Inhaltsverzeichnis
Siebentes Buch
Charakterbild des heiligen Franz von Sales.
Leben
des
heiligen
Franz von Sales,
Fürstbischofs
von Genf.
Nach der fünften Auflage aus dem Französischen übersetzt
von
J. C. Lager,
Priester der Diözese Trier.
Zweiter Band
Regensburg.
Druck und Verlag von Georg Joseph Manz.
1871.
Inhalt:
Siebentes Buch.
Charakterbild des
heiligen Franz von Sales.
Erstes Kapitel.
Natürliche Eigenschaften
des heiligen Franz von Sales.
Zweites Kapitel.
Mittel,
durch welche Franz von Sales sich zur Heiligkeit erhob.
Drittes Kapitel.
Sein Glaube.
Viertes Kapitel.
Seine Hoffnung.
Fünftes Kapitel.
Seine Liebe zu Gott.
Sechstes Kapitel.
Seine Gleichförmigkeit mit dem Willen
Gottes.
Siebentes Kapitel.
Seine Gottesverehrung.
Achtes Kapitel.
Seine Andacht zu Jesus Christus und den
Heiligen.
Neuntes Kapitel.
Seine Nächstenliebe.
Zehntes Kapitel.
Seine Sanftmut.
Elftes Kapitel.
Sein Seeleneifer.
Zwölftes Kapitel.
Seine Klugheit und Einfalt des
Herzens;
-- seine Bescheidenheit und Eingezogenheit.
Dreizehntes Kapitel.
Seine Demut.
Vierzehntes Kapitel.
Sein Geist der Armut.
Fünfzehntes Kapitel.
Seine Liebe zur Abtötung.
Sechszehntes Kapitel.
Seine Geduld.
Siebzehntes Kapitel.
Sein Gleichmut der Seele.
Achtzehntes Kapitel.
Wunder, durch welche Gott die
Heiligkeit seines Dieners der Welt offenbarte.
Neunzehntes Kapitel.
Die Heiligsprechung Franz's von
Sales.
Welches
Interesse die Geschichte des Bischofes von Genf uns bis
jetzt auch geboten hat, so ist es nichtsdestoweniger
wahr, dass der schönste und wohl auch am meisten Nutzen
bringende Teil dieses herrlichen Lebens uns noch zu
behandeln übrig bleibt. Neben den Ereignissen, welche
einer besonderen Epoche angehören, und die wir, dem
heiligen Bischofe Schritt für Schritt von der Wiege bis
zum Grabe folgend, erzählt haben, gibt es noch eine
andere Ordnung von Geschehenem, welches nicht gerade
einer bestimmten Epoche anhaftet, sondern als etwas dem
Menschen Eigentümliches zu jeder Zeit hervortritt. Die
geschichtlichen Tatsachen im Leben eines Heiligen haben
ihr festes Datum, nicht so seine Tugenden, von denen man
nicht sagen kann, sie fallen in das oder das Jahr. Sie
müssen daher in einem besonderen Abschnitte behandelt
werden, und dies ist die höchst interessante Aufgabe,
welche wir noch zu erfüllen haben. Die geschichtlichen
Daten sind gleichsam nur die Ausflüsse jener schönen
Tugenden, mit denen wir uns jetzt beschäftigen werden;
und wenn die Bäche schon so lieblich und klar sind, wenn
sie dem Wanderer, der sich mit lechzenden Lippen über
sie beugt, schon so köstliche Labe gewähren, um wie viel
schöner und wohltätiger werden dann die Quellen selbst
sein!
Um dies schöne Bild zu entwerfen, werden wir zuerst mit
der Schilderung der natürlichen Eigenschaften des
heiligen Franz beginnen, weil diese gleichsam der Grund
und Boden sind, auf dem die Gnade gearbeitet hat. Nach
Darlegung der Mittel, durch welche er sich zur
Heiligkeit erhoben, werden wir ihn sodann schildern in
seinen Beziehungen zu Gott, zu dem Nächsten und sich
selbst. Wir werden da finden, welch' ein lebendiger
Glaube, welch' eine feste Hoffnung, welch' glühende
Liebe, welch' Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes,
welch' tiefe Frömmigkeit den Heiligen beseelte. In
seinen Beziehungen zum Nächsten werden wir finden,
welche Liebe und Sanftmut, welch' ein Seeleneifer und
welche Klugheit, mit bezaubernder Einfalt verbunden, ihm
in allen Dingen eigen war und betrachten wir ihn an und
für sich selbst, so werden wir da ein herrliches Bild
aller persönlichen Tugenden, der Demut und der Armut im
Geiste, der Abtötung, der Geduld und des Gleichmutes der
Seele erblicken.
Schließlich werden wir dann mit Befriedigung sehen, wie
die allgemeine Verehrung, die Wunder nach seinem Tode
und endlich das Urteil der Kirche, welche ihn auf ihre
Altäre gestellt hat, ein beredtes Zeugnis für seine
Heiligkeit ablegen. Das sind die interessanten
Gegenstände, welche wir im siebenten Buche zu behandeln
haben; wir werden darin oft entweder den Heiligen selbst
sprechen lassen, oder die heilige Chantal, jene Seele,
welche ihn am besten gekannt hat, und der Leser wird nur
gewinnen durch diese Zitate, da sie vor allem, was wir
selbst sagen könnten, sicher den Vorzug verdienen. Denn
die Worte der Heiligen tragen das Gepräge einer
besonderen Gnade und Anmut und sind der reinste Ausdruck
des übernatürlich Wahren und Schönen.
Erstes
Kapitel.
Natürliche
Eigenschaften des heiligen Franz von Sales.
Franz von
Sales war von gesunder Konstitution und vorteilhaftem
Wuchse. Der Kopf war stark und wohl entwickelt, der
Vorderteil kahl, der Hinterteil mit schönem
dunkelblondem Haar bedeckt, die Stirne hoch und breit;
die Augen waren blau, aber etwas schielend, von hohen
und stark gebogenen Augenbrauen überschattet, die Wangen
trugen eine blühende und frische Farbe, der Mund war
rund, der Ausdruck des Gesichtes sanft und angenehm, die
Züge zeigten eine auffallende Feinheit und die Hautfarbe
eine seltene Zartheit. Seine Stimme war ernst und
gesetzt, seine Aussprache langsam, ebenso sein Gang
(Charl.-Aug.,
vers la fin.),
aber stets war seine ganze Art und Weise freundlich und
gewinnend, sein Benehmen höflich und gefällig, seine
Stirne heiter, seine Miene offen, sein Lächeln
bescheiden. Ein Zeitgenosse
(Nach Biard)
des heiligen Bischofes zeichnet uns kurz sein Bild mit
folgenden Worten: „Sein ganzes Äußere war so schön und
bezaubernd, sein Benehmen so voll ernster Würde und doch
zugleich so voll freundlicher Milde, dass mein Auge
nicht müde werden konnte, ihn zu betrachten und dass ich
mir keine edlere und herrlichere Haltung denken kann."
Unter diesem
so ausgezeichneten Äußeren entdeckte man eine noch
ausgezeichnetere Seele, in welcher die Natur alle ihre
Gaben vereinigt zu haben schien: ein feines und gesundes
Urteil, eine seltene Fassungskraft und Fruchtbarkeit des
Verstandes, eine Einfachheit und Natürlichkeit des
Geistes, welche allem Gesuchten, das die wahre
natürliche Schönheit zerstört, abhold war, eine reiche
und lebendige Einbildungskraft, einen Ordnungssinn, der
das Kleine so wenig vernachlässigte, wie das große, und
nie dasjenige, was heute zu tun war, auf morgen verschob
oder am Tage vorher schon tat; einen lebhaften,
gutherzigen und liebevollen, aber zugleich so festen
Charakter, dass nichts je im Stande war, ihn außer
Fassung zu bringen; endlich ein zärtliches, gefühlvolles
und glühendes Herz, welches sich an Gott hingebend der
Sitz der erhabensten, reinsten und heldenmütigsten
Gesinnungen wurde; denn die Gnade ändert die Geistes-
und Herzensanlagen nicht, sondern sie heiligt sie; sie
zerstört nicht das Zarte und Gefühlvolle im Menschen,
sondern zieht es in den Dienst des Guten. Mit Feinheit
des Verstandes Feinheit der Sitte vereinigend, besaß er
in hohem Grade die Kunst, auf eine liebenswürdige Weise
Jedem gerecht zu werden und je nach Personen und
Umständen die verschiedenen Grade der Achtung und
Freundschaft zu bemessen; stets war er leutselig und
freundlich, so wie es der Augenblick erforderte,
dienstfertig aus Wohlwollen, gefällig ohne sich etwas zu
vergeben, höflich ohne Ziererei, eingezogen ohne durch
Strenge abzustoßen, fröhlich ohne die Grenzen des
Wohlanständigen zu überschreiten. Die Gabe der
Unterhaltung besaß er im höchsten Grade, wusste das
Gespräch zugleich anziehend, unterhaltend und belehrend
zu machen, indem er Leben in es brachte, ohne dabei
glänzen zu wollen und, ohne es darauf anzulegen, die
feinsten Dinge sagte. Der Ton seiner Stimme, die Anmut
seiner gleich einfachen und edlen Sprache, die ruhige
und geistreiche Munterkeit, mit der er das Gespräch
würzte, verliehen der Unterhaltung mit ihm einen solchen
Zauber, dass man sich unwillkürlich von Achtung,
Freundschaft und Zutrauen zu ihm durchdrungen fühlte.
Darum sagte man auch allgemein mit Bezug auf ihn, dass
die Tugend nie unter einer Gestalt erschienen, die
liebenswürdiger und geeigneter gewesen sei, die Herzen
zu gewinnen
(De Cambis.).
Diese
herrlichen Eigenschaften wurden gehoben durch eine tiefe
und allseitige Bildung. Er war vertraut mit den
Schriften der alten Philosophen sowohl, wie mit den
Werken der griechischen und lateinischen
Geschichtsschreiber; zahlreiche Stellen, die er bei
jeder Gelegenheit und so passend in seinen Schriften aus
ihnen anzuführen wusste, zeigen, wie belesen er in
denselben war. In der Rhetorik und den schönen
Wissenschaften war er ebenfalls zu Hause; sogar die
naturwissenschaftlichen Kenntnisse seiner Zeit hatte er
sich alle angeeignet, und da diese noch sehr mangelhaft
waren, so darf man sich nicht wundern, dass man in
dieser Hinsicht in seinen Schriften hie und da auch
unrichtige Anschauungen findet.
Doch war es,
wie leicht zu erwarten, das Gebiet der kirchlichen
Wissenschaften, mit dem der Heilige am besten vertraut
war; die Exegese, die Geschichte der Kirche, die Werke
der Väter, Dogmatik und Moral kannte er ihrem ganzen
damaligen Umfange nach. Vor allem war er bewandert in
der Summa des heiligen Thomas, auf die er sich
vorzugsweise bei allen Kontroversen und Entscheidungen
von Gewissensfällen stützte. Welche Bewunderung er in
jener Prüfung, welche seiner Konsekration zum Bischofe
vorherging, erregte, haben wir schon gesehen. Die
Kardinäle du Perron und de Berulle, Duval und andere
Doktoren der Sorbonne nannten ihn den gelehrtesten
Theologen seines Jahrhunderts; und der General der
Feuillanten, Dom Jean de Saint-Francois, fügt hinzu:
„dass er sich auszeichnete in allen Gebieten des
theologischen Wissens, dass er eine so genaue Kenntnis
des kanonischen Rechtes mit einem so vollkommenen
Verständnis der heiligen Schriften besaß, dass sein
Geist in dieselbe umgewandelt zu sein schien und dass er
mit bewunderungswürdiger Klarheit die dunkelsten und
schwierigsten Stellen derselben auseinandersetzte. Kurz,
sagt derselbe Biograph, es war ein großer Geist, der
sich ebenso sehr durch die Vollkommenheit seines
natürlichen Verstandes und die Tiefe seines erworbenen
Wissens auszeichnete, wie durch die Fülle der
übernatürlichen Erleuchtungen und Erkenntnis, die ihm
zuteil geworden war
(Dom Jean de
Saint-Francois, III, p. 231 et 234.)."
Solchen Zeugnissen brauchen wir nur noch hinzuzufügen,
dass seit dem Prozesse seiner Heiligsprechung eine
genaue Prüfung seiner Schriften stattfand, die mit der
Erklärung endete, dass sie würdig seien, unter die
Schriften der Kirchenväter eingereiht zu werden.
Mit dieser
Gelehrsamkeit fanden sich in Franz von Sales noch zwei
herrliche Gaben vereinigt: das Schriftsteller- und
Rednertalent. Er war der Erste, der begann, die alte
französische Sprache von ihren Fesseln zu befreien, und
sie mit einer Leichtigkeit und Anmut, mit einer edlen
und natürlichen Einfachheit sprach, welcher Montaigne
und Malherbe, die kurz vor ihm lebten, nicht nahe
gekommen waren, und welche später Balzac und Voiture
nicht erreichen konnten. eingeschlossen in seinen
Bergen, inmitten einer ungebildeten und unwissenden
Bevölkerung, unter den schwierigen Arbeiten eines Amtes,
das für sich allein schon einen Mann ganz und gar in
Anspruch nehmen kann, ohne Vorbild und ohne einen
anderen Führer, als die Feinheit seines Geschmackes und
das geheime Schicklichkeitsgefühl, hat er sich
emporgeschwungen zu einem der Väter der französischen
Sprache, der es verdient, dass ihm von der Akademie der
erste Platz unter den Schriftstellern seines
Jahrhunderts angewiesen werde
( Im Januar 1638
beschloss die drei Jahre vorher von Richelieu errichtete
französische Akademie in einem Diktionär (Wörterbuch)
die gewöhnlichen, durch den Sprachgebrauch aufgenommenen
Wörter nebst den hauptsächlichsten grammatischen Regeln
zu sammeln; zu dem Zwecke wählte sie am darauf folgenden
20. Februar diejenigen Schriftsteller aus, welche das
reinste Französisch geschrieben hatten, und unter ihnen
erhielt auch Franz von Sales seine Stelle.).
Seine reiche und lebhafte Einbildungskraft durchwebt
alle seine Schriften mit den heitersten Bildern, den
lieblichsten Blumen, die der ganzen Natur, dem Himmel,
der Erde und allem, was sie enthalten, entlehnt sind.
Selbst dann, wenn er nur schlicht und einfach sprechen
will und es ihm nur darum zu tun ist, zu nützen, tragen
alle seine Worte das Gepräge ausgesuchter Feinheit, und
indem sein gefühlvolles Herz aus dem Ausdrucke
hervorleuchtet, verleiht es ihm Leben und Farbe, und
teilt ihm eine eigentümliche jugendliche Kraft mit, die
er an und für sich nicht hatte, ihm dabei doch jenen
ernsten und würdevollen Ton lassend, wie er sich für den
Charakter und die Stellung des Autors geziemte.
Am Stil
erkennt man den Menschen." Nie hat sich wohl dies Wort
besser bewährt, als an Franz von Sales. Die Schönheit
und Richtigkeit seiner Gedanken bekunden sein
ausgezeichnetes Urteil; die Offenheit, mit der er sich
ausdrückt, zeigt die tiefe seiner liebenswürdigen
Geradheit und Herzensgüte; seine Bilder und Vergleiche,
die kräftig und kühn sind, ohne deshalb aufzuhören,
natürlich zu sein, seine gewählte und entschiedene
Sprache bekunden einen Mann ersten Ranges, der, in der
Überredungskunst gewandt, es verstand, für seine Zwecke
zu gewinnen; einen überlegenen Geist, der, ohne der
Gründlichkeit Eintrag zu tun, von seinem eigenen Glanze
und inneren Werte erstrahlte, kurz, seine ganze Art und
Weise legt Zeugnis ab von seinem zarten, teilnehmenden,
guten und großmütigen Herzen.
„Seine
Schriften, sagt der Pater Tournemine
(Journal de Trevoux,
juillet 1736, art. 79.),
atmen die Liebe, von der sein Herz erglühte; man kann
sie nicht lesen, ohne dass auf ihnen eine himmlische
Salbung in die Seele überströme; es ist die Lieblichkeit
und Zartheit eines Herzens, welches Gott liebt und
weiter nichts will, als dass er geliebt werde; es ist
der Kern der Moral der heiligen Bücher und der Schriften
der Väter, auf die wahren Prinzipien zurückgeführt und
angewandt auf das praktische Leben. Man findet in ihnen
als Führer die Liebe und Demut unzertrennlich
miteinander verbunden; die Sanftmut ebnet den Weg; die
Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes und das feste
Vertrauen auf seine Güte bewirken, dass man ihn freudig
und ruhig geht."
Diese auf
fast alle seine Schriften anwendbaren Bemerkungen passen
noch ganz besonders auf seine Briefe, deren man ungefähr
neunhundert gesammelt hat. In ihnen strahlt das
Verdienst des heiligen Franz als Schriftsteller im
reinsten Glanze; sein einfacher, natürlicher, leichter
und anmutiger Stil fügt sich schmiegsam allen seinen
Gedanken und Empfindungen; er ist bald einschmeichelnd
und lieblich, um sich den Weg zum Herzen zu bahnen, bald
sinnig und von bestimmter Klarheit, um die
Leidenschaften und Regungen der Seele darzustellen, bald
reich und geschmückt, um anschaulich zu erzählen. Alle
Gegenstände von den unbedeutendsten bis hinauf zur
Schilderung der ewigen Glückseligkeit, sind in einer
Weise behandelt, wie sie dem ihnen eigenen Reize
entspricht. Der Schreiber erzählt in ihnen seine
Geschichte und die seines Jahrhunderts; er gießt in
ihnen sein Herz ganz aus, und nirgends hat die
französische Sprache lieblicher geredet.
Nicht minder
zeichnete sich der Heilige durch großes Rednertalent
aus. Zwar war sein Vortrag nicht sehr lebendig, seine
Aussprache war langsam und sogar etwas schwerfällig.
Dieses Fehlers war er sich vollkommen bewusst und er
äusserte sich selbst darüber dem Bischofe von Belley
gegenüber. Als dieser eines Tages auf der Kanzel Vortrag
und Aussprache seines berühmten Freundes hatte nachahmen
wollen, tadelte ihn letzterer deswegen: „Sie wollen also
in Ihren Predigten den Bischof von Genf nachahmen?"
sprach er zu ihm. -- „Aber, entgegnete Camus, ist denn
das ein schlechtes Muster? Predigt er nicht besser als
ich?" -- „Gott, versetzte da der heilige Bischof, wenn
die natürlichen Anlagen vertauscht werden könnten, was
gäbe ich denn nicht für die Ihrigen! Ich tue, was ich
kann, um in Bewegung zu kommen, ich treibe mich zur Eile
an, und je mehr ich vorwärts will, desto schlechter
gelingt es mir. Es fällt mir schwer, die Worte zu
finden, und noch schwerer, sie auszusprechen. Ich bin
schwer fälliger, wie ein Klotz, und nicht im Stande,
weder mich noch Andere zu rühren; kurz, ich schwitze
viel und komme doch nur schlecht voran. Sie fahren mit
vollen Segeln und ich mit dem Ruder; Sie fliegen und ich
krieche, oder schleppe mich dahin wie eine Schildkröte.
Sie haben mehr Feuer in Ihrem kleinen Finger, als ich im
ganzen Körper, und nun sagt man von Ihnen, dass Sie die
Worte abwägen, Ihre Sätze zählen, den Flügel
nachschleppen, dass Sie schlaff und langsam sind und
Ihre Zuhörer ermüden
(Geist des h. Franz
v. Sales, I, 23.)."
Die
Langsamkeit, welche man am Bischofe von Belley nicht
ertragen konnte, erschien als ein Vorzug bei dem
Bischofe von Genf; man wusste seiner langsamen und
schwerfälligen Aussprache Dank, weil sie dem Zuhörer
mehr Muse ließ, die Schönheit seiner Lehre, den Adel und
das Ungezwungene seines Ausdruckes, die natürliche
Einfachheit im Tone seiner Stimme und in seinen Gebärden
recht zu kosten und zu verstehen: Eigenschaften, die man
um so mehr schätzte, je weniger man sie bei anderen
Predigern fand. Es war nämlich damals, nach der zu jener
Zeit herrschenden Sitte, die Predigt nichts als ein
ungestaltetes Chaos von trockener Theologie, abstrakter
Philosophie, Zitaten aus griechischen und lateinischen
Profanschriftstellern, gelehrtem Wortschwall und
pathetischem Schwulst. Dagegen hielt sich der gesunde
Sinn des heiligen Franz an jener einfachen und
natürlichen, ernsten und bescheidenen Beredsamkeit,
welche die wahre Sprache der Salbung und Überredung ist.
Wenn er das Laster bekämpfte, so geschah es nicht
dadurch, dass er es mit Schimpf- und Scheltworten
angriff, sondern vielmehr, dass er es so zeigte, wie es
ist, in seiner wahren und verächtlichen Gestalt, und ihm
die Tugend entgegenhielt, welche er dem Verstande als
höchst vernünftig, dem Herzen als unendlich
liebenswürdig darstellte. Eine solche Sprache musste
notwendig die Völker hinreißen, die bei aller
Verdorbenheit des Geschmackes doch stets den Sinn für
das Schöne bewahren.
Die
gedruckten Predigten des Bischofs von Genf lassen
sicherlich viel zu wünschen übrig, aber der Fehler liegt
nicht an dem Prediger. Wir besitzen nur eine von ihm
selbst geschriebene Predigt, und zwar auf das Fest Mariä
Himmelfahrt; die übrigen sind entweder von seinen
Zuhörern gesammelt worden, welche sie dann nach ihrer
Art und Weise ordneten, oder es sind bloße Skizzen, die
von dem heiligen Bischofe flüchtig entworfen und von den
Herausgebern ausgeführt worden sind. „Seinen Geist, sagt
einer seiner Biographen, findet man in ihnen nicht
wieder, ebenso wenig seine erhabene Lehre, seine
hinreißende Beredsamkeit und den mächtigen Reiz seiner
Frömmigkeit. Was einst Tränen entlockte, die Bewunderung
der Zuhörer erregte, das Zusammenströmen der größten
Männer Frankreichs, Savoyens, Piemonts und Italiens
bewirkte und die Kirchen immer zu klein machte, das
bietet heute dem Leser nur wenig Anziehendes." Dies
Urteil Maupas' ist wohl etwas strenge, und obwohl wir
von den Predigten des heiligen Franz nicht viel mehr als
Trümmer besitzen, so sind es doch immerhin noch schöne
Reste, von denen ein jeder hinreicht, um uns den Wert
der ganzen Predigt schätzen zu lassen.
Zweites
Kapitel.
Mittel, durch welche
Franz von Sales sich zur Heiligkeit erhob.
In dem
vorhergehenden Kapitel haben wir Franz von Sales
betrachtet als Mensch; wir haben in ihm einen
liebenswürdigen, gebildeten und talentvollen Mann kennen
gelernt; jetzt haben wir ihn zu betrachten als Heiligen;
und das ist ein zweiter Gesichtspunkt, der ein ganz
anderes Interesse für Geist und Herz hat. Aber wie man,
bevor man auf einen Berg gelangt, die dahin führenden
Pfade ersteigen muss; ebenso ist es auch vor der
Schilderung der verschiedenen Tugenden, welche die hohe
Heiligkeit des Bischofes von Genf ausgemacht haben,
durchaus notwendig, ihm auf den Wegen zu folgen, auf
denen er eine so hohe Vollkommenheit erreicht hat. Sein
seltener Verstand begriff frühzeitig, dass die
Flüchtigkeit des Geistes, der so wenig Sinn hat für
geistige Dinge und sich so leicht davon abziehen lässt,
und die verkehrte Neigung des Herzens, welches so sehr
danach strebt, das Geschöpf dem Schöpfer vorzuziehen,
die beiden hauptsächlichsten Hindernisse für die Tugend
bilden, und dass man ihnen die Betrachtung und das Gebet
entgegensetzen müsse: die Betrachtung, welche den Geist
fesselt und erleuchtet; das Gebet, welches die Seele von
den geschaffenen Dingen losschält, mit Gott vereinigt
und die Gnade herabzieht, jene mächtigste Bekehrerin der
Herzen.
Das erste
Mittel also, welches er anwandte, war die Treue im
Gebete. Diese Übung des gleichzeitigen Betrachtens und
Betens war der Gegenstand seiner höchsten Verehrung: „Da
das Gebet, sagte er, unseren Geist zu der göttlichen
Klarheit und dem göttlichen Lichte erhebt, so gibt es
nichts, was unseren Verstand so sehr von seiner
Unwissenheit, und unseren Willen von seinen verkehrten
Neigungen befreit. Es ist das Wasser des Segens,
welches, indem es ausgegossen wird, die Keime unserer
guten Wünsche hervorlockt und zur Blüte bringt, unsere
Seele von ihren Unvollkommenheiten reinigt und die
Leidenschaften unseres Herzens auslöscht." So widmete er
ihm jeden Morgen wenigstens eine Stunde; jeden Abend
verband er mit dem Abbeten des Rosenkranzes die
Betrachtung der Geheimnisse, so dass dies ebenfalls eine
Stunde dauerte; und außerdem widmete er alle Augenblicke
des Tages, die er den Geschäften entziehen konnte, der
Betrachtung, die Stunden der Nacht abgerechnet, welche
er sich am Schlafe abbrach, um sie zu verwenden auf
diese heilige Übung, die edelste und nützlichste, welche
den Menschen auf Erden beschäftigen kann.
Er verfuhr
beim Gebete mit derselben Einfachheit, wie bei allen
seinen übrigen Handlungen; er verkehrte da mit dem Herrn
vertraulich und einfach, wie ein Kind mit seinem Vater;
und oft wurde ihm ein einziges Wort, ein einziger
Gedanke, den er zur Betrachtung mitbrachte, ein einziges
Wort des Vaterunser oder des englischen Grußes eine
Quelle süßer und heiliger Empfindungen, welche ihn
während der ganzen Dauer jener Übung beschäftigten. „Wie
ein Tropfen Öl, sagte er, ausgegossen auf eine ganz
ebene und gut geschliffene Tafel, allmählich immer
weiter auseinander fließt, ebenso geht von einem Worte
oder Gedanken, den ich zum Gebete mitbringe, eine ganz
süße, einfache und liebliche Empfindung aus, welche ganz
sachte zunimmt und mein Herz mit einem Balsam
durchduftet, der so köstlich ist, dass ich keinen
Ausdruck dafür finden kann." Zu anderen Malen begab er
sich zum Gebete mit dem einzigen Gedanken, seinem
Vielgeliebten zu gefallen, von ihm zu empfangen, was ihm
gefallen würde in sein Herz auszugießen, oder nichts zu
empfangen, wenn es ihm noch mehr gefalle, ihm nichts
mitzuteilen. „O Gott, sagte er, siehe mich hier vor dir,
das ist mir genug; ich ruhe in dir, ich überlasse mich
dir; ich werde zufrieden sein, wenn sich nur dein Wille
an mir erfüllt. Wohlan denn, meine arme Seele! setzen
wir dem Wirken Gottes kein Hindernis; schließen wir uns
hier ein, ohne uns weder wenig noch viel zu regen. O
meine Seele! man ist nicht immer Herr über dich; o Gott,
halte diesen erbärmlichen Ausreißer auf. O wer wird mir
diese Gnade verleihen außer dir, o mein Jesus!" Diese
Gnade wurde ihm wirklich zuteil; und er selbst sagt uns,
dass er es so weit brachte, nie mehr zerstreut zu sein.
„Wie können Sie mitten unter dem Lärm der Sie umgebenden
Geschäfte ruhig dem Gebete obliegen?" frug
(fragte)
ihn eines Tages einer seiner Freunde. „Dank der
göttlichen Güte, antwortete er, bin ich die ganze Zeit,
während welcher ich mich mit heiligen Betrachtungen
beschäftige, von Zerstreuungen befreit." „Ich weiß
nicht, was ich Unserem Herrn getan habe, sagte er eines
Tages zu einem Kanonikus von Annecy, seine
Barmherzigkeit gegen mich ist unbegreiflich; denn ich
habe mich kaum zum Gebete begeben, so vergesse ich Alles
außer ihm; es kommt mir vor, als ob ich nur für ihn da
wäre."
Der heilige
Bischof beunruhigte sich nicht über die Trockenheit,
welche er bei dieser heiligen Übung empfand. „Wenn unser
Herr, sagte er, mir gute Empfindungen verleiht, so
empfange ich sie in Einfalt mit tiefster Ehrfurcht, mit
der ich das Vertrauen verbinde, indem ich mich ganz
demütig, klein und niedrig vor ihm halte, wie ein
geliebtes Kind. Wenn er mir sie nicht gibt, so denke ich
nicht daran und achte gar nicht darauf, ob ich mich
getröstet oder verlassen fühle." Es gab wirklich eine
Zeit, in der er alles fühlbaren Genusses beraubt war,
indem Gott sein Licht ergoss über den geistigen Teil
seiner Seele, ohne dass der sinnliche und niedere etwas
davon empfand; aber in der Regel gab sein flammendes und
am Ende der Betrachtung gleichsam ganz strahlendes
Antlitz Kunde von den großen inneren Süßigkeiten, die er
gekostet hatte. Eines Tages sahen seine Hausgeistlichen,
als sie an seiner Türe, die er aus Versehen offen
gelassen hatte, vorbeigingen, ihn da stehen mit gegen
Himmel ausgespannten Armen und gleichsam ganz in
Verzückung versunken. Verwirrt darüber, dass er entdeckt
worden war, lief er sogleich zu ihnen und sagte: „Meine
Brüder, wenn Ihr etwas an mir gesehen habt, so beschwöre
ich Euch, nichts davon zu sagen."
Um zu
zeigen, wie weit er in dieser Übung vorangeschritten
war, genügt es, daran zu erinnern, auf eine wie feine
und vollkommene Art er die verschiedenen Stufen des
Gebetes und der Betrachtung beschrieben hat. Man ist in
diesen Dingen nur so weit Meister, als man sie selbst
geübt hat. Er befolgte bei seinem Gebete die gewöhnliche
Weise, und obwohl er zwei oder drei Mal, nachdem er sich
ohne Vorbereitung in die Gegenwart Gottes versetzt
hatte, nach seinem eigenen Ausdrucke „sich in der Nähe
seiner Majestät mit einer bloßen und ganz einfachen
Liebesanmutung äußerst wohl befunden hatte", so wagte er
es dennoch nicht, das zur Gewohnheit werden zu lassen.
„Ich liebe, sagte er mit seiner unvergleichlichen
Offenherzigkeit, die Art der alten Heiligen und der
Einfältigen; ich glaube nicht so viel zu wissen, um
nicht froh zu sein, äußerst froh, unterstützt zu werden,
mich meiner Meinung zu begeben und denen zu folgen, die
mehr wissen als ich." Gegen das Ende seines Lebens,
ließen seine vielen Beschäftigungen ihm zuweilen keine
Zeit, um eine ganze Stunde auf das Gebet zu verwenden;
dann ersetzte er dies durch eine größere Sammlung
während des ganzen Tages und die beständige Vereinigung
mit Gott, so dass er der heiligen Chantal, als diese ihn
frug
(fragte), ob er sein Gebet am Morgen habe
verrichten können, antworten konnte: „Nein, aber ich tue
etwas, was ebenso viel wert ist", das heißt, er suchte
in Allem was er sprach und tat, nur die größere Ehre
Gottes und setzte darin sein höchstes Glück. „O wie
ausgezeichnet ist doch das tätige Gebet!" sagte er eines
Tages zu einem seiner Freunde; und als dieser ihn frug,
was er unter dem tätigen Gebet verstände, antwortete er:
„Das heißt, Alles in der Gegenwart Gottes und zu seiner
Ehre tun."
So war denn
auch die Übung, sich in der Gegenwart Gottes zu halten,
das zweite Mittel, welches er anwandte, um sich zur
Heiligkeit, dem Gegenstande all' seiner Wünsche
(Esprit de St.
Francois de Sales, VII, 2; XIII, 1; XI, 12),
emporzuschwingen. Überzeugt, dass die Zerstreuung, wenn
er ihr den Eintritt in seine Seele gestatte, bald den
guten Samen, welchen die Betrachtungen und Gebete der
Morgenübung hineingelegt hatten, hinwegwehen und
unfruchtbar machen würde, hatte er sich in seinem
Inneren gleichsam einen Tempel erbaut, eine innerliche
Einöde, die er das Heiligtum Gottes nannte, und in den
nichts eintreten durfte, als nur Gott und die Seele
(Dom Jean de
St. Francois, p. 461).
Dahin hatten die Neuigkeiten, welche zerstreuen und den
Geist beschäftigen, so wenig Zutritt, dass er zu einem
seiner Freunde sagte: ,,Ich beschäftige mich nie mit
weltlichen Dingen, noch spreche ich von ihnen außer bei
unfreiwilliger Zerstreuung
(Nach de Lullin)";
da betrachtete er, gleichsam vertieft in das Meer der
göttlichen Vollkommenheiten, Gott bald als seinen Herrn,
seinen König und Richter, und warf sich ihm im Geiste zu
Füßen; bald erblickte er in ihm seinen Vater, seinen
Freund und Wohltäter, und ermunterte sich, ihn immer
mehr zu lieben; und noch häufiger schmiegte er sich an
ihn an als sein Alles, im Vergleiche zu dem alles Übrige
nichts ist und für nichts gehalten werden muss. War er
allein, so kostete er Gott ganz nach Lust; war er mit
Geschäften überhäuft oder von Personen umgeben, die mit
ihm sprechen wollten, so erhielt er sich in der
Vereinigung mit Gott durch häufige Erhebungen des
Geistes und Herzens zu ihm. „Es ist unglaublich, schrieb
er der heiligen Chantal
(Brief 642),
wie sehr ich von allen Seiten durch die Geschäfte in
Anspruch genommen bin; aber dennoch hatte mein armes,
elendes Herz nie mehr Ruhe und Sehnsucht nach der Liebe
der göttlichen Majestät." Niemals, sagt einer seiner
Lebensbeschreiber
(M. De Cambis, I, p.
401),
verursachten seine fortwährenden äußeren Beschäftigungen
ihm die geringste Zerstreuung. Seine bloße Haltung
verriet, dass er, während er mit den Menschen sprach,
mit den Engeln verkehrte und an die Gegenwart Gottes
dachte. „Ihre Augen haften sehr am Boden, sagte einst
eine Schwester von der Heimsuchung zu ihm, wenn Sie
durch die Stadt gehen." -- „Ja, meine Tochter, erwiderte
der Heilige, könnte man denn ohne das in der Gegenwart
Gottes wandeln?" --- „Ist es wahr, frug ihn eine andere
Schwester, dass Sie während des Gespräche mit den
Menschen sich in der Gegenwart Gottes befinden?" ---
„Ist Gott nicht überall, erwiderte er lächelnd, und muss
man nicht unaufhörlich an ihn denken
(Vie de Ste. Chantal,
par M. l' Abbe Bougaud, I, 352)?"
So entzog die Liebe, welche ihn zwang, sich nach außen
mitzuteilen, ihm nichts von der inneren Sammlung, zu der
es nur die strengste Frömmigkeit bringt; und dennoch
hatte diese Sammlung nichts Düsteres und Trauriges; auf
seinem Antlitze lag stets eine ruhige Heiterkeit, die
der Unterhaltung mit ihm einen unendlichen Reiz verlieh,
während die heilige Gegenwart Gottes seine Tugenden
gewissermaßen mit einem helleren Glanze umkleidete,
gleichwie das Erscheinen der Sonne die Farbenpracht der
Blumen erhöht
(P. la Riviere, p. 360).
„Wenn ich das Glück hatte, in sein in der Nähe seines
Oratoriums
(Bethaus)
befindliches Zimmer zu kommen, sagt ein Zeuge bei dem
Prozesse seiner Heiligsprechung, fand ich ihn immer
dermaßen mit Gott und den himmlischen Dingen
beschäftigt, dass nichts ihn davon abziehen konnte
(Nach
Dumartray)."
-- „Ich habe oft an seinem Tische gegessen, sagt ein
Anderer, ich habe häufig mit ihm verkehrt, und kann
beteuern, nie aus seinem Munde irgend ein Wort gehört zu
haben, welches nicht über Gott handelte und mit
unvergleichlicher Anmut zur Liebe Gottes anregte
(Nach Gard, de
Marriguier etc.)."
Die heilige Chantal frug ihn einst, ob es vorkomme, dass
er lange nicht an Gott denke: „Zuweilen fast eine
Viertelstunde", war die Antwort.
Jeden Morgen
bei dem Gebete trat er ein in diese heilige Stille
innerer Sammlung, und dann ergoss sich sein Gebet über
alle seine Handlungen im Laufe des Tages, so dass nichts
mehr in der Welt ihn jener süßen Vereinigung mit seinem
Gotte entziehen konnte, wie er selbst in einem seiner
Briefe sagt: „Mein Zimmer ist voll von Leuten, welche an
mir ziehen und zerren, aber mein Herz ist dennoch einsam
(Brief 854)." Daher kam es oft, dass er, wenn er nach
Beendigung der Geschäfte und Unterhaltungen, welche am
meisten geeignet sind, die Seele zu zerstreuen, ohne
irgend eine Vorbereitung zu beten anfing, sich plötzlich
von der Gegenwart Gottes ergriffen und innerlich
gesammelt fühlte. So pünktlich übte er, was er in seiner
„Philothea" lehrt: „Die innerliche Einsamkeit, sagt er
darin, lässt sich durch die Menge derer, die um uns
herum sind, nicht stören; denn unser Herz ist ja nicht
von ihnen umgeben, sondern unser Leib, so dass unser
Herz stets einsam und allein in der Gegenwart Gottes
verweilen kann." Und das nannte er sein Paradies auf
Erden: „O wie glücklich, rief er aus, ist die Seele,
welche in der Stille ihres Herzens voll Liebe das
heilige Gefühl der Gegenwart Gottes bewahrt! Denn ihre
Vereinigung mit der göttlichen Güte wird ihr ganzes
Innere mit einer unendlichen Süßigkeit erfüllen .... Und
weshalb sollte die in Gott gesammelte Seele sich
beunruhigen? fügt er hinzu; hat sie nicht allen Grund,
ruhig zu bleiben? Denn was sollte sie noch suchen, da
sie den gefunden hat, welchen sie suchte? Sie kann ja
nun ausrufen: Ich habe den gefunden, welchen meine Seele
liebt, und will ihn nimmer lassen."
Er pflegte
zu sagen, die meisten Fehler, welche man begeht, kämen
daher, dass man sich nicht genug an die Gegenwart Gottes
halte (P. La
Riviere, IV, 45);
und darum nahm er, um sich in dieser heiligen Übung,
welche er den Schutzengel der Reinheit und Unschuld
nannte, zu vervollkommnen, seine Zuflucht zu mehreren
heiligen Kunstgriffen. Wenn er allein war in seinem
Zimmer, dann sang er leise, gleichsam zur geistlichen
Erholung, Psalmen, Hymnen und Lieder, die auf die Zeiten
und Geheimnisse passten, welche die Kirche feierte, „und
er tat dies, sagt ein Zeuge, in so ehrfurchtsvollem
Tone, dass man wohl sah, wie Herz und Gemüt voll waren
von den Gefühlen, denen er durch seine Worte Ausdruck
lieh." Wenn er studierte, so betete er die im Buchstaben
verborgene Wahrheit an, und sein Studium war ein Gebet,
welches die Sammlung des Geistes erhielt. Wenn er mit
Anderen sprach, so wusste er überall Bemerkungen
anzubringen, die geeignet waren, zur Tugend und Liebe
Gottes zu führen
(Nach Paul Berard).
„Wenn die Welt uns Neuigkeiten bringt, sagte er, so
müssen wir ihr auch solche mitteilen, aber Neuigkeiten
auf der anderen Welt
(Brief 738)."
Wo er schöne Felder sah, sagte er: „Wir sind der Acker
des Herrn, den wir bebauen und mit dem Samenkorn seines
Wortes besäen müssen." Sah er eine Kirche: „Wir sind die
lebendigen Tempel des heiligen Geistes, die wir mit
Tugenden schmücken müssen." Beim Anblicke eines
blühenden Baumes: „Nicht nur Blüten, sondern auch
Früchte fordert Gott von uns." Schöne Gemälde erinnerten
ihn daran, dass die Seele ein Bild Gottes ist und ihm
ähnlich werden muss; Gärten, dass unsere Seele, wenn wir
sie mit Früchten der Tugend schmücken, für Gott ein
Wonnegarten ist. Beim Anblick eines Brunnens seufzte er:
„Ach, wann werden wir in vollen Zügen trinken aus den
Quellen des Heilandes?" Wenn er einen Fluss sah: „Wann
werden wir zu Gott eilen, wie die Wasser ins Meer?" Ein
Lamm stellte ihm die Sanftmut Jesu Christi vor. In den
Armen sah er die teuren Glieder des Heilandes, in den
Priestern seine Diener, und so diente ihm die ganze
Natur als Leiter, um sich zu Gott zu erheben und sich
mit dem zu vereinigen, der die einzige Liebe seines
Herzens war
(Geist des h. Franz v. Sales, IV, 26; XVI, 31).
Ein anderes
Mittel zur Belebung seiner Frömmigkeit war, sich Gott
gegenüber vorzukommen wie ein Kind in Gesellschaft
seines Vaters: „Macht es, sagt er mit einer hinreißenden
Einfalt (Geist
des h. Franz v. Sales, XVI, 45),
wie die kleinen Kinder, welche mit der einen Hand sich
an ihren Vater klammern, und mit der anderen Erdbeeren
oder Brombeeren an den Hecken pflücken. Ebenso haltet
euch, während ihr mit der einen Hand die Güter dieser
Welt ergreifet, mit der anderen immer an den himmlischen
Vater, und kehret von Zeit zu Zeit zu ihm zurück, um zu
sehen, ob ihm eure Arbeiten angenehm sind. Unter den
Geschäften, welche keine besondere Aufmerksamkeit
fordern, blicket mitunter wenigstens auf zu Gott, wie
die Schiffer, welche, um ans ersehnte Land zu kommen,
zum Himmel aufblicken.
In der
Gegenwart Gottes suchte der Heilige selbst den Schlaf zu
genießen. „Wir müssen Gott immer und überall vor Augen
haben, sagte er
(Nach Paul Berard),
mögen wir allein sein oder in Gesellschaft, selbst
während des Schlafes sollen wir ihn sehen, mit dem
Gedanken an ihn züchtig uns niederlegen, wie es der tun
würde, dem unser Herr, lebte er noch auf Erden, gebieten
würde zu schlafen und zu ruhen in seiner Gegenwart: O
mein Gott! mit welcher Sittsamkeit und Andacht würden
wir uns niederlegen, wenn wir an dich dächten. Ohne
Zweifel würden wir unsere Arme über der Brust kreuzen
mit inniger Andacht."
Aber dieses
Leben des Gebetes und der Sammlung genügte noch
keineswegs seinem großen Verlangen nach Vollkommenheit.
Aus Furcht, das Geräusch der Welt und die Menge seiner
Beschäftigungen möchten sein Herz zu sehr veräußerlichen
und seiner Tugend Schaden bringen, widmete er
alljährlich zehn Tage geistlichen Übungen, um, wie er
sagte, seiner armen, von Geschähen stürmisch umwogten
Seele einige Ruhe zu verschaffen. Das geschah gewöhnlich
zwischen Ostern und Pfingsten und meistens machte er
noch eine zweite Retraite
(Rückzug,
Einkehrtag für Exerzitien)
zu einer anderen Zeit. In diesen Tagen tiefster Sammlung
las er die in der vorhergehenden Retraite gefassten
Vorsätze wieder und die Tagesordnung, die er sich schon
in den geistlichen Übungen, die seiner Weihe
vorangingen, entworfen hatte. Er zeichnete sich genau
die Punkte auf, in welchen er gefehlt hatte, beichtete
sie seinem Gewissens-Rate, besprach sich mit ihm über
die Art und Weise, seine geringsten Unvollkommenheiten
abzulegen, und fasste neue Vorsätze, die er viel mehr in
sein Herz niederschrieb, als auf das Papier. Er betete
dann lange, ließ das heilige Opfer darbringen an
verschiedenen Orten und feierte es selbst, um von Oben
die zu seiner und seines Volkes Leitung nötigen Gnaden
zu erlangen.
Das sind die
drei Mittel, durch welche Franz von Sales sich zu einer
so hohen Vollkommenheit emporgeschwungen hat; das sind,
um mich so auszudrücken, die Prinzipien, die seine
Heiligkeit erzeugt haben. Wir werden nun seine Tugenden
im Einzelnen schildern; und mit einigem Nachdenken wird
es uns leicht werden, einzusehen, wie sie aus diesen
Prinzipien entstehen, gleichwie der Bach hervorkommt aus
seiner Quelle, der Strahl aus seinem Brennpunkt, die
Pflanze auf ihrer Wurzel.
Drittes
Kapitel.
Sein Glaube.
Wie lebendig der Glaube
des heiligen Franz gewesen, können wir bemessen nach
dem, was wir in dem vorigen Kapitel über seine innige
Vereinigung mit Gott gesagt haben. Erleuchtet durch ein
übernatürliches Licht in Folge dieses beständigen
Verkehrs mit Gott, setzte er, um mich so auszudrücken,
seinen Ruhm darein, seinen Verstand und sein Herz zu
verdemütigen vor der Wahrhaftigkeit Gottes, der uns
offenbart, was wir glauben sollen, und vor der Autorität
der Kirche, welche die göttliche Offenbarung erklärt.
Diese Unterwerfung seines Verstandes machte ihm nicht
die geringste Schwierigkeit, es verursachte ihm im
Gegenteil eine unbeschreibliche Freude, der
Unbeständigkeit und der Finsternis seines eigenen
Geistes nicht überlassen zu sein und in seinem Glauben
durch die unfehlbare Autorität der Kirche geleitet zu
werden. „Ich fühle, sagte er zur heiligen Chantal
(Nach de Chaugy),
in mir eine solche Begeisterung für den Glauben, dass
ich mein ganzes Leben gewünscht habe, für ihn zu
sterben; und das war es, was mich verschiedene Male nach
Genf unter die Irrgläubigen geführt hat, die mir nach
dem Leben trachteten." Auch konnte weder das Lesen der
ketzerischen Bücher, die er studierte, um sie zu
widerlegen, noch der häufige Verkehr mit den Ketzern
selbst, unter denen er lebte, um sie zu bekehren, seinem
Glauben irgend welchen Schaden bringen. Darin sah er
eine Wohltat des Himmels, für welche er ihm oft dankte
mit einem von Erkenntlichkeit tief durchdrungenen
Herzen. „Welchen Dank schulde ich Gott dafür, sagte er,
dass mein schwacher, unerfahrener Geist diese
verpesteten, ketzerischen Bücher hat durchlesen können,
ohne dass das darin enthaltene Böse den geringsten
Eindruck in mir zurückließ. O Gott! wenn ich an diese
Wohltat denke, so zittere ich vor Abscheu über meine
Undankbarkeit (Brief 184. –
Geist des h. Franz v. Sales, XVIII, 50)."
– „Danken Sie, sagt er anderswo
(Brief 288. – Nach der h. Chantal,
art. 24), der
göttlichen Weisheit, welche so mild die Strahlen ihres
Lichtes in mein Herz sendet, dass ich immer deutlicher
ihre Größe und liebenswürdige Güte erkenne, je länger
ich unter denen lebe, die dieser Erkenntnis beraubt
sind." Sein Glaube schien in der Tat immer zuzunehmen.
„Es genügte, ihn zu besuchen, sagt die heilige Chantal,
um zu erkennen, dass Gott ihm die Gabe des Glaubens in
einem ausgezeichneten Grade verliehen, dass er ihm über
Geheimnisse unseres Glaubens, über den Sinn der heiligen
Schriften und die wahre Lehre der Kirche eine ganz
außerordentliche Erleuchtung hatte zuteil werden
lassen." Der heilige Geist hatte ein so klares Licht in
seiner Seele verbreitet, dass er mit einem einfachen
Blick ganz sicher die Wahrheiten des Glaubens erkannte
und dadurch mit einer so unbeschreiblichen Wonne erfüllt
wurde, dass sein Inneres davon entbrannte und in
Verzückung geriet, und dass Geist und Herz sich gänzlich
versenkten in die Schönheit der Wahrheiten, die ihm
waren gezeigt worden. Lassen wir ihn selbst sich darüber
äußern: „O Gott, schreibt er
(Traite de l'amour de Dieu, liv.
VII et XII) ),
meine Seele findet nichts Schwieriges darin, die
göttlichen Liebestaten zu glauben. Die Schönheit unseres
heiligen Glaubens scheint mir so hinreißend, dass ich
vor Liebe sterbe, und dass es mir vorkommt, als müsse
ich das kostbare Geschenk, das mir Gott gegeben hat, in
einem ganz von Andacht duftenden Herzen fest umschließen
(Brief 288. – Geist des h.
Franz v. Sales. XVI, 8).
Wenn unser Geist, emporgehoben über das natürliche
Licht, anfängt, die hohen Wahrheiten des Glaubens zu
schauen, welche ein Jubel ist das! Die Seele vergeht vor
Wonne, wenn sie die Stimme ihres himmlischen Bräutigams
vernimmt, welche sie süßer findet als den Honig aller
menschlichen Wissenschaft, oder wenn sie sein Angesicht
schaut, obwohl es sich ihr nicht im vollen Tagesglanze
seiner Herrlichkeit, sondern nur im schwachen Schimmer
der Dämmerung zeigt. ... O wie wonnig ist für die Seele
das heilige Licht des Glaubens, welches ihr mit
unfehlbarer Gewissheit nicht nur den Ursprung und die
Bestimmung der Geschöpfe, sondern auch die Geburt des
göttlichen Wortes zeigt, welches mit dem Vater und dem
heiligen Geiste der eine wahre Gort ist, gebenedeit und
hochgelobt in Ewigkeit. Plato, der gelehrte Plato, hat
davon nichts gewusst, dem beredten Demosthenes war dies
unbekannt. Hoc doctus Plato nescivit,, hoc Demosthenes
eloquens ignoravit (S.
Hieronymus, II ad Paulin., col. 570, ed. Bened. , t. IV).
Als jene Glücklichen, die nach Emmaus gingen, die Worte
des Glaubens hörten, da sprachen sie: Brannte nicht
unser Herz in uns, während er auf dem Wege mit uns
redete? Nun, wenn die göttlichen Wahrheiten uns schon so
große Süßigkeiten kosten lassen, während sie nur erst im
dunklen Lichte des Glaubens vorgestellt werden: o Gott,
was wird es dann erst sein, wenn wir sie in der vollen
Klarheit ihrer Herrlichkeit schauen? Als die Königin von
Saba die Worte der Weisheit aus Salomon's Munde
vernommen, da rief sie aus, das, was sie über seine
Weisheit gehört, sei nicht einmal die Hälfte von dem,
was sie nun aus eigener Erfahrung wisse. Wenn wir nun
einst zum himmlischen Jerusalem kommen und der König der
Herrlichkeit uns in unbeschreiblicher Klarheit die
Wunder seiner göttlichen Wahrheit offenbaren wird, wenn
wir dann unverhüllt schauen, was wir hienieden geglaubt;
o dann, welche Wonne, welches Entzücken, welches
Staunen, welche Liebe, welche Süßigkeiten! Nein,
niemals, werden wir alsdann im Fluge unserer
Begeisterung sagen, nie hatten wir gedacht, so selige
Dinge zu schauen (Traite de
l'amour de Dieu, III. liv., ch. IX.)."
Bei einem solchen Glauben begreift man, was jene
berichten, die beim Prozesse seiner Heiligsprechung
Zeugnis abgelegt haben. „Er hatte, sagen sie, eine
besondere Gabe, die tiefsten Geheimnisse zu erklären und
verständlich zu machen, und entwickelte sie mit einer
Leichtigkeit und Anmut, dass auch die einfachsten Leute
es ohne Mühe verstanden
(Nach Paffis). Ganz besonders
wusste er die irre gegangenen Seelen zum Glauben
zurückzuführen, die schwankenden Geister zu befestigen,
jene Personen zu trösten und zu beruhigen, denen die
Tiefe der Geheimnisse Versuchungen bereitete
(Nach de Chaugy).
Je dunkler es irgendwo für die Vernunft ist, sagte er,
um so heller leuchtet da der Glaube. Aber im
Allgemeinen, lehrte er, müsse man die Versuchungen gegen
den Glauben nicht durch Kampf und Nachdenken, sondern
durch die Flucht überwinden; man solle es machen wie die
Verteidiger einer belagerten Festung. Wie diese, wenn
der Feind einen Punkt angreift und daselbst die
Sturmleitern anlegt, zu einem anderen Tore hinaus einen
Ausfall machen und den Feind im Rücken angreifen; so
müsse man, wenn eine Versuchung gegen den Glauben den
Verstand bestürmt und sich desselben bemächtigen will,
sich hüten vor Streit und Nachdenken, und anstatt dessen
gleichsam durch das Tor des Willens einen Ausfall machen
und die Versuchung mutig bekämpfen durch heilige
Anmutungen und die demütige Unterwerfung unter die
Autorität der Kirche, etwa mit folgenden Worten: „Es
lebe Jesus, an den ich glaube! es lebe die heilige
Kirche, der ich anhange! O Mutter der Kinder Gottes, nie
werde ich mich von dir trennen, in deinem Schoße will
ich sterben (Nach de
Charmoisy. – Brief 68)
."
Zur Stärkung im Glauben,
sagte er, kenne er kein besseres Mittel, als im Lichte
des Glaubens zu wandeln und ein Leben des Glaubens zu
führen. „Wenn du etwas Wichtiges zu tun hast, sagte er,
so gehe nicht daran, bevor du an die Ewigkeit gedacht
hast." Es war dies einer von seinen Grundsätzen, sagt
der Bischof von Belley, man müsse dem Geiste des
Glaubens gemäß vor Gott wandeln, und nicht dem
Menschenverstande gemäß, das heißt, der Glaube müsse die
Richtschnur unserer Worte, Werke und Wünsche sein. Von
ihm müssten wir uns stets leiten lassen, wie die
Israeliten in der Wüste der Säule folgten, welche ihnen
voranzog, in allem müssten wir die Grundsätze des
Evangeliums befolgen und das Beispiel Jesu Christi und
der Heiligen nachahmen. Man dürfe sich nicht dadurch
bestimmen lassen, etwas zu tun, weil man Neigung dazu
hat, und nicht deshalb etwas unterlassen, weil man
Widerwillen dagegen empfindet; denn das sei kein Leben
des Glaubens, das nenne er ein Leben nach dem Fleische
und den Sinnen. „Wenn ich, pflegte er zu sagen
(Brief 701),
eine Person von sanftem, angenehmem Charakter nur
deshalb liebe, weil sie mich liebt und mir Dienste
erweist, so ist dies eine fleischliche und sinnliche
Liebe; denn auch die Tiere, welche keinen anderen Führer
haben, als das Fleisch und die Sinne, lieben ihre
Wohltäter und diejenigen, welche sie sanft und
freundlich behandeln. Wenn ich aber gegen eine Person,
die ungebildet, grob und unhöflich ist, zuvorkommend und
freundlich bin und ihr Dienste erweise, nicht weil es
mir gefällt, sondern weil es Gott gefällt, dann handle
ich im Geiste des Glaubens. Wer nicht sprechen will,
wenn er traurig ist, der macht es wie die Papageien. Wer
dagegen spricht, selbst wenn er nicht aufgelegt ist,
weil die Nächstenliebe es fordert, der lebt nach dem
Glauben. Wer sich ärgert, wenn er verachtet wird, der
macht es wie die Pfauen und Affen, wer sich aber freut
über die Verachtung, der ahmt die Apostel nach. Nach dem
Glauben leben heißt also so viel als handeln, reden,
denken, wie der Geist des Glaubens es von uns fordert.
Der Geist des Glaubens gibt der Seele Mut in schwierigen
Lagen, weil er sie lehrt, dass Gott die Unglücklichen,
welche auf ihn hoffen, liebt und sie aufrecht hält und
ihnen hilft. Die gläubige Seele schließt sich fest an
Gott an und sagt oft: Alles, was nicht Gott, ist nichts;
Alles, was nicht für die Ewigkeit nützt, ist eitel
(Nach Janus. – Geist des h.
Franz v. Sales, X, 12 und 13)".
In der Tat hielt der
heilige Bischof denn auch sein Augenmerk stets auf sein
Inneres gerichtet, um immerfort darin das Leben des
Glaubens zu unterhalten. Einer seiner Lebensbeschreiber
spricht sich darüber folgendermaßen aus: „Diejenigen,
welche lange Zeit Umgang mit ihm gehabt
(P. la Riviere, p. 554 et 582),
haben bemerkt, dass er in keinem Stücke seinen
natürlichen Neigungen folgte; wenn diese sich
vordrängten, dann trat er sie mit Füßen, ohne Rücksicht
auf sie zu nehmen, um bei seinen Worten und Werken nur
auf Gott zu sehen. Wir dürfen, pflegte er zu sagen,
unser Herz, unsere Augen, unsere Worte nicht zur
Befriedigung unserer Launen und Neigungen, sondern nur
zum Dienste des himmlischen Bräutigams gebrauchen. So
war denn auch bei allen seinen Werken, den
gewöhnlichsten wie den bedeutungsvollsten, sein Glaube
tätig; sehr häufig erweckte er dabei die Meinung, Gott
zu gefallen, und ein inniges Verlangen, die Sache so
viel als möglich nur aus reiner Liebe zum Heilande zu
tun. Unaufhörlich erhob sich sein Herz zu Ihm
vermittelst heiliger Stoßgebete und inniger Anmutungen.
Seine Sammlung war so groß, dass er stets alles kannte,
was in seiner Seele vorging; es geschah nichts darin
(Ebendas., p. 511),
es unterblieb nichts, ohne dass er sich Rechenschaft
darüber gab. In Folge dieser klaren Erkenntnis seines
Inneren besaß er eine so große Zartheit des Gewissens,
dass er nicht nur keine Sünde beging, sondern auch immer
das Vollkommenere dem minder Vollkommenen vorzog.
Viertes
Kapitel.
Seine Hoffnung.
Die christliche Hoffnung
schließt ein Zweifaches in sich; erstens verlangt sie
nach dem Besitze Gottes im Himmel und rechnet auf die
Hilfe von Oben zur Erlangung dieses Glückes; zweitens
ruht sie im Schoße der göttlichen Vorsehung mit
kindlicher Hingebung mitten in den Ereignissen des
Lebens. In der ersteren Hinsicht ist sie die christliche
Hoffnung im engeren Sinne des Wortes; in der zweiten
Hinsicht ist sie die Hoffnung im weiteren Sinne oder das
Vertrauen auf Gott. Franz von Sales hat sich in beiden
Beziehungen in dieser Tugend ausgezeichnet.
Diese Erde nur als
Verbannungsort betrachtend, verlangte er stets mit
ganzer Seele nach den Gütern des zukünftigen Lebens und
pflegte oft die Worte des Propheten zu wiederholen:
„Wehe mir, dass mein Aufenthalt in der Fremde sich
verlängert! Gar lange schon fühlt meine Seele sich
fremd. Heu mihi, quia incolatus meus prolomgatus est!
Multum incola fuit anima mea
(Psalm 119, 5.)"
Als er einst wieder vor dem Bischof von Belley
(Geist des h. Franz von Sales, II,
3.) diesen frommen
Seufzer aussprach, da meinte dieser, er wolle eine
Anspielung auf seine Verbannung aus Genf machen und
antwortete ihm mit den Worten der fern von Jerusalem in
der Verbannung weilenden Juden: „An den Flüssen Babels
saßen wir und weinten, wenn wir Sions gedachten: Super
flumina Babylonis illic sedimuset flevimus, cum
recordaremur Sion (Psalm
136, 1.). – „O
nein, versetzte er darauf, diese Verbannung schmerzt
mich nicht; habe ich es denn nicht gut, eigentlich zu
gut, in meinem Asyl, dem lieben Annecy? Die Verbannung,
die ich meine, ist die Verbannung dieses Lebens. Sind
wir nicht fern von Gott und aus dem Vaterlande verbannt,
so lange wir hienieden weilen? O ich Unglücklicher, wer
wird mich von diesem Leibe des Todes befreien!"
