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Leben des heiligen Franz von Sales
1567 - 1622

Fünftes Buch
Der hl. Franz v. Sales gründet den Orden von der Heimsuchung.
Sechstes Buch
Gründung des Ordens d. Heimsuchung bis zum Tode d. Heiligen (1622)
Siebentes Buch
Charakterbild des heiligen Franz von Sales.

   
   





  

Inhaltsverzeichnis

Fünftes Buch

Der heilige Franz von Sales gründet
den Orden von der Heimsuchung.

 

Leben

des

heiligen Franz von Sales,

Fürstbischofs von Genf.

1567 - 1622

Nach der fünften Auflage aus dem Französischen übersetzt
 

von

J. C. Lager,
Priester der Diözese Trier.
 

Zweiter Band
Regensburg.

Druck und Verlag von Georg Joseph Manz.
1871.

 

Inhalt: Fünftes Buch
Der heilige Franz von Sales gründet den Orden von der Heimsuchung.

Erstes Kapitel.
Entstehung des Ordens von der Heimsuchung (1610).

Zweites Kapitel.

Weitere Entwicklung des Ordens von der Heimsuchung.

Drittes Kapitel.

Franz gibt dem Orden der Heimsuchung seine Regel.
-- Rasche Fortschritte desselben.

Erstes Kapitel.

Entstehung des Ordens von der Heimsuchung.
(1610.)

Schon lange empfand das so gefühlvolle Herz des heiligen Franz von Sales es schmerzlich, dass vielen, welche sich vor der Welt und ihren Gefahren gerne in eine klösterliche Einsamkeit geflüchtet hätten, keine Gelegenheit zur Verwirklichung dieses frommen Wunsches geboten war; Schwäche, vorgerücktes Alter, Mangel an Energie waren die Gründe, welche die meisten unfähig machten, in eine der schon bestehenden strengen religiösen Genossenschaften einzutreten. Von letzteren gab es genug zu dieser Zeit, und reuige Sünder, starke Seelen, welche sich zu strengeren Bußübungen hingezogen fühlten, fanden daselbst eine Zufluchtsstätte , aber für Personen des weiblichen Geschlechtes, welche alt und gebrechlich, als Witwen die Welt verlassen wollten , um sich Gott zu weihen und unter dem Gehorsam zu leben, boten sie nicht das was ihnen fehlte, dessen sie bedurften. Um diesem Mangel abzuhelfen, wünschte Franz einen Orden, in welchem man durch keine Gelübde gebunden sei, da es nach seinem Dafürhalten solcher schon genug gab; er wollte eine Genossenschaft frommer Frauen, sowohl Jungfrauen als auch Witwen, in der statt körperlicher Abtötungen die allen möglichen des Geistes und Herzens geübt werden sollten; wo Fehler und Unvollkommenheiten abgelegt, Tugenden erworben würden, mehr durch den sanften Zug der Liebe als die strenge der Buße; wo man sich mehr befleißigen würde, stets innerlich gesammelt zu sein, als viele mündliche Gebete zu verrichten, wo man nicht sowohl die äußerliche Armut übe, sondern vielmehr danach strebe, das Herz vom Irdischen loszuschälen, wo anstatt der beschaulichen Einsamkeit tätige Liebe, Gehorsam anstatt beschwerlicher Regeln herrschen sollte; kurz die Heiligkeit, um so echter und wahrer, je innerlicher sie sein würde, solle sich nach außen nicht anders als durch Sanftmut, Nachgiebigkeit, Leutseligkeit, Einfalt des Herzens, alle jene Tugenden offenbaren, die den Menschen nicht besonders in die Augen fallen, aber schön vor Gott und seinen Engeln sind. Auch Kranke jeder Art, selbst Blinde, sollten in diese Genossenschaft aufgenommen werden können, mit alleiniger Ausnahme von solchen, die an einem ansteckenden Übel litten, oder die wegen zu großer Kränklichkeit und Schwäche schlechterdings nicht fähig seien, die Regel zu beobachten und die gewöhnlichen Übungen mitzumachen. „Da der Heiland für alle gestorben ist, sprach der liebevolle Hirte, so sind die Seelen jener, welche von einer Krankheit befallen oder sonst verunstaltet sind, ihm nicht weniger teuer, als die Seelen junger und starker Personen; warum sollte man ihnen also die Türen des Klosters verschließen und sie hindern, dem Zuge Gottes zu folgen, wenn er ihnen das Verlangen nach klösterlicher Vollkommenheit einflößt? Der Ordensstand ist das Hochzeitsmahl des himmlischen Bräutigams, der will, dass man Schwache, Lahme und Blinde daran teilnehmen lasse."

Besonders lebhaft beschädigte ihn dieser Gedanke seit ihm vom Himmel offenbart worden, dass er durch ihn einen neuen Orden gründen wolle, und er in Frau von Chantal jene kennengelernt hatte, welche ihn bei diesem Werke unterstützen werde. Wiewohl ferne von dieser edlen Seele, so unterließ er es doch nie, sie nach und nach aus die großen Dinge, welche Gott durch sie erreichen wollte, vorzubereiten und ihr mit seinem Rate in ihrem mutigen Streben nach Vollkommenheit behilflich zu sein. In einem Briefe, den er nach seiner Rückkehr von Dijon an sie schrieb, sagte er (Brief 57.): „Ich bitte den lieben Gott, jenes Verlangen nach christlicher Vollkommenheit zu erfüllen, welches er in sie gelegt hat und das sie in Ihrem Herzen hegen und pflegen sollen als das Werk des heiligen Geistes und einen Funken seines göttlichen Feuers. . . . . Dies Verlangen und die Liebe zu ihrem Witwenstande sind die beiden Säulen, aus denen das Gebäude Ihres Glückes ruhen soll; suchen Sie beides sorgfältig zu unterhalten, halten Sie sich stets in der Gegenwart Gottes, bewahren Sie die Freiheit des Geistes und ein großes Vertrauen aus die Barmherzigkeit des Herrn, ohne Skrupel, ohne Hast, ohne Unruhe. Legen Sie ihr Herz in die Wunden des Heilandes, sanft, nicht gewaltsam."

Dieser Brief erfüllte Frau von Chantal mit inniger Freude und ließ sie um so mehr wünschen, sich ganz unter die Leitung des Bischofs von Genf zu stellen; aber gerade dies Verlangen wurde ein Gegenstand der Qual für sie, weil ihm das ihrem ersten Führer gegebene Versprechen, ihn nicht zu verlassen, entgegenstand. aus der einen Seite von dem angezogen, was sie als den Willen Gottes zu erkennen glaubte, jenen Willen, der der einzige Gegenstand ihrer Liebe, das höchste aller Güter in ihren Augen war, aus der anderen Seite wieder von der Furcht zurückgehalten, sich von ihm zu entfernen, indem sie sich täusche, konnte sie zu keinem Entschlusse kommen. „Dies Wort, der Wille Gottes, sagte sie, war wie ein Feuerbrand, der meine Seele in Flammen setzte." Es kam so weit, dass einmal der Zweifel darüber, was der göttliche Wille von ihr verlange, sie sechsunddreißig Stunden in einer so unaussprechlichen Unruhe erhielt, dass sie nicht mal im Stande war, zu essen oder zu schlafen.

In dieser Angst fragte sie den Pater Villars, damaligen Rektor des Jesuitenkollegiums in Dijon, um Rat; dieser, nicht minder aufgezeichnet durch großes Wissen als tiefe Frömmigkeit, gab ihr die Versicherung, Gott wolle, dass sie sich ganz der Leitung des Bischofs von Genf überlasse; er sei überzeugt, die Vorsehung habe sie unter diesem Führer noch zur Ausführung großer Dinge bestimmt. Dadurch fühlte sie sich außerordentlich erleichtert; es war ihr, als sei ihr eine Bergeslast vom Herzen gewälzt worden, und ein tiefer Seelenfriede gab ihr die Gewissheit, dass dies auch der Wille der Vorsehung sei.

Ihr erster Beichtvater fand nichts dagegen einzuwenden, dass sie sich hie und da schriftlich an den Bischof von Genf wende, stellte aber die Bedingung, dass sie wie bisher stets unter seiner persönlichen Leitung bleibe. Dadurch sah sie sich wieder in eine traurige Ratlosigkeit versetzt, um so mehr, da ein frommer Kapuzinerpater, nachdem er vorher im Gebete den Herrn um Erleuchtung angefleht hatte, um dieselbe Zeit ganz das Gegenteil sagte, indem auch er ihr versicherte, es sei der Wille Gottes, dass sie sich ganz unter die Leitung des Bischofs von Genf stelle. Sie teilte ihrem Beichtvater ihre Bekümmernis mit, und statt jeder weiteren Antwort zwang sie dieser, ihr Gelübde, unter seiner Leitung zu bleiben, zu erneuern. Sie gehorchte zwar, aber setzte Franz alsbald davon in Kenntnis, der ihr mit gewohnter Weisheit schrieb (Brief 59.), dass er wohl der Meinung sei, man solle nur einen Seelenführer haben, aber dass dies doch nicht hindere, auch sich einem anderen anzuvertrauen und sich bei ihm Rats zu erholen. „Gehorchen Sie kindlich und frei Ihrem Beichtvater, sagte er ihr, und bedienen Sie sich meiner liebevoll und ohne Rückhalt." Er war weit davon entfernt, die Leitung dieser auserwählten Seele zu wünschen, und ehe er eine bestimmte Entscheidung gab, wollte er reiflich über die Sache nachdenken und Gott im Gebete um Erleuchtung bitten. Alle diese Verzögerungen hatten zur Folge, dass in die Seele der Frau von Chantal alle frühere Unruhe und Beängstigung wieder zurückkehrte, und abermals eröffnete sie sich darüber dem Pater de Villars, der ihr nun mit entschiedenem Ernste erklärte, dass, wenn sie sich nicht ganz und gar unter die Leitung des Bischofs von Genf stelle, sie dem heiligen Geiste widerstehe. Da sie hiervon Franz aus der Stelle Mitteilung gemacht hatte, so antwortete er ihr, sie möge an einem Tage, den er ihr näher angab, sich in St. Claude einfinden, wo er ihr alsdann einen bestimmten Bescheid geben werde.

Frau von Chantal versäumte natürlich nicht, sich pünktlich einzufinden. Klar, einfach und aufrichtig erzählte sie dem heiligen Bischofe alles, was in ihr vorgegangen war. Die ganze folgende Nacht brachte dieser im Gebete zu, um zu erkennen, was der Wille Gottes in dieser Angelegenheit sei, und als er sich morgens zu ihr begab, begrüßte er sie mit den Worten: „Madame, ich habe die ganze Nacht ihretwegen gearbeitet, und ich glaube, Gott will, dass ich Ihre geistliche Leitung übernehme. Ich muss Ihnen, fuhr er nach kurzem Stillschweigen fort, noch erklären, dass das Gelübde, wozu man Sie genötigt hat, Ihnen nur den Frieden des Gewissens rauben kann; wenn ich so lange gezögert habe, Ihnen eine bestimmte Antwort zu geben, so geschah es aus dem Grunde, weil ich wollte, dass der Wille Gottes mir recht klar werde, und dass er allein es sei, der in dieser Sache Alles tue." Nachdem sie dann eine Generalbeichte bei ihm abgelegt hatte, gab er ihr unter anderem folgende Ratschläge: „Sobald Sie morgens erwachen, vereinigen Sie sich ganz mit Gott. Der Übergang der Nacht zum Tage möge Sie an den Übergang von der Zeit zur Ewigkeit erinnern, wo wir Alles hell und klar in dem Lichte Gottes schauen werden. Beginnen Sie sodann den Tag mit einer Betrachtung und der Anhörung der heiligen Messe; suchen Sie diese beiden Übungen mit großer Andacht, vor allem aber mit großer Freiheit und nach dem Zuge der Gnade zu verrichten.

Ihr Gebet braucht sich nicht innerhalb eng gezogener und lästiger Grenzen zu bewegen. Betrachten Sie nach der heiligen Kommunion den Herrn, sitzend aus dem Throne Ihres Herzens, und führen Sie alle Ihre leiblichen und geistigen Fähigkeiten vor ihn hin, um seine Befehle zu vernehmen und ihm Treue zu versprechen. Machen Sie den ganzen Tag über viele Stoßgebete, besonders aber, wenn die Uhr schlägt. Wählen Sie sich für jeden Tag der Woche eine der Wunden des Heilandes und wohnen Sie darin in inniger Liebe. Kommen Sie irgend etwas von dem, was ich Ihnen da vorschreibe, nicht genau nach, so beunruhigen Sie sich deswegen nicht."

Nach diesen weisen Ratschlägen, die ihre Seele wie mit einem neuen Lichte erhellten, drückte Frau von Chantal ihm den Wunsch aus, in einen Orden zu treten; aber jeder Übereilung abhold, empfahl ihr Franz vorläufig, nur darauf bedacht zu sein, sich zu heiligen in der Welt, indem sie eine Frömmigkeit übe, die mit inniger Hingabe an Gott eine herzliche Liebe gegen den Nächsten verbinde, die stets bemüht sei, keinem lästig oder beschwerlich zu werden; eine schöne Vorstellung des Heiligen von der wahren Tugend, die uns einen Tadel erklärt, welchen er einst Frau von Chantal erteilte. Früh am Morgen erhob sich dieselbe schon, um ihre Betrachtung zu machen und verlangte von ihrer Kammerfrau, dass sie auch so früh aufstehen solle, um ihr Licht zu bringen und ihr beim Ankleiden behilflich zu sein. Als der Bischof dies erfuhr, machte er ihr darüber Vorstellungen, indem er bemerkte, dass, wenn sie Gott im Gebete suchen wolle, sie allein aufstehen müsse, um ihn besser zu finden, ohne ihrer Dienerin eine unnütze Beschwerlichkeit zu verursachen.

Nach einem zweitägigen Aufenthalte in St. Claude ging Franz nach Annecy zurück; die Baronin begab sich nach Dijon, mit einem Herzen voll des tiefsten Friedens und der seligsten Freude. Gleich am Tage nach ihrer Ankunft eilte sie in die Kirche de Notre-Dame de l'Etang, um der Mutter Gottes ihren Dank abzustatten und unter ihrem Schutze das Gelübde immerwährender Keuschheit und des Gehorsams gegen den Bischof von Genf abzulegen. In ihre Wohnung zurückgekehrt, setzte sie dies Gelübde schriftlich aus und schickte es an ihren neuen Führer; gleichzeitig berichtete sie ihm, welche Versuchungen sie wieder quälten, sowohl in Betreff der Wahl ihres neuen Seelenführers als auch gegen den Glauben und bat ihn, ihr die für ihre Lage geeigneten Regeln vorzuschreiben, um danach ihren Wandel einzurichten. Um sie zu beruhigen, antwortete ihr der Heilige (Brief 68.), dass er in ihrer Wahl alle Zeichen des Willens Gottes erkenne, und dass der sanfte, sowie auch heftige und beständige innere Antrieb, der sie dazu gebracht habe, seine eigene reifliche Überlegung der Sache, ehe er seine Zustimmung gegeben, das Urteil des Paters de Villars und und das mehrere Monate lang unausgesetzte Gebet um die Erleuchtung des Himmels, ebenso viele offenbare Beweise dafür seien. „Streiten Sie nicht mit dem Feinde hierüber, schrieb er; sagen Sie ihm kühn, dass Gott es ist, der es gewollt und getan hat." Rücksichtlich der Versuchungen gegen den Glauben bemerkte er ferner: „Mit der Versuchung soll man weder viel noch wenig streiten, sondern es machen wie die Kinder Israels mit den Gebeinen des Osterlammes, welche sie nicht zu brechen versuchen sollten, sondern ins Feuer werfen; man soll den Einflüsterungen des bösen Feindes nicht antworten, ja sich nicht einmal den Anschein geben, als höre man sie. Mag er immerhin, so viel er nur will, an der Türe poltern, man soll nicht mal fragen: Wer ist da? sondern sich durch fromme Anmutungen von ihm abwenden, wenn man anders es nicht vorzieht, sich ihm stark entgegenzuwerfen mit dem Schlachtrufe: Weiche von mir Satan. Es steht geschrieben: Du sollst den Herrn deinen Gott nicht versuchen. Weil Eva mit dir streiten wollte, stürzte sie sich ins Verderben, ich will ihr nicht folgen. Und dann denken Sie an etwas anderes. Da der Teufel, fährt Franz fort, es nicht gerne sieht, dass man seinen Mitschuldigen, das Fleisch, züchtigt, so möchten fünfzig oder sechzig Geißelhiebe noch von großem Nutzen sein, um ihn in die Flucht zu treiben. Beherzigen Sie übrigens das Wort der heiligen Schrift: Glückselig der, welcher Anfechtung erleidet. Wenn der Feind so stark draußen lärmt, so ist das ein Zeichen, dass er nicht im Inneren des Hauses ist." 

Zuletzt schrieb dann der erfahrene Meister im geistlichen Leben die Regeln vor, die sie von ihm zur Richtschnur ihres Wandels verlangt hatte. Er setzte ihr fest, wann und wie sie alle frommen Übungen machen solle, hieß das Fasten am Freitage und zweimalige Geißelung in der Woche gut, gab ihr Ratschläge für die Erziehung ihrer Kinder, für ihr persönliches Benehmen gegen ihren Vater und Schwiegervater, empfahl ihr, sich stets in einer solchen Stimmung zu halten, dass sie sich leicht in alle Widerwärtigkeiten füge, ihr Herz frei zu machen von jeder Anhänglichkeit selbst an geistliche Tröstungen und Übungen, einzig und allein der Sklave des göttlichen Willens zu sein und bereit, demselben ruhig zu folgen, sobald sie ihn erkenne, möge es kosten, was es wolle. „Alles muss man aus Liebe tun“, sagte er, „und nichts gezwungen, den Gehorsam mehr lieben als den Ungehorsam fürchten. Ich lasse Ihnen die Freiheit des Geistes und ich will, dass, wenn eine gegründete Ursache vorhanden ist, Ihre Übungen zu unterlassen, dies für Sie eine Art Gehorsam sei und das, was sie so unterlassen haben, durch die Liebe ersetzt werde ( Mémoires de la mère de Chaugy p. 57. – 2) "

Die Baronin betrachtete alle diese Ratschläge als ebenso viele Orakel von Oben und sie bemühte sich, mit solch unbegrenztem Eifer dieselben zu befolgen, dass sie, weil sie nichts mit solcher Vollkommenheit tat, wie sie es gewollt hätte, ganz untröstlich wurde über ihre Mängel, ihre Lauheit und Trockenheit, und bei dem glühenden Verlangen, es besser zu machen, sich wahrhaft unglücklich fühlte. Als Franz dies erfuhr, beeilte er sich aus der Stelle, sie zu ermutigen und zu trösten: „Gehen Sie ruhig Ihren Weg vorwärts“, schrieb er ihr (Brief 71 ), „denn er ist gut. Mag die Trockenheit und die Dürre in der Seele noch so groß sein, was liegt daran, wenn wir nur Gott lieben? Ihr guter Wille wird ihm nicht weniger wohlgefällig sein, wenn er auch nicht von Empfindungen begleitet ist. Will er, dass wir ihm dienen in Trockenheit, unter Ängsten und Versuchungen, so lasst uns ihm dienen, wie er es will; der Tag wird kommen, wo er Alles tun wird was wir nur verlangen, und mehr als wir verlangen können. Er weiß wohl, was er tut; er fügt Alles zu Unserem Besten. Er überließ es David, sich die Strafe für seine Sünde zu wählen; ich würde nicht gewählt haben, ich würde ihn haben tun lassen was er wollte. Je mehr ein Kreuz von Gott kommt, um so mehr müssen wir es lieben. Doch habe ich nichts dagegen, dass Sie sich bei dem Herrn beklagen, wenn es nur geschieht mit Demut und Liebe, und ohne zu große Bekümmernis oder zu großes Ungestüm, wie es kleine Kinder bei der Mutter machen."

