Inhaltsverzeichnis
Fünftes Buch
Der heilige
Franz von Sales gründet
den Orden von der Heimsuchung.
Leben
des
heiligen
Franz von Sales,
Fürstbischofs
von Genf.
1567 - 1622
Nach der fünften Auflage aus dem Französischen übersetzt
von
J. C. Lager,
Priester der Diözese Trier.
Zweiter Band
Regensburg.
Druck und Verlag von Georg Joseph Manz.
1871.
Inhalt: Fünftes Buch
Der heilige Franz von Sales gründet den Orden von der
Heimsuchung.
Erstes Kapitel.
Entstehung des
Ordens von der Heimsuchung (1610).
Zweites Kapitel.
Weitere
Entwicklung des Ordens von der Heimsuchung.
Drittes Kapitel.
Franz gibt dem
Orden der Heimsuchung seine Regel.
-- Rasche
Fortschritte desselben.
Erstes
Kapitel.
Entstehung
des Ordens von der Heimsuchung.
(1610.)
Schon
lange empfand das so gefühlvolle
Herz des heiligen Franz von
Sales es schmerzlich, dass vielen, welche sich vor der Welt und ihren
Gefahren gerne in eine klösterliche
Einsamkeit geflüchtet
hätten,
keine
Gelegenheit zur Verwirklichung dieses frommen Wunsches geboten
war; Schwäche,
vorgerücktes
Alter, Mangel an Energie waren die
Gründe,
welche die meisten unfähig
machten, in eine der schon bestehenden strengen religiösen
Genossenschaften einzutreten. Von letzteren
gab es genug zu dieser Zeit, und reuige Sünder,
starke Seelen,
welche sich zu strengeren Bußübungen
hingezogen fühlten,
fanden
daselbst eine Zufluchtsstätte
, aber für
Personen des weiblichen Geschlechtes,
welche alt und gebrechlich, als Witwen die Welt verlassen
wollten , um sich Gott zu weihen und unter dem Gehorsam zu leben,
boten sie nicht das was ihnen fehlte, dessen sie bedurften. Um diesem
Mangel abzuhelfen, wünschte
Franz einen Orden, in welchem man
durch keine Gelübde
gebunden sei, da es nach seinem Dafürhalten
solcher
schon genug gab; er wollte eine Genossenschaft frommer Frauen, sowohl
Jungfrauen als auch Witwen, in der statt körperlicher
Abtötungen
die allen möglichen
des Geistes und Herzens geübt
werden sollten;
wo Fehler und Unvollkommenheiten abgelegt, Tugenden erworben
würden,
mehr durch den sanften Zug der Liebe als die strenge
der Buße;
wo man sich mehr befleißigen
würde,
stets innerlich gesammelt
zu sein, als viele mündliche
Gebete zu verrichten, wo man nicht sowohl die äußerliche
Armut übe,
sondern vielmehr danach
strebe, das Herz vom Irdischen loszuschälen,
wo anstatt der beschaulichen
Einsamkeit tätige
Liebe, Gehorsam anstatt beschwerlicher Regeln
herrschen sollte; kurz die Heiligkeit, um so echter
und wahrer, je innerlicher sie sein würde,
solle sich nach außen nicht anders als durch
Sanftmut, Nachgiebigkeit, Leutseligkeit, Einfalt des Herzens, alle
jene Tugenden offenbaren, die den Menschen nicht besonders in die
Augen fallen, aber schön
vor Gott und seinen Engeln sind. Auch Kranke
jeder Art, selbst Blinde, sollten in diese Genossenschaft aufgenommen
werden können,
mit alleiniger Ausnahme von solchen, die an
einem ansteckenden Übel litten, oder die wegen zu großer
Kränklichkeit
und Schwäche
schlechterdings nicht fähig
seien, die Regel zu beobachten
und die gewöhnlichen
Übungen mitzumachen. „Da
der Heiland
für
alle gestorben ist, sprach der liebevolle Hirte, so sind die Seelen
jener, welche von einer Krankheit befallen oder sonst verunstaltet
sind, ihm nicht weniger teuer, als die Seelen junger und starker
Personen; warum sollte man ihnen also die Türen
des Klosters
verschließen
und sie hindern, dem Zuge Gottes zu folgen, wenn er ihnen das
Verlangen nach klösterlicher
Vollkommenheit einflößt?
Der
Ordensstand ist das Hochzeitsmahl des himmlischen Bräutigams,
der
will, dass man Schwache, Lahme und Blinde daran teilnehmen lasse."
Besonders
lebhaft beschädigte
ihn dieser Gedanke seit ihm vom Himmel
offenbart worden, dass er durch ihn einen neuen Orden gründen
wolle, und er in Frau von Chantal jene kennengelernt hatte, welche
ihn bei diesem Werke unterstützen
werde. Wiewohl ferne von dieser
edlen Seele, so unterließ
er es doch nie, sie nach und nach aus
die großen
Dinge, welche Gott durch sie erreichen wollte, vorzubereiten
und ihr mit seinem Rate in ihrem mutigen Streben nach
Vollkommenheit behilflich zu sein. In einem Briefe, den er nach
seiner Rückkehr
von Dijon an sie schrieb, sagte er (Brief 57.):
„Ich
bitte den
lieben Gott, jenes Verlangen nach christlicher Vollkommenheit zu
erfüllen,
welches er in sie gelegt hat und das sie in Ihrem Herzen hegen
und pflegen sollen als das Werk des heiligen Geistes und einen
Funken seines göttlichen
Feuers. . . . . Dies Verlangen und die Liebe
zu ihrem Witwenstande sind die beiden Säulen,
aus denen das Gebäude
Ihres Glückes
ruhen soll; suchen Sie beides sorgfältig
zu unterhalten,
halten Sie sich stets in der Gegenwart Gottes, bewahren Sie
die Freiheit des Geistes und ein großes
Vertrauen aus die Barmherzigkeit des Herrn, ohne Skrupel, ohne Hast,
ohne Unruhe. Legen
Sie ihr Herz in die Wunden des Heilandes, sanft, nicht gewaltsam."
Dieser
Brief erfüllte
Frau von Chantal mit inniger Freude und ließ
sie um so mehr wünschen,
sich ganz unter die Leitung des Bischofs von
Genf zu stellen; aber gerade dies Verlangen wurde ein Gegenstand
der Qual für
sie, weil ihm das ihrem ersten Führer
gegebene Versprechen,
ihn nicht zu verlassen, entgegenstand. aus der einen Seite
von dem angezogen, was sie als den Willen Gottes zu erkennen glaubte,
jenen Willen, der der einzige Gegenstand ihrer Liebe, das höchste
aller Güter
in ihren Augen war, aus der anderen Seite wieder von der Furcht
zurückgehalten,
sich von ihm zu entfernen, indem sie sich täusche,
konnte sie zu keinem Entschlusse kommen. „Dies
Wort, der
Wille Gottes, sagte sie, war wie ein Feuerbrand, der meine Seele
in Flammen setzte." Es kam so weit, dass einmal der Zweifel
darüber,
was der göttliche
Wille von ihr verlange, sie sechsunddreißig
Stunden
in einer so unaussprechlichen Unruhe erhielt, dass sie nicht mal
im Stande war, zu essen oder zu schlafen.
In
dieser Angst fragte sie den Pater Villars, damaligen Rektor des
Jesuitenkollegiums in Dijon, um Rat; dieser, nicht minder
aufgezeichnet durch
großes
Wissen als tiefe Frömmigkeit,
gab ihr die Versicherung,
Gott wolle, dass sie sich ganz der Leitung des Bischofs von Genf
überlasse;
er sei überzeugt,
die Vorsehung habe sie unter diesem
Führer
noch zur Ausführung großer
Dinge bestimmt. Dadurch fühlte
sie sich außerordentlich erleichtert; es war ihr, als sei ihr
eine Bergeslast
vom Herzen gewälzt
worden, und ein tiefer Seelenfriede gab
ihr die Gewissheit, dass dies auch der Wille der Vorsehung sei.
Ihr
erster Beichtvater fand nichts dagegen einzuwenden, dass sie sich hie
und da schriftlich an den Bischof von Genf wende, stellte aber die
Bedingung, dass sie wie bisher stets unter seiner persönlichen
Leitung
bleibe. Dadurch sah sie sich wieder in eine traurige Ratlosigkeit
versetzt, um so mehr, da ein frommer Kapuzinerpater, nachdem
er vorher im Gebete den Herrn um Erleuchtung angefleht hatte, um
dieselbe Zeit ganz das Gegenteil sagte, indem auch er ihr
versicherte,
es sei der Wille Gottes, dass sie sich ganz unter die Leitung des
Bischofs von Genf stelle. Sie teilte ihrem Beichtvater ihre
Bekümmernis
mit, und statt jeder weiteren Antwort zwang sie dieser, ihr
Gelübde,
unter seiner Leitung zu bleiben, zu erneuern. Sie gehorchte
zwar, aber setzte Franz alsbald davon in Kenntnis,
der ihr mit
gewohnter Weisheit schrieb
(Brief 59.),
dass er wohl der Meinung sei, man
solle
nur einen Seelenführer
haben, aber dass dies doch nicht hindere, auch
sich einem anderen anzuvertrauen und sich bei ihm Rats zu erholen.
„Gehorchen
Sie kindlich und frei Ihrem Beichtvater, sagte er ihr,
und bedienen Sie sich meiner liebevoll und ohne Rückhalt."
Er war
weit davon entfernt, die Leitung dieser auserwählten Seele zu
wünschen,
und ehe er eine bestimmte Entscheidung gab, wollte er reiflich
über
die Sache nachdenken und Gott im Gebete um Erleuchtung bitten.
Alle diese Verzögerungen
hatten zur Folge, dass in die Seele der
Frau von Chantal alle frühere
Unruhe und Beängstigung
wieder zurückkehrte,
und abermals eröffnete
sie sich darüber
dem Pater de Villars,
der ihr nun mit entschiedenem Ernste erklärte,
dass, wenn sie sich
nicht ganz und gar unter die Leitung des Bischofs von Genf stelle,
sie dem heiligen Geiste widerstehe. Da sie hiervon Franz aus der
Stelle Mitteilung gemacht hatte, so antwortete er ihr, sie möge
an einem Tage, den er ihr näher
angab, sich in St. Claude einfinden, wo
er ihr alsdann einen bestimmten Bescheid geben werde.
Frau
von Chantal versäumte
natürlich
nicht, sich pünktlich
einzufinden.
Klar, einfach und aufrichtig erzählte
sie dem heiligen Bischofe
alles, was in ihr vorgegangen war. Die ganze folgende Nacht
brachte dieser im Gebete zu, um zu erkennen, was der Wille Gottes in
dieser Angelegenheit sei, und als er sich morgens zu ihr begab,
begrüßte
er sie mit den Worten: „Madame,
ich habe die ganze Nacht
ihretwegen gearbeitet, und ich glaube, Gott will, dass ich Ihre
geistliche
Leitung übernehme.
Ich muss Ihnen, fuhr er nach kurzem Stillschweigen fort, noch
erklären,
dass das Gelübde,
wozu man Sie genötigt
hat, Ihnen nur den Frieden des Gewissens rauben kann; wenn
ich so lange gezögert
habe, Ihnen eine bestimmte Antwort zu geben,
so geschah es aus dem Grunde, weil ich wollte, dass der Wille Gottes
mir recht klar werde, und dass er allein es sei, der in dieser Sache
Alles tue." Nachdem sie dann eine Generalbeichte bei ihm
abgelegt hatte, gab er ihr unter anderem folgende Ratschläge:
„Sobald
Sie morgens erwachen, vereinigen Sie sich ganz mit Gott. Der
Übergang der Nacht zum Tage möge
Sie an den Übergang von
der Zeit zur Ewigkeit erinnern, wo wir Alles hell und klar in dem
Lichte Gottes schauen werden. Beginnen Sie sodann den Tag mit
einer Betrachtung und der Anhörung
der heiligen Messe; suchen Sie
diese beiden Übungen mit großer
Andacht, vor allem aber mit großer
Freiheit und nach dem Zuge der Gnade zu verrichten.
Ihr Gebet
braucht sich nicht innerhalb eng gezogener und lästiger
Grenzen zu
bewegen. Betrachten Sie nach der heiligen Kommunion den Herrn,
sitzend aus dem Throne Ihres Herzens, und führen
Sie alle Ihre
leiblichen und geistigen Fähigkeiten
vor ihn hin, um seine Befehle
zu vernehmen und ihm Treue zu versprechen. Machen Sie den ganzen
Tag über
viele Stoßgebete,
besonders aber, wenn die Uhr schlägt.
Wählen
Sie sich für
jeden Tag der Woche eine der Wunden
des Heilandes und wohnen Sie darin in inniger Liebe. Kommen Sie
irgend etwas von dem, was ich Ihnen da vorschreibe, nicht genau nach,
so beunruhigen Sie sich deswegen nicht."
Nach
diesen weisen Ratschlägen,
die ihre Seele wie mit einem neuen
Lichte erhellten, drückte
Frau von Chantal ihm den Wunsch aus,
in einen Orden zu treten; aber jeder Übereilung abhold, empfahl
ihr
Franz vorläufig,
nur darauf bedacht zu sein, sich zu heiligen in der
Welt, indem sie eine Frömmigkeit
übe,
die mit inniger Hingabe an
Gott eine herzliche Liebe gegen den Nächsten
verbinde, die stets bemüht
sei, keinem lästig
oder beschwerlich zu werden; eine schöne
Vorstellung
des Heiligen von der wahren Tugend, die uns einen Tadel
erklärt,
welchen er einst Frau von Chantal erteilte. Früh
am Morgen
erhob sich dieselbe schon, um ihre Betrachtung zu machen und
verlangte von ihrer Kammerfrau, dass sie auch so früh
aufstehen solle,
um ihr Licht zu bringen und ihr beim Ankleiden behilflich zu sein.
Als der Bischof dies erfuhr, machte er ihr darüber
Vorstellungen, indem er bemerkte, dass, wenn sie Gott im Gebete
suchen wolle,
sie allein aufstehen müsse,
um ihn besser zu finden, ohne ihrer Dienerin
eine unnütze
Beschwerlichkeit zu verursachen.
Nach
einem zweitägigen
Aufenthalte in St. Claude ging Franz nach
Annecy zurück;
die Baronin begab sich nach Dijon, mit einem Herzen
voll des tiefsten Friedens und der seligsten Freude. Gleich am
Tage nach ihrer Ankunft eilte sie in die Kirche de Notre-Dame de
l'Etang, um der Mutter Gottes ihren Dank abzustatten und unter ihrem
Schutze das Gelübde
immerwährender
Keuschheit und des Gehorsams gegen den Bischof von Genf abzulegen. In
ihre Wohnung zurückgekehrt,
setzte sie dies Gelübde
schriftlich aus und schickte es an ihren
neuen Führer;
gleichzeitig berichtete sie ihm, welche Versuchungen
sie wieder quälten,
sowohl in Betreff der Wahl ihres neuen Seelenführers
als auch gegen den Glauben und bat ihn, ihr die für
ihre
Lage geeigneten Regeln vorzuschreiben, um danach ihren Wandel
einzurichten.
Um sie zu beruhigen, antwortete ihr der Heilige
(Brief 68.),
dass
er
in ihrer Wahl alle Zeichen des Willens Gottes erkenne, und dass der
sanfte, sowie auch heftige und beständige
innere Antrieb, der sie dazu
gebracht habe, seine eigene reifliche Überlegung der Sache, ehe
er
seine Zustimmung gegeben, das Urteil des Paters de Villars und und
das mehrere Monate lang unausgesetzte Gebet um die Erleuchtung des
Himmels, ebenso viele offenbare Beweise dafür
seien. „Streiten
Sie
nicht mit dem Feinde hierüber,
schrieb er; sagen Sie ihm kühn,
dass
Gott es ist, der es gewollt und getan hat." Rücksichtlich
der Versuchungen gegen den Glauben bemerkte er ferner: „Mit
der Versuchung soll man weder viel noch wenig streiten, sondern es
machen wie
die Kinder Israels mit den Gebeinen des Osterlammes, welche sie
nicht zu brechen versuchen sollten, sondern ins Feuer werfen; man
soll
den Einflüsterungen des bösen
Feindes nicht antworten, ja sich nicht
einmal den Anschein geben, als höre
man sie. Mag er immerhin,
so viel er nur will, an der Türe
poltern, man soll nicht mal fragen:
Wer ist da? sondern sich durch fromme Anmutungen von ihm
abwenden, wenn man anders es nicht vorzieht, sich ihm stark
entgegenzuwerfen
mit dem Schlachtrufe: Weiche von mir Satan. Es steht
geschrieben: Du sollst den Herrn deinen Gott nicht versuchen. Weil
Eva mit dir streiten wollte, stürzte
sie sich ins Verderben, ich will
ihr nicht folgen. Und dann denken Sie an etwas anderes. Da der
Teufel, fährt
Franz fort, es nicht gerne sieht, dass man seinen Mitschuldigen,
das Fleisch, züchtigt,
so möchten
fünfzig
oder sechzig Geißelhiebe
noch von großem
Nutzen sein, um ihn in die Flucht zu treiben.
Beherzigen Sie übrigens
das Wort der heiligen Schrift: Glückselig
der, welcher Anfechtung erleidet. Wenn der Feind so stark draußen
lärmt,
so ist das ein Zeichen, dass er nicht im Inneren des Hauses
ist."
Zuletzt
schrieb dann der erfahrene Meister im geistlichen Leben die
Regeln vor, die sie von ihm zur Richtschnur ihres Wandels verlangt
hatte. Er setzte ihr fest, wann und wie sie alle frommen Übungen
machen solle, hieß
das Fasten am Freitage und zweimalige Geißelung
in der Woche gut, gab ihr Ratschläge für die Erziehung ihrer
Kinder, für ihr persönliches
Benehmen gegen ihren Vater und Schwiegervater,
empfahl ihr, sich stets in einer solchen Stimmung zu halten,
dass sie sich leicht in alle Widerwärtigkeiten
füge,
ihr Herz frei
zu machen von jeder Anhänglichkeit
selbst an geistliche Tröstungen und
Übungen, einzig und allein der Sklave des göttlichen
Willens zu
sein und bereit, demselben ruhig zu folgen, sobald sie ihn erkenne,
möge
es kosten, was es wolle. „Alles
muss man aus Liebe tun“, sagte
er, „und nichts gezwungen, den Gehorsam mehr lieben als den
Ungehorsam
fürchten.
Ich lasse Ihnen die Freiheit des Geistes und ich
will, dass, wenn eine gegründete
Ursache vorhanden ist, Ihre Übungen
zu unterlassen, dies für
Sie eine Art Gehorsam sei und das,
was
sie so unterlassen haben, durch die Liebe ersetzt werde
(
Mémoires
de la mère
de
Chaugy
p. 57. – 2)
"
Die
Baronin betrachtete alle diese Ratschläge als ebenso
viele Orakel von Oben und sie bemühte sich, mit solch
unbegrenztem Eifer dieselben zu befolgen, dass sie, weil
sie nichts mit solcher Vollkommenheit tat, wie sie es
gewollt hätte, ganz untröstlich wurde über ihre Mängel,
ihre Lauheit und Trockenheit, und bei dem glühenden
Verlangen, es besser zu machen, sich wahrhaft
unglücklich fühlte. Als Franz dies erfuhr, beeilte er
sich aus der Stelle, sie zu ermutigen und zu trösten:
„Gehen Sie ruhig Ihren Weg vorwärts“, schrieb er ihr
(Brief 71
),
„denn er ist gut. Mag die Trockenheit und die Dürre in
der Seele noch so groß sein, was liegt daran, wenn wir
nur Gott lieben? Ihr guter Wille wird ihm nicht weniger
wohlgefällig sein, wenn er auch nicht von Empfindungen
begleitet ist. Will er, dass wir ihm dienen in
Trockenheit, unter Ängsten und Versuchungen, so lasst
uns ihm dienen, wie er es will; der Tag wird kommen, wo
er Alles tun wird was wir nur verlangen, und mehr als
wir verlangen können. Er weiß wohl, was er tut; er fügt
Alles zu Unserem Besten. Er überließ es David, sich die
Strafe für seine Sünde zu wählen; ich würde nicht
gewählt haben, ich würde ihn haben tun lassen was er
wollte. Je mehr ein Kreuz von Gott kommt, um so mehr
müssen wir es lieben. Doch habe ich nichts dagegen, dass
Sie sich bei dem Herrn beklagen, wenn es nur geschieht
mit Demut und Liebe, und ohne zu große Bekümmernis oder
zu großes Ungestüm, wie es kleine Kinder bei der Mutter
machen."