„Sie haben Unrecht, sagte
hierauf der Bischof von Belley, wenn Sie klagen über
dieses Leben, in dem alles Sie anlächelt, das für Sie
nur ein Fest ist; Ihre Feinde achten Sie und selbst die
Feinde der Religion ehren Sie; Sie sind die Wonne Aller,
welche Sie besuchen."
„Alles dies, erwiderte
der heilige Bischof, ist sehr wenig und darauf darf man
nur ein geringes Vertrauen setzen. Diejenigen, welche
Hosianna sangen dem Sohne Davids, schrien drei Tage
nachher: Kreuzige ihn! Crucifige! Übrigens ist nichts
mir so lieb als meine Seele, und wenn man mir anböte,
noch so lange zu leben, als ich schon gelebt, mit allem
Glück und allen Annehmlichkeiten, die man sich in diesem
Leben wünschen kann, was wäre all' dieses Vergängliche
im Vergleich zur Ewigkeit?" - „O wie sehr, schrieb er an
die heilige Chantal (Brief
854), verdient die
Ewigkeit ersehnt zu werden, anstatt des armseligen
wechselvollen Daseins hienieden! Tag für Tag erschöpft
sich meine Seele in der Verehrung und Liebe der ewigen
Dinge. Lassen wir verfließen die Zeit, mit der auch wir
nach und nach hingehen, um verwandelt zu werden in die
Herrlichkeit der Kinder Gottes. O wie verdient die
Ewigkeit unvergleichlich mehr geliebt zu werden, weil
ihre Dauer ohne Ende, ihre Tage ohne Nacht, ihre Freuden
ohne Wechsel sind (Brief
855)! Wer nach der
Ewigkeit trachtet, muss die Widerwärtigkeiten dieses
Lebens, die nur wenige und kurze Augenblicke dauern,
leicht finden (Brief 884
und 887). Wenn wir
sehen, wie die Welt und ihre falschen Güter vor unseren
Augen vergehen, so lasset uns daraus erkennen, dass wir
Unrecht haben, wenn wir unser Herz daran heften und
unser Glück anderswo suchen, als in Gott und der
Ewigkeit."
Mit dieser Hoffnung auf
die Ewigkeit tröstete er alle diejenigen, welche in
Gefahr waren, einen der Ihrigen zu verlieren oder
dieselben schon verloren hatten: „O, schrieb er an eine
Mutter, deren Kind in Gefahr schwebte
(Brief 707),
wenn wir tief durchdrungen wären von dem Gedanken an die
heilige, glückselige Ewigkeit, dann würden wir zu
unseren Freunden sagen: Gehet hin, meine teuren Freunde,
gehet hin zu dem höchsten Wesen, in der Stunde, die der
König der Ewigkeit für Euch bestimmt hat; wir werden
Euch dahin nachfolgen, und wir werden alles Mögliche
tun, um uns dessen würdig zu machen, weil uns die Zeit
nur dazu gegeben ist und weil die Erde sich nur
bevölkert, damit der Himmel bevölkert werde." -- „Ja,
wahrhaftig, sagte er einst
(Nach der h. Chantal, art. 25.),
es ist gut, dass unsere Freunde in ein besseres Leben
hinübergehen, weil sie es tun, um den Himmel zu
bevölkern und zur größeren Ehre unseres Königs; dereinst
werden wir uns wieder mit ihnen vereinigen, und in
Erwartung dessen wollen wir mit Eifer das Lied der
himmlischen Liebe lernen, damit wir es in der Ewigkeit
mit größerer Vollkommenheit singen können. Glückselig
diejenigen, welche ihr Vertrauen nicht auf das
gegenwärtige Leben setzen und es nur als ein Brett
betrachten, auf dem man ins himmlische Leben
hinübergeht." -- „Es gibt niemanden, pflegte er auch zu
sagen (Brief 834, 935, 836,
837, 838, 840),
dessen Herz empfänglicher ist für die Freundschaft als
ich, und der die Trennung von den Freunden schmerzlicher
empfindet als ich; nichtsdestoweniger halte ich dieses
Leben für so eitel und wertlos, dass ich mich nie mit
mehr Liebe zu Gott wende, als wenn er mich geschlagen
hat. Man muss sein Herz erheben, in edlen und hohen
Gedanken leben, an die heilige Vorsehung sich hingeben,
die unsere sterblichen Augenblicke uns nur gegeben für
das ewige Leben. Den Tod soll man nur Ansehen als das
Tor zur Ewigkeit, wo man die auf dieser Welt
angefangenen Freundschaften wieder fortsetzt, um nie
mehr auseinandergerissen zu werden. Warten wir mutig ab,
bis die Stunde unserer Abreise schlägt, um dahin zu
gehen, wo unsere Freunde schon längst angekommen sind.
Ich verwehre es Ihnen nicht, zu weinen; unser Heiland
hat sehr geweint über den Lazarus, und ich weine
wahrhaftig auch viel bei solchen Gelegenheiten. Mein
Herz, das von Stein ist für die himmlischen Dinge,
vergießt Ströme von Tränen über so etwas; aber ich
verlange, dass Sie nicht maßlos weinen, und dass Sie
zeigen, dass Sie die Ewigkeit dem Scheine und Trugbilde
dieser Welt vorziehen."
„Wir müssen die Eisvögel
nachahmen (Brief 152),
welche, wie einige Schriftsteller berichten, ihr Nest
mitten auf dem Meere bauen und das Gleichgewicht so gut
herstellen, dass die Wellen dasselbe nicht umwerfen
können, die unteren Teile so fest zusammenfügen, dass
das Wasser nicht eindringen kann, und nur nach dem
Himmel zu eine Öffnung lassen zum Atmen und liegen. O
möchte so unser Herz fest für die Welt verschlossen und
verklebt sein, damit es nicht versinke in die Liebe zu
den irdischen Dingen! O möchte sich in demselben keine
andere Öffnung befinden, als nach dem Himmel zu, um sich
zu Unserem Heilande zu erheben und von seiner Gnade zu
leben! O wann wird es dahin kommen, dass wir, mitten in
der Welt und im Fleische, dennoch nur vom Geiste leben;
dass wir, umgeben von den Eitelkeiten der Welt, dennoch
immer zum Himmel aufblicken; dass wir, obgleich unter
Menschen lebend, nicht aufhoben, Gott zu loben wie die
Engel? O wann wird unsere Hoffnung nur mehr auf das
Paradies gerichtet sein? Wann wird uns die göttliche
Liebe verzehren und bewirken, dass wir uns selbst
gänzlich absterben, um ganz und gar für Gott zu leben!"
Während der heilige
Bischof so innig nach dem Besitze Gottes im Himmel
verlangte, bekannte er doch zugleich von Grund seines
Herzens, dass er in Hinsicht auf seine Armseligkeit
nichts als die Hölle verdiene; aber voll demütigen
Vertrauens auf die Barmherzigkeit Gottes und die
Verdienste Jesu Christi hoffte er fest, einst das Glück
der Auserwählten zu teilen
(Nach der h. Chantal, art. 25.).
„Was sollte unser Heiland, sagte er
(Geist des h. Franz von Sales, XV,
15 und 30.), mit
seinem ewigen Leben tun, wenn er es nicht uns armen,
geringen, elenden Geschöpfen gäbe, die wir nur auf seine
höchste Güte hoffen. Gott sei Dank! Ich besitze im
Grunde meines Herzens dieses ganz feste Vertrauen, dass
wir ewig mit Gott leben werden, dass wir einst im Himmel
beisammen sein werden. Wir müssen Mut fassen, bald schon
werden wir droben im Himmel sein. O mein Gott, welchen
Trost finde ich in der festen Zuversicht, dass mein Herz
ewig versenkt sein wird in die Liebe des Herzens Jesu!
Möge die Vorsehung uns führen, wohin es ihm gefällt, was
liegt daran? Das Herz Jesu ist ja der Hafen, in den wir
einlaufen werden (Brief
828)."
Ein Edelmann, den die Furcht vor dem Tode und dem
göttlichen Gerichte in eine tiefe Traurigkeit versetzt
hatte, fragte ihn eines Tages um Rat. Da sprach er zu
ihm: „Ach, das ist eine außerordentliche Qual. Meine
Seele hat sie sechs Wochen hindurch gelitten und ist
wohl im Stande, Mitleid zu haben mit denen, welche davon
ergriffen sind; aber ich muss mit Ihnen reden, wie es
mir um's Herz ist, und Ihnen sagen, dass Jeder, welcher
ein wahres Verlangen hat, Unserem Heiland zu dienen und
die Sünde zu fliehen, sich keineswegs beunruhigen soll
bei dem Gedanken an den Tod und das Gericht. Wenn man
auch beides fürchten soll, so darf das doch nicht
geschehen mit jener Furcht, die die Kraft der Seele
lähmt und niederhält, sondern mit einer Furcht, die mit
Vertrauen verbunden und dadurch gemäßigt ist; Gott wird
uns helfen, wenn wir ihn darum bitten. Weil Sie
wünschen, ganz Gott anzugehören, so hoffen Sie auf ihn;
wer auf ihn hofft, wird nicht zu Schanden werden." Von
diesen Empfindungen erfüllt, sagte er einst zum Bischof
von Belley in seiner einfachen und kindlichen Redeweise,
man müsse zwischen zwei Kissen sterben; das eine sei das
demütige Bekenntnis, dass wir nur die Hölle verdienen,
das andere das ganz feste Vertrauen, dass Gott in seiner
Barmherzigkeit uns das Paradies geben werde." Und ein
anderes Mal sagte er zur heiligen Chantal, als diese
todkrank darniederlag: „Legen Sie Ihr Haupt zu den Füßen
des Kreuzes und bleiben Sie daselbst voll Demut und
Vertrauen liegen, um die Verdienste des Blutes, das von
dem Kreuze herabfließt, aufzunehmen." Diese feste
Hoffnung auf den Himmel war es, die ihn ermutigte bei
den großen Mühen und unermesslichen Arbeiten seines
bischöflichen Amtes. „Die Größe dessen, was wir im
ewigen Leben hoffen, sagte er, muss uns alle Ereignisse
dieses zeitlichen Lebens fast unbedeutend erscheinen
lassen;" oft auch pflegte er folgende Verse zu
wiederholen und anderen einzuprägen:
A cause des biens que
j'attends
Les travaux me sont passe temps.
Aufgrund der
Güter, die ich erwarte,
sind mir die Arbeiten Zeitvertreib.
Nicht weniger
bewundernswürdig (Geist des
h. Franz v. Sales, VIII, 15; XIII, 2.)
war fein Vertrauen auf
Gott in allen Lagen seines Lebens. Durchdrungen von der
Überzeugung, dass Gott ein zärtlicher Vater für uns ist,
der alles zum besten derer lenkt, die ihn lieben,
eingedenk, dass unser Heiland die Apostel ohne Geld und
Vorrat ausgesandt und dass ihnen dennoch nichts
gemangelt, überzeugt, dass Alles, großes wie Kleines,
was uns begegnet, von der väterlichen Hand der Vorsehung
kommt, ohne welche kein Haar von unserem Haupte fällt,
ruhte er im Schoße Gottes mit mehr Zuversicht, als
jemals ein Kind an der Brust seiner Mutter. „Unser
Heiland, sagte er, hat mich dies von Jugend auf gelehrt,
und wenn ich wieder auf die Welt zu kommen hätte, so
würde ich mich bis ins Kleinste von der göttlichen
Vorsehung leiten lassen mit kindlicher Einfalt und
tiefer Verachtung aller menschlichen Klugheit. Es macht
mir große Freude, mit geschlossenen Augen einherzugehen
unter der Führung der Vorsehung. Ihre Absichten sind
unerforschlich, aber stets lieblich und süss für die,
welche auf sie vertrauen. Lassen wir also die Vorsehung
unsere Seele führen, wie der Steuermann die Barke
(Boot)
lenkt, sie wird uns zu einem guten Hafen geleiten.
Glückselig diejenigen, welche auf den vertrauen, der uns
alles Gute geben kann, weil er Gott ist, und es auch
geben will, weil er unser Vater ist; unglücklich dagegen
diejenigen, welche ihr Vertrauen auf die Geschöpfe
setzen; denn diese versprechen Alles, geben wenig und
lassen sich das Wenige, was sie geben, teuer bezahlen.
Diesen Grundsätzen
entsprechend, schrieb er an eine seiner Töchter von der
Heimsuchung (Brief 707):
„Bleiben Sie in Frieden in den so sanften Armen der
göttlichen Vorsehung. Niemals wird das Kind zu Grunde
gehen, das sich fest in den Armen eines allmächtigen
Vaters hält, und zwar nicht bloß während des süßen
Friedens, den das Glück bringt, sondern auch während der
Stürme und Unwetter, was nur den Kindern Gottes eigen
ist." Als er einst bei der Durchführung eines Planes,
der ihm sehr am Herzen lag, auf Widerspruch stieß,
schrieb er an die heilige Chantal: „Die Vorsehung hat es
so angeordnet und Sie wissen, welche Treue mein Herz ihr
gelobt hat. Ich lasse Alles ordnen und leiten, wie es
ihr gefällt, ohne mich an meine Neigungen zu stören."
„Ich erwarte einen großen Sturm, schrieb er in einer
anderen Angelegenheit an dieselbe Vertraute seiner
Gedanken (Nach der h.
Chantal, art. 28 p. 79.),
aber ich warte ihn ruhig ab. Denn ich denke an die
göttliche Vorsehung und hoffe, dass dieser Sturm zur
größeren Ehre Gottes und zu meinem Frieden dienen wird;
und diese Erwartung erfüllt mich mit Trost. Möge der
Himmel sich gegen mich waffnen, mögen die Erde und die
Elemente sich empören, mögen alle Geschöpfe mir den
Krieg erklären, ich fürchte nichts. Es genügt mir zu
wissen, dass ich mit Gott bin und Gott in mir." Als er
einst in einem kleinen, schwachen Nachen
(Boot / Einbaum)
über den Genfer See fuhr,
verursachte es ihm eine unaussprechliche Freude, sein
Leben so ganz in der Hand der göttlichen Vorsehung zu
sehen, dass er nur durch ein dreizölliges Brett von dem
Tode getrennt war; und als man ihn fragte
(Brief 78. -- Geist des h. Franz
von Sales, XV, 16.),
wie er es zu einem so bewunderungswürdigen Gleichmut der
Seele habe bringen können, antwortete er: „Wenn man sein
Vertrauen auf Gott setzt und sich nie trennt von etwas,
das so feststeht und sich so gleich bleibt, so kann man
sich nicht ändern; dies Vertrauen ist der unbewegliche
Pol, um den meine Wünsche und Neigungen sich drehen
(Nach Janus)."
-- „Wie kommt es, fragte man ihn einst, dass Sie sich so
oft in die Hände der Häretiker gegeben haben?" -- „Das
geschah, antwortete er, keineswegs aus Kühnheit oder
geistiger Beschränktheit, sondern in Folge meines
einfachen Vertrauens auf die himmlische Vorsehung.
Müssen wir nicht unser Leben und alles, was wir sind,
der anbetungswürdigen Vorsehung ganz zur Verfügung
stellen? Denn wir gehören ja im Grunde nicht mehr uns
selbst, sondern dem an, der, um uns zu den Seinigen zu
machen, in so liebevoller Weise der Unsrige hat werden
wollen (Nach Michel Favre)."
Beseelt von diesem festen
Vertrauen, stellte er, sobald er etwas, wovon er
glaubte, dass es der göttlichen Ordnung entspreche, zu
unternehmen hatte, die Angelegenheit immer zuerst unter
die Führung der Vorsehung; und dann war er ruhig und des
Erfolges sicher. Wenn er bei seinen Plänen keine
Unterstützung fand oder voraussah, dass nach enschlichem
Ermessen kein Erfolg möglich sei, so ließ er sich
dadurch keineswegs beunruhigen und in seinem Vertrauen
erschüttern, sondern wurde dann nur noch fester und
ruhiger. „Ich sehe keinen freundlichen Stern bei der
Gründung unseres Institutes, sagte er einst zur heiligen
Chantal, aber ich bin sicher, dass Gott ihm Gedeihen
geben wird (Nach der h.
Chantal, art. 28.),"
was dann auch in der Tat geschah. Dieses Vertrauen
bewirkte aber keineswegs, dass er von seiner Seite
untätig war. Mutig und unerschrocken durch sein
Vertrauen brachte er sein Unternehmen mit allen Mitteln
voran, ohne jemals mutlos zu werden; es war einer seiner
Grundsätze, wenn unser Heiland uns eine Angelegenheit
übertrage, so müsse man sie zu Ende führen trotz aller
Schwierigkeiten, und sie niemals aufgeben.
Im Kampf mit den
schrecklichen Versuchungen, welche Gott zu seiner
Vervollkommnung in der Tugend zuließ, erfüllte ihn sein
Vertrauen mit Mut. „Ich werde sehr gequält, schrieb er
einst an die heilige Chantal, es kommt mir vor, als ob
ich gar keine Kraft zum Widerstande habe, und als ob ich
unterliegen würde, wenn die Gelegenheit sich mir
darböte; aber je mehr ich meine Schwäche fühle, desto
mehr setze ich mein Vertrauen auf Gott; und ich glaube
fest, dass Gott mich, wenn ich in der Gelegenheit bin,
mit seiner Kraft ausrüsten wird und dass ich dann meine
Feinde wie kleine Lämmer verschlingen werde
(Nach der h. Chantal, art. 28, p.
72) ."
Wurde sein Gebet zuweilen
nicht sogleich erhört, so verlor er keineswegs den Mut.
„Die Vorsehung zögert mit ihrer Hilfe, sagte er alsdann,
um unser Vertrauen zu prüfen. Wenn unser himmlischer
Vater uns das nicht gibt, um was wir bitten, so
geschieht es, damit wir bei ihm verweilen und veranlasst
werden, ihn mit liebevollem Ungestüm zu drängen, wie er
es den Zweien, die nach Emmaus gingen, zu erkennen gab,
bei denen er erst gegen Ende des Tages und als sie ihn
nötigten, einkehrte."
Geprüften Seelen endlich,
die sich unter seiner Leitung befanden, empfahl er das
Vertrauen in einer Weise, welche geeignet war, ihnen
dasselbe einzuflößen. „Wenn auch Sturm und Ungewitter
kommt, schrieb er an einen von ihnen, Sie werden nicht
umkommen, Jesus ist mit Ihnen. Wenn die Furcht Sie
ergreift, dann rufen Sie laut: O Heiland, rette mich. Er
wird Ihnen seine Hand reichen, umklammern Sie dieselbe
und gehen Sie dann freudig voran, ohne über ihr Übel
nachzugrübeln. So lange der heilige Petrus Vertrauen
hatte, konnte der Sturm ihn nicht zum untersinken
bringen; sobald er anfing zu fürchten, sank er. Die
Furcht ist ein größeres Übel, als das Übel selbst. Sie
dürfen nicht verlangen, dass sich kein Blättchen Ihres
Baumes rühre, sondern es muss Ihnen genügen, dass er
tief eingewurzelt bleibt. Wenn Sie gefallen sind, dann
werfen Sie sich vor Gott nieder, um ihm im Geiste der
Demut und des Vertrauens zu sagen: Barmherzigkeit, o
Herr, denn ich bin schwach. Erheben Sie sich dann in
Frieden und gehen Sie vorwärts und verscheuchen Sie
alles Misstrauen durch den Gedanken, dass Gottes
Barmherzigkeit größer ist, als unser Elend. Ertragen Sie
mit Ruhe die Entbehrung der sinnlichen Tröstungen. Ein
einziges Werk, das man im Zustand der Trockenheit
verrichtet, ist mehr wert, als viele andere, die man mit
viel Gefühl tut, obgleich es einem nicht so viel Freude
macht, wenn es nur mit größerer Liebe verrichtet wird.
Kurz, überlassen Sie sich ganz und gar mit ruhiger
Hingebung der Vorsehung bei Allem, was Ihnen im Leben
begegnet, und selbst im Angesichte des Todes. Gott hat
Sie bis jetzt behütet; halten Sie sich an der Hand
seiner Vorsehung, dann wird er Ihnen helfen und wird Sie
da tragen, wo Sie nicht gehen können. Denken Sie nicht
an das, was morgen kommen wird; denn der himmlische
Vater, der heute für Sie gesorgt hat, wird auch morgen
und immer für Sie sorgen. Entweder wird er Ihnen kein
Übel schicken, oder wenn er es schickt, Ihnen auch einen
unüberwindlichen Mut geben, um es zu ertragen. Wenn Sie
gegen die Anfälle der Versuchungen zu kämpfen haben, so
wünschen Sie nicht, davon befreit zu werden. Es ist gut,
dass Sie dieselben erfahren, um Gelegenheit zum Kampfe
und zum Siege zu haben. Das hilft Ihnen zur Ausübung der
herrlichsten Tugenden und zu deren fester Begründung in
Ihrer Seele.
Fünftes
Kapitel.
Seine Liebe zu Gott.
Nach Franz von Sales gibt
es eine Liebe, die in der Hoffnung eingeschlossen ist
(Traite de l'amour de Dieu,
I, II et XVII.);
und diese Liebe ist gut, weil sie uns mit Gott vereint;
aber sie ist unvollkommen, weil sie mit der Liebe zu
unserem eigenen Vorteil gemischt ist; wir lieben Gott,
weil er gut gegen uns ist und uns glücklich machen will.
Die vollkommene Liebe dagegen oder die wahre Liebe sieht
nicht auf den eigenen Vorteil. Wenn wir diese besitzen,
so lieben wir Gott nicht wegen des Guten, das er uns
getan oder tun wird, sondern deshalb, weil er unendlich
vollkommen in sich selbst ist, und weil er allein wegen
dieser Vollkommenheit würdig ist, die Liebe aller Herzen
zu besitzen, das höchste Gut, die unvergleichliche
Schönheit, welche nie genug gelobt werden kann, selbst
wenn wir nichts Gutes von ihm empfangen und keine
Belohnung von ihm zu erwarten hätten; wir lieben Gott,
weil er Gott ist. Das ist die reine, vollkommene Liebe
(Geist des h. Franz v.
Sales, XIV, 7.),
wovon der heilige Franz von Sales uns ein so herrliches
Beispiel gegeben. Dass er Gott vollkommen geliebt, geht
zuerst hervor aus seinem eifrigen Bestreben, nicht nur
die Gebote, sondern auch die evangelischen Räte zu
beobachten und selbst den Schein der Sünde zu fliehen.
Seinen Eifer in Bezug darauf vergleicht er selbst in der
ihm eigenen lieblichen Sprache mit der Sorgfalt, mit der
die Taube im Hohenliede, welche am Rande des Wassers
weilt, um darin das Bild des Raubvogels, wenn er noch
fern ist, zu sehen, davonfliegt und sich in ihrem
Zufluchtsorte verbirgt, sobald sie den ersten Schatten
desselben bemerkt (Nach
Gard). Jedoch
begnügte er sich nicht damit, sagt einer seiner
Lebensbeschreiber (Le P. La
Riviere, p. 559),
Gott, den er einzig liebte, in nichts zu missfallen; er
bemühte sich vielmehr, ihm in allem so viel wie möglich
zu gefallen, und wenn er ein Mittel gefunden hätte, um
Gott noch ein wenig mehr zu gefallen, so würde er
dasselbe sogleich angewandt haben, und wenn es ihm auch
das Leben gekostet hätte. Die heilige Chantal bestätigt
das Gesagte: „Es ist nicht wahr, sagt sie, dass er gar
keine Unvollkommenheit beging, aber wenn ihm so etwas
passierte, dann geschah es aus Schwäche oder in der
Übereilung; und niemals hat er in seinem Herzen auch nur
die geringste Anhänglichkeit an irgend welche
Unvollkommenheit gehabt, möge sie auch noch so klein
gewesen sein. In dieser glückseligen Seele, die reiner
war als die Sonne, weisser als der Schnee, herrschte
eine solche Ordnung und Ruhe, Gott hatte ein so klares
Licht darin verbreitet, dass er auch die geringsten
Regungen bis ins kleinste erkannte; nie ließ er eine
Regung aufkommen, die nicht ganz vollkommen war; seine
Liebe ließ das nicht zu. „Man muss, sagte er, seine
Gefühle und Neigungen mit der goldenen Kette der
heiligen Liebe binden (Nach
Rannaud. - Le P. La Riviere, p. 568);
wenn ich in meinem Herzen eine Fiber
(Faser)
kännte, die nicht ganz durchdrungen wäre von der Liebe
meines Gottes, so würde ich sie sogleich herausreißen.
Möge man mir mein Herz nehmen, wenn ich es nicht ganz
und gar der Liebe widmen darf
(Nach der h. Chantal, art. 26. -
Geist des h. Franz v. Sales, X, 16.).
Entweder sterben oder lieben: denn das Leben ohne Liebe
ist schlimmer für mich als der Tod. Der Liebe zu allem
anderen will ich absterben, um nur zu leben für Jesus
und ewig singen zu können: Ich liebe Jesus
(Geist des h. Franz v. Sales, III,
30 – VII, 1).“ Es
war einer seiner Grundsätze, das wahre Kennzeichen der
Liebe zu Gott sei, wenn man ihn gleichmässig in allen
Dingen liebe. Denn da dies höchste Gut sich immer gleich
bleibt, so könne die Ungleichheit unserer Liebe nur
daher kommen, dass wir auf etwas achten, was nicht Gott
ist (Ebendas., XV, 33 – XI,
2. - Brief 748).
„Wenn wir nur Gott liebten, sagte er, so würden uns
Armut und Reichtum, Gesundheit und Krankheit, Leben und
Tod, alle Wechselfälle auf dieser Welt einerlei sein,
weil wir sie nur in Gott sähen, dessen unendliche
Weisheit sie anordnet und zulässt."
Aber der heilige Prälat
beschränkte sich nicht darauf, Allem außer der Liebe
Gottes den Zugang zu seinem Herzen zu verschließen, er
übte auch in ausgezeichneter Weise, was er in seiner „Philothea"
(Geist des h. Franz von
Sales, II, 3.)
sagt: „Diejenigen, welche Gott lieben, können nicht
aufhören an ihn zu denken, für ihn zu leben, nach ihm zu
verlangen, von ihm zu reden, und sie würden, wenn es
möglich wäre, auf die Brust eines jeden den heiligen und
geheiligten Namen Jesu schreiben." Wenn er Nachts
erwachte, so hörte man ihn oft Liebesseufzer ausstoßen
und rufen: „O mein Gott, wann wirst du erkannt werden?
Wann wird man dich lieben wie du es verdienst?" Und
morgens beim Aufstehen beteuerte er Gott, dass er
während des Tages nichts anderes wolle, als ihn lieben
und seinen heiligen Willen erfüllen. Den ganzen Tag
hindurch lebte er nur von der Liebe. „Wahrlich, sagte
er, man muss entweder lieben oder sterben, oder vielmehr
sterben, um zu lieben, das heißt, der Liebe zu allem
anderen absterben, um nur für Jesus zu leben, der für
uns gestorben ist, damit wir ewig leben möchten in den
Armen seiner Güte (Ebendas.,
X, 31.)."
Alle seine Werke
verrichtete er nur aus reiner Liebe
(Ebendas., XIV, 35.),
nicht um der Hölle zu entgehen oder um den Himmel zu
gewinnen. „Tue viel für Gott, schreibt er
(Ebendas., XV, 22.)
, und alles aus Liebe, beziehe alles auf die Liebe, iss
und trink aus Liebe." Sein Herz war so voll Liebe, dass
dies Gefühl alle anderen zu verzehren schien. An dieser
seiner Liebe zu Gott hatte die Furcht vor den Strafen,
welche denen, die ihn nicht lieben, vorbehalten sind,
keinen Anteil; und wenn er sich fürchtete, so geschah
dies nur aus Liebe, wie der Freund sich fürchtet, dem
Freunde zu missfallen; er folgte hierin seinem
Grundsatze: Lieben aus Furcht heißt Galle in die Speisen
tun, Essig in das Getränk; aber fürchten aus Liebe heißt
Zucker in den Wermut tun (Ebendas.
XV, 13. - Fin du traite de l'amour de Dieu.).
Darum war sein ganzes Leben eine beständige Übung der
Liebe, weil, wie er zu sagen pflegte, alles, was aus
Liebe geschieht, Liebe ist; weil die Arbeit, die
Ermüdung, der Tod selbst nur Liebe sind, wenn man sich
ihnen aus Liebe unterzieht.
Wenn man ihn auch nur
wenig beobachtete, konnte man das leicht erkennen. Wenn
er eine öffentliche Rede hielt, dann konnte jeder auf
seinem flammenden Antlitze, in seinen feurigen Worten
und Gebärden den Widerschein jenes heiligen Feuers
erkennen, das in seinem Herzen brannte. Unterhielt er
sich privat mit jemand, so fühlte man sich durchweht von
der himmlischen Süßigkeit der göttlichen Liebe, in die
er gleichsam ganz umgewandelt war; man konnte da nicht
umhin, etwas mit zu verspüren von der heiligen Flamme,
die ihn verzehrte, man konnte nicht müde werden, ihn zu
sehen, ihn zu hören: es war stets ein neuer Genuss.
Diese Liebe hatte eine so vollständige Herrschaft in
seinem inneren über alle anderen Gefühle, dass nichts in
der Welt außer Gott allein ihn befriedigen konnte. Mit
ihm hielt er sich beständig in so ungetrübter, durch
keine andere Neigung gestörter Vereinigung, dass er es
sogar einst wagte, zu einer Person, die ihm sehr teuer
war, zu sagen: „Sehen Sie, wenn Gott mir geböte, Sie zu
opfern, wie er dem Abraham befahl, ihm den Isaak zu
opfern, so würde ich es auf der Stelle tun
(Nach der heil. Chantal, art. 26.)."
Ein andermal gab er einer Ordensfrau, welche ihn bat,
ihr einen Platz in seinem Andenken und seiner
Freundschaft zu gewähren, eine ähnliche Antwort: „Ich
liebe Sie zärtlich, sagte er, aber wenn Gott mir
befehlen würde, sie zu ertränken, so würde ich es auf
der Stelle ohne Zögern tun
(De Cambis, t. I, p. 422.)."
Aber Folgendes bekundet noch besser die Stärke seiner
Liebe. Oft hat man ihn den Wunsch äußern gehört, aus
Liebe zu Gott als Märtyrer zu sterben, und zwar nicht
wie die Märtyrer, denen der Himmel das Gefühl ihrer
Leiden benahm, sondern so, dass er die schrecklichsten
Folterqualen empfinde, um Gott seine Liebe besser
beweisen zu können. Er ging noch weiter: „Wahrhaftig,
sagte er, es ist meine Ansicht, dass das Paradies mitten
in den Peinen der Hölle wäre, wenn die Liebe Gottes dort
sein könnte, und die Qualen der Verdammten würden mir
wünschenswert erscheinen, wenn die Flammen, welche sie
verzehren, das Feuer der göttlichen Liebe wären
(Geist des h. Franz von Sales, V,
24; XI, 2; XVIII, 28; VII, I6. -- Brief 863. -- Nach der
h. Chantal, art. 26.).
In meinen Augen ist alles wenig oder nichts, außer der
Liebe unseres großen Gottes, und verglichen mit der
Liebe Gottes halte ich selbst die himmlischen Freuden
für nichts."
Trotzdem seufzte er
darüber, dass er noch nicht genug liebe. „Sie können
sich, schrieb er an eine Person, keine Vorstellung
machen von meinem Verlangen, täglich mehr zu lieben.
Weshalb leben wir denn auch, wenn nicht um dies höchste
Gut zu lieben? Ach, wann wird es dahin kommen, dass uns
die göttliche Liebe verzehrt und bewirkt, dass wir uns
selbst gänzlich absterben, um nur für sie zu leben
(Brief 89.)?
O ewige Liebe, meine Seele verlangt nach dir und erwählt
dich zu ihrem Anteil .... Von meiner Seele, schrieb er
der heiligen Chantal, will ich Ihnen nichts sagen, als
dass sie immer mehr das brennende Verlangen empfindet,
auf nichts Wert zu legen, als auf die Liebe unseres
Heilandes ... O wie müssen wir nach dieser Liebe
verlangen und dieses Verlangen lieben, weil die Vernunft
fordert, dass wir ewig das zu lieben verlangen, was nie
genug geliebt werden kann, und dass wir gern nach dem
verlangen, wonach man nie genug verlangen kann
(Geist des h. Franz v. Sales,
XIII, 12.)" ... Er
bemühte sich dann auch, an jedem neuen Morgen mehr zu
lieben, als Tags vorher, in jeder Stunde mehr zu lieben,
als in der vorigen Stunde, in jedem Jahre mehr zu
lieben, als im vergangenen Jahre. „Ich schließe, sagte
er in einem Briefe, dieses Jahr mit einem nicht nur
großen, sondern heißen Verlangen, mich ganz der heiligen
Liebe zu ergeben: O Gott, wozu werden wir im neuen Jahre
leben, wenn nicht, um dich inniger zu lieben! O Gott,
lass mich entweder sterben oder mehr lieben." – „O mein
Gott! ruft er anderswo aus
(Fin du traite de l'amour de Dieu. - Brief 643.),
welches Glück und welcher Ruhm ist es, mit dir vereint
zu sein durch die Ketten der Liebe, mit dir in dem
nämlichen Liebesfeuer, in demselben Glutofen der Liebe
zu brennen. O wie müssen wir von Liebe entzündet werden
bei dem Anblicke der Flammen deiner Liebe! Ach, wann
werden wir vollkommen mit Gott vereint sein? Wann werden
unsere Herzen ganz verzehrt werden von der Liebe zu dir?
O wie verlange ich, dass wir für uns selbst tot seien,
um ganz für Gott zu leben! Was erbitte ich von Gott
anders, als die reine, heilige Liebe zu meinem
Heilande?"
In der Inbrunst seiner
Liebe pflegte der heilige Bischof oft zu sagen: „Wem
Gott alles ist, für den ist die Welt nichts"; ähnlich
dem Ausspruch des heiligen Franziskus von Assisi: „Mein
Gott und mein Alles", und dem der heiligen Theresia:
„Alles, was nicht Gott oder für Gott ist, ist nichts."
Und diese Worte näher erläuternd, pflegte er
hinzuzufügen: „Nichts kann dem genügen, dem Gott nicht
genug ist. Cui quod satis est satis non est, huic
unquam satis nihil est. Welchem etwas genug ist, aber es
nicht genügt, für diesen ist nichts jemals
(= nie etwas)
genug (Geist des h.
Franz v. Sales, XIII, 10.).Wer
die Liebe Gottes besitzt, dessen Furcht, dessen
Sehnsucht, dessen Hoffnung und Zuversicht, dessen Freude
bezieht sich nur auf Gott, und alle seine Gefühle haben
ihren Mittelpunkt in dieser heiligen Liebe
(Traite de l'amour de Dieu, liv.
XII. chap. XX.). O
wie gut ist es, nur für Gott zu leben, nur für Gott zu
arbeiten, nur in Gott sich zu erfreuen
(Geist des heiligen Franz v.
Sales, X, 32.)!
Was mich angeht, so wünsche ich keiner Person mehr teuer
zu sein, noch auch selbst Jemanden zu lieben, außer in
Gott und nur für ihn (Nach
Deshayes. - Geist des heiligen Franz v. Sales, X, 33.).
Gott sei Dank! es scheint mir, als ob ich alles nur mehr
in Gott liebe, in dem und für den ich nur die Seelen
inniger liebe." in der Tat war er unempfindlich für das,
was die Erde anging; nichts rührte ihn als Gott, und was
für Gott war. „Unser Herr, sagten seine Bedienten,
ereifert sich nur für Gott, er bekümmert sich nicht
darum, was man ihm bei Tisch vorsetzt, es ist ihm
einerlei, ob die Gerichte kalt oder warm sind, ob sie
gut oder schlecht schmecken; aber er duldet auch die
geringste Beleidigung Gottes nicht."
Kurz, wenn man die Liebe
des heiligen Franz zu Gott kennen lernen will, sagt die
heilige hantal, so muss man die zwölf Bücher seiner
Abhandlung über die Liebe Gottes lesen; darin hat er
sich selbst geschildert; dies bewunderungswürdige Werk
ist nur die treue Geschichte seines Herzens und Lebens
(Nach der h. Chantal, art.
26.). Besonders
wenn man das 22. Kapitel des 2. Buches, das 3., 6., 7.
und 9. des 10. Buches, ferner das 14. des 11. Buches und
das 13. des 12. Buches liest, so ist es unmöglich zu
verkennen, dass der Verfasser ganz Feuer und Flamme für
Gott war. In dieser schönen Abhandlung ruft er, sein
Herz der Liebe, die die Theologen die Liebe des
Wohlgefallens nennen, hingebend, aus: „Wie schön bist
du, mein Vielgeliebter! Gepriesen sei in Ewigkeit mein
Gott, deshalb, weil er so gut ist! Im Tode wie im Leben
macht es mich überaus glücklich, zu wissen, dass Gott
reich an allen Gütern und dass seine Güte unendlich ist
(Geist des h. Franz v.
Sales, XIV, 1.)."
Dann schildert er, zu den anderen Beweggründen zur Liebe
übergehend, die Liebe der Erkenntlichkeit, wozu ihn die
Wohltaten Gottes, die Erschaffung, Erlösung,
Rechtfertigung antrieben: „Ach, sagt er, wie kann man
ein Herz haben und eine so unendliche Güte nicht
lieben?" Dort beschreibt er auch endlich die Liebe des
Wohlwollens (Ebendas., I,
31,: XIV, 2.),
welche Gott gebührt, das heißt, das große Verlangen,
welches jedes christliche Herz empfinden muss, dass Gott
erkannt, geliebt und ihm gedient werde, und den Schmerz,
den die Beleidigung dieses unendlich guten Vaters uns
verursachen soll; die Liebe des Wohlwollens, welche sich
gründet auf den Satz, dass die Liebe nicht dulden kann,
dass der Geliebte beleidigt wird. Wir wollen dem
Verfasser in der Entwicklung dieser Art der Liebe nicht
weiter folgen; es genügt uns, zu bemerken, dass sein
ganzes Leben eine viel herrlichere Entfaltung derselben
war. Wenn er so viel gepredigt und Beichte gesessen,
wenn er so viele Ketzer und Sünder auf den Weg des Heils
zurückgeführt, wenn er so viele Klöster reformiert und
den Orden der Heimsuchung gegründet, wenn er sein ganzes
Leben hindurch beständig gearbeitet hat, so geschah dies
nur, um das Reich der Sünde zu zerstören und die Liebe
Gottes in die Herzen auszugießen. Wenn er so viele
Briefe über die Frömmigkeit geschrieben, so viele schöne
Werke verfasst, besonders seine Abhandlung über die
Liebe Gottes, so geschah dies nur, weil er dachte, dass
diese Bücher seine Stimme ersetzen würden, weil er
seinem Verlangen durch Predigen nicht genügen konnte.
Diese Schriften sollten in alle Länder gehen und allen
Jahrhunderten dies grösste Gebot im Gesetze verkünden:
„Du sollst Gott lieben von deinem ganzen Gemüte, aus
deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und aus
allen deinen Kräften." So sehr hatte der heilige Prälat
seinem Herzen das Wort eingeprägt, welches die Mutter de
Chaugy in ihrem Zeugnisse von ihm anführt: „Wenn man
liebt, so muss man sich bemühen, zur Liebe zu bewegen
und dem Nächsten zu dienen. Die Liebe ist die Mutter des
Eifers und sagt immer zum himmlischen Bräutigam wie
Rachel zu Jakob: Gib mir Kinder oder ich sterbe."
Um alle Herzen zur Liebe
zu bewegen, wiederholte er unaufhörlich, das Verdienst
aller unserer Werke und die christliche Vollkommenheit
bestehe in der Liebe. Die Liebe, sagte er, gibt allen
unseren Werken ihren Wert; nicht durch die Grösse oder
die Menge unserer guten Werke gefallen wir Gott, sondern
durch die Liebe, womit wir dieselben verrichten. Eine
Kränkung, erduldet mit zwei Unzen Liebe, ist mehr wert
als der Martertod, gelitten mit einer Unze von derselben
Liebe (Manuscrit de la soeur Fichet, p. 45. - Geist des h. Franz v. Sales, V,
13 et 14; X, 18; XVI, 26; XVI, 48.).“
„Jeder, sagte er auch, macht sich seine Vollkommenheit
in seiner Weise. Der eine setzt sie in ein strenges
Leben, ein anderer ins Almosengeben, ein dritter in den
Empfang der heiligen Sakramente. Ich kenne keine andere
Vollkommenheit, als Gott von ganzem Herzen und seinen
Nächsten wie sich selbst zu lieben. Alle anderen Übungen
sind nur Mittel zur Erlangung der Liebe, die allein die
Vollkommenheit ausmacht." Und wenn man ihn frug, wie er
es mache, um Gott von ganzem Herzen und seinen Nächsten
wie sich selbst zu lieben, dann antwortete er: „Man muss
Gott von ganzem Herzen und seinen Nächsten wie sich
selbst lieben; ich kenne kein besseres Mittel, um lieben
zu lernen, als zu lieben, wie man predigen lernt durch
Studieren, reden durch Reden, arbeiten durch Arbeiten.
Die Lehrlinge sollen anfangen; dadurch, dass sie viel
die Liebe üben, werden sie Meister werden. Die
Fortgeschrittenen sollen immer vorausschreiten und
niemals glauben, am Ende angekommen zu sein; denn die
Liebe kann in diesem Leben immer noch zunehmen
(Geist des h. Franz v. Sales, I,
29 et 30.).
Verlange täglich mehr zu lieben; das ist das Mittel, um
in der Liebe zu wachsen. Wer viel nach der Liebe
verlangt, der sucht sie auf die richtige Weise, und wer
sie gut sucht, der wird sie reichlich finden."
Sechstes
Kapitel.
Seine Gleichförmigkeit
mit dem Willen Gottes.
Das ausgezeichnetste Werk
der Liebe, welches eine christliche Seele verrichten,
gleichsam die höchste Stufe der Vollkommenheit, zu der
sie aufsteigen kann, ist nach dem heiligen Franz von
Sales die vollkommene Vereinigung ihres Willens mit dem
göttlichen Willen, jene Vereinigung, welche bewirkt,
dass man hienieden nach nichts anderem verlangt, als
nach Gott und seinem Wohlgefallen, dass man alles will,
was Gott will und wie Gott es will, und dass man immer
bereit ist, ruhig und freudig überallhin zu gehen, wohin
er uns ruft, alles anzunehmen, was er uns schickt, alles
zu tun, was er von uns fordert
(Ebendas., X, 30; XIV, 9; III, 42;
XVII, 17; VII, 17 et 18; XV, 31 et 37. - Nach der h.
Chantal, art. 39.).
So war das Leben des heiligen Bischofs von Genf
beschaffen. Da er immer ergeben war in den Willen Gottes
durch eine mit Vertrauen gepaarte Liebe, immer zum
Voraus schon sich allen Fügungen der göttlichen
Vorsehung unterwarf, so verrichtete er alle seine
Arbeiten und Obliegenheiten mit Ruhe und vollkommenem
Seelenfrieden, ohne sich zu beunruhigen oder zu beeilen,
ohne sich zu beängstigen wegen des Erfolgs und ohne
aufgeregt zu werden, wenn ihm etwas in die Quere kam
(Nach Moccand).
Ob er seine Zeit auf dies
oder jenes verwenden, ob er krank oder gesund war, ob er
gelobt oder getadelt wurde, das war ihm ganz einerlei,
weil er bei allem nur auf das Wohlgefallen Gottes sah.
„Sieh nur nicht, sagte er, auf die Beschaffenheit
dessen, was du tust, sondern erwäge, wie ehrenvoll es
ist, dass Gott will, dass du es tust, mag es auch noch
so unwichtig sein, dass es der Ordnung seiner Vorsehung
entspricht und von seiner Weisheit verfügt ist. Die
Reinheit des Herzens besteht darin, dass man alle Dinge
mit der Waage des Heiligtums abwägt, welche nichts
anderes ist, als der Wille Gottes; liebe darum nichts zu
sehr, nicht einmal die Tugenden; man verliert sie
zuweilen, wenn man die Schranken der Mäßigung
überschreitet (Brief 77.)."
-- „Was wollten Sie lieber, frug man ihn eines Tages
(La Riviere, p. 458 et suiv.),
gesund sein, oder den Rest Ihres Lebens gichtbrüchig in
einem Bette zubringen?" – „Ich will keines von beiden,
antwortete er, ich bin gleichgültig und will bei beidem
nur das Wohlgefallen meines Schöpfers." -- „Aber gesund
würden Sie mehr Gutes tun, als krank." – „Ich will mir
keineswegs die Art und Weise, Gott zu dienen,
auserwählen, erwiderte er. Gesund werde ich ihm dienen,
indem ich arbeite; krank werde ich ihm dienen durch
Leiden; in beiden Fällen werde ich seinen Willen tun;
das ist mir genug." – „Aber was wollten Sie denn lieber,
ein langes Leben, um sich viele Verdienste zu erwerben,
oder einen schnellen und plötzlichen Tod?" --- „Ich will
gar keinen Willen haben in Bezug auf all' diese Dinge;
ein langes Leben, ein kurzes Leben, ein plötzlicher Tod,
das ist mir gleichgültig. Ich überlasse mich ohne
Rückhalt der Vorsehung und der Sorgfalt, mit der sie von
Ewigkeit beschlossen, über mein Leben und meinen Tod zu
walten." -- „Aber was wollten Sie denn lieber, bei Ihrem
Scheiden aus diesem Leben geraden Weges in das Paradies
eingehen, oder im Fegefeuer zurückgehalten werden?" --
„Ich werde ganz bereitwillig an den Ort gehen, den Gott
mir anweisen wird, und werde überall zufrieden sein.
Vereint mit dem Willen Gottes würde mir das Fegefeuer
ein Paradies sein, und ohne den Willen Gottes würde mir
das Paradies ein Fegefeuer sein!"
Einst hatte er sich
vorgenommen, die Fastenpredigten zu halten, als er von
einem lange anhaltenden Fieber ergriffen wurde. Weit
entfernt, ihm ein Wort des Bedauerns oder der Klage zu
entreißen, konnte dieser Unfall ihm nicht einmal einen
Augenblick seine Heiterkeit rauben: „Wenn Gott will,
sagte er, dass ich ihm nicht durch Predigen, sondern
durch Leiden diene, so geschehe sein Wille." Eines Tages
redete man ihm von der Absicht der Protestanten, ihn aus
seinem Bistum zu vertreiben. – „Nun, dann werde ich mehr
Muse haben, Gott und den Seelen zu dienen", versetzte
er. --
„Aber man wird Sie ins Gefängnis werfen", hiess es
weiter. -- „Auch gut, sagte er darauf, dann werde ich
mehr Muse haben, um zu Gott zu beten und etwas zu seiner
Ehre zu schreiben. Das würde mir gar keinen Kummer
machen. Es geschehe der Wille Gottes!“ Sein Grundsatz
war, man solle nichts verlangen, nichts begehren, und
auch vor nichts Abneigung haben, vielmehr ganz
gleichgültig sein in Bezug auf Gesundheit und Krankheit,
Leben und Tod, Glück und Unglück, zufrieden in allen
Lagen, an jedem Ort, mit jeder Beschäftigung. „Wenn man
in Gesellschaft ist (Geist
des h. Franz v. Sales, II, 25.),
sagte er, so muss man sich darin gefallen, weil Gott es
so will, und wenn man allein ist, so muss man sich in
der Einsamkeit gefallen und zwar aus demselben Grunde.
Wenn man irgendwo eine feste Stellung hat, so soll man
nicht an eine andere Stelle denken; man soll auf dem
Schiffe bleiben, auf dem man ist, um die Überfahrt aus
diesem Leben nach dem jenseitigen zu machen, und man
soll da bleiben wollen; denn wenn wir auch oft nicht
durch die Hand Gottes dahin versetzt worden sind,
sondern durch die Menschen, so will doch Gott, dass wir
da bleiben (Ebendaselbst.)."
Der heilige Bischof
wollte nicht einmal, dass man auf gewisse Arten, Gott zu
dienen, mehr halte, als auf andere, und befolgte auch
selbst mit der größten Treue diese Regel. Mit Freuden
hielt er seine geistigen Übungen, wenn er konnte; aber
wenn die Nächstenliebe oder etwas anderes ihn daran
hinderte, so unterließ er sie auch ohne Bedauern. Mit
derselben Hingebung begab er sich von der Betrachtung
zur Arbeit wie von der Arbeit zur Betrachtung; zufrieden
mit beiden, wenn er nur in jedem Augenblicke den Willen
seines Gottes erfüllte.
„Nein, sagte er, es mag
kommen was will, nichts wird mich von dem festen
Entschlusse abbringen, mit allem, was Gott über mich und
das meinige verfügt, ganz und gar zufrieden zu sein. Ich
will meinen Willen ganz mit dem göttlichen verschmelzen,
oder vielmehr unseren Herrn alles mit mir machen lassen,
was er will, und ihm alle Sorge für mich übergeben." --
„ Heute morgen, schrieb er eines Tages
(Ebendaselbst., XVII, 27 et 28.),
habe ich einen Akt der Entsagung erweckt, welcher seines
Gleichen sucht. O wie glücklich sind die Seelen, welche
nur für den Willen Gottes leben! Wenn schon das Herz,
welches diesen heiligen Willen mit allem Kreuz, das er
auferlegt, annimmt, eine so geistliche Süßigkeit
empfindet, wenn es auch nur wenig davon verkostet in
einer flüchtigen Betrachtung, was wird es dann erst sein
mit den Seelen, welche ganz und gar von der Vereinigung
mit dem göttlichen Willen durchdrungen sind? O Gott, wie
glücklich sind wir, wenn die reine Liebe zu Gott alle
Neigungen unseres Herzens beherrscht! So haben wir es
beschlossen und ausgesprochen: unser Herz hat zu seinem
höchsten Gesetz die größte Verherrlichung der Liebe
Gottes. Der höchste Ruhm dieser heiligen Liebe besteht
aber in der gänzlichen Vernichtung alles dessen, was sie
nicht ist, um alles in sich zu verwandeln.
Herrlich ist die
Schilderung einer vollkommen gottergebenen Seele, wie
sie der heilige Prälat für Frau von Chantal entworfen
hat.
Er sagt
(Brief 190):
„Wir sollen einfach da bleiben, wohin Gott uns stellt,
und so, wie er uns stellt, gleich einer Statue in ihrer
Nische, eingedenk dessen, dass wir Gott angehören und
dass er unser alles ist; das soll unsere Freude sein.
Wenn eine Statue in ihrer Nische reden könnte und man
sie früge: Weshalb bist du da? --- dann würde sie
antworten: Weil mein Herr mich hierhin gestellt hat. --
Weshalb rührst du dich gar nicht? -- Weil er will, dass
ich ruhig hier stehen bleibe. --- Was hast du denn
davon, dass du so da stehst? --- Ich bin nicht für mich
hier, sondern um meines Herrn Willen zu tun. -- Aber du
siehst ihn ja nicht? -- Allerdings, aber er sieht mich
und hat Freude darüber, dass ich da bin, wohin er mich
gestellt hat. – Aber möchtest du nicht näher zu ihm
gehen? --- Nein, wofern er es nicht befiehlt. ---
Verlangst du nichts? --- Nein, denn das Wohlgefallen
meines Herrn ist die einzige Freude meines Herzens." So
war in der Tat die Seele des heiligen Bischofs von Genf.
Gott gefallen, war das ganze Streben seines Herzens,
sein einziges Verlangen auf dieser Welt, das einzige
Ziel seines Handelns, seiner Worte und Gedanken: „O wie
oft, sagt die heilige Chantal, habe ich aus seinem Munde
die Worte des Psalmisten gehört: O Herr, was habe ich im
Himmel und was verlange ich auf Erden, außer dir, du
mein Anteil und mein Erbe in Ewigkeit, und das Wort des
Apostel: Herr, was willst du, dass ich tun soll? . . .
Unser Zentrum, sagte er, ist der Wille Gottes; Gott
will, dass ich dies jetzt tue, Gott will das von mir,
was bedarf ich weiter? während ich dies tue, bin ich
nicht verpflichtet, etwas anderes zu tun."
Auch billigte er
keineswegs jenes ungestüme Verlangen nach Erhörung des
Gebetes: „Das heißt, sagte er, verlangen, dass der Wille
Gottes sich nach dem unseren richte, während wir doch
umgekehrt unseren Willen dem Wohlgefallen Gottes
unterwerfen sollen." Noch weniger billigte er die
Klagen, die zuweilen in seiner Gegenwart laut wurden
über die Unglücksfälle, die sich ereigneten. „Überlassen
wir alles dies, sagte er, der Vorsehung; Gott weiß
besser als wir, was uns zuträglich ist, und wenn wir nur
seine Gebote halten, so wird sich alles zu unserem
Besten wenden (Nach Bonard).
Man muss einen steten und unveränderlichen Gleichmut des
Herzens bewahren in den verschiedenen Ereignissen im
Leben. Und wenn auch alle Dinge um uns herum sich
ändern, so müssen wir doch immer unbeweglich bleiben,
den Blick auf Gott allein gerichtet. Mag auch alles
drunter und drüber gehen, nicht nur um uns herum,
sondern auch in uns, mag unsere Seele traurig oder froh,
sanft oder bitter gestimmt, in Frieden oder in Unruhe,
im Licht oder in der Finsternis, in Versuchungen oder
unangefochten sein, Lust oder Unlust empfinden; mag die
Sonne brennen oder der Tau uns erfrischen, immer muss
unser Wille das Wohlgefallen Gottes im Auge haben als
sein einziges und höchstes Gut. Welche Brühe Gott uns
vorsetzt, das muss uns einerlei sein. Das ist der
Zielpunkt der Vollkommenheit, nach dem wir alle trachten
müssen. Wer ihm am meisten nahe kommt, erlangt den Preis
(Geist des h. Franz v.
Sales, III, 44.)."
„Bleibet, sagte er zu
seinen lieben Töchtern von der Heimsuchung
(La Riviere, p. 346.),
unveränderlich der Übung treu, euch bei einer gänzlichen
Entäußerung eurer selbst, in den Armen des göttlichen
Willens zu halten; und wenn ihr findet, dass eure Seele
sich nicht dort aufhält, führet sie immer sanft dahin
zurück und leget euer Herz einfach an die Vaterbrust der
göttlichen Güte. Bleibet da ohne euch umzusehen, was ihr
tuet oder tun werdet, oder was euch begegnen wird. Wenn
ihr eine Unruhe oder ein Verlangen in euch entstehen
sehet, so befreiet euch auf der Stelle davon und gebet
alles Gott anheim in Sanftmut und Geduld, zufrieden in
allem und in Bezug auf alles mit seinem heiligsten
Willen, und beteuert, nichts zu wollen, als die
Erfüllung seines Willens .... Vor langer Zeit hörte ich
einmal die Worte singen: Nackt bin ich hervorgegangen
aus dem Schoße meiner Mutter und nackt werde ich dahin
zurückkehren; der Herr hat es gegeben, der Herr hat es
genommen, der Name des Herrn sei gebenedeit, und empfand
dabei eine unvergleichliche Freude, als ich mir den
Heiland vorstellte, wie er nackt in der Krippe geboren
wurde, nackt am Kreuze starb, um uns zu lehren, an
nichts in der Welt zu hangen, unsere ganze Seele, unsere
Werke, unsere Erfolge dem Wohlgefallen seines Vaters zu
übergeben, uns in vertrauensvoller Liebe ganz und gar
der ewigen Liebe zu überlassen, welche die göttliche
Vorsehung zu uns hat. Haltet eure Seele auf diesem Wege,
meine lieben Töchter, ohne ihr zu erlauben, davon
abzugehen, um zu sich selbst zurückzukehren und
nachzusehen, ob man zufrieden gestellt ist. Höret auf
den Heiland, der das Lied seiner Liebe am Stamme des
Kreuzes fingt: „Mein Vater, in deine Hände befehle ich
meinen Geist" und ahmen wir ihm nach. Was hat man
nachdem dann noch zu tun, als zu sterben den Tod der
Liebe, um nicht mehr sich selbst zu leben, sondern
Christus in uns leben zu lassen? Glücklich die Seele,
die sich so gänzlich hingibt! Mag kommen, was da will,
sie wird in ihrem Herzen das Wort des Heilandes
sprechen: Ja, mein Vater, weil es dein heiliger Wille
ist. Möge er machen mit mir und in mir nach dem
Wohlgefallen seines Herzens, für das ich leben und
sterben will, wie es ihm gefällt, ohne Rückhalt und ohne
irgend welche Bedingung. Es lebe Jesus, der für unser
Herz gestorben ist, und immerdar möge unser Herz sterben
aus Liebe zum süßen Heilande." Der heilige Prälat
empfahl auch seinen Töchtern jeden Morgen ihren Willen
mit dem Willen Gottes zu vereinigen und oft während des
Tages diese heilige Vereinigung durch eine innerliche
Betrachtung über die göttliche Güte zu erneuern, von
Grund des Herzens sprechend, sanft und ruhig: Ja, Herr,
ich will, wie du willst. Ja, Vater, ja, immer ja!
Wenn er einem Sterbenden
beistand, so empfahl er ihm nichts mehr, als die
Ergebung in den Willen Gottes. „O Gott, ließ er ihn dann
sprechen, dein Wille geschehe und nicht der meinige;
möge geschehen mit mir, himmlischer Vater, nach deinem
Wohlgefallen."
„Im Schoße des göttlichen
Willens zu sterben, das, sagte er, hieße einschlafen an
der Brust Jesu Christi, wie der heilige Johannes, und
Gott könne eine Seele nicht verloren gehen lassen,
welche in der Vereinigung ihres Willens mit dem
göttlichen Willen stirbt
(Brief 784)."
Das neunte Buch seines
Theotismus
(Abhandlung von der Liebe Gottes)
ist nichts als die Schilderung einer Seele, die
vollkommen mit dem göttlichen Willen vereinigt ist, und
es ist nur sein eigenes Herz, das seine Feder uns hier
gezeichnet hat. „O Gott, ruft er aus, dein Wille
geschehe, nicht allein in der Befolgung deiner Gebote
und Eingebungen, denen wir gehorchen müssen, sondern
auch in der Erduldung der Trübsale, die über uns kommen;
möge dein Wille durch uns, für uns, in uns und mit uns
machen, was ihm wohlgefällt
(Buch IX, Kap. 1.).
Das wahrhaft liebende Herz liebt den göttlichen Willen
nicht allein in Tröstungen, sondern auch in den
Trübsalen; ja, es liebt ihn sogar noch mehr unter dem
Kreuze, in Mühsal und Beschwerden, weil die
vorzüglichste Tugend der Liebe darin besteht, den
Liebenden für den Geliebten dulden und leiden zu lassen
(Kap. 2.).
Und wie sollte man nicht gerne die Widerwärtigkeiten
ertragen, da sie uns von der Hand des Herrn kommen, die
ebenso der Liebe wert ist, wenn sie Trübsale austeilt
als wenn sie Tröstungen spendet
(Kap. 4. – Geist des h. Franz von
Sales, VII, 16, 17, 18.)?