Trotz solcher Briefe, die so ganz im Stande waren, zu trösten und aufzurichten, litt Frau von Chantal dennoch stets innere Qualen; sie waren eine Marter für sie und ihrer Gesundheit sehr nachteilig. „In dem Augenblicke, schrieb sie ihm, wo ich glaube, den Frieden zu haben, da beginnen neue Kämpfe, ein neues Leiden befällt mich und ich rufe klagend aus: Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. Ein anderes Mal spreche ich seufzend: Möge dieser Kelch an mir vorüber gehen.  

Kaum aber sind sie gesprochen, so tadele ich mich auch schon selbst wegen meiner Feigheit, ich empfinde ein lebhaftes Verlangen, ihn bis aus den letzten Tropfen zu leeren und wiederum spreche ich dann zum Herrn: Mein Gott , erweise mir die Gnade , dass dieser Kelch nicht vorübergehe, bis ich ihn getrunken habe (De Cambis, 1, p. 534)."

Von solchen edlen und großmütigen Gesinnungen gerührt, wenn auch nicht überrascht, schrieb ihr der Heilige zurück (Brief 72.): „Ich preise Gott wegen Ihrer Standhaftigkeit, mit der Sie das Kreuz tragen, ihm, ohne ein Gefühl der Befriedigung oder sonst einen Reiz dabei zu empfinden, ja selbst mit Widerstreben dienen; möge aber Ihre Geduld frei sein von jeglicher Unruhe und Hast. .... Was liegt daran, ob wir durch eine dürre Wüste oder lachende Gefilde wandern, wenn nur Gott bei uns ist und wir den Weg zum Paradiese gehen? Betrübt und verlassen sucht Jesus Christus am Ölberge bei seinem Vater Trost, allein er wird ihm nicht zuteil, und da denkt er nicht mehr daran, er sucht ihn nicht mehr; mutig vollbringt er das Werk unserer Erlösung. Machen Sie es ebenso und stellen Sie sich ganz dem Willen Gottes anheim; man dient ihm nie besser, als wenn man ihm dient, so wie er es will. Ein solcher Dienst behagt Ihnen nicht, aber er ist damit zufrieden; er ist nicht nach Unserem Wohlgefallen, wohl aber nach dem seinigen. Wenn Sie nicht mehr an Ihre Erlösung denken, dann wird Gott daran denken; wenn Sie nicht mehr ängstlich eilen, dann wird Gott zu ihnen kommen. . . . . Er lässt die Versuchungen zu, damit wir, indem wir sie verachten, unsere Liebe zu den göttlichen Dingen bekunden können; und deshalb muss man sich nicht beunruhigen; es ist der Teufel, der um Ihr Herz herumstreicht; lassen Sie ihn nur warten und halten Sie alle Eingänge zu demselben wohl verschlossen. Er wird dessen endlich überdrüssig werden, oder wenn nicht, so wird Gott ihm gebieten, die Belagerung aufzuheben. So lange die Versuchung Ihnen missfällt, ist nichts zu fürchten, denn sie missfällt Ihnen ja nur, weil Sie dieselbe nicht wollen."

Solche tröstliche Worte beruhigten noch keineswegs Frau von Chantal; sie verlangte selbst nach Savoyen zu kommen, um dem erleuchteten Führer, den der Himmel ihr gegeben hatte, ihre ganze Seele offen darzulegen und seine Ratschläge zu erhalten, wovon sie sich großen Nutzen versprach. Franz war es zufrieden und bezeichnete ihr als Ort der Zusammenkunft schloss Sales.

Am bestimmten Tage fand sie sich ein und legte dem Heiligen in einer Generalbeichte die genaueste Rechenschaft über ihr ganzes Leben ab; es wurde ihm, während er sie hörte, eine solche himmlische Erleuchtung zuteil, sein Herz wurde von so erhabenen Gefühlen beseelt, dass er ganz außer sich vor Freude war. „Es ist also Ihr voller Ernst, dass Sie Jesus Christus dienen wollen?" fragte er sie. --- „Ja, mein voller Ernst," antwortete sie. -- „Sie weihen sich demnach ganz und gar der reinen Liebe zu Gott?" -- „Ganz und gar, aus dass sie mich verzehre und mich ganz in ihn umwandle." --- „Und Sie weihen sich ganz ohne Vorbehalt?" --- „Ja, ohne Vorbehalt." --- ,,Verachten Sie von ganzem Herzen die Welt und ihre Eitelkeit, um Jesus Christus und seine Gnade zu besitzen?" --- „Aus ganzer Seele verachte und verabscheue ich sie." --- „Also, Sie wollen nur Gott allein?" --- „Nur ihn will ich für Zeit und Ewigkeit." -- „große Gedanken, versetzte da Franz, beschäftigten mich in Betreff Ihrer während der drei Stunden, die Ihrer Ankunft vorhergingen. Schon seit einigen Jahren hat mir Gott etwas über Ihre Zukunft offenbart; aber erst in einem Jahre will ich Ihnen dies mitteilen." -- „Aber, mein Vater, rief sie, ohne zu forschen was denn dies sei, aus, „werden Sie mich nicht dieser Welt und mir selbst entreißen? Ich habe ein so lebhaftes Verlangen, von jedem Hindernisse, Gott zu dienen, frei zu werden!" --- „Ja, versetzte er, Sie werden all das verlassen, Sie sollen zu mir kommen und ich will Sie lehren, aus Alles um Gottes willen Verzicht zu leisten." Darauf schrieb er ihr eine Lebensordnung vor, die sie einhalten solle, um drei große, anscheinend wenig verträgliche Pflichten miteinander zu vereinigen: die Sorge für ihre weltlichen Angelegenheiten, ihre Kinder und Dienstboten; sodann die Übung jener erhabenen Frömmigkeit, zu welcher er sie durch die Gnade berufen sah, und die zwischen beiden Pflichten stehende dritte, ihre Frömmigkeit so einzurichten, dass sie keinem lästig falle und allen liebenswürdig erscheine.

Frau von Chantal verweilte sechs Tage aus schloss Sales, um diese kostbaren Lehren in Empfang zu nehmen. „Diese wenigen Tage“, sagte sie, „wurden mir zu Jahren des Segens. Wenn ich aus die Worte meines heiligen Führers lauschte, so glaubte ich Gott selbst zu hören; und alle seine Worte strömten von seinen Lippen in mein Herz wie Worte Gottes über. Ich sah in ihm in der Tat gleichsam einen Abglanz der Gottheit, es war mir in seiner Nähe, als fühlte ich lebhaft die Gegenwart des Herrn, der in seinem Diener lebte und sprach, und ich würde es für ein großes Glück gehalten haben, die ganze Welt verlassen zu können, um in seinem Hause die letzte unter seiner Dienerschaft sein zu dürfen, um meine Seele mit den Worten des Lebens zu nähren, die aus seinem Munde kamen." Für alle Ratschläge und Belehrungen des Gottesmannes hatte sie wirklich eine solche Verehrung, dass sie dieselben immer aus der Stelle niederschrieb und ihn zuweilen selbst bat, sie mit eigener Hand in ein eigens dazu bestimmtes Heft niederzuschreiben.

Von Schloss Sales ging sie nach Monthelon zu ihrem Schwiegervater zurück, und da begann sie ein ganz neues Leben. In ihrer Kleidung und Nahrung herrschte die größte Einfachheit, ja eine einsiedlerische Strenge, morgens schrieb sie sich eine ganze Stunde zum Gebete vor, abends drei Viertelstunden, und den ganzen Tag über befliss sie sich, so unausgesetzt in der Gegenwart Gottes zu wandeln, dass sie ihn fast nie aus den Augen verlor. Was an ihrer Frömmigkeit besonders Erwähnung verdient, war, dass sie keiner ihrer Pflichten Eintrag tat und keinem lästig wurde. Alle Einzelheiten der Haushaltung entgingen ihrer Fürsorge nicht, sie selbst unterrichtete ihre Kinder und sorgte für deren Erholung und Zerstreuung, unterwies ihre Dienerschaft in der Religion; nie war sie traurig oder verdrießlich, sondern stets gütig, sanft, gefällig, leutselig gegen jedermann, vor allem aber gegen die Armen und Unglücklichen, und ohne Skrupel unterbrach sie selbst ihre frommen Übungen oder verschob sie aus eine spätere Stunde, wenn die Liebe es verlangte. Ihre Diener waren über ihre Sammlung und vollkommene Vereinigung mit Gott, auch im größten Wirrwarr der Geschäfte, so voll Erstaunen, dass sie oft unter sich sagten: „Der frühere Beichtvater der gnädigen Frau ließ sie nur drei Mal des Tages betend und wir waren dessen schon müde und überdrüssig; der Bischof von Genf lässt sie den ganzen Tag beten, und das belästigt niemand;" so wahr ist es, dass die wohlverstandene Frömmigkeit schon in diesem Leben das Glück aller ausmacht, welche uns umgeben und uns zugleich aus die Glückseligkeit des künftigen vorbereitet.

Doch hörten die Versuchungen gegen den Glauben nicht aus, Frau von Chantal zu quälen. „Sie denken zu viel an Ihre Versuchungen, schrieb ihr hierüber ihr weiser Tröster (Brief 81.), Sie fürchten sie zu viel; sie würden Ihnen ganz unschädlich sein, wenn Sie nicht darüber nachdächten.

Sie lieben den Glauben, Sie möchten nicht, dass Ihnen ein einziger Gedanke gegen denselben käme, und sobald ein solcher in Ihnen auftaucht, dann betrüben und beunruhigen Sie sich. Glauben Sie mir und fürchten Sie diese Versuchungen nicht, gehen Sie darüber hinweg; Versuchungen können ein Herz nicht beflecken, das sie nicht liebt. Lassen Sie den bösen Feind vor der Türe toben und wüten so viel er will, leben Sie nur ruhig im inneren mit Jesus und Maria. Der heilige Paulus hatte schreckliche Versuchungen auszustehen und Gott wollte sie ihm nicht wegnehmen; es geschah aus Liebe. Mag Gott uns drehen und wenden nach rechts oder links, wie es ihm gefällt, mag er uns tausend Leiden erdulden lassen, wir wollen ihn nicht verlassen. Wir werden die Rosen der Liebe unter den Dornen der inneren und äußeren Trübsale finden. Ach, wie lieb sind mir drei kleine Tugenden, die wir im Tale unseres Elends pflücken: die Sanftmut des Herzens, die Armut im Geiste, ein Leben in Einfalt und die anscheinend geringfügigen Übungen, die Kranken zu besuchen, den Armen zu dienen, die Betrübten zu trösten! Unser Arm ist nicht lang genug, um die Zedern des Libanon zu erreichen, begnügen wir uns darum mit dem Ysop, der im Tale wächst (Brief 82)."

Mittlerweile sah sich Frau von Chantal einer Versuchung ausgesetzt, die im Stande gewesen wäre, eine weniger starke Seele als die ihrige, zu überwältigen. Voll Bewunderung für ihre herrlichen Eigenschaften, ihre sanfte und liebenswürdige Tugend, die Anmut ihres Geistes und ihre Herzensgüte hielt ein reicher Edelmann bei dem Präsidenten Fremiot um ihre Hand an, indem er zu gleicher Zeit den Wunsch äußerte, seine beiden Söhne mit den zwei Töchtern der Baronin zu vermählen. Dem Präsidenten erschienen diese drei vorteilhaften Verbindungen als ein großes Glück; er stellte die Sache seiner Tochter vor und suchte sie auch durch ihre anderen Verwandten günstig dafür zu stimmen, so dass die fromme Witwe nach allen Seiten hin zu kämpfen und Vieles auszustehen hatte; es war für sie eine peinliche Marter. „So viel ich konnte“, sagt sie, „klammerte ich mich fest an den Baum des Kreuzes, aus Furcht, dass so viele verführerische Stimmen mein Herz einschläfern und zu einigem Wohlgefallen und Nachgiebigkeit verleiten möchten."

Als Franz von dieser Lage, in welcher sie sich befand, Kenntnis erhielt, beeilte er sich, ihr Mut zuzusprechen: „Wer sind jene Verwegenen“, schrieb er ihr (Brief 92.), „die da die weißen Säulen unseres geheiligten Tabernakels zerbrechen wollen? (So nannte er das Gelübde der Keuschheit und jenes, immer nach Vollkommenheit zu streben, die ihm als die Säulen des Tabernakels erschienen, welches er dem Herrn in dem Orden von der Heimsuchung errichten wollte.) Fürchten sie denn nicht die Cherubim, die zu beiden Seiten stehen und es schützend mit ihren Flügeln decken? Vielleicht hat sich ein wenig Eitelkeit, ein kleines Wohlgefallen oder sonst etwas eingeschlichen, aber für einen festen Mut ist das nichts. Unsere Säulen stehen tief, ein bisschen Wind wird sie nicht erschüttern. Doch muss man kurz und bündig bei solchen Gelegenheiten verfahren, solche Kunden nicht lange aufhalten, sondern anderswo hinschicken. Sehen sie denn nicht, dass wir unser Aushängeschild weggenommen haben? Unser Leib gehört nicht mehr uns, der große König Jesus hat ihn zu seinem Throne erwählt." Frau von Chantal ging so ganz aus die Absichten ihres heiligen Führers ein, dass er ihrem Verlangen, die Welt zu verlassen, Zügel anlegen musste, sich einstweilen darauf beschränkend, ihr Herz so zu bilden, dass es nur das wolle, was Gott will, wann er es will und wie er es will, ohne sich je von menschlichem Eifer fortreißen zu lassen. Bis der von der Vorsehung bestimmte Augenblick herankam, fuhr er fort, sie aufrecht zu erhalten und zu stützen in den Versuchungen und Trübsalen, welche der Himmel zu ihrer Prüfung über sie kommen ließ. „Beunruhigen Sie sich nicht, schrieb er ihr (Brief 124), über die Schrecken, welche der Teufel Ihnen einflößt. Haben wir keine andere Furcht als vor Gott und zwar die Furcht der Liebe. Lassen wir uns nicht die Wälle unserer Vorsätze und Entschlüsse zertrümmern und leben wir ruhig und in Frieden. .... Sie müssen schon ein wenig Geduld haben, um das Lärmen und Toben des Bösen, mit dem er die Ohren Ihres Herzens erfüllt, zu ertragen. Seien wir fröhlich ohne Ausgelassenheit, unerschrocken ohne Übermut, fürchten wir ohne uns zu beunruhigen; seien wir sorgsam ohne ängstliche Hast. .... Ich will nicht, dass sie freiwillig nach jenem unnützen und vielleicht schädlichen Frieden verlangen. Gott wird uns den Frieden geben, wenn wir uns demütig bequemen, gelassen in Kampf und Streit zu leben  (Brief 126).

Man muss nicht solche nsche nach einer zu angenehmen, weichlichen Vollkommenheit hegen, so dass man nur Süßigkeiten in seinen Übungen möchte, ohne Ekel, ohne Widerwillen, ohne Zerstreuung, ohne Versuchungen. Begnügen Sie sich mit dem Bewusstsein, dass der Baum ihrer Entschlüsse wohl gepflanzt ist und tiefe Wurzeln geschlagen hat, ohne zu wollen, dass nicht ein Blatt von dem Winde einer Versuchung hin und her bewegt werde. Ich wünsche Ihnen ein starkes Herz, das nicht so leicht für alle Eindrücke empfänglich ist, dem nichts daran liegt, ob etwas süß oder bitter, ob es Tag oder Nacht ist, sondern das Gott liebt mit unbeugsamer Liebe, welches wie Martha einen Teil der Zeit den äußeren Werken der Liebe zu widmen versteht und wie Maria einen noch besseren Teil der Beschaulichkeit, jener so großen Ehre für ein Herz, sich allein mit seinem Gotte untere halten zu können (Brief 127, 128, 143.). Im Dienste Gottes muss die Ungezwungenheit von Kindern herrschen, die einem Vater dienen, und nicht unruhige Furcht von Sklaven, die einem Tyrannen dienen."

Außer diesen Andeutungen, wie sie sich gegen die Versuchungen zu verhalten habe, gab ihr Franz noch besondere Ratschläge in Betreff verschiedener Übungen. Als heilsam und nützlich für Anfänger empfahl er ihr, im Gebete die Vorstellungskraft zu Hilfe zu nehmen, um sich Jesus Christus zu vergegenwärtigen, und den Verstand, um den Willen durch Betrachtung und Erwägung anzuregen; ist der Wille aber einmal angeregt, dann muss man nur fromme Anmutungen zu machen suchen, um von da zu Entschlüssen und von Entschlüssen zur Tat überzugehen (Brief 95, 101, 102.). Weiterhin empfahl er ihr die öftere Kommunion als ein Mittel, uns in Jesus Christus umzugestalten, so dass der göttliche Gast unserer Seele durch unser Herz liebt, durch unseren Mund redet, sein Geist in uns Alles tut und lenkt und unser ganzes Innere anerkennt, lobt und preist seinen obersten heiligen, gerechten und erhabenen Willen (Brief 139.). Ferner bat er sie, ihre Gesundheit zu schonen und sie nicht durch langes Wachen zu schwächen, „denn“, sagt er, „wenn man die Nacht hindurch gewacht hat, so ist man den ganzen Tag nichts mehr wert," in ihrer Kleidung sich einer stets größeren Einfachheit zu befleißen, den kleinen Kindern Unterricht zu erteilen, um ihren zarten Seelen die Furcht Gottes, die der Anfang der Weisheit, und die Liebe, welche deren Vollendung ist, einzuflößen; ruhig und mutvoll in den inneren Leiden zu bleiben, „in denen“, sagt er, „tausend kleine herrliche Tugenden geübt, durch welche in der Seele die Demut und die Liebe befestigt werden, diese Muttertugenden, denen alle übrigen folgen wie die Küchlein der Henne (Brief 94, 108, 115)."

Auf zwei Punkte besonders kam er öfters zurück, aus die Demut, welche nicht bloß darin besteht, sich selbst nicht hochzuschätzen, sondern auch die Verachtung anderer bereitwillig sich gefallen zu lassen, und aus den Geist des Vertrauens und des Friedens, der da bewirkt, dass wir freudigen Herzens die Bahn der Vollkommenheit laufen. „Lieben Sie, schrieb er (Brief 84 u. 88), das Kreuz und seine Schmach; betrachten Sie sich gerne als arm und elend angesichts der Erniedrigung unseres Heilandes. Freuen Sie sich, nichts zu sein, da Ihre Erniedrigung der Güte Gottes Gelegenheit gibt, seine Barmherzigkeit zu üben. Wenn Gott sieht, dass Ihr Herz mit Freudigkeit solch demütige Gesinnung in Betreff Ihrer selbst hegt, so wird er Ihnen große Gnaden zuwenden. Bleiben Sie also mit Freudigkeit demütig vor Gott wie vor den Menschen. Wenn man Sie hochschätzt, dann scherzen Sie heiter darüber; beachtet man Sie dagegen nicht, so trösten Sie sich auch darüber heiteren Herzens und seien Sie froh, dass hierin wenigstens die Welt wahr urteilt. . . . ."