Trotz solcher Briefe, die so ganz im Stande waren, zu
trösten und aufzurichten, litt Frau von Chantal dennoch
stets innere Qualen; sie waren eine Marter für sie und
ihrer Gesundheit sehr nachteilig. „In dem Augenblicke,
schrieb sie ihm, wo ich glaube, den Frieden zu haben, da
beginnen neue Kämpfe, ein neues Leiden befällt mich und
ich rufe klagend aus: Meine Seele ist betrübt bis in den
Tod. Ein anderes Mal spreche ich seufzend: Möge dieser
Kelch an mir vorüber gehen.
Kaum aber sind sie gesprochen, so tadele ich mich auch schon selbst
wegen meiner Feigheit, ich empfinde ein lebhaftes Verlangen, ihn
bis aus den letzten Tropfen zu leeren und wiederum spreche ich dann
zum Herrn: Mein Gott , erweise mir die Gnade , dass dieser Kelch
nicht vorübergehe,
bis ich ihn getrunken habe
(De Cambis, 1, p. 534)."
Von
solchen edlen und großmütigen
Gesinnungen gerührt,
wenn auch nicht überrascht,
schrieb ihr der Heilige zurück
(Brief
72.):
„Ich
preise Gott
wegen Ihrer Standhaftigkeit, mit der Sie das Kreuz tragen, ihm,
ohne ein Gefühl
der Befriedigung oder sonst einen Reiz dabei zu
empfinden, ja selbst mit Widerstreben dienen; möge
aber Ihre Geduld
frei sein von jeglicher Unruhe und Hast. .... Was liegt daran,
ob wir durch eine dürre
Wüste
oder lachende Gefilde wandern, wenn
nur Gott bei uns ist und wir den Weg zum Paradiese gehen? Betrübt
und verlassen sucht Jesus Christus am Ölberge bei seinem Vater
Trost, allein er wird ihm nicht zuteil, und da denkt er nicht
mehr daran, er sucht ihn nicht mehr; mutig vollbringt er das Werk
unserer Erlösung.
Machen Sie es ebenso und stellen Sie sich ganz
dem Willen Gottes anheim; man dient ihm nie besser, als wenn man
ihm dient, so wie er es will. Ein solcher Dienst behagt Ihnen nicht,
aber er ist damit zufrieden; er ist nicht nach Unserem Wohlgefallen,
wohl aber nach dem seinigen. Wenn Sie nicht mehr an Ihre
Erlösung denken, dann wird Gott daran denken; wenn Sie nicht
mehr ängstlich
eilen, dann wird Gott zu ihnen kommen. . . . . Er
lässt die Versuchungen zu, damit wir, indem wir sie verachten,
unsere Liebe
zu den göttlichen
Dingen bekunden können;
und deshalb muss
man sich nicht beunruhigen; es ist der Teufel, der um Ihr Herz
herumstreicht; lassen Sie ihn nur warten und halten Sie alle Eingänge
zu demselben wohl verschlossen. Er wird dessen endlich überdrüssig
werden, oder wenn nicht, so wird Gott ihm gebieten, die Belagerung
aufzuheben. So lange die Versuchung Ihnen missfällt, ist
nichts zu fürchten,
denn sie missfällt Ihnen ja nur, weil Sie dieselbe
nicht wollen."
Solche
tröstliche
Worte beruhigten noch keineswegs Frau von Chantal;
sie verlangte selbst nach Savoyen zu kommen, um dem erleuchteten
Führer,
den der Himmel ihr gegeben hatte, ihre ganze Seele
offen darzulegen und seine Ratschläge zu erhalten, wovon sie
sich großen
Nutzen versprach. Franz war es zufrieden und bezeichnete ihr
als Ort der Zusammenkunft schloss Sales.
Am bestimmten Tage fand sie
sich ein und legte dem Heiligen in einer Generalbeichte
die genaueste Rechenschaft über ihr ganzes Leben ab; es
wurde ihm, während er sie hörte, eine solche himmlische
Erleuchtung zuteil, sein Herz wurde von so erhabenen
Gefühlen beseelt, dass er ganz außer sich vor Freude
war. „Es ist also Ihr voller Ernst, dass Sie Jesus
Christus dienen wollen?" fragte er sie. --- „Ja, mein
voller Ernst," antwortete sie. -- „Sie weihen sich
demnach ganz und gar der reinen Liebe zu Gott?" -- „Ganz
und gar, aus dass sie mich verzehre und mich ganz in ihn
umwandle." --- „Und Sie weihen sich ganz ohne
Vorbehalt?" --- „Ja, ohne Vorbehalt." --- ,,Verachten
Sie von ganzem Herzen die Welt und ihre Eitelkeit, um
Jesus Christus und seine Gnade zu besitzen?" --- „Aus
ganzer Seele verachte und verabscheue ich sie." ---
„Also, Sie wollen nur Gott allein?" --- „Nur ihn will
ich für Zeit und Ewigkeit." -- „große Gedanken,
versetzte da Franz, beschäftigten mich in Betreff Ihrer
während der drei Stunden, die Ihrer Ankunft
vorhergingen. Schon seit einigen Jahren hat mir Gott
etwas über Ihre Zukunft offenbart; aber erst in einem
Jahre will ich Ihnen dies mitteilen." -- „Aber, mein
Vater, rief sie, ohne zu forschen was denn dies sei,
aus, „werden Sie mich nicht
dieser Welt und mir selbst entreißen? Ich habe ein so
lebhaftes Verlangen, von jedem Hindernisse, Gott zu
dienen, frei zu werden!" ---
„Ja, versetzte er, Sie werden all das verlassen, Sie
sollen zu mir kommen und ich will Sie lehren, aus Alles
um Gottes willen Verzicht zu
leisten." Darauf schrieb er ihr eine Lebensordnung
vor, die sie einhalten solle, um drei große, anscheinend
wenig verträgliche Pflichten miteinander zu vereinigen:
die Sorge für ihre weltlichen Angelegenheiten, ihre
Kinder und Dienstboten; sodann die Übung jener erhabenen
Frömmigkeit, zu welcher er sie durch die Gnade
berufen sah, und die zwischen beiden Pflichten stehende
dritte, ihre Frömmigkeit so
einzurichten, dass sie keinem lästig falle und allen
liebenswürdig erscheine.
Frau
von Chantal verweilte sechs Tage aus schloss Sales, um diese
kostbaren Lehren in Empfang zu nehmen. „Diese
wenigen Tage“, sagte
sie, „wurden mir zu Jahren des Segens. Wenn ich aus die Worte
meines heiligen Führers
lauschte, so glaubte ich Gott selbst zu hören;
und alle seine Worte strömten
von seinen Lippen in mein Herz
wie Worte Gottes über.
Ich sah in ihm in der Tat gleichsam
einen Abglanz der Gottheit, es war mir in seiner Nähe,
als fühlte
ich lebhaft die Gegenwart des Herrn, der in seinem Diener lebte
und sprach, und ich würde
es für
ein großes
Glück
gehalten haben,
die ganze Welt verlassen zu können,
um in seinem Hause die letzte
unter seiner Dienerschaft sein zu dürfen, um meine Seele mit den
Worten des Lebens zu nähren,
die aus seinem Munde kamen." Für
alle Ratschläge und Belehrungen des Gottesmannes hatte sie
wirklich eine
solche Verehrung, dass sie dieselben immer aus der Stelle
niederschrieb
und ihn zuweilen selbst bat, sie mit eigener Hand in ein eigens
dazu bestimmtes Heft niederzuschreiben.
Von
Schloss Sales ging sie nach Monthelon zu ihrem Schwiegervater
zurück,
und da begann sie ein ganz neues Leben. In ihrer Kleidung
und Nahrung herrschte die größte
Einfachheit, ja eine einsiedlerische
Strenge, morgens schrieb sie sich eine ganze Stunde zum Gebete
vor, abends drei Viertelstunden, und den ganzen Tag über
befliss sie
sich, so unausgesetzt in der Gegenwart Gottes zu wandeln, dass
sie ihn fast nie aus den Augen verlor. Was an ihrer Frömmigkeit
besonders Erwähnung
verdient, war, dass sie keiner ihrer Pflichten Eintrag
tat und keinem lästig
wurde. Alle Einzelheiten der Haushaltung
entgingen ihrer Fürsorge
nicht, sie selbst unterrichtete ihre Kinder
und sorgte für deren Erholung und Zerstreuung, unterwies ihre
Dienerschaft in der Religion; nie war sie traurig oder verdrießlich,
sondern stets gütig,
sanft, gefällig,
leutselig gegen jedermann, vor
allem aber gegen die Armen und Unglücklichen,
und ohne Skrupel unterbrach
sie selbst ihre frommen Übungen oder verschob sie aus eine
spätere
Stunde, wenn die Liebe es verlangte. Ihre Diener waren über
ihre Sammlung und vollkommene Vereinigung mit Gott, auch im größten
Wirrwarr der Geschäfte, so voll Erstaunen, dass sie oft unter
sich sagten: „Der
frühere
Beichtvater der gnädigen
Frau ließ
sie nur drei
Mal des Tages betend und wir waren dessen schon müde
und
überdrüssig;
der Bischof von Genf lässt sie den ganzen Tag beten, und
das belästigt
niemand;" so wahr ist es, dass die wohlverstandene Frömmigkeit
schon in diesem Leben das Glück
aller ausmacht, welche uns
umgeben und uns zugleich aus die Glückseligkeit
des künftigen
vorbereitet.
Doch
hörten
die Versuchungen gegen den Glauben nicht aus, Frau
von Chantal zu quälen.
„Sie
denken zu viel an Ihre Versuchungen,
schrieb ihr hierüber
ihr weiser Tröster
(Brief 81.),
Sie fürchten
sie zu viel;
sie würden
Ihnen ganz unschädlich
sein, wenn Sie nicht darüber
nachdächten.
Sie lieben den Glauben, Sie möchten
nicht, dass
Ihnen ein einziger Gedanke gegen denselben käme,
und sobald ein
solcher in Ihnen auftaucht, dann betrüben
und beunruhigen Sie sich.
Glauben Sie mir und fürchten
Sie diese Versuchungen nicht, gehen
Sie darüber
hinweg; Versuchungen können
ein Herz nicht beflecken,
das sie nicht liebt. Lassen Sie den bösen
Feind vor der Türe
toben und wüten so viel er will, leben Sie nur ruhig im
inneren mit Jesus und Maria. Der heilige Paulus hatte schreckliche
Versuchungen auszustehen und Gott wollte sie ihm nicht wegnehmen; es
geschah aus Liebe. Mag Gott uns drehen und wenden nach rechts oder
links, wie es ihm gefällt,
mag er uns tausend Leiden erdulden lassen,
wir wollen ihn nicht verlassen. Wir werden die Rosen der Liebe
unter den Dornen der inneren und äußeren
Trübsale
finden. Ach,
wie lieb sind mir drei kleine Tugenden, die wir im Tale unseres
Elends
pflücken:
die Sanftmut des Herzens, die Armut im Geiste, ein
Leben in Einfalt und die anscheinend geringfügigen
Übungen, die Kranken
zu besuchen, den Armen zu dienen, die Betrübten
zu trösten!
Unser Arm ist
nicht lang genug, um die Zedern des Libanon zu erreichen,
begnügen
wir uns darum mit dem Ysop, der im Tale wächst
(Brief
82)."
Mittlerweile
sah sich Frau von Chantal einer Versuchung ausgesetzt,
die im Stande gewesen wäre,
eine weniger starke Seele als die ihrige,
zu überwältigen.
Voll Bewunderung für ihre herrlichen Eigenschaften,
ihre sanfte und liebenswürdige
Tugend, die Anmut ihres Geistes
und ihre Herzensgüte
hielt ein reicher Edelmann bei dem Präsidenten
Fremiot um ihre Hand an, indem er zu gleicher Zeit den Wunsch
äußerte,
seine beiden Söhne
mit den zwei Töchtern
der Baronin zu
vermählen.
Dem Präsidenten
erschienen diese drei vorteilhaften
Verbindungen als ein großes
Glück;
er stellte die Sache seiner
Tochter vor und suchte sie auch durch ihre anderen Verwandten günstig
dafür
zu stimmen, so dass die fromme Witwe nach allen Seiten
hin zu kämpfen
und Vieles auszustehen hatte; es war für sie eine
peinliche Marter. „So
viel ich konnte“, sagt sie, „klammerte ich mich
fest an den Baum des Kreuzes, aus Furcht, dass so viele
verführerische
Stimmen mein Herz einschläfern
und zu einigem Wohlgefallen
und Nachgiebigkeit verleiten möchten."
Als
Franz von dieser Lage, in welcher sie sich befand, Kenntnis erhielt,
beeilte er sich, ihr Mut zuzusprechen: „Wer
sind jene Verwegenen“,
schrieb er ihr
(Brief
92.),
„die da die weißen
Säulen
unseres geheiligten Tabernakels
zerbrechen wollen? (So nannte er das Gelübde
der
Keuschheit
und jenes, immer nach Vollkommenheit zu streben, die ihm als
die Säulen
des Tabernakels erschienen, welches er dem Herrn in dem
Orden von der Heimsuchung errichten wollte.) Fürchten
sie denn nicht die Cherubim, die zu beiden Seiten stehen und es
schützend
mit ihren
Flügeln
decken? Vielleicht hat sich ein wenig Eitelkeit, ein kleines
Wohlgefallen oder sonst etwas eingeschlichen, aber für
einen festen
Mut ist das nichts. Unsere Säulen
stehen tief, ein bisschen Wind
wird sie nicht erschüttern.
Doch muss man kurz und bündig
bei
solchen Gelegenheiten verfahren, solche Kunden nicht lange aufhalten,
sondern anderswo hinschicken. Sehen sie denn nicht, dass wir unser
Aushängeschild
weggenommen haben? Unser Leib gehört
nicht mehr
uns, der große König
Jesus hat ihn zu seinem Throne erwählt." Frau
von Chantal ging so ganz aus die Absichten ihres heiligen Führers
ein, dass er ihrem Verlangen, die Welt zu verlassen, Zügel
anlegen
musste, sich einstweilen darauf beschränkend,
ihr Herz so zu bilden,
dass es nur das wolle, was Gott will, wann er es will und wie
er es will, ohne sich je von menschlichem Eifer fortreißen
zu lassen.
Bis der von der Vorsehung bestimmte Augenblick herankam, fuhr
er fort, sie aufrecht zu erhalten und zu stützen
in den Versuchungen
und Trübsalen,
welche der Himmel zu ihrer Prüfung
über
sie kommen
ließ.
„Beunruhigen
Sie sich nicht, schrieb er ihr
(Brief
124),
über
die Schrecken,
welche der Teufel Ihnen einflößt.
Haben wir keine andere Furcht
als vor Gott und zwar die Furcht der Liebe. Lassen wir uns nicht
die Wälle
unserer Vorsätze
und Entschlüsse
zertrümmern
und leben
wir ruhig und in Frieden. .... Sie müssen
schon ein wenig Geduld
haben, um das Lärmen
und Toben des Bösen,
mit dem er die
Ohren Ihres Herzens erfüllt,
zu ertragen. Seien wir fröhlich
ohne
Ausgelassenheit, unerschrocken ohne Übermut, fürchten
wir ohne uns
zu beunruhigen; seien wir sorgsam ohne ängstliche
Hast. ....
Ich
will nicht, dass sie freiwillig nach jenem unnützen
und vielleicht schädlichen
Frieden verlangen. Gott wird uns den
Frieden geben, wenn
wir uns demütig bequemen, gelassen in Kampf und Streit zu leben
(Brief 126).
Man muss nicht solche Wünsche
nach einer zu angenehmen, weichlichen
Vollkommenheit hegen, so dass man nur Süßigkeiten
in seinen
Übungen möchte,
ohne Ekel, ohne Widerwillen, ohne Zerstreuung,
ohne Versuchungen. Begnügen
Sie sich mit dem Bewusstsein, dass
der Baum ihrer Entschlüsse
wohl gepflanzt ist und tiefe Wurzeln geschlagen
hat, ohne zu wollen, dass nicht ein Blatt von dem Winde
einer
Versuchung hin und her bewegt werde. Ich wünsche
Ihnen ein
starkes Herz, das nicht so leicht für
alle Eindrücke
empfänglich
ist, dem
nichts daran liegt, ob etwas süß
oder bitter, ob es Tag oder Nacht
ist, sondern das Gott liebt mit unbeugsamer Liebe, welches wie Martha
einen Teil der Zeit den äußeren
Werken der Liebe zu widmen versteht
und wie Maria einen noch besseren Teil der Beschaulichkeit, jener
so großen
Ehre für
ein Herz, sich allein mit seinem Gotte untere halten
zu können
(Brief
127, 128, 143.).
Im Dienste Gottes muss die Ungezwungenheit
von
Kindern herrschen, die einem Vater dienen, und nicht unruhige Furcht
von Sklaven, die einem Tyrannen dienen."
Außer
diesen Andeutungen, wie sie sich gegen die Versuchungen zu
verhalten habe, gab ihr Franz noch besondere Ratschläge in
Betreff
verschiedener Übungen. Als heilsam und nützlich
für
Anfänger empfahl
er ihr, im Gebete die Vorstellungskraft zu Hilfe
zu nehmen, um
sich Jesus Christus zu vergegenwärtigen,
und den Verstand, um den
Willen durch Betrachtung und Erwägung
anzuregen; ist der Wille aber
einmal angeregt, dann muss man nur fromme Anmutungen zu machen
suchen, um von da zu Entschlüssen
und von Entschlüssen
zur Tat
überzugehen
(Brief 95, 101,
102.).
Weiterhin empfahl er ihr die öftere
Kommunion als
ein Mittel, uns in Jesus Christus umzugestalten, so dass der
göttliche
Gast unserer Seele durch unser Herz liebt, durch unseren Mund
redet, sein Geist in uns Alles tut und lenkt und unser ganzes Innere
anerkennt, lobt und preist seinen obersten heiligen, gerechten und
erhabenen Willen (Brief 139.).
Ferner bat er sie, ihre Gesundheit zu schonen
und sie nicht durch langes Wachen zu schwächen,
„denn“,
sagt er, „wenn
man die Nacht hindurch gewacht hat, so ist man den ganzen Tag
nichts mehr wert," in ihrer Kleidung sich einer stets größeren
Einfachheit zu befleißen,
den kleinen Kindern Unterricht zu erteilen, um
ihren zarten Seelen die Furcht Gottes, die der Anfang der Weisheit,
und die Liebe, welche deren Vollendung ist, einzuflößen;
ruhig und
mutvoll in den inneren Leiden zu bleiben, „in
denen“, sagt er, „tausend
kleine herrliche Tugenden geübt,
durch welche in der Seele die Demut
und die Liebe befestigt werden, diese Muttertugenden, denen alle
übrigen
folgen wie die Küchlein
der Henne
(Brief
94, 108, 115)."
Auf
zwei Punkte besonders kam er öfters
zurück,
aus die Demut, welche
nicht bloß darin besteht, sich selbst nicht hochzuschätzen,
sondern auch
die Verachtung anderer bereitwillig sich gefallen zu lassen, und
aus
den Geist des Vertrauens und des Friedens, der da bewirkt, dass wir freudigen
Herzens die Bahn der Vollkommenheit laufen. „Lieben
Sie, schrieb
er (Brief
84 u. 88), das Kreuz und seine Schmach; betrachten Sie sich gerne
als arm und elend angesichts der Erniedrigung unseres Heilandes.
Freuen Sie sich, nichts zu sein, da Ihre Erniedrigung der Güte
Gottes Gelegenheit gibt, seine Barmherzigkeit zu üben.
Wenn Gott
sieht, dass Ihr Herz mit Freudigkeit solch demütige
Gesinnung in
Betreff Ihrer selbst hegt, so wird er Ihnen große Gnaden
zuwenden.
Bleiben Sie also mit Freudigkeit demütig vor Gott wie vor
den Menschen. Wenn man Sie hochschätzt,
dann scherzen Sie heiter darüber;
beachtet man Sie dagegen nicht, so trösten
Sie sich auch
darüber
heiteren Herzens und seien Sie froh, dass hierin wenigstens
die Welt wahr urteilt. . . . ."
„Ich
bitte Sie, schreibt er ferner, um der Liebe Gottes willen, haben
Sie keine Furcht vor Gott, denn er tut Ihnen nichts zu leide
; lieben Sie ihn sehr, denn er will Ihnen viel Gutes tun. . . . tun
Sie sich keine Gewalt an, um Ihre Versuchungen zu überwinden;
denn das würde
sie heftiger machen, verachten Sie dieselben einfach,
ohne lange mit ihnen zu streiten. Stellen Sie sich vor, Sie umarmten
den gekreuzigten Jesus, und seine geöffnete
Seite voll Liebe küssend
sprechen Sie wieder und wieder: Hier ist meine Hoffnung, die
lebendige Quelle meines Glückes,
nie soll mich etwas von seiner Liebe
trennen, fest werde ich ihn halten und ihn nicht lassen. Was gibt
es denn aus Erden, oder was will ich im Himmel außer dir, o
mein Jesus? Du bist der Gott meines Herzens und mein Schatz aus
immer."