– „Öffnen wir darum die Arme unseres Willens, ruft er in
demselben Buche aus; umfassen wir mit inniger Liebe das
Kreuz, in williger Hingabe an den allerheiligsten Willen
Gottes und indem wir ihm den Hymnus ewiger Hingabe
singen: Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf
Erden. . . . Allerdings kann man die Leiden an und für
sich nicht lieben. Betrachten wir sie aber vom
Standpunkte des göttlichen Willens aus, der sie uns
sendet, so sind sie unendlich liebenswürdig, ganz von
Gold und kostbarer, als man es zu sagen vermag .... Möge
also unser Wille ganz und gar zufrieden sein mit Allem,
was Gott will, und sich seiner Hand überlassen wie eine
Wachskugel, empfänglich für jede Form und Gestalt, die
er ihr nach seinem Wohlgefallen geben mag, ohne zu
wählen, ohne irgend etwas vorzuziehen, ohne etwas
anderes als den göttlichen Willen zu lieben, lieben
nicht die Dinge, die Gott will, sondern den Willen
Gottes, der sie will, sich von diesem göttlichen Willen
als einem höchst liebenswürdigen Bande leiten lassend,
um freudig überallhin zu gehen, wohin es Gott gefallen
mag, so dass er selbst, wenn es möglich wäre, lieber die
Hölle mit dem Willen Gottes, als das Paradies ohne
diesen göttlichen Willen wolle. . . . Diese
Gleichgültigkeit, fügt er hinzu, muss sich auf alles
erstrecken: auf die natürlichen Dinge, wie Gesundheit
oder Krankheit, Schönheit oder Hässlichkeit, Stärke oder
Schwächlichkeit; auf die Dinge des bürgerlichen Lebens,
wie Ehre, Rang und Reichtum; auf die Dinge des
geistlichen Lebens, wie Trockenheit oder Tröstungen,
kurz auf alle Ereignisse, auf das Handeln sowohl wie auf
das Dulden. O, wie glücklich sind solche Seelen, welche
stark und entschieden, um die Unternehmungen, welche
Gott ihnen eingibt, zu verfolgen, nicht weniger
bereitwillig und schnell davon abstehen, wenn Gott es so
will, und immer ruhig und gelassen sind, mag es ihnen
gelingen oder misslingen!"
Dank dieser so
vollkommenen Gleichförmigkeit seines Willens mit dem
göttlichen Willen fanden die größten Trübsale den
heiligen Bischof fest und unerschütterlich; das Kreuz
wurde ihm sogar lieb und teuer, das Bitterste erschien
ihm süß und lieblich; und jede Widerwärtigkeit nicht
allein ohne Niedergeschlagenheit und Traurigkeit,
sondern mit Frohsinn und Freude hinnehmend, konnte er an
Frau von Chantal schreiben: „Ach, wie ist es etwas so
Gutes und Schönes, nur in Gott zu leben, nur in Gott zu
arbeiten, sich nur in Gott zu erfreuen! In meinem Wehe
empfinde ich eine Süßigkeit, die hundertmal lieblicher
als gewöhnlich ist."
Doch darf man nicht
glauben, dass diese Gleichförmigkeit mit dem Willen
Gottes so weit ging, dass sie ihn unempfindlich machte;
sein so gefühlvolles Herz empfand lebhaft das Wehe, aber
es unterwarf sich. „Ich weine bei solchen Ereignissen,
schrieb er an eine über den Tod eines der Ihrigen
betrübte Person; aber Gott sei gepriesen! ich weine
immer mit Ruhe, immer voll inniger Liebe zur göttlichen
Vorsehung. Denn seitdem unser Heiland den Tod geliebt
und ihn zu einem Gegenstande unserer Liebe gemacht hat,
kann ich dem Tode nicht gram sein, wenn er mir meine
Schwestern oder jede andere Person hinwegnimmt, wenn sie
nur in der Liebe zum geheiligten Tode des Erlösers
sterben (Brief 838.).“
Der heilige Bischof
tadelte es darum nicht, dass man beim Verluste der
Seinigen dem natürlichen Gefühle seinen Tribut
entrichte, unter der Bedingung jedoch, dass der
Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes kein Eintrag
geschehe. „Ich hüte mich, Ihnen zu sagen: Weinen Sie
nicht! schrieb er an eine Person, die eine geliebte
Schwester verloren hatte
(Brief 761. – Geist des h. Franz v. Sales, XVII, 53.),
nein; denn es ist billig
(= recht),
dass Sie weinen, um Zeugnis von Ihrer aufrichtigen Liebe
zu der Verstorbenen abzulegen, nach dem Beispiele
unseres göttlichen Herrn, der ja auch eine Weile über
seinen Freund Lazarus weinte. Aber weinen Sie nicht
viel, wie es jene machen, welche in ihrer gänzlichen
Hingabe an dies elende Leben nicht daran denken, dass
wir einer Ewigkeit zupilgern, in der wir, wenn wir gut
in dieser Welt leben, eines Tages unsere geliebten Toten
wiederfinden werden, um sie nie mehr zu verlassen. Wir
können unser armes Herz nicht daran hindern, den Verlust
derer zu empfinden, welche hienieden unsere lieben
Geschwister waren; aber wir dürfen nicht unserem
feierlichen Entschlusse, unseren Willen in steter
Vereinigung mit dem Willen Gottes zu halten,
zuwiderhandeln, und nicht aufhören, der göttlichen
Vorsehung zu beteuern: Ja, du bist mir stets gepriesen,
denn alles, was dir wohlgefällt, ist gut
(Brief 179.).
Jene eingebildete Unempfindlichkeit derer, welche nicht
wollen, dass man Mensch sei, ist mir immer als ein
Hirngespinst erschienen; aber, hat man dem niederen
Teile der Seele seinen Tribut entrichtet, so muss auch
dem höheren sein Recht werden, in welchem der Geist des
Glaubens gleichsam auf seinem Throne sitzt, und er soll
uns trösten in unseren Trübsalen und gerade durch unsere
Trübsale selbst: Glückeselig jene, welche sich freuen,
in Trübsal zu sein, und welche den Wermut in Honig
verwandeln (Brief 760.)."
Siebentes Kapitel.
Seine Gottesverehrung.
(Nach der h. Chantal)
Die Gottesverehrung ist
eine Tugend, welche durch das lebendige Gefühl der
göttlichen Größe erzeugt, uns antreibt, Gott und allen
heiligen Dingen und Personen um Gottes willen eine tiefe
Verehrung zu zollen. Von diesem Geiste belebt, sprach
der heilige Franz von Sales den Namen Gottes und Jesu
Christi nur mit tiefer Ehrfurcht aus; und er wies jeden,
welcher diese heiligen Namen gleichgültig gebrauchte
und, sei es mündlich oder schriftlich oder im Scherz,
eitel nannte, zurecht: „Man darf von Gott und religiösen
Dingen nie so mir nichts dir nichts sprechen, sondern
immer nur mit großer Ehrfurcht und Achtung
(Geist des h. Franz v. Sales, XII,
10)." Einst frug
man ihn, was Gott sei. „Er ist, antwortete er, ein
Geist, über jedes Verständnis unendlich erhaben, überall
gegenwärtig, ohne wahrgenommen zu werden, wie die Seele
in dem Körper ist, ohne dass sie gesehen wird. Indem ich
Ihnen nun dies sage, fügte er in ernstem und
nachdrucksvollem Tone hinzu, will ich Ihnen nicht sagen,
was Gott sei, sondern vielmehr Ihnen zu verstehen geben,
dass ich es nicht sagen kann und dass ich ein reines
Nichts bin gegen diese unermessliche Güte, welche ich in
tiefer Ehrfurcht anbete (P.
Riviere, p. 400.)."
So pflegte er denn auch zu sagen, man müsse Gott als
Gott behandeln, das heißt mit höchster Ehrfurcht, welche
jedoch nicht affektiert sein dürfe. „Als ich noch ganz
jung und in Paris auf der Schule war, erzählt er von
sich selbst, ergriff mich ein brennendes Verlangen,
heilig und vollkommen zu werden
(Dom Jean de Saint-Francois, p.
494.). Ich fing
nun an, mir einzubilden, um das zu werden, müsse ich den
Kopf auf die Schultern herabhängen lassen beim Beten der
Tageszeiten, weil ein anderer Schüler, der in der Tat
heilig war, es auch so machte; ich machte es genau so
eine Zeit lang und wurde doch dadurch nicht heiliger."
Belehrt durch diese Erfahrung hielt er sich immer und
überall, allein wie in Gesellschaft, in einer
würdevollen und bescheidenen Haltung, einfach und
anständig, um die Gegenwart Gottes zu ehren. Darum war
er ungeniert vor Fürsten und Königen, weil er gewohnt
war, immer in der Gegenwart einer höheren Majestät zu
sein, welche ihn immer mit Ehrfurcht erfüllte. Aus
diesem Grunde sprach er von dem Wirken Gottes in der
Welt nur in einer Weise, dass man daraus ersah, von wie
tiefer Ehrfurcht er durchdrungen war. Nie hat man ihn
sagen hören: „Es ist zu warm, es ist zu kalt" oder
ähnliche Worte. Er wies diejenigen, welche sich solche
Ausdrücke erlaubten, zurecht, weil sie ihm eine
Missbilligung der göttlichen Weltregierung zu enthalten
schienen (Nach der h.
Chantal. - P. La Riviere, p. 410.).
Wenn er in der Kirche war
oder ein Gebet verrichtete, so bekundeten seine
gesenkten Augen, seine ehrfurchtsvolle Haltung, sein
strahlendes Antlitz, auf welchem sein lebendiger Glaube
und seine feurige Liebe leuchteten, allen, die ihn
betrachteten, dass er mehr ein Engel als ein sterblicher
Mensch sei. Beim Gebete sah man ihn verdemütigt und
gleichsam vernichtet vor der göttlichen Majestät. Das
Brevier betete er meist auf den Knien, zuweilen auch
stehend oder langsam auf- und abgehend
(Dom Jean de Saint-Francois, p.
170.), aber nie
sitzend, wie müde oder schwach er sich auch fühlen
mochte. Er betete es gern im Chore und unterließ es nie,
wenn er nicht wirklich verhindert war. „In seinem
Stuhle, sagt ein gleichzeitiger Schriftsteller
(P. La Riviere, p. 117.),
war er wie eine Statue in ihrer Nische ohne Bewegung,
ohne Unruhe, ohne Eile, ohne rechts oder links zu
blicken, ohne sich mit etwas anderem als dem Gebete zu
beschäftigen, ging mit seinen Empfindungen von Vers zu
Vers über, indem er mit Wohlgefallen den Honig der
kostbaren Süßigkeiten, welche der heilige Geist darein
träufelte, kostete und schmeckte; und da er eine
ziemlich starke Stimme hatte, so sang er das Lob des
Schöpfers in einem so melodischen Tone, dass die
Anwesenden von frommen Gefühlen erfüllt wurden." Schon
als Dompropst (von
lateinisch praepositus = Vorgesetzter: Vorsteher und
erster Würdenträger des Domkapitels)
flößte er allen Achtung ein durch das deutliche und
kräftige Absingen des Offiziums
(Chorgebet der Messe),
und führte sogar den Gebrauch ein, eine ziemlich lange
Pause bei jedem Verse zu machen. Seine tiefe Sammlung
bezeugte allen, die ihn sahen, wie sehr er die göttliche
Majestät verehrte, mit der er redete, und sein
regelmäßiges Erscheinen im Chore bewies, wie hoch er
diesen Dienst hielt. Als der Bischof ihn einst frug, ob
nicht etwas Gesuchtes dabei sei, antwortete er: „Ich
sage es Ihnen offen, es gereicht mir zur größten Freude,
ein Mitglied einer so schönen Genossenschaft zu sein,
und ich halte es für etwas unbedingt großes, den Dienst
der Engel in einem solchen Kapitel
(Körperschaft der
Geistlichen) zu
verrichten. Übrigens ist es ein geheiligter Grundsatz,
dass man die gemeinsamen Übungen den besonderen
vorziehen muss. Wo man in seinem Namen versammelt ist,
da ist Gott dabei." Wenn er das Offizium nicht mit dem
Kapitel singen konnte, ging er doch in die Kirche zu
einer anderen Stunde, wenn es ihm nur möglich war, um in
einer würdigeren Weise das öffentliche Gebet zu
verrichten. Konnte er aber sein Brevier nicht in der
Kirche beten, so wählte er dazu einen Ort, wo er keinen
Zerstreuungen ausgesetzt war. Übrigens mochte er beten,
wo er wollte, immer geschah es in einer
ehrfurchtsvollen, demütigen Haltung, ohne sich zu rühren
oder die Augen aufzuschlagen
(Nach Angelica Pesse und
Marrignier.).
Deshalb konnte er zu einem seiner Freunde sagen: „Oft
bin ich so mit Geschäften überladen, dass ich nicht weiß
wohin, oder was ich anfangen soll; aber das stört mich
keineswegs beim Breviergebete; ich habe nie
Zerstreuungen dabei. Ich stelle mir vor, als sei ich im
Himmel, und als sänge ich dort das Lob unseres Schöpfers
mit den Engeln; dann finde ich beim Weggehen aus dem
Chore, dass die ernstesten Angelegenheiten, welche mir
so viel Sorge bereiteten, in einem Augenblicke abgemacht
sind; unser Heiland ist es, der dies tut."
Alles, selbst das
Kreuzzeichen machte der Heilige mit tiefer Ehrfurcht,
und er tadelte diejenigen sehr, welche es leichtfertig
ohne Aufmerksamkeit machten. In den anmutigsten
Gleichnissen hat er die Frömmigkeit der Gläubigen bei
dieser religiösen Handlung zu beleben gesucht.
„Betrachtet, sagte er ihnen, euer Herz als einen Garten,
worin ihr den heiligen Baum des Kreuzes pflanzet; oder
wenn ihr es vorzieht, betrachtet es als eine Festung,
auf welcher ihr die Fahne des großen Königs aufsteckt,
welche ihr nur demjenigen übergeben dürft, von dem ihr
die Fahne habt, oder als eine Kammer, die ihr mit dem
Schlüssel des Kreuzes schließet und die ihr nur dem
öffnen dürft, dem der Schlüssel gehört
(Nach der h. Chantal)."
Besonders aber und am
meisten zeigte sich die Frömmigkeit des heiligen
Bischofs am Altare und bei den verschiedenen
gottesdienstlichen Funktionen. Er verrichtete alle
Zeremonien mit eben so viel Sammlung und heiterer Anmut,
als Würde und Anstand, so dass man ihn nicht ansehen
konnte, ohne die tiefe Ehrfurcht vor Gott zu bewundern,
in welche seine Seele versenkt war
(Ebendas. – Geist des h. Franz von
Sales, V, 19.).
Bei den Prozessionen, denen er beiwohnte, machte seine
englische Eingezogenheit auf alle Zuschauer einen tiefen
Eindruck und flößte ihnen fromme Gefühle ein. Wenn er
das heilige Messopfer darbrachte, so war das noch mehr
der Fall; dann war seine Sammlung so groß, dass er, wie
er der heiligen Chantal vertraute, nie eine Zerstreuung
hatte. Ein treues Abbild Jesu Christi, des höchsten
Priesters, besaß er so viel Würde als Priester und so
viel Demut als Opfer, dass sein Anblick am Altare einen
hinriss. Die Augen hielt er sittsam niedergeschlagen,
alle Worte sprach er langsam und deutlich aus, ohne sich
je zu eilen, mochte er zu tun haben, was er wollte. Er
war sehr darauf bedacht, auch nicht die geringste
Zeremonie zu vernachlässigen
(Aussage der h. Chantal, art. 33,
p. 118.), und
machte sogar einen hohen Prälaten, der eine ziemlich
wichtige Zeremonie ausließ, darauf aufmerksam. „Denn man
muss sich, sagt er, bei einer so hohen Verrichtung
allem, was vorgeschrieben ist, unterziehen." Am meisten
zeigte sich seine Frömmigkeit in den feierlichen
Augenblicken der Wandlung und der Kommunion. Dann schien
er ganz in Gott verwandelt zu sein; auf seinem
Angesichte bemerkte man eine so friedliche Heiterkeit,
dass niemand ungerührt davon blieb; und Mehrere, die ihn
beobachtet hatten während der Kommunion, wurden so
ergriffen, dass das Gefühl davon in ihrem Herzen
lebendig blieb bis zu ihrem Tode. „Ich habe ihn, sagt
ein Zeuge (Nach Dumond)
beim Prozesse seiner Heiligsprechung, das heilige Opfer
mit einer solchen Ehrfurcht darbringen sehen, dass ich
nichts anderes tun konnte, als auf ihn sehen und hören."
--- „Ich betrachtete ihn dann, sagt ein anderer Zeuge
(Nach Moccand),
als einen ganz außerordentlichen Menschen. Seine überaus
andächtige und bescheidene Haltung flößte sogar den
Unandächtigsten Gefühle der Frömmigkeit ein." Das Gefühl
der Ehrfurcht beseelte ihn so sehr, dass er alle Tage,
bevor er an den Altar ging, beichtete
(Nach dem Kanonikus Gard und Favre);
und nicht weniger besorgt für den äußeren Anstand als
die innere Reinheit, konnte er auch die geringsten
Unehrerbietigkeiten am heiligen Orte nicht er tragen; er
tadelte sie, indem er entweder sogleich durch ein
Zeichen Stillschweigen gebot und eine bescheidenere
Haltung forderte oder in der Sakristei oder außerhalb
der Kirche einen väterlichen Verweis gab zuweilen sogar
öffentlich, wenn der Fehler ein öffentlicher war. Seine
Sanftmut konnte nicht stillschweigen gegenüber einer
Beleidigung Gottes.
Er predigte einst in
Paris in der Kirche der Minimi. Als er mit der
Einleitung zu Ende, bemerkte er, dass das heilige
Sakrament noch ausgestellt war. Da hört er auf zu
sprechen und bleibt in tiefer Sammlung stehen. Nach
einigen Augenblicken ruft er, da Niemand die Ursache
seines Schweigens erriet, aus: „Nun, wenn man will, dass
ich sitzend predige und mich bedecke, so möge man vorher
meinen Herrn verdecken." Das sagte er in einem so
ehrerbietigen Tone, dass mehrere bis zu Tränen gerührt
und ganz erbaut wurden (Annee
de la visitation, 2. avril.).
Außer Gott verehrte der heilige Bischof alle Sachen und
Personen, welche einen heiligen Charakter tragen. So
hatte er eine tiefe Ehrfurcht gegen die heilige Schrift
und rechnete das ausgezeichnete Verständnis
(Nach der h. Chantal ),
welches er von derselben erlangt hatte, zu den
kostbarsten Gnaden, welche der Himmel ihm erteilt. Er
las alle frommen Bücher mit großer Ehrfurcht, weil sie
Erklärungen derselben sind, und sagte, wenn ein Buch
weiter nichts enthalten würde, als den heiligen Namen
Gottes, so wäre das genug, um es hochzuschätzen und mit
Ehrerbietung zu behandeln. In gleicher Weise schätzte er
die Predigt des Wortes Gottes und hielt den Eifer in
Anhörung desselben in der Absicht, um besser zu werden,
für eines der sichersten Kennzeichen der Auserwählung.
Darum wohnte er auch den Predigten, so viel er konnte,
bei und unterließ dies nicht ohne einen wichtigen Grund,
indem er sagte, dass nichts Gutes an ihm sei, außer dass
er das Wort Gottes sehr gern höre. Er war dabei sehr
aufmerksam und hielt seinen Blick auf den Prediger
gerichtet, ohne den Kopf anderswohin zu wenden oder sich
vom Schlaf überwältigen zu lassen
(Dom Jean de St. Francois, p.
189.), und pflegte
zu sagen, nie höre er eine Predigt, ohne etwas daraus zu
lernen, was er noch nicht wisse (Nach Michel
Favre. – Geist des h. Franz v. Sales, XI, 14; XV, 29.).
Nach der Predigt duldete er nicht, dass man über
dieselbe urteilte, und pflegte zu sagen, man müsse das
Wort Gottes verehren, unter welcher Form es auch immer
dargeboten würde. Das hinderte ihn jedoch nicht, den
Predigern zuweilen Verweise oder Lobsprüche zu erteilen.
„Es liegt wenig daran, sagte er, ob das Wasser eines
Brunnens durch eine Röhre von Holz, Eisen oder Blei
fließt, wenn nur der Garten gut bewässert wird. Ebenso
kommt wenig auf die Fähigkeiten des Predigers an,
welcher bewässert, wenn nur unsere Seele von dem
göttlichen Worte getränkt wird wie von einem himmlischen
Tau, welcher bewirkt, dass der Heiland hervorsproßt in
dem Garten unseres Herzens." Nach dem Worte Gottes waren
die Ordensleute der Gegenstand seiner innigen Verehrung.
Er verehrte sie als den geliebtesten Teil seiner Herde,
als den Ruhm der Kirche, als den Kern der auserwählten
Seelen. Er unterhielt sich gern mit ihnen über Gott und
die himmlischen Dinge und hatte es sich zum Grundsatze
gemacht, alle Vorrechte, welche der Papst ihnen verlieh,
zu achten. Die Barnabiten, die Minimi, die Kapuziner und
Karthäuser hatten ihm Aufnahmebriefe geschickt, durch
welche er zugelassen wurde zur Teilnahme an ihren
Verdiensten; er schätzte sich deshalb sehr glücklich und
dieser Beweis der Zuneigung erfüllte ihn mit Freude und
Dankbarkeit. Ein Ordensmann wollte ihn Vater nennen,
aber er ließ es nicht zu und wollte Bruder von ihm
genannt sein. Er baute an zehn Klöster während seiner
bischöflichen Verwaltung und erwies den Ordensleuten
alle Dienste, die in seiner Macht standen. Er vermied
liebevoll alle Beweise von besonderer Zuneigung, welche
parteiisch scheinen konnten, achtete aber diejenigen
mehr, welche sich nützlicher machten. Besonders viel
hielt er auf die Jesuiten; und als er erfuhr, dass
Heinrich IV. sie nach Frankreich zurückberufen habe,
beeilte er sich, seinem Freunde Deshayes seine Freude
darüber auszudrücken. „Ich habe mich außerordentlich
gefreut, schrieb er ihm, über den Erfolg der Sache der
Jesuiten."
Die Achtung vor den
Ordensleuten beeinträchtigte in nichts, was er seinen
Priestern schuldete. Er behandelte sie als
Seinesgleichen und als seine Brüder, ohne je gegen sie
im mindesten das Bewusstsein der Überlegenheit und der
höheren Stellung durchblicken zu lassen
(Nach Moccand, Marrignier u. A.).
Er duldete nicht, dass sie vor ihm mit unbedecktem
Haupte blieben, und wenn er sich setzte, so ließ er auch
sie sich setzen. Er verlangte, dass alle seine Hausleute
ihnen eine besondere Achtung erwiesen
(Nach der h. Chantal),
und ließ es nicht zu, dass Priester, selbst wenn sie
seine Kapläne waren, ihm Dienste erwiesen, welche von
Bedienten verrichtet werden. „Ich bemerke, sagte er,
dass man zuweilen bei den Priestern auf ihre Stellung
oder ihre Herkunft sieht; das schmerzt mich von Herzen;
man darf bei ihnen auf nichts sehen, als auf ihren
Charakter, welcher der Achtung der Engel würdig ist."
Als einst jemand einen Geistlichen, von dem die Rede
war, den kleinen Priester nannte, tadelte er entschieden
diese Ausdrucksweise als wenig ehrerbietig gegen den
geistlichen Stand. Besonders groß war die Achtung,
welche er vor guten Pfarrern hatte. Einmal kam es vor,
dass er, gerade im Begriffe, sich auf eine Reise zu
begeben, seine Abreise verschob, um einen neun Stunden
von Annecy entfernt wohnenden Pfarrer zu besuchen, von
dessen Krankheit er eben erfahren hatte
(Nach Vautier).
Wurde ihm einer durch den Tod entrissen, dann konnte der
Schmerz des liebevollsten Vaters über den Verlust eines
Kindes nicht größer als der seinige sein
(Nach Moccand).
Die Kardinäle, Bischöfe und andere Würdenträger der
Kirche verehrte er alle noch ganz besonders wegen ihrer
erhabenen Stellung; er sprach nur mit großer Achtung von
ihnen und erwies ihnen alle Ehren, welche ihrer Würde
zukamen (Nach dem Abbe de
Mouxi). Wenn er in
ihre Diözesen kam, so gehorchte er ihnen wie der
niedrigste ihrer Diözesanen. Einst hielt er in dem
Kloster der Heimsuchung zu Bourges eine Konferenz, als
man ihm sagte, dass der Erzbischof nach ihm verlange.
Sogleich unterbrach er seine Rede und ging zu ihm. Als
die Schwestern ihm vorstellten, dass er ganz gut noch
eine Viertelstunde hätte warten und seine Ansprache
beendigen können, antwortete er: „Nein, meine teuren
Töchter, ich bin auf dem Gebiet eines anderen, ich muss
gehorchen (Annee de la
visitation, 26. septembre.)."
Nichts jedoch kam seiner
Ehrfurcht gegen den Papst gleich, in dem er den
Stellvertreter Christi und einen zweiten Petrus
verehrte, der mit der Fülle der apostolischen Gewalt
bekleidet ist. Er bat um seinen Rat in allen wichtigen
Angelegenheiten und verließ ohne seine Erlaubnis Savoyen
nicht; und treu dem Eide, den die Bischöfe am Tage der
Weihe leisten, schickte er pünktlich alle fünf Jahre
Bericht über den Stand seines Sprengels ein.
Seine Frömmigkeit flößte
ihm sogar eine besondere Achtung gegen die Verheirateten
ein aus Ehrfurcht gegen das Sakrament der Ehe, welches
sie empfangen hatten. Ein Kaufmann aus Paris, den er
kannte, war nach Annecy gekommen und wohnte auf seinen
Wunsch bei ihm. Jeden Abend nach dem Essen begleitete er
ihn bis zu seinem Zimmer. Beschämt über so viel Ehre,
bat der Kaufmann ihn wiederholt und inständig, das doch
nicht mehr zu tun. Der heilige Bischof aber sagte ihm:
„Mein Herr, sind Sie verheiratet?" --- „Nein,
bischöfliche Gnaden, und ich war es auch nie." -- „Gut,
versetzte er darauf, weil wir beide Junggesellen sind,
so will ich in Zukunft vertrauter mit Ihnen tun." Später
erfuhr man, dass die Ehrfurcht gegen das Sakrament der
Ehe ihn dazu bewogen hatte, diesen Fremden so zu
behandeln (P. La Riviere,
p. 551. et suiv.).
Achtes Kapitel.
Seine
Andacht zu Jesus Christus und den Heiligen.
„Es lebe Jesus, den ich
liebe!" Das war der fortwährende Ruf seines von der
Liebe zu dem Heilande der Menschen tief verwundeten
Herzens. Dies Wort hatte er oft im Munde und seine Feder
schrieb es gerne in seinen Briefen. „Ja, sagte er, wir
müssen ganz unser Herz in das Herz des unsterblichen
Königs der Zeiten legen und nur für ihn leben. O wie
wünsche ich aus Liebe zu meinem Heilande zu sterben!"
Bei den Tugendübungen stellte er sich immer Jesus
Christus vor und befliss sich, alles zu tun, zu sagen,
zu denken wie er. „Folgen wir und ahmen wir in Allem
Jesu, unserem Meister, nach, sagte er zu den Töchtern
der Heimsuchung (Ebendas.,
p. 346 et 540.).
Wenn wir beten, Almosen geben, die Betrübten trösten, in
der Einsamkeit bleiben, arbeiten, leiden müssen, so
stellen wir uns vor, wie unser Heiland alles dies getan,
indem wir ihm einfach sagen: Ja, Herr, ich will alles
tun wie Du und in Dir." Diesen Grundsätzen gemäß stellte
er sich, wenn er die Weihen erteilte, Jesus Christus
vor, wie er seine ersten Priester, die Apostel, weihte.
Trug er zu den Kranken die Tröstungen der Religion, so
betrachtete er ihn, wie er die Schwiegermutter des
Petrus und die Tochter des Synagogenvorstehers besuchte.
Erhielt er Besuch, so stellte er sich ihn vor, wie er
gütig alle aufnahm, die mit ihm reden wollten. Nahm er
Teil an einem Gastmahle, so stellte er sich ihn vor auf
der Hochzeit zu Kana. War er allein, so betrachtete er
ihn in der Wüste. War er der Verfolgung ausgesetzt, so
stellte er sich ihn vor auf der Flucht nach Ägypten. Im
Verkehre mit seinen Eltern erinnerte er sich an sein
Verhalten gegen Maria und Joseph. Empfand er süße
Tröstungen, so betrachtete er ihn auf Tabor
(Berg); war
er in Leid oder Trockenheit, so vereinigte er sich mit
seinen Schmerzen im Ölgarten oder auf dem
Kalvarienberge, kurz, was ihm auch vorkommen, was er
auch zu tun haben mochte, immer war Jesus Christus sein
vorherrschender Gedanke und das göttliche Vorbild, nach
dem er sich zu bilden suchte.
Besonders suchte er ihn
immer mehr zu lieben durch das Andenken an seine
Geheimnisse, welche er beständig in seinem Geiste und
Herzen gegenwärtig erhielt als den geliebtesten
Gegenstand seiner Andacht
(Geist des h. Franz v. Sales, XIII, 4, 5, 6.).
Die Tage, an denen die Kirche dieselben feiert, waren
ihm kostbar und riefen die lebendigsten Ergüsse seiner
Frömmigkeit hervor; an ihnen zelebrierte er immer das
Pontifikalamt mit demütiger Würde und großer Sammlung
und bemühte sich, die Gnaden und die Kraft des
Geheimnisses, welches gefeiert wurde, auf sich
herabzuziehen.
Am Weihnachtsfeste
erfüllte das Geheimnis der Krippe ihn mit den frömmsten
Gefühlen. „Das große Kindlein von Bethlehem, sagte er
(Brief 847.),
sei immer die Wonne und Liebe unseres Herzens! O wie
schön ist es! Mir ist es hundert Mal lieber, dies kleine
Kindlein in der Krippe zu sehen, als hundert Könige auf
ihren Thronen! Mein Gott (Brief 849.)! Welch' heilige
Gefühle erweckt dies Geheimnis in unserem Herzen,
besonders der Losschälung von den Gütern, den Ehren und
Freuden der Welt! Ich kenne kein Geheimnis, worin eine
solche Mischung wäre von Zärtlichkeit und Abtötung, von
Liebe und Strenge, von Sanftmut und Bitterkeit. Die
heilige Paula lebt lieber arm in Bethlehem, als reich in
Rom; ich begreife das; es kam ihr vor, als ob sie da Tag
und Nacht das teure Kind von Bethlehem höre, welches sie
antrieb zur Verachtung der weltlichen Größe und zur
Liebe des Niedrigen und Verächtlichen rief. Was sagt uns
in der Tat der Heiland nicht alles durch sein Schweigen?
Sein liebeatmendes Herz sollte wohl das unsere
entflammen . . . ." – „Ihr Name, schreibt er an eine
Ordensfrau (Brief 850.),
ist geschrieben auf den Grund jenes göttlichen Herzens,
welches da auf dem Stroh schlägt in liebendem Verlangen
nach Ihrem Fortschritte; es entsendet keinen einzigen
Seufzer, an dem Sie keinen Anteil hätten. Bleiben wir zu
den Füßen des Heilandes, indem wir mit der Braut im
Hohenliede sagen: Ich habe gefunden, den meine Seele
liebt, ich will ihn halten und mich nicht mehr von ihm
trennen. Das Kind in der Krippe sagt kein Wort, und sein
von Liebe zu dem unsrigen volles Herz äußert sich nur
durch Klagen, Tränen und sanft flehende Blicke
(Brief 851.)!
aber welch' große Dinge sagt mir dieses Schweigen! Es
lehrt das wahre Herzensgebet, es lehrte mich die
Liebesinbrunst eines Herzens, das voll ist von süßen
Gedanken und heiligen Empfindungen, und welches fürchtet
ihre Süßigkeit zu verlieren, wenn es sie in Worte
kleidet."
So sprach der heilige
Bischof über das Weihnachtsgeheimnis; ebenso rührend
ist, was er über den Namen Jesus sagt: „Ich habe,
schrieb er am Neujahrstage, nur Zeit, um Ihnen das große
Wort unseres Heiles, Jesus, zu schreiben. Sprechen Sie
diesen heiligen Namen von Grund Ihres Herzens aus; er
wird über alle Kräfte Ihrer Seele einen köstlichen
Balsam ausgießen. Wie glücklich wären wir, wenn in
unserem Verstande, in unserem Gedächtnis, in unserem
Willen, in unserer Einbildungskraft nur Jesus wäre!
Versuchen wir es und sprechen wir ihn oft aus, so gut
wir können. Möge es dem göttlichen Kinde gefallen, unser
Herz in sein Blut zu tauchen und es mit seinem heiligen
Namen zu durchduften, damit die guten Vorsätze, die wir
gefasst haben, ganz purpurrot von seinem Blute und ganz
wohlduftend seien (Brief
858. ). Küssen wir
tausend Mal die Füße des Heilandes und sagen wir zu ihm:
Mein Herz, o mein Gott, ruft zu dir, mein Verlangen ist
auf dich gerichtet, ich seufze nach deinem Anblicke; das
heißt, halten wir unsere Augen auf Jesus Christus
gerichtet, um ihn zu betrachten, unser Mund sei nur da,
um ihn zu loben, unser ganzes Wesen möge nur danach
trachten, ihm wohlgefällig zu sein
(Brief 859.)."
Seine Andacht zum Leiden
des Erlösers übertraf noch alles, was wir oben gesagt
haben. Alljährlich, in der Nacht von Gründonnerstag auf
Karfreitag, machte er die Prozession der Büßer vom
heiligen Kreuze mit; in dem Kleide der Bruderschaft ging
er mit nackten Füßen durch die Straßen, sich als das
Versöhnungsopfer betrachtend, welches geopfert werden
müsse für das Heil des Volkes; und bei der Rückkehr gab
er sich zu Ehren der Leiden Christi eine harte
Züchtigung (Annee de la visitation, 18. mars. – Nach Michel Favre.).
Er betrachtete gern die Abbildung des heiligen
Schweißtuches, auf welchem der Leib und die Wunden des
Erlösers abgedrückt waren; er hatte es in seinem
Brevier, in seinem Schlaf- und in seinem Studierzimmer,
in seiner Kapelle und in seinem Betsaale, in seinem
Empfangszimmer und in seiner Galerie
(Gang).
Und als man ihn frug, weshalb er dies Bild so gern habe,
antwortete er: „Weil es das Bild der Leiden Christi ist,
gezeichnet mit seinem eigenen Blute, und weil nichts
geeigneter ist, die Frömmigkeit zu nähren und den Eifer
zu beleben (Geist des h.
Franz v. Sales, IV, 29; V, 23.)."
Häufig betrachtete er die verschiedenen
Leidensgeheimnisse und ermunterte Andere, es auch zu
tun, indem er die unermesslichen und zahlreichen Früchte
aufzählte, welche die Seele aus dieser Betrachtung zieht
(Opusc., p. 574.).
„O Gott, ruft er aus, wenn der göttliche Erlöser so viel
für uns getan hat, was werden wir dann nicht für ihn
tun? Wenn er sein Leben für uns dahingegeben, warum
sollten wir da nicht das unsere aufopfern in seinem
Dienste und aus Liebe zu ihm? Ach, möge der Tag seines
Leidens für immer der unserem Herzen teuerste sein! O
Liebe! wie schmerzenreich bist du! O Schmerz! wie bist
du voll Liebe! (Nach der h.
Chantal)." Er
pflegte zu sagen, es gebe keinen Stachel, der uns mehr
zur Liebe dränge, als die Betrachtung der Leiden und des
Todes des Sohnes Gottes (Geist des h.
Franz v. Sales, VIII, 12; X, 25.).
Er nannte dies Geheimnis den süßesten und stärksten von
allen Beweggründen zur Frömmigkeit. „Der Kalvarienberg,
sagte er, ist die wahre Schule der Liebe; ..... und im
Himmel wird nach dem Beweggrund der göttlichen Güte an
und für sich, der Tod des Heilandes der mächtigste
Beweggrund zur Liebe für die Seligen sein .... Jede
Liebe, die nicht ihren Ursprnng in dem Leiden des
Heilandes hat, ist leichtfertig und gefährlich
(Traite de l'amour de Dieu,
dernier chapitre.)."
--- „Als ich neulich während des Gebetes, schreibt er an
die heilige Chantal (Brief
165.), die
geöffnete Seite unseres Herrn betrachtete und in sein
Herz sah, ist es mir vorgekommen, als ob unsere Herzen
das seinige rings umständen, um ihm ihre Huldigung
darzubringen als dem höchsten Könige der Herzen."
Das ganze Leben des
heiligen Bischofes stand mit diesen frommen Gesinnungen
in Einklang. Er suchte bei jeder Gelegenheit den
Gläubigen die Andacht zu den Wunden des Heilandes
einzuflößen, verfasste mehrere Predigten über diesen
Gegenstand, spricht davon in verschiedenen Kapiteln
seiner „Abhandlung über die Liebe Gottes", hat ihm ein
Kapitel in seiner Philothea gewidmet; sodann gab er auch
eine Betrachtung über Jesus am Kreuze heraus, worin er
erklärt, was Jesus leidet an seinem Leibe und seiner
Seele, wie er es leidet, warum er es leidet; und aus
diesen in so rührender Sprache gehaltenen Betrachtungen
zieht er fromme Anmutungen und zur Besserung des Lebens
nützliche Vorsätze (Opusc.,
p. 480.). Stets
trug er auf seinem Herzen die Leidensgeschichte, die er
eigenhändig geschrieben, sie als einen Schild gegen die
Versuchungen und als einen steten Sporn zu immer
größerer Liebe zum leidenden Jesus betrachtend
(Annee de la visitation, 27. mars.).
Er hatte eine besondere Vorliebe zum Bilde der heiligen
Magdalena am Kreuz, nannte es die Bibliothek seiner
Gedanken und versetzte sich gern im Geiste an die Stelle
dieser berühmten Büßerin, welche für ihre Tränen das
Blut Jesu Christi empfing, um all' ihre Makel
abzuwaschen.
Das Kruzifix, sagt er,
ist das wahre Buch des Christen. „Ich frage euch alle,
ruft er in der Begeisterung seiner Liebe aus, dich
berühmten Lehrer der Kirche, du frommer heiliger
Bernhard, wo hast du deine so liebliche Lehre geschöpft,
wenn nicht in diesem Buche? Und du, frommer Augustinus,
der du deine Seele in den Wunden des Heilandes nährtest
(pascor a vuInere = ich
nähre mich von der Wunde);
und du, seraphischer Franziskus von Assisi, der du aus
dem Buche des Kreuzes so viele rührende Belehrungen
gezogen hast; und du, englischer heiliger Thomas, der du
nichts geschrieben, bevor du Rat gepflogen mit dem
gekreuzigten Jesus; und du, seraphischer Lehrer,
heiliger Bonaventura, der du beim Schreiben deiner
frommen Werke kein anderes Papier gehabt zu haben
scheinst, als das Kreuz, keine andere Feder als die
Lanze, keine andere Tinte als das Blut Jesu Christi
unseres Heilandes; o welches Feuer verzehrte dich, als
dein Herz den Liebesruf ausstieß: Wie gut ist es bei dem
gekreuzigten Jesus? Ich will hier drei Hütten bauen:
eine in seinen Händen, eine in seinen Füßen und die
dritte in seiner Seitenwunde; dort will ich ruhen und
wachen, lesen und reden, beten und alles tun
(Sermon pour l'invention de la St.
Croix.)."
„O, ruft er anderswo aus
(Sermon pour le vendredi
saint.), wenn
unser Heiland uns bis zum Tode des Kreuzes geliebt hat,
was bleibt uns da übrig, als auch zu sterben aus Liebe
zu ihm, oder wenn wir nicht für ihn sterben können,
wenigstens zu leben für ihn? Wahrhaftig, wenn wir ihn
nicht lieben, wenn wir nicht für ihn allein leben, so
sind wir undankbar und treulos. O Herr, sagt der heilige
Augustinus, ist es möglich, dass der Mensch weiß, dass
du für ihn gestorben bist und dass er dennoch nicht lebt
für dich? Wie! mein Gott! sagte unter Schluchzen der
heilige Franz von Assisi, du bist gestorben aus Liebe zu
uns und niemand liebt dich!"
Um dieses große Übel
nicht aufkommen zu lassen (Entretien
XII, de l'exaltation de la St. Croix, p. 392.),
empfahl der Heilige, immer das Kreuz bei sich zu tragen,
es oft mit Liebe zu küssen, mit Ehrfurcht und
Zärtlichkeit zu betrachten und zu sprechen: O Jesus,
Vielgeliebter meiner Seele, lass mich Dich an meinen
Busen drücken, wie einen Myrrhen-Strauß; ich verspreche
Dir, dass mein Mund, welcher das Glück hat, Dein
heiliges Kreuz zu küssen, sich in Zukunft der üblen
Nachreden, des Murrens, jedes Wortes enthalten wird, das
Dir missfallen könnte; dass meine Augen, welche Dein
Blut und Deine Tränen für meine Sünden fließen sehen,
nicht mehr die Eitelkeit der Welt betrachten werden,
nichts, was der Gefahr aussetzt, Dich zu beleidigen;
dass meine Ohren, welchen es so tröstlich ist, Deine
sieben Worte am Kreuze zu hören, kein Vergnügen mehr
finden sollen an eitlem Lob, an unnützen Unterhaltungen,
an Worten, welche den Nächsten verletzen; dass mein
Geist, welcher mit so viel Wohlgefallen das Geheimnis
des Kreuzes betrachtet, keinen Zutritt mehr gewähren
wird eitlen und schlechten Gedanken und Vorstellungen;
dass mein Wille, der sich dem Gesetze des Kreuzes
unterworfen und der Liebe des gekreuzigten Jesus
hingegeben, nur mehr Liebe haben soll für meine Brüder;
kurz, dass nichts in meinem Herzen aus- oder eingehen
soll ohne Erlaubnis des heiligen Kreuzes. Mit diesem
heiligen Zeichen werde ich mich ehrerbietig bezeichnen
beim Schlafengehen und beim Aufstehen und in allen Nöten
des Lebens."
Was der Heilige Andere so
schön lehrte, das übte er selbst noch besser. „Wenn der
Wind, schrieb er an die heilige Chantal
(Brief 642.),
sich in unseren Tälern zwischen den Bergen fängt, so
zerstört er die kleinen Blumen und entwurzelt die großen
Bäume. So habe auch ich, der ich durch das bischöfliche
Amt ziemlich hoch stehe, mehr Ungemach zu erdulden. Aber
am Fuße des geheiligten Kreuzes unseres Heilandes
schlägt der von allen Seiten niederströmende Regen den
Wind nieder. Wenn ich dort bin, o Gott, wie friedlich
ist es dann in meinem Herzen und welche Süßigkeit
verleiht ihm dann dieser rot schimmernde Tau!"„Seien Sie
doch immer in der durchbohrten Seite des Heilandes,
sagte er zur heiligen Chantal, ich will versuchen, oft
mit Ihnen da zu sein ... Wie gut ist der Herr, wie
liebenswürdig ist sein Herz! Bleiben wir an diesem Orte
der Zuflucht; möge dieses Herz immer leben in unserem
Herzen und dieses Blut immer wallen in den Adern unserer
Seele!"
Wie bewunderungswürdig
auch seine Gefühle zu dem Leiden des Heilandes waren, so
war seine Andacht zu der heiligen Eucharistie vielleicht
noch inniger und rührender. Wusste er, dass irgendwo
eine Segenandacht gehalten wurde, da ging er sicherlich
hin, wenn er nur konnte; und dann verweilte er vor dem
zur Anbetung ausgesetzten Liebesgeheimnisse in der
größten Ehrfurcht, immer auf den Knien, immer in einer
so bescheidenen Haltung, in so tiefer Demut und
ungeteilter Aufmerksamkeit, dass jedermann davon erbaut
war. Er war da unbeweglich wie eine Statue, versagte
sich jeden Blick, jedes Räuspern, selbst den Gebrauch
der Kalotte
(Käppchen katholischer Geistlicher),
und ertrug lieber das Stechen der Mücken, welche ihm
mehr als ein Mal sein kahles Haupt blutig stachen, als
dass er eine Bewegung mit der Hand machen wollte, welche
sich schlecht vertragen hätte mit der tiefen Verehrung,
von der er durchdrungen war.
Trug er das heilige
Sakrament bei Prozessionen, dann war er, wie die heilige
Chantal berichtet (Nach der
h. Chantal), einem
leuchtenden Cherub gleich, den Gott der Liebe an der
Brust tragend, fast ohne die Augen zu bewegen. Sein Herz
empfand dann eine unbeschreibliche Inbrunst, und sein
gesammeltes, ganz in die große Handlung vertieftes
Antlitz flößte Allen, die ihn sahen, Ehrfurcht ein. „Ich
habe heute Morgen bei der Prozession meinen Heiland
getragen, schreibt er, er hat mir in seiner Gnade
tausend heilige Gedanken eingegeben, so dass ich Mühe
hatte, die Tränen zurückzuhalten; ich verglich mich mit
dem Hohepriester des alten Bundes, welcher auf seiner
Brust einen reichen, mit zwölf kostbaren Steinen
besetzten Schmuck trug, auf denen die Namen der zwölf
Stämme eingegraben waren. Aber ich fand meinen
Brustschmuck viel reicher! Denn ich hielt das heilige
Sakrament an meine Brust gedrückt, und es schien mir,
als ob die Namen der Kinder Israels alle darin
verzeichnet seien. O wie hätte ich gewünscht, dass mein
Herz sich geöffnet hätte, um den Heiland zu empfangen!
Aber ach, es fehlte mir das Messer, um es zu öffnen,
denn es öffnet sich nur durch die Liebe."
Ein anderes Mal, als er
das heilige Sakrament bei einer außerordentlichen Hitze
getragen und so erschöpft war, dass man für seine
Gesundheit fürchtete, frug man ihn, wie er sich befinde:
„Etwas müde ist mein Körper, antwortete er
(P. Riviere, p. 413.),
aber in der Seele und im Herzen, wie wohl ist mir da!
Und wie könnte es anders sein, da ich auf meiner Brust
und ganz nahe meinem Herzen die göttliche Arznei
getragen? Wenn ich mein Herz so recht verdemütigt hätte,
dann würde ich den göttlichen Heiland an mich gezogen
haben, der diese Tugend so sehr liebt und überallhin
eilt, wo er sie sieht. Mein Gott, wie war ich gerührt,
als ich die Worte des Psalmes singen hörte: Die
Sperlinge haben ihren Ort und die Turteltauben ihr Nest,
wohin sie ihre Jungen legen. O Königin des Himmels!
sagte ich da bei mir, o Maria, o keusche Turteltaube,
dein Junges hat also meine Brust zum Neste! Und wie bin
ich ergriffen worden von dem Worte des Hohenliedes: Mein
Vielgeliebter ist ganz mein und ich bin ganz sein; ich
ruhe an seinem Busen; und von dem anderen, welches Jesus
zu mir zu sprechen schien: Setze mich wie ein Siegel auf
dein Herz! Auf ihm hielt ich ihn ja in der Tat." Man
begreift, wie groß der Eifer eines so frommen Bischofes
sein musste, an den Altar zu gehen, seinen Gott da in
seinen Händen zu tragen, ihn mit seinen Augen zu
betrachten und in sein Herz aufzunehmen. Täglich feierte
er die heilige Messe, selbst auf Reisen
(Nach Angelika Pesse. – P. Riviere,
p. 414.), und er
sagte, es würde ihm den ganzen Tag über nicht wohl zu
Mute gewesen sein, wenn er es ein einziges Mal
unterlassen hätte (Nach
Moccand.). Um
diese heilige Handlung besser zu verrichten, hatte er
sich schriftlich eine Methode entworfen, welche
glücklicherweise noch erhalten ist. Er beginnt mit den
Akten der Anbetung, Liebe, Reue, Genugtuung und
Aufopferung; dann geht er über zur Betrachtung der zwei
Geheimnisse unseres Heilandes, vor und nach der Messe.
Ferner las er das neunte Kapitel des vierten Buches der
Nachfolge Christi, verrichtete das Gebet Gregor's XIII.:
Ego volo missam celbrare
(Ich will die Messe
feiern) u. s. w.,
sowie noch verschiedene andere Gebete zu Jesus Christus,
zur allerseligsten Jungfrau, den Engeln und Heiligen.
Nach dieser Vorbereitung gibt er kurz die frommen
Empfindungen und Gedanken an, welche ihn bei den
einzelnen Teilen des heiligen Opfers beschäftigen
sollen, sowie die Art und Weise der Danksagung, an die
er noch verschiedene Gebete knüpft und zeigt, wie man da
den Heiland als Vater, Mittler, Lehrer, Richter, Arzt,
Hirt und Belohner der Auserwählten verehren soll
(Opusc., p. 324.).
Sehnlichst wünschend,
dass das allerheiligste Sakrament überall so geliebt
werde, wie er selbst es liebte, sah er bei seinen
Rundreisen sehr darauf, dass Tabernakel, Ziborium, das
zum heiligen Dienste gehörige Linnen
(Leintuch),
die ganze Kirche auf das geziemendste unterhalten
würden, um den Gläubigen schon dadurch Ehrfurcht vor
diesem großen und erhabenen Sakramente einzuflößen, dass
die Prozessionen und alle Zeremonien mit Würde und
Ehrerbietung stattfänden. Jedes Jahr predigte er
entweder selbst über das Fronleichnamsfest an dem
vorhergehenden Sonntage oder ließ darüber predigen, um
das Volk zu ermahnen, sich recht auf diese erhabene
Feier vorzubereiten; während der ganzen Oktave
(acht Tage vom Fest
bis zu seinem 8. Oktavtag, z.B. Weihnachten bis Neujahr)
gab er selbst den
Segen mit dem Allerheiligsten, um möglichst viele
Gläubige herbeizuziehen; das ganze Jahr hindurch empfahl
er bei jeder Gelegenheit die öftere Kommunion
(Geist des h. Franz v. Sales, XI,
20; XVIII, 25.),
und er tat das mit solchem Erfolge, dass in seiner
ganzen Diözese und namentlich in Annecy die meisten alle
Sonn- und Feiertage und selbst die lauesten wenigstens
an den höchsten Festen zum Tische des Herrn gingen
(Dom Jean de St. Francois,
p. 491.).
Vor allem ermunterte er
dazu alle, welche unter seiner Leitung standen, sowohl
Ordensleute wie Weltleute. „Gehen Sie nur getrost, sagte
er, ruhig und demütig zur heiligen Kommunion, um dem
Wunsche des göttlichen Bräutigams nachzukommen, der, um
sich mit uns zu vereinigen, sich so sehr erniedrigt und
aller Hoheit entkleidet hat, dass er für uns Fleisch
wurde, Fleisch für uns, die wir das Fleisch der Würmer
sind; unterlassen Sie nicht die heilige Kommunion wegen
ihrer Zerstreuungen und Mangel an Inbrunst, denn alles
das findet ohne Ihre Zustimmung nur in den Sinnen statt;
und nichts wird Ihren Geist wieder so erheitern, als
sein König, nichts wird ihn so beleben, als seine Sonne,
nichts wird ihn so lieblich durchdringen, als sein
Balsam . . . Gott! welch' ein Glück, dass unsere Seele,
bis sie zu jener Vereinigung mit unserem Heilande im
Himmel gelangt, mit ihm durch dies göttliche Sakrament
in die innigste Verbindung tritt, so dass wir in
wirklicher Kommunion den genießen, welchen die Cherubim
und Seraphim durch wirkliches Schauen anbeten und
genießen. Alsdann ist Jesus Christus in allen Teilen
unseres Seins; da richtet er auf und reinigt alles, er
tötet ab, belebt, heiliget alles; er liebt in dem
Herzen, denkt im Gehirne, belebt in der Brust, sieht in
den Augen, redet in der Zunge, tut alles in uns, und
alsdann leben wir nicht mehr in uns selbst, sondern
Jesus Christus lebt in uns."
Besonders lag ihm daran,
dass man sich würdig dem heiligen Tische nahe, und zu
dem Zwecke verfasste er zum Gebrauche der Gläubigen:
1) Verschiedene Anleitungen und Übungen, um die
heilige Messe in der rechten Weise zu hören
(Opusc., p. 475, 501, 503.);
2)
Ermahnungen zum öfteren Empfange der heiligen Kommunion
(Ebendas., p. 370, 583,
637.); 3)
verschiedene fromme Übungen vor und nach derselben,
nebst einer Sammlung von Gebeten und Hymnen zur
Vorbereitung und Danksagung
(Opusc., p. 206 – 247, p. 590,
599, 604 et suiv.).
In ihnen strömt sein Herz über von Gefühlen der Liebe,
der Bewunderung und Dankbarkeit für dies
liebenswürdigste aller Geheimnisse.
Wie der Bach aus der
Quelle, so entsprang dieser so innigen Verehrung zu
Jesus Christus jene zu Maria; er war überzeugt, dass die
Liebe zu Maria unzertrennlich von der Liebe zum Sohne
ist, dass es ein Vergehen gegen diesen ist, wenn man
erstere nicht ehrt, dass man, je mehr man Jesus Christus
liebt, um so mehr jene lieben muss, welche ihn uns
gegeben hat, jene, die er selbst so sehr geliebt hat und
deren Verherrlichung auch seine eigene ist, dass Maria,
als Mutter Jesu Christi, unseres höchsten Vaters, unsere
Großmutter ist, und dass Gott, wie er durch sie zu uns
gekommen ist, auch wünscht, dass wir durch sie zu ihm
kommen. Darum besaß der heilige Bischof für Maria eine
ganz besondere Verehrung, eine zarte Liebe, ein
kindliches Vertrauen (Geist
des heiligen Franz v. Sales, IV, 30 u. 91.).
„So oft ich, sagt er, einen Ort betrete, der dieser
erhabenen Königin geweiht ist, fühle ich an dem
freudigen Erbeben meines Herzens, dass ich bei meiner
Mutter bin; denn ich bin wohl der Sohn derjenigen,
welche die Zuflucht der Sünder ist
(Annee de la visitation, 27. aout.)."
Schon in seiner zartesten
Jugend war diese Verehrung zur allerseligsten Jungfrau
die Wonne seines Herzens; er hatte sich in alle zu ihrer
Ehre errichteten Bruderschaften aufnehmen lassen und das
Gelübde gemacht, jeden Tag seines Lebens den Rosenkranz
zu beten, eine Übung, die er mit solcher Frömmigkeit
verrichtete, dass er eine ganze Stunde darauf verwandte,
indem er dabei die Geheimnisse des Rosenkranzes
betrachtete, und mit solcher Gewissenhaftigkeit, dass
er, wenn ihm seine Geschäfte während des Tages keinen
freien Augenblick übrig ließen, seinen Rosenkranz am
Arme trug, um es ja nicht zu vergessen, ihn zu beten,
bevor er sich zur Ruhe begab. Mochte es Abends auch noch
so spät geworden sein, mochte er sich auch noch so
erschöpft und müde fühlen, das Gebet zu Maria wurde um
nichts abgekürzt, und war er so krank, dass er nicht
sprechen konnte, so ließ er es sich von Jemand vorbeten,
um stille innerlich mitzubeten. Hörte er den „Angelus"
(Gebet: Engel des
Herrn) ist ein
läuten, so entblößte er sein Haupt und betete ihn
knieend, wo er sich auch immer befinden mochte.
Disputierte er mit den Irrgläubigen, so empfahl er sich
immer mit vollstem Vertrauen der allerseligsten
Jungfrau, mit den Worten, welche die Kirche an sie
richtet:
Gaude, Maria Virgo.
Cunctas haereses sola interemisti in universo mundo.
Freue dich, Jungfrau Maria,
alle Irrlehren hast du allein vernichtet auf der ganzen
Welt.
Ebenso bat er in allen
schwierigen Lagen um ihren Beistand und predigte Allen
diese heilsame Übung.
„Ich finde, sagte er, alle meine Hilfe im
allerheiligsten Sakramente und bei der Mutter Gottes,
von der ich stets einen ganz besonderen und ganz
wunderbaren Beistand erhielt. Ach, wie fühle ich es so
sehr, welch' ein Glück es ist, ein Kind, wiewohl ein
unwürdiges Kind einer so glorreichen Mutter zu sein!
Beginnen wir nur Großes unter ihrem Schutze; und sind
wir innig in unserer Liebe zu ihr, so wird sie uns
erwirken was wir begehren." Eine große Freude gewährte
es ihm immer, wenn er auf seinen Rundreisen in seiner
Diözese viele Kirchen fand, die der Mutter Gottes
geweiht waren. Als eines Tages bei dem Versuche, einen
sehr steilen Hügel hinanzuklimmen, auf dem sich eine
solche Kirche befand, seine Füße ganz wund und blutig
geworden und seine Leute ihn zu bestimmen suchten, von
einem so mühevollen Beginnen abzustehen, entgegnete er:
„Ja, ich bin sehr müde; aber wenn es mir zur Schande
gereicht, so wenig an die Anstrengung im Dienste Gottes
gewöhnt zu sein, so gewährt es mir Freude, mein Blut im
Dienste der Mutter Gottes vergossen zu haben
(Annee de la visitation, 3. aout.).
Die Hingabe des heiligen
Bischofs an Maria war so groß, dass er in all' seinen
Predigten, in all' seinen Konferenzen, überall von ihr
sprach, wo er nur immer die Gelegenheit dazu finden
konnte; er predigte an all' ihren Festen, und das Feuer,
die Freudigkeit, die Fülle seiner Worte legten Zeugnis
von seinen inneren Gefühlen ab. „Sie wissen, schrieb er
an die heilige Chantal, dass unsere glorreiche Königin
mir immer einen ganz besonderen Beistand verleiht, wenn
ich von ihrer göttlichen Mutterschaft rede; ich fIehe
sie an, ihre Hand in die kostbare Seite ihres Sohnes zu
legen, um aus ihr die teuersten Gnaden zu nehmen und sie
uns in Fülle zu spenden."
Nahm, wie billig
(zurecht),
unter den Heiligen des Himmels die allerseligste
Jungfrau den ersten Platz in seinem Herzen ein, so
vergaß er darum keineswegs, auch allen übrigen die
gebührende Verehrung zu erweisen; und es waren wiederum
der heilige Joseph, die heiligen Schutzengel und
verschiedene andere Heilige, zu denen er eine ganz
besondere Andacht hatte, aber alle ohne Ausnahme waren
seinem Herzen lieb und teuer.
Neuntes Kapitel.
Seine
Nächstenliebe.
Um die Nächstenliebe des
heiligen Franz zu verstehen, muss man sich erinnern,
dass es bei ihm keineswegs jene menschliche Liebe war,
die aus einem guten und gefühlvollen Herzen kommt,
sondern vielmehr eine in ihrem Ursprunge und Gegenstande
ganz übernatürliche Liebe. Übernatürlich in ihrem
Ursprung, weil sie hervorging aus der Liebe, die er zu
Gott trug, aus jener Gottesliebe, welche, wie er sagte,
die Nächstenliebe nicht nur befiehlt, sondern auch im
Herzen erzeugt als ihr Bild und ihren Widerschein
(Traite de l'amour de Dieu, X,
11.).
Übernatürlich in ihrem Gegenstande, weil er Gott selbst
und seinen Sohn Jesus Christus in allen Menschen sah und
liebte (Ebendas., chap.
XII.). „Es kommt
mir vor, sagte er (Nach der
h. Chantal), als
ob ich durchaus nichts liebte als Gott und alle Seelen
um Gottes willen, und es scheint mir alles nichts zu
sein, was nicht Gott oder für Gott ist. O wann werden
wir unseren Nächsten an der Brust des Heilandes sehen?
Wer ihn nicht da sieht, läuft Gefahr, ihn nicht rein,
nicht beharrlich, nicht gleichmäßig zu lieben. Aber wer
sollte ihn da nicht lieben? ihn da nicht ertragen und da
nicht Geduld mit seinen Unvollkommenheiten haben? Wer
sollte ihn unangenehm und langweilig finden, wenn er ihn
an dieser heiligen Brust sieht, so geliebt und so
liebenswürdig, dass der göttliche Heiland aus Liebe zu
ihm stirbt (Geist des
heiligen Franz v. Sales, X, 33; IX, 15.)?"
