ihr gesprochenen Worte wahr und von Gott
eingegeben sind.
Der Sohn
sprach zur Braut und sagte: ”Warum betrübst
du dich so darüber, dass dieser Mann behauptet,
meine Worte sein falsch? Werde ich durch seine
Schmähungen etwa schlechter, oder durch sein
Lob besser? In Wahrheit, ich bin unveränderlich;
meine Ehre kann nicht vermindert oder vermehrt
werden, und ich brauche gar kein Lob. Aber wenn
der Mensch mich lobt, nützt er sich selbst
damit, nicht mir.
Aus meinem Mund – ich bin ja die Wahrheit –
ist niemals eine Unwahrheit ausgegangen und kann
nicht ausgehen, denn alles, was ich durch die
Propheten oder durch meine anderen Freunde
geredet habe, das soll in Erfüllung gehen,
entweder geistlich oder körperlich. Es war
nicht darum falsch, dass ich einmal eins gesagt
habe, ein andermal etwas anderes, dass ich mich
einmal deutlicher, einmal dunkler ausdrückte.
Denn um die Zuverlässigkeit meiner Treue zu
beweisen, und um die Sorgfalt meiner Freunde zu
erproben, habe ich vieles gezeigt, was alles
nach den verschiedenen Wirkungen meines Geistes
auf verschiedene Weise von Guten und Bösen gut
oder schlecht verstanden werden kann, so dass
sie in ihren verschiedenen Situationen etwas
haben, womit verschiedene Menschen verschiedene
Dinge im Dienst des Guten wirken können.
Denn so wie ich meine Göttlichkeit und meine
Menschlichkeit in einer Person vereinigt habe,
so redete ich manchmal auf meinen Wegen als
Mensch – soweit das mit der Göttlichkeit
vereinbar war, manchmal auf den Wegen meiner Göttlichkeit,
die ja der Schöpfer meiner Menschengestalt war,
wie es aus meinem Evangelium hervorgeht.
Und so waren meine Worte, obwohl die Lästerer
und die Unwissenden sie uneinheitlich finden,
dennoch wahr und wahrheitsgemäß. Es geschah
auch nicht ohne Grund, dass ich manches auf
dunkle Weise mitteilte, denn es war richtig,
dass mein Ratschluss etwas verdunkelt werden
sollte, so dass die Bösen es nicht fassen
sollten, und jeder Gute eifrig auf meine Gnade
harren und Belohnung für sein Warten gewinnen
sollte. Denn wenn mein Ratschluss eine Zeitlang
ausgeblieben wäre, hätten alle auf Grund der
langen Wartezeit mit ihrem Harren und ihrer
Liebe aufgehört.
Ich habe viel versprochen, was aber von den
Menschen, die damals lebten, aus Undankbarkeit
nicht beachtet wurde. Wenn sie mit ihrer Bosheit
aufgehört hätten, hätte ich ihnen sicher das
beschert, was ich versprochen hatte. Daher
sollst du nicht betrübt sein, dass man meine
Worte beschuldigt, sie seien lügenhaft, denn
was Menschen unmöglich scheint, das ist für
mich möglich. Meine Freunde wundern sich auch
darüber, dass den Worten nicht gleich die Taten
folgen. Aber das ist nicht ohne Grund so.
Wurde Mose nicht zu Pharao gesandt? Und doch
zeigten sich nicht gleich die Zeichen! Warum?
Ja, wenn die Zeichen und Taten gleich gekommen wären,
so wäre Pharao´s Verstockung nicht offenbar
geworden, und auch hätten sich Gottes Macht und
Wundertaten nicht gezeigt. Nichtsdestoweniger wäre
Pharao für seine Bosheit verurteilt worden,
auch wenn Mose nicht gekommen wäre, obwohl
seine Verstockung da noch nicht so offenbar
geworden wäre.