Frau
von Chantal hatte bis dahin den Edelmann, welcher aus der
Jagd ihren Gemahl getötet
hatte, nicht wieder gesehen. Da sie nun
jetzt sich in die Lage versetzt sah, wahrscheinlich wieder mit ihm
zusammentreffen
zu müssen,
so fragte sie den Bischof von Genf, wie sie
sich dabei zu verhalten habe. „Es
ist nicht notwendig, schrieb ihr
dieser zurück (Brief
103.),
dass Sie Tag und Gelegenheit, ihm zu begegnen,
aufsuchen,
kommt er aber zu Ihnen, so möchte
ich, dass Sie ihn mit Sanftmut,
Wohlwollen und Mitleiden empfangen. Ohne Zweifel wird
es Ihr Herz erschüttern,
Ihr Blut in Aufregung bringen; aber was
schadet das? Dem Erlöser
war es wohl ebenso zu Mute beim Anblicke
seines toten Freundes Lazarus und als die Stunde seines Leidens
nahte; aber er erhob seine Augen zum Himmel das eine und
das
andere Mal, wie die heilige Schrift sagt; so ist es meine Tochter.
Gott will uns
durch solche Aufregungen zeigen, wie sehr wir Fleisch sind.
Seien Sie willfährig
gegen jene, welche den armen Mann zu Ihnen
bringen wollen, und zeigen Sie, dass Sie selbst den Tod Ihres
Gemahls, Ihrer
Brüder,
Ihrer Kinder, Ihren eigenen gerne und freudig
hinnehmen in der Liebe und aus Liebe zu unserem süßen
Heilande. Üben
wir diese nicht sehr in die Augen fallenden, aber echten, heiligen
und erhabenen Tugenden."
So
belehrt und unterwiesen arbeitete die Baronin in ihrer
Zurückgezogenheit
aus dem Schlosse ihres Schwiegervaters mit unermüdlichem
Eifer an ihrer Heiligung und ergriff jede Gelegenheit, die sich zur
Ausübung
eines guten Werkes darbot; sie pflegte die Kranken, auch
die ekelhaftesten, verband ihre Wunden, besuchte die Armen und
Notleidenden
und sorgte für alle ihre Bedürfnisse,
als wäre
sie ihre Magd
gewesen (Mémoires
de la mère
de Chaugy
p. 68. et suiv.).
Doch schien ihr Alles was sie tat, nichts zu sein,
wenn sie nicht sich selbst dem Herrn in einem Kloster weihe. „Glauben
Sie nicht, schrieb sie an ihren Führer
(Das.,
p. 79.),
dass ich eines Tages
alles Irdische verlassen werde, um mich nur mehr mit Gott allein
in der Einsamkeit zu beschäftigen?
Lassen Sie mir wenigstens diese
teure Hoffnung^" Der Bischof antwortete ihr, dass er selbst bete
und beten lasse, um den Willen Gottes in diesem Punkte zu erkennen;
eines Tages werde sie Alles verlassen, aber wozu sie bestimmt sei,
wisse er noch nicht; er werde fortfahren zu beten und Andere für
sie beten zu
lassen, und sie solle sich mit der vollkommensten Ergebung der
Führung
der Vorsehung überlassen,
ohne ein anderes Verlangen, als
zu gehorchen und Gott immer mehr zu lieben. übrigens müsse
er noch, ehe
er etwas Bestimmtes tun könne,
persönlich
mit ihr reden,
und zu dem Zwecke möge
sie einige Tage vor Pfingsten nach Annecy
kommen. -- Dringende Geschäfte nötigten die edle Frau, ihre
Abreise dahin um einige Tage zu verschieben; aber um doch zur
festgesetzten Zeit in Annecy einzutreffen, machte sie die größten
Tagereisen , und Wind und Wetter waren nicht im Stande , sie zu einer
Unterbrechung
derselben zu bewegen.
Als
Franz einen so pünktlichen
Gehorsam sah, fragte er sie, warum
sie sich denn so sehr ermüdet
habe. „Ich
glaubte nicht“, gab sie zur Antwort, „dass ich mich auch
nur von der geringsten Ihrer Vorschriften
entbinden dürfe."
--- „In
solchen Fällen,
erwiderte der Heilige,
müssen
Sie meine Worte nicht so strenge nehmen und ihnen einen
mildern Sinn beilegen." Doch lassen wir Frau von Chantal selbst
diese Unterredung erzählen.
„Mit
der größtmöglichen
Gleichgültigkeit,
sagte sie, begab ich mich zu dem Bischofe, ohne ein anderes Verlangen
zu haben, als mich gehorsam und treu dem zu unterziehen, was
mir Gott durch ihn befehlen werde, mit der festen Zuversicht, dass
seine Entscheidung der Wille Gottes sei, dem ich ja mein ganzes Herz
und alle meine Neigungen zum Opfer gebracht hatte. Bis zu Pfingsten
sprach er mit mir über
viele Dinge, ließ
mich ihm Alles erzählen,
was in meiner Seele vorgegangen war, ohne mir noch etwas
über
seine Absichten mitzuteilen, sondern sagte mir nur, ich möge
eifrig und viel beten und mich ohne Rückhalt
ganz. Gott hingeben,
was ich auch vollständig
zu tun suchte. Am zweiten Pfingsttage
endlich sagte er mir mit ernster und gesammelter Miene, dass er zu
einem Entschlusse über
mich gekommen sei. --- „Und
ich“, rief ich ihm
zu Füßen
fallend aus, „ich bin entschlossen, Ihnen in Allem zu
gehorchen."
--- „Nun“,
sprach er, um mich zu prüfen, „Sie sollen Klarissin
werden." --- „Mein
Vater, ich bin ganz bereit." --- „Nein,
Sie sind doch
nicht stark genug dafür,
Sie müssen
Hospitalschwester werden."
--- „Mein
Vater, Alles was Sie wollen." --- „Das
ist es noch
nicht, was ich will, Sie sollen Karmeliterin werden." --- „Mein
Vater, ich bin
bereit zu gehorchen." --- „Nein,
versetzte er, auch das ist
es nicht, was Gott von Ihnen verlangt; er hat Sie dazu bestimmt,
einen Orden zu gründen,
in dem die barmherzige Liebe und Sanftmut
Jesu Christi die oberste Stelle einnehmen, in welchen Schwache
und Gebrechliche aufgenommen werden und der sich mit der
Pflege der Kranken und der Unterstützung
der Armen beschäftigt.
Bei diesem
Vorschlag fühlte
ich aus der Stelle wie mein ganzes Innere
ihm mit süßer
Befriedigung entgegenkam, was mir die Versicherung
gewährte,
dass dies der Wille Gottes sei; bei den anderen Vorschlägen
hatte ich das nicht empfunden, wiewohl meine Seele sich ihnen
ganz unterwarf."
Von
diesem Augenblicke an zögerte der weise Führer nicht
länger, und die Gewissheit, dass ihr Vorhaben von Gott
eingegeben sei, befestigte ihn ganz und gar in seinem Entschlusse.
Doch war er sich der großen Schwierigkeiten, welche sich der
Ausführung entgegenstellten, bewusst; ein einziger Sohn, drei
noch nicht versorgte Töchter, ein Vater und ein Schwiegervater,
die beide schon sehr bejahrt waren und welche zu verlassen schon die
bloße Schicklichkeit nicht gestattete, sehr verwickelte
Geschäfte, in denen allein die Baronin sich zurecht finden
konnte, das waren Alles gewichtige Gründe, die im Wege standen.
Wie
konnte sie so viele Bande zerreißen,
so viele Hindernisse überwältigen?
Und gesetzt, dass man mit diesen fertig wurde, wo sollte man
die zur Gründung
des Ordens notwendigen Mittel hernehmen? Er
selbst war so arm, dass er kaum seinen Unterhalt hatte. Annecy endlich,
welches Gott ihm als die Quelle gezeigt hatte, von der aus der Orden
sich über
die ganze Welt verbreiten sollte, wo, wie die Vernunft
allein schon sagte, der neue Weinberg notwendig gepflanzt werden
musste, um gepflegt, gereinigt, in Ordnung erhalten zu werden, kurz
von der Hand seines Gründers
seine Gestalt und Form zu erhalten,
war eine Stadt außerhalb Frankreichs und zu klein, um
Mitglieder
und Mittel liefern zu können.
Aber all das machte ihn in seinem
Glauben nicht irre. In dem Unternehmen sah er das Werk Gottes,
und er wusste, dass der Himmel mit Hindernissen, die sich der
Ausführung
seiner Absichten in den Weg stellen, leichtes Spiel hat.
In
der Tat wurde schon in der nächsten
Woche, anscheinend durch
einen bloßen
Zufall, in einem Augenblicke, wo niemand daran dachte,
die erste Möglichkeit
zur Ausführung geboten. Frau von Chantal
war sehr ermüdet
von der Fronleichnamsprozession zurückgekommen,
und mehrere Edelleute, unter ihnen Bernhard von Sales, Baron
von Thorens, der jüngste
Bruder des Bischofs, boten ihr den Arm,
um sie in ihr Zimmer hinaufzuführen.
„Erlauben
Sie, meine Herren“,
sprach sie - Bernhard ihren Arm gebend, „dass ich diesen
Edelmann
als meinen Teil erwähle."
Diese bloße
Höflichkeit, unter der sonst
keine Absicht verborgen lag, ließ
Frau von Boisy glauben, die Baronin wünsche
ihre älteste
Tochter mit Bernhard zu vermählen,
ein junger
Mann, der allerdings ihre Achtung verdiente, der mit einem
unerschrockenen
Charakter, Tiefe und Anmut des Geistes, Sanftmut und
Gefälligkeit
im Umgange verband; demgemäß
ließ
sie ihr diese Verbindung
durch den Bischof antragen. „Nie“,
erzählt
Frau von Chantal,
„befand ich mich in einer solchen Verlegenheit wie bei diesem
Vorschlage,
da ich wusste, dass die beiden Großväter
meiner Tochter entschieden
Einspruch dagegen erheben würden,
dass sie Frankreich verlasse;
doch ließ
ich das nicht merken, und bezeugte der guten Frau von
Boisy meine Dankbarkeit aus jede Weise.“ So war der erste Schritt
zu einer Heirat geschehen, deren Abschluss
Frau von Chantal eines
Tages in Annecy eine neue Heimat bereiten und die Entstehung des
Ordens von der Heimsuchung herbeiführen
sollte.
Acht
Tage nachher reiste die Baronin nach Hause zurück,
von der
jüngsten
Schwester des Bischofs begleitet, welche sie mit ihren Kindern
erziehen wollte; das hatte sie Frau von Boisy versprochen.
Um
sie in ihrem Berufe zu befestigen und ihr den Geist und die Tugenden
desselben einzuflößen,
richtete Franz noch mehrere Briefe an
sie. „Immer
fester“, schrieb er (Brief
121, 122, 124, 126, 155, 213.),
„wird in mir die Überzeugung,
dass
die Wahl, welche ich für Sie getroffen habe, die richtige ist.
Lassen Sie
darum Ihr Herz sich nicht zu anderen Wünschen
hinreißen;
und Gott
preisend wegen der Vortrefflichkeit der anderen Berufsarten, bleiben
Sie demütig bei dem Ihrigen, der allerdings niedriger und
weniger
erhaben ist, aber besser Ihren Fähigkeiten
entspricht und mehr zu
Ihrer unbedeutenden Persönlichkeit
passt. .... Halten Sie Ihr Herz
weit offen, legen Sie es oft in die Hände
der Vorsehung. Halten
Sie es fest und stetig hoch emporgerichtet zu Gott, mit vollkommenem
Vertrauen aus diese heilige Vorsehung, die Ihnen nicht den
Entschluss gegeben hat, ihr zu dienen, ohne Ihnen die Möglichkeit
dazu zu geben
(Brief
122, 127, 128, 130, 135, 184.).
Demütigen Sie sich, aber ruhig und ohne sich zu ängstigen.
.... Will Gott, dass Sie am Kreuze seien, so wollen Sie es
auch. Töten
wir uns ab bis zum Äußersten, und möge
Alles in uns sterben, wenn nur Gott in uns lebt. Es soll Ihnen
gleichgültig
sein, ob Sie Gott folgen unter Dornen oder unter Rosen, indem
Sie es sich zur Regel machen, das was ihm wohlgefällt,
mehr und
inniger zu wollen und zu lieben als Alles aus der Welt
(Brief
141, 143, 144).
.... Sagen Sie
einfach: Herr, wenn du es willst, so will ich es auch; wenn du
es nicht willst, so will ich es auch nicht. Weg mit jener Furcht,
welche der Seele ihre Kraft benimmt und sie traurig und unruhig
macht. Stellen
Sie sich vor, dass Sie an der Brust des Heilandes ruhen,
in den Armen seiner Vorsehung, oder zu Füßen
des Kreuzes, in
ihr Herz einige Tropfen jenes von allen Seiten herabtröpfelnden
Balsams
aufnehmend und die unbeachteten Kräutlein
jener Tugenden pflückend,
die da ringsumher aufsprossen."
Als
Frau von Chantal darüber
bekümmert
war, dass sie immer noch
keine Möglichkeit
sah, die Welt verlassen zu können,
schrieb er ihr
(Brief
156, 122.):
„Mut,
meine Tochter! Allerdings gewahre ich große Schwierigkeiten,
die der Ausführung im Wege stehen, und ich sehe noch nicht, wie
sie zu beseitigen sind; aber ich bin gewiss, dass die göttliche
Vorsehung aus
eine den Geschöpfen
unbekannte Weise helfen wird. .... Betrüben
wir uns nicht, wenn widrige Stürme
sich erheben. Wenn Gott
sie will, seien wir denn auch damit zufrieden, seine Vorsehung wird
uns schon zum
Hafen zu leiten wissen. Die Welt wird wohl darüber reden,
aber daran liegt dem nichts, der die Welt verachtet und die Zeit
nur als den Übergang zur Ewigkeit ansieht. Wer hat jemals etwas
Gutes getan, ohne dass die Welt über
ihn zu Gericht saß?"
Solche
Ratschläge und Trostesworte ermutigten dann wieder die edle
Frau, und
ruhig widmete sie sich der Erziehung der Fräulein
von Sales, die
sie mit ihren eigenen Kindern erzog. Nach nicht langer Zeit
hatte sie aber den Schmerz, zu sehen, dass die junge Dame erkrankte
und nach wenigen Tagen in ihren Armen verschied. Sie erinnerte sich
da des Anerbietens, welches ihr Frau von Boisy rücksichtlich
ihres Sohnes unlängst
gemacht hatte, und um die tiefbetrübte
Mutter für einen so grausamen Verlust etwa zu entschädigen,
dachte sie
ernstlich daran, die gewünschte
Heirat zwischen ihrer Tochter
und dem Baron von Thorens zu Stande zu bringen. Ihr Vater machte
im Anfange viele Einwendungen, fügte
sich aber doch zuletzt dem
dringenden Wunsche seiner Tochter; der Gedanke, welches Glück
und welche
Ehre es für seine Familie sei, mit der eines Heiligen verwandt
zu werden, trug nicht minder dazu bei, dass er seine Einwilligung,
wenn auch ungerne, gab, denn er liebte seine Enkelin zärtlich
und sie so weit fortzulassen, fiel ihm sehr schwer. „Ich
muss Ihnen
gestehen“, schrieb er an den Bischof, „dass niemals eine
andere Macht,
als jene, welche Gott Frau von Chantal verliehen hat, es vermocht
haben würde,
mir die Kleine zu entreißen."
Das Beispiel des
Präsidenten
bestimmte auch den Großvater
und die übrigen
Verwandten von
väterlicher
Seite, so dass der Verbindung kein Hindernis mehr im Wege
stand.
Noch
immer hatte die Baronin ihrem Vater nichts von ihrem Entschlusse,
eine neue religiöse
Genossenschaft zu gründen,
gesagt; endlich
musste es aber doch geschehen und sie beschloss, die erste günstige
Gelegenheit dazu zu benützen.
Nach Ostern des Jahres 1609 hielt
sie sich eine Zeit lang in Dijon aus; am Vorabende des Festes des
heiligen Johannes war sie gerade allein mit ihrem Vater, da die
anderen
ausgegangen waren, um die Johannisfeuer zu sehen. Sie brachte
die Rede aus die Angelegenheit ihres Herzens, indem sie damit
begann, wie schmerzlich es ihr sei, ihre Kinder bei dem alten Baron
von Chantal zu erziehen, da sein Haus so wenig dazu geeignet sei.
„Nun,
mache Dir darüber
keine Sorgen“, sprach der Vater, „Deine
älteste
Tochter heiratet ja den Baron von Thorens, die beiden jüngsten
sind bereits in dem Alter, wo man sie einem Kloster zur Erziehung übergeben
kann, um so mehr, da sie ohnehin Neigung und Beruf zum klösterlichen
Leben zeigen, und für Deinen Sohn werde ich
sorgen."
-- „O
alsdann“, rief sie aus, „lassen Sie mich doch die mir so
gewordene Freiheit benützen!
erlauben Sie, dass ich die Welt verlasse
und mich in ein Kloster verschließe,
wohin Gott mich schon so lange ruft." Der ehrwürdige
Greis, der schon im einundsiebenzigsten Jahre
stand, war bei dieser so ganz unerwarteten Bitte wie vom Donner
gerührt;
er brach in lautes Weinen und Schluchzen aus. Um
ihn zu beruhigen, sagte sie ihm, dass dies einstweilen nur noch ein
Plan sei, den sie ihm als dem Vertrauten ihrer Gedanken, vor dem
sie nichts geheim halten wolle, mitteile, aber doch könne
sie nicht umhin,
ihm zu bemerken, dass der Bischof von Genf, mit dem sie reiflich die
Sache besprochen, der Ansicht sei, dass der Himmel ihr dies
Vorhaben eingegeben habe. „Ich
glaube“, antwortete der Greis, „dass
der Bischof den Geist Gottes hat, aber doch bitte ich Dich, keinen
Entschluss zu fassen, bevor ich mit ihm gesprochen habe." Das
versprach
sie gerne. Sie reiste darauf nach Monthelon zurück,
wohin auch
der Bischof von Genf nach einigen Monaten kam, um seinen Bruder
mit Fräulein
von Chantal zu trauen. Am Tage nach der Hochzeit
besprach er sich nochmals eingehend mit dem Erzbischofe von Bourges
und dem Präsidenten
Fremiot über
den neu zu gründenden
Orden
und den Beruf der Frau von Chantal. Beide stimmten zuletzt seinen
Gründen
vollkommen bei; der Vater verlangte nur, dass das erste Haus des
Ordens in Dijon, der Erzbischof, dass es in Bourges oder
Autun errichtet werden sollte. Allein die Baronin entgegnete, es müsse
in Annecy sein; hier stehe ihr der Bischof von Genf ratend und
helfend zur Seite, und außerdem sei es ihr dort möglich,
ihre Tochter
öfter
zu sehen und sie zur Leitung eines großen
Hauses mehr heranzubilden.
Gegen diese Gründe
wusste man nichts einzuwenden; die
Baronin sollte also in zwei Monaten nach Annecy abreisen und ihre
beiden jüngsten
Töchter
mitnehmen, um ihre Erziehung zu vollenden.
Während
der Bischof zu Monthelon verweilte, erhielt er den Besuch
einer Dame, Fräulein
von Brechard, die Karmeliterin gewesen,
aber wegen ihrer allzu schwachen Gesundheit aus diesem strengen Orden
hatte austreten müssen;
er entdeckte in ihr so erhabene Tugenden,
vor Allem eine so vollkommene Liebe, dass er alsbald die Überzeugung
gewann, sie sei von Oben zu einer der ersten und Hauptstützen
der neuen
Genossenschaft ausersehen. Sie selbst war freudig damit
einverstanden,
das erste Mitglied des Ordens zu werden, und wartete nur
aus nähere
Weisung, um sich an Ort und Stelle zu begeben.