So lange die Koralle in dem Meere ist, ist sie ein
grünlicher Strauch, ohne Schönheit; sobald sie aber
herausgezogen und der Sonne ausgesetzt ist, entzückt sie
durch ihren Glanz und ihr Farbenspiel. So hat auch die
Nächstenliebe in den Grenzen der Natur weder Güte noch
Schönheit. Ist sie aber der Sonne der Liebe Gottes
ausgesetzt und durch seinen Geist, welcher der Geist der
Liebe ist, geheiligt, so zeigt sie sich in ihrer
Vollkommenheit, dem Nächsten helfend durch Worte, Werke
und gutes Beispiel, sorgend für seine Bedürfnisse so
viel wie möglich, sich freuend über sein Glück,
besonders aber über seinen geistlichen Fortschritt,
indem sie ihm die Güter der Gnade wünscht und mit großer
Liebe zuwendet, jedoch ohne Unruhe des Geistes und ohne
Unwillen in Widerwärtigkeiten."
Ganz erfüllt von diesen
schönen Grundsätzen, liebte er den Nächsten auf eine
unbeschreibliche Weise. „Ich glaube nicht, sagt ein
Zeuge seines Lebens, dass sich auf der Welt ein Mensch
finden kann, der eine vollkommenere Liebe gegen den
Nächsten besitzt. Dem Nächsten zu dienen und zu helfen,
sowohl geistiger als leiblicher Weise, war seine
beständige Übung. Man muss alles für den Nächsten tun,
pflegte er zu sagen, nur nicht sich die Verdammnis
zuziehen. Mühen, Arbeiten, Unbequemlichkeiten, die
größten Gefahren waren ihm nichts, wenn er seinen
Brüdern in Jesu Christo nützen und helfen konnte. Es hat
Gott gefallen, sagte er, mein Herz so zu schaffen; ich
will ihn so sehr lieben, den teuren Nächsten, ich will
ihn so sehr lieben! O wann werden wir ganz durchdrungen
sein von Sanftmut und Liebe zu dem Nächsten? Ich habe
ihm meine ganze Person, meine Fähigkeiten, meine
Zuneigung gegeben, damit er sich ihrer nach seinen
Bedürfnissen bediene." In der Tat war es Grundsatz bei
dem heiligen Franz, nie dürfe man anderen einen Dienst
oder eine Tröstung verweigern, die man ihnen bieten
kann; nie versäumte er, dem Nächsten alles Gute zu tun,
das in seiner Macht stand, was es ihm auch kosten
mochte. Und wenn man ihn dabei sich aufreiben sah und
ihm Vorstellungen machte, dass diese Hingebung seine
Kräfte erschöpfen werde, erwiderte er: „Zehn Lebensjahre
mehr oder weniger ist nichts", und setzte seine
übermäßigen Arbeiten fort, welche nach dem Urteil Vieler
sein Leben abkürzten (Nach
der h. Chantal).
--- Die erste Stelle in dieser Liebe nahmen seine
Freunde ein; seine herrlichen Eigenschaften hatten ihm
deren eine große Zahl gewonnen. Er war aber auch der
beste Freund, den man finden kann, aufrichtig und
wahrhaft, fremd allem zweideutigen Wesen und noch mehr
jeder Schmeichelei; großmütig, so dass er seine Freude
darin suchte, anderen Freude zu machen; nie zufriedener,
als wenn er ihnen einen Dienst erweisen konnte; immer
suchte er sie glücklich zu machen, selbst auf die Gefahr
hin, Undank zu ernten. Er war ein treuer Freund, sich
immer gleichbleibend in der Freundschaft; ein
verschwiegener Freund, dem es rein unmöglich war, ein
Geheimnis aus Leichtsinn zu verraten; besonders aber ein
so hingebender und mitfühlender Freund, dass seine Seele
sozusagen ganz eins war mit der seiner Freunde. Nach der
Sünde fürchtete er nichts mehr, als seinen Freunden
Kummer zu machen, und er fürchtete dies so sehr, dass er
wünschte, erst in Folge langwieriger Krankheiten zu
sterben, damit seine Freunde der öfteren Krankenbesuche
und seine Diener des langen Krankendienstes müde würden,
und so sein Tod, anstatt Jemanden zu betrüben, vielmehr
für alle eine Erleichterung sei
(P. Riviere, p. 440.).
Aber hören wir ihn selbst: „Ich bin in allem Übrigen,
sagt er, schwach und arm; aber zu denen, welche mich mit
ihrer Freundschaft beglücken, habe ich eine sehr zähe,
fast unveränderliche Zuneigung. Wer mich zu einem
Freundschaftskampfe herausfordert, der muss sehr stark
sein; denn ich werde seiner nicht schonen. Es gibt
niemanden auf der Welt, der eine innigere Zuneigung zu
seinen Freunden hat als ich, und der schmerzlicher die
Trennung von ihnen empfindet
(Brief 839.).
.... Ich werde immer teilnehmen an allem Angenehmen und
Unangenehmen, was Sie treffen wird, schrieb er an seinen
Freund Deshayes (Brief 50.),
welcher aus christlicher Gesinnung eine schwere
Beleidigung verziehen hatte; aber ich freue mich über
den, welcher bewirkt hat, dass Sie dem verziehen haben,
welcher ohne Grund gegen Sie eine Treulosigkeit
ausgeübt. Darin liegt die größte Seelenstärke; das zieht
die Gnade des Himmels herab." Der heilige Bischof konnte
wohl eine solche Sprache führen; denn, obgleich er so
gut war, hatte er doch selbst eine große Zahl von
Feinden, welche ihn oft beschimpften, wie wir es in
seiner Lebensgeschichte gesehen. Er rächte sich jedoch
nie, außer dadurch, dass er ihnen möglichst viel Gutes
tat. Es war eine bekannte Sache, dass es hinreichte, ihm
einigen Kummer gemacht zu haben, um sogleich Beweise
seiner Güte zu erfahren, oder ihn beschimpft zu haben,
um Gunstbezeigungen zu erhalten
(Nach Lesmontex. -- Nach der h.
Chantal).
„Ich weiß nicht
(Geist des heiligen Franz von
Sales, I, 32.),
sagte er, was ich für ein Herz habe. Aber es macht mir
solche Freude, es ist mir eine so köstliche Wonne, meine
Feinde zu lieben, dass, wenn Gott mir verboten hätte,
sie zu lieben, ich Mühe hätte, ihm zu gehorchen. Es
kostet wohl einigen Kampf, aber zuletzt muss man doch zu
dem kommen, was David sagt: Zürnet, aber sündiget nicht.
O nein! Warum sollten wir denn die nicht ertragen, die
Gott erträgt, da wir das Beispiel Jesu Christi vor Augen
haben, der am Kreuze für seine Feinde gebetet? Sie haben
uns wahrhaftig nicht gekreuzigt und bis zum Tode
verfolgt. O, wer sollte ihn nicht lieben, den teuren
Feind, für den Jesus Christus gebetet, für den er
gestorben ist? Denn er betete nicht nur für die, welche
ihn kreuzigten, sondern auch für die, welche uns
verfolgen, und welche ihn in uns verfolgen; darum hat er
zum heiligen Paulus gesagt: Warum verfolgst du mich? Das
ist von seinen Gliedern zu verstehen." Ordensleute
hatten sich einst gegen ihn vergangen und es war sogar
zu Gewalttätigkeiten gekommen; da wies er sie mit
Nachdruck zurecht, wie es seine Pflicht erforderte, aber
ohne Aufregung; und als Tags darauf der Obere des Hauses
kam, um eine besondere Gunst zu erbitten, bewilligte er
sie in seiner gewohnten Güte. „Wie, sagte da einer von
den Seinigen zu ihm, können Sie die so behandeln nach
dem, was sie Ihnen angetan!" - Franz erwiderte: „Wenn
dieser Pater einen meiner Arme von mir gefordert hätte,
so würde ich ihn gegeben haben." Ein andermal erhielt er
zwei Briefe, von denen der eine sehr beleidigend war.
„Ich werde nicht antworten, sprach er, aber ich werde
Gott bitten, zu dem Herzen dieses Menschen zu sprechen
und ihn seinen Willen erkennen zu lassen." Aus dem
anderen Briefe ersah er, dass ein Edelmann in mehreren
Gesellschaften in unwürdiger Weise von ihm gesprochen
hatte; er aber sagte: „Was folgt daraus anderes, als
dass ich viel für ihn beten muss?“ Zwei Jahre hindurch
hatte Jemand ihn und seinen teuren Orden von der
Heimsuchung mit Schimpf und Verachtung verfolgt, und der
Heilige äußerte sich in einem seiner Briefe
folgendermaßen über denselben: „Ich liebe ihn
unglaublich. O wie sehr wünsche ich ihm alles Gute!" Als
er einige Zeit darauf erfuhr, dass er gestorben sei,
zeigte er einen so lebhaften Schmerz darüber, als hätte
er einen Freund verloren. Einige Monate später sprach
man ihm wieder von diesem Feinde: „Ich bete täglich für
ihn am Altare," sagte er da.
So fanden alle, Freund
und Feind, bei dem heiligen Bischofe eine liebevolle
Aufnahme, mit dem Unterschiede, dass die, über welche er
sich am meisten zu beklagen hatte, am besten behandelt
wurden. Jemand drückte ihm einst seine Verwunderung
darüber aus, dass er einen gewissen Menschen, welcher
ihn fortwährend verkleinerte, noch ausstehen könne,
worauf er erwiderte: „Sie werden sich nicht mehr so
wundern, wenn Sie erfahren, dass meine Feinde, wenn ich
sie einmal gesehen habe, in weniger als vierzehn Tagen
meine Freunde werden (P.
Riviere, p. 440.)."
In der Tat schien die Liebe, von der sein Herz
überströmte, sich in seine Gespräche, über seine Züge
und sein ganzes Benehmen zu ergiessen. Eine immer
heitere Stirne, eine immer freundliche Miene und offene
Lebhaftigkeit in der Unterhaltung, eine unbeschreibliche
Sanftmut hoben an ihm so recht hervor, was die Tugend
nur Liebenswürdiges besitzt. Willfährig in allen
erlaubten Dingen, lebte er mit Allen im besten
Einvernehmen. „Ich bin schneller fertig, sagte er, wenn
ich mich dem Willen anderer anbequeme, als wenn ich sie
dahin zu bringen versuche, wohin ich will
(Geist des heiligen Franz von
Sales, V, 28.).“
Zuweilen kam es vor, dass sich zwanzig bis dreißig
Personen einfanden, um mit ihm zu sprechen, in einem
Augenblicke, wo andere wichtige Geschäfte ihn in
Anspruch nahmen; er aber ließ Alles liegen, um sie
anzuhören, und ruhte nicht eher, bis er Alle vollkommen
zufriedengestellt hatte. Gegen jeden war er freundlich,
ließ nie das geringste Zeichen von Langeweile, Ungeduld
oder Ermüdung durchblicken, außer einem Male, wo er,
nachdem er so unaufhörlich vom frühen Morgen bis zwei
Uhr Nachmittags Audienz gegeben, ausrief: „Ich kann
nicht mehr" und die Besucher verabschiedete, weil es ihm
unmöglich war, sie fernerhin anzuhören. Besonders
missbrauchten die Frauen die Leichtigkeit, mit der man
Zutritt zu ihm hatte, und kamen in Masse zu ihm. Sein
alter Lehrer Deage, dem der demütige Prälat die Freiheit
gelassen, ihn zurechtzuweisen, als wenn er noch immer
sein Schüler wäre, erlaubte sich, ihm deshalb strenge
Vorwürfe zu machen. „Dass Frauen so häufig in die
bischöfliche Wohnung kommen, sagte er, ist unpassend,
und ich fürchte, dass die bösen Zungen davon
Veranlassung nehmen, Ihren guten Ruf anzugreifen, der
mir mehr am Herzen liegt, als der meinige." -- Der
heilige Bischof erwiderte: „Gott, der die Liebe ist, hat
mir ein Liebesamt übertragen, wo ich mich Allen schulde,
besonders den Schwachen und Armseligen. Unser Heiland
weiß, dass ich bei all' dem nur seine Liebe im Auge
habe. So lange ich mich fest an ihm halte, wird er nicht
zulassen, dass ich falle, und mich mit seiner mächtigen
Hand aufrecht erhalten. Ein Rohr wird in der Hand Jesu
Christi eine Tempelsäule (Ebendas.,
I, 28.)." Auch
jemand anders tadelte ihn darüber und sagte, er begreife
nicht, weshalb die Frauen so zu ihm liefen, da er ihnen
doch nichts von Bedeutung sage. -- „Ei, erwiderte
scherzend der heilige Prälat, nennen Sie das nichts,
wenn man sie Alles sagen lässt? Für sie muss man eher
Ohren zum Hören als eine Zunge zum Sprechen haben. Sie
sagen schon genug für sich und mich. Wahrscheinlich ist
diese Bereitwilligkeit, sie anzuhören, der Grund,
weshalb sie sich so zu mir drängen. Denn nichts gefällt
einem großen Schwätzer so sehr, als ein geduldiger
Zuhörer (Ebendas., VII, 4.)."
Nachdem er die Personen,
welche sich ihm vorstellten, empfangen hatte, besuchte
der liebevolle Hirte diejenigen, welche durch Krankheit
verhindert wurden, zu ihm zu kommen; und dort zeigte
sich noch mehr das Innige seiner Liebe; er war da wie
eine Mutter am Bette ihres kranken Kindes; er munterte
sie auf, nicht durch lange Reden, welche sie ermüdet
hätten, sondern durch kurze Stoßgebete, indem er ihnen
zum Beispiel sagte: „Mein Gott, dem Wille geschehe und
nicht der meinige; Gott, mein Vater, in deine Hände
befehle ich meine Seele, meine Gesundheit und mein
Leben; ich übergebe mich dir; ich liebe dich und bereue,
dich nicht immer geliebt zu haben
(Geist des heiligen Franz von
Sales, II, 5.)."
Er beruhigte sie in ihren Beängstigungen und tröstete
sie in ihren Trübsalen. „So lange ich Sie in Trübsal auf
dem Bette sehen werde, sagte er zu einer Kranken, werde
ich eine besondere Ehrfurcht vor Ihnen haben, wie vor
einem Geschöpfe, welches von Gott heimgesucht, mit
seinem Gewande bekleidet und zu seiner besonderen Braut
erkoren ist. Als unser Heiland am Kreuze hing, wurde er
zum König erklärt, selbst von seinen Feinden; die
Seelen, welche in Kreuz und Leiden sind, sind erklärte
Königinnen. Die Engel beneiden uns nur um Eines, nämlich
darum, dass wir etwas für unseren Heiland leiden können,
während sie nie etwas für ihn gelitten haben." Als er
einst zu einem Kranken kam, der untröstlich war über das
Ungemach und die Beschwerden, welche seine Krankheit
seinen Kindern bereitete, sprach er zu ihm: „Ich bin im
Gegenteil nie so zufrieden in meinen Krankheiten, als
wenn ich sehe, dass die Meinigen sich viel Mühe
meinetwegen machen. Ich sage mir dann: Wenn sie das für
Gott tun, wie ich gern glaube, wie viele Verdienste
sammeln sie sich dann, welch' herrlichen Lohn im Himmel!
und von diesem Standpunkte aus scheinen sie mehr
beneidenswert als bemitleidenswert zu sein
(Nach Montrottier)!“
In seiner Liebe machte der heilige Bischof keinen
Unterschied zwischen Klein und Groß, zwischen Arm und
Reich. Leute aus dem Volke, Bauern, grobe, unreinliche
Landleute, alle waren ihm willkommen
(Nach der h. Chantal. – Dom Jean
de St. Francois, p. 421.).
Sie trugen ihm vertrauensvoll ihre kleinen Anliegen vor;
und er, ohne im geringsten merken zu lassen, dass man
seine Güte missbrauchte, hörte gütigst alles an, was man
ihm zu sagen hatte, wie fad und langweilig auch die
Geschichte war, und gab allen eine so freundliche
Antwort, dass sie beglückt heimkehrten
(Nach der h. Chantal).
Er konnte es auch nicht leiden, dass man sie auf der
Kanzlei warten ließ, wenn sie etwas da zu tun hatten,
ging selbst hin, um ihnen fortzuhelfen, oder schickte
die Seinigen, wenn er nicht selbst gehen konnte
(Nach Legay. – Geist des heiligen
Franz v. Sales, II, 4.).
Zuweilen redete er ihren
Dialekt, um sie noch mehr zu gewinnen, tat, als fühle er
sich recht wohl bei ihnen, und scheute sich keineswegs,
auf diese unbedeutenden Dinge eine Zeit zu verwenden,
die ihm für seine übrigen Arbeiten so kostbar war.
„Diese geringen Leute, sagte er, muss man in ihren
Anliegen ebenso anhören und unterstützen, wie die Großen
in den ihrigen; wenn etwas Nichtiges eine Seele
beunruhigt, so darf man deshalb nicht unterlassen, sie
zu trösten. Was uns eine Kleinigkeit scheint, das ist
schon wichtig genug für die Armen; und übrigens ist es
nichts Geringes, eine Seele zu trösten, die Jesus
Christus mit seinem Blute erkauft hat." Oft waren seine
Bedienten sehr unwillig darüber, dass er allen Klassen
von Leuten so freien Zutritt gewähre, selbst aus den
niedrigsten Ständen, Trödlern und Marktschreiern. „Wo
ist denn Eure Liebe? sagte er dann sanft. Ich
meinerseits will ihn so sehr lieben, diesen teuren
Nächsten! Ich werde mich nie Jemanden entziehen, zu
welcher Stunde es auch sein mag."
„Einst, sagt die heilige
Chantal, hatte er einer einfältigen und unbedeutenden
Person sehr lange Gehör geliehen; als ich mir erlaubte,
ihm deshalb eine Bemerkung zu machen, erwiderte er.
„Ich schulde mich Allen:
Sapientibus et insipientibus debitor sum.“
Ich bin den Weisen und den Unweisen ein Schuldner.
(Brief an die Römer 1: 14).
Ein andermal tadelte ich
ihn, dass er so lange mit einer armen Person über eine
nichtssagende Angelegenheit gesprochen hatte, welche ich
eine Dummheit nannte. -- „Was Sie Dummheit nennen,
antwortete er, ist wichtig für diese armen Leute."
Ebenso erzählt der Bischof von Belley, er habe einst
lange Zeit auf den Prälaten warten müssen mit mehreren
anderen Personen, weil er eine blinde Bettelfrau
anhörte; als er ihm sein Erstaunen über die lange Dauer
des Gesprächs kundgegeben, habe er geantwortet: „Ach,
diese Blinde sieht heller in den göttlichen Dingen als
Viele, die gute Augen haben, und ich hatte Freude an der
Unterredung mit ihr." Er gefiel sich in der Tat im
Umgange mit einfachen Seelen, und sein Herz erweiterte
sich in ihrer Gesellschaft. Er liebte besonders die
kleinen Kinder, sprach gütig mit ihnen und segnete sie
freundlich lächelnd.
Einer seiner süßesten
Genüsse war, die Armen ihn Vater nennen zu hören. Eines
Tages, erzählt der Bischof von Belley
(Geist des heiligen Franz v.
Sales, IV, 14.),
fuhr ich mit ihm über den See von Annecy; da nannten ihn
die Schiffer „Vater", und sprachen zutraulich mit ihm.
„Sehen Sie, sagte er zu mir, diese Leute nennen mich
„Vater", und es ist wahr, dass sie mich wie ihren Vater
lieben. O wie viel mehr Freude machen sie mir dadurch,
dass sie mich so nennen, als die Komplimentemacher, die
mich „Hochwürdigster Herr" anreden." Um sich wahrhaft
als Vater der armen Leute aus der Stadt und vom Lande zu
zeigen, empfing er mit der freundlichsten Miene die
kleinen Geschenke, welche sie ihm aus Erkenntlichkeit
für Amtsverrichtungen brachten; der eine brachte ihm
eine Handvoll Nüsse oder Kastanien; ein anderer Äpfel,
Eier oder kleine Käse; andere einen Sou oder einen
Heller als Mess-Stipendium. Was man ihm an Geld gab,
verteilte er unter die Armen beim Hinausgehen aus der
Kirche. Esswaren, die er erhielt, steckte er in seine
Taschen oder in seinen Chorrock, um sie bei Tisch zu
genießen. Er pflegte dann die Worte des Psalmes zu
zitieren: „Die Arbeit deiner Hände wirst du genießen,
glücklich bist du und es wird dir wohlergehen
(Ps. 127, 2. – Geist des h. Franz
v. Sales, IV, 25.)."
Nach alle dem ist es leicht begreiflich, wie barmherzig
eine so gute Seele gegen die bedürftigen Armen war.
Montags und Donnerstags in jeder Woche gab er an dem
Tore des bischöflichen Hauses ein allgemeines Almosen,
das mehr oder weniger reichlich war, je nach der Not der
Zeit, und verteilte an Alle Brot, Suppe, Gemüse und
Kleider. Auch an den anderen Tagen gab er Allen, die
kamen, ohne je Einen abzuweisen; und wenn er kein Geld
hatte, dann lieh er lieber, als dass er die Armen mit
leeren Händen fortgehen ließ, oder gab sein Linnen,
seine Kleider, seine Fußbekleidung
(Nach der h. Chantal ).
Einmal gab er sogar die Schuhe, die er an den Füßen
hatte; ein andermal brachte er die silbernen Kännchen
aus seiner Kapelle, und als der Verwalter ihm deshalb
Vorwürfe machen wollte, sagte er lächelnd: „Die
gläsernen Kännchen sind besser; Wasser und Wein kann man
da nicht verwechseln." Zur Winterzeit besonders konnte
er nicht sehen, wenn die Armen schlecht gekleidet waren
und vor Kälte zitterten; sogleich gab er ihnen Geld, um
sich Kleider zu kaufen, oder wenn er kein Geld hatte,
seine eigenen Kleider, wenn die Armen sie annehmen
wollten; oft aber machten sie Einwendungen, weil sie zu
schlecht waren. Einst kam ein Armer zu ihm, der mit
Lumpen bedeckt war; Franz befahl seinem Bedienten, ihm
eines seiner Unterkleider zu geben; der Bediente
gehorchte; der Arme aber rief, weil das Kleid zu sehr
geflickt war, aus: ,Ach, hochwürdigster Herr, sehen Sie
doch, was man mir da gibt!" -- „Sieh nach, sprach der
barmherzige Prälat zum Bedienten, ob kein besseres da
ist." -- „Von allen, die Sie haben, erwiderte dieser,
ist dieses das am wenigsten schlechte." --- „Mein
Freund, sagte darauf der Bischof zu dem Armen, leider
habe ich kein besseres; habe darum die Güte, Dich damit
zu begnügen (Nach Baytay)."
Zuweilen ärgerte sich der Bediente, wenn er sehen
musste, wie der Bischof seinen Kleiderschrank leerte.
„Mein Freund, sprach dann der Heilige, werde nicht böse;
diese Kleider gehören mehr den Armen, als mir, weil
diese sie notwendiger haben, als ich
(Nach Bonien)."
Wenig befriedigt durch diese Antwort und voraussetzend,
dass sein Herr seine Freigebigkeit fortsetzen werde,
legte der Bediente häufig Alles unter Verschluss.
Alsdann beraubte sich der Heilige seiner Unterkleider,
um die Armen damit zu bekleiden. So gab er einst,
gerührt durch den Anblick eines fast nackten Armen, ihm
die ganz neue Unterjacke, die er unter der Soutane
(Obergewand eines
Geistlichen) trug,
indem er ihm anbefahl, es geheim zu halten; und er litt
den ganzen Tag hindurch von der Kälte, bis der Bediente,
als er beim Schlafengehen die Sache entdeckte, ihm eine
andere gab (Nach Legay, dem
Kanonikus Garde und Claudius Girod, welcher die Jacke
erhalten und sein ganzes Leben hindurch als Reliquie
ehrfurchtsvoll aufbewahrte).
Am Gründonnerstage endlich bediente er bei Tische zwölf
Arme und verteilte eine beträchtliche Summe unter sie,
nachdem er ihnen in demütiger Haltung zur Erbauung der
Anwesenden die Füße gewaschen und liebevoll geküsst
hatte (Nach Angelica de la
Pesse). – Alle
Ordensleute, die durch Annecy reisten und kein Haus
ihres Ordens dort hatten, ebenso die Weltgeistlichen,
fanden im bischöflichen Hause gastliche Aufnahme. Der
heilige Prälat sorgte dafür, dass ihnen nichts mangelte,
und verband mit diesen Freundschaftsdiensten eine
herzliche und brüderliche Freundlichkeit, welche noch
mehr rührte, als die Wohltat der Gastfreundschaft
(Nach Rendu. – Nach der h.
Chantal). Alle
Neubekehrten, welche von Genf oder anderen Orten kamen,
um ihre Zuflucht in Annecy zu suchen, erfuhren ebenfalls
seine Wohltätigkeit je nach ihren Bedürfnissen. Wenn
ihre Lage es erforderte, so zahlte er für sie das
Kostgeld in der Stadt oder nahm sie bei sich selbst auf;
zuweilen bezahlte er selbst für die Knaben das Lehrgeld
für ein Handwerk, brachte die Mädchen in Dienst bei
tugendhaften Frauen, oder gab ihnen die notwendige
Mitgift zum Eintritt ins Kloster oder zu ihrer
Verheiratung. Auch die verschämten Armen vergaß der
barmherzige Prälat nicht; er hatte eine genaue Liste von
ihnen, erkundigte sich in schonender Weise nach ihren
Bedürfnissen, ließ ihnen Almosen zukommen, aber so, dass
er ihre Empfindlichkeit nicht verletzte; unmöglich wäre
es, bemerkt ein Augenzeuge, Alle aufzuzählen, die er so
unterstützte (Nach Bonard.
– Nach der h. Chantal).
Den Armen, welche durch Krankheit verhindert wurden,
selbst zu ihm zu kommen, trug er selbst das Almosen hin,
sogar in die dunkelsten und hässlichsten Winkel, in
Scheunen und Ställe; bald gab er ihnen GeId, bald
schickte er ihnen Fleisch, wenn sie es essen konnten; er
schnitt es ihnen in Stücke, um ihnen die Mühe zu
ersparen (Nach der
Schwester Flory),
und erwies ihnen mit eigener Hand die niedrigsten
Dienste. Als man ihn einst abhalten wollte, zu einem
alten Manne zu gehen, weil er einen sehr üblen Geruch
von sich gab, sagte er: „Lasset mich, der üble Geruch
der Armen ist für mich Rosenduft." Davon gab er ein
auffallendes Beispiel, als er zu Rumilly die
Fastenpredigten hielt. Er hatte eben den Grafen von
Tournon mit seiner ganzen Familie Beichte gehört, da
kommt ein schwacher Greis zum Beichtstuhl, dessen
Geschwüre und Schmutz einen so abscheulichen Geruch
verbreiteten, dass die Leute des Grafen ihm den Zutritt
zu der Küche untersagt hatten. Der heilige Apostel hat
ihn kaum bemerkt, so erhebt er sich, geht ihm entgegen
und führt ihn zum Beichtstuhl zurück. Nach der Beichte
hilft er ihm aufstehen, umarmt ihn zärtlich und führt
ihn an seinen Platze. -- Angetrieben von dem Gefühl der
Liebe, besuchte der Gottesmann ein oder zwei Mal die
Woche die Gefängnisse und Spitäler, tröstete und
unterstützte die Leidenden und brachte sie durch sanften
Zuspruch zum Empfang der Buße und Kommunion
(Nach Favre und Baytay. – Nach der
h. Chantal). Wenn
er abwesend war, mussten die Almosen gegeben werden, als
wenn er zu Hause wäre, und außerdem sorgte er für alle
Bedürfnisse der Klöster und der Häuser, in denen
Bedürftige Aufnahme fanden, und wachte mit väterlicher
Sorgfalt darüber, dass niemanden in seiner Umgebung
etwas mangelte. Von einer Liebe beseelt, welche die
Grenzen des Gewöhnlichen überschritt und die wir nicht
als Muster aufzustellen wagen, gab er selbst im
Beichtstuhl seinen armen Beichtkindern ein ihren
Bedürfnissen entsprechendes Almosen und sagte, sie
sollten auf diesem Wege seine Hilfe in der Not in
Anspruch nehmen, wenn es ihnen so besser zusage.
Weigerten sich Arme zu
beichten, so hörte er deshalb nicht auf, sie zu
unterstützen; oft sogar gab er große Almosen an
lüderliche
(liederliche)
Frauenzimmer auf ihr bloßes Versprechen hin, das
unordentliche Leben aufzugeben; und wenn sie, ihrem
Versprechen untreu, ihre Lebensweise fortsetzten, so
hörte er nicht auf, ihnen Gutes zu tun. „Das ist
verlorene Zeit und verlorenes Geld", sagte man ihm. –
„Ach leider, antwortete er, ist das menschliche Elend
groß! man muss immer Mitleid haben und nie an der
Bekehrung einer Person verzweifeln
(Nach der h. Chantal).“
Zuweilen wurde er
gebeten, Geld vorzustrecken, und er tat es gerne, nicht
als ob er sehr auf die Zurückerstattung gerechnet hätte,
sondern weil dies weniger demütigend für den
Betreffenden war, als Almosen. Einst wollte ein
gewöhnlicher Mann, dem er zwölf Taler geliehen, ihm
einen Schuldschein schreiben. „Das ist nicht notwendig,
sagte Franz, ich vertraue auf Ihr Wort; übrigens ist
auch die Summe nicht so groß, dass ihr Verlust mir
schaden würde. Plagen Sie sich nicht, um sie mir
wiedergeben zu können; ich werde sie nie wiederfordern."
Der Mann aber, zu stolz, um ein Almosen anzunehmen,
sagte, in einem Monate werde er die Summe wiedergeben
und nehme sie nur auf einen Schuldschein hin an. Franz
ließ ihn machen. Und als er am Ende des Jahres
wiederkam, um wieder zehn Taler zu leihen, ohne von den
zwölfen zu sprechen, die er schuldete, gab Franz ihm
seinen Schuldschein zurück mit den Worten: „Sie haben
mich nur um zehn Taler gebeten, hier haben Sie zwölf,
die ich Ihnen herzlich gerne gebe." Ein Anderer bat ihn
um zwanzig Taler und wollte ihm auch einen Schuldschein
schreiben. Der heilige Bischof, der nicht immer über
solche Summen zu verfügen hatte, aber doch den Mann
nicht fortschicken wollte, ging zehn Taler holen und
sagte zu ihm: „Ich habe ein Auskunftsmittel gefunden,
welches uns beiden einen Gewinn von zehn Talern
einbringt, wenn Sie mir glauben wollen." – „Und dies
wäre?" frug hastig der Andere. -- „O, es ist sehr
einfach, sagte Franz, wir brauchen beide nur die Hand zu
öffnen. Hier haben Sie zehn Taler, die ich Ihnen zum
Geschenk mache, anstatt Ihnen zwanzig zu leihen. Sie
gewinnen so diese zehn Taler und ich halte die anderen
zehn für gewonnen, wenn Sie mich davon entbinden, sie
Ihnen zu leihen." Der Mann fand das Auskunftsmittel für
sehr gut und entfernte sich, entzückt über die Güte
seines liebevollen Seelenhirten
(Geist des h. Franz von Sales, II,
6 u. 7.).
Es drängt sich Einem
unwillkürlich die Frage auf, wie es dem heiligen
Bischofe bei seinem geringen Einkommen möglich wurde,
eine so großartige Freigebigkeit zu üben und dabei doch
sein Haus auf einem so anständigen und seiner Stellung
würdigen Fuße zu erhalten. Das ist ein Geheimnis,
welches seine Zeitgenossen sich nicht erklären konnten,
und welches ihnen ans Wunderbare zu grenzen schien; es
ist wenigstens ein auffallender Beweis davon, wie viel
Gutes die Liebe mit geringen Mitteln zu Stande bringen
kann, wenn sie selbst die Verwalterin des Hauses ist.
Rolland, jener treue Diener des heiligen Bischofs,
welcher die Verwaltung aller Einkünfte in der Hand
hatte, bekannte sich nicht zu dieser Lehre, und machte
oft Schwierigkeiten, wenn er Geld für die Almosen geben
sollte. Aber Franz nötigte ihn immer dazu, indem er
versicherte, dass man sich keine Sorgen machen solle,
wenn nur die Jahre sich aneinander reihen könnten, Gott
werde für Alles sorgen und nicht zulassen, dass es
seinen Dienern am Notwendigen mangele, weil sie die
Nächstenliebe ausgeübt
(Nach Michel Favre);
und die Erfahrung bewies, dass er Recht hatte.
Wie rührend nun auch die
Liebe des heiligen Franz war in Bezug auf die
Bedürfnisse des Nächsten, so war sie doch noch viel
bewunderungswürdiger in Bezug auf die Fehler des
Nächsten. „Die Menschen müssen Geduld mit einander haben
und die Tapfersten sind die, welche am besten die Fehler
Anderer ertragen .... Ein großer Teil der Vollkommenheit
liegt darin, uns gegenseitig mit unseren
Unvollkommenheiten zu ertragen, und man kann die
Nächstenliebe nicht besser üben, als gerade dadurch
(Brief 343. – Geist des h.
Franz von Sales, XVII, 12; XVIII, 47.).
Es ist leicht, diejenigen zu lieben, welche einen
angenehmen und ansprechenden Charakter haben; aber die
zu lieben, welche Grillen, üble und verdrießliche Launen
haben, das ist der wahre Prüfstein der Nächstenliebe."
--- „Man muss, sagte er ferner
(Brief 748. – Geist des heiligen
Franz von Sales, XVIII, 8; XVII, 22.),
ein gutes und sanftmütiges Herz gegen den Nächsten
haben, besonders wenn er uns lästig und überdrüssig ist;
denn dann ist nichts in ihm, das uns ihn lieben lehrt,
als die Ehrfurcht vor dem Heilande, welcher in diesem
Falle die Liebe vortrefflicher und würdiger macht, weil
sie reiner und von nichtigen Beweggründen freier ist."
Darum ermahnte auch der heilige Bischof in seinen
Gesprächen wie in seinen Schriften zur Übung gewisser
Tugenden, von welchen er sagte, dass sie nicht hoch
genug geschätzt werden können; nämlich der Herzlichkeit
und Geduld, der Freundlichkeit, Güte, der Ertragung der
Fehler Anderer und hielt es für eine Täuschung, große
Dinge für den Nächsten tun zu wollen, wenn man es nicht
versteht, die üblen Launen, die Unhöflichkeiten und
besonders die Zudringlichkeit gewisser Leute zu
ertragen, welche um nichtigere Dinge willen Einen zur
Unzeit stören und aufhalten
(Geist des h. Franz v. Sales, II,
25.)."
Treu diesen Grundsätzen,
ertrug Franz die Fehler Aller, bequemte sich der Laune
eines jeden an, verkehrte gern mit den gröbsten und
gemeinsten Leuten, ohne je Einen zu verachten, wie arm
und elend er auch sein mochte. Kurz er ertrug Alles von
jedermann, ohne je Einem wehe zu tun, und empfahl Allen,
es ebenso zu machen. Als er einst aus Gehorsam gegen den
Arzt in dem Garten eines Ordenshauses spazieren ging,
welches er zu Annecy, großteils auf eigene Kosten,
errichtet hatte, hörte er, wie ein hypochondrischer
Ordensmann sich darüber beklagte, dass der Bischof ihn
in seinen Träumereien störe. Sogleich verließ er den
Garten und machte seinen Spaziergang im Freien
(Nach Passis).
„Ein Mal, erzählt der Bischof von Belley
(Geist des h. Franz v. Sales, I,
8.), beklagte ich
mich über einige Landedelleute, die, obwohl arm wie Iob
(Iob = Ijob =
Hiob), dennoch den
Ton von Fürsten und großen Herren annahmen und sich ohne
Aufhören ihres Adels und der Großtaten ihrer Ahnen
rühmten. – „Ei, sagte er mir scherzend, warum wollen Sie
denn, dass diese armen Leute doppelt arm sein sollen?
Sie trösten sich über ihre Armut mit dem Gedanken, dass
sie reich an Ehren sind; das ist eine Schwachheit, die
man ertragen muss." Eine Dame von Stand, deren Wandel in
der Welt wenig christlich gewesen war, kam zur heiligen
Chantal und bat um Aufnahme in das Kloster der
Heimsuchung. Als diese den Heiligen um Rat fragte, sagte
er: „Fragen Sie mich da nicht um Rat; ich bin
parteiisch, wenn es sich um die Nächstenliebe handelt."
In der Tat schien er eine
besondere Herzlichkeit für jene Personen zu hegen,
welche an irgend einem Fehler litten. Eine Novizin war
aus dem Kloster ausgewiesen worden, weil man dafür
hielt, dass ihr roher Charakter unverträglich sei mit
den für das gemeinschaftliche Leben notwendigen
Tugenden. Darüber wurde er ganz traurig und sagte zur
heiligen Chantal: „Aber warum denn, ehrwürdige Mutter,
sieht man mehr auf die Unvollkommenheiten der Natur, als
auf den guten Willen einer Person, welche entschlossen
ist, Alles zur Besserung ihrer Fehler zu tun und die
Pflichten ihres Berufes zu erfüllen? Wie viele Stimmen
hat sie, ehrwürdige Mutter?" Diese antwortete, sie habe
mehr als die Hälfte für sich. „Dann sagen Sie unseren
Schwestern, bemerkte er, dass die Novizin aufgenommen
sei und ich unfehlbar an dem bestimmten Tage kommen
würde, um ihr das Gelübde abzunehmen
(Recueil de la mere Greffier, p.
21.)."
Ein andermal meldeten
sich zwei Mädchen zur Aufnahme in den Orden, die eine
jedoch mit der Bedingung, ihre Ohrringe, die andere,
ihren Ring behalten zu dürfen. Frau von Chantal und die
ganze Gemeinde wollten sie abweisen; der Heilige aber,
der bei ihnen im Übrigen den wahren Beruf entdeckte,
nahm sie auf mit der Bemerkung, dass man sogar die
Albernheiten des Nächsten ertragen müsse. Bald darauf
gelangten die neuen Ordensfrauen von selbst zur Einsicht
und legten den nichtigen Schmuck ab, sich schämend vor
Gott und den Menschen über eine so lächerliche Anmaßung
(Ebendas. p. 17) ).
Dieser Nachsicht mit den Fehlern des Nächsten entsprach
eine gleiche Abneigung gegen die üble Nachrede, welche
dieselben rügt und aufdeckt. „Wenn man die üblen
Nachreden aus der Welt entfernte, sagte er, so würde man
dadurch die Zahl der Sünden bedeutend vermindern
(Geist des h. Franz v. Sales, XII,
14.)." Darum
konnte er es auch nicht leiden, wenn man in ungünstiger
Weise über Jemanden sprach, es mochte sein, wer es
wollte; und wenn man sich eine solche Sprache in seiner
Gegenwart erlaubte, so suchte er das Böse, welches man
erzählte, zu entschuldigen. „Wenn eine Handlung hundert
Gesichter hätte, sagte er, so muss man immer das
schönste betrachten." Konnte er das Böse nicht in einem
günstigen Lichte darstellen, weil es zu offen am Tage
lag, dann rief er die Augen zum Himmel erhebend aus. „O
wie groß ist das menschliche Elend
(Ebendas. , XVI, 43.)!
Sciant gentes, quoniam homines sunt. Die Völker sollten
wissen, dass sie doch Menschen sind.
(Spruch vom Hl.
Augustinus). Wie
heftig sind zuweilen die Versuchungen! Wie böse
Augenblicke hat das menschliche Herz!" Zuweilen bemerkte
er auch in solchen Fällen: „Ach, ohne die Gnade, welche
uns bewahrt und aufrecht erhalten hat, wären wir
vielleicht noch schlechter geworden und jetzt in der
Hölle (Ebendaselbst, III,
26.). Wer weiß, ob
sie sich nicht bekehren und einst noch große Heilige
werden. Die größten Sünder sind ja zuweilen die
berühmtesten Heiligen geworden, wie David und der
heilige Augustinus."
Einst, erzählt der
Bischof von Belley, war in seiner Gegenwart Rede von
einer Person, welche einen sehr skandalösen Fehler
begangen hatte, und als man sich nun sehr stark darüber
ausdrückte, rief er aus: „O menschliches Elend! o
menschliches Elend! O, wie sind wir von Schwachheiten
umringt! Was können wir aus uns selbst anders als
fallen? Ach, wir würden vielleicht Schlimmeres tun, wenn
Gott uns nicht hielte.“ Als er nun sah, dass die bösen
Zungen trotzdem nicht schweigen wollten, sprach er die
prophetischen Worte: „Nun, dieser Fehler wird die
Ursache ihres Heiles sein, sie wird ihn lebhaft
empfinden und durch ein heiliges Leben wieder gut machen
(Geist des h. Franz v.
Sales, XVII, 12; I, 10.)."
Die Folge bestätigte es. – „Es ist wunderbar, rief er
ein andermal bei einem ähnlichen Falle aus
(Ebendas., I, 24.),
dass man so viel Liebe zur Keuschheit hat, dass man ihre
Verteidigung übernimmt, wenn sie verletzt wird, dass man
aber so wenig die Keuschheit der Liebe hat, das heißt
die Reinheit, Unversehrtheit dieser Tugend, welche doch
die Mutter, Königin und Seele aller anderen ist." Indem
er so diesen doppelten Gedanken weiter entwickelte, tat
er der üblen Nachrede Einhalt, welche sein Ohr
verletzte. Auf eine ebenso feine Weise brachte er einen
anderen Tadler zum Schweigen, der von dem Wissen eines
Geistlichen geringschätzig sprach, wiewohl er seine
Tugendhaftigkeit lobte. „Es ist wahr, sagte er, dass
Wissenschaft und Frömmigkeit die zwei Augen eines guten
Geistlichen sind; aber, wie man doch diejenigen zu den
Weihen zulässt, welche nur ein Auge haben, besonders
wenn es das kanonische ist, so kann auch ein Priester,
welcher das kanonische Auge hat, nämlich ein
musterhaftes und kanonisches Leben führt, ein guter
Ordensmann sein. Wenn er nicht auf der Kanzel glänzt, so
genügt es, dass er ermahnen und zurechtweisen kann. Gott
ließ den Balaam (=
Bileam) durch
seine Eselin belehren."
Der heilige Bischof
wollte jedoch nicht, dass man sich beunruhige wegen der
ungehörigen Worte, die man wider seinen Willen in der
Gesellschaft mit anhört. „Bei den Gesprächen, sagte er
(Ebendas., XII, 11.),
bleibe in Frieden bei Allem, was man da sagt und tut;
denn ist es gut, so hast du Grund, Gott zu loben; ist es
schlecht, so hast du Gelegenheit, Gott zu dienen, indem
du dein Herz davon abwendest, ohne die Erstaunte oder
Geärgerte zu spielen, weil du nicht mehr tun kannst und
nicht genug Ansehen besitzest, um diejenigen von den
üblen Reden abzubringen, welche sie führen wollen, und
welche noch schlimmere führen werden, wenn du dir den
Schein gibst, als wollest du sie davon abhalten. Wenn du
so tuest, wirst du ganz unschuldig bleiben unter dem
Gezische der Schlangen und wie eine liebliche Erdbeere
kein Gift einsaugen durch den Verkehr mit giftigen
Zungen." Spottreden über den Nächsten betrübten ebenso
wie die üblen Nachreden das Herz des guten Bischofs.
Wenn er solche hörte, gab er sein Missfallen zu erkennen
durch seine traurige Miene und lenkte das Gespräch auf
etwas Anderes; oder wenn er das nicht konnte, scheute er
sich nicht zu den Spöttern zuzurufen: „Wer hat euch das
Recht gegeben, euch lustig zu machen auf Kosten des
Nächsten? Wolltet ihr, dass man euch so auf das Tapet
(Tischdecke / zur
Sprache) brächte
und eure Fehler einzeln zerlegte? Sich damit
unterhalten, die Fehler Anderer aufzusuchen, ist ein
Zeichen, dass man sich nicht mit den seinigen
beschäftigt." Einst erlaubte sich ein Fräulein, die
natürlichen Fehler und wenig schönen Züge einer anderen
ins Lächerliche zu ziehen. Der Heilige bemerkte ihr
darauf: „Gott hat uns gemacht; wir haben uns nicht
selbst gemacht, und die Werke Gottes sind vollkommen."
Bei diesen Worten brach das Fräulein in Lachen aus und
sagte, sie finde diese Person durchaus nicht vollkommen.
„Mein Fräulein, erwiderte er, ihre Seele ist gerader,
schöner und besser als die Ihrige
(Geist des h. Franz v. Sales, XII,
11.)." Nicht
zufrieden, aus den Gesprächen die Reden gegen den
Nächsten zu verbannen, wollte er nicht einmal, dass man
über die Fehler eines Landes oder einer Provinz scherze.
„Man muss die üblen Nachreden über andere Nationen
vermeiden, sagte er, weil sie, wenn sie ihre dunklen
Seiten haben, auch ihre besonderen Auszeichnungen
besitzen, und weil es überdies nur dazu dient, Zank und
Streit zu stiften (La
Riviere, P. p. 570.)."
Ja, die Liebe des Prälaten war so groß, dass er nicht
'mal einen Zweifel an dem Heile derjenigen gestattete,
welche nach einem schlechten Leben ohne Zeichen der Reue
starben. „Verdammen wir sie nicht, sagte er; unsere
Vermutungen können uns täuschen; die Beharrlichkeit bis
zum Ende bestimmt sich nicht nach dem Verdienst; Gott
hat sich das Geheimnis derjenigen, welchen er sie gibt,
vorbehalten (Geist des h.
Franz v. Sales, III, 26 et 27.)."
Und um diese Wahrheit zu bekräftigen, erzählte er, was
er einen Prediger über den Tod Luthers hatte sagen
hören: „Wer weiß, ob Gott ihn in der Todesstunde nicht
mit seiner wirksamen Gnade gerührt? Zwar ist er, wenn er
nicht verdammt ist, dem lieben Gott eine große Kerze
schuldig, weil er so gerade daran vorbeigekommen, wie
kein Mensch auf der Welt; aber wir müssen eine große
Meinung von der Güte Gottes haben, der unendlich reich
ist an Barmherzigkeit gegen die, welche sie anrufen.
Jesus Christus hat seinen Frieden, seine Liebe und das
Heil seinem verräterischen Jünger angeboten; warum
sollte er sie nicht diesem armen Ketzer haben anbieten
können?"
Daraus schloss der heilige Prälat, dass man nie
verzweifeln solle am Heile eines Menschen, noch das
Andenken der Toten schmähen.
Eine ebenso große
Abneigung hatte er auch gegen Prozesse und nannte sie
den Ruin der Liebe unter den Menschen
(Geist des h. Franz v. Sales, VII,
28. – Brief 526.).
„Man gibt Euch den Rat, wegen hundert Talern vor Gericht
zu gehen, sagte er einst zu den Schwestern von der
Heimsuchung; und ich rate Euch, es nicht zu tun wegen
tausend. Ein Heiliger könnte kaum sich weise erhalten
bei Prozessen. Litigare et non insanire vix sanctis
conceditur. Zu prozessieren und
(dabei)
nicht den Verstand zu verlieren, wird den Heiligen kaum
gestattet (Dom Jean de
Saint-Francois, p. 446 et 447.).
Nie, fügte er hinzu, hat unser Heiland Streit geführt,
obgleich man ihm tausendfaches Unrecht zugefügt. Ich
tadle diejenigen, welche vor Gericht gehen, keineswegs,
wenn es mit Recht geschieht; aber ich sage, ich schreibe
es nieder, und wenn es nötig ist, werde ich es mit
meinem Blute schreiben, wer vollkommen und ein Kind des
gekreuzigten Jesus sein will, muss diese Lehre befolgen:
Fliehe die Prozesse. Möge die Welt knirschen, möge die
Klugheit des Fleisches sich empören, das Wort Jesu
Christi ist vorzuziehen: Demjenigen, welcher dir deinen
Leibrock nehmen will, gib auch noch deinen Mantel
(Brief 794.).
Der Friede ist eine heilige Ware, welche es wert ist,
dass man sie teuer erkauft
(Brief 663.)."
Einst hörte er, dass ein Vater mit seinem Sohne Prozess
hatte wegen einer Vermögensangelegenheit; er liess sie
kommen und sprach zu ihnen: „Nun, um was handelt es
sich? Hier sind meine silbernen Leuchter, nehmet sie und
streitet nicht mehr." Der liebevolle Hirte erwendete
einen großen Teil des Tages darauf, jene anzuhören,
welche Prozesse und Klagen zu führen hatten und ihn zum
Schiedsrichter wählten; zuweilen verwendete er sogar
ganze Tage darauf, so dass er genötigt war, die Nacht
für's Brevier und die anderen geistlichen Übungen zu
nehmen. Er hörte ruhig an, was die Parteien, ihre
Advokaten und Anwälte vorbrachten, ohne je zu klagen
über Störung in seinen Geschäften, ohne gelangweilt zu
erscheinen, und mit gleicher Liebe für beide Teile,
welche eine Frucht der Sammlung seines Geistes in Gott
war. „Denn man muss, sagte er, die Angelegenheiten der
Erde mit auf den Himmel gerichteten Augen abmachen."
Alsdann entschied er nach seinem Gewissen und jedermann
war zufrieden. Er erzählt es selbst in einem seiner
Briefe (Brief 115.):
„Ich bin damit beschäftigt gewesen, Vergleiche zu Stande
zu bringen; meine Wohnung ist ganz voll von Streitenden
gewesen; aber ich habe sie zur allgemeinen Zufriedenheit
so gut in Ordnung gebracht, dass sie in Frieden und Ruhe
nach Hause zurückgekehrt sind."
Die Liebe des heiligen
Franz beschränkte sich nicht auf die Lebenden, sie
folgte den toten bis über das Grab hinaus. „Ach, sagte
er (Geist des h. Franz v.
Sales, II, 15.),
wir denken nicht genug an unsere teuren Hingeschiedenen,
ihr Andenken scheint zu vergehen mit dem Tone der
Glocken; wir vergessen, dass die Freundschaft, welche
endigen kann, und wenn es auch durch den Tod geschieht,
nie eine wahre gewesen. Die heilige Schrift lehrt sogar,
dass die Liebe stärker ist als der Tod
(Hoheslied VIII, 6.).
Böses von den Toten reden ist eine Unmenschlichkeit, die
zu vergleichen ist mit der Wildheit der Bestien, welche
die Leichname ausscharren, um sie zu verzehren; Gutes
von ihnen sagen, um sich zur Nachahmung anzuregen, ist
lobenswert, aber ihnen Linderung verschaffen ist etwas
noch Besseres, denn das heißt die Kranken besuchen, das
heißt denen zu trinken geben, die Durst haben nach der
Anschauung Gottes; das heißt die Hungrigen speisen, die
Gefangenen loskaufen, die Nackten bekleiden und ihnen
ein Obdach in dem himmlischen Jerusalem verschaffen; das
heißt die Betrübten trösten, die Unwissenden belehren,
kurz es heißt, alle Werke der geistigen und leiblichen
Barmherzigkeit in einem einzigen Werke üben
(Geist des h. Franz v. Sales, II,
16.)."
Er vergaß denn auch
nicht, für sie zu beten und Ablässe für die Seelen im
Fegefeuer zu gewinnen, und empfahl seinen Beichtkindern
diese Übung als eine Gott sehr wohlgefällige
(Annee de la visitation, 2.
novembre.).
Zehntes Kapitel.
Seine
Sanftmut.
(Nach
der h. Chantal)
Die Sanftmut ist
gewissermaßen das Leben des heiligen Franz von Sales
kurz zusammengefasst. Diese Tugend ist das
Hervorstechende seines Charakters von seiner Kindheit an
bis zu seinem letzten Atemzuge. Wenn er so Großes
vollbracht, so geschah es durch die unwiderstehliche
Macht seiner Sanftmut. Wenn er so viele Sünder und
Irrgläubige bekehrt, so viele gerechte Seelen zur
Vollkommenheit geführt, so viele Betrübten getröstet, so
geschah es durch seine rührende Sanftmut. Haben seine
Schriften in der Kirche so segensreich gewirkt und
stiften sie noch immer so viel Gutes, so ist der Grund
wiederum in der Sanftmut zu suchen, welche aus jeder
Zeile hervorleuchtet.
Und doch war, wenn ich
mich so ausdrücken darf, seine Sanftmut keineswegs mit
ihm geboren worden. Er hatte ein sehr sanguinisches,
also ein von Natur sehr lebhaftes, ungeduldiges und
heftiges (Dom Jean de
Saint-Francois, p. 383.)
Temperament, durch das er sich, wie er uns erzählt,
selbst als Bischof ein Mal fortreißen ließ: „Nie, sagt
er in einem Briefe (Brief
72.), wo er von
der Art und Weise zu predigen spricht, darf man Zorn auf
der Kanzel zeigen, wie es mir an einem Feste der
allerseligsten Jungfrau begegnete, weil man läutete, ehe
ich geendet hatte. Das war ein Fehler mehr bei mir." Ein
anderes Mal war ihm eine grobe Beleidigung widerfahren,
ohne dass er ein Wort darauf erwidert hätte. Als sein
Bruder ihn fragte, ob er dabei denn gar keine Regung des
Unwillens empfunden, antwortete er: „Leider fühlte ich,
wie es in mir kochte, wie Wasser in einem Topfe über dem
Feuer (Annee de la
visitation, 2. septembre.)
." Allein durch zweiundzwanzig Jahre hindurch
fortgesetzte genaue Gewissenserforschungen, durch
unablässige Wachsamkeit, durch seine Kämpfe und Siege
über sich selbst, dadurch, dass er, wie er sich
ausdrückt, „den Zorn immer rasch am Kragen fasste, ihn
würgte und mit Füßen trat“, brachte er es zu einer
solchen Herrschaft über sich selbst, dass er in Wahrheit
wie Moses der sanftmütigste Mensch seiner Zeit war und,
wenn ihm jemand vorwarf, dass er zornig geworden sei,
sagen durfte: „Ich bin ein armseliger, der Leidenschaft
unterworfener Mensch, aber durch die Gnade Gottes habe
ich, seit ich Schäfer bin, meinen Schafen nie ein
leidenschaftliches Wort gesagt
(Ebendas., 17. mai. – Brief 389.)."
Und nicht war es bei ihm jene Schein-Sanftmut, auf
welche die weltliche Höflichkeit Alles hält und wozu es
nur einiger artigen Redensarten und Manieren bedarf,
sondern es war jene wahre und natürliche Sanftmut, die
von Herzen kommt und gleichsam die Blume der Liebe ist;
jene Sanftmut, die voll Güte ist, weil sie liebt, welche
die Seele mit Nachsicht und Erbarmen erfüllt, und so
auch dem Äußeren eine einfache und ungeschminkte
Holdseligkeit mitteilt, eine weise gemäßigte
Herzlichkeit, die Frucht einer heiligen Zuneigung
(Geist des h. Franz v. Sales, XII,
8; XI, 22; X, 9.)
.
Auch war es nicht jene
furchtsame und verlegene Zurückhaltung, die nicht böse
wird, weil sie nicht den Mut dazu hat; noch weniger jene
stumpfe Gleichgültigkeit, die über nichts in Bewegung
gerät, weil sie nichts empfindet, nichts hasst, weil
sie. nichts liebt, die immer nachgibt, weil ihr Alles
einerlei ist; es war eine Sanftmut voll Seele und
Gefühl, zugleich aber voll Zurückhaltung und Ernst, die
sich selten zu Zärtlichkeiten herabließ; „denn, sagte
er, mit solchen muss man sparsam sein, auch darf man
nicht bei jeder Gelegenheit honigsüße Worte im Munde
haben und den Ersten Besten, dem man begegnet, mit
vollen Händen damit überschütten
(Geist des h. Franz v. Sales, XV,
3.)." Kurz, es war
eine edle, würdevolle und Ehrfurcht gebietende Sanftmut,
die jeden mit Achtung und Liebe erfüllte. „Ich habe,
erzählt der Bischof von Belley
(Ebendas., XIV, 23.),
Personen von Stande gekannt, die an den Umgang mit
Fürsten und Fürstinnen gewöhnt waren; allein sie haben
mir gestanden, dass sie sich vor dem heiligen Bischofe
weit mehr zusammennähmen, als vor den höchsten
Würdenträgern der Erde, so Ehrfurcht gebietend sei seine
Sanftmut.
Die innere Tugend konnte
nicht umhin, ihren Glanz auch seinem Äußeren
mitzuteilen. Güte, Wohlwollen und Leutseligkeit
leuchtete aus seinem Antlitze, aus jedem seiner Worte,
aus jeder seiner Handlungen hervor. „Ich glaube nicht,
sagt die heilige Chantal, dass sich die außerordentliche
Sanftmut, welche der liebe Gott in seine Seele, sein
Antlitz, seine Augen und Worte gelegt hatte, mit Worten
beschreiben lässt." -- „Den Bischof von Genf, sagt der
Baron von Cusy, sieht man nie anders, als mit einem so
sanften und mildem Antlitze, dass sich das Herz
unwillkürlich zur Andacht gestimmt fühlt." -- Und ein
anderer Zeitgenosse bemerkt: ,,Es kommt mir vor, als sei
alle Sanftmut, die überhaupt bei dem Menschen möglich
ist, in ihm vereinigt gewesen; nie konnte ich ihn genug
sehen und hören, so sanft und angenehm war seine
Erscheinung, sein ganzes Wesen; Alles, was er tat und
sprach, war durchdrungen von der Sanftmut des Herrn."
Darum rief denn auch der heilige Vincenz von Paula aus:
,,Mein Gott, wenn der Bischof von Genf schon so gut ist,
wie gut musst Du erst sein!"
Es gibt Leute, welche im
gewöhnlichen Verkehr ganz sanftmütig sind, aber in
Aufregung geraten, sobald sie Widerspruch erfahren.
Nicht war das bei unserem Heiligen der Fall. In seinen
Disputationen wie in seinen Schriften gegen die
Irrlehrer beobachtete er stets jene Mäßigung, jenen
seinen Anstand und die Schonung, welche die Achtung
gegen Andere und die Gesetze der Liebe vorschreiben,
kurz, stets redete er jene sanfte Sprache, welche das
Herz für die Annahme der Wahrheit empfänglich macht. Er
war der Meinung, dass derjenige, welcher sich ereifert,
seine Sache in Verdacht bringe; dass das Licht selbst
dann den kranken Augen des Irrgläubigen wehe tue, wenn
eine schonende Hand es ihm vorhält, dass es ihn aber
unfehlbar blind mache, wenn eine unvorsichtige Hand es
ihm plötzlich und rücksichtslos ins Gesicht schleudert,
dass, da der Stolz der eigentümliche Charakter der
Irrlehre ist, die geringste Härte in Ärger und Wut
versetze und die Bekehrung vereitle. „Die Vernunft im
Gewande der Sanftmut, pflegte er zu sagen, besitzt
Stärke und Glanz; im Gewande des Zornes verliert sie
beides (La Riviere, p.
570.). Nie gewinnt
die Wahrheit festen Fuß ohne die Liebe; bei der
Gottlosigkeit aber ist es gerade umgekehrt der Fall.
Wenn man aus den Schriften Kalvin's, Zwingli's, Luther's
und Beza's die Schmähungen, Verleumdungen und
Spöttereien gegen den Papst, den heiligen Stuhl und die
Katholiken entfernte, so würde man sich ihren Umfang
bedeutend vermindern sehen."