So wird es auch jetzt geschehen. Bleib daher
standhaft und tapfer. Wenn der Pflug auch von
den Ochsen gezogen wird, so wird er doch nach
dem Willen des Pflügers gelenkt. So sollen auch
meine Worte, obwohl ihr sie hört und seht, doch
nicht nach eurem Willen fortschreiten und
vollendet werden, sondern nach meinem, denn ich
weiß wie die Erde beschaffen ist, und wie sie
gepflügt werden soll. Ihr sollt all euren
Willen also mir überlassen und sagen: „Dein
Wille geschehe!“
|
29.
Kapitel
|
Johannes der Täufer
schildert Birgitta Gottes Liebe zur
Menschenseele und ermahnt sie, sich
vorweltlichen Lockungen und ehrgeizigen Gedanken
in Acht zu nehmen.
Johannes
der Täufer sprach zu Christi Braut und sagte:
„Der Herr Jesus hat dich aus dem Dunkel zum
Licht berufen, aus Unreinheit zu vollkommener
Reinheit, aus der Enge in die Weite. Wer kann da
erklären, wie sehr du ihm dafür danken musst,
oder wenn du dazu im Stande bist? Doch sollst du
so viel tun, wie du vermagst.
Es gibt einen Vogel, der „Elster“ genannt
wird. Er liebt seine Jungen, denn die Eier, aus
denen sie hervorgehen, waren in seinem
Mutterleib. Dieser Vogel macht sich ein Nest aus
altem Zeug und verschlissenen Sachen aus drei Gründen:
Erstens, um zu ruhen, zweitens, um einen Schutz
vor Regen und schwerer Dürre zu haben,
drittens, um dort seine Jungen aufzuziehen, die
aus den Eiern schlüpfen, indem sich der Vogel
in seiner Liebe auf die Eier setzt, um sie zu wärmen
und die Jungen auszubrüten.
Wenn die Jungen ausgeschlüpft sind, lockt die
Mutter sie auf drei Arten zum Fliegen. Erstens
damit, dass sie ihnen das Futter zeigt, zweitens
durch unausgesetztes Rufen, und drittens, indem
sie ihnen ein Beispiel mit ihrem Fluge gibt. Da
die Jungen die Mutter lieben und an ihr Futter
gewöhnt sind, wagen sie sich so allmählich aus
dem Nest und folgen der Mutter. Dann fliegen sie
immer länger, je nach ihren Kräften, bis sie
es durch Gewohnheit und Kunst voll beherrschen.
Dieser Vogel ist Gott, der ewig ist und sich
niemals ändert. Aus dem Schoße seiner Gottheit
gehen alle vernunftbegabten Seelen hervor. Für
jede Seele wird ein Nest aus altem Zeug und
verschlissenen Sachen bereitet, denn im Körper,
der aus Erde ist und mit der Seele vereinigt
wird, nährt Gott die Seele mit der Speise guter
Wünsche, verteidigt sie gegen die Vögel
schlechter Gedanken, und schenkt ihnen
Sicherheit vor den Regenschauern böser
Handlungen.
Jede Seele wird mit dem Körper aus dem Grund
vereint, dass die Seele diesen Körper steuern
soll und nicht etwa von ihm gelenkt wird, und
dass sie den Leib zur Arbeit ermuntern und in
vernünftiger Weise für ihn sorgen soll. Daher
lehrt Gott die Seele wie eine Mutter,
Fortschritte zum Besseren zu machen. Er lehrt
sie, aus der Enge hinaus ins Weite zu drängen.
Zuerst tut er das durch Nahrung, indem er einer
jeden Verstand und Einsicht nach Vermögen gibt
und die Sinne lehrt, zu beurteilen, was man wählen
soll, und was zu vermeiden ist. Wie die
Vogelmutter die Jungen erst über den Rand des
Nestes führt, so soll der Mensch zuerst lernen,
an das Himmlische zu denken und daran zu denken,
wie eng und elend das Nest des Körpers ist, und
wie strahlend das Himmlische und wie lieblich
das Ewige ist.