Nach
Annecy zurückgekehrt,
ließ
es sich Franz mit allem Eifer
angelegen
sein, Alles vorzubereiten, um die Genossenschaft sobald als möglich
ins Leben zu rufen. außer Frau von Chantal und Fräulein
von
Brechard hatte sich bereits eine dritte Schwester gefunden, die älteste
Tochter des Präsidenten
Favre, eine Dame, die alle Vorzüge
des
Geistes und des Körpers
in sich vereinigte und sich des Beifalles der
Welt in hohem Grade erfreut hatte. Eines Tages hatte sie aus einem
Balle in Chambery mit solcher Anmut getanzt, dass jedermann davon
entzückt
war. Aber das gerade brachte sie zu ernstem Nachdenken
über
sich selbst: „Arme
Favre“, dachte sie bei sich, „was kann dir
das helfen eines Tages? Man wird wohl sagen: Diese Dame hat
schön
getanzt, und das wird Alles sein; welch ein trauriger Lohn." Die
Eitelkeit alles Irdischen kam ihr da so recht zum Bewusstsein, und um
sich in der Todesstunde eine bittere Reue zu ersparen, fasste sie den
Entschluss, die Welt zu verlassen. Schon hatte sie sich zu dem Zwecke
der Leitung des Bischofs von Genf anvertraut, als dessen verwitweter
Bruder Ludwig beim Präsidenten
Favre um ihre Hand anhielt.
Freudig kam dieser seinem Wunsche entgegen und setzte alsbald
seine Tochter davon in Kenntnis.
Allein Fräulein
Favre, weit entfernt, ihre Einwilligung zu geben, bat Franz, sie
einer Bewerbung zu entziehen, die sie nur betrübte,
und ihr zu helfen, in ihrem frommen
Entschlusse zu beharren. Nicht ohne Mühe
gelang es dem Bischofe,
den Präsidenten
zu bestimmen, einer für ihn so schmeichelhaften
Verbindung zu entsagen; bei seinem Bruder jedoch war dies schon
leichter. Als er eines Tages mit ihm zu Tische war, sprach er
lächelnd:
„Weißt
Du nicht, Bruder, dass Du einen gewaltigen Nebenbuhler
hast, dem Du Deine Erkorene wirst überlassen
müssen?"-- „Wie,
einen Nebenbuhler?“, versetzte Ludwig; „wer darf es
wagen, sie mir
streitig zu machen?" --- „Ein
Nebenbuhler, vor dem Du trotz all
Deiner Beherztheit zittern würdest;
es ist Jesus Christus, Dein höchster
Herr, den Fräulein
Favre sich mit Ausschluss
jedes anderen zum
Bräutigam
erkoren hat; darum denke nicht mehr an die Sache." --
„Gott
bewahre“, versetzte da sogleich der fromme Christ, „dass
ich dem
Berufe der Fräulein
Favre und dem Willen des Herrn Hindernisse
in den Weg legen sollte." Und als er später
die Dame traf, sprach
er zu ihr: „Hätten
Sie mich einem anderen Manne vorgezogen, so
würde
ich untröstlich
darüber
sein; aber Gott gegenüber
verzichte ich
aus alle meine Ansprüche,
und ich überlasse
Sie gerne dem himmlischen
Bräutigam,
dessen unwürdiger
Knecht ich ja nur bin, nicht wert,
sein Nebenbuhler zu sein."
Eine
andere Dame, die Franz für den Orden zu haben wünschte,
war
Fräulein
Aimee von Blonay, die er während
seiner Mission in Chablais
schon als kleines Kind gekannt und zur Frömmigkeit
herangebildet
hatte. Er schrieb daher an ihren Vater, er möge
doch seine Tochter
nach Ostern zu ihm bringen. Herr von Blonay, der nach dem
Tode seiner Gemahlin selbst in den geistlichen Stand getreten war,
war vollkommen damit zufrieden, doch wurde durch das Zusammentreffen
verschiedener misslicher
Umstände
ihr Eintritt in den Orden noch um anderthalb Jahre verschoben.
Ebenfalls
aus seiner Mission in Chablais hatte er, wie der Leser sich
noch erinnern wird, eine Person in Genf gefunden, die in einem
dortigen
Hotel als Magd diente, Anna Jacobine Coste. Er hatte sie gleich
in Annecy untergebracht, wo sie unter seiner eigenen Leitung stand.
Sie war eine auserwählte
Seele, Gott und seine Ehre gingen ihr
über
Alles. Eines Tages drückte
sie ihm den Wunsch aus, in dem
Orden, welchen er gründen
wolle, Laienschwester zu werden. „Ei“,
versetzte er, „wer hat Ihnen denn gesagt, dass ich ein Kloster
gründen
will?" --- „Niemand“,
erwiderte sie, „aber ein stetes Gefühl
sagt mir es ganz klar." Da Franz bis dahin sein Geheimnis noch
keinem Menschen mitgeteilt hatte, so schloss er hierauf, dass Gott
es seiner Dienerin offenbart haben müsse,
und er gestand es denn
auch in aller Einfalt. Seit der Zeit war sie unablässig
bemüht,
sich
noch mehr aus das klösterliche
Leben vorzubereiten, und sie konnte die
Zeit kaum erwarten, in der Frau von Chantal kommen sollte.
Es
war nun Alles soweit in Ordnung, dass es nur mehr eines Hauses
bedurfte. Eine fromme Dame, die auch gerne zu der neuen
Genossenschaft
gehören
wollte, kaufte nun ein Haus, die Galerie genannt, und stellte es dem
Bischofe zur Verfügung,
so dass zur bestimmten
Zeit Alles bereit war. Man erwartete noch Frau von Chantal, welche
bei der ersten Nachricht, die der Bischof ihr zukommen ließ,
sich eilends
zur Abreise rüstete.
Sie nahm Abschied von ihrem Schwiegervater
und Allen, die sie in Monthelon kannte. Die Trauer war
allgemein und unbeschreiblich; der alte Baron, dem sie sich zu Füßen
warf, um ihn um seinen Segen zu bitten, sowie um Verzeihung
für Alles, wodurch sie sein Missfallen
etwa erregt habe, umarmte sie
laut weinend und schluchzend; ihre Pächter
und Nachbarn, die Bewohner
des Schlosses, vor allem aber die Armen, die bei ihr immer sichere
Hilfe fanden, eine Zuflucht und liebreiche Mutter, waren
untröstlich;
weinend riefen sie, dass sie mit ihr Alles verlören,
und lautes Schluchzen
erstickte ihre Stimme. Unter all diesen Tränen und blieb
sie fest und stark. „Adieu
für
immer, meine guten Leute,
sprach sie; adieu, meine lieben Armen, ich werde euch immer als
meine Kinder betrachten; fürchtet
Gott und betet für
mich.“ Und nachdem
sie die Nachstehenden umarmt hatte, reiste sie ab, um in Dijon
Abschied von ihrer Familie zu nehmen. Bei dem Gedanken an
das Opfer, das sie zu bringen im Begriffe stand, indem sie das
teuerste,
was sie aus der Welt besaß,
verlassen sollte, fühlte
sie doch,
wie ihre ganze Natur sich dagegen sträubte,
ihre Seele in heftigem
Schmerz zusammenzuckte; denn die Gnade erstickt nicht die Natur,
sie begnügt
sich, dieselbe zu regeln, und die Tugend der heiligen Witwe
bestand nicht darin, das natürliche
Gefühl
zu vernichten, sondern
es zu überwinden,
um dem Rufe der Pflicht zu folgen. Sie war
Tochter und sie war Mutter; als Tochter empfand sie für
einen Vater,
der sie stets zärtlich
geliebt hatte, Alles was die kindliche Liebe nur einflößen
kann; als Mutter liebte sie ihre Kinder unaussprechlich; sie
hatte sie unter ihren Augen erzogen, sie selbst hatte sie
herangebildet
zur Tugend und Frömmigkeit,
und sie hatten all ihren Bemühungen
aus das schönste
entsprochen. Um den Mut zu erlangen, sich von
so geliebten Wesen zu trennen, stärkte
sie sich mit dem Brote der
Starken, wallfahrtete sie nach Notre-Dame de l'Etang und nach Fontaine,
besuchte sie die Kirchen der Stadt und Umgegend, überall
Gott
anflehend, ihr die übernatürliche
Kraft zu verleihen, deren sie unter
solchen Umständen
so dringend bedurfte. Am Tage der Anreise waren
alle ihre Verwandten bei ihrem Vater versammelt, um ihr das letzte
Lebewohl zu sagen. Alle zerflossen in Tränen; besonders aber
überließ
sich ihr fünfzehnjähriger
Sohn dem heftigsten Schmerze; schluchzend
stand er in dem Vorzimmer seines ebenfalls untröstlichen
Großvaters.
Als die Baronin eintrat, um ihrem Vater das letzte Lebewohl
zu sagen, fiel er ihr laut weinend um den Hals, und sie fest
umschlungen haltend, beschwor er sie bei Allem was heilig ist, ihn
nicht zu verlassen. Das Herz der Mutter blutete und ihre Augen
schwammen
in Tränen. Aber mit Hilfe der Gnade erhob sie sich über
die Natur, die zu wanken begann; mit liebreichen Worten tröstete
sie
ihn, trocknete seine Tränen, stellte ihm vor, dass, wenn Gott
ruft,
man ihm gehorchen muss, und sich gewaltsam von ihm losreißend,
ging
sie in das Zimmer des Vaters. Der Sohn versperrt ihr den Weg
und wirft sich vor der Türschwelle nieder mit den Worten: „Nun
denn, Mutter, wenn ich zu schwach und unglücklich
bin, um Dich
zurückhalten
zu können,
so soll man wenigstens sagen, dass Du nur
über
Dein eigenes Kind hinwegschreitend von uns fortgegangen bist."
Bei
einem so herzzerreißenden
Anblick blieb sie stehen; sie
zögerte
und reichlich flossen ihre Tränen; aber auch dieses Mal trug die Gnade
über
die Natur den Sieg davon, sie schritt über
ihr geliebtes Kind
hinweg (Mémoires
de la mère
de Chaugy
p. 112.).
Ein Geistlicher, der zugegen war, brach in einen Ruf der Bewunderung
aus. „Nein,
nein, mein Herr“, sprach sie da zu
ihm, „die Tränen
des Sohnes werden nie die Standhaftigkeit der Mutter
erschüttern;
aber
ich bin Ihnen dankbar für die Bemerkung, die Sie meinem Mute
zuteil werden
lassen." Und weinend blieb sie
einige Augenblicke stehen; da sah sie ihren
Vater aus sich zukommen, dessen
Schmerz ihr eine neue Marter bereiten
sollte. Er schloss sie in
seine Arme und hielt sie lange an seine Brust
gedrückt;
es schien, als
könne
er sich nicht von ihr trennen. Endlich riss
sie sich los und sich
ihm zu Füßen
werfend bat sie um seinen Segen, bat
ihn, für ihren
Sohn Sorge zu tragen. Der ehrwürdige
Greis hob seine
zitternden
Hände
zum Himmel empor und weinend rief er aus: „O
mein
Gott, es kommt mir nicht zu, gegen den ewigen Ratschluss Deiner
Vorsehung
zu murren; von ganzem Herzen unterwerfe ich mich ihm
und mit eigenen
Händen
opfere ich Dir aus dem Altare Deines heiligen
Willens diese einzige
Tochter, die mir ebenso teuer ist, als Isaak
seinem Vater Abraham war."
Sodann
gab er ihr seinen Segen,
hob sie aus und sie abermals umarmend sprach
er: „Gehe
denn,
geliebte Tochter, wohin Dich Gott ruft; sollte ich
Dich in dieser
Welt nicht mehr sehen, so werde ich doch zufrieden sterben,
da ich
Dich im Hause Gottes weiß,
und ich hege das Vertrauen, dass Du
durch Dein Gebet die Stütze
Deines greisen Vaters sein wirst." –
„O
sicher, geliebtester und bester Vater," antwortete die Baronin. --
„Und
nun“,
sprach der Präsident,
„trocknen wir unsere Tränen, wie
gerechtfertigt sie
auch sein mögen,
um dem Willen Gottes unsere Ehrfurcht zu bezeugen und die
Welt nicht am Ende glauben zu machen, dass
unsere Standhaftigkeit erschüttert
sei." So verließ
denn die heilige
Witwe ihren Vater; das Schwerste
war vorüber
und der Abschied
von ihren übrigen
zahlreichen Verwandten
wurde ihr um Vieles
leichter. Doch konnte sie sich, als sie dieselben
Alle weinen sah,
der Tränen nicht enthalten. „Man
muss mir meine
Schwäche
verzeihen“,
sprach sie, „ich verlasse meinen Vater und meinen Sohn
aus immer;
aber der Glaube tröstet
mich und meinen Gott werde ich überall
finden." Ungesäumt
machte sie sich nun aus den Weg, und als
sie die
Tore der Stadt hinter sich hatte, sprach sie frohlockend mit
Fräulein
von
Brechard, die sie begleitete, die Worte:
„Ich
erbebe
vor Freude über
das Wort, das zu mir gesprochen wurde:
wir werden eingehen in das Haus des Herrn. Wie lieblich
sind Deine Wohnungen, Herr der Heerscharen. Es
sehnt sich und schmachtet meine Seele nach den Vorhöfen
des
Herrn.
Unsere Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Stricke
der Jäger;
die Schlinge ist zerrissen und wir sind frei.“
Überall
aus dem ganzen Wege suchten sie, wo sie abends blieben, um
die Nacht
zuzubringen, die Kranken aus, um sie zu pflegen und zu
trösten,
in
den Hospitälern
sowohl wie auch in Privathäusern,
und ehe
sie morgens abreisten,
kehrten sie zu ihnen zurück,
um ihnen noch die
Betten zu ordnen und
sich ihrem Gebete zu empfehlen. So geschah
es immer, bis sie in die Nähe
von Annecy kamen. Der Bischof kam
ihnen zwei Stunden weit entgegen,
und es begleitete ihn eine Anzahl
der angesehensten Bewohner der
Stadt; auch das Volk selbst empfing
sie mit freudigem Zuruf. Nachdem Frau
von Chantal acht Tage,
die fast ausschließlich aus geistliche Übungen verwendet
wurden, in
Annecy geblieben war, brachte sie ihre Tochter nach dem Schlosse
Thorens;
sechs Wochen verweilte sie daselbst, um ihr noch manche
gute
und nützliche
Lehre zu geben, besonders aber, um für
sie eine ergebene
und verständige
Dienerschaft zu finden, aus die sie sich verlassen
konnte.
Unterdessen
war Pfingsten herangekommen und sie eilte nach Annecy
zurück,
weil um diese Zeit der Bischof seine neue Genossenschaft eröffnen
wollte, „damit“,
wie er sagte, „seine Töchter
den heiligen Geist
empfingen und berauscht würden
von jener Gnade, die uns in den
Stand setzt, eine neue Sprache zu reden und ein neues Leben zu
führen." Während
die letzten Vorbereitungen und Einrichtungen im
Hause der neuen Ordensschwestern getroffen wurden, gab Frau von
Chantal noch ein Beispiel großer
Uneigennützigkeit;
sie verzichtete zu
Gunsten ihrer Kinder auf ihr gesamtes Vermögen
und begnügte
sich
mit einem kleinen Jahrgelde, das ihr der Erzbischof von Bourges, ihr
Bruder, aufsetzte. Dies wurde vielfach als ein unkluger Schritt
bezeichnet,
besonders da sie sich dadurch der notwendigen Mittel beraube, die
ersten Bedürfnisse
ihres Hauses zu bestreiten. Allein die edle Frau
und der Bischof dachten nicht so; sie wollten zeigen, dass sie bei
Gründung
ihres Werkes hauptsächlich
von einem festen Vertrauen auf Gott
und seine Fürsorge
geleitet würden,
und der Erfolg lehrte, dass Gott
ein solches Vertrauen nicht zu Schanden werden lässt, dass er
schon
aus dieser Welt jene, die aus Liebe zu ihm Alles verlassen,
bereichern
kann.
Es
schien sogar, als wolle der Himmel schon gleich ihrem Mute eine
Belohnung zuteil werden lassen durch einen vollständigen
Sieg, den
er sie über
eine heftige Versuchung davontragen ließ.
Der Gedanke
stieg in ihr auf, es sei doch eine vor Gott und den Menschen
verabscheuungswürdige
Grausamkeit von ihr, dass sie einen altersschwachen
Vater, Kinder, die noch ihrer Hilfe bedurften, so viele Andere,
denen sie so viel nützen
konnte, verlassen habe; das und der weitere
Gedanke, ihren Plan ganz aufzugeben und zu ihrer Familie
zurückzukehren,
folterte sie drei Stunden lang auf das grausamste; vor lauter
Zweifeln wusste sie sich nicht mehr zu Raten noch zu helfen. Da
warf sie sich auf die Knie und rief dreimal voll großer
Inbrunst:
„Herr,
eile mir zu Hilfe, sieh' barmherzig auf mein Elend herab! Ich stelle
mich ganz“, betete sie dann weiter, „o mein Gott, Deiner
anbetungswürdigen
Vorsehung anheim. Mögen
meine Verwandten,
meine Kinder, ich selbst zu Grunde gehen, wenn Du es so beschlossen
hast, daran liegt mir nichts; mein einziger Wunsch, in der Zeit
und in der Ewigkeit, ist der, Dir zu gehorchen und Deiner
unvergleichlichen
Majestät
zu dienen.“ Kaum hatte sie diese Worte gesprochen,
da erlangte sie ihre frühere
Ruhe wieder, begleitet von einer
so himmlischen Süßigkeit,
dass sie nicht daran zweifeln konnte, Gott
billige ihre Absicht, Alles zu verlassen und sich ihm allein zu
weihen
(Mémoires
de la mère
de
Chaugy
p. 116.).
Das
Fest der heiligen Dreifaltigkeit war der Tag, an dem die Feier
der Grundlegung des neuen Ordens statthaben sollte; er erschien der
Baronin als der schönste
ihres Lebens. Nachdem sie bei dem Bischofe
gebeichtet und auf seiner Hand die heilige Kommunion empfangen
hatte, besuchte sie, von den Fräulein
Favre und Brechard begleitet,
die Kirchen der Stadt und nahm Abschied von ihren Bekannten;
Abends gegen sieben Uhr verließen
alle drei das Haus des Präsidenten
Favre, in dem sie bis dahin gewohnt hatten, und begaben sich
nach dem bischöflichen Palais, um den Segen des Bischofs zu
empfangen.
Mit inniger Zufriedenheit diese drei Opfer, auf deren Antlitze
Freude und Heiterkeit strahlte, betrachtend, sprach er zu ihnen:
„Wie
glücklich
sind Sie, die der Herr erwählt
hat; behalten Sie diesen
guten Mut, lassen Sie ihn aber mit Demut gepaart sein. Gott
wird Ihr Gott sein und unter seinem heiligen Blicke werden Sie
siegreich Ihren Fuß auf den Kopf Ihrer Feinde setzen."
Nachdem
er dann Frau von Chantal einen kurzen Abriss
der
Ordensregeln
übergeben,
erhob er die Augen zum Himmel und segnete sie Alle„
im
Namen
des allmächtigen
Vaters, der sie anzog, im Namen des Sohnes, der sie leitete, im Namen
des heiligen Geistes, der sie mit heiliger Liebesflamme
belebte."
Von
dem Baron von Thorens, Johann Franz von Sales und
Ludwig
von Sales begleitet, gingen sie nun nach ihrer neuen Wohnung,
welche die Wiege des Ordens von der Heimsuchung werden sollte. Beim
Eintritt in die Kapelle, wohin sie sich zuerst begaben, rief Frau von
Chantal voll Freude aus: „Das,
meine Schwestern, ist der Ort unserer
Wonne und Ruhe." Niederknieend dankten sie Gott und baten ihn,
dass er ihr Unternehmen weiterhin segnen wolle, dass unter ihnen
selbst
eine vollkommene Liebe herrschen möge.
Die Baronin erhob sich
zuerst und umarmte zärtlich
ihre beiden Schwestern; ihrerseits erkannten
diese sie als ihre Oberin an und versprachen, ihr gehorsam zu sein
wie Gott selbst, dessen Stelle sie von nun an bei ihnen vertreten
sollte.
Sodann las die neue Oberin die Hausregel vor, damit sie unverzüglich
mit Pünktlichkeit
und Liebe beobachtet werde, und da es schon
spät
war, verrichteten sie ihr Abendgebet, legten voll Freude für
immer
ihre weltlichen Kleider ab und begaben sich zur Ruhe. Nie war der
Schlaf der beiden Gefährtinnen
der Frau von Chantal so ruhig
und süß
gewesen; nicht so ganz war das bei letzterer der Fall. Sie schlief
nur wenig, das Gefühl
der Gegenwart Gottes und der lebhaftesten
Dankbarkeit gegen ihn beherrschte sie zu sehr. Am folgen-den
Morgen weckte sie die beiden Schwestern und gab ihnen das Novizenkleid.
Um acht Uhr kam Franz, um die heilige Messe zu lesen,
nach deren Beendigung er ihnen eine kurze Ansprache hielt und sie
ermahnte, die Regeln ihres neuen Standes treu zu beobachten
(Mémoires
de la mère
de Chaugy
p. 121 et suiv..).
Zweites
Kapitel.
Weitere
Entwicklung des Ordens von der Heimsuchung.