Dieser Engel der Sanftmut
und Milde hielt besonders darauf, dass im bischöflichen
Hause Jedermann, ohne Ansehen der Person, wohlwollend
aufgenommen werde; seine Bedienten hatten Befehl, nie
Jemand abzuweisen, es sei denn, dass unaufschiebbare
Geschäfte es durchaus nicht duldeten, dass er
vorgelassen werde; und in dem Falle solle man ihm das in
so liebevoller und herzlicher Weise sagen, dass er gerne
wiederkomme. War Jemand bei ihm vorgelassen, so
behandelte er ihn freundlich, hörte ihn geduldig an, als
habe er sonst nichts zu tun, kurz er machte durch sein
ganzes Wesen einen so angenehmen Eindruck auf Jeden,
dass man es als ein Glück betrachtete, wieder eine
Gelegenheit zu finden, ihn sprechen zu können. War es
Jemand von Stande, so erwies er ihm alle möglichen Ehren
und gab ihm den Titel, der ihm am meisten schmeichelte.
„Denn, pflegte er zu sagen, da sich wohl niemand aus
Ehrenbezeigungen weniger macht, als ich, so dürfte auch
niemand freigebiger in Bezug auf Andere damit sein, als
ich." Einmal sogar behandelte er einen einfachen
Kammerdiener eines Edelmannes mit großer Auszeichnung,
und als man ihm eine Bemerkung darüber machte,
entgegnete er: „Ja, ich kann die Leute schlecht
unterscheiden, ich beachte nur Eins, nur das, dass Alle
das Merkmal des Christen tragen." In der Unterhaltung
widersprach er niemanden, so lange die Pflicht ihm
erlaubte, zu schweigen, und musste er die Wahrheit einem
Irrtume gegenüber zur Geltung bringen, so geschah es mit
Sanftmut und Geschick, ohne dass es den Anschein hatte,
als wolle er auf die Meinung des Gegners einen Zwang
ausüben, „denn, sagte er, man gewinnt Nichts dadurch,
dass man etwas zu strenge nimmt
(Geist des h. Franz von Sales,
XII, 16.)."
Durch eine solche Güte
angezogen, schienen die Besuche täglich zuzunehmen, in
Menge drängte man sich zu ihm; und er fühlte sich nicht
belästigt dadurch, er bewahrte dabei seine Sanftmut und
Ruhe. „Es sind, sprach er, Kinder, die an die Brust
ihres Vaters eilen; nie wird ja die Henne unwillig, wenn
die Küchlein sich alle auf ein Mal unter ihre Flügel
bergen; im Gegenteil, sie breitet sie in mütterlicher
Liebe so weit als möglich aus, um sie alle zu bedecken;
und auch mein Herz scheint mir sich zu erweitern, je
größer die Zahl meiner teuren Kinder um mich herum
wird."
Unter der Menge dieser
Besuche befanden sich oft große Sünder, zuweilen sogar
vom Glauben Abgefallene, welche durch seine Güte
ermutigt, vertrauensvoll in seine Arme eilten; diese
nahm er mit noch größerer Herzlichkeit auf, seinem
Grundsatze gemäß, dass man voll Abscheu gegen das Böse
sein, es nie begehen wollen müsse, aber sanftmütig und
mitleidig gegen den Nächsten, der Böses begangen hat.
Mit mütterlicher Zärtlichkeit drückte er sie an sein
Herz. „Kommet, teure Kinder, kommet, dass ich euch in
mein Herz aufnehme! Gott und ich, wir werden euch
getreulich beistehen."
Manche von seinen
Freunden nahmen zuweilen Anstoß hieran und machten ihm
Vorwürfe darüber. „Franz von Sales, bemerkte ihm ein
solcher eines Tages (La
Riviere, p. 481.),
wird sicher in den Himmel kommen, aber ich weiß nicht,
ob auch der Bischof von Genf; ich fürchte sehr, dass
seine Milde ihm einen schlechten Streich spielen wird."
-- „O, erwiderte er, es ist besser, Rechenschaft über zu
große Milde als über zu große Strenge ablegen zu müssen
(Geist des h. Franz von
Sales, XIV, 23.).
Ist Gott nicht lauter Liebe? Gott der Vater ist der Gott
der Barmherzigkeit; Gott der Sohn nennt sich selbst ein
Lamm, Gott der heilige Geist erscheint uns unter der
Gestalt einer Taube, welche die Sanftmut selbst ist.
Gäbe es etwas Besseres, als Milde und Güte, so würde
Jesus Christus es uns gesagt haben, allein nur zwei
Dinge sollen wir von ihm lernen: Sanftmut und Demut des
Herzens. Wollen Sie mich denn daran hindern, und wissen
Sie mehr als Gott?“ -- „Aber, versetzte man darauf, es
sind Abtrünnige, verkommene Menschen, die Ihrer Liebe
nicht würdig sind." -- „Ach, rief er da schmerzlich und
mit zum Himmel erhobenen Augen aus, also nur Gott und
ich allein lieben diese armen Sünder! Man verlangt, dass
ich sie mit Härte behandle, weil sie Sünder sind, als ob
sie nicht gerade dadurch mehr Mitleid und Liebe
verdienten. Ich soll vergessen, dass sie meine Schafe
sind, ich soll jenen meine Tränen versagen, denen Jesus
Christus sein Blut gegeben; und gegen wen sollte ich
denn Barmherzigkeit üben, wenn nicht gegen die Sünder?
Nein, ich bin nicht hartherzig genug, um gegen meine
Kinder, mein Fleisch und Blut, so herbe und strenge sein
zu können. Es wird vielleicht der Tag kommen, dass sie
sich in Lämmer verwandeln und heiliger sein werden, als
wir Alle; wäre Saulus zurückgestoßen worden, so würden
wir keinen heiligen Paulus haben. Gott will sie zu mir
senden, dass ich sie heile, wollen Sie, dass ich Gott
das abschlage? Ich weiß wohl, dass ich ihr Bischof bin,
aber ich ziehe es vor, mich ihnen als Mutter zu zeigen.
Derjenige, welcher Härte und strenge liebt, möge mir nur
fern bleiben, denn ich mag sie nicht."
Eine solche Güte war wohl
geeignet, die Sünder zu bewegen, das, was ihr gewissen
drückte und quälte, der Brust des Gottesmannes
anzuvertrauen, und dann zerfloss sein Herz noch mehr in
lauter Sanftmut. So sprach er einmal mit der größten
Herzlichkeit Worte der Ermutigung und des Trostes zu
Jemanden, der ihm eben das demütigende Bekenntnis der
Sünden und Ausschweifungen seiner Jugend abgelegt hatte.
„Ohne Zweifel, bemerkte dieser, reden Sie aus Mitleid so
zu mir, im Inneren des Herzens aber müssen Sie mich wohl
verachten." -- „Ich würde sehr fehlen, entgegnete der
Heilige, wenn ich Sie nach einer so guten Beichte noch
für einen Sünder hielte; im Gegenteil, Sie sind in
meinen Augen weißer denn der Schnee, ähnlich dem Naaman,
als er auf dem Jordan stieg. Ich liebe Sie, wie einen
Sohn, weil mein Amt Sie eben der Gnade wiedergeboren
hat, und ich achte Sie eben so sehr als ich Sie liebe,
weil Sie aus einem Gefäss der Schmach und Schande zu
einem Gefäss der Ehre und Heiligkeit geworden sind. O,
wie teuer ist mir Ihr Herz, da es jetzt so recht Gott
liebt (Geist des h. Franz
v. Sales, X, 11.).“
Ein Frauenzimmer, das ihm
das Bekenntnis eines sehr ausschweifenden Lebens
abgelegt hatte, machte ihm hernach ungefähr die nämliche
Bemerkung. „Ich betrachte Sie jetzt wie eine Heilige",
versetzte er darauf. -- „Aber, meinte sie, Ihr Inneres
sagt Ihnen doch das Gegenteil." – „Nein, ich sage Ihnen
das aus Überzeugung. Vor Ihrer Beichte musste ich sehr
ärgerliche Dinge von Ihnen hören, die man sich in der
Welt erzählte; ich war darüber sehr betrübt, sowohl
wegen der Beleidigung Gottes, als auch wegen Ihrer Ehre,
da ich nicht wusste, wie ich sie verteidigen sollte;
aber nun werde ich auf Alles, was man gegen Sie wird
sagen können, eine Antwort haben." -- ,,Aber, mein
Vater, die Vergangenheit bleibt doch immer wahr." --
,,Keineswegs; mögen die Menschen auch über Sie urteilen
wie der Pharisäer über die heilige Magdalena nach ihrer
Bekehrung, Jesus Christus und Ihr Gewissen werden Ihre
Verteidigung übernehmen." -- „Aber Sie selbst nun, mein
Vater, wie denken Sie über das Geschehene?" -- „Ich
denke gar nichts darüber, ich versichere es Ihnen; denn
wie sollten meine Gedanken noch bei etwas verweilen, das
nichts mehr vor Gott ist? Wie soll man es anfangen, um
an nichts zu denken, wenn nicht so, dass man überhaupt
gar nicht denkt? Ich werde nur daran denken, den Herrn
zu loben und das Fest Ihrer Bekehrung zu feiern. Ja, ich
will es feiern, dies liebe Fest, mit den Engeln des
Himmels, die sich freuen über die Änderung Ihres
Herzens." Und als ihm die Tränen bei diesen Worten über
das Gesicht flossen, meinte sie: „Sie weinen sicher über
das Abscheuliche meines Lebens?" -- „O nein, entgegnete
der Heilige, ich weine vor Freude über Ihre Auferstehung
zum Leben der Gnade (Geist
des h. Franz v. Sales, III, 27.).
Ebenso sanftmütig im
gewöhnlichen Leben wie im Richterstuhle der Busse,
erteilte Franz selbst denen, welche unter seiner
Botmäßigkeit
(Herrschaft seines Gebots = Gerichtsbarkeit)
standen, nie einen Befehl, der nicht vielmehr einer
Bitte ähnlich war; nie wies er anders als durch sanfte
Vorstelllungen oder ein Schweigen zurecht, das mehr als
Worte sagte (Ebendas., VII,
11; X, 3, XV, 13.).
Als man ihm eines Tages vorwarf, dass er einem jungen
Menschen, der seine Mutter gröblich beleidigt, sogar
geschlagen hatte, nicht eine derbere Zurechtweisung
gegeben, während man ihm doch denselben gebracht habe,
damit er ihn auf die Größe seines Vergehens aufmerksam
mache, entgegnete er: „Was ist da zu machen? ich habe
getan, was ich konnte, um mich mit einem Zorne zu
wappnen, der nicht sündigt; und, ich muss es offen
gestehen, ich fürchtete, in einer Viertelstunde das
bisschen Sanftmut zu verlieren, das ich wie Tau Tropfen
um Tropfen seit zweiundzwanzig Jahren mühsam in das
Gefäß meines armen Herzens zu sammeln suche; eine Biene
braucht mehrere Monate, um ein bisschen Honig zu
bereiten, das ein Mensch in einem Male hinunterschluckt;
und wozu denn Jemanden zureden, der nicht hören will?
Der junge Mann da konnte sich meine Vorstellungen nicht
zu Nutze machen, da sein Herz in einer Verfassung war,
die kein vernünftiges Urteil zuließ. Eine herbe
Zurechtweisung hätte ihm nichts geholfen, mir aber sehr
geschadet; es wäre mir ergangen, wie jenen, welche
selbst ertrinken, indem sie Andere retten wollen
(Geist des h. Franz v. Sales, I,
25.)."
Diese Sanftmut verlieh
dem heiligen Bischofe eine solche Gewalt über die
Herzen, dass er, einzelne absonderliche Charaktere
ausgenommen, wie z. B. jener unnatürliche Sohn, damit
machen konnte, was er wollte, nichts konnte ihm
widerstehen. Wie er sich gerne dem Wunsche eines jeden
fügte, so suchte auch jedermann seine Wünsche zu
erfüllen und schätzte sich glücklich, ihm gefällig sein
zu können. Eines Tages stritten sich in seiner Gegenwart
zwei Männer mit äußerster Heftigkeit; liebevoll
betrachtete er einen nach dem anderen, diesen Blick mit
ein paar Worten des Friedens begleitend; und das war
genug, um sie zu beschwichtigen, durch seine Sanftmut
überwunden umarmten sich beide. „Ich gestehe offen, sagt
der Bischof von Belley (Ebendas.,
XIV, 23.), dass es
mir eine solche Freude machte, etwas zu tun, was ihm
angenehm sein konnte, dass, wenn er mir seine
Zufriedenheit damit bezeigte, ich wie im Himmel zu sein
glaubte, und ich habe Leute gekannt, die vor ihm
zitterten, nicht aus Furcht, ihm zu missfallen, denn
niemand missfiel ihm, wie widerlich er sonst auch sein
mochte, sondern aus Furcht, ihm nicht genug zu
gefallen."
Darum empfahl er auch
stets die Sanftmut, wenn man Menschen zu leiten habe.
„Der menschliche Geist ist nun einmal so, sagte er, er
bäumt sich gegen Strenge und Härte. Alles mit Sanftmut,
nichts mit Gewalt. Härte verdirbt Alles, verbittert das
Herz, erzeugt Hass; und das Gute, was sie tut, tut sie
in so unangenehmer Weise, dass man ihr keinen Dank dafür
weiß. Die Sanftmut dagegen leitet das menschliche Herz
nach Belieben und macht mit ihm, was man will
(Ebendas., VII, 11; X, 3.)."
Schön pflegte er darum oft zu sagen: „Nie hat Zucker
eine Sauce verdorben, wohl aber oft zu viel Salz." Und
ferner: „Zu einem guten Salat bedarf es mehr Öl als
Essig." -- „Selig sind die biegsamen Herzen, sie werden
nicht brechen (Ebendas.,
III, 23; XII, 7 u. 8.).
Glückselig die Sanftmütigen, denn sie werden das
Erdreich besitzen, d. h. sie werden über die Herzen
herrschen und Aller Willen in ihrer Hand haben." -- „Man
muss auf die Seelen wirken, wie die Engel es machen,
durch liebliche und ruhige Anregungen
(Brief an die heilige Chantal, 14.
October 1604.);
man muss sie anlocken, aber nach Art der Wohlgerüche,
die dazu keine andere Gewalt anwenden, als ihre sanfte
Lieblichkeit; und wie könnte letztere anders anziehen,
als sanft und lieblich? Sodann muss man das Beispiel
Jesu Christi befolgen, der, sich an die Türe des Herzens
haltend, Einlass erlangt, ohne ihn je gewaltsam zu
erzwingen (Geist des h.
Franz v. Sales, VII, 11.)."
Der gewöhnlichste
Schauplatz seiner Sanftmut war das bischöfliche
Gefängnis, in dem man nach dem Strafverfahren damaliger
Zeit die Geistlichen einsperrte, welche sich ein
ärgerliches Vergehen hatten zu Schulden kommen lassen.
Waren sie so glücklich, eine Unterredung mit ihm zu
erlangen, so wurde ihnen auch fast immer ihre
Begnadigung zuteil, da sein gutes Herz ihren Bitten
nicht widerstehen konnte; aber in der Regel waren sie
dann auch durch seine Sanftmut schon zu einer Sinnes-
und Herzens-Änderung gebracht worden. Einst hatte Einer
mit Tränen um eine Audienz bei dem Bischofe gebeten,
aber die Beamten hatten sich anfangs geweigert, seine
Bitte zu erfüllen, da sie dafür hielten, dass sein
Vergehen eine exemplarische Strafe verdiene; zuletzt
konnten sie jedoch nicht umhin, ihm zu willfahren und
brachten ihn vor Franz. Der Schuldige warf sich ihm zu
Füßen, flehte um Gnade und versprach, sein Leben zu
bessern. „Ach, rief da der heilige Bischof, dem
Gefangenen zu Füßen fallend, aus, ich meinerseits
beschwöre Sie bei der Barmherzigkeit Jesu Christi,
Mitleid mit mir, mit dem Klerus der Diözese, mit der
Kirche und der Religion zu haben, deren Ansehen und Ehre
Sie durch Ihren Wandel gefährden, Mitleid zu haben mit
sich selbst und Ihrer Seele, welche Sie auf ewig zu
Grunde richten; ich bitte Sie bei Allem, was heilig ist
im Himmel und auf Erden, bei dem Blute Jesu Christi, das
Sie mit Füßen treten, bei der Liebe des Erlösers, den
Sie aufs Neue kreuzigen, bei dem Geiste der Gnade, den
Sie verunehren, versöhnen Sie sich wieder mit Gott durch
eine aufrichtige Buße." Das rührte den Schuldigen so
sehr, dass er von nun an sein Leben änderte und für Alle
ein Vorbild wurde (Ebendas.,
I, 6.) .
Ein Anderer hatte
ebenfalls um eine Audienz bei ihm nachgesucht, aber die
Beamten wollten wiederum nichts davon wissen. Der
Bischof erfuhr das. „Nun gut, bemerkte er ihnen, wenn
Ihr es ihm verwehret, zu mir zu kommen, so werdet Ihr
mir es nicht verwehren, zu ihm zu gehen; Ihr wollt ihn
nicht aus dem Gefängnisse lassen, darum werde ich ihn
dort aufsuchen." Wirklich begab er sich zu ihm, und als
der Arme ihm zu Füßen fiel, hob er ihn auf, drückte ihn
an seine Brust, küsste ihn liebevoll unter Tränen, und
sich zu den Beamten wendend, sprach er: „Seht Ihr denn
nicht, dass Gott ihm verziehen hat? und wenn Gott ihn
rechtfertigt, wer wird ihn verdammen? Ich gewiss nicht .
. . Gehe, mein Bruder, sprach er dann zu dem Schuldigen,
gehe in Frieden und sündige nicht mehr; ich sehe, dass
Du eine wahrhafte Reue hast." -- „Er täuscht Sie,
wandten da die Beamten ein, er ist ein Heuchler." --
„Wenn er mich täuscht, entgegnete der heilige Bischof,
so schadet er sich mehr als mir; aber ich glaube, dass
er sich aufrichtig bekehrt hat und erkläre mich bereit,
Bürge für ihn zu sein." – „Hochwürdigster Herr, sprach
da der Gefangene ganz in Tränen aufgelöst, möge man mir
jede beliebige Buße auferlegen, ich bin zu Allem bereit;
keine wird meinem Schmerze gleichkommen, gesündigt zu
haben, und ich begebe mich freiwillig meines Benefiziums
(kirchlichen
Amtes), wenn Sie
es so für gut befinden." -- „Das würde mir recht leid
tun, versetzte Franz, um so mehr, da ich hoffe, dass der
Turm, der im Fallen die Kirche durch das gegebene
Ärgernis zertrümmert hat, ihr künftig, wenn er wieder
aufgerichtet ist, zur Zierde gereichen wird." Das Wort
des Bischofs erfüllte sich wirklich, und er zog daraus
den wohl zu beachtenden Schluss, „dass Sanftmut Büßer,
Strenge Heuchler erzeugt
(Geist des h. Franz v. Sales, I, 11.)."
Etwas Schöneres kann man
sich nicht denken, als die Ratschläge, welche er in
dieser Hinsicht dem Bischofe von Belley gab. „Seien Sie
immer so sanftmütig, als es in Ihrer Macht steht, sagte
er, und bedenken Sie, dass man mehr Mücken mit einem
Löffelchen voll Honig, als mit hundert Fässern voll
Essig fängt . . . Nichts erbaut so sehr, als liebevolle
Sanftmut; von ihr nährt sich die Flamme des guten
Beispiels, wie das Licht der Lampe vom Öl
(La Riviere, p. 584.).
Wenn man in ein Extrem geraten soll, so lass es das der
Sanftmut sein." -- „Aber, wandte der Bischof von Belley
ein, wenn die Menschen Ihrer Sanftmut nur Murren,
Verleumdung und Tadel entgegensetzen, wie kann man da
sanftmütig bleiben?" – „Seien Sie auch dann noch
sanftmütig, versetzte der Bischof von Genf. Betrachten
Sie doch den Sohn Gottes. Wie hat man ihm widersprochen,
wie gegen ihn gemurrt! So heilig er auch war, er wurde
doch als ein Betrüger und Aufwiegler, als ein
Samaritaner
(Abtrünniger und Juden-Minderheit)
und vom Teufel Besessener verschrien; oft raffte man
sogar Steine auf, um ihn zu steinigen. Allein er fluchte
jenen nicht, die ihm fluchten, er vergalt den Fluch mit
Segen, seine Seele in der Geduld bewahrend." -- „Aber,
entgegnete Camus, wenn selbst Gott geweihte Personen
sich von falschem Eifer gegen uns anreißen lassen,
sollte man da nicht aufgebracht werden?" -- „Nein,
antwortete der Heilige; diese Leute haben gewiss
Unrecht; aber wissen Sie nicht, dass die Honigbienen
jene sind, deren Stachel am meisten sticht? Wir müssen
hoffen, dass sie eines Tages ihren Irrtum einsehen und
uns dann mehr als je lieben werden ... Ich glaube, dass
Ihnen hierin nur Eines schaden kann, dass Sie sich
darüber beklagen, während Sie nur mit Gott allein
darüber reden sotten, indem Sie für sie beten
(Geist des h. Franz v. Sales, III,
8; X, 28.)." –
„Aber, mein Vater, bemerkte Camus, ich vertraue meinen
Kummer ja nur Ihrer Brust und dem Ohre Ihres Herzens an;
zu wem sollte das Kind seine Zuflucht nehmen, wenn nicht
zu seinem Vater?“ -- „Sie haben wirklich Recht, sprach
Franz, wenn Sie sagen, dass Sie ein Kind sind; aber das
schickt sich nicht für den, welchem Gott den Rang eines
Vaters in der Kirche verliehen. Sie müssen mit dem
Propheten sprechen: Ich habe geschwiegen und meinen Mund
nicht geöffnet, weil Du, o Herr, dies getan, d. h. weil
Du es zugelassen hast." -- „Aber, mein Vater, Sie sind
recht hart und strenge gegen mich; wo bleibt denn Ihre
sonstige Güte und Liebe?" – „Ich behandle Sie,
entgegnete Franz, wie ich mich selbst in ähnlichen
Fällen behandeln würde. Erinnern Sie sich an jene von
den acht Seligkeiten, welche denen verheißen ist, welche
Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, und
zeigen Sie in Zukunft etwas mehr Mut und Festigkeit,
indem Sie solche Gnaden, wenn Gott sie Ihnen zuteil
werden lässt, sorgfältig verbergen, damit nicht ihr
Wohlgeruch verdufte, und indem Sie dem himmlischen Vater
danken, dass er sich gewürdigt hat, Ihnen ein kleines
Teilchen von dem Kreuze seines Sohnes zu senden
(Ebendas., XI, 1.)."
Jene Sanftmut, welche der
Heilige so sehr bei jeder Gelegenheit empfahl, übte er
im Privatleben sogar seinen Bedienten gegenüber. Nie
sagte er ihnen ein böses Wort; wies er sie wegen eines
Fehlers zurecht, „so war, sagt der Bischof von Belley,
die Zurechtweisung stets mit so viel Sanftmut gewürzt,
dass immer viel mehr Öl als Essig hinzugetan wurde
(Ebendas., V, 27.)";
und verlangte er eine Dienstleistung, so geschah es
immer mit sanften, freundlichen Worten. Einst hatte er
den Besuch eines vornehmen Herrn; über der Unterhaltung
war es mittlerweile dunkel geworden, ohne dass der
Bediente daran dachte, für Licht zu sorgen, und Franz
musste seinem Besuche, als er sich entfernte, in der
Dunkelheit das Geleite geben. „Weißt Du, mein Freund,
sagte er nachher statt jeder Zurechtweisung zum
Bedienten, der die Unachtsamkeit begangen, dass zwei
Kerzenstümpfchen uns heute Abend für zehn Taler Ehre
eingebracht hätten (Dom
Jean de St. Francois, p. 430.)?"
Ein anderes Mal vergnügten sich zwei seiner Leute mit
Kartenspielen, anstatt ihre Arbeit zu verrichten. Leise
verliess er sein Zimmer, warf die Karten ins Feuer und
entfernte sich wieder, ohne ein Wort zu sagen
(Nach Michel Favre).
Erfüllten sie ihre Pflicht, wie es sich gehörte, so
ermunterte er sie, so fortzufahren, und gab ihnen durch
ein gutes Wort und eine freundliche Miene seine
Zufriedenheit zu erkennen, sagte ihnen, dass sie sein
volles Vertrauen besäßen, dass er nichts sehnlicher
wünsche, als sie glücklich zu machen, dass er sie als
seine Kinder und lieben Freunde betrachte, und wurden
sie krank, so sorgte er für sie wie eine Mutter. So,
meinte er, sollten die Herrschaften immer ihre
Dienstboten behandeln; das Gegenteil und die
verdrießlichen Folgen davon konnte er nie ohne Schmerz
mit ansehen. „Diesen Grundsätzen, erzählt Camus, hielt
ich einst das bekannte Sprichwort entgegen:
Vertraulichkeit erzeugt Verachtung." -- „Ja, versetzte
er, eine plumpe und tadelnswerte Vertraulichkeit, aber
nie eine höfliche, herzliche, anständige und
tugendhafte; denn da diese aus der Liebe hervorgeht, so
erzeugt sie auch die wahre Liebe, die stets mit
Hochschätzung und darum auch mit Ehrerbietung verbunden
ist ... Keinen achtet man mehr, als denjenigen, welchen
man herzlich liebt, und eher möchte man jedem anderen
wehe tun, als ihm. Wir dürfen nie außer Acht lassen,
dass unsere Dienstboten auch unsere Nächsten sind und
arme Brüder, die wir wie uns selbst lieben müssen.
Lieben wir sie doch also wie uns selbst, diese teuren
Nächsten, welche uns so nahe stehen, welche mit uns
unter demselben Dache leben und von dem nämlichen Brote
essen, und behandeln wir sie so, wie wir behandelt
werden möchten, wenn wir an ihrer Stelle und in ihrer
Lage wären (Geist des h.
Franz v. Sales, V, 37.)."
Darum liebten ihn denn
auch seine Diener wie einen Vater, und nichts
Rührenderes kann man sich denken, als ihre Aussagen über
ihn im Prozesse seiner Heiligsprechung. „Wider Willen
kommen mir die Tränen der Rührung und Liebe, sagt Franz
Favre, so oft ich an meinen lieben Herrn denke und an so
viele heilige Handlungen, die ich ihn während seines
Lebens vollbringen sah; und es ist mein einziger Trost
nach seinem Tode, die Erinnerung an ihn in mir lebendig
zu erhalten oder mit meinen Bekannten von ihm zu
sprechen, und ihn täglich zu bitten, er möge vor Gott
seines armen Dieners nicht vergessen.“
Die Züge gegenseitiger
Zuneigung zwischen Herr und Dienerschaft sind so
zahlreich, dass wir uns auf einzelne beschränken müssen.
Ein Domestik
(Hausdiener) war
dem Trunke ergeben und deshalb schon mehrere Male von
dem Bischofe zur Rede gestellt worden. Eines Abends nun
hatte er sich auch heimlich entfernt, um dieser
unseligen Neigung zu fröhnen, und kam erst sehr spät
nach Hause; er klopft, aber niemand antwortet ihm, da
Alle schliefen. Nur Franz allein war noch wach; er stand
auf und öffnete ihm die Türe, fand aber den
Unglücklichen so betrunken, dass er kaum noch aufrecht
stehen konnte. Was tat er? Er selbst führte ihn in sein
Zimmer, entkleidete und brachte ihn zu Bette, deckte ihn
selbst noch warm und sorglich zu. Als der Schuldige am
Morgen erwachte und sich des Vorgefallenen erinnerte,
schämte er sich so sehr, dass er es nicht wagte, vor
seinem Herrn zu erscheinen. Allein Franz sagte, als er
ihn zufällig allein traf, nichts als die Worte: „Du
warst gestern Abend sehr krank, lieber Freund!" Da fiel
ihm der arme Mensch zu Füßen und bat unter Tränen um
Verzeihung. Von seiner Reue gerührt, machte ihn der
Bischof in väterlicher aber ernster Weise auf die Gefahr
aufmerksam, der er sich gestern ausgesetzt, seine Seele
auf ewig unglücklich zu machen, und legte ihm als Strafe
auf, während einer bestimmten Zeit lang seinen Wein mit
so und so viel Wasser zu vermischen. Dieser Buße
unterzog sich der Schuldige bereitwillig und zwar mit
einer solchen Treue auch sein übriges Leben hindurch,
dass er nie mehr in eine Unmäßigkeit zurückfiel.
Ein anderer seiner Diener
wollte gerne heiraten und war, um vor seinem Herrn die
Sache zu verheimlichen, zur Nachtzeit gegangen, um um
die Hand seiner Auserkorenen anzuhalten. Als Franz dies
erfuhr, beklagte er sich bei ihm, dass er mit so wenig
Offenheit hier gehandelt und erbot sich, ihm zur
Erreichung seines Zweckes behilflich zu sein. Gerührt
von so viel Güte, antwortete ihm der Diener, dass er
sich zu glücklich schätze, bei einem so guten Herrn
bleiben zu können, und er wolle lieber gar nicht
heiraten, als ihn verlassen. „Nicht doch, sagte da
Franz, jene Person passt für Dich, die Heirat ist
vorteilhaft, ich werde alle Hindernisse, die sich ihr
entgegenstellen können, beseitigen und sie wird
stattfinden." Das geschah denn auch bald darauf
(Geist des h. Franz v. Sales, V,
27.).
Fast ebenso machte er es
mit seinem treuen Franz Favre, der gerne eine junge,
reiche und Witwe geheiratet hätte. Eines Tages setzte er
sich hin, um ihr in einem Briefe die Angelegenheit
seines Herzens vorzutragen, in der Meinung, schriftlich
ließe sich das Alles besser sagen, als mündlich. Während
er noch damit beschäftigt war, öffnet sich auf einmal
die Türe seiner Stube und sein Herr tritt ein; rasch
wirst er Feder und Tinte hinweg und versteckt den Brief
unter dem Tische. Ohne eine Bemerkung zu machen, ging
der Bischof einige Mal im Zimmer auf und ab, blieb dann
vor dem jungen Menschen stehen und ihn fest ansehend
sprach er zu ihm: „Franz, Du warst am Schreiben, als ich
hereinkam." In seiner Verwirrung vermochte dieser keine
Antwort zu finden. „Nun, was schriebst Du denn?" drang
sein Herr weiter in ihn, und da er immer noch keine
Antwort erhielt, setzte er hinzu: „Gehöre ich denn so
wenig zu Deinen Freunden, dass Du mir das nicht
anvertrauen willst?" Als er endlich mit der Sprache
herausrückte, las der Bischof den Brief. „Du verstehst
davon nichts," sagte er dann, nachdem er ihn gelesen.
Gleich setzte er sich hin und schrieb selbst einen in
jeder Hinsicht tadellosen Liebesbrief, dem nur noch die
Unterschrift fehlte. „Da, sprach er zu Franz, schreib'
ihn jetzt ab und schick' ihn an seine Adresse; Du wirst
sehen, dass Alles gut gehen wird." Favre tat, wie er
geheißen worden. Einige Tage nachher kam die Witwe,
welche sich durch die seine Liebenswürdigkeit und den
Anstand, womit der Mann um ihre Hand anhielt,
geschmeichelt fühlte, zum Bischofe, um seine Meinung
darüber zu hören; er riet ihr zu der Heirat, mit der
Versicherung, dass der Himmel seinen Segen dazu geben
werde, und das war auch der Fall.
Auf der anderen Seite
suchte aber der Heilige mit ebenso herzlicher Güte
seinen Domestiken
(Hausdienern) die
Heiratsgedanken auszureden, wenn er glaubte, dass sie
nicht zum Ehestande berufen seien, oder dass diese oder
jene Partie für sie nichts tauge. So teilte ihm einmal
ein in seinen Diensten stehender junger Mensch von
vorteilhaftem Äußeren, dazu recht liebenswürdig und
ebenso tugendhaft, mit, dass ihm mehrere vorteilhafte
Heirats-Anträge gemacht würden. „Liebes Kind, bemerkte
ihm darauf der Heilige, ich liebe Deine Seele wie meine
eigene, und es gibt kein Gut, das ich Dir nicht wünsche
und Dir verschaffen möchte, wenn ich könnte. Ich glaube,
davon bist Du überzeugt. Sieh, Du scheinst mir noch zu
jung zum Heiraten zu sein, in den Ehestand muss man ein
reiferes Alter und einen weiseren Verstand mitbringen.
Überlege Dir es wohl, denn ist man einmal auf diesem
Meere, dann kommt jede Reue zu spät. Die Ehe ist ein
Orden, in welchem man Profess
(Bekenntnis)
vor dem Noviziat ablegen muss; und gäbe es hier ein
Probe-Jahr wie in den Klöstern, so würden Wenige jemals
Profess ablegen. Und weshalb willst Du mich denn
verlassen? Ich bin alt und werde bald sterben und dann
magst Du Dich versorgen, wie Du willst. Ich werde Dich
meinem Bruder empfehlen, der es sich wird angelegen sein
lassen, Dir ein ebenso vorteilhaftes Los zu bereiten,
wie die Partien, welche sich jetzt Dir darbieten." Dem
heiligen Bischofe standen, als er so sprach, die Tränen
in den Augen. Der junge Mann wurde dadurch so bewegt,
dass er sich ihm zu Füßen warf und ihm beteuerte, er
werde bis zum Tode in seinem Dienste bleiben. „Nein,
mein Kind, versetzte da der Heilige, ich will nicht,
dass Du mir Deine Freiheit zum Opfer bringst; aber ich
gebe Dir den Rat eines Freundes, wie ich ihn meinem
Bruder geben würde, wenn er an Deiner Stelle wäre
(Geist des h. Franz v. Sales, I,
19.)." Ja, soweit
ging seine Güte und freundliche Nachgiebigkeit gegen die
Domestiken
(Hausdiener), dass
er selbst seinem Kammerdiener gehorchte, was das
Schlafengehen und Aufstehen, Ankleiden und Auskleiden
anbetraf, gerade als sei er der Diener gewesen. Wenn er
manchmal noch bis spät in die Nacht aufbleiben musste,
um Briefe zu schreiben oder sonst verschiedene
Amtsangelegenheiten zu erledigen, so bat er ihn, sich
zur Ruhe zu begeben. „Ei, pflegte dann der Bediente
unwillig zu antworten, halten Sie mich denn für so
schlafsüchtig und träge ?“ Und der gute Herr beeilte
sich dann so viel als möglich, um seine Arbeit zu Ende
zu bringen, damit der Bediente nicht zu lange warten
brauche. Eines Tages im Sommer hatte er sich sehr frühe
erhoben, um sich an eine wichtige Arbeit zu begeben, und
rief dem Kammerdiener. Da keine Antwort erfolgte,
kleidete er sich allein an und begann zu beten und zu
arbeiten. Als es Tag geworden, erschien denn auch der
Kammerdiener und fand seinen Herrn schon in voller
Tätigkeit. „Wer hat Sie denn angekleidet?" frug er da
heftig. – „Nun, ich selbst, sprach Franz, oder bin ich
etwa nicht groß und stark genug dazu?" -- „Fiel es Ihnen
denn so schwer, mir zu rufen?" murrte der Diener. --
„Ich versichere Dir, versetzte der gute Herr, ich habe
Dir mehrere Male gerufen, bin sogar an Dein Bett
gekommen, und da Du noch so gut und Fest schliefst, habe
ich Dich nicht aufwecken wollen." – „Nun, grollte der
Diener weiter, Sie haben auch noch nötig, so zu
spotten!" – „Nein, mein Freund, so habe ich es nicht
gemeint, beteuerte der gute Bischof, es sollte nur ein
bloßer Scherz sein. Doch sei ruhig! Ich verspreche Dir,
dass ich mich in Zukunft nicht mehr ohne Dich ankleiden
werde, da Du es so willst; ich werde Dich wecken
(Geist des h. Franz v. Sales, I,
18.)."
Selbst auf die Tiere
erstreckte sich die Güte des Heiligen. Nie tat er ihnen
wehe, und suchte auch, so viel er konnte, es zu
verhindern, dass ihnen von anderen wehe geschah. Gefühl
für die Tiere zu haben, pflegte er zu sagen, sei einem
guten Menschen natürlich, und wer barmherzig gegen sie
sei, werde es um so mehr gegen die Menschen sein.“
„Während eines Aufenthaltes des Heiligen bei mir,
erzählt Camus (Ebendas.,
II, 34; XIV, 33.),
hatte sich ein Reh in meinen Park verlaufen. Ein
Edelmann, der auch gerade bei mir auf Besuch war, wollte
es durch seine Hunde hetzen lassen. Es fanden sich viele
Zuschauer dabei ein, aber der Heilige, der vergeblich
Fürbitte für das arme Tier eingelegt hatte, war nicht
dazu zu bewegen, dem Schauspiele mit anzuwohnen. Während
der Jagd flüchtete sich das gehetzte Wild, zitternd und
bebend vor Angst, unter die Fenster des Heiligen und
sprang an denselben hinauf, gleichsam als habe es
gewusst, dass hier derjenige sei, der sein Beschützer
sein wollte. Bis zu Tränen gerührt bat Franz um Gnade
für das arme Geschöpf. Umsonst! Die Hunde hatten es bald
erfasst. Als er es tot da liegen sah, wandte er sich ab,
und da es nachher auf den Tisch gebracht wurde, sprach
er: „Ach, beim Anblick des Vergnügens, das Euch die
Erlegung dieses Rehes gewährte, muss ich unwillkürlich
an jene Lust denken, mit der die Dämonen den Seelen
nachstellen, um sie in Sünde und ewiges Verderben zu
stürzen."
Nicht nur gegen unsere
ganze Umgebung sollten wir nach der Lehre des heiligen
Franz Nachsicht und Milde üben, sondern auch gegen uns
selbst (Philothea, III, 9.),
freilich nicht jene Nachsicht, die für die eigenen
Fehler blind ist, sondern jene demütige Milde, die mit
ihrem eigenen Elende Erbarmen hat, die, anstatt uns
ungehalten zu machen über uns, wenn wir gefallen sind,
uns antreibt, uns wieder zu erheben und zu bessern.
„Seine Fehler, sagt einer seiner Biographen
(Dom Jean de Saint-Francois, p.
468.), mit Geduld
ertragend, geriet er nie in Aufregung über sich selbst.
Seiner Ansicht nach bekämpfen wir unsere Fehler viel
besser durch eine stille, aber beharrliche Reue, als
durch ein aufbrausendes und heftiges Missfallen. Ich
möchte, sagte er, wenn ich z. B. in einen Fehler der
Eitelkeit gefallen bin, mir nicht sagen: Wie erbärmlich,
wie abscheulich, dass Du nach so vielen guten Vorsätzen
Dich wieder von Deiner Eitelkeit hast fortreißen lassen!
Du solltest vor Scham in den Boden sinken, die Augen
nicht mehr zum Himmel erheben, dass Du gegen Deinen Gott
so treulos sein kannst! Ich möchte mein Herz lieber mit
Vernunftgründen und in milderer Weise zurückführen.
Meiner Seele würde ich sagen: „Da sind wir wieder in die
Schlinge gefallen, der wir doch aufweichen wollten!
Erheben wir uns, hoffen wir auf die Barmherzigkeit
Gottes und betreten wir von neuem den Weg der Demut!
Fassen wir Mut, seien wir heute vorsichtig, Gott wird
uns beistehen. Werfen wir uns vor Gott nieder, sagt er
an einer anderen Stelle
(Brief 177. – Geist des h. Franz v. Sales, XVII, 19;
XVIII, 20 und 21.),
und sagen wir ihm im Geiste der Demut und des
Vertrauens: Herr, habe Erbarmen, denn ich bin krank und
schwach! Sodann erheben wir uns in Frieden und fahren
wir ruhig fort zu arbeiten und zu lieben. Wir müssen
unsere Unvollkommenheiten ertragen, um die
Vollkommenheit zu erlangen, Geduld mit ihnen haben,
indem wir an ihrer Ausrottung arbeiten, jeden Tag aufs
Neue damit beginnen und dürfen nie glauben, dass wir
genug getan haben.
Elftes Kapitel.
Sein
Seeleneifer.
(Nach der h. Chantal, art.
44, p.169; art.47, p. 187.)
Wir sind gewohnt, die
Sanftmut als die vorherrschende und charakteristische
Tugend des heiligen Franz von Sales zu betrachten; und
ist sein Name in der Kirche lieblich geblieben wie ein
köstlicher Wohlgeruch, so ist es deshalb, weil dieser
Name gewöhnlich für gleichbedeutend mit der Sanftmut
selbst gilt. Die heilige Chantal jedoch urteilte anders
über ihren glückseligen Vater. Welche hohe Meinung sie
auch von seiner Sanftmut hatte, so glaubte sie doch,
dass er eine andere Tugend in noch höherem Grade
besitze, den Eifer für das Heil der Seelen. Und der
Eifer des apostolischen Mannes war in Wahrheit der Art,
dass er, ohne dass ihm das Herz in schmerzlichem Wehe
zusammenzuckte, an das Unglück der Sünder, welche sich
in die Verdammung stürzen, oder an die Gefahr derer,
welche auf dem Wege der Tugend ermatten, nicht denken
konnte; er vergoss darüber bittere Tränen und seufzte
Tag und Nacht. Wurde die Aufmerksamkeit seines Geistes
durch sonstige Geschäfte anderswohin gelenkt und kamen
ihm dann jene Gedanken wieder, so hörte man ihn seufzen,
wie jemand, dem man eine schmerzliche Wunde berührt. „O
Herr, flehte er oft, mache diese Blinden sehend, sprich
ein Wort und sie werden gesund sein; bekehre sie und sie
werden bekehrt sein." Zur Zeit des Karnevals schrieb er
an Frau von Chantal (Geist
des h. Franz v. Sales, XVIII, 9.):
„Das ist eine traurige Zeit für mich; so armselig und
elend ich auch bin, so ist mein Herz doch von tiefem
Kummer erfüllt, da ich sehe, wie so viele Seelen schlaff
und lässig werden. Die beiden letzten Sonntage haben
unsere Kommunionen um die Hälfte abgenommen. Aus welchem
Grunde? Um der Eitelkeit zu folgen. Ach, wie schmerzlich
ist mir dieses Desertieren
(Brief 643.)!" Als
er zum ersten Male in seiner Kathedrale das Fest Petri
Kettenfeier (Befreiung des
Hl. Petrus aus dem Kerker / 1960 aus dem römischen
Kalender gestrichen),
ihr Patrozinium (Fest der
Schutzherrschaft eines Heiligen über die ihm geweihte
Kirche), beging,
konnte er sich der Tränen nicht erwehren; und nach dem
Dienste zog er sich in die Kapelle des heiligen Petrus
zurück, um sich dort ungestört auszuweinen. Als ihn sein
Bruder Ludwig um die Ursache seines Schmerzes befragte,
antwortete er: „Ach, ich sehe meine Genfer Kirche in den
Banden des Irrglaubens und der Sünde; und anstatt eines
Engels hat sie nur mich, Deinen Bruder, einen armen
Sünder, um ihre Ketten zu brechen." – „Ja, sprach er zu
Frau von Chantal bei einer anderen Gelegenheit, die
Ketten des heiligen Petrus, denen meine Kirche gewidmet
ist, umschlingen und ziehen sich enge um mein Herz
zusammen, wenn ich sehe, dass die göttliche Vorsehung es
zugelassen hat, dass meine Diözese der Sitz der Irrlehre
ist (Annee de la visitation,
1. avril.)." Nie
sang man im Chore, oder betete er in seinem Offizium
(Messe /
Chorgebet) den
Psalm: An den Strömen Babylons saßen wir und weinten,
ohne dass ihm die Tränen in die Augen kamen, bei dem
Gedanken an sein teures Genf, aus dem er sich vertrieben
sah, nicht dass er nach seinen Reichtümern verlangt
hätte, sondern weil er darüber trauerte, dass so viele
Seelen daselbst zu Grunde gingen. „Gib mir die Seelen,
pflegte er zu sagen, das Andere nimm für Dich
(Geist des h. Franz v. Sales, V,
20.)."
Mit nichts war die Freude
seines Herzens zu vergleichen, wenn er sah, dass Seelen
sich bekehrten und sich ganz Gott weihten, wie er selbst
in einem Briefe an die heilige Chantal nach Beendigung
einer Mission sagt: „Das sind mir Tage so wert wie Gold.
O, welchen Trost gewährte mir die Bekehrung so vieler
Seelen!mIn Tränen der Freude und Liebe habe ich unter
meinen teuren Pönitenten
(Beichtende und Büßende)
geerntet. O, Heiland meiner Seele! welche Freude war es
für mich, als ich sah, dass ein zwanzigjähriger
Edelmann, brav wie das Licht, tapfer wie das Schwert,
zur katholischen Religion zurückkehrte und mit so
frommer Demut alle seine Sünden bekannte, dass man darin
klar die Wirkung der Gnade und ihre verborgene Kraft
erkennt. Ich war außer mir und wie manchen Kuss des
Friedens gab ich ihm (Brief
102.)."
Sein ganzes Leben war
eine ununterbrochene Hingabe seiner selbst für das Wohl
der Seelen, so sehr, dass er die Übungen der
Frömmigkeit, welche unmittelbar au Gott Bezug hatten,
unterließ, um dorthin zu eilen, wohin ihn der Dienst des
Nächsten rief, und dass er oft sagte, er würde sich
glücklich schätzen, für die Bekehrung der Seelen zu
sterben, oder wenn er vom Papste nach Indien, Japan oder
Nicopolis (antike
römische Stadt im Nord-Westen Griechenlands),
wovon er als Koadjutor seinen Bischofstitel hatte,
geschickt würde, um dort mit Gefahr seines Lebens den
Glauben zu predigen (Nach
Langin). „Fürchten
Sie nicht, mir lästig zu werden, schrieb er an einen
Priester (Brief 221.),
denn ich habe mein Leben und meine Seele Gott und der
Kirche zum Opfer gebracht. Was liegt daran, dass ich
mich Beschwerden und Mühseligkeiten unterziehe, wenn ich
nur etwas für das Heil der Seelen tun kann? Die Liebe
kennt keine Mühe, die ihr nicht lieb und wert sei;
Ubi amatur, non laboratur, vel si laboratur, labor
amatur.“ Wo geliebt wird, wird nicht gearbeitet, oder
selbst wenn schon gearbeitet wird, wird die Mühe
geliebt. – „Ach, schrieb er an einen Pfarrer aus
seiner Diözese, da Rede von der Bekehrung eines
Irrgläubigen war, was gäbe ich nicht für das Heil dieser
armen Seele? So wahr Gott lebt, vor dem ich spreche, ich
würde meine Haut hingeben, um sie damit zu bekleiden,
mein Blut, um es in ihre Wunden zu gießen, und mein
zeitliches Leben, um sie vor dem ewigen Tode zu
bewahren."
Die höchste Freude,
welche es nach seiner Meinung in dieser Welt gab, war
jene, eine Seele für Gott zu gewinnen. „Hätte ich
tausend Mitren
(Bischofsmützen)
und Krummstäbe, sagte er öfter, sie würde ich lieber
alle lassen, als die Sorge für die Sünder." Auf seinen
Reisen stieg er manchmal vom Pferde auf freiem Felde, um
arme Leute, welche ihm ihre Not oder ihre Leiden
anvertrauen wollten, zu trösten oder Beichte zu hören
(Nach Moquet).
Beklagten sich seine Gefährten darüber, so erwiderte er
ihnen. „Ich bin Bischof für die Sünder, Hirte für die
kranken Schafe, Arzt für die Schwachen und
Gebrechlichen." Eines Tages fand er aus seinem Wege
einen armen Menschen am Boden liegend. Mitleidig näherte
er sich ihm und sah mit Schmerz, dass er auf den Tod
verwundet, seine Seele aber noch kränker als sein Leib
war; denn anstatt an die Ewigkeit zu denken, der er so
nahe war, stieß er nichts als Verwünschungen gegen
seinen Feind aus und schwur hoch und teuer, dass er sich
rächen und ihn dem Gerichte anzeigen werde. „Mein
Freund, sprach der Bischof zu ihm, Du bedarfst eines
Priesters und eines Arztes weit dringender denn des
Richters; ich will dafür sorgen, dass ein Arzt
herbeigerufen werde; aber unterdessen, ich beschwöre
Dich, bringe Dein Gewissen in Ordnung." Und unverzüglich
setzte er sich neben dem Unglücklichen nieder, hörte ihn
Beichte, verscheuchte die Rachegedanken von ihm und
flößte seiner Seele ruhige Ergebung ein.
Von dem nämlichen Eifer
belebt. besuchte er gerne die Kranken, und er hatte eine
besondere Gnade zu dieser Übung der christlichen Liebe
erhalten. Eines Tages wurde er zu einem Kranken gerufen,
der sich in einem Zustande der Verzweiflung befand und
von keinem Arzte noch Priester etwas wissen wollte. Er
kam und bei seinem bloßen Anblicke fühlte sich der
Sterbende gerührt; mit einer äußersten Anstrengung
sprang er aus dem Bette und warf sich mit dem Rufe „O,
warum sind Sie nicht früher gekommen!" vor ihm nieder.
Er umfasste seine Knie, beichtete, empfing die heiligen
Sakramente und verschied bald darauf mit den Worten:
„Gepriesen sei Gott, der mir die Gnade gewährt hat, in
den Armen meines Vaters und heiligen Bischofs zu
sterben!" Er wurde es nicht überdrüssig, erzählt der
Bischof von Belley, oft zu den Kranken zu gehen um ihnen
Worte des Heiles zu bringen, und er tat es nach Art der
Engel, indem er fromme Gedanken in ihnen zu erwecken
suchte, ihnen hie und da ein passendes Wort sagte oder
kurze Stoßgebetlein vorsprach, die er sie mit dem Munde,
oder wenn sie dazu nicht im Stande waren, wenigstens mit
dem Herzen nachsprechen liess. Ebenso machte er es mit
den zum Tode verurteilten Verbrechern, hatte er sie
Beichte gehört, so besuchte er sie noch öfters, um sie
zum letzten Gange vorzubereiten, und suchte in ihnen
Akte des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, der Reue
und Ergebung in den Willen Gottes, des Vertrauens auf
seine Barmherzigkeit zu erwecken. „Indem Du liebevoll
den Fuss der Gerechtigkeit Gottes küssest, sprach er zu
ihnen, gelangst Du sicher in die Arme seiner
Barmherzigkeit; es ist gewiss, dass Jene, welche auf
seine Güte vertrauen, nicht zu Schanden werden." Und
solch' liebreiche Worte erfüllten ihr Herz mit so großem
Vertrauen, dass man sie oft freudig und zufrieden zum
Tode gehen sah, mit dem heiligen Augustin sprechend: „Es
ist besser zu sterben, indem man Gott liebt, als zu
leben, indem man ihn beleidigt
(Geist des h. Franz v. Sales, II,
6.)."
Diesem außerordentlichen
Eifer verdankte die Kirche die Rückkehr von
zweiundsiebzigtausend Irrgläubigen, von denen
fünfundzwanzigtausend aus Chablais und die benachbarten
Provinzen, und siebenund vierzigtausend aus verschiedene
andere Orte kamen (Nach
Langin). Daher
rührt jener ungeheure Briefwechsel, in welchem er mit
Seelen stand, die den verschiedensten Ländern
angehörten, um sie auf dem Wege der Vollkommenheit zu
leiten; daher jenes glühende Verlangen, dass seine
Priester heilig seien, in seinen Augen die erste
Bedingung zur Heiligung des Volkes; daher so viele
Synoden und Verordnungen, so viele eindringliche
Ermahnungen zur genauen Befolgung der kanonischen
Vorschriften, so viele Einrichtungen jeder Art, wodurch
der Klerus seiner Diözese der musterhafteste der Kirche
wurde; daher, was ihn selbst betraf, jenes stete,
hingebende Arbeiten für das Wohl der Seelen. „Eine Menge
Leute wenden sich an mich, schrieb er an Frau von
Chantal, um zu lernen, wie sie Gott dienen sollen.
Unterstützen Sie mich durch Ihr Gebet; denn was meinen
Eifer angeht, so ist er größer und glühender denn
jemals. Aber sehen Sie, es flüchten sich so viele Kinder
in meine Arme, dass sie ganz matt und kraftlos werden
würden, wenn Gott mich nicht auf's Neue belebte und
stärkte." Daher so viele vortreffliche Schriften, um in
ihnen zu denen zu reden, welche sein mündliches Wort
nicht erreichen konnte; daher so viele apostolische
Reisen auch durch die wildesten Gegenden, daher endlich
seine unermüdliche Ausdauer, überall, wo er immer
hinkam, zu predigen, sei es innerhalb oder außerhalb
seiner Diözese. Mehr als viertausend Predigten hatte er
in seinem Leben gehalten, wie er selbst kurz vor seinem
Tode sagte.
Der einzige Beweggrund,
welcher ihn auf die Kanzel führte, war der Eifer für die
Ehre Gottes und das Heil der Seelen, ein Eifer, der so
geläutert von jeder menschlichen Rücksicht war, dass er
ebenso gerne auf dem Lande wie in den Städten, vor den
Armen wie vor den Reichen predigte, wie wir im Laufe
unserer Geschichte oft zu bemerken Gelegenheit hatten.
Selbst wenn seine Zuhörerschaft nur aus einigen Personen
bestand, so sprach er vor ihr doch mit derselben Glut
des Eifers, wie vor der zahlreichsten Versammlung. „Nie
bin ich so zufrieden, sagt er, als wenn ich auf die
Kanzel gehend nur wenige Leute vor mir sehe. Eine
dreißigjährige Erfahrung hat mir gezeigt, dass man dann
am meisten Gutes wirkt. Immer habe ich gesehen, dass die
Predigt bei einer kleinen Versammlung mehr Frucht
gebracht hat, als bei einer großen. Darum, fuhr er fort,
ermutigt mich eine große Zuhörerschaft ebenso wenig, als
eine kleine mich entmutigt; wenn nur irgend jemand davon
erbaut wird, das ist schon genug
(Geist des h. Franz v. Sales, II,
38.)."
Seiner Art und Weise zu
predigen lag alles Gesuchte und Eitle ferne. Meistens
bereitete er sich vor, indem er auf- und abging und in
heiliger Sammlung betrachtete. Dann ging er auf die
Kanzel und sprach in ganz einfacher und apostolischer
Weise, von keinem anderen Verlangen beseelt, als dem,
den Seelen zu nützen. „Immer habe ich bemerkt, lautet
die Aussage eines Zeugen im Heiligsprechungsprozesse,
dass er auf eine apostolische Weise predigte, das Heil
der Seelen und nicht den Beifall der Menschen suchend.
Einmal sogar unterbrach er sich plötzlich auf der
Kanzel, da er bemerkte, dass seine Worte zu sehr den
Ohren der Zuhörer schmeichelten, die nahe daran waren,
in stürmischen Beifall auszubrechen, und er redete
weiter in mehr einfacher Weise, die geeigneter war, den
Redner vergessen zu lassen, damit man nur an die Sache
selbst denke." -- „Alles was er sagte, berichtet ein
anderer Zeuge (Passis),
erklärte er mit so verständlichen Worten, durch so
schlagende Vergleichungen, dass auch die ungebildetsten
Leute das Vorgetragene verstanden und im Stande waren,
es nachher wiederzuerzählen."
Das war die Vorstellung,
welche er von der rechten Art und Weise hatte, das Wort
Gottes zu verkünden. Alles Gesuchte im Stil und in den
Gedanken konnte er nicht ausstehen, ebensowenig jene
rednerischen Blumen, die unfähig sind, Früchte
hervorzubringen. Obgleich es lobenswert ist, sagt er,
die Gefäße der Ägypter zur Verzierung und im Dienste des
Tabernakels zu verwenden, so muss es aber doch mäßig
geschehen. Die Auslegung des Evangeliums soll mit seiner
Einfachheit in Einklang stehen, und man muss sich wohl
hüten, das Wort Gottes mit falschem Prunke zu umhüllen.
Das Zeichen, an dem man den guten Prediger erkennt, ist
nicht, dass man ausruft: O, wie gut hat er gesprochen!
welch' schöne Dinge hat er gesagt! sondern, dass man
sich an seine Brust schlagend, sagt: Ja, von jetzt an
werde ich ein besseres Leben führen! Ach, wie tut die
Buße so Not, wie ist die Tugend so schön, die Sünde
hassenswert, das Kreuz liebenswürdig! Diese Predigt wird
uns anklagen am Tage des Gerichtes, wenn wir keinen
guten Gebrauch davon machen! Endlich ist es ein
Kennzeichen einer guten Predigt, dass, ohne viele Worte,
die Besserung des Lebens Zeugnis für sie ablegt
(Geist des h. Franz v. Sales, XV,
19; III, 3 u. 4; XIV, 22; XIII, 13.)."
Darum fragte er auch,
wenn von einem berühmten Prediger die Rede war: „Wie
viele von seinen Zuhörern haben sich bekehrt?" und
danach bildete er sein Urteil. Als eines Tages ein
weithin bekannter Redner in seiner Gegenwart gepredigt
hatte, und jedermann von der Predigt entzückt war, nahm
er einige von seinen Bewunderern auf die Seite und frug
sie: „Nun, welchen Nutzen habt ihr denn aus der Predigt
gezogen?" Der Eine erging sich in Lobeserhebungen über
das Verdienst des Redners, ohne eine vernünftige
Bemerkung dabei zu machen; ein Anderer, mehr
offenherzig, sagte gerade heraus: „Hätte ich ihn
verstanden, so würde er keine anderen als gewöhnliche
und alltägliche Dinge gesagt haben; sein Verdienst
besteht darin, dass er so hohe und erhabene Dinge gesagt
hat, dass sie unsere Fassungskraft übersteigen." Und
daraus zog der Heilige den Schluss, wie sehr die Diener
des Evangeliums es sich müssen angelegen sein lassen,
nicht zu glänzen, sondern zu belehren und zu erbauen.
Was ihn betraf, so sprach
er nie auf der Kanzel als unter dem Eindrucke dieses
Gedankens; und seine lebhaften und durchdringenden
Blicke, in welchen man den Eifer las, der in seinem
Inneren glühte, die Liebe und das Wohlwollen, welches
aus all' seinen Zügen leuchtete, der innige und rührende
Ton seiner Stimme, voll Mitleid für die Gebrechen und
das Elend der Menschen, die Salbung, mit der er die
göttliche Barmherzigkeit schilderte, die Hoffnungen des
ewigen Lebens, das Glück eines guten Gewissens, die
Schrecken des Gerichtes Gottes, das drang in die Tiefe
auch des verstocktesten Herzens. Wenn man ihn so sah,
sagt ein Zeuge (Nach Janus),
so glaubte man einen Seraph zu erblicken, den das Feuer
der göttlichen Liebe ganz ergriffen hat, und seine ganze
Erscheinung ließ erkennen, dass sein Herz ein Glutofen
der Liebe war. Predigte er vor Irrgläubigen, so suchte
er sie nicht auf eine sie beschämende Weise zu
überführen, sondern zu überzeugen, und er begründete die
wahre Lehre, ohne dass es den Anschein hatte, als greife
er die Irrlehre an (Geist
des h. Franz v. Sales, X, 5; XIV, 17 u.18.).
„Denn, sagte er, sehen sie, dass man sie angreift, so
sind sie auf ihrer Hut; und der Stolz, welcher fürchtet,
eine Niederlage zu erleiden, befestigt sich um so mehr
in seiner Hartnäckigkeit, je klarer man ihm beweist,
dass er Unrecht hat." Besonders aber suchte er das Herz
zu rühren; darauf setzte er immer alle seine Hoffnung.
„Denn, sagte er, seit den dreißig Jahren, die ich
predige, habe ich bemerkt, dass man die Menschen
bekehrt, indem man sie bei dem Herzen fasst, dass
moralische Predigten, mit Frömmigkeit und Eifer
vorgetragen, wie ebenso viele glühende Kohlen sind,
welche man den Protestanten, die einem zuhören, ins
Gesicht wirft, dass sie davon erbaut bleiben und in
Privat-Unterredungen über Punkte, in welche sie von uns
abweichen, gelehriger und gefügiger werden."