Ich bitte Sie, schreibt er ferner, um der Liebe Gottes willen, haben Sie keine Furcht vor Gott, denn er tut Ihnen nichts zu leide ; lieben Sie ihn sehr, denn er will Ihnen viel Gutes tun. . . . tun Sie sich keine Gewalt an, um Ihre Versuchungen zu überwinden; denn das würde sie heftiger machen, verachten Sie dieselben einfach, ohne lange mit ihnen zu streiten. Stellen Sie sich vor, Sie umarmten den gekreuzigten Jesus, und seine geöffnete Seite voll Liebe küssend sprechen Sie wieder und wieder: Hier ist meine Hoffnung, die lebendige Quelle meines Glückes, nie soll mich etwas von seiner Liebe trennen, fest werde ich ihn halten und ihn nicht lassen. Was gibt es denn aus Erden, oder was will ich im Himmel außer dir, o mein Jesus? Du bist der Gott meines Herzens und mein Schatz aus immer."

Frau von Chantal hatte bis dahin den Edelmann, welcher aus der Jagd ihren Gemahl getötet hatte, nicht wieder gesehen. Da sie nun jetzt sich in die Lage versetzt sah, wahrscheinlich wieder mit ihm zusammentreffen zu müssen, so fragte sie den Bischof von Genf, wie sie sich dabei zu verhalten habe. „Es ist nicht notwendig, schrieb ihr dieser zurück (Brief 103.), dass Sie Tag und Gelegenheit, ihm zu begegnen, aufsuchen, kommt er aber zu Ihnen, so möchte ich, dass Sie ihn mit Sanftmut, Wohlwollen und Mitleiden empfangen. Ohne Zweifel wird es Ihr Herz erschüttern, Ihr Blut in Aufregung bringen; aber was schadet das? Dem Erlöser war es wohl ebenso zu Mute beim Anblicke seines toten Freundes Lazarus und als die Stunde seines Leidens nahte; aber er erhob seine Augen zum Himmel das eine und das andere Mal, wie die heilige Schrift sagt; so ist es meine Tochter. Gott will uns durch solche Aufregungen zeigen, wie sehr wir Fleisch sind. Seien Sie willfährig gegen jene, welche den armen Mann zu Ihnen bringen wollen, und zeigen Sie, dass Sie selbst den Tod Ihres Gemahls, Ihrer Brüder, Ihrer Kinder, Ihren eigenen gerne und freudig hinnehmen in der Liebe und aus Liebe zu unserem süßen Heilande. Üben wir diese nicht sehr in die Augen fallenden, aber echten, heiligen und erhabenen Tugenden."

So belehrt und unterwiesen arbeitete die Baronin in ihrer Zurückgezogenheit aus dem Schlosse ihres Schwiegervaters mit unermüdlichem Eifer an ihrer Heiligung und ergriff jede Gelegenheit, die sich zur Ausübung eines guten Werkes darbot; sie pflegte die Kranken, auch die ekelhaftesten, verband ihre Wunden, besuchte die Armen und Notleidenden und sorgte für alle ihre Bedürfnisse, als wäre sie ihre Magd gewesen (Mémoires de la mère de Chaugy p. 68. et suiv.). Doch schien ihr Alles was sie tat, nichts zu sein, wenn sie nicht sich selbst dem Herrn in einem Kloster weihe. „Glauben Sie nicht, schrieb sie an ihren Führer (Das., p. 79.), dass ich eines Tages alles Irdische verlassen werde, um mich nur mehr mit Gott allein in der Einsamkeit zu beschäftigen? Lassen Sie mir wenigstens diese teure Hoffnung^" Der Bischof antwortete ihr, dass er selbst bete und beten lasse, um den Willen Gottes in diesem Punkte zu erkennen; eines Tages werde sie Alles verlassen, aber wozu sie bestimmt sei, wisse er noch nicht; er werde fortfahren zu beten und Andere für sie beten zu lassen, und sie solle sich mit der vollkommensten Ergebung der Führung der Vorsehung überlassen, ohne ein anderes Verlangen, als zu gehorchen und Gott immer mehr zu lieben. übrigens müsse er noch, ehe er etwas Bestimmtes tun könne, persönlich mit ihr reden, und zu dem Zwecke möge sie einige Tage vor Pfingsten nach Annecy kommen. -- Dringende Geschäfte nötigten die edle Frau, ihre Abreise dahin um einige Tage zu verschieben; aber um doch zur festgesetzten Zeit in Annecy einzutreffen, machte sie die größten Tagereisen , und Wind und Wetter waren nicht im Stande , sie zu einer Unterbrechung derselben zu bewegen.

Als Franz einen so pünktlichen Gehorsam sah, fragte er sie, warum sie sich denn so sehr ermüdet habe. „Ich glaubte nicht“, gab sie zur Antwort, „dass ich mich auch nur von der geringsten Ihrer Vorschriften entbinden dürfe." --- „In solchen Fällen, erwiderte der Heilige, müssen Sie meine Worte nicht so strenge nehmen und ihnen einen mildern Sinn beilegen." Doch lassen wir Frau von Chantal selbst diese Unterredung erzählen. „Mit der größtmöglichen Gleichgültigkeit, sagte sie, begab ich mich zu dem Bischofe, ohne ein anderes Verlangen zu haben, als mich gehorsam und treu dem zu unterziehen, was mir Gott durch ihn befehlen werde, mit der festen Zuversicht, dass seine Entscheidung der Wille Gottes sei, dem ich ja mein ganzes Herz und alle meine Neigungen zum Opfer gebracht hatte. Bis zu Pfingsten sprach er mit mir über viele Dinge, ließ mich ihm Alles erzählen, was in meiner Seele vorgegangen war, ohne mir noch etwas über seine Absichten mitzuteilen, sondern sagte mir nur, ich möge eifrig und viel beten und mich ohne Rückhalt ganz. Gott hingeben, was ich auch vollständig zu tun suchte. Am zweiten Pfingsttage endlich sagte er mir mit ernster und gesammelter Miene, dass er zu einem Entschlusse über mich gekommen sei. --- „Und ich“, rief ich ihm zu Füßen fallend aus, „ich bin entschlossen, Ihnen in Allem zu gehorchen." --- „Nun“, sprach er, um mich zu prüfen, „Sie sollen Klarissin werden." --- „Mein Vater, ich bin ganz bereit." --- „Nein, Sie sind doch nicht stark genug dafür, Sie müssen Hospitalschwester werden." --- „Mein Vater, Alles was Sie wollen." --- „Das ist es noch nicht, was ich will, Sie sollen Karmeliterin werden." --- „Mein Vater, ich bin bereit zu gehorchen." --- „Nein, versetzte er, auch das ist es nicht, was Gott von Ihnen verlangt; er hat Sie dazu bestimmt, einen Orden zu gründen, in dem die barmherzige Liebe und Sanftmut Jesu Christi die oberste Stelle einnehmen, in welchen Schwache und Gebrechliche aufgenommen werden und der sich mit der Pflege der Kranken und der Unterstützung der Armen beschäftigt. Bei diesem Vorschlag fühlte ich aus der Stelle wie mein ganzes Innere ihm mit süßer Befriedigung entgegenkam, was mir die Versicherung gewährte, dass dies der Wille Gottes sei; bei den anderen Vorschlägen hatte ich das nicht empfunden, wiewohl meine Seele sich ihnen ganz unterwarf."

Von diesem Augenblicke an zögerte der weise Führer nicht länger, und die Gewissheit, dass ihr Vorhaben von Gott eingegeben sei, befestigte ihn ganz und gar in seinem Entschlusse. Doch war er sich der großen Schwierigkeiten, welche sich der Ausführung entgegenstellten, bewusst; ein einziger Sohn, drei noch nicht versorgte Töchter, ein Vater und ein Schwiegervater, die beide schon sehr bejahrt waren und welche zu verlassen schon die bloße Schicklichkeit nicht gestattete, sehr verwickelte Geschäfte, in denen allein die Baronin sich zurecht finden konnte, das waren Alles gewichtige Gründe, die im Wege standen.

Wie konnte sie so viele Bande zerreißen, so viele Hindernisse überwältigen? Und gesetzt, dass man mit diesen fertig wurde, wo sollte man die zur Gründung des Ordens notwendigen Mittel hernehmen? Er selbst war so arm, dass er kaum seinen Unterhalt hatte. Annecy endlich, welches Gott ihm als die Quelle gezeigt hatte, von der aus der Orden sich über die ganze Welt verbreiten sollte, wo, wie die Vernunft allein schon sagte, der neue Weinberg notwendig gepflanzt werden musste, um gepflegt, gereinigt, in Ordnung erhalten zu werden, kurz von der Hand seines Gründers seine Gestalt und Form zu erhalten, war eine Stadt außerhalb Frankreichs und zu klein, um Mitglieder und Mittel liefern zu können. Aber all das machte ihn in seinem Glauben nicht irre. In dem Unternehmen sah er das Werk Gottes, und er wusste, dass der Himmel mit Hindernissen, die sich der Ausführung seiner Absichten in den Weg stellen, leichtes Spiel hat.

In der Tat wurde schon in der nächsten Woche, anscheinend durch einen bloßen Zufall, in einem Augenblicke, wo niemand daran dachte, die erste Möglichkeit zur Ausführung geboten. Frau von Chantal war sehr ermüdet von der Fronleichnamsprozession zurückgekommen, und mehrere Edelleute, unter ihnen Bernhard von Sales, Baron von Thorens, der jüngste Bruder des Bischofs, boten ihr den Arm, um sie in ihr Zimmer hinaufzuführen. „Erlauben Sie, meine Herren“, sprach sie - Bernhard ihren Arm gebend, „dass ich diesen Edelmann als meinen Teil erwähle." Diese bloße Höflichkeit, unter der sonst keine Absicht verborgen lag, ließ Frau von Boisy glauben, die Baronin wünsche ihre älteste Tochter mit Bernhard zu vermählen, ein junger Mann, der allerdings ihre Achtung verdiente, der mit einem unerschrockenen Charakter, Tiefe und Anmut des Geistes, Sanftmut und Gefälligkeit im Umgange verband; demgemäß ließ sie ihr diese Verbindung durch den Bischof antragen. „Nie“, erzählt Frau von Chantal, „befand ich mich in einer solchen Verlegenheit wie bei diesem Vorschlage, da ich wusste, dass die beiden Großväter meiner Tochter entschieden Einspruch dagegen erheben würden, dass sie Frankreich verlasse; doch ließ ich das nicht merken, und bezeugte der guten Frau von Boisy meine Dankbarkeit aus jede Weise.“ So war der erste Schritt zu einer Heirat geschehen, deren Abschluss Frau von Chantal eines Tages in Annecy eine neue Heimat bereiten und die Entstehung des Ordens von der Heimsuchung herbeiführen sollte.

Acht Tage nachher reiste die Baronin nach Hause zurück, von der jüngsten Schwester des Bischofs begleitet, welche sie mit ihren Kindern erziehen wollte; das hatte sie Frau von Boisy versprochen.

Um sie in ihrem Berufe zu befestigen und ihr den Geist und die Tugenden desselben einzuflößen, richtete Franz noch mehrere Briefe an sie. „Immer fester“, schrieb er (Brief 121, 122, 124, 126, 155, 213.), „wird in mir die Überzeugung, dass die Wahl, welche ich für Sie getroffen habe, die richtige ist. Lassen Sie darum Ihr Herz sich nicht zu anderen Wünschen hinreißen; und Gott preisend wegen der Vortrefflichkeit der anderen Berufsarten, bleiben Sie demütig bei dem Ihrigen, der allerdings niedriger und weniger erhaben ist, aber besser Ihren Fähigkeiten entspricht und mehr zu Ihrer unbedeutenden Persönlichkeit passt. .... Halten Sie Ihr Herz weit offen, legen Sie es oft in die Hände der Vorsehung. Halten Sie es fest und stetig hoch emporgerichtet zu Gott, mit vollkommenem Vertrauen aus diese heilige Vorsehung, die Ihnen nicht den Entschluss gegeben hat, ihr zu dienen, ohne Ihnen die Möglichkeit dazu zu geben (Brief 122, 127, 128, 130, 135, 184.). Demütigen Sie sich, aber ruhig und ohne sich zu ängstigen. .... Will Gott, dass Sie am Kreuze seien, so wollen Sie es auch. Töten wir uns ab bis zum Äußersten, und möge Alles in uns sterben, wenn nur Gott in uns lebt. Es soll Ihnen gleichgültig sein, ob Sie Gott folgen unter Dornen oder unter Rosen, indem Sie es sich zur Regel machen, das was ihm wohlgefällt, mehr und inniger zu wollen und zu lieben als Alles aus der Welt (Brief 141, 143, 144). .... Sagen Sie einfach: Herr, wenn du es willst, so will ich es auch; wenn du es nicht willst, so will ich es auch nicht. Weg mit jener Furcht, welche der Seele ihre Kraft benimmt und sie traurig und unruhig macht. Stellen Sie sich vor, dass Sie an der Brust des Heilandes ruhen, in den Armen seiner Vorsehung, oder zu Füßen des Kreuzes, in ihr Herz einige Tropfen jenes von allen Seiten herabtröpfelnden Balsams aufnehmend und die unbeachteten Kräutlein jener Tugenden pflückend, die da ringsumher aufsprossen."

Als Frau von Chantal darüber bekümmert war, dass sie immer noch keine Möglichkeit sah, die Welt verlassen zu können, schrieb er ihr (Brief 156, 122.): „Mut, meine Tochter! Allerdings gewahre ich große Schwierigkeiten, die der Ausführung im Wege stehen, und ich sehe noch nicht, wie sie zu beseitigen sind; aber ich bin gewiss, dass die göttliche Vorsehung aus eine den Geschöpfen unbekannte Weise helfen wird. .... Betrüben wir uns nicht, wenn widrige Stürme sich erheben. Wenn Gott sie will, seien wir denn auch damit zufrieden, seine Vorsehung wird uns schon zum Hafen zu leiten wissen. Die Welt wird wohl darüber reden, aber daran liegt dem nichts, der die Welt verachtet und die Zeit nur als den Übergang zur Ewigkeit ansieht. Wer hat jemals etwas Gutes getan, ohne dass die Welt über ihn zu Gericht saß?" Solche Ratschläge und Trostesworte ermutigten dann wieder die edle Frau, und ruhig widmete sie sich der Erziehung der Fräulein von Sales, die sie mit ihren eigenen Kindern erzog. Nach nicht langer Zeit hatte sie aber den Schmerz, zu sehen, dass die junge Dame erkrankte und nach wenigen Tagen in ihren Armen verschied. Sie erinnerte sich da des Anerbietens, welches ihr Frau von Boisy rücksichtlich ihres Sohnes unlängst gemacht hatte, und um die tiefbetrübte Mutter für einen so grausamen Verlust etwa zu entschädigen, dachte sie ernstlich daran, die gewünschte Heirat zwischen ihrer Tochter und dem Baron von Thorens zu Stande zu bringen. Ihr Vater machte im Anfange viele Einwendungen, fügte sich aber doch zuletzt dem dringenden Wunsche seiner Tochter; der Gedanke, welches Glück und welche Ehre es für seine Familie sei, mit der eines Heiligen verwandt zu werden, trug nicht minder dazu bei, dass er seine Einwilligung, wenn auch ungerne, gab, denn er liebte seine Enkelin zärtlich und sie so weit fortzulassen, fiel ihm sehr schwer. „Ich muss Ihnen gestehen“, schrieb er an den Bischof, „dass niemals eine andere Macht, als jene, welche Gott Frau von Chantal verliehen hat, es vermocht haben würde, mir die Kleine zu entreißen." Das Beispiel des Präsidenten bestimmte auch den Großvater und die übrigen Verwandten von väterlicher Seite, so dass der Verbindung kein Hindernis mehr im Wege stand.

Noch immer hatte die Baronin ihrem Vater nichts von ihrem Entschlusse, eine neue religiöse Genossenschaft zu gründen, gesagt; endlich musste es aber doch geschehen und sie beschloss, die erste günstige Gelegenheit dazu zu benützen. Nach Ostern des Jahres 1609 hielt sie sich eine Zeit lang in Dijon aus; am Vorabende des Festes des heiligen Johannes war sie gerade allein mit ihrem Vater, da die anderen ausgegangen waren, um die Johannisfeuer zu sehen. Sie brachte die Rede aus die Angelegenheit ihres Herzens, indem sie damit begann, wie schmerzlich es ihr sei, ihre Kinder bei dem alten Baron von Chantal zu erziehen, da sein Haus so wenig dazu geeignet sei. „Nun, mache Dir darüber keine Sorgen“, sprach der Vater, „Deine älteste Tochter heiratet ja den Baron von Thorens, die beiden jüngsten sind bereits in dem Alter, wo man sie einem Kloster zur Erziehung übergeben kann, um so mehr, da sie ohnehin Neigung und Beruf zum klösterlichen Leben zeigen, und für Deinen Sohn werde ich sorgen." -- „O alsdann“, rief sie aus, „lassen Sie mich doch die mir so gewordene Freiheit benützen! erlauben Sie, dass ich die Welt verlasse und mich in ein Kloster verschließe, wohin Gott mich schon so lange ruft." Der ehrwürdige Greis, der schon im einundsiebenzigsten Jahre stand, war bei dieser so ganz unerwarteten Bitte wie vom Donner gerührt; er brach in lautes Weinen und Schluchzen aus. Um ihn zu beruhigen, sagte sie ihm, dass dies einstweilen nur noch ein Plan sei, den sie ihm als dem Vertrauten ihrer Gedanken, vor dem sie nichts geheim halten wolle, mitteile, aber doch könne sie nicht umhin, ihm zu bemerken, dass der Bischof von Genf, mit dem sie reiflich die Sache besprochen, der Ansicht sei, dass der Himmel ihr dies Vorhaben eingegeben habe. „Ich glaube“, antwortete der Greis, „dass der Bischof den Geist Gottes hat, aber doch bitte ich Dich, keinen Entschluss zu fassen, bevor ich mit ihm gesprochen habe." Das versprach sie gerne. Sie reiste darauf nach Monthelon zurück, wohin auch der Bischof von Genf nach einigen Monaten kam, um seinen Bruder mit Fräulein von Chantal zu trauen. Am Tage nach der Hochzeit besprach er sich nochmals eingehend mit dem Erzbischofe von Bourges und dem Präsidenten Fremiot über den neu zu gründenden Orden und den Beruf der Frau von Chantal. Beide stimmten zuletzt seinen Gründen vollkommen bei; der Vater verlangte nur, dass das erste Haus des Ordens in Dijon, der Erzbischof, dass es in Bourges oder Autun errichtet werden sollte. Allein die Baronin entgegnete, es müsse in Annecy sein; hier stehe ihr der Bischof von Genf ratend und helfend zur Seite, und außerdem sei es ihr dort möglich, ihre Tochter öfter zu sehen und sie zur Leitung eines großen Hauses mehr heranzubilden. Gegen diese Gründe wusste man nichts einzuwenden; die Baronin sollte also in zwei Monaten nach Annecy abreisen und ihre beiden jüngsten Töchter mitnehmen, um ihre Erziehung zu vollenden.

Während der Bischof zu Monthelon verweilte, erhielt er den Besuch einer Dame, Fräulein von Brechard, die Karmeliterin gewesen, aber wegen ihrer allzu schwachen Gesundheit aus diesem strengen Orden hatte austreten müssen; er entdeckte in ihr so erhabene Tugenden, vor Allem eine so vollkommene Liebe, dass er alsbald die Überzeugung gewann, sie sei von Oben zu einer der ersten und Hauptstützen der neuen Genossenschaft ausersehen. Sie selbst war freudig damit einverstanden, das erste Mitglied des Ordens zu werden, und wartete nur aus nähere Weisung, um sich an Ort und Stelle zu begeben.