Das
Noviziat der ersten Schwestern von der Heimsuchung war ganz
so, wie man es nicht anders von dem heiligen Eifer, mit dem sie
das Klosterleben begonnen, erwarten konnte. Frau von Chantal selbst
berichtet uns darüber:
„Schon
mit dem ersten Tage unserer Abgeschiedenheit
fingen wir an, Alles was uns vorgeschrieben war,
mit
der größten
Pünktlichkeit
auszuüben, und es waren damals schon die
nämlichen
Übungen wie auch heute noch. Wir suchten auch die geringste
Regel so gewissenhaft zu beobachten, dass einmal unsere beiden
Schwestern,
weil sie eine abgefallene Birne im Baumgarten bloß gekostet,
nicht mal gegessen hatten, um zu sehen, ob es Zeit sei, sie zu
pflücken,
heftige Skrupel darüber
empfanden, die sie dem Bischofe mitteilten;
und er legte ihnen aus, sich darüber
in der Beichte anzuklagen
und es der Oberin zu sagen, sowie jeden Verstoß,
den sie gegen die
Regel begehen würden,
möge
ihnen der Gegenstand auch noch so geringfügig
erscheinen. Der Heilige brachte uns eine solche Liebe zur
Pünktlichkeit
und Einfachheit bei, dass wir bei dem geringsten Zuwiderhandeln
dagegen Gewissensbisse empfanden; man konnte nichts auf dem
Herzen behalten, sondern eilte sogleich, um sich der Oberin zu Füßen
zu werfen und sich des Fehlers mit großer
Demut anzuklagen. Eine
größere
Reinheit, Unschuld und heilige Freude, als sie in diesen lieben
Seelen herrschte, kann man nie finden; und mit all' dem war ein
solches Vertrauen auf die Vorsehung verbunden, dass sie sich in dies
kleine Häuschen
einschlossen, ohne irgend welche Lebensmittel zu besitzen,
ohne mal ein Stück
Brot oder einen Tropfen Wein zu haben, ja
ich glaube, ohne dass sie nur mal ängstlich
daran dachten. Wir besaßen
zu diesem Unternehmen, das ganz auf dem Vertrauen auf Gott
ruhte, nur eine sehr kleine Summe, und unser geistlicher Vater
pflegte
zu sagen, dass Gott es hier gemacht habe, wie bei der Schöpfung,
die er ja auch aus Nichts hervorbrachte. Diese Armut gereichte uns
zu besonderem Troste, und ich erinnere mich sehr wohl, welche Freude
wir empfanden, als unsere gute Laienschwester einmal einen Sack
Kohlen für fünfzehn
Pfennige gekauft hatte und wir alle drei mit
unseren Schlüsseln,
wie die Regel es vorschreibt, zu unserer Geldkiste
kamen, und nicht mehr als gerade diese fünfzehn
Pfennige darin fanden.
Wir richteten uns in Allem nach unserer Armut, und nie hat
uns das Notwendige gefehlt. Wir erfreuten uns eines so heiligen
Friedens in unserer Zurückgezogenheit
und Stille, dass Schwester Favre
öfters
sagte, wenn es nicht der Ehre Gottes wegen wäre,
so möchte
sie, dass wir unser ganzes Leben so zubrächten,
ohne unsere Anzahl
zu vermehren.
„Gegen
Ende Juli erhielten wir zwei neue Mitglieder, Schwester Roget
und von Chastel, und gegen Dezember gesellten sich uns noch drei
andere bei, so dass wir nun in Allem acht waren. Es ist unmöglich
zu beschreiben, welche Gnaden und himmlische Gunstbezeugungen der
liebe Gott über
diese teuren Seelen ergoss; man gewahrte in
dieser kleinen Genossenschaft eine solche Pünktlichkeit
in Beobachtung der
Regel, eine Sammlung und einen Geist des Gebetes, eine so kindliche
Reinheit und Unschuld, eine Anmut, Sanftmut und eine so heilige
Freude im Gespräche,
eine so große gegenseitige Liebe, dass dies
Haus ein Paradies der Wonne zu sein schien. Man sprach nur von Gott
und den Mitteln, in seiner heiligen Liebe Fortschritte zu machen.
Unserem heiligen Stifter gereichte das zu unaussprechlichem Troste.
Er besuchte uns häufig. hörte
uns alle vierzehn Tage Beichte und
hielt uns kleine geistliche Konferenzen, um uns die wahre
Vollkommenheit
zu lehren, einer jeden je nach Bedürfnis die Übung irgend einer
besonderen Tugend vorschreibend."
Mit
heißer
Sehnsucht verlangten die eifrigen Novizinnen nach dem
glücklichen
Augenblicke, wo sie Profess (Ordensgelübde)
ablegen dürften.
„Wann,
schrieb Frau von Chantal an den Bischof, wird endlich der glückselige
Tag
kommen, an dem ich meinem Gotte das unwiderrufliche Opfer meines
Selbst bringe? In seiner Güte
hat er mich mit einer so außerordentlichen
und mächtigen
Empfindung der Gnade, ihm ganz anzugehören,
erfüllt,
dass sie, wenn sie in ihrer ganzen Stärke
so fortdauert, mich aufreiben wird. Nie empfand ich eine solche
Sehnsucht und
ein so brennendes Verlangen nach evangelischer Vollkommenheit. Es
ist mir unmöglich
zu beschreiben, was ich empfinde, noch wie groß
die
Vollkommenheit ist, zu der Gott uns beruft. Ach, je mehr ich den
Vorsatz fasse, treu zu sein der Liebe des Erlösers,
um so mehr erscheint
es mir unmöglich,
der ganzen Größe
der Anziehungskraft dieser
Liebe zu entsprechen. O, wie ist in der Liebe dieses Hindernis unseres
Unvermögens
so schmerzlich! Aber was sage ich? ich verkleinere
durch solche Worte das Geschenk Gottes und doch vermag ich diesem
Gefühle
der Liebe, das mich antreibt zu gänzlicher
Armut, zu demütigem
Gehorsam und vollkommener Reinheit, keinen Ausdruck zu
verleihen
(Mémoires
de la mère
de
Chaugy
p. 131.)."
Als
endlich das Noviziat für
Frau von Chantal und ihre beiden ersten
Mitschwestern zu Ende ging, stellte der Bischof mit einer jeden noch
eine Prüfung
über
ihr Inneres an; und da er sie nicht nur entschlossen
fand, diese Lebensweise fortzuführen,
sondern auch ausgerüstet
mit allen Tugenden, wie der Orden sie erforderte, so gab er ihnen
den Tag an, an dem sie das klösterliche
Kleid für
immer anlegen
sollten. Die guten Schwestern wollten für diese Feier ihre
Kapelle so
herrlich als möglich
schmücken;
aber dazu war Geld notwendig,
und
sie besaßen
nur eine geringe Summe, die ihnen der Bischof kürzlich
zur Unterstützung
der Kranken gebracht hatte, mit dem Verbote,
dieselbe für
etwas Anderes zu verwenden. In ihrer Verlegenheit baten
Schwester Favre und Schwester von Brechard inständig
die Oberin,
sich dieses Geldes jetzt zu bedienen, da sie es bald ersetzen würden,
denn der Präsident
Favre habe ihnen ein Geschenk versprochen, und
so würden
die Armen und Kranken nichts zu leiden haben. Die Oberin
ließ
sich überreden;
aber kaum war die Erlaubnis gegeben und das
Geld fort, da quälte
sie die Furcht, sich eines Ungehorsams schuldig
gemacht zu haben, und sie beeilte sich, noch am nämlichen
Abende an den Bischof zu schreiben, um ihn von dem Geschehenen in Kenntnis
zu setzen. Er wurde über
diesen Akt des Ungehorsams tief betrübt,
und begab sich gleich am folgenden Morgen zum Kloster, um ihr
eine
Zurechtweisung zu erteilen. Als er eintrat warf sich Frau von
Chantal ihm zu Füßen
und bat ihn unter strömenden
Tränen um
Verzeihung. „Meine
Tochter, versetzte er ernst und feierlich, das ist das erste Mal,
dass Sie mir ungehorsam gewesen sind; ich habe einen
großen
Teil der Nacht deswegen nicht schlafen können,
und ich kann
Ihnen nicht sagen, wie unangenehm ich davon berührt
war." Das
tat der Oberin so wehe, dass sie beinahe ohnmächtig
wurde, und man
hatte Mühe,
sie wieder aufzurichten in ihrem Schmerze.
Der
ersehnte Tag war endlich da. Nachdem Franz seine geliebten Töchter,
wie er sich gerne aufzudrücken
pflegte, Beichte gehört
und noch
lange und viel Schönes
mit ihnen über
das Opfer, das sie zu bringen
im Begriffe standen, gesprochen hatte, zog er die bischöflichen
Gewänder
an und die Feier begann. In einer vorausgehenden feierlichen
Ansprache verglich er die drei Schwestern, die Profess ablegen
sollten, mit drei Weizenkörnern, die vom Winde getragen irgendwo
zur Erde fielen und sich dergestalt vermehrten, dass in wenigen
Jahren das ganze
Land Überfluss an Weizen hatte. „So
werden wir, sprach er wie
von prophetischem Geiste ergriffen, ich hoffe es, diese drei Seelen,
welche
die göttliche
Vorsehung als Samenkörner
in diesen kleinen Winkel
der Erde gelegt hat, zahllose Früchte
bringen sehen; die göttliche
Barmherzigkeit wird sie mit großer
Nachkommenschaft segnen und sie
wird in ihnen verherrlicht werden." Nach der Predigt legten nun
die
Oberin mit den beiden anderen Schwestern das Versprechen, sich Gott
gänzlich
und ausschließlich zu weihen, mit einer Inbrunst und einer
Freude ab, die etwas Himmlisches an sich hatte und die Anwesenden
bis zu Tränen rührte.
Voll des höchsten
Entzückens,
einem plötzlichen
inneren Antriebe folgend, stimmte da Frau von Chantal drei
Mal
den Vers an: „Dies
ist der Ort meiner Ruhe auf immer; hier
will ich wohnen, denn ihn habe ich erwählt."
Daher rührt
der Gebrauch, diesen nämlichen
Vers nach jeder Gelübdeablegung
im Orden der Heimsuchung zu singen. Die darauffolgenden Zeremonien
wurden auch in der Folge beibehalten, mit dem Unterschiede,
dass an Stelle der einfachen Hingabe seiner selbst an Gott, die
wirkliche Gelübdeablegung
trat; denn Franz hatte ursprünglich
nicht die
Absicht, einen eigentlichen Orden zu gründen,
sondern nur eine Genossenschaft, in welcher man durch nichts Anderes
als die Liebe gebunden
sein sollte. ,,Und fürwahr,
bemerkt Frau von Chantal, dies Band
galt uns bei unserem festen Entschlusse, in dieser Lebensweise
auszuharren,
für
ebenso stark als alle Gelübde
der Welt." Die ganze vornehme
Welt Annecy's, welche der Feier beigewohnt hatte, wollte nachher
den Schwestern die üblichen
Glückwünsche
darbringen, allein der
Bischof erlaubte es nicht. „Ziehen
wir uns zurück,
sprach er, und
lassen wir die neuen Bräute
Christi in aller Stille und Ruhe die Gabe
Gottes kosten."
Fünf
Wochen waren nach diesem Tage verflossen, da starb der Präsident
Fremiot. Es war für
Franz ein herber Schmerz; er verlor
in dem edlen Manne einen ergebenen Freund, und ein Herz, wie das
seinige, fühlte
das sehr tief. Außerdem lag es ihm noch ob, der Frau
von Chantal diese Trauerbotschaft zu überbringen,
und er wusste, wie
sehr das Herz der Tochter dabei leiden würde;
er musste seinen ganzen
Mut zusammennehmen, um diese schmerzliche Pflicht zu erfüllen.
Mit möglichster
Schonung suchte er sie auf das schreckliche Wort:
„Ihr
Vater ist tot" vorzubereiten. Als es gesprochen, war es
die erste Frage der starken, heiligen Frau, wie er gestorben sei. Als
Franz antwortete, dass sein Tod der des Gerechten gewesen, dass er
in den Armen seines Sohnes, des Erzbischofes von Bourges, verschieden
sei, rief sie aus: „Nun,
dann sei Gott gepriesen." Und über
das
ewige Los des geliebten Vaters beruhigt, aufrecht erhalten durch das
Wort und die Gegenwart des Bischofs, unterlag sie nicht dem herben
Schlage; sie erschien gefasst und Herrin ihres Schmerzes. Aber
als sie allein war, sich selbst überlassen,
da gewann das natürliche
Gefühl
die Oberhand und sie weinte bitterlich; als sie dann in ihrem
Schmerze sich einbildete, dass sie selbst den Tod ihres Vaters
beschleunigt
habe, dass, wenn sie ihren Austritt aus der Welt um ein Jahr
verschoben hätte,
sie ihn noch hätte
pflegen, ihm die letzten Pflichten der kindlichen Liebe erweisen
können,
da wollte ihre Seele fast
vergehen vor Schmerz, und eine peinigende Unruhe, die Gewissensbissen
glich,
bemächtigte
sich ihrer. In dieser äußersten
Betrübnis fiel sie
nieder auf ihre Knie, um bei Gott Rat und Trost zu suchen. Sie
machte einen Akt der gänzlichen
Hingabe ihres ganzen Selbst an den
göttlichen
Willen, und siehe da, augenblicklich wich die Unruhe dem tiefsten
Frieden, wurde es wieder helle in ihrer Seele; in Liebe, ohne
peinigende
Selbstanklagen vermochte sie des hingeschiedenen Vaters zu gedenken,
und innige Gebete für
ihn zum Himmel emporzusenden.
Der
ursprüngliche
Zweck des Ordens war Pflege und Besuch der Armen
und Kranken; sobald es nur tunlich war, begann die Oberin damit,
und zwar zum ersten Male am Neujahrstage 1612, begleitet von
der Schwester Favre; und voll Erstaunen sahen die Bewohner Annecy's,
wie diese Dame von so hohem Range alle Winkel des Elends
aufsuchte, mit welchem klösterlichen
Ernste, mit welcher Bescheidenheit
sie auf der Straße
einherging, ohne mit jemand zu sprechen,
ohne irgendwo sich aufzuhalten, als allein da, wohin die Liebe sie
rief; wie sie mit eigenen Händen
den Kranken Alles hintrug, dessen sie
bedurften, Lebensmittel, Arzneien, Leinwand und Decken, wie sie ihnen
die Betten zurechtmachte, ihnen reine Wäsche
anzog, ihre Wunden,
selbst die ekelhaftesten, verband. Oft waren solche Arme bedeckt von
Ungeziefer und Geschwüren
und lagen dabei im größten
Schmutze auf
dem Boden, da sie nicht einmal das armseligste Bett hatten; und die
heilige Frau reinigte sie, ohne das geringste Zeichen des
Widerwillens
zu geben; sie selbst trug ihnen Stroh hin, um ihre kranken, müden
Glieder besser zu betten, mit eigenen Händen
säuberte
sie die elenden
Winkel, die oft nicht einmal den Namen eines Zimmers verdienten
(Dom
Jean de Saint Francois,
p. 280.); begehrte der Kranke die heiligen
Sakramente, so war sie es wiederum,
welche den Priester herbeiholte und die Hütte
so gut als möglich
zu schmücken
suchte, um die heilige Eucharistie mit Anstand aufnehmen
zu können.
Solche Beweise der Liebe rührte
die Armen, lehrte
sie die Religion lieben und ihre Lehren befolgen. Das Volk nannte
darum auch die Angehörigen
des neuen Ordens „Schwestern
von
der Heimsuchung", welcher Name ihnen auch später
blieb, selbst als
sie sich nicht mehr mit Krankenpflege abgaben.
Mehr
als sonst jemand die heldenmütige
Liebe der Oberin bewundernd,
wagte eines Tages die Schwester, welche Frau von Chantal begleitete,
sie zu fragen, wie ihr das nur Alles möglich
sei, und sie erhielt
darauf zur Antwort: „Ich
kann Sie versichern, liebe Tochter, der
Gedanke ist mir nie gekommen, dass ich Geschöpfe
bediene. Ich war
immer überzeugt,
dass ich in diesen armen Kranken Jesus Christus vor
mir habe, in den Wunden, die ich verband, erblickte ich nur die des
Herrn, misshandelt um unserer Sünden
willen und mit mehr Geschwüren
bedeckt, als sei er über
und über
mit Aussatz behaftet (De Cambis, II,
p. 284.)." Die Schwestern
folgten bald dem Beispiele ihrer Oberin. Jeden Monat
wurden zwei andere für diese Kranken- und Armenbesuche bestimmt,
und nach Hause zurückgekehrt,
mussten sie der Vorsteherin genauen
Bericht über
den Zustand der Kranken und ihr eigenes Verhalten während
der Zeit, dass sie draußen waren, erstatten.
Eines
Tages wurden sie vom Bischofe selbst, der wegen einer Wunde
am Beine das Bett hüten
musste, als sie gerade an seinem Fenster
vorbeigingen, zu ihm gerufen. „Sie
sind gerade auf dem Wege
zu den Kranken, sprach er freundlich; hier liegt auch einer mit einer
Wunde am Beine; wollten Sie ihm wohl Ihre liebreiche Hilfe zuteil
werden lassen?" Glücklich,
ihrem geliebten Vater diesen Dienst
erweisen zu dürfen,
begannen sie die Wunde zu reinigen und zu
verbinden; sie benahmen sich aber etwas ungeschickt dabei, da ihre
Hände
vor Ehrfurcht und Freude zu sehr zitterten, und taten dem Kranken
einige Male recht wehe. Doch ließ
er nichts davon merken; erst
als der Verband angelegt war, sagte er: „Wenn
Ihr die Armen verbindet,
meine Töchter,
dann müsst
Ihr Acht haben, dass Eure Hand recht
sicher ist und nicht zittert, auch müsst
Ihr Euch nicht so beeilen; denn,
wenn man das bloße
Fleisch zu rauh berührt,
so tut das sehr wehe."
Schwester von Brechard erfuhr dies als die beiden nach Hause
kamen; da sie viel geschickter und erfahrener in solchen Dingen war,
so bat sie auf der Stelle den Bischof um die Gunst, ihn verbinden
zu dürfen.
Aber er schlug es nicht nur ab, sondern verbot auch
allen ausdrücklich, selbst der Frau von Chantal, ihn fernerhin
zu besuchen.
„Ich
werde Euch nicht mehr sehen, ließ
er ihnen sagen, bis ich mein krankes Bein ins Sprechzimmer bringen
kann." So anspruchslos
und bescheiden war er.
Kaum
war er wiederhergestellt, da wurde Frau von Chantal ernstlich
krank. Schon seit ihrem Noviziate war sie immer leidend gewesen,
und die Anstrengungen, denen sich ihre heldenmütige
Liebe unterzog,
hatten nicht dazu beitragen können,
ihr Übel zu heben. Es war
nun so bedenklich geworden, dass man für
ihr Leben fürchtete.
Der
Bischof, der sie als die Stütze
und das Fundament des Ordens betrachtete,
war mit der größten
Besorgnis erfüllt; er ließ
auf der Stelle
die berühmtesten
Doktoren kommen, allein die von ihnen vorgeschriebenen
Mittel, anstatt das Übel zu heilen oder zu besseren,
verschlimmerten dasselbe nur. Da wandte er sich an einen
protestantischen Arzt,
der in großem
Rufe stand; allein auch dieser erzielte keinen besseren
Erfolg als seine Kollegen. „Ich
sehe, sprach er, nur eine Ursache
des Übels; die Dame ist krank vor lauter Liebe zu Gott, und solche
Leiden verstehe ich nicht zu heilen." Das war in der Tat der
hervorstechende
Charakter ihres Zustandes. Das Feuer der göttlichen
Liebe
verzehrte sie so, dass sie sich selbst ganz vergaß,
um in Allem nur
das zu suchen, was Gott wohlgefällig
war, dass sie nichts verlangte,
nichts abwies; und da es ihr ganz gleichgültig war, ob sie noch
leben
oder schon sterben solle, nahm sie auch alle Arzneimittel, ohne auf
die Wirkung zu achten, die sie hervorbringen könnten.
„Ich
habe recht
wohl gewusst, sprach sie eines Tages, dass mir das, was der Arzt
verordnete, schaden würde;
aber meine Gedanken verweilten dabei nicht.