Gott lenkt die Seele ebenso durch seine Stimme,
mit der er ruft: „Wer mir nachfolgt, wird das
Leben haben; wer mich liebt, wird nicht
sterben.“ Diese Stimme führt zum Himmel. Wer
sie nicht hört, ist entweder taub oder auch
undankbar gegen die Mutterliebe. Drittens leitet
Gott die Seele durch seinen Flug, d.h. das
Abbild seiner Menschlichkeit. Diese ehrenreiche
Menschlichkeit hat gleichsam zwei Schwingen:
Erstens, da alle Reinheit und nichts Beflecktes
in Gott vorhanden war, zweitens, weil er alles
gut gemacht hat, und mit diesen beiden Flügeln
flog Gottes Menschlichkeit in der Welt. Dem soll
die Seele folgen, so gut sie es vermag, und kann
sie es nicht im Handeln, soll sie es zumindesten
mit dem Willen tun.
Wenn das Junge fliegt, muß es sich jedoch vor
drei Dingen hüten. Erstens vor den wilden
Tieren. Es soll nicht bei ihnen auf dem Felde
sitzen, denn das Junge ist nicht so stark wie
sie. Zweitens soll es sich vor Raubvögeln in
Acht nehmen, denn das Junge ist noch nicht so
schnell im Fliegen, wie diese Vögel, und daher
ist es sicherer für ihn, noch im Versteck zu
bleiben. Drittens soll es sich hüten, nach der
Lockspeise zu verlangen, die eine Schlinge
birgt.
Die wilden Tiere, von denen ich sprach, sind die
Vergnügungen und Begierden der Welt. Vor denen
soll das Vogeljunge sich in Acht nehmen, denn
sie scheinen herrlich zu schmecken, gut zu
besitzen und schön zu betrachten sein, aber
wenn man glaubt, sie zu behalten, verschwinden
sie schnell, und wenn man glaubt, dass sie
belustigen, verletzen sie unbarmherzig.
Zweitens soll das Junge sich vor raubgierigen Vögeln
hüten, nämlich dem Hochmut und dem Ehrgeiz.
Die wollen immer höher und höher
hinaufsteigen, andere Vögel übertreffen und
die hassen, die niedriger sind als sie. Vor
diesen soll das Junge sich in Acht nehmen, und
es soll sich bemühen, im Versteck der Demut zu
verharren, so dass es nicht hochmütig auf die
Gnadengaben schaut, die es bekommen hat, dass es
nicht die verachtet die geringer sind, und
weniger Gnade empfangen haben, und denkt sich,
besser zu sein als sie.
Drittens soll es sich vor dem Köder in Acht
nehmen, der eine Schlinge verbirgt. Hiermit ist
die Freude der Welt gemeint. Denn das Gute
scheint Lügen auf den Lippen und Lust im Leib
zu haben, aber darin verbirgt sich ein Stachel.
Unmäßige Lüge leitet nämlich zu unmäßiger
Freude, und die Wollust des Körpers bringt
Unstetigkeit im Sinn mit sich, woraus Trauer im
Tode und vorher Trübsal folgt. Eile dich daher,
Tochter, und steig aus deinem Nest durch dein
Verlangen nach dem Himmlischen aus. Hüte dich
vor den wilden Tieren des Begehrens und vor den
Vögeln des Hochmuts. Hüte dich vor dem Köder
der eitlen Freude.“
Dann sprach die Mutter zur Braut und sagte: „Hüte
dich vor dem Vogel, der mit Teer beschmutzt ist,
den alle, die ihn berühren, werden befleckt.
Der Vogel ist die Freundschaft der Welt, unstet
wie die Luft, abscheulich durch sein Erwerben
von Gunst und seine schlechte Gesellschaft. Kümmere
dich nicht um Ehrenbezeugungen, achte nicht auf
Gunst, schau nicht auf Komplimente oder Tadel,
denn von all dem entsteht Unstetigkeit in der
Seele und Verminderung der göttlichen Liebe.