Nach Annecy zurückgekehrt, ließ es sich Franz mit allem Eifer angelegen sein, Alles vorzubereiten, um die Genossenschaft sobald als möglich ins Leben zu rufen. außer Frau von Chantal und Fräulein von Brechard hatte sich bereits eine dritte Schwester gefunden, die älteste Tochter des Präsidenten Favre, eine Dame, die alle Vorzüge des Geistes und des Körpers in sich vereinigte und sich des Beifalles der Welt in hohem Grade erfreut hatte. Eines Tages hatte sie aus einem Balle in Chambery mit solcher Anmut getanzt, dass jedermann davon entzückt war. Aber das gerade brachte sie zu ernstem Nachdenken über sich selbst: „Arme Favre“, dachte sie bei sich, „was kann dir das helfen eines Tages? Man wird wohl sagen: Diese Dame hat schön getanzt, und das wird Alles sein; welch ein trauriger Lohn." Die Eitelkeit alles Irdischen kam ihr da so recht zum Bewusstsein, und um sich in der Todesstunde eine bittere Reue zu ersparen, fasste sie den Entschluss, die Welt zu verlassen. Schon hatte sie sich zu dem Zwecke der Leitung des Bischofs von Genf anvertraut, als dessen verwitweter Bruder Ludwig beim Präsidenten Favre um ihre Hand anhielt. Freudig kam dieser seinem Wunsche entgegen und setzte alsbald seine Tochter davon in Kenntnis. Allein Fräulein Favre, weit entfernt, ihre Einwilligung zu geben, bat Franz, sie einer Bewerbung zu entziehen, die sie nur betrübte, und ihr zu helfen, in ihrem frommen Entschlusse zu beharren. Nicht ohne Mühe gelang es dem Bischofe, den Präsidenten zu bestimmen, einer für ihn so schmeichelhaften Verbindung zu entsagen; bei seinem Bruder jedoch war dies schon leichter. Als er eines Tages mit ihm zu Tische war, sprach er lächelnd: „Weißt Du nicht, Bruder, dass Du einen gewaltigen Nebenbuhler hast, dem Du Deine Erkorene wirst überlassen müssen?"-- „Wie, einen Nebenbuhler?“, versetzte Ludwig; „wer darf es wagen, sie mir streitig zu machen?" --- „Ein Nebenbuhler, vor dem Du trotz all Deiner Beherztheit zittern würdest; es ist Jesus Christus, Dein höchster Herr, den Fräulein Favre sich mit Ausschluss jedes anderen zum Bräutigam erkoren hat; darum denke nicht mehr an die Sache." -- „Gott bewahre“, versetzte da sogleich der fromme Christ, „dass ich dem Berufe der Fräulein Favre und dem Willen des Herrn Hindernisse in den Weg legen sollte." Und als er später die Dame traf, sprach er zu ihr: „Hätten Sie mich einem anderen Manne vorgezogen, so würde ich untröstlich darüber sein; aber Gott gegenüber verzichte ich aus alle meine Ansprüche, und ich überlasse Sie gerne dem himmlischen Bräutigam, dessen unwürdiger Knecht ich ja nur bin, nicht wert, sein Nebenbuhler zu sein."

Eine andere Dame, die Franz für den Orden zu haben wünschte, war Fräulein Aimee von Blonay, die er während seiner Mission in Chablais schon als kleines Kind gekannt und zur Frömmigkeit herangebildet hatte. Er schrieb daher an ihren Vater, er möge doch seine Tochter nach Ostern zu ihm bringen. Herr von Blonay, der nach dem Tode seiner Gemahlin selbst in den geistlichen Stand getreten war, war vollkommen damit zufrieden, doch wurde durch das Zusammentreffen verschiedener misslicher Umstände ihr Eintritt in den Orden noch um anderthalb Jahre verschoben.

Ebenfalls aus seiner Mission in Chablais hatte er, wie der Leser sich noch erinnern wird, eine Person in Genf gefunden, die in einem dortigen Hotel als Magd diente, Anna Jacobine Coste. Er hatte sie gleich in Annecy untergebracht, wo sie unter seiner eigenen Leitung stand. Sie war eine auserwählte Seele, Gott und seine Ehre gingen ihr über Alles. Eines Tages drückte sie ihm den Wunsch aus, in dem Orden, welchen er gründen wolle, Laienschwester zu werden. „Ei“, versetzte er, „wer hat Ihnen denn gesagt, dass ich ein Kloster gründen will?" --- „Niemand“, erwiderte sie, „aber ein stetes Gefühl sagt mir es ganz klar." Da Franz bis dahin sein Geheimnis noch keinem Menschen mitgeteilt hatte, so schloss er hierauf, dass Gott es seiner Dienerin offenbart haben müsse, und er gestand es denn auch in aller Einfalt. Seit der Zeit war sie unablässig bemüht, sich noch mehr aus das klösterliche Leben vorzubereiten, und sie konnte die Zeit kaum erwarten, in der Frau von Chantal kommen sollte.

Es war nun Alles soweit in Ordnung, dass es nur mehr eines Hauses bedurfte. Eine fromme Dame, die auch gerne zu der neuen Genossenschaft gehören wollte, kaufte nun ein Haus, die Galerie genannt, und stellte es dem Bischofe zur Verfügung, so dass zur bestimmten Zeit Alles bereit war. Man erwartete noch Frau von Chantal, welche bei der ersten Nachricht, die der Bischof ihr zukommen ließ, sich eilends zur Abreise rüstete. Sie nahm Abschied von ihrem Schwiegervater und Allen, die sie in Monthelon kannte. Die Trauer war allgemein und unbeschreiblich; der alte Baron, dem sie sich zu Füßen warf, um ihn um seinen Segen zu bitten, sowie um Verzeihung für Alles, wodurch sie sein Missfallen etwa erregt habe, umarmte sie laut weinend und schluchzend; ihre Pächter und Nachbarn, die Bewohner des Schlosses, vor allem aber die Armen, die bei ihr immer sichere Hilfe fanden, eine Zuflucht und liebreiche Mutter, waren untröstlich; weinend riefen sie, dass sie mit ihr Alles verlören, und lautes Schluchzen erstickte ihre Stimme. Unter all diesen Tränen und blieb sie fest und stark. „Adieu für immer, meine guten Leute, sprach sie; adieu, meine lieben Armen, ich werde euch immer als meine Kinder betrachten; fürchtet Gott und betet für mich.“ Und nachdem sie die Nachstehenden umarmt hatte, reiste sie ab, um in Dijon Abschied von ihrer Familie zu nehmen. Bei dem Gedanken an das Opfer, das sie zu bringen im Begriffe stand, indem sie das teuerste, was sie aus der Welt besaß, verlassen sollte, fühlte sie doch, wie ihre ganze Natur sich dagegen sträubte, ihre Seele in heftigem Schmerz zusammenzuckte; denn die Gnade erstickt nicht die Natur, sie begnügt sich, dieselbe zu regeln, und die Tugend der heiligen Witwe bestand nicht darin, das natürliche Gefühl zu vernichten, sondern es zu überwinden, um dem Rufe der Pflicht zu folgen. Sie war Tochter und sie war Mutter; als Tochter empfand sie für einen Vater, der sie stets zärtlich geliebt hatte, Alles was die kindliche Liebe nur einflößen kann; als Mutter liebte sie ihre Kinder unaussprechlich; sie hatte sie unter ihren Augen erzogen, sie selbst hatte sie herangebildet zur Tugend und Frömmigkeit, und sie hatten all ihren Bemühungen aus das schönste entsprochen. Um den Mut zu erlangen, sich von so geliebten Wesen zu trennen, stärkte sie sich mit dem Brote der Starken, wallfahrtete sie nach Notre-Dame de l'Etang und nach Fontaine, besuchte sie die Kirchen der Stadt und Umgegend, überall Gott anflehend, ihr die übernatürliche Kraft zu verleihen, deren sie unter solchen Umständen so dringend bedurfte. Am Tage der Anreise waren alle ihre Verwandten bei ihrem Vater versammelt, um ihr das letzte Lebewohl zu sagen. Alle zerflossen in Tränen; besonders aber überließ sich ihr fünfzehnjähriger Sohn dem heftigsten Schmerze; schluchzend stand er in dem Vorzimmer seines ebenfalls untröstlichen Großvaters. Als die Baronin eintrat, um ihrem Vater das letzte Lebewohl zu sagen, fiel er ihr laut weinend um den Hals, und sie fest umschlungen haltend, beschwor er sie bei Allem was heilig ist, ihn nicht zu verlassen. Das Herz der Mutter blutete und ihre Augen schwammen in Tränen. Aber mit Hilfe der Gnade erhob sie sich über die Natur, die zu wanken begann; mit liebreichen Worten tröstete sie ihn, trocknete seine Tränen, stellte ihm vor, dass, wenn Gott ruft, man ihm gehorchen muss, und sich gewaltsam von ihm losreißend, ging sie in das Zimmer des Vaters. Der Sohn versperrt ihr den Weg und wirft sich vor der Türschwelle nieder mit den Worten: „Nun denn, Mutter, wenn ich zu schwach und unglücklich bin, um Dich zurückhalten zu können, so soll man wenigstens sagen, dass Du nur über Dein eigenes Kind hinwegschreitend von uns fortgegangen bist."

Bei einem so herzzerreißenden Anblick blieb sie stehen; sie zögerte und reichlich flossen ihre Tränen; aber auch dieses Mal trug die Gnade über die Natur den Sieg davon, sie schritt über ihr geliebtes Kind hinweg (Mémoires de la mère de Chaugy p. 112.). Ein Geistlicher, der zugegen war, brach in einen Ruf der Bewunderung aus. „Nein, nein, mein Herr“, sprach sie da zu ihm, „die Tränen des Sohnes werden nie die Standhaftigkeit der Mutter erschüttern; aber ich bin Ihnen dankbar für die Bemerkung, die Sie meinem Mute zuteil werden lassen." Und weinend blieb sie einige Augenblicke stehen; da sah sie ihren Vater aus sich zukommen, dessen Schmerz ihr eine neue Marter bereiten sollte. Er schloss sie in seine Arme und hielt sie lange an seine Brust gedrückt; es schien, als könne er sich nicht von ihr trennen. Endlich riss sie sich los und sich ihm zu Füßen werfend bat sie um seinen Segen, bat ihn, für ihren Sohn Sorge zu tragen. Der ehrwürdige Greis hob seine zitternden Hände zum Himmel empor und weinend rief er aus: „O mein Gott, es kommt mir nicht zu, gegen den ewigen Ratschluss Deiner Vorsehung zu murren; von ganzem Herzen unterwerfe ich mich ihm und mit eigenen Händen opfere ich Dir aus dem Altare Deines heiligen Willens diese einzige Tochter, die mir ebenso teuer ist, als Isaak seinem Vater Abraham war."

Sodann gab er ihr seinen Segen, hob sie aus und sie abermals umarmend sprach er: „Gehe denn, geliebte Tochter, wohin Dich Gott ruft; sollte ich Dich in dieser Welt nicht mehr sehen, so werde ich doch zufrieden sterben, da ich Dich im Hause Gottes weiß, und ich hege das Vertrauen, dass Du durch Dein Gebet die Stütze Deines greisen Vaters sein wirst." – O sicher, geliebtester und bester Vater," antwortete die Baronin. -- „Und nun“, sprach der Präsident, „trocknen wir unsere Tränen, wie gerechtfertigt sie auch sein mögen, um dem Willen Gottes unsere Ehrfurcht zu bezeugen und die Welt nicht am Ende glauben zu machen, dass unsere Standhaftigkeit erschüttert sei." So verließ denn die heilige Witwe ihren Vater; das Schwerste war vorüber und der Abschied von ihren übrigen zahlreichen Verwandten wurde ihr um Vieles leichter. Doch konnte sie sich, als sie dieselben Alle weinen sah, der Tränen nicht enthalten. „Man muss mir meine Schwäche verzeihen“, sprach sie, „ich verlasse meinen Vater und meinen Sohn aus immer; aber der Glaube tröstet mich und meinen Gott werde ich überall finden." Ungesäumt machte sie sich nun aus den Weg, und als sie die Tore der Stadt hinter sich hatte, sprach sie frohlockend mit Fräulein von Brechard, die sie begleitete, die Worte:

Ich erbebe vor Freude über das Wort, das zu mir gesprochen wurde: wir werden eingehen in das Haus des Herrn. Wie lieblich sind Deine Wohnungen, Herr der Heerscharen. Es sehnt sich und schmachtet meine Seele nach den Vorhöfen des Herrn. Unsere Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Stricke der Jäger; die Schlinge ist zerrissen und wir sind frei.“

Überall aus dem ganzen Wege suchten sie, wo sie abends blieben, um die Nacht zuzubringen, die Kranken aus, um sie zu pflegen und zu trösten, in den Hospitälern sowohl wie auch in Privathäusern, und ehe sie morgens abreisten, kehrten sie zu ihnen zurück, um ihnen noch die Betten zu ordnen und sich ihrem Gebete zu empfehlen. So geschah es immer, bis sie in die Nähe von Annecy kamen. Der Bischof kam ihnen zwei Stunden weit entgegen, und es begleitete ihn eine Anzahl der angesehensten Bewohner der Stadt; auch das Volk selbst empfing sie mit freudigem Zuruf. Nachdem Frau von Chantal acht Tage, die fast ausschließlich aus geistliche Übungen verwendet wurden, in Annecy geblieben war, brachte sie ihre Tochter nach dem Schlosse Thorens; sechs Wochen verweilte sie daselbst, um ihr noch manche gute und nützliche Lehre zu geben, besonders aber, um für sie eine ergebene und verständige Dienerschaft zu finden, aus die sie sich verlassen konnte.

Unterdessen war Pfingsten herangekommen und sie eilte nach Annecy zurück, weil um diese Zeit der Bischof seine neue Genossenschaft eröffnen wollte, „damit“, wie er sagte, „seine Töchter den heiligen Geist empfingen und berauscht würden von jener Gnade, die uns in den Stand setzt, eine neue Sprache zu reden und ein neues Leben zu führen." Während die letzten Vorbereitungen und Einrichtungen im Hause der neuen Ordensschwestern getroffen wurden, gab Frau von Chantal noch ein Beispiel großer Uneigennützigkeit; sie verzichtete zu Gunsten ihrer Kinder auf ihr gesamtes Vermögen und begnügte sich mit einem kleinen Jahrgelde, das ihr der Erzbischof von Bourges, ihr Bruder, aufsetzte. Dies wurde vielfach als ein unkluger Schritt bezeichnet, besonders da sie sich dadurch der notwendigen Mittel beraube, die ersten Bedürfnisse ihres Hauses zu bestreiten. Allein die edle Frau und der Bischof dachten nicht so; sie wollten zeigen, dass sie bei Gründung ihres Werkes hauptsächlich von einem festen Vertrauen auf Gott und seine Fürsorge geleitet würden, und der Erfolg lehrte, dass Gott ein solches Vertrauen nicht zu Schanden werden lässt, dass er schon aus dieser Welt jene, die aus Liebe zu ihm Alles verlassen, bereichern kann.

Es schien sogar, als wolle der Himmel schon gleich ihrem Mute eine Belohnung zuteil werden lassen durch einen vollständigen Sieg, den er sie über eine heftige Versuchung davontragen ließ. Der Gedanke stieg in ihr auf, es sei doch eine vor Gott und den Menschen verabscheuungswürdige Grausamkeit von ihr, dass sie einen altersschwachen Vater, Kinder, die noch ihrer Hilfe bedurften, so viele Andere, denen sie so viel nützen konnte, verlassen habe; das und der weitere Gedanke, ihren Plan ganz aufzugeben und zu ihrer Familie zurückzukehren, folterte sie drei Stunden lang auf das grausamste; vor lauter Zweifeln wusste sie sich nicht mehr zu Raten noch zu helfen. Da warf sie sich auf die Knie und rief dreimal voll großer Inbrunst: „Herr, eile mir zu Hilfe, sieh' barmherzig auf mein Elend herab! Ich stelle mich ganz“, betete sie dann weiter, „o mein Gott, Deiner anbetungswürdigen Vorsehung anheim. Mögen meine Verwandten, meine Kinder, ich selbst zu Grunde gehen, wenn Du es so beschlossen hast, daran liegt mir nichts; mein einziger Wunsch, in der Zeit und in der Ewigkeit, ist der, Dir zu gehorchen und Deiner unvergleichlichen Majestät zu dienen.“ Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, da erlangte sie ihre frühere Ruhe wieder, begleitet von einer so himmlischen Süßigkeit, dass sie nicht daran zweifeln konnte, Gott billige ihre Absicht, Alles zu verlassen und sich ihm allein zu weihen (Mémoires de la mère de Chaugy p. 116.).

Das Fest der heiligen Dreifaltigkeit war der Tag, an dem die Feier der Grundlegung des neuen Ordens statthaben sollte; er erschien der Baronin als der schönste ihres Lebens. Nachdem sie bei dem Bischofe gebeichtet und auf seiner Hand die heilige Kommunion empfangen hatte, besuchte sie, von den Fräulein Favre und Brechard begleitet, die Kirchen der Stadt und nahm Abschied von ihren Bekannten; Abends gegen sieben Uhr verließen alle drei das Haus des Präsidenten Favre, in dem sie bis dahin gewohnt hatten, und begaben sich nach dem bischöflichen Palais, um den Segen des Bischofs zu empfangen. Mit inniger Zufriedenheit diese drei Opfer, auf deren Antlitze Freude und Heiterkeit strahlte, betrachtend, sprach er zu ihnen:

Wie glücklich sind Sie, die der Herr erwählt hat; behalten Sie diesen guten Mut, lassen Sie ihn aber mit Demut gepaart sein. Gott wird Ihr Gott sein und unter seinem heiligen Blicke werden Sie siegreich Ihren Fuß auf den Kopf Ihrer Feinde setzen." Nachdem er dann Frau von Chantal einen kurzen Abriss der Ordensregeln übergeben, erhob er die Augen zum Himmel und segnete sie Alle„ im Namen des allmächtigen Vaters, der sie anzog, im Namen des Sohnes, der sie leitete, im Namen des heiligen Geistes, der sie mit heiliger Liebesflamme belebte."

Von dem Baron von Thorens, Johann Franz von Sales und Ludwig von Sales begleitet, gingen sie nun nach ihrer neuen Wohnung, welche die Wiege des Ordens von der Heimsuchung werden sollte. Beim Eintritt in die Kapelle, wohin sie sich zuerst begaben, rief Frau von Chantal voll Freude aus: „Das, meine Schwestern, ist der Ort unserer Wonne und Ruhe." Niederknieend dankten sie Gott und baten ihn, dass er ihr Unternehmen weiterhin segnen wolle, dass unter ihnen selbst eine vollkommene Liebe herrschen möge. Die Baronin erhob sich zuerst und umarmte zärtlich ihre beiden Schwestern; ihrerseits erkannten diese sie als ihre Oberin an und versprachen, ihr gehorsam zu sein wie Gott selbst, dessen Stelle sie von nun an bei ihnen vertreten sollte. Sodann las die neue Oberin die Hausregel vor, damit sie unverzüglich mit Pünktlichkeit und Liebe beobachtet werde, und da es schon spät war, verrichteten sie ihr Abendgebet, legten voll Freude für immer ihre weltlichen Kleider ab und begaben sich zur Ruhe. Nie war der Schlaf der beiden Gefährtinnen der Frau von Chantal so ruhig und süß gewesen; nicht so ganz war das bei letzterer der Fall. Sie schlief nur wenig, das Gefühl der Gegenwart Gottes und der lebhaftesten Dankbarkeit gegen ihn beherrschte sie zu sehr. Am folgen-den Morgen weckte sie die beiden Schwestern und gab ihnen das Novizenkleid. Um acht Uhr kam Franz, um die heilige Messe zu lesen, nach deren Beendigung er ihnen eine kurze Ansprache hielt und sie ermahnte, die Regeln ihres neuen Standes treu zu beobachten (Mémoires de la mère de Chaugy p. 121 et suiv..).