Ich würde,
ehe man es mir befohlen hätte,
nie gesagt haben, dies
oder jenes sei mir schädlich,
nachdem ich mich einmal Gott und dem
Gehorsam ganz geweiht hatte, aus Furcht, mich mit mir selbst zu
beschäftigen;
ich hätte
es weit eher vorgezogen, zu sterben gerade dadurch, dass ich mich um
mich selbst nicht kümmerte,
als mein Leben irgend
einer Sorge um mich zu verdanken." Das Übel wurde
unterdessen
immer schlimmer. Man ließ
dem Bischofe sagen, dass die Kranke
ihrem Ende nahe sei; die Ärzte hätten
sie aufgegeben, es sei keine Hoffnung mehr. Für
jeden anderen wäre
diese Nachricht ein furchtbarer
Schlag gewesen; denn jene, durch die er so Großes
vollbringen
wollte und die ihm alle Hoffnung dazu gegeben hatte, sollte er
verlieren; aber
gewohnt, seinen eigenen Willen auf dem Altare des göttlichen
Willens zum Opfer zu bringen, bewahrte er seine volle Ruhe
und begab sich zu der teuren Kranken, um ihr ein letztes Lebewohl
zu sagen. „Ist
es nicht Ihr Wunsch und Ihr Wille, meine Tochter,
fragte er sie, nachdem er einige Augenblicke bei ihr gewesen, dass
der Wille Gottes in allen Dingen geschehe?" -- „O ja, ganz
gewiss,"
antwortete sie. -- ,,Nun, vielleicht will Gott, bemerkte er in
ruhigem
und ergebenem Tone, sich mit diesem Versuche begnügen,
wie er
sich auch mit der Bereitwilligkeit Abrahams, ihm seinen Sohn
zu opfern,
begnügte.
Wenn er es so beschlossen hat, dass wir das Unternehmen
erst halb vollendet aufgeben, so sieht er doch wenigstens, dass wir
gerne und bereitwillig das Werk, wozu er uns den Gedanken eingegeben,
begonnen haben; sein heiliger Wille sei gepriesen in Ewigkeit.“
Dann
ging er wieder nach Hause. Sein Bruder Ludwig war
mehr
besorgt; der Verlust einer solchen Oberin erschien ihm für
die Genossenschaft
ein verhängnisvolles Unglück.
Als er sich einst dem Bischofe
gegenüber
in dieser Weise äußerte,
versetzte dieser vollkommen heiter
und ruhig: „Mein
guter Bruder, Gott ist ein unendlich mächtiger
und gütiger
Herr; Alles steht in seiner Hand, er hat niemanden nötig
und selbst auf Steinen kann er sich Kinder Abrahams erwecken."
Doch
wollte er noch bei Frau von Chantal ein Mittel nach seiner Art
versuchen;
er mischte in ihren Trank etwas Staub von Reliquien des heiligen
Karl Borromäus,
zu dem er großes
Vertrauen hatte, und gelobte
eine Wallfahrt nach seinem Grabe, wenn die Oberin wieder gesund
würde.
Kaum hatte die Kranke von dem Tranke gekostet, da stieß
sie einen tiefen Seufzer aus; man glaubte, es sei der letzte. Allein
siehe da, sie öffnete
die Augen und sprach zu Franz: „Mein
Vater,
ich werde nicht sterben; ich fühle
mich gesund und wohl, Gott und
seinen Heiligen sei Dank." Die Freude des Bischofs kann man sich
vorstellen; er betete auf der Stelle laut das Te Deum, und die ganze
Genossenschaft stimmte voll freudigen Dankes mit ein. Wenige Tage
reichten hin, um die Kranke vollständig
wieder herzustellen, und bald
sah sie sich im Stande, die Leitung der Kongregation wieder zu
übernehmen
(Mémoires
de la mère
de
Chaugy,
II,
p. 167.).
Die
Genossenschaft vermehrte sich rasch so bedeutend, dass das bisherige
Haus nicht mehr geräumig
genug war, um alle Mitglieder zu
fassen und neue aufzunehmen. Frau von Chantal erwarb daher käuflich
ein zweites Haus, das mit Hinzuziehung mehrerer kleinerer Wohnungen,
die an dasselbe grenzten, das erste eigentliche Kloster werden
sollte. Mit der Zahl der Schwestern wuchs auch der Eifer derselben
und Franz verdoppelte seine Sorgfalt für
seine geliebten Töchter.
Mündlich
und schriftlich erteilte er ihnen die herrlichsten Ermahnungen
und Belehrungen. Oft empfahl er ihnen, stets den Gleichmut
der Seele zu bewahren, sich in den Widerwärtigkeiten
des Lebens und in den Kämpfen, welche die widerspenstige Natur
bereitet, fest
an die göttliche
Vorsehung zu halten; öfters
über
Tag ihr Herz zu
durchforschen, um zu sehen, ob sie in Wahrheit sagen könnten:
„Nicht
ich lebe, sondern Jesus Christus lebt in mir;" ohne Unterlass den
eigenen Willen dem göttlichen
so vollkommen zum Opfer zu bringen, dass sie es selbst unterließen,
noch einen Punkt zu machen, einen Buchstaben
zu schreiben oder einen Satz zu vollenden, sobald der Gehorsam sie
rufe; in Allem Gott zu fragen, so wie ein Kind seinen Vater
fragt;
Alles, Kleines und Großes
so anzunehmen, als komme es von seiner
väterlichen
Hand; dem Nächsten
freundlich und liebevoll jeden Dienst
zu leisten, um den er bitte; sich in Allem, was die Gesundheit
betrifft, ganz und gar jenen zu überlassen,
die dafür zu sorgen haben.
Von
diesen allgemeinen Ratschlägen ging er zu dem Einzelnen über.
Er riet ihnen, morgens beim Erwachen alsbald ihre Seele ohne
allen Vorbehalt dem Herzen Gottes anzuvertrauen, und den ganzen
Tag über
in heiliger, inniger Liebe in demselben zu verweilen. Er
gab ihnen für die verschiedenen Feste und Zeiten die Gegenstände
der
Betrachtung an; dieselbe sollte die erste Übung an jedem Tage
sein;
er bestimmte ihnen genau den Zweck derselben, Alles sollte dazu
dienen, ihre Fehler abzulegen und sich von ihren natürlichen
Neigungen zu
reinigen, so dass sie nicht mehr für sich selbst, sondern für
Jesus Christus
lebten. Um das zu erreichen, gab er ihnen die Mittel und Wege
an; es war die nämliche
Methode, die er in seiner Philothea auseinandersetzt.
Er wollte, dass alle sie befolgen sollten und sieben Jahre
hindurch unterwarf er Frau von Chantal selbst derselben.
Nach
dem Gebete und der Betrachtung kam die heilige Messe. Er schilderte
den Schwestern das heilige Opfer als die Sonne unter den
Übungen der Frömmigkeit,
als das Herz der Andacht, den Mittelpunkt
des Christentums und lehrte sie, ihre Huldigungen mit denen der
ganzen triumphierenden und streitenden Kirche zu vereinigen, welche
in
diesem erhabenen Geheimnisse sich mit dem göttlichen
Heilande vereinigt,
um mit ihm, in ihm und durch ihn die heilige Dreieinigkeit zu
verherrlichen. Beim Breviergebete empfahl er ihnen alle Kräfte
der
Seele zusammenzunehmen, um den Namen Gottes zu preisen und das
Lob seiner ewigen Güte
zu singen, die niemals genug gelobt werden
kann. Bei der Gewissenserforschung und in der Beichte lehrte er
sie, sich im Geiste vor dem gekreuzigten Jesus niederzuwerfen, sein
heiliges
Blut zu betrachten, wie es auf sie herabströme,
um ihre Seele von
Schmutz und Staub zu waschen, und auf dem Richterstuhle der Buße,
als einen kostbaren Schatz, ein zerknirschtes und mit Gott in
erneuerter Liebe verbundenes Herz hinwegzutragen. Wenn sie zum Tische
des Herrn gingen, so sollten sie sich bestreben, ein Herz voll
Glauben,
Hoffnung und Liebe mitzubringen, und nachher solle ihr ganzer Wandel
so sein, dass jedermann, der sie sähe,
erkenne, dass Gott
in ihnen wohne. Kurz er wünsche,
dass ihr Leben ein ununterbrochenes, Jesu Christo dargebrachtes
Brandopfer sei, indem sie ihm alle
Augenblicke ihres Daseins, selbst im Schlafe und in der Erholung
weihten,
und ihre Seele ganz und gar der göttlichen
Liebe hingäben durch
häufige Anmutungen oder oftmalige Erhebung des Herzens zum
höchsten
Gute. „Denn,
sagte er, diese Übungen bringen, indem sie unsere
Gedanken und unser Gemüt zu Gott emporheben, auch alle unsere
Handlungen vor
ihn und machen sie ihm angenehm." Doch wollte er,
dass diese Übungen wie das Gebet immer die Änderung des
Herzens durch
Verbesserung der Fehler und Ausübung der entgegengesetzten Tugenden zum
Zwecke haben sollten. „Es
ist notwendig, sagte er, dass
Alle, die in diesem Hause sind, sich behandeln, verbessern und
ab-schleifen
lassen, und fest stehen in der Demut, in der vollkommenen Verleugnung
des eigenen Willens, dass ihr Herz losgeschält
sei von allen
Dingen. Dann werden sie sich zur Ausübung der Tugenden erheben;
und bei der Wahl derselben sollen sie nicht den am meisten ins
Auge fallenden, sondern den demütigsten den Vorzug geben, wie
den kleinen
Übungen der Sanftmut, der Geduld, der Ertragung des Nächsten,
sollen sich bestreben, Allen in Allem Freude zu machen, außer durch eine
Sünde,
sich der Sittsamkeit und Eingezogenheit in Blicken, Worten
und ihrer ganzen Haltung und ihrem ganzen Benehmen befleißigen,
so dass jeder, der sie sehe und höre,
sagen könne:
das sind wahrhaft
Bräute
Christi.
Um
sie zur Ausübung solcher Tugenden anzuspornen, suchte er ihnen
namentlich einige Grundsätze,
die gewissermaßen
seine Lieblingsgrundsätze
waren, recht einzuprägen.
„Jenen,
welche Gott lieben, gereicht Alles zum Besten, pflegte er ihnen zu
sagen; unsere Armseligkeiten
sind ganz dazu geeignet, uns demütig zu machen; Betrübnisse,
Widerwärtigkeiten
und Verfolgungen verdienen uns, wenn wir sie in der
gehörigen
Weise ertragen, eine Vermehrung unserer ewigen Glückseligkeit.
Alles ist Eitelkeit, ausgenommen die Ewigkeit. jeder Tag bringt uns
dieser Ewigkeit näher,
ja wir stehen bereits mit einem Fuße
in derselben; wenn sie nur eine glückselige
für
uns ist, was liegt denn
daran, dass der Übergang zu ihr, der nur einen Augenblick
dauert,
etwas stürmisch
ist. .... Da wir wissen, dass eine drei-oder
viertägige
Leidenszeit ewige Tröstungen,
ewige Freude uns erwerben
kann, wie ist es denn möglich,
dass wir diese Leiden nicht gerne
und bereitwillig ertragen? Da Gott unser Vater ist, und ein so
liebevoller Vater, dass er beständig
über
uns wacht, und dass ohne ihn kein Haar von Unserem Haupte fällt,
wie kann es denn geschehen, dass unser ganzes Sinnen und Trachten
nicht darauf gerichtet ist, ihn zu
lieben und ihm zu dienen?" Besonders suchte er ihnen auch
einzuprägen,
dass man sein Herz frei machen und frei erhalten muss von aller
Anhänglichkeit
an jedes geschaffene Wesen, an einen Ort, an Personen,
an gewisse Zeiten, an besondere Tugendübungen,
um sich einzig
und allein an den Willen Gottes zu binden, seinen Trost, seine Ruhe,
seine Ehre nur in dem Kreuze des Erlösers
zu suchen, an dessen
Fuße
sie alle ihre Launen und jeglichen Widerwillen, ihre Leidenschaften
und Neigungen, ihre Einbildungskraft und ihre Sinne er-töten
sollen. „Denn,
sprach er oft, man muss viel für
Gott leiden, ehe
man Gott genießen
kann."
Solche
und andere Aussprüche und Belehrungen wurden von den guten
Schwestern nicht nur mit Ehrfurcht hingenommen und zu befolgen
gesucht, sondern sie schrieben sie auch wortgetreu nieder, um in
ihnen
dem Orden für alle Zeiten einen kostbaren Schatz zu erhalten.
Das
Einzelne wurde später
wieder zusammengestellt, geordnet und er-schien
im Drucke als ein herrliches Buch unter dem Titel: „Geistliche
Gespräche."
Schwester Agnes de la Roche ist nach der heiligen Chantal
die Seele dieser Arbeit. Bei der Lektüre dieses Werkes glaubt
man Franz selbst zu hören
und zu sehen; es ist sein Stil, sein
Charakter, seine Art und Weise. Er spricht mit der Einfachheit eines
Freundes, der sich mit dem Freunde unterhält,
der Kürze
und Klarheit
eines Lehrers, der unterrichtet, der Salbung eines Heiligen, dessen
Worte von Herzen und aus innerster Überzeugung kommen, der
nur das lehrt, was er selbst auch übt.
Die
Schwestern, von einem solchen Führer
geleitet und gebildet, konnten
bei ihrem eigenen guten Willen nicht anders als heilig sein. „Unter
diesen reinen und guten Seelen, erzählt
Frau von Chantal, gab
es keinen anderen Wetteifer als den, sich eine jede für
die letzte zu
halten, und an Liebe und Frömmigkeit
die erste zu sein." Ohne es
zu wissen hatte die heilige Oberin mit diesen Worten auch ihr eigenes
Bild gezeichnet. Sie verrichtete mit Freuden die niedrigsten
Arbeiten,
so dass sie sogar als Küchenmagd
diente, wenn die Reihe an sie
gekommen war, und auf's pünktlichste
der Schwester, welcher die Besorgung
der Küche
oblag, gehorchte. Es war darum nicht zu verwundern,
dass der neue Orden sich bald in der Nähe
und in der Ferne
des größten
Ruhmes erfreute, und dass immerfort neue Postulantinnen
um Aufnahme baten, unter anderen Fräulein
Gasparde von Aveze.
Der Bischof hatte sie einst selbst getauft, und an dem nämlichen
Tage war ihm eine Offenbarung über
ihren künftigen
Beruf zuteil
geworden. „Seien
Sie willkommen, rief er ihr daher entgegen,
als sie sich ihm vorstellte, ich habe Sie schon lange erwartet; am
Tage Ihrer Taufe hat Gott mich wissen lassen, dass Sie Eine der
unsrigen sein würden;
schon damals habe ich es Ihren Eltern gesagt.
Auch zu Frau von Chantal bemerkte ich noch vor einigen Tagen, dass
sie am Feste der heiligen drei Könige
eine neue Schwester bekommen
würde,
und ich meinte Sie damit." Die junge Dame war durch
diese Eröffnung
um so mehr überrascht,
als sie bis dahin noch niemanden
ihre Absicht mitgeteilt und durch ihr bisheriges Leben auch nicht
mal die Vermutung hatte aufkommen lassen, dass sie je die Welt
verlassen
würde.
Ein solche wunderbare Offenbarung des göttlichen
Willens
rücksichtlich ihres Berufes erregte daher ihre größte
Bewunderung.
Auch sie selbst hatte denselben schon in einem Traume zu erkennen
geglaubt, in dem sie über
der Stadt Annecy eine große Straße
erblickte, deren eines Ende bis an den Himmel reichte, während
das andere von
dem Glanze dreier Sterne hell erleuchtet war, und sie
glaubte eine Stimme zu vernehmen, die ihr zurief: ,,nur auf diesem
Weg wirst du zum Paradiese gelangen." Die drei Sterne schienen
ihr Frau von Chantal, Schwester von Brechard und Favre zu
bedeuten; und nicht mehr daran zweifelnd, dass diese Stimme eine
Mahnung des
Himmels für
sie sei, war ihr der Gedanke gekommen, sich
diesen drei Sternen beizugesellen; lange verfolgte sie derselbe, bis
sie endlich
der Gnade nachgebend den Vorsatz fasste, in den Orden der Heimsuchung
zu treten und ihn nun aufführte.
Frau
von Chantal verlor kurze Zeit nachher ihren Schwiegervater durch
den Tod, und Franz erachtete es für
notwendig, sie im Interesse
ihrer Kinder, der einzigen Erben des verstorbenen Barons, nach der
Bourgogne zu schicken, um die Erbschafts-Angelegenheiten in Ordnung
zu bringen. Während
ihres Aufenthaltes daselbst führte
sie dasselbe
heilige Leben wie auch im Kloster selbst; nicht größer
konnte in letzterem
ihre Frömmigkeit,
ihre innere Sammlung, ihre Treue in Beobachtung
der Regel sein. Jene Magd des Barons, von der sie so viele
Jahre hindurch eine so unwürdige
Behandlung erfahren hatte, nahm
auch jetzt wieder einen harten, unverschämten
Ton gegen sie an; die
heilige Oberin, in deren Macht es stand, sie auf der Stelle
fortzuschicken,
vergalt dieses nichtswürdige
Betragen nur durch Wohltaten, gab
ihr sogar Beweise von Herzlichkeit und Liebe, und als der Baron von
Thorens, der sie begleitete, einmal seine gerechte Entrüstung
über
die Frechheit
dieser Magd äußerte,
erwiderte sie freundlich und gelassen:
„Ich
finde darin nichts Neues, nichts Befremdendes; es war noch
ganz anders, als mein Schwiegervater noch lebte." Ja, ihre Liebe
war so heroisch, dass sie die Person mit sich am nämlichen
Tische essen
ließ,
wie wenn dieselbe ihres Gleichen gewesen wäre.
-- In den
Angelegenheiten des Verstorbenen herrschte die größte
Unordnung; fünf
Wochen lang hatte sie von morgens bis Abends zu arbeiten, um
diesen Wirrwarr zu ordnen, hatte sie mit groben Bauern zu tun, die
durch allerlei Kunstgriffe und Lügen
ihre Schulden zu verheimlichen suchten;
und trotz alledem sah man sie niemals ihre Ruhe verlieren oder
in Aufregung geraten; nichts konnte den Gleichmut ihrer Seele
erschüttern.
Als
sie endlich Alles so gut als möglich
ins Reine gebracht hatte, eilte
sie ohne weiteren Aufenthalt nach ihrem lieben Annecy zurück.
Kaum
war sie daselbst angelangt, da wurde sie gefährlich krank, so
dass man
abermals für
ihr Leben fürchtete;
aber nochmals geschah ein Wunder.
Der Bischof reichte ihr, nachdem er lange und inbrünstig
gebetet
hatte, die Reliquien des heiligen Blasius, welche in der Kirche des
heiligen Mauritius aufbewahrt wurden, zum Kusse
dar,
und auf der
Stelle wurde sie vollständig
gesund. Eine Schwester hatte bei dieser
Gelegenheit die Bemerkung fallen lassen, es sei nicht nötig
gewesen,
einen armenischen Heiligen aus dem vierten Jahrhunderte zu
Hilfe zu nehmen, da der Bischof von Genf ganz allein im Stande
gewesen
wäre,
diese Heilung zu bewirken. Den demütigen Prälaten
berührte
das so schmerzlich, dass er in Tränen ausbrach; vor der ganzen
Genossenschaft wies er sodann die Schwester strenge zurecht und
legte ihr als Buße
auf, nicht nur den heiligen Märtyrer um Verzeihung
zu bitten, sondern auch noch während
dreier Jahre am Vorabende
seines Festes zu fasten.
Immer
meldeten sich aufs neue fromme Personen zum Eintritte in
die Genossenschaft; unter anderen eine Dame von Stande, in die ein
junger Edelmann bis zum Wahnsinn verliebt war. In der Wut seiner
getäuschten
Leidenschaft setzte er sich in den Kopf, dass die Dame nur
auf Antrieb des Bischofs ins Kloster getreten sei; im größten
Zorne
lief er darum nach dessen Palais und spie eine Flut der heftigsten
Verwünschungen
gegen den Heiligen aus. „Mein
Herr, entgegnete
Franz, nachdem er ihn ruhig angehört
hatte, untersuchen Sie doch
die Sache etwas näher;
Sie werden dann finden, dass ich nicht der
Ratgeber dieser Dame gewesen bin, sondern nur ihre Wahl gut geheißen
habe." Allein der junge Mann, seiner Leidenschaft nicht mehr
Herr, tobte und schrie nur noch stärker.
„Mein
Herr, sprach der
Bischof abermals, Sie würden
mich sehr verbinden, wenn Sie mir
all diese Schmähungen
und Verwünschungen
ganz leise sagten; ich
gebe Ihnen die Versicherung, dass ich sie alle zu Füßen
des Kreuzes
legen werde, und niemand etwas davon erfahren soll." --- „Ich
bin
froh, entgegnete der Andere, wenn jedermann erfährt,
wie wenig ich
von Ihnen halte." --- „Ich
würde
es auch sein, sprach der demütige
Bischof, wenn diese mir zugefügten
Unbilden zu Ihrem Lobe gereichten."
– Der Wütende ließ
sich durch nichts besänftigen.