Außerdem empfahl der Heilige allen Predigern Kürze in
ihren Vorträgen an. „Glaubet mir, sagt er
(Geist
des h. Franz v. Sales, H 37; XVI, 15.)
-- denn aus Erfahrung und langjähriger Erfahrung sage
ich Euch das -- je mehr Ihr sagt, um so weniger wird man
behalten. Je weniger Ihr sagt, um so mehr Gewinn wird
man daraus ziehen. Wird das Gedächtnis der Zuhörer zu
sehr überladen, so richtet man es dadurch zu Grunde;
gießt man zu viel Öl auf eine Lampe, so löscht man sie
aus und die Pflanzen, welche man zu übermäßig begießt,
erstickt man. Ist eine Predigt zu lang, so lässt das
Ende die Mitte vergessen und die Mitte den Anfang.
Mittelmäßige Prediger gehen schon an, wenn sie nur kurz
sind, und ausgezeichnete werden lästig und erregen
Überdruss, wenn sie zu lange sprechen." Kurz und gut,
war sein Grundsatz; und er stützte ihn auf das Beispiel
der Väter, deren Homilien
(Predigten mit Auslegung des Evangeliums / Teil der
Liturgie)
kurz sind, aber voll Gehalt und lehrreich.
Bewirkten seine Predigten noch nicht die Bekehrung, so
vollendete der heilige Bischof das Werk in der Regel in
ruhigen und freundschaftlichen Privat-Unterredungen. Mit
vieler Geduld ließ er dann die Irr- oder Ungläubigen
nach Belieben ihre Einwürfe vorbringen, und war die
Reihe zu sprechen an ihn gekommen, so verlor er seine
Zeit nicht mit Disputieren
(Streiten),
sondern erklärte ihnen kurz und einfach die wahre Lehre
über den fraglichen Punkt, indem er einerseits die
Schönheiten des wohl verstandenen katholischen Glaubens
hervorhob, auf der anderen die Treulosigkeit der
protestantischen Prediger, welche ihn verunstalteten;
und die Erfahrung hatte ihm gezeigt, dass dies das beste
Mittel sei, die Irrgläubigen zu bekehren.
Denselben Eifer wie auf der Kanzel hatte Franz auch im
Richterstuhle der Buße. Überzeugt, dass von allen
Funktionen des priesterlichen Amtes diese die
ersprießlichste für die Seelen ist, widmete er ihr alle
Zeit, welche seine anderen Pflichten ihm übrig ließen.
Jeder Sonn- und Feiertag, an dem er nicht das Hochamt
hatte, las er zu früher Morgenstunde seine heilige
Messe, um so bald als möglich in den Beichtstuhl zu
gehen, und blieb in demselben, so lange nur Pönitenten
(beichtende Büßer)
erschienen
(Nach
Legay).
Auch an jedem anderen Tage war er stets zum Beichtehören
bereit. Eines morgens war er schon mit den heiligen
Gewändern bekleidet und auf dem Wege zum Altare; eine
arme Frau trat ihm entgegen und bat ihn, sie Beichte zu
hören, und auf der Stelle kehrte er um, zog sich wieder
aus und erfüllte ihren Wunsch. Tausend Mal geschah es,
dass er in den Beichtstuhl gerufen wurde gerade in dem
Augenblicke, wo er sich zu Tische setzen wollte, und
seine Mahlzeit im Stiche lassend eilte er fort, um den
verlangten Liebesdienst zu erweisen. Zu anderen Malen
war er noch mit Beichte hören beschäftigt, wenn die
Stunde des Essens schlug, was ihm namentlich auf seinen
Pastoralreisen häufig begegnete. Man ließ ihm dann
sagen, dass die Stunde der Mahlzeit schon vorüber sei.
„Ich komme", erwiderte er, aber von seinem Eifer
fortgerissen vergaß er es gleich wieder und fuhr fort,
Beichte zu hören, bis niemand mehr da war
(Nach
Daunant).
Öfters geschah es sogar, dass er zu zwei oder drei
Tagereisen weit entfernt wohnenden Kranken ging, um
ihrem Wunsche, bei ihm zu beichten, zu willfahren
(Nach
Gard);
und war er außerhalb Annecy's bei einem Freunde auf
Besuch, so schien es, als sei er nur zum Beichtehören
gekommen. „Ich darf nicht mehr, sagte er eines Tages
(La Riviere, p. 488.),
Jene besuchen, welche mir die Ehre ihrer Freundschaft
erzeigen; denn, wenn ich die Absicht habe, nur zwei oder
drei Tage bei ihnen zuzubringen, so bin ich gezwungen,
eine ganze Woche daselbst zu bleiben, um Jedermann
Beichte zu hören, und kann ich nur einen Abend da
bleiben, so muss ich bis ein oder zwei Uhr nach
Mitternacht im Beichtstuhle sitzen.“
Einen Unterschied der Person kannte er dabei nicht; eine
Menge von Pönitenten jeden Standes kamen zu ihm, und mit
gleicher Liebe und Sanftmut nahm er sie alle auf, die
Ärmsten und Ekelerregendsten ausgenommen, denen er mit
größerer Herzlichkeit und Freundlichkeit begegnete,
„denn, sagte er, ihnen gegenüber ist die Liebe reiner
und wahrer." Er verschmähte es selbst nicht, kleine
Kinder Beichte zu hören, und er tat es mit einer solchen
Güte, einer so mütterlichen Weise, dass sie Vergnügen
daran fanden, oft wieder zu kommen. Diese Arbeiten
gewährten ihm eine außerordentliche Freude, „denn, sagte
er, die Beichtväter sollen es machen, wie die Winzer und
Schnitter, welche nie zufriedener sind, als wenn sie am
meisten Arbeit haben. Welch' ein Glück und welch' eine
Ehre zugleich, dass Gott sich würdigt, sich unserer zu
bedienen, um so viele arme Seelen von der Sünde zu
befreien und sie dem Leben der Gnade wiederzugeben!"
Sah er, dass Pönitenten das Bekenntnis aus Furcht, Scham
oder Unwissenheit schwerfiel, so half er ihnen
freundlich und suchte durch alle möglichen Mittel ihr
Herz dem Vertrauen zu öffnen. ,,Bin ich nicht Dein
Vater? sprach er; warum solltest Du Dich denn fürchten?
Gott wartet nur auf Dein Geständnis, um Dir zu
verzeihen. Ich vertrete die Stelle Gottes; warum
solltest Du Dich vor mir schämen, der ich ja doch nur
ein Sünder bin? Hättest Du alles Böse von der Welt
getan, ich würde nicht unwillig deswegen werden; die
Fehler und Sünden der Beichtkinder verringern um nichts
meine Liebe zu ihnen
(La
Riviere, p. 386.)."
Dann ließ er ihnen so viel Zeit, als sie wollten, um
sich klar und verständlich auszudrücken, und trieb sie
nicht zur Eile an, wie Einer, der gerne schnell mit
ihnen fertig wäre. Sah er sie dann noch unschlüssig oder
zu schüchtern, um ihm Alles zu sagen, so ermutigte er
sie durch gute und liebreiche Worte. Merkte er, dass sie
nicht die genügende Reue hatten oder schlecht disponiert
waren, so empfand er darüber einen so lebhaften Schmerz,
dass er zuerst über die Sünden, deren man sich anklagte,
weinte, und zwang sie dadurch, sie auch selbst zu
beweinen. Nichts war rührender, als die
Herzensergießungen des heiligen Bischofs, wenn es ihm so
gelang, die Pönitenten zu einer aufrichtigen Bekehrung
zu bringen. „O, wie ist mir Deine Seele so teuer! sprach
er dann; wie schön ist sie jetzt! Die Engel freuen sich
und frohlocken Deinetwegen. Ich wünsche Dir Glück mit
ihnen; aber doch musst Du dem Herrn und mir versprechen,
dass Du nicht mehr in die Sünde fallen willst."
Zwölftes Kapitel.
Seine
Klugheit und Einfalt des Herzens;
-- seine Bescheidenheit und Eingezogenheit.
In hohem Grade besaß der
Bischof von Genf diese Tugenden. Nie sah man ihn
unbedachtsam oder auf eine hastige Weise handeln, stets
dachte er reiflich nach, ehe er redete oder etwas
unternahm, und so oft es ihm möglich war, erholte er
sich vorher auch Rats bei anderen. Vor Allem aber betete
er, und das um so eifriger, je wichtiger die
Angelegenheit war, mehr von der Weisheit Gottes, als von
seiner eigenen Erkenntnis erwartend, und nie schritt er
zur Tat, bis er mit Hilfe dieser verschiedenen Mittel
klar das Weiseste erkannt hatte. Dann handelte er ruhig
und gesetzt, mit Erforschung und kluger Benützung der
günstigen Umstände. Im Reden nicht weniger behutsam und
vorsichtig als im Handeln hörte man von ihm nie ein
Wort, das nicht an seiner Stelle war; nie entschlüpfte
ihm ein Geheimnis und alle seine Ausdrücke waren so wohl
berechnet, dass sie vollkommen Alles enthielten, was er
sagen wollte, nicht mehr und nicht weniger
(Nach der heil. Chantal).
Daher jener so vollendete
Takt, den er bewies in seinen Unterhandlungen mit den
Machthabern Frankreichs und Savoyens, und dem er es
verdankte, dass er nicht nur stets in gutem Einvernehmen
mit ihnen stand, sondern auch geachtet und geehrt von
ihnen war. Daher jenes Geschick in der Leitung und
Verwaltung seiner Diözese, jene hohe Einsicht, die er in
allen Angelegenheiten bekundete. So war sein Eifer, wie
er unermüdlich in seiner Tätigkeit war, weil die Liebe
ihn antrieb, nicht weniger gemäßigt in seiner Wirkung,
weil die Klugheit ihn leitete. Gab es eine praktische
Schwierigkeit zu lösen, so prüfte er sie mit der größten
Ruhe und entschied dann immer ebenso richtig als sicher,
bemerkt einer seiner gleichzeitigen Biographen
(Dom Jean de Saint-Francois).
Von allen Seiten wurde er darum wie ein Orakel der
Klugheit befragt; in wichtigen Angelegenheiten wollte
man zuerst wissen, was er davon halte
(Nach Baytay und Pesse),
und wir haben mehrfach gesehen, wie man in
Streitigkeiten und Prozessen ihn als Schiedsrichter
anrief, wie er stets zur Zufriedenheit beider Parteien
die Sache gütlich beilegte. Auch in anderen Dingen
zeigte er dieselbe Klugheit. Jemand fragte ihn eines
Tages, was zu tun sei, um hochstehende Personen, die
großes Ärgernis gaben, auf den Weg der Pflicht
zurückzuführen. „Machen Sie ihnen zuerst einige
Höflichkeitsbesuche, antwortete er, ohne Ihre
eigentliche Absicht zu verraten, und suchen Sie ihr
Wohlwollen zu erwerben. Ist Ihnen das gelungen, so
leiten Sie unvermerkt das Gespräch auf die Schönheit der
Tugend und die Hässlichkeit des Lasters; alsdann bringen
Sie sie zu mir." Und so erreichte er seinen Zweck ganz
und gar.
Nirgends zeigte sich aber
die Klugheit des heiligen Bischofs in hellerem Glanze,
als in der Führung der Seelen. „Es war, sagt die heilige
Chantal, etwas Entzückendes, ihn von Gott und der
Vollkommenheit reden zu hören; seine Ausdrücke waren so
bestimmt und klar, dass man mit großer Leichtigkeit auch
die zartesten und erhabensten Dinge des geistlichen
Lebens verstehen konnte. Gott hatte ihm jenes Licht zur
Führung der Seelen verliehen, die er auch in der Tat mit
himmlischer Klugheit leitete." Er durchforschte die
Tiefe der Herzen, erkannte klar ihren Zustand, sowie die
Beweggründe, aus welchen sie handelten, und schrieb
demgemäß die Lebensregel vor
(Geist des h. Franz v. Sales, X,
19.). Mit großer
Bestimmtheit unterschied er, was Sünde und nicht Sünde
war, was man verbieten und was man gestatten konnte, und
ließ einen jeden in seiner Stellung die erhabenste
Heiligkeit finden, ohne etwas Außer ordentliches zu
verlangen, indem er die Frömmigkeit mit der
Wohlanständigkeit und den unschuldigen Freuden eines
jeden Standes verträglich erklärte, und eine heilige
Freiheit lehrte, welche die Grenzen der Tugend nicht
überschreitet, weise Nachgiebigkeit, jedoch nie auf
Kosten der Pflicht, einen christlichen Frohsinn, der
sich auch mit den strengsten Anforderungen des
Evangeliums verträgt.
Er wollte, dass man die
Frömmigkeit liebenswürdig mache, indem man sie der Welt
als eine stets freundliche und leutselige zeige, stets
bereit Freude zu machen, und zu einem wahren Bilde der
Güte Gottes auf Erden, stets edel, stark und der
Stellung im Leben angemessen. Eine Dame hatte sich
vorgenommen, nur wenig zu sprechen, und sie fragte den
Bischof darüber um seine Meinung. „Mit dem wenig Reden
bin ich einverstanden, antwortete er
(Brief 862.),
vorausgesetzt, dass das Wenige, was Sie sagen,
freundlich und liebevoll und nicht traurig oder auf eine
verschmitzte Art gesagt wird. Ja, reden Sie wenig und
sanft, wenig und gut, wenig und einfach, wenig und
offen, wenig und liebenswürdig." Besonders drang er auf
die Erfüllung der Standespflichten, und dass man
freundschaftlich, höflich, diensteifrig, gefällig bis zu
dem Grade sei, dass man auch von den unbedeutendsten
Dingen in der Zeit der Erholung spreche, wenn es dazu
dienen konnte, Andere zu erfreuen oder zu erheitern. So
schnitt er den der Frömmigkeit gemachten Vorwurf ab,
dass sie wunderlich, abstoßend und eine schlechte
Gesellschafterin sei, und widerlegte ihn zugleich durch
sein eigenes Benehmen, da er ebenso liebenswürdig wie
fromm, ebenso höflich wie bescheiden, ebenso gefällig
als pünktlich, ebenso offen als gesammelt und ebenso von
den Menschen wie von Gott geliebt war.
Eine Dame, welche ihrer
Stellung wegen genötigt war, am Hofe zu leben, drückte
ihm eines Tages die Besorgnis aus, in einer so
gefährlichen Umgebung ihre Frömmigkeit zu verlieren. „So
lange Sie in Ihrer Seele den festen Entschluss bewahren,
schrieb er ihr (Brief 132.),
ganz Gott anzugehören, wird der heilige Geist durch
seinen Beistand ergänzen, was Sie nicht tun können. Ihre
Übungen können Sie durch häufige und inbrünstige
Stoßgebete ersetzen und die Anhörung der Predigt durch
andächtige und aufmerksame Lektüre guter Bücher.
Dadurch, dass Sie genötigt sind, in der Gesellschaft zu
leben, werden Sie tausendfach Gelegenheit haben, sich
abzutöten und Ihren Willen zu brechen, was kein geringes
Mittel zur Vollkommenheit ist, wenn Sie es mit Demut und
Sanftmut des Herzens anwenden. Keine Gesellschaft, keine
abhängige Stellung kann Sie verhindern, oft mit unserem
göttlichen Herrn, seinen Engeln und Heiligen zu reden,
oder oft auf den Straßen des himmlischen Jerusalems zu
wandeln, auf die inneren Predigten Jesu Christi und
Ihres guten Engels zu horchen oder jeden Tag im Geiste
die heilige Kommunion zu empfangen. tun Sie das Alles
mit freudigem Herzen."
In der Leitung der Seelen
hatte der heilige Führer es sich zur ersten Regel
gemacht, das Wirken des Geistes Gottes in denselben
sorgfältig zu berücksichtigen, sie mehr zu leiten je
nach dem Zuge dieses göttlichen Geistes als nach seiner
eigenen Einsicht. Sodann verlangte er von seinen
Beichtkindern, was die Vollkommenheit anbetraf, weder zu
viel, noch etwas zu frühe, noch zu viel auf ein Mal,
indem er sie lehrte, allmählich dem Himmel zuzufliegen
wie die Tauben, wenn sie sich nicht wie die Adler zu ihm
aufschwingen könnten, den gewöhnlichen Weg zu wandeln,
wenn ihnen der vollkommenere zu schwer falle.
Ferner war es bei ihm
Grundsatz, dass man sich in der Leitung der Seelen mehr
mit dem Herzen als mit dem Äußeren beschäftigen müsse
(Geist des h. Franz v.
Sales, X, 7.).
„Ist dieser Turm genommen, sagt er, so kann sich das
Übrige nicht mehr halten; brennt es in einem Hause, so
wirft man alle Möbel zum Fenster hinaus, und so
erscheint auch einem Herzen, von dem die Liebe Gottes
Besitz ergriffen hat, Alles was nicht Gott ist, als
etwas gar Geringes." Eine vornehme Dame, die sich unter
seine Leitung gestellt hatte, fuhr bei ihrer Frömmigkeit
und ihren sonstigen guten Werken fort, sich eine
glänzende Equipage
(Kutsche)
zu halten, kostbare Kleider zu tragen und in den Kreisen
der vornehmen Welt zu verkehren. Man wollte daran Anstoß
nehmen; aber der weise Führer ließ sie gewähren, weil
sie in all' dem nur den erlaubten Zweck verfolgte, ihrem
Gemahle zu gefallen. Man tadelte es, dass er ihr
gestatte, Ohrringe zu tragen. „Ich weiß ja nicht einmal,
versetzte er, ob sie Ohren hat, denn sie kommt nur
bedeckten Hauptes in den Beichtstuhl; und übrigens
verlor Rebecca, die wohl ebenso viel als diese wert war,
nichts von ihrer Heiligkeit, weil sie die Ohrringe trug,
welche ihr Isaak durch seinen Knecht übersandt hatte." –
Aber, entgegnete man, sie hat mehrere von ihren
Diamanten an einem goldenen Kreuze, das sie trägt,
anbringen lassen, und das ist doch Eitelkeit." --- „Was
Ihr Eitelkeit nennt, bemerkte er darauf, erbaut mich nur
um so mehr; ich möchte, dass alle Kreuze der Welt von
Diamanten und Edelsteinen bedeckt wären; wie kann man
diese Kleinodien besser anwenden, als um das Kreuz zu
schmücken (Geist des
heiligen Franz v. Sales, III, 49; XVII, 2.)?"
Eine andere Dame bediente sich wohlriechender Essenzen
und Wasser. „Gott, schrieb er ihr
(Brief 738.),
ließ mich neulich auf den Gedanken kommen, Ihnen zu
sagen, dass Sie diese Wohlgerüche nicht mehr gebrauchen
sollen, aber ich besann mich, meinem Grundsatze gemäß,
den Regungen nicht vorzugreifen, welche die geistlichen
Übungen allmählich in den Seelen hervorzubringen
pflegen, die sich ganz der göttlichen Güte weihen. Mein
Geist ist ein großer Freund der Einfachheit; aber das
Messer, mit dem man diese überflüssigen Schösslinge
beschneidet, lasse ich gewöhnlich in den Händen Gottes."
Mit der Klugheit
vereinigte der Heilige eine noch größere Einfalt. „Ja
wahrhaftig, schrieb er an Frau von Chantal
(Brief 126.),
die armen weißen Täubchen sind mir doch angenehmer, als
die Schlangen; und ich möchte keineswegs, in der
Absicht, die Eigenschaften beider mit einander zu
vereinigen, die Einfalt der Taube der Schlange geben,
denn sie würde nichtsdestoweniger eine Schlange bleiben;
aber die Klugheit der Schlange möchte ich wohl der Taube
geben, denn sie würde dennoch lieb und gut bleiben. Auf
denn, weihen wir uns dieser heiligen Einfalt, der
Tochter der Unschuld und Schwester der Liebe. -- Ich
weiß nicht, sagt er ferner
(Geist des h. Franz v. Sales, VIII, 22; X, 18; XVI, 50;
XVII, 5; XVIII, 23.),
was mir diese arme Tugend der Klugheit getan hat. Wenn
ich sie liebe, so geschieht das nur aus Notwendigkeit,
weil sie das Salz und das Licht des Lebens ist; aber die
Schönheit der Einfalt entzückt mich und gerne würde ich
hundert Schlangen für eine Taube geben .... Wäre die
Dosis von der Schlange und der Taube gleich, so möchte
ich mich doch nicht darauf verlassen, die Schlange würde
die Taube töten, aber nie wird die Taube die Schlange
töten . . . Man sagt, dass in einer so verschlagenen
Zeit, wie die unsrige, Klugheit not tut, um sich nicht
erwischen zu lassen. Ich tadle diesen Grundsatz nicht;
aber ein guter Christ wird immer lieber Amboss als
Hammer sein wollen, der Bestohlene als der Dieb, der
Geschundene als der Schinder, der Märtyrer als der
Tyrann. Fort mit der Klugheit der Welt! Es ist besser,
gut und einfältig zu sein, als listig und boshaft.“
Wenn Franz von Sales die
Einfalt so sehr liebte, so hatte das darin seinen Grund,
dass er sie in einem anderen Sinne auffasste, als die
Welt. Nach ihm war die Einfalt nichts Anderes, als die
Geradheit des Herzens, welche gerade auf die Wahrheit,
gerade auf die Pflicht, gerade auf Gott allein zugeht.
So war seine Einfalt beschaffen.
Als Freund der Wahrheit
konnte er auch nicht den Schatten der Verschlagenheit
oder Verstellung dulden, und es war ihm zuwider, den
Nächsten zu hintergehen, um ihn für seine Zwecke, wären
es auch die erlaubtesten, zu gewinnen. Er verabscheute
jede Lüge und Zweideutigkeit, und es war bei ihm
Grundsatz, „dass die Treue, die Geradheit und
Aufrichtigkeit im Reden zu den schönsten Zierden des
christlichen Lebens gehören
(Geist des heiligen Franz v.
Sales, II, 35.)."
-- „Darum, bemerkt einer seiner Geschichtsschreiber
(La Riviere, p. 522.)
demütigte er sich nie, ohne auch innerlich von solchen
Gefühlen durchdrungen zu sein; nie erbot er sich, einen
Dienst zu erzeigen, ohne dass es von ganzem Herzen
geschah. Höfische Komplimente galten in seinen Augen
nichts und leere Worte und Versprechungen zu machen
verstand er nicht. Alles was er sagte war aufrichtig und
natürlich, und einfach und offen handelte er."
„Eines Tages, erzählt der
Bischof von Belley (Geist
des h. Franz v. Sales, VIII, 4.),
kam ich, ganz ermattet von der glühenden Sonnenhitze, zu
ihm; er fragte mich lachend, ob ich wünsche, dass man
Feuer mache." -- ,,Wie, sprach ich, wollen Sie mich denn
vollends rösten?" -- „Ei, versetzte er, das Feuer
erwärmt jene, denen es kalt, und gewährt uns auch
Kühlung, wenn es uns zu warm ist." Nach einigem
Stillschweigen setzte er dann aufrichtig hinzu: „Sehen
Sie, ich habe mich einer Zweideutigkeit schuldig
gemacht; denn da ich mich erinnerte, dass Sie einst
sagten, Sie scheuten die Kälte und hätten nie zu warm,
so wollte ich darüber lachen, dass Sie so viel Hitze
ausgestanden haben und dass Sie zuweilen sagen, es sei
besser, dass man schwitze, als vor Kälte zittere, und
dass das Feuer jederzeit angenehm sei. Sehen Sie also,
wie mein Gedanke von meiner Antwort so verschieden war!"
Ein anderes Mal drückte
ihm der Bischof von Belley sein Erstaunen darüber aus,
dass der Herzog von Savoyen ihn nicht als Diplomat an
den fremden Höfen gebrauche, namentlich in Frankreich,
wo seine Klugheit, Rechtschaffenheit und Frömmigkeit in
so hohem Ansehen standen. „Ich finde im Gegenteil,
erwiderte Franz, dass der Herzog, indem er mich dazu
nicht verwendet, viel Urteil und Weisheit bekundet, da
mir schon die bloßen Worte „menschliche Klugheit und
Politik“ Schrecken verursachen. Ich kann, um es Ihnen
gerade heraus zu sagen, weder lügen, noch mich geschickt
verstellen; und das ist das Meisterwerk der Politik und
ihre Haupttriebfeder. Um des ganzen Reiches willen
möchte ich nicht ein falsches Wort sagen; ich rede nach
alter Frankenart, einfach und nach meiner Überzeugung;
meine Lippen drücken immer meinen Gedanken aus
(Geist des h. Franz v. Sales, II,
35; XIII, 20; XII, 15.)."
Mit derselben Geradheit
des Herzens wandelte er auch den Weg der Pflicht, ohne
daran zu denken, ob seine Handlungen den Menschen
gefallen oder missfallen würden, ohne einen anderen
Zweck zu verfolgen, als den Willen Gottes zu erfüllen;
unverrückt seinen Blick auf das, was seine Pflicht war,
richtend, gab er auf sonst nichts Acht. „Sein ganzes
Leben, sagt die heilige Chantal
(Lettre de St. Chantal a Dom Jean
de St. Francois),
war Einfalt und Aufrichtigkeit; keine Eigentümlichkeiten
konnte man da entdecken, nichts das die Bewunderung
Jener hätte erregen können, welche nur auf das Äußere
sehen. Er hielt sich auf dem gewöhnlichen Wege, aber auf
eine so göttliche und himmlische Weise, dass nichts in
seinem Leben wunderbarer war, als gerade dieses. Die
ganze Schönheit seiner Seele lag im Inneren, in der
Vollkommenheit der Tugenden, welche Gott so herrlich
darin geordnet hatte; und der Glanz seiner Heiligkeit
lag in der nicht gewöhnlichen Art und Weise, mit der er
die gewöhnlichsten Handlungen verrichtete . . . ."
„Während der vierzehn
Jahre, die ich unter seiner Leitung stand, erzählt der
Bischof von Belley (Geist
des h. Franz von Sales, IV, 17.),
habe ich genau seine Handlungen seine Gebärden, seine
Worte und Lehren beobachtet und studiert, aber nie das
Geringste an ihm bemerkt, das eine Sonderbarkeit
verriet."
Alles was er tat, geschah
um Gott zu gefallen, den er liebte; keine anderen
Ansprüche machte er. „Sehet, sprach er
(Ebendas., VI, 14.),
ein kleines Kind, das noch keinen anderen Menschen als
seine Mutter kennt; es hat nur eine Liebe, die zu seiner
Mutter, nur ein Verlangen, das nach der Brust der
Mutter; an dieser geliebten Brust ruhend will es nichts
Anderes. So hat auch die Seele, welche die vollkommene
Einfalt besitzt, nur eine Liebe, die Liebe zu Gott, nur
ein Verlangen, das, an der Brust des himmlischen Vaters
zu ruhen und dort wie ein Kind der Liebe zu bleiben,
alle Sorge für sich selbst ganz und gar seinem guten
Vater überlassend, ohne sich um etwas Anderes Mühe zu
geben, als sich in diesem heiligen Vertrauen zu
erhalten. Selbst der Wunsch nach der Tugend und der
Gnade beunruhigt sie nicht, nicht dass sie gleichgültig
ist gegen das, was sie auf ihrem Wege findet, sondern
sie wendet es an ohne ängstlich nach anderen Mitteln zur
Vollkommenheit zu suchen; die, welche sie in Händen hat,
genügen ihr. Sie schaut weder rechts noch links, um zu
sehen, was man sagt, denkt oder tut; sie verfolgt
einfach ihren Weg, tut was sie tun zu müssen glaubt und
denkt nicht mehr weiter daran; sie bleibt ruhig in dem
Vertrauen, dass Gott ihr Verlangen kennt, ihm zu
gefallen, und das ist ihr genug.“ In dieser Schilderung
der christlichen Einfalt hat sich Franz selbst Zug für
Zug gezeichnet. Die Einfalt des Herzens war nach ihm
eines der besten Mittel, um Fortschritte in der Tugend
zu machen. „Gehen wir einfach und gerade voran, sagt er,
ohne uns damit aufzuhalten, unsere Handlungen genau und
einzeln zu prüfen. Sobald das Gewissen uns das Zeugnis
gibt, dass wir Alles tun wollen, um der heiligen Liebe
willen, dann lasst uns vertrauensvoll, demütig und
einfach vorangehen. Was mich angeht, so denke ich, dass
wir in der Gegenwart Gottes sind selbst im Schlafe, wenn
wir einschlafen mit dem Gedanken, dass er es so will und
anordnet und dass er uns auf das Lager hinlegt, wie man
Statuen in ihre Nischen stellt; und erwachen wir, so
finden wir, dass er da nahe bei uns, dass er nicht von
unserer Seite gewichen ist und dass wir in seiner
Gegenwart, obgleich mit geschlossenen Augen, waren."
Da so in den Handlungen
und dem Leben des heiligen Bischofs durchaus nichts
Besonderes zu entdecken war, so täuschten sich zuweilen
Manche, welche nur das heilig nennen, was
außerordentlich ist, über sein wahres Verdienst. „Es
sollte uns sehr wundern, sagten einmal einige Domherren
unter sich, wenn unser Bischof eines Tages im
Verzeichnis der Heiligen stünde; alle seine Pflichten
erfüllt er recht gewissenhaft, das ist wahr. Aber das
ist auch Alles, sonst lebt er wie die anderen, bewirtet
seine Domherren und andere Leute glänzend; er macht
sogar Spazierfahrten zu Wasser mit ihnen." -- „Diese
guten Domherren, bemerkt Herr von Bernex, Bischof von
Annecy, urteilten nach dem Äußeren und vergaßen, dass er
in Allem auf die Heiligung seiner Seele Bedacht nahm und
dass er unter der Rinde eines gewöhnlichen Lebens sich
Schätze von Gnade und Heiligkeit sammelte." Und hierauf
Bezug nehmend gab der nämliche Bischof den Nonnen von
der Heimsuchung die Ermahnung: „In Eurem Wandel soll
sich nichts Besonderes zeigen; verbannet Alles was Euch
dazu verleiten könnte. So gut es Euch auch erscheinen
mag, es ist für eine Tochter Marias eine gefährliche
Klippe. Demut, Liebe und Einfalt sollen die besonderen
Kennzeichen der Töchter des heiligen Franz von Sales
sein, nach dem Beispiele so vieler heiligen Nonnen,
welche vor Euch dieses nämliche Kloster bewohnt haben."
Nicht minder war dem
Heiligen die Tugend der Bescheidenheit und
Eingezogenheit eigen; er hielt besonders viel auf sie
und nach allen Seiten hin hatte er sie studiert, um
seinen Wandel danach ein-zurichten. Sie umfasste ihm
Alles was christlicher Anstand und seine Sitte,
Züchtigkeit und Einfachheit vom äußeren und inneren
Menschen zu jeder Zeit und an jedem Orte verlangen, vor
Allem die Keuschheit, jene kostbarste Zierde der
christlichen Seele, jene herrlichste Blüte in der Krone
priesterlicher Tugenden, sie, welche uns noch im
Fleische den Engeln ähnlich macht und uns schon
hienieden einen Vorgeschmack von der himmlischen
Reinigkeit gibt. Sie bildete die Wonne seines Herzens
und schien aus seinem ganzen Wesen hervorzuleuchten.
Nach dem Zeugnisse der
heiligen Chantal strömte sein Antlitz, sein Blick, seine
Haltung, Alles was er tat und sagte den Wohlgeruch der
Keuschheit aus und trug gleichsam das Gepräge und Siegel
der Unschuld und Züchtigkeit. Überzeugt, dass es sich
mit der Keuschheit verhält wie mit einem hellen Spiegel,
welchen der geringste Hauch schon trübt, wie mit einer
zarten Blume, die bei der leisesten Berührung schon
verwelkt, wie mit einem schönen Kristall, der bei dem
geringsten Stoße in Stücke zerbrechen kann, wachte er
sorgfältig über sein Herz und seine Sinne, um jede
Gelegenheit zum Bösen fern zu halten und sich vollkommen
rein zu bewahren. Nie betrachtete er jemanden, um zu
sehen, ob er schön oder hässlich sei, er sah ohne zu
betrachten, wie er sich ausdrückt; nie empfing er Frauen
anderswo als in einem offenen Zimmer und im Beisein
eines seiner Geistlichen, und auch dann sprach er zu
ihnen nur mit mildem Ernste. Nie bemerkte jemand, selbst
von denen nicht, welche in vertrautem Verkehre mit ihm
standen, etwas an ihm, was auch nur den geringsten
Schatten auf seine Tugend hätte werfen können. Sein
Inneres war noch vollkommener als sein Äußeres, so dass
er der heiligen Chantal unter dem Siegel der
Verschwiegenheit anvertrauen konnte, dass der Himmel ihm
die Gnade verliehen, die Blüte der Jungfräulichkeit in
ihrer ganzen Reinheit zu bewahren. Darum genoss er denn
auch sein ganzes Leben hindurch allgemein den Ruf eines
keuschen, unschuldigen und jungfräulichen Menschen, ein
Ruf, der nie auch nur durch den leisesten Schatten von
Verdacht verdunkelt wurde. Selbst seine Feinde, die ihm
so oft in anderen Dingen so manches Böse nachsagten,
mussten schweigen, was diesen Punkt anbetraf.
Seine Keuschheit fand
eine schützende Wehr in seiner eingezogenen und
wohlanständigen äußeren Haltung. Den Kopf trug er immer
gerade, das leichtfertige Hin- und Herwenden sowohl wie
auch das nachlässige Hängenlassen und das hochmütige und
stolze Zurückwerfen desselben vermeidend. Sein Antlitz
war stets ruhig, frei von aller Verlegenheit und allem
Gezwungenen, immer trug es ein herzgewinnendes Gepräge
von Güte, Sanftmut und Milde, immer war es fröhlich,
heiter und offen, aber nie gewahrte man an ihm eine
ausgelassene Munterkeit, lautes und unmäßiges Lachen.
Sein Blick war stets sanft und ehrerbietig, bescheiden
und zurückhaltend, frei von eitler Neugierde, welche
Geist und Herz zerstreut; sein Gang weder zu langsam
noch zu rasch, weder leichtfertig noch auch gesetzter
als notwendig, immer der Heiligkeit seines Standes
entsprechend. Alles an ihm war edel, einfach, natürlich
und heilig.
Auch in der Sprache, wie
wir schon oft gesehen, zeigte sich diese edle
Bescheidenheit und Zurückhaltung. Lieber hörte er
anderen zu, als dass er selbst sprach, aber doch sprach
er immer zur rechten Zeit, und dann weder zu viel, so
dass Andere auch mitsprechen konnten, noch zu wenig, um
sie nicht allein die ganze Last der Unterhaltung tragen
zu lassen und eine sie verletzende Gleichgültigkeit an
den Tag zu legen. Nie unterbrach er Jemanden, noch
antwortete er zu schnell auf eine Frage. Wurde etwas in
seiner Gegenwart erörtert, so beeilte er sich nie, seine
Meinung zu sagen, als habe er sich für gelehrter und
weiser als die Übrigen gehalten; er ließ Alle ruhig
ausreden und wartete geduldig, bis die Reihe an ihn kam.
Dann sagte er milde und zurückhaltend, ruhig und
bescheiden, was er über den betreffenden Gegenstand
dachte. Handelte es sich über zweifelhafte Dinge, so
äußerte er sich auch demgemäß darüber, nicht in einem
entscheidenden, keinen Widerspruch duldenden Tone. War
man dann noch nicht zufrieden und wollte weiter
disputieren, so blieb er nicht auf seiner Ansicht
bestehen, indem er wie Jener, von dem der heilige Gregor
von Nazianz redet, es vorzog, sanftmütig nachzugeben,
als durch hartnäckige Fortsetzung des Streites den Sieg
davon zu tragen.
Wie seine Rede so war
auch seine Kleidung einfach und bescheiden. Reinlichkeit
und Ordnung als eine Tugend, das Gegenteil als einen
groben Fehler betrachtend, duldete er nicht, dass seine
Kleider schmutzig, voll Flecken oder zerrissen waren.
Auf der anderen Seite die Üppigkeit und Weltlichkeit für
einen noch größeren Fehler haltend, wollte er in seiner
Kleidung nichts Kostbares oder Auffallendes, nichts
Gesuchtes oder was nur im entferntesten den Schein des
Weltlichen und der Mode der Zeit trug; Alles war einfach
und gewöhnlich. Es herrschte darin die Armut, welche
erbaut, verbunden mit einer Reinlichkeit und
Wohlanständigkeit, welche den Mann der Ordnung und von
guter Erziehung, den Christen bekunden, dessen
wohlgeordnetes Innere sich in seinem ganzen Äußeren
spiegelt.
Und wohlgeordnet konnte in der Tat sein Inneres genannt
werden, da Verstand und Wille ihm nach und nach so
untertan geworden, er sie so in seiner Gewalt hatte,
dass er auch die leisesten Regungen derselben
beherrschte.
Dreizehntes Kapitel.
Seine
Demut.
(Nach der h. Chantal, art.
30.)
Die Demut ist nach der
Lehre des heiligen Franz von Sales nichts anderes, als
der Mut der Wahrheit, die man auf sich selbst in ihrer
ganzen Strenge und all' ihren Folgerungen anwendet
(Geist des h. Franz v.
Sales, VI, 11; X, 17.).
Was ist in der Tat die Wahrheit hinsichtlich des
Menschen? Dass wir durch uns selbst nichts sind, da
unser ganzes Sein und alle unsere Fähigkeiten von Gott
kommen, der sie uns jeden Augenblick wieder entziehen
kann; eine kleine Unordnung im Gehirne kann bewirken,
dass der größte Geist seine intellektuelle Kraft, der
Gelehrteste all' sein Wissen und selbst den Verstand
verliert; die erste Versuchung ist im Stande, unsere
Tugend über den Haufen zu werfen, der geringste Unfall
vermag unsere Schönheit zu vernichten. Aus uns selbst
besitzen wir nichts Schätzenswertes, da die Sünde das
Einzige in uns ist, was von uns kommt und uns angehört.
Alles Andere kommt von Gott und gehört Gott an. Aus uns
selbst sind wir zu nichts Gutem fähig, nicht einmal im
Stande, einen guten Gedanken zu fassen, wie der heilige
Paulus lehrt. „Das Böse, das ich tue, ist wahrhaft böse
und wahrhaft mein, sagt der Diener Gottes, und das Gute,
welches ich tue, ist weder ganz gut noch ganz mein
(Annee de la visitation, 1.
avril.).“
Aus diesen
unbestreitbaren Wahrheiten zog Franz die strenge
Folgerung: 1) Dass wir nicht uns selbst schätzen
und achten, sondern im Gegenteil sehr gering und niedrig
von uns denken sollen, alle Hochschätzung und Liebe Gort
allein, der einzigen Quelle des Guten, zuwendend; 2)
dass wir Achtung und Lob nicht suchen sollen, da es
Dinge sind, die Gott allein angehören; sie für uns
wollen, würde heißen, die Ungerechtigkeit und Lüge
wollen; 3) dass wir die Niedrigkeit, Demütigungen
und Verachtung lieben sollen, weil das die dem Nichts
und der Sünde gebührende Stelle ist und wir hierin dem
Beispiele Jesu Christi folgen müssen. Das hat dann den
Tod des Stolzes, die Vernichtung der Eigenliebe, des
Ehrgeizes, der Einbildung und Empfindlichkeit zur Folge,
Dinge, welche so viel Unheil in der Welt anrichten. Und
daraus folgerte er dann wieder, wie durchaus notwendig
die Demut zum Heile sei. „Derjenige, sagte er
(La Riviere, p. 570.),
welcher Tugenden ohne Demut sammelt, ist mit Jenem zu
vergleichen, der in seinen Händen Staub gegen den Wind
trägt . . . Die moralische Demut bleibt bei der
Erkenntnis ihres Elendes und ihrer Armut stehen; die
christliche Demut geht aber so weit, dass sie diesen
armen und elenden Zustand liebt, dass es ihr
Befriedigung gewährt, nichts zu sein und für nichts
geachtet zu werden, aus Liebe zur Wahrheit und den
Demütigungen des fleischgewordenen Wortes. Die äußeren
Akte der Demut sind noch nicht die Demut; aber doch sind
sie ihr von großem Nutzen, sie sind die Rinde der
Tugend, sie bewahren die Frucht derselben
(Brief 84.)."
Diese Lehre des heiligen Franz von Sales ist nichts
anderes als die Geschichte seines Lebens.
Erfüllt von so demütigen
Gesinnungen, die unserer armen Menschheit so wohl
anstehen, ließ er sich von der Eigenliebe nicht
verführen. Weder der hohe Adel seines Hauses, noch seine
seltenen Vorzüge, weder die natürlichen und
übernatürlichen Gaben, welche ihm Gott verliehen hatte,
noch die bischöfliche Würde, verbunden mit so großer
Gelehrsamkeit und so vielem Wissen, noch die allgemeine
Achtung und Verehrung, deren Gegenstand er war, konnten
sein Herz zum Hochmute verleiten oder seiner
Bescheidenheit irgendwie Eintrag tun. „Man nennt mich,
sprach er eines Tages, als er von einem Ordensmanne
einen Brief erhalten hatte, der seines Lobes voll war
(Nach der h. Chantal, art.
30, p. 93.), eine
Blume und ein wahres Wunder von einem Manne; aber in
Wahrheit bin ich nur ein armseliger Mensch, noch weniger
als Nichts, die Blüte des menschlichen Elends, und es
tut mir leid, dass der gute Pater seinem Geiste keine
bessere Beschäftigung gibt. Man rühmt das Gute, welches
meine Predigten und Schriften bewirken; aber ach! ich
bin wie ein Vorschneider, der anderen austeilt und
nichts für sich nimmt, wie eine Laute, die ihre eigenen
Töne nicht hört, wie eine Leiter, welche Andere da
hinaufsteigen lässt, wohin sie selbst nicht gelangt, wie
die Schilder, welche den Vorübergehenden zum Eintreten
einladen, um sich gütlich zu tun, während sie selbst in
Kälte und im Regen die Nacht draußen zubringen. Und
dann, fügte er, auf seine Aussprache anspielend, hinzu,
habe ich auf der Kanzel Mühe, die Worte zu finden, bin
schwerfälliger wie ein Klotz, schwitze viel und komme
doch nur schlecht voran, schleppe mich dahin wie eine
Schildkröte (Quel est le
meilleur gouvernement? par Binet, p. 189 et suiv. )."
Darum gebot er auch den
Schmeichlern, die ihm Weihrauch streuen wollten,
Schweigen. „Meine Herren, sprach er zu ihnen, Franz von
Sales ist ein armer Mensch, der sich besser kennt, als
Sie ihn kennen; Gott weiß, was ich bin." Und als man ihm
eines Tages erzählte, dass ein gewisser Bischof nicht
aufhöre, Gutes von ihm zu reden, bemerkte er: „Der gute
Herr würde mir eine große Freude machen, wenn er mich
ließe wie ich bin; ich kenne mich, mein Gewissen und
mein Beichtvater sind zwei unverwerfliche Zeugen meines
Elendes." Einmal hatte Frau von Chantal selbst ihm
einige Worte der Hochachtung geschrieben. Am anderen
Tage antwortete er ihr: „Als ich gestern Ihren Brief
gelesen, ging ich zwei Mal auf und ab und meine Augen
füllten sich mit Tränen, da ich sah, was ich bin und
wofür man mich hält. Ich bin nichts als Eitelkeit. Nein,
ich schätze mich nicht so hoch, als Sie es tun. Diese
Hochschätzung gewährt Ihnen große Befriedigung; es ist
das ein Abgott, meine Tochter. Ich möchte, dass Sie mich
recht kennten; Sie würden dessen ungeachtet ein
entschiedenes Vertrauen zu mir bewahren, aber Sie würden
auch keine besondere Achtung mehr vor mir haben. Sie
würden sagen: Sieh da ein Rohr, aus das ich mich stützen
soll; ich bin gewiss, dass Gott es will; aber das Rohr
taugt dennoch nichts." Seine Demut zeigte sich noch mehr
dem Bischof von Belley gegenüber, als dieser eines Tages
in einer Predigt, die er in seiner Gegenwart in Annecy
hielt, jene Anspielung wiederholte, welche ehedem der
Bischof von Saluzzo auf seinen Namen von Sales gemacht
hatte. „Sales, Du bist das Salz, welches diesem ganzen
Volke seine Würze verleiht, gemäß dem Worte des
Heilandes an seine Apostel: „Ihr seid das Salz der
Erde." Franz fühlte sich durch dies Lob so sehr
verletzt, dass er zu Hause den Prediger strenge darüber
zurechtwies. „Es ging so gut mit Ihnen, sprach er zu
ihm, Sie verfolgten Ihren Weg so gerade! was hat Sie
denn zu diesem Fehltritte verleiten können? Sie haben
Alles verdorben, und dies eine Wort reicht hin, um Ihrer
Predigt jede Wirkung zu benehmen. Wissen Sie nicht, dass
man die Menschen erst nach ihrem Tode loben soll? Ja,
ein schönes Salz bin ich fürwahr, ein fades und
verdorbenes Salz, das nur dazu gut ist, weggeworfen und
mit Füßen getreten zu werden. In der Tat, wenn Sie das
gesagt haben, um mich zu beschämen, so haben Sie das
rechte Mittel getroffen. Schonen Sie wenigstens Ihrer
Freunde (Geist des h. Franz
v. Sales, II, 12.)!"
„Mein Vater, sprach eines
Tages der Bischof von Belley zu ihm, als von jener Reise
im Jahre 1610 Rede war, auf der er mit so großer
Kühnheit Genf passiert hatte, wenn die Genfer Sie
totgeschlagen hätten, so würde Ihr schlimmstes Unglück
Ihr größtes Glück geworden sein; aus einem Bekenner
hätten sie dann einen Märtyrer gemacht." -- „Und wissen
Sie denn, versetzte Franz, ob Gott mir die notwendige
Standhaftigkeit verliehen haben würde, um diese Krone zu
erwerben?" -- „Sicher, mein Vater, würden Sie lieber
tausend Mal den Tod erleiden, als den Glauben
verleugnen?" -- „Ich weiß recht wohl, was ich hätte tun
müssen; aber würde ich es auch getan haben? Der heilige
Petrus war ebenso fest entschlossen wie ich, aber Sie
wissen, was geschah. Glückselig Derjenige, welcher
seiner eigenen Schwäche misstraut und nur auf Gott
vertraut; wir können Alles, wenn er uns stärkt, ohne ihn
vermögen wir nichts (Ebendas.,
I, 14.)."
Noch mehr zeigte sich die
demütige Gesinnung des heiligen Franz, wenn er die
außerordentliche Achtung sah, die Jedermann ihm zollte.
Einmal widmete ihm ein Schriftsteller seine Gedichte.
„Ich glaubte nicht, antwortete er ihm in einem Briefe
(Brief 745.),
dass Sie wüssten, ich sei auf der Welt, auf der ich mich
als etwas so ganz Geringes, zurückgezogen in diesen
Winkel unserer Berge, für unsichtbar halte; aber da die
großen Lichter die Stäublein entdecken, so begreife ich,
dass Sie mich haben sehen können." – „Sehen Sie, sagte
er ein anderes Mal, als ihm große Lobeserhebungen zuteil
geworden, diese Leute werden es durch ihr Lob und ihre
hohe Meinung von mir dahin bringen, dass ich am Ende
recht bittere Früchte von ihrer Freundschaft ernte. Nach
meinem Tode wird man nicht für meine Seele beten, da man
sich einbilden wird, sie sei gerades Weges in den Himmel
eingegangen, und das wird dann die Schuld sein, dass ich
noch lange im Fegefeuer leiden muss. Da sehen Sie, was
mir dieser Ruf einbringen wird
(Geist des heiligen Franz v.
Sales, II, 13; XIV, 29.).“
Der heilige Bischof fürchtete zuweilen eine noch
schrecklichere Strafe, als das Fegefeuer; mit Zittern
erfüllte ihn der Gedanke, dass das Urteil ewiger
Verwerfung vor dem göttlichen Richter über ihn ergehen
möchte, und er, der sein ganzes Leben auf eine so edle
und würdige Weise angewandt hatte, schrieb an die
heilige Chantal: „Ach, wenn ich bedenke, wie ich alle
Augenblicke meines Daseins auf dieser Welt angewendet
habe, so fürchte ich sehr, ob Gott mir eine glückselige
Ewigkeit schenken wird, da er sie nur jenen geben will,
welche einen guten Gebrauch von der Zeit gemacht haben
(Brief 854.).
Ich zittere, wenn ich der Bürde gedenke, die auf meinen
Schultern lastet, und ich kann mich nicht genug
verwundern, dass Gott sie mir auferlegt hat, da es doch
überall so Viele gibt, die dieser Ehre würdiger sind,
als ich (Geist des h. Franz
v. Sales, VIII, 5.)."
Sein ganzer Wandel
stimmte mit solchen Gesinnungen überein. „Ich habe es
oft gesehen, erzählt Camus, wie er sich Jedem, den er
empfing, selbst dem Geringsten gegenüber, wie ein
Untergebener vor seinem Vorgesetzten benahm, mit der
demütigsten Bereitwilligkeit ihn anhörend, welche Zeit
er dadurch auch immer verlor, wie ungelegen er auch
kommen mochte." – „Sich den Vorgesetzten unterwerfen,
sagte er, ist eher ein Akt der Gerechtigkeit als Demut;
sich seines Gleichen unterwerfen ist Freundschaft,
Höflichkeit oder Anstand; aber sich seinen Untergebenen
unterordnen, das ist die eigenste Tat der Demut, welche
uns sagt, dass wir, da wir Nichts sind, uns für die
Geringsten von Allen halten sollen." Aus diesem Grunde
schienen alle Briefe, welche er an seine Priester
schrieb, eher von einem Gleichgestellten und Bruder, als
von einem Oberen zu kommen. „Nie verstand ich es zu
machen, sagt er, wie Manche, welche, sobald sie zu einer
Würde erhoben sind, auch geehrt sein wollen und es in
ihren Briefen verschmähen, untenhin „Ihr gehorsamster
Diener" zu setzen, wofern sie nicht an Personen
gerichtet sind, die weit über ihnen stehen. Ich verstehe
es nicht sehr, einen Unterschied zwischen den Leuten zu
machen; Alle tragen das Bild des Schöpfers und Allen
gegenüber unterzeichne ich mich „Ihr gehorsamster
Diener", außer wenn ich an Peter oder Franz, meine
Lakaien, schreibe, weil sie glauben könnten, ich wollte
mich über sie lustig machen, wenn ich diesen Ausdruck
gebrauchte (Nach Biard und
Deshayes. – La Riviere, p. 424.)
."
Ein Ordensmann bat ihn
eines Tages in einer großen Bedrängnis, in die er
geraten war, um seinen Rat. „Guter Gott, schrieb er ihm,
wie kommen Sie dazu, mein Vater! Sollte ich, der ich
noch nicht angefangen habe, ein guter Geistlicher zu
sein, heilige Ordens-Leute unterweisen können
(Nach Rendu)?"
Er war der Ansicht, dass er nichts Anderes verdiene, als
von den Menschen vergessen und verachtet zu werden. Sein
größter Wunsch wäre es gewesen, seine Tage an einem der
ganzen Welt unbekannten Orte zu beschließen, um auf
immer vergessen zu werden
(Nach dem Abbe de Mouxi).
Und in seinem Testamente verlangte er, wenn er in Annecy
sterben würde, mitten in der Kirche von der Heimsuchung
begraben zu werden, damit die Füße aller Vorübergehenden
über ihn dahinschritten, und untersagte zugleich
jegliches Gepränge
(Prunk)
bei seinem Begräbnisse. „Mein ganzes Leben lang, sagte
er einst, habe ich immer die niedrigste Stelle verlangt;
und ich fürchtete so sehr, Bischof zu werden, weil man
mir dann mit Hochachtung begegnen würde, dass es für
mein Herz eine Qual war, wenn ich mich in einer
Gesellschaft befand, in der kein Prälat anwesend war,
dem ich mich hätte unterordnen können. Wäre es nicht aus
Ehrfurcht vor dem göttlichen Willen, so hätte ich es
vorgezogen, als einfacher Geistlicher das Weihwasser
auszuteilen, um besser für das Seelenheil des armen
Volkes arbeiten zu können, als Stab und Bischofsmütze zu
tragen (De Cambis, I, 114.)."
Aus Demut duldete er
nicht, dass seine Bedienten, wenn er aufging, die
Vorübergehenden ihm Platz machen hießen. „Sie sind
Menschen, wie wir", sagte er, und er begnügte sich mit
dem weniger bequemen Wege
(Dom Jean de Saint-Francois, p. 423. – La Riviere, p.
427.). Begegnete
er Armen, so grüßte er sie freundlich und liebevoll und
oft fand er Freude daran, sich mit ihnen zu unterhalten.
Erwies man ihm einen Dienst, mochte er auch noch so
geringfügig sein, so dankte er mit einer Herzlichkeit,
dass man sah, er sei überzeugt, dass man ihm nichts der
Art schulde. Kurz, überall und in Allem erkannte man,
wie gering er von sich selbst dachte. Er betrachtete
sich immer als den letzten von Allen; gerne überließ er
anderen die am meisten in die Augen fallenden
Amtsverrichtungen und wählte für sich die
unscheinbarsten. So unterrichtete er die Kinder in der
christlichen Religion, führte sie in Prozession durch
die Stadt, hörte er die Dienstmägde und armen Frauen
Beichte, besuchte die Armen und Kranken, lieh den Klagen
der Landleute ein williges Ohr, tröstete sie und
schlichtete ihre Streitigkeiten, stand oft sogar Pate
bei den Kindern der Arbeiter und Handwerker.
Doch beschlich den so
demütigen Mann bisweilen eine Versuchung zur Eitelkeit.
Als er einst vernahm, wie ein anderer Bischof gelobt und
als ein unvergleichlicher Prediger gerühmt wurde, stieg
ein Gefühl der Eifersucht in ihm auf; aber kaum gewahrte
er das, so fasste er diese Empfindung, wie er selbst
sich ausdrückte, wie eine scheußliche Kröte und riss ihr
den Kopf ab; dann empfahl er den guten Bischof dem
himmlischen Vater mit den demütigen Worten: „Herr, segne
ihn tausend Mal und mache ihn von Tag zu Tag fähiger,
Deine Gnaden zu empfangen." Darauf erniedrigte er sich
tief vor Gott und, seine Armseligkeit bekennend,
versprach er ihm: sich sein ganzes Leben als ein reines
Nichts zu betrachten, und bat ihn um die Gnade, dass er
doch nie in solche Gedanken einwillige. Eine andere
Versuchung zur Eitelkeit erzählt er in einem Briefe an
die heilige Chantal. „Neulich, schreibt er
(Brief 141.),
kam mir unvermutet eine Versuchung, nicht zwar zu
wünschen, ich möchte nicht Geistlicher sein, das wäre zu
grob gewesen, sondern weil ich kurz vorher in einem
Gespräche mit vertrauten Personen geäußert hatte, dass
ich, wenn ich noch frei und der Erbe eines Herzogtums
wäre, nichtsdestoweniger den geistlichen Stand wählen
würde; dadurch entstand in der Seele ein Kampf, ob Ja
oder Nein, der einige Zeit dauerte. Ich sah es, so
schien es mir, da unten, tief im unteren Teile der
Seele, dies Gefühl der Selbstliebe, das sich aufblähte
wie eine Kröte. Ich machte mich lustig darüber und
wollte nicht einmal untersuchen, ob ich daran denke; es
zerstob denn auch in Rauch und ich sah es nicht mehr.“
-- „O Herr, sagt er anderswo
(Brief 642. – Geist des h. Franz
v. Sales, XVII, 25.),
rette uns! Gebiete diesen Kindern der Eitelkeit und es
wird eine große Stille herrschen. Befinde ich mich am
Fuße des Kreuzes, o Gott! so ist Frieden in meiner
Seele; kaum entferne ich mich einen Schritt weit von
ihm, da erhebt sich der Wind aufs Neue.“
Nicht allein war der
demütige Bischof über Ehrenbezeugungen und Lob erhaben,
sondern er verstand es auch, was noch weit schwerer war,
mit vollkommener Ruhe die Wut böser Zungen gegen ihn zu
ertragen. Wurde ihm eine boshafte Rede gegen seine
Person hinterbracht, so bemerkte er: „Sagen die Leute
nur das? Wahrhaftig, sie wissen dann noch nicht Alles.
Sie schmeicheln mir noch, sie schonen mich. Ich sehe
wohl, dass sie mich eher bemitleiden, als beneiden, und
dass sie mich für besser halten, als ich bin. Nun denn,
Gott sei gelobt, man muss sich bessern. Habe ich keinen
Tadel dafür verdient, so verdiene ich ihn für etwas
Anderes." -- „Aber, entgegnete man ihm, muss man denn
nicht schon sehr boshaft fein, um solche falsche
Beschuldigungen gegen Sie auszustreuen?" – „Es ist dies,
erwiderte er, eine Warnung, die man mir zukommen lässt,
damit ich auf meiner Hut sei, sie wahr zu machen; man
tut mir einen Gefallen, indem man mich auf diese oder
jene Klippe aufmerksam macht." Sah er, dass man sich
heftig gegen die Verleumder äußerte, dann sprach er:
„Ei, habe ich Ihnen denn Vollmacht gegeben, sich anstatt
meiner zu erzürnen? Lasset sie doch reden; es ist ein
Kreuz von Worten, die der Wind hinwegweht
(C'est une croix de paroles que
le vent emporte.); man muss sehr empfindlich
sein, um das Summen einer Mücke nicht ertragen zu
können. Wer hat Euch gesagt, dass ich untadelhaft sei?
Sie sehen vielleicht besser meine Fehler als ich selbst
und Jene, die mich lieben. Die uns missliebige Wahrheit
halten wir oft für eine Verleumdung. Nach all' dem,
welches Unrecht fügen Jene uns zu, die eine schlechte
Meinung von uns haben? Es sind keine Gegner, sondern
Helfer, die sich mit uns verbinden, um die Eigenliebe,
unseren größten Feind, zu zerstören. Weshalb uns also
gegen sie erzürnen (Geist
des heil. Franz v. Sales, XII, 4.)?"
....
Sein alter Erzieher, Herr
Deage, wies ihn aus allzu großem Eifer für seine
Vollkommenheit und weil er den alten hofmeisterlichen
Ton nie ganz ablegen konnte, bei jeder Gelegenheit
zurecht. Machte der Bischof irgend eine heitere
Bemerkung, um das Gespräch zu beleben, so hielt ihm Herr
Deage auf der Stelle vor, dass alle Worte eines Bischofs
würdevoll und ernst sein müssen. Predigte er, so fand er
an der Predigt immer etwas auszusetzen. Empfing er seine
Besuche mit Herzlichkeit, so zitierte er ihm gleich das
Sprichwort, dass die Vertraulichkeit die zu einer Würde
Erhobenen verächtlich machen
(Ebendas., XI, 18.).
Zu anderen Malen erzürnte er sich darüber, dass Franz
sich nicht erzürnte; es beleidigte ihn, dass der Mann
Gottes die Beleidigungen verzieh; er warf ihm
unaufhörlich vor, dass er zu gut sei, dass seine Güte
Alles verderbe; und der demütige Bischof ließ es sich
freundlich gefallen, fortwährend wie ein Kind
zurechtgewiesen zu werden
(Geist des h. Franz v. Sales, I, 29; VI, 18.).
In seinem Eifer für die Ehre seines ehemaligen Zöglings
konnte Herr Deage es nicht ertragen, dass man das
geringste Böse ihm nachsagte; er geriet dann in eine
heftige Aufregung. „Warum denn, sprach da Franz einmal,
so feinfühlend in Betreff meiner Ehre? Bin ich denn
vollkommen? Bin ich heilig? Und selbst wenn ich es wäre,
hatten denn die Heiligen nichts von bösen Zungen zu
leiden? Was hat man nicht Alles dem Heilande nachgesagt,
der doch die Vollkommenheit selbst war? Hat nicht der
heilige Paulus den heiligen Petrus zurecht-gewiesen, und
wurde er selbst nicht ein Tor genannt, weil er zu
gelehrt war (Ebendas., I,
28.)?"