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Zweites Kapitel.

Weitere Entwicklung des Ordens von der Heimsuchung.

Das Noviziat der ersten Schwestern von der Heimsuchung war ganz so, wie man es nicht anders von dem heiligen Eifer, mit dem sie das Klosterleben begonnen, erwarten konnte. Frau von Chantal selbst berichtet uns darüber: „Schon mit dem ersten Tage unserer Abgeschiedenheit fingen wir an, Alles was uns vorgeschrieben war, mit der größten Pünktlichkeit auszuüben, und es waren damals schon die nämlichen Übungen wie auch heute noch. Wir suchten auch die geringste Regel so gewissenhaft zu beobachten, dass einmal unsere beiden Schwestern, weil sie eine abgefallene Birne im Baumgarten bloß gekostet, nicht mal gegessen hatten, um zu sehen, ob es Zeit sei, sie zu pflücken, heftige Skrupel darüber empfanden, die sie dem Bischofe mitteilten; und er legte ihnen aus, sich darüber in der Beichte anzuklagen und es der Oberin zu sagen, sowie jeden Verstoß, den sie gegen die Regel begehen würden, möge ihnen der Gegenstand auch noch so geringfügig erscheinen. Der Heilige brachte uns eine solche Liebe zur Pünktlichkeit und Einfachheit bei, dass wir bei dem geringsten Zuwiderhandeln dagegen Gewissensbisse empfanden; man konnte nichts auf dem Herzen behalten, sondern eilte sogleich, um sich der Oberin zu Füßen zu werfen und sich des Fehlers mit großer Demut anzuklagen. Eine größere Reinheit, Unschuld und heilige Freude, als sie in diesen lieben Seelen herrschte, kann man nie finden; und mit all' dem war ein solches Vertrauen auf die Vorsehung verbunden, dass sie sich in dies kleine Häuschen einschlossen, ohne irgend welche Lebensmittel zu besitzen, ohne mal ein Stück Brot oder einen Tropfen Wein zu haben, ja ich glaube, ohne dass sie nur mal ängstlich daran dachten. Wir besaßen zu diesem Unternehmen, das ganz auf dem Vertrauen auf Gott ruhte, nur eine sehr kleine Summe, und unser geistlicher Vater pflegte zu sagen, dass Gott es hier gemacht habe, wie bei der Schöpfung, die er ja auch aus Nichts hervorbrachte. Diese Armut gereichte uns zu besonderem Troste, und ich erinnere mich sehr wohl, welche Freude wir empfanden, als unsere gute Laienschwester einmal einen Sack Kohlen für fünfzehn Pfennige gekauft hatte und wir alle drei mit unseren Schlüsseln, wie die Regel es vorschreibt, zu unserer Geldkiste kamen, und nicht mehr als gerade diese fünfzehn Pfennige darin fanden. Wir richteten uns in Allem nach unserer Armut, und nie hat uns das Notwendige gefehlt. Wir erfreuten uns eines so heiligen Friedens in unserer Zurückgezogenheit und Stille, dass Schwester Favre öfters sagte, wenn es nicht der Ehre Gottes wegen wäre, so möchte sie, dass wir unser ganzes Leben so zubrächten, ohne unsere Anzahl zu vermehren.

Gegen Ende Juli erhielten wir zwei neue Mitglieder, Schwester Roget und von Chastel, und gegen Dezember gesellten sich uns noch drei andere bei, so dass wir nun in Allem acht waren. Es ist unmöglich zu beschreiben, welche Gnaden und himmlische Gunstbezeugungen der liebe Gott über diese teuren Seelen ergoss; man gewahrte in dieser kleinen Genossenschaft eine solche Pünktlichkeit in Beobachtung der Regel, eine Sammlung und einen Geist des Gebetes, eine so kindliche Reinheit und Unschuld, eine Anmut, Sanftmut und eine so heilige Freude im Gespräche, eine so große gegenseitige Liebe, dass dies Haus ein Paradies der Wonne zu sein schien. Man sprach nur von Gott und den Mitteln, in seiner heiligen Liebe Fortschritte zu machen. Unserem heiligen Stifter gereichte das zu unaussprechlichem Troste. Er besuchte uns häufig. hörte uns alle vierzehn Tage Beichte und hielt uns kleine geistliche Konferenzen, um uns die wahre Vollkommenheit zu lehren, einer jeden je nach Bedürfnis die Übung irgend einer besonderen Tugend vorschreibend."

Mit heißer Sehnsucht verlangten die eifrigen Novizinnen nach dem glücklichen Augenblicke, wo sie Profess (Ordensgelübde) ablegen dürften. „Wann, schrieb Frau von Chantal an den Bischof, wird endlich der glückselige Tag kommen, an dem ich meinem Gotte das unwiderrufliche Opfer meines Selbst bringe? In seiner Güte hat er mich mit einer so außerordentlichen und mächtigen Empfindung der Gnade, ihm ganz anzugehören, erfüllt, dass sie, wenn sie in ihrer ganzen Stärke so fortdauert, mich aufreiben wird. Nie empfand ich eine solche Sehnsucht und ein so brennendes Verlangen nach evangelischer Vollkommenheit. Es ist mir unmöglich zu beschreiben, was ich empfinde, noch wie groß die Vollkommenheit ist, zu der Gott uns beruft. Ach, je mehr ich den Vorsatz fasse, treu zu sein der Liebe des Erlösers, um so mehr erscheint es mir unmöglich, der ganzen Größe der Anziehungskraft dieser Liebe zu entsprechen. O, wie ist in der Liebe dieses Hindernis unseres Unvermögens so schmerzlich! Aber was sage ich? ich verkleinere durch solche Worte das Geschenk Gottes und doch vermag ich diesem Gefühle der Liebe, das mich antreibt zu gänzlicher Armut, zu demütigem Gehorsam und vollkommener Reinheit, keinen Ausdruck zu verleihen (Mémoires de la mère de Chaugy p. 131.)."

Als endlich das Noviziat für Frau von Chantal und ihre beiden ersten Mitschwestern zu Ende ging, stellte der Bischof mit einer jeden noch eine Prüfung über ihr Inneres an; und da er sie nicht nur entschlossen fand, diese Lebensweise fortzuführen, sondern auch ausgerüstet mit allen Tugenden, wie der Orden sie erforderte, so gab er ihnen den Tag an, an dem sie das klösterliche Kleid für immer anlegen sollten. Die guten Schwestern wollten für diese Feier ihre Kapelle so herrlich als möglich schmücken; aber dazu war Geld notwendig, und sie besaßen nur eine geringe Summe, die ihnen der Bischof kürzlich zur Unterstützung der Kranken gebracht hatte, mit dem Verbote, dieselbe für etwas Anderes zu verwenden. In ihrer Verlegenheit baten Schwester Favre und Schwester von Brechard inständig die Oberin, sich dieses Geldes jetzt zu bedienen, da sie es bald ersetzen würden, denn der Präsident Favre habe ihnen ein Geschenk versprochen, und so würden die Armen und Kranken nichts zu leiden haben. Die Oberin ließ sich überreden; aber kaum war die Erlaubnis gegeben und das Geld fort, da quälte sie die Furcht, sich eines Ungehorsams schuldig gemacht zu haben, und sie beeilte sich, noch am nämlichen Abende an den Bischof zu schreiben, um ihn von dem Geschehenen in Kenntnis zu setzen. Er wurde über diesen Akt des Ungehorsams tief betrübt, und begab sich gleich am folgenden Morgen zum Kloster, um ihr eine Zurechtweisung zu erteilen. Als er eintrat warf sich Frau von Chantal ihm zu Füßen und bat ihn unter strömenden Tränen um Verzeihung. „Meine Tochter, versetzte er ernst und feierlich, das ist das erste Mal, dass Sie mir ungehorsam gewesen sind; ich habe einen großen Teil der Nacht deswegen nicht schlafen können, und ich kann Ihnen nicht sagen, wie unangenehm ich davon berührt war." Das tat der Oberin so wehe, dass sie beinahe ohnmächtig wurde, und man hatte Mühe, sie wieder aufzurichten in ihrem Schmerze.

Der ersehnte Tag war endlich da. Nachdem Franz seine geliebten Töchter, wie er sich gerne aufzudrücken pflegte, Beichte gehört und noch lange und viel Schönes mit ihnen über das Opfer, das sie zu bringen im Begriffe standen, gesprochen hatte, zog er die bischöflichen Gewänder an und die Feier begann. In einer vorausgehenden feierlichen Ansprache verglich er die drei Schwestern, die Profess ablegen sollten, mit drei Weizenkörnern, die vom Winde getragen irgendwo zur Erde fielen und sich dergestalt vermehrten, dass in wenigen Jahren das ganze Land Überfluss an Weizen hatte. „So werden wir, sprach er wie von prophetischem Geiste ergriffen, ich hoffe es, diese drei Seelen, welche die göttliche Vorsehung als Samenkörner in diesen kleinen Winkel der Erde gelegt hat, zahllose Früchte bringen sehen; die göttliche Barmherzigkeit wird sie mit großer Nachkommenschaft segnen und sie wird in ihnen verherrlicht werden." Nach der Predigt legten nun die Oberin mit den beiden anderen Schwestern das Versprechen, sich Gott gänzlich und ausschließlich zu weihen, mit einer Inbrunst und einer Freude ab, die etwas Himmlisches an sich hatte und die Anwesenden bis zu Tränen rührte. Voll des höchsten Entzückens, einem plötzlichen inneren Antriebe folgend, stimmte da Frau von Chantal drei Mal den Vers an: „Dies ist der Ort meiner Ruhe auf immer; hier will ich wohnen, denn ihn habe ich erwählt." Daher rührt der Gebrauch, diesen nämlichen Vers nach jeder Gelübdeablegung im Orden der Heimsuchung zu singen. Die darauffolgenden Zeremonien wurden auch in der Folge beibehalten, mit dem Unterschiede, dass an Stelle der einfachen Hingabe seiner selbst an Gott, die wirkliche Gelübdeablegung trat; denn Franz hatte ursprünglich nicht die Absicht, einen eigentlichen Orden zu gründen, sondern nur eine Genossenschaft, in welcher man durch nichts Anderes als die Liebe gebunden sein sollte. ,,Und fürwahr, bemerkt Frau von Chantal, dies Band galt uns bei unserem festen Entschlusse, in dieser Lebensweise auszuharren, für ebenso stark als alle Gelübde der Welt." Die ganze vornehme Welt Annecy's, welche der Feier beigewohnt hatte, wollte nachher den Schwestern die üblichen Glückwünsche darbringen, allein der Bischof erlaubte es nicht. „Ziehen wir uns zurück, sprach er, und lassen wir die neuen Bräute Christi in aller Stille und Ruhe die Gabe Gottes kosten."

Fünf Wochen waren nach diesem Tage verflossen, da starb der Präsident Fremiot. Es war für Franz ein herber Schmerz; er verlor in dem edlen Manne einen ergebenen Freund, und ein Herz, wie das seinige, fühlte das sehr tief. Außerdem lag es ihm noch ob, der Frau von Chantal diese Trauerbotschaft zu überbringen, und er wusste, wie sehr das Herz der Tochter dabei leiden würde; er musste seinen ganzen Mut zusammennehmen, um diese schmerzliche Pflicht zu erfüllen. Mit möglichster Schonung suchte er sie auf das schreckliche Wort: „Ihr Vater ist tot" vorzubereiten. Als es gesprochen, war es die erste Frage der starken, heiligen Frau, wie er gestorben sei. Als Franz antwortete, dass sein Tod der des Gerechten gewesen, dass er in den Armen seines Sohnes, des Erzbischofes von Bourges, verschieden sei, rief sie aus: „Nun, dann sei Gott gepriesen." Und über das ewige Los des geliebten Vaters beruhigt, aufrecht erhalten durch das Wort und die Gegenwart des Bischofs, unterlag sie nicht dem herben Schlage; sie erschien gefasst und Herrin ihres Schmerzes. Aber als sie allein war, sich selbst überlassen, da gewann das natürliche Gefühl die Oberhand und sie weinte bitterlich; als sie dann in ihrem Schmerze sich einbildete, dass sie selbst den Tod ihres Vaters beschleunigt habe, dass, wenn sie ihren Austritt aus der Welt um ein Jahr verschoben hätte, sie ihn noch hätte pflegen, ihm die letzten Pflichten der kindlichen Liebe erweisen können, da wollte ihre Seele fast vergehen vor Schmerz, und eine peinigende Unruhe, die Gewissensbissen glich, bemächtigte sich ihrer. In dieser äußersten Betrübnis fiel sie nieder auf ihre Knie, um bei Gott Rat und Trost zu suchen. Sie machte einen Akt der gänzlichen Hingabe ihres ganzen Selbst an den göttlichen Willen, und siehe da, augenblicklich wich die Unruhe dem tiefsten Frieden, wurde es wieder helle in ihrer Seele; in Liebe, ohne peinigende Selbstanklagen vermochte sie des hingeschiedenen Vaters zu gedenken, und innige Gebete für ihn zum Himmel emporzusenden.

Der ursprüngliche Zweck des Ordens war Pflege und Besuch der Armen und Kranken; sobald es nur tunlich war, begann die Oberin damit, und zwar zum ersten Male am Neujahrstage 1612, begleitet von der Schwester Favre; und voll Erstaunen sahen die Bewohner Annecy's, wie diese Dame von so hohem Range alle Winkel des Elends aufsuchte, mit welchem klösterlichen Ernste, mit welcher Bescheidenheit sie auf der Straße einherging, ohne mit jemand zu sprechen, ohne irgendwo sich aufzuhalten, als allein da, wohin die Liebe sie rief; wie sie mit eigenen Händen den Kranken Alles hintrug, dessen sie bedurften, Lebensmittel, Arzneien, Leinwand und Decken, wie sie ihnen die Betten zurechtmachte, ihnen reine Wäsche anzog, ihre Wunden, selbst die ekelhaftesten, verband. Oft waren solche Arme bedeckt von Ungeziefer und Geschwüren und lagen dabei im größten Schmutze auf dem Boden, da sie nicht einmal das armseligste Bett hatten; und die heilige Frau reinigte sie, ohne das geringste Zeichen des Widerwillens zu geben; sie selbst trug ihnen Stroh hin, um ihre kranken, müden Glieder besser zu betten, mit eigenen Händen säuberte sie die elenden Winkel, die oft nicht einmal den Namen eines Zimmers verdienten (Dom Jean de Saint Francois, p. 280.); begehrte der Kranke die heiligen Sakramente, so war sie es wiederum, welche den Priester herbeiholte und die Hütte so gut als möglich zu schmücken suchte, um die heilige Eucharistie mit Anstand aufnehmen zu können. Solche Beweise der Liebe rührte die Armen, lehrte sie die Religion lieben und ihre Lehren befolgen. Das Volk nannte darum auch die Angehörigen des neuen Ordens „Schwestern von der Heimsuchung", welcher Name ihnen auch später blieb, selbst als sie sich nicht mehr mit Krankenpflege abgaben.

Mehr als sonst jemand die heldenmütige Liebe der Oberin bewundernd, wagte eines Tages die Schwester, welche Frau von Chantal begleitete, sie zu fragen, wie ihr das nur Alles möglich sei, und sie erhielt darauf zur Antwort: „Ich kann Sie versichern, liebe Tochter, der Gedanke ist mir nie gekommen, dass ich Geschöpfe bediene. Ich war immer überzeugt, dass ich in diesen armen Kranken Jesus Christus vor mir habe, in den Wunden, die ich verband, erblickte ich nur die des Herrn, misshandelt um unserer Sünden willen und mit mehr Geschwüren bedeckt, als sei er über und über mit Aussatz behaftet (De Cambis, II, p. 284.)." Die Schwestern folgten bald dem Beispiele ihrer Oberin. Jeden Monat wurden zwei andere für diese Kranken- und Armenbesuche bestimmt, und nach Hause zurückgekehrt, mussten sie der Vorsteherin genauen Bericht über den Zustand der Kranken und ihr eigenes Verhalten während der Zeit, dass sie draußen waren, erstatten.

Eines Tages wurden sie vom Bischofe selbst, der wegen einer Wunde am Beine das Bett hüten musste, als sie gerade an seinem Fenster vorbeigingen, zu ihm gerufen. „Sie sind gerade auf dem Wege zu den Kranken, sprach er freundlich; hier liegt auch einer mit einer Wunde am Beine; wollten Sie ihm wohl Ihre liebreiche Hilfe zuteil werden lassen?" Glücklich, ihrem geliebten Vater diesen Dienst erweisen zu dürfen, begannen sie die Wunde zu reinigen und zu verbinden; sie benahmen sich aber etwas ungeschickt dabei, da ihre Hände vor Ehrfurcht und Freude zu sehr zitterten, und taten dem Kranken einige Male recht wehe. Doch ließ er nichts davon merken; erst als der Verband angelegt war, sagte er: „Wenn Ihr die Armen verbindet, meine Töchter, dann müsst Ihr Acht haben, dass Eure Hand recht sicher ist und nicht zittert, auch müsst Ihr Euch nicht so beeilen; denn, wenn man das bloße Fleisch zu rauh berührt, so tut das sehr wehe." Schwester von Brechard erfuhr dies als die beiden nach Hause kamen; da sie viel geschickter und erfahrener in solchen Dingen war, so bat sie auf der Stelle den Bischof um die Gunst, ihn verbinden zu dürfen. Aber er schlug es nicht nur ab, sondern verbot auch allen ausdrücklich, selbst der Frau von Chantal, ihn fernerhin zu besuchen. „Ich werde Euch nicht mehr sehen, ließ er ihnen sagen, bis ich mein krankes Bein ins Sprechzimmer bringen kann." So anspruchslos und bescheiden war er.