Bleib also beständig. Gott, der begonnen hat,
dich aus dem Nest zu holen, wird dich nämlich
bis zum Tod ernähren, und nach dem Tode wirst
du auch keinen Hunger leiden. Er wird dich vor
schmerz beschützen und dich im Leben
verteidigen, und nach dem Tode sollst du nichts
zu fürchten haben.“
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30.
Kapitel |
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Diese Offenbarung, die
nach dem Zusatz in Revelationes extra vagantes,
Kap. 108 am 2. Februar 1349 in der Domkirche in
Skara empfangen wurde, hebt die Frömmigkeit des
1317 verstorbenen Bischofs von Skara Brynolf
Algottson hervor. Wie wir aus der Geschichte
wissen, gab dieser den Anlass zu einem neuen
Heiligenkult, der dem Heiligen Brynolf aus Västergötland
gewidmet war.
Maria sprach
zum Sohn und sagte: „Mein Sohn, schenk deiner
neuen Braut, dass dein allerwürdigster Leib in
ihrem Herzen Wurzel schlägt, so dass sie in dir
verwandelt wird und von deiner Freude erfüllt
wird.“ Dann sagte sie: „Als dieser heiligen
Mann[1] auf Erden lebte, war er stetig im heiligen
Glauben wie ein Berg. Kein Widerstand brach ihn,
keine Lust warf ihn zurück. Er war auch fügsam
nach deinem Willen wie der bewegliche Wind, wohin
ihn deines Geistes Kraft auch zog. Er war außerdem
brennend wie Feuer in deiner Liebe, in dem er die
Kalten wie Feuer erwärmte und die Bösen
verzehrte. Nun lebt seine Seele mit dir in Ehren,
aber das Gefäß seines Leibes ist erniedrigt und
liegt an einem einfacheren Platz als er sollte.
Gib daher, mein Sohn, dass sein Leib erhöht
werde; ehre ihn, denn er hat dich geehrt, soviel
er konnte, und erhöhe ihn, denn durch sein Wirken
hat er dich erhöht, soviel er konnte.“
Der Sohn erwiderte: „Gesegnet seist du, denn du
lässt nichts unberührt, was deinen Freunden gehört.
Wie du siehst, Mutter, gehört es sich nicht, dass
die beste Speise den Wölfen gegeben wird. Es gehört
sich nicht, dass der Saphir, der die Glieder
frisch erhält und kranke Glieder stärkt, in den
Dünensand gelegt wird. Es passt sich auch nicht,
dass das Licht für die Blinden angezündet wird.
Dieser Mann war gewiß standhaft im Glauben und glühend
in Liebe. Auch in seiner Enthaltsamkeit war er
hervorragend auf meinen Willen ausgerichtet.
Deshalb schmeckte er mir wie die beste Speise,
wohlgemut in aller Geduld und Trübsal, gut im
Wollen und im Verlangen, besser im Eifer und
mannhaft in seinem Vorgehen, am besten und schönsten
in lobenswerter Vollkommenheit. Daher gehört es
sich nicht, dass eine solche Speise den Wölfen
vorgesetzt wird, deren böse Gier keine Sättigung
kennt, deren Begierde die Kräuter der Tugend
ausreißt und gern verfaultes Fleisch annimmt, und
deren heimtückische Stimme schädlich für alle
Schafe ist.
Er war durch die Klarheit seiner Berühmtheit und
seiner Lebensweise sogar wie ein Saphir in einem
Ring, wodurch er sich als Bräutigam seiner
Kirche, als Freund seines Herrn und als Bewahrer
des heiligen Glaubens und als Verächter der Welt
erwies. Deshalb, liebste Mutter, gehört es sich
nicht dass ein Liebender von so großer Güte, ein
so reiner Bräutigam, von so unreinen Leuten berührt
wird, dass ein Freund von so großer Demut von
denen berührt wird, die die Welt lieben.