Eines Tages kam jemand zu
ihm und sagte ihm gerade heraus, dass er eine große
Abneigung und Verachtung gegen ihn hege. „Und ich,
erwiderte Franz, ohne nach dem Grunde dieser Abneigung
zu fragen, ich liebe Sie darum um so mehr." -- „Wie so
das?" fragte der Andere ganz erstaunt. -- „Weil Sie, um
mir das zu sagen, eine große Aufrichtigkeit und
Offenheit besitzen müssen; und ich schätze diese
Eigenschaft sehr hoch." -- „Aber, was ich Ihnen da sage,
ist nicht ein Gefühl, das der Vergangenheit angehört,
ich habe es noch in diesem Augenblicke gegen Sie." --
„Und ich, versetzte Franz, habe noch in diesem
Augenblicke jene Liebe zu ihnen, und ich hoffe, dass ich
sie mit Gottes Gnade immer zu Ihnen haben werde." --
„Die Ursache meines Zornes, sprach der Andere, ist die,
dass Sie in einem sehr wichtigen Prozesse meinen Gegner
durch Ihre Empfehlung unterstützt haben." -- „Das ist
wahr, sagte Franz, und ich habe es getan, weil ich fand,
dass das Recht auf seiner Seite war." -- „Nun, das
verarge ich Ihnen; Sie sollten sich als einen
gemeinsamen Vater zeigen und nicht als Parteimann; es
steht Ihnen nicht an, den Einen eher zu begünstigen als
einen Anderen." -- „Ein gemeinsamer Vater, entgegnete
der Bischof, untersucht in den Streitigkeiten seiner
Kinder, wer Recht oder Unrecht hat, und das erlassene
Urteil beweist Ihnen, dass Ihr Gegner Recht hatte." --
„Man hat mir Unrecht getan", rief da der Andere. -- „Ich
versichere Ihnen, sprach Franz, dass, wäre ich einer
Ihrer Richter gewesen, ich selbst Sie verurteilt haben
würde." -- „Das ist das rechte Mittel, um meine
Abneigung gegen Sie zu überwinden!" -- „So lange die
Leidenschaft Sie beherrschen wird, bemerkte Franz,
werden Sie in dieser Angelegenheit nicht klar sehen
können und sich beklagen; wenn aber mit der Zeit Ihr
Geist ruhiger geworden sein wird, dann werden Sie Gott
und Ihren Richtern danken, dass sie Ihnen ein Gut
entrissen haben, welches Sie mit gutem Gewissen nicht
besitzen konnten, und dann wird Ihre Abneigung gegen sie
und mich schwinden." -- „So sei es! Aber ich möchte doch
wissen, ob Ihnen das von Herzen kommt, was Sie mir da
gesagt haben, dass Sie mich um so mehr liebten." -- „Ja,
antwortete Franz, denn ich habe es gerne, dass man frei
heraussagt, was man auf dem Herzen hat. Wer offen seine
Wunde zeigt, erleichtert ihre Heilung. Welche Abneigung
Sie nun in diesem Augenblicke auch gegen mich hegen
mögen, in der Tiefe Ihres Herzens wohnt doch ein
Sachwalter, der im Geheimen für mich spricht, und er
wird mich meinen Prozess mit Ihrer Freundschaft gewinnen
lassen, sobald das Feuer der Leidenschaft erloschen sein
wird." -- „Wie man sich doch täuschen kann! fing der
Andere aufs Neue an; es gab eine Zeit, wo ich Sie für
einen Heiligen hielt." -- „Sie waren da sehr im Irrtum,
erwiderte der demütige Bischof, ich bin weit entfernt,
ein Heiliger zu sein. Unter meinen Freunden gibt es
einige, die eine Binde über den Augen haben und mich für
das halten, was sie wünschen, dass ich sei. Sie aber
denken richtiger von mir, und ich liebe Sie um so mehr,
erstens weil Sie meiner Meinung sind und sodann, weil
die Vorstellung, die Sie von mir haben, mir weit
nützlicher ist. Jene, die mir Beifall spenden, setzen
mich der Gefahr aus, mich durch Eigendünkel ins
Verderben zu stürzen; Jene aber, welche mich verachten,
tun das, was ich tun soll; sie machen mich demütig,
indem sie mich gering von mir selbst denken lassen, und
bringen mich so auf den Weg des Heiles
(Geist des h. Franz v. Sales, VII,
19.)."
Noch viele andere Male
musste er ungerechten Tadel erfahren, wie wir früher
schon gesehen haben, und er setzte ihm stets nur
Sanftmut oder Stillschweigen entgegen. „Lasset dem Zorne
freien Durchgang, sprach er mit dem Apostel; die
Kanonenkugeln verlieren ihre Kraft in der Wolle und
schaden den harten Körpern, welche Widerstand leisten
(Ebendas., XII, 7.).
Was ist übrigens Alles was die Menschen gegen uns sagen
können, im Vergleiche zu dem was man gegen den Heiland,
sterbend am Kreuze zwischen zwei Räubern und mit Schmach
überhäuft, gesagt hat? Wer würde angesichts eines so
erhabenen Beispiels sich nicht schämen, sich zu beklagen
oder gar noch Gefühle der Rache zu hegend
(Ebendas., XII, 7.)?"
-- „Sicherlich, sagt er anderswo
(Philothea, III. 7.),
darf man seinen Ruf nicht in Gefahr bringen, weil er
gleichsam das Schild ist, welches anzeigt, wo die Tugend
wohnt, und seine Abwesenheit dem Guten, welches wir tun
könnten, schaden würde; aber ebensowenig darf man sich
auch beunruhigen über die Angriffe und Stöße, welche
verleumderische Zungen gegen ihn führen, weil er in der
Güte wurzelt, welche, so lange sie in uns ist, die ihr
gebührende Ehre immer wieder hervorbringen kann." --
„Wie sollen wir uns dann aber, wurde er eines Tages
gefragt, ungerechten Tadlern und Verleumdern gegenüber
verhalten?" – „Erstlich, erwiderte er, kann man ihnen
der Wahrheit gemäß antworten, vorausgesetzt, dass es auf
eine sanfte, ruhige Art geschieht, ohne Bitterkeit und
Aufregung. Als man Jesus Christus vorwarf, dass er vom
Teufel besessen sei, antwortete er einfach: „Ich bin
nicht vom Teufel besessen.“ Fährt man nach all' dem
fort, uns fälschlich anzuklagen, so müssen wir
schweigen. Schweigen ist das Wasser, welches die
Verleumdung erstickt; die Gegenrede ist das Öl, von dem
sie sich nährt, in welchem sie erstarkt; oder, wie
Tacitus sagt: „Wer sie verachtet, wirft sie zu Boden;
wer sich über sie erzürnt, gibt ihr den Schein der
Wahrheit:
Spreta exolescunt; si
irascare, agnita videntur.
Indem sie
(die Verleumdungen)
verachtet werden, vergehen sie; wenn du
(aber)
zornig wirst, erscheinen sie als zugegeben
(wahr).
(Annal. IV, 34.)
Man muss die Haut des
Herzens stählen gegen die Kreuze, welche nur Worte sind
oder ein Schall, von dem man sagen kann: Der Wind trägt
ihn fort (Geist des h.
Franz v. Sales, XVIII, 30.).
Wer zu ängstlich fragt: „Was wird man davon sagen?“ wird
nie den Frieden des Herzens erlangen."
Verstöße gegen die ihm
schuldige Achtung berührten ihn ebensowenig, als
tadelsüchtige Reden. „Wollte Gott, sagte er, dass ich
ebenso gleichgültig gegen alles Andere wäre, als gegen
Verachtung (La Riviere, p.
468.)!“ Der
Geheimsekretär eines Fürsten schrieb ihm eines Tages in
einer wenig geziemenden und achtungsvollen Weise. Franz
erwiderte diesen Verstoß gegen die Achtung durch eine
Antwort voll Demut und Höflichkeit; und als Einer der
Seinigen ihm bemerkte, er würde besser tun, in einem
anderen Tone mit diesem Grobian zu reden, entgegnete er
freundlich: „Nein, er ist ein feiner Kopf; er wird sich
hieraus die Lehre ziehen, künftig anders zu schreiben."
In seiner Demut wünschte
der heilige Bischof sogar, in den Augen der Welt nicht
bloß gering, sondern selbst verächtlich und gemein zu
erscheinen. „Ich dachte mir oft, sagte er einst zu einem
Freunde, wenn ich doch auf einem Schafotte sterben
könnte oder lebendig verbrannt würde in Folge eines
ungerechten Todesurteils gegen mich, und ich freute mich
dann, mit dem Leben auch die Ehre zu verlieren, um dem
lieben Gott zu gefallen, wenn er es zulassen wollte." Es
war sogar Grundsatz bei ihm, dass, wenn die Welt an uns
nichts auszusetzen findet, wir keine getreuen Diener
Christi sind. „Selig sind die Demütigen, sagt er, denn
sie werden sicher zum Hafen gelangen; das ist die
Seligpreisung, welche mir am besten gefällt und ich
wünschte, dass am Jüngsten Tage meine Gerechtigkeit,
wenn sich eine solche überhaupt in mir vorfindet, vor
der ganzen Welt verborgen und Gott allein bekannt wäre."
Darum hörte man von ihm
nie ein Wort zu seinen Gunsten; nie gab er sich den
Vorzug vor irgend jemand. Er besaß im Gegenteil eine
wunderbare Geschicklichkeit, das Gute oder
Achtungswürdige an ihm zu verbergen, damit Gott allein
um seine Verdienste wisse. Nie würde er sich im
Geringsten irgend eine Handlung oder ein Wort erlaubt
haben in der Absicht, tugendhaft zu erscheinen. „Alles
was er tat, sagt die heilige Chantal, geschah, um seine
Pflicht zu erfüllen, ohne ein anderes Ziel als die
Erfüllung des Willens Gottes zu haben."
Und den ins Auge
fallenden Tugendübungen, welche, wie er schön sagt, um
das Haupt des Kreuzes gewunden sind, so dass man sie
sehen und bewundern kann, zog er jene vor, welche am
Fuße des Kreuzes sprossen und dem Auge der Menschen
verborgen sind, wie die Demut, Sanftmut, das liebevolle
Ertragen des Nächsten, die Nachgiebigkeit gegen die
Neigungen Anderer, die Bescheidenheit und Einfalt.
„Diese, sagte er, sind die wohlriechendsten, und am
reichlichsten vom Blute des Erlösers benetzt; sie töten
ab und heiligen das Herz besser als Bußgürtel, Geißel
und andere äußere Abtötungen, derentwegen man für ein
Heiliger gehalten wird
(Geist des h. Franz v. Sales, III, 21; VII, 21; XVIII,
25 u. 51; XI, 28.)."
Von diesem Grundsatze
ausgehend, meinte er, dass man nie von sich selbst weder
Gutes noch Böses sagen, sondern durch Stillschweigen
sich in Vergessenheit zu bringen suchen solle
(Ebendas., I, 13; II, 30; XVI, 35;
X, 19; XIV, 29.);
und sagte jemand viel Böses von sich selbst, so pflegte
er ihn beim Worte zu nehmen und das Gesagte sogar noch
zu übertreiben, um dieser versteckten Eigenliebe, die
nur deswegen schlecht von sich redet, um gelobt zu
werden, eine Zurechtweisung zu geben. Eine
Ordensschwester, die zur Oberin erhoben worden, sprach
ihm von ihrer Untauglichkeit für diese Stelle. „Sie
haben ganz Recht, sagte er; Jene, welche Sie ernannt
haben, kannten recht gut Ihre Unfähigkeit, Ihren
unbedeutenden Verstand, Ihr schwaches Urteil, alle Ihre
so zu Tage tretenden Fehler; aber Gott hat Ihre Erhöhung
zugelassen, damit Sie genötigt seien, besser zu werden;
daran müssen Sie mit Eifer arbeiten, aber auch mit
Vertrauen auf die Macht der Gnade." So erging es auch
dem Bischof von Belley; er äußerte einst gegen Franz die
Bemerkung, dass er sich noch so weit von der Heiligkeit
entfernt sehe, welche die bischöfliche Würde verlange.
„Was Sie da sagen, versetzte letzterer, ist sehr wahr,
und ich glaube es noch mehr wie Sie. Ich betrachte Sie
wie Jemanden, der aus einem Schiffbruche gerettet wurde
-- oder einem gewaltigen Brande entronnen ist, das
Gesicht noch ganz von Rauch geschwärzt; aber trotzdem
müssen Sie neuen Mut in Ihrem Streben nach
Vollkommenheit fassen und auf Gott Ihr Vertrauen setzen,
der gerne seine Macht über unserer Armseligkeit und
seine Kraft über unserer Schwäche erhebt."
Ganz anders aber
antwortete er, wenn man ihm solche Geständnisse machte,
welche die Eigenliebe einen harten Kampf kosten und nur
aus aufrichtiger Demut hervorgehen können. Dann war er
entzückt und wünschte dem, der so zu ihm sprach, aufs
wärmste Glück zu seinem Mute. Der Bischof von Belley
erfuhr dies selbst. „Ja, sagte dieser einst zu seinem
heiligen Freunde, Sie können sich nicht beklagen;
Gedächtnis und Urteil finden sich selten in einem
Menschen in hohem Grade vereinigt. Sie haben das Urteil
und das ist der beste Teil; ich habe das Gedächtnis.
Aber wie gerne würde ich Ihnen einen Teil meines
Gedächtnisses abtreten für ein wenig von Ihrem Urteil!
Denn dies mangelt mir sehr." Da fiel ihm Franz um den
Hals und ihn küssend sprach er mit liebevollem Lächeln:
„O, welch' eine Freude bereiten Sie mir! nie habe ich
jemand anders gekannt, der mir wie Sie gesagt hat, dass
er wenig Urteil besitze; Jene, welche dessen am meisten
entbehren, glauben sich in der Regel am besten damit
versehen. Man findet Leute genug, die sich über ihr
schlechtes Gedächtnis beklagen oder über ihre
Leidenschaften; aber niemand will gestehen, dass er
wenig Urteil besitzt. Jeder weist diesen Vorwurf als
eine grobe Beschimpfung zurück. Seien Sie deshalb außer
Sorge, fuhr er fort; Ihr Urteil wird mit den Jahren
zunehmen; es ist eine Frucht der Erfahrung und des
Alters. Mit dem Gedächtnis ist es nicht so; je älter wir
werden, um so mehr nimmt es ab. Darum erwarte ich nicht,
dass das meinige sich bessere; aber wenn ich dessen nur
genug habe, um an Gott zu denken, so bin ich zufrieden:
Memor fui Dei et delectatus sum.
(Geist des h. Franz v. Sales, I,
34.).
Ich habe an Gott gedacht und bin dazu auch noch erfreut.
Was der heilige Bischof
seinem Freunde sagte, das übte er auch selbst; er hielt
so wenig auf sein eigenes Urteil, dass er sich nie mit
seiner Ansicht hervordrängte. Gerne hörte er auf den Rat
Anderer und gab ihnen gerne und ohne Widerrede nach, es
sei denn, dass es sich um Angelegenheiten seines Amtes,
um die Ehre Gottes oder das Wohl des Nächsten handelte;
dann beharrte er fest bei dem, was ihm das Rechte
schien. „Ich mache mir eine Freude daraus, sagt er, von
Jedermann zu lernen und von den Gaben, die Gott einem
jeden verliehen hat, meinen Vorteil zu ziehen. Gerne,
sehr gerne gehe ich von meiner Meinung ab, um anderen zu
folgen, die aus vielfachen Gründen mehr wissen müssen
als ich. Ich bin nicht so leidenschaftlich für mein
eigenes Urteil eingenommen, dass ich denen, die meinen
Ansichten nicht beipflichten, schlechten Dank wissen
sollte. Nein, es fällt mir sicherlich nicht ein, dass
meine Meinung irgend einem Menschen auf der Welt als
Norm und Regel dienen soll."
Übrigens besaß die Demut
des heiligen Franz nichts Trauriges und Düsteres, sie
war voll Liebenswürdigkeit und Anmut. „Die
Geringschätzung und Verachtung seiner selbst, sagt er,
muss ruhig und beständig geübt werden und nicht allein
mit Freundlichkeit, sondern auch mit Frohsinn und
Freudigkeit des Herzens
(Brief 449)." Noch
fremder war ihr jene Entmutigung, welche manchen Seelen
der Anblick ihres Elendes und ihrer Schwachheiten
einflößt. Er meinte, dass Jene, die beim Anblicke ihrer
Unvollkommenheiten verdrießlich werden, Denen gleichen,
welche aus Kummer darüber, dass sie nicht schön genug
sind, ihr Gesicht zerschlagen und so ihre Hässlichkeit
vermehren, anstatt sie zu beseitigen
(Geist des h. Franz v. Sales,
XVII, 9; XVIII, 27.).
„Wir möchten frei von Unvollkommenheiten sein, schrieb
er (Ebendas., XVI, 7.);
aber wir müssen es uns schon geduldig gefallen lassen,
dass wir die menschliche Natur haben und nicht die der
Engel. An unseren Unvollkommenheiten dürfen wir kein
Gefallen finden; mit dem Apostel sollen wir sprechen:
„Elender der ich bin, wer wird mich von diesem
sterblichen Leibe befreien?“ Aber sie sollen uns weder
in Erstaunen setzen, noch entmutigen oder betrüben, viel
weniger noch uns Misstrauen gegen die Liebe Gottes zu
uns einflößen. Gott hat weder unsere Unvollkommenheiten,
noch unsere lässlichen Sünden gerne; aber gleichwohl
liebt er uns trotz ihnen; so missfällt auch der Mutter
das Gebrechen ihres Kindes, ohne dass sie jedoch deshalb
aufhört, ihr Kind zu lieben, sondern sie liebt es
zärtlich und voll Mitleid. Man hört hie und da sagen
(Brief 802.):
Ach, warum habe ich nicht die Liebesglut der Seraphim!
Wir gefallen uns leider so sehr darin, gute Engel sein
zu wollen, dass wir es vergessen, gute Menschen sein zu
sollen. Unsere Unvollkommenheit wird uns bis zur Bahre
begleiten; wir können nicht gehen, ohne die Erde zu
berühren. Liebe Unvollkommenheiten, die uns unser Elend
erkennen lassen, uns in der Demut üben, in der
Geringschätzung unserer selbst, der Geduld und der
Wachsamkeit und trotz deren Gott auf die
Bereitwilligkeit unseres Herzens, ihm zu gefallen,
Rücksicht nimmt .... Bleiben wir hübsch auf der Erde.
Bleiben wir zu den Füßen unseres Herrn, üben wir gewisse
kleine Tugenden, die sich für unsere Unbedeutendheit
schicken; wer wenig hat, muss auch wenig ausgeben ....
Beunruhigen Sie sich darum nicht wegen Ihrer
Unvollkommenheiten, sagt er an einer anderen Stelle
(Brief 177.),
und arbeiten Sie mutig daran, sich von ihnen zu
befreien; fangen Sie jeden Tag von vorne an und glauben
Sie nie, dass Sie genug getan haben; es gibt kein
besseres Mittel, um das geistliche Leben zur Vollendung
zu bringen. Wie sollen wir Andere im Geiste der Sanftmut
zurechtweisen, wenn wir uns selbst mit Ärger, Verdruss
und Bitterkeit zurechtweisen? Wie werden wir uns bessern
können, wenn Ruhe und Frieden unserem Herzen mangelt?
Die Demut verlangt, dass wir uns noch weit von der
Vollkommenheit entfernt glauben und dass wir darum
immerfort auf's Neue beginnen."
War die Demut des
heiligen Franz frei von Entmutigung, so war sie es noch
mehr von den Gesinnungen des Philosophen, der mit noch
größerem Stolze über den Stolz Plato's hinwegschritt.
Als man ihm eines Tages jene vier Sätze:
Spernere mundum, spernere nullum,
spernere sese, spernere sperni!
Die Welt verachten, keinen
(Menschen)
verachten, sich selbst verachten,
(das)
verachtet zu werden verachten! als Grundwahrheiten
hinstellte, entgegnete er:
„Ich habe gegen alle diese Arten der Verachtung etwas
einzuwenden:
1) Spernere mundum, das ist wahr, wenn man
von den falschen Gütern oder dem Urteile der Welt
spricht; es ist falsch, wenn man es von Personen
versteht;
2) spernere nullum besagt zu wenig; man
muss Jeden achten und ehren als das Ebenbild Gottes und
sogar für würdiger und besser halten, als wir selbst
sind;
3) spernere sese, das ist wahr, wenn man
darunter versteht, dass das, was an uns ist, von Gott
kommt und nicht von uns selbst, denn man muss es
schätzen und achten;
4) spernere sperni taugt nichts und riecht nach
Stolz; man muss die Verachtung ansehen als etwas, das
uns zukommt, zufrieden sein, dass man von uns denkt, wie
wir, dass man uns hilft, uns als Nichts zu betrachten,
und in Schmach und Schimpf nichts Anderes als Gaben
Gottes erblicken, die unsere Liebe und Dankbarkeit
verdienen (Geist des h.
Franz v. Sales, XII, 13.)."
Vierzehntes Kapitel.
Sein
Geist der Armut.
„Nie, sagt die heilige
Chantal, habe ich eine so uneigennützige Seele gekannt,
so frei von jeder Anhänglichkeit an die Dinge der Erde,
als unseren glückseligen Vater." Eines Tages hatten ihn
zwei Personen gebeten, sich für sie bei dem Herzoge von
Savoyen behufs Erlangung einer Gnade zu verwenden, und
ihm im Falle des Gelingens eine reiche Belohnung
versprochen. „Ihr kennt mich nicht, erwiderte er ihnen
sanftmütig; ich bin ein uneigennütziger Mensch und tue
nie etwas um des Geldes willen; aber seid versichert,
dass ich mich für Euch mit mehr Wärme verwenden werde,
als wäre es für mich selbst." Jemand anders hatte ihm in
einem Schreiben viel irdisches Glück und irdische Größe
gewünscht. „Guter Gott, antwortete er darauf, was
wünschen Sie mir da? Größe und Glück! Durch die Gnade
Gottes erwarte und wünsche ich kein anderes Glück und
keine andere Größe in dieser armseligen Welt, als jene,
welche der Sohn Gottes in der Krippe zu Betlehem hatte
.... Wer sein Herz im Himmel hat, der bekümmert sich
nicht um die Dinge der Erde." Als ein anderes Mal in
seiner Gegenwart die Bemerkung gemacht wurde, dass die
Welt Jene für Toren halte, welche nicht danach streben,
sich eine behagliche und glänzende Stellung zu erringen,
versetzte er: „Und ich mache mich über solche
Erbärmlichkeiten lustig. Mein größter Trost besteht
darin, dass ich mir einbilde, nichts zu besitzen und
dass ich denke, ich werde nichts haben, wenn ich sterbe
.... Mein größtes Verlangen ist es, an dem Notwendigen
Mangel zu leiden, um Jesus Christus, den König der
Armen, nachzuahmen, und nie ist mir wohler als da, wo
ich nicht so gut aufgehoben bin .... In der Welt müssen
wir leben, sprach er zu einem seiner Priester, wie wenn
unser Geist im Himmel wäre und der Leib im Grabe
(Nach dem Abbe Legay).
Die Weisheit der Welt sagt: Glückselig die reichen
Häuser! Aber der Heiland hat gesagt: Selig sind die
Armen!
Die wahre Glückseligkeit
in diesem Leben besteht darin, sich mit dem Notwendigen
zu begnügen; nichts wird jemals demjenigen genug sein,
dem das Notwendige nicht genügt
(Brief 421.)."
Auch zitierte er oft das Wort eines italienischen
Schriftstellers: Povero si, ma contento:
(Ja)
Ich bin arm, aber zufrieden." -- „Es gewährt mir eine
unvergleichliche Freude, schrieb er an Frau von Chantal,
wenn ich die Worte Job's
(Hiobs)
höre: Nackt kam ich aus dem Mutterschoße hervor, nackt
werde ich dahin zurückkehren. Denn wer sollte nicht die
Armut lieben, welche der Heiland so sehr geliebt hat,
und die er sich zur treuen Gefährtin seines Lebens
auserwählte?" Beklagte man ihn wegen der geringen
Einkünfte seines Bistums, so erwiderte er: „Und was
hatten denn die Apostel
(Geist des h. Franz v. Sales, VIII, 5; XIV, 14 u. 15.)?
Sie waren weit größere Bischöfe als wir und hatten nicht
so viel; und wie viel rechtschaffene, brave Leute haben
noch weniger als ich! Mein Bistum bringt mir ebenso viel
ein als das Erzbistum Toledo; denn es bringt mir den
Himmel oder die Hölle ein, gerade so wie dem Erzbischofe
von Toledo das seinige, je nachdem wir uns beide in
unserem Amte benehmen. Ich halte mich sogar für gerade
so reich wie nur irgend ein französischer Bischof, weil
meine Einkünfte für meine Bedürfnisse genügen
(Ebendas., XIV, 34. – Nach Pernet.).
Das Genügende zu haben ist ein großes Einkommen, wenn
man dabei die Frömmigkeit besitzt, welche uns lehrt, uns
damit zu begnügen. Je mehr man hat, um so mehr gibt man
aus; man macht ein größeres Haus, hält mehr Bedienten,
welche einen ruinieren, und oft hält man nicht mehr
übrig als ich; manchmal stürzt man sich sogar in
Schulden und ich halte es für einen großen Reichtum,
keinem etwas schuldig zu sein. Hat man wenig, so braucht
man auch weniger zu geben, hat weniger Not, wie man es
anwenden soll, weniger Sorge, es zu behalten oder zu
verteilen, geringere Rechenschaft vor Gott abzulegen. Um
mit diesem Wenigen zufrieden zu sein, braucht man nur
Jene zu betrachten, die noch ärmer sind als wir; denn
wir sind nur verhältnismäßig arm. Wenn wir nur das
Notwendige wollen, so werden wir fast nie arm sein;
wollen wir Alles, was die Leidenschaft verlangt, so
werden wir nie reich sein. Das Geheimnis, in kurzer Zeit
und mit wenig Kosten reich zu werden, besteht also
darin, dass wir unsere Begierden zügeln, dass wir es
machen wie die Bildhauer, welche bei ihren Werken die
Subtraktion anwenden, und nicht wie die Maler, welche
die Addition anwenden. Was mich betrifft, so weiß ich
kaum, was Armut ist. Gott ist so gut gegen mich gewesen,
dass er mir gegeben hat, was der Weise wünschte, einen
Mittelstand zwischen Not und Überfluss; und, mit meinem
Lose zufrieden, halte ich mich für reich
(Geist des h. Franz v. Sales, XIV,
34; VIII, 5; II, 21 u. 22; IV, 14.).“
Dieser Geist der
evangelischen Armut, diese Erhabenheit der Seele über
alle Güter dieser Welt war es, was ihn verzichten ließ
auf sein väterliches Erbe zugunsten seiner Brüder, ihm
jene außerordentliche Freigebigkeit gegen die Armen
einflößte und jene Gleichgültigkeit, als der Senat von
Chambery drohte, sein Vermögen mit Beschlag zu belegen;
diese Liebe zur Armut gestattete ihm nie, irgend ein
Geschenk anzunehmen, weder nach seiner Mission in
Chablais, deren Kosten man ihm wenigstens wieder
erstatten wollte, oder nach seinen Fastenpredigten am
Hofe, in Dijon u. s. w., noch eine Abtei oder ein
reiches Benefizium, wie ihm deren so oft angeboten
worden.
In demselben Geiste
verstand er es, seine Bedürfnisse bis auf das Äußerste
zu beschränken. Er besaß nur die unumgänglich notwendige
Anzahl von Bedienten, die alle anständig und reinlich,
aber höchst einfach gekleidet waren. Er selbst trug nie
seidene oder kostbare Gewänder; seine Oberkleider waren
aus Wolle von violetter Farbe gefertigt, anständig und
reinlich in ihrer Einfachheit; die Unterkleider
bestanden aus Fellen oder aus den abgenutzten Resten
ersterer und fast immer waren sie geflickt. Sein Tisch
war äußerst frugal
(schlicht und bescheiden)
und in den Jahren 1603, 1604 und 20, wo eine große
Teuerung herrschte, ließ er die Zahl der gewöhnlichen
Gerichte noch mehr beschränken. Seine Möbel waren
einfach aber anständig; sein ganzes Haus bekundete die
Wohnung des Vaters der Armen, der so wenig als möglich
verbraucht, um so viel als möglich Almosen geben zu
können. In der Nähe von Annecy hatte er ein zum
bischöflichen Vermögen gehörendes Gut, wohin er sich
gerne von Zeit zu Zeit zurückgezogen haben würde, um
sich ein wenig zu erholen, hätte er ein Haus daselbst
gehabt; aber nie wollte er ein solches daselbst erbauen.
Als ein Priester ihn einmal fragte, warum er das nicht
tue, antwortete er: „Weil ich es als eine Gnade Gottes
betrachte, überall, wo ich hinkomme, ein fremdes Haus zu
bewohnen. Das macht mich glücklich, denn es ist ein Zug
der Ähnlichkeit mit Jesus Christus, der in einem Stalle
zur Welt kam und während seines Lebens nichts hatte,
wohin er sein Haupt legen konnte
(Nach dem Kanonikus Gard)."
Trotz so großer Sparsamkeit schien die Menge seiner
Almosen nicht erklärlich, wenn man die Anforderungen
seines Haushaltes und seine geringen Einkünste
betrachtete. „Eines Tages, sagt der Bischof von Belley,
drückte ich ihm mein Erstaunen darüber aus." -- „Nun,
sprach er, Gott vermehrt die fünf Brote." -- „Aber, wie
geht das denn zu?" fragte ich ihn. -- „Es würde kein
Wunder mehr sein, erwiderte er, wenn sich das so sagen
ließe; und sind wir denn nicht glücklich, so durch
Wunder zu leben? Sehen Sie, fuhr er fort, indem er mir
ein Unterkleid zeigte, das man ihm aus einer alten
Soutane (langes
Obergewand eines Priesters)
gemacht hatte, wirken nicht meine Leute kleine Wunder?
Aus einem alten Kleide machen sie ein ganz neues. Offen
gestanden, wenn ich mehr hätte, so würde ich in
Verlegenheit sein, was ich damit anfangen solle; ich bin
recht glücklich, sorglos wie ein Kind leben zu können;
jeder Tag hat genug mit seiner Plage. Ich gebrauche die
Güter dieser Welt so, wie es die Hunde an den Ufern des
Nils machen; im Laufen trinken sie das Wasser des
Flusses, um nicht von den Krokodilen ergriffen zu
werden."
Nur selten nahm dieser
wahre Arme Jesu Christi Geld in die Hand, wenn es nicht
geschah, um es den Armen zu geben; und kaum wusste er
manche Münzen zu unterscheiden oder kannte er ihren Wert
(Geist des heiligen Franz
v. Sales, V, 10.).
Sein Geld übergab er stets seinem Verwalter und dieser
schaltete damit nach Gutdünken zum Unterhalte des
Hauses. Nur fragte der Bischof ihn von Zeit zu Zeit, ob
man niemandem etwas schulde, um sonst in der Haushaltung
jene Einschränkungen vorzuschreiben, die zur pünktlichen
Bezahlung von etwa vorhandenen Schulden notwendig
geworden waren (La Riviere,
p. 531.). Musste
etwas gekauft oder auf Reisen in einem Gasthause etwas
bezahlt werden, so duldete er nie, dass der Verwalter um
den Preis handelte; stets musste er die verlangte Summe
zahlen, es sei denn, dass eine Überforderung zu offenbar
und sehr bedeutend war. Hörte er dann klagen über den
Wirt, so pflegte er zu sagen. „Mein Freund, wir müssen
nicht allein den Preis der Lebensmittel, sondern auch
die Pflege, Bedienung und guten Willen mit auf die
Rechnung setzen, Dinge, die man nie genug bezahlen kann
(Geist des h. Franz v.
Sales, VII, 7.)."
Selten ließ er Geld in den Händen des Verwalters müßig
(unnütz)
liegen, fast jeden Tag verlangte er dessen für die
Armen, Klöster und andere Häuser, welche von Almosen
lebten; und diese Freigebigkeit brachte zuweilen eine
Hungersnot im bischöflichen Hause hervor. Eines Tages
kam der Verwalter, aller Hilfsmittel bar, zu ihm und
klagte, dass er kein Geld mehr habe. „Um so besser,
sprach Franz, das macht uns Jesus Christus ähnlicher;
der anbetungswürdige Heiland hatte nichts, wo er sein
Haupt hinlegen konnte, und wir sind noch weit von einer
solchen äußersten Armut entfernt." -- „Aber, wo soll ich
denn Geld hernehmen?" fragte der Verwalter. -- „Wir
müssen vom Haushalte leben", erwiderte der Bischof. --
„In der Tat, es ist wohl an der Zeit hauszuhalten, wenn
nichts mehr da ist." -- „Du verstehst mich nicht,
versetzte der Heilige, ich meine, dass wir einige Stücke
von unserem Hausrate verkaufen oder verpfänden sollen,
oder einige Möbel, um dafür Lebensmittel anzuschaffen.
Heißt das nicht vom Haushalte leben
(Geist des h. Franz v. Sales, II,
22.)?"
Franz betrachtete es
immer als ein Glück, wenn er Geld bekam, ohne dass sein
Verwalter etwas davon wusste; dann entging er seinen
Vorwürfen. Sobald er es erhalten, teilte er es in
verschiedene Summen, die er sorgfältig in Papier
wickelte, um sie an die Armen zu geben; so gab er einmal
an einem Tage an vierhundert Gulden weg.
Trotz dieser großen Armut
verstand es der heilige Bischof doch, Pracht und Glanz
zu entfalten, wenn er glaubte, der Charakter seines
Amtes und die Ehre Gottes verlangten es so; mehr denn
ein Mal hat er Großen einen solchen Empfang bereitet,
dass man erstaunt war, wie er bei so geringen Mitteln
eine solche Pracht entwickeln konnte. Dann duldete er
vorübergehend in seinem Hause Tapeten, silbernes
Tafelgeräte und schöne Möbel. Aber auch bei solchen
Gelegenheiten bewahrte er den Geist der Armut; all'
diesen Luxus betrachtete er als Kot, und auf silberne
Schüsseln gab er nicht mehr, als wenn es irdene
(aus Ton)
gewesen wären
(Ebendas., VIII, 8,).
Fünfzehntes Kapitel.
Seine
Liebe zur Abtötung.
Wie notwendig die
Abtötung sei, um tugendhaft zu werden, wurde selbst von
den Heiden erkannt. „Abstine et sustine, entsage und
dulde", war schon ein heidnischer Grundsatz. Aber die
Lehre des Evangeliums und die Gnade ließen dies den
heiligen Bischof von Genf in noch höherem Grade
erkennen. „Man muss sterben, sagt er, damit Gott in uns
lebe; denn es ist unmöglich, zur Vereinigung zur
Vereinigung unserer Seele mit Gott auf einem anderen
Wege zu gelangen, als dem der Abtötung. Die Worte: „Man
muss sterben“ sind hart, aber sie sind auch begleitet
von einer großen Süßigkeit, da man sich selbst nur
stirbt, um mit Gott durch diesen Tod vereinigt zu werden
(Entretien sur la
pretention religieuse, p. 373.)."
--- „Man muss jeder anderen Liebe absterben, um jener
für Jesus zu leben, damit wir nicht ewig sterben
(Traite de l'amour de Dieu, XII,
13.)." --- „Mein
Gott, wie gerne möchte ich sterben für meinen Heiland;
kann ich aber nicht sterben für ihn, so will ich
wenigstens für ihn allein leben
(Brief 417.)."
--- „Das Gebet ohne Abtötung ist eine Seele ohne Leib,
sowie die Abtötung ohne Gebet ein Leib ohne Seele ist
(Geist des h. Franz v.
Sales, XIII, 14.)."
Nach diesen Grundsätzen
seinen Wandel einrichtend, begann Franz damit, seinen
Leib abzutöten. Ihn als einen Sklaven betrachtend, der
sich empört, wenn man ihm schmeichelt und seinen
Begierden nachgibt, gestattete er seinen Sinnen nie die
geringste Weichlichkeit oder irgend etwas Überflüssiges.
In Allem beschränkte er sich einfach auf das Notwendige;
es war für ihn eine Qual, wenn er zu Tische ging, und
hätte man ihn nicht genötigt, so würde er es oft
vergessen haben. Er fastete häufig: und man kann wohl
sagen, dass sein Leben ein ununterbrochener Fasttag war,
so wenig genoss er bei jeder Mahlzeit. Mehrere Jahre
hindurch begnügte er sich außer einer leichten Kollation
(kleine
Zwischenmahlzeit),
die man ihm abends in sein Zimmer brachte, mit einer
einzigen Mahlzeit des Tages, und darin fand er einen
doppelten Vorteil; den, sich selbst abzutöten und mehr
Zeit für seinen ausgedehnten Briefwechsel und ungeheuren
Arbeiten zu gewinnen (Ebendas.,
IV, 8.).
Übrigens hielt er nicht
viel auf besondere Abtötungen, und zuweilen unterließ er
eine solche lieber, als dass er sie zur Schau trug.
Einmal war ein fremder Bischof bei ihm auf Besuch, und
Freitag abends ging Franz in dessen Zimmer, um ihm zu
sagen, dass das Abendessen bereit sei. „Zu Abend essen!
rief sein Gast aus, heute esse ich nicht zu Abend; man
kann wohl nicht weniger als ein Mal in der Woche
fasten." Franz ließ ihm auf der Stelle eine Kollation in
sein Zimmer tragen und setzte sich mit seinen Kaplänen
zu Tische, welche ihm erzählten, dass der fremde Bischof
so fest an seinen Übungen der Frömmigkeit und seinen
Fasten halte, dass er nie im geringsten davon abgehe,
welchen Besuch er auch immer haben möge. Am anderen Tage
sprach Franz hierüber mit dem Bischofe von Belley.
„Sehen Sie, sprach er zu diesem, man darf an seinen
Übungen, selbst den frömmsten, nicht so festhalten, dass
man sie nicht zuweilen unterbräche; sonst wird sich
unter dem Vorwande der Treue eine sehr seine Selbstliebe
hineinschleichen; die Unterlassung eines Fastens an
einem Freitage würde mehrere andere verborgen haben. In
einem solchen Falle kann man das Fasten auf einen
anderen Tag verschieben, oder wenn nicht, es ersetzen
durch willfährige Nachgiebigkeit, welche die Tochter der
Liebe ist und ihm vorgezogen werden muss
(Nach der h. Chantal)."
Ebenso enthielt sich
Franz seiner freiwilligen Fasten, wenn er sah, dass
seine Gesundheit darunter leiden konnte. „Denn, sprach
er, es ist der Ordnung Gottes gemäß, dass wir unsere
Leiber nach ihren Schwächen behandeln, dass wir sie
schonen als arme Kranke, voll Liebe und Geduld; und
diese Übung ist nicht die am wenigsten verdienstliche,
weil sie das Herz und den Mut abtötet. Wenn die
Erfüllung unserer Pflichten uns eine Krankheit zuzieht
oder unsere Tage abkürzt, so muss man Gott dafür danken
und es bereitwillig ertragen; sonst aber verpflichtet
uns die Ehrfurcht vor der Vorsehung und die Liebe gegen
uns selbst, uns jener Abtötungen zu enthalten, welche
die Gesundheit zu Grunde richten, weil, wie es
einerseits eine weibische Weichlichkeit ist, zu besorgt
für seine Gesundheit zu sein, es auf der anderen Seite
ein an Barbarei grenzender Stolz sein würde, sie ganz
und gar zu vernachlässigen und zu verachten. Wie der
Geist nicht den Körper tragen kann, wenn er zu beleibt
und wohlgenährt ist, so kann der Körper den Geist nicht
tragen, wenn er zu mager ist; man muss den Körper wie
sein Kind behandeln, ihn züchtigen, aber nicht
totschlagen."
„Eines Tages, erzählt der
Bischof von Belley, fragte er mich, da er bemerkt hatte,
dass ich oft fastete, ob das Fasten mir sehr
beschwerlich werde; ich antwortete ihm, dass ich fast
niemals Appetit habe, und wenn ich mich zu Tische setze,
so geschehe es fast immer ohne Lust zum Essen." -- „So
fasten Sie doch nur wenig", sprach er. -- „Und warum,
mein Vater? Das Fasten wird doch sehr in der heiligen
Schrift empfohlen." -- „Ja, aber jenen, die einen
besseren Appetit haben, als Sie. Tun Sie irgend ein
anderes gutes Werk und töten Sie Ihren Leib auf andere
Weise ab (Geist des h.
Franz v. Sales, IV, 9.)."
Diesen Grundsätzen gemäß ließ er einige Zeit vor seinem
Tode, weil er bemerkt hatte, dass sein Magen zu sehr
geschwächt sei und seine Kräfte zu sehr abnahmen, in der
Strenge gegen sich selbst nach und fügte sich dem, was
seine Gesundheit verlangte.
Gleichgültig übrigens
gegen jede Art von Speise tadelte er nie eine, was für
eine es auch war, oder auf welche Weise sie auch
zubereitet sein mochte. Alles war nach seinem
Geschmacke, warm oder kalt, gesalzen oder ungesalzen. Er
aß, was man ihm vorsetzte, ohne je die geringste
Bemerkung darüber zu machen, und anderen empfahl er
dasselbe, indem er sagte, man müsse eine große Ehrfurcht
vor dem Worte des Herrn haben: „Esset was man Euch
vorsetzt"; ohne Unterschied von Allem zu essen, ohne zu
wählen, sei die beste Abtötung; dadurch habe man den
Vorteil, vor den Menschen seine Strenge zu verbergen,
und doch sei es nichts Geringes, mit dem zufrieden zu
sein, was man nicht gerne isst, und sich das zu
versagen, wonach man Verlangen hat
(Geist des h. Franz v. Sales, IV,
18; XVI, 27.).
Eines Tages kamen Setz-Eier in Wasser auf den Tisch;
nachdem er die Eier gegessen, fuhr er fort, sein Brot in
das Wasser zu tunken, und als man ihn darauf aufmerksam
machte, sprach er: „Ihr habt nicht wohlgetan, mir diesen
Irrtum zu benehmen; denn nie hat mir, Dank meinem
Appetit, eine Sauce besser geschmeckt als diese; so wahr
ist das Sprichwort: Hunger ist der beste Koch
(Ebendas., IV, 19.)."
Ein anderes Mal setzte man ihm aus Unachtsamkeit ein
ganz faules Ei vor; er aß es, ohne die geringste
Bemerkung darüber zu machen, und als man sich nachher
deswegen entschuldigte, erwiderte er freundlich: „Wir
haben so oft gute Eier gegessen, warum sollten wir nicht
'mal schlechte essen, wenn Gott es zulässt, dass sie uns
vorgesetzt werden (Nach de
Chaugy)? Nicht zu
essen, was man Einem vorsetzt, heißt wählerisch sein und
bekundet einen Geist, der Acht gibt auf Gerichte und
Saucen; das Gute zu essen, ohne sich daran zu ergötzen,
das Schlechte, ohne Widerwillen zu zeigen, gleichgültig
gegen das Eine wie das Andere zu sein, das ist die wahre
Abtötung."
Er trank nur wenig Wein
und dazu vermischte er ihn noch sehr mit Wasser; er aß
nur grobes, gewöhnliches Fleisch und tadelte man ihn
deshalb, so gab er als Grund an, dass es ihm Freude
mache, die Kost der Armen zu genießen, oder dass er
einen derben Magen habe, der das gemeinste Fleisch
vorziehe (Nach der h.
Chantal). Nie
kamen ausgesuchte und feine Gerichte auf seinen Tisch,
es sei denn, dass Fremde da waren; reichte man sie ihm
dann hin, so gab er sie an die ihm zunächst Sitzenden
weiter oder ließ sie auf seinem Teller liegen, um sie
Kranken hinzuschicken, von denen viele um das, was er
übrig ließ, aus einem Gefühle frommer Verehrung baten.
Auf seinen bischöflichen Rundreisen untersagte er den
Pfarrern und Klöstern, ihm etwas Außergewöhnliches
zubereiten zu lassen, indem er bemerkte, so wenig man
ihm auch gebe, so sei das doch noch zu viel für ihn, und
er wolle nicht, dass man sich seinetwegen Unkosten mache
(Nach Passis).
War er bei Reichen zu Tische, so war er so enthaltsam,
als es ihm, ohne seine Abtötung zu zeigen, nur möglich
war.
„Eines Tages, erzählt der
Bischof von Belley, hatte ich ihm an meinem Tische ein
sehr feines Gericht vorsetzen lassen, und ich bemerkte,
wie er es geschickt in eine Ecke des Tellers schob, um
etwas Derberes zu essen. Ah, ich ertappe Sie auf der
Tat, rief ich aus; wo bleibt denn das Gebot: Esset was
man Euch vorsetzt?" – ..Sie wissen also nicht,
entgegnete er, dass ich einen Bauern-Magen habe, der
derbes Fleisch verlangt; Ihre feinen Gerichte würden ihn
nicht bei Kräften erhalten." – „Mein Vater, versetzte
ich, das sind so Ihre Ausflüchte; durch solche Listen
verbergen Sie Ihre Abtötung." – „Ich versichere Ihnen,
rief er aus, ich denke dabei an nichts Arges und ich
sage Ihnen dies ganz aufrichtig. Ich gestehe, dass mein
Appetit mehr Geschmack an den feinen Gerichten findet;
aber da man sich zu Tische setzt, um die notwendige
Nahrung zu sich zu nehmen, und nicht, um die Gaumenlust
zu befriedigen, da man nur essen soll, um zu leben, so
nehme ich das zu mir, von dem ich weiß, dass es mir am
besten ist. Man würde leben, um zu essen, wenn man seine
Speise sich auswählte nach dem Geschmacke der Gerichte
und Saucen. Nichtsdestoweniger will ich, um Ihrem guten
Gerichte Ehre zu machen, wenn Sie Geduld haben, Sie
zufrieden stellen; wenn ich mit dieser derben Nahrung
einen gehörigen Grund gelegt habe, so will ich Ihre
Delikatessen noch obendrauf setzen
(Geist des h. Franz v. Sales, V,
5.)."
Ebenso abgetötet in allem
anderen wie in seiner Nahrung, vermied er Alles
sorgfältig, was den Schein des Sinnlichen oder
Ausgesuchten hatte; einfach zog er die Kleider an,
welche seine Bedienten ihm hinlegten, ohne dem einen vor
den anderen den Vorzug zu geben; und in der Abtei Sixt
wies er das feine Linnen, welches man für ihn hatte
kommen lassen, zurück und ließ sich grobes geben, wie es
die Genossenschaft hatte
(Nach Zoenes). Er
wärmte sich fast nie und ertrug heiter die größte Kälte,
wie die größte Hitze. Auf seinen Reisen bot er Regen und
Schnee, den Stürmen und allem Ungemach der Witterung
Trotz; in den Gasthäusern war er, ohne je die geringste
Klage zu äußeren, zufrieden mit dem schlechtesten Zimmer
und schlechter Nahrung, es machte ihm Freude, wenn es
ihm an Vielem fehlte.
Er schlief wenig, verlor
nie seine Zeit, kannte das Spiel ebensowenig als die
Langeweile. Er gestattete sich nie eine Erholung, es sei
denn, um anderen die Freude nicht zu verderben oder der
Vorschrift des Arztes nachzukommen. Dann aber war er
gegen Andere ebenso freundlich und liebenswürdig, als er
strenge gegen sich selbst war. „Wenn ich ihn besuchte,
erzählt der Bischof von Belley
(Geist des heil. Franz v. Sales,
IV, 26.), ließ er
es sich angelegen sein, mich nach der Anstrengung der
Predigt zu zerstreuen; er selbst fuhr mit mir auf dem
schönen See von Annecy spazieren, oder führte mich in
die herrlichen Gärten, welche an seinen schönen Ufern
lagen; kam er zu mir nach Belley, so wies er ähnliche
Erholungen, die ich ihm vorschlug, nicht zurück, aber
nie bat er darum, noch fing er selbst davon an." Machte
er hie und da seiner Gesundheit wegen einen Spaziergang
auf dem freien Felde, so verband er immer etwas
Nützliches damit, indem er mit den Landleuten, denen er
begegnete, sich in ein Gespräch einließ, in ihre Hütten
trat und freundlich annahm, was ihm ihre einfache
Gastfreundlichkeit anbot."
Oft geißelte er sich bis
auf das Blut (Nach der h.
Chantal), da er
der Meinung war, um diesen Preis die Keuschheit nicht zu
teuer zu erkaufen, „diese herrliche Tugend, pflegte er
zu sagen, welche unsere Seele weiß erhält wie die Lilie,
rein wie die Sonne, die unseren Leib heiligt, uns es
leicht macht, ganz Gott anzugehören, und uns gestattet,
zu unserem Heilande zu sprechen: Meine Seele und mein
Leib frohlocken vor Freude in deiner Güte, für welche
ich auf jedes andere Vergnügen verzichte." Aber
sorgfältig suchte er diese Bußübung geheim zu halten,
indem er dazu die Zeit der Nacht wählte, wo er glaubte,
nicht gehört zu werden, und seine Geißel so geschickt
bei Tage verbarg, dass man sie erst nach seinem Tode
fand. Selbst sein Kammerdiener hatte nur die Vermutung,
dass er dies tat, da er einen Rest von mit Blut
gerötetem Wasser auf dem Boden der Waschschüssel seines
Herrn fand, der in ihr die ganz mit Blut bedeckte Geißel
gewaschen hatte (Geist des
h. Franz v. Sales, IV, 21.).
Wie strenge auch diese
Abtötung war, so kam sie doch einer anderen, die er sich
auferlegte, nicht gleich, und die darin bestand, in
seinem ganzen Äußeren stets jene bescheidene
Sittsamkeit, jenen Anstand, jene Ehrbarkeit, wovon
früher schon die Rede war, aufs vollkommenste zu
beobachten; namentlich aber wurde sie noch übertroffen
von seiner inneren Abtötung, durch die er als ein wahrer
Märtyrer den ganzen Menschen Gott zum Opfer brachte.
Diese letztere Abtötung, welche das Opfer des Verstandes
und Urteils, des Willens und der Selbstliebe in sich
begreift, hielt er höher als alles Andere; und er
pflegte zu sagen, dass ein Lot
(Maßeinheit der Masse)
von dieser mehr wert sei, als mehrere Pfund von der
anderen (Geist des h. Franz
v. Sales, XV, 10; XVII, 24; X, 1; XVIII, 8.).
Eine Schwester von der Heimsuchung wollte viele
körperliche Bußübungen verrichten und der Heilige
bemerkte ihr darüber: „Begnügen Sie sich mit den
Abtötungen, welche mit der pünktlichen Beobachtung der
Regel verbunden sind; der Teufel möchte nichts lieber,
als den Leib entkräften, um ihn zu den regelmäßigen
Übungen unfähig zu machen; das Streben, zur
Vollkommenheit auf einem anderen Wege als seine
Gefährtinnen zu gelangen, ist nicht frei von
Selbstdünkel. Die göttliche Vorsehung wird Ihnen schon
genug Gelegenheit zur Abtötung bieten, wenn Sie dieselbe
immer treu ergreifen; seien Sie nur bereit, den
Anregungen des Geistes Gottes zu folgen
(Vie de la mere Anne-Marguerite
Clement)."
Er tötete seinen Geist
ab, indem er alle eitlen Vorspiegelungen, alle unnützen
und nicht zur Sache gehörigen Gedanken daraus verbannte,
welche viel Zeit verlieren lassen, die Seelen
zerstreuen, Überdruss an der Arbeit und ernsten Dingen
erregen, die Tugend in Gefahr bringen und eine Quelle
von tausend Zerstreuungen im Gebete, wie unzähligen
Versuchungen im Dienste Gottes werden; was wir von
seiner beständigen Sammlung des Geistes gesagt haben,
ist ein schlagender Beweis dafür.
Er tötete sein Urteil ab,
indem er allen Eigensinn, alles hartnäckige Bestehen auf
seiner Meinung vermied. Es war merkwürdig, wie er das
Urteil Anderer immer über sein eigenes setzte, es sei
denn, dass es sich um Dinge handelte, in denen er als
Bischof sich entschieden erklären und sprechen musste;
dann entschied er sich für das, was ihm das Beste
dünkte, und dann blieb er auch fest und unerschütterlich
wie eine Säule, an ein Nachgeben war nicht mehr zu
denken.
Seinen Willen tötete er
ab, indem er sich stets dem unterwarf, was er als den
Willen Gottes und der Vorsehung erkannte, ohne die
geringste Rücksicht zu nehmen auf seine Neigungen oder
seinen natürlichen Widerwillen, noch auf seine Wünsche
oder den Abscheu, den er davor empfand. Er erhielt jeden
Tag eine große Anzahl von Briefen, von denen manche oft
zwölf bis fünfzehn Seiten umfassten und sehr unleserlich
waren; er unterzog sich der Mühe, auf Alles zu
antworten, und bemerkte man ihm, dass er zu viel darin
tue, so antwortete er: „Was liegt denn daran? während
ich dies tue, brauche ich nichts Anderes zu tun
(Dom Jean de St. Francois, p.
492.)." Sein
ganzes Leben, sagt einer seiner Biographen
(La Riviere, p. 430. -- et suiv.),
war nur eine fortwährende Übung des Gehorsams; dem
geringsten Wunsche seiner Oberen, geistlichen wie
weltlichen, kam er eifrig nach. Mit noch rührenderer
Nachgiebigkeit bequemte er sich nicht allein dem Willen
der ihm gleichstehenden Bischöfe an, mit denen er in
Verbindung stand, sondern auch selbst dem seiner
Untergebenen und Bedienten, so oft Pflicht und Klugheit
es ihm gestatteten. Wunderbar war es zu sehen, wie er
sich von letzteren in gleichgültigen Dingen leiten ließ.
„Jeden Tag, schrieb er an die heilige Chantal
(Brief 707. – Geist des heiligen
Franz v, Sales, III, 47.),
lerne ich, meinen Willen nicht zu tun und das zu tun,
was ich nicht will . . ." Und in dieses beständige Opfer
seines eigenen Willens, in dieses Verzichten selbst auf
die natürlichsten Wünsche, setzte der heilige Bischof
die ganze Tugend. „Es liegt dem Teufel wenig daran,
schrieb er an eines seiner Beichtkinder
(Brief 498. -- Geist des h. Franz
v. Sales, XVII, 8.),
ob Sie Ihren Körper zerfleischen, wenn Sie damit nur
Ihren eigenen Willen tun; nicht die Strenge gegen den
Leib fürchtet er, sondern den Gehorsam; keine Bußübung
kommt dem Opfer Ihres stets ergebenen und beständig
gehorsamen Willens gleich . . . O, wie Viele sind schon
zu Grunde gegangen, die recht viel fasteten; aber noch
kein Einziger, der gehorsam war. Der elende Pharisäer
fastete zwei Mal in der Woche und ging verloren; der
Zöllner hatte gar nicht gefastet und wurde
gerechtfertigt (La Riviere,
p. 581.). Der
Gehorsam ist Alles vor Gott. . . . Verlangen Sie darum
nicht, etwas anderes zu sein, als was Sie sind. Was
nützt es Ihnen, sich Luftschlösser in Spanien zu bauen,
da Sie doch in Frankreich wohnen müssen
(Brief 780. -- Geist des h. Franz
v. Sales, XV, 25.)?
.... Was mich angeht, so kenne ich nur den Schlussvers
aus dem Gesange des Lammes; Manche mögen ihn etwas
traurig finden, aber wie lieblich und süß ist er dem
Herzen: Vater, möge mir geschehen, nicht wie ich will,
sondern wie Du willst. O, möchten doch auf ewig unsere
Herzen mit dem seinigen vereinigt sein und unser Wille
mit seinem Willen (Geist
des h. Franz v Sales, XVIII, 7.)."
Mit noch größerer Treue bestrebt, seine Neigungen und
seinen Charakter abzutöten, betrachtete er diesen Punkt
als das Siegel der wahren Tugend und pflegte zu sagen,
dass man ohne jene Abtötung, welche den Charakter
ändert, die Neigungen unterjocht, sehr fromm und sehr
böse sein kann; sehr fromm, wenn man viel betet, wenn
man fromme Übungen macht, wenn man gläubig, barmherzig,
geduldig ist, und sehr böse, wenn man bei alledem dem
Stolze, dem Neide, dem Hasse und anderen Lastern dieser
Art fröhnt."
Nicht weniger entschieden
tötete er jene Eigenliebe ab, welche sich selbst in
Allem so gerne sucht und das Unangenehme flieht, welche
so gerne ihre Neigungen befriedigt und vor dem ihr
Widerwärtigen zurückschreckt. Er selbst sagt uns, dass
er einen unaufhörlichen Krieg gegen die ungeordneten
Neigungen seines Herzens und seine natürliche
Lebhaftigkeit führte, bis er mit ihnen fertig geworden
war. „Zwei Leidenschaften, sagt er mit seiner
treuherzigen Aufrichtigkeit, sind es, deren Ausrottung
mir viel zu schaffen gemacht hat: die Eigenliebe und der
Zorn." Über diese Liebe triumphierte er, indem er sie
auf Gott lenkte und Alles auf ihn bezog; er triumphierte
über den Zorn, indem er sein Herz in beiden Händen
hielt, wie er zuweilen sich aus-drückte, um den Ungestüm
seines Charakters zu zügeln
(Geist des h. Franz v. Sales, V,
19.), und das war
es, was ihm so viele Gnaden erwarb, seinem
Lieblingsausspruche gemäß, dass „Derjenige, welcher mehr
und mehr seine natürlichen Neigungen abtötet, mehr und
mehr der übernatürlichen Eingebungen teilhaftig wird
(Ebendas., X, 1.).“
– ,,Lange, sagt die heilige Chantal, hatte er gegen
seine Leidenschaften zu kämpfen, aber durch seine
hochherzige Entschiedenheit, mit der er stets gegen
dieselben vorging, unterjochte er sie so sehr, dass sie
ihm wie Sklaven gehorchten und am Ende sich kaum mehr
eine Spur von ihnen zeigte." Gott hatte alle seine
Neigungen sowohl nach der Vernunft und dem Gesetze des
Evangeliums geordnet, dass er keine einzige Handlung
verrichtete, die nicht von einer christlichen Tugend
begleitet war, und sein Herz hatte er so sehr von aller
Anhänglichkeit an das Irdische befreit, dass er in
Wahrheit sagen konnte: „Ich will nur Weniges; was ich
will, will ich sehr wenig; ich habe fast keinen Wunsch,
und wenn ich noch einmal auf die Welt zu kommen hätte,
so würde ich keinen haben. Wenn Gott zu mir käme, so
würde ich auch zu ihm gehen; wenn er nicht zu mir käme,
so würde ich damit zufrieden sein, ohne etwas zu
verlangen noch abzuweisen, ohne mich bei irgend einem
Wunsche aufzuhalten, wenn nicht das zu wollen, was Gott
will.
Diese Lehre war es,
welche der heilige Bischof am meisten seinen geliebten
Töchtern von der Heimsuchung einprägte. „Man muss auf
Alles verzichten, sprach er, zuerst auf die äußeren
Güter, wie Häuser und andere Besitzungen, Eltern,
Freunde und Bekannte; dann auf die Güter des Leibes, wie
Gesundheit, Schönheit, die Freuden und Genüsse der
Sinne; ferner auf die eingebildeten Güter, welche von
der Meinung Anderer abhängen und Ruhm, Ehre, Ansehen
heißen; zuletzt auf die Güter des Herzens, welche die
geistlichen Tröstungen sind. All' das muss man in die
Hand des Herrn legen, damit er darüber verfügt nach
seinem Wohlgefallen, und ihm dienen ohne diese Güter wie
mit denselben; und diese Entsagung darf nicht geschehen
aus Verachtung, sondern aus Selbstverleugnung um der
reinen Liebe Gottes allein willen. Nie wird man zur
Vollkommenheit gelangen, so lange noch eine
Anhänglichkeit an irgend eine Unvollkommenheit da ist,
mag sie auch noch so unbedeutend sein, wäre es selbst
nur ein unnützer Gedanke; und man sollte es nicht
glauben, wie viel das einer Seele schaden kann. Unsere
Neigungen sind, da sie alle dazu angewendet werden
sollen, Gott zu lieben, so kostbar, dass man sich hüten
muss, sie nicht an unnütze Dinge zu heften; und ein
Fehler, mag er noch so klein sein, ist, mit Neigung zu
ihm begangen, der Vollkommenheit mehr entgegen als
hundert andere, die man aus Übereilung und ohne Neigung
zu ihnen begeht."