Kaum war er wiederhergestellt, da wurde Frau von Chantal ernstlich krank. Schon seit ihrem Noviziate war sie immer leidend gewesen, und die Anstrengungen, denen sich ihre heldenmütige Liebe unterzog, hatten nicht dazu beitragen können, ihr Übel zu heben. Es war nun so bedenklich geworden, dass man für ihr Leben fürchtete. Der Bischof, der sie als die Stütze und das Fundament des Ordens betrachtete, war mit der größten Besorgnis erfüllt; er ließ auf der Stelle die berühmtesten Doktoren kommen, allein die von ihnen vorgeschriebenen Mittel, anstatt das Übel zu heilen oder zu besseren, verschlimmerten dasselbe nur. Da wandte er sich an einen protestantischen Arzt, der in großem Rufe stand; allein auch dieser erzielte keinen besseren Erfolg als seine Kollegen. „Ich sehe, sprach er, nur eine Ursache des Übels; die Dame ist krank vor lauter Liebe zu Gott, und solche Leiden verstehe ich nicht zu heilen." Das war in der Tat der hervorstechende Charakter ihres Zustandes. Das Feuer der göttlichen Liebe verzehrte sie so, dass sie sich selbst ganz vergaß, um in Allem nur das zu suchen, was Gott wohlgefällig war, dass sie nichts verlangte, nichts abwies; und da es ihr ganz gleichgültig war, ob sie noch leben oder schon sterben solle, nahm sie auch alle Arzneimittel, ohne auf die Wirkung zu achten, die sie hervorbringen könnten. „Ich habe recht wohl gewusst, sprach sie eines Tages, dass mir das, was der Arzt verordnete, schaden würde; aber meine Gedanken verweilten dabei nicht. Ich würde, ehe man es mir befohlen hätte, nie gesagt haben, dies oder jenes sei mir schädlich, nachdem ich mich einmal Gott und dem Gehorsam ganz geweiht hatte, aus Furcht, mich mit mir selbst zu beschäftigen; ich hätte es weit eher vorgezogen, zu sterben gerade dadurch, dass ich mich um mich selbst nicht kümmerte, als mein Leben irgend einer Sorge um mich zu verdanken." Das Übel wurde unterdessen immer schlimmer. Man ließ dem Bischofe sagen, dass die Kranke ihrem Ende nahe sei; die Ärzte hätten sie aufgegeben, es sei keine Hoffnung mehr. Für jeden anderen wäre diese Nachricht ein furchtbarer Schlag gewesen; denn jene, durch die er so Großes vollbringen wollte und die ihm alle Hoffnung dazu gegeben hatte, sollte er verlieren; aber gewohnt, seinen eigenen Willen auf dem Altare des göttlichen Willens zum Opfer zu bringen, bewahrte er seine volle Ruhe und begab sich zu der teuren Kranken, um ihr ein letztes Lebewohl zu sagen. „Ist es nicht Ihr Wunsch und Ihr Wille, meine Tochter, fragte er sie, nachdem er einige Augenblicke bei ihr gewesen, dass der Wille Gottes in allen Dingen geschehe?" -- „O ja, ganz gewiss," antwortete sie. -- ,,Nun, vielleicht will Gott, bemerkte er in ruhigem und ergebenem Tone, sich mit diesem Versuche begnügen, wie er sich auch mit der Bereitwilligkeit Abrahams, ihm seinen Sohn zu opfern, begnügte. Wenn er es so beschlossen hat, dass wir das Unternehmen erst halb vollendet aufgeben, so sieht er doch wenigstens, dass wir gerne und bereitwillig das Werk, wozu er uns den Gedanken eingegeben, begonnen haben; sein heiliger Wille sei gepriesen in Ewigkeit.“ Dann ging er wieder nach Hause. Sein Bruder Ludwig war mehr besorgt; der Verlust einer solchen Oberin erschien ihm für die Genossenschaft ein verhängnisvolles Unglück. Als er sich einst dem Bischofe gegenüber in dieser Weise äußerte, versetzte dieser vollkommen heiter und ruhig: „Mein guter Bruder, Gott ist ein unendlich mächtiger und gütiger Herr; Alles steht in seiner Hand, er hat niemanden nötig und selbst auf Steinen kann er sich Kinder Abrahams erwecken." Doch wollte er noch bei Frau von Chantal ein Mittel nach seiner Art versuchen; er mischte in ihren Trank etwas Staub von Reliquien des heiligen Karl Borromäus, zu dem er großes Vertrauen hatte, und gelobte eine Wallfahrt nach seinem Grabe, wenn die Oberin wieder gesund würde. Kaum hatte die Kranke von dem Tranke gekostet, da stieß sie einen tiefen Seufzer aus; man glaubte, es sei der letzte. Allein siehe da, sie öffnete die Augen und sprach zu Franz: „Mein Vater, ich werde nicht sterben; ich fühle mich gesund und wohl, Gott und seinen Heiligen sei Dank." Die Freude des Bischofs kann man sich vorstellen; er betete auf der Stelle laut das Te Deum, und die ganze Genossenschaft stimmte voll freudigen Dankes mit ein. Wenige Tage reichten hin, um die Kranke vollständig wieder herzustellen, und bald sah sie sich im Stande, die Leitung der Kongregation wieder zu übernehmen (Mémoires de la mère de Chaugy, II, p. 167.).

Die Genossenschaft vermehrte sich rasch so bedeutend, dass das bisherige Haus nicht mehr geräumig genug war, um alle Mitglieder zu fassen und neue aufzunehmen. Frau von Chantal erwarb daher käuflich ein zweites Haus, das mit Hinzuziehung mehrerer kleinerer Wohnungen, die an dasselbe grenzten, das erste eigentliche Kloster werden sollte. Mit der Zahl der Schwestern wuchs auch der Eifer derselben und Franz verdoppelte seine Sorgfalt für seine geliebten Töchter. Mündlich und schriftlich erteilte er ihnen die herrlichsten Ermahnungen und Belehrungen. Oft empfahl er ihnen, stets den Gleichmut der Seele zu bewahren, sich in den Widerwärtigkeiten des Lebens und in den Kämpfen, welche die widerspenstige Natur bereitet, fest an die göttliche Vorsehung zu halten; öfters über Tag ihr Herz zu durchforschen, um zu sehen, ob sie in Wahrheit sagen könnten: „Nicht ich lebe, sondern Jesus Christus lebt in mir;" ohne Unterlass den eigenen Willen dem göttlichen so vollkommen zum Opfer zu bringen, dass sie es selbst unterließen, noch einen Punkt zu machen, einen Buchstaben zu schreiben oder einen Satz zu vollenden, sobald der Gehorsam sie rufe; in Allem Gott zu fragen, so wie ein Kind seinen Vater fragt; Alles, Kleines und Großes so anzunehmen, als komme es von seiner väterlichen Hand; dem Nächsten freundlich und liebevoll jeden Dienst zu leisten, um den er bitte; sich in Allem, was die Gesundheit betrifft, ganz und gar jenen zu überlassen, die dafür zu sorgen haben.

Von diesen allgemeinen Ratschlägen ging er zu dem Einzelnen über. Er riet ihnen, morgens beim Erwachen alsbald ihre Seele ohne allen Vorbehalt dem Herzen Gottes anzuvertrauen, und den ganzen Tag über in heiliger, inniger Liebe in demselben zu verweilen. Er gab ihnen für die verschiedenen Feste und Zeiten die Gegenstände der Betrachtung an; dieselbe sollte die erste Übung an jedem Tage sein; er bestimmte ihnen genau den Zweck derselben, Alles sollte dazu dienen, ihre Fehler abzulegen und sich von ihren natürlichen Neigungen zu reinigen, so dass sie nicht mehr für sich selbst, sondern für Jesus Christus lebten. Um das zu erreichen, gab er ihnen die Mittel und Wege an; es war die nämliche Methode, die er in seiner Philothea auseinandersetzt. Er wollte, dass alle sie befolgen sollten und sieben Jahre hindurch unterwarf er Frau von Chantal selbst derselben.

Nach dem Gebete und der Betrachtung kam die heilige Messe. Er schilderte den Schwestern das heilige Opfer als die Sonne unter den Übungen der Frömmigkeit, als das Herz der Andacht, den Mittelpunkt des Christentums und lehrte sie, ihre Huldigungen mit denen der ganzen triumphierenden und streitenden Kirche zu vereinigen, welche in diesem erhabenen Geheimnisse sich mit dem göttlichen Heilande vereinigt, um mit ihm, in ihm und durch ihn die heilige Dreieinigkeit zu verherrlichen. Beim Breviergebete empfahl er ihnen alle Kräfte der Seele zusammenzunehmen, um den Namen Gottes zu preisen und das Lob seiner ewigen Güte zu singen, die niemals genug gelobt werden kann. Bei der Gewissenserforschung und in der Beichte lehrte er sie, sich im Geiste vor dem gekreuzigten Jesus niederzuwerfen, sein heiliges Blut zu betrachten, wie es auf sie herabströme, um ihre Seele von Schmutz und Staub zu waschen, und auf dem Richterstuhle der Buße, als einen kostbaren Schatz, ein zerknirschtes und mit Gott in erneuerter Liebe verbundenes Herz hinwegzutragen. Wenn sie zum Tische des Herrn gingen, so sollten sie sich bestreben, ein Herz voll Glauben, Hoffnung und Liebe mitzubringen, und nachher solle ihr ganzer Wandel so sein, dass jedermann, der sie sähe, erkenne, dass Gott in ihnen wohne. Kurz er wünsche, dass ihr Leben ein ununterbrochenes, Jesu Christo dargebrachtes Brandopfer sei, indem sie ihm alle Augenblicke ihres Daseins, selbst im Schlafe und in der Erholung weihten, und ihre Seele ganz und gar der göttlichen Liebe hingäben durch häufige Anmutungen oder oftmalige Erhebung des Herzens zum höchsten Gute. „Denn, sagte er, diese Übungen bringen, indem sie unsere Gedanken und unser Gemüt zu Gott emporheben, auch alle unsere Handlungen vor ihn und machen sie ihm angenehm." Doch wollte er, dass diese Übungen wie das Gebet immer die Änderung des Herzens durch Verbesserung der Fehler und Ausübung der entgegengesetzten Tugenden zum Zwecke haben sollten. „Es ist notwendig, sagte er, dass Alle, die in diesem Hause sind, sich behandeln, verbessern und ab-schleifen lassen, und fest stehen in der Demut, in der vollkommenen Verleugnung des eigenen Willens, dass ihr Herz losgeschält sei von allen Dingen. Dann werden sie sich zur Ausübung der Tugenden erheben; und bei der Wahl derselben sollen sie nicht den am meisten ins Auge fallenden, sondern den demütigsten den Vorzug geben, wie den kleinen Übungen der Sanftmut, der Geduld, der Ertragung des Nächsten, sollen sich bestreben, Allen in Allem Freude zu machen, außer durch eine Sünde, sich der Sittsamkeit und Eingezogenheit in Blicken, Worten und ihrer ganzen Haltung und ihrem ganzen Benehmen befleißigen, so dass jeder, der sie sehe und höre, sagen könne: das sind wahrhaft Bräute Christi.

Um sie zur Ausübung solcher Tugenden anzuspornen, suchte er ihnen namentlich einige Grundsätze, die gewissermaßen seine Lieblingsgrundsätze waren, recht einzuprägen. „Jenen, welche Gott lieben, gereicht Alles zum Besten, pflegte er ihnen zu sagen; unsere Armseligkeiten sind ganz dazu geeignet, uns demütig zu machen; Betrübnisse, Widerwärtigkeiten und Verfolgungen verdienen uns, wenn wir sie in der gehörigen Weise ertragen, eine Vermehrung unserer ewigen Glückseligkeit. Alles ist Eitelkeit, ausgenommen die Ewigkeit. jeder Tag bringt uns dieser Ewigkeit näher, ja wir stehen bereits mit einem Fuße in derselben; wenn sie nur eine glückselige für uns ist, was liegt denn daran, dass der Übergang zu ihr, der nur einen Augenblick dauert, etwas stürmisch ist. .... Da wir wissen, dass eine drei-oder viertägige Leidenszeit ewige Tröstungen, ewige Freude uns erwerben kann, wie ist es denn möglich, dass wir diese Leiden nicht gerne und bereitwillig ertragen? Da Gott unser Vater ist, und ein so liebevoller Vater, dass er beständig über uns wacht, und dass ohne ihn kein Haar von Unserem Haupte fällt, wie kann es denn geschehen, dass unser ganzes Sinnen und Trachten nicht darauf gerichtet ist, ihn zu lieben und ihm zu dienen?" Besonders suchte er ihnen auch einzuprägen, dass man sein Herz frei machen und frei erhalten muss von aller Anhänglichkeit an jedes geschaffene Wesen, an einen Ort, an Personen, an gewisse Zeiten, an besondere Tugendübungen, um sich einzig und allein an den Willen Gottes zu binden, seinen Trost, seine Ruhe, seine Ehre nur in dem Kreuze des Erlösers zu suchen, an dessen Fuße sie alle ihre Launen und jeglichen Widerwillen, ihre Leidenschaften und Neigungen, ihre Einbildungskraft und ihre Sinne er-töten sollen. „Denn, sprach er oft, man muss viel für Gott leiden, ehe man Gott genießen kann."

Solche und andere Aussprüche und Belehrungen wurden von den guten Schwestern nicht nur mit Ehrfurcht hingenommen und zu befolgen gesucht, sondern sie schrieben sie auch wortgetreu nieder, um in ihnen dem Orden für alle Zeiten einen kostbaren Schatz zu erhalten. Das Einzelne wurde später wieder zusammengestellt, geordnet und er-schien im Drucke als ein herrliches Buch unter dem Titel: „Geistliche Gespräche." Schwester Agnes de la Roche ist nach der heiligen Chantal die Seele dieser Arbeit. Bei der Lektüre dieses Werkes glaubt man Franz selbst zu hören und zu sehen; es ist sein Stil, sein Charakter, seine Art und Weise. Er spricht mit der Einfachheit eines Freundes, der sich mit dem Freunde unterhält, der Kürze und Klarheit eines Lehrers, der unterrichtet, der Salbung eines Heiligen, dessen Worte von Herzen und aus innerster Überzeugung kommen, der nur das lehrt, was er selbst auch übt.

Die Schwestern, von einem solchen Führer geleitet und gebildet, konnten bei ihrem eigenen guten Willen nicht anders als heilig sein. „Unter diesen reinen und guten Seelen, erzählt Frau von Chantal, gab es keinen anderen Wetteifer als den, sich eine jede für die letzte zu halten, und an Liebe und Frömmigkeit die erste zu sein." Ohne es zu wissen hatte die heilige Oberin mit diesen Worten auch ihr eigenes Bild gezeichnet. Sie verrichtete mit Freuden die niedrigsten Arbeiten, so dass sie sogar als Küchenmagd diente, wenn die Reihe an sie gekommen war, und auf's pünktlichste der Schwester, welcher die Besorgung der Küche oblag, gehorchte. Es war darum nicht zu verwundern, dass der neue Orden sich bald in der Nähe und in der Ferne des größten Ruhmes erfreute, und dass immerfort neue Postulantinnen um Aufnahme baten, unter anderen Fräulein Gasparde von Aveze. Der Bischof hatte sie einst selbst getauft, und an dem nämlichen Tage war ihm eine Offenbarung über ihren künftigen Beruf zuteil geworden. „Seien Sie willkommen, rief er ihr daher entgegen, als sie sich ihm vorstellte, ich habe Sie schon lange erwartet; am Tage Ihrer Taufe hat Gott mich wissen lassen, dass Sie Eine der unsrigen sein würden; schon damals habe ich es Ihren Eltern gesagt. Auch zu Frau von Chantal bemerkte ich noch vor einigen Tagen, dass sie am Feste der heiligen drei Könige eine neue Schwester bekommen würde, und ich meinte Sie damit." Die junge Dame war durch diese Eröffnung um so mehr überrascht, als sie bis dahin noch niemanden ihre Absicht mitgeteilt und durch ihr bisheriges Leben auch nicht mal die Vermutung hatte aufkommen lassen, dass sie je die Welt verlassen würde. Ein solche wunderbare Offenbarung des göttlichen Willens rücksichtlich ihres Berufes erregte daher ihre größte Bewunderung. Auch sie selbst hatte denselben schon in einem Traume zu erkennen geglaubt, in dem sie über der Stadt Annecy eine große Straße erblickte, deren eines Ende bis an den Himmel reichte, während das andere von dem Glanze dreier Sterne hell erleuchtet war, und sie glaubte eine Stimme zu vernehmen, die ihr zurief: ,,nur auf diesem Weg wirst du zum Paradiese gelangen." Die drei Sterne schienen ihr Frau von Chantal, Schwester von Brechard und Favre zu bedeuten; und nicht mehr daran zweifelnd, dass diese Stimme eine Mahnung des Himmels für sie sei, war ihr der Gedanke gekommen, sich diesen drei Sternen beizugesellen; lange verfolgte sie derselbe, bis sie endlich der Gnade nachgebend den Vorsatz fasste, in den Orden der Heimsuchung zu treten und ihn nun aufführte.

Frau von Chantal verlor kurze Zeit nachher ihren Schwiegervater durch den Tod, und Franz erachtete es für notwendig, sie im Interesse ihrer Kinder, der einzigen Erben des verstorbenen Barons, nach der Bourgogne zu schicken, um die Erbschafts-Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Während ihres Aufenthaltes daselbst führte sie dasselbe heilige Leben wie auch im Kloster selbst; nicht größer konnte in letzterem ihre Frömmigkeit, ihre innere Sammlung, ihre Treue in Beobachtung der Regel sein. Jene Magd des Barons, von der sie so viele Jahre hindurch eine so unwürdige Behandlung erfahren hatte, nahm auch jetzt wieder einen harten, unverschämten Ton gegen sie an; die heilige Oberin, in deren Macht es stand, sie auf der Stelle fortzuschicken, vergalt dieses nichtswürdige Betragen nur durch Wohltaten, gab ihr sogar Beweise von Herzlichkeit und Liebe, und als der Baron von Thorens, der sie begleitete, einmal seine gerechte Entrüstung über die Frechheit dieser Magd äußerte, erwiderte sie freundlich und gelassen: „Ich finde darin nichts Neues, nichts Befremdendes; es war noch ganz anders, als mein Schwiegervater noch lebte." Ja, ihre Liebe war so heroisch, dass sie die Person mit sich am nämlichen Tische essen ließ, wie wenn dieselbe ihres Gleichen gewesen wäre. -- In den Angelegenheiten des Verstorbenen herrschte die größte Unordnung; fünf Wochen lang hatte sie von morgens bis Abends zu arbeiten, um diesen Wirrwarr zu ordnen, hatte sie mit groben Bauern zu tun, die durch allerlei Kunstgriffe und Lügen ihre Schulden zu verheimlichen suchten; und trotz alledem sah man sie niemals ihre Ruhe verlieren oder in Aufregung geraten; nichts konnte den Gleichmut ihrer Seele erschüttern.

Als sie endlich Alles so gut als möglich ins Reine gebracht hatte, eilte sie ohne weiteren Aufenthalt nach ihrem lieben Annecy zurück. Kaum war sie daselbst angelangt, da wurde sie gefährlich krank, so dass man abermals für ihr Leben fürchtete; aber nochmals geschah ein Wunder. Der Bischof reichte ihr, nachdem er lange und inbrünstig gebetet hatte, die Reliquien des heiligen Blasius, welche in der Kirche des heiligen Mauritius aufbewahrt wurden, zum Kusse dar, und auf der Stelle wurde sie vollständig gesund. Eine Schwester hatte bei dieser Gelegenheit die Bemerkung fallen lassen, es sei nicht nötig gewesen, einen armenischen Heiligen aus dem vierten Jahrhunderte zu Hilfe zu nehmen, da der Bischof von Genf ganz allein im Stande gewesen wäre, diese Heilung zu bewirken. Den demütigen Prälaten berührte das so schmerzlich, dass er in Tränen ausbrach; vor der ganzen Genossenschaft wies er sodann die Schwester strenge zurecht und legte ihr als Buße auf, nicht nur den heiligen Märtyrer um Verzeihung zu bitten, sondern auch noch während dreier Jahre am Vorabende seines Festes zu fasten.