„Diese
Nacht noch, rief er, werde ich die Türen des Klosters
einschlagen,
mir die Dame herausholen und das Ganze in Brand stecken." --
„Herr,
versetzte da Franz in ernstem Tone, Sie sagen zu viel und Sie
werden das nicht tun. Gott und die weltliche Gerechtigkeit werden
Sie schon zu hindern wissen." Doch traf er seine
Vorsichtsmaßregeln.
Er ließ
der Oberin sagen, sie solle die betreffende Dame in das
von der Straße
am weitesten entfernt liegende Zimmer bringen und
in der Nähe
der Fenster Licht brennen lassen, im Übrigen jedoch auf
Gott vertrauen und ohne Furcht sein. Der Edelmann hielt wirklich
Wort. Gegen Mitternacht erschien er mit seinen Leuten und suchte
das Tor zu zertrümmern.
Da ihnen das trotz aller Anstrengungen
nicht gelang, warfen sie die Fenster ein und stießen
eine Menge der
unverschämtesten
und gemeinsten Redensarten gegen die Bewohner des
Hauses aus. Als man Franz am Morgen das Geschehene erzählte,
sprach er: „Danken
wir Gott; alles das hat nicht viel zu sagen;
ein bisschen Spektakel, das der Wind mit fortweht. Aber der junge
Mensch ist aufgebrachter gegen die Dame als gegen mich; er dachte,
sie würde
sich wenigstens am Fenster zeigen, um ihn zu bitten, doch
wegzugehen. Ihr Schweigen nun, das er ihrer Verachtung für
ihn
zuschrieb, hat ihn so empört,
dass er mir sagen ließ,
sie sei ein stolzes
Weib und er wolle nichts mehr von ihr wissen."
Dieser
Fall blieb nicht vereinzelt. Leidenschaft und Habsucht standen
noch öfter
feindselig dem .Kloster gegenüber;
von bösen
Zungen wurde
es auch nicht verschont, wie ja das Gute und Schöne
in der Welt immer am ehesten der Verleumdung ausgesetzt ist. Man
sagte den
armen Schwestern alles Böse
nach. Um ihren Mut in solchen Prüfungen
aufrecht zu erhalten, wies sie Franz oft auf die erhabenen Wahrheiten
des Glaubens hin. „Es
tut mir leid, schrieb er unter anderem
an Frau von Chantal
(Brief
329 u. 330.), dass die Verleumder
so sündigen;
aber
diese Beleidigungen sind eins der sichersten Zeichen des Beifalles
des
Himmels. Um uns dies Geheimnis verständlich
zu machen, wollte unser
Heiland selbst zuerst verleumdet
werden und er hat gesagt: „Glückselig
diejenigen, welche Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen."
Hegen wir darum das Vertrauen, dass die göttliche
Barmherzigkeit, was sie in uns begonnen, auch vollenden werde, und
dass sie
dies bisschen Öl guten Willens in uns so vermehren werde, dass nicht
allein unsere Gefäße
genug haben, sondern wir auch noch die unserer
Nachbarn damit füllen
können.“
Übrigens
zeigten Tatsachen besser als jede andere Verteidigung, wie
ungegründet
und nichtswürdig
all diese Verleumdungen waren. Man
hatte dem Orden besonders den Vorwurf gemacht, dass er sich der
Erbschleicherei schuldig mache. Es fügte
sich nun, dass die Baronin von
Mirabel ihm ihr ganzes Vermögen
testamentarisch vermachte. Da ihre Verwandten aber hiemit sehr
unzufrieden waren und das Testament
umzustoßen
suchten, verzichtete Franz auf der Stelle aus freien Stücken
auf die reiche Erbschaft, indem er bemerkte, er wolle nicht, dass die
Bienen sich mit den Ameisen um die Güter
der Erde stritten, und
dass er froh sei, bei dieser Gelegenheit seinen Töchtern
abermals die
Lehre geben zu können,
sich loszuschälen
von allen Dingen dieser Welt,
auf eine bessere Grundlage als Glücksgüter
es sind ihr Haus zu bauen, nämlich
auf die Armut und alle christlichen Tugenden. Auf
diese Weise verteidigte der Heilige am besten sein Werk gegen alle
Vorwürfe
und Beschuldigungen. Doch verschmähte
er es dabei nicht,
ihm auch das Wohlwollen der Mächtigen
zu verschaffen. Er bat
zu diesem Zwecke die Tochter des Herzogs von Savoyen, die Infantin
Margareta, Hergogin von Mantua, den Orden der Heimsuchung
unter ihren hohen Schutz zu nehmen. Gerne und mit Freuden
gewährte
die Fürstin
diese Bitte und schickte dem Senate eine urkundliche
Erklärung
zu, dass die Kongregation jetzt und für
immer unter
ihrer Obhut stehe und dass sie wolle, dass sie in allen Staaten ihres
Vaters begünstigt
und unterstützt
werde.
Ein
eigentliches Kloster, das diesen Namen verdient hätte, besaß
die Genossenschaft bis dahin noch nicht; die von ihr bewohnten Häuser
waren nicht viel mehr als Privathäuser, wenn auch das zweite,
von Frau von Chantal angekaufte, schon eher den Charakter eines
Klosters trug. Das Bedürfnis eines solchen wurde mit der Zeit
doch immer fühlbarer und Franz legte entschlossen Hand ans Werk.
Aber schon eine Menge Schwierigkeiten waren zu überwinden, ehe
man nur den geeigneten Platz erworben hatte; ohne die Vermittlung des
Herzogs von Savoyen, des Herzogs von Nemours, sowie der Infantin
Margareta wäre derselbe vielleicht nicht mal gefunden worden.
Als es endlich zum Bauen selbst kam, zeigte sich von einer gewissen
Seite her eine solche Abneigung und Feindseligkeit gegen das
Unternehmen, wurden ihm so viele Hindernisse in den Weg gelegt, dass
es nur langsam vorangehen konnte. Man ging so weit, dass man nicht
einmal die Arbeiter
in Ruhe ließ,
sie mit Steinen warf, ihre Werkzeuge versteckte, das
Tags über
Aufgebaute Nachts wieder zerstörte.
Franz selbst war einmal
genötigt, einem Nichtswürdigen,
der einen wegen der Feuchtigkeit
des Bodens errichteten Bretterdamm zerschlagen wollte, die Axt aus
der Hand zu nehmen und ihn mit allem Ernste, wenn auch mit Sanftmut,
zurechtzuweisen. Wie er nachher Frau von Chantal sagte, hatte er bei
dieser Gelegenheit aber doch sich große Gewalt antun müssen,
um ruhig zu bleiben. Diese Mäßigung
hinderte aber jenen Burschen, der noch zudem ein elender Bettler war,
nicht, mit triumphierender
Miene überall
zu erzählen,
dass es ihm gelungen sei, den Bischof
in heftigen Zorn zu versetzen. Ein Freund setzte ihn brieflich von
diesem Gerede in Kenntnis und fragte ihn im Vertrauen, ob die
Geschichte
wahr sei. ,,Recht herzlich habe ich gelacht, schrieb Franz zurück,
als ich in Ihrem Briefe las, dass ich so zornig geworden sei. . . .
Wenn der, welcher meinen Zorn zum Stadtgespräch
gemacht hat, ebenso
frei davon wäre
als ich, dann würden
Sie in keiner Bekümmernis
meinetwegen
sein. Ich bitte Sie. inständig,
ihn, wenn er wieder zu Ihnen
kommt, in meinem Namen zu umarmen und ihm ein doppeltes Almosen
zu geben. Denn ich gestehe, dass er nicht ganz und gar Unrecht
hat. Ich war in der Tat aufgeregt; aber ich hielt meine Aufregung
nieder, und meine Schwäche
habe ich unserer guten Mutter gestanden,
der bei dieser Gelegenheit ebenso wenig als mir irgend ein
leidenschaftliches
Wort entschlüpfte.
Es scheint mir, dass es jenen guten
Leuten Vergnügen
macht, ihr recht oft Gelegenheit zur Abtötung
zu geben, nach denen sie ja einen unersättlichen
Durst hat. Doch was
haben wir denn eigentlich dem guten Manne getan? Unsere Mutter
und ich wollten ja weiter nichts als ein paar kleine Zellen für
unsere
lieben Bienen, die sich nur bemühen,
den Honig aus den geheiligten und himmlischen Höhen
zu sammeln, und denen es nicht um die
Größe
oder Schönheit
ihres Korbes zu tun ist."
Gleichzeitig
ging Franz damit um, ein Haus seines Ordens in Lyon
zu gründen,
um was der dortige Erzbischof ihn schon lange gebeten
hatte. Die Schwestern aber, welche er dahin schicken wollte, sollten
alle freiwillig gehen, und demgemäß
stellte er an eine jede die Frage,
ob sie Lust dazu habe. Von allen erhielt er die nämliche
Antwort,
sie wollten nichts anders als gehorchen; entschlossen, der Welt
und sich selbst abzusterben, seien sie nur darauf bedacht, für
Gott zu
leben, nichts anders zu wollen, als was Gott wolle. Das genügte
ihm
und seine Wahl fiel auf Frau von Chantal, die Schwestern Favre, de
Chastel und de Blonay nebst noch einigen anderen, welche noch nicht
Profess
abgelegt hatten. Mit der aufrichtigsten Freude wurde die Ankunft
der kleinen Schar von der ganzen Stadt begrüßt
und wenige Tage
nachher schon am 2. Februar 1613 wurde ihnen das längst
für
sie
hergerichtete Haus feierlich übergeben.
An
dem Tage ihrer Einführung
fühlte
die heilige Oberin während
der
Kommunion ihr Herz von einer solch außerordentlichen Liebe
durchdrungen,
dass es ihr nicht anders war, als werde ihr Inneres von einem
heftigen Feuer verzehrt; und mehrere Jahre hindurch fühlte
sie bei
jeder Kommunion, wie dies Liebesfeuer aufs neue hellauf loderte. „In
jenen Augenblicken, sagt sie, war ich ganz und gar versenkt in den
Gedanken an mein schon früher
gemachtes Gelübde,
immer nur das
zu tun, was ich als das Vollkommenste erkennen würde,
und es war
mir, als ob dies Feuer bei jeder Kommunion etwas von meinen
Unvollkommenheiten
und Fehlern hinwegbrenne und verzehre."
Herrlich
wuchs und blühte
die junge Genossenschaft, sichtbar von dem
Schutze des Himmels und seiner Gnade begünstigt,
von den Bewohnern
der Stadt geschätzt
und geliebt. jedoch sollten und durften Prüfungen
nicht ausbleiben. Bisher war der Unterhalt des ganzen Hauses
fast allein von einer frommen Dame, welche in den Orden eingetreten
war, bestritten worden. Aus Furcht, dass ihr ganzes Vermögen
an das neue Kloster gelange, bemächtigten
sich ihre gegen die Schwestern
wütenden Verwandten desselben, wodurch diese sich auf einmal
in die drückendste
Not versetzt sahen. Doch sandte der Himmel
immer rechtzeitig Hilfe. Eines Tages waren die Lebensmittel
vollständig
alle geworden und die armen Schwestern wussten nicht, woher
sie auch nur das Notwendigste bekommen sollten. Frau von Chantal
warf sich auf die Knie und betete inbrünstig
das Gebet des Herrn:
„Gib
uns unser tägliches
Brot." Kaum hatte sie es geendet,
da tönte
die Hausglocke; man öffnete
und ein Unbekannter überreicht
der Oberin eine Summe von achtzig Talern, mit der bloßen
Bemerkung, der, welcher ihr dieses Almosen schicke, ersuche sie
inständig,
für ihn zu beten. Ein anderes Mal wünschte
sie zur Aufbewahrung
des Allerheiligsten ein silbernes Ciborium zu haben und sie bat
Jesus Christus, da er so sehr für
seine Bräute
sorge, doch auch für
ein seiner selbst würdiges
Gefäß
zu sorgen. Wiederum erscheint ein
Unbekannter und bringt ein Ciborium von vergoldetem Silber, mit dem
Wunsche, man möge
sich desselben so bald als möglich
bedienen
(De Cambis, II., p.
435.).
Außer
diesen Tröstungen,
welche ihnen von der Vorsehung zuteil
wurden, erhielten sie auch stets Beweise der liebenden Fürsorge
ihres
heiligen Stifters. Häufig
schrieb er an Frau von Chantal, um sie
zu ermutigen und zu stärken
in ihren Prüfungen. In fünf Wochen
richtete er nicht weniger als fünf
Briefe an sie. Schon gleich
am Tage nach ihrer Abreise sandte er ihr ein Schreiben nach, das
sie noch unterwegs antreffen sollte. „Die
Vorsehung wird Ihnen
helfen,
sagt er darin
(Brief
315.); rufen Sie dieselbe an in allen schwierigen Lagen.
Je weiter Sie kommen, um so mehr fassen Sie Mut und um
so mehr soll es Ihre Freude sein, den Herrn zufrieden zu stellen,
dessen
Zufriedenheit den ganzen Himmel erfreut. Arbeiten Sie ruhig und
heiter an dem Werke, das er Ihnen aufgetragen hat. Die hiesigen
Engel halten ihre Augen auf Sie und Ihre kleine Schar gerichtet,
und können
Sie nicht verlassen; die Engel Frankreichs werden
Ihnen ihren Segen entgegenschicken und sie betrachten Sie schon mit
Liebe, wie Sie nach jenen Orten hinziehen, welche ihrer Obhut
anvertraut
sind, da Sie ja nur hingehen, um sie in ihrem Amte zu unterstützen
..... O Gott meines Herzens, möge
meine geliebteste Tochter
in Deiner Hand sein; möge
ihr Engel ihr immer zur Rechten stehen
und sie schützen,
und möge
die heilige Jungfrau sie immer erquicken
durch den Blick ihres huldvollen Auges."
„Ich
habe erfahren, schrieb er in den folgenden Briefen (Brief 316.),
dass Sie
krank sind und etwas erstaunt, den Stand der Dinge nicht gerade so
günstig
gefunden zu haben, wie wir in unserem Wunsche ihn uns aufmalten;
das ist aber ein echtes
Zeichen von der Güte
des Werkes. Der
Anfang ist immer schwer, der Fortgang schon weniger und das Ende
glücklich.
Lassen Sie den Mut nicht sinken in den Widerwärtigkeiten.
Das Tor des Trostes öffnet
sich nicht so leicht, allein die
Folge wird den Lohn schon mit sich bringen. Leiden Sie Alles, suchen
Sie sich Alles zu versüßen
und zu erleichtern und ertragen Sie Alles
mit schweigender Geduld. Wir müssen
säen
in Arbeit und Not und
Angst, um in Freude, Trost und Glück
zu ernten. Immer bin ich
im Geiste mitten unter Ihnen und ich höre
nicht auf, heilige Wünsche
für Ihre Person und Ihre Schar zum Himmel emporzusenden:
Herr, segne mit Deiner Hand das Herz meiner Mutter, auf
dass es gesegnet sei in der Fülle
Deiner Süßigkeit,
und zu einer reichen
Quelle werde, die eine große Zahl Dir treu ergebener Herzen
hervorsprudelt
.... Ich bin sicher, dass Gott etwas Großes
von uns verlangt
(Brief
327 u. 328.).
Beobachten Sie aber die Vorschrift der Heiligen, wenig
oder
gar nicht von sich zu reden und dem was unser ist. Unsere Eigenliebe
verblendet uns oft; unsere Augen müssen
wohl verschlossen sein,
um uns nicht über
uns selbst zu täuschen."
So dachte der Heilige
stets an jene, welche ihm teuer waren, auch in der Ferne; so übte
er selbst, was er sagte. „dass
die Weltleute sich wirklich verlassen, wenn
sie sich verlassen, die Kinder Gottes aber, anstatt sich je zu
verlassen,
immer in Jesu Christo vereinigt sind
(Brief
319)."
Drittes
Kapitel.
Franz
gibt dem Orden der Heimsuchung seine Regel. -- Rasche Fortschritte
desselben.
Frau
von Chantal war neun Monate in Lyon, als der Bischof sie
nach Annecy zurückrief. Hier an der Wiege der Kongregation schien ihm ihr
Wirken viel nützlicher
und unentbehrlicher zu sein, als anderswo,
und außerdem wünschte
er, da er in diesem Augenblicke dem Orden,
der schon wieder um ein neues Haus in Moulins, im Bistume
Autun, vermehrt worden war, seine festen Regeln geben wollte,
dieselben vorher mit ihr zu beraten, was um so geeigneter erschien, da der
Erzbischof von Lyon, Herr von Marquemont, unter dem sie damals
stand, Ansichten in Betreff des Ordens hatte, die mit denen des
Stifters selbst gar nicht übereinstimmten.
Ersterer war der Meinung,
es bedürfe durchaus der Klausur und der feierlichen Gelübde,
um der
Kongregation eine feste Grundlage zu geben und ihren Bestand zu
sichern. Franz war anderer Ansicht. Seine Kongregation sollte nicht
ein eigentlicher Orden, die Schwestern sollten nicht der Klausur
unterworfen
sein; sie sollten ausgehen, um die Kranken zu pflegen, die Betrübten
zu trösten,
die Armen zu unterstützen,
das tätige
Leben der Martha
mit dem beschaulichen der Maria verbinden. Bei einer strengen
Klausur wäre
das nicht mehr so gut möglich
gewesen. Doch bestand er keineswegs hartnäckig
auf seiner Meinung; nach reiflicher Erwägung
der Gründe
gab er dem Erzbischof nach, und es wurde bestimmt,
dass die Kongregation jetzt zu einem eigentlichen Orden mit Klausur
und feierlichen Gelübden
erhoben werden sollte. Demgemäß
beschloss er
nun die Regeln zu entwerfen. Lange Zeit hindurch flehte
er
vorher in inbrünstigem
Gebete zum Himmel um Erleuchtung, prüfte
die
Konstitutionen der verschiedenen Orden, um aus allen das
herauszuwählen,
was ihm für seinen Zweck am passendsten erschien; auch vergaß
er nicht, die in dieser Hinsicht hervorragendsten Männer
zu Rate
zu ziehen. Die Regel sollte so beschaffen sein, dass auch die
Schwächsten
sie nicht zu strenge fänden,
noch die Stärksten
zu leicht,
dass Alle mit ihr zufrieden seien, wenn sie es nur verständen,
Gott und den Nächsten
zu lieben.
Zu
unmittelbaren Oberen sämtlicher
Häuser
des Ordens bestimmte er
die Bischöfe, „denn,
sagte er, wenn es einmal vorkommen sollte, dass
ein Bischof die Ordnung in Verfall geraten lässt, so wird sein
Nachfolger
den Fehler wieder gut machen; da Gott, der stets mit seiner
Kirche ist, es nicht zulassen kann, dass eine lange Reihe von
Prälaten
ihre Pflicht in dieser Hinsicht vergessen (Geist
des heil. Franz von Sales, X,
8)." In die Kongregation
darf niemand angenommen werden, der nicht wenigstens sechszehn
Jahre alt ist; jede Aspirantin muss fertig lesen können,
wenn sie Chorschwester
werden will; ihre weltlichen Angelegenheiten muss sie vorher
wohl geordnet und ihre Kinder, wenn sie deren hat, versorgt haben,
so dass ihr Bleiben in der Welt keine Notwendigkeit mehr ist; sie
darf mit keiner ansteckenden Krankheit noch einem Gebrechen behaftet
sein, das sie unfähig
macht, die Regel zu beobachten und an den
Übungen der Genossenschaft Teil zu nehmen; sie muss von einem
guten
Geiste beseelt sein und willig, unter dem Gehorsam zu leben,
Sanftmut,
Demut und Einfachheit zu üben.
Unter diesen Bedingungen
können
Alle aufgenommen werden, Witwen, Ungestaltete, Kränkliche
und Alte; andere körperliche
Bußübungen,
als die in der Regel angegebenen,
dürfen nicht geduldet werden
(Charl.-Aug., p. 476.).
Die
Schwestern bilden drei Klassen: die Chorschwestern, welche das
Offizium (Stundengebet)
zu beten oder zu singen haben; die Gehilfinnen,
welche von
dem Offizium entbunden sind, aber in allem Übrigen dieselben
Obliegenheiten und Pflichten wie die ersteren haben; zuletzt die
Laienschwestern,
welche keine Stimme auf dem Kapitel (Hauptversammlung
der geistlichen Körperschaft)
haben. Kein Ordenshaus
darf, außer mit Dispens
(Bewilligung),
mehr als dreißig
Mitglieder haben. Die
Klausur muss genau beobachtet werden. Müssen
Fremde, z. B. der
Arzt oder Beichtvater oder Handwerker eingelassen werden, dann sollen
sie am Tage von zwei und Nachts von vier Schwestern begleitet
werden.