Er war drittens wie ein Licht, das auf einen
Leuchter gesetzt ist, durch die Ausführung aller
meiner Gebote und die Weisheit seiner guten
Lebensweise, wodurch er die beschützte, die da
standen, dass sie nicht fallen sollten, die
Wankenden aufrichtete und auch solche zu mir rief,
die nach ihm kommen sollten.
Diese Licht sind die unwürdig zu sehen, die von
Eigenliebe verblendet sind; dieses Licht kann
nicht von denen geschaut werden, die den Star der
Hoffart haben; dieses Licht kann von denen nicht
berührt werden, die einen Ausschlag an den Händen
haben. Denn dieses Licht ist denen sehr verhasst,
die gewinnsüchtig sind und ihren eigenen Willen
lieben. Daher ist es richtig, dass ehe er
umgebettet wird, die Unreinen gereinigt und die
Blinden erleuchtet werden.
Aber was den betrifft, den das Volk im Lande
heilig nennt, so zeigen drei Dinge, dass er gar
nicht heilig ist[2]. Erstens, da er vor seinem
Tode nicht das Leben eines Heiligen geführt hat.
Zweitens, da er nicht den festen Willen hatte, das
Martyrium für Gott zu leiden. Drittens, da er
keine brennende und weise Liebe wie ein Heiliger
besaß. Es gibt auch drei Gründe, warum er dem
Volk heilig scheint. Der erste sind die Lügen
falscher und schmeichelhafter Leute. Der andere
ist die Leichtgläubigkeit der Unklugen. Der
dritte Grund ist die Gewinnsucht der Prälaten und
die Nachlässigkeit bei denen, die die Sache
untersucht haben. Aber wieweit er in der Hölle
oder im Fegefeuer ist, das ist dir nicht erlaubt
zu wissen, ehe die Zeit kommt, darüber zu
reden.“
[1].
Bischof Brynolf Algottson von Skara (gest. 1317).
Die Offenbarung, die am 2. Februar 1349 in der
Domkirche von Skara erfolgte, verordnet Brynolfs
Verehrung als Heiligen und seine Umbettung zum
Altar. Brynolf erweckte angeblich zwei ermordete Männer
von den Toten.
[2]. Damit ist Magnus Ladulås gemeint, wie die
Forschung gezeigt hat, der einen Ruf als Heiliger
genoß, und an dessen Grab in der Ridderholms
Kirche sich gewisse Wunder zugetragen haben
sollen.
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Gottes Sohn spricht
mit den Worten: ”Wenn jemand ein Vorgesetzter über
andere ist, so soll er deshalb nicht hochmütig sein,
denn alle sind von demselben Geschlecht, und alle Macht
ist von Gott. Wenn der Vorgesetzte gut ist, ist das von
Gott zu seiner eigenen Rettung und der von anderen so
eingerichtet. Wenn er schlecht ist, so beruht das auf
Gottes Zulassung und soll zur Prüfung des Untergebenen
dienen. Wer gezwungen ist oder wünscht, Vorgesetzter zu
sein, der soll sich den Untergebenen so zeigen, dass er
zugleich vorbildlich ist, was seine Sitten und seinen
Wandel und das Maß an Gerechtigkeit und Billigkeit
betrifft. Und er soll genau damit sein, dass er nicht
durch Worte oder Beispiel oder Machtmissbrauch anderen
einen Anlass zur Sünde gibt. Nichts reizt ja Gott so
zum Zorn oder verlockt die Menschen so zur Sünde, wie
die Leichtfertigkeit der Prälaten. Wenn der Priester
Eli ein ebenso tüchtiger Priester wie Pinehas und Mose
gewesen wäre und seine Söhne geistlich geliebt hätte,
so wäre sein ganzes Geschlecht gerettet worden.“
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