Immer meldeten sich aufs neue fromme Personen zum Eintritte in die Genossenschaft; unter anderen eine Dame von Stande, in die ein junger Edelmann bis zum Wahnsinn verliebt war. In der Wut seiner getäuschten Leidenschaft setzte er sich in den Kopf, dass die Dame nur auf Antrieb des Bischofs ins Kloster getreten sei; im größten Zorne lief er darum nach dessen Palais und spie eine Flut der heftigsten Verwünschungen gegen den Heiligen aus. „Mein Herr, entgegnete Franz, nachdem er ihn ruhig angehört hatte, untersuchen Sie doch die Sache etwas näher; Sie werden dann finden, dass ich nicht der Ratgeber dieser Dame gewesen bin, sondern nur ihre Wahl gut geheißen habe." Allein der junge Mann, seiner Leidenschaft nicht mehr Herr, tobte und schrie nur noch stärker. „Mein Herr, sprach der Bischof abermals, Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie mir all diese Schmähungen und Verwünschungen ganz leise sagten; ich gebe Ihnen die Versicherung, dass ich sie alle zu Füßen des Kreuzes legen werde, und niemand etwas davon erfahren soll." --- „Ich bin froh, entgegnete der Andere, wenn jedermann erfährt, wie wenig ich von Ihnen halte." --- „Ich würde es auch sein, sprach der demütige Bischof, wenn diese mir zugefügten Unbilden zu Ihrem Lobe gereichten." – Der Wütende ließ sich durch nichts besänftigen. „Diese Nacht noch, rief er, werde ich die Türen des Klosters einschlagen, mir die Dame herausholen und das Ganze in Brand stecken." -- „Herr, versetzte da Franz in ernstem Tone, Sie sagen zu viel und Sie werden das nicht tun. Gott und die weltliche Gerechtigkeit werden Sie schon zu hindern wissen." Doch traf er seine Vorsichtsmaßregeln. Er ließ der Oberin sagen, sie solle die betreffende Dame in das von der Straße am weitesten entfernt liegende Zimmer bringen und in der Nähe der Fenster Licht brennen lassen, im Übrigen jedoch auf Gott vertrauen und ohne Furcht sein. Der Edelmann hielt wirklich Wort. Gegen Mitternacht erschien er mit seinen Leuten und suchte das Tor zu zertrümmern. Da ihnen das trotz aller Anstrengungen nicht gelang, warfen sie die Fenster ein und stießen eine Menge der unverschämtesten und gemeinsten Redensarten gegen die Bewohner des Hauses aus. Als man Franz am Morgen das Geschehene erzählte, sprach er: „Danken wir Gott; alles das hat nicht viel zu sagen; ein bisschen Spektakel, das der Wind mit fortweht. Aber der junge Mensch ist aufgebrachter gegen die Dame als gegen mich; er dachte, sie würde sich wenigstens am Fenster zeigen, um ihn zu bitten, doch wegzugehen. Ihr Schweigen nun, das er ihrer Verachtung für ihn zuschrieb, hat ihn so empört, dass er mir sagen ließ, sie sei ein stolzes Weib und er wolle nichts mehr von ihr wissen."

Dieser Fall blieb nicht vereinzelt. Leidenschaft und Habsucht standen noch öfter feindselig dem .Kloster gegenüber; von bösen Zungen wurde es auch nicht verschont, wie ja das Gute und Schöne in der Welt immer am ehesten der Verleumdung ausgesetzt ist. Man sagte den armen Schwestern alles Böse nach. Um ihren Mut in solchen Prüfungen aufrecht zu erhalten, wies sie Franz oft auf die erhabenen Wahrheiten des Glaubens hin. „Es tut mir leid, schrieb er unter anderem an Frau von Chantal (Brief 329 u. 330.), dass die Verleumder so sündigen; aber diese Beleidigungen sind eins der sichersten Zeichen des Beifalles des Himmels. Um uns dies Geheimnis verständlich zu machen, wollte unser Heiland selbst zuerst verleumdet werden und er hat gesagt: „Glückselig diejenigen, welche Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen." Hegen wir darum das Vertrauen, dass die göttliche Barmherzigkeit, was sie in uns begonnen, auch vollenden werde, und dass sie dies bisschen Öl guten Willens in uns so vermehren werde, dass nicht allein unsere Gefäße genug haben, sondern wir auch noch die unserer Nachbarn damit füllen können.“

Übrigens zeigten Tatsachen besser als jede andere Verteidigung, wie ungegründet und nichtswürdig all diese Verleumdungen waren. Man hatte dem Orden besonders den Vorwurf gemacht, dass er sich der Erbschleicherei schuldig mache. Es fügte sich nun, dass die Baronin von Mirabel ihm ihr ganzes Vermögen testamentarisch vermachte. Da ihre Verwandten aber hiemit sehr unzufrieden waren und das Testament umzustoßen suchten, verzichtete Franz auf der Stelle aus freien Stücken auf die reiche Erbschaft, indem er bemerkte, er wolle nicht, dass die Bienen sich mit den Ameisen um die Güter der Erde stritten, und dass er froh sei, bei dieser Gelegenheit seinen Töchtern abermals die Lehre geben zu können, sich loszuschälen von allen Dingen dieser Welt, auf eine bessere Grundlage als Glücksgüter es sind ihr Haus zu bauen, nämlich auf die Armut und alle christlichen Tugenden. Auf diese Weise verteidigte der Heilige am besten sein Werk gegen alle Vorwürfe und Beschuldigungen. Doch verschmähte er es dabei nicht, ihm auch das Wohlwollen der Mächtigen zu verschaffen. Er bat zu diesem Zwecke die Tochter des Herzogs von Savoyen, die Infantin Margareta, Hergogin von Mantua, den Orden der Heimsuchung unter ihren hohen Schutz zu nehmen. Gerne und mit Freuden gewährte die Fürstin diese Bitte und schickte dem Senate eine urkundliche Erklärung zu, dass die Kongregation jetzt und für immer unter ihrer Obhut stehe und dass sie wolle, dass sie in allen Staaten ihres Vaters begünstigt und unterstützt werde.

Ein eigentliches Kloster, das diesen Namen verdient hätte, besaß die Genossenschaft bis dahin noch nicht; die von ihr bewohnten Häuser waren nicht viel mehr als Privathäuser, wenn auch das zweite, von Frau von Chantal angekaufte, schon eher den Charakter eines Klosters trug. Das Bedürfnis eines solchen wurde mit der Zeit doch immer fühlbarer und Franz legte entschlossen Hand ans Werk. Aber schon eine Menge Schwierigkeiten waren zu überwinden, ehe man nur den geeigneten Platz erworben hatte; ohne die Vermittlung des Herzogs von Savoyen, des Herzogs von Nemours, sowie der Infantin Margareta wäre derselbe vielleicht nicht mal gefunden worden. Als es endlich zum Bauen selbst kam, zeigte sich von einer gewissen Seite her eine solche Abneigung und Feindseligkeit gegen das Unternehmen, wurden ihm so viele Hindernisse in den Weg gelegt, dass es nur langsam vorangehen konnte. Man ging so weit, dass man nicht einmal die Arbeiter in Ruhe ließ, sie mit Steinen warf, ihre Werkzeuge versteckte, das Tags über Aufgebaute Nachts wieder zerstörte. Franz selbst war einmal genötigt, einem Nichtswürdigen, der einen wegen der Feuchtigkeit des Bodens errichteten Bretterdamm zerschlagen wollte, die Axt aus der Hand zu nehmen und ihn mit allem Ernste, wenn auch mit Sanftmut, zurechtzuweisen. Wie er nachher Frau von Chantal sagte, hatte er bei dieser Gelegenheit aber doch sich große Gewalt antun müssen, um ruhig zu bleiben. Diese Mäßigung hinderte aber jenen Burschen, der noch zudem ein elender Bettler war, nicht, mit triumphierender Miene überall zu erzählen, dass es ihm gelungen sei, den Bischof in heftigen Zorn zu versetzen. Ein Freund setzte ihn brieflich von diesem Gerede in Kenntnis und fragte ihn im Vertrauen, ob die Geschichte wahr sei. ,,Recht herzlich habe ich gelacht, schrieb Franz zurück, als ich in Ihrem Briefe las, dass ich so zornig geworden sei. . . . Wenn der, welcher meinen Zorn zum Stadtgespräch gemacht hat, ebenso frei davon wäre als ich, dann würden Sie in keiner Bekümmernis meinetwegen sein. Ich bitte Sie. inständig, ihn, wenn er wieder zu Ihnen kommt, in meinem Namen zu umarmen und ihm ein doppeltes Almosen zu geben. Denn ich gestehe, dass er nicht ganz und gar Unrecht hat. Ich war in der Tat aufgeregt; aber ich hielt meine Aufregung nieder, und meine Schwäche habe ich unserer guten Mutter gestanden, der bei dieser Gelegenheit ebenso wenig als mir irgend ein leidenschaftliches Wort entschlüpfte. Es scheint mir, dass es jenen guten Leuten Vergnügen macht, ihr recht oft Gelegenheit zur Abtötung zu geben, nach denen sie ja einen unersättlichen Durst hat. Doch was haben wir denn eigentlich dem guten Manne getan? Unsere Mutter und ich wollten ja weiter nichts als ein paar kleine Zellen für unsere lieben Bienen, die sich nur bemühen, den Honig aus den geheiligten und himmlischen Höhen zu sammeln, und denen es nicht um die Größe oder Schönheit ihres Korbes zu tun ist."

Gleichzeitig ging Franz damit um, ein Haus seines Ordens in Lyon zu gründen, um was der dortige Erzbischof ihn schon lange gebeten hatte. Die Schwestern aber, welche er dahin schicken wollte, sollten alle freiwillig gehen, und demgemäß stellte er an eine jede die Frage, ob sie Lust dazu habe. Von allen erhielt er die nämliche Antwort, sie wollten nichts anders als gehorchen; entschlossen, der Welt und sich selbst abzusterben, seien sie nur darauf bedacht, für Gott zu leben, nichts anders zu wollen, als was Gott wolle. Das genügte ihm und seine Wahl fiel auf Frau von Chantal, die Schwestern Favre, de Chastel und de Blonay nebst noch einigen anderen, welche noch nicht Profess abgelegt hatten. Mit der aufrichtigsten Freude wurde die Ankunft der kleinen Schar von der ganzen Stadt begrüßt und wenige Tage nachher schon am 2. Februar 1613 wurde ihnen das längst für sie hergerichtete Haus feierlich übergeben.

An dem Tage ihrer Einführung fühlte die heilige Oberin während der Kommunion ihr Herz von einer solch außerordentlichen Liebe durchdrungen, dass es ihr nicht anders war, als werde ihr Inneres von einem heftigen Feuer verzehrt; und mehrere Jahre hindurch fühlte sie bei jeder Kommunion, wie dies Liebesfeuer aufs neue hellauf loderte. „In jenen Augenblicken, sagt sie, war ich ganz und gar versenkt in den Gedanken an mein schon früher gemachtes Gelübde, immer nur das zu tun, was ich als das Vollkommenste erkennen würde, und es war mir, als ob dies Feuer bei jeder Kommunion etwas von meinen Unvollkommenheiten und Fehlern hinwegbrenne und verzehre."

Herrlich wuchs und blühte die junge Genossenschaft, sichtbar von dem Schutze des Himmels und seiner Gnade begünstigt, von den Bewohnern der Stadt geschätzt und geliebt. jedoch sollten und durften Prüfungen nicht ausbleiben. Bisher war der Unterhalt des ganzen Hauses fast allein von einer frommen Dame, welche in den Orden eingetreten war, bestritten worden. Aus Furcht, dass ihr ganzes Vermögen an das neue Kloster gelange, bemächtigten sich ihre gegen die Schwestern wütenden Verwandten desselben, wodurch diese sich auf einmal in die drückendste Not versetzt sahen. Doch sandte der Himmel immer rechtzeitig Hilfe. Eines Tages waren die Lebensmittel vollständig alle geworden und die armen Schwestern wussten nicht, woher sie auch nur das Notwendigste bekommen sollten. Frau von Chantal warf sich auf die Knie und betete inbrünstig das Gebet des Herrn: „Gib uns unser tägliches Brot." Kaum hatte sie es geendet, da tönte die Hausglocke; man öffnete und ein Unbekannter überreicht der Oberin eine Summe von achtzig Talern, mit der bloßen Bemerkung, der, welcher ihr dieses Almosen schicke, ersuche sie inständig, für ihn zu beten. Ein anderes Mal wünschte sie zur Aufbewahrung des Allerheiligsten ein silbernes Ciborium zu haben und sie bat Jesus Christus, da er so sehr für seine Bräute sorge, doch auch für ein seiner selbst würdiges Gefäß zu sorgen. Wiederum erscheint ein Unbekannter und bringt ein Ciborium von vergoldetem Silber, mit dem Wunsche, man möge sich desselben so bald als möglich bedienen (De Cambis, II., p. 435.).

Außer diesen Tröstungen, welche ihnen von der Vorsehung zuteil wurden, erhielten sie auch stets Beweise der liebenden Fürsorge ihres heiligen Stifters. Häufig schrieb er an Frau von Chantal, um sie zu ermutigen und zu stärken in ihren Prüfungen. In fünf Wochen richtete er nicht weniger als fünf Briefe an sie. Schon gleich am Tage nach ihrer Abreise sandte er ihr ein Schreiben nach, das sie noch unterwegs antreffen sollte. „Die Vorsehung wird Ihnen helfen, sagt er darin (Brief 315.); rufen Sie dieselbe an in allen schwierigen Lagen. Je weiter Sie kommen, um so mehr fassen Sie Mut und um so mehr soll es Ihre Freude sein, den Herrn zufrieden zu stellen, dessen Zufriedenheit den ganzen Himmel erfreut. Arbeiten Sie ruhig und heiter an dem Werke, das er Ihnen aufgetragen hat. Die hiesigen Engel halten ihre Augen auf Sie und Ihre kleine Schar gerichtet, und können Sie nicht verlassen; die Engel Frankreichs werden Ihnen ihren Segen entgegenschicken und sie betrachten Sie schon mit Liebe, wie Sie nach jenen Orten hinziehen, welche ihrer Obhut anvertraut sind, da Sie ja nur hingehen, um sie in ihrem Amte zu unterstützen ..... O Gott meines Herzens, möge meine geliebteste Tochter in Deiner Hand sein; möge ihr Engel ihr immer zur Rechten stehen und sie schützen, und möge die heilige Jungfrau sie immer erquicken durch den Blick ihres huldvollen Auges."

Ich habe erfahren, schrieb er in den folgenden Briefen (Brief 316.), dass Sie krank sind und etwas erstaunt, den Stand der Dinge nicht gerade so günstig gefunden zu haben, wie wir in unserem Wunsche ihn uns aufmalten; das ist aber ein echtes Zeichen von der Güte des Werkes. Der Anfang ist immer schwer, der Fortgang schon weniger und das Ende glücklich. Lassen Sie den Mut nicht sinken in den Widerwärtigkeiten. Das Tor des Trostes öffnet sich nicht so leicht, allein die Folge wird den Lohn schon mit sich bringen. Leiden Sie Alles, suchen Sie sich Alles zu versüßen und zu erleichtern und ertragen Sie Alles mit schweigender Geduld. Wir müssen säen in Arbeit und Not und Angst, um in Freude, Trost und Glück zu ernten. Immer bin ich im Geiste mitten unter Ihnen und ich höre nicht auf, heilige Wünsche für Ihre Person und Ihre Schar zum Himmel emporzusenden: Herr, segne mit Deiner Hand das Herz meiner Mutter, auf dass es gesegnet sei in der Fülle Deiner Süßigkeit, und zu einer reichen Quelle werde, die eine große Zahl Dir treu ergebener Herzen hervorsprudelt .... Ich bin sicher, dass Gott etwas Großes von uns verlangt (Brief 327 u. 328.). Beobachten Sie aber die Vorschrift der Heiligen, wenig oder gar nicht von sich zu reden und dem was unser ist. Unsere Eigenliebe verblendet uns oft; unsere Augen müssen wohl verschlossen sein, um uns nicht über uns selbst zu täuschen." So dachte der Heilige stets an jene, welche ihm teuer waren, auch in der Ferne; so übte er selbst, was er sagte. „dass die Weltleute sich wirklich verlassen, wenn sie sich verlassen, die Kinder Gottes aber, anstatt sich je zu verlassen, immer in Jesu Christo vereinigt sind (Brief 319)."

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Drittes Kapitel.

Franz gibt dem Orden der Heimsuchung seine Regel. -- Rasche Fortschritte desselben.

Frau von Chantal war neun Monate in Lyon, als der Bischof sie nach Annecy zurückrief. Hier an der Wiege der Kongregation schien ihm ihr Wirken viel nützlicher und unentbehrlicher zu sein, als anderswo, und außerdem wünschte er, da er in diesem Augenblicke dem Orden, der schon wieder um ein neues Haus in Moulins, im Bistume Autun, vermehrt worden war, seine festen Regeln geben wollte, dieselben vorher mit ihr zu beraten, was um so geeigneter erschien, da der Erzbischof von Lyon, Herr von Marquemont, unter dem sie damals stand, Ansichten in Betreff des Ordens hatte, die mit denen des Stifters selbst gar nicht übereinstimmten. Ersterer war der Meinung, es bedürfe durchaus der Klausur und der feierlichen Gelübde, um der Kongregation eine feste Grundlage zu geben und ihren Bestand zu sichern. Franz war anderer Ansicht. Seine Kongregation sollte nicht ein eigentlicher Orden, die Schwestern sollten nicht der Klausur unterworfen sein; sie sollten ausgehen, um die Kranken zu pflegen, die Betrübten zu trösten, die Armen zu unterstützen, das tätige Leben der Martha mit dem beschaulichen der Maria verbinden. Bei einer strengen Klausur wäre das nicht mehr so gut möglich gewesen. Doch bestand er keineswegs hartnäckig auf seiner Meinung; nach reiflicher Erwägung der Gründe gab er dem Erzbischof nach, und es wurde bestimmt, dass die Kongregation jetzt zu einem eigentlichen Orden mit Klausur und feierlichen Gelübden erhoben werden sollte. Demgemäß beschloss er nun die Regeln zu entwerfen. Lange Zeit hindurch flehte er vorher in inbrünstigem Gebete zum Himmel um Erleuchtung, prüfte die Konstitutionen der verschiedenen Orden, um aus allen das herauszuwählen, was ihm für seinen Zweck am passendsten erschien; auch vergaß er nicht, die in dieser Hinsicht hervorragendsten Männer zu Rate zu ziehen. Die Regel sollte so beschaffen sein, dass auch die Schwächsten sie nicht zu strenge fänden, noch die Stärksten zu leicht, dass Alle mit ihr zufrieden seien, wenn sie es nur verständen, Gott und den Nächsten zu lieben.

Zu unmittelbaren Oberen sämtlicher Häuser des Ordens bestimmte er die Bischöfe, „denn, sagte er, wenn es einmal vorkommen sollte, dass ein Bischof die Ordnung in Verfall geraten lässt, so wird sein Nachfolger den Fehler wieder gut machen; da Gott, der stets mit seiner Kirche ist, es nicht zulassen kann, dass eine lange Reihe von Prälaten ihre Pflicht in dieser Hinsicht vergessen (Geist des heil. Franz von Sales, X, 8)." In die Kongregation darf niemand angenommen werden, der nicht wenigstens sechszehn Jahre alt ist; jede Aspirantin muss fertig lesen können, wenn sie Chorschwester werden will; ihre weltlichen Angelegenheiten muss sie vorher wohl geordnet und ihre Kinder, wenn sie deren hat, versorgt haben, so dass ihr Bleiben in der Welt keine Notwendigkeit mehr ist; sie darf mit keiner ansteckenden Krankheit noch einem Gebrechen behaftet sein, das sie unfähig macht, die Regel zu beobachten und an den Übungen der Genossenschaft Teil zu nehmen; sie muss von einem guten Geiste beseelt sein und willig, unter dem Gehorsam zu leben, Sanftmut, Demut und Einfachheit zu üben. Unter diesen Bedingungen können Alle aufgenommen werden, Witwen, Ungestaltete, Kränkliche und Alte; andere körperliche Bußübungen, als die in der Regel angegebenen, dürfen nicht geduldet werden (Charl.-Aug., p. 476.).

 

Die Schwestern bilden drei Klassen: die Chorschwestern, welche das Offizium (Stundengebet) zu beten oder zu singen haben; die Gehilfinnen, welche von dem Offizium entbunden sind, aber in allem Übrigen dieselben Obliegenheiten und Pflichten wie die ersteren haben; zuletzt die Laienschwestern, welche keine Stimme auf dem Kapitel (Hauptversammlung der geistlichen Körperschaft) haben. Kein Ordenshaus darf, außer mit Dispens (Bewilligung), mehr als dreißig Mitglieder haben. Die Klausur muss genau beobachtet werden. Müssen Fremde, z. B. der Arzt oder Beichtvater oder Handwerker eingelassen werden, dann sollen sie am Tage von zwei und Nachts von vier Schwestern begleitet werden.