Sechszehntes Kapitel.
Seine
Geduld.
Ganz verschieden von den
Weltleuten fand Franz sein Glück im Leiden. „Leiden,
sagt er, ist fast das einzige Gute, welches wir in
dieser Welt tun können; denn selten tun wir etwas Gutes,
ohne dass wir auch irgend etwas Böses mit einfließen
lassen. Und dann ist uns der Heiland nie so nahe, als
wenn wir geduldig leiden aus Liebe zu ihm. Er wacht über
uns, wenn wir an seiner Brust ruhen, und lässt uns
Gewinn aus unseren Trübsalen ziehen ...." -- „Glückselig
sind die Kreuztragenden
(Nach der h. Chantal, – Geist des heiligen Franz von
Sales, XII, 1.)!
eine Unze Leiden ist mehr wert, als ein Pfund Handlung
(Brief 707. -- Geist des h.
Franz v. Sales, XV, 18.)
....
Oft müssen wir unser Herz der Liebe Jesu auf dem Altare
des Kreuzes aufopfern, an dem er das seinige aus Liebe
zu uns zum Opfer brachte. Das Kreuz ist die königliche
Pforte, durch welche man zum Tempel der Heiligkeit
eingeht; wer sie anderswo sucht, wird nie ein Körnchen
davon finden (Geist des h.
Franz v. Sales, XVII, 10.).
In dieser Welt ist unser Erbteil das Kreuz, in der
anderen wird es die Herrlichkeit sein."
Eines Tages erzählte man
ihm von einer Person, die mit viel Kreuz und Trübsal
beladen war. „O, wie glücklich ist diese liebe Seele,
sprach er, dass sie für den Herrn etwas zu leiden hat,
der das Kreuz zum Fundamente seiner Kirche erwählt und
Jene begnadigt, welche es tragen! Da diese Person nur
kurze Zeit mehr zu leben hat, so ist es gut, dass diese
kurze Zeit dem Leiden gewidmet ist .... Lieben wir unser
Kreuz, pflegte er zu den betrübten Seelen zu sagen
(Brief 825.),
es ist, mit den Augen der Liebe betrachtet, ganz von
Gold; und wiewohl der Heiland an ihm wie tot erscheint
zwischen den Nägeln und Dornen, so befindet sich doch
eine Menge kostbarer Steine an ihm, welche sich zu einer
Krone der Herrlichkeit für uns zusammenfügen werden,
wenn wir mutig die Dornenkrone tragen .... Leben Sie
darum froh und heiter zwischen den Dornen der Krone des
Heilandes; und wie eine Nachtigall im Gebüsche, so
singen Sie: Es lebe Jesus
(Brief 728.)! Die
Zeit der Trübsale und Widerwärtigkeiten ist die Zeit der
schönen Ernte, wo die Seele die reichsten Segnungen des
Himmels sammelt und die herrlichsten Tugenden übt
(Geist des h. Franz von Sales, XI,
3.); ein Tag in
dieser Zeit bringt uns mehr Gewinn als sechs in einer
anderen. Wie der beste Wein zwischen Steinen wächst, so
sprossen die erhabensten Tugenden in der Zeit der
Trübsal (Brief 77.),
und nie wird die Liebe zum Heilande besser geübt, als
unter dem Kreuze. „Es lebe Jesus“ auf dem Tabor
(Berg)
zu sprechen, dazu hatte der heilige Petrus, damals noch
ganz materiell und irdisch gesinnt, wohl den Mut; aber
„es lebe Jesus“ auf dem Kalvarienberge zu sprechen, das
konnte nur die Mutter und jener Jünger, den Jesus
liebte. Ein Herz, welches liebt, kann nicht umhin zu
lieben und liebend die Pfeile in sich aufzunehmen,
welche die Hand Gottes nach ihm abschießt
(Brief 833 und 835.).
Klammern wir uns darum für immer fest an das Kreuz, und
mögen tausend Speere unser Fleisch durchbohren, wenn nur
der flammende Pfeil der Liebe Gottes vorher unser Herz
durchdrungen hat! Möchten wir an dieser göttlichen Wunde
seinen heiligen Tod sterben, der besser ist als tausend
Leben (Brief 644.)!
Wann, sagte er ferner (Nach
Biord.), werden
wir unsere Liebe zu dem, der so viel für uns gelitten
hat, an den Tag legen können, wenn nicht in
Widerwärtigkeiten, wenn nicht in dem, wovor unsere Natur
Abneigung und Widerwillen empfindet? Gehen wir quer
durch die Dornen der Unannehmlichkeiten, lassen wir
unser Herz durchbohren von der Lanze des Widerspruchs,
essen wir den Wermut, trinken wir die Galle,
verschlucken wir den Essig irdischer Bitterkeiten, weil
es unser süßer Heiland so will. Wie die Flammen
erstarken unter den Dornen, so nimmt auch die göttliche
Liebe in Trübsalen weit mehr zu, als in behaglichem
Wohlsein (Brief 208.)."
Der geschickte Lehrer im
geistlichen Leben unterschied drei Arten von Leiden, die
er für unvergleichlich besser hielt als alle übrigen;
die erste Art sind jene, welche durch ihre lange Dauer
uns lästig werden und mehr und mehr missfallen. „Die
Leiden, denen man auf der Straße begegnet, sagt er, sind
vortrefflich; aber jene, welche man zu Hause findet,
haben einen größeren Wert, weil sie schwerer auf uns
lasten; sie sind besser als Bußgürtel, Geißeln, Fasten
und Alles, was die Strenge erfunden hat. In ihnen zeigt
sich die Erhabenheit der Kinder des Kreuzes." Die zweite
Art sind jene, welche von selbst kommen. „Sehen Sie da,
schrieb er an eine ihm teure Person
(Brief 153. – Nach der h. Chantal
), eine Menge von
Kreuzen, die Sie nicht gewählt haben; Gott hat sie Ihnen
aus seiner Hand gegeben; nehmen Sie sie an, küssen und
lieben Sie dieselben, sie sind von dem Wohlgeruche der
Vortrefflichkeit des Ortes erfüllt, von dem sie
herkommen. Da, wo weniger unsere Wahl vorwaltet, sagt er
ferner (Geist des h. Franz
von Sales, XVII, 24.; XVIII, 7.),
ist das Wohlgefallen Gottes um so größer. Unendlich
lieber ist mir das Wehe, welches von unserem himmlischen
Vater kommt, als jenes, welches unser eigener Wille uns
bereitet." Noch besser erläutert er diesen Gedanken in
einer seiner Predigten, in der er das Wort des Herrn
erklärt: Wenn jemand mir nachfolgen will, so nehme er
sein Kreuz auf sich. „Sein Kreuz auf sich nehmen, sagt
er (Sermon pour le jour de
St. Blaise), heißt
mit gänzlicher Unterwerfung alle Leiden und
Widerwärtigkeiten, Trübsale und Abtötungen annehmen und
erdulden, welche uns in diesem Leben begegnen, kleine
wie große, mögen sie unseren Neigungen entsprechen oder
nicht, alle ohne Ausnahme. Wir möchten uns selbst unser
Kreuz wählen, lieber ein anderes als das unsrige haben,
ein schwereres, das wenigstens einigen Glanz um sich
werfe, lieber tragen, als ein leichtes, das durch seine
ununterbrochene Dauer ermüdet: eitler
(= nutzloser / leerer)
Wahn! Unser Kreuz ist es, das wir tragen müssen, kein
anderes, und sein Verdienst liegt nicht in seiner
Beschaffenheit, sondern in der Vollkommenheit, mit der
wir es tragen. Darin, dass man ein verbotenes Wort nicht
ausspricht, dass man seinen Augen einen neugierigen
Blick untersagt, ist oft mehr Tugend enthalten, als in
dem Tragen des Bußkleides. Die Nachgiebigkeit gegen die
Launen Anderer, das sanftmütige aber rechte Ertragen des
Nächsten, das sind meine geliebten Tugenden. O, wie viel
schneller ist es geschehen, sich anderen anzubequemen,
als Andere unseren Launen und Meinungen gefügig machen
zu wollen!" Die dritte Art von Leiden, dem Herzen des
Heiligen besonders teuer, war die ungerechte Verfolgung.
Eines Tages wurde er gefragt
(Geist des h. Franz v. Sales,
XVIII, 39; XIV, 28.),
welche von den acht Seligkeiten ihm die vortrefflichste
schiene; man erwartete, dass er antworten würde: Selig
sind die Sanftmütigen! Aber nein. „Selig sind, sprach
er, welche Verfolgung um der Gerechtigkeit willen
erleiden! Diese Seligkeit, in der Reihe die letzte, ist
in meinen Augen die erste, und ich betrachte sie als das
vorzüglichste Glück dieses Lebens. Jene, welche
ungerecht verfolgt werden, sind dem Heilande ähnlicher
und führen mit Jesus Christus ein in Gott verborgenes
Leben; sie erscheinen als böse und sind gut, tot und
sind lebend, arm und sind reich, töricht und sind weise,
verabscheut von den Menschen, sind aber gesegnet von
Gott."
Das Leben des heiligen
Bischofs stimmte mit diesen Lehren in jeder Hinsicht
überein. Stets war er bereit, mit liebenswürdiger
Freundlichkeit Alle anzuhören, die ihn sprechen wollten,
wenn sie dabei auch in ihrer Zudringlichkeit nicht
selten die Grenzen der Bescheidenheit überschritten, und
nie äußerte er ein Zeichen des Missvergnügens, wenn er
fortwährend in seinen wichtigsten und ernstesten
Arbeiten gestört wurde. Alle diese Unannehmlichkeiten
sah er als von der Vorsehung zugelassen oder gewollt an
und ertrug sie darum mit Liebe, ohne etwas von der
ruhigen Heiterkeit seiner Seele noch seines Antlitzes zu
verlieren.
Dieser Mann, so gut und
so liebenswürdig, hatte Feinde und Verfolger, die seine
edelsten Handlungen tadelten, ihm herbe Vorwürfe machten
oder unangenehme Dinge sagten; Gott ließ es ohne Zweifel
zu, um die Tugend seines Dieners in ihrem hellen Glanze
zu zeigen; und auf alle diese Ausfälle hatte er nur
Antworten voll Glauben und Liebenswürdigkeit, welche
eine Seele frei von aller Galle und jeglicher Bitterkeit
bekundeten. „Man muss, sprach er, mit der menschlichen
Schwäche Mitleid haben. Was würde aus uns werden, wenn
Gott uns ohne Mitleid behandelte? Die Verfolgungen sind
Teile des Kreuzes Christi ; auch das geringste Stückchen
darf man nicht zu Grunde gehen lassen
(Geist des h. Franz v. Sales, I,
15.).
Eines Tages kam ein
Gläubiger zu ihm und verlangte die Bezahlung einer
beträchtlichen Summe, für welche er für einen ihm
befreundeten Edelmann Bürge geworden war; da sich
letzterer beim Heere befand, so konnte er selbst die
Schuld nicht bezahlen. Der heilige Bischof stellte dem
Gläubiger mit möglichster Sanftmut vor, dass er, da das
Vermögen des Edelmannes die Forderung weit übersteige,
keine Gefahr laufe, weder Kapital noch Zinsen zu
verlieren, und beschwor ihn, bis zu dessen Rückkehr
Geduld zu haben. Allein Jener wollte auf solche
Vorstellungen nicht hören; er tobte und schrie, er wolle
auf der Stelle bezahlt sein. „Nun denn, sprach Franz, so
lassen Sie mir wenigstens Zeit, an ihn zu schreiben und
seine Antwort abzuwarten und Sie sollen befriedigt
werden." -- „Ich werde nicht warten, versetzte der
Andere, heute noch will ich bezahlt sein." -- „Mein
Herr, sprach der heilige Bischof auf's Neue mit
unglaublicher Sanftmut, würden Sie wohl, anstatt mich
als Ihren Hirten zu ernähren, den Mut haben, mir das
Brot vom Munde wegzunehmen? Nur spärlich besitze ich,
was mir für meinen Unterhalt notwendig ist; nie habe ich
eine solche Summe, wie Sie sie verlangen, in Händen
gehabt. Wollen Sie mich denn vor dem Hauptschuldner
einklagen? Ich überlasse Ihnen Alles, was ich habe,
selbst meine Möbel, Sie können sie verkaufen; ich bitte
Sie nur, mich zu lieben um Gottes willen, und ihn nicht
durch Zorn, Hass und Ärgernis zu beleidigen. Tun Sie das
und ich werde zufrieden sein." --- „Ach, das sind alles
leere Versprechungen," versetzte der Gläubiger und er
fuhr fort zu toben und zu schimpfen. „Mein Herr, sprach
Franz mit heiterer Miene, ich werde alles Mögliche tun,
um Sie zu befriedigen; aber das sage ich Ihnen auch,
dass, hätten Sie mir ein Auge ausgerissen, ich Sie mit
dem anderen ebenso liebevoll wie meinen besten Freund
ansehen würde." Er schrieb unverzüglich an den Edelmann,
der herbei eilte, um seine Schuld zu bezahlen; und der
Gläubiger, beschämt über sein Betragen, kam zu Franz
zurück und bat ihn um Verzeihung; der edle Bischof nahm
ihn mit offenen Armen auf und liebte ihn von da an mit
besonderer Innigkeit, indem er ihn seinen
wiedergewonnenen Freund nannte
(Geist des h. Franz v. Sales, I,
7.).
Zu anderen Malen zog er
es vor, Beleidigungen Schweigen entgegenzusetzen. „Denn,
sagte er, ich kenne gegen solche Dinge kein besseres
Mittel, als nichts zu sagen, gar nicht merken zu lassen,
dass man es gesehen oder gehört habe, und die größte
Sanftmut gegen den zu beobachten, der uns beleidigt hat.
Mag man auch noch so wenig sagen, die Eigenliebe sagt
doch immer zu viel und lässt sich so schlecht verdaute
Worte entschlüpfen, dass Einem das Herz den ganzen Tag
über mit Bitterkeit erfüllt ist. Sagt man nichts, lacht
man herzlich darüber und lässt den widrigen Wind
vorübergehen, so setzt man den Zornigen in Erstaunen,
verwirrt den Unbescheidenen und bewahrt lange die Freude
und Ruhe des Herzens."
Die Geduld des Heiligen
bewährte sich nicht minder in Krankheiten, wie bei
Beleidigungen. Wiewohl er von sehr gesunder Konstitution
war, hatte er doch in seinen letzten Jahren Vieles
auszustehen; Krankheiten und körperliche Gebrechen aller
Art befielen ihn. Und in seinen Schmerzen sah man ihn
immer ruhig und ergeben; nie hörte man ein Wort der
Klage, nie sah man, dass er traurig oder verdrießlich
war. Er betrachtete diese Leiden als eine große Gnade
Gottes, „denn, sprach er, da ich freiwillig nicht viel
Buße tue, so ist es gut, dass ich ein wenig dazu
gezwungen werde (Dom Jean
de St. Francois, p. 411.)."
Vernehmen wir den Bischof von Belley hierüber: „Alle,
sagt dieser, welche ihn in seinen Krankheiten gesehen
haben, erzählen Wunder von seiner Sanftmut und
Gleichgültigkeit im Leiden. In den größten Schmerzen
besaß er eine Geduld, vereinigt mit so großer Liebe und
Sanftmut, dass man ihn nie den geringsten Wunsch äußern
hörte, der nicht mit dem Willen Gottes übereinstimmte;
nicht im geringsten bedauerte er es je, dass seine
Krankheit ihn verhindere, Gott und dem Nächsten so
manchen Dienst erzeigen zu können. Er wollte leiden,
weil es so der Wille Gottes war. Er weiß besser als ich,
sprach er, was mir Not tut. Möge er tun, was
wohlgefällig ist in seinen Augen. Mein Gott! Dein Wille
geschehe und nicht der meinige. Ja, himmlischer Vater,
ich will es, weil es so wohlgefällig vor Dir gewesen
ist; ja, Herr, ich will es, und möge Dein Gesetz und
Dein Wille stets meinem Herzen eingegraben sein." Wurde
er gefragt, ob er irgend eine Arznei wolle, einen Trank
nehmen, oder zur Ader gelassen haben, so antwortete er:
„Tut was Ihr wollt; Gott hat mich den Ärzten zur
Verfügung gestellt.“ Und so nahm er Alles, was man
wollte, mit einer Einfalt des Gehorsams an, die
unvergleichlich war. Wurde er über sein Übel befragt, so
nannte er es ganz einfach, ohne es zu vergrößern, indem
er übermäßig klagte, noch es unbedeutender zu machen,
indem er nicht Alles sagte, da er ersteres als eine
Feigheit und letzteres als eine Unaufrichtigkeit ansah.
Und lag der niedere Teil seiner Seele auch manchmal
unter der Wucht des Schmerzes darnieder, die Heiterkeit
des höheren Teiles blieb ungetrübt; sein ganzes Antlitz,
besonders seine Augen, waren ein Beweis dafür
(Geist des h. Franz v. Sales, V,
22; XII, 2; XVII, 14.).
Überzeugt, dass man, wie er an die heilige Chantal
schrieb, durch Leiden Gott besser dient, als durch
Handeln, in der Meinung überdies, dass seine Leiden nur
sehr wenig seien im Vergleiche zu dem, was er verdient
und besonders was der Heiland für ihn erduldet habe,
wollte er nie um die Wiedererlangung seiner Gesundheit
beten. „Nie, sagt er (Ebendas.,
XVII, 12. – Brief 728.),
würde ich den Mut haben, den Heiland zu bitten, mein
Kopfweh durch das Verdienst jenes zu heilen, welches er
in seinem anbetungswürdigen Haupte erduldete, mein
Augenübel durch das Verdienst seiner am Kreuze leidenden
Augen und mir die Gesundheit um seiner Schmerzen willen
wiederzugeben, wie wenn er gelitten hätte, damit wir
nicht mehr leiden sollten." Er verheimlichte sogar sein
Unwohlsein und hielt sich auf so lange als möglich,
indem das Bett nur für schwere Krankheiten da sei, wie
er sagte; war er gezwungen, das Bett zu hüten, so nahm
er mit freundlicher und dankbarer Miene jeglichen
Dienst, den man ihm erwies, entgegen, nahm ohne
Widerwillen jede Arznei, wie jede Speise, die man ihm
reichte; und sich gewissermaßen selbst vergessend,
dachte er nur an Gott und an seine Diener; an Gott, um
sich in der inneren Vereinigung mit ihm zu erhalten und
die ewigen Güter zu betrachten, an seine Diener, um sie
zu bedauern wegen der Mühe, welche ihnen die Pflege
seiner Person verursachte.
Wohl empfand er in seinem
Inneren ein lebhaftes Widerstreben gegen das Leiden;
aber seine erhabene Tugend bezwang dasselbe, und auf
eine herrliche Weise übte er selbst, was er von jemand
anders erzählte. Es war dies eine recht kranke Person;
er ging zu ihr, lobte ihre Standhaftigkeit, übertrieb
ihre Schmerzen, bewunderte ihren Mut, ihr ergebenes
Schweigen, ihr gutes Beispiel. „Ach, mein Vater,
versetzte diese darauf (Ebendas.,
VIII, 3.), was
sagen Sie da! Sie sehen nicht, wie meine Natur sich
dagegen sträubt! mein Inneres ist zerrissen und
durcheinandergeworfen; wenn ich mich gehen ließe, so
würde ich aufschreien und verdrießlich werden, ich würde
murren und fluchen; aber Gott hat meinen Lippen einen
Zaum angelegt, so dass ich es nicht wage, unter den
Schlägen seiner Hand zu klagen, welche er in seiner
Gnade mich gelehrt hat, zu lieben und zu verehren. Ich
bin wie jener Prophet, den der Engel an einem Haare
trug; nur an einem schwachen Faden hängt meine Geduld,
und wenn Gott mir nicht beistände, so wäre ich
verloren." -- „Sehet, sprach Franz nachher, das ist die
wahre Geduld des Christen; sie ist nicht allein mutvoll,
sondern auch demütig und liebend; und saget ihr dies
nicht, damit sie nicht etwa eitel werde, und der in ihr
wirkenden Gnade, deren Wasser nur in den Tälern der
Demut fließen, ein Hindernis entgegensetze."
Siebenzehntes Kapitel.
Sein
Gleichmut der Seele.
Wunderbar war es zu
sehen, wie die Seelenstimmung des heiligen Bischofs
stets unverändert, stets sich gleich blieb; nie sah man
ihn traurig oder niedergeschlagen in Widerwärtigkeiten
oder Trübsalen, nie sah man ihn der Freude zu sehr
nachgeben, nie ließ er sich von der Übereilung
hinreißen. Immer Herr seines Herzens und seiner
Leidenschaften, zeigte er bei den verdrießlichsten wie
den angenehmsten Ereignissen stets dieselbe Ruhe in
seinem Antlitze und ganzen Benehmen, so dass man von ihm
sagte, in jeder seiner Handlungen sei er ebenso ruhig
und gelassen, ebenso eingezogen und Gott und sich ebenso
gegenwärtig, wie am Altare selbst. Am Hofe und in den
geräuschvollsten Gesellschaften, in denen er genötigt
war, zu erscheinen, war er ganz derselbe wie in einem
Kloster der Heimsuchung oder in Mitte der heiligsten
Ordensleute. In den verschiedenen Lagen des Lebens blieb
er ein Mal wie das andere Mal; die Veränderungen fanden
um ihn herum, aber nicht in ihm statt, und er verstand
es, überall gleich heilig zu sein, mit den weltlichsten
Gegenständen sich abzugeben, ohne sich je davon
verweltlichen zu lassen. Immer und überall gewahrte man
an ihm die nämliche Bescheidenheit und Sanftmut,
dieselbe Leutseligkeit, den nämlichen Gleichmut der
Seele, die nämliche Sorgfalt, Gott zu gefallen und die
Tugend anderen liebenswürdig zu machen
(La Riviere, p. 465.).
Von welcher Art auch die
Leiden waren, die sein Leben durchkreuzten, nie wurde
seine Geduld auch nur einen Augenblick erschüttert,
seine Heiterkeit getrübt, sein Friede gestört
(Geist des h. Franz v. Sales,
VIII, 16.).
„Dieser Bischof, sagte der Kardinal von Berulle, besitzt
eine unverwüstliche Seelenruhe." Und in der Tat, seine
ganze Miene, alle seine Worte, seine ganze Art und Weise
zu handeln, Alles atmete nur Ruhe und Frieden und nichts
in der Welt war im Stande, ihn aufzuregen oder zu
beunruhigen. „Würde das Weltall, sagte er, drunter und
drüber geworfen, so dürfte uns das dennoch nicht aus der
Fassung bringen, denn das Weltall ist den Frieden der
Seele nicht wert."
„Der Arzt, schrieb er
während eines Unwohlseins
(Brief 160.), hat
mir Ruhe anempfohlen; ich schreibe dieses Mittel auch
gerne vor; indem ich der körperlichen Ruhe pflegte, habe
ich an jene geistige Ruhe gedacht, der unser Herz, im
Willen Gottes ruhend, sich überlassen soll . . . ." –
„Neulich sah ich, erzählte er einmal Frau von Chantal
mit vieler Anmut (Brief
155.), ein
Mädchen, welches einen Eimer mit Wasser auf dem Kopfe
trug; oben auf dem Wasser lag ein Stück Holz, und da ich
gerne gewusst hätte weshalb, so sagte sie mir, es sei,
um das Wasser ruhig zu halten, damit es nicht
verschütte. Von nun an, sprach ich da zu mir selbst,
müssen wir also das Kreuz oben auf unser Herz legen, um
unsere Begierden und Neigungen durch dieses Holz ruhig
zu halten, damit sie sich nicht anderswohin in Unruhe
und Verwirrung ergießen." -- Lasset uns, schrieb er
ferner (Brief 748. – Geist
des h. Franz v. Sales, XVII, 34.),
ganz Gott angehören in diesem Wirrwarr, welchen die
Verschiedenheit der Dinge der Welt verursacht, wir
können unsere Treue nicht besser bewähren als in
Widerwärtigkeiten; die Einsamkeit hat ihre Stürme, die
Welt hat ihre Unruhe; überall muss man gutes Mutes sein,
da überall die Hilfe des Himmels Jenen nahe ist, welche
auf Gott vertrauen und demütig seinen väterlichen
Beistand anrufen; hüten Sie sich wohl, Ihre Sorgen sich
in Unruhe und Angst verwandeln zu lassen. Mitten unter
den Wogen und tosenden Stürmen erheben Sie stets den
Blick zum Himmel und sprechen Sie zum Herrn: Mein Gott!
für dich fahre ich auf diesen Wogen dahin, sei du mein
Führer und Steuermann! Sodann trösten Sie sich mit dem
Gedanken, dass die Süßigkeiten, welche unserer im Hafen
warten, uns die Mühseligkeiten vergessen lassen, die wir
ausstehen mussten, um dahin zu gelangen. Und wir steuern
darauf zu unter all' diesen Stürmen, wenn unser Herz nur
aufrichtig ist unser Wille gut und fest unser Mut, wenn
wir unser Auge nur auf Gott gerichtet halten und auf ihn
all unser Vertrauen setzen. Die wahre Tugend gedeiht in
der äußeren Ruhe ebenso wenig, wie die guten Fische in
dem faulenden Wasser der Sümpfe." In diesem Geiste der
Ruhe und der Hingabe an die Vorsehung sagte er auch zu
Frau von Chantal, als es sich um die Gründung des Ordens
von der Heimsuchung handelte: „Will Gott nicht, dass
unsere Pläne gelingen, so will ich es auch nicht, und
man muss sich auch nicht 'mal eine Stunde lang deshalb
den Schlaf rauben lassen."
Als er eines Tages von
Jemand eine unwürdige Behandlung erfahren hatte, fragte
ihn Frau von Chantal, die zugegen gewesen, was er in
diesem für die Natur so empfindlichen Augenblicke
empfunden habe. „Nie tieferen Frieden!" antwortete er.
Als er ein anderes Mal bemerkte, dass einer der
Hausgenossen in Aufregung geriet, sprach er lächelnd:
„Nun, nun, Herr Michel, die Ruhe nicht verloren! eine
Unze Ruhe ist mehr wert, als hundert Pfund Reichtum
(Nach Michel Favre)."
Jeden Augenblick wurde er in seinen Arbeiten und Übungen
der Frömmigkeit gestört; Geschäfte überhäuften ihn;
seine Pläne und Absichten erfuhren Widersprüche aller
Art; eigensinnige und wunderliche Köpfe, unfähig,
vernünftigen Vorstellungen Gehör zu geben, stritten mit
ihm über die klarsten Punkte. Und in all' diesen
Verdrießlichkeiten gewahrte man nicht die geringste
Änderung in seinem Benehmen oder im Tone seiner Stimme.
Je nachdem die Liebe es verlangte, verließ er ruhig
seine geistlichen Übungen, selbst diejenigen, welche ihm
die liebsten waren, „denn, sagte er, man muss an Gott
allein unverbrüchlich festhalten, und nicht an den
besonderen Mitteln, ihm zu dienen." Jemand, der an
heftigen Kopfschmerzen litt, klagte ihm, dass es ihm
nicht mehr möglich sei, der Betrachtung obzuliegen
(pflichtgemäß
nachzukommen).
„Sie müssen sich davon entwöhnen
(Geist des h. Franz von Sales, XV,
18.), antwortete
er, und die frommen Stoßgebete der Ergebung in den
Willen Gottes verdoppeln, der Ihnen dies Hindernis
sendet, um Sie durch die Übung heiliger und ruhiger
Entsagung fester an sich zu ketten. Was liegt daran, ob
wir auf diese oder jene Art mit ihm vereinigt sind, da
wir ja nur ihn suchen und wir ihn nicht weniger in der
Abtötung, als im Gebete finden?" Seine Arbeiten
verrichtete er eine nach der anderen, eine jede mit so
ganzer Seele, als ob keine andere vorhergegangen wäre
oder keine mehr folgen solle, und allen
Verdrießlichkeiten begegnete er mit unvergleichlicher
Sanftmut. „Seit einiger Zeit, schrieb er eines Tages,
bin ich umringt von Unannehmlichkeiten und geheimen
Widerwärtigkeiten, die über meine Ruhe gekommen sind;
aber sie gewähren mir einen so süßen und lieblichen
Frieden, wie nichts Anderes, und sind mir eine
Vorbedeutung, dass meine Seele bald ihre Ruhe in Gott
finden werde, und das ist die einzige Leidenschaft
meines Herzens (Geist des
h. Franz von Sales, X, 34.).
"
Er wollte, dass man
nichts mit hastiger Eile betreibe. „Es ist besser, sagte
er (Ebendas., VI, 9; VIII,
18; X, 12; XVI, 34; XVIII, 6.),
nur Weniges, aber dies gut zu tun. Nicht dadurch, dass
wir viele Dinge tun, machen wir Fortschritte in der
Vollkommenheit, sondern dadurch, dass wir sie mit Eifer
und Treue verrichten (Ebendas.,
XIV, 24.). Die
Frömmigkeit ist eine sanfte, ruhige, überlegte Inbrunst,
aber Hast ist der Ruin derselben. Sie ist ein
unüberlegtes, ungestümes Aufwallen, welche zerstört,
indem sie aufbauen will, ausreißt anstatt zu pflanzen.
Eilen Sie ganz sachte, sagt er ferner; früh genug, wenn
gut genug. Ein jeder Tag hat genug mit seiner Plage. Wer
zwei Dinge zu gleicher Zeit beginnt, wird es in keinem
zu etwas bringen; es wäre ebenso, als wollte man mehrere
Nadeln auf ein Mal einfädeln." -- „Tun Sie Alles, sagt
er an einer anderen Stelle
(Philothea, III, 10.),
mit Sorgfalt, aber ohne Hast. Jede Hast trübt den
Verstand und das Urteil und hindert uns, gut zu tun, was
wir uns so angelegen sein lassen. Ein ruhig
niederfallender Regen befruchtet das Land, ein in
Strömen herabgießender verwüstet es."
Jene tadelte er sehr,
welche im Gespräche hastig und ohne Überlegung reden;
was man sage, solle wenig und gut sein, mit Ruhe und
Gleichmut gesprochen. Besonders aber Jenen, welche
Andere zu leiten hatten, empfahl er dringend diesem
Ruhe: „Die vollkommenste Sorge, sagt er
(Brief 722.),
ist jene, welche sich derjenigen am meisten nähert, die
Gott für uns hat, die eine Sorge voll Ruhe und
Gelassenheit ist, in ihrer größten Tätigkeit doch frei
von jeder Aufregung, und in ihrer Einheit Allen Alles
wird." Diese Grundsätze waren die Richtschnur seines
Wandels. „Es war seine Gewohnheit, sagt einer seiner
Geschichtsschreiber (La
Riviere, p. 523.),
sich nie zu überstürzen, seine Arbeiten eine nach der
anderen zu vollenden und auf eine jede seine ganze
Aufmerksamkeit zu richten, wie wenn er an nichts Anderes
zu denken hätte."
Dieser so wunderbare
Gleichmut der Seele hatte seine Quelle in seiner Demut
und Abtötung. Seine Demut, die ihn auf Gott und nicht
auf sich selbst vertrauen lehrte und ihn über das Urteil
der Menschen, ihren Tadel sowohl wie ihr Lob erhaben
machte, verlieh ihm jene beherzte Entschlossenheit,
jenen edlen Opfermut, jene Tüchtigkeit zu dem Großen und
Schönen. Seine Abtötung, welche ihn lehrte, jede
Rücksicht auf Reichtum und Wohlsein, Verwandte und
Freunde, Große und Mächtige beiseite zu setzen, ließ ihn
sich allen Arbeiten unterziehen, jedes nützliche Werk
durch Hindernisse aller Art hindurch mit
unerschütterlicher Sicherheit und Ruhe verfolgen, so
dass nie ihn etwas, sobald es sich um die Erfüllung
einer Pflicht handelte, davon abbringen konnte, dass er,
den Blick auf Gott allein gerichtet, nie auch nur im
Geringsten seinen Gleichmut und Frieden verlor
(La Riviere, p. 464.).
„Unser größtes Übel, sagt er in Bezug auf diesen
Gleichmut, ist die Wertschätzung unserer selbst;
begegnet uns eine Sünde oder Unvollkommenheit, dann sind
wir erstaunt, werden unruhig und ungeduldig, weil wir
glaubten, etwas Gutes, Entschlossenes, Feststehendes zu
sein; und darum, wenn wir sehen, dass dem nicht so ist,
dass es mit unserer Vortrefflichkeit ein Ende hat,
werden wir unruhig, missgestimmt und unzufrieden, dass
wir uns in uns selbst getäuscht haben. Wüssten wir, wer
wir sind, so würden wir, anstatt uns zu wundern, uns am
Boden zu sehen, erstaunt sein, wie wir nur einen Tag, ja
nur eine Stunde aufrecht stehen können. Müssen wir
Geduld haben mit Jedermann, so vor allem mit uns, da wir
uns selbst lästiger sind, als sonst irgend ein Anderer
(Brief 782.).
Entschuldigen und beschuldigen Sie nur nach reiflicher
Überlegung Ihre arme Seele, sagt er ferner
(Brief 723. -- Geist des h. Franz
v. Sales, XVII, 20.),
damit Sie dieselbe nicht, wenn Sie sie ohne Grund
entschuldigen, verwegen und übermütig machen; oder, wenn
Sie sie leichtsinnig anklagen, ihr den Mut nicht rauben
und sie kleinmütig machen. Bemühen Sie sich, das, was
Sie tun, vollkommen zu tun, und ist es getan, so denken
Sie nicht mehr daran, sondern denken Sie an das, was Sie
noch zu tun haben, einfach auf dem Wege Gottes vorwärts
gehend, ohne Ihren Geist zu beunruhigen. Ihre Fehler
müssen Sie hassen, aber nicht mit unwilligem und
unruhigem, sondern mit ruhigem Hasse, mit ihnen Geduld
haben, und sie sich dazu dienen lassen, sich selbst in
Ihrer eigenen Achtung tiefer zu stellen
(Brief 167.).
Betrachten Sie Ihre Fehler eher mit Mitleiden als mit
Unwillen, eher mit Demut als mit Strenge, und erhalten
Sie Ihr Herz im Besitze einer ruhigen und gesetzten
Liebe (Brief 107. – Geist
des h. Franz v. Sales, XVII, 19.)
."
„Unser zweites Übel ist
die Liebe zu uns selbst; werden uns nicht fühlbare
Tröstungen und sonst süße Empfindungen zuteil, dann sind
wir gleich traurig (Geist
des h. Franz v. Sales, X, 24.);
stoßen wir auf Hindernisse in der Ausführung unserer
guten Absichten, dann sind wir ängstlich bemüht, sie zu
überwinden, weil wir unsere Tröstungen, unsere
Behaglichkeit und Bequemlichkeit lieben. Wir möchten nur
Zucker im Dienste Gottes und wir sehen gar nicht auf
Jesus hin, niedergesunken auf sein Antlitz, überronnen
mit Blutschweiß, den ihm die innere Angst auspresste . .
. Wir wollen es nicht einsehen, dass, wie das trockene
Konfekt (kandierte
Frucht) das beste
ist (Ebendas., III, 51;
XVI, 44 u. 64.),
so auch das, was man in der Trockenheit tut,
verdienstlicher vor Gott ist, als jenes, was man im
Zustande der Tröstung verrichtet . . . Eine gute
Dienerin Gottes sein, sagt er an einer anderen Stelle
(Ebendas., XV, 21.),
will nicht heißen, immer getröstet sein, stets in
Süßigkeit, ohne Abneigung und Widerwillen gegen das
Gute. Denn wenn dem so wäre, so würde weder der heilige
Paulus, noch die heilige Angela, noch die heilige
Katharina von Siena Gott auf eine gute Weise gedient
haben; eine gute Dienerin Gottes sein heißt liebevoll
gegen den Nächsten sein, den unwiderruflichen Entschluss
haben, dem Willen Gottes zu folgen, eine sehr große
Demut und Einfalt besitzen, um auf Gott zu vertrauen und
sich so oft wieder zu erheben, als man gefallen ist,
sich selbst in seiner Armseligkeit ertragen und mit den
Unvollkommenheiten Anderer Geduld haben." -- „Teure
Tochter, schrieb er an Frau von Chantal
(Brief 255.),
Gott will nicht, dass Sie den Genuss von Ihrem Glauben,
Ihrer Hoffnung und Ihrer Liebe haben, es sei denn, dass
Sie dessen dringend bedürfen; Sie haben aber diese
dennoch und zwar in einem recht guten Zustande; aber Sie
sind wie ein Kind, dem sein Vormund die Verwaltung
seiner sämtlichen Güter entzogen hat. Wie glücklich sind
wir, dass dieser himmlische Vormund uns so entwöhnt und
so kurz hält! Wir müssen die liebenswürdige Vorsehung
anbeten, indem wir uns ihr in die Arme werfen. Nein,
Herr, ich will nicht den Genuss meines Glaubens, meiner
Hoffnung und meiner Liebe, es sei denn, um Dir in
Wahrheit, wenn auch ohne jedes Gefühl der
Annehmlichkeit, zu sagen, dass ich eher sterben will,
als meinen Glauben, meine Hoffnung und Liebe verlieren.
Herr, wenn es Dir so wohlgefällig ist, dass ich keine
Freude bei Ausübung der Tugend empfinde, so bin ich es
von ganzem Herzen zufrieden . . . Begegnet uns etwas
Unangenehmes, fährt er weiter fort, so müssen wir es
annehmen mit ruhiger Ergebung in den Willen Gottes.
Begegnet uns etwas Angenehmes, so müssen wir es annehmen
mit ruhiger Mäßigung, ohne in eine zu freudige Aufregung
zu geraten. Muss man das Böse fliehen, so muss das mit
Ruhe und ohne Verwirrung geschehen; sonst könnten wir
auf der Flucht fallen und dem Feinde hinreichende Zeit
verschaffen, uns zu töten. Müssen wir etwas Gutes tun,
so soll es mit Ruhe geschehen; sonst würden wir viele
Fehler durch unsere Hast und Eile begehen. Wir sollen
selbst nur bei dem Guten verweilen, was Gott von uns
will; sonst würde, wenn auch das, was wir möchten und
wünschen, gut ist, gerade dieser Wunsch böse sein, weil
es nicht nach dem Willen Gottes wäre, der von uns nicht
dieses Gute, sondern ein anderes will
(Brief 167.).
Fühlen Sie sich betroffen durch die Menge Ihrer
Unvollkommenheiten, so müssen Sie sich nicht darüber
beunruhigen; denn nichts befestigt sie mehr als Unruhe
und der ängstliche Eifer, sich von ihnen frei zu machen.
Werden Sie von Versuchungen bestürmt
(Geist des h. Franz v. Sales, XVI,
21.), so müssen
Sie deshalb nicht ängstlich sein, auch nicht die
Stellung ändern, in der Ihr Körper sich gerade befindet;
es ist der Teufel, der um Ihre Seele herumstöbert, um zu
spähen, ob er nicht einen Eingang finden kann. So machte
er es mit Job
(Hiob), dem
heiligen Antonius, der heiligen Katharina von Siena und
zahllosen anderen guten Seelen, die ich kenne, und auch
mit der meinigen, die nichts taugt und die ich nicht
kenne. Soll man deshalb verdrießlich werden? Lassen Sie
ihn nur da stehen und warten, halten Sie alle Eingänge
wohl verschlossen, und er wird es endlich müde werden;
oder wenn er es nicht wird, so wird Gott ihn zwingen,
die Belagerung aufzuheben. Es ist ein gutes Zeichen,
wenn er so viel Lärm und Getöse um unseren Willen herum
macht; es ist ein Zeichen, dass er nicht drinnen ist.
Hüten Sie sich, Ihr Herz zu schelten wegen dieser
lästigen Gedanken, die um es rings umher sitzen; denn
das arme Ding kann ja nichts dafür und Gott selbst
tadelt es deswegen nicht; im Gegenteil, seine göttliche
Weisheit sieht mit Freuden, wie dies kleine Herz zittert
bei dem Schatten des Bösen wie das Küchlein bei dem
Schatten des Habichts, der über es dahinfliegt; nehmen
wir unsere Zuflucht zum Kreuze, umfassen wir es mit
Inbrunst, bleiben wir ruhig im Schatten dieses heiligen
Baumes. Es ist unmöglich, dass uns etwas beflecke, so
lange wir wirklich entschlossen sind, Gort ganz
anzugehören (Brief 658.).
Darum muss man nicht ängstlich erschrecken in den
Versuchungen, sondern in freudiger und ruhiger Ergebung
in den Willen Gottes verharren. Da die Versuchungen
einem Herzen, welches sie nicht liebt, nichts von seiner
Reinheit nehmen können, so sehen wir sie gar nicht an,
sondern schauen wir unverwandten Blickes auf unseren
Heiland, der uns nach dem Sturme erwartet; und halten
wir ihm eine große und standhafte Liebe bereit, welche
sich weder um das Süße noch das Bittere kümmert, und
sich nur angelegen sein lässt, ohne Rückhalt zu
sprechen: Es lebe Jesus! Die Versuchungen beunruhigen
uns nur deshalb, weil wir zu viel an sie denken und sie
zu sehr fürchten (La
Riviere, p. 576.)."
Achtzehntes Kapitel.
Wunder, durch welche Gott die Heiligkeit seines Dieners
der Welt offenbarte.
Wie der Heilige schon
während seines Lebens der Gegenstand der allgemeinsten
Verehrung, der Ruf von seiner Heiligkeit schon in alle
europäischen Länder gedrungen war, haben wir im Verlaufe
unserer Geschichte bereits gesehen. Selbst die
Protestanten teilten diese Achtung; sie fanden keinen
anderen Fehler an ihm, als den, zu katholisch zu sein.
„Hinge er, äußerte sich einst ein protestantischer
Prediger über ihn, der katholischen Kirche nicht allzu
sehr an, so würde er ein vollkommener Mann sein
(Dom Jean de St. Francois, p.
509.)."
Dass nach seinem Tode
diese Verehrung nur zunahm und noch allgemeiner wurde,
ist natürlich. Das bescheidene Grabmal, welches ihm zu
Annecy in der Kirche von der Heimsuchung errichtet
worden, wurde ein Gegenstand frommer Sehnsucht für die
Gläubigen. In Menge kamen sie aus allen Ländern, um hier
zu beten und Hilfe in den verschiedensten Nöten zu
suchen. Die Stimme des Volkes hatte ihn schon heilig
gesprochen. Es war dies nicht allein eine Folge der
erhabenen Tugenden, welche das Leben des heiligen
Bischofes geziert hatten, sondern noch weit mehr der
zahlreichen Wunder, welche Gott auf seine Fürbitte
wirkte.
Die Mutter de Chaugy gab
im Prozesse seiner Seligsprechung über diesen Punkt
folgende eidliche Erklärung ab
(Proces de canonisation, V, 823.):
„Die Wunder, welche Gott durch unseren
verehrungswürdigen Stifter an seinem Grabe sowohl wie an
verschiedenen anderen Orten gewirkt hat, sind
außerordentlich zahlreich. Nach glaubwürdigen
Mitteilungen aus verschiedenen Gegenden habe ich
gefunden, dass er siebenunddreißig Tote erweckt,
neunzehn Taubstumme, zwei Aussätzige, zwanzig Blinde,
einhundertzwei Lahme, vierzehn Gichtbrüchige,
vierunddreißig sonst unheillbare Augenkranke,
zweiundfünfzig an unheilbaren Geschwüren Leidende,
einundfünfzig Verkrüppelte, neunzehn mit Epilepsie
Behaftete, dreizehn Wassersüchtige und siebenunddreißig
Wahnsinnige geheilt hat. Dazu kommen ferner zehn
Personen, die durch ihn aus der größten Gefahr,
Schiffbruch zu erleiden, errettet wurden, mehr als
sechstausend, die von pestartigen Fiebern befreit worden
sind und mehrere Dörfer, welche von der Pest, zur Zeit
als sie in Savoyen herrschte, verschont blieben. „Ich
habe die Berichte aller dieser Wunder in Händen gehabt;
und ich weiß, dass außer diesen noch viele andere
stattgefunden haben, die aber nicht schriftlich
mitgeteilt worden sind."
Von diesen Wundern wollen
wir nur einige von denen, von welchen in der
Kanonisations-Bulle
(Schrift)
Rede ist, näher erwähnen.
Das erste war die
Auferweckung eines Toten, namens Hieronymus Genin
(Proces de canonisation, III, 367
et suiv.). Als
Knabe von fünfzehn Jahren war er von seinen Eltern zu
dem Pfarrer von Ollieres gebracht worden, um die
lateinische Sprache zu erlernen. Mit seinem Lehrer, den
er zu strenge fand, unzufrieden, lief Genin eines Tages
fort, um ins elterliche Haus zurückzukehren. Am Ufer des
Flüsschens Fier angekommen, welches gewöhnlich
unbedeutend und vermittelst eines Steges leicht zu
passieren, aber damals in Folge des abgehenden Schnees
ausserordentlich angeschwollen und reissend war, blieb
er einige Augenblicke stehen, unschlüssig, ob er einen
so gefährlichen Übergang wagen solle; endlich kniete er
nieder, machte das Gelübde, eine heilige Messe am Grabe
des heiligen Franz von Sales zu hören, wenn er glücklich
hinüberkomme, erhob sich und betrat die schwankende
Brücke. Mitten auf derselben angelangt, wurde er vom
Schwindel erfasst; er verlor das Gleichgewicht und
stürzte in das tobende und brüllende Wasser. In seiner
Todesangst rief er drei Mal aus: Seliger Franz von
Sales, rette mich! erneuerte sein Gelübde und verschwand
dann in den Wellen. Sein Bruder Franz, der bei ihm war,
lief weinend und schluchzend nach dem eine Viertelstunde
entfernten Dorfe Arnay und erzählte den Einwohnern das
eben geschehene Unglück. Ein geschickter Schwimmer
eilte, von den Leuten des Dorfes gefolgt, nach dem
Bache, um den Leichnam des Ertrunkenen aufzusuchen; erst
nach achtstündigem Suchen gelang es ihm, denselben zu
finden. Er gewährte einen scheußlichen Anblick; er war
mit Wasser angefüllt, ganz zerschlagen und zerschunden
von den Steinen, gegen welche ihn die Wellen geworfen
hatten; das Gesicht schwarz und blau, der Mund voll Blut
und Sand. Man ratschlagte, ob man ihn gleich begraben
solle; doch hielt man es für passend, es bis zum anderen
Tage zu verschieben, um den Pfarrer von Ollieres vorher
davon zu benachrichtigen. Nicht sobald hatte dieser die
traurige Nachricht erhalten, als er auch schon am
nämlichen Abende herbeieilte. Außer sich bei dem
Anblicke des Leichnams, der bereits in Verwesung
übergegangen schien und einen stinkenden Geruch
verbreitete, warf er sich auf die Knie und gelobte,
während neun Tagen die heilige Messe am Grabe des
seligen Franz von Sales zu lesen, wenn Gott um der Ehre
seines Dieners willen das Kind zum Leben zurückrufe. Die
ganze Nacht betete man bei dem Toten, den man in eine
benachbarte Scheune getragen hatte, und am anderen Tage
gegen elf Uhr morgens schickte man sich an, ihn zu
begraben; kaum konnte man es bei dem üblen Geruche mehr
bei ihm aushalten. Allein siehe da! während man den
Begräbnispsalm sang, erhob der Knabe den Arm und rief
aus: „O seliger Franz von Sales!" Der Pfarrer stürzte
herbei und hörte, wie der, welcher bereits seit
sechsundzwanzig Stunden tot war, ihm mit lauter und
kräftiger Stimme zurief: Der selige Franz von Sales hat
mir das Leben wiedergegeben! Kleider wurden
herbeigebracht; der Knabe stand auf und zeigte sich
Allen voll Leben. Jedoch verursachten ihm die erhaltenen
Stöße und Verwundungen noch Schmerzen; er ging nach
Annecy zum Grabe des heiligen Bischofs und sie
verschwanden plötzlich; vollkommen war er wieder
hergestellt, begann seine Studien aufs Neue und wurde in
der Folge Doktor der Theologie.
Das zweite Wunder war die
plötzliche Heilung eines Blind-geborenen aus der Pfarrei
Arit, namens Claude Marmot. Nach dem Zeugnisse dreier
Ärzte aus Annecy hatte dieser Blinde nicht die Spur von
einem menschlichen Auge; an der Stelle des Seh-Organs
befanden sich zwei Häutchen, weiß wie Schnee, ohne eine
Andeutung von einem Augapfel. Man brachte ihn zum Grabe
des Dieners Gottes und hielt, um seine Heilung zu
erflehen, eine neuntägige Andacht. Am neunten Tage ließ
man die Stelle, wo sich die Augen befinden sollten, das
Grabmal berühren und in dem nämlichen Augenblicke schrie
er, vor Freude außer sich aus: „Mein Gott, ich sehe, und
es ist mir, „Mein Gott, ich sehe, und es ist mir, als
sei ich im Paradiese." Und seit dem Augenblicke war er
in der Tat vollkommen geheilt.Kaum weniger merkwürdig
war die Heilung der Peronne Evraz aus der Pfarrei
Sallanches. Von Geburt aus gelähmt, waren ihre Beine so
eingeschrumpft, dass man nur Haut und Knochen an ihnen
gewahrte, und zugleich so schwach, so biegsam, dass sie
sie ganz nach Belieben bis über die Schultern zurückzog,
ohne sich in irgend einer Weise auf denselben halten zu
können. Untröstlich über ein Gebrechen, welches die
Ärzte für unheilbar erklärten, machte ihr Vater das
Gelübde, das Grab des heiligen Bischofs zu besuchen,
daselbst eine Messe lesen zu lassen und eine Kerze
anzuzünden. In dem nämlichen Augenblicke, in welchem er
in Annecy dies Gelübde erfüllte, verließ die Lahme in
Sallanches ihr Bett und rief aus, dass sie vollkommen
geheilt sei; und seit der Zeit verspürte sie nicht mehr
die mindeste Schwäche in den Beinen.
Wie diese Person, so war
auch Claude Julliard, aus der Pfarrei Mieussy, lahm von
Geburt, und bis zu seinem zehnten Jahre war er nicht im
Stande gewesen, sich auch nur einen Augenblick auf seine
Füße zu stellen. Seine Mutter brachte ihn auf den Rat
einer Verwandten zu dem Grabe des Dieners Gottes, um
hier seine Heilung zu erflehen. Schon am zweiten Tage
vermochte das Kind auf seinen Beinen zu stehen, und es
wurde so vollständig geheilt, dass es zu Fuße einen
großen Teil des Weges von Annecy nach Mieussy
zurücklegen konnte.
Neunzehntes Kapitel.
Die
Heiligsprechung Franz's von Sales.
Gleich nach dem Tode des
Bischofs unternahm es Frau von Chantal, die besser als
sonst jemand die Heiligkeit des Dieners Gottes kannte
und überdies Zeuge der zahlreichen Wunder war, die jeden
Tag an seinem Grabe geschahen, die rechtsförmige
Untersuchung über das Leben und die Wunder des Heiligen
einzuleiten. Johann Franz von Sales
(Bruder),
gerne ihrer Bitte willfahrend, beauftragte mit dieser
wichtigen Sache Dom Juste Guerin; und am 22. Mai 1624
begann dieser, von mehreren Mitarbeitern unterstützt,
die Untersuchung, indem er sich mit unermüdlichem Eifer
an alle jene Orte begab, welche der Schauplatz der
Tugenden und der Wunder des verstorbenen Bischofs
gewesen waren. Sie brachte so außerordentliche Beweise
für die Heiligkeit des Gottesmannes zu Tage, dass man
glaubte, an den Papst darüber berichten zu müssen, damit
er apostolische Kommissare schicke, um an Ort und Stelle
die Tatsachen zu konstatieren
(festzustellen).
Um den heiligen Stuhl noch besser zu unterrichten,
veranlasste Frau von Chantal den Pater de la Riviere aus
dem Orden der Minimi, das Leben des verstorbenen
Bischofs zu schreiben, und bestimmte Dom Guerin, nach
Rom zu reisen, um dort selbst die Sache, die ihr so sehr
am Herzen lag, zu betreiben. Nachdem dieser das ganze
Jahr 1626 zu diesem Zwecke in Rom verweilt hatte,
erwirkte er endlich vom heiligen Stuhle, dass der
Prozess eingeleitet und drei apostolische Kommissarien
ernannt wurden, um die amtliche Untersuchung zu leiten.
Es waren der Erzbischof von Bourges, der Bischof von
Belley und Georg Namus, Doktor an der Universität Löwen.
Sie begannen ihre Arbeit in Annecy. im Jahre 1627 und
vernahmen mehr als fünftausend Zeugen sowohl über die
Tugenden als auch die unzähligen Wunder des
Gottesmannes. Nachdem sie alle Aussagen gesammelt
hatten, schritten sie am 4. August 1632 zur Öffnung des
Grabes, wobei sie den Leichnam ganz unverletzt und
unverändert fanden, die Kleidung unversehrt bis auf
verschiedene Flecken von gelblicher Farbe, die von der
Feuchtigkeit herrührten. Im Jahre 1634 ging Dom Guerin,
von Dom Maurice begleitet, abermals nach Rom, um dem
heiligen Stuhle sämtliche Prozess-Akten zu überreichen
und deren Prüfung zu beschleunigen Da aber die
Jansenisten verschiedene Umtriebe angezettelt hatten, um
die Heiligsprechung zu hintertreiben, so glaubte er,
dass alle seine Bemühungen für den Augenblick umsonst
sein würden und reiste, nachdem er seine Akten in den
Archiven des Vatikans niedergelegt hatte, am 17. Mai
1636 zurück.
Als im Jahre 1644
Innocenz X. den päpstlichen Stuhl bestieg, gab man sich
der Hoffnung hin, den Prozess wiederaufgenommen zu sehen
und so wurde 1647 ein neuer Sachwalter nach Rom
geschickt, der es auch erreichte, dass zwei
Kongregationen zusammentraten, die vorbereitende und
allgemeine. Dabei hatte die Sache ihr Bewenden bis zum
Tode dieses Papstes im Jahre 1655. Es folgte ihm der
Kardinal Chigi unter dem Namen Alexander VII. Der
Kardinal hatte in seiner Jugend Franz von Sales
rücksichtlich seines Eintrittes in den geistlichen Stand
um Rat gefragt: der fromme Bischof hatte ihm die
Versicherung gegeben, dass Gott ihn zu diesem Stande
berufe, und dass er, wenn er dem Grundsatze treu bliebe,
nicht nach Ämtern und Würden zu streben, er eines Tages
zu den höchsten in der Kirche gelangen würde. „Und ich,
Herr von Sales, erwiderte ihm darauf der junge Chigi,
ich gebe Ihnen die Versicherung, dass ich Sie, wenn ich
einmal Papst bin, heilig sprechen werde." Wirklich gab
nun Alexander VII. den Auftrag, den Prozess des seligen
Bischofs wieder aufzunehmen und mit der äußersten
Strenge dabei zu Werke zu gehen, damit die ganze Welt es
erkenne, dass diese Heiligsprechung nicht eine
Gunstbezeigung, sondern eine Pflicht strenger
Gerechtigkeit sei. Am 26. April 1655 wurden drei Dekrete
(Anordnungen)
erlassen und man hoffte, in Kurzem die Sache zu
beendigen, als man einen wesentlichen Formfehler
entdeckte, der es nötig machte, den ganzen Prozess von
neuem zu beginnen.
Zum dritten Male nahm man
die Verhandlungen im Januar 1656 auf und sie endigten
mit der Seligsprechung des Dieners Gottes. Die Bischöfe
von Puy, Belley und Maurienne kamen als apostolische
Kommissarien
(Kommissare) nach
Annecy, um eine neue Untersuchung über die Tugenden und
Wunder des verstorbenen Bischofs vorzunehmen; auch sein
Grab wurde wieder geöffnet, der Leichnam jedoch nicht
mehr unversehrt gefunden; dafür aber strömte ein
lieblicher Wohlgeruch von demselben aus, der, wie die
Ärzte erklärten, nur eine übernatürliche Ursache haben
konnte. Während man in Rom und Annecy diesen Prozess,
der alle Welt so lebhaft interessierte, mit dem größten
Eifer betrieb, warf ein Nichtswürdiger, um der Sache
Schwierigkeiten in den Weg zu legen, einen Zettel in das
Konsistorium
(Versammlungsort der Kardinäle unter Vorsitz des
Papstes), auf dem
geschrieben stand, dass der Bischof nicht getauft sei.
Es war eine Unwahrheit, das wusste man, aber man konnte
es nicht beweisen, da die Pfarrregister von Thorens
zugleich mit der Kirche verbrannt waren.
Glücklicherweise fügte es Gott, dass man zwei Zeugnisse
beibringen konnte; das eine fand sich in einem
Aktenstücke, welches man im Archive des Schlosses Sales
entdeckte, das andere bestand in der Aussage eines
Bauern von Thorens, der eidlich bekräftigte, er habe oft
seinen Vater sagen hören, dass er die Ehre gehabt habe,
bei der Taufe des Herrn von Sales die Glocken zu läuten.
Im Jahre 1658 endlich wurden sämtliche Akten der
Untersuchung nach Rom geschickt und 1659 der Prozess als
gültig und frei von Formfehlern erklärt und vom Papste
für die dreizehn Jahre, welche an den fünfzig, die vom
Todesjahre bis zur Seligsprechung verflossen sein
mussten, noch fehlten, Dispens
(Ausnahme-Bewilligung
bzw. amtliche Befreiung von einer kirchlichen Regel)
erteilt. Am 28. Dezember 1661 wurde die Seligsprechung
durch päpstliches Breve
(kurzes Schriftstück)
öffentlich angekündigt und elf Tage später feierlich
vollzogen. Am 19. April 1665 endlich erfolgte unter dem
nämlichen Papste Alexander VII., nach abermalig
vorhergegangener reiflicher Untersuchung und Prüfung,
die feierliche Heiligsprechung Franz's von Sales. Mit
außergewöhnlicher Pracht, wie sie der hohen Verehrung
Alexander VII. für den Heiligen entsprach, wurde
dieselbe in Rom begangen. Annecy und die meisten
französischen Städte wetteiferten darin mit der ewigen
Stadt (Rom);
der Name des heiligen Franz war in Aller Munde wie in
Aller Herzen, und zahlreiche Wunder, auffallende
Bekehrungen waren der Lohn für eine so innige und
glühende Verehrung.
Schlussbemerkung ZDW:
Franz von Sales ist in
seiner Aufopferungsbereitschaft und Nächstenliebe Jesus
sehr nahe gekommen und kaum einer hat zudem das
Evangelium Jesu richtiger verstanden als er – durch sein
Handeln und seine Gesinnung, sodass keine Spur einer
Theorie übrigbleibt, sondern nur die reine christliche
Praxis der Lehre Jesu in Wort und Tat erkennbar ist.
Er ist ein Kind Gottes in jeder Beziehung und immer am
Fuße des Kreuzes anzutreffen, um ihn zu finden.
Wahrscheinlich hat ihn selbst niemand besser verstanden
als seine treue Mitarbeiterin und heilige Schwester
Chantal.
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