In
Allem haben die Schwestern der Oberin zu gehorchen; ohne ihre
Erlaubnis dürfen sie nicht fasten oder sich irgend eine andere
körperliche
Bußübung
auferlegen, vertrauensvoll sollen sie derselben ihr Herz
erschließen
und nach ihrem Rate handeln. In kleinen Dingen kann
sie Dispens erteilen, in wichtigeren bleibt die Entscheidung dem
Bischofe
vorbehalten. Mit Sanftmut soll sie ihre Schwestern leiten, eher mit
Bitten denn mit Befehlen; alle Briefe, welche abgeschickt werden
und welche ankommen, soll sie lesen, mit Ausnahme jener, welche
an den Oberen gerichtet sind oder von diesem kommen. Ist ihre Zeit
als Oberin verflossen, so wird sie wieder in Demut und Gehorsam
ihren Platz unter den Letzten nehmen.
Die
Schwestern sollen nichts als Eigentum besitzen und jedes Jahr
Zimmer, Bett, Kleider, Leinwand, Bücher,
Rosenkränze,
Kreuze, Medaillen
und andere ähnliche
Gegenstände
wechseln, um jeder Anhänglichkeit
an was es immer sein möge
vorzubeugen oder abzulegen. Alles
was zu ihrem Gebrauche dient, soll einfach sein; nur im Dienste des
Altars dürfen
kostbare Gegenstände
gebraucht werden.
Von
Ostern bis zu Michaelis wird um fünf
Uhr aufgestanden, von
halb sechs bis halb sieben findet Gebet und Betrachtung statt, dann
folgt das Absingen der Prim aus dem kleinen Offizium der allerseligsten
Jungfrau, welches allein in der Kongregation in Gebrauch sein
soll. Um acht Uhr werden Terz und Sext gebetet; danach beginnt
die heilige Messe und nach derselben folgt die None nebst
Gewissenserforschung.
Um zehn Uhr findet das Mittagessen statt, welches nebst
der Rekreation (Entspannung)
bis zwölf
Uhr dauert. Dann haben sich sämtliche
Schwestern zur Oberin zu begeben, um von derselben ihre Beschäftigung
bis zum Abend zu erhalten. Um drei Uhr ist die Vesper nebst
der geistlichen Konferenz, um fünf Uhr die Komplet
(Schlussandacht),
woran sich eine
Litanei und Gebet von einer halben Stunde schließt.
Um sechs Uhr
wird zu Abend gegessen, darauf wiederum Rekreation; während
derselben
haben alle wiederum, wie am Mittage, vor der Oberin zu erscheinen,
welche einer jeden ihre Arbeit für den folgenden Tag bis zum
Mittagessen anweisen wird. Um ein Viertel vor neun werden Matutin
(Nachtgebet)
und Laudes (Lobpreis)
gebetet, danach Gewissensersorschung und Angabe
der Betrachtungspunkte;
um zehn Uhr müssen
Alle zu Bette sein.
Von Michaelis bis Ostern wird eine halbe Stunde später
aufgestanden
und demgemäß
werden auch alle anderen Übungen bis zur Vesper
(Abendgebet)
um
eine halbe Stunde später
stattfinden (Charl.-Aug., p. 477 et suiv.).
Man
könnte
vielleicht die Bemerkung machen, dass dieser Übungen zu
viele seien; aber gerade diese Mannigfaltigkeit macht sie leicht und angenehm;
denn was zu lange dauert erregt Überdruss, Abwechselung ergötzt.
Gebet und Betrachtung bereitet auf das Offizium vor, Erholung
versüßt
die Arbeit, geistliche Lesung stimmt zur Gewissenserforschung.
So sind alle Augenblicke des Tages nützlich
ausgefüllt,
das tätigste Leben ist zugleich das ruhigste, das heiligmäßigste,
das angenehmste.
„So
verhält
es sich, sagt der Heilige,
mit den geordneten
und schön
abgegrenzten Beeten eines herrlichen
Luftgartens, so mit
den Farben einer schönen
Blume. Man bewundert
die Weiße
der
Lilie, die Schönheit
der Rose, den Farbenschmelz
der Nelke; aber beachtet
man deshalb nicht das Veilchen, das
Stiefmütterchen
oder das
Maßliebchen?
Die kleinsten Blumen, vom Blute
eines Gottes betaut, haben, wenn sie auch nicht so glänzend
sind,
darum doch nicht
weniger ihr Angenehmes."
Während
jeder Mahlzeit soll vorgelesen, das Stillschweigen überall
und immer,
außer in der Zeit der Rekreation, beobachtet werden. In
diesen Augenblicken
der Erholung soll das Gespräch
ein bescheidenes,
nützliches
und heiliges sein, Liebe, Sanftmut und Einfalt dabei
beobachtet
werden. Jedes Spiel ist verboten, sowie jede Handarbeit,
die der
Eitelkeit dient, ebenso ist es nicht gestattet, einen Vogel, ein
Eichhörnchen
oder sonst ein Tier zum Vergnügen
zu halten. Die Unterredungen
im Sprechzimmer sollen so viel als möglich
abgekürzt
werden;
nie darf eine Schwester allein mit einem Fremden sprechen, und
ist es ein Mann, so soll sie in einer gewissen Entfernung vom Gitter
mit herabgelassenem Schleier bleiben, es sei denn, dass die Oberin
davon entbindet. Das Sprechzimmer wird Abends beim Ave-Läuten
geschlossen und darf nur unter dringenden Umständen
alsdann wieder
geöffnet
werden.
Außer
den von der Kirche vorgeschriebenen Tagen sind noch als Fasttage
zu beobachten alle Freitage von Michaelis bis Ostern , die Vorabende
vor Dreifaltigkeit, Christi Himmelfahrt, dem Frohnleichnamsseste,
dem Feste des heiligen Augustinus und allen Festen der
allerseligsten
Jungfrau.
Die
Kleidung der Schwestern ist ein schwarzes Gewand mit schwarzem
Schleier; Alle schlafen gesondert, jede in ihrem eigenen Zimmer;
Alle erhalten eine Matratze und ein Kissen, das mit Federngefüllt
sein darf.
Vier
Mal im Jahre haben sie bei einem außerordentlichen Beichtvater
zu beichten; jeden Tag sollen sie zu je drei der Reihe nach die heilige
Kommunion Empfangen; Donnerstags, Sonntags und an den Festen
findet eine Generalkommunion statt; die Kranken kommunizieren
(Hostie) alle
acht Tage.
Jeden
Samstag soll Kapitel stattfinden, ein Mal im Monate findet
bei der Oberin eine Besprechung über
Angelegenheiten des inneren
Lebens, Lesung der Statuten und Profess-Erneuerung statt und ein
Mal im Jahre, am Tage der Darstellung Marias, sollen Alle ihre
Gelübde
erneuern und sich Gott zum Opfer bringen, wie Maria sich
dem ewigen Vater im Tempel darbrachte.
In
diesen Regeln begegnet man keiner herben Strenge, vor welcher
die menschliche Schwäche
zurückbebt;
die Buße
verliert hier ihre
Dornen, die Einsamkeit ihre Langeweile, das Stillschweigen sein Abschreckendes,
der Gehorsam den Zwang, die Arbeit ihre Mühseligkeilt:
und doch findet die Natur ihren Tod durch das beständige
Opfer des
eigenen Willens und die Verpflichtung, stets beschäftigt
zu sein, durch
die gänzliche
Verleugnung seiner selbst und die beständige
Gleichheit
der täglichen
Übungen, welche die natürliche
Unbeständigkeit
des menschlichen
Herzens vernichtet. Was ihnen aber vor
Allem einen hohen Wert verleiht, das ist jener Geist der Liebe und der
Sanftmut, der Demut und der Einfalt, der Unschuld und Reinheit,
in welchem
sie nach dem Willen des Stifters beobachtet werden
sollen. Er
will, dass man Alles aus Liebe tue, nichts aus Zwang, dass
alle Schwestern
untereinander nur ein Herz und eine Seele seien, wie
Schwestern
ein und derselben Familie; dass sie stets bereit ihre eigenen Wünsche
oder Abneigungen der Liebe zum Opfer zu bringen, sich bemühen,
dem Nächsten
in Allem zu gefallen, dass ihr ganzes Sein und Wesen
nur Milde atme, und dass ihre Worte, der Ton ihrer Stimme, ihr
ganzes
Benehmen nur ein Ausfluss
jener lieblichen Sanftmut sei, von
der ihr
ganzes Herz durchdrungen sein soll; dass sie züchtig
in Blicken,
zurückhaltend
im Sprechen, ernst in ihrer Haltung, reinlich in
ihrer Kleidung
seien, und die gebieterische Strenge der Pflicht mit seiner
Höflichkeit
des Benehmens wohl zu vereinigen wissen. Das ist die
Frömmigkeit
mit dem ihr eigenen Reiz; Alles wird liebenswürdig
in
der
Hand der Tugend.
Und
nicht redet der Stifter selbst in diesen Statuten als Gebieter;
seine Sprache ist die sanfteste und gewinnendste, sein Ausdruck der
gemäßigste;
es ist eher ein Rat als eine Forderung, eher eine Bitte
als ein Befehl; und gerade das verleiht seinem Worte höhere
Kraft, eine solche Macht, dass der Orden der Heimsuchung seinem
Entstehen bis auf unsere Tage sich immer und überall
seinem
ursprünglichen
Geiste erhalten und mit vollkommener Treue seine
Regel beobachtet hat.
Am
23. April 16 I8 bestätigte
Papst Paul V.
den
neuen Orden und
seine Regel und am 9. Oktober desselben Jahres veröffentlichte
Franz
die
bezügliche
Bulle, mit noch weiterer Hinzufügung
einzelner bestimmten
Regeln für
jedes Haus im besonderen, die wir aber übergehen.
Was
er den Schwestern, als er ihnen die Regel übergab,
über
den
Geist derselben, welcher den Buchstaben beleben solle, sagte, war,
wie Frau von Chantal bemerkt, der Inbegriff aller Vollkommenheit,
nach welcher die Genossenschaft streben sollte. Eine Schwester hatte
ihn bei dieser Gelegenheit in der Unschuld ihrer Seele
gefragt,
was
er, wenn er selbst Nonne wäre,
tun würde,
um recht vollkommen zu
werden. „Sie
fragen, geliebte Tochter, antwortete der Bischof freundlich
lächelnd,
was ich tun würde;
so gut wie Sie würde
ich es
ohne Zweifel nicht machen; denn ich tauge nicht viel. Aber es scheint
mir, dass ich mich mit Gottes Gnade so gewissenhaft an die
Beobachtung auch der kleinsten Vorschriften halten würde,
dass ich dadurch das Herz Gottes gewinnen würde.
Ich würde
vollkommen das Stillschweigen
beobachten; aber doch würde
ich auch während der Zeit des
Stillschweigens reden, wenn die Liebe es verlangt. Ich würde
dann
recht leise sprechen und recht Acht darauf geben, weil die Regel es
so verlangt. Die Türe würde
ich recht leise öffnen
und schließen,
weil
unsere Mutter es so will und wir ja auch Alles tun wollen, was
sie will dass wir tun. Die Augen würde
ich immer niedergeschlagen
halten und mit großer
Sittsamkeit einhergehen; denn Gott und
seine Engel sehen immer auf uns und sie lieben Jene sehr, welche
Alles
tun, wie es sich gehört.
Trüge
man mir irgend Etwas auf, so
würde
ich Freude daran haben und es zu rechter Zeit zu tun suchen.
Trüge
man mir nichts auf, so würde
ich mich auch um nichts
anderes kümmern,
als recht zu gehorchen und den Heiland recht zu
lieben. O, ich glaube, dass ich ihn recht von Herzen lieben würde,
diesen
lieben Herrn, und dass darauf, so wie auf die Beobachtung der Regel
mein ganzes Sinnen und Trachten gerichtet sein würde.
Was wir
tun, müssen
wir so gut tun, als es nur in unseren Kräften
steht;
denn nur dazu sind wir in den Orden getreten. Doch dürfen
wir
uns über
unsere Fehler nicht wundern, da wir nichts ohne den Beistand
Gottes vermögen.
Ich würde
immer recht heiter sein und nie
Etwas auf eine hastige Weise tun; das habe ich Gott sei Dank schon
erreicht, denn ich bin nie hastig. Aber das sollte mir noch nicht
alles
sein. Ich würde mich immer unter die Letzten und Geringsten rechnen und
Demütigungen gerne ertragen; fände
sich dazu keine Gelegenheit,
so würde
ich mich deshalb demütigen, dass ich nicht gedemütigt
werde. So gut ich es nur vermöchte,
würde
ich suchen, mich
in der Gegenwart Gottes zu halten und alle meine Handlungen aus Liebe
zu ihm zu verrichten; denn was haben wir Anderes in der Welt zu tun?
Ich würde
danach streben, mich meiner selbst zu entäußern
und würde
Alles mit mir machen lassen was man will. Gott
gebe uns dazu seine Gnade, er sei gepriesen."
Der
Oberin selbst schrieb er ebenfalls um die nämliche
Zeit (Brief 668):
„Ich
wünsche,
dass Sie sich recht klein und gering in Ihren Augen erscheinen,
sanft und nachgiebig wie eine Taube seien. Ergreifen Sie bereitwillig
jede Gelegenheit, sich zu verdemütigen; seien Sie nicht schnell
im Reden, antworten Sie bedächtig,
demütig und sanft und sagen
Sie viel, indem Sie aus Bescheidenheit und Gleichmut schweigen.
Ertragen und entschuldigen Sie den Nächsten
mit großer
Sanftmut
des Herzens. Stoßen
Sie auf Widersprüche,
so grübeln
Sie nicht
lange darüber
nach, beachten Sie sie gar nicht, sondern sehen
Sie
in Allem auf Gott und unterwerfen Sie sich einfach seinen Befehlen.
Tun
Sie Alles für
Gott, indem Sie sich durch einfache Aufblicke
zu ihm oder
Herzensergießungen
in steter Vereinigung mit ihm
halten. Tun Sie nichts
mit Hast und Eile, sondern Alles im Geiste
der Ruhe.
Nichts, was es
nur immer sei, soll Sie um den
inneren Frieden
bringen, selbst wenn Alles
drunter und drüber
gehen würde;
denn was sind alle Dinge dieses Lebens im Vergleich
zum Frieden
des Herzens? Stellen Sie Alles Gott
anheim und halten Sie sich
stille und ruhig an dem Busen
seiner väterlichen
Vorsehung. Finden
Sie, dass Ihr Geist
außerhalb weilt, so führen
Sie ihn sanft und
einfach dahin
zurück,
ohne je irgend einer Sorge, einem Wunsche, einer
Neigung oder einem Begehren, unter welchem Vorwande
es auch sei, nachzugeben.
Der Heiland liebt Sie,
er will, dass Sie ganz sein
eigen seien. Keine anderen als
seine Arme sollen Sie tragen, an keiner
anderen als seiner
Brust sollen Sie ruhen; wenden Sie nicht Ihren
Blick anderswohin,
und lassen Sie Ihren Geist nirgends als in
ihm
allein verweilen. Halten Sie Ihren Willen mit dem seinigen
in so
inniger
Vereinigung, dass nichts zwischen beiden
sei, und vergessen
Sie alles
Übrige. Seien Sie guten
Mutes und beugen Sie sich
demütig vor der göttlichen
Majestät.
Verlangen Sie nach nichts als
nachher reinen Liebe des Heilandes, nehmen Sie Alles von seiner Hand,
so
unangenehm es auch sei, bereitwillig an, indem Sie ihn, den
Gekreuzigten,
anziehen und ihn in seinem Leiden lieben."
Gott
segnete sichtbar eine Genossenschaft, welche so ganz das Gepräge
evangelischen
Geistes trug; sie vermehrte sich so, dass der Bischof noch zu seinen
Lebzeiten dreizehn Klöster
gründete
und Frau von
Chantal allein siebenundachtzig.
Die Zahl der Aspirantinnen war außerordentlich,
trotzdem dass
Franz nur nach reiflichster Prüfung die Aufnahme
gestattete. Es kam ihm
vor Allem dabei aus Sanftmut und
Demut an. „Die
sanftmütigen
und demütigen, wenn sie auch
arm sind, sprach er (Brief
256.),
ziehe
ich bei weitem den weniger demütigen
und den weniger sanftmütigen
Reichen vor. Die menschliche Klugheit
sagt: Glückselig
die reichen
Klöster!
Aber wir müssen
sagen: Glückselig
die Armen! und es gerne
ertragen, dass die Armut verachtet
wird." Eines Tages konnte man
in seiner Gegenwart über
die Mitgift
einer jungen Dame, welcher schon
die Aufnahme zugesagt war,
nicht einig werden. Frau von Chantal
blieb dabei, dass die Mitgift
ganz beigebracht werden müsse;
er sagte nichts. Aber nach Hause
zurückgekehrt,
schrieb er an die
Oberin einige Zeilen, worin er ihre
zu große Festigkeit in dieser Beziehung
missbilligte: „Sie
sind, meine
Mutter, sagte er, mehr gerecht
als gütig,
in solchen Fällen
muss
man aber mehr Güte
als Gerechtigkeit
zeigen." Eine einzige Tochter
und reiche Erbin hatte ihr Noviziat
bestanden und sollte nun die
Gelübde
ablegen. Der Bischof fragte
sie bei der Gelegenheit, welche
Bestimmung sie über
ihre Güter
getroffen habe. „Ich
will sie
dem Kloster schenken," antwortete sie.
--- „
Nicht so, entgegnete er, unsere Kongregation soll nicht die Familien
beeinträchtigen;
Sie können
eine
etwas bessere Mitgift, als gewöhnlich
der Fall ist, mitbringen, da Sie
die Mittel dazu haben; das genügt.
Und was wollen Sie mit dem
Reste machen?" --- „Ich
werde ihn
meinem Bruder geben." -- „Und
warum nicht Ihrer Mutter?" -- „Weil
sie mir gerechte Ursache
zur Unzufriedenheit gegeben hat." „Das
entbindet Sie nicht, versetzte er, von der Beobachtung des göttlichen
Gebotes, welches Ehrfurcht
und Achtung vor den Eltern befiehlt."
So erhielt die Mutter
ihren Teil.
Was
körperliche
oder geistige Mängel
anging, so war er darin sehr
nachsichtig, vorausgesetzt, dass ein wahrer Beruf vorhanden war. „Ich
bin ein Freund der Kränklichen
und Schwachen, sagte er; wenn ich
sie
verschmähte,
wo würde
denn die christliche Liebe in mir bleiben? Und
was würde
aus solchen Personen werden? Niemand nimmt sich
ihrer
an. Nehmen wir sie
mit
Liebe
auf,
so wird dies
Beispiel
andere wohl
Gestaltete und in so großer
Zahl anziehen, dass die
Weltleute
sich
darüber
wundern werden (Nach
de Chaugy.)."
Ja er hatte sogar eine besondere Vorliebe
für
Solche,
die von Natur ungestaltet und hässlich waren, und
als man ihn über
den
Grund befragte, gab er
zur
Antwort:
„Glückselig
diejenigen, welche nichts Liebenswürdiges
an sich
haben,
denn
die Liebe, die man ihnen erweist, ist ganz eine Liebe in Gott."
Eines
Tages stellte man ihm eine Person vor, die eine vollständige
Missgestalt
war.
Sie wollte
in den Orden aufgenommen werden und eine
nähere
Prüfung
derselben überzeugte
ihn von ihrer Würdigkeit.
„Wir
können
sie
nehmen,
sprach er,
es ist eine
schöne
Seele in einem hässlichen
Körper,
ein herrlicher Diamant, der nur schlecht eingefasst
ist." Nicht
lange dauerte es,
so hatte
der
neue
Orden seine Häuser
in fast
allen größeren
Städten
Frankreichs, selbst
in
Paris. Oft
war
es der
Fall, dass dieselben nur unter den größten
Entbehrungen und Widerwärtigkeiten,
von denen Frau von Chantal vor
Allen
ein gutes Teil
zu
tragen
hatte, errichtet
werden
konnten. Allein das Gute und
Schöne
schlägt
dadurch nur um so
fester und
tiefer
seine
Wurzeln und
wächst
zu
einem starken Baume heran, der nachher um so
leichter
jedem
Sturme
Trotz
bietet. Eines
der schönsten
Werke, welche der Eifer des Heiligen
für
die Ehre Gottes
und
das Heil der Seelen unternommen,
stand
gesichert da. Ein großer
Teil
seiner Zeit und Tätigkeit
blieb ihm fortan
stets
mit
Vorliebe bis
zu
seinem seligen Tode
gewidmet; aber
es würde
uns zu weit führen,
das Alles
noch
im Einzelnen hier zu erwähnen
und wir nehmen darum den Faden der
allgemeinen Geschichte
des Heiligen vom Jahre 1610 an wieder auf.
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