In Allem haben die Schwestern der Oberin zu gehorchen; ohne ihre Erlaubnis dürfen sie nicht fasten oder sich irgend eine andere körperliche Bußübung auferlegen, vertrauensvoll sollen sie derselben ihr Herz erschließen und nach ihrem Rate handeln. In kleinen Dingen kann sie Dispens erteilen, in wichtigeren bleibt die Entscheidung dem Bischofe vorbehalten. Mit Sanftmut soll sie ihre Schwestern leiten, eher mit Bitten denn mit Befehlen; alle Briefe, welche abgeschickt werden und welche ankommen, soll sie lesen, mit Ausnahme jener, welche an den Oberen gerichtet sind oder von diesem kommen. Ist ihre Zeit als Oberin verflossen, so wird sie wieder in Demut und Gehorsam ihren Platz unter den Letzten nehmen.

Die Schwestern sollen nichts als Eigentum besitzen und jedes Jahr Zimmer, Bett, Kleider, Leinwand, Bücher, Rosenkränze, Kreuze, Medaillen und andere ähnliche Gegenstände wechseln, um jeder Anhänglichkeit an was es immer sein möge vorzubeugen oder abzulegen. Alles was zu ihrem Gebrauche dient, soll einfach sein; nur im Dienste des Altars dürfen kostbare Gegenstände gebraucht werden.

Von Ostern bis zu Michaelis wird um fünf Uhr aufgestanden, von halb sechs bis halb sieben findet Gebet und Betrachtung statt, dann folgt das Absingen der Prim aus dem kleinen Offizium der allerseligsten Jungfrau, welches allein in der Kongregation in Gebrauch sein soll. Um acht Uhr werden Terz und Sext gebetet; danach beginnt die heilige Messe und nach derselben folgt die None nebst Gewissenserforschung. Um zehn Uhr findet das Mittagessen statt, welches nebst der Rekreation (Entspannung) bis zwölf Uhr dauert. Dann haben sich sämtliche Schwestern zur Oberin zu begeben, um von derselben ihre Beschäftigung bis zum Abend zu erhalten. Um drei Uhr ist die Vesper nebst der geistlichen Konferenz, um fünf Uhr die Komplet (Schlussandacht), woran sich eine Litanei und Gebet von einer halben Stunde schließt. Um sechs Uhr wird zu Abend gegessen, darauf wiederum Rekreation; während derselben haben alle wiederum, wie am Mittage, vor der Oberin zu erscheinen, welche einer jeden ihre Arbeit für den folgenden Tag bis zum Mittagessen anweisen wird. Um ein Viertel vor neun werden Matutin (Nachtgebet) und Laudes (Lobpreis) gebetet, danach Gewissensersorschung und Angabe der Betrachtungspunkte; um zehn Uhr müssen Alle zu Bette sein. Von Michaelis bis Ostern wird eine halbe Stunde später aufgestanden und demgemäß werden auch alle anderen Übungen bis zur Vesper (Abendgebet) um eine halbe Stunde später stattfinden (Charl.-Aug., p. 477 et suiv.).

Man könnte vielleicht die Bemerkung machen, dass dieser Übungen zu viele seien; aber gerade diese Mannigfaltigkeit macht sie leicht und angenehm; denn was zu lange dauert erregt Überdruss, Abwechselung ergötzt. Gebet und Betrachtung bereitet auf das Offizium vor, Erholung versüßt die Arbeit, geistliche Lesung stimmt zur Gewissenserforschung. So sind alle Augenblicke des Tages nützlich ausgefüllt, das tätigste Leben ist zugleich das ruhigste, das heiligmäßigste, das angenehmste. „So verhält es sich, sagt der Heilige, mit den geordneten und schön abgegrenzten Beeten eines herrlichen Luftgartens, so mit den Farben einer schönen Blume. Man bewundert die Weiße der Lilie, die Schönheit der Rose, den Farbenschmelz der Nelke; aber beachtet man deshalb nicht das Veilchen, das Stiefmütterchen oder das Maßliebchen? Die kleinsten Blumen, vom Blute eines Gottes betaut, haben, wenn sie auch nicht so glänzend sind, darum doch nicht weniger ihr Angenehmes."

Während jeder Mahlzeit soll vorgelesen, das Stillschweigen überall und immer, außer in der Zeit der Rekreation, beobachtet werden. In diesen Augenblicken der Erholung soll das Gespräch ein bescheidenes, nützliches und heiliges sein, Liebe, Sanftmut und Einfalt dabei beobachtet werden. Jedes Spiel ist verboten, sowie jede Handarbeit, die der Eitelkeit dient, ebenso ist es nicht gestattet, einen Vogel, ein Eichhörnchen oder sonst ein Tier zum Vergnügen zu halten. Die Unterredungen im Sprechzimmer sollen so viel als möglich abgekürzt werden; nie darf eine Schwester allein mit einem Fremden sprechen, und ist es ein Mann, so soll sie in einer gewissen Entfernung vom Gitter mit herabgelassenem Schleier bleiben, es sei denn, dass die Oberin davon entbindet. Das Sprechzimmer wird Abends beim Ave-Läuten geschlossen und darf nur unter dringenden Umständen alsdann wieder geöffnet werden.

Außer den von der Kirche vorgeschriebenen Tagen sind noch als Fasttage zu beobachten alle Freitage von Michaelis bis Ostern , die Vorabende vor Dreifaltigkeit, Christi Himmelfahrt, dem Frohnleichnamsseste, dem Feste des heiligen Augustinus und allen Festen der allerseligsten Jungfrau.

Die Kleidung der Schwestern ist ein schwarzes Gewand mit schwarzem Schleier; Alle schlafen gesondert, jede in ihrem eigenen Zimmer; Alle erhalten eine Matratze und ein Kissen, das mit Federngefüllt sein darf.

Vier Mal im Jahre haben sie bei einem außerordentlichen Beichtvater zu beichten; jeden Tag sollen sie zu je drei der Reihe nach die heilige Kommunion Empfangen; Donnerstags, Sonntags und an den Festen findet eine Generalkommunion statt; die Kranken kommunizieren (Hostie) alle acht Tage.

Jeden Samstag soll Kapitel stattfinden, ein Mal im Monate findet bei der Oberin eine Besprechung über Angelegenheiten des inneren Lebens, Lesung der Statuten und Profess-Erneuerung statt und ein Mal im Jahre, am Tage der Darstellung Marias, sollen Alle ihre Gelübde erneuern und sich Gott zum Opfer bringen, wie Maria sich dem ewigen Vater im Tempel darbrachte.

In diesen Regeln begegnet man keiner herben Strenge, vor welcher die menschliche Schwäche zurückbebt; die Buße verliert hier ihre Dornen, die Einsamkeit ihre Langeweile, das Stillschweigen sein Abschreckendes, der Gehorsam den Zwang, die Arbeit ihre Mühseligkeilt: und doch findet die Natur ihren Tod durch das beständige Opfer des eigenen Willens und die Verpflichtung, stets beschäftigt zu sein, durch die gänzliche Verleugnung seiner selbst und die beständige Gleichheit der täglichen Übungen, welche die natürliche Unbeständigkeit des menschlichen Herzens vernichtet. Was ihnen aber vor Allem einen hohen Wert verleiht, das ist jener Geist der Liebe und der Sanftmut, der Demut und der Einfalt, der Unschuld und Reinheit, in welchem sie nach dem Willen des Stifters beobachtet werden sollen. Er will, dass man Alles aus Liebe tue, nichts aus Zwang, dass alle Schwestern untereinander nur ein Herz und eine Seele seien, wie Schwestern ein und derselben Familie; dass sie stets bereit ihre eigenen Wünsche oder Abneigungen der Liebe zum Opfer zu bringen, sich bemühen, dem Nächsten in Allem zu gefallen, dass ihr ganzes Sein und Wesen nur Milde atme, und dass ihre Worte, der Ton ihrer Stimme, ihr ganzes Benehmen nur ein Ausfluss jener lieblichen Sanftmut sei, von der ihr ganzes Herz durchdrungen sein soll; dass sie züchtig in Blicken, zurückhaltend im Sprechen, ernst in ihrer Haltung, reinlich in ihrer Kleidung seien, und die gebieterische Strenge der Pflicht mit seiner Höflichkeit des Benehmens wohl zu vereinigen wissen. Das ist die Frömmigkeit mit dem ihr eigenen Reiz; Alles wird liebenswürdig in der Hand der Tugend.

Und nicht redet der Stifter selbst in diesen Statuten als Gebieter; seine Sprache ist die sanfteste und gewinnendste, sein Ausdruck der gemäßigste; es ist eher ein Rat als eine Forderung, eher eine Bitte als ein Befehl; und gerade das verleiht seinem Worte höhere Kraft, eine solche Macht, dass der Orden der Heimsuchung seinem Entstehen bis auf unsere Tage sich immer und überall seinem ursprünglichen Geiste erhalten und mit vollkommener Treue seine Regel beobachtet hat.

Am 23. April 16 I8 bestätigte Papst Paul V. den neuen Orden und seine Regel und am 9. Oktober desselben Jahres veröffentlichte Franz die bezügliche Bulle, mit noch weiterer Hinzufügung einzelner bestimmten Regeln für jedes Haus im besonderen, die wir aber übergehen.

Was er den Schwestern, als er ihnen die Regel übergab, über den Geist derselben, welcher den Buchstaben beleben solle, sagte, war, wie Frau von Chantal bemerkt, der Inbegriff aller Vollkommenheit, nach welcher die Genossenschaft streben sollte. Eine Schwester hatte ihn bei dieser Gelegenheit in der Unschuld ihrer Seele gefragt, was er, wenn er selbst Nonne wäre, tun würde, um recht vollkommen zu werden. „Sie fragen, geliebte Tochter, antwortete der Bischof freundlich lächelnd, was ich tun würde; so gut wie Sie würde ich es ohne Zweifel nicht machen; denn ich tauge nicht viel. Aber es scheint mir, dass ich mich mit Gottes Gnade so gewissenhaft an die Beobachtung auch der kleinsten Vorschriften halten würde, dass ich dadurch das Herz Gottes gewinnen würde. Ich würde vollkommen das Stillschweigen beobachten; aber doch würde ich auch während der Zeit des Stillschweigens reden, wenn die Liebe es verlangt. Ich würde dann recht leise sprechen und recht Acht darauf geben, weil die Regel es so verlangt. Die Türe würde ich recht leise öffnen und schließen, weil unsere Mutter es so will und wir ja auch Alles tun wollen, was sie will dass wir tun. Die Augen würde ich immer niedergeschlagen halten und mit großer Sittsamkeit einhergehen; denn Gott und seine Engel sehen immer auf uns und sie lieben Jene sehr, welche Alles tun, wie es sich gehört. Trüge man mir irgend Etwas auf, so würde ich Freude daran haben und es zu rechter Zeit zu tun suchen. Trüge man mir nichts auf, so würde ich mich auch um nichts anderes kümmern, als recht zu gehorchen und den Heiland recht zu lieben. O, ich glaube, dass ich ihn recht von Herzen lieben würde, diesen lieben Herrn, und dass darauf, so wie auf die Beobachtung der Regel mein ganzes Sinnen und Trachten gerichtet sein würde. Was wir tun, müssen wir so gut tun, als es nur in unseren Kräften steht; denn nur dazu sind wir in den Orden getreten. Doch dürfen wir uns über unsere Fehler nicht wundern, da wir nichts ohne den Beistand Gottes vermögen. Ich würde immer recht heiter sein und nie Etwas auf eine hastige Weise tun; das habe ich Gott sei Dank schon erreicht, denn ich bin nie hastig. Aber das sollte mir noch nicht alles sein. Ich würde mich immer unter die Letzten und Geringsten rechnen und Demütigungen gerne ertragen; fände sich dazu keine Gelegenheit, so würde ich mich deshalb demütigen, dass ich nicht gedemütigt werde. So gut ich es nur vermöchte, würde ich suchen, mich in der Gegenwart Gottes zu halten und alle meine Handlungen aus Liebe zu ihm zu verrichten; denn was haben wir Anderes in der Welt zu tun? Ich würde danach streben, mich meiner selbst zu entäußern und würde Alles mit mir machen lassen was man will. Gott gebe uns dazu seine Gnade, er sei gepriesen."

Der Oberin selbst schrieb er ebenfalls um die nämliche Zeit (Brief 668): Ich wünsche, dass Sie sich recht klein und gering in Ihren Augen erscheinen, sanft und nachgiebig wie eine Taube seien. Ergreifen Sie bereitwillig jede Gelegenheit, sich zu verdemütigen; seien Sie nicht schnell im Reden, antworten Sie bedächtig, demütig und sanft und sagen Sie viel, indem Sie aus Bescheidenheit und Gleichmut schweigen. Ertragen und entschuldigen Sie den Nächsten mit großer Sanftmut des Herzens. Stoßen Sie auf Widersprüche, so grübeln Sie nicht lange darüber nach, beachten Sie sie gar nicht, sondern sehen Sie in Allem auf Gott und unterwerfen Sie sich einfach seinen Befehlen. Tun Sie Alles für Gott, indem Sie sich durch einfache Aufblicke zu ihm oder Herzensergießungen in steter Vereinigung mit ihm halten. Tun Sie nichts mit Hast und Eile, sondern Alles im Geiste der Ruhe. Nichts, was es nur immer sei, soll Sie um den inneren Frieden bringen, selbst wenn Alles drunter und drüber gehen würde; denn was sind alle Dinge dieses Lebens im Vergleich zum Frieden des Herzens? Stellen Sie Alles Gott anheim und halten Sie sich stille und ruhig an dem Busen seiner väterlichen Vorsehung. Finden Sie, dass Ihr Geist außerhalb weilt, so führen Sie ihn sanft und einfach dahin zurück, ohne je irgend einer Sorge, einem Wunsche, einer Neigung oder einem Begehren, unter welchem Vorwande es auch sei, nachzugeben. Der Heiland liebt Sie, er will, dass Sie ganz sein eigen seien. Keine anderen als seine Arme sollen Sie tragen, an keiner anderen als seiner Brust sollen Sie ruhen; wenden Sie nicht Ihren Blick anderswohin, und lassen Sie Ihren Geist nirgends als in ihm allein verweilen. Halten Sie Ihren Willen mit dem seinigen in so inniger Vereinigung, dass nichts zwischen beiden sei, und vergessen Sie alles Übrige. Seien Sie guten Mutes und beugen Sie sich demütig vor der göttlichen Majestät. Verlangen Sie nach nichts als nachher reinen Liebe des Heilandes, nehmen Sie Alles von seiner Hand, so unangenehm es auch sei, bereitwillig an, indem Sie ihn, den Gekreuzigten, anziehen und ihn in seinem Leiden lieben."

Gott segnete sichtbar eine Genossenschaft, welche so ganz das Gepräge evangelischen Geistes trug; sie vermehrte sich so, dass der Bischof noch zu seinen Lebzeiten dreizehn Klöster gründete und Frau von Chantal allein siebenundachtzig. Die Zahl der Aspirantinnen war außerordentlich, trotzdem dass Franz nur nach reiflichster Prüfung die Aufnahme gestattete. Es kam ihm vor Allem dabei aus Sanftmut und Demut an. „Die sanftmütigen und demütigen, wenn sie auch arm sind, sprach er (Brief 256.), ziehe ich bei weitem den weniger demütigen und den weniger sanftmütigen Reichen vor. Die menschliche Klugheit sagt: Glückselig die reichen Klöster! Aber wir müssen sagen: Glückselig die Armen! und es gerne ertragen, dass die Armut verachtet wird." Eines Tages konnte man in seiner Gegenwart über die Mitgift einer jungen Dame, welcher schon die Aufnahme zugesagt war, nicht einig werden. Frau von Chantal blieb dabei, dass die Mitgift ganz beigebracht werden müsse; er sagte nichts. Aber nach Hause zurückgekehrt, schrieb er an die Oberin einige Zeilen, worin er ihre zu große Festigkeit in dieser Beziehung missbilligte: „Sie sind, meine Mutter, sagte er, mehr gerecht als gütig, in solchen Fällen muss man aber mehr Güte als Gerechtigkeit zeigen." Eine einzige Tochter und reiche Erbin hatte ihr Noviziat bestanden und sollte nun die Gelübde ablegen. Der Bischof fragte sie bei der Gelegenheit, welche Bestimmung sie über ihre Güter getroffen habe. „Ich will sie dem Kloster schenken," antwortete sie. --- „ Nicht so, entgegnete er, unsere Kongregation soll nicht die Familien beeinträchtigen; Sie können eine etwas bessere Mitgift, als gewöhnlich der Fall ist, mitbringen, da Sie die Mittel dazu haben; das genügt. Und was wollen Sie mit dem Reste machen?" --- „Ich werde ihn meinem Bruder geben." -- „Und warum nicht Ihrer Mutter?" -- Weil sie mir gerechte Ursache zur Unzufriedenheit gegeben hat." Das entbindet Sie nicht, versetzte er, von der Beobachtung des göttlichen Gebotes, welches Ehrfurcht und Achtung vor den Eltern befiehlt." So erhielt die Mutter ihren Teil.

Was körperliche oder geistige Mängel anging, so war er darin sehr nachsichtig, vorausgesetzt, dass ein wahrer Beruf vorhanden war. „Ich bin ein Freund der Kränklichen und Schwachen, sagte er; wenn ich sie verschmähte, wo würde denn die christliche Liebe in mir bleiben? Und was würde aus solchen Personen werden? Niemand nimmt sich ihrer an. Nehmen wir sie mit Liebe auf, so wird dies Beispiel andere wohl Gestaltete und in so großer Zahl anziehen, dass die Weltleute sich darüber wundern werden (Nach de Chaugy.)." Ja er hatte sogar eine besondere Vorliebe für Solche, die von Natur ungestaltet und hässlich waren, und als man ihn über den Grund befragte, gab er zur Antwort: Glückselig diejenigen, welche nichts Liebenswürdiges an sich haben, denn die Liebe, die man ihnen erweist, ist ganz eine Liebe in Gott." Eines Tages stellte man ihm eine Person vor, die eine vollständige Missgestalt war. Sie wollte in den Orden aufgenommen werden und eine nähere Prüfung derselben überzeugte ihn von ihrer Würdigkeit. „Wir können sie nehmen, sprach er, es ist eine schöne Seele in einem hässlichen Körper, ein herrlicher Diamant, der nur schlecht eingefasst ist." Nicht lange dauerte es, so hatte der neue Orden seine Häuser in fast allen größeren Städten Frankreichs, selbst in Paris. Oft war es der Fall, dass dieselben nur unter den größten Entbehrungen und Widerwärtigkeiten, von denen Frau von Chantal vor Allen ein gutes Teil zu tragen hatte, errichtet werden konnten. Allein das Gute und Schöne schlägt dadurch nur um so fester und tiefer seine Wurzeln und wächst zu einem starken Baume heran, der nachher um so leichter jedem Sturme Trotz bietet. Eines der schönsten Werke, welche der Eifer des Heiligen für die Ehre Gottes und das Heil der Seelen unternommen, stand gesichert da. Ein großer Teil seiner Zeit und Tätigkeit blieb ihm fortan stets mit Vorliebe bis zu seinem seligen Tode gewidmet; aber es würde uns zu weit führen, das Alles noch im Einzelnen hier zu erwähnen und wir nehmen darum den Faden der allgemeinen Geschichte des Heiligen vom Jahre 1610 an wieder auf.

 

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